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Full text of "Wiener Medizinische Presse 43.1902"

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= Wiener 

Medizinische Presse. 

ORGAN FÜR PRAKTISCHE ÄRZTE. 


K e d i g i r t 


Dr. ANTON BUM. 


XLIII. JAHRGANG 1902. 


Verlag von 


WIEN 1902. 


Urban & Schwarzenberg, 


Maximilianstrasse 


Nr. 4. 


Druck von finltliel) fäi-tel & Cie., Wien, III., Miln7. K a>ie 8. 


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Autoren-Verzeichniss. *> 


I ü- 


Adrian, Straßburg, 414. 

Aichel, Erlangen, 315- 
Albeck, Kopenhagen, 748. 
Albers-Schönberg, Hamburg, 950. 
Albrecht H., Wien, 140. 

Alsen, Königsberg i. P., 1707. 

Alt F., Wien, 1127. 

Amann jun., München, 1992. 
Anderson, London, 286. 
Arbuthnot-Lane, London, 757. 
Arlving, Lyon, 762. 

Arnsberger, Heidelberg, 612. 
Aron, Berlin, 331. 

Aronson, Berlin, 1248. 

Ascoli, Pavia, 991. 

Ashihara, Breslau, 1464. 


Baelz, Tokio, 2242- 
Baginsky, Berlin, 38, 1317, 1857. 
Balacesca, Bukarest, 2041. 

Bandelier, Cottbus, 1465. 

Baracz, Lemberg, 749. 

Basch, Hamburg, 620. 

Bäumler, Freiburg i. Br., 1085. 

Bayer, Köln, 1567. 

Bayer, Straßbnrg, 942. 

Bayet, Brüssel, 2345- 

Bechterew v., St. Petersburg, 941, 994, 1431. 
Behrmann, Nürnberg, 78. 

Bendewski, Kiew, 1090. 

Benedict M., Wien, 497. 

Bernhardt und Blumenthal, Berlin, 2385. 
Bernhardt, Warschau, 1274. 

Bertarelli, Turin, 368- 
Bertrand, Paris, 762. 

Bes red ka, Paris, 1717. 

Bettmann, Heidelberg, 991, 1946, 2294. 
Bettmann, Leipzig, 1899. 

Beuttner, Genf, 2230. 

Bial, Kissingen, 1580. 

Bickel, Göttingen, 1369. 

Bie, Kopenhagen, 1098. 

Biedert, Hagenau i. E., 31. 

Bie dl A., Wien, 1004, 1557. 

Bienenstock Walther, Wien, 2141. 

Bikeles G., Lemberg, 275 
Blauei, Tübingen, 512. 

Bios, Karlsruhe, 1535. 

Blum, Frankfurt a. M., 1580. 

Blumenthal, Wien, 189. 

Blum er, Zürich, 994. 

Boas, Berlin, 1182. 

Bobroff und Rudneff, Moskau, 1431. 
Bobulescu, Jassy, 2244. 

Bockenheimer, Berlin, 1086. 

Bogdanik J., Biala, 353, 1305, 2025. 

R. du Bois-Reymond, Berlin, 1329- 
Bonatti und Marimo, Parma, 907. 

Bon di M., Iglau, 689, 1465. 

Bonne, Klein-Flottbeck, 409. 

Borchhardt, Berlin, 80. 

Borchard, Posen, 565, 1753. 

Bosellini, Bologna, 2296- 
Bot tazzi, 760. 


*) Die Ziffern bedeuten die Seitenzahl. 


Bouveau, Paris, 1850- 
Bra, Paris, 1473. 

Braun L., Wien, 786- 
Brennecke, Magdeburg, 623. 
Brenner, Linz, 2309. 

Breuer R., Wien, 139, 189, 1148. 
Brik J., Wien, 524. 

Brok, Wien, 1697. 

Brouha, Liege, 1502. 

Brüning, Leipzig, 1895 
Brunner, Münsterlingen, 1408. 
Bruns, Tübingen, 711. 

Buckston Browne, London, 762. 
Büdinger K., Wien, 2051. 

Bum A., Wien, 1141, 2049, 2090. 
Bunge, Königsberg, 1146. 

Büngner, v., Hanau, 1784. 

Burke, Buffalo, 180. 

Busch, Willmanstrand, 1533. 

Bylsma, Middelburg, 2137. 

Cabibbe, Siena, 381. 

Cahanesco, Botusan, 1465. 
Calderone, Messina, 907. 

Camerer, Stuttgart, 265. 

Carriere, Paris, 763. 

Casper, Berlin, 89. 

Cederereutz, Helsingfors, 1570. 
Celli, Rom, 1237. 

Celli und Gasporini, Rom, 1042. 
Cesaris-Demel und Fenoglio, 88. 
Chantemesse, Paris, 379. 
Charpentier, Paris, 703. 

Chassel L., Wien, 171, 1269. 
Chauveau, Paris, 573. 

Chlumsky, Krakau, 467. 

Cisler, Prag, 1900. 

Clar K., Wien, 2259 
Clemm, Berlin, 1237. 

Cloetta, Zürich, 2239. 

Coen Raf., Wien, 332. 

Cohn, Breslau, 1705. 

Cohn, Königsberg, 1328. 

Cohn heim. Berlin, 413- 
Colombini, Sassari, 1275- 
Comby, Paris, 1760 
Crom bi, London, 286. 

Czyhlarz, v., Wien, 92, 524. 

Darier, Paris, 1654. 

Dawson, London, 285. 

Delius, Hannover, 1042. 

Desfosses, Paris, 2295. 

Diwald, Marburg, 23. 

Dohrn, Dresden, 2239. 

Donath J., Budapest, 1265. 
Dorendorf, Berlin, 1849. 

Doyen, Paris, 859, 951. 

Dreser, Berlin, 660. 

Drigalski und Conradi, Berlin, 511. 
Drozda J., Wien, 1957. 
Dünschmann, Wiesbaden, 31, 270. 
Dur ante, Rom, 760- 
Düring v., Constantinopel, 2383. 


Edelbohls, New-York, 1183 - 
Edelheit S., Sanok, 2288. 

Edinger L., Frankfurt a. M., 1038. 
Ehrendorfer, Innsbruck, 1134. 
Ehrhardt, Königsberg, 1244. 

Ehrlich, Frankfurt a. M., 41. 

Ehr mann S., Wien, 1957, 2146, 2285. 
Eich hörst, Zürich, 1356. 

Einhorn, New-York, 2087. 

Eiseisberg, A. v., Wien, 430, 1053, 2147. 
Eisenberg, Wien, 1756. 

Eitelberg, Wien, 1223. 

Ellmann M., Wien, 1575. 

Elschnig, Wien, 1762. 

Emerson, Basel, 1707. 

Enderlen, Marburg, 466. 

En der len und Justi, Marburg, 515, 563. 
Engels, Hamburg, 1438. 

Englisch J., Wien, 715. 

Epstein, Prag, 1861- 
Erben S., Wien, 427. 

Erdheim S., Wien, 1691- 
Esser, Bonn, 2343. 

Ewald, Berlin, 805, 1133. 


Faber, Kopenhagen, 1318, 1613. 

F e r i n i, Berlin, 2242. 

Ferini und Cano-Brusco, Sassari, 2183. 
Federn S., Wien, 123. 

Fink, Karlsbad, 1909- 
Finkeistein, Berlin, 2088. 

Finkeistein, Petersburg, 1359. 

Fischei, Prag, 1953- 
Fl ein er, Heidelberg, 761. 

Flor et, Elberfeld, 2039. 

Fodor J., Wien, 901. 

Foges, Wien, 1810. 

Fraenkel, Badeweiler, 1367. 

Fraenkel A., Berlin, 1277. 

Fraenkel E., Breslau, 187, 1535. 
Franke, Braunschweig, 1895. 

Frankel S., Wien, 475. 

Frankenberger, Prag, 993. 

Frankl O., Wien, 1958. 

Freund, Breslau, 284. 

Freund L., Wien, 412. 

Freund W. A., Berlin, 701. 

Freund W. A., Karlsbad, 2003. 

Frey H., Wien, 191, 2147. 

Friedländer A., Wien, 216. 

Friedrich, Leipzig, 2048. 

Fritsch J., Wien, 1129. 

Fuchsig E., Wien, 1121. 

Fürst L., Berlin, 227, 2127. 

Gaglio, Messina, 907- 
Ganghofner, v., Prag, 1841. 

Garre, Königsberg, 1315. 

Gärtner G., Wien, 1005. 

Gassmann, Bern, 366, 514. 

Gauchet, Paris, 1715. 

Gautier, Paris, 1197- 
Gebhard, v., Lübeck, 316- 
Geiringer L., Wien, 356, 


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IV 


Gerhardt, Straßburg, 1002. 

Gersuny R., Wien, 9. 

Gilbert und Lereboullet, Paris, 1288. 
Glaessner, Berlin, 1616. 

Goebel, Bielefeld, 1510. 

Goldberg, Petersburg, 1360- 
Gold mann H., Brennberg, 622, 1752. 
Gossner, Brandenburg, 703. 

Götzl und Salus, Prag, 130. 

Gonget, Paris, 574. 

Graff, Bonn, 1566. 

Graser, Erlangen, 2305. 

Gregor, Breslau, 2390. 

Grober, Jena, 2038. 

Grohe, Jena, 27. 

Groß, Kiel, 132. 

Groß S., Wien, 1783. 

Grosser O., Wien, 192. 

GrosserO. und Fröhlich A., Wien, 428. 
Großmann M., Wien, 323. 

Grouven, Bonn, 1233. 

Grünbaum R., Wien, 2224. 

Guillery, Köln, 2138. 

Gumprecht, Weimar, 859. 
Gussenbauer, Wien, 808. 

Guttmann, Breslau, 1567. 


Hacker v., Innsbruck, 849, 1753. 

Hahn W., Wien, 1984. 

Hajek M., Wien, 449. 

Halle, Berlin, 1187. 

Hamburger, Berlin, 1247. 

Hamei, Berlin, 1991. 

Hamei, Charlottenburg, 31. 

Hammer, Heidelberg, 1463. 

Hammerschlag A., Wien, 1148. 

Hanke V., Wien, 2051. 

Hartmann, Berlin, 467. 

Hartwig F., Wien, 667, 763. 

Hedinger, Königsberg i. P., 2181. 

Heker, Karlsbad, 1758- 
Heermann, Kiel, 1400. 

Heidenhain, Worms, 1408, 1943. 

Heile, Breslau, 667- 
Heinrich, Hamburg, 185. 

Hellendall, Straßburg, 896. 

Heller, Brünn, 977. 

Heller, Salzburg, 1563. 

Hemmeter, Baltimore, 1432. 

Hempt A., Groß-Enzersdorf, 1932. 

Hensehen S. E., Stockholm, 2073. 

Hense, Königsberg, 2294. 

Hermann F., Wien, 430. 

Herxheimer, Frankfurt a. M., 416. 

Herz, Breslau, 75, 1489. 

Herz M., Wien, 238. 

Herzen, Moskau, 993. 

Herzog, Würzburg, 2386. 

Herztka, Wien, 1945. 

Heveroch, Prag, 848. 

Hey man 8, Brüssel, 1289. 

Hildebrand, Berlin, 712. 

Hirschfeld, Berlin, 1000- 

Hitschmann F. und Lindenthal, Wien, 1816. 
Hlava, Prag, 2090. 

Hnatek, Prag, 2240. 

Hochenegg, Wien, 810. 

Hochsinger K., Wien, 332, 1746. 

Hof bau er L., Wien, 1148, 1169. 

Hoffa, Würzborg, 236. 

Hoffmann, Düsseldorf, 1001. 

Hoffner O., Drohobycz, 890. 

Hofmann, Leipzig, 608. 

Hofmeister, Tübingen, 30. 

Holländer, Berlin, 1802 1194. 

Hölscher, Mülheim, 749. 

Holzknecht G., Wien, 812, 1959. 
Homburger, Frankfurt a. M., 1042. 

Hondo, Berlin, 705. 

Honigmann, Breslau, 1356. 

Honseil, Tübingen, 414, 759, 1040. 
Hoppe-Seyler, Kiel, 1286. 

Hovorka O., Edl. v. Zderas, Tesliö, 1833. 
Hueppe, Prag, 32. 

Hug, Münsterlingen, 1234. 

Hügel und Holzhäuser, Straßburg, 1358. 


Isager, Stockholm, 1994- 
18 h i g a m i, Osaka, 2042. 

Israel, Berlin, 844, 861. 

11 o und Omi, Kyoto, 566. 

J a c o b i, Klausenburg, 1533. 

Jadassohn, Bern, 415. 

Jaksch, v., Prag, 2343. 

J a k u b , St. Petersburg, 1534. 

J a n o w s k i, Warschau, 706. 

Janowsky und Wyssokowicz, Kiew, 224. 
Janssen, Berlin, 2071. 

Jassniger, Budapest, 707. 

Jaquet, Basel, 77. 

JaworskiW., Krakau, 20, 505. 

Jerusalem, Wien, 667. 

Jesensky, Prag, 1465. 

Joachimsthal, Berlin, 950. 

Jochmann, Hamburg, 944. 

Johnson E. G., Stockholm, 2333. 

Johnston, Dublin, 953. 

Jolly, Berlin, 2344. 

Jonas, Liegnitz, 1615. 
de Jong, Leyden, 566. 

Joseph und Piorkowski, Berlin, 848. 
Josipowici, Berlin, 1745. 

Juliusberg, Bern, 2039. 

Justus, Budapest, 942. 

Kahane M., Wien, 1017. 

Kahl den, v, Freiburg, 809. 

Kam in er, Berlin, 858. 

Kann, Berlin, 1656. 

Kantorowicz, Hannover, 573. 

Karnowsky, Berlin, 845, 1134. 

Karlinski, Maglaj, 319- 
Karewski, Posen, 79. 

Karlow, Tomsk, 2184. 

Kassowitz, Wien, 1929. 

Käst, Breslau, 845. 

Käst, Prag, 1751. 

Katz, Hamburg, 37. 

Kaufmann und Mohr, Frankfurt a. M. 2136. 
Kaufmann R., Wien, 811, 2050. 

Kaupe, Bonn, 1848. 

Kausch, Breslau, 2047. 

Kehr, Halberstadt, 1409, 1706, 1812. 

Keller, Uehlingen, 128. 

Kienböck R., Wien, 1148, 2049. 

Kionka, Jena, 661. 

Kionka und Liebrecht, Jena, 318. 

Kirchner, Bamberg, 179. 

Kirikow und Korobkow, St. Petersburg, 1800. 
Kisch E. H., Prag-Marienbad, 833. 

Kissel, Moskau, 178. 

Kleine, 1399. 

Kleinwächter C., Czernowitz, 2221. 
Klemperer, Berlin, 127, 903. 

Knöpfelmacher W., Wien, 474. 

Kober, Breslau, 1706. 

Koch und Fuchs, Aachen, 1286. 

Kock, Kopenhagen, 1897. 

Koeppe H.. Gießen, 503, 610. 

Kohnstamin, Königstein i. T., 1195. 

K öl bl F., Wien, 2028. 

Kollarits, Budapest, 1235. 

König, Berlin, 1848. 

Koppen, Norden, 1000. 

Kopfstein, Jungbunzlau, 2296. 

Korczynski L., v., Krakau, 1073, 1317. 
Kornfeld F., Wien, 548. 

Kornfeld S., Wien. 238. 

Körte, 951, 1908. 

Korytowski undWielo weyski, Warschau, 1803. 
Kose, Prag, 1088. 

Kossmann, Berlin, 713. 

Köster, Leipzig, 1568, 1666. 

Kozlovsky, Prag, 1993. 

Kozlowsky, Drohobycz, 2293. 

Krafft, Rostock, 468. 

Kragerud, Tönsberg, 29. 

Krahulik, Prag, 131. 

Krause, Berlin, 2384. 

Kraus O., Karlsbad, 332. 

Kraus R., Wien. 1811. 

Krebs, Breslau, 2242. 


Kreibich, Wien, 240, 1570. 

Kr ei dl A., Wien, 906, 1977. 

Krogius, Helsingfors, 2182. 

Krone, Todtmoos, 1655. 

Krönig, Leipzig, 38. 

Krönlein, Zürich, 810, 1798. 

Krösing, Stettin, 2006. 

K u ö e r a, Brannowitz, 601. 

Kuhn, Cassel, 666, 1752. 

Kukula, Prag, 1945. 

Kurelia, Berlin, 365. 

Kurpjuweit, Königsberg, 2089. 

Knrz E., Florenz, 1345. 

Küster, Marburg, 1541. 

Ktistner, Hamburg, 572. 

Kuttner, Berlin, 223. 

Kuttner, Tübingen, 943, 2293. 

I»abb6, Paris, 1288. 

Ladyschenski, Rostow, 981. 

La 11 ich, Freih. v., Sebenico, 2169. 

Landau, Nürnberg, 1742, 2241. 

Länderer, Stuttgart, 1654, 1754- 
Lange, Leipzig, 2100. 

Lange, München, 377. 

Langemack, Rostock, 1326. 

Langer, Prag, 1859, 1954- 
Lauder-Brunton, London, 953. 

Lazarus, Berlin, 1194. 

Ledderhose, Straßburg, 2243. 

Lederer, Teplitz, 2138. 

Lenander, Upsala, 1652. 

Lengemann, Breslau, 816, 1501. 

Lenhartz, Hamburg, 1315. 

Leniewitsch, St. Petersburg, 1942. 
Lennhoff, Berlin, 37. 

Leo H., Bonn, 136. 

Leopold, Dresden, 2090. 

Lermoyez, Paris, 2255. 

Lesnö und Ravaut, Paris, 573. 

Lesser, Berlin, 1536. 

Leväi, Dunaföldvar, 2339. 

Leven, Elberfeld, 1502. 

Leyden, v., Berlin, 857- 

Leyden, v., und Blumenthal, Berlin, 1644. 

Lichtwitz R., Wien, 1079. 

Lindenthal und Hitschmann, Wien, 1910. 
Link, Freiburg i. B., 28. 

Linossi6, Vichy, 563. 

Litten, Berlin, 1054. 

Lode und Grub er, Innsbruck, 1188. 
Loeffler, Greifswald, 181. 

Loewenfeld, München, 1500- 
Loewenthal, Braunschweig, 1881. 

Lorenz H., Wien, 235, 240. 

Lotheissen, Wien, 1956. 

L ö wit, Innsbruck, 662. 

Lüthje, Greifswald, 31, 2136. 

Mackheim, Zürich, 1236. 

Madsen, Bergen, 1273. 

Mager, Brünn, 1955. 

Maixner, Prag, 897, 1897. 

Mann, Breslau, 1667. 

Mannaberg J., Wien, 188, 190- 
Marchand, Berlin, 1945. 

Marischier, Lemberg, 131. 

Markl, Wien, 2346. 

Martin, Jena, 1898. 

Marx, Lübbecke, 1357, 1409. 

Mathieu, Paris, 379. 

Meer, v., Köln, 1055. 

Mendel, Berlin, 367. 

Menzel K., Wien, 1957. 

M essines und Calamida, Turin, 707. 
Metschnikoff, Paris, 40- 
Micheli, Bologna, 1100. 

Mikulicz, v., Breslau, 810. 

Mikulicz und Reinbach, Breslau, 228. 
Milbradt, Bernau, 564. 

Milian, Paris, 1715. 

Millard, Leicester, 954. 

M i n i n , St. Petersburg, 129. 

Mircoli, Genua, 659. 

Mohr, Frankfurt a. M., 465. 

Möller, Stockholm, 1233. 


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V 


Mon ti, Wien, 1911. 

Moore, Santiago, 2238. 

Morel, Paris, 1289. 

Moro, Graz, 283. 

Morpurgo, Florenz, 760. 

Moser P., Wien, 1858. 

Moser nnd v. Pirqnet, Wien, 1859. 
Mosetig-Moorhof, v., Wien, 65, 306, 545,2308. 
Mos86, Paris, 1473- 
Moszkovics L., Wien, 2308. 

Müller, Berlin, 1541. 

Müller, München, 858. 

Müller, Würzbnrg, 1512. 

Müller J., Wiesbaden, 1287. 

Müller 0., Leipzig, 1287. 

Müller W., Leipzig, 2038. 

Müllerheim, Berlin, 1814. 

Mar et, Lausanne, 894. 


Naegelsbach, Schimberg, 1278. 
Nagano, Breslau, 751. 

Nakanishi, Kyoto, 707. 

Ne er mann, Kopenhagen, 1091. 
Neisser, Breslau, 431, 1401. 
Nenadovicz, Franzensbad, 842. 
Netter, Paris, 1196. 

Neu mann, Berlin, 1706. 

Neu mann, Kiel, 2298. 

Neu mann J., Wien, 401, 2196. 
Neurath R. Wien, 2355. 

Niessl, Leipzig, 1708. 

Nob 1 G., Wien, 2040. 

Nölker, Heidelberg, 712. 

Noorden, C. v., Frankfurt a. M., 1777. 
Nord mann, Basel, 569. 

Nöske, Leipzig, 811- 
Nothnagel, Wien, 138, 1217. 

Nov6-J osseran d, Paris, 513. 
Nüsske, Leipzig, 1615- 


Obrasztzow, Kiew, 2037. 

Oliva, Turin, 908. 

Olshausen, Berlin, 181. 

Oppenheim A., Berlin, 365, 510, 1430. 
Oppenheim M., Wien, 1432- 
Oppenheim und Löwenbach, Wien, 28- 
Ostinann, Marburg, 1568. 

Ott, Oderberg, 32. 


Pagenstecher, Wiesbaden, 1136- 
Pal J., Wien, 429, 2052. 

Pauli, Wien, 2355. 

Pandazis, Athen, 1996. 

Pandy, Gyula, 367- 
Pape, Gießen, 1086. 

Parkon und Goldstein, Bukarest, 30. 
Pässler, Leipzig, 1430. 

Pässler und Relly, Leipzig, 1955. 
Payr, Graz, 1054. 

Pel, Amsterdam, 2089. 

Pelagatti, Parma, 81. 

Pels-Leu sden, Berlin, 1245. 
Penzoldt, Tübingen, 1037. 

Perez, Buenos-Ayres, 1279. 

Perthes, Leipzig, 431, 1896. 

Perutz, Heidelberg, 846. 

Petersen, Heidelberg, 147, 809. 
Petersen, St. Petersburg, 1317. 
Petrön, Lund, 364. 

Pfeiffenberger C., Wien, 456. 
Pflüger, Stuttgart, 1186. 

Pick A , Wien, 257. 

Pick L., Wien, 467. 

Pick, Prag, 992, 1001. 

Picquö, Paris, 1473. 

Pineies F., Wien, 2147. 

Pincus, Danzig, 1039. 

Plato, Breslau, 177. 

Plesch, Ofen-Pest, 1136- 
Plessi, Modena, 1100. 

P o e h 1, v., St. Petersburg, 2254. 

Polak, Prag, 1899. 

Pollak J„ Wien, 929. 

Pollio, Breslau, 943. 


Porosz (Popper), Budapest, 458. 
Pospelow, Moskau, 1319. 

Poten, Hannover, 1804. 
Preindlsberger, Sarajevo, 1737. 
Preisich, Budapest, 2244. 

Preisich nnd Heim, Budapest, 2184. 
Priszner J., Liva, 1525. 

Prokop, Prag, 2137. 

Puccioni, Rom, 760- 
Puchberger, Wien, 1751. 

Purjesz, Koloszvar, 1318. 


Queirolo und Fedeli, Pisa, 89. 
Quervain, Chaux-de-Fonds, 994. 
Quincke, Kiel, 1315. 


Rabow, Zoppot, 1943. 

Ranke, Arosa, 1273. 

Ranke, v., München, 1860. 
Rasumosky, Kasan, 659, 1276. 
Raudnitz, Prag, 2389. 

Ravasini, Triest, 1425. 

Redlich E , Wien, 593. 

Reerink, Freiburg, 1147. 

Regnier und Didsburg, Paris, 1197. 
Rehn, Frankfurt a. M., 1052, 1941. 
Reichhardt, Chemnitz, 1569- 
Reiner, Wien, 377. 

Rem-Picci, Rom, 1184. 

Renki, Lemberg, 82, 1849- 
Resinelli, Berlin, 380. 

Reitter K., Wien, 2049. 

Richter, Wien, 2099. 

Riedel, Jena, 2243. 

Ricke, Leipzig, 80 
Riechelmann, Berlin, 1616. 

Riedel, Jena, 1053, 1499, 1812, 2243. 
Riegner, Berlin, 1464. 

Riss mann, Osnabrück, 1804. 

Rist, Paris, 751. 

Ritter, Greifswald, 1540. 

Ritter, Wien, 138. 

Robin, Paris, 1472. 

Roger und Garnier, Paris, 574. 
Rohden, Lippspringe, 1368. 

Rohm ann. Breslau, 1954. 

Roloff, Halle, 1401. 

Romberg, Marburg, 272. 

Römer, Berlin, 714. 

Römer, Würzburg, 1358- 
Rose, Berlin, 1135. 

Rosenfeld, Berlin, 1090. 

Rosenfeld, Breslau, 904. 
Rosenheim, Berlin, 713. 
Rosenstein, Leiden, 1236. 
Rosenthal, Berlin, 463. 

Rossi Baldo, Mailand, 161. 
Rothschild, Soden, 1368. 

Roux, Lausanne, 951. 

Rovsing, Kopenhagen, 2086. 

Rudolf F., Wien, 1313. 

Rüge, Berlin, 2344. 

Rys, Prag, 613. 


Saal fei d, Berlin, 2298. 
Sabolotnow, Kasan, 2297. 
Saenger, Hamburg, 623. 
Sahli, Bern, 904, 1235. 

Salge, Hamburg, 619. 

Salge, Karlsbad, 2306. 
Salomon, Frankfurt a. M., 904- 
SambergeT, Prag, 227. 

Savor, Wien, 1276. 

Scagliosi, Palermo, 411. 
Schaeffer, Berlin, 748. 
Schaerz, Straßburg, 1137. 
Schaffer, Budapest, 897. 
Schaffer, Pankow, 942. 
Schandelbauer, Wien, 1271. 
Schatz, Rostock, 2252. 
Seheyer M., Wien, 1029. 
Schild, Berlin, 1137. 
Schiller, Heidelberg, 1847- 
Schiff E., Wien, 1025. 


Schilling F., Leipzig 1457. 

Schlesinger W., Wien, 524, 957, 1003- 
Schossmann, Dresden, 1758, 1761. 
Schmidt, Bonn, 1000- 
Schmidt R, Wien, 94, 189. 

Schmieden, Bonn, 413, 1651. 

Schmied), Marienbad, 741. 

Schnitzler J., Wien, 332. 

Scholtz, Breslau, 1502. 

Scholtz, Königsberg, 1700. 

Scholz, Graz, 1510. 

Schott, Nauheim, 1368- 
Schreiber P., Berlin, 1898- 
Schreiber, Königsberg i. P.), 2344. 
Schreiber, Magdeburg, 330. 

Schrott er L., v., 905, 2254. 

Schrötter, v., sen., Wien, 93, 859, 1196. 
Schuchard, Stettin, 235. 

Schücking, Pyrmont, 1432. 

Schüller, Berlin, 861. 

Schüller, Wien, 1956. 

Schulze, Bonn, 2258. 

Schultze, Bonn, 1040. 

Schultze, Duisburg, 665. 

Schur H., Wien, 93, 428. 

Schwartz, Paris, 2256. 

Schwarz, Agram, 609. 

Schwarz E., Wien, 238, 239. 
Schweinburg B., Brünn, 1354. 

Sellheim, Freiburg i. B., 1755, 2005. 
Senator, Berlin, 317, 844. 

Sendler, Magdeburg, 1511. 

Sengler, Karlsruhe, 512. 

Serestre, Paris, 1716. 

Sieherth, Nürnberg, 1320. 

Siedler, Berlin, 1185- 
Siegert, Straßburg, 1757. 

Sievers, Helsingfors, 565. 

Silberstein J., Wien, 1180. 

Simerka, Prag, 847, 1848. 

Simonin, Paris, 1288. 

Singer, Elberfeld, 705. 

Singer, Prag, 1956. 

Singer, Wien, 2100. 

Sittmann, München, 1055. 

Sneguireff, Moskau, 658, 1850. 
Sobernheim, Halle a. S., 1439. 

Sobotta, Berlin, 1615. 

Sold er, v., Wien, 893. 

Solger, Berlin, 1537. 

Sonnenburg, Berlin, 1052- 
Sorgo J., Wien, 92, 524, 811, 906. 

Soxhlet, München, 464. 

Speiser, Berlin, 704. 

Sperling, Königsberg, 1816. 

Spiegel S., Wien, 430. 

Spiegler E., Wien, 523. 

Spindler, St. Petersburg, 1801. 

Spitzer, Wien, 1944. 

Sprengel, Braunschweig, 30, 1053. 
Springer, Prag, 1614. 

Spronck u. Hoefnagel, Utrecht, 2389. 
Stadelmann H., Würzburg, 2247. 

Starck, v., Hamburg, 621. 

Steinert, Leipzig, 1708. 

Steinsberg, Franzensbad, 837- 
Stejskal, Wien, 271. 

Stenitzer R., v., 1376- 
Sternberg J., Wien, 2048. 

Stern berg K., Wien, 93, 622, 1050, 1811. 
Steyrer, Graz, 1509. 

Steyskal R., v., Wien, 140- 
Stiller, Budapest, 223. 

Stilling, Lausanne, 1087. 

Stockmann und Charteris, Glasgow, 178. 
Stolz, Straßburg i. E., 1811. 

Stransky M., Wien, 853, 2095. 

Strasser A„ Wien, 237, 641, 881, 1992- 
Strassny, Frankfurt a. M., 415. 

Straus, Frankfurt a. M., 905, 1245- 
Strauß, Berlin, 1655, 2254- 
Strübel 1, Wien, 140- 
Stuparich, Triest, 411, 2232. 

Sudeck, Hamburg, 950, 1357- 
Sultan, Göttingen, 759. 

Syllaba, Prag, 81. 

Szaboky, Budapest, 750. 


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VI 


Tansini, Palermo, 2135, 2181. 

Taasig, Wien, 2077- 
Tavel, Bern, 1541. 

Thiel, Rheydt, 2135. 

Thomson, London, 1400- 
Tob in, Dublin, 951. 

Török, v., Wien, 191. 
Trautenroth, Bochum, 1501. 
Trendelenburg, Leipzig, 91, 712. 
Tr etter, Prag, 1088. 

Tschermak, Halle a. S., 2257. 
Tschernow, Charkow, 2087. 
Tscherno-Schwarz, Moskau, 1896. 
Tschlenow, Moskau, 610. 

Tuffier, Paris, 2256. 

Türck W., Wien, 139, 237. 


Uhlenhuth, Greifswald, 1993. 
Uhlenhuth und Westphal, Berlin, 33. 
Ullmann E., Wien, 475, 2146. 

Töpfer, Wien, 475. 

Ullmann K., WieD, 473. 
Urbantschitsch V., Wien, 1051. 
Urfey, Halle a. S., 2006. 


I. Wissenschaftlicher TheU. 

Abdominalchirurgie, Beiträge zur Casuistik der . .. 
306. 545. 

Accessorius, Nervus 1848. 

Acidum nitricum, Therapie der Blennorrhoe mit ... 
458. 

Acne vulgaris , Herba violae tricoloris bei ... 1806- 
Acoin 370. 

Aderlass bei Kindern 2184. 

Adrenalin 1321. 

Aerophagie, Ueber . .. 379- 
Aetherrausch, Operiren im . . . 1357. 

Agglutination von Scharlach-Streptokokken 1859. 
Agurin 133, 669, 1045. 

Alboferin 1093, 1573. 

— Beobachtungen über den Einfluß von . .. auf Blut¬ 
druck und Nervenerregbarkeit bei Nervenkranken 

1603, 1701. 

Albuminausscheidung nach kalten Bädern 1184. 
Albuminurie, Mechanismus der .. . 991. 
Alexanderoperation, Zur retrospectiven Betrachtung 
der ... 2221. 

Alexander’sehe Operation 186. 

Alexine, Origin6 de 1’ .. . 228. 

Alkoholismus und Chirurgie 1899. 

Alopecia praematura 78, 1656. 

Alopecie, Neurotische . .. 2345. 

Amputationsstumpf , Tragfähiger .. . 1805. 
Amputationsstümpfe, Tragfähigkeit der . . . 759. 
Analgesirung der Zähne durch Elektricität 1362. 
Anämie, Behandlung der ... 846 

— Ophthalmoskopische Befunde bei ... 1762. 

— Syphilitische ... 227- 

Ananas, Verdauende Wirkung der ... 1900. 
Anästhesie, Locale ... 1801. 

— Medulläre .. . 40. 

— Regionäre . . . 993. 

Anastomosen, Arterio-venöse . . . beim Menschen 192. 
Anchylostomiasis 1752. 

Aneurysma, Operation eines ... 2256- 
Aneurysmen 1955. 

Aneurysmensymptom, Ein ... 1849- 
Angina, Therapie der . . . 1658. 

— Gichtische ... 2255. 

Angiom, Alkoholinjection bei ... 1030, 1466. 
Anguillula intestinalis 2184. 

Anpassungsmöglichkeit der Europäer in den Tropen 

32. 

Antagonismus, Untersuchungen über .. . 1289. 


Vämossy, St. v., Preßburg, 1283, 1363. 
V a n y s e k, Prag, 2182. 

Vaquez, Paris, 1715. 

Variol, Paris, 1581. 

Voges, Buenos-Ayres, 2346. 

Vogl, Straßburg i. E., 1581. 

Volhard, Gießen, 1287. 

Vollbracht F., Wien, 524. 

Voss ins, Heidelberg, 2183. 

Vulpius, Heidelberg, 378. 


Wagner, Karlsruhe, 1089. 

Walko, Prag, 1751. 

Wanach, St. Petersburg, 2137. 
Wassermann, München, 2385. 

Weber, St. Petersburg, 1994, 2241. 
Weichselbaum A., Wien, 241. 

Weigl, München, 515. 

Weinberger M., Wien, 237, 525, 622, 1956. 
Weisz E, Pistyan, 1082. 

Weitlaner F„ Wien, 1323, 1949. 
Welander, Stockholm, 1233, 1802. 

Wells Walter, A , Georgetown, 2121. 
Wenzel, Bonn, 894. 

Widal, Paris, 763, 2255. 


Sach-Register. 

Antiperistaltik 1432. 

Aortenanomalie 381. 

Aortensystem, Angeborene Enge des . . . 180. 
Apentaivasser 2043. 

Aphasie und Demenz 216. 

Aphrodisiaca 1710- 

Aphrodisiacum, Versuche mit einem neuen ... 2077. 
Aphthongie 1708. 

Apomorphin als Schlafmittel 1943. 

Apoplexie, Zur meningealen .. . 1217- 
Appendicitis 1052, 1535. 

— bei Infectionskrankheiten 1288. 

— Früboperation bei ... 30. 

— Nematoden in der Aetiologie der . .. 40. 

— Ueber .. . und ihren Zusammenhang mit Traumen 

1691. 

— und weibliche Sexualorgane 187, 1535. 

— Wie oft fehlt die typische Dämpfung bei . .. 1499. 
Argentum colloidale Crtdd 1466. 

Aristol 1140. 

Arsenpräparate, Wirkung der ... 517. 
Arthropathien, Neuropathische . .. 812. 
Arteriosklerose, Therapie der ... 752. 

— des centralen Nervensystems 2240. 

— und Hirnerkrankungen 613. 

Arthritis gonorrhoica, Ueber .. . 1236. 

Arzt, Verantwortlichkeit des ... bei geburtshilfli¬ 
chen Operationen 2239. 

Ascites, Chirurgische Behandlung des . . . 566. 

— chylosus 1136 
Asomnie im Kindesalter 227. 

Aspirin bei Augenkrankheiten 179. 

— bei Dysmenorrhoe 2093. 

— Einfluß des .. . auf die Darmfäulniß 705. 

— Erfahrungen über . . . 209. 

Athmungsgröße, Einfluß des Windes auf die 

2182. 

Atoxyl 1137. 

Aufgesprungene Hände, Heilmittel gegen ... 516. 
Augenreflex 994. 

Autolyse 858. 

Babinski’scher Reflex 1042. 

Bacille pesteux 1466. 

Bacillus pyocyaneus 896- 
Bacterien, Bau der ... 707. 

— Einfluß von Ozon auf .. . 132. 

Bad als Infectionsquelle 2093. 

Bäderwirkung 1237. 


Wiel sch F., Wien, 209. 

Wildbolz, Bern, 2386. 

Wilma, Leipzig, 315, 1805. 

Windscbeid, Leipzig, 613. 

Winter, Sortavala, 1614. 

Winternitz, Halle a. S., 1237. 
Winternitz, Stuttgart, 1887. 
Winternitz W., Wien, 113. 

Witzei, Bonn, 274. 

Wolf H., Wien, 1349. 

Wolf J., Berlin, 1089- 
Wolff A., Berlin, 413, 1705. 

Wormser, Basel, 1501. 

Woyer G., Wien, 1421, 2377- 
Wulzdorff, Berlin, 1431. 

Yzeren, van, 1995. 

Zacher, Ahrweiler, 366. 

Zanietowski, Swoszowicze, 1603. 

Zeissl M., v., Wien, 737. 

Zeissl, v., und Holzknecht, Wien, 332. 
Ziemssen, Wiesbaden, 2254. 
Zuckerkandl O., Wien, 2041. 
Zuppinger, Wien, 137. 

Zusch, Danzig, 1038. 


Baldrianpräparat, Ein neues . . . 318. 
Bandwurmmittel 135, 1615. 

Banli'sche Krankheit 317, 2181. 

Barlow’sche Krankheit 1706. 

Bartholinitis, Venerische .. . 2040- 
Basedow, Serumtherapie bei ... 1510, 2041. 
Bauchhöhle, Spülung der ... 2346. 

Bauchmassage, Indication der . . . 1140. 

Beckenenge, Frühgeburt bei ... 1086. 
Belastungslagerung, Ueber . .. 1019. 

Benzol, Vergiftung mit .. . 965. 

Bismutose 1093, 1190, 1467, 1852, 2244. 

Blasenfistel der Leiste auf tuberculöser Grundlage 

1079. 

Blasenspalte, Heilung der angeborenen ... 91. 
Blasenzerreißung, Intraperitoneale . . . 2243. 
Blastomyceten in den Tonsillen 662. 

Bleivergiftung in Accumulatorenfabriken 1288. 

Blut, Elektrische Leitfähigkeit des . .. 1369. 
Blutdruck, bei Bädern 1091. 

— bei der Narkose 512. 

— Einfluß von Salzlösungen auf den ... 763- 

— nach Bädern 1287. 

Blutdruckmessungen mit dem GlHTNEH’schen Tono¬ 
meter 1349. 

Blutstillungsmittel, Wasserdampf als ... 658. 
Blutuntersuchung, Werth der ... 706- 
Borsäure, Gesundheitsschädlichkeit der . . . 2093. 
Braun’sehe Blase 1659. 

— in der Geburtshilfe 1137- 
Bright’s disease 1183. 

Bromipin 1240, 1505. 

— Merck 663. 

Brommethylvergiftung, Die ... 77- 
Bromocoll 183, 996. 

Bronchiolitis fibrosa, Ueber ... 1277- 
Bronchitis, Therapie der ... 84. 

Brooke’sche Pasta 995. 

Bruns’sehe Airolpaste 2137. 

Bubo inguinalis 1570. 

— Pathogenese des venerischen ... 1275. 
Buckelmessung, Perimetrische ... 664. 

Bursitis subacromialis 1542. 

Caissonkrankheit, Ueber . .. 1400- 
Calomel bei Influenza 1437. 

Cancer, Thöorie parasitaire du ... 228. 
Cantharidenpflaster 1853- 
Carbolsäure bei inficirten Wunden 467. 


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VII 


Carbunkel, Behandlung des ... 83. 

— Therapie des .. . 1403. 

Carcinom, Bl nt bei ... 82. 

— Parasiten beim .. . 1615. 

— und Verdauung 1707. 

Carcinome, Aetiologie der . . . 1945. 

Carcinomatose , Hirnsymptome bei ... 366. 
Carcinomrecidive, Frage der ... 809. 

Carotiden, Abklemmung der ... 1618. 

Casuistische Mittheilungen 2232. 

Casuistische Mittheilungen aus dem Arbeiterhospitale 
in Pistyan 1082. 

Cataracta fugax 1465. 

Charcot’sehe Kryslalle 859. 

Chinin als Stypticum 272. 

— in der Wundbehandlung 1357. 

— Subcutane Injection von .. . 1320. 

— Wirkung von . . . auf thierisches Gewebe 1409- 
Chininderivate, Geschmacklose . . . 660. 
Chinininjectionen, Subcutane ... 945. 

Chininsalze , Resorption der . .. 1399. 

Chinosol 2388- 

Chirurgie, Alltägliches in der kleinen ... 9- 
Chlor oformicter us 1948. 

Chloroformnarkose 1805. 

Chlorom, Das ... 274. 

Cholämie, Familiäre . .. 1288. 

Choledochusdefecte, Plastischer Verschluß der . .. 
1409. 

Cholelithiasis, Darmverschluß bei ... 2025. 

— Kenntniß der .. 1182. 

Cocaingebrauch, Folgen des chronischen .... 2092. 
Comprimirte Tabletten 2186. 

Cholurie und Urobilinurie 573. 

Chorea minor, Pathologische Anatomie der . . . 1569. 
Chorea und Infectionskrankheiten 1666- 
Colchicinvergiftung 1472. 

Collargol 320. 

Corneomandibularreßex 893- 
Criddisirung 2090. 

Creosotal 516, 2093. 

— Heyden 1321. 

Cretinismus 1510. 

— Sporadischer und endemischer .... in ihrem 
pathologischen Gegensätze 2147. 

Croup, Therapie des ... 945. 

Crurinum purum 1618. 

Cuprum citricum bei Trachoma 1360- 
Cysticerken, Zur Klinik der freien, isolirten ... des 
IV. Ventrikels 1376. 

Cystitis, Behandlung der tuberculösen ... 34. 

•— Behandlung der .... 2388. 


Darmantiseptica 1572. 

Darmcarcinom 810. 

Darmdivertikel, üeber .. . 1054. 

Darmdyspepsie, üeber .. . 1613. 

Deckverband, Ein neuer .. . 1614. 

Defäcation, Handgriff zur . .. 518. 

Delirium tremens, Kaltwasserbehandlung des ... 
1617. 

Dermatomyositis 224. 

Diabetes, Bemerkungen zur Pathologie und Therapie 
des ... 1777. 

— Die physikalische und medicamentöse Therapie 
des ... mellitus 1641. 

— in der Chirurgie 2047- 

— insipidus, Amylenhydrat bei ... 133. 

— Kartoffelcur des ... 1503. 

Diabetiker, Nahrungsbedürfniß der . . . 1003. 

— Fett beim .... 2139 
Diazoreaction, Die . . . 896. 

Dickdarm, Divertikel im ... . 2341. 
Digitaliskörper 1367. 

Digitaliswirkung 1710. 

Dilatatorium Bosse 1187. 

— nach Bossi 1804. 

Dionin 898, 1191, 1280, 1467. 

Diphtheriebacillen bei Rhinitis 2298. 
Diphtherieintoxication , Experimente über ... 271. 
Diphtherieserum, Präventivimpfungen mit . . . 1196. 
Dormiol 416, 754, 1321, 1539. 

Dünndarmsaft, Eigenschaften des . .. 751. 
Dünndarmstenose, Syphilitische ... 1090. 
Dünndarmstrangulation, Todesursache bei . .. 748. 
Duotal 2140. 


Dupuytren'sche Fingercontractur 2091. 

Dysenterie 35. 

— Aetiologie der ... 1237. 

— Behandlung der ... bei Kindern 1238. 

— Colostomie bei chronischer .. . 946- 
Dysmenorrhoe, Behandlung der ... 225. 

— Wesen der ... 272. 

Eisen im Organismus 2241. 

Eisenarseniat Zambeletti 1901. 

Eisensomatose 2138- 
Eiweißprobe, Eine empfindliche . .. 516- 
Eiweißstoffwechsel, Kenntniß des . . . 31. 
Eiweißverdauung im Magen 1512- 
Ekzema seborrhoicum, üeber die klinische Be¬ 
deutung des ... 409. 

Ekzeme, Aetiologie der ... 895. 

— Therapie der . . . 84. 

Elektrotherapie 365. 

Elephantiasis, Hydrargyrum salicylicum bei...708. 

— Congenitale .... 2385. 

Ellbogen-Luxation, Veraltete . .. 1994, 2241. 
Embolie der Arteria meseraica 565. 

Endocardiiis, Collargol bei . .. 1361. 

— Haemorrhagia cerebri bei ... 977. 

— üeber . .. 1054. 

Enophthalmus, Traumatischer .... 2138. 

Enteritis 1045. 

Epheliden, Behandlung von .. . 1402. 

Epicarin 321, 750. 

Epidermis, Physiologie der ... 412- 
Epilepsie, Chlorarme Diät der ... 381- 
Epilepsiebehandlung 943. 

Epilepsie, Diätetische Behandlung der ... 942. 

— Operative Behandlung der ... 1614. 

— Physikalische Therapie der ... 1992. 

— Trepanation bei ... 1276. 

Epileptiker, Parasit im Blute der ... 1473. 
Epileptikerserum, Therapeutische Eigenschaften des 

... 1538. 

Erb-Goldflamm’sehe Krankheit, Ein Fall von . .. 

1525. 

Erbrechen, Nervöses . .. 1090. 

— Unstillbares . .. 1403. 

Ernährung, Künstliche . .. 1954. 

Erysipel, Jodtinctur bei ... 1711. 

— Therapie des . .. 667- 
Erythem der Nase 2093. 

Essigsäure, Vergiftung durch . . . 2137. 

Europhen 370, 1092. 

Eventratio, Ein Fall von . .. mit Anus praeter¬ 
naturalis 8169. 

Exarticulat'.o femoris 2243- 
Extraction Chinae Nanning 320. 
Extrauteringravidität, Therapie der ... 38. 

Facialislähmung 1568- 

— Zunge bei ... 2182. 

Farbensinn , Untersuchung des ... 330. 

Fersan 133, 417, 710, 1238, 2092. 

Fersenbein, Die typischen Rißfracturen des ... 1121. 
Fettleibigkeit, Behandlung der . . . 953. 

Fettstühle, üeber . .. 904. 

Fieber, Bekämpfung des ... bei Lungentuberculose 34. 

— Theoretisches über das Wesen und die Behandlung 
_ des ... 1557. 

Finsen'sehe Behandlung 1536. 

Fissura ani, Behandlung der . . . 899. 

— Symptome der . . . 274. 

Folia digitalis 1194. 

Folliclis, Histologie der ... 225. 

Forensische Serodiagnostik des Blutes 1993 
Formalin als Harnconservirungsmittel 1806. 
Formalinseife 1240. 

Franklinisation 947. 

Frauenkrankheiten, Behandlung der ... in Franzens¬ 
bad 842. 

— Conservative Behandlung von . .. 1756. 
Fremdkörperpunction 1896. 

Frostbeulen, Medication bei ... 35. 

Frühsyphilis, Hereditäre . .. ohne Exanthem 1746. 
Furunculosis, Behandlung der ... 34, 229. 
Furunkelbehandlung 2295. 

Fußsohlenabdrücke 1849. 

Gallenblase, Heilung von Wunden der . . . 563- 

— Spontanruptur bei . .. 1898. 


Gallensteine, Wachsthum der ... 1811. 
Gallensteinileus 1134. 

— üeber ... 845. 

Gallensteinkolik, Jodkalium bei ... 710. 
Gallensteinoperationen 1812, 1908 
Gasaustausch, Respiratorischer .. . 573- 
Gastralgie 1533. 

Gastritis phlegmonosa 1501. 

Gastrostenosen, 48 operativ behandelte Fälle gut¬ 
artiger .. . 2333. 

Gebärmutterblutungen, Oleum terebinthinae bei ... 

1942. 

Geburt, Wann tritt die ... ein 2252. 
Geburtstraumen 2088. 

Gefrierpunkt des Blutes 1328. 

Gehirnembryom 2090. 

Gehirnhypertrophie 1581. 

Gelatineinjection, Tetanus nach ... 666. 
Gelenkentzündung, Gonorrhoische . .. 898. 
Gelenkerkrankungen, Luetische ... 565.. 
Gelenkrheumatismus, Serumbehandlung des .. . 2092. 
Genitalien, Casuistik der Verletzungen der weiblichen 
... 1421. 

Genitaltuber culose 1755. 

Genua valga, Epiphyseolyse bei ... 377. 
Geschlechtscharaktere, Secundäre ... 1810. 
Gesichtsangiomen, Behandlung von . . . 2299- 
Gesichtsempfindungen, Beeinflussung subjectiver . .. 

2051. 

Gicht 1280 

— Pathologie der . . . 2136. 

Glandidentherapie der Tuberculose 1180. 
Glutoidkapseln in der Diagnostik 1240. 

Glycerin, Umwandlung von ... in Zucker 762. 
Glycosal 1901. 

Glykogen 568. 

— bei Hautaffectio^öü 2296. 

Glykogenablagerung in der Kaninchenleber 32. 
Glykogenreaction der Leukocyten 858. 

Glykosurie 1286, 1581. 

— Experimentelle ... 270. 

Gonokokken, Biologie der . . . 2386. 

— und Psychosen 285. 

Gonorrhoe 1502. 

— Behandlung der . . . 2246, 2298. 

— Behandlung der weiblichen . .. 1276. 

— üeber eine seltene Complication der chronischen 

... 1783. 

Gonorrhoischer Gelenkrheumatismus, Natrium sali¬ 
cylicum beim . .. 230. 

Granulosis rubra nasi 415. 

Gravidität bei Carcinom des Uteius 1089- 

— Interstitielle .. . 894. 

— und Tuberculose 1247. 

Guojukharz, Wirksame Stoffe im ... 1137. 
Guajakolvasogen bei Pruritus vulvae 615. . 

Haarfärbemittel 370. 

Haemaiokele retrouterina infolge von Extrauterin¬ 
schwangerschaft 1345. 

Hämolyse 2181. 

Halsrippen, Die ... 80. 

Hämagglutination 1859. 

Hämoglobinurie beim Rinde 29. 

Ilämol Kobert 1998- 
Hämolpräparate 1617- 
Hämometrie 904. 

Hämorrhagie, Behandlung der ... bei Phthise 1360. 
Hämorrhoidalknoten 1851- 
Händedesinfection mit Alkohol 748. 

Hanot'sche Krankheit, Leukocytose bei der . . . 1800. 
Harnanalyse, Osmotische ... 1509. 

Harnblase, Fiemdkörper der . . . und Harnröhre 1425. 
Harnsäure, Löslichkeit der . . . 903. 
Harnsäureausscheidung 133. 

Haut, Colloide Degeneration der .. . 2039. 
Hautaktinomykosis, Ein Fall von . .. 601. 
Hautgefäße, Beobachtungen über das Verhalten der 
. . . auf thermische Reize 1977- 
Hautjucken 664. 

Hautkrankheiten, Neuere physikalische Heilmethoden 
bei ... 1025. 

Hautkrankheiten, Prophylaxe der .. . 1092. 
Hautsensibilität bei Erkrankungen innerer Organe 

1541. 

Iledonal 568, 1045. 

— Therapeutische Notiz über ... 1129. 


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VIII 


Hefe Klein 1946. 

Heilwässer and Trinkheilwasseranstalten 20. 
Heißluftbehandlung, Weitere Beiträge zur . . . 2224. 
Helmitol 2348. 

Hemeralopie und Leberpräparate 2137. 

Hemicranie 1467. 

Hemiplegie, Bahnungstherapie bei ... 1194. 

Heroin 1092. 

Heroinum hydrochloricum, Locale Application des 

... 709. 


Herpes der Urethra 991. 

— laryngis, Ueber ... 1946. 

Herzfehler und Lungentuberculo.se 2385. 

Herz, Acute Dilatation des . .. 1001. 

— Aktinomykose des . .. 859. 

— Einheilung einer Kugel ins ... 712. 

— Senkung des ... 1100. 

— Ueberanstrengung des .. . 1368. 

— Wirkung von Jod auf das .. . 178. 
Herzaffectionen , Ueber reflectorische ... 786. 
Herzjagen, Acutes ... 1956. 

Herzkranker, Heilapparat Franzensbad zur Behand¬ 
lung ... 837. 

— Pleuraergüsse bei ... 2343. 

Herzstörungen, Bäderbehandlung der nervösen func¬ 
tioneilen ... 833. 

Hetol 1186, 1654, 1655, 1917. 

— bei Tuberculose 753. 

in. der Behandlung der Kelilkopftuberculose 2384- 
sHftflbehandlung der Tuberculose 1044. 
Intermittirendes . . . 623. 

OUftdM-tug der ., . 2257. 
zHirntcfteblcelfvß, Motorwch*,Nerven im . .. 275. 
Bto lj W ftorag, Di«*jK#tik, 

Impfen, Sailtina; der 
HocfiWmm», Staaropei 
Hoden, Con^fcvrg^i»« Operati 
Holocain 2347. ' 

Honthin 182, 1403. 

Hornhaut, Kalktrübung der 
Hüftgelenk, Spontanluxation im 
Hüftgelenksluxation, Spontane ... be'i Infecti 
krankheiten 1566. 

Hüftluxation, Behandlung der ... nach Lobenz'SI^ 
Hühnerkrankheit, Epidemische . .. 1188. 
Hydrargyrum-Oxycyanid 1140. 
Hydronephrocystoneostomie 1850. 

Hydrotherapie und Lungentuberculose 113. 
Hygiama 1658. 

— Versuche mit ... 1932. 

Hyperchlorhydrie, Ernährung bei ... 563. 
Hyperemesis gravidarum 467. 

Hyperkeratosis lacunaris pharyngis 612. 

Hypopyon-Keratitis 2094. 

Hysterie, Ueber .. . 1055. 

Hysterischen, Rhythmische Zuckungen der . .. 941. 


^Nerven im . .. 
* 8 . 

1711. 

... 367 . 
m ... 659 . 



ions- 


Ichthargan 277, 1900. 

— als Antigonorrhoicum 1313. 

— bei Gonorrhoe 183. 

Ichthyol-Eisen und Ichthyol-Calcium 230- 
Ichthyolsalicyl 1657. 

Ichthyosis congenita 80. 

Icterus, Frühdiagnose des ... 1991. 
lleocöcalklappe, Anatomie der . . . 332. 

— Insufficienz der . .. 238. 

— Ueber am Lebenden beobachtete retrograde Durch¬ 
gängigkeit der . .. 1269. 

Ileus, Behandlung des ... 171. 

— Behandlung des . . . mit Belladonna 1356. 
Immunität und Alkohol 1360- 

Impf tuberculose 2244. 

Infantilismus 1814. 

lnfectionskrankheiten, Kreislaufstörung bei. .. 1955. 
Influenza, Neuralgien nach . .. 752. 

Innere Kapsel, Ueber traumatische Läsionen der 
... 1265. 

Intertrigo der Kinder 1902. 

Intraarachnoideale Cocaineinspritzungen 1573. 
Intrauterinpessarium 1998. 

Ischias, Operative Behandlung der . .. 749. 

Ischias scoliotica 131. 

Itrol 1280, 1539, 1948. 

Jequiritolbehandluvg 2245. 

Jequirity-Therapie des Trachoms 194^. 

Jod als Vasomotorenmittel 1043- 


Jod, Intravenöse Application von ... 568. 

— und Kreosotvasogene 418. 

Jodalkalien und Jodipin 1948. 

Jodipin 850, 1404. 

— bei Aktinomykose 997. 

— (Merck) 1233. 

— zur Magenuntersuchung 471 - 
Jododerma tuberosum 463. 

Jodolin 752. 

Jonenwirkungen, Ueber . . . und ihre therapeutische 
Verwendung 2355. 


Kakodylverbindungen 1897. 

Kartoffelcur bei Diabetes 1473. 
Kehlkopfbewegungen bei künstlicher Atliraung 1329 
Kehlkopfsklerom 993. 

Kelilkopftuberculose, Therapie der . . . 1709. 

Keime, Uebertragung pathogener . . . durch niedrige 
Thiere 1954. 

Keuehhusten, Aetiologie des .. . 944. 

— Behandlung des . .. 996. 

— Blut bei ... 763. 

-- Das Problem den ... zu coupiren 2127. 
Kieferhöhlenempyeme, Therapie der ... 1707. 
Kieselsäure, Bedeutung der ... 1368. 

Kinder, Abhärtung der . . . 1758. 

— Behandlung schwächlicher . . . 138. 

Kindesalter, Ueber plötzliche Todesfälle im . .. 1841. 

— Athmungsanomalien im . . . 2390. 

— Todesfälle im . . . 2099. 

Kindernährmittel 464. 

Kindersessel für Racbitiker 1861. 
Kindertuberculose 1760. 

Kniegelenk, Behandlung der Conlracturen des . .. 

378. 

Kniescheibe, Habituelle Verrenkung der . . . 611. 
Knochencallus, Entwicklung des . . . unter dem Ein- 
i flu88« der Stauung 2790. 

Khochenfractvren, Experimenteller Beitrag zur Frage 

der Behandlung von ... 161. 

Knochennaht bei Fracturen 712, 757. 

■JT« ochenttinpflaH^ung 759. 

Knovhenplomben 2308. 

Kochsalzinfusionen 2042. 

hopf schmerz, Syphilitischer ... 1715. 

Krebs, Hiatiogeaeae fies 808. 

— Parasiti de« . v 857. 

Krebsätiologie mXf " 

Krebsforschung 1649. 

Krebsfrage, Gegenwärtig« 8t«a€ 4«T ... 87«/ 
Krebskrankheit, Verbreitung^«* ... 3* t>eut«Chland 
1431. < - > . 

Krebsparasit 811. 

Krebsstatistik 1616. 

Kreislaufsapparat, Neurosen am ... 74. 

— Ueber Ausgänge und Prognose der Neurosen am 
... 1489. 

Kufeke, Kindermehl 2186. 

Kurzsichtigkeit 1898. 

— Aetiologie der hochgradigen ... 1567. 


Lang’sehe Luftbrenner, Der . .. 1944. 

Laxans, Mechanisches ... 135. 

Leber, Functionsprüfung der . . . 1655. 

— Syphilis der ... 2087. 

Lebercirrhose, Hämorrhagische Form der ... 897. 
Leberdämpfung, Verschwinden der ... bei Meteorismus 

1430. 

Leberfieber, Ueber . . . 1236. 

Lebet krankheiten, Brust- und Bauchfell bei ... 81. 
Lebermassage 1504. 

Leberpathologie 88. 

Leberwunden, Ueber . . . 1244. 

Lecithin 518, 2044- 
Leibbinde, Eine neue .. . 753. 

Lenigallol 1320- 

— Eugallol 470- 

Lepra, Histologische Untersuchungen bei ... 33- 
Leprabehandlung 1467. 

Leukämie, Gehörorgan bei ... 1900- 

— Parasitäre Natur der . .. 662. 

— Ueber eine seltene Complication der ... 1563. 
Leukoplakia bucco-lingualis 2247. 

Lichttherapie in der Chirurgie 1<!9. 

— Ueber .. . 1098. 


Ligamentum rotundum und Gubernaculum Hunteri 

1958. 

Localisationen, Spinale ... 30. 

Lues, Infantile ... 1898. 

Luftcurorte, Alpine und marine . . . 2259. 
Lufteintritt in Venen des Uterus 512. 
Lumbalpunction 1093. 

Lumbalanästhesie, 2293. 

Lunge, Decortication der ... 1996, 2089. 
Lungenblutung, Behandlung der ... 1805. 
Lungenbrand, Behandlung des . .. 1571. 
Lungencarcinom, Primäres ... 2297. 

Lungenembolie, Ueber ... 1088. 

Lungenembolien nach Operationen 365. 
Lungenkranke in Heilstätten ... 316. 
Lungenoperationen 1315. 

Lungenphthise, Heilbarkeit bei ... 2185. 
Lungenschwindsucht, CROTTE’sches Heilverfahren 

bei... 2258. 

Lungentuberculose, Beitrag zur Behandlung der .. . 
2028. 

— Frühdiagnose der . .. 466- 

— Hetol bei ... 613. 

— Operative Therapie der . .. 1754. 

Lupus, Behandlung des ... mit Kalium hyperman- 
ganicum 995. 

— erythematodes, Heilung des . . . 1194. 

Lupus, Resorption von ... unter Pockeneinfluß 130. 
Lupuscarcinom 1464. 

Lupus erythematodes 1802. 

Luxatio congenita coxae, Operation der . .. 274. 
Luxation, Reposition von ... ohne Narkose 1401- 

Magen, Einfluß von Gewürzen auf den . . . 1317. 

— Entleerung des ... bei verschiedei en Körperlagen 
28. 

— Transplantationen am .. . 1147. 

— Wirkung des Morphin auf den . .. 470. 
Magenatonie 223. 

— Ueber ... 257- 
Magencarcinom 810- 

— Verlauf des ... 1798. 

Magenerweiterung, Acute ... 1400- 
Magengeschwülste, Diagnostik der .. . 1616. 
Magengeschwür, Behandlung des .. . 761. 

— Operation des callös n ... 2304. 

— Chirurgische Behandlung des .. . 1235. 

— Diagnose des ... 805. 

— Operative Therapie bei ... 1147. 

— Pathogenese des . . . 1095. 

Magenkrankheiten, Die neuesten Poblicationen aus 
den Gebieten der Pathologie und Therapie der . .. 

2233. 

— Reflt-xfieber bei ulensartigen . .. 881. 
Magensaflabscheidung, Einfluß der Butter auf die 

... 82. 

Magensecretion bei Gallenretention 226. 
Magenstagnation 2140. 

Magenverdauung, Wirkung der Kohlensäure auf die 

.. . 1037. 

Malaria 1318, 3183. 

— Paludismus ohne .. . 1042. 

— Ueber Impfung gegen . .. mit dem KuHN’schen 
Serum in Bosnien 1833. 

Mammacarcinom, Exstirpatioa der Ovarien bei ... 
1281. 

Massage, Albumengehalt der Nephritiker bei . .. 899. 

— Wirkung der . . . auf den Muskel 1239. 
Mastdarmprolaps, Operation bei ... 1053. 
Meningitis, Acute . . . Heilung 2255. 

Menstruation, Ueber die .. . 623. 

Mesenterien, Anomalien der . . . 2305. 

Mesotan, ein neues Antirheumaticum 2039. 
Micrococcus neoformans 859. 

Migräne 1430. 

— Flimmerskotom und . . . 2344- 

Milch und Serum, Beziehungen von . . . 283. 
Milchdrüse, Innervation der ... 620. 

Milzbrand, Schutzimpfung bei ... 1439. 
Mineralwasser, Die phy-ikalisch-ch-mischen Eigen¬ 
schaften der . .. 503 

Mittelohrerkrankungen, Ueber ... im Kindesalter 

929. 

Molkerei, Hygiene der . . . 2347. 

Molkereiproducte, Hygiene der .. . 181. 

Morbus-Addisonii, Blutbefund bei ... 31. 

Morph inentzieh ung 2246- 


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IX 


Morphin-Scopolamin-Narkose 2300. 

Mundhöhle, Bakterieller Antagonismus in der ... 
1465. 

Muscheln, Vergiftung durch . . . 2137. 
Muskelmassage, Ueber . . . 2344. 

Muskelzug, Oberarmfractur durch ... 564. 
Muttermilch, Befund bei Unverträglichkeit der ... 
564. 

Muttermundstenose, Geburtsstörung durch ... infolge 
von Syphilis 2377. 

Myasthenie 1235. 

Myocarditis fibrosa, Angeborene ... 415. 

Myoklonie 1318. 

Myome, Operation der .. . 181. 

Myositis purulenta 414. 

Myxödem, Infantiles ..., Mongolismus und Mikro- 

melie 1929. 


Nabelbrüche, Operation der ... 185 
Nabelvene, Infusion durch die ... 1432. 
Nachbehandlung septischer Operationen 2293. 

Naevi cystepitheliomatosi 366. 

Nährpräparate, Neuere Beiträge zur Frage der . . . 

2339. 

Nahrungsbedarf im Hochgebirgswinter 1273. 
Narcolepsie 1500. 

Narkose, Hirnblutung nach . .. 1850. 

— Minimale . . . 2245. 

— Pulmonale ... 1752. 

Nasenerkrankungen, Ueber nervöse und psychische 
Störungen bei . . . 2121. 

Nasenpolypen, Warum recidiviren .. . 449. 
Natriummethylarsenat gegen Sumpffieber 1197. 
Nebenlunge, Echte ... 416. 

Nebennierendiabetes 1580. 

Nebennierenextract 1190. 

Nephritiden, Operation bei . . . 2086. 

Nephropexis 1945. 

Nephrotomie 1326. 

Nervenkranke, Bergsteigecuren für ... 128. 
Nervennaht, Prognose der .. . 704. 

Nervöse Dyspepsie 369. 

Netzhaut, Ablösung der ... 1654. 

Neurasthenie, Ueber die objectiven Symptome der 
... 1881. 

Neurastheniker, Ueber Psychosen der ... 593. 
Neurofibromatose, Ueber ... 414. 

Niere, Bewegliche ... 1273. 

Nierenchirurgie 1245, 1651. 

Nierendiagnostik, Functionelle ... 90. 
Nierenentzündung, Behandlung der acuten ... 1138. 
Nierenfunction 760, 905 

— Diagnostik der ... 1245. 

— Prüfung durch Methylenblau 229. 

Nierenkolik, Nierenblutung 844. 

Nierenkranke, Lymphagoge Stoffe im Blute . . . 845. 
Nierenleiden, Entspannungsincision bei ... 184. 
Nierentumoren 27. 

Nierenverletzung, Subcutane .. . 611. 

Nirvanin 2388. 

Noma 1860. 

Nystagmus, Experimenteller . . . 2389. 


Obstipation, Operative Therapie der chronischen ... 

1895. 

— Spastische . . . 2100. 

Oelkly stiere 1710. 

Oesophagusstenose, Reflexepilepsie bei ... 226- 
Ohr, Erkrankungen des inneren ... nach Gebrauch 
von Salicylpräparaten 1029. 

Ohrenkrankheiten und tuberculöse Belastung 1568- 
Ohrgeräusche, Behandlung der ... 34. 

Ohrmuschel, Ein Fall von Neuralgie der . .. 1223. 
Operationshandschuhe 667- 
Operationstische 235. 

Ophthalmologische Mittheilungen aus der Praxis 689. 
Opticusatrophie nach Basisfractur 760. 

Orexinum tannicum bei Seekrankheit 614. 
Orexintannat 2184. 

Organe, Entferntere Beziehungen der .. . 239. 
Osmodiätetik 2254. 

Osteomalacie 760. 

— Kenntniß des Stoffwechsels bei ... 1073. 

Otitis media, Therapie der ... 83- 
Ovariumpräparate und Stoffwechsel 1361. 


Oxalsäure im Urin 127. 

Oxalsäure Nierensteine 416. 

Ozaena, Bakteriologie der ... 1279. 

Pankreas, Geheilte Verletzung des ... 943. 

— Zur Anatomie und Pathologie der Gallenorgane 
und des ... 1784. 

Pankreaskrankheiten, Beitrag zur Kenntniß der . .. 
741. 

Panophthalmia bovis carcinomatosa 2346. 
Paraamidobenzoesäure-Ester als locales Anästhe- 

ticum 2348. 

Paraffinprothesen, Ueber . . . 2308. 

Parametritis 2003. 

Paranoia, Initiale Erscheinungen der . . . 992. 

Pars cavernosa, Infiltrat in der . . . nicht gonnorrhoi- 
schen Ursprungs 2087. 

Pasta serosa Schleich 183. 

Pastilli jodoferrat. compos. Jahr 2139. 
Patellarbrüche, Therapie der ... 319. 

Pediculus pubis, Farbstoff vom . . . 1432 
Pegnin 2386- 

Pemphigus, Veränderungen des Rückenmarkes bei 

.. . 1196. 

Peniscarcinom, Zum . .. 715. 

Percussion, Verbesserte . . . 1136. 

Periostitis albuminosa, Ein Fall von ... 411. 
Peritoneum, Behandlung eitriger Processe im ... 
1941. 

Peritonisation 320- 
Peritonitis 1052. 

— Acute ... 1652. 

— Behandlung der tuberculösen .. . 1760. 

— Behandlung der .. . 951. 

— Darmverschluß bei ... 1408, 1943. 

— durch Austritt von Mageninhalt 1408. 

— tuberculosa, Diagnose der .. . 178. 

— Operation bei ... 1000. 

Perityphlitis 952. 

— Darmparasiten bei ... 1847. 

— Klinische Erfahrungen über Behandlung der . . . 

1085. 

— Operation bei ... 1511. 

Perlsucht und menschliche Tuberculöse 1705. 
Pertussin 417. 

Pflanzenstoffe 1185. 

Pharyngitis, Therapie der ... 1187. 

Phenolphthalein 2141. 

Phimose, Behandlung der . .. 894. 
Phimosenoperation 231- 
Phrenicuslähmung, Ueber ... 812. 

Phthiseotherapie 1278. 

Phthisis, Schwangerschaft und ... 850. 

Pigment im Liquor cerebrospinalis bei Icterus 763. 
Pilulae Sanguinal-Krewel 851. 

Pityriasis rubra 610. 

— Hebrae 1803. 

Placenta, Durchgang von Methylenblau durch die 

. .. 380. 

— Entwicklung der ... 1910. 

— marginata 2006. 

— Wachsthum der ... 1816. 

Plattfuß, Entstehung des ... 1438. 

— Ueber neuralgiforme Schmerzen in der Regio 
pubica und inguinalis bei ... 2285. 

Pleuraergüsse 413. 

— Ueber ... 79. 

Pleuritis und Tuberculöse 1317. 

Pleuritisches Exsudat, Erkennung des ... 2038. 

— Gasinjectionen bei ... 2185. 

Polyarthritis rheumatica und Abdominaltyphus 2089. 
Pneumonie, Lichtstarre der Pupillen bei ... 1040. 

— Studien über . .. 2038- 
Präcipitirte Geburten 1567- 
Präservesalz 661. 

Präventiv-Serumeinspritzungen bei Diphtherie 1716. 
Praxis, Aus einer 25jährigen urologischen . . . 462. 
Primüruffect, Ueber ungewöhnlichen Sitz des ... an 
der Haut und Schleimhaut 401. 
Primeldermatitis 1707. 

Progressive Paralyse, Venenerscheinungen bei ... 
1708. 

Prolapstherapie mit Paraffininjectionen 1706. 
Prostatahypertrophie 954. 

— Behandlung der ... 663. 

Prostatitis 230. 

— Massage bei ... 33. 


Prostatorrhoe, Ueber ... 2086. 

Protargol 567, 1139, 2387. 

— bei Gonorrhoe 177. 

Prurigo, Pathogenese der . . . 1274. 
Pseudoappendicitis 2256- 
Pseudomeningitis 847. 

Puder, imprägnirte medicamentöse 2043. 
Puerperalfieber, Alkoholtherapie bei ... 996 
Pulpitis 1320- 

Pupille bei Geisteskranken 907. 

Pupillenreaction 1715. 

Purgatin 1852. 

Puro 469, 946. 

Pylorus, Palpation des ... 2037. 

Pylorusstenosen, Olivenöl bei spastischen . .. 413. 
Pyramidon 1360, 2300. 

Pyridin bei Keuchhusten 2348. 

Pyrogalloltriacetat 2044. 

Quadricepssehne, Ruptur der ... Pyarthros des linken 
Kniegelenkes nach Sturz 23. 

Quaglio’s künstliche kohlensaure Bäder zur Selbsl- 
bereitung 1504. 

Quecksilber, Action des ... bei Syphilis 942- 

— Remanenz von ... im Körper 1802. 

Rachitis, Phosphor bei ... 136, 1657. 
Rattenvertilgung durch Danysz'sche Bacillen 2346. 
Rectale Untersuchung in der Gynäkologie 2196. 
Rectumprolaps 1852. 

Reinversion des Uterus, Blutige ... 572. 
Resorptionsmechanismus, Frage des ... 1169. 
Retroflexio uteri, Behandlung der ... 1055. 

— Behandlungsmethoden der .. . 1887. 

— mobilis 1501. 

Rhinophyma, Ueber . . . 1537. 

Rhinoplastik 994. 

Rhodanverbindungen 945. 

Rindendegeneration, Paralytische ... 897. 
Rindertuberculose , Uebertragung von . . 

Menschen 2384. 

Rippe, Erste ... 1368. 

Roborin 229, 614 

RoborWende Medication 139. 

Roentgenstrahlen, Einfluß der ... auf die Haut i /yy. 
Roentgentherapie, Zahlenmäßige Dosirungsmethode 
für ... 1959. 

Rückenmarksaffection, Traumatische . . . 364- 
Rückenmarkstumor, Ein .. . 510- 

— Exstirpation eines ... 908. 

Salicylpräparate, Wirkung der . . . auf die Harn¬ 
wege 2136. 

Salochinin 569. 

Salvatorwasser 1998. 

Salzsäuresecretion 2239. 

Sanduhrmagen 1133. 

Sanguinal Krewel 1997. 

Sattelnase, Behandlung der . . . mit Vaselininjec- 
tionen 2385. 

Sauerstoffinfusionen, Intravenöse .. . 1005. 
Sauerstofinhalationen bei Kindern 33 

— Ueber .. . 331. 

Säugling, Ernährungstherapie beim .. . 1757. 
Säuglinge, Magenausspülungen bei ... 276. 

— Pylorusstenose der ... 1501. 
Säuglingsernährung 1361. 

— Buttermilch als ... 619. 

— Verwendung der Kindermehle in der ... 1427. 
Schädelverletzungen 1753. 

Scharlach, Agglutination bei ... 2306. 

— Streptokokkenserum bei ... 1857. 
Scharlachnephritis, Ueber ... 38. 
Scharlachschuppen, Infectiosität der ... 954. 
Scheide, Eindringen von Badewasser in die ... 1945. 
Schiefhals, Operation des ... 235. 

Schilddrüse, Metastasen der normalen ... 612. 
Schlachtfeld, Der 1. Verband auf dem ... 711. 
Schlaflosigkeit, Hydrotherapie der . .. 1539. 
Schlafmittel, Die ... 1286. 

Schmerzen, Beruhiguugsmittel bei ... 709. 

— Hypophrenische .. . 608. 

Schnupfen 1433. 

— Behandlung des . . . 1617- 
Schröpfen, Methode des ... 2186, 2343. 
Schulhygiene, Zur geschichtlichen Entwicklung der 

... 1742. 


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X 


Schulterluxation, Reposition bei ... BO. 
Schußverletzung der Lunge 2135. 

Schwangerschaft, Ueber ectopische .. . 1305. 
Schwangerschaftsunterbrechung, Herzerkrankungen 
als Indication zur . .. 1534. 

Schwerhörige in der Schule 467. 

Scorbutus infantum 621. , 

Scrotalhernien bei Kindern 2299. 
Seitenkettentheorie, Die ... und ihre Gegner 41. 
Seborrhoe, Heilung der ... 1657- 
Sedimente, Conservirung der ... 1997. 

Sehnen, Bildung von . . . aus Seide 377. 
Sehnenplastik 236. 

Sehnenreflexe, Ernährung der ... 1931. 
Sehschwache, Uebungen bei ... 1705. 
Serumexantheme, Ueber ... 1911 - 
Sepsis, Alkoholtherapie der ... 573. 

Septikämie, Serotherapie der . .. 182. 
Serumtherapie des Ulcus corneae 1358. 

Sidonal 182- 

Sinusthrombose, Ein geheilter Fall von . .. und 
Jugularisthrombose 1127. 

Solveol 369. 

Somatose 133, 568, 1093. 

Sonnenstich, Ueber den ... 411. 

Soor, Behandlung des . .. 1087. 

Soxhlet's Nährzucker 1572. 

Speisen , Verdaulichkeit der . . . 2242- 

— Verdaulichkeit der ... nach mikroskopischer 
Untersuchung der Fäces 1457- 

Speiseröhre, Erweiterung der .. . 1038. 

— Fremdkörper der . . . 899. 
Speiseröhrenerweiterung, Idiopathische ... 713. 
Speichelsecretion, Centrum der ... 1195. 

Spiegel, Verhütung des Anlaufens der . .. 1901. 
Spina bifida, Kenntniß der . . . 1086 
Splanchnici, Neuritis der . . . 1087. 
Staaroperationen 1754. 

Staphylococcus als Erreger von Neubildungen 1431. 
Staphylokokkentoxämie 1234. 

Steinbildender Katarrh 1237. 

Steinoperationen, Ueber . .. 1737- 
Stereoagnosie, Ueber .. . 848. 

Sterilisationsapparat nach Klien 515. 

Sterilität, tubare ... 1134. 

Stirnhirn 2048. 

Stoll ’sehe Kolapräparate 2300- 
Struma und Cataract 2183. 

Strychnin als Cardiotonicum 1468- 

— bei Lungentuberculose 517. 

Stypticin 663, 1238, 1434, 1851- 
Subphrenische Abscesse 951. 

Superacidität 1751 

Sympathicus, Nebenorgaue des ... 1004. 

Syphilis der Enkelin 1319. 

— Ueber die ... des Magens und Darmes 737. 

— Uebertragung von . . . auf Schweine 1401. 

— Untersuchungen bei comtitutioneller . .. 28. 
Syphilisbehandlung 2383. 

Syphilisbacillen 848. 

Syphilisimpfungen am Thiere 1358. 
Syphilisübertragung auf Tbiere 431. 

Syphilisserum 2238. 

Szinye-Lipoczer Salvator-Mineralquelle 610- 

Tabes, Entstehung der . .. 366. 

— Initialsymptome der . . . 1667. 

— Symptomatologie der .. . 132. 

— Ueber einen Fall von acuter Ataxie bei ... 745. 
Tabestherapie 182. 

Tachycardie, Paroxysmale ... 1897. 

Talma’sehe Operation, Die ... 1146. 

Tänien, Das Gift der . .. 707. 

Tannalbin (Knoll) 1572- 

Tannigen, Behandlung von Darmkatarrhen mit . .. 

1270. 

Teratologie 1953. 

2 ’axis bei Hernien 468. 

Theervasogen 945. 

Theinhardt’s Hygiama 850- 

— Kindernahrung 469. 

Thigenol (Roche) 1851. 

— 2387. 

Thiocol 900- 

— (Roche) 996- 

— und Sirolin 1997, 2043. 

Thiol 899. 


Thoraxanomalien als Prädisposition der Lungen¬ 
tuberculose 701. 

Thymustod 2100- 
Thyreoidismus bei Kropf 228. 

Thyreoid-Serum 1947. 

Thyreoiditis nach Typhus 368. 

Tollwuth nach Incubation von 10 Monaten 847. 
Triferrin 2044. 

Trinkquellen, Salzgehalt der ... 31. 
Tropacocainanalgesien 850. 

— Medulläre . .. 609. 

Tropen, Leben in den . .. 286. 

Tuber culin 1465. 

Tuberculinreaction 2184- 
Tuherculose, Alkohol bei ... 659. 

— auf dem Lande 1994. 

— beim Kaltblütler 2386. 

— der Lymphdrüsen 1359. 

— Experimentelle . .. 1088. 

— Heilstättenbehandlung der .. . 1463. 

— Neueste Literatur über ... 25. 

— Prognose der . .. 179. 

— Serumdiagnose der . .. 272. 

— Stand der Lehre von der ... 241. 

Tuberculosefrage, Beiträge zur ... 548. 
Tuberculosefragen 497. 

Tuberculosesterblichkeit und Milchgenuß 31- 
Tuberculoseübertragbarkeit 762. 

Tuberkelbacillen , Anreicherung der ... im Sputum 

2140. 

— in der Milch 752. 

— Specitisehe Färbung der ... 1248. 

— Wirkung todter ... 1811 
Typhus, Serotherapie des .. . 379. 

— Spätrecidiv nach ... 890. 

Typhusbacillen im Harne 1533- 

— Nachweis von ... 511. 

Typhusbacillus im Erdboden 899. 

Ulceröse Lungenprocesse, Chirurgie der ... 1464- 
Ulcus durum, Vorschläge zur Behandlung des .. . 

123. 

— ventriculi 1000- 

— Ueber das . . . dessen Diagnose und Behandlung, 

2073. 

Unguentum Cr&di, Ein Fall von Processus puerpe- 
ralis behandelt mit . . . 356. 

Unna's Kalichloricum-Zahnpaste 1093. 

Unterschenkel, Intrauterine Fracturen des ... 1816 
Urämie, Aderlaß bei ... 469- 
Ureteropyelon eostomie, 2182. 

Urethritis anterior 900. 

Urin, Ammoniakausscheidnng im . . . 265. 
Urologischem, Instrumentelles auf . .. Gebiet, 2230. 
Uropoetische Organen, Operationen an . . . 2296- 
Urotropin 130. 

Urticaria pigmentosa 994. 

Ulcus ventricuU, Blutung bei ... 1848. 
Uterusabsceß und Metritis dissecans 316. 
Uterusblutungen, Chlorcalcium bei ... 1946. 
Uteruscarcinom, Operationen bei ... 2294. 

— Transperitoneale Operation bei ... 1992. 
Uterusdeviationen, Radicale Behandlung der ... 1100- 
Uteruskrebs, Palliativbehandlung bei ... 566. 

— Quere Eröffnung des Bauchfells bei ... 1804. 
Uterusmyome, Conservative Exstirpation von ... 353. 
Uterusruptur 2242. 

— AbdominaleTotalexstirpation bei completer ... 704. 

— in frühen Monaten der Schwangerschaft 1706. 

Vaccination gegen Pest, Cholera und Typhus 1710- 

— und Variolaerreger 132- 
Vaginismus 1806- 
Variolaerreger 2042. 

Venenpulse 1287. 

Verbrennung, Pathologie der ... 315. 

Vial’s tonischer Wein 898, 1282. 

— Ueber Indicationen zur Therapie mit . .. 1697. 
Vichy, Staatsquellen von . . . 1189. 

Vioform 413. 

Vtdvovaginitis, Uterusschleimhaut bei der .. . 514. 

Wägungen als Diagnosticum 2246. 
Wasserstoffsuperoxyd in der chirurgischen Praxis 

1993. 

Weibliche Geschlechtsorgane, Tubcrculose der ... im 
Kindesalter 1895. 


Weibliches Becken 2005. 

Wochenbett, Beurtheilung des ... aus der Pulszahl 

315. 

Wurmfortsatzentzündung, Untersuchung bei... 1135• 

Xeroderma pigmentosum 1570. 

Xeroform 320. 

Xeroform-Therapie, Beitrag zur . . . 456. 

Yohimbin Spiegel 1281. 

Zahnfleischerkrankungen Schwangerer 703. 
Zahnheilkunde, Anästhesirung mit Strömen von hoher 
Frequenz in der ... 1197. 

Zahninversion, Ein Fall von ... mit Durchbruch 
des Zahnes in die Nase 1354. 

Zahnung, Dreimalige . .. 1996. 

Zahnreplantation 714. 

Zuckergußherz, Ueber . .. 1356. 

Zwergwuchs, Experimenteller ... 574. 


II. Feuilleton, Standesangelegenheiten, 
Tagesgeschichte etc. 

Bei den Pestkranken und Aussätzigen in 
Bombay 1323. 

Berliner Briefe 85, 279, 615, 947, 1191, 1435. 

Bud apester Briefe 471, 569- 

Das Gesundheitswesen in Wien 1899. 

Das neue Hilfsärzte-Statut 1862. 

Das November - Avancement der Militär¬ 
ärzte 2052. 

Das Verhältniß der Aerzte in Oesterreich 
zu den Krankencassen 1575. 

Der VII. österreichischeAerztekammertag 
1668, 1719. 

Der Preßgesetzentwurf und die Aerzte 
1659- 

Die allgemeine Aerzteversammlung in 
Wien 2356. 

Die Disciplinargewaltd es Ehrenrath es 955. 

Die Hilfscassen und d ie n.-ö. Statthalter ei 

2007. . 

Die internationale Tuberculose-Conferenz 
in Berlin 1999. 

Die 70. Jahres Versammlung der British 
medical Association 1853, 1905. 

Die Karlsbader Na turforscherVersamm¬ 
lung 1747, 1763, 1807. 

DieKrankencassederWienerBankbeamten 

1543. 

Die Mißbräuche an den Ambulatorien und 
Vorschläge zu deren Bekämpfung 2095. 
Die österreichische Sanitätsverwaltung 
im Parlamente 476. 

Die physikali sehen Heil methoden an den 
Hochschulen 901- 

Die Stellungnahme der Wiener Aerzie- 
schaft zu den registrirten Hilfscassen 
2349. 

Die Thätigkeit des „Oester reichischen 
Naturheilvereine8“ 242. 

D i e Verelend ung des ärztlichen Standes 
in seinen Beziehungen zu den Kranken¬ 
cassen und zur frei en Arzt wahl 667, 763- 
Ein Ministerium für Sanitätsangelegen¬ 
heiten 1713. 

Eine neue Krankencasse 141. 

Einiges über Prognose 1047. 

Hugo von Ziemssenf 192. 

Karl Nicoladoni f 2260- 
Langlebigkeit und Entartung 2301- 
Lebensbilder aus halbvergangener Zeit 

853, 1283, 1363, 1405. 

Mittel und Wege z u r Einsch ränk u ng der 
Geschlechtskrankheiten 2141. 

Moriz Kaposi f 476. 

— Ein Nachruf 519. 

Panaceen bei Völkern der Halbcultur 1949. 
Pariser Briefe 231, 755, 1241, 1506- 
Prager Briefe 1903. 

Richard Frh. v. Krafft-Ebing f, 2391. 
Römischer Brief 997. 

Rudolf Virchow f 1602, 1625, 1641. 

Schulen für nervenkranke Kinder 2247. 
Todesursachen in Oesterreich während der 

Jahre 1873—1900 1959. 


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XI 


Ueber die Ersatzansprüche an die Eisen¬ 
bahnen auf Grund der Haftpflicht-und 
Unfallversicherungsgesetze 323. 

Warnung 908. 

Wie könnten die Aerzte ihre Witwen und 
Waisen versorgen? 44. 

Zur allgemeinen Aerzteversammlung 2149. 

Zur Jahreswende 48. 

Zur Reform des Hebammenwesens 1469. 

Zur Revision des österreichischen Ar¬ 
beiter-Unfall Versicherungsgesetzes 1141. 

Zur 74. Versammlung deutscher Natur¬ 
forscher und Aerzte 1690, 1717, 1737. 


III. Literarische Anzeigen. 

Alber A.: Atlas der Geisteskrankheiten 710. 

Ammon, v.: Sebprobentafeln zur Bestimmung der 
Sehschärfe für die Ferne 1362. 

BarbierH.: S6miologie pratique des poumons et 
de la pleure 1436. 

Baumgarten undTangl: Jahresbericht über den 
Fortschritt der Bakteriologie etc. 472, 852. 

B e c k e r Th.: Einführung in die Psychiatrie etc. 
2248. 

BendixB.: Lehrbuch der Kinderheilkunde 1506- 

Benedict M.: Das biomechanische Denken in der 
Medicin 2045. 

Bergmann v., v. Bruns, v. Mikulicz: Handbuch 
der praktischen Chirurgie 754, 

BernheimF.: Die motorische Aphasie 1406. 

Beuttner: Gynaekologia Helvetica 1808. 

Blumenthal F.: Pathologie des Harnes am 
Krankenbett 1540. 

Bornträger: Das Buch vom Impfen 1713. 

Bosse: Leitfaden für den Unterricht in der Kranken- 
und Wochenpflege 1363. 

Broadbent: Herzkrankheiten 1141. 

BrouardelP.: Les empoisonnements criminels et 
accidentels 1540. 

Brühl G.: Atlas und Grundriß der Ohrenheilkunde 

232. 

Bum A.: Handbuch der Massage und Heilgymnastik 
für praktische Aerzte 419. 

Burger stein L. und Ne toli tzky A.: Handbuch 
der Schulhygiene 1283. 

Chantemesse und Pod wyssots ky: Pathologie 
gänfcrale et experimentale 36- 

CronerW.: Die Therapie an den Berliner Uni¬ 
versitätskliniken 998. 

DanzigerF.: Die Entstehung und Ursache der 
Taubstummheit 901. 

Debrunner A.: Berichte und Erfahrungen auf 
dem Gebiete der Gynäkologie und Geburtshilfe 

570. 

Dentu u. Delbet: Traitö de Chirurgie etc. 1324. 

Dirmoser E.: Vomitus gravidarum perniciosus 472. 

Ebstein W.: Die chronische Stuhl Verstopfung 569. 

— Vererbbare cellulare Stoffwechselkrankheiten 1949. 

Eden P. H. van: Verbandlehre 1284. 

Ehrlich, Krause, Mosse, Rosin, Weigert: 
Encyclopädie der mikroskopischen Technik mit 
besonderer Berücksichtigung der Färbelehre 1659, 
1904. 

EkgrenE.: Taschenbuch der Massage 2046. 

Enriquezu. Sicard: Les oxydationsde l’organisme 
2188. 

Ewald C.A.: Klinik der Verdauungskrankheiten 371 

Filatow Nil: Klinische Vorlesungen über Kinder¬ 
krankheiten 998. 

Finger E.: Die Syphilis und die venerischen Krank¬ 
heiten 755. 

F i s c h e r F.: Krankheiten der Lymphgefäße etc. 1324. 

Frankel M.: Samenblasen des Menschen 665. 

Freund L.: Die Berufskrankheiten und ihre Ver¬ 
hütung 947. 

Friedmann Fr.: Die Altersveränderungen und ihre 
Behandlung 616. 

Fritsch H.: Die Krankheiten der Frauen 135. 

GendreLe, et Lepage: Le medecin dans la 
sociGtö contemporaine 2096. 

Glaser R.: Das Seelenleben des Menschen 324. 

Goldscheider A. u. Jacob P.: Handbuch der 
physikalischen Therapie 711, 1241. 

Graser E.: Ueber die Grundlagen etc. der modernen 
Wundbehandlung 616- 


Grünwald L.: Atlas und Grundriß der Krank¬ 
heiten der Mundhöhle 2094. 

Gu 11 m a n n Emil: Die Blutungen des Sehorganes etc. 

1095. 

HeimannE.: Internationale Sehprobentafel für 
Kinder 1282. 

Her ma nn T.: Lehrbuch der topographischen Anatomie 

420. 

Herz Max: Lehrbuch der Heilgymnastik 1618 
Hirschfeld F.: Die Zuckerkrankheit 1323. 

H o f f a Albert: Lehrbuch der orthopädischen Chirurgie 

1094. 

James Israel: Chirurgische Klinik der Nieren- 
kraiikheiten 184. 

Jaquet: Grundriß der Arzneiverordnungslehre 1363. 
KahaneM.: Therapie der Erkrankungen des Respi- 
rations- und Circulationsapparates 1282. 
Karutz: Ueber den gegenwärtigen Stand der Ohren¬ 
heilkunde 324. 

Kaufmann C.: Die Entschädigung der Unterleibs¬ 
brüche etc. 279. 

KerschbaumerF,: Malaria, ihr Wesen etc. 947. 
Knapp L,: Sammlung stereoskopischer Aufnahmen 

420. 

Kobert H. U.: Das Wirbelthierblut in mikrokrystallo- 
grapbischer Hinsicht 901- 

Kocher und Quervain: Encyklopädie der ge- 
sammten Chirurgie 1142- 

König F.: Die specielle Tuberculose der Knochen 
und Gelenke 2247. 

Korczynskiv.: Grundriß der Balneotherapie 372. 
Kornfeld Hermann: Die Entmündigung Geistes¬ 
kranker 36. 

Lachs J.: Die Temperaturverhältnisse bei den Neu¬ 
geborenen 2187. 

LambergJ.: Die erste Hilfe bei plötzlichen Unglücks¬ 
fällen 570. 

Lang Eduard: Lehrbuch der Hautkrankheiten 1191. 
Leube: Specielle Diagnose der inneren Krank¬ 
heiten 1807. 

Leven: La vie, l’äme et la maladie 1854. 
Leyden v. und K 1 emp e r er: Die Deutsche Klinik 
am Eingänge des 20. Jahrhunderts 278, 1046, 
1468. 

Lipowski J.: Leitfaden der Therapie der inneren 
Krankheiten etc. 1660. 

Lubarsch O.: Arbeiten aus der path.-anat. Ab¬ 
theilung des hyg. Institutes in Posen 2350. 
Magnus H.: Augenärztliche Unterrichtstafeln 1950. 
Marchand F.: Der Proceß der Wundheilung mit 
Einschluß der Transplantation 1573. 

Marx E.: Die experimentelle Diagnostik der Infections- 
krankheiten 2000- 

Meissner P.: Mikroskopische Technik 947. 
Mendel E.: Leitfaden der Psychiatrie 2141. 
Meringv.: Lehrbuch der inneren Medicin 85. 
Metnitz Jos. R. v.: Lehrbuch der Zahnheilkunde 
für praktische Aerzte und Studirende 1435. 
MietheA.: Lehrbuch der praktischen Photographie 

185. 

MottW.: Pathologie des Nervensystems 1323- 
Müller Georg: Cursus der Orthopädie für praktische 
Aerzte 2080. 

Musehold P.: Die Pest und ihre Bekämpfung 1322. 
Mygind-Holwer: Lehrbuch der Krankheiten der 
oberen Luftwege 1470. 

Nagel W.A.: Der Farbensinn der Thiere 1903. 

N euburger Max : Die Vorgeschichte der antitoxischen 
Therapie der acuten Infectionskrankheiten 1242. 
Neumann H.: Behandlung der Kinderkrankheiten 

1048. 

Nie olle: Grundzüge der Mikrobiologie 519. 

No bl G.: Pathologie der blennorrhoischen und vene¬ 
rischen Lymphgefäßerkrankungen 136. 
Obersteiner H.: Anleitung zum Studium und zum 
Bau der nervösen Centralorgane etc. 1808. 
Onodi A.: Die Anatomie und Physiologie der Kehl¬ 
kopfnerven 1574. 

Penzoldtu. Stintzing: Handbuch der Therapie 
innerer Krankheiten 518, 2301. 

Petit Paul: Elements d’anatomie gyn^cologique et 
op6ratoire 1902. 

Pizzighelli: Anleitung zur Photographie 86. 
Proksch: Geschichtsstudium in der Medicin 85. 
Reuss v.: Das Gesichtsfeld bei functioneilen Nerven¬ 
leiden 1712. 


Rif f el: Weitere pathogenetische Studien über Schwind¬ 
sucht und Krebs 1853. 

Rissmann P.: Lehrbuch für Wochenbettpflegerinnen 

1950. 

Sabourand: Maladies du cuir chevelu 471. 
Schmiedeburg O.: Grundriß der Pharmakologie etc. 
2349. 

Schmorl: Die path.-hist. Untersuchungsmethoden 

1364. 

Sobotta: Atlas und Grundriß der Histologie etc. 
900. 

SommerR.: Beiträge zur psychiatrischen Klinik 322. 
Spiegel I.: Einführung in die erste Hilfe bei Un¬ 
fällen 570. 

Spiegelberg H.: Die Krankheiten des Mundes und 
der Zähne im Kindesalter 2389. 

StarckH.: Divertikel der Speiseröhre 185. 
Stintzing R.: Handbuch der Therapie innerer 
Krankheiten 1506. 

Storch E.: Muskelfunction und Bewußtsein 2095. 
Stratz H.: Schönheit des Weibes 231. 

— Die Schönheit des weiblichen Körpers 2302. 
Strobel H.: Die Verwendung des Lichtes in der 
Therapie 1192. 

Sultan G.: Atlas und Grundriß der Unterleibsbrüche 
2248. 

Tappeiner v.: Arzneimittellehre 665. 

ThiesingH.: Die Localanästhesie etc. in der zahn¬ 
ärztlichen Praxis 2142. 

Tigerstedt: Lehrbuch der Physiologie des Menschen 

1405. 

Transactions of the American otological 
society 852. 

Traugott R.: Die nervöse Schlaflosigkeit und ihre 
Behandlung 2388. 

Trautmann: Leitfaden für Operationen am Gehör¬ 
organ 1469. 

Vogel Gustav : Leitfaden der Geburtshilfe für prak¬ 
tische Aerzte 1999- 

Vossius: Aetiologie, Pathologie und Therapie der 
Diphtheritis conjunctivae 853. 

Walker Norman: An introduction to dermatology 

1406. 

Wegscheider: Geburtshilfe und Gynäkologie bei 
Aetios von Amida 1047. 

Weitlaner F.: Neue Untersuchungen über die See¬ 
krankheit 1508. 

Weressagiew: Beichten eines praktischen Arztes 

1574. 

Weygandt W.: Atlas und Grundriß der Psychiatrie 

1712. 

ZeisslM.v.: Lehrbuch der venerischen Krank¬ 
heiten 1094. 

Zünd-Burguet: Besserung der Sprache bei Taub¬ 
stummen 136. 


IV. Verhandlungen ärztlicher Vereine 
und Congresse. 


Aus englischen Gesellschaften 285, 953- 

Aus französischen Gesellschaften 40, 379, 
573, 762, 1196, 1288, 1473, 1582, 2255. 

Aus italienischen Gesellschaften 380,760, 
907, 1100. 

Aus medicinischen Gesellschaften Deutsch¬ 
lands 41, 330, 431, 623, 713, 1054, 1247, 
1328, 1438, 1511, 1666, 2006, 2257. 

XX. Congreß für innere Medicin in Ber¬ 
lin 761, 805, 857, 903, 1000, 1098, 1194, 1286, 
1367, 1510, 1581. 

Gesellschaft für innere Medicin in Wien 

92, 138, 188, 237, 332, 427, 525, 622, 811, 905, 
1002, 1148, 1245, 1956, 2049, 2100, 2194, 2307. 

XI. Italienischer Congreß zu Pisa 88. 

K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien 191. 
240, 429, 474, 714, 1004, 1958, 2050, 2146,' 
2259, 2308, 2354. 

31. Versammlung der Deutschen Gesell¬ 
schaft für Chirurgie 711, 757, 808, 859, 
950, 1052, 1146, 1244, 1326, 1408, 1541. 

73. Versammlung Deutscher Naturforscher 
und Aerzte zu Hamburg 37, 90, 136, 185, 
235, 283, 377, 572, 619, 661, 2003. 


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XII 


74. VersammlungDeutscherNaturforscher 

und Aerzte 1737. 1751, 1810, 1887, 1908, 
1953, 2037, 2099, 2252, 2304. 

Wiener medicinisches Doctorencollegium 

190, 239, 473, 2196. 


Allgemeine Militärärztliche Zeitung. 

Autorenverzeicbniß. 

Axhausen, AFS.-Arzt, Berlin, 47. 

Dum 8, Leipzig, 32. ' 

FeinJ., Wien, 61. 

Feistmantel. Budapest, 61. 

Flagg Belin, New-York, 1. 

Frend 1 v., Wien, 36. 

Freund H., Reichenberg, 10, 25. 

Glatzel, Berlin, 6- 
G rum me, Meiningen, 20. 

Guillery, Köln, 57. 

Hammerschmidt, Stettin, 59. 
Hildebrandt, Berlin, 34, 63. 

Hirkson, London, 5. 

Hoffmann, Rostock, 21, 33. 

Hünermann und D eit er, 20- 
Jeney, Wien, 22. 

Kern, Metz, 23, 24. 

K o p r i w a, Laibach, 34. 

Kretschmar, 23. 

Krieger, Neumünsler, 5. 

Lobker, Basel, 38- 

Majewski Konrad, Innsbruck, 13, 16, 56. 
Makins, London, 5. 

Maschold, Straßburg, 37. 

Mathiolius, Köln, 59. 

Neuburger, Groß-Lichterfelde 32. 

Pass ower, Riga, 19- 
Pauli, Metz, 23- 
Reh, Bayreuth, 21. 

Scheidl, Wien, 22. 

Schmidt, Berlin, 37. 

SickingerA., Stabsarzt, Brünn, 41. 

Simons, Metz, 23. 

Steiner J., Wien, 49. 

Stier, Jena, 20. 


Sutter, Genf, 57. 

Vollrath, Stettin, 63- 

Weigl, Ostasiatische Besatzung, 47. 

Zimmermann, Wien, 36. 

Sachregister. 

Acetylen, Das ... im Feldsanitätswesen 21. 
Adenoide Wucherungen, Abtragung der . . im Nasen¬ 
rachenraume 61. 

Aktinomykose, Erreger 3er ... 61. 

Antiseptik oder Aseptik im Felde 47. 

Armee, Geisteskrankheiten in der . . 20. 
Armeerevolver, Können Kleidungsstücke durch Schuß 
mit ... in Brand gesteckt werden 47. 
Artilleriegeachosse, Zur Morphologie der wirksamen 
Sprengstücke der ... 16. 

Beugesehne am Fuß, Habituelle Luxation einer .. . 

32. 

Blasensteine 36. 

Botulismus, Aetiologie und Prophylaxe des ... 59. 
Burenkrieg, Kleinkalibriges Geschoß im . . . 34. 
Bursae mucosae, Topographie der . .. 22. 
Comprimirte Tabletten im südafrikanischen Kriege 
57. 

Epileptische Dämmerzustände bei Soldaten 32. 
Exercirknochen am Oberarme 33. 

Feldbestecke etc. 37. 

Feldsanitätswesen, Ueber mehrere noch offene Fragen 
des ... 3. 

Genickstarre, Die epidemische ... in Mecklenburg etc. 
21. 

Kriegschirurgie, Stand der . . . 59. 

Laparotomie nach ßauchwunden in Kriegszeiten 34. 
Leistenbrüchen, Heilung von ... 5. 
Marschtüchtigkeit, Zur Hebung der .. . des Infante¬ 
risten 56. 

Meningitis cerebrospinalis 23. 

Morbus Basedowii, Acuter . .. infolge eines Schusses 
59. 

Muskelverknöcherungen, Traumatische ... 63. 
Nasenathmung des Soldaten 6. 

Pityriasis trichenoides chronica 36. 

Radiographie vor Gericht 19. 

Sanitätso/flcier, Ausbildung des ... 23. 

Sanitätstaktik, Ueber dio nenere Literatur auf dem 
Gebiete der ... 49. 


Schädelverletzungen, Mechanismus der ... 22. 
Schußverletzungen des Bauches 5. 

— Prognose der ... im Felde 63. 

Schußwunden, Die . .. und ihre Behandlung im 

Burenkrieg 10, 25- 

— im HoNTEn’schen Canal 5. 

Simulation, Nachweis der ... 38. 
Sternoclaviculargelenk., Subluxation des ... 23. 
Subluxation der Patella, Habituelle ... 23. 
Tannoform, Beseitigung des Schweißfußes durch .. . 

20. 

Trinkwasser, Dosinfection von . .. 20. 

Typhus abd., Gangrän nach ... 24. 

— Bekämpfung des ... 37. 

Typhusepidemie, Die ... in der Artilleriekaserne in 
Laibach 34. 

Zahnpflege in der Armee, Ueber die Nothwendigkeit 
der ... 41. 


Literarische Anzeigen. 

D a n t w i t z: Ueber die sanitätstaktische Ausbildung 
der Sanitätsofflciere 60. 

Ebstein W.: Die Krankheiten im Feldzuge gegen 
Rußland 35. 

F i sch e r H.: Leitfaden der kriegschirurgischen Ope¬ 
rationen 7. 

JaegerH.: Die Cerebrospinalmeningitis als Heeres¬ 
seuche 7. 

Köhler A.: Grundriß der Geschichte der Kriegs- 
chirurgie 36. 

KrumpholzJ.: Der Kampf gegen die Malaria60. 

Lütgendorf, Casimir Freih. v.: Feldsanitätsdienst 
und Gefechtslehre (Taktik) in Wechselbeziehung 
48. 

PlumertA.: Gesundheitspflege auf Kriegsschiffen 35. 

Roth’s W. Jahresbericht über die Leistungen im 
Militär-Sanitätswesen 7. 

Verhandln ngen militärärztlicher Vereine. 

A us militärärztlichen Gesellschaften 
Deutschlands 23, 37, 63, 64. 

Wissenschaftlicher Verein der Militär¬ 
ärzte der Garnison Budapest 61, 62, 63. 

Wissenschaftlicher Verein der Militär¬ 
ärzte der Garnison Wien 22, 36, 61. 


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Wien, den 5. Januar 1902. 


Nr. 1. 


XLIH. Jahrgang. _ 

Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart-Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik', letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse' 1 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , 1., Deutschmeisterplatz 2. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Militärärztlicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
20 IT, halbj. 10 A, viertel]-5-tf”. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk-, halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 K\ Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „wiener Mediz. Presse“ in Wien, I., Maximilianstr. 4. 


medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Organ für praktische Aerzte. 

-« 8 * 0 .- 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


Redigirt von 

Redaction: Telephon Nr. 13.849. „ A 4. - — tj „ w Administration : Telephon Nr. 9104. 

___ Dr. Anton a um. ___ _ 

INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Alltägliches in der kleinen Chirurgie. Von Dr. Robert Geksusy. — Heilwässer und Trinklieilwasser- 
stätten. Von Dr. W. Jaworski, Professor für innere Medicin an der Universität Krakau. — Aus dem k. u. k. Truppenspitale in Marburg. Ruptur 
der Quadricepssehne, Pyarthros des linken Kniegelenkes nach Sturz. Von Dr. Karl Diwald, k. u. k. Regimentsarzt. Revue. Neueste Literatur 
über Tuberculose. — Referate. Aus der chirurgischen Klinik (Geheimrath Riedel) zu Jena. B. Group, : Unsere Nierentumoren in therapeutischer, 
klinischer nnd pathologisch-anatomischer Beleuchtung. — M. Oppenheim und G. Löwenbach (Wien): Untersuchungen bei constitutioneller Syphilis 
unter dem Einflüsse der Quecksilbertherapie mit besonderer Berücksichtigung des Eisengehaltes. — Richard Link (Freiburg i. B.) : Untersuchungen 
über die Entleerung des Magens bei verschiedenen Lagen des Körpers. — Kragerud (Tönsberg): Hämoglobinurie beim Rinde. C. Paukon und 
M. Goldstein (Bukarest): Die spinalen motorischen Localisationen und die Theorie der Metamerien. — Sprengel (Braunschweig): Zur Früh¬ 
operation bei acuter Appendicitis. — Hofmeister (Tübingen): Eine neue Repositionsmetlioilc der Schulterluxation. Hermann Dünschmann( Wies¬ 
baden): Einfluß des Salzgehaltes der Trinkquellen auf die Blutbeschaffenheit. — Hugo Lüthje (Greifswald): Beiträge zur Kenntniß des Eiweiß- 
stoffwechsels. — Hamel (Charlottenburg): Klinische Beobachtungen über zwei Fälle von Morbus Addisonii mit. besonderer Berücksichtigung des 
Blutbefundes. — Prof. Biedert und E. Biedert (Hagenau i. E.): Milchgenuß und Tuberculosesterblichkeit. — Ott (Oderberg i. Harz) : Der zeitliche 
Verlauf der Glykogenablagerung in der Kaninchenleber im Normalzustände und im Fieber. — Ferdinand Hukfpf, (Prag): Ueber die modernen 
Colonisationsbestrebungen und die Anpassungsmöglichkeit der Europäer in den Tropen. — Uhlenhuth und Wkstphal (Berlin): Histologische und 
bacteriologiscbe Untersuchungen über einen Fall von Lepra tuberoso-anaestlietica mit besonderer Berücksichtigung des Nervensystems. — Kleine 
Mitth eilangen. SauerstofFinhalationen bei Kindern. — Die Massage in der Therapie der Prostatitis. — Behandlung der h urunculosis. Behandlung 
der chronischen Cystitis. — Die medicamentöse Bekämpfung des Fiebers bei der Lungentuberculose. — Behandlung der Ohrgeräusche. —- Behandlung 
der Dysenterie. — Medication gegen Frostbeulen. — Gleichzeitige therapeutische Anwendung von Quecksilber- und Jodpräparaten. — Literarische 
Anzeigen. Pathologie generale et experimentale. Les processus generaux. I. Par A. Chantemessf. et M. Podwyssotsky. Die Entmündigung Geistes¬ 
gestörter. Für Juristen und Sachverständige. VonDr. Hermann Kornfeld. — Compendium der Pharmako-Therapie. Von Dr.OrTO Gross. — Verhandlungen 
ärztlicher Vereine. Aus den Abtheilungen der 73. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte. Hamburg, 22. bis 28. September 1901. 
(Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) XIV. — Aus französischen Gesellschaften. (Orig.-Ber.) — Aus medicimschen 
Gesellschaften Deutschlands. (Orig.-Ber.) — Standesfragcn. Wie könnten die Aerzte ihre Witwen und Waisen versorgen? — Notizen. Zur 
Jahreswende, — Nene Literatur. — Eln geBendet. — Offene Correspondenz der Redaction und Ad ministration. — ^Aerztliche_j>tel ien. Anzeigen. 

Nachdruck von, Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse“ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Alltägliches in der kleinen Chirurgie. 

Von Dr. Robert Gersuny.*) 

„Alltägliches in (1er kleinen Chirurgie“. Ist dieser Titel 
bescheiden oder vielleicht im Gegentheil zu viel versprechend ? 
Ich glaube fast das letztere, denn das Alltägliche in der 
kleinen Chirurgie ist eigentlich die ganze Chirurgie des 
praktischen Arztes. Die kleine Chirurgie ist ja jener Theil 
der Chirurgie, der ohne Assistenz und ohne Spital geübt 
werden kann : sie ist die Chirurgie des einzelnen Arztes, und 
das Alltägliche bildet das Gros unserer Tbätigkeit; wenn 
wir die Raritäten ausscheiden, so entzieht uns das nur einzelne 
Fälle, im Ganzen wird an unserer Tbätigkeit wenig geändert. 

Das Gebiet ist ziemlich umfangreich, und ich bin weit 
entfernt davon zu glauben, daß man es in irgendwie voll¬ 
ständiger Weise an einem Vortragsabende behandeln könnte. 
Ich habe deshalb nur einige wenige Fragen ausgewählt, und 
zwar sind es solche, von denen ich durch Erfahrungen an 
Kranken weiß, daß meine Praxis sich von der landläufigen 
Uebung unterscheidet. Natürlich bin ich der Meinung, daß 
meine Veränderungen dem üblichen Vorgehen vorzuziehen 
sind, sonst dürfte ich sie ja nicht beibehalten. Und deswegen 
will ich sie hier besprechen und dadurch vielleicht Ihnen 
Veranlassung geben, gelegentlich in Ihrer Praxis in analoger 
Weise vorzugehen. 

Eine der häufigsten unter den Affectionen, mit denen 
wir zu thun haben, ist der Furunkel. Die übliche Be- 

*) Vortrag, gehalten in der wissenschaftlichen Versammlung des „Wiener 
medicinischen Doctoren-Collegiums“ am 2. December 1901. 


handlung besteht darin, daß man, wenn der Furunkel durch 
einige Tage lang fortgesetzte Umschläge zur „Reife“ gelangt 
ist, eine Incision macht. Was die „Reife“ des Furunkels 
betrifft, so ist das, wie ich glaube, eine durch die Geschichte 
ehrwürdig gewordene Bezeichnung. Ich würde in Verlegenheit 
geratben, wenn ich Ihnen definiren sollte, was unter „Reife“ 
des Furunkels zu verstehen sei. Es kommt mir so vor, als 
würde man ihn für reif erklären, wenn höchste Eile nöthig 
ist, um mit dem Einschnitt einer spontanen Eröffnung zuvor¬ 
zukommen. 

Aerzte, die nicht viel in der Chirurgie zu thun gehabt 
haben, lassen sich da auch leicht von der Meinung der 
Patienten beeinflussen, die bei dem Vorschläge, zu incidiren, 
entgegnen: „Ist das schon reif? Das wird wohl noch nicht 
reif sein.“ 

Ein solcher reifer Furunkel bildet eine ziemliche Ge¬ 
schwulst. Spaltet man ihn durch eine tapfere Incision, so 
liegt in dem weit klaffenden Schnitt in der Mitte der nekrotische 
Pfropf; am folgenden Tage ist der ganze Schnitt bis auf die 
Stelle des Pfropfs per primam intentionem wieder verheilt. 
Man hat also eine überflüssig große Incision gemacht. In 
der That genügt die Entfernung des nekrotischen Gewebes. 

Betrachten wir die Art der Entstehung des Furun¬ 
kels. Wir sehen bei unseren Kranken meist die Anlänge des 
Furunkels nicht, aber wir Chirurgen können dennoch öfter 
den ersten Beginn beobachten, nämlich am eigenen Leibe. 
Wie oft inficirt man sich und bekommt dann den Anfang 
des Furunkels zu sehen. Am ersten Tage wird man durch 
ein leichtes Jucken, Brennen, einen leisen Schmerz aufmerksam 
gemacht, daß etwas nicht in Ordnung ist. Bei genauem 
Zusehen bemerkt man ein minimales, mohnkorngroßes, gelbes 


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11 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 1. 


12 


Bläschen (vielleicht am Handrücken, an einer Fingerphalanx), 
in der Mitte ein Haar, kurz, die Mündung eines Haarfollikels, 
der inficirt worden ist. 

Wer nun die weitere Entwickelung des Furunkels ver¬ 
hüten will, wendet die radicale Behandlung in diesem 
Momente schon an. Wenn man das nicht thut, wenn man 
beispielsweise Umschläge macht oder gar nichts thut, hat 
das Bläschen am nächsten Tage einen rothen Hof; die ganze 
Gegend bildet einen flachen Hügel, der sich in der Mitte 
zuspitzt, und bei Fortsetzung der Umschläge nimmt allmälig 
die Schwellung zu bis zur „ Reife“; schließlich macht man 
die Incision. 

Ich habe es seit Jahren so gemacht, daß ich im ersten 
Stadium, wo an der Mündung eines Haarfollikels das Bläschen 
sichtbar ist, diese Stelle, die ich als die Infectionsstelle 
betrachte, mit einem zugespitzten Holzstäbchen, das in 
rauchende Salpetersäure getaucht war, unter leichtem Druck 
auf den gelben Punkt verätzte. Man hat dadurch die An¬ 
nehmlichkeit, daß nach der Procedur, die wohl einen Moment 
weh thut wie ein Nadelstich, jede unangenehme Empfindung 
schwindet; es entsteht ein brauner Punkt, in einigen Tagen 
stößt sich der Schorf ab, die Stelle ist schon mit Epidermis 
bedeckt. 

Geht man aber nicht so vor, so ist nach einem oder 
zwei Tagen die Cutis bereits etwas erhoben, ur.d es ent¬ 
wickelt sich der sogenannte „Spitzass“. In diesem Stadium 
tastet man in der Mitte eine Härte, und wenn man jetzt 
durchschneidet, sieht man mitten in dem entzündeten Gewebe 
einen dünnen grauen oder graugrünen Cylinder von nekroti¬ 
schem Gewebe, der bis in das subcutane Gewebe reicht. Die 
weitere Entwickelung des Furunkels besteht darin, daß die 
Nekrose sich noch etwas mehr im subcutanen Gewebe aus¬ 
breitet, so daß dort ein rundlicher Pfropf von abgestorbenem 
subcutanen Gewebe entsteht, der endlich sequestrirt und 
ausgestoßen wird. 

Wenn man schon in dem zweiten Stadium energisch 
chirurgisch eingreift, kann man zuweilen eine Art prima 
intentio erzielen, d. h. eine Heilung ohne Eiterung. Unter 
localer Anästhesie sticht man mit einem spitzen Scalpell 
in der Mitte des gelben Punktes in die Tiefe bis in das 
subcutane Gewebe. Dann geht man mit einem scharfen Löffel 
von entsprechend geringer Größe in die Stichwunde ein und 
reißt damit dreist das in Nekrose begriffene Gewebe heraus. 
Es entsteht dadurch eine kleine cylindrische Höhle, und 
diese füllt man mit Dermatol oder einem anderen antisepti¬ 
schen Pulver aus. Das hält die Wunde genügend klaffend, 
und es ist damit zumeist abgetban. Man läßt die kleine 
Wunde entweder offen oder deckt sie einen bis zwei Tage 
lang mit Zinkpflaster oder einem sehr kleinen Umschlag von 
essigsaurer Thonerde. 

Kommt der Furunkel im Stadium der „Reife“ zur 
Behandlung, dann braucht man zumeist kein Scalpell, 
sondern man macht den Einstich und das Evidement mit 
dem scharfen Löffel. Es entsteht dann eine punktförmige 
Narbe wie bei der Spontanheilung. Das Ausstopfen der Höhle 
ist nicht nothwendig, nicht einmal empfehlenswerth. 

Umschläge, die man durch viele Tage anwendet, scheinen 
mir nicht immer gleichgiltig zu sein; sie können nämlich 
dann schädlich sein, wenn der Furunkel offen ist und Eiter 
secernirt, weil es unmöglich ist zu verhüten , daß der Eiter 
in einiger Ausdehnung auf die Haut der Umgebung gelangt; 
ich habe in früherer Zeit es auch an mir selbst erfahren, 
daß jeder so behandelte Furunkel in der Umgebung eine 
Anzahl kleiner Furunkel liefert, sozusagen „Junge bekommt“. 

Wenn man möglichst trocken behandelt und möglichst 
frühzeitig mit dem scharfen Löffel eingreift, verhütet man 
dieses Entstehen von neuen Furunkeln. 

Das Entstehen neuer Furunkel auf diese Art ist meistens, 
wenn auch, wie man zugeben muß, nicht immer das, was 
man als „Furunculose“ bezeichnet. Nicht nur in der nächsten 


Umgebung der erkrankten Stelle, die mit dem Umschläge 
bedeckt ist, sondern auch an entfernten Körperstellen ent¬ 
stehen nach und nach vereinzelte oder auch zahlreiche 
Furunkel, die man geneigt ist, als den Ausdruck einer inneren 
Schädlichkeit anzusehen, die nach außen kommt. Ich kann 
das für die .meisten Fälle nicht als richtig anerkennen, es 
ist mir vielmehr ziemlich sicher, daß es sich meist nur um 
Infection von außen durch verschmierten Eiter handelt. 

Wenn man einmal zusieht, wie solche Patienten sich 
verbinden, so wird man keinen Moment daran zweifeln, daß 
es sich in der That so verhält. Eine etwas längere Pause 
zwischen den einzelnen Eruptionen ist noch kein Gegen¬ 
beweis ; es muß ja nicht sein, daß die Infection immer nach 
einer sozusagen normalen kurzen Incubationsdauer der Staphylo¬ 
kokken zum Ausbruche kommt. Es kann ganz gut geschehen, 
daß Follikelmündungen eingetrockneten Eiter enthalten, und 
daß erst später eine Gelegenheitsursache, z. B. ein leichtes 
Trauma oder Maceration der Haut, zur Weiterentwickelung 
führt. 

Solchen Kranken, die über häufiges Auftreten von 
Furunkeln klagen, empfehle ich dringend, daß sie schon die 
geringste Andeutung einer neuen Infection dem Arzte zeigen; 
wenn man im Beginn in jedes Knötchen gleich mit dem 
Scalpell einsticht und den scharfen Löffel an wendet oder 
die Stelle mit dem Galvanokauter verätzt, so ist man mit 
der Furunculose meist bald fertig, es kommen bald keine 
neuen Furunkel mehr. 

Eine ätiologisch gleiche Affection ist der Carbunkel. 
Es ist ja hier die gleiche Schädlichkeit, wohl nur die Art 
der Verbreitung des Staphylococcus ist eine etwas ver¬ 
schiedene von der beim Furunkel. Beim Carbunkel spielt 
sich der pathologische Proceß zum größten Theile im Unter¬ 
hautzellgewebe ab, und die Haut selbst wird secundär ergriffen, 
und an den zahlreichen gelben Punkten dringt die Eiterung 
aus der Tiefe an die Oberfläche. 

Die Behandlung des Carbunkels ist eine sehr 
mannigfaltige. Einzelne, sehr hervorragende Chirurgen haben 
immer nur mit Umschlägen behandelt, manche Autoren 
empfahlen antiseptische Injectionen oder die Anwendung von 
Quecksilberpräparaten u. s. w. Meine persönlichen Erfahrungen, 
sowie die der meisten Chirurgen lehren, daß es nicht zweck¬ 
mäßig ist zuzuwarten, sondern daß man gut daran thut, 
den Proceß zu coupiren; wenn auch in einzelnen Fällen nach 
und nach unter nicht operativer Behandlung ein Absceß 
entsteht, der sich entleert, so ist dies doch durchaus nicht 
die Regel, sondern in der Mehrzahl der Fälle kriecht der 
Proceß im subcutanen Gewebe weiter, und die Umgebung 
wird in immer größerem Umfange hart. Der Grund dieses 
Weiterkriechens im Gewebe scheint mir darin zu liegen, 
daß die wuchernden Kokken unter einem gewissen Drucke 
(der Spannung der Haut) stehen. Wenn man durch ausgiebige 
Incision diesen Druck beseitigt, steht der Proceß still und 
das schon Nekrotische stößt sich aus. 

Wenn man einen großen Kreuzschnitt macht, so erzielt 
man ein weites Klaffen der Wunde in der Mitte. Nach Aus¬ 
stoßung des Nekrotischen bleibt eine breite Mulde, die lange 
Zeit zur Heilung erfordert. 

Wenn man die vielfach üblichen gitterförmigen Schnitte 
macht, durch die man den Carbunkel in kleine Quadrate 
zerlegt, so werden meist in seiner Mitte einzelne davon 
gangränös, und dadurch wird die Heilung langwierig. 

Ich habe seit Jahren die Operation so gemacht, daß 
die Incisionen den Carbunkel radiär durchsetzen; sie reichen 
an der Peripherie bis ins Gesunde, treffen aber in der Mitte 
nicht zusammen, dort bleibt die Haut unverletzt, die Schnitte 
verlaufen wie die Speichen eines Rades. Ich mache die Schnitte, 
indem ich mit einem spitzen Messer in entsprechender Richtung 
einsteche und dann von innen nach außen schneide; man 
durchtrennt auf diese Art leichter das harte Gewebe, als 
wenn man von der Oberfläche in die Tiefe schneidet. Dann 


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nimmt man einen scharfen Löffel von entsprechender Größe 
und geht von den verschiedenen Incisionen ein, zerwühlt da3 
ganze kranke Gewebe und reißt möglichst viel davon heraus. 
Durch jeden Schnitt führt man nun Gazestreifen (Jodoform¬ 
gaze oder Dermatolgaze) ein und verbindet das Ganze (trocken 
oder feucht). Der Verband bleibt mehrere Tage liegen, wenn 
man dann die Gaze herausnimmt, wird man hie und da noch 
an einigen Stellen etwas Nekrotisches sehen. Man hält die 
Schnitte klaffend, aber nicht dadurch, daß man etwa wieder 
Gaze einführt, die durch ihre Rauhigkeit Schmerzen macht und 
sich mit den Granulationen verfilzt. Besser ist es, Streifen 
von Guttaperchapapier zu verwenden. Dabei kommt öfter in 
der Mitte gar keine Oeffnung zustande, und nach 8 Tagen 
etwa kann das Ganze fertig sein, die Schnitte heilen , wenn 
nichts mehr eingelegt wird, sozusagen per primam intentionem. 

Bei ganz kleinen Carbunkeln wurde auch die Exstir¬ 
pation empfohlen und mit Erfolg gemacht. 

Nur im Namen Aehnlichkeit mit dem Furunkel des 
Erwachsenen hat die Furunculose der Kinder. Ich 
glaube, daß diese Krankheit von den Aerzten noch nicht so 
aufgefaßt und behandelt wird, wie es wünschenswerth ist. 
Da ist öfter der ganze Körper oder doch ein großer Theil 
mit subcutanen, erbsengroßen Absceßchen besetzt. Es ist keine 
Communication mit der Oberfläche sichtbar, so daß man nicht 
annehmen kann, daß die Infection ähnlich wie beim Furunkel 
erfolgt. Als ich zum erstenmale einen derartigen Fall sah, 
in dem vielleicht 100 solcher Abscesse bestanden, war ich 
zaghaft und eröffnete 10 oder 20 solcher Furunkel. Als ich 
nach 2 Tagen das Kind wieder sah, fand ich, daß die Zahl 
der Furunkel nicht vermindert war, weil viele neue ent¬ 
standen waren. Dann wurde ich dreist und ich habe seitdem 
immer auf einmal sämmtliche Abscesse eröffnet; der von mir 
dabei gewählte Vorgang ist sehr einfach: Ich fasse jedes 
solche Knötchen in eine Hautfalte und steche mit dem spitzen 
Scalpell ein; es kommt dann ein Tropfen dicken Eiters heraus. 

Bei vielen solchen Einstichen wird zwar das Kind, das 
ja schon schwach und angegriffen war, in beunruhigendem 
Grade anämisch — aber man darf sich nicht abschrecken 
lassen, denn nur so erhält man es am Leben. In den nächsten 
Tagen schon erholt sich der kleine Patient. Ein Verband 
wird nicht gemacht, das Kind erhält seine gewöhnliche 
Kleidung, wird gebadet und man hat bei späterer Unter¬ 
suchung höchstens noch vereinzelte, früher übersehene Abscesse 
zu eröffnen. Ich kann Ihnen diese Behandlungsweise dringend 
empfehlen. 

Ein möglichst frühzeitiges Vorgehen (wie beim Furunkel 
des Erwachsenen) ist auch beim Panaritium zu ratben. 
Ich glaube, daß man oft die Entwickelung von Panaritien 
verhindern kann, freilich meist nur an sich selbst. Bei uns 
Aerzten sind es gewöhnlich ganz kleine Verletzungen der 
Epidermis, Nadelstiche beim Operiren u. s. w., die den Anlaß 
zur Bildung des Panaritium geben. 

Man fühlt an einem FiDger eine leichte Schmerzhaftig¬ 
keit; wenn man an der Stelle, wo man kaum etwas Abnormes 
sieht und nur bei Druck etwas Schmerz empfindet, die Epi¬ 
dermis schichtweise mit einem scharfen Messer abträgt, so 
findet man in der Tiefe, im Rete Malpighi, eine kleine Höhle 
mit einem Tröpfchen Serum. Wenn man mit der Scheere die 
überhängenden Ränder der deckenden Epidermis abträgt, so 
entsteht ein mohnkorngroßes oder hirsekorngroßes Loch in 
der Epidermis; wenn man dann die Fingerbeere fest zusammen¬ 
drückt, kommt aus dem lockeren, ödematösen Gewebe Serum 
heraus, anfangs hämorrhagisch, dann klar; und wenn man 
diese nicht sehr angenehme Behandlungsweise öfter an einem 
Tage wiederholt und 2 Tage lang fortsetzt, ist das Ganze 
erledigt; es gibt dabei immer nur klares Serum, niemals 
Eiterung. 

Ich hatte dies an mir selbst erprobt. Als ich darüber 
mit einem Anatomen sprach, sagte er mir: Wir machen es 
ebenso, wir mißhandeln solche Impfstiche. 


Wenn dieses Anfangsstadium versäumt ist, soll man 
incidiren. Je früher man incidirt, desto mehr nützt man dem 
Kranken. Wenn ich an die Panaritien zurückdenke, die ich 
gesehen habe, kann ich sagen, daß ich nach frühzeitiger 
Incision nie eine Nekrose der Thalanx entstehen gesehen habe. 
Wenn man im Beginne des Panaritiums chirurgisch vorgeht, 
breitet sich der Proceß nicht weiter aus. 

Es gehört zu den allergrößten Seltenheiten, daß ein 
Panaritium im Knochen beginnt; die ossalen Panaritien 
sind meist durch Fortschreiten des Processes von der Nach¬ 
barschaft auf den Knochen entstanden. Nur einmal bei einem 
Kinde habe ich eine Nagelphalanx nekrotisch und von Eiter 
umspült gesehen , ohne primäre Erkrankung der Haut und 
des subcutanen Gewebes, und ich bin nicht sicher, ob es 
sich da nicht vielleicht um Tuberculose oder Osteomyelitis 
gehandelt hat. 

Im Allgemeinen breitet sich beim Panaritium die Nekrose 
wie beim Furunkel aus. Wenn der Knochen in den Bereich 
der Erkrankung kommt, wird er nekrotisch, kommt die 
Sehnenscheide in den Bereich, so gibt es ein tendinöses 
Panaritium, und das alles kann man verhüten, wenn man 
frühzeitig incidirt. Die frühzeitige Incision erfordert aller¬ 
dings etwas Selbstgefühl, weil die Patienten in der Regel 
zunächst enttäuscht sind, denn sie wünschen Eiter zu sehen 
oder möchten doch wenigstens selbst einsehen, daß es schon 
an der Zeit ist einzuschneiden. Man muß darauf keine Rück¬ 
sicht nehmen, sondern lieber trachten, seine Patienten zu 
erziehen. 

Wenn man locale Anämie anwendet, findet man bei 
sorgfältigster Betastung des kranken Fingers eine Stelle 
resistenter; dort sticht man ein und holt auch nekrotisches 
Gewebe oder Eiter unter Anwendung des scharfen Löffels 
heraus. 

Für diese Eingriffe, dann für die Behandlung der 
Abscesse ist es nothwendig, daß man sich mit der Hand¬ 
habung der localen Anästhesie wohl vertraut macht. 
Hier liegt meines Erachtens der Grund dafür, daß Aerzte 
nicht immer zur rechten Zeit eingreifen. Verwendet man 
Aethylchlorid, so kann man wohl auch eine rasche Incision 
machen; von Präpariren oder Excochleiren ist aber keine 
Rede! Wenn man dagegen eine Einspritzung von ScHLEiCH’scher 
Lösung oder von einer stärkeren Cocainlösung macht, kann 
man in Ruhe zur eigenen und zur Zufriedenheit des Patienten 
einen Furunkel, ein Panaritium excochleiren, einen tiefen 
Absceß eröffnen. 

Am Finger ist allerdings auch der für die Injection 
nothwendige Nadelstich sehr empfindlich, namentlich dann, 
wenn nicht mit einer sehr feinen und spitzen Nadel und 
mit großer Schnelligkeit eingestochen wird; man kann aber, 
wie Schleich gerathen hat, dem abhelfen, indem man vorher 
Cbloräthyl aufspritzt und dadurch die Injectionsstelle un¬ 
empfindlich macht. 

Die Eröffnung von Abscessen ist oft eine recht peinliche 
Angelegenheit für jeden Arzt. Ich wenigstens erinnere mich 
noch daran, daß ich als junger Chirurg mit einer Art Beben 
daran gegangen bin, wenn ich nicht ganz sicher war, ob ich 
auch wirklich Eiter finden würde. Man darf sich aber dadurch 
nicht abschrecken lassen. 

Wie macht man die Incision? Man hat sonst 
gesagt: An einer großen Incision erkennt man den guten. 
Chirurgen, aber für die Behandlung von Abscessen möchte 
ich das nicht als absolut unangreifbar hinstellen. Wenn der 
Absceß oberflächlich liegt, empfiehlt es sich wohl, die Incision 
der Unterminirung der Haut entsprechend lang zu machen. 
Wenn es sich aber um einen tiefliegenden Absceß handelt, 
würde ich es sogar für einen Fehler halten, wenn .man eine 
große Incision machte, ausgenommen den Fall, daß es noth¬ 
wendig wäre, präparirend in die Tiefe zu dringen, aber dazu 
hat man in der kleinen Chirurgie kaum irgend einmal einen 
Anlaß. 


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Wenn man einen nicht oberflächlich liegenden Absceß 
mit möglichst kleiner Wunde und ohne Blutung eröffnen 
will, macht man unter localer Anästhesie einen ganz kleinen 
Hautschnitt und durchbohrt dann das übrige, den Absceß 
bedeckende Gewebe mit einer schmächtigen Zange, z. B. der 
LiSTEß’schen Drainzange, deren Branchen man nach dem 
Erreichen der Absceßhöhle öffnet, um den Stichcanal etwas 
zu dehnen. Dann wird ein Drainrohr eingelegt. 

Die LiSTER’sche Drainzange verwende ich mit Vorliebe 
zur Eröffnung retropharyngealer Abscesse bei 
Kindern. Wenn man das mit einem stechenden Instrumente 
machen will, braucht man verläßliche Assistenz. 

Benützt man die Drainzange, so braucht nur der Kopf 
des Kindes vorgeneigt gehalten zu werden. Man führt den 
mit einem Metallfingerling geschützten Zeigefinger in den 
Mund, setzt die Fingerspitze an den Punkt des Abscesses, wo 
man eröffnen will, und stößt dann unter Leitung des Fingers 
die Spitze der Drainzange durch die Absceßwand. Durch 
langsames Oeffnen der Zange erweitert man ganz allmälig 
die Oeffnung und erzielt dadurch, daß der Eiter ganz langsam 
ausfließt. Man hat dann keine anderen Vorsichtsmaßregeln 
zu treffen, um das Einströmen von Eiter in den Kehlkopf 
zu verhindern. Schließlich kann man durch weites Oeffnen 
der Zange die Oeffnung in der Absceßwand ausreichend ver¬ 
größern. 

Bei manchen Abscessen wird die Eröffnung lange hinaus¬ 
geschoben, weil sie harte, nicht fluctuirende Geschwülste bilden 
und weil der Arzt auf ein deutliches Zeichen für flüssigen Inhalt 
wartet. Solche Abscesse beobachtet man am häufigsten in 
der Unterkiefergegend, sie sind meist durch Zahnperiostitis 
bedingt und verursachen schwere Erscheinungen: hohes Fieber, 
Unfähigkeit zu kauen und zu schlucken, große Schmerzen. 
Als ich zum erstenmale Billroth zusah, wie er in einen 
solchen harten Tumor das Messer auf 5 Cm. einsenkte, 
imponirte mir das sehr, besonders wegen der Sicherheit, mit 
welcher der Eiterherd getroffen wurde. Bald sah ich ein, daß 
dieser Vorgang der einzig richtige ist. Wo man den Eiter 
zu suchen hat? Man kann erwarten, daß der Eiterherd die 
Umgebung ziemlich gleichmäßig reizt und zur Infiltration 
veranlaßt, es ist darum auch die Schwellung der Umgebung 
eine gleichmäßige und man wird deshalb mit Sicherheit darauf 
rechnen können, Eiter zu finden, wenn man die Spitze des 
Messers in die Mitte des Tumors hineinstößt. 

Es kommt dann zunächst kein Eiter oder doch nur in 
Spuren, denn der dicke, in Berührung mit dem Blute meist 
gerinnende Eiter, wird in der starrwandigen Höhle zurück¬ 
gehalten. Man führt ein Drain ein, am folgenden Tage ist 
das Infiltrat weicher geworden, die Absceßwand sinkt ein und 
der Eiter fließt aus. 

Es besteht vielfach der Gebrauch, große und kleine 
Absceßhöhlen mit Verbandgaze auszustopfen und diese Aus¬ 
füllung bis zur Heilung täglich zu erneuern, zur Qual der 
Kranken. Das kann vielleicht unmittelbar nach der Eröffnung 
zweckmäßig sein, späterhin aber ist es nicht mehr nöthig, ja, 
es kann (bei kleiner Incisionsöffnung) sogar durch Eiterver¬ 
haltung nachtheilig wirken. 

Zieht ein Kranker, der so behandelt wurde, endlich 
einen anderen Arzt bei, der die Tamponade für nicht mehr 
nöthig erklärt, so fühlt sich der Patient wie erlöst — er 
hatte zuletzt am meisten durch die Behandlung gelitten. 

Die regelmäßig bis zur Heilung wiederholte Tamponade 
habe ich methodisch von Ohrenärzten nach Excochleation des 
Proc. mastoideus üben sehen. 

Ich hatte den Eindruck; daß die Heilung dabei langsamer 
erfolgt, als bei der Behandlungsweise, die ich in früherer Zeit an¬ 
wandte, als die Eiterungen des Warzenfortsatzes noch den Chi¬ 
rurgen zur Operation übergeben wurden. Der bei der Operation 
eingelegte Tampon wurde nach einigen Tagen entfernt und 


durch' ein Drainrohr oder einen Streifen Guttaperchapapier 
ersetzt, wodurch die frühzeitige Verklebung des Hautschnittes 
verhindert wurde. Nach der Heilung bestand eine lineare, 
nicht vertiefte Narbe. 

Selbst bei periproktitiseben Abscessen, deren 
Wände öfter zerklüftet sind, genügt es, wenn man die Aus¬ 
füllung ein einzigesmal vornimmt. Später hat man eine 
glattwandige granulirende Höhle, vor sich, die allmälig 
kleiner wird. 

Das directe Auflegen von Gaze auf wunde Flä¬ 
chen macht den Patienten zuweilen beträchtliche Schmerzen, 
beispielsweise nach Verbrennungen mit Blasenbildung, wenn 
die Epidermis abgetragen ist. Bei jedem Verbandwechsel 
haben die Patienten die allergrößten Schmerzen, weil von den 
zahlreichen bloßgelegten Nervenendigungen die angeklebte Gaze 
abgerissen wird; manchmal wachsen auch die Granulationen 
in die Maschen der Gaze hinein und es blutet dann immer 
beim Abnehmen des Verbandes. 

Wenn man, statt in solchen Fällen mit Gaze zu ver¬ 
binden, die wunde Fläche mit einem Stoffe bedeckt, der daran 
nicht festklebt, z. B. mit Guttaperchapapier, so macht man 
den Verbandwechsel zu einer nicht schmerzhaften Procedur. 

Trotzdem es momentan nicht üblich ist, sterile oder anti¬ 
septische Gaze durch Salbenverbände zu ersetzen, so möchte 
ich dennoch für diese Zwecke Borvaseline oder Argentum 
nitricum-Salbe, auf Guttapercha aufgestrichen, empfehlen. 

Eine Affection, die eine gewisse Aehnlichkeit mit der 
Blasenbildung nach Verbrennung besitzt, ist die Dermatitis 
serpiginosa. Das ist in der That eine alltägliche Erkran¬ 
kung, und doch scheint sie nicht genug bekannt, besonders in 
Bezug auf ihre Behandlung. Die Entstehung sieht man nur 
gelegentlich. Es entwickelt sich ein kleines Bläschen, das 
nach zwei oder drei Tagen platzt, und die rosige, noch etwas 
feuchte Epidermis liegt bloß. In den nächsten Tagen entsteht 
ein schmaler, gelber Saum, um die bloßliegende Stelle, die 
allmälig überhäutet; die Ueberhäutung schreitet gegen die 
Peripherie fort, aber der gelbliche, etwas erhabene Saum schiebt 
sich in Form von Kreisbögen immer weiter vor. Unter der 
Cutis, die den gelblichen Saum bedeckt, sieht man die 
Haut roth, wie feinkörnig granulirend; aber der erwähnte 
gelbe Saum wird immer größer, der Proceß kriecht im Kreis¬ 
bogen immer weiter fort, man sieht, wenn man die Epidermis 
zurückschlägt, kleine Unebenheiten fast wie granulirend, und 
es hat den Anschein, als ob der ganze Proceß im Rete Mal- 
pighi abläuft. 

Die Krankheit heilt ohne Narbe und sozusagen mo¬ 
mentan, wenn man sie richtig behandelt. Uebergelegte trockene 
Verbandstoffe helfen nicht; das beste Mittel ist, daß man die 
den Saum bedeckende Epidermis mit einer feinen Scheere 
abträgt; wenn man dann die feuchte Stelle mit Lapislösung 
bestreicht, ist das Leiden am folgenden Tage ganz geheilt. 

Die Lapislösung braucht nicht genau dosirt zu sein; ein 
feuchtes Wattebäuschchen, mit dem Lapisstift überstrichen, ist 
vollkommen genügend. Das Abtragen der Epidermis verursacht 
keinen Schmerz, und auch die Aetzung mit Lapislösung ge¬ 
schieht schmerzlos, wenn man vorher einen Tropfen Cocain¬ 
lösung auf die wunde Stelle gegeben hat. 

Ich wurde einmal zu einem vermeintlich sehr schweren 
Kranken gerufen, von dem man glaubte, daß er an einem 
Erysipel leide. Der ganze Unterschenkel war dunkelroth ge¬ 
färbt ; bei genauer Besichtigung erkannte ich, daß es sich 
nicht um Erysipel, sondern um Dermatitis serpiginosa handelte. 
Hie und da war der Proceß ausgeheilt, dann waren wieder., 
an anderen Stellen Bläschen aufgeschossen, und der Proceß 
begann wieder an schon geheilten Stellen. Die Behandlung 
des Falles bestand darin, daß das Bein einmal ganz energisch 
gewaschen wurde, die Grenzpartien wurden mit Lapislösung 
geätzt — und damit war die Krankheit abgeschlossen. 


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Bei diesen Formen wird man vielleicht ohne sorgfältige 
Abtragung der Epidermis bloß mit Umschlägen mit recti- 
ficirtem Alkohol Heilung erzielen; die Austrocknung der 
Gewebe durch den Alkohol könnte allein genügen. Ueberhaupt 
verdient der Alkohol eine ausgedehntere Verwendung, als 
üblich ist. 

So kenne ich seit meiner Kindheit den Alkohol als 
das beste Mittel gegen die Schmerzen bei frischen 
Verbrennungen. Wenn wir Kinder eine Verbrennung 
erlitten hatten, wurde uns ein Stück graues Fließpapier auf 
die verbrannte Stelle aufgelegt und dann Alkohol darüber 
geträufelt. Der Schmerz hörte sogleich auf. Kehrte er beim 
Trockenwerden des Papierverbandes wieder, so wurde wieder 
Alkohol aufgetropft. War dies durch zwei Stunden etwa 
fortgesetzt worden, so kam der Schmerz nicht wieder, es 
entstand auch keine Blase. 

Bei Intertrigo, z. B. der häufigen Form, die bei 
Frauen in der Falte unterhalb der Mammae vorkommt, ge¬ 
nügen Waschungen mit Alkohol zur Heilung. 

Auch infolge von einem „eingewachsenen Nagel“ 
entsteht oft an der großen Zehe eine Dermatitis serpiginosa, 
deren Behandlung zugleich mit der des Grundleidens beginnt. 
Die Behandlung des eingewachsenen Nagels ist häufig — ich 
glaube viel zu häufig — eine operative. Der eingewachsene 
Nagel ist ein Artefact; beim Schneiden des Nagels der großen 
Zehe wird einmal zu viel weggeschnitten, so daß die Ecken 
des Nagels im Nagelfalz liegen, statt über ihn hervorzuragen. 
Beim Wachsen des Nagels oder infolge von engen Schuhen 
drücken die Ecken in die Haut des Falzes, diese schwillt 
an und wird schmerzhaft. Nun wird ein „Sachverständiger“ 
zu Rath gezogen, der sieht gleich, daß die Ecke des Nagels 
in die Haut bohrt, und schneidet sie ab. Dadurch wird eine 
neue Ecke gebildet, die etwas weiter nach rückwärts liegt, 
nach kurzer Zeit wieder drückt und später vielleicht wieder 
geschnitten wird — je tiefer man den Nagel abschneidet, 
desto längere Zeit dauert die Krankheit, denn die Heilung 
ist erst dann gesichert, wenn die Ecken des Nagels so weit 
nach vorn gewachsen sind, daß sie nicht mehr vom Nagelfalz 
gedeckt, sondern frei sichtbar sind. Die empfohlenen Opera¬ 
tionen: partielle oder totale Exstirpation des Nagels, Exstir¬ 
pation der geschwollenen, schmerzhaften Haut führen nicht 
immer zur Heilung, es kommt öfters zu Recidiven. 

Rationell ist es, vorsichtig zwischen die Ecke des Nagels 
und die gedrückte Haut etwas Watte einzuschieben, um die 
Haut vom drückenden Nagelrand abzudrängen. Durch einen 
Pflasterstreifen wird der kleine Tampon fixirt. Meist hört 
dann sogleich der Schmerz auf. Nach einigen Tagen wird der 
Verband erneuert und dies wird so lange fortgesetzt, bis der 
Nagel genügend weit vorgewachsen ist. Billroth zeigte seinen 
Schülern diese Behandlungsweise, die übrigens nicht neu war; 
in der ersten Deutschen Ausgabe der Chirurgie von Heister 
(im 18. Jahrh.) wird schon das Unterlegen eines schützenden 
Plättchens unter den Nagelrand empfohlen. Nur sehr selten 
genügt diese Behandlungsweise nicht und man muß operiren. 
Dann trägt man den Rand des Nagels vollständig ab (unter 
localer Anästhesie und Anämie) und ätzt den dadurch blo߬ 
gelegten Theil des Nagelbettes mit Kali causticum. Es bildet 
sich ein fester Schorf, unter dem in schmerzloser Weise die 
Heilung erfolgt; der geätzte Theil des Nagelbettes wird 
durch Narbengewebe ersetzt, der Nagel ist dauernd ver¬ 
schmälert. 

Eine kleine Operation, die man wohl zu den alltäglichen 
rechnen kann, ist die Probepunetion. Sie wird freilich — 
wie ich erst in den letzten Tagen wiederholt gesehen habe — 
öfter überflüssiger Weise gemacht, um bei Phlegmonen oder 
Lymphadenitiden sich zu überzeugen, ob schon Eiter vorhanden 
ist, sie wird aber auch öfter unterlassen, wo ihre Anwendung 
von Werth wäre, z. B. zur Entscheidung darüber, welcher 
Natur ein Pleuraerguß ist. 


Die Probepunction mit der PfiAVAz’schen Spritze ist 
nicht selten resultatlos, wenn nämlich die Flüssigkeit, um die 
es sich handelt, so dick ist, daß sie nicht durch den feinen 
Canal der Nadel aspirirt werden kann. 

Dieses Hinderniß überwindet man leicht, wenn man vor 
der Punction Cocainlösung oder ScHLEiCH’sche Lösung in die 
Spritze füllt. Beim langsamen Eindringen der Nadel anästhe- 
sirt man die zu durchstechenden Gewebe, indem man etwas 
von dem Spritzeninhalt in die Gewebe infiltrirt, doch sorge 
man dafür, daß nach vollendetem Einstich in der Spritze noch 
ein Rest der Flüssigkeit übrig sei. Spritzt man diesen Rest 
jetzt durch die Nadel, so mischt er sich nächst der inneren 
Mündung der Nadel mit der umgebenden Flüssigkeit und ver¬ 
dünnt sie. Saugt man gleich darauf mit der Spritze an, so 
aspirirt man sicher etwas von dieser Verdünnung, auch wenn 
es sich um dicken, zähen Eiter handeln sollte, und erreicht 
so den Zweck der Probepunction. 

Auch bei der Punction mit einem dicken Troicar (z. B. 
bei Hydrops ascites) ist die Entleerung der Flüssigkeit nicht 
selten mangelhaft, nämlich dann, wenn die Därme und das 
Netz wenig oder gar nicht verändert sind. Die Mündung 
der Canüle wird dann leicht verlegt (besonders durch das Netz), 
und eine lange, durch das Rohr eingeschobene Sonde ist nicht 
immer genügend, den Abfluß wieder herzustellen. Diese 
Störung wird verläßlich überwunden, wenn man in die Canüle 
ein zu ihr passendes Röhrchen einschiebt, welches die gleiche 
Länge hat, aber an seinem inneren Ende einen Aufsatz trägt, 
der nach der Einführung aus dem inneren Ende der Canüle 
hervorragt und vorliegendes Netz oder andere Eingeweide 
zurückdrängt. 



An dem Röhrchen, das ich Ihnen hier zeige (s. Abbildung), 
sehen Sie, daß der Aufsatz aus zwei Platten besteht, die sich 
in der Längsachse des Röhrchens rechtwinkelig kreuzen und 
dadurch seine Mündung in vier gleiche OefFnungen theilen, 
von welchen sie alle Gebilde, die sie verlegen könnten, fern¬ 
halten, so daß der Abfluß frei bleibt. Sogar bei der Punction 
eines pleuralen Ergusses von Flüssigkeit hatte ich vor nicht 
langer Zeit eine ähnliche Schwierigkeit des Abflusses zu über¬ 
winden, trotzdem das Exsudat, das große Athemnoth bedingte, 
nach der Dämpfung des Percussionsschalles, die bis hinauf 
zum Schlüsselbein reichte, die ganze Thoraxhälfte zu füllen 
schien. Die Lunge verlegte die CanülenöfFnung; als sie zurück¬ 
gedrängt war, erfolgte der Abfluß des Exsudates. Es flössen 
im Ganzen 700 Ccm. ab, und zu unserer Ueberraschung war 
die Dämpfung vollständig verschwunden. Die Erklärung dafür 
ergab sich daraus, daß der Patient als Berufskrankheit (er 
war Müller) ein hochgradiges Lungenemphysem hatte; die 
Lunge collabirte sehr viel weniger, als eine von normaler 
Elasticität, und das Exsudat füllte den Zwischenraum zwischen 
der geblähten Lunge und der Thoraxwand in Form eines 
Mantels, der die Lunge von der Basis bis zur Spitze um¬ 
hüllte; bei der geringen Mächtigkeit der Flüssigkeitsschichte 
konnte die Lungenpleura leicht die Mündung der Canüle 
verlegen. 

Noch ein Wort über die Behandlung des Ery¬ 
sipels. Für die Behandlung dieses Leidens, das wir Chi¬ 
rurgen zum Glück jetzt selten sehen, sind zahlreiche 
Methoden angegeben worden; natürlich wird eine jede von 
ihrem Autor gerühmt; späterhin ausbleibende Erfolge zu ver- 


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öffentlichen, hat man meist keinen lebhaften Impuls. Dadurch 
kommt es, daß die Aerzte nicht recht erfahren, welche von 
den gepriesenen Mitteln wirklich einen bleibenden Werth 
haben. 

Beim Eiysipel sind hier in Wien, soweit meine persön¬ 
liche Beobachtung reicht, Umschläge mit essigsaurer Thon¬ 
erde am meisten üblich. Sie wirken etwas schmerzstillend, 
scheinen aber auf die Krankheit selbst gar keinen Einfluß zu 
haben. 

Vor Jahren lernte ich durch Dr. Josef Breuer eine 
Behandlungsweise kennen, die ich wegen ihrer trefflichen 
Wirkung seither beibehalten habe. Es war nämlich von einem 
englischen Arzte das Bestreichen der erysipelatösen Haut 
mit weißer Oelfarbe (Bleiweiß) empfohlen worden. Dr. Breuer 
verwendete in der Meinung, daß ein luftdichter Ueberzug der 
Haut das Wesentliche sei, Collodium elasticum mit gutem 
Erfolge. 

Seiner Anempfehlung folgend, versuchte ich die Anwen¬ 
dung verschiedener, luftdicht an der Haut haftender Ueber- 
züge und fand als bequem, haltbar und den Kranken nicht 
unangenehm die Verwendung von Firniß. Die erysipelatöse. 
Haut wird bis handbreit über die sichtbaren Grenzen des 
Rothlaufs hinaus mit Siccativ (das jeder Händler mit Oel- 
farben vorräthig hat) bepinselt, die ganze Fläche wird dann 
(um das Ab wischen zu verhindern) mit Guttaperchapapier 
(oder Firnißpapier) bedeckt und darüber legt man einen 
leichten Bindenverband. 

Weit mehr als die Hälfte der von mir beobachteten, so 
behandelten Fälle zeigte danach ein überraschendes Verhalten: 
der Schmerz hörte auf und die Temperatur fiel von ihrer 
meist großen Fieberhöhe binnen wenigen Stunden bis zur 
Norm, um von da an normal zu bleiben. Es fand dement¬ 
sprechend kein weiteres Fortschreiten des Erysipels mehr 
statt, nach 4 Tagen wurde der Verband dauernd entfernt. 
Dies früher zu thun, halte ich nicht für rathsam, weil ich in 
früherer Zeit gesehen habe, daß jede von Erysipel frisch be¬ 
fallene Stelle etwa 3—4 Tage braucht, um zur Norm zurück¬ 
zukehren. Ich würde bei zu frühem Entfernen des luftdichten 
Ueberzuges fürchten, daß der noch nicht ganz erloschene 
Proceß wieder aufflammen könnte. Aehnlich wie Firniß, 
Collodium, Oelfarbe wirkt die von Nussbaum empfohlene 
Ichthyolsalbe (30%), wahrscheinlich auch nur als luftdichter 
Anstrich — von anderer Farbe. 

Die von Wölfler empfohlene Abgrenzung des Ery¬ 
sipels durch Kautschukpflasterstreifen ist analog; das Ery¬ 
sipel verbreitet sich bis zu den Pflasterstreifen, um dann 
stillzustehen. 

Eine andere, gleichfalls gut bewährte Behandlungsweise 
des Erysipels, die oft den Proceß rasch zum Abschluß bringt, 
besteht in häufigen Waschungen (1—2 stündlich) des ganzen 
Krankheitsgebietes mit rectificirtem Weingeist. 

Wenn Sie mit einem der genannten Mittel Versuche machen 
werden, so können Sie darauf rechnen, in vielen Fällen die 
gleichen überraschenden Erfolge zu erzielen wie ich ; man darf 
natürlich nicht in jedem Falle ohne Ausnahme darauf rechnen, 
man weiß ja, daß die Erysipele verschieden sind, sowohl in Be¬ 
zug auf die Art der inficirenden Kokken, als auch auf die Ver¬ 
breitungswege; manchmal sind auch tiefere Gewebsschichten 
ergriffen, manchmal ist ein in der Tiefe verlaufendes Lymph¬ 
gefäß der Weg, auf welchem die Krankheit weiterschreitet, 
unbeirrt von den Mitteln, die nur auf die oberen Schichten 
der Cutis wirken. 

Ich würde mich sehr freuen, wenn ich Ihnen einige 
Anregungen für Ihr Handeln in der Alltagschirurgie ge¬ 
geben hätte. 


Heilwässer und Trinkheilwasserstätten, 

Von Dr. W. Jaworski, Professor für innere Medicin an der 
Universität Krakau. 

In Nr. 1 (1901) der „ Wiener Med. Wochenschrift“ habe ich 
eine Arbeit unter dem Titel „Mineralwässer und Heilwässer“ 
veröffentlicht. In derselben habe ich hervorgehoben, daß in der 
ärztlichen Praxis künstliche wässerige Salzlösungen von ratio¬ 
neller Zusammensetzung, die sogenannten Heil wässer % vor 
den Mineralwässern den Vorzug verdienen. Ich habe mich 
darin auch geäußert, daß die Heilwirkung der Mineralwässer 
als therapeutischer Agentien überschätzt worden ist. Die 
ärztliche Erfahrung lehrt nämlich Folgendes: Erfolge einer 
Trinkcur kann man nur beim Aufenthalt der Kranken am 
Curorte selbst beobachten; das Mineralwasser zu Hause ge¬ 
trunken ist meist unwirksam; wo dasselbe zu wirken scheint, 
ist der Erfolg auf die Rechnung der diätetisch-hygienischen 
Maßregeln, sowie der Arzneien, welche der Arzt gleichzeitig 
verordnet, zu setzen. Ebenso sind die Curerfolge in den Bädern 
vorwiegend anderen, gleichzeitig ein wirkenden Heilfactoren, 
zum geringeren Theile dem Mineralwasser allein zuzuschreiben. 
Jedem Laien ist doch der Erfahrungssatz geläufig: Mineral¬ 
wasser zu Hause getrunken , hilft nichts , man muß es am 
Brunnen trinken. 

In meinem Aufsatze heißt es auch, daß die Mineral¬ 
wässer zufällig in der Natur auftretende Rohproducte sind, 
deren Zusammensetzung gewöhnlich eine irrationelle ist. Die¬ 
selben enthalten neben wirksamen Bestandtheilen ganz irre¬ 
levante oder gar unerwünschte Substanzen. 

Will man nötkigenfalls die Wirksamkeit des Mineral¬ 
wassers steigern , so läßt sich dies nicht durch eine größere 
Concentration, sondern durch Vergrößerung der Quantität 
des eingenommenen Mineralwassers erzielen, wie es in der 
That bei den im Mittelalter mit kolossalen Becherzahlen ge¬ 
übten Brunnen euren' 2 ) der Fall war, die gegenwärtig wegen 
dabei auftretenden gefährlichen Symptome mit Recht aufge¬ 
geben wurden. 

Meine Ansichten sind an großen Widerspruch, der Herren 
Collegen, welche in den Bädern thätig sind, gestoßen, worüber 
ich umsomehr erstaunt bin, als ich die in den Bädern beob¬ 
achteten Curerfolge nicht geleugnet habe, und die Hausbehand¬ 
lung mit Mineralwässern die Badeärzte nicht tangirt. Von 
anderer Seite bin ich wieder ins Lager der Herren Mineral- 
wasserfabrikanten hineingezogen worden, obgleich in meinem 
Aufsatze zu Gunsten der künstlichen Mineralwässer kein 
Wort steht. Wenn ich den therapeutischen Werth der natür¬ 
lichen Mineralwässer nicht groß anschlage, so muß ich umso¬ 
mehr die sclavische Nachahmung der Rohproducte von irra¬ 
tioneller Zusammensetzung mißbilligen. Es geht aber daraus 
noch nicht hervor, daß ich selbst die Mineralwässer aus meiner 
Praxis ganz verbannen wollte; man muß ja auch der Mode Rech¬ 
nung tragen. Gläubigen Patienten, die der Suggestion be¬ 
dürfen, verordne ich ein Mineralwasser, und zwar den besser 
Situirten das natürliche, den Armen das künstliche; denn 
wenn man ein wenig wirksames Mittel verschreiben muß, so 


*) Es werden an vielen Orten verschiedene Heilwässer (Aqaae medici- 
nales effervescentes) zubereitet. Hier am Ort werden nachfolgende Heilwässer, 
welche vom hiesigen ärztlichen Verein empfohlen worden sind, verordnet: 
Aq. alcalina effervescens fortior et mitior; Aq. Magnesiae efferv. fortior et 
mitior; Aq. calcinata efferv. fortior et mitior; moussirendes Lithionwasser; 
moussirendes Jod wasser; zwei moussirende Brom wässer; zwei pyrophosphorsaure 
Eisenwässer; Aq. acidula fortior et mitior; Aq. hygienica effervescens. (Siehe 
„Therap. Monatsschr.“, 1897, Heft 9; 1898, Heft 2; 1901, Heft 1.) Die Heil¬ 
wässer hat ein College „Phantasiewässer“ benannt, dann haben wir es aber in 
unserer ärztlichen Praxis nur mit Phantasiearzneien zu thun, da dieselben 
auch nach dem Recept des Arztes bereitet werden. 

2 ) Meinen Kritikern gegenüber betone ich hier die Thatsache, daß in 
Stahlbädern den Chlorotischen mit Hyperästhesie des Magens, welcher jeden 
Schluck gewöhnlichen kalten Wassers mit Cardialgie beantwortet, ebenso wie 
in Jodbädern scrophulösen anämischen Kindern, ' welche an Magendarm¬ 
beschwerden leiden, die Brunnen nur eßlöffelweise gereicht werden müssen, 
Es wird somit eine homöopathische, wenn nicht eine Scheincur geübt. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 1. 


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soll es wenigstens kein theueres Mineralwasser sein, um nicht 
dem ohnehin schon bedauernswerthen Kranken das pecuniäre 
Elend noch mehr zu vergrößern. Bloß die vernünftigen Pa¬ 
tienten bekommen von mir ein passendes Heilwasser ver¬ 
schrieben , jedoch ohne eine Arznei, denn dieselbe ist schon 
im Wasser enthalten. 

Meine Ansichten über den Heilwerth der Mineralwässer 
sind durch die im Laufe des vorigen Jahres veröffentlichten 
Entgegnungen nicht erschüttert worden; im Gegentheil muß 
ich an denselben noch mehr festhalten , da ich zu deren Be¬ 
stärkung noch Folgendes nachzutragen habe. 

Die Mineralwässer sind in der That nur Rohproducte 
oder nach der Benennung der balneologischen Autoren „Natur- 
producte“ in derselben Weise wie das Meerwasser oder die 
Soolen, aus welchen erst das reine Product, das Kochsalz — 
wie die Chinarinden, aus welchen der wirksame Bestandteil, 
das Chinin — wie die Milch, aus welcher Rahm, Molken, 
Butter, Käse und Milchzucker gewonnen werden. Und es ist 
Niemand eingefallen, Einsprache zu erheben, wenn der Arzt 
die Milchproducte einzeln oder miteinander gemischt für die 
Cur vorschreibt und empfiehlt. Im Laufe der Jahrhunderte 
sind die vielen heilbringenden Wundersteine des Alterthums, 
die Bezoare, Krebsaugen und Krebsschalen und sogar die 
große Kräuterküche des Mittelalters mit ihren Säften und 
ähnlichen „Naturproducten“ der Erkenntniß der Naturwissen¬ 
schaft auf immer gewichen, indem daraus kostbare wirksame 
Substanzen hergestellt worden sind. Jeder gebildete Arzt 
freut sich über diesen Fortschritt und den Sieg der Wissen¬ 
schaft über die rohe Natur. Nur die Mineralwässer gelten als 
„ein ganz besonderer Saft“, in dem eine vis vitalis, Im- 
ponderabilia und andere unantastbare Wunderkräfte“ wirken 
sollen, welche von dem Fortschritt der Wissenschaft nicht 
berührt werden dürfen. 

Daß in vielen Krankheiten das Trinken des Mineral¬ 
wassers keine Rolle spielt, sondern ganz andere Heilfactoren 
des Curortes, beweist der Umstand, daß wir unsere anämi¬ 
schen, scrophulösen, dyspeptischen und dergleichen Patienten 
jetzt in Sommerfrischen, klimatische Curorte, Wasserheil¬ 
anstalten, an den Meeresstrand schicken, statt, wie es früher 
allgemein üblich war, in Stahl- und Jodbäder, oder nach 
Karlsbad. Obgleich diese Kranken keinen Schluck Mineral¬ 
wasser getrunken haben, kommen sie gebessert oder geheilt 
nach Hause, was ich einem mir widersprechenden Herrn 
Collegen, der in einem Badeorte beschäftigt ist, bestimmt ver¬ 
sichern kann. Die große Ausbreitung der klimatischen Curorte, 
der hydropathischen und specialistischen Anstalten ist ein Wink 
für die Bäder, daß die Mineralwassercuren immer mehr den 
Boden verlieren. Alle die vor Jahren gepriesenen Wirkungen 
der alkalischen Mineralbäder bei Lungenerkrankungen sind 
verstummt, ihre Verordnung fast obsolet geworden. Das ganze 
Heer der Lungenkranken hatte sich den klimatischen Cur- 
orten am See oder im Hochgebirge zugewendet und ist für 
die Bäder ganz verloren gegangen. Ein Arzt, welcher gegen¬ 
wärtig bei der Lungentuberculose statt der klimatischen Cur 
bloß ein Mineralwasser verordnet hätte, würde eines groben 
Kunstfehlers beschuldigt werden. Tempora mutantur. 

In einer anderen Reihe von Krankheiten übt zwar das 
Mineralwasser einen günstigen Einfluß auf den Krankheits¬ 
zustand aus, es müssen aber unumgänglich nothwendig andere 
hygienisch - diätetische Factoren gleichzeitig hinzugezogen 
werden. Kein Arzt in Karlsbad behandelt einen Magenkranken 
oder einen Diabetiker mit dem Mineralwasser allein, ohne ihm 
zugleich präcise diätetisch-hygienische Vorschriften zu geben. 
Ohne das Einhalten passender diätetischer Vorschriften würden 
in Karlsbad keine Erfolge erzielt werden können. 

Daß ein Theil der Curerfolge auf der Suggestion 
beruht, werden die Collegen Badeärzte nicht leugnen wollen. 
So mancher Patient, ins Bad gekommen, befindet sich 2 bis 
3 Wochen, d. h. so lange die übergroße Hoffnung auf den 
Erfolg dauert, ganz wohl; in der letzten Curwoche kommt 


er auf einmal zu seinem Arzte mit der Klage, daß das alte 
Uebel wieder zurückgekehrt sei. Was konnte denn mit einem- 
raale geschehen ? Der Kranke hat eben in dem Moment den 
Glauben an den Curort verloren. Der Badearzt schickt ihn 
nach Hause mit der Tröstung, daß die Wirkung des Wassers 
später eintreten werde. Sie tritt aber nicht ein. Die Haus¬ 
ärzte können auch manche Beispiele von Fällen anführen, wo 
die Kranken klagen: Im Bade war mir ganz wohl, aber 
schon auf der Heimreise ist mir wieder schlecht geworden. 
Der Kranke hat die Curzeit unter suggestiver Einwirkung 
der Badecur zugebracht, er fühlte sich subjectiv wohl, mit der 
Abreise aus dem Curort hat die Suggestion aufgehört zu 
wirken. So mancher Kranke ist im Jahresberichte des Bade¬ 
arztes als gebessert oder geheilt angeführt, während nach 
Haus zurückgekehrt derselbe Krankheitszustand sich ein¬ 
stellt. Die Verhältnisse des Hausarztes erlauben ihm, die Er¬ 
folge der Badecuren richtiger und objectiver zu beurtheilen, 
als es der Badearzt in der Lage ist. 

Es wurde von einem Collegen gegen mich geltend ge¬ 
macht, daß die vielen Nebenbestandtheile (Al-, Fl-, Si-, Sr- 
und ähnliche Verbindungen) im Mineralwasser, die ich als 
zufällige und unerwünschte bezeichnet habe, gerade die wirk¬ 
samen seien , indem dieselben zur Mineralisation der Säfte 
dienen. Dem gegenüber ist zu bemerken, daß dieselben Beätand- 
theile in jedem Trinkwasser vorhanden sind, und falls sie durch 
das ganze Jahr getrunken, ohne Erfolg auf den Krankheits¬ 
zustand geblieben sind, auch im Mineralwasser eingenommen, 
nichts Besseres leisten werden. Erweisen sie sich in einem 
speeiellen Falle nothwendig, so ist es leichter, dieselben mit 
Hilfe eines Heilwassers in nöthiger Quantität dem Organismus 
einzuverleiben, als es mit dem Mineralwasser von unveränder¬ 
licher Zusammensetzung der Fall ist. 

Sonderbarer Weise haben meine Kritiker die Behaup¬ 
tung aufgestellt, man dürfe die Hauptbestandtheile der Mineral¬ 
wässer nicht als die eben wirksamen Componenten betrachten, 
dieselben dienen nur zur Classification der Mineralwässer. 
Dem ist aber nicht so; die Hauptbestandtheile der Mineral¬ 
wässer sind die Richtschnur für die Praxis. Die Balneologie 
lehrt z. B., Diabetes und Gallensteine werden gut beeinflußt 
durch alkalische und Glaubersalzquellen. Demzufolge schicken 
wir in der That diese Krankheitsfälle nur in Bäder, wo diese 
Salze vorherrschen ohne Rücksicht auf die „recht wirksamen“ 
Nebenbestandtheile, also nach Karlsbad, Marienbad, Neuenahr, 
Vichy u. s. w., jedocb nicht nach Spaa, Pyrmont, Hall, 
St. Moritz u. s. w., und jedes von den zuerst genannten Bädern 
rühmt sich, recht gute Erfolge bei Diabetes und Gallensteinen 
erzielt zu haben, was jedoch dem Gehalte der Mineralwässer 
an Glaubersalz und Natron, welche darin vorherrschen, und 
nicht den Bestandtheilen, welche in jedem Trinkwasser zu 
finden sind, zu verdanken ist. 

Dem Herrn Collegen, welcher behauptet, daß die Mineral¬ 
wässer die Qualität des Magensaftes beeinflussen, halte ich 
entgegen, daß dasselbe auch künstliche wässerige Salzlösungen 
thun, wie ich mich schon vor vielen Jahren durch specielle 
Versuche überzeugt hatte. Nebenbei sei noch zu bemerken, 
daß sämmtliche balneologischen Lehrsätze dem Studium über 
den Einfluß der künstlichen Salzlösungen auf den Organismus 
entnommen und auf die Mineralwässer übertragen worden 
sind. Behauptet man aber umgekehrt, daß die Wirkung der 
Mineralwässer dem der correspondirenden künstlichen Salz¬ 
lösungen gleich sei, wird allsogleich Widerspruch erhoben. 

Ich komme endlich dazu, den Vorwurf zu beantworten, 
weswegen ich die chemisch-physikalischen Eigen¬ 
schaften der Mineralwässer, den osmotischen Druck, 
Dissociation in Ionen, elektrische Leitfähigkeit u. dergl. in 
meinem Aufsatze übergangen habe. Ich habe es absichtlich ge- 
than. Ich habe nämlich nie erwarten können , daß ein nur 
halbwegs mit der Sache Vertrauter jene Eigenschaften als 
specifisch für die Mineralwässer ansehen und daraus Capital 
schlagen könnte. Ich habe die Sache mit den Worten eines 

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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 1. 


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auf diesem Gebiete verdienten Forschers für abgethan be¬ 
trachtet: „Da nun die Mineralwässer gewiß nichts an¬ 
deres sind als Salzlösungen, ist es auch nicht richtig 
zu sagen: Dieses oder jenes Mineralwasser enthält so und 
so viel Na CI, denn auch im Mineralwasser ist Na CI 
in seine Ionen dissociirt.“ Auch habe ich in der mir bekannten 
einschlägigen Literatur keine Versuche noch Erfahrungen ge¬ 
funden, welche den Einfluß der Dissociationsverhältnisse der 
Salzlösung, geschweige denn der der Mineralwässer, noch we¬ 
niger die Unterschiede der beiden Lösungen auf den kranken 
Organismus oder mit Rücksicht auf die therapeutischen Er¬ 
folge zum Gegenstand eines Studiums gemacht hätten. Da 
die „alte Schulweisheit“ manchen balneologischen Autoren 
„neuen Stils“ nicht mehr zusagt, werde ich mich bemühen, 
zu zeigen, was sie von der neuen zu erhoffen haben. 

Ein Theil der balneologischen Schriftsteller der Neuzeit 
gibt sich der Hoffnung hin, daß die hypothetischen „Impon- 
derabilia“ der Mineralwässer aus dem angeblichen Unter¬ 
schiede sieh erklären lassen, welcher sich ergibt, wenn man 
Messungen der Gefrierpunktserniedrigungen und der elektri¬ 
schen Leitfähigkeit des Mineralwassers einerseits und der 
nach der chemischen Analyse hergestellten Salzlösung anderer¬ 
seits ausführt. Aus den gewonnenen Differenzen, deren Bedeu¬ 
tung ich noch beleuchten werde, will man auf die Ver¬ 
schiedenheit des osmotischen Druckes und der Dissociations¬ 
verhältnisse der Molecüle in Ionen in beiden Lösungen, somit 
auch auf die Unterschiede in der therapeutischen Wirkung, 
schließen. 

Einige A utoren gehen unglaublicher Weise so weit, daß 
sie den künstlichen Salzlösungen, z. B. dem nachgeahmten 
Mineralwasser, jede Dissociation in Ionen absprechen und die¬ 
selbe als eine specifiscbe Eigenschaft nur dem aus dem Brunnen 
geschöpften Wasser zuschreiben. Dem gegenüber muß ich be¬ 
merken , daß die Gesetze des osmotischen Druckes und der 
elektrischen Leitfähigkeit und die daraus theoretisch deducirte 
Dissociationslehre über die Spaltung der Molecüle in Ionen 
durch Untersuchungen an künstlichen Salzlösungen gewonnen 
wurden und erst gegenwärtig auf die Mineralwässer über¬ 
tragen werden, somit für beide Flüssigkeiten ihre Giltigkeit 
haben. Die mit Emphase den Aerzten „alten Stils“ vorge¬ 
haltene Dissociation der Molecüle in Ionen existirt ebenso gut 
in künstlichen Salzlösungen wie in Mineralwässern. 

(Schluß folgt.) 


Aus dem k. ti. k. Truppenspitale in Marburg. 

Buptur der Quadricepssehne, Pyarthros des 
linken Kniegelenkes nach Sturz. 

Von Dr. Karl Diwald, k. u. k. Regimentsarzt. 

Zerreißungen der Quadricepssehne oberhalb der Patella 
gehören durchaus nicht zu den Seltenheiten und finden wieder¬ 
holt in der Literatur Erwähnung. Demarquay hat eine Reihe 
von Fällen dieser Art gesammelt und Ruysch war der Erste, 
der diese Verletzung beschrieben hat. 

Was mich veranlaßt, den folgenden Fall zu publiciren, 
ist die Complication der Sehnenzerreißung mit Eröffnung des 
Kniegelenkes, gleichzeitiger lnfection desselben, schwerer Ge¬ 
lenkseiterung und das schließliche, überraschend günstige 
Endresultat. 

Der Dragoner L. 0. fuhr am 5. April 1. J. auf einem Leiter¬ 
wagen, aufrecht stehend , die Pferde gingen durch und der Mann 
wurde durch einen heftigen Ruck vom Wagen auf die Straße herab¬ 
geschleudert; ob er hiebei auf einen harten Gegenstand auffiel, 
weiß er nicht anzugeben, er verspürte nur einen heftigen Schmerz 
im linken Knie und konnte sich nicht mehr erheben. 

Bei der Aufnahme ins Spital am 6. April (am nächsten Tage) 
ließ sich folgender Befund constatiren: 


Mittelgroßes, kräftig gebautes Individuum. Körpertemperatur 
39‘4° C., Pulsfrequenz vermehrt, Gesicht geröthet, Athemfrequenz 
erhöht, im Harn Spuren von Albumen. Patient klagt über heftige 
Schmerzen im Knie und in der linken Leistenbeuge. Die Drüsen 
der Fovea ovalis links sind vergrößert, hart und schmerzhaft. Das 
linke Kniegelenk ist mächtig geschwollen, die Haut darüber in 
großer Ausdehnung blutunterlaufen, die Schwellung erstreckt sich 
bis ins untere Drittel des Oberschenkels, es besteht lebhafte Druck¬ 
empfindlichkeit im Bereiche der Schwellung und deutliche Fluc- 
tuation. 

Entsprechend dem äußeren, oberen Quadranten der Kniescheibe 
findet sich eine 1 1 j 2 Cm. lange, auf 1 Cm. klaffende, mit stumpfen, 
gequetschten Rändern versehene Continuitätstrennung, aus der sich 
auf Druck schwarzrothes, mißfärbiges, mit Eiterflocken gemengtes 
Blut entleert. 

Die an dieser Stelle eingeführte Sonde dringt ohne Wider¬ 
stand in das Gelenk. 

In Chloroformnarkose wird nun von der Verletzungsstelle aus 
das Gelenk breit eröffnet. Dasselbe ist mit Blutgerinnseln und 
flüssigem Blute (vermischt mit zahlreichen Eiterflocken) erfüllt. 
Der obere und äußere Rand der Kniescheibe ist zersplittert und 
die Sehne des Musculus quadriceps von der oberen Umrandung 
der Patella vollständig abgerissen, so daß die Kniescheibe nur am 
Ligamentum patellae proprium hängt und vom tastenden Finger 
total umgriffen werden kann. 

Die Gerinnsel werden sorgfältig ausgeräumt, die wenigen Kno¬ 
chensplitter des Kniescheibenrandes entfernt, an der Innenseite des 
Gelenkes zwei Gegenincisionen gemacht, zwei Gummidrains eingelegt 
und das Gelenk mit l 0 / 0 o’ger Sublimatlösung durchgespült; sodann 
Jodoformverband. Das Knie wird in Streckstellung mittelst Gyps- 
verband immobilisirt und der Verband gefenstert. 

Der weitere Verlauf gestaltete sich folgendermaßen. 

Bis zum 26. April dauerte die Fieberbewegung an mit abend¬ 
lichen Exacerbationen bis 39 - 8° C. und morgendlichen Remissionen. 
Die Eitersecretion war profus ; der Verband wurde durchschnittlich 
jeden dritten Tag gewechselt und hiebei das Gelenk mit l°/o 0 iger 
Sublimatlösung durchgespült. Langsam fiel die Temperatur, die 
Secretion verminderte sich, das Secret änderte sich insoferne, als 
cs immer klarer wurde, bis endlich Mitte Mai sich klare Synovia 
aus den Wunden entleerte. 

Am 27. Mai waren die Wunden geschlossen, Bewegungen 
im Gelenke nur in minimalen Excursionen möglich. 

Oberhalb der Patella, die gleichfalls stark fixirt war und 
keine seitliche oder sagittale Verschieblichkeit zeigte, fühlte man 
eine flache Grube mit hartem Grunde (Knochen). Die nun einge¬ 
leitete Behandlung bestand in ziemlich mühevoller, schmerzhafter, 
anfangs täglich zweimaliger, später einmaliger Massage des Ge¬ 
lenkes und der Oberschenkelmusculatur, sowie passiven Bewegungen, 
warmen Bädern; seit Mitte Mai ging Patient mit Krücken herum, 
die er später mit einem Stocke vertauschte. Vom 1. Juli bis 
15. August gebrauchte Patient die Schwefelthermen Badens. 

Am 15. August war das Gelenk activ und passiv vollkommen 
beweglich und konnte anstandslos gestreckt werden. Bei der Streckung 
war deutlich zu sehen, daß die seitlichen Partien des Quadriceps, 
nämlich Vastus internus und externus, daran betheiligt waren. Die 
Patella war beweglich, knapp oberhalb derselben bestand noch die 
flache Grube, und beim Strecken war keine Bewegung daselbst sicht- 
oder fühlbar. Patient ging ohne Hilfe des Stockes tadellos nnd 
klagte nur über rasches Ermüden im linken Bein beim Stiegen¬ 
steigen. 

Es wäre nun die Frage zu beantworten, wie im vor¬ 
liegenden Falle die Sehnenzerreißung entstanden sei, ob durch 
directe Gewaltwirkung oder indirect durch heftige Contraction 
des Muskels im Momente des Sturzes beim krampfhaften Ver¬ 
suche, sich aufrecht zu halten; ich möchte eher das letztere 
annehmen, trotzdem eine offene Gelenks wunde bestand, und 
zwar hauptsächlich deshalb, weil die vorhandene Verletzung 
zu klein war, als daß von ihr aus z. B. durch Eindringen 
eines stumpfen Körpers u. dergl. die Sehne quasi subcutan 


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1902. — AViener Medizinische Presse. — Nr. 1. 


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abgequetscht worden wäre, und namentlich aber weil der 
erstere Fall bei weitem der häufigere ist. 

Daß im gegebenen Falle die sonst übliche und rationellste 
Behandlung, nämlich die directe Naht der Sehnenenden, nicht 
eingeleitet wurde, ist bei der Complication (schon erfolgte In- 
fection des Gelenkes) wohl selbstverständlich und wäre wahr¬ 
scheinlich aussichtslos gewesen. Trotzdem muß das Endresultat 
ein überraschend günstiges genannt werden und es ist wohl 
nur der zwar mühevollen, aber dankbaren orthopädischen Nach¬ 
behandlung zuzuschreiben. 


Revue. 

Neueste Literatur über Tuberculose. 

Literatur: E. v. Behring, Festvortrag in der Akad. d. Wissensch. zu 
Stockholm, Dec. 1901. — M. Bubckhabdt, Untersuchungen über Blutdruck und 
Puls bei Tuberculösen („Deutsches Archiv f. klin. Med. u , Bd. 70, H. 3 und 4). 

— G. Cabbiebe, Recherches experimentales snr I'h6r6dit6 de la tuberculose 
(„Arch. de med. experimentale“, 1900, pag. 782). — Figari und Lattes, 
Bendiconto sommario di trattam. sieroterap. della tuberculosi pulmonari („Gazz. 
degli osped.“, 1901, Nr. 117). — B. Fraenkel, Bemerkungen zur Prophylaxe 
der Tuberculose und die Isolirung der Phthisiker („Berl. klin. Woch.“, 1901, 
Nr. 38). — F. Friedmann, Experim. Studien über die Erblichkeit der Tubnr- 
culose („Zeitscbr. f. kin. Med.“, Bd. 43, S. 11). — Halb, A single experience 
with „v. Ruck’s Tuberculinum purificatum“ („Alb. med. Annals“, 1901, Nr. 8). 

— Jemma, Contribution ä l'fetude de l’action toxique du lait des animaux 
tuberculeux („Revue mens, des malad, de l’enfance“, Bd. 18, pag. 540). — 

M. John, Ueber den art. Blutdruck der Phthisiker („Zeitschr. f. diät, und phys. 
Therap.“, Bd. 5, H. 4). — A. Meyer, Ueber das Fieber bei Lungentuberculose 
und seine Behandlung („Ther. Monatsh.“, 1901, Nr. 10). — MoLlleb, Zur Ver¬ 
breitungsweise der Tuberkelpilze („Zeitschr. f. Hyg. u. Infct.“, Bd. 32, pag. 205). 

— O. Nägeli, Ueber Häufigkeit, Localis, u. Ausheilung d. Tuberculose („Vir- 
chow's Arch.“, Bd. 159, H. 2). — Stern, Die Vierwochencuren der Lungen¬ 
kranken („Ther. Monatsh.“, 1901, Nr. 10). — G. F. Still, Tuberculosis in 
Childhood („Practitioner“, July 1901). 

Seit dem Tuberculosecongresse des Jahres 1901, der vom 22. 
bis 26. Juli in London tagte, und durch die von Robert Koch 
aufgestellten Behauptungen, betreffend die Nichtidentität des mensch¬ 
lichen Tuberkelbacillus mit demjenigen des Rindes, eine ganz un¬ 
gewöhnliche Bedeutung erhielt, sind in reicher Zahl Arbeiten er¬ 
schienen, welche beweisen, daß den Aerzten aller Welt unablässig 
das Bestreben innewohnt, der Erkcnntniß des Infectionserregers 
der Tuberculose auch deren energische und wirksame Bekämpfung 
anzureihen. 

Es sei uns gestattet, an einem zeitlichen Wendepunkte einige 
dieser Publicationen an dieser Stelle zu berücksichtigen und in 
kurzem Auszuge wiederzugeben. 

Ueber Häufigkeit, Localisation und Ausheilung der 
Tuberculose nach 500 ßectionen des Züricher pathologischen 
Institutes berichtete 0. Nägeli. An seinem peinlichst genau ma¬ 
kroskopisch und mikroskopisch durchgearbeiteten Materiale fand 

N. die überraschend hohe Zahl von 97% Tuberculose beim 
Menschen über 18 Jahren. Mau kann also fast sagen: „Jeder Erwach¬ 
sene ist tuberculös.“ Da nun bloß %—% der Tuberculösen that6äch- 
lich an Tuberculose zugrunde gehen, muß diese Krankheit als eminent 
heilbar bezeichnet werden. Es kommt daher alles darauf an, die 
Abwehrkräfte des Organismus zu heben. — Die Tuberculose des 
Kindesalters ist meist tödtlich ; vor dem 1. Lebensjahre ist sie 
sehr selten. Zwischen dem 18. und 30. Lebensjahre ergibt fast 
jede Section tuberculöse Veränderungen. In dem Maße, als mit 
zunehmendem Alter die Zahl der activen und letalen Tuberculösen 
sich verringert, steigt die Menge der unschuldigen, ausgeheilten 
Veränderungen. — Weitaus die meisten Tuberculösen sind aerogencn 
Ursprungs. 

Nach G. F. Stjk ist die Tuberculose im Kindesalter 
unter günstigen Verhältnissen heilbar. 

Bei experimentellen Untersuchungen über die Heredität 
der Tuberculose fand CarriEbe, daß Extracte aus Tuberkel- 
bacillenculturen die Gravidität in dem Sinne beeinflussen, daß die 
Fruchtbarkeit sich verringert und die Föten constitutioneile Schwäche 
aufweisen. 

Auch F. Friedmann bat experimentelle Studien über die Erb- 
ichkeit der Tuberculose angestellt. Nach dem Coitus 

1 


wurden Kaninchen sofort dünne Aufschwemmungen von Tuberkel- 
bacillen mit einer dem Penis der Böcke nachgebildeten Spritze in 
die Vagina injicirt und die schwangeren Thiere spätestens am 8., 
meist am 6. Tage, getödtet. Den Uterus, welcher die jungen Frucht¬ 
blasen enthält, zerlegte F. in eine lückenlose Schnittserie, die er 
nach Ehrlich auf Tuberkelbacillen färbte. Das Resultat war, daß 
er in sämmtlichen bisher untersuchten Embryonen von diesem 
Stadium zweifellose Tuberkelbacillen vorfaud. Daß dieselben bei 
weiterer Entwicklung eine Tuberculose der Embryonen hervorge¬ 
bracht haben würden, erscheint F. nicht zweifelhaft, doch hat er 
bisher noch keine Versuche nach dieser Richtung hin angestellt. 

M. John fand bei Phthisikern niedrigen arteriellen 
Blutdruck; er führt denselben auf die Toxinwirkung der Tu¬ 
berkelbacillen zurück, deren exquisit vasodilatatorischer Einfluß be¬ 
wiesen ist. — Die Untersuchungen Bürckhardt’s bestätigen die 
Angaben John’s. 

Einen Beitrag zum Studium der toxischen W irkung der 
Milch tuberculöser Thiere lieferte Jemma. Er nährte junge 
Kaninchen mit sterilisirter Kuhmilch, in die er Tuberkelbacillen, 
die 15 Minuten lang einer Temperatur von 100° ausgesetzt waren, 
brachte. Im Vergleich zu Controlthieren, die mit sterilisirter Kuh¬ 
milch ohne Bacillen oder durch das Mutterthier ernährt wurden, 
nahmen die Versuchsthiere sehr wenig an Körpergewicht zu und 
gingen nach mehr oder weniger langer Zeit in kaehektischem Zu¬ 
stand zugrunde. 

Aus seinen Versuchen zieht J. den Schluß, daß der Gebrauch 
von Milch, die abgetödtete Bacillen enthält, selbst wenn sie bei 
100° sterilisirt ist, für die Kinder gefährlich ist, zumal wenn sic 
längere Zeit mit der Milch derselben tuberculösen Kuh ernährt 
werden. Jedenfalls genüge Kochen oder Sterilisiren der Milch nicht, 
um die Gefahren zu verhüten. Eine Bestätigung dieser Angaben 
bleibt wohl noch abzuwarten. 

Der Erörterung des Werthes der Serum reaction bei 
Tuberculose ist eine ganze Reihe von Publicationen gewidmet. 
Wir beschränken uns auf die Erwähnung dieser Thatsache und 
fügen bloß hinzu, daß die Ausführungen der Autoren für die Serum¬ 
diagnose nicht günstig lauten. 

Die sechsjährigen Erfahrungen Krause’s bei der Behandlung 
der Tuberculose nach Robert Koch lauten hingegen überaus 
günstig. Kr. hält das Tuberculin für das langgesuchte, speeifische 
Mittel, welches in typischer Weise die Umwandlung des die tuber¬ 
culösen Herde umgebenden Granulationsgewebes in festes Binde¬ 
gewebe und damit das Absterbeu der Tuberkelbacillen herbeiführt. 

Einen Fall von angeblicher He i 1 u n g schmerzhafter tub e r- 
culöser Ulcerationen am Naseneingang und Zäpfchen mit 
Ruck’s „Tuberculinum purificatum“ erörtert Hale. 

Ihre Erfolge mit Maragliano’s Tuberculose-Heilserum 
publiciren Figari und Lattes. Es handelt sich im Ganzen um 
171 Fälle, u. zw. um 41 Fälle, welche vom 1. Januar bis 30. Juni 
1900 behandelt wurden, und um 130 Fälle, welche vom 30. Juli 
bis zum 1. Juni 1901 in Behandlung waren. Fälle allerleichtesten 
Grades waren nicht darunter. Von 171 Fällen waren 44 bis jetzt 
als vollständig geheilt anzusehen, 76 gebessert, 39 blieben stationär, 
12 scheinen verschlimmert, gestorben ist keiner. — Wir wünschten 
wohl nichts sehnlicher, als daß die Angaben der beiden Autoren 
auch anderwärts Bestätigung fänden. 

Ueber die Behandlung des Fiebers bei Lungen¬ 
tuberculose schreibt A. Mayer u. a.: Ein fiebernder Phthisiker 
gehört ins Bett; eine Liegecur im Freien ist für ihn nicht ange¬ 
zeigt. Für frische Luft ist Sorge zu tragen, doch ist das unter¬ 
schiedslose Offenhalten der Fenster, zumal des Nachts, nicht au¬ 
gezeigt. Eine flüssige, reizlose Diät ist von entschiedenem Werthe; 
Fiebermittel sind zu vermeiden. PRiESSNiTZ’sche Umschläge er¬ 
scheinen empfehlenswerth. Eingreifende hydriatische Proceduren 
sollen unterlassen werden. 

In seinen Bemerkungen zur Prophylaxe der Tubercu¬ 
lose gibt B. Fraenkel der Ueberzeugung Ausdruck, daß unser 
Verhalten den Nahrungsmitteln gegenüber sich nicht verändern 
würde, auch wenn Koch’s Vermuthung von der Verschiedenheit der 
Perlsucht und der menschlichen Tuberculose sich bestätigte. Die 

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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 1. 


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Milch muß trotzdem auch in Zukunft gekocht, das rohe Fleisch 
perlsüchtiger Thiere vom Genuß ausgeschaltet werden. Die wichtigste 
Maßregel beibt die Isolirung des die Infection bedingenden Phthisi¬ 
kers. F. schlägt hiezu die Errichtung von Asylen mit freiwilligem 
Eintritte vor. Würden in Deutschland jährlich 4000 Tuberculöse 
geheilt, so wären in 5 Jahren 40.000 Phthisiker weniger vorhanden, 
wenn man annimmt, daß jeder Phthisiker bloß einen Gesunden 
inticirt. 

Die sogenannten Vierwochencuren der Lungen¬ 
kranken erörtert Stern. Dieselben sind zweifellos von Werth, 
wo aus äußeren Gründen eine längere Behandlung ausgeschlossen 
erscheint. Die Phthisiker lernen in den Heilanstalten ein hygienisch¬ 
diätetisches Regime, der StofFwechsel erfährt eine mächtige An¬ 
regung. Für solche Curen eignen sich Kranke mit phthisischem 
Habitus und schlechte Esser; frische entzündliche Processe eignen 
sich nicht. 

Die Verbreitungsweise der Tuberkelpilze hat in 
praktisch überaus wichtiger Weise Moeller studirt. Er bestätigt 
die Angaben Flügge’« über „Tröpfcheninfection“ und lehrt uns von 
Neuem den Werth der „S pu c k d i scip 1 in“ des Phthisikers. Eine 
häufige Quelle der Infection mit Tuberkelbacillen sind nach M. die 
Fliegen. 

Zuletzt hat noch Behring in dem Vortrage, den er gemäß 
den Bestimmungen der Nobel- Stiftung in der Akademie der Wissen¬ 
schaften zu Stockholm hielt, sehr bemerkenswerthe Mittheilungen 
über seine Untersuchungen zur Immunisirung gegen Tu ber¬ 
eu 1 o s c gemacht. Es sei ihm gelungen — sagte B. —, Rinder 
durch Einspritzung abgeschwächter, von Menschen stammender 
Tuberkelbacillenstämme nach denselben Principien zu immunisiren, 
die Pasteur für die Milzbrandimmunisirung von Schafen aufgestellt 
hat. Die nächste Aufgabe sei es nun , durch besondere Versuche 
zu erforschen, in welcher kürzesten Zeit, mit welchem Mindestmaß 
von Schädigung für das zu iramunisirende Thier und mit welchem 
Mindestmaß von finanziellen Opfern man den Tuberculoseschutz 
von Rindern in der Praxis erreichen könne. — Die Bekämpfung 
der Rindertuberculose ist nur ein Schritt auf dem Wege, der 
schließlich zur vollkommenen Verstopfung einer der Quellen der 
Menschentuberculose führen wird. Möge der betretene Weg der 
richtige sein und zum Siege führen über den Erbfeind der Mensch¬ 
heit, den Iufectionserreger der Tuberculöse. a. 


Referate. 

Aus der chirurgischen Klinik (Geheimrath Riedel) 

zu Jena . 

B. Grohe: Unsere Nierentumoren in therapeutischer, 
klinischer und pathologisch-anatomischer Be¬ 
leuchtung. 

Der hohe Rang, den die Nierenchirurgie gegenwärtig behauptet, 
auf der einen Seite , andererseits die Strittigkeit mancher Einzel¬ 
heiten dieses Gebiets erheischen Sammlung und Sichtung der er¬ 
worbenen Lehren. Darum unternimmt es Grohü („Deutsche Ztschr. 
f. Chirurgie“, Bd. 60, H. 1/2), die in Jena gewonnenen Erfahrungen 
über Nierentumoren zusammenzustellen. Die Art des Eingriffes ist 
die Nephrektomie; der Weg kann lumbal oder transperitoneal sein 
— Riedel hat unter seinen 15 Fällen, die eine Operationsmorta¬ 
lität von 40% hatten, 13mal transperitoneal operirt. Unter 6 un- 
verschieblichen Tumoren mußte zweimal der gewählte lumbale Weg 
verlassen werden, um transperitoneal weiter zu gehen; der letztere 
ist bei diesen der allein gangbare. Trotz % Mortalität soll man auch 
diese unverschieblichen Geschwülste als ultima ratio mit dem Messer 
angreifen. Die sämmtlicb transperitoneal operirten 7 Fälle von ver¬ 
schieblichen Tumoren hatten nur einen postoperativen Exitus letalis, 
womit genügend die angebliche Schwere des Eingriffes widerlegt 
ist. Der abdominelle Weg läßt das Operationsfeld viel ausgedehnter 
überblicken und orientirt leicht über die zweite Niere, die ja intact 
und functionstüchtig sein muß, wenn überhaupt operirt werden 
darf. Sowohl Riedel, als fremde Erfahrungen beweisen, wie noth- 


wendig klare Uebersicht gerade bei diesen Operationen ist (acces- 
sorische Gefäßstränge, Vena cava u. a. m.). 

Pathologisch-anatomisch waren die eigentlichen 
Nierentumoren zumeist Strumae suprarenales aberratae, seltener 
Cystadenom oder Carcinom, Carcinome und Adenocarcinome waren die 
Geschwülste des Nierenbeckens. Klinisch sind bei den Strumen 
die Symptome im Verhältniß zur Größe und Ausbreitung der Ge¬ 
schwülste außerordentlich geringe; selbst nach zweijährigem Bestehen 
von Schmerzen und Hämaturie kann die Palpation erst in der 
Narkose Klarheit schaffen. Hämaturie und Schmerz können ihr erstes 
Auftreten zeitlich weit auseinander gehabt haben ; zuweilen kann die 
Blutung das erste Zeichen sein. Es können sicher Nierengeschwülste 
lange ohne jedes Symptom bestehen; in einem Falle suchte eine 
Frau die Jenenser Klinik auf, um eine angeblich traumatisch ent¬ 
standene Kopfgeschwulst operiren zu lassen — sie erwies sich als 
Metastase einer Struma suprarenalis, von der die Frau nichts 
wußte! Ob bei solchem langsamen und symptomlosen Verlauf 
maligne Degenerirung anfangs gutartiger Wucherungen vorliegt 
und ob da prädisponirende Umstände, z. B. Wanderniere, die De¬ 
generation beeinflussen, läßt Grohe unentschieden. Auch bei den 
übrigen Tumoren wurde Auftreten von Schmerz seit so kurzer 
Zeit angegeben , daß sie mit dem Umfang des Tumors nicht im 
Einklang stand. Den Nierenbeckentumoren kann Hämaturie ganz 
fehlen. Nur bei echten Carcinomen besteht subjective Angabe über 
Kachexie. Therapeutisch ist weniger die Methode von Belang 
als frühzeitige Diagnosenstellung, und da zu dieser eine nur durch 
vielfältige Uebung erlangte Nierenpalpation führen kann, soll der 
praktische Arzt jeden Fall von unklarer Hämaturie einem ge¬ 
schulten Chirurgen zuweisen. R. L. 

M. Oppenheim und G. Löwenbach (Wien): Untersuchungen 
bei constitutioneller Syphilis unter dem Einflüsse 
der Quecksilbertherapie mit besohderer Berück¬ 
sichtigung des Eisengehaltes. 

Die Untersuchungen sind mit dem vereinfachten klinischen 
Ferrometer nach A. Jolles ausgeführt worden („Deutsches Arch. 
f. kl. Med.“, 1901, Bd. 71, H. 4. u. 5). Die Autoren fanden: 

Hämoglobin und Eisen sind bei constitutioneller Syphilis vor 
Eintritt der Behandlung vermindert; die Eisenwerthe entsprechen 
in ihrer Verminderung den Hämoglobinwerthen. Eine gesetzmäßige 
Beeinflussung des Hämoglobin- und des Eisengehaltes durch Queck¬ 
silbereinwirkung besteht bei constitutioneller Syphilis nicht. Kommen 
Schwankungen vor, so bewegen sich dieselben innerhalb mäßiger 
Grenzen. Das gegenseitige quantitative Verhältniß des Eisens zum 
Hämoglobin wird weder durch die constitutioneile Syphilis allein, 
noch durch die Quecksilberbehandlung alterirt. Die Zahl der rothen 
Blutkörperchen ist bei constitutioneller Syphilis vor und während 
der Quecksilberbehandlung normal und schwankt nur innerhalb 
physiologischer Grenzen. Die Zahl der weißen Blutkörperchen ist 
weder infolge constitutioneller Syphilis als solcher, noch infolge 
Quecksilbereinwirkung vermehrt; sie bietet zwar Schwankungen 
dar, dieselben sind jedoch geringgradig. Im Serum konnte weder 
bei constitutioneller Syphilis allein, noch bei Quecksilbereinwirkung 
Eisen nachgewiesen werden. Die Resultate der Untersuchungen 
wurden durch die Art der Einverleibung des Quecksilbers (Inunc- 
tion, intramusculäre und intravenöse Injection) nicht beeinflußt. 

N. 


Richard Link (Freiburg i. b.) : Unter Buchungen über die 
Entleerung des Magens bei verschiedenen Lagen 
des Körpers. 

L. hat seine Untersuchungen nach Darreichung von Probefrüh¬ 
stück ausgeführt. Die Ausspülungen wurden in liegender Stellung vor¬ 
genommen („Deutsches Arch. f. kl. Med.“, 1901, Bd. 71, H. 2 u. 3.). 
Nur Patienten mit sicher nicht erweitertem Magen wurden im Sitzen 
ausgespült. Es begegnet nämlich bei Magendilatationen, daß Kranke, 
die im Sitzen anscheinend genügend ausgespült werden, im Liegen 
noch unerwartete Mengen von Schleim und Speiseresten zutage 
treten lassen. Verf. fand: 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 1. 


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D ie Entleerung des Magens findet in der That bei rechter 
Seitenlage schneller statt als bei linker, worauf vielleicht zum Theil 
die Bevorzugung dieser Lage im Schlaf seitens vieler nervöser In¬ 
dividuen beruhen mag. Bei genaueren Untersuchungen der Magen- 
motilität ist die Berücksichtigung der Lage und Stellung des Pa¬ 
tienten wohl mehr als bisher wünsehenswerth. Eine geringe Diffe¬ 
renz der Rückstände bei rechter und linker Seitenlage bei relativ 
großen Resten kann vielleicht mit für die Diagnose einer Pylorus¬ 
stenose, sei sie organisch oder spastisch, verwerthet werden. Die 
therapeutische Verwendung der rechten Seitenlage ist durchaus 
rationell und einer größeren Verbreitung wertli. B. 

Kragerud (Tönsberg): Hämoglobinurie beim Rinde. 

Die Krankheit wird in Norwegen „rödsyge“ — rothe Krank¬ 
heit — genannt und ist von Alters her bekannt. Die anatomischen 
Veränderungen sind: Ein hyperämischer Milztumor, Spannung und 
Injection der Milzkapsel, die Pulpa schwarzroth bis schwarzgrau, 
etwas weich. Leber vergrößert, bräuulichgelb, mürbe, beginnende 
Nekrose in den Acini um die Vena centralis herum. Nieren ödc- 
matös , schlaff, blaß, zuweilen im Zustande hämorrhagischer Ent¬ 
zündung. In der Harnblase schwarzrother Harn. Auf dem Epicard 
und Endocard reichliche Ilämorrhagien. Blut graubraun, dann 
wässerig. Blutmenge erheblich vermindert. Rothe Blutzellen unregel¬ 
mäßig zusammengeschrumpft, in der Zahl vermindert. Im Innern 
der Erythrocyten befinden sich die charakteristischen Parasiten der 
„rothen Krankheit“, die Apioplasmen. 

Diese Parasiten sind sehr kleine runde oder ovale, stark 
lichtbrechende, glänzende Körperchen mit lebhafter amöboider Be¬ 
wegung. Sie werden theils frei im Blutwasser gefunden, theils sind 
sie in den rothen Blutkörperchen eingelagert. Im Blutkörperchen 
folgt sehr bald eine Zweitheilung des Parasiten, der eine birn- 
ähnliche Gestalt annimmt. Im Beginn der Krankheit sind nur 
wenige rothe Blutkörperchen inficirt. Die Zahl der zerstörten Blut¬ 
körperchen nimmt aber mit jedem Tage rasch zu. Außerhalb des 
Thierkörpers verlieren die Parasiten bald ihre Bewegungsfähigkeit. 
Bei der Untersuchung soeben dem Patienten entnommenen Blutes 
sieht man, wie das Apioplasma lebhaft das rothe Blutkörperchen 
zu sich bewegt, es anfaßt und in dasselbe hineingelangt; darnach 
schwillt das Blutkörperchen sofort auf. Die weißen Blutzellen 
werden von dem Parasiten nicht angegriffen. 

K. vermochte durch intravenöse Einverleibung parasitenhal¬ 
tigen Blutes die Krankheit experimentell zu erzeugen. Uebertra- 
gungsversuche per os blieben resultatlos. („Zeitschr. f. Thierraediein“, 
Bd. 5, H. 4.) 

Der Parasit und damit die Krankheit wird übertragen durch 
eine blutsaugende Zecke, und zwar den Ixodes hexagonus, der in 
Norwegen skoomand (Waldmann) genannt wird. Diese Zecken setzen 
sich an die dünnen Stellen der Haut ans Euter, an die Innenflächen 
der Schenkel, hinter die Schultern, an den unteren Hals. Man 
findet die Zecken auch auf den Blättern der Laubhölzer. 

Etwa 12 Tage nach Beginn des Werdeganges tritt Fieber 
ein und leichter Durchfall. Am nächsten Tag ist der Harn roth. 
Der Durchfall kann sich bis zum höchsten Grad steigern; das 
Fieber nimmt (manchmal bis 42'0 Grad C.) zu. Nach einigen 
Tagen Muskelzittern, Anämie, Icterus, Appetitlosigkeit, zuweilen 
rothe Milch, Schwäche, Tod nach 6—7 Tagen. Zuweilen Heilung 
nach 3 Tagen. Es gibt auch eine chronische Form, die monatelang 
anhalten kann. Die chronische Form kommt meist im Herbst und 
Winter vor. Kälber und junge Thiere überstehen das Leiden leichter 
als Kühe und Ochsen. Ueberstehen der Krankheit verleiht Immu¬ 
nität. K-. hat bis zu 90% Heilungen bei folgender Therapie. 
Reinigung des ganzen Thieres mit Bürsten und kaltem Salzwasser; 
dadurch werden alle Zecken getödtet. Injection von 100—150 Grm. 
l%ige wässerige Collargollösung, per os stündlich 1 Eßlöffel voll 
folgender Lösung: Acid. carbol. 10’0, Spirit, frument. lOO'O, 
m. c. aq. 500'0. Gegen die heftige Diarrhoe nöthigenfalls Eisen. 
In vorgeschrittenem Stadium (Anämie) physiol. Kochsalzlösung 
1—2 Liter endovenös. B. 


C. Parkon und M. Goldstein (Bukarest): Die spinalen mo¬ 
torischen Localisationen und die Theorie der 
Metaxnerien. 

Brissaud hat die Theorie aufgestellt, daß im Rückenmark 
besondere nervöse Centren für die verschiedenen Segmente des 
Körpers vorhanden seien, namentlich auch für die drei Abschnitte 
der Gliedmaßen, sowohl für die sensible, als auch für die moto¬ 
rische Innervation. Die Verff. („Neurol. Centr.“, 1901, Nr. 20 und 
21) suchen durch Experimente an Hunden zunächst zur Kenntniß 
der thatsächlichen Verhältnisse zu gelangen. Sie schildern zuerst 
genau die topographischen Verhältnisse der Ganglienzellengruppen 
im Vorderhorn in den verschiedenen Höhen, dann die Aenderungen, 
die namentlich durch Exarticulation in den verschiedenen Gelenken 
herbeigeführt werden. Sie kommen zu dem Ergebnisse, daß derzeit 
ein Gesetz noch nicht zu statuiren ist; am meisten stimme mit den 
Thatsachen die Ansicht überein, daß die motorischen spinalen 
Localisationen functioneller Natur seien. — Schließlich bemerken 
die Verff., daß sie, was die sensiblen spinalen Localisationen betrifft, 
keiner der bisher zum Ausdruck gelangten Ansichten beistimmen 
können. Infeld. 

Sprengel (Braunschweig): Zur Frühoperation bei acuter 
Appendicitis. 

Die Indicationsstellung für die Appendicitisoperation war in 
der letzten Zeit mehrfachen Wandlungen unterworfen , und es 
wurden Stimmen laut, welche riethen, in leichten Fällen mit der 
Operation sich nicht zu beeilen, da Heilungen ohne Operation 
häufig sind. Da nun die Erfahrung lehrt, daß wir bis nun kein 
Mittel zur Verfügung haben, welches uns die Diagnose ermöglichen 
würde, daß der Anfall auch im weiteren Verlaufe ein leichter 
bleiben werde, tritt Verf. für die möglichst frühzeitige Operation 
ein („Arch. f. klin. Chir.“, Bd. 64, II. 1), da die Operation, wenn 
sie sich als unnöthig herausstellen sollte, gar keinen Nachtheil 
bietet. Verf. sah die günstigsten Erfolge, wenn die Pat. innerhalb 
der ersten 48 Stunden nach Beginn des Anfalles operirt werden 
konnten. Was die Technik anbetrifft, so räth Verf., vom Absceß 
aus den Processus vermif. zu entfernen und das Lager des Wurm¬ 
fortsatzes nach Mikulicz zu tamponiren. Erdheim. 


Hofmeister (Tübingen): Eine neue Repositionsmethode 
der Schulterluxation. 

Verf. gibt eine neue Methode zum Einrenken von Schulter- 
luxationen an („Beitr. z. klin. Chir. u , Bd. 30, Nr. 2), deren Princip 
in der Anwendung der permanenten Gewichtsextension beruht. Das 
Verfahren, welches dem STiMSON’schen Verfahren nachgebildet ist, 
besteht in Folgendem: 1. Der Pat. wird möglichst bequem auf die 
gesunde Seite gelagert; die bequeme Lagerung trägt viel zur Ent¬ 
spannung der Musculatur bei. 2. Am luxirten Arm wird eine starke 
Leinwandschlinge angebracht, welche bis zur Deltoidesinsertion 
hinaufgeht und mit einer nassen Mullbinde so fest als möglich ange¬ 
wickelt wird. 3. Mittelst Drahthakeu und Zugschnur, welche über 
eine in genügender Höhe angebrachte Rolle geleitet wird, bringt 
man die Zugschlinge mit den extendirenden Gewichten in Verbin¬ 
dung. 4. Zunächst wird mit 5 Kgrm. belastet, dann in Pausen von 
1—5 Minuten von 5 zu 5 Kgrm. gestiegen und, wenn nicht schon 
vorher Reposition erfolgt ist, damit fortgefahren, bis 20 Kgrm. er¬ 
reicht sind. Nun wartet man ein wenig zu, bis Pat. unter der Ein¬ 
wirkung der permanenten Extension die Musculatur entspannt, wo¬ 
bei es oft nöthig erscheint, den Pat. sich ganz zu überlassen. Der 
Humeruskopf tritt dann ganz allmälig immer weiter nach außen, 
bis er im Niveau der Pfanne angelangt ist, und schnappt in die 
Pfanne von selbst ein oder kann durch einen leichten Druck hinein¬ 
befördert werden. 

In den meisten Fällen genügen bei einer Belastung von 20 Kgrm. 
5—15 Minuten zur Reposition; bei einer 14 Tage alten Luxation 
waren einal 45 Minuten nöthig. Unter den 7 Fällen, die Verf. 
mit dieser Methode behandelte, hat er keinen Mißerfolg gehabt : als 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 1. 


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Vortheile der Methode verzeichnet Verf. die Vermeidung der Nar 
kose, die Einfachheit der Technik und die vollständige Unschäd¬ 
lichkeit. Erdheim. 

Hermann Dünschmann (Wiesbaden): Einfluß des Salzgehal¬ 
tes der Trinkquellen auf die Blutbeschaffenheit. 

Das Mineralwasser, mit dem die Untersuchungen D.’s ausge¬ 
führt wurden, war der Homburger Elisabethbrunnen, ein Kochsalz - 
wasser. Die Arbeit („Zeitsehr. f. kl. Med.“, 1901, Bd. 44, H. 1 
und 2) wurde von der HüFELANü’schen Gesellschaft preisgekrönt. 
Bestimmt wurden: das specifische Gewicht, der osmotische Druck, 
der Wassergehalt, der N-Gehalt, die Blutasche. Versuchstiere 
waren Kaninchen. Einem Thiere wurde das Mineralwasser ins 
Peritoneum injicirt, die anderen erhielten es per os. Aus der 
D.’schen Arbeit folgt: Der Wassergehalt des Blutes nimmt bei Mi¬ 
neral wassercuren erheblich zu, die Gesaramtmenge der Trockensub¬ 
stanz nimmt ab, ebenso die Menge des im Blute gelösten Eiweißes, 
der stickstoffhaltigen Substanz. Die Gesaramtmenge der im Blute 
gelösten festen Bestandtheile nimmt relativ zu an stickstofffreien 
Substanzen. Die Dichte des Blutes nimmt durch Mineralwasser¬ 
zufuhr ab, der osmotische Druck nicht unerheblich zu. Das Serum 
zeigt die nämlichen Veränderungen wie das Blut: Es wird reicher 
an Wasser, dagegen nimmt die Gesammtmenge an Trockensubstanz 
und an stickstoffhaltiger Substanz ab. B. 

Hugo Lüthje (Greifswald): Beiträge zur Kenntniß des 
Eiweißstoffwechsels. 

Durch abundante Ernährung läßt sich, wenn dabei auch gleich¬ 
zeitig die Eiweißzufuhr erheblich festgesetzt wird, beim normalen 
Menschen eine sehr große und lang andauernde Stickstoffretention 
erzielen. Es erscheint dabei ausgeschlossen, daß der retinirte Stick¬ 
stoff insgesammt als Fleisch oder auch nur in Verbindung mit 
Wasser in dem Verhältniß, wie beide in den Geweben enthalten 
sind, zum Ansatz gekommen ist. („Zeitschr. f. kl. Med.“, 1901, 
Bd. 44, H. 1 und 2.) Das Milcheiweiß eignet sich nicht besser 
zum Ansatz als das Muskelfleisch. Der Eiweißumsatz im acuten, 
mit Fieber verbundenen Hunger und in darauf folgender Reconvale- 
scenz ist individuell schwankend. B. 

Hamel (Charlottenburg): Klinische Beobachtungen über 
zwei Fälle von Morbus Addisonii mit besonderer 
Berücksichtigung des Blutbefundes. 

Das Ergebniß der Ausführungen H.’s („Deutsches Archiv für 
kl. Med. u , Bd. 71, H. 2 u. 3) lautet: 

Anämie ist ein wesentliches und untrennbares Symptom des 
Morbus Addisonii. Die im Blute der Addisonkranken infolge der 
geschädigten Nebennierenfunctionen erwiesenermaßen sich anhäu¬ 
fenden Gifte vermögen das Blut morphologisch nicht zu schädigen, 
sind mithin nicht als eigentliche Blutgifte anzusprechen. In Fällen 
uncomplicirter Nebennieren-Tuberculose erweist sich der einzelne 
Blutstropfen für die Untersuchung von normalem Befunde; die 
trotzdem zweifellos vorhandene Anämie ist demgemäß ihrem Wesen 
nach als Oligämie zu deuten und dürfte als solche lediglich durch 
die in den käsigen Nebennierenherden ausgeschiedenen Giftstoffe 
der Tuberculose bedingt sein. 

In Fällen uncomplicirten Carcinoms der Nebennieren ist eine 
morphologische Schädigung des Blutes in geringerem oder höherem 
Grade zu erwarten. Bei Complicationen des Morbus Addisonii 
ändert sich selbstverständlich der Blutbefund in entsprechender 
Weise. Anämie bei morphologisch intactem Blut weist bei Morbus 
Addisonii auf Nebennierentuberculose, Anämie, bei morphologisch 
geschädigtem Blut auf Nebennierencarcinom oder Complicationen der 
Erkrankung hin. B. 

Prof. Biedert und E. Biedert (Hagenau i. e.): Milchgenuß 
und Tuberculosesterblichkeit. 

Die Verfasser haben in einer Untersuchungsreihe, die gewisser¬ 
maßen einem FütteruDgsexperiment mit roher Perlsuchtmilch am 
Menschen gleichzusetzen ist, die Frage der Tuberculose-Infection 


durch den Darm in Angriff genommen. („Berl. kl. Wochenschr.“, 
1901, Nr. 47.) Bei ihrem wiederholten Aufenthalt im bayerischen 
Allgäu, dessen Bevölkerung größtentheils von Viehzucht und Milch¬ 
wirtschaft lebt, sind sie nämlich auf Thatsachen gestoßen, die zur 
Lösung dieser Frage beitragen könnten. Es ist nach Allem die 
Perlsucht des Milchviehs in dieser Untersuchung ganz einflußlos 
und unschädlich für die Menschen erschienen. Der hohen Viehzahl 
stehen sogar die günstigsten Tubereuloseverhältnisse bei Menschen 
gegenüber, so daß die hohe Viehzahl trotz dem Rohmilchgenuß so¬ 
gar nützlich statt schädlich erscheint, was ganz begreiflich ist, wenn 
man in Betracht zieht, daß ausgedehnte Milchwirtschaft wahrschein¬ 
lich den Wohlstand und ausgedehnter Milchgenuß eine gute Er¬ 
nährung in den betreffenden Bezirken verallgemeinert. Die Infection 
durch den Darmcanal tritt bei Entstehung der Tuberculose gänzlich 
zurück. B. 


Ott (Oderberg i. Harz): Der zeitliche Verlauf der Glyko¬ 
genablagerung in der Kaninchenleber im Nor¬ 
malzustände und im Fieber. 

Aus den Zahlen des Verfassers („Deutsches Archiv für klin. 
Med. u , 1901, Bd. 71, H. 2 und 3) ist deutlich der Unterschied 
zwischen dem Verhalten der Glykogenanhäufung im normalen und 
im Fieberzustande zu ersehen; im letzteren erreicht die Curve 
etwas früher ihr Maximum, das aber ganz bedeutend hinter dem 
des Normalzustandes zurückbleibt, und fällt eher und rascher wieder 
ab. Die Resorption des Zuckers verhält sich im Fieber nicht anders 
als in der Norm. Hierin kann demnach die Ursache der Differenz 
nicht gesucht werden. Es bleibt also nur übrig, entweder einen 
schnelleren Verbrauch oder eine verminderte Bildung von Glykogen 
anzunehmen. Der Umstand, daß auch in dem Harn der Fieber- 
thiere niemals eine Ausscheidung von Traubenzucker stattfand, läßt 
mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf einen rascheren Verbrauch 
des Glykogens schließen, andernfalls hätte man bei der ungestörten 
Resorption doch eine Ueberladung des Blutes mit Zucker und in¬ 
folge dessen Zuckerausscheidung erwarten dürfen. Ein sicherer 
Schluß läßt sich aber aus den Versuchen nicht ableiten. Beim 
Menschen liegen die Verhältnisse anscheinend anders. Die häufige 
febrile alimentäre Glykosurie hat wahrscheinlich in darniederliegen¬ 
der Glykogenbildung ihren Grund. B. 

Ferdinand Hueppe (Prag): Ueber die modernen Coloni- 
sationsbestrebungen und die AnpaBBungamög- 
lichkeit der Europäer in den Tropen. 

Das deutsche Volk ist in seinen Colonialbestrebungen auf 
tropische Regionen verwiesen, da die gemäßigten und subtropischen 
Gegenden bereits von anderen Völkern besetzt sind („Berl. klin. 
Wschr.“, 1901, Nr. 4). Trotz der klimatischen Schwierigkeiten 
werden die Tropenländer wegen ihres Reichthums an Nährstoffen 
und Früchten für die Zukunft eine enorme Bedeutung haben. Von 
einer directen Verwerthung unseres Ueberschusses an Bevölkerung 
in dem Sinne, in dem England seinen Geburtenüberschuß in den 
Subtropen zum Nutzen des Mutterlandes verwendet, kann jedoch in 
tropischen Colonien nicht die Rede sein, denn hier wird die Ar¬ 
beitskraft des Europäers vorzeitig gebrochen und eine Fortpflan¬ 
zung ist nur durch Vermischung mit den Eingeborenen zu erzielen 
Eine völlige Anpassung der Europäer in den Tropen ist fast aus¬ 
geschlossen: 1. wegen der erschwerten Wärmeregulirung, unseres 
ganz anders eingestellten Körpers, 2. wegen des Alkoholgenusses, 
3. wegen einiger in den Tropen herrschenden Seuchen, von denen 
Malaria, Cholera, Gelbsucht und Ruhr besonders zu nennen sind. 
Diese die Anpassung erschwerenden Momente können herabgesetzt 
werden: Durch persönliche Hygiene können die ersten, durch Selbst¬ 
zucht kann der Alkoholismus, durch sanitäre Maßnahmen können 
die Seuchen eingeschränkt werden. Was die Tropenhygiene zu er¬ 
reichen vermag, beweist die Gesundheitsstatistik der holländischen 
Colonialtruppen, deren Sterblichkeit in den Jahren 1819 bis 1828 
172°/ 00 , 1897 nur 17-5°/ 00 betrug. Hieraus folgt, daß es möglich 
ist, die Leute in den Blütejahren selbst in den Tropen günstig 
zu stellen, und es empfiehlt sich, diese Erfahrungen anderer Völker 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 1. 


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beim Militär und bei der Civilbevölkerung zu benützen. Das Ziel 
aller Colonisationshestrebungen sei, die Hände der eingeborenen 
klimagewohnten Rasse durch die Köpfe der weißen Rasse in Thä- 
tigkeit zu setzen. Besseres wie diese alte, schon von Las Casas 
empfohlene Lehre weiß bisher noch Niemand anzugeben, und nur 
so kann es gelingen, die reichen Schätze der Colonien ohne nutz¬ 
lose Opfer dem Mutterlande nutzbar zu machen. G. 

Uhlenhuth und Westphal (Berlin): Histologische und bac- 
teriologische Untersuchungen über einen Fall 
von Lepra tuberoso-anaesthetica mit besonderer 
Berücksichtigung des Nervensystems. 

Verff. berichten in Kürze über die Ergebnisse ihrer Unter¬ 
suchungen („Centralblatt für Bacteriologie, Paraeitenkunde und 
Infectionskrankheiten“, Bd. 29, Nr. 6), bei welchen sie eine starke 
Durchwucherung fast sämmtlicher Gewebe mit Leprabacillen fanden, 
ohne daß der Grad der pathologisch-anatomischen Veränderungen 
immer diesem Befunde entsprochen hätte. Bemerkenswerth war eine 
ausgedehnte interstitielle Neuritis und Perineuritis sowie AfFection 
einer Anzahl von Spinalganglien bei Intactheit des Centralnerven¬ 
systems. „Bei der Bcurtheilung der Bedeutung des Befundes am 
Nervensystem für die Auffassung des gesammten Krankheitsbildes 
tritt die im ganzen geringfügige Alteration der Spinalganglien gegen 
die erhebliche Atfection der peripheren Nerven durchaus in den 
Hintergrund.“ Dr. S. 

Kleine Mittheilungen. 

— Leber Sauerstoflfinhalationen bei Kindern berichtet 
Hagenbach-Burckhardt („Jahrb. f. Kinderheilk.“, N. F. L1V, 4). 
Da Sauerstoff in bequemer Fassung (Stahlcylinder von 500 bis 
3000 Liter Inhalt) zu beziehen und aus Sauerstoffkesseln ohne 
weiteren Hilfsapparat zu entnehmen ist, kann ihn nun auch der 
Praktiker leicht verwenden. — Im Kinderspital in Basel wurde die 
Sauerstofftherapie angewandt bei diphtheritischer Kehlkopfstenose, 
bei katarrhalischen Pneumonien, bei Nephritis mit Lungenödem 
und bei Stenose wegen substernaler Struma. — Zur Verwendung 
kamen bis 150 Liter per 24 Stunden. Die auffälligste Wirkung 
war jedesmal die plötzliche Besserung der Cyanose, so daß sich 
bei den Croupkranken Tracheotomie oder Intubation — wenn sic 
nöthig wurden — mit mehr Ruhe bei dem von der größten Athcm- 
noth befreiten Kinde ausführen ließen. In einigen Fällen wirkte 
der Sauerstoff geradezu lebensrettend; in anderen Fällen trat 
wenigstens momentane Erleichterung der Patienten ein (so auch, 
wie im Anhang bemerkt wird, bei erwachsenen Herzkranken). 
„Eine ähnliche rasche Wirkung“, schreibt Hagenbach, „habe ich 
bei anderen Medicamenten, die in solchen Fällen mit Stenose und 
sonstiger Athmungsbehinderung angewandt werden, nicht beob¬ 
achtet; am meisten erinnert einen die plötzliche Aenderung in der 
Hautfarbe an die Erscheinungen bei asphvktischen Kindern nach 
gelungener künstlicher Respiration.“ 

— Die Massage nimmt in der Therapie der Prostatitis 
eine hervorragende Rolle ein, besonders bei Formen, die mit nach¬ 
weisbarer Schwellung des Organes einhergehen, wie Prostatorrhoe, 
Congestionen der Prostata u. s. w. Bezüglich der Technik der 
Massage empfiehlt A. Herz („Monatsh. f. prakt. Dermatol.“, Bd. 33, 
Nr. 7) anstatt der üblichen Condomfingerlinge Streifen von billigem 
gnttaperchaähnlichem Stoffe zum Schutze des Fingers gegen In- 
fection. Bei intraurethraler Therapie kommt der Umstand in Be¬ 
tracht, daß die Infection der Prostata zumeist von ihren Aus¬ 
führungsgängen ihren Ausgang nimmt und oft die Endkolben der 
Drüsenschläuche nicht mehr erreicht. H. benützt bei intraurethraler 
Behandlung einen Spülkatheter nach der von Kollmann ange¬ 
gebenen Coustruction, wobei er die kurze Spülfläche (8 Cm.) bei 
Beschränkung des Processes auf die hintere Harnröhre vorzieht. 
Als Spülflüssigkeit werden i / 2 —1% Ichthyollösungen verwendet, 
bei Anwesenheit von Gonokokken Argentum nitricum 0’25—0'5°/oo 
oder Ichthargan 0 - l—0*25°/ 00 . Unter dem Einflüsse dieser Therapie 
sieht man den hartnäckigen Harnröhrenausfluß schwinden; gewisse 


Störungen, wie Hyperästhesien der Pars posterior und Schmerzen 
bei der Ejaculation, zeigen entschiedene Besserung. Absoluter 
Schwund der Eiterzellen, der ein nothwendiges Postulat voll¬ 
ständiger Heilung ist, stellt sich auch unter dieser Behandlung 
nicht ein; indessen schwinden die Eiterzellen häufig nach längerer 
Zeit von selbst. Die Spüldilatationen können in Intervallen von 
6—10 Tagen ausgeführt werden und hinterlassen keinerlei Reiz¬ 
erscheinungen , ja die Pars posterior scheint gegenüber den 
Reizungen sich noch leichter abzustumpfen als die Pars anterior 
urethrae. 

— Therapeutische Details bei der Behandlung der Furünculosis 
discutirt Arning („Monatsh. f. prakt. Dermat.“, 1901, Nr. 7). Er 
eröffnet die Furunkel nicht durch den Schnitt, sondern möglichst 
frühzeitig mit einem hellroth glühenden, spitzen Platinbrenner, 
den er tief in das Centrum der Geschwulst einstößt. Der Schmerz 
ist ein fast nur momentaner, der eigentliche Furunkelschmerz aber 
hört sofort nach dem Einstich auf, ebenso gehen etwaiges Fieber, 
Lymphangitiden und Drüsenschwellungen rasch zurück. Aus dem 
schmerzhaften Furunkel ist eine einfache, nicht schmerzende loch¬ 
förmige Hautwunde geworden, die langsam mit kleiner eingezogener 
Narbe heilt. Ganz große Furunkel werden mehrtach punktirt. Bei 
allgemeiner Furunculose leisten, neben der angegebenen Behandlung, 
Bäder mit Creolin (20—25 Grm. auf ein Vollbad) gute Dienste, 
ebenso locale Bäder bei Furunkeln der Hand und der Genito- 
analgegend. Nach dem Bade erfolgt vorsichtiges Abtrocknen ohne 
Reiben, Betupfen der erkrankten Partien und ihrer Umgebung mit 
2°/oig em Salicylspiritus, Abtödtung etwaiger frischer Infections- 
herdchen mit einem kleinen Paquelinbrenner und Einreiben einer 
Zinkpaste mit je 1% Schwefel und Campher und 8% Borsäure. 

— Ueber die Behandlung der chronischen Cystitis (Cystite 
rebelle) mittelst Curetteraent der Harnblase berichtet Stockmann 
(„Monatsberichte für Urologie“, Berlin 1901, Bd. VI, H. 4). Die 
Indication für diesen Eingriff sieht St. in schweren chronischen 
und schmerzhaften Blasenkatarrhen, die allen übrigen bekannten 
therapeutischen Maßnahmen nicht weichen wollen, und bei denen 
cystoskopisch Wucherungen besonders am Trigonum und Orificium 
internum sichtbar sind, während die Nieren und das Nierenbecken 
nicht mit erkrankt sind. Der Eingriff kann bei der Frau durch 
die Harnröhre geschehen oder, wie beim Manne immer, durch 
den hohen Blasenschnitt. Mittelst einer gewöhnlichen Curctte wird 
die Blase ausgekratzt und dann ein Verweilkatheter eingelegt. Es 
empfiehlt sich nicht, die Blasenwunde gleich zu nähen, sondern 
mittelst Drainage offen zu halten, bis mit Hilfe von Blasenspülungen 
der Urin nur durch den Katheter klar abläuft. Erst dann soll 
man die Wunde zuheilen lassen. Verf. theilt 8 Krankengeschichten 
mit. Der Erfolg ist der, daß er 6 Heilungen und eine Besserung 
erzielt hat. Ein Fall blieb ungeheilt, doch war dieser kein reiner 
Blasenkatarrh, sondern complicirt durch eine doppelseitige Pyelitis. 

— Aus den Ausführungen Köhler’« über die medicamentöse 
Bekämpfung des Fiebers bei der Lungentuberculose („Münch, 
med. Wschr.“, 1901, Nr. 50) folgt, daß eine einseitige kritiklose 
Anwendung rein diätetisch-physikalischer Principien einer wissen¬ 
schaftlichen Auffassung unserer therapeutischen Thätigkeit bei einer 
Krankheit wie der Lungentuberculose nicht gerecht werden kann. 
Gewiß stehen wir heute auf dem Standpunkt, daß es specifische 
Mittel in der Behandlung dieser Krankheit nicht gibt. Trotz ver¬ 
einzelter gegenteiliger Ansicht, nach welcher das früher so beliebte 
Kreosot mit seinen Abkömmlingen oder ähnliche Mittel unzweifel¬ 
hafte Wirkungen haben sollen, müssen wir heute den Standpunkt 
einnehmen , daß zweifellos das physikalisch-diätetische Regime die 
Therapie der Lungenschwindsucht in erster Linie beherrscht; wir 
dürfen aber nicht vergessen, daß der medicamentöse Theil der 
Phthiseotherapie, und zwar besonders die medicamentöse Bekämpfung 
des Fiebers eine bei richtiger Anwendung segensreiche Unter¬ 
stützung bilden kann und muß. 

— Die Behandlung der Ohrgeräusche bespricht Cuvillier 
und Vassol („Arch. f. Ohrenheilk.“, 1901, Bd. 51). Brom- und 
Jodkalium in Verbindung sind bei Geräuschen bei der Mittelohr¬ 
sklerose zu verwenden. Bei den von Krankheiten des inneren 
Ohres verursachten Geräuschen gibt Chinin in kleinen Dosen gute 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 1. 


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Resultate. Bei reflectorischen Geräuschen muß die Ursache beseitigt 
werden. (Erkrankungen des Magens, des Uterus, Zahncaries, Anämie, 
Herzfehler etc.) Die Elektricität soll wegen der Nachbarschaft des 
Gehirns nur mit Vorsicht gebraucht werden. Die wichtigste Be¬ 
handlung ist die mechanische. Die Compression des Labyrinths durch 
Einwärtsprepsung der Steigbiigelplatte soll vermindert werden. Dazu 
dient der Katheterismus, das POLiTZER’sche Verfahren, die Massage 
des Trommelfelles und Luftverdünnung im äußeren Gehörgang. 

— Die Behandlung der Dysenterie erörtert Ljubomudrow 
(„St. Petersb. med. Wschr.“, 1901, Nr. 49). Im Laufe der letzten 
3 Jahre behandelte Verf. im Moskauer Militärhospital circa 200 Dysen¬ 
teriekranke. Die leichten und mittelschweren Fälle wurden durch 
die gewöhnliche Behandlung geheilt, in den schweren Krankheits¬ 
fällen wurden vom Verf. subcutane Injectionen einer sterilisirten, 
0*9%igen Kochsalzlösung angewandt. Die Injectionen wurden in 
die Subclaviculargegend oder in das Unterhautzellgewebe der 
Bauchwand mit dem Apparate von Prof. Djakonow gemacht, in 
den die Flüssigkeit mit einem Doppelballon, wie im RiCHARDSON’schen 
Zerstäuber, gepumpt wird. In einer Sitzung wurden gewöhnlich 
400—500 Ccm. lauwarmer Flüssigkeit injicirt. Die Schmerzen bei 
der Injection und nach derselben waren unbedeutend, Compli- 
catiunen wurden. nicht beobachtet. Einem und demselben Kranken 
wurde nur einmal injicirt oder die Injection nach einigen Tagen wieder¬ 
holt. Die injicirte Flüssigkeit wurde schon nach einigen Stunden 
resorbirt. In den vom . Verf. auf diese Weise behandelten 7 Fällen 
schwerer Dysenterie trat in 2 Fällen der Tod ein, weil die Injectionen 
zu spät gemacht wurden , als die Patienten schon in der Agonie 
waren. In den 5 übrigen Fällen waren die Injectionen von großem 
Nutzen, unterstützten die Kräfte der Patienten in der schwersten 
Krankheitsperiode und begünstigten das Genesen derselben. Für 
schwere Dysenteriefälle sind die subcutanen Kochsalzinjectionen 
die einzige, einigermaßen sichere Behandlungsmethode. 

— Als empfehienswerthe Mediation gegen Frostbeulen 
wird empfohlen („Centralbl. f. Therapie“, 1901, Nr. 12): 


Rp. Epicarini. 3 0 

Sapon. virid. fealin. 0'5 

Ungt. casein.30*0 

M. f. ungt. 

D. S. Frostsalbe. 

Rp. Camphor. 5 0 

Balsam, peruviani. 2'5 

Vaselini.ad 50'0 

M. f. ungt. 

D. S. Frostsalbe. 

Rp. Acid. carbol. 10 

Ungt. plumb., 

Lanolini.aa. 20*0 

01. amygdal.10 0 

01. lavandul. 10 

M. f. ungt. 

D. S. Frostsalbe. 

Rp. Acid. mur. dil. 3 0 

Extr. laud. 0'25 

Camphor. ras. l'O 

Terebinth. venet. 20 

Medull. ossium. 4 0 

Ungt. althaeae.ad 25 0 

M. f. ungt. 

D. S. Frostsalbe. 


— Die gleichzeitige therapeutische Anwendung von Queck¬ 
silber- und iodpräparaten discutirt Lesser („D. med. Wschr.“, 
1901, Nr. 48). Aus seinen Erörterungen geht hervor , daß die 
Furcht vor der Jodquecksilberbildung im Verlaufe der parallel 
nebeneinander hergehenden Quecksilberjodtherapie nur unter gewissen 
Umständen begründet ist. Inunctionen von Unguentum cinereum 
und intramusculäre Injectionen von Hydrargyrum salicylicum, 
Hydrargyrum thymoloaceticum und Oleum cinereum, sowie Injec¬ 
tionen löslicher Quecksilbersalze werden bei gleichzeitiger Jod¬ 
therapie niemals zu einer Schädigung durch Bildung von Jodqueck¬ 
silber führen, und es kann daher von diesen Combinationen der Jod- 
und Quecksilberbehandlung ein ausgiebiger Gebrauch bei der 
Behandlung der Lues gemacht werden. 


Literarische Anzeigen. 

Pathologie generale et experimentale. Les processus 

g6neraux. I. Par A. Chantemesse et M. Podwyssotsky. 

Paris 1901, C. Naud. 

In beredten Worten schildern die Verff. in der Vorrede ihres 
Buches die Entwickelung der allgemeinen und experimentellen Pa¬ 
thologie und ihre Bedeutung für den praktischen Arzt am Kran¬ 
kenbett. Sie zeigen an gut gewählten Beispielen, wie wichtig und 
unentbehrlich eine genaue Kenntniß dieser Disciplin für den Medi 
ciner ist und wie ein Verständniß der zahlreichen, wechselnden 
Krankheitsbilder nur durch die allgemeine Pathologie ermöglicht 
wird. Die bedeutende Entwickelung, welche die einzelnen Zweige 
der Medicin im Laufe der Jahre erreicht haben, hat auch die all¬ 
gemeine und experimentelle Pathologie so mächtig gefördert, daß 
dieselbe heute nicht nur als selbständige medicinische Disciplin 
auftreten kann, sondern sogar zum Grundpfeiler der Medicin ge¬ 
worden ist, auf den sich die specielle Pathologie, die bisweilen 
ausschließlich die „Medicin“ zu bilden scheint, stützt. Die Absicht 
der Verff. ist es nun, eine dem heutigen Stande des Wissens ge¬ 
recht werdende Darstellung der allgemeinen und experimentellen 
Pathologie zu liefern. Der erste Band dieses groß angelegten Werkes 
enthält eine Besprechung des Wesens, der Entwickelung und des 
Verlaufes der Krankheiten (unter besonderer Berücksichtigung des 
Zellebens) sowie der allgemeinen Krankheitsursachen, im besonderen 
der Vererbung. Hieran schließt sich eine überaus eingehende und 
gründliche Darstellung der verschiedenen Formen der Degeneration, 
der Nekrose und Gangrän. Den einzelnen Capiteln sind sehr um¬ 
fangreiche Literaturverzeichnisse beigegeben. Der zweite Band, 
dessen Erscheinen für die nächste Zeit in Aussicht gestellt wird, 
soll die Hypertrophien, Geschwülste, Regenerationen, Circulations- 
störungen, Entzündung und Fieber behandeln. Dr. S—. 


Die Entmündigung Geistesgestörter. Für Juristen und 
Sachverständige. Von Dr. Hermann Kornfeld, Stuttgart 1901, 
Ferdinand Enke. 

Das etwas sonderbare Büchlein, dessen bekannter Verf. eine 
Auffassung der Geistesstörung zu geben glaubt, die vielleicht etwas 
zur Versöhnung der materialistischen und spirituellen Lehre bei¬ 
trägt, enthält außer verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen, 
einigen Gutachten Professor Neumann’s und einem Nachtrag, in 
welchem das Blut als Motor auch der geistigen Functionen darge¬ 
stellt, das hohe Alter dieser Kenntniß durch Bibelauslegung dar- 
gethan und gegen die Vivisection Stellung genommen wird, einen 
Abschnitt über die Entmündigung im Allgemeinen. Hier wird für 
viele Fälle die besondere Eignung des Psychiaters zum Sachver¬ 
ständigen bezweifelt, gegen die Identität von Geisteskrankheit und 
Gehirnleiden, für partielle Geistesstörung plaidirt. Wenn man dem 
Verf. in einzelnen Sätzen Recht geben kann, so kann man ihm in 
anderen, deren Aufzählung hier jedoch zu weit führen würde, ganz 
gewiß nicht folgen. J. 


Compendium der Pharmako-Therapie. Von Dr. Otto 

Groß. Leipzig 1901, F. G. W. Vogel. 

Das kleine Buch ist ein Hilfs- und Nachschlagebuch für den 
Gebrauch in der Praxis, ein Compendium der therapeutischen Wir¬ 
kungen der einzelnen Medicamente. Da die Eintheilung nach der 
therapeutischen Wirkung der Medicamente getroffen wurde, ist eine 
ganz besondere Uebersichtlickkeit gewonnen und Bequemlichkeit 
im Nachschlagen gesichert worden. An der Spitze jedes einzelnen 
Capitels sind die nach ihren Indicationen geordneten Mittel und 
ihre Dosirung zusammengestellt. Daran schließt sich jedesmal ein 
Auszug über physiologische Wirkung, Indication und Anwendungsart. 

Gl. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 1. 


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Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Aus den Abteilungen 

der 

73. Versammlung Deutscher Naturforscher und 

Aerzte. 

Hamburg, 22.-28. September 1901. 

(Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) 

XIV. 

Abtheilung für innere Medicin. 

Lennhoff (Berlin): Die öffentlichen Vorträge der Centralcom¬ 
mission der Krankencassen in Berlin. 

Die hygienische Erziehung des Volkes ist eine der vor¬ 
nehmsten Aufgaben der Aerzte. Hygienische Maßregeln sind nur 
wirksam, wenn das Volk von ihrer Nothwendigkeit überzeugt ist. 
Zur Vermittlung der Erziehung sind die Krankencassen, als inter- 
essirt, von großer Bedeutung. Die Centralcommission der Kranken¬ 
cassen in Berlin hat dort in den letzten 2 Jahren hygienische 
Curse für Arbeiter eingerichtet. Alle Aerzte waren zur Theilnahme 
aufgefordert. Anfang 1900 wurden 7 Curse zu je 8, Anfang 1901 
10 zu je 8 Vorträgen abgehalten. Hiezu hatte die Stadt Volks¬ 
schulen hergegeben. Der letzte Cyklus, 80 Vorträge mit 14 ver¬ 
schiedenen Thematen, war von über 10.000 Personen besucht. 
Auch Beamte der Gewerbeaufsicht betheiligten sich als Vortragende. 

Alexander Katz (Hamburg): Der gegenwärtige Stand der 
Krebsfrage. 

Vortragender bespricht im Anfang seiner Rede die große 
Wichtigkeit der Frage nach der Ursache des Krebses. Nachdem 
er auf die bisher in Anwendung gekommenen Forschungswege zur 
Lösung der Krebsfrage hingewiesen hat, wendet er sich zur 
Erörterung der muthmaßlichen Ursachen der Krebskrankheit. Die¬ 
selben lassen sich in entogeue und ektogene eintheilen. Unter 
entogenen Ursachen der Krebskrankheit werden alle die verstanden, 
welche in spontanen Veränderungen und Anomalien des Körpers 
selbst beruhen, unter ektogenen solche Ursachen, welche durch 
Einwirkung von außen zur Krebsbildung Veranlassung geben. Die 
meisten Theorien sind entogener Natur. Es werden in kritischer 
Weise die bekanntesten Theorien von Cohnheim, Thiersch, Ribbert 
und Anderen besprochen und ihre Unzulänglichkeit dargelegt. Der 
vorgerückten Zeit wegen wird auf die Erörterung über die Erb¬ 
lichkeit des Krebses verzichtet. Die ektogenen Ursachen bestehen, 
wie die klinische Erfahrung gelehrt hat, in Reizen aller Art. Es 
werden unterschieden einmalige und lang dauernde Reize. Erstere 
kommen verhältnißmäßig weniger für die Aetiologie des Carcinoms 
in Betracht, viel verhängnißvoller sind die Reize chronischer Art, 
wie die Krebsfälle bei Theer- und Paraffinarbeitern, bei Schnaps¬ 
trinkern und im Gefolge von Gallensteinen beweisen. In eingehender 
Weise wird die Frage nach der parasitären Ursache des Krebses 
besprochen. Es läßt sich constatiren, daß trotz mancher ins Feld 
geführten Wahrscheinlichkeitsgründe ein Gegenbeweis der parasitären 
Ursache des Krebses nicht erbracht ist. Viele Gründe aber sprechen 
dafür, vor Allem die als sicher überall nachgewiesene, gleichmäßig 
stetige Zunahme der Krebserkrankungen, das Vorkommen von 
Krebsendemien, Krebshäusern, von Infection des Krebses bei 
Personen, welche in Gemeinschaft leben. Dafür spricht weiter die 
Analogie des menschlichen Krebses mit krebsartigen, parasitären 
Erkrankungen der Pflanzen, mit InfectioDSgeschwülsten bei niederen 
Thieren. Nach eingehender kritischer Würdigung der Literatur 
über Krebsparasiten, auch der jüngsten Entdeckungen, macht 
Redner auf die Bestrebungen des Comitös für Krebsforschung auf¬ 
merksam, welches es sich zur Aufgabe gestellt hat, die Arbeiten 
auf diesem Gebiete zu concentriren und in gemeinsame und ein¬ 
heitliche Bahnen zu lenken. 


Abtheilung für Geburtshilfe und Gynäkologie. 

Krönig (Leipzig): Zur Therapie der Extrauteringravidität. 

Die Erkenntniß in der anatomischen Auffassung der Tubar- 
gravidität, daß nämlich das Ei in die Tubenwand selbst hinein¬ 
wächst, mußte auch auf unser therapeutisches Verfahren einen Ein¬ 
fluß ausüben. In der Folge wird man die Unterscheidung zwischen 
Tubenruptur und Tubenabort nicht festhalten können. Bei jedem 
Abort finden sich Zerstörungen der Tuben wand. Die Ruptur hin¬ 
gegen kommt nur allmälig zustande. Auch bei dem completen Abort 
bleiben stets Chorionzotten zurück, so daß selbst ein Unterschied 
zwischen completem und incompletem Abort nicht aufrecht zu er¬ 
halten ist. Demgemäß müßte man theoretisch jeden Fall operiren 
und wie Prochownik in der Operation das allgemeine Heilmittel 
der Tubargravidität seheD. v. Skanzoni stellte nun an der Leipziger 


Klinik Untersuchungen an. 

Es waren arbeitsfähig von: 

56 exspectativ behandelten . .41 

25 elytrotomirten.19 

38 laparotornirten.24 

Bedingt arbeitsfähig waren von : 

56 exspectativ behandelten . . 15 

25 elytrotomirten.6 

38 laparotornirten.13 

Arbeitsunfähig waren von : 

56 exspectativ behandelten . . 0 

25 elytrotomirten.0 

38 laparotornirten.1 


Endlich verwertete man gegen die exspectative Behandlung 
die bleibende Functionsunfähigkeit der Eileiter und die hieraus 
resultirende Conceptionsbehinderung. 

Von 43 exspectativ behandelten conceptirten 16 = 37% 

„ 18 elytrotomirten „ 10 = 55% 

„ 29 laparotornirten „ 5 = 17% 

Die exspectativ Behandelten sind also nach dieser Tabelle 
mindestens ebenso günstig daran wie die Operirten. Unter den 
Operirten finden sich aber prognostisch wesentlich ungünstigere Fälle ; 
daher neigt Krönig mehr einem operativen Verfahren zu ; das 
exspectative hat die Gefahr der nachträglichen Blutungen und einer 
Verjauchung des Blutergusses. Auch nachträglich kann bei Tuben¬ 
abort oder Hämatokelenbildung eine Ruptur eintreten, da die Zotten 
auch noch nach der Ausstoßung des Eies die Wandungen weiter 
zerstören können. 

Eine vaginale Operation kann nur ausgeführt werden, wenn 
am Lig. infundibulo-pelvicum keine Verwachsungen vorhanden 
sind. Für das vaginale Incisionsverfahren fehlt theoretisch jeder 
wissenschaftliche Boden, aber die Praxis beweist, daß, wenn man 
genau das Freisein der Tube mit dem Finger von dem Sack aus 
feststellt, keine Nachblutung zu fürchten ist. Viele der elytroto¬ 
mirten Frauen haben später geboren. 

Abtheilung für Kinderheilkunde. 

A. Baginsky: Ueber Scharlach-Nierenentzündung. 

Der Vortragende weist zuerst auf seine gemeinsam mit seinem 
damaligen Assistenten Stamm im Jahre 1893 gemachte Publication 
über die anatomischen Veränderungen der Nieren bei Scharlach 
hiu. (l. Eine weithin gesunde, in Herden oder mehr diffus auftretende, 
meist an die Gefäße geknüpfte gallige Infiltration bei Kindern 
(meist septischen), die in der ersten Woche der Scarlatina starben. 
MALPiGHi’sche Körperchen und Glomeruli nehmen an der Vermeh¬ 
rung der Rundzellen theil. Exsudative oder degenerative Vorgänge 
an denselben nicht nachweisbar. 2. Bei den in der 2. Woche 
(meist auch septisch) gestorbenen Kindern waren neben der ge¬ 
schilderten Zellinfiltration in erster Reihe auch degenerative Vor¬ 
gänge in den gewundenen und geraden Harncanälchen vorhanden, 
außerdem einzelne embolische nekrotische Herde. Auch in den 
MALPiGHi’scben Körperchen und Glomerulis keine besonders auffälligen 
Veränderungen. 3. Von der 3. Woche ab neben parenchymatöser 
Degeneration der Epithelien und Verletzung der erweiterten Harn- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 1. 


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canälchen mit Cylindern und dabei interstitiellen Zellenanhäu¬ 
fungen, wesentliche Veränderungen an den MALPiGHi’schen Körper¬ 
chen und an den Glomerulis. Nun wendet sich der Vortragende 
zur Klinik der Nieren bei Scharlach. 

In den letzten 5 Jahren fielen auf 919 Fälle von Scharlach 
88 Nephritiden. 

34 Fälle davon kamen sehr früh in Behandlung und gaben 
daher Gelegenheit zu guter Beobachtung. Der früheste Termin, an 
welchem unter diesen Fällen die Nephritis ausbrach, war der 6. Tag 
der Erkrankung (lmal) ; 2mal trat Nephritis am 13. Tage, 3mal 
am 15. bis 18. Tage, 3mal am 30. Tage auf, die anderen in der 
Zwischenzeit der angegebenen Daten. 

Die Schwere des Exanthems steht in keinem Zusammenhang 
zu einem Ausbruch der Nephritis. 

Das Gros der Nephritiden setzt mit Fieber ein, eine kleinere 
Zahl zeigt gar keine oder nur sehr geringe (bis 38°) Temperatur¬ 
steigerungen. Gefährlich erscheinen die Fälle, wo hohes und con- 
tinuirliches Fieber vorhanden; beachtenswert die, wo nach Ab- 
sinken der Temperatur mit erneutem Emporschnellen auch wieder 
neue, resp. gesteigerte Eiweißausscheidung statthat. 

Der Puls ist gewöhnlich beschleunigt, doch meist ohne Be¬ 
ziehung zur Temperatur, drahtähnlich bei Urämie. 

Die Harnmenge ist wechselnd. Oft gar nicht beeinflußt, bis¬ 
weilen erheblich gesteigert, anfangs, meist erst später verringert, 
meist allerdings vermindert. 

Die Nephritis steht mit der primären Scharlachalbuminurie 
in keinem Zusammenhang. 

Für die Bedeutung des Processes ist das gesammte Harn¬ 
bild das entscheidende. Der septische kaffeebraunschmutzige Harn 
ist allerdings prognostisch ungünstig. Die Hämaturie an sich ist 
prognostisch nicht so ungünstig, als man in der Regel annimmt. 

Fast jede Nephritis äußert sich mit geringen Oedemen der 
Augenlider; schwerer und ausgebildeter Hydrops verschlechtert die 
Prognose. 

B. hat seine Fälle in Bezug auf die Hydropsfrage in 2 Gruppen 
getheilt: a) in solche, die innerhalb der ersten 5 Tage nach Be¬ 
ginn der Scarlatina in seine Behandlung kamen, b) in solche, die 
später in Behandlung kamen. 

Zur Gruppe a) gehören 37 Fälle, wo nur einmal Hydrops 
gesehen wurde. In der 2. Gruppe sind 30 mit schwerem Hydrops 
vorhanden (8 Oedeme des Gesichts, 12 mit schweren Complicationen). 
Den Unterschied beider Gruppen glaubt B. auf die Diätetik und 
Therapie zurückführen zu müssen. 

Urämie wurde unter den Fällen von Hydrops, die früh in Be¬ 
handlung kamen, 6mal beobachtet, wovon 3 Fälle sind, bei welchen 
eine strenge Diät im Krankenhaus eingeführt war (bis 1895). 

Im Ganzen starben von 18 Urämischen 5 Kinder, von 88 Ne 
phritiden 11. 

18 Fälle der aufgenommenen Nephritiden zeigten langdauernde 
Albuminurien, darunter sind 5 sichere Fälle von chronischer Ne¬ 
phritis, wozu allerdings keines von den früh aufgenommenen 
Kindern gehört. 

Zur Verhütung des Hydrops, der chronischen Nephritis, der 
Urämie empfiehlt Baginsky Bettruhe (4 Wochen) und absolute 
Milchdiät (14 Tage). Bei langdauernder Albuminurie, bei Hämaturie 
empfiehlt B. innerlich Acid. tannic. 1 : 100, 3sttindl. 1 Kinderlöffel. 
Gegen die Urämie bei hohem gespanntem Puls Blutegel und 
Venaesection. 

Pfaundler (Graz) macht auf die Beobachtung aufmerksam, daß die Ne¬ 
phritis bisweilen einsetzt mit Albnminurie. Er fragt weiter den Vortragenden, 
wie derselbe sich gegen die (besonders von Natter in Paris) empfohlenen pro¬ 
phylaktischen Maßnahmen gegen die Nephritis mit Terpentin verhält. 

Ritter (Berlin) fragt an, ob nicht gerade die durch leichtestes Exan¬ 
them ausgezeichneten Fälle häufig zu schwerer Nephritis disponiren. 

Zuppinger (Wien) hat trotz streng durchgeführter Bettruhe und ab¬ 
soluter Milchdiät bei Scarlatina gerade im letzten Jahre die schwersten Nephri¬ 
tiden gesehen. 

May (Hamburg) fragt an, wie lange Zeit man die Ruhe ausdehnen 
soll, und wie Baginsky die Bäder bei hydropischen Zuständen verwerthet. 

Piza (Hamburg) läßt die Scharlachkranken principiell 6 Wochen im 
Bette liegen, sah aber darin gar keine Beeinflussung bezüglich der Entstehung 
der Nephritis, nach ihm ist dieselbe vielmehr abhängig von dem Genus epide- 


micus. Auch kann P. sich nicht vorstellen, daß die absolute Milchdiät das 
Entstehen der Nephritis verhüten könne. 

Baginsky (Berlin) hat gleichfalls die Beobachtung gemacht, daß auf 
leichten Scharlach bisweilen schwere Nephritis folgt. Wenngleich das Ent¬ 
stehen im gewissen Sinne auch abhängig sein mag von der Schwere der Epi¬ 
demie, so gibt es doch kein besseres Mittel zur Verhütung und schnellen 
Heilung als absolute Milchdiät. Bei Hydrops verwendet auch B. ausgedehnte, 
je nach dem Falle verschiedene hydrotherapeutische Maßnahmen. 


Aus französischen Gesellschaften. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Med. Presse“.) 

Acad^mie de M^decine. 

Gueniot: Ueber die medulläre Anästhesie bei Entbindungen. 

Durch die Injection von 0 - 01 Grm. Cocain (l°/ 0 ige Lösung) 
unter die Arachnoidea lumbalis wird eine vollständige Anästhesie 
der unterhalb des Nabelniveaus gelegenen Körperhälfte erzielt. 
Wenn man bei Gebärenden eine derartige Injection vornimmt, so 
werden weder die durch die Uteruscontraction, noch die durch die 
Passage des Kindes durch diese Geburtswege veranlaßten Schmerzen 
wahrgenominen, dabei gleichzeitig der Geburtsverlauf beschleunigt. 
Die erzielte Analgesie hält ungefähr durch l J / 2 Stunden an. Von 
Nebenwirkungen nach directer Anästhesirung des Rückenmarkes 
wurden leichte Zuckungen der Gliedmaßen, vorübergehende Kopf¬ 
schmerzen, geringes Erbrechen, sowie geringfügige Steigerung der 
Körpertemperatur beobachtet. Diese medulläre Cocainanästhesie ist 
bei Frauen mit Erkrankungen des Herzens und der Gefäße, sowie 
mit chronischen Erkrankungen des Respirationsapparates oder des 
Nervensystems contraindicirt, desgleichen in solchen Fällen, wo die 
Geburt nicht in streng aseptischer Weise durchgeführt werden 
kann. Eine speeielle Contraindication besteht bei stürmischem Ge¬ 
burtsverlauf, bei sehr häufigen und heftigen Wehen, bei abnormer 
Spannung des Uterus, und zwar deshalb, weil das Cocain auf die 
Contractionen des Uterus eine stürmische Einwirkung ausübt. Auch 
in jenen Fällen, wo ein manueller Eingriff in die Uterushöhle er¬ 
forderlich ist, besteht eine Contraindication. Die Indicationen der 
medullären Cocainanästhesie bei Gebärenden sind: 1. Geburtshilfliche 
Eingriffe, welche Anästhesie erfordern, ausschließlich jene, welche 
die Einführung der Hand in die Uterushöhle erheischen; 2. excessive 
Schmerzhaftigkeit der Wehen; 3. Verlangsamung der Geburtsarbeit 
infolge von Schwäche und Unregelmäßigkeit der Wehen; 4. Neigung 
zu Blutung, z. B. bei Schlaffheit des Uterus oder fehlerhafter Insertion 
der Placenta. 

Porak hat in 10 Fällen die medulläre Anästhesie bei Gebärenden ver¬ 
sucht. Die Ausführung ist gerade hier schwierig und scheiterte bei 4 Fällen 
vollständig, bei den anderen 6 Fällen trat nach 5—6 Minuten eine vollständige 
Analgesie der unteren Körperhälfte (Bauchregion und untere Extremitäten) ein, 
welche genügend lange anhielt, um die Vornahme operativer Eingriffe — 
Symphyseotomie, Perineorrhaphie — zu gestatten. Einmal wurde das Verfahren 
bei einer sonst normalen, aber äußerst schmerzhaften Entbindung angewendet. 
Die Schmerzen hörten auf, wobei die Contractionen nicht heftiger wurden, 
auch zeigte sich keine Beschleunigung des Geburtsverlaufes. Es ist daher die 
Cocainanästhesie des Rückenmarkes nur dort indicirt, wo es sich um operative 
geburtshilfliche Eingriffe handelt, dagegen nicht bei normalen Entbindungen, 
weil hier die Wirkung nur kurze Zeit dauert. Es wurden 0‘01 — 0'015 Grm. 
Cocain in l%iger Lösung injicirt. 

Metschnikoff : Ueber die Bedeutung einiger Nematoden für 
die Aetiologie der Appendicitis. 

Vortr. konnte wiederholt Eier von Ascariden oder Tricho- 
cephalus in den Stuhlentleerungen von Patienten mit Appendicitis 
nachweisen. Durch die Verabreichung anthelminthischer Mittel wurde 
die Appendicitis geheilt, ohne daß eine Operation nothwendig war. 
Es ist Grund zur Annahme vorhanden, daß in vielen anderen 
Fällen die Erkrankung des Wurmfortsatzes auf das Vorhandensein 
von Parasiten zurückzuführen ist. So wurde in einem Fall, wo die 
Erscheinungen einer schweren Appendicitis und diffuser Peritonitis 
Vorlagen, nach Abgang von zwei Spulwürmern Verschwinden der 
Symptome beobachtet. Ebenso fand man wiederholt bei Autopsien 
und Operationen Eingeweidewürmer im Appendix, so daß man mit 
Recht behaupten darf, daß Nematoden in einer großen Anzahl von 
Fällen Appendicitis verursachen. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 1. 


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Die Rolle dieser Parasiten ist eine zweifache, indem sie 
einerseits auf dem Wurmfortsatz und die Nachbargebilde ihren 
mechanischen und chemischen Einfluß ausüben, andererseits Mikro¬ 
ben in die Schleimhaut ablagern. Man muß mit Rücksicht auf diese 
Befunde in allen Fällen von Darmerkrankung den Stuhl unter¬ 
suchen. Das Auftreten mehrerer Fälle von Appendicitis in derselben 
Familie hat man bisher auf den Einfluß der Heredität zurückge¬ 
führt, doch gilt für diese Fälle, ebenso wie für die beobachteten 
kleinen Hausepidemien von Appendicitis, viel eher die Erklärung, 
daß diese Erkrankungen durch den Genuß ungekochter, mit mensch¬ 
lichen Excrementen verunreinigter Gemüse hervorgerufen wurden. 
Es ist nachgewiesen, daß die Embryonen der beiden für die Appen¬ 
dicitis in Betracht kommenden Nematoden, Ascaris und Tricho- 
cephalus ihre Entwicklung außerhalb des menschlichen Körpers, 
in der Erde oder im Wasser durchmachen und mit Früchten oder 
Gemüsen, welche mit diesem Wasser verunreinigt sind, wieder in 
den menschlichen Körper zurückgelangen. 

Es läßt sich gegenwärtig nicht angeben, in welchem Procent¬ 
satz der Fälle Nematoden als Ursache der Appendicitis in Betracht 
kommen, zweifellos gibt es auch Fälle von Appendicitis, welche 
durch andere Ursachen bedingt sind; immerhin ist es mit Rücksicht 
auf die Häufigkeit der Nematoden gerechtfertigt, in allen Fällen 
von Appendicitis den Stuhl zu untersuchen. 

Da die Spulwurmeier eine gleichmäßige Vertheilnng im Stuhle 
aufweisen , so können sie leicht in wenigen Minuten nachgewiesen 
werden. Die Trichocephaluseier werden dagegen vorwiegend im 
Cöcum abgelagert und sind daher nicht gleichmäßig im Stuhle ver¬ 
theilt , so daß es sich empfiehlt, mehrere Proben zu untersuchen. 

Da ein einziger Wurm imstande ist, den Appendix zu ver¬ 
legen , so ergibt sich in Fällen, wo ein männlicher Ascaris oder 
Trichocephalus in Betracht kommt, also keine Eier im Stuhle 
nachweisbar sind, eine diagnostische Schwierigkeit, welche nur durch 
Verabreichung eines Anthelminthicums behoben werden kann. Ein 
solches Vorgehen ist in denjenigen Fällen angezeigt, wo eben die 
mikroskopische Untersuchung des Stuhles ein negatives Resultat 
geliefert hat. Früher verschrieb man den Kindern von Zeit zu Zeit 
ein Wurmmittel, jetzt ist man von diesem Gebrauch abgekommen 
und es ist vielleicht darin eine Ursache der zunehmenden Häufig¬ 
keit der Appendicitis zu erblicken. Ebenso kommt der verbreitete 
Genuß von rohem Obst und Gemüse, welches aus mit Abfallwässeru 
berieselten Feldern stammt, hier in Betracht. 

Aus den angeführten Thatsachen ergeben sich folgende 
Regeln: 1. In allen verdächtigen Fällen von Appendicitis ist der 
Stuhl auf Parasiten, bezw. deren Eier zu untersuchen. 2. Man soll 
öfter wurmtödtende Mittel verabreichen (Santonin gegen Spulwürmer, 
Thymol gegen Trichocephalus). 3. Personen, welche zu Appendicitis 
disponirt sind, dürfen kein rohes Obst bezw. Gemüse, auch kein 
unabgekochtes oder unfiltrirtes Wasser genießen. 4. Das Verbot 
des Genusses roher Nahrungsmittel und unreines Wasser ist auch 
eine sehr wirksame, prophylaktische Maßregel. 5. Schließlich em¬ 
pfiehlt es sich besonders bei Kindern, die Stühle von Zeit zu Zeit 
zu untersuchen und Wurmmittel zu verabreichen. 


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medicinischen Gesellschaften Deutschlands. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Verein für innere Medicin zu Berlin. 

Paul Ehrlich (Frankfurt a. m.): Oie Seitenkettentheorie und 
ihre Gegner. 

E. nimmt an, daß das Toxinmoleciil nicht einfacher Art ist, 
sondern aus zwei Gruppen besteht, aus einer Gruppe, welche die 
toxische Wirkung bedingt, der toxophoren Gruppe, und einer 
zweiten haptophoren Gruppe; diese hat die Eigenschaft, sich mit 
gewissen Bestandtheilen der Zelle, den Receptoren, zu verbinden. 
Die Zelle hat in ihrem Bau einen Complex, welcher für gewöhn¬ 
lich dazu dient, Nahrungsmittel aufzunehmen, aber durch ein Spiel 
des Zufalles in den Stand gesetzt ist, sich auch mit dieser Gruppe 


des Toxins zu verbinden. Der Receptor geht eine chemische Ver¬ 
bindung mit der haptophoren Gruppe des Toxins ein. E. nimmt 
auf Grund vieler eigenen Erfahrungen, sowie der seiner Mitarbeiter 
an, daß das Antitoxin nichts als ein abgestoßener Receptor ist, der, 
unter der Wirkung des Toxins im Uebermaß erzeugt, sich frei im 
Blute bewegt. Ein solcher Receptor ist natürlich imstande, sich mit 
dem Toxin zu verbinden und so das Gift von dem gefährdeten 
Organ abzuwehren. Die Gruppe der Receptoren ist an der Zelle 
eine Gefahr; außerhalb derselben ist sie ein Blitzableiter. Die 
Hämolysine verhalten sich genau wie ein Toxin, und zwar ein 
complexes Toxin. 

Diese Anschauungen will nun Gruber erschüttern. E. hat 
geschwankt, ob er auf einen so haltlosen Angriff überhaupt ant¬ 
worten soll; doch konnte er sich nicht verhehlen, daß der Angriff 
durch die Sicherheit und Schärfe seines Vorgehens geeignet sein 
konnte, in weiten Kreisen Verwirrung hervorzurufen. Daher hat 
er sich nicht bloß im eigenen Interesse, sondern auch im Interesse 
seiner Mitarbeiter entschlossen, in die Discussion einzutreten. Seine 
Theorie ist nicht ein Spiel der Phantasie, sondern das Ergebniß 
einer Unsumme der mühseligsten Arbeiten, welche bei weitem die 
Kräfte eines Einzelnen übersteigen. Eine Hypothese hat einen 
heuristischen Werth, wenn sie die Anschauungen in neue Bahnen 
leitet; in dieser Richtung hat die Theorie höchst befruchtend ge¬ 
wirkt. Die Serumtherapie verdankt ihr die Begründung. Grund¬ 
legende Thatsachen, wie sie von E.’s Mitarbeitern gefunden wurden, 
blieben auf den Gang der Wissenschaft ohne Wirkung, weil das 
verbindende Mittelglied fehlte. Erst 1895 trat dieser Fortschritt 
ein. E. glaubt nicht, daß zur Zeit ohne Berücksichtigung dieser 
Theorie mit Vortheil Forschung getrieben werden kann. Sie ist 
allerdings oft scharf, aber loyal bekämpft worden. So hat Metschni- 
koff zu diesem Kampfe einen großen Beitrag geliefert. Es ist aber 
E. gelungen, die Einwände der Gegner durch Experimente zu wider¬ 
legen und die Theorie hat sich in den Händen der meisten Forscher 
bewährt. 

Es ist ein verhängnißvoller Irrthum, wenn man glaubt, durch 
einige wenige Versuche und Kritik einen Ueberblick oder ein Ur- 
theil über diese verwickelte Frage sich zu verschaffen. Wer nicht 
durch langjährige eigene Beschäftigung eine experimentelle Grund¬ 
lage erworben hat, wird kaum in der Lage sein, das Durchein¬ 
ander von Falsch und Richtig der Literatur zu entwirren. Gruber’ s 
These ist ein eclatanter Beweis; er hat ein verzerrtes Bild ge¬ 
wonnen. Nun spricht er von eigenen Forschungen, die E.’s Ergeb¬ 
nissen widersprechen sollen. Büchner nimmt an, daß im Blut jedes 
Thieres eine einheitliche Substanz, das Alexin, vorhanden sei. Die 
Immunität soll dadurch zustande kommen, daß die Bacterien durch 
den Angriff des Alexins geschwächt werden. E. hat nun in einer 
Reihe von Fällen normaler Sera den Nachweis erbracht, daß es sich 
nicht um ein einfaches Alexin, ein verdauendes Ferment, handelt, son¬ 
dern daß es sich genau so wie bei den künstlich erzeugten Immun- 
Seris verhält. Er nimmt an, daß der Immunkörper unter Aufnahme des 
Complements, das verdauende Eigenschaften hat, an einen Receptor 
des Bacterium herantritt und dem Alexin entspricht. Ist es mög¬ 
lich, ein solches reines Alexin nachzuweisen ? E. und Morgenroth 
haben thatsächlich gefunden, daß es sich bei der Wirkung des an¬ 
scheinend normalen Serums nicht um einen Körper, sondern um 
zwei Körper handle. Es soll nun nach Gruber Alexinwirkungen 
geben, wo eine Zwischensubstanz nicht nöthig ist. Grüber’s Me¬ 
thode ist eine unzweckmäßige Modification der Kältetrennung. Seine 
eigenen Fälle beziehen sich auf folgende Combinationen: Kaninchen¬ 
blut, Meerschweinchen-, Rinderblut in sechs Combinationen. Sachs 
gelang es in zwei Tagen, auf dem Wege der Complementirung mit 
Sicherheit nachzuweisen, daß Zwischenkörper vorhanden waren, 
wie es E.’s Theorie entspricht. Wenn Gruber meint, daß durch 
seine Versuche E.’s Theorie ins Herz getroffen wurde, so ist das 
also eine Herzwunde, die in zwei Tagen geheilt wurde. 

Ein zweiter Punkt betrifft die Verschiedenheit der normal 
vorkommenden und der künstlich erzeugten Receptoren. Hier be¬ 
hauptet Gruber, daß zwischen diesen normalen Amboceptoren und 
denen des künstlichen Immunserums ein Unterschied vorhanden 
wäre. E. hat aber nie behauptet, daß sie völlig identisch sind. Er 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — - Nr. 1. 


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hat Beweise erbracht, daß bei Immunisirung mit Bacterien und 
rothen Blutkörperchen eine ganze Schaar von Körpern entstehen. 
Der Nachweis verschiedener Amboceptoren ist noch auf ganz 
anderem Wege, rein chemisch, geschehen. In normalem Serum be¬ 
steht nur eine Art von Amboceptoren; nur in einem Falle hat 
Gkuber von zwei Formen des normalen Serums gesprochen. Sein 
Beweis ist aber falsch; er sagt: Thatsächlich läßt sich beweisen, 
daß der normale und der specifische Immunkörper von einander 
verschieden sind; niemals scheint er eine andere Species für sein 
eigenes Serum empfindlich zu machen. Es läßt sich zeigen, daß 
Meerschweinchenserum Hundeblut auflöst. Erhitzt man, so geht das 
Complement weg und es bleibt der unschädliche Amboceptor. Das 
soll bei künstlich immunisirtem, nie bei normalem Serum eintreten. 
Ehrlich und Morgenroth haben hingegen nachgewiesen, daß die 
künstlich erzeugten Immunkörper durch eine große Zahl von 
Körpern und die Sera der verschiedenen Thiere completirt werden. 
Leider stimmt das Gesetz bei Ochsenblut nicht. 

Ein weiterer Einwand betrifft die Einheitlichkeit des Alexins. 
E. nimmt im Blute jeder Tbierspecies eine Anzahl verschiedener 
Körper an, die in ihrer Gesammtheit das Alexin darstellen. Er ist 
erst später zu der complicirten Auffassung gelangt. 

Ein anderer Einwand Gruber’s ist folgender: Die aus Ambo¬ 
ceptor und Complement bestehenden hämolytischen Sera verlieren 
ihre Lösungsfähigkeit bei 0°. E. nimmt auf Grund seiner und 
anderer Untersuchungen an, daß das Complement sich mit dem 
Amboceptor vereinigt hat, daß der Amboceptor einen Zwischen¬ 
körper bildet. In der Kälte nehmen sie den Immunkörper nicht auf, 
in der Wärme nehmen sie ihn an. In der Kälte sind sie nicht 
gelöst, in der Wärme sind beide vereinigt. Unter Wärmezufuhr 
scheint eine Vereinigung einzutreteu. Gruber hat das Gemisch 
von Amboceptor und Complement erwärmt, auf 0° gebracht und 
dann die Blutkörperchen zugesetzt; sie lösten sich dann nicht 
auf. Er folgert daraus, daß sich Complement und Immunkörper 
überhaupt nicht vereinigen; denn haben sie sich einmal vereinigt, 
so hätten sie bei der Abkühlung vereint bleiben müssen. Denn 
eine Dissociation in der Kälte sei nicht bekannt. Diese Angabe 
ist absolut irrig. G. besitzt eben nicht die nöthige chemische 
Vorbildung. Wir kennen z. B. zwei Arten Weinsäure, die reclits- 
und die linksdrehende; sie sind auch sonst unterschieden, können 
sich aber zur optisch inactiven Traubensäure vereinigen. Bei 
der Krystallisation hat man gefunden, daß je nach den Umständen 
aus diesem Gemisch bald rechts- und linksdrehende Weinsäure, 
bald nur eine Verbindung entsteht. Unterhalb 27 f 2° C. können 
rechts- und linksdrehende Säure nebeneinander auskrystallisiren; 
über diesem Punkte krystallisirt die chemisch einheitliche Ver¬ 
bindung aus. Es sind also hier bei der niederen Temperatur die 
Antipoden getrennt, in der Wärme aber vereinigt. Im chemischen 
Sinne spricht also nichts gegen eine lockere Verbindung von 
Amboceptor und Complement; sie können bei einer hohen Tempe¬ 
ratur gebunden werden, unterhalb derselben auseinander gehen. 
Die chemische Formel lautet dafür a + b a + b, z. B. 27'2 0 . 
Auf einige andere Punkte geht E. hier nicht ein, da sie nur aus 
Betrachtungen abseits von E.’s Theorie bestehen. Die Ausführungen 
des literarischen Theiles der Arbeit Gruber’s sind ein Gewirr 
von Voreingenommenheit und Ueberhebung und lassen sich nicht 
in einem engen Rahmen entwirren. Späterhin soll dieserhalb eine 
ausführliche Veröffentlichung von E.’s Seite erfolgen. Gröber 
sagt u. A.: „Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Toxicität des 
Toxins und die Gegenwirkung des Antitoxins auf verschiedene 
Weise zustande kommt“; er meint, daß E. die Sache nur richtig 
errathen habe. Das ist eine schwere Beleidigung einer langjährigen 
Arbeit. 

Man kann aber thatsächlich hier genau quantitativ arbeiten. 
Für die haptophore Gruppe ist die Hauptbedeutung bei der Wir¬ 
kung des Tetanusgiftes und anderer Gifte auf diese Weise bewiesen 
worden. Toxin und Complement sind Gifte; ihre Componenten 
Toxoid und Complementoid sind ungiftig, erzeugen aber Gegen¬ 
gifte. Das Diphtheriegift soll kein einheitlicher Körper sein, sondern 
aus verschiedenen Körpern bestehen. Für das Diphtheriegift scheint 
sicher zu sein, daß der Bacillus je nach der Rasse verschiedene 


Giftstoffe erzeugt. Aber auch im Tetanusgift finden sich verschiedene 
Körper je nach der Abstammung der Cultur; so das Tetanolysin, 
dann das Krampfgift Typus Behring, das auf Mäuse viele hundertmal 
giftiger als auf Kaninchen wirkt, das Krampfgift Tizzoni, das 
gleich giftig auf beide Thierspecies wirkt. Ganz ähnliche Diffe¬ 
renzen finden wir auch bei Diphtherie. Diese Erscheinungen, daß 
solche Gifte ungleich wirken, lassen sich nur durch E.’s An¬ 
schauung erklären, stimmen aber nicht mit der Annahme eines 
einheitlichen Giftes nach Gröber. 

Antitoxine werden nur in den Zellen gebildet, die Receptoren 
enthalten. Gröber kämpft gegen diesen Satz. Er nimmt die Anti¬ 
toxinbildung in ganz anderen Stellen des Organismus als in den 
vom Gifte angegriffenen Organen an. Dies entspricht aber gar 
nicht E.’s Theorie. Damit eine Zelle fähig sei, Antitoxin zu erzeugen, 
muß sie sensibel auf die Einwirkung des Giftes reagiren! 

Bei der gegenseitigen Bindung von Toxin und Antitoxin 
von Bacterien und Agglutinin u. s. w., bei allen diesen Processen 
kommen nur zwei Gruppen in Betracht. Durch Injection einer 
bestimmten Blutart gelingt es, einen Amboceptor zu erzeugen, 
welcher die Wirkung des Hämolysins aufhebt. Es erzeugt, wie 
Morgenroth gezeigt hat, die Injection einer Immunsubstanz ein 
Gift; ein Hämolysin erzeugt ein Antihämolysin und umgekehrt. 
Das spricht dafür, daß nur zwei Complexe in Betracht kommen, 
die sich gegenseitig ergänzen. Das verhält sich bei Präcipitinen 
und Antipräcipitinen genau so. Jeder Schritt in der Richtung E.’s 
ist Dicht eine willkürliche Annahme, sondern begründet durch logische 
Folgerung und bestätigt durch experimentelle Ergebnisse. Nichts 
ist bisher widerlegt worden. Dabei ist die Theorie an und für 
sich höchst einfach. Sie erklärt ungezwungen die Wirkung und 
Entstehung der Antikörper und gibt den Zusammenhang zwischen 
Physiologie und Pathologie, dessen Grundlagen Virchow geliefert. 
Ein weiterer Beweis für den Werth der Theorie ist, daß sie uns 
befähigt, gewisse Erscheinungen vorauszusagen. E. sagte 1887, 
die Antitoxinreaction scheine eine Nährstoff ähnliche Bindung herbei¬ 
zuführen ; damals war die Möglichkeit, durch Nährstoffe zu immuni- 
siren, noch nicht bekannt, es wurde aber bald durch verschiedene 
Forscher festgestellt, daß man durch Einführung verschiedener 
Eiweißkörper verschiedene Antikörper erzeugen kann. Noch weitere 
Prophezeiungen bestätigten sich. E. hatte gesagt, daß zwischen den 
Antikörpern, die nach Injection von bacteriolytischem Serum, und 
denen, die nach solchen von Zellen entstehen, ein Unterschied 
bestehe. In der That, als verschiedene Autoren Heilserum injicirten, 
bekamen sie das Serum. Dieses Verhalten hat E. jahrelang voraus¬ 
gesehen. Der erste Versuch mit dem Hämolysin hat nur diese 
Anschauung bestätigt. Seine Absicht war, zu beweisen, daß im 
Blute viele, ja Hunderte von Substanzen sich finden, die eine 
specifische Verankerungsfähigkeit besitzen, die Haptine. 


Standesfragen. 

Wie könnten die Aerzte ihre Witwen und 
Waisen versorgen? 

Es ist jetzt eine Zeit, wo wir über das Leid der Aerzte in 
allen Tonarten klagen hören. Der Tenor aller Jeremiaden geht 
darauf hinaus: Die Aerzte verdienen zu wenig, sie können für ihr 
Alter, für Krankheit und Invalidität, sowie für ihre Hinterbliebenen 
nicht sorgen. 

Und doch stehen gerade den österreichischen Aerzten eine 
Reihe woblorganisirter und wohlfundirter, billiger Wohlfahrtseinrich¬ 
tungen zur Verfügung, um die sie alle Aerzte der Welt beneiden 
könnten. Es gibt keine so billigen Versicherungsinstitute mehr als 
beim Wiener med. Doctorencollegium. Es kann auch keine so billigen 
mehr geben; bei den Institutionen des Collegiums entfallen die 
Tantiemen und Provisionen der Verwaltungsräthe und Acquisiteure, 
die Dividenden der Actionäre und jegliche Auslagen für Verwal¬ 
tung, denn alle Wohlfahrtseinrichtungen beim Collegium werden vom 
Collegium gratis verwaltet. Das ergibt ein Ersparniß von vielleicht 
15—30% gegen anderswo; da aber außerdem noch Erbschaften, 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 1. 


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Stiftungen und Spenden zufalfen, steht das Collegium mit seinen 
Einrichtungen einzig, concurrenzlos da. 

Jeder Arzt ist sein eigener Feind, der nicht z. B. dem Unter¬ 
stützungsinstitute beitritt, das ihm gegen eine Jahresprämie von 
K 12'— eine event. Jahresunterstützung von K 800*— für Krank¬ 
heit, Unfall und sons tiges Unglück in seinem Haushalte garantirt. 
Ebenso ist, das Pensionsinstitut für Aerzte das billigste, das existirt, 
ganz ohne Risico, da die Prämien für den früheren Todesfall rück¬ 
versichert sind. 

Nur bei der Witwen- und Waisen Societät, die vielleicht das 
Nothwendigste ist, ist der Eintritt erschwert, weil er zu theuer kommt. 
Es kann nicht jeder eintreten, der möchte. Die Societät*) verfügt über 
ein Vermögen von K 5,788.357 und hat nur 381 Versicherungs¬ 
nehmer, d. i. von der Gesammtzahl der Aerzte der Monarchie — 
auch die Ungarn können eintreten — höchstens 2—2 1 / 2 °/ ( r 

Wieso kommt das? 

Es gibt zwei Systeme, jemanden zu versichern; dasSystem 
der Prämieneinzahlung, wie wir es bei den Lebensversiche¬ 
rungsanstalten gewohnt sind, und wie es das Doctorencollegium 
in seinem Pensionsinstitute hat, und zweitens das System der 
Capitalseinlage, eine einfachere, heutezutage aber veraltete 
Methode, bei der der Versicherungsnehmer auf einmal eine größere 
Summe einzuzahlcn hat, um sich für späterhin gewisser Vortheile 
zu versichern. 

Ein nicht ganz reines, weil theilweise mit Prämienzahlung 
gemischtes Beispiel der letzteren ist die Witwenversicherung 
bei der Societät. 

Z. B. Ein Arzt von 30 Jahren hat eine ebenso alte Frau. Er will sie 
für den Fall der Witwenschaft auf die 1400Kronen betragende (unpfandbare!!) 
Witwenpension versichern. So hat er auf einmal, gleich beim Eintritte 2780 
Kronen zu erlegen und jährlich eine Prämie von 42 Kronen zu entrichten. 

Die einmalige, für die Einkommensverhältnisse des jungen 
Arztes zu große capitalistische Einzahlung macht Vielen den Bei¬ 
tritt unmöglich. Es versucht einmal einer einzuspringeu, es geht 
nicht, er bringt die Summe nicht zusammen; er versucht es ein 
zweitesmal, es geht wieder nicht; wie nun die Menschen schon sind, 
die weiteren Versuche werden aufgegeben. 

Factum ist, daß nur 2 — 2 1 /.,°/ () der Aerzteschaft Oesterreich- 
Ungarns von den großartigen Vortheilen des Collegiums Gebrauch 
macht. Das ist eine Schande! 

Wie könnte der Eintritt erleichtert werden? 

Dafür gibt es 3 Möglichkeiten: 

I. Die Umwandlung des derzeitigen Versiche¬ 
rungsmodus in Prämienzahlung. Es müßte mit dem der- 
maligen Principe gebrochen werden. Versicherungstechnisch ist das 
möglich, sogar zweckmäßiger; denn heute muß die Societät dafür 
sorgen, daß die Gelder gehörig verzinst werden, bei der Prämien¬ 
zahlung wird aber die Verzinsung gleich zur Prämie geschlagen 
und diese Sorge entfällt. — Da nicht zu erwarten ist, daß bei 
den conservativen Grundsätzen im Collegium eine derartige Reform 
Anklang findet, soll sie hier gar nicht weiter ausgeführt werden. 

II. Die Ermöglichung der Theileinzahlung, ein 
Ausweg , auf den das Collegium auch schon von selbst verfallen 
ist. Seit einiger Zeit kann man nämlich Theilversicherungen (auf 
Zehntel-Witwenpensionen) eingehen. Das ist gut gemeint, hat aber 
praktisch wenig Werth. Ein Beweis hiefür ist der Umstand, daß 
von den 381 Versicherten nur 32 von der Wohltliat der Zehntel¬ 
pension Gebrauch machen. 

Wichtig sind für den jung verheirateten, capitallosen — 
denn nur für diesen spreche ich — Collegen besonders die ersten 
Jahre nach seiner Etablirung, bezw. Vermählung, wo er noch 
nichts erspart hat und noch nichts ersparen kann, so daß im Falle 
seines plötzlichen Ablebens Frau und Kinder ganz hilflos dastehen. 

Beispiel: Mann und Frau je 30 Jahre alt. Er nimmt eine Zehntel¬ 
pension. So hat er zu zahlen: 


*) Zum genauen Verständnisse dieses Essays dürfte sich ein Blick in 
die Statuten empfehlen, die vom Wr. med. Doct.-Colleg. (Wien, I., Van Swieten- 
hof) gern zur Verfügung gestellt werden. 


7,o Capitalseinlage . . . . #278'—, steigt innerhalb der 10 Jahre bis #321'60 

7, 0 Prämie. „ 4 20, steigend auf.„ 42 — 

Mitgliedbeitrag für das Colle¬ 
gium *). - • » io— . „ io - — 

Summe K 292 20 K 373'tiO 

Der Versicherungsnehmer hätte darnach bis 10 Jahre hindurch jähr¬ 
lich K 292'20, steigend bis zu K 373'60 zu bezahlen, nach den 10 Jahren 
nur mehr die Prämie (K 42) plus Mitgliedsbeitrag (K 10). Sind die 10 Jahre 
um, so hat er allerdings ausgesorgt und seine Witwe, bezw. Waisen sind gut 
versorgt. — Wenn aber nicht alles klappt, wenn der Mann nach zwei Jahren 
stirbt! Was dann? 

Stirbt ein auf Zehntelpensionen versicherter Arzt z. B. im zweiten 
Jahre, dann erhält die Frau zwei Zehntelpensionen, d. i. jährlich 
280 Kronen. Für das wenige eingezahlte Geld (circa 2 X 300 K) 
gewiß sehr viel! — Aber was soll die — sonst mittellose — 
Frau und vielleicht mit ihr sogar noch ein kleines Kind mit einer 
Jahrespension von 280 Kronen anfangen? 

Das ist der Pferdefuß. 

Der denkende College kann auf Zehntelpensionen, so wie sie 
heute geboten werden, nicht eingehen, weil seine Witwe nicht ge¬ 
nug erhält, wenn er vor Erreichung der 10. Rate stirbt. Die 
Versicherung hat nur einen Zweck, wenn gleich nach 
ihrer Activirung das volle Erträgniß garantirt ist. 
Die Zehntelpension bedingt in gewissem Sänne eine 10jährige Carenz. 
Aus diesem Grunde muß der junge Arzt eine Lebensversicherung 
vorziehen, denn er weiß: wenn er dort ebensoviel zahlt wie bei 
den Raten der Societät, er aber frühzeitig stirbt, so erhält die 
Frau eine beträchtliche Summe, mit der sie sich einen Lebenser¬ 
werb schaffen kann, so daß sie geborgen ist. 

Beispiel: Der 30jährige Mann hat sein Leben versichern lassen und 
zahlt jährlich an Prämie K 292 — (d. i. die Auslage für 7i 0 Pension). Stirbt 
er im zweiten Jahre, so erhält die Frau 13-000 Kronen auf die Hand. 

Damit ist gezeigt, daß das jetzige System der Zehntelpension 
für den Anfang nicht ausreicht, weil keiner die Gewähr hat, 
daß er die 10 Jahre erleben wird. Späterhin allerdings ist die 
Lebensversicherung viel theuerer u. s. w., aber die Hauptsache ist 
der Beginn der Praxis, wo der Arzt das Capital für die Societät 
nicht aufbringen kann, sich aber durch eine kleinere Sumtne den 
relativ großen Vortheil der Lebensversicherung zuwenden will. In 
der That findet man bei jedem jungen Arzt eine kleine Polizze! 

III. Den ersten Weg wird die Societät nicht betreten wollen ; 
der zweite Weg führt zu keinem befriedigenden Ziele. Gibt es einen 
Ausweg? — Jawohl! Die Societät versichert auf Zehntelpensionen 
aber derart, daß nach Einzahlung der ersten Rate die 
Witwe und die Waisen gleich den Anspruch auf die 
volle Pension h aben. Den Ausfall an Zinsen, den die Societät 
erleidet, hat der Versicherungsnehmer zu ersetzen, ebeoso hat er 
die restärende Capitalsschuld durch eine Polizze zu decken! 

Allerdings wird die Procedur dadurch theurer und compli- 
cirter. Die Complicationen werden sich aber leicht bewältigen lassen 
und die Vertheuerung wird jeder gerne in Kauf nehmen, wenn er 
dadurch seine Witwe versorgen kann. 

Beispiel: Mann und Frau je 30 Jahre alt. Capitaleinzalilung Kronen 
2780, Jahresprämie K 52 (=42 + 10). Der Mann hätte also nach unserem 
Vorschläge durch 10 Jahre zu bezahlen 


Capitalseinlage. K 278 — 

Prämie (42+10).„ 52'— 


Zinsenausfall (5%) von • • 2780—278, 

2780 - (2 X 278 u. s. f.) . . . „ 125 —, fallend bis K 14 — 

Summa K 455‘— bis #344'— 

Das Collegium erhielte durch 10 Jahre jährlich # 455'—, die im Laufe 
der Jahre wegen Verringerung der Zinsen auf # 344'— herabfallen würden. 

- Außerdem muß der Versicherungsnehmer den ev. Todesfall decken. Das 
kann er durch eine Polizze auf Ableben über #2500'— (=2780—278), was 
bei 30 Jahren an Prämie jährlich # 56'— kostet. Oder er nimmt eine Polizze 
über den Betrag von # 2500'— bloß für den Fall, als er innerhalb der 10 Jahre 
(30—40) stirbt, was jährlich nur # 33'— an Prämie erfordert, oder damit es 
noch billiger kommt, wird mit einer Gesellschaft ein Modus vereinbart, wobei 
der Zehntelpensionär durch 10 Jahre versichert is f , so daß die versicherte Summe 
von Jahr zu Jahr abfällt (# 2780 . . . 278). 


*) Theoretisch gehört der Jahresbeitrag nicht in Rechnung. Praktisch 
jedoch ist er einzusetzen, denn ohne Mitgliedschaft im Collegium kann man 
nicht der Societät angehören ; selbst aus dem Collegium Ausgeschlossene müssen 
den Jahresbeitrag zum Collegium weiter abführen, wenn sie versichert bleiben 
wollen. 


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Die Verteuerung besteht also für den Versicherungsnehmer 
in der Entschädigung der Societät für den Zinsenentgang und, wenn 
er bisher keinerlei Polizze hat, was nicht wahrscheinlich ist, in 
der Prämie für die Deckungspolizze. Dafür aber hat er die 
Beruhigung, daß seine Frau, im Falle als — wann immer — 
er stirbt, vor Entbehrung bewahrt ist. Er wird auch die höhere 
Belastung*) durch 10 Jahre leichter ertragen können, als die ein¬ 
malige Einzahlung des ganzen Capitals, die ihm überhaupt ganz 
unmöglich ist. 

Ein anderes Beispiel: Mann 35 Jahre, Frau 25. Capitalseinzah- 
lung wäre K 4036'—. Bei Rateneinzahlung nach der vorgescblagenen Methode 
beträgt die jährliche Auslage durch 10 Jahre: 

*/, „-Capital. K 40360 

Jahresprämie (42+10).„ 52'— 

5% Differenzzinsen.. 181'65, fallend bis K 20'15 

Deckungspolizze (K 3600'—) (beschränkt) „ 53.— 

Summe K 690'25, fallend bis K 528'75 

Die Mehrzahlung (Prämie, Zinsen, Polizze) wird vermindert um die 
Differenz bei der capitalistischen Einzahlung, die jetzt bei der Societät von 
K 403'60 allmälig auf K 493'60 im 10. Jahre ansteigt. 

Ein dr ittes Beispie 1: Mann 45 Jahre, Frau 30- Einmalige Capitals- 
einzahlung Ä” 5622'—. Zehntelrate bei der Societät: K 562'20, steigend bis zu 
K 674'60 in 10 Jahren. Differenzzinsen nach unserem Muster K 253'—. fallend 
bis Ä'28'll, Deckungspolizze über Ä5000' — auf 10 Jahre beschränkt Älll'—. 

Es soll zugegeben werden, daß diese Berechnungen nicht ganz 
genau sind: ungefähr richtig sind sie jedoch und ebenso aus¬ 
reichend zur Orientirung über das, was gezeigt werden sollte. 

Daß nur so lächerlich wenig Aerzte von den eminenten Be- 
neficien der Wohlfahrtsinstitute des Doctorencollegiums Gebrauch 
machen, hat seinen Grund in der unpraktischen Beitrittsmöglichkeit. 

Der Beitritt muß erleichtert werden. Es ist in¬ 
human, wenn die Mitglieder der Societät etwa denken: „Haben 
wir die Mittel zum Eintritte aufgebracht, so soll auch jeder andere 
zusehen, wie er sie aufbringe.“ 

Wenn man vielleicht mit der — mit Recht — vielgeschmähten 
Indolenz der Aerzte kommt, so muß sie auf das richtige Maß zu¬ 
rückgeführt werden. Die Indolenz allein kann da nicht Schuld sein. 
Bisher sind die Aerzte riesig theilnahmslos und sogar das Collegium 
bat hier secundirt und bislang kaum etwas gethan , um seine In¬ 
stitute zu propagiren und der Gesammtheit der Aerzte leicht zu¬ 
gänglich zu machen ! Es ist aber nicht möglich, daß von 15.000 
bis 20.000 Aerzten der Monarchie nur 2°/ 0 einsichtsvoll und alle 
anderen indolent sind! Ganz sicher gibt es genug arme Teufel unter 
den Collegen, die nur aus den oben auseinandergesetzten Motiven der 
Societät nicht beitreten, weil sie die ganze Pension nicht einzahlen 
können und das 10jährige Lebensrisico der Vio’Witwenversorgung 
nicht wagen wollen. 

Der Einwand, es soll sich einer die capitalistische Einzahlung 
ausborgen , ist hinfällig. Wo sollte der Arzt eher Credit suchen 
und erwarten, als bei einem Vereine von Collegen, der über 
5 1 /* Millionen Kronen Vermögen besitzt? 

Wir glauben gezeigt zu haben, daß die Societät immerhin, 
wenn sie auch auf fundamentale Aenderungen nicht eingehen und 
dem modernen Versicherungsprincipe keine Concessionen machen 
will, den Collegen entgegenkommen kann und daß sie auf dem 
Wege der ’/jQ-Witwenpension gleich auf die volle Pension versichern 
kann, wenn sie nur will! 

Hoffentlich fehlt es nicht am guten Willen. fst. 


*) Die Mehrauslagen im angeführten Beispiel verhalten sich folgender Art: 
Jahresprämie (statt K 4'20) ein Plus von K 38'—, fallend zu K 4'20 

Zinsen (5%).. 125—, „ „ „ 14— 

Deckungspolizze (beschränkt) . . . . , , „ 33'— _ 

Summe K 196'—, lallend zu K 5120 
Die Mehrzahlung ist hier etwas zu hoch eingestellt gegenüber den 
jetzigen Ratenzahlungen, weil heute die capitalistische Rate in den 10 Jahren 
von K 278'— auf K 320— steigt, während sie bei unserer Methode gleich 
bleibt; die obige Mehrleistung wird also systematisch geringer, im 10. Jahre 
sogar um K 42 — ! 


Notizen. 

Wien, 4. Januar 1902. 

Zur Jahreswende. 

Unaufhaltsam, in ihren Folgen unabsehbar, vollzieht sieh 
in unseren Tagen eine mächtige sociale Bewegung. Während 
der Mittelstand unter dem deprimirenden Eindrücke schwerster 
wirtschaftlicher Krisen steht, sucht die bisher als Proletariat 
bezeichnete große Masse des Volkes mit Hilfe einer allum¬ 
fassenden, in ihren Mitteln und Zielen gleich mustergiltigen 
Organisation den Druck abzuschütteln, den der Capitalismus 
Jahrzehnte lang ausgeübt und dessen Schwere die Fortschritte 
der maschinellen Technik von Jahr zu Jahr gesteigert haben. 
Die Minderwertigkeit des Individuums ward so tief hinabge¬ 
drückt, bis die Massen unter begeisternder Führung sich auf¬ 
gerichtet, um heute als mächtiger Factor Gesetzgebung und 
Gesellschaft zu beeinflussen. 

Mitten in dieser Bewegung steht einsam und hilflos der 
Arzt. Er mußte von Kindheit an so vieles lernen; ein 
Vierteljahrhundert lang hat er sich auf seinen Beruf vor¬ 
bereitet ; die erste Hälfte seines Lebens war dem Zwecke ge¬ 
widmet, während der zweiten Hälfte vom Ertrage dieses 
Berufes seine und der Seinen Existenz zu fristen. Ja, er hat 
viel und vielerlei gelernt in seiner Jugend; da er als reifer 
Mann seinem Berufe nachzugehen beginnt, erkennt er bald 
mit Schrecken, daß die Voraussetzungen fehlen für die Aus¬ 
übung dieses Berufes. Man bedarf seiner nicht. Während er 
auf der Schulbank saß und am Secirtische, am Krankenbette 
seinen anstrengenden, aufopferungsvollen Studien oblag, hat 
sich draußen, auf dem Felde seiner zukünftigen Thätigkeit, 
eine Umwälzung vollzogen, die er nicht bemerkte, die aber 
den Boden für seine berufliche Thätigkeit eingeengt und 
minder fruchtbar gestaltet hat. So bietet denn unsere Zeit 
das traurige und erschreckende Bild der Proletarisirung 
der gebildeten Stände, an ihrer Spitze des Aerzte- 
standes, dem annoch die Attribute reinster Menschenliebe und 
selbstloser Hingebung anhaften. 

Die sociale Bewegung aber, von welcher wir gesprochen 
und die wir neben der Ueberfüllung unseres Standes als die 
Hauptursache des socialen und wirthschaftlichen Niederganges 
desselben bezeichneten, sie wird die Wunden heilen, die sie 
geschlagen. Schon blickt der enttäuschte Arzt nach seinen 
Leidensgefährten aus; schon haben sie sich die Hände ge¬ 
reicht, die gebildeten Proletarier, wie die Enterbten am Web¬ 
stuhle und Hochofen, und Organisationen der Aerzte- 
schaft beginnen allenthalben zu erstehen. Die Erfolge, die 
sie bisher erzielt, sie dürfen uns ebenso wenig blenden, wie 
die Mißerfolge uns entmuthigen dürfen, die ihnen geworden. 
Die Organisirung der Aerzte ist im Werden begriffen; ihre 
Früchte werden langsam reifen. Aber Früchte wird sie bringen, 
falls die gegenwärtig wirkenden und die nachrückenden Aerzte 
den Werth der Ralliirung zu würdigen wissen werden. 

Es muß als eine der werthvollsten Aufgaben der medi- 
cinischen Fachpresse bezeichnet werden, auf die Bedeutung 
der Organisation für die wirthschaftliche Sanirung 
unseres Standes immer und immer wieder zu verweisen, ihre 
Spalten allen Mittheilungen der Organisationsleitungen zu 
öffnen, die Ziele der gemeinsamen Bestrebungen wie die Mittel 
zu ihrer Erreichung zu besprechen und damit eine publicistische 
Mission zu erfüllen, die sich der wissenschaftlichen 
Bedeutung der Fachpresse gleichwerthig an die Seite stellt. 

Hart ist der Kampf, der uns Aerzten auf wirthschaft- 
lichem Gebiete bevorsteht. Die Entscheidung wird weder 
heute, noch morgen fallen; Zoll um Zoll, Schritt für Schritt 
des Bodens werden wir wieder erringen müssen, der uns ver¬ 
loren gegangen. Kämpfen werden wir nicht nur um die 
wirthschaftliche Besserung unserer Lage, sondern auch für 
die Hebung des Standes, dessen Ansehen zu sinken droht. 
Und wir werden siegen. 


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49 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 1. 


50 


Nicht würdiger können wir das neue Jahr begrüßen, 
als mit dem Wunsche, es möge unserem Stande nach langer, 
langer Frist das erste Zeichen bringen, daß die Bestrebungen 
der Aerzteschaft, ihres Standes Niedergang zu bekämpfen, 
Erfolg verheißen. Möge das neue Jahr uns einig sehen und 
stark! 

(Ein J u b i 1 ä u m.) Unsere geschätzte Collegin , die 
„Oesterr. ärztliche Ve rein s zeitung“, feiert das 25jährige 
Jubiläum ihres Bestandes. Ausschließlich ärztlich-socialen Zwecken 
dienend, hat dieses Organ des österreichischen Aerztevereinsver- 
bandes, der Wiener Aerztekammer und zahlreicher ärztlicher 
Vereine, ein Vierteljahrhundert hindurch seine Aufgabe getreulich 
erfüllt, indem es in allen wirtschaftlichen und Standesfragen 
rückhaltlos Stellung genommen und dankenswerte Anregung 
gegeben hat. Wir beglückwünschen das Blatt und seinen verdienst¬ 
vollen, den Interessen der Aerzteschaft unverdrossen und selbstlos 
dienenden Herausgeber Dr. CarlKohn, dessen Initiative unser 
Stand so manche Errungenschaft zu danken hat — stand er doch 
an der Spitze der Kämpfer um die Aerztekammern — auf das 
Herzlichste. 

(Die TodtenlistedesJahres 1901.) Auch das soeben 
abgelaufene Jahr hat dem ärztlichen Stande zahlreiche Verluste 
gebracht. Manch tüchtiger Praktiker ward in der Vollkraft des 
Schaffens abberufen, manch aufstrebender junger Arzt dahingerafft. 
Auch wir beklagen den Verlust zahlreicher, eifriger Mitarbeiter 
und Freunde, so des unermüdlich thätigen Dr. Friedrich Semeleder 
in Cordoba (Mexico), des Göttinger Toxikologen Prof. Th. Huse- 
mann, des berühmten Budapester Hygienikers Prof. Fodor u. v. A. 
— Von hervorragenden Männern der Wissenschaft sind dahinge¬ 
gangen : Der Pädiater Hofrath Freih. v. Widebhofer (Wien), die 
Kliniker v. Liebermeister (Tübingen), de Rossi (Rom), Manassein 
(Petersburg), die Chirurgen Langenbuch (Berlin), Holthouse 
und Sie William Cormac (London), die Pathologen Nencki 
(Petersburg), JibuS (Prag), Bizzozero (Turin), der Hygieniker 
Max v. Pettenkofer (München), der Psychiater Laufenauer 
(Budapest), der Oculist Leop. Weiss (Heidelberg), der Otiater 
Steinbrügge (Gießen), der Anatom G. Asp (Helsingfors) und der 
Chef des preußischen Sanitätscorps Generalarzt A. v. Coler. 

(Bekanntgabe der Krankheitsdiagnose anKran- 
kencassen.) Eine Anfrage, ob die Diagnose der Krank¬ 
heit seitens der öffentlichen Krankenhäuser über specielles Ansuchen 
der Krankencassen, Krankenversicherungs- oder Krankenunter- 
stützungsvereine rücksichtlich ihrer Mitglieder diesen Kranken¬ 
cassen überhaupt bekanntgegeben werden dürfe, hat das Ministerium 
des Innern, wie das „Correspondenzblatt des Vereines deutscher 
Aerzte in Reichenberg und Umgebung“ meldet, dahin beantwortet, 
daß die Krankencassen behufs Erfüllung der ihnen zustehenden 
Verwaltungsaufgaben und behufs Ausübung der ihnen zukommen¬ 
den Dispositionsrechte Mittheilungen über die Art der Krankheiten 
ihrer Mitglieder verlangen können, und daß daher kein Anstand 
dagegen obwalten kann , daß die Verwaltungen der öffentlichen 
Krankenhäuser im Falle der Verpflegung eines Cassenmitgliedes 
der Krankencasse die Diagnose über Begehren mittheilen. Auch 
anderen Krankenversicherungs- oder Krankenunterstützungsvereinen 
werden solche Diagnosen über Verlangen insoweit mitgetheilt 
werden können , als der Verein an einer solchen Mittheilung ein 
nachgewiesenes rechtliches Interesse hat, z. B. mit Rücksicht auf die 
gegen ihn erhobenen, von der Art der Krankheit abhängigen An¬ 
sprüche. In allen diesen Fällen werden sich aber die Cassen und 
Vereine verpflichten müssen, das Geheimniß zu bewahren. Hiebei 
ist den genannten Anstalten zu bedeuten, daß diese Mittheilungen 
nur über das besondere, gehörig begründete Ansuchen stattzufinden 
haben, und daß die statutarischen Vertreter dieser Cassen für die 
Wahrung des Geheimnisses bezüglich der oben angeführten Mitthei¬ 
lungen einzig und allein verantwortlich sind. 

(Zur Bekämpfung des Simulantenwesens) hat die 
Charlottenburger allgemeine Ortskrankencasse eingehende Unter¬ 
suchungen angestellt. Einzelne Ergebnisse der Recherchen verdienen 


allgemeines Interesse. Im letzten Halbjahre sind 1187 Cassenkranke 
zur Nachuntersuchung durch den Vertrauensarzt geladen worden. 
Hievon kamen 289 der Aufforderung überhaupt nicht nach, sondern 
meldeten sich sofort selbst gesund! Von den übrigen 898 Personen 
wurden 201 als erwerbsfähig erklärt und in 41 weiteren Fällen 
erfolgte eine Verneinung der Verpflichtung zur Krankenunterstützung 
aus anderen Gründen. In einem Falle wurde ein directer Betrug 
aufgedeckt, indem nämlich ein gesundes Cassenmitglied eine andere 
kranke Person für sich unterschoben hatte. Von den als arbeits¬ 
unfähig erklärten 655 Personen wurden 179 in Krankenhäuser 
gebracht, theils in ihrem eigenen Interesse, theils aber auch im 
Interesse der Casse, da in einer Reihe von Fällen Verdacht der 
Uebertreibung, der Simulation oder auf andere Weise versuchter 
Ausbeutung der Casse vorlag. 

(Auszeichnungen.) Den Professoren Dr. Adam Politzer 
in Wien, Dr. Karl Rabl und Dr. Joh. Horbaczewski in Prag, 
Dr. V. Zakrzewski in Krakau und Dr. Th. Wojciechowski in 
Lemberg ist der Titel eines Hofrathes verliehen worden. 

(M i 1 i tärär z tl i dies.) Oberstabsarzt II. CI. Dr. Karl 
Heinz ist in den Ruhestand versetzt und ihm bei diesem Anlasse 
der Charakter eines Oberstabsarztes I. CI. ad honores und das 
Ritterkreuz des Franz Joseph-Ordens verliehen worden. 

(P u b 1 i c i s t i s c h e s.) Die Redaction der von Prof. Stadel¬ 
mann begründeten „Deutschen Aerzte-Zeitung“ (Verlag: Louis 
Marcus, Berlin) ist am 1. Januar 1902 an Prof. Paöel in Berlin 
übergegangen. — Die Redaction der „Medicin. Blätter“ hat Docent 
Dr. Neuburger übernommen. 

(Wiener Aerzteclub.) Die Generalversammlung dieses 
Clubs findet Mittwoch den 8. Januar, 7 Uhr Abends, in den Clubräumen 
(I., Schottengasse 7) statt. Auf der Tagesordnung steht u. A. der 
Antrag auf Aufhebung der Eintrittstaxe von 30 Kronen. Dieser 
Antrag wird vom Ausschüsse wärmstens befürwortet, da die An¬ 
schaffungskosten des Inventars durch die bisher gezahlten Eintritts¬ 
gebühren vollkommen gedeckt sind und durch Aufhebung dieser 
Gebühr eine raschere Zunahme der Mitgliederzahl zu erwarten 
steht. Die neu eintretenden Collegen werden nunmehr nur die 
Jahresgebühr von 24 Kronen, eventuell in ^Jährlichen Raten zu 
6 Kronen, zu entrichten haben. 

(Die freie Vereinigung der deutschen medicini- 
sehen Fachpresse) hat auf Ewald’s Antrag folgende Thesen 
über literarische Polemiken angenommen: 1. Jede litera¬ 
rische Fehde ist mit der Replik des ersten Autors zu schließen. 
Nur in Ausnahmefällen wäre dem B das Recht einer zweiten Er¬ 
widerung (Duplik) zuzugestehen. Immer aber würde A das Schlu߬ 
wort haben. 2. Entgegnung (Replik, Duplik etc.) können in Petit 
und in der zweiten Hälfte des Blattes gedruckt werden, auch wenn 
der erste Aufsatz unter den Originalien mit größerem Schriftsatz 
stand. 3. Die freie Vereinigung der medicinischen Fachpresse er¬ 
kennt an, daß die Redactionen berechtigt sind, eingehende Er¬ 
widerungen u. dgl. vor der definitiven Drucklegung dem ange¬ 
griffenen Autor zuzustellen. 

(Aerztekammcr-Wahlmodus in zweisprachigen 
Wahlkreisen.) Die mährische Aerztekammer hat dem Ministe¬ 
rium folgenden Wahlmodus in Vorschlag gebracht: Von einer 
Gruppeneintheilung nach einzelnen Wahlbezirken wird abgesehen. 
Die Wahl der Vertreter in die mährische Aerztekammer soll auf 
Grundlage des absoluten Zahlenverhältnisses der Aerzte der beiden 
Nationen eingerichtet werden; als Grundlage ist das dermalige 
Verhältniß der czechischen zu den deutschen Aerzten: 12 : 8 fest¬ 
zuhalten. 

(Versammlung deutscher Naturforscher und 
Aerzte 190 2.) Den Theilnehmern der diesjährigen zu Karls¬ 
bad stattfindenden Naturforscherversammlung wird eine aus zwei 
Theilen bestehende Festschrift geboten werden, deren erster Theil 
die Schilderung Karlsbads, der zweite jene der anderen böhmischen 
Curorte umfaßt. Auch ist der corporative Besuch der Curorte 
Böhmens in Aussicht genommen. 

(Exempla trahunt.) Die Amtstracht der Richter scheint 
den Neid mancher akademischen Lehrer erweckt zu haben. Der 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 1. 


52 


akademische Senat der Ruperto-Carola hat — wie wir aus Heidel¬ 
berg erfahren — den Beschluß gefaßt, den Talar als Amtstracht 
der Professoren einzuführen. 

(Statistik.) Vom 22. bis inclusive 28. December 1901 wurden in 
den Civilspitälern Wiens 6656 Personen behandelt. Hievon wurden 1259 
entlassen; \'d4 sind gestorben (9‘6% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 75, egypt. 
Augenentzündung 3, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 3, Dysen¬ 
terie —, Blattern —, Varicellen 139, Scharlach 96, Masern 266, Keuchhusten 18, 
Rothlauf 48, Wochenbettfieber 6, Rötheln 2, Mumps 2, Influenza 1, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wieu 597 Personen gestorben 
(+ 40 gegen die Vorwoche). 

Das bekannte optische Institut C. Reichert, Wien, VIII/2, Bennogasse, 
versendet soeben seine mit vorzüglichen Holzschnitten ausgestattete Preisliste 
(Nr. 23). Sie stellt gleichsam einen Rathgeber bei Anschaffungen von Mikro¬ 
skopen, mikrophotographischen und Projectionsapparaten dar und gestattet 
eine eingehende und bequeme Orientirung über alle modernen Erzeugnisse der 
Apparate der wissenschaftlichen Mikroskopie. 


Eingesendet. 

Kundmachung. 

Vom Beginne des 1. Semesters des Studienjahres 1901/1902 an ist das 
Dr. Josef BLEir.’sche Stipendium jährlicher K 1180 zu verleihen. 

Zur Erlangung dieses Stipendiums ist nach den stiftbrieflichen An¬ 
ordnungen ein dürftiger und talentvoller, der deutschen Nation aDgehöriger, 
ordentlicher Hörer der Medicin an der k. k. Wiener Universität berufen. 

Der Genuß desselben dauert während der gesetzlichen Zeit der ordent¬ 
lichen medicinischen Studien und kann auch auf das unmittelbar darauf 
folgende Studienjahr erstreckt werden. 

Die Bewerber um dieses Stipendium haben ihre mit dem Geburts-, 
Taufscheine, dem Impfungsscheine — den legalen Ausweisen über die deutsche 
Nationalität, über ihre wirkliche Dürftigkeit, mit dem Maturitätszeugnisse und 
Studiennachweisen, endlich insoferne ein besonderes Vorzugsrecht geltend ge¬ 
macht werden will, mit den diesfälligen Beweisen belegten Gesuche bis 
längstens 15. Januar 1902 bei dem Präsidium des Wiener medicinischen 
Doctoren-Collegiums in Wien, 1/1, Rothenthurmstraße 19, zu überreichen. Nur 
die mit einem legalen Armuthszeugnisse belegten Gesuche sind stempelfrei. 

Wien, 20. December 1901. 


Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 

Die nächste Sitzung findet Donnerstag den 9. Januar 1902, 7 Uhr 
Abends, im Hörsaale der Klinik Neusser statt. 

Vorsitz: Hofrath Prof. Neusser. 

Programm : 

I. Demonstrationen (angemeldet): Docent Dr. Alois Strasser , Docent 
Dr. Mannaberg, Assistent Dr. Rud. Schmidt. 

II. Docent Dr. Max Herz: Ueber die Insufficienz der Ueocöcalklappe. 

Das Präsidium. 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 


Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
Postversendung. Die Preise der Einb&nddeokeil sind folgende: für die „Med. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
„Therapie der Gegenwart“: AT1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Postversendung. 


Die Rubrik: „Erledigungen, ärztliche Stellen“ etc . 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 

MC Wir empfehlen diese Rubrik der speoiellen Beachtung unserer 
geehrten Leser; in derselben werden öfters — neben der Publioation von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auch für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein können, welche an eine 
Aenderung desDomioils oder ihrer Verhältnisse nicht gedacht haben. *3M 


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Wien, den 12. Januar 1902. 


Nr. ?. 


XLIII. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik“, letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse" 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaotion bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 


Wiener 


Abonnementnpreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Militärärztlicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
20 ä", halbj. 10 K, viertel). 5 K. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines : Jährl. 24 Mrk., halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 K; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein 
Sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse" in Wien ,1., Maximilianstr. 4. 


Medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Redactfon: Telephon Nr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

-«OS©.- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


. Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 
Administration: Telephon Nr. 9104. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Beiträge zur Casuistik (1er Abdominalchirurgie. Von Prof. R. v. Mosetig-Moorhof. — Heilwässer und 
Heilwassertrinkstätten. Von Dr. W. Jaworski, Professor für innere Medicin an der Universität Krakau. — Zur Lehre von den Neurosen des peri¬ 
pheren Kreislaufsapparates. (Ueber vasomotorische Ataxie.) Von Dr, Hans Heuz in Breslau. — Referate. A. Jaquet (Basel): Ueber Brommethyl¬ 
vergiftung. — S. Beurmann (Nürnberg): Ueber Alopecia praematura (Alopecia seborrhoica, pityrodes s. furfuracea). — Ai.fred Wolff (Berlin): 
Untersuchungen über Pleuraergüsse. — Kopfstein (Jungbunzlan): Carcinomentwickelung in einer sacraleD Epidermoidalcyste. — A. v. Karwowski 
(Posen): Ein Fall von Hypertrichosis auf einem von gonorrhoischem Gelenksrheumatismus ergriffenen Arm. — M. Borchhardt (Berlin): Sympto¬ 
matologie und Therapie der Halsrippen. — E. Ricke (Leipzig): Ueber Ichthyosis congenita. — M. Pelagatti (Parma): Ueber das Verhalten der 
im Lupusgewebe eingeschlossenen Gebilde. — Syi.laba (Prag): Die Tbeilnahme des Bauch- und Brustfells bei Leberkrankheiten. — Roman Renki 
(Lemberg): Die diagnostische Bedeutung der mikroskopischen Blutuntersuchnng bei Carcinoma und Ulcus ventriculi rotundum. — Kleine Mit* 
theilungen. Einfluß der Butter auf die Magensaftabscheidung. — Behandlung der chronischen eiterigen Otitis media. — Untersuchungen über 
desinficirende Wandanstriche. — Behandlung des Carbunkels. — Ursprung und Kreislauf des Jod im Organismus. — Behandlung chronischer 
Ekzeme. — Therapie der Bronchitis. — Literarische Anzeigen. Lehrbuch der inneren Medicin. Heransgegeben von Prof. Dr. Freiherr v. Merino. — 
Anleitung zur Photographie. Herausgegeben von G. Pizzighellt, k. n. k. Oberstlieutenant a, I). — Die Nothwendigkeit des Geschichtsstudiums in 
der Medicin. Ein Mahnruf von J. K. Proksch in Wien. — Berliner Briefe. (Orig.-Corresp.) I. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. XI. Italieni¬ 
scher Congreß für innere Medicin zu Pisa. (Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) I. — Aus den Abtheilungen der 73. Versammlung 
Deutscher Naturforscher und Aerzte. Hamburg, 22. bis 28. September 1901. (Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) XV. — 
Gesellschaft für innere Medicin in Wien. (Orig.-Ber.) — Notizen. — Neue Literatur. — Eingesendet. — Offene Correspondenz der Redaction 
und Administration. Aerztllche Stellen. — Anzeigen. 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse“ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Beiträge zur Casuistik der Abdominalchirurgie. 

Von Prof. R. v. Mosetig-Moorhof. 

I. Schwerer Compressionsicterus durch tumorbildende 
chronische Pankreatitis. 

Die 31jährige Taglöhnersgattin war angeblich als Kind stets 
gesund, menstruirte mit 17 Jahren, verheiratete sich mit 20 und 
wurde 8mal schwanger. Siebenmal erfolgte normaler Partus, einmal 
vor 6 Jahren abortirte sie mit 8 Monaten. Die letzte Entbindung 
erfolgte vor 3 Jahren; seit dieser Zeit leidet sie an Prolapsus 
vaginae et uteri. Das Leiden, welches sie zur Aufnahme an der 
2. chirurgischen Abtheilung am 11. September v. J. bewog, begann 
im Monate April mit heftigen krampfartigen Schmerzen im Magen, 
welche unabhängig von der Nahrungseinnahme auftraten und sich 
periodisch in größeren oder kleineren Intervallen stets in gleicher 
Intensität einstellten. Aufstoßen, Erbrechen oder besondere Ueblich- 
keiten fehlten, nur der Schmerz peinigte sie. Im Juni kam e3 
während der häuslichen Arbeit zu Schwindelanfällen, Schwarzwerden 
und Flimmern vor den Augen, Erscheinungen, welche sich bis 
zur Ohnmacht steigerten und, da auch die Magenschmerzen beim 
Bücken intensiver wurden, vollständige Arbeitsunfähigkeit bedingten. 
Im Juli gesellten sich zu den eben beschriebenen Krankheits- 
Symptomen noch profuse Rhinorhagieu, die sich mehrere Wochen 
hindurch ohne Veranlassung alle 2—3 Tage wiederholten. Ende 
Juli machte sich zum erstenmale Icterus bemerkbar, welcher an 
Intensität stetig zunahm und von kolikartig bohrenden Schmerzen 
in der Lebergegend, die in den Rücken ausstrahlten, begleitet 
war. Rapide Abmagerung, Gefühl äußerster Mattigkeit, gänzliches 


Darniederliegen der Verdauung, Hautjucken und Schlaflosigkeit 
vervollständigten das drohende Krankheitsbild. 

Die hochgewachsene Frau war zum Skelet abgeraagert, die 
schlaffe welke Haut beinahe schwarzbraun verfärbt, Augen halonirt, 
die Conjunctivae dunkelgrün, Brustorgane gesund. Abdomen weich, 
schlaff, etwas eingesunken, kein Ascites. Die Leberdämpfung reicht 
in der Mammillarlinie von der 6. Rippe bis drei Querfinger unter 
den Rippenbogen. Kein Tumor zu tasten. Druck in die Magen¬ 
grube wird schmerzhaft empfunden, ohne daß daselbst größer; 
Resistenz gefühlt würde. Stuhl träge, acholisch, sehr übel riechende 
auf Steatorrhoe wird leider nicht geprüft. Urin dunkelbraun, 
reichlich Gallenfarbstoffe enthaltend, frei von Eiweiß und Zucker. 

Die vollständige Sperre des Gallenabflusses ließ uns die 
Erkenntniß auf Gallenstein stellen, der in den gemeinschaft¬ 
lichen Ausführungsgang gerathen, zu dessen Obturation 
geführt habe. Am 15. September schritten wir zur Operation, 
welche in der Choledochotomie behufs Extraction des Gallen¬ 
steines bestehen sollte. 

Chloroformäthernarkose. Schnitt vom Rippenbogen ent¬ 
lang dem äußeren Rand des Musculus abdominis rectus rechter 
Seite. Nach Eröffnung der Bauchhöhle und Fixirung des 
Peritoneum parietale an die Hautränder der Incisionswunde 
sieht man unterhalb des freien Leberrandes die etwa 1 Cm. 
vorspringende Kuppel der ziemlich schlaffen Gallenblase, in 
deren Inneren mehrere Steine durchzutasten sind. Die Schlaff¬ 
heit der Gallenblase erklärte es wohl, daß man ihre Kuppel 
nicht durch die Bauchdecken hindurch zu betasten vermochte. 

Die Gallenblase wird in die Wundspalte vorgezogen 
und ihre Kuppel durch zwei Seidenzügel fixirt. Nach genauer 
Abschließung der Umgebung mit sterilen Gazecompressen 
Spaltung der Blase zwischen den Zügeln durch einen 3 Cm. 


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langen Schnitt. Es entleert sich zunächst wässerige, schleimige, 
dünn gefärbte Galle, dann werden theils mit der Kornzange, 
theils durch Ausspülung mit Kochsalzlösung circa 1 Dutzend 
kirschkern- bis kleinhaselnußgroße, braune, facettirte, glatte 
Gallensteine entfernt. Nach völliger Entleerung der Gallen¬ 
blase wird ein kleiner Gazetampon in ihre Lichtung gestopft 
und die Schnittöffnung provisorisch zugebunden. Nach Ent¬ 
fernung der Schutzcompressen ging es nun auf weitere Suche 
nach dem Choledochus. Da der Längsschnitt nicht genügende 
Zugänglichkeit in die Tiefe gewährte, wurde ihm ein Quer¬ 
schnitt am oberen Ende hinzugefügt, der die Bauchdecken bis 
zur Linea abdominis alba spaltete. Sorgfältige Blutstillung. 
Adhäsionen des Cysticus mit der Umgebung werden vor¬ 
sichtig gelöst; wir nähern uns dem Choledochus und finden. 
dort einen kleinapfelgroßen, derben, an seiner Oberfläche 
unebenen, festsitzenden Tumor, der hinter und zwischen 
Pylorus und Duodenum eingekeilt ist, also dem Kopfe des 
Pankreas angehören dürfte. Im Choledochus, soweit er tastbar 
ist, kein Stein zu fühlen, auch fehlt eine Ectasie desselben. 

Der schwere Icterus der Patientin war mit dem Auf¬ 
finden des Tumors erklärt. Nach Wyss und Zuckerkandl 
verlauft der Ductus choledochus in einer Länge von mindestens 
J / 2 Cm. innerhalb des Pankreaskopfes und wird demnach in 
dieser Strecke von ihm umschlossen. Durch eine Größen¬ 
zunahme des Pankreaskopfes kann also der Choledochus zunächst 
comprimirt, endlich gänzlich verlegt und verschlossen werden; 
ähnliches erfährt durch den Tumor auch der Ductus pancreaticus. 

Von größter Wichtigkeit blieb nun die Entscheidung, 
ob der Tumor neoplastischer oder nur chronisch-entzündlicher 
Natur sei, denn von dieser Differentialdiagnose hing die 
weitere Therapie ab. Ein Neoplasma des Pankreas mit Com- 
pressionsicterus verlangt unbedingt eine Cholecystoentero- 
stomie, um für die Galle einen anderen Abflußweg zu schaffen, 
für einen chronisch entzündlichen Tumor dagegen genügt die 
temporäre Cholecystostomie, da mit der spontanen Involution 
des Tumors die Herstellung des normalen Abflußweges ge¬ 
sichert ist. Nun lassen sich diese beiden Eingriffe bezüglich 
ihrer Technik und Bedeutung kaum miteinander vergleichen. 
Die Cholecystostomie ist leicht und schnell ausführbar, die 
Cholecystoenterostomie dagegen gehört zu den technisch 
schwierigsten, viel Zeit in Anspruch nehmenden Eingriffen; 
auch kann sie dadurch gefährlich werden, daß sie wegen 
Herstellung directer Communication zwischen Gallenblase und 
Darm der Infection der Gallenwege vom Darme aus Thür 
und Thor öffnet. 

Es war also von größter Wichtigkeit, sich über die 
Natur des Tumors zu entscheiden. Neoplastische und entzünd¬ 
liche Tumoren des Pankreas nehmen beide mit Vorliebe den 
Kopf des Pankreas ein, beide bieten eine unebene Oberfläche, 
eine derbe Consistenz dar; die Größe des Tumor ist variabel, 
spielt keine Rolle. Friedreich gibt zwar an, daß das Pankreas- 
carcinom durch die Heftigkeit und Hartnäckigkeit der epi- 
gastrischen Schmerzen sich charakterisire, die es hervor- 
rufe; unsere Patientin litt unsäglich daran. Den sichersten 
Entscheid dürfte vielleicht wohl der Ascites abgeben, denn 
Carcinome haben in der Regel Ascites im Gefolge, während 
ein solcher bei chronischer Entzündung der Bauchspeichel¬ 
drüse noch niemals beobachtet worden sein soll. Freilich 
wäre noch die Frage zu stellen, ob denn Pankreascarcinome 
auch dann schon zu Ascites führen, wenn sie noch localisirt 
sind und sich nicht allzusehr ausgebreitet haben. 

Das Fehlen des Ascites sowie der Umstand, daß die Ope¬ 
ration schon ziemlich lange gedauert hatte, und daß der Zustand 
der narkotisirten, ohnedem sehr elenden Kranken eine rasche 
Beendigung des Eingriffes erheischte, bewogen uns zur An¬ 
legung einer Gallenblasenfistel und zu raschem Abschlüsse der 
Laparotomiewunde. Die Gallenblase wurde unterhalb des 
provisorischen Verschlusses durch eine dichte Circularnaht an 
das Peritoneum parietale befestigt, sodann die provisorische Ab¬ 
bindung an der Kuppel gelüftet und ein Drainrohr eingeführt. 


Die ganz erschöpfte Kranke erholte sich in Bälde, nach¬ 
dem sie eine Kochsalzinfusion erhalten hatte. Der Verlauf 
war afebril, schon nach 14 Tagen war der Stuhl etwas weniges 
gefärbt und der Icterus in Abnahme begriffen. Einen Monat 
nach dem Eingriffe war der Stuhl normal gefärbt, der Urin 
rein. Niemals konnte im Harne Zucker nachgewiesen werden, 
was übrigens bei diesem Leiden die Regel sein soll. Wenigstens 
behaupten die Autoren, daß chronische Pankreatitis des Kopfes 
der Bauchspeicheldrüse nie mit Diabetes einhergehe. Die Gallen- 
secretion durch die Fistel war in den ersten Wochen begreif¬ 
licherweise sehr stark ; erst als durch Abnahme des Tumors der 
Ductus choledochus entlastet wurde, floß die Galle in das 
Duodenum ab. Hand in Hand mit der Herstellung der Weg¬ 
samkeit nahm die Fistelsecretion ab. Ende December wurde 
die Fistel auf operativem Wege geschlossen, die Kranke hat 
ihre volle Gesundheit wiedererlangt, ja sie hat ein gewisses 
Embonpoint gewonnen. 

Ende November wurde sie auch durch Colporaphia 
anterior et posterior von ihrem Prolapsus uteri befreit. 

Der Abflußweg der Galle durch den gemeinschaftlichen 
Gang ist allmälig wieder frei geworden, eine Thatsache, 
welche nur durch das Aufhören der Compression infolge 
spontaner Involution und ad normam Reduction des Pankreas¬ 
kopfes erklärbar ist. E 3 lag also nicht ein Neoplasma vor, 
sondern jene eigenthümliche tumorbildende chronische Ent¬ 
zündung des Pankreaskopfes, welche einer Rückbildung fähig 
ist. Sie kommt stets im Gefolge von Cholelithiasis und mit 
solcher combinirt vor, nicht nur bei Gallensteinen, welche im 
Choledochus weilen, sondern auch bei solchen, die frei in der 
Gallenblase sich vorfinden wie in unserem Falle; es genügt eben 
das Bestehen einer katarrhalischen Erkrankung der Gallenwege, 
damit die Entzündungserreger auch den Pankreaskopf in Mit¬ 
leidenschaft ziehen. Riedel beobachtete unter 122 Fällen von 
Cholelithiasis dreimal die Complication mit entzündlichem 
Tumor des Pankreaskopfes. Nur einmal konnte der Tumor 
ante operationem durch die Bauchdecken hindurch getastet 
werden; er wurde aber nicht als solcher erkannt, sondern für 
die mit Steinen prall gefüllte Gallenblase angesehen, so sehr 
hart — eisenhart, wie Riedel sich ausdrückt — fühlte sich 
der Tumor an. In den zwei anderen Fällen wurde der Tumor 
erst nach ausgeführter Laparotomie wahrgenommen , gleich¬ 
wie in unserem Falle. Im ersten Falle Riedel’s wurde die 
Diagnose auf Carcinom des Pankreaskopfes gestellt und dem¬ 
entsprechend auch eine Cholecystoduodenostomie ausgeführt. 
Patient genas. Im zweiten Falle fanden sich Steine in der 
Gallenblase und im Choledochus vor, weshalb die Choledocho- 
tomie mit nachträglicher Exstirpation der Gallenblase zur 
Ausführung gelangte. Auch in diesem Falle kam es zur 
Heilung, wobei eine allmälige Reduction des Tumor con- 
statirt werden konnte; nach 1 1 / 2 Jahren war nichts mehr 
tastbar. Im dritten Falle wurde nur eine Explorativlaparotomie 
vorgenommen, da Gallenblase und Ausführungsgänge frei von 
Concrementen waren, nur fand sich der Choledochus sehr 
ectatisch, ein Beweis, daß die Steine schon ante operationem 
spontanen Abgang gefunden hatten. Dieser Fall endete letal 
durch Nachblutung in abdomine. Die mikroskopische Unter¬ 
suchung des Tumorpräparates ergab die Diagnose Pancreatitis 
interstitialis. 

Mayo-Robson hat über 17 Fälle von Pankreatitis berichtet, 
welche zur Operation kamen, und von denen 16 infolge spontaner 
postoperativer Involution des Tumors zur Heilung kamen. 

Daß die Differentialdiagnose zwischen Carcinom des 
Pankreaskopfes und tumorbildender chronischer Entzündung 
großen Schwierigkeiten begegnen kann, dürfte wohl einleuchtend 
sein, da hier Auge und Tastgefühl keine absoluten Unterschei¬ 
dungsmerkmale bieten, und beide Erkrankungen mit Chole¬ 
lithiasis sich combiniren. Das Bestehen oder Fehlen von Ascites 
mag noch der beste Wegweiser sein. 


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Heilwässer und Heilwassertrinkstätten. 

Von Dr. W. Jaworski , Professor für innere Medicin an der 
Universität Krakau. 

(Schluß.) 

Die Methoden, welche zur Beobachtung der physikalisch¬ 
chemischen Eigenschaften der Flüssigkeiten angewendet werden, 
sind sehr subtile Untersuchungen, die manchen Schwankungen 
unterworfen sind. Minimale Unterschiede der Concentration, 
selbst geringe Verluste oder Absorption von Gasen geben 
schon bemerkbare Abweichungen in den Resultaten. Destil- 
lirtes Wasser verschiedener Provenienz, Mineralwasser von 
der Quelle und aus der Flasche, das Flaschenwasser auf 
Lager längere Zeit gehalten — geben, auf elektrische Leit¬ 
fähigkeit untersucht, verschiedene Resultate. Aehnliches be¬ 
merkt man bei Bestimmung der Gefrierpunktserniedrigungen. 
Nach der Aussage competenter Autoren 3 ) unterlaufen bei diesen 
Untersuchungen kolossale Versuchsfehler: „Die Gefrierpunkts¬ 
erniedrigung .... gibt nicht die gleichen Zahlen in der Hand 
desselben Experimentators und auch nicht für dieselbe Lösung.“ 
So finde ich beispielsweise die Resultate bei zwei verschie¬ 
denen Autoren, welche nach derselben Methode die Gefrier¬ 
punktserniedrigungen der Wildunger Georgsquelle und der 
Marienbader Rudolfsquelle bestimmt haben, folgendermaßen 
angegeben: 

Koei’Pe Strauss-Kostriewicz 

Wildungen 0190° C. und 0 067° C. 

Marienbad 0185° C. „ 0'090° C. 

Aus diesen Zahlen berechnet sich der osmotische Druck 
der Mineralwässer durch Multiplication mit 121 

Koeppe Strauss-Kostriewicz 

Wildungen 0T90x 12* 1 = 2 29 Atm. und0'067 x 12T:=0'8lAtm. 
Marienbad 0185X 12-1 = 2 13 „ „ 0U90X 12-1 = 1 *08 „ 

Für die Berechnung der osmotisch wirksamen Molecüle 
(Ionen und neutralen Molecüle) in 1 Liter Wasser oder der 
Molenzahl ergeben sich durch Division der Gefrierpunkts¬ 
erniedrigungen durch die Zahl U85 folgende bedeutende Un¬ 
terschiede für die beiden Experimentatoren 

Koeppe Strauss-Kostriewicz 

Wildungen —0109 Mol. und-^-^Z~ = 0 036 Mol. 

l'8o 1'85 

Marienbad =0*100 „ „ g |°= 0486 „ 

Die Resultate der beiden Experimentatoren sind um 
mehr als die Hälfte von einander verschieden, obgleich die 
Untersuchungsmethode dieselbe war. Sie sind mit einander 
nicht zu vergleichen ; man meint, daß mit ganz verschiedenen 
Mineralwässern experimentirt wurde. Die Untersuchungen 
sind somit mit großen Fehlerquellen behaftet, wenn auch 
nicht in jedem Falle in so hohem Grade. Hätte man so große 
Unterschiede in den Resultaten bei Vergleichung des origi¬ 
nalen und nacbgemachten Wildungenwassers gefunden, so 
würde man es nicht den Untersuchungsfehlern, sondern der 
Minderwerthigkeit des künstlichen Productes vor dem „Natur- 

3 ) H. Koeppe, der unsere Wissenschaft auf Grund des Studiums der physi¬ 
kalischen Chemie mit recht schönen Resultaten bereichert hatte, schreibt über die 
Bestimmung der Gefrierpunktserniedrigung behufs der Berechnung des osmotischen 
Druckes und der Dissociationsverhältnisse der Mineralwässer Folgendes wörtlich: 
„Lassen wir Proben eines Mineralwassers im Gefrierapparate gefrieren, so erhalten 
wir fast ebensoviele verschiedene Resultate, als Bestimmungen gemacht 
wurden, ja, d ieselbe Probe wiederholt untersucht, ergibt gleichfalls verschiedene 
Werthe .... Um nun einigermaßen constante Werthe zu erhalten, denn absolut 
gleiche Resultate halte ich, wie gesagt, für nicht möglich, verfuhr ich folgen¬ 
dermaßen : . . . . Wenn nun eine längere Zeit zwischen Füllung der Flaschen 
und Uutersuchung vergeht, dann ist der Einwand zu erheben, daß jetzt das 
Mineralwasser in der Flasche dem aus der Quelle springenden nicht mehr 
gleich ist, .... So vorsichtig man diese Untersuchungen auch ausführen mag, 
immer haftet denselben etwas Unsicheres an .... Liegen dagegen zwischen 
der Ausführung der. chemischen Analyse und der physikalisch-chemischen 
Untersuchung eines Brunnens viele Jahre, so schwindet schon etwas dieUeber- 
zeugung, daß beidemale dasselbe Wasser untersucht wurde.“ 


product“ zugeschrieben haben. Der von manchen balneologi- 
schen Autoren sehnlichst gewünschte Unterschied in den 
physikalisch-chemischen Eigenschaften der Mineralwässer und 
der künstlichen Salzlösungen ist nicht leicht zu erbringen, 
so lange die Fehlerquellen unserer Untersuchungsmethoden in 
so weiten Grenzen sich bewegen, daß man aus den Resultaten 
nicht sicher ist, ob man Proben desselben oder verschiedenen 
Mineralwassers untersucht hatte. Theoretisch steht nichts im 
Wege, mit den Mineralwässern isosmotische künstliche Salz¬ 
lösungen herzustellen. Für den bedandelnden Arzt sind jedoch 
alle diese schönen Fragen, die erst durch specielle Unter¬ 
suchung in der Zukunft zu beantworten sein werden, von 
nebensächlicher Bedeutung. Er will nur wissen, ob in der 
Wirkung der Mineralwässer und jener der künstlichen Salz¬ 
lösungen ein Unterschied bestehe. Ich habe in der mir zu¬ 
gänglichen Literatur nur eine Arbeit gefunden, die diesen 
Punkt streift. 

Hermann Strauss hat Versuche am Menschen zuerst 
über das Verhalten der Salzlösungen und später der Mineral¬ 
wässer im Magen mit Berücksichtigung der Gefrierpunkts¬ 
erniedrigungen angestellt und sagt wörtlich: „Das Ergebniß 
dieser mit complicirten Salzgemischen (sc. Mineralwässern) 
angestellten Versuche steht im vollkommenen Einklang mit 
dem Resultate der an einfachen Lösungen von mir und Roth 
ausgeführten Versuche.“ Auch ich habe vor 23 Jahren aus¬ 
führliche Versuche über das Verhalten der Salzlösungen und 
der Mineralwässer (Kissingen, Marienbad, Karlsbad) zwar 
ohne Berücksichtigung der Gefrierpunktserniedrigungen des 
Mageninhaltes, aber mit Hilfe quantitativer chemischer Ana¬ 
lyse angestellt und damals nicht gefunden, daß das Verhal¬ 
ten der Mineralwässer im Magen anders wäre, als der corre- 
spondirenden Salzlösungen („Zeitschr. f. Biologie,“ Bd.19). Ich 
glaube kaum, daß in der Hand eines unbefangenen Forschers 
weitere Versuche einen nennenswerthen Unterschied in der 
Wirkung des Mineralwassers und der correspondirenden künst¬ 
lichen Salzlösung ergeben werden, wenn auch der Dissociations- 
zustand beider Lösungen ein wenig differiren würde. Zwar 
wird bei einer gewissen Größe des osmotischen Druckes mit 
der Lösung Energie in die Zellen gebracht, aber die osmoti¬ 
sche Druckdifferenz in beiden Lösungen ist kaum nennens- 
werth und ihre kurzdauernde Wirkung ist für den thera¬ 
peutischen Effect von untergeordneter Bedeutung, denn das 
Endresultat des therapeutischen Eifolges hängt in der Haupt¬ 
sache von der Qualität und Quantität der gelösten Substanzen 
ab, wie es nachfolgende Betrachtungen aus der ärztlichen 
Praxis ersehen lassen. 

Für die Behandlung eines und desselben Krankheitszu¬ 
standes, z. B. des chronischen Magenkatarrhs, schicken wir die 
Kranken nicht in ein specifisches Bad, sondern je nach unserem 
Ermessen nach verschiedene Curorten: Karlsbad, Marienbad, 
Vichy u. a. m. An allen diesen Quellen können bei geeigneter 
Behandlung Erfolge erzielt werden. Sind aber ihr osmotischer 
Druck 4 ), ihre elektrische Leitfähigkeit und Dissociationszu- 
stände gleich ? Himmelweit sind sie verschieden, und doch 
bringen sie dieselben therapeutischen Erfolge, und zwar des¬ 
wegen, weil sie eben die wirksamen Salze, wenn auch in ver¬ 
schiedener Qualität enthalten. 

Denjenigen, welche behaupten, daß im Wasser nicht die 
Salze, sondern der osmotische Druck das ausschlaggebende 
therapeutische Agens sei, gelte folgende Bemerkung: Wir 
können uns zwei Lösungen zweier differenter Salze, z. B. aus 
Ca- und Mg-Verbindung, von demselben osmotischen Diucke 
herstellen. Es wird aber Niemandem einfallen, zu behaupten, daß 
beide Salzlösungen auch gleiche therapeutische Wirkung haben. 
Sollte sich aus den künftigen Erfahrungen ergeben, daß außer 
der Qualität der gelösten Substanz auch der osmotische 
Druck der Lösung, resp. des Mineralwassers, von großer thera- 


4 ) Stbauss-Kobtkiewicz führt als Gefrierpnnktserniedrigungen folgende 
Zahlen an : Karlsbad — 0'275° C., Marieubad — 0'460° C., Vichy — ffSSO 0 C. 


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peutischer Bedeutung sei, so ist nichts leichter, als künst¬ 
liche Salzlösungen herzustellen, welche nach Bedarf mit dem 
Blutplasma und anderen Körperflüssigkeiten isosmotisch, hyper- 
oder hyposmotisch wären. Das Mineralwasser in dieser Rich¬ 
tung anzupassen, wäre natürlich unmöglich. 

Gesetzt den Fall, daß in einem Mineralwasser nicht die 
Substanz, sondern der Dissociationszustand das ausschlag¬ 
gebende therapeutische Agens wäre, so ist es in der Praxis 
unmöglich, daß derselbe im unveränderten Zustand zur Geltung 
kommen könnte. In der Mundhöhle mischt sich das getrunkene 
Wasser mit Schleim und Salzen, im Magen trifft es stets 
auf eine gewisse Quantität Mageninhaltes, oft auch Speisereste, 
welche sich im Darm regelmäßig befinden. Zugleich werden 
die Temperatur Verhältnisse des getrunkenen Wassers geändert. 
Es entsteht je nach dem Zufall ein Gemisch von größerer oder 
geringerer Concentration, in welcher die Gruppirung der „leicht 
resorbirbaren“ Ionen, elektrische Leitfähigkeit und die Energie 
ganz anders geworden sind, als sie ursprünglich im Wasser 
waren. Das Mineralwasser kann somit seine Thätigkeit auf 
die Zellen des Magenepithels nicht mehr mit seiner ursprüng¬ 
lichen Energie entwickeln. Es hat größere Veränderung auf 
seinem Wege in den Magendarmcanal erfahren, als durch 
Lagern in Flaschen oder bei Nachahmung in den Mineralwasser¬ 
fabriken. Es muß noch bemerkt werden, daß die meisten 
kalten Mineralwässer am Brunnen gewärmt werden, ehe sie 
getrunken werden. Dadurch werden flüchtige Bestandtheile 
und mit ihnen manche Imponderabilia des Brunnens ausgetrieben; 
was zurückbleibt, zeigt veränderten Dissociationszustand und 
elektrische Leitfähigkeit, und doch soll es wie das frisch vom 
Brunnen geschöpfte Wasser wirksam bleiben. 

Daß die Herren Collegen es in den Bädern nicht so 
streng mit den Ionen des Mineralwassers nehmen, wie sie 
schreiben, zeigen ihre Verordnungen von Zusätzen, wie Molken, 
Milch und dgl. zu den Mineralwässern. Wie können sie das, 
„was die Natur zum Vorbild gezeigt“, so rücksichtslos ent¬ 
stellen? 

Die Collegen „alten Stils“ sollen sich somit durch die 
Phrase, daß die Salzmolecüle in den Mineralwässern in Ionen 
dissociirt sind, nicht beirren lassen; wir können künstliche 
Salzlösungen herstellen, in denen die Salzmolecüle auch nach 
denselben Naturgesetzen dissociirt sind, wie in den Mineral¬ 
wässern, was jedoch in vielen balneologisehen Schriften sorg¬ 
fältig verschwiegen wird. Auch befinden sich Basen und Säuren 
ganz nach denselben Naturgesetzen angeordnet im Mineral¬ 
wasser wie in der künstlichen Salzlösung, ohne sich darum zu 
bekümmern, welchen Platz ihnen die Theorie des Analytikers 
oder die des physikalischen Chemikers anweisen; nur soll 
man sie alle genau in der von der Analyse gefundenen Quan¬ 
tität in löslichem Zustande in die Lösung hineingeben. Wir 
praktischen Aerzte dürfen uns nicht durch die von einigen 
balneologisehen Schriftstellern aufgeworfene Haarspalterei 
über den vermeintlichen Unterschied in den physikalisch¬ 
chemischen Eigenschaften der Mineralwässer und der künstlichen 
Lösungen beeinflussen lassen. Diese müssige Arbeit sollen wir 
getrost den dazu berufenen Physikern und Chemikern über¬ 
lassen , wenn diese sich dieselbe aufbinden lassen. Unsere 
Pflicht ist, die therapeutischen Erfolge beider Agentien sine 
ira et studio zu verfolgen und jenes in der Praxis zu wählen, 
mit welchem wir unseren Kranken besseren Dienst erweisen, 
ohne uns vorher zu bekümmern , ob beide Mittel identisch 
seien oder nicht. Die „Collegen neuen Stils“ sollten uns, 
statt mit modernen Errungenschaften der Naturwissenschaften 
ohne Zusammenhang in der Balneologie zu flunkern, durch 
Versuche nachzuweisen sich bemühen, ob eine Verschiedenheit 
in der therapeutischen Wirkung der natürlichen und künst¬ 
lichen Lösungen besteht. So lange dieser Art Arbeiten aus 
den Laboratorien und Kliniken nicht vorgewiesen werden 
können, ist Alles ein leeres Gerede, das statt der Aufklä¬ 
rung nur Verwirrung stiftet, und das weder im Interesse der 


wissenschaftichen Balneologie, noch wahrscheinlich in der Ab¬ 
sicht der „neuen Schulweisheit“ liegen kann. 

Aus den leider zu weitläufigen Ausführungen kommen 
wir zu folgenden Schlüssen: 

1. Die wissenschaftliche Naturforschung konnte bisher 
keine specifischen Eigenschaften der Mineralwässer nachweisen, 
welche auch den künstlichen Lösungen nicht eigen wären. 
Beide Salzlösungen folgen denselben Naturgesetzen. Die gegen¬ 
teilige Behauptung wird aus tendenziösen Gründen verbreitet. 

2. Es läßt sich in der Wirkung der künstlichen Salz¬ 
lösungen und der Mineralwässer auf den Organismus kein 
Unterschied nachweisen. Die experimentelle Forschung hat 
nicht den Unterschied, sondern im Gegentheil die Identität 
der Wirkung der natürlichen und der künstlichen Salzlösungen 
nachweisen können. 

3. Die Mineralwässer sind Rohproducte (medicamenta 
cruda) von irrationeller zufälliger Zusammensetzung, welche 
in der modernen Therapie vielen obsoleten Naturproducten 
angereiht werden können. 

4. Die therapeutischen Erfolge vom alleinigen Trinken 
der Mineralwässer sind gering oder illusorisch. 

5. Wird in der Therapie die Entfaltung der Wirkung 
der Mineralsalze auf den Organismus angestrebt, so ist die¬ 
selbe statt durch die Mineralwässer viel leichter durch 
wässerige ‘Lösungen wirksamer Salze von rationeller, den 
pathologischen Zuständen angepaßter Zusammensetzung unter 
eventueller Berücksichtigung der Dissociationszustände der 
Salzlösungen, d. h. durch die Heilwässer, zu erreichen. 

Ich habe bis jetzt auseinandergesetzt, worin die in den 
Bädern öfters beobachteten Curerfolge zu suchen seien. Es ist 
aber noch zu erörtern, woher der große Zudrang zu den 
Badeorten kommt, der in keinem Verhältniß zu den wirklich 
erzielten therapeutischen Erfolgen steht. Die Aufklärung 
dieser Thatsache gibt die Geschichte der Entstehung der 
Bäder, welche sich an jedem Badeorte der Neuzeit nach der¬ 
selben Schablone wiederholt und die wir hier in Kürze vor¬ 
führen wollen. 

In einer weltabgeschlossenen Gebirgsschlucht, die sich 
weder für den Feld-, noch Bergbau, noch für irgend eine 
Unternehmung eignet, schreitet der Eigenthümer nachdenklich, 
klagend im Gedanken über die Werthlosigkeit dieses Erd- 
winkels. Auf einmal erblickt sein Auge ein Wasser darin, 
das entweder röthlich schimmert oder Blasen wirft, auch 
einen eigentümlichen Geschmack hat. Da steigt dem Manne, 
der zwar keine medicinischen Kenntnisse, aber genug Mittel 
und Unternehmungsgeist besitzt, der glückliche Gedanke auf, 
mit dem kostbaren „Naturproduct“ die leidende Menschheit 
zu curiren. „So mancher hat vor mir das Glück versucht 
und ein gutes Geschäft gemacht, warum soll es mir nicht ge¬ 
lingen?“ denkt der Finder. In diesem Augenblicke ist die 
Mineralquelle geboren. Es handelt sich nur darum, das Kind 
groß zu ziehen. Es wird der chemischen Analyse übergeben, 
und ein gefälliger Analytiker zeigt schwarz auf weiß bis 
auf Tausendstel Milligramm, daß es die weltbekannten 
Brunnen X, Y, Z an wirksamen Bestandtheilen und somit an 
der Heilkraft übertrifft und zu den „stärksten Mineralquellen 
Europas“ gehört. Die kaum getaufte Mineralquelle wird auf 
Grund „geschichtlicher Forschung“ ehrwürdig gemacht, indem 
ihre Heilkraft als schon in uralten Zeiten bekannt nach- 
gewiesen wird. Nach der Sage hat sich ein König oder 
wenigstens ein Bischof des Mittelalters des Wassers bedient, 
und die Ureinwohner der Umgegend benützen es zum Waschen 
kranker Glieder seit vielen Jahrhunderten. Der Grundstein 
zum Glauben an die Heilkräfte ist schon glücklich gelegt 
worden. Zur Aufnahme der ersten Gläubigen werden Vor¬ 
kehrungen und die zärtlichste Vorsorge getroffen. Ein be¬ 
freundeter Arzt von der Umgegend wird mit warmem Hände¬ 
druck zur nominellen Beaufsichtigung erbeten. Nun werden 
Besuche der Quelle von „hochgestellten Personen“ und medi¬ 
cinischen Capacitäten mit großer Unterwürfigkeit angestrebt 


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und in allen Zeitungen bis ins Detail beschrieben. Gleich¬ 
zeitig wird in „wissenschaftlicher Richtung“ gearbeitet. Die 
medicinischen Zeitschriften werden mit Reclameartikeln und 
die Kliniken und Aerzte wegen der Atteste bestürmt. Manche 
weichere Naturen geben dem Treiben der bestürmenden Zu¬ 
dringlinge nach, und das neue „Naturproduct“ ist auch 
wissenschaftlich zum Mineralwasser, mit „ausgezeichneten 
Erfolgen in x Krankheiten angewendet“, gestempelt worden. 
Da wird der erbetene Arzt, der das Treiben mit seiner 
Person gedeckt hatte, ganz einfach abgespeist. An seine 
Stelle tritt ein ganz junger Brunnenarzt, überzeugt durch 
die Fama und die Atteste der renommirten Aerzte, ja sogar 
seiner klinischen Lehrer von der großen Heilkraft des Mineral¬ 
wassers. Es schwebt ihm im Gedanken die neue Lebensaufgabe 
vor, das Bad groß zu machen. Zugleich wird aber eine Bade¬ 
verwaltung eingesetzt, welche außer der Verwaltung die 
Weisung bekommt, dem Anstaltsarzt die Flügel nicht breit 
wachsen zu lassen und seine Ansprüche und Pläne in ange¬ 
messenen Grenzen zu halten. Nun wird eine große Eröffnungs¬ 
feier mit Einladungen und kirchlichem Gepränge abgehalten, 
der Glaube an die Heilkraft des Bades urbi et orbi verkündet, 
und das neue Mekka steht für die Wallfahrer offen. Jeder, 
der nicht auf die Heilkraft des Wassers schwört, wird jetzt 
als Ignorant und Ketzer behandelt. Wie kann man denn 
daran noch zweifeln, wenn ein Magenkranker, der sich zu 
Hause stets überessen und vollgetrunken hatte, ein Bron 
chitiker. der zu Hause im stauberfüllten Fabriksraume ver¬ 
weilt, ein neurasthenischer Professor oder Zeitungsredacteur, 
die sich das ganze Jahr durch geistige Ueberanstrengung 
überarbeiten, ein hypochondrisch gestimmter obstipirter Bureau¬ 
beamter , der den ganzen Tag hinter seinem Schreibtisch 
hocken muß, — nach mehrwöchentlichem Aufenthalte im neuen 
Bade, frei von schädlichen Einflüssen, geheilt worden sind. 
Dies alles findet sich ja statistisch vom Arzte in den Jahres¬ 
berichten der Curverwaltung schwarz auf weiß angeführt. 
Wie viele von diesen „Geheilten“, nach Hause zurückgekehrt, 
wirklich gesund bleiben, darüber könnte uns nur der Haus¬ 
arzt Aufklärung geben. Auch könnten die Hausärzte über 
die armen kranken Familien und Witwen berichten, welche 
im übertriebenen Glauben an die Heilkräfte der Mineral¬ 
wässer die letzten Mittel aufboten, um sich in das neue, sich 
selbst rühmende Bad zu begeben. Nach Hause fast ohne Erfolg 
zurückgekehrt, sind sie in noch größere Armuth gerathen. 
Findet sich ein Ungläubiger von „alter Schulweisheit“, der 
die statistischen Berichte nicht genug hoch anschlägt, dem 
werden vorgehalten : die specifischen Eigenschaften des Mineral¬ 
wassers . der osmotische Druck, Leitfähigkeit, Dissociation, 
Ionen, Molen u. dgl., Ausdrücke, deren Bedeutung der Wort¬ 
führer zwar wenig versteht, die aber auf die Leute „alten 
Stils“ Eindruck machen und dieselben kleinlaut stimmen. 
Und dieses Ziel war ja nur angestrebt. Um das Geschäft 
nun recht in Gang zu bringen, wird die Reclame rücksichtslos 
und energisch nach allen Richtungen betrieben, denn es ist 
alte Erfahrungssache, wenn die Reclame nachläßt, neigen 
die Bäder dem Niedergange zu. Manch blühender Curort ist 
aus Mangel an Reclame in wohlverdiente Vergessenheit ge¬ 
rathen, wie es auch mit den vielen weltberühmten Präparaten, 
z B. dem seinerzeit „höchst wirksamen“ HoFF’schen Malz- 
extracte, geschehen ist. Macht das aufblühende Bad ein gutes 
Geschäft, tritt es irgend einem Vereine für die Förderung der 
Brunneninteressen bei, dann beginnt es sich dem lästigen Ein¬ 
flüsse des Brunnenarztes zu entziehen ; die Verwaltung hebt den 
Posten des Brunnenarztes auf, nachdem durch ihn der Ruf 
der Heilkraft des Bades hinreichend befestigt und allgemein 
verbreitet worden ist. Es tritt nun freie Concurrenz ein. Die 
Aerzte bekommen durch Protection die Wohnungen zu Hoch¬ 
saisonpreisen und dazu Befreiung von den Curtaxen und freie 
Bäder, wenn sie darum nachsuchen. Dafür übernehmen sie 
die moralische Verpflichtung, zum Gedeihen des Bades (sc. 
Brunneninteressenten) nach Kräften beizusteuern, und den 


Wink, über Manches im Bade ihr Auge zuzudrücken, 
sonst könnten sie als lästige Störefriede des allmächtigen 
Geschäftsbetriebes betrachtet und demgemäß behandelt 
werden. 

Zum Glück emancipirt sich der ärztliche Stand und 
die ärztliche Kunst vom steigenden Drucke des Mineral¬ 
wasserbadgeschäftes , welches leider in unberufenen Händen 
sich befindet. Viele Krankheiten, welche vor Jahren nur in 
Bädern behandelt wurden, finden gegenwärtig ihre Behand¬ 
lung in specialistischen Anstalten: Wasserheilanstalten, diä¬ 
tetischen und klimatischen Sanatorien, die unter Leitung der 
Aerzte selbst stehen. Die Sache hat jetzt erst ihren Anfang 
im größeren Maßstab genommen, und es ist zu hoffen, daß 
die Aerzte auf dieser Bahn weiter fortschreiten und auch 
die rationell zusammengesetzten Heilwässer, wie bereits manche 
andere Heilfactoren, in den Bereich specieller Anstaltsbehand¬ 
lung ziehen werden. Es gehört für einen Arzt nicht zur Unmög¬ 
lichkeit, eine Gruppe von verwandten Krankheitszuständen 
auszuwählen, für dieselben ein passendes Terrain auszusuchen, 
welches den therapeutischen Anforderungen der betreffenden 
Krankheitsformen in Bezug auf klimatische und meteorologische 
Verhältnisse entspricht, und hier ein Sanatorium zu gründen, in 
welchem als das wichtigste therapeutische Agens die verschie¬ 
denen Heilwässer passende Anwendung finden würden. Solche 
Anstalten, Heilwassertrinkstätten genannt, könnten 
an manchen schon jetzt bestehenden klimatischen Curorten 
oder Sommerfrischen errichtet werden, und zwar an solchen, 
welche in Bezug auf die Lage und klimatische und meteoro¬ 
logische Verhältnisse für die betreffende Krankheitsgruppe sich 
eignen würde. Der Nutzen solcher Heilwassertrinkstätten ist 
einleuchtend: Dieselben verbinden die Vortheile des Curortes 
mit denen einer klinischen Anstalt, der Arzt hat die Beob¬ 
achtung und Controle über den Kranken, er ist während 
der Cur Hausarzt und Kliniker zugleich, er kann die Ver¬ 
antwortung für die Erfolge übernehmen, denn er hat die 
Therapie ganz in seiner Macht; er kann je nach der Indi¬ 
vidualität des Falles die Heilwässer quantitativ und quali¬ 
tativ ändern, da er kein starres unveränderliches Naturproduct, 
wie es ein Mineralwasser an der Quelle ist, in seiner Hand 
hat. Die Heil wassertrinkstätten werden dem Arzte erlauben, 
selbständig zum Heile der Kranken und entsprechend dem Fort¬ 
schritte der ärztlichen Kunst, somit auch standeswürdig, denn 
unbeeinflußt von jeder Brunnenverwaltung, in deren Interesse 
die Badeärzte unbewußt ihre ganze Thätigkeit eiusetzen, seinen 
Wirkungskreis voll zu entwickeln. Es ist nicht zu verhehlen, 
daß die Gründung und das Gedeihen der Heilwassertrinkhstätten 
auf große Hindernisse stoßen kann, denn es wird ihnen vor Allem 
der Glaube und die marktschreierische Reclame der Bäder 
fehlen ; doch am Gelingen dürfte man nicht verzweifeln, wenn 
man die Geschichte der Entstehung und Entwickelung der 
Sanatorien für Lungenkranke sich vergegenwärtigt. So lange 
aber die Heil wassertrinkstätten ein frommer Wunsch sind, 
dirigire ich viele meiner Kranken in passende klimatische Cur- 
orte und Sommerfrischen, lasse sie dort unter Aufsicht des Arztes 
ein Heilwasser trinken, und habe au3 dieser Verordnung 
größeren Nutzen gesehen als aus mancher Badecur. Ich 
möchte den Herren Collegen empfehlen, mit ihren Patienten 
solche Versuche auch zu machen; sie würden es nicht bereuen 
und dadurch gleichzeitig der ärztlichen Anstaltsbehandlung, 
die sich in der Neuzeit segensreich entwickelt, Vorschub 
leisten. Freilich passen für die Heilwasserbehandlung an 
klimatischen Curorten nicht die Patienten, welche von der 
Zauberkraft des Mineralwassers allei Heil erhoffen. Diese 
lasse auch ich in die Bäder wallfahren, wenn sie wohlhabend 
sind. Denn die Suggestion ist oft ein mächtiger therapeuti¬ 
scher Factor und wird durch den Glauben unterhalten. Der 
Glaube aber schwindet erst mit dem Aussterben des Menschen¬ 
geschlechtes. An Gläubigen, welche zu den Brunnengeistern 
pilgern werden, wird es daher nie fehlen, uod manche von 
diesen Brunnen, welche für Hygiene und Bequemlichkeit mit 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 2 


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Prachtbauten gesorgt haben, werden noch lange durch die 
saure Arbeit ihrer Badeärzte, jedoch nicht durch die Heil¬ 
kraft ihres Wassers Curerfolge zu verzeichnen haben. 


Zur Lehre von den Neurosen des peripheren 
Kreislaufsapparates. 

(Ueber vasomotorische Ataxie.) 

Von Dr. Hans Herz in Breslau. 

(Fortsetzung.) 

lieber localisirtes uml constantes Auftreten der vasomo¬ 
torischen Symptome. 

Nachdem wir so alle Formen der vasomotorischen Ataxie 
besprochen haben, erinnern wir lins der Einschränkungen, 
die wir oben dem Krankheitsbilde gaben: wir haben im 
wesentlichen nur die paroxysmalen Störungen besprochen, 
welche in verschiedenen Abschnitten des Kreislaufsapparates 
zur Beobachtung kommen und im selben Falle bald vasocon- 
strictorischer, bald vasodilatatorischer Natur sind, wenn auch 
meist eine von beiden Formen vorwiegt. Wir kommen jetzt 
zu gewissen Abweichungen von diesem Typus. 

Zunächst gibt es auch localisirte vasomotorische 
Neurosen. Es ist oben schon erwähnt, daß ganze Organsysteme 
der Sitz dieser besonderen Labilität sein können: die Haut 
ist das Paradigma für dies Verhalten, insofern die an ihr 
beobachteten vasomotorischen Phänomene zwar sehr oft mit 
Zeichen allgemeiner vasomotorischer Ataxie einhergehen, sehr 
oft aber ganz isolirt, als Neurosen der Haut bestehen. 

Nicht selten sind ferner gewisse localisirte Neurosen 
einzelner Körpertheile. Es gibt wohl keine der geschilderten 
Kreislaufsstürnngen, die nicht auch als einzige vasomotorische 
Affection bei einem Kranken Vorkommen könnte; allerdings 
lehrt die Erfahrung, daß im Allgemeinen bei längerer Be¬ 
obachtung noch andere hierher gehörige Zeichen anftauchen. 
Doch gibt es gerade gewisse Formen, die sehr oft relativ 
localisirt auftreten. Besonders die gipfelnden Theile des Kör¬ 
pers nehmen hier eine eigene Stellung ein. 

ln dieser Rubrik müßte ich die RAYNAUivsche Krankheit 
mit allen ihren Abarten — ausführliche Schilderung siehe 
bei Cassirrr (1. c.) — besprechen, wenn ich nur überzeugt 
wäre, daß es sich um eine „Neurose“ und nicht primär um 
eine schwere Ernährungsstörung der Gewebe handelte, die 
sich nur zuerst in Gefäßsymptomen deutlich manifestirt. 
Wahrscheinlich gibt es aber Fälle, die auf der Basis einer 
allgemeinen vasomotorischen Ataxie entstehen. Tn der Lite¬ 
ratur finde ich manches dabei erwähnt, z. B. unbestimmte 
Herzaffectionen, Hämoglobinurie u. s. f., was diesen Gedanken 
zu stützen scheint, es müßte nur mehr auf die anderen vaso¬ 
motorischen Phänomene geachtet werden. Mir fehlt es an 
zureichendem Material; in einem Falle, den ich vor längerer 
Zeit sah, bestanden zugleich starke nervöse Herzbeschwerden. 
Gleiches gilt von der Erythromelalgie. 

Während bei der RAYNAUD’schen Krankheit die ver¬ 
schiedenen Kreislaufsphänomene sich combiniren — Synkope 
und Asphyxie sind am häufigsten, doch kommt auch Con- 
gestion vor — - zeigen die meisten Kranken mit localisirten 
Gefäßsymptomen nur vasoconstrictorische oder nur vasodilata- 
torisehe Störungen, und ich muß daher auf die Frage nach 
dieser Einschränkung auch gleich eingehen. Es ist möglich, 
daß bei manchen Kranken mit allgemeiner Labilität der Ge¬ 
fäße die Erregbarkeit primär nur nach einer der beiden 
Seiten gestört ist; da aber, wie erwähnt, gewisse Gefäßpro¬ 
vinzen antagonistisch arbeiten, so kommen meist Symptome 
beider Gruppen, dazu noch solche der regionären Cyanose 
zur Erscheinung, wenn auch in verschiedener Stärke. Ich 
erinnere mich nur höchst seltener Ausnahmen, z. B. einer 
Dame, die ich jüngst sah, mit Hirncongestionen, starken Hitze¬ 


anfällen in den Händen und enormen Menorrhagien, ohne 
jedes vasoconstrictorische Symptom. Dagegen treten die locali¬ 
sirten Kreislaufsstörungen oft in eigener Form auf, und wir 
können hier die localisirten vasoconstrictorischen 
und die localisirten vasodilatatorischen Neurosen 
unterscheiden. Es wird genügen Beispiele der hieher gehörigen 
Krankheitsbilder anzuführen, da dieselben von anderen Autoren 
in vorzüglicher Weise geschildert sind. 

Zu den localisirten vasoconstrictorischen Neurosen ge¬ 
hören viele Fälle des von Nothnagel (1. c.) gezeichneten 
Krankheitsbildes: Es handelt sich um Synkope an Händen und 
Vorderarmen bei Weibern der arbeitenden Classe, meist auf 
Einwirkung kalten Wassers; andere Gefäßsymptome können 
dabei fehlen. Hierhin gehört ferner die verwandte Erscheinung 
des „Totenfingers“ (doigt mort), die ebenfalls isolirt auftreten 
kann; siehe die Schilderung bei Cassirer (1. c.). Die angio- 
spastische Form der Migräne stellt ein drittes Beispiel dar. 

Dagegen bietet die Hemikrania sympathico-paralytica 
den Typus der localisirten vasodilatatorischen Neurose. Auch 
den nervösen Schnupfen rechne ich hierher, da ich in mehreren 
sehr ausgeprägten Fällen, die ich sah, keine allgemeinen 
Gefäßsymptome beobachten konnte. Nervöse Congestion des 
Augapfels scheint ebenfalls isolirt vorzukommen. 

Die Beispiele ließen sich häufen, es ließe sich die Zu¬ 
sammengehörigkeit zahlreicher nicht genügend erklärlicher 
Affcctionen mit derartigen Störungen discutiren: ich will 
aber darauf nicht eingehen, da wir uns damit zu sehr von 
der vasomotorischen Ataxie entfernen. — 

Dagegen müssen wir noch auf die Fälle eingehen, wo 
im Zusammenhänge mit jener Erkrankung kein anfallsweises, 
sondern ein dauerndes Auftreten vasomotorischer Phänomene 
erfolgt, wie es übrigens auch bei den localisirten Formen 
nicht selten ist. Es kann eine derartig mehr oder minder 
langdauernde vasomotorische Störung ohne vorherige Attaquen 
eintreten, sei es daß ein Reiz chronisch einwirkt, sei es daß 
er gleich eine dauernde Veränderung in der Einstellung der 
Kreislaufsapparate erzeugt. Vielleicht noch öfter geschieht 
es, daß die Attaquen allmälig immer länger und anhaltender 
werden, wobei eine Hyperästhesie der regulirenden Apparate 
infolge häufiger Inanspruchnahme sicher eine Rolle spielt, 
und daß schließlich der Zustand ein dauernder wird. Häufig 
ist die Kreislaufsstörung dabei an sich nicht allzu stark, zeigt 
aber anfallsweise Steigerungen. 

So begegnen wir sowohl der Synkope als der regionären 
Cyanose als dauernden Institutionen. Sehr selten ist dies bei 
der Congestion der Fall; viel öfter kann man beobachten, daß 
Organe, die öfter Blutwallungen durchgemacht haben, an 
langdauernder Cyanose erkranken. Es ist dies nach unseren 
obigen Auseinandersetzungen ganz verständlich : denn die allzu 
häufigen und großen Schwankungen der Gefäßbahnen erzeugen 
leicht eine Art Parese der peripheren motorischen Kreislaufs¬ 
apparate , als deren Ausdruck wir die regionäre Cyanose 
kennen gelernt haben. Es ist aber zu bemerken, daß es sich 
dann eigentlich nicht mehr um eine nervöse Kreislaufstörung, 
sondern um einen Endausgang derselben, eine Schwächung 
infolge zu starker Arbeit, handelt, und daher ist dieser Zu¬ 
stand so schwer zu behandeln. 

An der Haut läßt sich dauernde Synkope und dauernde 
Cyanose recht oft beobachten, erstere mit besonderer Vorliebe 
an den unteren, letztere an den oberen Extremitäten. Doch 
kommen alle möglichen Arten der Ausbreitung vor. 

Die ewig kalten Füße oder auch Kniee spielen unter 
den Klagen unserer Kranken eine große und oft zu wenig 
beachtete Rolle. Auch die objective Untersuchung ergibt alle 
Zeichen der Synkope: Kälte, Abstumpfung der Sensibilität 
u. s. f. Meist ist die Schweißsecretion dabei versiegt. — 
(Uebrigens kommen kalte Füße nicht nur bei nervösen Er¬ 
krankungen vor, sondern auch z. B. bei Nierenkranken, bei 
welchen wir vielleicht Grund haben, tiefergreifende Störungen 
des Hautorganes anzunehmen.) 


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Nr. 2. 


Ungemein häufig ist bei vasomotorischer Ataxie, zuweilen 
auch als isolirte Störung bei allerlei Neurosen, die Cyanose 
der Hände und Unterarme. Die Kranken geben fast aus¬ 
nahmslos die Hände als „erfroren“ an und stützen sich auf 
die sichere Erfahrung, daß der Zustand auf Kältereize stärker 
wird. Ich will hier natürlich nicht bestreiten, daß die Parese 
des peripheren Kreislaufsapparates durch Erfrierung zustande 
kommen kann. Aber in zahlreichen Fällen der Art, die ich 
beobachtet habe, bestanden einerseits deutliche Zeichen vaso¬ 
motorischer Ataxie, anderseits waren, bei manchen wohlbe¬ 
hüteten jungen Damen z. B., Gründe für die Einwirkung 
starker Kältereize in der Anamnese so absolut nicht zu finden, 
daß ich mich gewöhnt habe, das Symptom als Zeichen be¬ 
sonderer vasomotorischer Labilität zu betrachten, wo nicht 
positiv Erfrierung feststellbar war. Es scheint mir auch, daß 
manche Fälle als Folge häufiger Congcstionen zu betrachten 
sind. Bei einem jungen Mädchen, das in der Pubertät oft 
über heiße Hände klagte und in der That auch objectiv am 
Handteller erhöhte Temperatur und Schweißbildung darbot, 
sah ich nach einiger Zeit, und zwar bei schönstem Frühlings¬ 
wetter, die Cyanose auftreten. Cyanose findet sich auch 
nicht selten an den äußeren Ohren, besonders lästig bei Damen 
an der Nasenspitze. Auch an letzterer gehen oft Congestiv- 
zustände vorher. 

Am Kopf kommt gelegentlich eine Art von dauerndem 
Congestivzustande vor, meist von plötzlichen Attaquen heftiger 
cerebraler Hyperämie unterbrochen. Auch hier ist der be¬ 
ginnende Uebergang in venöse Hyperämie nachweisbar. — 
Ueber chronische Labyrintheongestion siehe oben bei Fall 15. 

Die Frage betreffend eine constante Form von Schild¬ 
drüsenhyperämie bei unseren Kranken werden wir unten 
berühren, wenn wir die Beziehungen zum Morbus Basedowii 
zu erörtern haben werden. Auch beziiglich der H erzgefäß e 
und ihrer chronischen nervösen Veränderungen verweise ich 
auf später. 

Im Unterleibe erwähne ich zuerst die dauernde Er¬ 
weiterung der Aorta, die sich an die oben beschriebenen Fälle 
von paroxysmaler Erweiterung an schließen oder selbstständig 
auftreten kann. Ich habe schon oben auf den Zusammenhang 
des Phänomens mit Amenorrhoe hingewiesen. 

Auch die anderen nervös bedingten Hyperämien im 
Unterleibe kommen gern in langanhaltender Form vor. die 
Plethora der Verdauungsorgane, die Congestion nach dem 
Uterus. Gerade hier läßt sich übrigens oft recht schön ver¬ 
folgen, wie zahlreiche Congestionen in einen Zustand venöser 
Hyperämie ausgehen können. Am Uterus z. B. ist, nach 
häufigen Menorrhagien, der letztere Zustand oft direct con- 
statirbar; es wäre falsch , dann die reichliche Blutung nur 
auf diese Stauung in utero mit ihren Folgen zu beziehen. 
Aehnliches findet sich an der Leber. (Fortsetzung folgt.) 

Referate. 

A. Jaquet (Basel): Ueber Brommethylvergiftung. 

J. hatte Gelegenheit, einen Fall von Brommethylvergiftung 
zu beobachten, bei welchem eine directe Einathmung der giftigen 
Dämpfe mit Bestimmtheit nachzuweisen war („Deutsches Arch. f. 
klin. Med.“, 1901, LXXI. Bd., Heft 4 u. 5). Da die Symptome der 
Beurtheilung nur schwer zugänglich schienen, hat er einige orien- 
tirende Thierversuche angestellt. Er fand, daß das Brommethyl sich 
im Großen und Ganzen in toxikologischer Hinsicht wie die anderen 
Halogenderivate der Fettreihe verhält. Zunächst beobachtet man 
eine Abnahme der Spontaneität; das Thier bewegt sich nur, wenn 
es durch einen äußeren Reiz dazu gezwungen wird. Bald gesellt 
sich das Unvermögen, die normale Lage einzuhalten, hinzu, das 
Thier wird auf den Rücken gelegt und verharrt in dieser Stellung 
oder man kann eine hintere Extremität ausstrecken, ohne daß es 
darauf reagirt; erst durch einen Schlag auf den Tisch oder durch 
Klatschen in die Hände kommt das Thier wieder für kurze Zeit 


7« 


zu sich und nimmt die normale Lage wieder ein. Dieses Stadium 
dürfte dem Stadium der Trunkenheit beim Menschen entsprechen, 
in welchem die Vergifteten taumelnd und wie automatisch nach 
Hause gingen. In diesem Stadium sind die Reflexe erhalten, ebenso 
reagirt das Thier prompt auf einen pathischcn Reiz. Nach und 
nach wird es unfähig aufzusitzen und bleibt auf der Seite liegen. 
Die Athmung ist stark verlangsamt, die Reflexe, sowie die übrige 
Sensibilität nehmen ab, cs tritt Schwäche und Lähmung der Ex¬ 
tremitäten ein und das Thier geht an Athmungslähmung zugrunde. 
Abweichend vom gewöhnlichen Bilde der centralen Lähmung sind 
die epileptiformen Krampfanfälle, welche im letzten Stadium der 
Vergiftung beobachtet werden ; ebenso ist das späte Ergriffensein 
von Herz und Gefäßen bemerkenswerth, die Convulsionen stellen 
eine mit der Athmungslähmung in directem Zusammenhang stehende 
agonale Erscheinung dar. Der Thicrversuch stimmt mit den Er¬ 
fahrungen am Menschen insofern, als die Vergiftung nach dem 
Aufhören der unmittelbaren Giftwirkung nicht stillsteht, wie dies 
bei anderen gasförmigen Giften der Fall ist, sondern fortschreitet; 
die Vergiftungserscheinungen nehmen an Intensität zu und das 
Thier stirbt. Das Brommethyl verursacht also tiefe und irreparable 
Läsionen des Centralnervensystems. 

Die Vergiftungen mit Jod- und Brommethyl scheinen eine 
toxikologische Gruppe für sich zu bilden, welche nicht ohne weiteres 
mit der gewöhnlichen Jodvergiftung zusammengeworfeu werden kann. 

B. 

S. Behrmann (Nürnberg): Ueber Alopecia praematura 
(Alopecia seborrhoica, pityrodes s. furfuracea). 

Von der parasitären Theorie der Alopccie unbefriedigt, sucht 
der Autor den Haarausfall mit besonderer Berücksichtigung der 
anatomischen und physiologischen Verhältnisse zu erklären. Die Kopf¬ 
haut ist in der Gegend der Lambda- und Sagitlaluaht sowie über 
den Seitenwandbeinen am festesten mit ihrer Unterlage verwachsen, 
die Arterien daselbst im Bindegewebe so fest fixirt, daß sie bei 
Erkrankungen des Haarbodens nicht imstande sind, ihr Lumen den 
veränderten Füllungsverhältnissen der Capillaren, die Talgdrüsen 
und Haarbälge umgeben und sie ernähren, anzupassen („Monatshefte 
f. prakt. Dermat.“, XXXII. Bd., 4. Heft). Ucberdies durchbohren die 
Haare am Scheitel die Haut in senkrechter Richtung. Für die Talg¬ 
drüsen dürfte Aehnliches gelten, so daß die Schcitelhaare gegen¬ 
über den Seitenthcilen des Kopfes im Nachtheile sind und bloß 
eine Lebensdauer von 2 Jahren zeigen. Nach Ausschluß anderer 
Ursachen, Entzündung oder Einwirkung von Stoffwechselproducten 
von Bacterien, zu deren Stütze sich der Autor höchst unglücklich 
auf die Bibel (3. Mose 13, 40 u. 41) beruft, liegt die alleinige 
Ursache der Alopecie in Ernährungsstörungen in der Papilla pili 
oder auch in den Talgdrüsen, namentlich in der ersteren. Aus 
dem hohen Schwefelgehalt der Haare einerseits und aus dem zu¬ 
weilen mit Nutzen in Anwendung gezogenen Gebrauch von Schwefel¬ 
salben andererseits folgert der Autor, daß der Haarpapille hauptsäch¬ 
lich das Material (und die Fähigkeit?) der Keratinbildung fehlt. Der 
Schwefel aber wird dem Körper hauptsächlich durch Eiweißnahrung 
zugeführt, entsteht jedoch aus derselben nur nach langen Umsetzungen 
im menschlichen Körper, besonders bei Ausnützung der Nahrung 
durch angestrengte Arbeit; darum trotz reicher Eiweißnahrung Ein¬ 
tritt der Alopecie bei Leuten, die wenig arbeiten. Der Autor führt 
also das Entstehen der Alopecia praematura auf die ungenügende 
Bildung von Schwefel im Organismus zurück, die sich zunächst dort 
merkbar machen soll, wo die Eruährungsverhältnisse für die Haare 
aus anatomischen Gründen ungünstigere sind. Bei reichlicher und 
nicht genügend ausgenutzter Eiweißkost bilden sich Ptomaine, in 
deren Gegenwart die Schwefelbildung eine minimale ist; dem wird 
vorgebeugt durch innere Darreichung von Schwefel. Die Ueber* 
tragung der Alopecie in Friseurläden beruhe auf dem Eingerieben- 
und Eingepreßtwerden von Ptomainen u. s. w. So solid die Grund¬ 
lage erscheint, von welcher der Autor ausging, zu so unsicheren 
und rein speculativen Schlüssen gelangt er in seinen Folgerungen, 
und es ist ominös genug, daß sie alle auf „Schwefel“ aufgebaut sind. 

D RUTSCH. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 2 


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Alfred Wolff (Berlin): Untersuchungen über Pleura¬ 
ergüsse. 

Die herrschende Lehre, daß die Exsudatzellcn zu fettigem 
Detritus zerfallen und dann resorbirt werden, entspricht nicht den 
Thatsachen. Sie ist entstanden durch Betrachtung des ungefärbten 
Präparates. Das Fett in den Leukocyten ist spärlich und mit keiner 
bekannten Fettart zu identificiren. Es zeigt besondere färberische 
Eigenschaften. Das Fett in Pleuraergüssen verdankt seine Entstehung 
einem degenerativen Vorgang. Die glykogenige Entartung ist häufig ; 
sie kommt nur bei frischen, sonst noch wenig veränderten Zellen 
vor. Es scheint ein Gegensatz zwischen fettiger und glykogeniger 
Entartung zn bestehen. Ein diagnostischer Werth kommt nur der 
morphologischen Untersuchung zu, nicht auch der der Degenerations¬ 
zustände. Doch ist das Vorhandensein von Glycogen bei der oft 
schwierigen Differentialdiagnose zwischen Lymphocyt und poly- 
nucleärem Leukocyt zu verwerthen. B. 


Kopfstein (Jungbunziau): Carcinomentwickelung in einer 
aacralen Epidermoidalcyate. 

Die carcinomatöse Degeneration in einer Dermoidcyste ist 
ein ziemlich rarer Vorfall. Am häufigsten kommen ähnliche Dege¬ 
nerationen aj in ovarialen Dermoidcysten und b) in ulccrirenden 
Hautdermoidcysten vor, z. B. in gesellwürigen Atheromen, c) Die 
krebsige Degeneration wurde endlich auch in der Wand von 
Dermoidcysten sogar subcutan beobachtet, doch ist dies ein sehr 
seltener Fall. Zwei Fälle dieser Degeneration in einer Cyste am 
Finger wurden von Franke beschrieben („Virchow’s Arch.“, 
Bd. 121), und einen Fall aus der BERGMAN.N’schen Klinik in Berlin 
veröffentlichte Wolf („Arch. f. klin. Cliir. u , Bd. 62). Es handelte 
sich um eine Dermoidcyste im Gesichte. 

Verf. beobachtete („Sbornik. klin.“, Bd. 2, II. 1) einen 
59jährigen Mann, der im Alter von 10 Jahren einen heftigen Stoß 
in die Sacralgegend erhalten haben soll. Nach ein paar Monaten ent¬ 
wickelte sich in derselben Gegend eine kleine Geschwulst, die durch 
48 Jahre fortwährend langsam wuchs bis zur Größe eines Kinds¬ 
kopfes. Die den Tumor bedeckende Haut war vollkommen intact. 
Die mikroskopische Untersuchung erwies, daß fast ein Drittel des 
Sackes in ein typisches Perlencancroid verwandelt war. Mikro¬ 
skopisch lieferten dieselben Stellen nichts Besonderes. Der dege- 
nerirte Inhalt des Sackes enthielt nur epidermische Elemente; Haare 
und Talgdrüsen fehlten. Es war also eine traumatische Epidermoid¬ 
cyste mit einer äußerst seltenen cancroiden Degeneration. 

Stock. 

A. v. Karwowski (Posen): Ein Fall von Hypertrichosis 
auf einem von gonorrhoischem Gelenksrheuma¬ 
tismus ergriffenen Arm. 

Bei einem Patienten tritt zu Beginn der vierten Woche im 
Verlaufe einer Gonorrhoe schmerzhafte Schwellung des rechten 
Handgelenkes ein; das Gelenk wird zunächst mit Jod gepinselt, 
später kommen Priessnitzumschläge um das Gelenk und Fixirung 
durch eine Schiene zur Anwendung. 16 Tage nach Eintritt der 
Gelenksschwellung verläßt der Kranke das Spital im gebesserten 
Zustande. Der rechte Unterarm ist mit einem üppigen 
dunklen Haarwuchs bedeckt, welcher einerseits bis 
auf den Han d rücken, andererseits bis auf den 
Ellbogen reicht. Der Kranke sucht dann einen „Naturarzt“ 
auf, der die Behandlung fo.rtführt und sich hiebei der Lichtwirkung 
und Vibrationsmassage bedient. Da sich neuerdings Röthung und 
Schwellung einstellt, kehrt der Kranke in die Spitalsbehandlung 
zurück und wird nach wenigen Wochen geheilt aus der Behandlung 
entlassen. Was war die Ursache dieser localen Hypertriehose? Daß 
auf locale Reize hin derartige Hypertrichosen beobachtet werden, 
ist dem Autor („Monatsehr. f. prakt. Derraat.“, XXXIII, 5) be¬ 
kannt; er schließt sie im gegebenen Falle aus, weil das abnorme 
Haarwachsthum weit über die Grenzen der ursprünglich gereizten 
Stellen (Jodtinetur, feuchtwarme Umschläge) hinausgeht. Auch als 
trophoneurctische Störung infolge der Inactivitätsatrophie der Unter- 
armmusculatur kann der Fall nach Ansicht des Autors darum nicht 


gelten, weil man sonst das gleiche Vorkommniß nach fixirenden 
Verbänden öfter beobachten müßte. Das, worauf es ihm ankommt, 
ist hauptsächlich die Betonung einer dritten Möglichkeit, nämlich 
die Einwirkung specifischer Toxine der Gonokokken in der Upa- 
gebung des afficirten Gelenkes. Natürlich will der Autor aus diesem 
Einzelfall (und aus einer ähnlichen Beobachtung Joseph’s) keine 
bestimmten Schlüsse auf einen ätiologischen Zusammenhang ziehen 
und vergißt sicherlich nur aus diesem Grunde, dem Einwand zu 
begegnen, der hier gerade so nahe liegt wie bei der Ablehnung 
der Troplioneurose durch fixe Verbände, daß die Zahl der beob¬ 
achteten localen Hypertrichosen bei gonorrhoischem Gelenksrheuma¬ 
tismus im Vergleich zur Häufigkeit des letzteren geradezu nichts¬ 
sagend ist. Es ist weiters ein Fehler des Autors, in der Kranken¬ 
geschichte das Wachsthum der Haare als objectiv ärztlicherseits 
beobachtetes Factum hinzustellen und hinterher anzuführen : „Das 
Wachsen der Haare ist Patienten bereits in der dritten Woche nach 
Beginn der Gelenksentzündung, also noch im Hospital und vor 
Anwendung des Lichtes und der Massage aufgefallen“, denn war 
das erste wirkliche ärztliche Beobachtung, so ist die Bestätigung 
seitens des Patienten irrelevant, während sie im umgekehrten Falle 
Niemanden davon zu überzeugen vermag, ob nicht doch die Licht¬ 
behandlung die Hypertrichose hervorrief. Deutsch. 

M. Borchhardt (Berlin): Symptomatologie und Therapie 
der Halarippen. 

Die Halsrippen machen in der überwiegenden Mehrzahl der 
Fälle keine Beschwerden. Wenn aber Erscheinungen auftreten, so 
sind es („Berl. kl. Wochenschr.“, 1901, Nr. 51): 

1. Circulationsstörungen durch ihre Nachbarschaft zur Sub¬ 
clavia; in diesen Fällen soll man nur operiren, wenn etwa ein 
Subclavia-Aneurysma dem Patienten sehr lästig wird, oder wenn es 
durch dauernde Größenzunahme eine Lebensgefahr involvirt. 

Die Halsrippen machen 2. Plexussymptome; dies sind die für 
einen chirurgischen Eingriff dankbarsten und geeignetsten Fälle. 
Wenn in 1—2 Monaten mit elektrischer Behandlung keine Besse¬ 
rung zu erzielen ist, dann soll man operiren, womöglich ehe sich 
Atrophien entwickelt haben. 

3. Halsrippen kommen combinirt mit anderen Nervenkrank¬ 
heiten vor, vor allen Dingen mit Syringomyelie. 

Recurrenslähmung uud Sensibilitätsstörungen, die sich nicht 
auf das vom Plexus brachialis versorgte Gebiet beschränken, müssen 
den Verdacht erregen, daß andere Nervenerkrankungen vorliegen. 
Deshalb ist stets das gosammte Nervensystem zu untersuchen. In 
diesen verzweifelten Fällen darf man dann eine Operation ver¬ 
suchen, wenn die Plexussymptome die für den Kranken quälend¬ 
sten sind. B. 

E. Ricke (Leipzig): Ueber Ichthyosis congenita. 

Es handelt sich um zwei Föten, deren erster sich seit 30, 
der zweite seit 20 Jahren im pathologischen Institute zu Leipzig 
befindet, und deren erster bereits einmal Gegenstand der Beschreibung 
durch Jahn war. Die makroskopischen Veränderungen, die sie 
bieten, sind die für die Erkrankung typischen, welche bekanntlich 
zum Ausspruch Veranlassung gaben, die Bilder seien einander so 
ähnlich, daß man die eine Schilderung fast Plagiate der anderen 
nennen könnte. 

An der Hand des in der Literatur vorhandenen Materiales 
theilt der Autor („Arch. f. Derm. u. Syph.“, Bd. LIV) die Ichthyosis 
congenita in drei Gruppen: Die erste, Ichthyosis congenita 
xät e^o /rp zeigt die hochgradigsten Anomalien der Hautbeschaffen¬ 
heit bei der Geburt völlig ausgebildet, die Kinder kommen todt 
zur Welt oder sind nicht lebensfähig. Bei der zweiten Gruppe er¬ 
scheinen die Symptome etwas gemildert, Ich.thyosis conge¬ 
nita larvata, sind aber bei der Geburt bereits vorhanden, die 
Individuen können längere Zeit am Leben erhalten werden. Die 
dritte Gruppe Ichthyosis congenita tarda umfaßt jene 
Kinder, die mit normaler oder fast normaler Haut geboren werden, 
wo dann aber nach Tagen, Wochen oder Monaten das Bild der 
Ichthyosis congenita zustande kommt. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 2. 


82 


Bezüglich der Veränderungen in der Structur der Haut er¬ 
geben die von K. ausgeführten Untersuchungen die Analogie des 
pathologischen Processes mit der Ichthyosis vulgaris. Als 
besonders charakteristisch für die Ichthyosis congenita muß 
die enorm starke Verhornung in den Haartrichtern betont werden, 
welche zusammen mit dem embryonalen Haardurchbruch die auf 
fallende Structur der Hornschilder bedingt. Die Entwickelung des 
Rete Malpighi hält sich in den Grenzen der Norm, und auch auf 
den Papillarkörper übt der Proceß geringen Einfluß. Als nur der 
Ichthyosis congenita zugehörig werden die Veränderungen und Ab¬ 
schnürungen von Cutistheilen hervorgehoben. Schweißdrüsen, Talg¬ 
drüsen und Haare zeigen entgegengesetzt den sonst gemeldeten 
Befunden normales Verhalten. Deutsch. 

M. Pelagatti (Parma): Ueber das Verhalten der im 
Lupusgewebe eingeschlossenen Qebilde. 

Es handelt sich um als Zelleinschlüsse bezeichnete Körperchen 
von dem Umfang eines weißen Blutkörperchens bis zu dem einer 
Riesenzelle und darüber, die rund oder birnenförmig bald die Ge¬ 
stalt eines Trommelschlägels, eines Hammers, eines Blattes oder 
Kleeblattes nachahmen. E. Lang, der diese Gebilde zuerst be¬ 
schrieben hatte, stellte sie in Analogie zu den llASSAL’schen 
Körperchen. Spätere Untersuchungen liegen bloß außerordentlich 
spärlich vor, so die von Soudakewitsch , welcher diese Zellein¬ 
schlüsse als degenerirte elastische Fasern ansieht, in welchen es 
zur Einlagerung von Kalksalzen kam; dieser Befund fand noch 
durch Röna eine Erweiterung, insoferne als dieser auch noch 
Eisensalze nackweisen konnte. 

Pelagatti’s eigene Untersuchungen („Monatshefte f. prakt. 
Derm.“, XXXII, 4) über die chemische Natur dieser Körperchen 
zeigten, daß es sich nicht um Kalksalze handeln könne, auch 
konnte wegen Fehlen der Stärkereaction die Identität mit den 
IlASSAL’schen Körperchen ausgeschlossen werden; ebenso negativ 
verlief die Untersuchung auf Mucin, Amyloid, Hyalin, Casein, 
Elastin und Fett. Hatte die chemische 8eite der Untersuchung 
total im Stiche gelassen, so sucht der Autor auf Grund der 
morphologischen Eigenthümlichkeiten zu einem Schlüsse zu gelangen, 
ln Anbetracht der rundlichen oder länglichen Gestalt der Körper¬ 
chen und der verschiedenen, an Dicke und Farbenton deutlich 
unterschiedenen Zonen , welche in ihrer Gesammtheit das Körper¬ 
chen bilden, faßt er die Gebilde als Zellen auf, die aus einer 
doppelt construirten Kapsel bestehen, welche eine centrale, zuweilen 
homogene, meist gekörnte Protoplasmamasse einschließt. Doch seien 
dies Zellen, die weder dem normalen, noch dem pathologischen 
Gewebe angehören, sondern als fremde, pflanzliche Organismen in 
das Innere des lupösen Gewebes vorgedrungen sind, die mit ihrer 
Kapsel, ihrem Protoplasma, ihrer durch Septa bedingten Theilung 
in Segmente, ihren Ausstülpungen und Einschnürungen alle charak¬ 
teristischen Merkmale sporogener Hyphen tragen. Das Eindringen 
findet vom ulcerirten Theil des Lupus her statt; vom Einfluß des 
Pilzes auf den Proceß, sei es im guten oder schlechten Sinne, oder 
überhaupt von einer pathogenen Wirkung ist nichts wahrzunehmen. 

Deutsch. 

Syllaba (Prag): Die Theiln&hme des Bauch- und Brust¬ 
fells bei Leberkrankheiten. 

Außer der fettigen und der nicht combinirten amyloiden De¬ 
generation gibt es vielleicht keine Leberkrankheit, in deren Ver¬ 
lauf sich nicht mit der Zeit eine Leberkapselentziiudung entwickeln 
könnte. Bei mäßiger Intensität gibt sich die Entzündung objectiv nur 
durch Schmerzhaftigkeit der Leberoberliäche, bei erheblicherer Inten¬ 
sität auch durch die bekannten Leberreibegeräusche kund. Als Novität 
verzeichnete Verf. („Sbornik“, klin. Bd. 3, H. 1) ein ähnliches 
Reibegeräusch 2mal bei einer Leberinduration bei einem Klappen¬ 
fehler des linken venösen Ostiums. Manchmal entstehen infolge der 
Entzündung der Leberserose pseudocardiale (Emminghaus, Ortner) 
oder auch pseudopleurale Reibegeräusche. Verf. hatte Gelegenheit, 
einmal ein pseudopleurales Reibegeräusch zu beobachten. Auf der 
anderen Seite kommt es manchmal zu einer wirklichen Propagation 


der Entzündung auf das rechte Brustfell; außer einer Perihepatitis 
entwickelt sich noch eine trockene bis exsudative Pleuritis dextra. 
Verf. sah dies in Fällen von Pseudoleukämie, Leberkrebs und 
Lebersyphilis, Cholelithiasis, des gewöhnlichen katarrhalischen 
Icterus und traumatischer Perihepatitis. In jedem Falle eines räthsel- 
haften rechtsseitigen Pleuraexsudates ist immer die Leber zu unter¬ 
suchen, sowie bei jedem linksseitigen Exsudat auf den Milzstand 
zu achten ist. Die erste Hälfte dieses Lehrsatzes, d. i. jene, 
welche die Beziehung des rechten Brustfells zur krankhaften Leber 
bespricht, ist praktisch wichtiger, da die Leberkrankheiten ver- 
hältnißmäßig häufiger sind als jene der Milz. Bei Anfällen un¬ 
klarer Schmerzen in der Bauchhöhle kann der Befund einer rechts¬ 
seitigen Pleuritis die Aufmerksamkeit des Arztes ins rechte Ge¬ 
leise lenken, d. i. auf die Leberkoliken. In Fällen aber, wo die 
Diagnose zwischen Cholelithiasis und Lebersyphilis schwankt, liefert 
uns weder das Leberreibegeräusch, noch das Pleurareibegeräusch 
einen Lichtpunkt, da wie das eine, so auch das andere in beiden 
Fällen Vorkommen kann. Stock. 

Roman Renki (Lemberg): Die diagnostische Bedeutung 
der mikroskopischen Blutuntersuchung hei Car¬ 
cinoma und Ulcus ventriculi rotundum. 

Das Procentverhältniß der Leukocyten liefert kein diagnosti¬ 
sches Merkmal (.,Arcli. f. Verdauungskraukheiten“, 1901, Bd. 7, 
II. 4 u. 5). Während der Eiweißverdauung tritt in der Mehrzahl 
der Fälle eine Vermehrung der weißen Blutkörperchen oder Ver- 
dauungsleukocytose auf. Ihr Höhepunkt fällt gewöhnlich in die 
dritte oder vierte Stunde; die durchschnittliche Zunahme des Leuko¬ 
cyten beträgt 3543. 

Ihr Auftreten ist gebunden an die normale Function des Py- 
lorus und des Darmes. Von den krankhaften Veränderungen in den 
beiden zuletzt erwähnten Beziehungen ist der Mangel an Verdauuugs- 
lcukocytose von pathologischen Zuständen des Verdauungstractcs 
abhängig. Das Vorhandensein einer Vergrößerung der Zahl der 
weißen Blutkörperchen während der Verdauung gewährt uns gar 
kein diagnostisches Symptom in zweifelhaften Fällen eines Neuge¬ 
bildes oder eines runden Magengeschwürs; sie kann in beiden 
Krankheitszuständen erscheinen oder nicht und ist von der Natur 
der Krankheit unabhängig. Den Mangel der Verdauungsleukoeytosc 
bei gesunden Menschen kann man auf eine Schwäche der Contractions- 
fähigkeit des Pylorus beziehen, welche eine Insufficienz derselben 
zur Folge hat. B. 

Kleine Mittheilungen. 

— lieber den Einfluß der Butter auf die Magensaft¬ 
abscheidung berichtet Wirschilo („D. Med.-Ztg.“, 1901, Nr. 96). 
Als Untersuchungsobjecte dienten stationäre Kranke des Kiewer 
Kinderkrankenhauses. Im Ganzen wurden 5 Kinder im Alter von 
10 — 14 Jahren (1 mit Nephritis, 1 mit Darmkatarrh, 2 mit Arthritis 
deformans und 1 mit chronischem Rheumatismus) untersucht, deren 
Magendarmfunctionen keine Störungen darboten, und die sämmtlich 
normale Temperatur zeigten. Während der Beobachtungszeit wurden 
die Kinder bei der üblichen Lebensweise belassen. Jede Beobachtung 
setzte sich aus 2 Perioden zusammen. In der ersten Periode bekam 
jedes Kind ein Probefrühstück (250—400 Grm. Milch), worauf 
nach 1 '/ 2 — 2'/ 2 Stunden der Mageninhalt ausgehebert und unter¬ 
sucht wurde. In der zweiten Periode bekam jedes Kind 8 Grm. 
Butter und ein gleiches Probefrühstück, worauf der Mageninhalt 
wiederum ausgehebert und untersucht wurde. Das Frühstück bekamen 
die Kinder des Morgens zwischen 6 und 7 Uhr. Am Tage vor der 
Beobachtung bekamen die Kinder nach 9 Uhr Abends keine harte 
Nahrung mehr, am Beobachtungstage selbst außer dem Probe¬ 
frühstück überhaupt nichts bis zum Schlüsse der Untersuchung. Der 
Mageninhalt wurde nach der von Ewald und Boas vorgeschlagenen 
Expressionsmethode herausgeholt. Der gewonnene Mageninhalt wurde 
filtrirt und im Filtrat bestimmt: 1. die allgemeine Acidität, 2. die 
Quantität der freien und gebundenen Salzsäure und 3. das Ver¬ 
dauungsvermögen. Das Ergebniß dieser Untersuchungen faßt Verf. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 2. 


folgendermaßen zusammen: 1. Die Butter verringert den Salzsäure- 
und Pepsingehalt des Magensaftes, wobei die hemmende Einwirkung 
der Butter auf die Magensaftabsonderung zu Beginn der Secretion 
geringer ist als im weiteren Verlauf. 2. Die Peptonisirung der 
Eiweißsubstanzen geht unter dem Einfluß der Butter energischer 
vor sich. 3. Die secretorische Function der Magendrüsen nimmt 
unter dem Einfluß der Butter an Productivität ab, hält aber nicht 
länger an als sonst. 4. Die Kuhbutter muß, dank ihrem hohen 
Nährwerth, ihrem angenehmen Geschmack und ihrer Verdaulichkeit, 
einen hervorragenden Platz in der Diätetik der Kranken einnehmen. 

— Zur Behandlung der chronischen eiterigen Otitis media 

verwendet Gaudier Methylenblau („Klin.-therap. Wsehr.“, 1901, 
Nr. 48), insbesondere bei hartnäckigen Fällen von Kindern, bei 
welchen antiseptische Spülungen erfolglos geblieben sind. Er ge¬ 
braucht eine Lösung von 1 : 500. Nach vorheriger Ausspülung 
des Gehörganges mit warmem Wasser und gründlicher Abtrocknung 
tröpfelt er in den Gehörgang 15 — 20 Tropfen der lauwarmen 
Losung ein und beläßt dieselbe ungefähr 5 Minuten im Ohre, 
während welcher Zeit der Kranke 2 —3mal den Valsalva langsam 
machen muß, indem er bei geschlossenem Munde durch die Nase 
Luft in die Trommelhöhle einbläst. Von 9 so behandelten Kranken 
wurden 7 durch die Anwendung obiger Procedur innerhalb 25 bis 
30 Tagen geheilt. Der Vortheil dieser Behandlung gegenüber den 
anderen xMethodcn liegt darin, daß die Secretion besser und rascher 
desodorisirt wird und früher abniramt. Ein Nachtbeil des Ver¬ 
fahrens ist die Blaufärbung, daher nach jeder Behandlung eine 
sorgfältige Reinigung erforderlich ist. 

— Untersuchungen über desinficirende Wandanstriche hat 

Jacobiiz angestellt („Aerztl. Sachv.-Zlg. u , 1901, Nr. 23). Zur 
Untersuchung wurden herangezogen: Porzellanemaillefarben, eine 
Bleiweiß- und eine Zi nk weißöl färbe , Zoncafarbe, Amphibolinfarbe, 
Hyperolinfarbe, schließlich gewöhnliche Leimfarbe. Die Versuche 
wurden in der Weise angeordnet, daß je zwei Thon oder Eichen¬ 
holzplatten mit den Farben bestrichen und nach dem Trocknen 
mit einer Cultur von Krankheitserregern beschickt wurden. Je 
eine Platte wurde dann im Dunkeln, die andere bei Licht bei 
Zimmertemperatur aufbewahrt und zu bestimmten Zeitpunkten, 
4 Stunden bis 30 Tage, auf die Lebensfähigkeit des geimpften 
Materials untersucht. Das Gesammtresultat der in verschiedenen 
Tabellen zusammengestellten Einzelergebnisse ist folgendes: Die 
kräftigste desinficirende Wirkung hatten Porzellanemaillefarben und 
die beiden Oelfärben, dann folgt Zoncafarbe, schließlich Amphi- 
boliu-, Hyperoliu- und Leimfarbe, welche letzteren man überhaupt 
kaum mehr desinficirend nennen kann. 

— Zur Behandlung des Carbunkels empfiehlt Ströll das 
Auflegen folgender Salbe auf den noch geschlossenen Carbunkel 
(„Klin.-therap. Wsehr.“, 1901, Nr. 46): 


Rp. Acid. salicylic. 2'0 

Mell, crud.20'0 

Extr. arnic. flor.10 0 

Farin, tritic.q. s. 


M. f. Ung. molle. 

S. Aeußerlicb. 

Diese Salbe, welche die umfangreiche Entzündung in wenigen 
Tagen auf eine ziemlich kleine Stelle einschränkt und zugleich 
die Erweichung beschleunigt, wird messerrückendick auf Borlint 
gestrichen und breit aufgelegt, darüber BßUNs’sche Watte und 
Guttaperchapapier. Die Salbe wird alle 24 Stunden frisch auf 
neuen Borlint gestrichen und der Verband fortgesetzt, bis der 
Carbunkel an einer oder, wie in der Regel, au mehreren Stellen 
(siebförmig) aufbricht. Nun wird täglich nach jedesmaligem Aus¬ 
drücken des Carbunkels und nach Reinigen mit 3°/ 0 Carbolwasser 
auf die offenen Stellen ein kleines Stück Borlint, mit 3% Carbol¬ 
wasser durchtränkt, aufgelegt, worüber dann noch immer breit 
die Salbe mit Watte und Guttapercha kommt. Die Salbe wird 
erst entbehrlich, wenn der eiterige Zellgewebspfropf offen zutage 
liegt, worauf dann nur noch täglich mit Borlint, in Carbolwasser 
getaucht, BRUNs’scher Watte und Guttapercha verbunden wird. 
Hat sich der Eiterpfropf abgestoßen, wird trocken verbunden. 


84 


— Den Ursprung und den Kreislauf des Jod im Organismus 
erörtert Bourcet („C. r. d. l’Acad. des Sciences“, 1901). Er zeigt, 
daß im Thierkörper nicht nur die Thyreoidea, sondern auch das 
Blut und fast alle Organe Jod enthalten, und daß dasselbe beim 
Menschen durch die Haut ausgeschieden wird. Um den Ursprung 
dieses Jods kennen zu lernen, wurden verschiedene Nahrungsmittel 
auf Jod untersucht. Die Seepflanzen enthalten, wie bekannt, viel 
Jod, aber auch die Landpflanzen enthalten es oft, da in der 
Ackererde fast stets solches anwesend ist, und auch das Regen¬ 
wasser Jod mit sich führen soll. Während Baumfrüchte und stärke 
reiche Stoffe kein Jod enthalten, findet es sich in den Früchten 
gewi-ser Gesträuche und besonders reichlich in Wurzeln amylura- 
armer Wurzelknollen und in den Blättern und Stengeln krautiger 
Gewächse. Auch das Fleisch enthält Jod, und zwar in verschiedenen 
Mengen, je nachdem, ob es frisch oder conservirt ist. In Kuhmilch 
und in Hühnereiern ist ebenfalls etwas Jod vorhanden. Die Pflanzen 
nehmen also das Jod aus der Erde und dem Wasser auf und 
führen es dem thierischen Organismus zu. 

— Die Behandlung chronischer Ekzeme mit strömendem 
Dampf erörtert Fodor („Blätter f. klin. Hydrotherapie“, 1901, 
Nr. 6). Bei der Behandlung chronischer Ekzeme muß ebenso wie 
bei der Therapie der chronischen Arthritiden die intensive Steige¬ 
rung der Blutcirculation und wirksame Hebung des Stoffumsatzes 
in der erkrankten Region angestrebt werden, um die schon ab¬ 
gelagerten Krankheitsproducte, Exsudate, Infiltrate, Oedeme, Ver¬ 
dickungen u. s. w. zur Resorption und Ausscheidung zu bringen. 
Von diesen Anschauungen ausgehend, versuchte Verf. durch Mittel, 
welche einen starken thermischen Reiz ausiiben, die Haut zu beein¬ 
flussen. Er benutzte hiezu eine Dampfdouche (bei welcher besonders 
auf Entfernung des Condenswassers vor dem Ausströmen des 
Dampfes zu sehen ist) mit sehr schwachem Druck. Die Haut 
wurde, so weit erkrankt, so lange gedoucht, bis sie rosig, succulent 
und weich wurde; der Dampfdouche ließ Verf. eine Fächerdouchc 
von 15° C. folgen. Dabei wurde gleichzeitig Amyluin und Lanolin 
angewandt. Unter dieser Behandlung erzielte Verfasser in zwei 
sehr hartnäckigen Fällen von chronischem Ekzem Heilung. 

— In der Therapie der Bronchitis empfiehlt Martinet 
(„Klin.-therap. Wsehr.“, 1901, Nr. 1) das Ergotin. Er verschreibt 


es in Pillenform : 

Rp. Exlracti Hyosciami.O'Ol 

Chinin sulf.. (J'05 

Ergotin.0T0 


M. f. pil. d. tal. dos. Nr. XXX. 

S. Während der Nacht alle 2 Stunden 1 Pille. 

Auf diese Behandlung gehen die Erscheinungen des Katarrhs zurück. 
Renaut empfiehlt eine abwechselnde Behandlung in der Form, daß 
er an den ersten 4 Tagen der Woche Balsamica, wie Baisamum 
tolutanum, Terebinthina veneta u. a., nehmen läßt, ao den drei 
letzten Tagen dagegen folgende Suppositorieu verschreibt: 

Rp. Extr. Hyosciami.001 

Opii pulv.• . . . . 0T0 

Ergotin Bonjean.0'30 

Butyri Cacao q. 8. 

Man kann auch an 5 Tagen der Woche gleichzeitig mit einer 
Emulsion von Tolubalsam Pillen nach folgender Formel nehmen 


lassen: 

Rp. Extr. Hyosciami.0 - 01 

Terpin.0 10 

Ergotin Bonjean. U'05 


M. f. pil. d. tal. dos. Nr. XXX. 

S. 3mal täglich je 2 Pillen. 

Bei Bronchoplegie im Anschluß an Influenza sind Pillen folgender 
Zusammensetzung von großem Nutzen: 


Rp. Strychnin sulf.O’UOl 

Ergotin.0 05 

Chinin sulf.010 


M. f. pil. d. tal. dos. Nr. XXX. 

S. Alle 2 Stunden, mit Ausnahme der Nacht, 
1 Pille. 


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85 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 2.' 


86 


Literarische Anzeigen. 

Lehrbuch der inneren Medicin. llerausgegeben von Prof. 
Dr. Freiherr V. Mering. Mit 207 Abbildungen im Text. Jena 
1901, Gustav Fischer. 

„Das Wissensgebiet der inneren Medicin hat durch die all¬ 
seitige Heranziehung der verschiedensten experimentellen Diseiplinen 
einen solchen Umfang angenommen und eine derartige Vertiefung 
erfahren, daß es die Kräfte des Einzelnen übersteigt, auf allen 
Gebieten gleicherweise thätig zu sein.“ Diesem Umstande trägt das 
vorliegende Werk Rechnung, denn seine einzelnen Capitel sind von 
namhaften Forschern bearbeitet worden, deren jeder auf dem spe- 
ciellen Gebiete selbst fördernd und schaffend thätig gewesen. Die 
acuten lnfectionskrankheiten bearbeitete Romberg; die Athmungs- 
organe Friedrich Müller; Kreislaufsorgane Krehl; Mund-, 
Rachen- und Speiseröhre Gerhardt; Magen v. Mering; 
Darm Mattbes ; Leber und Gallenwege Minkowski ; Harnorgane 
R. Stern ; Nebennieren derselbe; Nervensystem Moritz ; Neurosen 
F. Kraus; Bewegungsorgane Vierordt; Scrophulose derselbe; 
Trichinosis Matthes; Blutkrankheiten Klemperer ; Stoffwechsel, 
v. Mering; Vergiftungen v. His; Therapeutische Technik Gum- 

PRKCHT. 

Das für den Studenten geschriebene Buch, dessen lebendige 
Darstellung, fließende Diction, große Uebersichtliehkeit und bündige 
Zusammenfassung des riesigen Stoffes wahre Bewunderung verdient, 
zeichnet sich unter anderem auch durch seinen niedrigen Preis 
aus, der ihm, da für den Studenten geschrieben, ohne Frage eine 
große Verbreitung zusichert. B. 

Feuilleton. 

Berliner Briefe. 

(Orig.-Cnrresp. ,l er „Wiener Med. Presse,“.) 

I. 

Berlin, 5. Januar 1902. 

Zwei medicinische Institute haben in letzter Zeit wieder mehr 
von sich reden gemacht, und es ist deshalb billig, diesmal von 
ihnen zuerst zu sprechen. Wir meinen das „Pathologisch- 
Anatomische Museum“ und das neu erbaute, fast vollendete 
„Institut für lnfectionskrankheiten“. Das erstere, so 
recht eigentlich Rudolf Vircbow’s Schöpfung und gewissermaßen 
das Monument seines Lebenswerkes, hat gelegentlich des jüngsten 
Jubelfestes die solenne Weihe erhalten und ist zugleich mit der 
dafür gestifteten Büste des vielgefeierten Gelehrten geschmückt 
worden. Leider ist dieser selbst, während ich diese Zeilen schreibe, 
an das Krankenlager gefesselt, und zwar infolge eines Straßenbahn¬ 
unfalles, den er gestern Abend in der enorm verkehrsreichen „Leip¬ 
ziger Straße“ erlitten. Als sich der Wagen eben an einer dortigen 
Haltestelle wieder in Bewegung gesetzt hatte, wollte Virchow noch 
absteigen, glitt aus und zog sich eine Sehenkehalsfractur zu. Es ist 
noch ein Glück, daß der Unfall nicht schlimmere Verletzungen bewirkte, 
und man darf hoffen, daß der greise Meister, der in seine Woh¬ 
nung gebracht und sofort von Koerte in Behandlung genommen 
wurde, trotz seines hohen Alters in einigen Wochen wieder her¬ 
gestellt sein wird. Was nun sein „Museum“ — seinen Stolz, sein 
Lieblingskind — betrifft, so hat Virchow hier mit jahrzehntelangem, 
emsigem Fleiß alles zusammengetragen, was an interessanten patho¬ 
logisch-anatomischen Präparaten unter seine Hände kam oder ihm 
zugesandt wurde. Auf diese Weise ist namentlich an Geschwülsten, 
Neubildungen, Knochenpräparaten, überhaupt aber an dem verschie¬ 
densten Lehrmaterial für makro- und mikroskopische Zwecke eine 
große Fülle vereinigt. Diese Objecte sind nun eigentlich nur zum 
geringsten Theile „Schaustücke“, wie man sie z. B. im Zoologischen 
oder Mineralogischen Museum findet, vielmehr der Hauptsache nach 
werthvoll für Lehr- und Studienzwecke , für Vorlesungsdemonstra¬ 
tionen, kurz für Mediciner. Wenn trotzdem in dem Schöpfer dieser 
Sammlung, der ja stets für Volksbildung eifrig wirkte, die Idee anf- 


Anleitung zur Photographie. Herausgegeben von G. Pizzi- 
ghelli, k. u. k. Oberstlieutenant a. D. Mit 205 in den Text 
gedruckten Abbildungen und 24 Tafeln. Elfte, vermehrte und 
verbesserte Auflage. Halle a. S., Wilhelm Knapp. 

Das für den Anfänger bestimmte Werk behandelt die Amateur¬ 
photographie in ausführlicher, klarer Darstellung, welche die 
gründliche Durchbildung und reiche Erfahrung des Verfassers auf 
jeder Seite erkennen läßt. Aus dem reichen Inhalte des musterhaft 
ausgestatteten Buches heben wir nur hervor: Der photographische 
Aufnahmeapparat, die Objeetive, Camera, Objectivverschlüsse, Mo¬ 
mentverschlüsse, Prüfung und Wartung der Objeetive und der Camera, 
Wahl der Objeetive und der Camera, der Negativproceß, Entwicke¬ 
lung und Vollendung der Aufnahmen, der Positivproceß, das Copiren 
auf Chlorsilberpapier, Herstellung von Lichtpausen, die praktische 
Durchführung der photographischen Aufnahmen. 

Die Nothwendigkeit des Geschichtsstudiums in der 
Medicin. Ein Mahnruf von J. K. Proksch in Wien. Bonn 
1901, P. Haustein. 

An einer Reihe von instructiven Beispielen erörtert der ge¬ 
lehrte Verf. in populärer Form die Noth wendigkeit de3 Geschichts¬ 
studiums in der Medicin und beweist, daß viele angefeindete Ex¬ 
perimente und Publicationen der Gegenwart auf den Mangel histo¬ 
rischer Kenntnisse unter den Medicinern unserer Zeit zurückzu- 
fiihren seien. Er tritt dafür ein, daß an jeder Universität eine 
Lehrkanzel für die Geschichte der Medicin geschaffen werde, und 
daß auch die übrigen Professoren zu einer historischen Erfor¬ 
schung ihrer Fächer durch bestimmte Gesetze verhalten werden. 

Ng. 


tauchte, auch dem Publicum die Besichtigung, eventuell unter 
sachkundiger Leitung, zu ermöglichen, so wird man dies nur be¬ 
dingt gutheißen können. Denn der Anblick pathologischer Präpa¬ 
rate schafft zwar Manchem Belehrung, Manchen aber wird er wohl 
leicht zum Hypochonder machen oder ihm ein nicht ungefährliches 
„Halbwissen“ beibringen, da es in der Regel unmöglich sein dürfte, 
dem Laien das Verständniß für die krankhaften anatomischen Ver¬ 
änderungen klar zu machen. Ja, man könnte dies für deren Mehr¬ 
zahl auch als unnöthig bezeichnen. Denn damit, daß er hier ein 
Nierensarcom, dort ein Magencarcinom, im dritten Glas einen Hiru- 
tuberkcl , im vierten ein Lebersyphilom sieht, ist ihm doch im 
Grunde wenig gedient. Doch abgesehen davon ist die so herrlich 
untergebrachte, an Raritäten und Unicis reiche Collection für 
Virchow ein Monumentum aere perennius. 

Hat dies Museum einen historisch-retrospectiven Charakter, 
so gehört dem KoCH’schen Institut, und seiner Arbeitsweise, 
die sich direct der Hygiene und Prophylaxe dienstbar macht, die 
Zukunft. Von 1891 bis 1900 befand sich dieses Institut, dessen Be¬ 
gründung durch die Entdeckung des Tuberculin, des Antitoxin der 
10 Jahre vorher von Baumgarten und Koch gleichzeitig ent¬ 
deckten Tuberkelbacillen, veranlaßt war, in sehr bescheidenen, fast 
baufälligen Räumen. Mit dem prächtigen Neubau der Charite ist 
auch das bescheidene Heim des Instituts, an welches sich die Ent¬ 
deckungen des Diphtherie- und Tetanusserums, die Arbeiten zur 
Bekämpfung der Cholera und Malaria knüpfen, vom Erdboden ver¬ 
schwunden. Dafür erhebt sich weit im Norden der Stadt, au deren 
Peripherie, der ansehnliche, zweckmäßige Neubau, in welchem 
schon seit l 1 ^ Jahren gearbeitet wird, obwohl er erst 1904 fertig 
sein dürfte. Er wird in Verbindung mit dem Rudolf Virchow- 
Krankenhaus, dem vierten und großartigsten, welches die Stadt 
Berlin baut, gebracht werden, und zwar derart, daß das KocH’sche 
Institut 4 Pavillons zu je 25 Betten zur Verfügung haben wird. 
Es ist wohl überflüssig, zu sagen, daß das neue Institut für In- 
fectionskrankheiteu in jeder Hinsicht mustergiltig ist. Der Hörsaal, 
die photographische Abtheilung, die einzelnen Arbeitsränme für 
bakteriologische und Culturzwecke, die Abtheilungen für Thier- 
versnehe mit den geräumigen, für alle Versuchsthierarten von der 
Maus bis zum Pferde bestimmten Stallungen, die Sonderräume für 
Tollwuthkranke, für Typhus-, Milzbrand-, Rotz- und Pestunter- 
suchungen, die Desinfectionsvorrichtungen, das Crematorium für 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 2. 


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Thiercadaver — nichts ist vergessen, vielmehr Alles aufs Voll¬ 
kommenste eingerichtet. Sicherlich werden aus dieser Wirkungs¬ 
stätte Koch’ s noch manche für die Gesundheitspflege und Seuchen¬ 
bekämpfung bedeutungsvolle Entdeckungen hervorgehen. 

Mit anerkennenswerthem Eifer widmen sich verschiedene ärzt¬ 
liche Kreise Berlins der Bekämpfung des Curpfuscher- 
thums. Ein eigenes „Hygienisches Volksblatt“, das zwei¬ 
mal im Monat erscheint und angesehene Namen zu seinen Mit¬ 
arbeitern zählt, hat sich dies Ziel gesetzt. Eine besondere Abthei¬ 
lung dieses Blattes wird der Tuberculose und den Gewerbekrank¬ 
heiten gewidmet sein. Auch ein „A11 ge mein er h ygi c ni sch er 
Kalenderfür das Jahr 1902“ will gleichen Zwecken dienen, an¬ 
gesichts „derThatsache, daß weite Kreise des Volkes sich von der wis¬ 
senschaftlichen Medicin abgewandt haben und Naturheilern sowie Cur- 
pfuschern „ihr Vertrauen schenken“. Der Herausgeber sucht die Ur¬ 
sache dieser betrübenden Erscheinung darin 1 , daß „die nothwendigen 
Kenntnisse von den Naturvorgängen und die Grundlagen der Krank¬ 
heitsverhütung dem Volke fast ganz fehlen“, und daß „die Aerzte 
es versäumt haben, diese Kenntniß weiteren Kreisen zugängig zu 
machen“. Diesem Mangel soll der populär geschriebene Kalender 
abhelfen, zu dessen Mitarbeitern klinische Autoritäten, wie: v. Berg¬ 
mann, Ewald, Landois, Mosler, Naunyn, Neisser, Ziegler, Se¬ 
nator, Winternitz, Dührssen, Eichhorst, Fränkel (Halle), 
Lassar, Zuntz u. A. gehören. Schon das Kalendarium dieses 
I. Jahrganges enthält hygienische Winke. Aus dem reichen Inhalt, 
der völlig gemeinfaßlich geschrieben ist, seien nur die Abhand¬ 
lungen von A. Martin (Greifswald) über „Hygiene des Wochenbettes 
und des Neugeborenen“, von Eichhorst über die „Ursachen der 
Bleichsucht“, von v. Strümpell über „Die schädliche Wirkung 
alkoholischer Getränke“, von G. Flatau über „Das Tabakrauchen“, 
von Ewald über „Diät-Curen“, von Dührssen über „Verhütung 
und Heilung des Unterleibskrebses bei Frauen“, von Lassar über 
die „Abwehr ansteckender Volkskrankheiten“ hervorgehoben. Wenn 
auch das Volksbuch nicht die Heilkunst an sich populär machen 
will, sondern nur die Lehren der Volksgesundheit, so bildet es 
doch einen von medicinischen und klinischen Notabilitäten unter¬ 
nommenen Schritt auf der Bahn der volksthümlichen Darstellung 
wichtigster Probleme, der rechtzeitigen Krankheitserkennung, der 
rationellen, praktischen Hilfe, der sachgemäßen Vorbeugung. Damit 
ist die Wissenschaft aus ihrer bisherigen, unangebrachten Zurück¬ 
haltung und Exclusivität hinausgetreten auf den Kampfplatz, den 
ihr bereits die „Naturheilkunde“ streitig gemacht hatte. Sie hat 
die Scheu vor der lange verpönten Belehrung überwunden und 
kann nicht mehr auf die bisher eifrigen Verfechter dieser Richtung 
mit einer gewissen Geringschätzung blicken. Unstreitig hat sich 
Georg Flatau, der an der Spitze dieser Bewegung steht, um die 
Aufklärung breiter Volksschichten über die Gefahren unwissen¬ 
schaftlicher Behandlung ein nicht geringes Verdienst erworben. 

Daß das Curpfuscherthum nur eine der Ursachen für den 
Niedergang des ärztlichen Wohlstandes, für die Verschlechterung 
der socialen Lage des Aerztestandes ist, darf nicht übersehen 
werden. Der Rückgang seiner Erwerbsverhältnisse, der selbstver¬ 
ständlich auch ethische Schäden mit sich bringen muß, beruht zum 
größten Theile in der Ueberproduction an Aerzten und in dem 
Uebergewicht der sehr schlecht honorirenden Krankencassen. Nach 
dem einfachsten Gesetz der Nationalökonomie stehen Angebot ärzt¬ 
licher Leistungen und Nachfrage nach solchen in umgekehrtem 
Verhältnisse, ganz wie das auf anderen Gebieten in Handel und 
Gewerbe sich mit Naturnothwendigkeit vollzieht. Die an sich sehr 
anerkennenswerthen Bestrebungen der hiesigen ärztlichen Vereinigun¬ 
gen, das stetige Sinken des ärztlichen Einkommens, den Nieder¬ 
gang vieler ärztlicher Existenzen aufzuhalten, müssen so lange aus¬ 
sichtslos bleiben, als sich die Zahl der auf jeden Arzt entfallenden 
Menschen von Jahr zu Jahr verringert. Nicht dadurch bessert man 
diesen traurigen Zustand, daß man dem nothleidenden Arzte Moral¬ 
predigten hält oder Strafen androht, sondern dadurch, daß man ihm 
eine standesgemäße Existenz ermöglicht. Da dies aber angesichts 
der alljährlich wachsenden Aerztezahl und des wirtschaftlichen 
Rückganges aller Bevölkerungsschichten unmöglich ist, so besteht 
eben hier ein Circulus vitiosus. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

XI. Italienischer Congreß für innere Medicin 

zu Pisa. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

I. 

Cesaris-Demel und Fenoglio (Sassari): Moderne Fragen der 
Leberpathologie. 

Die hochgradige Regenerationsfähigkeit der Leber in patho¬ 
logischen Zuständen ist eine secundäre Reaction gegenüber dem 
Untergange von Leberzellen, deren Degeneration durch die toxische 
Wirkung von Substanzen , die der Leber durch den Blutkreislauf 
zugeführt werden, hervorgerufen ist. Die Regeneration des Leber¬ 
gewebes findet durch echte Neubildung der Leberzellen selbst, oder 
durch Proliferation der Epithelzellen der Gallengänge, die embryo¬ 
logisch mit den Leberzellen äquivalent sind, statt. Diese Regene¬ 
ration ist auch bei experimentell durch venöse und biliäre Stauung 
hervorgerufenen Zellentschädigungen naehzuweisen. Dieselben Gifte, 
welche die Leberzelle schädigen, üben eine Wirkung auf die 
Elemente des interstitiellen Bindegewebes aus, welche der Sitz de- 
und regenerativer Erscheinungen sind. Diese Bindegewebsneubildung 
kann aber nicht als primär, sondern höchstens als Begleiterscheinung 
aufgefaßt werden. Eine wichtige Rolle in der Production der Binde- 
gewebssklerose spielen die ans Gewebs- oder Bacterienzellen stam¬ 
menden Nucleoprotel'de, denen eine sehr hohe toxische Wirkung 
auf die Epithelzellen zukommt, welche dieselben zum Zerfall bringt; 
die positive Chemotaxis der Nucleoprotel'de ruft weiter eine 
reichliche Infiltration von Wanderzellen in das umgebende Binde¬ 
gewebe hervor. Diese experimentellen Belege erlauben uns, zahl¬ 
reiche Fälle primärer Degeneration der Leberzellen mit der Wir¬ 
kung von im Blute kreisenden, auch in entfernteren Organen in¬ 
folge von Zellen- oder Bacterienzerstörung entstandenen Nucleo- 
proteiden in Zusammenhang zu bringen : auf dieselbe Ursache ist 
auch die Schädigung der Gefäßwände der Pfortader und ihrer Ver¬ 
zweigungen und der darauffolgende Durchtritt von Wanderzellen 
mit Bildung von perivasculären Infiltrationsherden zurückzuführen, 
Durch die Zerstörung von Leberzellen werden neue Nucleoprotel'de 
in Freiheit gesetzt, welche ihre deletäre Wirkung, die sich in 
Wanderzelleninfiltration und Sklerose äußert, auf das interstitielle 
Bindegewebe entfalten. Die hypertrophische Cirrhose ist auf ähnliche 
Weise aufzufassen. Die auch in physiologischen Verhältnissen in 
der Galle vorkommeDden Nucleoprotel'de bedingen bei Gallenstauung 
eine Schädigung des Epithelüberzuges der Gallengänge, und die 
folgende Nekrose ist der Ausgangspunkt von degenerativen Ver¬ 
änderungen und Sklerose des benachbarten Bindegewebes. Nun 
sind auch Fälle von hochgradiger einfacher Atrophie des Leber¬ 
parenchyms ohne interstitielle Bindegewebswucherung verständlich : 
diese Wucherung erscheint nämlich nur, wo toxische Noxen Dege¬ 
neration und Zerstörung der Leberzellen bedingen. Aus diesem 
Grunde dürfen wir die Stauungscirrhosen nicht nur als von der 
mechanischen Stase allein abhängig betrachten, sondern müssen 
auch das toxische Moment vorausgegangener oder begleitender in- 
fectiöser Noxen berücksichtigen. Die Regeneration des Lebergewebes 
ist immer abhängig von dem Zustande der Blutgefäße: in der 
Malarialeber tritt sie erst dann ein, wenn sich die Gefäßendothelien 
von der Pigmentablagerung befreit haben; stark ausgeprägt ist 
sie in der atrophischen Cirrhose, weil die Leberarterie normal ist, 
und sie erreicht das Maximum bei der biliären Cirrhose, bei 
welcher die Blutgefäße an dem Krankheitsprocesse nicht be¬ 
theiligt sind. 

Fenoglio: Die Ursache der malarischen Cirrhose ist 
hauptsächlich in Giften zu suchen, welche aus der Milz und aus 
dem Darme stammen. In den Fällen, wo dje Cirrhose auf von der 
Milz stammende Gifte zurückzuführen ist, kann die Splenektomie 
den Proceß aufhalten und sogar heilen, wenn er im Beginne ist. 
Unter den malarischen Cirrhosen hat F. zwei Fälle beobachtet, bei 
welchen Neubildung der Gallengänge nachweisbar war; in diesen 
Fällen ist der Verlauf dem einer LAENNEC’schen Cirrhose ähnlich, 


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Wiener Medizinische Presse. — Nr. 2. 


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nur ist der Icterus etwas intensiver, und die Leber weist nicht die 
hochgradige VolumverminderuDg, die man in den letzten Perioden 
der atrophischen Cirrhose findet, auf. 

Memmi (Siena): Die klinische Bedeutung der eosinophilen Leuko- 
cyten in den Auswürfen Tuberculöser. 

Die Anwesenheit der eosinophilen Zellen ist im Anfangsstadium 
nicht constant. Nach Memmi ist die Eosinophilie bei Echinococcus¬ 
cysten der Leber zur Differentialdiagnose mit anderen Neubildungen 
der Leber diagnostisch zu verwerthen. In 12 Fällen von Leber¬ 
echinococcus fand Memmi eine Zunahme der eosinophilen Leuko- 
cyten im Blute, welche 7—20% der Gesammtleukocyten ausmachten ; 
experimentell gelang es bei Thieren Eosinophilie durch Einspritzung 
des Inhalts der Cysten hervorzurufen. 

Landi und Cionini (Pisa): Diplococcämie und Serumdiagnose. 

L. und C. haben bei Pneumonikern unter 27 Fällen 25mal 
den Pneumococcus aus dem Blute gezüchtet. Die agglutinirende 
Wirkung der Sera wurde auf den aus dem Blute des serumliefern¬ 
den Individuums gezüchteten Pneumococcus und auf verschiedene 
andere Stämme geprüft. Die Resultate waren größtentheils positiv; 
das gleiche Serum agglutinirte aber nicht alle untersuchten Stämme; 
mitunter kamen Fälle vor, in denen das Serum den eigenen Pneumo¬ 
coccus nicht agglutinirte, während die Agglutination mit fremden 
Stämmen eintrat. 

Moreschi (Pavia): Die biologische Reaction der Eiweißkörper. 

Mertens und Dteüdonne sind durch die Thatsache, daß sowohl 
das Blutserum von Kaninchen, die mit menschlichem Blutserum be¬ 
handelt worden sind, als dasjenige mit eiweißhaltigem menschlichen 
Urin behandelter einen Niederschlag mit eiweißhaltigem Harn geben, 
veranlaßt worden, das Harneiweiß mit dem Serumeiweiß zu identi- 
ficiren und diese Thatsache als einen Beweis der Herkunft des 
Harneiweisses vom Blutserum zu betrachten. Moreschi bestreitet dies, 
weil auch das Serum von Kaninchen, die z. B. mit gewaschenen 
rothen Blutkörperchen oder anderen durch den künstlichen Kreis¬ 
lauf mit Kochsalzlösung gewaschenen Organen behandelt wurden, 
mit dem Blutserum der betreffenden Thierart einen Niederschlag 
gibt, so daß nicht auszuschließen ist, daß das Niederschlag gebende 
Eiweiß aus anderen Organen stammt. 

Queirolo und Fedeli (Pisa): Peritonitis durchContinuität beim 
Abdominaltyphus. 

Qu. ist von der Existenz dieser Krankheitsform überzeugt. 
Allgemein wird als eine Bedingung des Auftretens dieser Form 
eine Steigerung der Virulenz der Darmbacterien angenommen; Vortr. 
ist der Ansicht, daß eine andere unentbehrliche Bedingung in einer 
Schädigung der Darmwand selbst, und besonders ihres peritonealen 
Epithelüberzuges zu suchen sei. Die Seltenheit des Eintretens der 
Bauchfellentzündung bei Typhus beweist, was für einen hohen 
Schutz das Epithel gegen das Eindringen der Mikroorganismen in 
die Peritonealhöhle gewährt; die Herabsetzung der Widerstands¬ 
fähigkeit des Peritoneal Überzuges kann sowohl von der Intoxication 
des Gesammtorganismus als von der besonderen Einwirkung der 
Gifte auf den Bauchfellüberzug selbst abhängen. Auch die Parese 
der Darmmusculatur, welche den Aufenthalt des Darminhalts im 
Darme selbst verlängert, ist als ein begünstigendes Moment aufzu¬ 
fassen. Die Einwanderung der Darmbacterien in die Bauchhöhle 
kann durch die Blut- und Lymphgefäße bei intacter Muscularis 
stattfinden. Der gewöhnlichste Erreger dieser Art von Peritonitis 
ist der Colibacillus. Aeußerst schwer ist die Differentialdiagnose 
zwischen dieser Form und der Perforationsperitonitis; zur Trennung 
derselben gibt uns die Plötzlichkeit des Eintretens der Symptome 
der Bauchfellentzündung keinen Anhaltspunkt ; auch bei Perforations¬ 
peritonitis kann Collaps fehlen; ein werthvolles Symptom ist das 
Verschwinden der Milz- und Leberdämpfung bei der Peritonitis 
durch Perforation, doch kann dieses Symptom fehlen, wenn die 
in die Bauchhöhle eingetretene Gasmenge zu gering ist, um diese 
Organe zu verdrängen. In keiner Krankheit ist der Darmdesinfection 
ein so hoher Werth beizumessen; am besten läßt sich diese durch 


die ausschließliche Ernährung per rectum verwirklichen. Jeder 
Nahrungseinführung muß die Entleerung des Diekdarms voraus¬ 
gehen , während durch Verabreichung von Calomel und anderen 
Antisepticis für Dünndarmdesinfection und Entleerung Sorge ge¬ 
tragen wird. Nicht rathsam ist eine zu rasche und lange Ein¬ 
wirkung der Eisblase auf das Abdomen, weil die Kälte imstande 
ist, die Widerstandsfähigkeit des Peritoneums herabzusetzen. Be¬ 
züglich operativer Eingriffe ist bei Perforationsperitonitis jeder Ver¬ 
such gestattet. 

Roncaguolo (Genua): Das Herz beim chronischen Gelenksrheu¬ 
matismus. 

R. fand unter 30 chronischen Gelenksrheumatismen, bei 
welchen ätiologische Momente nervöser oder rheumatischer Natur 
ausgeschlossen waren, nur zweimal Veränderungen der Herzklappen, 
und zwar der Aorta; der Mechanismus der Herzcomplicationen 
beim chronischen Gelenksrheumatismus scheint von dem des acuten 
verschieden zu sein. 


Aus den Abteilungen 

der 

73. Versammlung Deutscher Naturforscher und 

Aerzte. 

Hamburg, 22.-28. September 1901. 

(Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) 

XV. 

Abtheilung für Chirurgie . 

Casper (Berlin): Die Verwerthung der functionellen Nieren¬ 
untersuchung für die Diagnostik der Nieren- und Bauch¬ 
chirurgie. 

Vortr. berichtet über seine weiteren Untersuchungen und Er¬ 
fahrungen auf dem Gebiete der functionellen Nierenuntersachung 
mittelst der von ihm und P. Fr. Richter angegebenen Methode. 
Letztere besteht bekanntlich darin, daß man den Harn beider Nieren 
gleichzeitig getrennt auffängt und untersucht. Während Albumen 
und die körperlichen Elemente, wie weiße und rothe Blutkörperchen, 
Cylinder, Mikroorganismen, über die anatomische Beschaffenheit des 
Organs belehren, kann man die functioneile Kraft jeder von 
beiden Nieren aus der zu vergleichenden Menge des im Harn aus¬ 
geschiedenen N, des durch Phloridzininjection künstlich producirten 
Zuckers (Sa) und der Gefrierpunktserniedrigung des Harns messen. 
Bei gesunden Nieren sind die drei Werthe auf beiden Seiten gleich, 
bei der kranken Niere sind sie stets auf der kranken Seite niedriger 
als auf der gesunden, und zwar dermaßen, daß je kränker die 
Niere, um so kleiner die Werthe. Durch zahlreiche neue Unter¬ 
suchungen hat sich Vortr. überzeugen können , daß die Methode 
auch darüber hinaus geeignet ist, bei schwierigen Fällen der Bauch¬ 
chirurgie in allgemein- und differentialdiagnostischer Hinsicht will¬ 
kommene und werthvolle Unterstützung zu leisten. Einige dieser 
Fälle, die besonders dazu angethan sind, die vom Vortr. ausge¬ 
sprochene Ueberzeugung zu begründen, werden mitgetheilt. Es 
sind im Ganzen 9 Fälle. Der erste Fall betrifft eine kräftige Frau, 
die im Sommer des Jahres 1889 unter den Erscheinungen einer 
rechtsseitigen Nierensteinkolik erkrankte. Nach einiger Zeit ver¬ 
schwanden die Krankheitserscheinungen und die Patientin hatte 
bis zum October 1900 Ruhe, dann begannen alle drei Tage heftige 
rechtsseitige Koliken aufzutreten, die mit dem Abgehen vieler 
kleiner und Mitte November eines großen, sehr langen Steines 
endigten. Seitdem hatte die Patientin rechts keine Anfälle mehr, 
wohl aber stellten sich Krankheitserscheinungen, wenn auch in ge¬ 
ringerem Grade, in der linken Niere ein, so daß man an einen Stein 
in der linken Niere dachte. Gewißheit sollte aber die Ureteren- 
untersuchung verschaffen. Dieselbe ergab folgendes Resultat: Rechts : 
Harn trübe, albumenhaltig; im Sediment zahlreiche rothe Blut¬ 
zellen. A 0-95, Sa 0'8, N 0'24. Links: Harn klar, albumenfrei. 
Im Sediment nur Epithelien. A 1 *06, Sa 1*2, N 0'38. Auf Grund 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 2. 


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dieser Ergebnisse wurde die Diagnose auf einen Stein im rechten 
Nierenbecken gestellt, und die daraufhin von Prof. Rotter ausge¬ 
führte Nephrolithotomie ergab die Richtigkeit dieser Diagnose. 
Patientin ist genesen. 

In dem zweiten Falle handelt es sich um eine 34jährige 
Patientin, bei der im Abdomen rechts unterhalb des Rippenbogens 
ein harter, etwas druckempfindlicher, bei der Athmung nicht ver¬ 
schieblicher, bimanuell von hinten und vorn palpabler Tumor fest¬ 
gestellt wurde. Die Ureterenuntersuchung mit Phloridzin ergab auf 
beiden Seiten klaren, normalen Harn und gleiche Werthe für Gefrier¬ 
punktserniedrigung und Zucker. Demnach wurde ein Tumor diagnosti- 
cirt, der die Niere wenig oder gar nicht betrifft, jedenfalls die Func¬ 
tionskraft der letzteren nicht tangirt, ein Tumor, der dem Nierenlager 
angehört, nicht aber der Niere selbst. Die von Prof. Rotter aus¬ 
geführte Operation ergab in der That völlige Unversehrtheit der 
rechten Niere. Dieselbe war von einem allseitig mit der Umgebung- 
verwachsenen Adenom der Nebenniere überlagert. Entfernung des 
Adenoms. Heilung. 

Im dritten, dem vorstehenden ähnlichen Falle, handelt es sich 
um einen 49jährigen Patienten, bei dem auf Grund der bestehenden 
Erscheinungen der eine Chirurg, ohne eine genaue Diagnose zu 
stellen, zur Freilegung der Niere rieth, der andere mit Wahr¬ 
scheinlichkeit einen Tumor des Nierenbeckens diagnostieirte. Darauf 
kam der Patient zum Yortr. Der zur Prüfung der Functionsfähig¬ 
keit vorgenommene Ureterkatheterismus ließ die Functionskraft der 
linken Niere höher erkennen als die der rechten, und so gab Vortr. 
sein Urtheil dahin ab, daß zwar eine Unregelmäßigkeit der linken 
Niere vorhanden sei, daß diese aber die Niere selbst unbeschädigt 
gelassen haben müsse. Die Operation ergab folgendes bemerkens- 
werthe Resultat: An der Niere befanden sich mehrere bis hühnerei¬ 
große Cysten, die nicht mit dem Nierenbecken zusammenhingen. 
Nierenbecken und Nierencysten selbst frei und normal. 

Im vierten Falle, der einen 38jährigen Patienten betraf, 
schwankte die Diagnose zwischen einem Tumor der rechten Niere 
und einem perityphlitischen Absceß. Die Urinuntersuchung ergab 
auf beiden Seiten ganz normalen Harn, und so konnte der Tumor, 
der sehr groß war, unmöglich der Niere angehören. Die Punction 
des Tumors ergab stinkenden Eiter. Bei der daraufhin vorgenoramenen 
Operation wurde ein perityphlitischer Absceß festgestellt. 

Im fünften Falle schwankte die Diagnose zwischen Gallenstein- 
kolik und Nierensteinkolik. Auch in diesem Falle wurde die 
Differentialdiagnose einzig und allein, dank der Prüfung der Func¬ 
tionsfähigkeit beider Nieren, die beiderseits fast vollständig über¬ 
einstimmende Zahlen ergab, zu Gunsten der Gallensteinkolik ent¬ 
schieden. In der That wurde die betreffende Patientin wenige 
Wochen darauf gelb. Nach Ablauf des Icterus ist sie genesen, 
ohne daß die Koliken wiedergekehrt sind. — In den übrigen Fällen 
(4 au der Zahl) handelt es sich um Nephralgien , die unter dem 
Bilde von Nephrolithiasis verliefen. In diesen Fällen konnte wiederum 
dank der Functionsprüfung der beiden Nieren, die Nephrolithiasis 
mit Sicherheit ausgeschlossen werden. 

Durch vorstehende Fälle glaubt Vortr. dargethan zu haben, 
daß der Ureterkatheterismus, verbunden mit der functionelleu 
Untersuchung (d. h. der Vergleichung der Werthe für N, Gefrier¬ 
punktserniedrigung und Sa), der Nierenchirurgie und auch im 
Allgemeinen der Bauchchirurgie willkommene Unterstützung bei 
schwierig zu diagnosticirenden Fällen zu leisten imstande ist. 
Vortr. bemerkt aber, daß man diese Methode nicht unterschiedslos 
in allen Fällen anwenden soll, daß sie vielmehr reservirt bleiben 
muß für diejenigen Fälle, in denen man mit den sonstigen be¬ 
währten diagnostischen Untersuchungsmethoden allein nicht zum 
Ziele gekommen ist. Die Methode soll die früheren Verfahren 
nicht ersetzen, sondern sie soll sie ergänzen. 

Trendelenburg (Leipzig): Ueber Heilung der angeborenen Bla¬ 
senspalte mit Continenz. 

In 4 Fällen (1 Mädchen, 3 junge Männer) hat T. die ange¬ 
borene Blasenspalte durch Spaltung der Synchondrosis sacro-iliaca 
geheilt. Einen Fall, ein kleiner Knabe, bei dem man noch nicht 
von vollkommener Heilung, doch aber schon von einem sehr schönen 


Erfolg sprechen kann, demonstrirt Vortr., zeigt das Operations¬ 
resultat und die gute Function des Detrusor vesicae und bespricht 
dann die Operationsverfahren von Sonnenbürg, Maydl, Lotheisen 
u. A., die durch Exstirpation der Blase, Einpflanzung der Ureteren 
in den Penis, das Rectum, gut ausgefallen sind. An dem demon- 
strirten kleinen Knaben sind 5 Operationen in 2 1 / a Jahren gemacht 
worden. T. zeigt dann auch Photographien der Operationstechnik 
und der verschiedenen Operationsresultate. 

Posner (Berlin) berichtet über einen neuen Fall von überzähligem 
Harnleiter bei einem jungen Mädchen. 

Der überzählige Ureter mündete unter der Harnröhre, zwischen 
ihr und den kleinen Labien. P. hat durch eine Klemme, deren eine 
Branche er in die Blase, deren andere in den überzähligen Ureter 
einführte, eine Communication zwischen diesem und der Blase her¬ 
gestellt und dann die äußere Mündung des Ureters geschlossen. 

KÜMMELL (Hamburg) stellt eine große Reihe von Lupus¬ 
fällen vor, die durch Röntgenstrahlen behandelt worden 
sind, und glaubt in vielen dieser Fälle von Heilung sprechen zu 
dürfen. Die Behandlung dauerte bis zu 1 1 / 2 Jahren. Die Narben 
sind ungleich besser als bei jedweder anderen Behandlung. 


Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 

(Auszug aus dem officiellen Protokoll.) 

Sitzung vom 13. December 1901. 

V. CZYHLARZ demonstrirt einen Fall von thyreopriver 
Tetanie. Bei der 35jährigen Pat. bildete sich in ihrer zweiten 
Gravidität eine Struma aus, von welcher operativ große Partien 
der beiden Seitenlappen entfernt wurden. Zwei Tage darauf stellte 
sich typische Tetanie mit TROüssEAu’schem, ERß’schem und Facia- 
lisphänomen ein. Fälle von Tetanie nach partieller Strumaexstir¬ 
pation sind sehr selten, bisher sind circa 13 Fälle bekannt. Die 
Behandlung mit Thyreoidintabletten hatte bisher bei der Pat. keinen 
Erfolg. 

JOS. SORGO stellt einen Fall beiderseitiger Oculom o- 
torius- undTrochlearislähmung vor, verbunden mit links - 
seitiger Hemiparese und Schütteltremor der paretischen Extremitäten. 
Anfangs dieses Jahres bekam der 28jährige Pat. rechts, dann links 
eine Oculomotoriuslähmung, dann kam Parese der linken Körper¬ 
seite hinzu. Nie Kopfschmerz oder Schwindel, keine Stauungspapille, 
Abblassung der rechten Papille. Pat. war anfangs aufgeregt, be¬ 
ruhigte sich aber unter Opiumbehandlung. Dann trat linksseitig 
Facialis- und Abducensparese und ein Schütteltremor der linken 
oberen Extremität hinzu. Letzerer begann zuerst mit Zitterbewegungen 
im Daumen ; diese gingen dann nach einander auf den Zeigefinger, 
den Flexor carpi ulnaris und die Beuger über; gegenwärtig ist 
der Krampf aus Bewegungsphänomenen dieser Muskeln combinirt und 
äußerst mannigfaltig. Die Schütteikrämpfe dauern im wachen Zu¬ 
stande fortwährend an, bei psychischer Bewegung und bei inten- 
dirten Bewegungen nehmen sie zu, im Schlafe cessiren sie, be¬ 
ginnen aber noch vor dem Erwachen wieder. Im letzten Monate 
befiel der Schütteltremor auch die linke untere Extremität. Die 
Sensibilität ist normal. Nach der Art des Entstehens der Krämpfe 
könnte man einen Tumor an der Basis und einen Tumor in dem 
rechten motorischen Rindencentrum oder multiple Sklerose annehmen, 
doch läßt sich eine sichere Diagnose nicht stellen. 

P. Karplus berichtet aber einen ähnlichen Fall, ein Mädchen betref¬ 
fend, welches seit Jahren eine Hemiparese und gekreuzte Oculomotoriasparese 
besitzt j an den paretischen Extremitäten zeigen sich analoge Reizungserschei¬ 
nungen wie im vorgesteilten Falle. In einem anderen Falle bekam ein Mäd¬ 
chen, welches seit Jahren an cerebraler Kinderlähmung mit linksseitiger He¬ 
miparese litt, im Anschlüsse an einon Unfall einen Schntteltremor, welcher 
nach mehreren Monaten spontan aufhörte; es trat also zu einem organischen 
Proceß eine Neurose hinzu; diese Combination müsse man auch im demonstrirten 
Falle berücksichtigen. 

H. Nothnagel bemerkt, daß in einem analogen, von v. Leyden im Jahre 
1863 mitgetheilten Falle sich ein Tumor im Thalamus opticus fand. Wenn man 
die Ursache des vorgestellten Falles unter einen einzigen Gesichtspunkt 
bringen will, so wäre an einen Sitz der Affection in der Gegend des Thalamus, 


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Wiener Medizinische Presse. 


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bezw. mit Uebergreifen auf die Corpora quadrigemina zu denken, von welchen 
letzteren doppelseitige Augenmnskellahmungeu ausgeben können. 

J. Sorgo hebt hervor, daß Symptome einer Neurose bei dem Kranken 
nicht vorliegen. Die Entwickelung des Krampfes dränge zur Annahme eines 
gleichzeitigen corticalen Herdes neben einom Herde an der Basis cerebri. 

H. y. Schrötter bemerkt, daß in diesem Falle auch an die Möglichkeit 
einer Cysticercusaffection im Gehirne gedacht wurde, doch haben sich für 
diese Annahme keine Anhaltspunkte gefunden. 

KARL. STERNBERG demonstrirt anatomische Präparate von 
Chlorom, welche von der Obduction einer 51jährigen Frau 
stammen, die unter schwer zu deutenden klinischen Symptomen ge¬ 
storben war. Bei der Section zeigten sich sämmtliche Lymphdrüsen 
sehr vergrößert, aber von einander abgrenzbar, an der Oberfläche 
und am Durchschnitte waren sie grasgrün gefärbt, der Mundhöhlen¬ 
boden, der weiche Gaumen und die hintere Rachenwand waren 
von einem grasgrünen Gewebe infiltrirt, durch welches auch die 
Tonsillen substituirt waren. Aehnlich gefärbte Knoten fanden sich 
in den Nieren, die Milz war vergrößert, das Knochenmark frei 
von Veränderungen. Der Fall bietet Analogien mit dem Lympho¬ 
sarkom , der Farbstoff dürfte ein Lipochrom sein. Im Safte der 
Lymphdrüsen befanden sich Charcot-Leyden’scIio Krystalle und 
eosinophile Zellen. 

W. Türk berichtet über einen von ihm beobachteten Fall von Chlorom. 
Pat. bot das Bild der schwersten perniciösen Anämie; gegen diese Diagnose 
sprachen aber Abweichungen im Blutbefunde. Da der Kranke Gasarbeiter war, 
wurde an eine chronische Vergiftung mit Kohlenoxyd gedacht. Bei der Section 
fand sich in der Niere ein kleiner Herd von eigentümlich grünlicher Farbe, 
ferner ein ebensolcher Herd an der Unterflache des Sternum, welcher ein Costo- 
sternalgelenk durchwuchert hatte; an den hinteren Antheileu der Rippen 
saßen mehrere derartige Geschwülste. Im Knochenmarke fanden sich einige 
heller gefärbte Stellen, sonst war das Mark diffus dunkelrothbraun gefärbt; 
die Untersuchung von Strichpräparaten ergab eine diffuse Chlorombildung 
im Knochenmarke. Der Herd am Sternum hat außer einer geringen 
Schmerzhaftigkeit des unteren ßrustbeinabschnittes keine Symptome verur¬ 
sacht, die anderen Herde riefen überhaupt keine Symptome hervor. Redner 
möchte sich dem Vortr. in Bezug auf den lymphosarkomatösen Charakter 
des Chloroms anschließen. 

K. Sternberg vertritt den Standpunkt Kundkat’s und Paltauf's, welche 
in der Lymphosarkomatose keine Geschwulstbildung, sondern eine Vegetations¬ 
anomalie sehen. 

H. SCHUR zeigt einen Fall von allgemeiner Lympho¬ 
matös is, ein 25jähriges Mädchen betreffend. Die Lymphdrüsen 
am Halse, in den Axillar- und Inguinalgegenden sind tumorartig 
vergrößert, außerdem besteht Leber- und Milztumor. Im Blute sind 
die polynucleären Lymphocyten vermehrt, die mononucleären finden 
sich in normaler Anzahl, die eosinophilen Zellen sind etwas ver¬ 
mehrt. Der Blutbefund wechselt sehr, jetzt finden sich z. B. 50.000 
weiße Blutkörperchen in 1 Cmm. Blut, im Sommer betrug ihre 
Anzahl 200.000. Innerhalb längerer Zwischenräume tritt unter 
Fieber bis zu 40° eine sehr starke Leukocytose ein , Fat. fühlt 
sich erheblich matter und die Lymphdrüsen vergrößern sich stark. 
Nach einiger Zeit tritt das Fieber wieder zurück und die Lymph¬ 
drüsen bleiben stationär. Die Leber ist erheblich vergrößert und es 
bestehen Zeichen von Nephritis. Die Einreihung der Krankheit in 
ein bekanntes Krankheitsbild ist sehr schwer. 

E. Schwarz theilt mit, daß in einem von ihm beobachteten Falle, 
welcher ebenfalls Fieberattaquen und Leukocytose zeigte, und bei welchem 
die Diagnose auf Pseudoleukämie gestellt wurde, die Obduction eine Hyper¬ 
plasie der Milz und der Lymphdrüsen ergab; aus letzteren wurden Diplokokken 
gezüchtet, so daß der Obducent meinte, daß es sich vielleicht um eine infec- 
tiöse Lymphocytose handeln könnte. Auch in dem demonstrirten Falle würden 
die Recidiven für eine solche Ansicht sprechen. 

H. v. Schrötter stellt einen 14jährigen Knaben mit Kopf- 
t et an us vor. Pat. wurde auf dem Oberrande der linken Orbita 
durch einen Steinwurf verletzt; die Wunde heilte ohne Interven¬ 
tion eines Arztes. Nach 14 Tagen stellten sich immer mehr zu¬ 
nehmender Trismus, Contractnren der Hals- und Stammesmusculatur 
und der Muskeln der unteren Extremitäten ein, ferner entwickelte 
sich eine vollständige Paralyse des linken Facialis. Schlingbeschwer¬ 
den waren nicht vorhanden, doch wurden durch den Schlingact 
die besprochenen Krämpfe ausgelöst, daneben zeigte sich eine aus¬ 
gesprochene linksseitige Hypoglossusparalyse. Merkwürdig bleibt es, 
daß eine Erkrankung, die als charakteristisch mit motorischen 
Reizerscheinungen einhergeht, sich gelegentlich mit Lähmung be¬ 
stimmter Nerven (Facialis, Augenmuskelnerven, Hypoglossus) com- 
binirt und daß letztere sich wieder zurückbildet. Der Kranke ist 


nämlich gegenwärtig fast vollständig geheilt. Therapeutisch wurden 
Antitoxininjectionen — freilich erst spät — und die bisher üblichen 
Mittel (warme Bäder) an gewendet. Ein zweiter vom Vortr. beob¬ 
achteter Fall von schwerem Tetanus, welchem schon am ersten 
Krankheitstage Tetanusantitoxin injicirt wurde, starb am näch¬ 
sten Tage. 

J. Schnitzler hat einen Fall von Kopftetanus nach Scbußverletzung 
eines Bulbus beschrieben ; es bestand eine Lähmung des Oculomotorius, Facialis 
und Abducens. Die Lähmunng beim Tetanusgift erklärte Sch. damals in fol¬ 
gender Weise: Im allgemeinen verursacht das Tetanusgift Reizungserschei¬ 
nungen. Es ist eine physiologische Thatsache, daß Gifte, welche in verdünntem 
Zustande reizend wirken, in stärkerer Dosis eine Lähmung hervorrufen. Er 
habe nun darauf aufmerksam gemacht, daß nur im Gebiete jener Nerven 
Krampfe Vorkommen, welche eine lange Strecke zum Centralorg an zurückzn- 
legen haben ; wenn das Gift längs der Nerven fortgeleitet wird , so wird es 
in langen Nerven (an den Extremitäten) weniger concentrirt sein als in kurzen 
(Gehirnnerven), es wird daher im Gebiete der ersteren reizend (krampferregend) 
in dem der letzteren lähmend wirken. ’ 

H. V. SCHRÖTTER stellt einen 49jährigen Mann mit Acti- 
nomykose der Brustorgane vor, bei welchem für die Aetio- 
logie der Krankheit kein Anhaltspunkt vorliegt. Pat. erkrankte 
vor drei Jahren schwer an Actinomykose, beginnend mit Schmerzen 
an der linken Thoraxseite. Diese ist stärker gewölbt und zeigt 
mehrere Fistelöffnungen, um welche in der letzten Zeit stärkeres 
Hautödem aufgetreten ist. Die Percussion ergibt über den unteren 
Partien der Lunge leeren Schall, über den oberen Partien 
der Dämpfung hört man noch etwas bronchiales Athmen, nach 
unten zu ist kein Athmungsgeräusch hörbar. Es besteht eine Er¬ 
krankung der Thoraxwand, der Pleura, der Lunge, des Mediastinum 
und auch des Herzens, denn letzteres ist nach rechts verdrängt; 
es war längere Zeit pericardiales Reiben hörbar und in den letzten 
Wochen traten oft tagelang bestehende Anfälle von Arhythmie und 
Abnahme der Füllung und Spannung der Arterien auf. Vortr. ist 
der Ansicht, daß die Actinomykosewucherung ins Herz eingedrun¬ 
gen ist, wie er dies in einem früheren Falle beobachten konnte. 
Das Oedem an der linken Seite ist eine locale Erscheinung und 
steht mit den narbigen Veränderungen um die Fistelöffnungen im 
Zusammenhänge. 

RUO. SCHMIDT demonstrirt einen Fall von Hemichorea 
hysterica. Es bestehen typische, besonders bei intendirten Be¬ 
wegungen lebhafte, choreatische Zuckungen an der linken Körper¬ 
hälfte. Die mimische Gesichtsmusculatur betheiligt sich hiebei nur 
wenig. Die Erkrankung hat plötzlich vor einem Monate im An¬ 
schlüsse an Schreck eingesetzt. Gelenksrheumatisraus, Endocarditis 
oder irgend eine toxische Beeinflussung des Gesammtorganis mus ist 
auszuschließen, dagegen bestehen hysterische Stigmata. 

Fortsetzung der Discussion über das Thema Myiasis 
intestinalis. 

J. Schütz weist auf die Wichtigkeit hin, welche dieses Krankheitsbild 
in der Diagnostik der Darmkrankheiten in Zukunft einnehmen wird. Viel¬ 
leicht wäre in manchen Fällen ein chirurgischer Eingriff indicirt. In dem zur 
Discussion stehenden Falle wäre vielleicht eine Probeincision am Platze ge¬ 
wesen, umsomehr, als alle Organe mit Ausnahme der Nieren intact waren. 

H. v. Schrötter berichtet über einen Fall langdauernder Diarrhoe, bei 
welchem Eiter und Gewebsfetzen abgingen und bei welchem eine Aetiologie 
absolut nicht zu eruiren war. Der Kranke ging an Erschöpfung zugrunde. Bei 
der Obduction wurden durch den ganzen Darm Geschwüre gefunden, von denen 
die oberen ganz oder theilweise vernarbt waren, während in den unteren 
Darmpartien frische Ulcerationen saßen. Im untersten Geschwüre fand sich 
eine gut erhaltene Pfeifenspitze. Der Fremdkörper, welcher vom Kranken un¬ 
bewußt verschluckt worden war, hatte also den ganzen Darm durchwandert 
und dabei Geschwüre verursacht. Ein solcher Fremdkörper geht oft unbemerkt 
ab, so daß die Aetiologie des durch ihn veranlaßten Liidens unklar bleibt. 
Es wäre auch möglich, daß eine in solcher Weise entstandene Geschwdrsbil- 
dung zur secundären Ansiedlung von Fliegenlarven Anlaß gibt, während diese 
sonst, zufällig eingedrungen, ohneweiters abgehen und daher unbemerkt bleiben. 

London hatte während seines langjährigen Aufenthaltes in Jerusalem 
Gelegenheit, eigentümlich verlaufende Fälle von Dysenterie zu b3obachten, 
deren Symptome sich nicht immer mit dem klinischen Bilde dieser Krank¬ 
heit deckten und welche sich durch einen hartnäckig protrahirten Verlauf 
auszeichneten. Auf Anregung Frerichs’ wurden in einem derartigen Falle die 
Dejecte mikroskopisch untersucht und 03 fanden sich in denselben Larven 
von Musca vomitoria. Auf Calomel und Santonin gingen colossale Mengen der 
Maden ab und es trat Heilung ein. 3 Jahre später beobachtete Verf. wieder 
einen analogen Fall, bei welchem Larvon von Homalomya scalaris gefunden 
wurden, doch ging Pat. trotz Verabreichung von Calomel zugrunde. Iu Jerusalem 
dürfte ätiologisch das Trinken von Cisternenwasser, welches znr Zeit des 


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95 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 2. 


96 


niedrigsten Wasserstandes eine Brutstätte von Dipteren ist, in Betracht kom¬ 
men, außerdem aber auch die Unreinlichkeit der Einwohner, welche auch in 
Bezug auf ihre Nahrung gar nicht wählerisch sind. Aus dem Umstande, daß 
er trotz jahrelanger Untersuchungen in seiner Praxis nur so wenige Fälle be¬ 
obachten konnte, zieht Redner den Schluß, daß die Dipteren überhaupt selten 
in den Verdauungstractus von Menschen eindringen oder, was wahrscheinlicher 
ist, daß sie dort meist unter dem Einflüsse der Verdauungssäfte zugrunde gehen. 

F. Kauders erwähnt, daß in dem besprochenen Falle anfangs ein 
ulcerativer Darmproceß angenommen, Dysenterie und Tuberculose jedoch aus¬ 
geschlossen worden sei. Daß die sonst harmlose Infection mit Fliegenlarven 
bei diesem Patienten so deletäre Wirkungen im Darme auszuüben vermochte, 
mag durch das Vorhandensein der Flexurstenose zu erklären sein, welche zur 
Stagnation des Darminhaltes und zur Ansiedelung der Larven Gelegenheit 
bot. Es ist jedoch kaum wahrscheinlich, daß der ulcerative Proceß auf die 
Ansiedelung der Larven zurückzuführen sei. In ähnlichen Fällen wird man 
in Zukunft auf Stenosenerscheinungen in allererster Linie zu achten haben, da 
durch Beseitigung dieser auf chirurgischem Wege weiteren, secundären Deva¬ 
stationen vorgebeugt werden könnte. 


Notizen. 


Wien, II. Januar 1902. 

(K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien.) In der 
gestrigen Sitzung stellte zunächst Prof. Dr. Freih. v. Eiselsberg 
einen Mann mit Strumabildung aus einer accessori- 
schen Schilddrüse vor. Bei dem Kranken war vor 18 Jahren 
eine Totalexstirpation der Schilddrüse wegen Struma vorgenommen 
worden; 2 Monate später entwickelte sich über dem Kehlkopfe 
ein allmälig anwachsendes Knötchen, das sich histologisch als 
colloid degenerirtes Schilddrüsengewebe erwies. Die von dem Pat. 
gewünschte Exstirpation hat im Hinblick auf die Wahrscheinlich¬ 
keit von Ausfallserscheinungen zu unterbleiben. — Hierauf hielt 
Dr. Leo Prochnik, em. Oberstabsarzt der niederländisch-ostindischen 
Armee, seinen angekündigten Vortrag über „Carcinom und 
Malaria“. Er nahm gegen die von Löffler aufgestellte Hypo¬ 
these, Carcinom könne durch Einimpfung von Malaria geheilt 
werden, Stellung und wies auf Grund eigener, in 25jähriger Praxis 
in den niederländisch-indischen Colonien erworbener Erfahrungen 
und der Daten in der Literatur nach: 1. Carcinom ist sowohl bei 
den Eingeborenen, als auch bei den Europäern in Niederländisch¬ 
indien keine allzu seltene Krankheit. 2. In Fällen von gleich¬ 
zeitigem Vorkommen von Carcinom und Malaria hat Malaria keinen 
prohibitiven Einfluß auf das Carcinom ausgeübt; niemals wurde 
eine Heilung beobachtet. Mit Rücksicht auf das in den Tropen 
häufige Vorkommen der hypertrophischen Lebercirrhose, deren 
Aetiologie Vortr. vorwiegend auf Malaria zurückführt, und den 
unleugbaren Zusammenhang zwischen der hypertrophischen Cirrhose 
und dem Carcinom kann hingegen in der Malaria sogar eine 
mittelbare Ursache für Carcinomentwickelung gesucht werden. 

(Universitäts-Nachrichten.) Prof. Krehl in Greifs¬ 
wald ist als Nachfolger Liebermeister’s nach Tü hingen berufen, 
Dr. Gilbert zum Professor der Therapeutik in Paris ernannt 
worden. 

(Auszeichnungen.) Hofrath Prof. Dr. Karl Gussen- 
bauer ist zum ordentlichen Mitgliede des Obersten Sanitätsrathes 
ernannt worden. — Der Polizei-Bezirksart Dr. MORiz Pollak in Wien 
hat den Titel eines Polizei-Ober Bezirksarztes, der praktische Arzt 
in Roman Dr. Leo Rabener den Franz-Joseph-Orden erhalten. — 
Ministerialrath Prof. Koloman Müller ist zum Mitgliede des Ober¬ 
hauses ernannt worden. 

(Ernennungen.) Der Assistent an der I. geburtshilflich¬ 
gynäkologischen Klinik Dr. Heinrich Schmit wurde zum Professor 
der Geburtshilfe an der Hebammen-Lehranstalt in Linz, Dr. Carl 
Hödlmoser zum Primarärzte der internen Abtheilung, Dr Ladislaus 
Mikucki zum Primarärzte der geburtshilflichen Abtheilung am Landes- 
spitale in Sarajewo ernannt. — Der Mitredacteur der „Deutschen 
Med. Wschr.“ Dr. Julius Schwalbe, der Privatdocent für Chirurgie 
in Berlin Dr. Gustav de Ruyteb, der Internist Dr. Theodor Sommer¬ 
feld und der Director der Berliner Rettungsgesellschaft Dr. George 
Meyer haben den Professor-Titel erhalten. 

(Habilitationen.) Dr. Wenzel Pitha hat sich für Ge¬ 
burtshilfe und Gynäkologie, Dr. Ottokar Srdinko für Histologie 


und Embryologie und Dr. Ottokar Kose für interne Medicin an 
der medicinischen Facultät der czechischen Universität in Prag 
habilitirt. 

(Preisschrift betreffend die Errichtung eines 
Sanatoriums für Tuberculose in England.) Mit Ge¬ 
nehmigung des Königs von England gelangt eine Summe von 
16.000 Mark auf Preise für die besten Aufsätze über Tuberculose 
und für Pläne eines Sanatoriums in Verwendung, das tuberculösen 
Kranken gewidmet werden soll. Das berathende Comitö besteht aus 
William Broadbent, Richard Douglas Powell, Francis Laking, 
Felix Semon, Hermann Weber und Dr. C. Theodore Williams. 
An der Bewerbung können sich Aerzte aller Nationen, allein oder 
in Verbindung mit Architekten, betheiligen. Das Sanatorium ist für 
100 Kranke, 50 männliche und 50 weibliche, bestimmt. 12 Betten 
bleiben für Wohlhabende reservirt. Jeder Patient wird sein eigenes 
Zimmer haben; das Sanatorium soll in geeigneter Lage erbaut und 
mit den modernsten Anforderungen der Hygiene versehen werden. 
Die Aufsätze sind (mit Motto und Autornamen in verschlossenem 
Couvert) an die Secretäre des Comites P. Horton-Smith, 15 Upper 
Brook Street, W. London oder Dr. John Broadbent, 35 Seymour 
Street, W. London zu senden. Den drei besten Arbeiten werden drei 
Geldpreise von 500, 200 und 100 Pfund zuerkannt. Die Arbeiten 
sollen möglichst kurz sein, die Hauptpunkte der Vorschläge sind 
am Schlüsse der Arbeit zu resumiren. Die nicht preisgekrönten 
Arbeiten werden den Verfassern zurückgestellt. 

(Der Astley Cooper- Preis) im Betrage von 300 Pfund, 
der nach je 3 Jahren zur Vertheilung gelangt, soll dem Autor der 
besten Arbeit über die „Pathologie des Carcinoms und die Ver¬ 
theilung und Häufigkeit der Metastasen im Verhältnisse zum primären 
Tumor“ zuerkannt werden. Die Abhandlung darf nur einen Ver¬ 
fasser haben; sie ist am oder vor dem 1. Januar 1904 an die 
Aerzte des Guy’s Hospital in London zu senden. 

(Das Alters versorgungscomitö für die Districts- 
nndGemeindeärzte)in Böhmen hat beschlossen, daß eine aus den 
Vorständen der deutschen und der czechischen Centralvereine, den 
Kammervorständen und je zwei Districts- und Gemeindeärzten be¬ 
stehende Deputation dem Landtage die Dringlichkeit der Alters¬ 
versorgung der genannten Aerzte darlege. Das Comitö erklärte sich 
zur Durchführung der Angelegenheit in Permanenz und übernahm 
die Aufgabe, die Oeffentlichkeit durch die Presse für diese wichtige 
und berechtigte Forderung des Aerztestandes zu interessiren. 

(Eine Aufforderung zur Einsendung von Be¬ 
richten über Curpfuscher) an sämmtliche Collegen geht 
derzeit von der Redaction der „Münchener med. Wochenschr.“ 
aus. Auf solche Weise soll ein Thatsachenmaterial gesammelt 
werden, das wirksamer als jeder andere Beweis der Oeffentlichkeit 
die Augen darüber öffnet, wie sehr sie durch die Curpfuscherei 
geschädigt wird. Wir sind von der Trefflichkeit dieses Gedanken- 
ganges überzeugt, denn nichts wirkt belehrender, wirkt lebendiger 
auf die Menschen ein als ein greifbarer, um wie viel mehr noch 
ein erschreckender Eindruck. — Die Mittheilungen werden von der 
„Münch, med. Wschr.“ nicht zur Publication bestimmt, sondern 
bloß zur Information für Collegen. 

(Die Zahl der Aerzte in Deutschland) hat nach 
einer Zusammenstellung Heimann’s im Jahre 1901 um 2‘9% gegen 
das Vorjahr zugenommen. Die genannte Zahl bedeutet einen geringen 
Rückgang im Vergleiche zur Zunahme in den fünf vorhergehenden 
Jahren. 

(Deutscher Aerztetag.) Der nächste deutsche Aerztetag 
wird am 27. und 28. Juni zu Königsberg tagen. Als Verhandlungs¬ 
gegenstände sind in Aussicht genommen: „Der Stand des ärzt¬ 
lichen Unterstützungswesens in Deutschland“ und „Aufgaben der 
Spitalsärzte gegenüber den Anforderungen der neuen Prüfungs¬ 
ordnung.“ 

(Der 2 3. Balneologencongreß) wird unter Vorsitz 
Liebreich’s vom 7. —11. März 1902 in Stuttgart tagen. Vor¬ 
träge werden u. a. halten: v. Baumgarten (.Tübingen): Ueber 
Immunität und Disposition, besonders mit Bezug auf Tuberculose ; 
Liebreich (Berlin): Ueber Inhalationstherapie; Burwinkel (Nau¬ 
heim): Chronische Herz- und Lungenleiden in ihren Wecbselbe- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 2. 


Ziehungen; Camerer (Urach): Ueber Gicht und Rheumatismus; 
Determann (St. Blasien) und Schröder (Schömberg): Die Wir¬ 
kungen des Höhenklimas; Fraas (Stuttgart): Das Canstatter 
Mineralwasserbecken und seine geologischen Verhältnisse, Grützner 
(Tübingen): Ueber den Mechanismus der Magenverdauung; Grube 
(Neuenahr): Ueber den Einfluß salzhaltigen Wassers auf die Blut¬ 
beschaffenheit nach Versuchen am Menschen. 

(Statistik.) Vom 29. Deceinber 1901 bis incl. 4. Januar 1902 wurden in 
den C i vi lspit älern Wiens 6900 Personen behandelt. Hievon wurden 1294 
entlassen ; 162 sind gestorben (9'3% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 73, egypt. 
Augenentzündung 1, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 5, Dysen¬ 
terie —, Blattern —, Varicellen 156, Scharlach 87, Masern 286, Keuchhusten 41, 
Rothlauf 40, Wochenbettfieber 3, Rötheln 3, Mumps 9, Influenza 1, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 615 Personen gestorben 
(+ 18 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: ln Poroszlö Dr. Franz 
Kiss; in Budapest Dr. Samuel Winkler, 35 Jahre alt; in Munkäcs 
der Bezirksarzt Dr. Moriz Fischer im Alter von 58 Jahren; in 
Greifswald der Gynäkologe Prof. Pernice ; einer der berühmtesten 
Chirurgen Belgiens, Prof. F. J. Soupart, im Alter von 91 Jahren; 
der Generaldirector des Medicinalwesens in Britisch-Indien Dr. R. 
Harvey ; der Professor der Chirurgie am Long Island College 
Hospital zu Brooklyn Dr. Jarvis S. Wight. 

Medicinalrath Prof. Dr. E. H. Kisch in Prag charakterisirt die Wirkung 
des bekannten natürlichen „Krondorfer Sauerbrunn“ wie folgt: „Der lvrondorfer 
Sauerbrunn bewirkt im Magen ein Gefühl von vermehrter Bewegung und 
angenehm erhöhter Wärme. Die Magenverdauung erfolgt rascher und es macht 
sich ein Bedürfniß nach Speisen bemerkbar. Die Harnmenge ist vergrößert, 
die Absonderung der Schleimhäute der Athmungsorgane wird verflüssigt und 
leichter entfernt. Das Blut, von den für den Organismus unbrauchbaren Stoffen 
(Harnstoff uud Kohlensäure) ausgiebiger entlastet, circulirt rascher und die 
Nahrungsmittel werden in erhöhtem Maße zur Ausbildung der Gewebe ver¬ 
wert het, die Ernährung wird gesteigert.“ 


Wiener Medicinisches Doctoren-Collegium. 

Wissenschaftliche Versammlung. 

Montag den 13. Januar 1902, 7 Uhr Abends, 
im Sitzungssaale des Collegiums, I., Rothenthurmstraße 19 (van Swietenhof). 
Vorsitz: Hofrath Prof. v. Reder. 

Programm: 

Hofrath Prof. I. Neumann: Ueber ungewöhnlichen Sitz des Primära ffect.es 
an der Haut und Schleimhaut. (Mit Demonstration von Moulagen und Tafeln.) 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 


Mit dieser Nummer versenden wir, für die Abonnenten 
der „Wiener Mediz. Presse“ als Beilage, das Januar 
Heft der „Wiener Kl in ik“. Dasselbe enthält: „Behandlung 
des männlichen Harnröhrentrippers.“ Von Prof. Dr. Maximilian 
V. Zeissl in Wien. 


Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
Postversendung. Die Preise der Einbanddeoken sind folgende: für die „Med. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
„Therapie der Gegenwart“: K 1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Postversendung. 


Die Rubrik: „Erledigungen , ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 

Mt Wir empfehlen diese Rubrik der speciellen Beachtung unserer 
geehrten Leser; in derselben werden öfters — neben der Publication von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auch für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein können, welche an eine 
Aenderung des Domicils oder ihrer Verhältnisse nicht gedacht haben. -Ml 


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Wien, den 19. Januar 1902. 


Nr. 3. 


XLIII. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart-Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militär ärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik', letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse" 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Deutschmeisterplatz 2. 


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Abonnementopreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Militärärztlicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
20 K, halbj. 10 K, viertelj- 5 K. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk-, halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 K\ Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2 spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein 
Sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien, I, Maximilianstr. 4. 


medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Redaction: Telephon Nr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

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Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 
Administration: Telephon Nr. 9104. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Lungentuberculose und Hydrotherapie. Von Hofrath Prof. Dr. Wilhelm Winternitz. — Bemerkungen 
zu meinem Aufsätze: Vorschläge zur Behandlung des Ulcus durum. Von Dr. S. Federn. — Zur Lehre von den Neurosen des peripheren Kreislaufs¬ 
apparates. (Ueber vasomotorische Ataxie.) Von Dr. Hans Herz in Breslau. — Referate. Klemperer (Berlin): Ueber Entstehung und Verhütung 
der oxalsauren Niederschläge im Urin. — Friedrich Keller (Uehlingen): Bergsteigecuren für Nervenkranke. — Minin (St. Petersburg): Ueber die 
Anwendung der Lichttherapie in der Chirurgie. — Götzl und Salus (Prag): Zur Wirkung des Urotropins. — R. Bernhardt (Warschau): Resorption 
lupöser Producte unter Pockeneiufluß. — Marischler (Lemberg): Ueber den Einfluß des Chlornatriums auf die Ausscheidung der kranken Niere. — 
Krahulik : Ueber Ischias scoliotica. — Alfred Gross (Kiel): Zur Symptomatologie der Tabes dorsalis. — Funck (Brüssel): Der Vaccine- und 
Variolaerreger. — Ransome und Foulerton: Ueber den Einfluß des Ozons auf die Lebenskraft einiger pathogener und anderer Bakterien. — 
Kleine Mittheilungen. Pharmakologische Beeinflussung der Harnsäureausscheidung. — Fersantherapie. — Das Amylenhydrat gegen Diabetes 
insipidus. — Milch- und Eisensomatose. — Behandlung der Pachydermia laryngis. — Agurin. — Roborirende Medication. — Behandlung der 
functionellen Nervenerkrankungen. — Behandlung perforirender Bauchwunden. — Ein mechanisches Laxans für Säuglinge. — Bandwurmmittel. — 
Literarische Anzeigen. Die Krankheiten der Frauen. Für Aerzte und Studirende dargestellt von Dr. Heinrich Fritsch. — Besserung der Sprache 
und Entwickelung der Hörreste bei einem Taubstummen. (Rectification de la parole et developpement des restes auditifs chez un sourdmuet.) Von 
A. Zünd-Burguet. — Pathologie der blennorrhoischen und venerischen Lymphgefäßerkranknngen. Eine anatomische Studie von Dr. G. Nobl. — 
Verhandlungen ärztlicher Vereine. Aus den Abtheilungen der 73. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte. Hamburg, 22. bis 
28. September 1901. (Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) XVI. — Gesellschaft für innere Medicin in Wien. (Orig.-Ber.) — 
Standesfragen. Eine neue Krankencasse. — Notizen. — Nene Literatur. —• Eingesendet. — Offene Correspondenz der Redaction und Admini 
stration. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 

Hiezu eine Beilage: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung.“ 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse“ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Lungentuberculose und Hydrotherapie. 

Von Hofrath Profesaor Dr. Wilhelm Winternitz. *) 

Wenn ich auf dem Programme einer ärztlichen Corpo¬ 
ration oder Gesellschaft lese: „Winternitz, Lungentubercu¬ 
lose und Hydrotherapie“, so fürchte ich, daß es Sie an 
einen alten akademischen Lehrer erinnern wird, der 40 Jahre 
seiner akademischen Thätigkeit Schmierern gelehrt, über sie 
gesprochen und sie in der Praxis bethätigt hat. Es ist näm¬ 
lich schon so oft der Fall gewesen, daß ich über diesen 
Gegenstand gesprochen habe, daß ich mich bei Ihnen deshalb 
entschuldigen müßte. Früher, ehe ich so vielfach dieses Thema 
behandelt hatte, habe ich ein bekanntes Citat von Goethe 
zur Entschuldigung benutzt. Es heißt nämlich in Goethe’s 
Briefwechsel mit einem Kinde: „Du mußt es dreimal sagen.“ 
Nun habe ich aber den Goethe schon so sehr übertrumpft, 
daß mir der Hinweis auf ihn heute nichts mehr nützt und 
ich nur eine Entschuldigung für meinen heutigen Vortrag 
besitze, die darin gelegen ist, daß die Hydrotherapie der 
Lungentuberculose noch in den Kinderschuhen steckt. 

Eigentlich erst seit Brehmer haben die Kliniker und 
die praktischen Aerzte sich es wieder gegenwärtig gebracht, 
daß die. Tuberculose auch eine heilbare Krankheit sei. Man 
hätte, eigentlich daran niemals vergessen sollen, nachdem 
wir ja auf dem Sectionstisch fast immer und in recht großer 
Zahl geheilte Tuberculose entdecken. Seit Brehmer also ist 

*) Vortrag, gehalten in der wissenschaftlichen Versammlung des „Wiener 
medicinischen Doctoren-Collegiums“ am 2. December 1901. — Stenogramm der 
„Wr. Med. Presse“. 


das wiederum etwas populärer geworden, und es sind namentlich 
die seither abgehaltenen Congresse, die uns das viel plausibler 
gemacht und diese höchst actuelle Frage wieder in das leb¬ 
hafteste Interesse der ärztlichen Welt gebracht haben. 

Wir haben es uns auch erst seither wirklich klar ge¬ 
macht, was für eine schreckliche Volksseuche die Tuberculose 
darstellt, und daß sie sämmtliche anderen epidemisch auf¬ 
tretenden Krankheiten weit an Gefährlichkeit und Schädigung 
des Volkes übertrifft. 

Und wenn wir jetzt fragen : Welche ist die beste Methode 
zur Behandlung der Tuberculose und der Phthise, so wird 
es allgemein keinen Widerspruch hervorrufen, wenn ich sage, 
daß die hygienisch-diätetische Behandlung, wie sie von Brehmer 
und Dettweiler eingeführt worden ist, eigentlich das Wesen 
der Behandlung ausmacht. 

Was speciell in den letzten Jahren von den verschiedensten 
hervorragenden Autoritäten in mannigfachen, Bibliotheken 
füllenden Publicationen über die hygienisch-diätetische Be¬ 
handlung im Allgemeinen veröffentlicht worden ist, was da 
über Licht, Wohnung, Nahrung, Kleidung etc. mitgethei’.t 
wurde, kann ich Ihnen, der selbst über diesen Gegenstand 
so oft schon gesprochen und publicirt hat, hier nicht wieder¬ 
holen, wie ich denn auch nicht erwarten kann, Ihnen viel 
Neues auf diesem Gebiete bringen zu können. 

Es sind ja auch, seitdem diese Frage wieder so sehr 
von der ärztlichen Welt discutirt wird, weder in ätiologischer, 
noch in pathologischer Beziehung viel neue Erfahrungen 
gesammelt oder Thatsachen bekannt worden, die uns der 
Lösung derselben näher brächten, und namentlich in Bezug 
auf die Pathogenese stehen wir auch heute noch auf dem¬ 
selben Standpunkte, der in den letzten Jahren der Streit- 


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punkt der gesammten medicinischen Welt gewesen ist: Auf 
der einen Seite die Infectionisten und Contagionisten und 
auf der anderen Seite die Hereditarier. 

Geeinigt haben sie sich noch nicht. Während die Infectio¬ 
nisten und Contagionisten annehmen, daß eine Disposition 
zur Erkrankung an Tuberculose und Phthise ganz und gar 
nicht nothwendig und nur eine Exposition erforderlich ist, 
daß die Tuberkelbacillen wie Flintenkugeln in der Schlacht 
entweder den betreffenden Patienten treffen, verletzen und 
ihn tuberculös machen oder daß man, so wie man aus der 
Schlacht unverwundet hervorgehen kann, auch hier unver¬ 
letzt bleiben könne, sind die Hereditarier bemüht, zu beweisen, 
daß dem doch nicht so sei. 

Es ist übrigens außerordentlich zu verwundern, daß 
wir über diese grundlegende Frage nicht schon längst uns 
klar geworden sind. Jeder Arzt, speciell jeder praktische 
Arzt hat doch gewiß im Laufe seiner ärztlichen Thätigkeit 
Hunderte und Hunderte von Tuberculösen und Phthisikern 
in Behandlung gehabt, und wir müßten demnach wenigstens 
darüber bereits einig geworden sein, ob in der großen Mehr¬ 
zahl der Fälle eine Contagion wirklich stattfindet, ob es 
sich in der That so verhält, wie bis jetzt die eigentlich 
siegreiche Partei behauptet. Werden ja doch auch alle Maß 
nahmen, welche zur Abwehr dieser Volksseuche getroffen 
wurden, von diesem Gesichtspunkte aus geleitet! 

M. H.! Für meine Argumentationen möchte ich am aller¬ 
wenigsten statistische Daten ins Treffen führen, denn die 
Statistik ist, wenn ich so sagen darf, eine sehr käufliche 
Dame, und sie kann beweisen, was sie will. Aber immerhin 
bleibt es doch sicherlich höchst auffallend, und wie soll man 
es sich durch die Contagionstheorie, durch das Verschont 
werden von Bacillen erklären, wenn beispielsweise von 
100 Ehepaaren, wo nur der eine Theil tuberculös oder 
phthisisch ist, in 90% der Fälle der andere Theil immun, 
gesund bleibt? 

Das ist nun eine sehr merkwürdige Thatsache, eine 
Thatsache, für welche ich aus meiner vieljährigen Praxis 
eine erkleckliche Anzahl von Beispielen anführen kann. Ich 
sah beispielsweise bei einem Ehepaare durch 4 Jahre die 
Frau literweise Sputum mit virulenten Tuberkelbacillen 
produciren. Ihr Mann war der denkbar zärtlichste Gatte, der 
beständig mit seiner Frau Contact hatte, der in der Wohnung, 
in der man sozusagen in Tuberkelbacillen gewatet hat, wohnte 
und gewiß die Bacillen in Massen einathmete und der in den 
Speisen ganz unzweifelhaft große Mengen von Tuberkelbacillen 
verzehrte. Man konnte bei ihm an einem Schnurrbarthaare 
Hunderte und Tausende von virulenten Tuberkelbacillen nach- 
weisen! Vier Jahre hat diese Exposition und dieser Contact 
des Mannes mit seiner schwerkranken Frau gedauert, und 
dennoch ist derselbe gesund geblieben und ist es heute noch. 

Auch auf eine andere, ebenfalls höchst merkwürdige 
und oft beobachtete Thatsache möchte ich hinweisen. Jeder 
praktische Arzt wird beobachtet haben und ich persönlich 
kenne zwei solche Fälle genau, daß es Familien gibt, bei 
denen in irgend einer der Generationen Tuberculose vor¬ 
gekommen ist und wo eine ganze Anzahl von Kindern im 
Alter von beiläufig 20—23 Jahren an Tuberculose erkrankt 
und zugrunde geht. Bis dahin waren sie immun und hatten 
keine Gelegenheit, sich zu inficiren, doch im 20. Lebensjahre 
ist die Heredität activ geworden, und da sind sie zugrunde 
gegangen. 

Die alten Kliniker haben stets auf die Frage, wie man 
tuberculös werde, geantwortet: man wird nicht plötzlich 
tuberculös, man muß sich für die Tuberculose geradeso an¬ 
passen wie für irgend eine andere Erkrankung, woferne es 
sich nicht um eine ganz deutlich exogene Erkrankungsform 
handelt; und die alten Kliniker haben gelehrt und nach¬ 
drücklich betont, daß alle depotenzirenden Momente es sind, 
welche den Menschen erst für die Infection vorbereiten. Es 
scheint also auch, daß nicht der Tuberkelbacillus allein es 


ist, der die Erkrankung zum Ausbruche bringt, sondern daß 
immer auch das Terrain {dabei eine Rolle spielt, und daß 
alle die Vorgänge, welche die Kliniker als depascirende, 
schwächende Momente bis ins Detail verfolgt und geschildert 
haben, bei der Entstehung, beim Haftenbleiben, beim Activ- 
werden der Tuberculose eine sehr wichtige Rolle innehaben. 

Ehe ich jedoch darauf eingehe, in welcher Weise die 
Hydrotherapie bei dieser Volksseuche einen Einfluß übe, will 
ich noch einen Punkt, der mir sehr wichtig erscheint, einen 
Punkt hygienischer Natur, der jetzt in den verschiedenen 
Heilstätten und Sanatorien für Lungenkranke nicht genügend 
beachtet wird, mit einigen Worten besprechen. 

Einer der wichtigsten Factoren, die man den Lungen¬ 
kranken zu bieten hat, ist die Luft. Eine gute Luft ist 
das erste Postulat, das man an die Behandlung der Lungen¬ 
kranken stellt. Ich weiß, daß ich mit dem, was ich jetzt 
Vorbringen will, geradezu in ein Wespennest steche, kann 
aber dennoch nicht umhin, Ihre Aufmerksamkeit auf diese 
Sache zu lenken. Eine ganze Menge der hier in Betracht 
kommenden Fragen tangirt ökonomische Interessen und das 
erschwert bekanntlich die Durchführung nothwendiger, nutz¬ 
bringender Reformen in außerordentlichem Maße. 

Es ist meiner Ueberzeugung nach gerade de? Punkt, 
den ich jetzt erwähnen werde, von besonderer Wichtigkeit 
für die Behandlung Lungenkranker in Sanatorien und Lungen¬ 
heilstätten — es ist die Frage der Heizung. 

Ich bin vielfach in den besteingerichteten Lungenheil¬ 
stätten in den günstigsten klimatischen Lagen, in Höhen- 
curorten etc. gewesen und erinnere mich nicht, daß ich jemals 
in einem dieser Sanatorien nicht eine enorm überhitzte Luft 
gefunden hätte. 

Ich behaupte, daß jede Form der Centralheizung, sei 
es Hoch- oder Niederdruck-, Dampf- oder Wasserheizung, 
trotz ihrer Vorzüge, die ich gerne anerkenne, nämlich der 
Reinlichkeit, Bequemlichkeit und ökonomischen Interessen, 
für derartige Institute ungeeignet, ja sogar nachtheilig ist. 

Wenn es vielleicht bei sehr genauer Ueberwachung mit 
Hilfe eines vortrefflichen Dienstpersonales möglich wäre, in 
Corridoren und Gesellschaftsräumen, vielleicht auch in den 
Schlafräumen eine entsprechend gleichmäßige, nicht zu sehr 
überhitzte Temperatur zu unterhalten, so unterliegt es doch 
sicherlich gar keinem Zweifel, daß die hier gebotene Luft 
eine enorme Trockenheit besitzt. Es hat sich aber auch gezeigt, 
daß alle bisher angewandten Vorrichtungen, mittelst deren 
man bemüht war, der Luft Feuchtigkeit zuzuführen, indem 
man z. B. Wasser verdampfen ließ etc., die Luft nicht ange¬ 
nehmer athembar gemacht haben. 

Ich selbst kenne eine große Anzahl von Patienten, welche, 
wenn sie sich in einem so geheizten Raume auch nur eine 
Stunde lang aufhalten, Heiserkeit und Hustenreiz bekommen, 
für die also die erwähnte Form der Heizung eine directe 
Schädigung birgt. 

Die besten Ventilationen sind nicht imstande, die Nach¬ 
theile, welche eine solche Heizung mit sich bringt, auszu¬ 
gleichen. Was ist das im Vergleiche zu einem gut ziehenden, 
mit lebendem Feuer versehenen Ofen ? 

Aus der Trockenheit resultirt aber noch ein anderer, 
nicht zu übersehender Nachtheil. 

Schauen Sie sich einmal diese Heizungsvorrichtungen 
und die Heizungskörper an. Es ist ja kaum möglich, daß von 
allen Seiten der Staub von ihnen abgekehrt wird; aber 
dieser von den heißen Röhren verbrannte Staub verbreitet 
einen höchst unangenehmen, direct widerlichen Geruch, und 
das bedeutet wiederum eine Schädigung, auf die ich hiemit 
hingewiesen haben möchte. 

Was kann also die Hydrotherapie, von der ich nunmehr 
sprechen will, außer den bisher gekannten hygienischen und 
diätetischen Maßnahmen für die Behandlung, Besserung und 
Heilung der Tuberculose leisten? 


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Wenn wir zunächst einmal in Betracht ziehen, was 
bisher geschehen ist. so ist von den Gesichtspunkten aus, 
die ich früher entwickelt habe, das allgemeine Streben ent¬ 
standen, auf irgendwelche Weise die Noxe, die man als den 
einzigen und wichtigsten Factor für die Erkrankung erachtet, 
den Tuberkelbacillus, abzufangen. Die geistreichsten Vor¬ 
schläge für die Beschaffung der verschiedenst geformten 
Spuckschalen, Spucknäpfe, Spuckfläschchen etc. verdanken 
diesem Streben ihre Entstehung. 

Nun. meine Herren, glauben Sie wirklich, daß es selbst 
dem geschicktesten Bacillenspucker möglich sein werde, sein 
ganzes Sputum in den betreffenden Apparat einzuführen, ohne 
dabei Milliarden und Milliarden von Tuberkelbacillen in der 
verschiedensten Weise in den betreffenden Räumen zu ver¬ 
stäuben oder zu verspritzen, und glauben Sie, daß, wenn 
wir wirklich imstande wären, sämmtliche Bacillen derart 
abzufangen, damit die Tuberculose ausgerottet wäre? 

Wie viele Bacillen dem Abgefangenwerden entgehen 
müßten, das möchte ich nur mit einigen Worten beleuchten. 

Zunächst müßte man sämmtlichen männlichen Individuen, 
die im Verdachte sind, Tuberkelbacillen zu produciren, ver¬ 
bieten, einen Schnurrbart zu tragen. Wie man es nämlich 
machen soll, in das Spucknäpfchen oder Spuckfläschchen zu 
spucken, ohne dabei gleichzeitig Tuberkelbacillen an dem 
Schnurrbart zu fixiren, ist mir geradezu unfaßbar. Also vor 
Allem muß einmal der Schnurrbart fallen. 

Aber an den Händen, an den Fingernägeln und auch auf 
verschiedene andere Weise werden die Tuberkelbacillen dem 
Spucknapfe entgehen, außerdem aber, und hauptsächlich, an der 
nicht gestellten Diagnose der Tuberculose. Wie viele Tuber- 
culöse laufen ohne Spuckfläschchen in der Rocktasche herum, 
die wir nicht anzeigen können, weil wir ihre Krankheit 
nicht erkannt haben! 

Wie stellen Sie sich übrigens die Annehmlichkeit vor, 
in einem Lungensanatorium an einem Tische zu sitzen, wo 
alle Augenblicke einer das Spuckfläschchen herauszieht, um 
in dieses das Product seiner kranken Lunge zu deponiren. 

Wie Sie begreifen werden, spreche ich als der „große 
Wascher“ gewiß nicht gegen die Reinlichkeit und weiß 
sicherlich den ungeheuren Werth derselben zu schätzen, ja 
es soll gerade hier der Hebel angesetzt werden, um unsere 
Vorkehrungen gegen die in Rede stehende Erkrankung wirk¬ 
samer zu gestalten. Und ich glaube, daß hier die Hydrotherapie 
die führende Rolle zu übernehmen hat. Sie wird nach meinem 
Dafürhalten auch in der Lage sein, die allerneueste Batra- 
chomyomachie zwischen Cornet und Flügge auszugleichen. 
Der trockenste CoRNET’sche Staub und der feuchteste Bacillen¬ 
nebel Flügge's werden durch die Wassercur weggeschwemmt, 
und es würde, wenn wirklich in dem Sputum allein die 
enorme Gefahr gelegen wäre, gewiß damit ein bischen 
prophylaktische Wirkung erzielt werden. 

Doch das ist wirklich der lächerlich geringste Theil 
der Wirkungen, die von einer hydriatischen Behandlungs¬ 
methode der von der Noxe Bedrohten oder von der Tuber¬ 
culose, bezw. Phthise Befallenen erwartet werden können. 

Wir sehen nämlich nicht in der Beseitigung der infec- 
tiösen Noxe, des Tuberkelbacillus, die Hauptaufgabe, um 
einen Schutz gegen den Ausbruch der Erkrankung zu ver¬ 
schaffen, und wollen nicht in dieser Weise Nutzen stiften, wir 
erblicken nicht in dem schonenden Verfahren der Verhütung 
des Eindringens des Tuberkelbacillus, sondern in der Er¬ 
höhung der Seuchenfestigkeit die Hauptaufgabe. Im 
Vereine mit allen hygienischen und diätetischen Maßnahmen 
entwickelt die sogenannte tonisirende Hydrotherapie 
gewiß den allermächtigsten Einfluß zur Beseitigung aller 
der depotenzirenden Momente, welche die alten Kliniker als 
für die Genese der Tuberculose bedeutungsvoll ansprachen. 

Wir können durch den thermischen Reiz und durch 
die mechanischen Einwirkungen, welche die ganze Körper- 
boerfläche treffen, nachweisbar tonisirend wirken , und zwar 


tonisirend in solchem Maße und in solcher Mächtigkeit, wie 
wohl, natürlich meine ich da in Verbindung mit allen anderen 
hygienischen und diätetischen Maßnahmen (Licht, Luft, ent¬ 
sprechende Diät, Wohnung u. s. w.), durch keine andere 
Methode. In Verbindung mit diesen Factoren wird die 
Hydrotherapie sämmtliche jene Vorgänge, die wir als 
Schwächungen der natürlichen Schutz- und Abwehrkräfte des 
Organismus bisher kennen und deren manche wir wahr¬ 
scheinlich im Laufe der Zeit noch kennen lernen werden, 
beeinflussen. 

Ich will nun nur auf einzelne, gerade klinisch besonders 
hervorzuhebende Symptome eingehen, um meine Behauptungen 
ein wenig zu illustriren. 

Wenn wir die Innervationsschwäche, die in einem solchen 
Falle besteht, zu heben imstande sind — und das vermag 
der thermische Nervenreiz und die mechanische Nervenerregung 
in geradezu mächtiger Weise —, so daß wir jedes einzelne, 
klinisch nachweisbare Symptom, beispielsweise das in jüngster 
Zeit als prognostisch für außerordentlich bedeutungsvoll 
erklärte Sinken des Blutdruckes beheben können, wenn wir 
unmittelbar unter dem thermo mechanischen Reize den Blut¬ 
druck steigen sehen können, wenn wir die Blutbeschaffenheit 
bessern, haben wir genützt. Man hat beobachtet, wie unmittelbar 
nach einer jeden kalten Application eine Veränderung der Wider¬ 
standskraft der Musculatur gegen die Ermüdung sich zeigt, 
man hat des ferneren gesehen, wie unter regelrechter Wasser¬ 
cur der Gesammtstoffwechsel günstig beeinflußt wurde. Wenn 
ich, um ein praktisches Beispiel zu wiederholen, erwähne, 
daß Leute, deren Zustand man nicht zu bessern imstande 
war und die trotz kräftigster Ernährung immer mehr und 
mehr an Körpergewicht abnahmen, unter entsprechender 
Hydrotherapie ihre Nahrung besser ausnützten, also unter 
einfacher Zugabe thermischer und mechanischer Reize an 
Körpergewicht Zunahmen, so wird man nicht zu viel behauptet 
finden, wenn ich sage, daß wir in entsprechend angewandten 
thermischen und mechanischen Reizen geradezu ein mächtig 
tonisirendes Mittel besitzen. Damit werden wir die Ernäh¬ 
rungsvorgänge, die Assimilation günstig beeinflussen und 
allen schwächenden und depotenzirenden Momenten am besten 
und kräftigsten entgegenarbeiten. 

Ich kann es nicht im Detail ausführen — es liegt auch 
nicht im Rahmen meines Vortrages —, wie die Tuberculose 
zu einem activen Processe von den verschiedensten Organen 
aus werden kann, und möchte daher nur einzelne Momente 
hier berücksichtigen. 

Zu den wichtigsten Factoren zählen doch offenbar 
die Erkältungskrankheiten. Wir sehen ja, wie so häufig 
unter der Einwirkung einer Erkältung entweder der tuber¬ 
culose Proeeß zum erstenmale activ wird oder eine bereits 
latente Tuberculose unter den verschiedenen Erkältunga- 
vorgängen schlimmer wird, neu aufflackert. 

Nun, meine Herren, die Erkältungsgefahr mit der Ab¬ 
kühlung nicht collidiren zu machen, ist Aufgabe einer ent¬ 
sprechenden Hydrotherapie. Die Haut und den Körper soweit 
abzuhärten, daß er nicht bei jeder Veränderung der Atmo¬ 
sphäre, des Wassergehaltes derselben und der Temperatur 
einer Erkältung unterliegt, gelingt der hydriatischen Methode, 
die ebenfalls mit der tonisirenden eigentlich zusammenfällt. 
Auch auf bereits bestehende Katarrhe kann man Einfluß 
gewinnen, und zwar durch revulsive, und die Ausscheidung 
befördernde Methoden. 

Ich will nicht weiter darauf eingehen, wie auch noch 
öfter die auf die Ernährungsvorgänge ein wirkenden thermischen 
Einflüsse in dieser Richtung verwerthbar sind, und nur auf 
die schweren Anämien hinweisen, die sehr häufig den Vor¬ 
läufer der Tuberculose bilden. Auf diese kann man gewiß 
mit den erwähnten Factoren günstig ein wirken. Trotz der 
ungünstigen Bedingungen wird es möglich sein, in dieser 
Richtung prophylaktisch zu wirken, mit kleineren Mitteln 


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für die Gesammtheit, als jetzt die Heilstätten in Anspruch 
nehmen, die ja schließlich und endlich nur für eine relativ 
geringe Anzahl von Kranken zugänglich sind. 

Eine sehr wichtige Aufgabe ist es, der Erkältungs¬ 
gefahr vorzubeugen und dennoch den Patienten die Möglich¬ 
keit zu gewähren, dem allergrößten Luftgenuß, womöglich 
b£i Tag und Nacht, sich auszusetzen. Ich bin in dieser Be¬ 
ziehung eigentlich noch orthodoxer, als es die Anhänger der 
Freiluftliegecur sind. Bekanntlich liegen bei dieser Cur die 
Patienten in den entsprechenden Heilstätten durch 6 bis 
8 Stunden sehr wohl eingepackt im Freien und werden nach 
Möglichkeit gemästet. Ich bin, wie erwähnt, noch orthodoxer 
in Bezug auf den Luftgenuß. Mir genügt es nicht — wenn 
ich überhaupt in der Lage bin, es zu thun —, die Leute bei 
Nacht nur bei offenen Fenstern liegen zu lassen, ich halte 
sie gewöhnlich in einer Art von Zelten bei Tag und Nacht. 
Die Construction dieser Zelte ist höchst einfach, und ich 
will Ihnen gelegentlich ein derartiges Zelt demonstriren. 
Ich bin kein Freund der sogenannten Freiluftliegecuren, ohne 
Auswahl für alle Phthisiker, sondern lasse nur jene Patienten 
liegen, bei denen dies aus anderen Gründen angezeigt ist, 
beispielsweise bei bereits bestehendem hektischen Fieber oder 
überhaupt bei fieberhaften Processen. Auch sehr herunter¬ 
gekommene oder äußerst schwächliche Kranke lasse ich im 
Freien möglichst lange liegen, lasse sie aber durch Benützung 
der erwähnten Zelte auch in der Nacht der Luft ausgesetzt sein. 

Aber gegen eines muß ich mich dabei aussprechen, gegen 
die mitunter geradezu grausamen Mastcuren. Es ist nicht 
unmöglich, daß bei der großen Mehrzahl der von der Phthise 
Bedrohten, Herabgekommenen, Abmagernden durch diese Art 
der Nahrungszufuhr eine Zunahme des Körpergewichtes 
erzielt werden kann, ohne daß man dabei den Magen über¬ 
lädt, wie dies gewöhnlich geschieht und in der Regel nur 
zu Fettansatz führt. Es ist weit besser, wenn die Assimi¬ 
lation in der Weise stattfindet, daß nicht bloß Fett abge¬ 
lagert wird, sondern daß unter methodischer Muskelarbeit 
gleichzeitig Muskelansatz, also Eiweiß ansatz stattfindet. 
Ich glaube, unbedingt betonen zu müssen, daß nur gewisse 
Kranke der Liegecur ausgesetzt werden dürfen, während 
ein anderer und gewiß nicht geringer Theil der Patienten 
Bewegung haben muß und machen soll. Das wäre für jene 
Formen zu empfehlen, bei denen es nur auf die Beseitigung 
einer retrograden Metamorphose ankommt, also bei den chroni¬ 
schen Formen, bei den von der Phthise Bedrohten. 

Ob es sich wirklich so verhält, wie die allgemeine 
Ansicht ist, daß wir nämlich in der bacteriologischen Unter¬ 
suchung ein Kriterium dafür haben, daß die chronische 
Tuberculose nur durch den Bacillus Kochii, die Phthise und 
das hektische Fieber durch Mischinfection bedingt seien, 
möchte ich aus dem Grunde nicht mit voller Sicherheit 
unterschreiben, weil in einer ganzen Reihe von Fällen von 
wirklich hektischem Fieber die genaue bakteriologische Unter¬ 
suchung nichts anderes ergeben hat, als das Vorhandensein 
von Reinculturen von Tuberkelbacillen. Es wäre gewiß von 
großem Interesse und hohem Nutzen, wenn es sich bewahr¬ 
heitete , daß eine Mischinfection erst das hektische Fieber 
und die acute Form auslösen sollte, während der Koch- 
sche Tuberkelbacillus allein nur die chronische Form der 
Tuberculose bedingen würde. Wir könnten uns dann eigent¬ 
lich gratuliren, wenn sich in unserem Sputum nur Koch- 
sche Bacillen vorfänden. 

Ich will Ihnen von den weiter vorgeschrittenen Fällen 
nachweisbarer Infiltrationen nicht bis ins Detail gehende 
Beschreibungen des Theiles der Behandlung geben, welcher 
der Hydrotherapie zukommt, und nur sagen, daß in derartigen 
Fällen einer der wichtigsten pathologischen Factoren die 
Circulationsschwäche ist. Wir wissen, daß hier eine ganze 
Menge von Blutbahnen durch die Proliferation von Zellen 
verschlossen ist, und daß dadurch, sowie durch die Ernäh¬ 
rungsstörung, Störungen in der Circulation auftreten, die 


sich in sehr verschiedener Weise äußern und die sympto¬ 
matisch auf dem Wege der Hydrotherapie auch zu beein¬ 
flussen sind. 

Ich habe schon gesagt, daß eines der prognostischen 
Zeichen für das Fortschreiten des Processes ein Sinken des 
Blutdruckes ist, und dies scheint sich auch in der That bei 
sehr vielen Fällen zu bewahrheiten. Es gelingt nun fast 
immer, unter entsprechenden thermischen und mechanischen 
Reizen den Blutdruck zu heben und die Circulation zu 
bessern, die Herzaction zu verlangsamen. 

Was wir aber hauptsächlich erreichen müssen, das ist, 
womöglich auf den localen Proceß Einfluß zu nehmen. Sie 
wissen, daß alles Streben dahin ging, und auch eine Reihe 
von Methoden dazu angegeben wurde, wie man eine lebhafte 
Wechselwirkung zwischen den erkrankten Partien und dem 
Blutgefäßsysteme hersteilen könne. Man hat eigenthümliche 
Lagen ersonnen, eigene Betten construirt, wo die Füße in 
die Höhe gehalten werden, damit das Blut in vermehrtem 
Maße zu den erkrankten Lungenpartien zufließe. Namentlich 
Büchner hat, wie Sie wissen, Untersuchungen angestellt, 
aus denen hervorgeht, daß man durch Alkoholumschläge auf 
die Körperoberfläche, speciell auf die Brustoberfläche, eine 
bis tief in die parenchymatösen Organe hinein reichende, 
active Hyperämie hervorzurufen imstande sei. Man hat sich 
ferner bestrebt, durch Hitze, heiße Luft und Aehnliches 
Congestivzustände zu den erkrankten Partien hervorzurufen, 
um dadurch die verminderte Blutzufuhr, die Herzschwäche 
und die Circulationsschwäche in den erkrankten Organen zu 
beseitigen. 

Die Hydrotherapie verfügt nun über Methoden, bei denen 
dies in gleicherweise, um nicht zu sagen, besser gelingt. Es 
sind dies die sogenannten erregenden Umschläge. In welcher 
Weise ein erregender Umschlag, der Tage, Wochen und Monate 
hindurch über den erkrankten Brustorganen aufgelegt wird, 
auf die Diffusion, Circulationsvorgänge und auf die Wechsel¬ 
wirkung des Blutes mit den durch den thermischen Reiz ge¬ 
reizten und in ihrer Thätigkeit geweckten Zellen wirkt, kann 
bis heute noch nicht bis ins Detail verfolgt werden. 

Aber es ist Thatsache und wird auch durch die klinische 
Beobachtung bestätigt, daß eine beträchtliche Anzahl von 
solchen unangenehmen und bedenklichen Symptomen unter 
diesen erregenden Umschlägen, die auf die Brust applicirt 
und gut trocken verbunden werden, 6—8 Stunden liegen 
bleiben, sich vollständig auf Oberflächentemperatur und durch 
Verhinderung der Wärmeabgabe von der Oberfläche geradezu 
zur Bruttemperatur erwärmen, aus denen endlich das Wasser 
verdunstet, sich erheblich bessert. 

Es ist bekannt, daß das verdunstende Wasser nicht bloß 
die oberflächlichen Epidermiszellen bäht, sondern, wie nach- 
gewiesen ist, in gasförmigem Zustande höchst wahrscheinlich 
auch eindringt und in den Zellleibern auch ähnliche Verände¬ 
rungen schafft wie die feuchte Wärme in einem Treibhause. 
Ich habe es als „treibhausartiges Klima“ bezeichnet, wie die 
Kreuzbinde wirkt. Thatsächlich ermäßigt die Kreuzbinde den 
Hustenreiz, macht das zähe Sputum leichter auswertbar, und 
die Resorption von alten starren Exsudaten geht auf diese 
Weise rascher und leichter von statten. 

Ich will auch hier nicht detaillirt über das hektische 
Fieber und dessen Behandlung sprechen, da ich mich ja über 
die Fieberbehandlung mit thermischen Einflüssen schon so oft 
in der Oeffentlichkeit geäußert habe. Unbestrittene Thatsache 
aber bleibt es, daß man bei hektischem Fieber mit minimalen 
hydrotherapeutischen Maßnahmen häufig schon nach wenigen 
Tagen geradezu überraschende Erfolge erzielt. 

Die Aufgabe, die uns dabei zufällt, ist erstens die Be¬ 
seitigung der Wärmestauung. Das hektische Fieber beginnt 
in der Regel als sogenanntes Stauungsfieber. Die Hautgefäße 
ziehen sich zusammen, die Nägel werden blau, die Wärme¬ 
aufnahme von der Peripherie ist gering, die Wärmeabgabe ver- 
hältnißmäßig nicht gesteigert. Es gelingt, wenn man selbst 


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mehr mit mechanischen als thermischen Proceduren, mit einer 
Theilwaschung, manchmal selbst trockenen Frictionen der 
Körperoberfläche vorgeht, die Hautgefäße zur Erweiterung zu 
bringen, und man sieht manchmal, daß dies allein ausreicht, 
um das Fieber zu beseitigen. Die Besserung der Haut ist 
unter diesem thermischen und mechanischen Reize eine der¬ 
artige, daß oft nach kurzer Zeit die Nachtschweiße zum Ver¬ 
schwinden kommen, die Abnahme des Körpergewichtes geringer 
wird; in Verbindung der genannten Factoren gelingt es oft, 
das hektische Fieber zum Stillstände zu bringen. 

Auf ein Symptom möchte ich Sie nun noch aufmerksam 
machen, das uns in vielen Fällen einen prognostischen Aus¬ 
spruch ermöglicht, es ist etwas, was man nicht fassen, was 
man nur riechen kann. Es wird Ihnen Allen wohl schon auf¬ 
gefallen sein, wie ganz eigenthümlich charakteristisch die 
Phthisiker riechen. Es ist ein eigenartiger, an dumpfige 
Wäsche erinnernder Geruch, der von diesen Patienten aus¬ 
strömt. Ich konnte schon in recht vielen Fällen Vorhersagen, 
daß eine Besserung zu erwarten ist, wenn dieser Foetor 
phthisicus verschwand, und es ist die erste Wirkung der hydro¬ 
therapeutischen Behandlung, daß dieses unangenehme Symptom 
beseitigt wird. 

M. H.! Ich habe Ihnen keine Proceduren genannt, habe 
nicht gesagt: dieses hydrotherapeutische Recept verwenden 
wir bei Katarrh, dieses oder jenes Recept bei Fieber etc. etc. 
Man muß sich mit der Wirkung der thermischen und mechani¬ 
schen Actionen vertraut machen — das ist nicht schwer — 
und wird dann wissen, was man im gegebenen Falle thun 
soll. Bei guter Ausführung der einzelnen Applicationen und 
genauer Beobachtung der grundlegenden Principien der Hydro¬ 
therapie wird man selten Mißerfolg zu verzeichnen haben. 

Man wird darauf zu achten haben, daß man einen 
thermischen Reiz, aber keine große Wärmeentziehung bei allen 
Schwachen, Anämischen und Herabgekommenen wirken läßt, 
daß der Patient rasch wieder erwärmt wird und daß die 
Körpertemperatur unter den thermischen Proceduren nicht 
unter die Norm herabgesetzt wird. Ich glaube, daß man mit 
Abreibungen, Theilwaschungen, die noch schonender sind, weil 
man nur einen Theil der Körperobei fläche nach dem anderen 
mit dem kalten Wasser in Berührung bringt, mit Proceduren, 
bei denen ein Theil des Körpers in heißes Wasser getaucht 
wird, z. B. Abreibungen, während der Patient mit den Füßen 
in 40° warmem Wasser steht, in schonender Weise, nur durch 
den thermomechanischen Reiz die Herzaction beeinflussen, 
der Veränderung des StoftWechsels, der sogenannten retrograden 
Metamorphose, Einhalt thun und Zunahme de3 Körpergewichtes 
erzielen kann. 

Wenn ich Ihnen mit wenigen Worten sagen will, was 
ich für sehr wichtig halte, um diese Methode der Behandlung 
Tuberculöser und Phthisiker für die Allgemeinheit, für das 
Volkswohl einzuführen, genügen wohl folgende kritische 
Schlußbemerkungen, die ich über den Tuberculose-Congreß zu 
London gemacht habe: 

„All die Argumente, die gegen den alleinigen Infections- 
modus durch den Bacillus vorgebracht wurden, fanden keine 
Widerlegung, aber auch keine Beachtung. Daß von 100 Ehe¬ 
paaren, von denen nur der eine Theil erkrankt war, der an¬ 
dere Theil in 90% der Fälle immun bleibt, trotz jahrelanger 
intensivster Infectionsgelegenheit, gibt zu denken. 

Es scheint mir ein ganz falscher, gewiß nicht eindeutiger 
Schluß, die günstigeren Mortalitätspercente der letzten Jahre 
auf den Bacillenfang zu beziehen. Gewiß haben zu diesem 
Erfolge die gebesserten Wohnungs-, Nahrungs- und Lebens¬ 
verhältnisse beigetragen, wie es ja Brouardel auf dem Con- 
gresse entwickelte. 

Diese gebesserten Verhältnisse sind es in erster Reihe, 
die es bewirken, daß die von der Infection Bedrohten und 
wirklich Befallenen widerstandsfähiger, seuchenfester oder 
selbst seuchenfest gemacht werden. 


Hierin scheinen mir in erster Reihe die Aufgaben der 
Prophylaxe, Hygiene und Therapie der Tuberculose zu liegen, 
und diesen Aufgaben will ich mich zu wenden. 

Wenn man die Literatur durchforscht, so muß man zu¬ 
geben, daß jeder scheinbar noch so beweisende Fall der 
Contagionshypothese bei genauer klinischer Analyse meist 
auch im Sinne der früher geltenden Aetiologie gedeutet 
werden kann. Die tägliche Erfahrung lehrt, daß Schwindsucht 
am meisten bei Leuten vorkommt, die sich viel in dicht be¬ 
völkerten Gegenden und in der verdorbenen, sauerstoffarmen 
Atmosphäre schlechter, iiberfiillterWohnungen aufhalten müssen. 
Daß da auch die anderen Momente neben der Contagion- 
in Betracht kommen, die zur Depascenz und Phthise führen, 
wird man umso eher glauben, wenn man sich dabei an die 
epochalen Statistiken von Riffel, Haupt u. A. erinnert, 
die ohne genügende Widerlegung geblieben sind und bei der 
heutigen Strömung und Mode ganz vergessen oder unbeachtet 
bleiben: das Immunbleiben ganzer Familien und Berufe bei 
jahrelanger Contagionsgefahr und Gelegenheit. 

Ich habe den Bacillenfang, die Sputumvernichtung als 
einen Factor der Schonung, der Vorbauung bezeichnet. Auch 
dieses Princip hat seine Berechtigung. Ich glaube nur, daß 
dieses Ziel bei den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, 
nicht erreichbar ist. Gewiß halte ich die persönliche und 
allgemeine Reinlichkeit für eines der wichtigsten Elemente 
der Bekämpfung der Tuberculose als Volksseuche. Doch darf 
man über der unerreichbaren Vernichtung der Bacillen die 
erreichbare Erhöhung der Seuchenfestigkeit der Be¬ 
drohten und Befallenen, die Erhöhung der Widerstandskraft, 
nicht vernachlässigen. 

Was in dieser Richtung geschieht, ist unzureichend, und 
hier ist der eigentliche Hebel anzusetzen. Hier sind die vor¬ 
handenen Mittel besser zu verwenden als auf Lungenheilstätten 
und Sanatorien. 

Brouardel hat ganz entschieden auf diese Seite der 
Seuchenbekämpfung hingewiesen und doch wird das Haupt¬ 
gewicht auf Sputumvernichtung gelegt. Die absonderlichen 
Vorschläge des Fliegen- und Insectenfanges, der Vernichtung 
von Papageien und Singvögel, der Einführung des Respi¬ 
rators etc. will ich übergehen. Mir erscheint die Erhöhung 
der Seuchenfestigkeit die Hauptaufgabe und das für die 
Gesammtheit Erreichbare. 

Besserung der Wohnungs- und Ernährungsverhältnisse 
ist die wichtigste Aufgabe der Hygiene und Prophylaxe gegen 
jede Infection und Contagion. Sind Heilstätten für die Er¬ 
krankten ein Segen, aber doch nur einer Minderzahl zugäng¬ 
lich, so wären entsprechende Wohnungen ein mächtiger Schutz 
gegen das Erkranken. Bei dem Baue von Zinshäusern und 
Massen quartieren müßten von Seiten der Behörden Directiven 
in dieser Richtung ertheilt und deren Befolgung überwacht 
werden. 

Auch die Ernährungsfrage der minderbemittelten, der 
arbeitenden und armen Bevölkerung gehört in allererster 
Linie zur Tuberculose-Prophylaxe und Therapie, wie allseitig 
anerkannt ist. Dabei kann ich es nicht unterlassen, darauf hin¬ 
zuweisen, daß es gar nicht die kostspielige, hoclicomponirte 
eiweißreiche, animalische Diät ist, welche die Erkrankungsgefahr 
mindert und dem Erkrankten besonders zuträglich ist. Von 
diesen Gesichtspunkten errichtete und erhaltene Volksküchen, 
Belehrungen über billige und zweckmäßige Ernährung mit 
besonderer Berücksichtigung der Bedrohten oder Erkrankten 
erscheinen mir viel wichtiger als die Angstverbreitung in 
Broschüren durch Uebertreibung der mehr durch das Thier¬ 
experiment als durch die klinische Beobachtung gestützten 
Contagionshypothese. 

Billige Volksküchen, billige und zweckmäßige Speise¬ 
häuser für Arbeiter und für Minderbemittelte, Consumvereine 
sollten weit mehr als bisher gefördert werden. 

Nicht in letzter Reihe wären, wie ich dies schon früher 
erörterte, unentgeltliche hydriatische Einrichtungen in Massen- 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — - Nr. 3. 


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quartieren, Zinskasernen offieiell schon in der Bauordnung 
vorzusehen, Vermehrung von Volksbädern von dem größten 
Werthe. Broschüren über den Nutzen solcher Einrichtungen 
für die persönliche Hygiene und Prophylaxe, für die Tonisirung 
der Geschwächten, für Besserung der Ausnützung der Nahrung, 
für die Erhöhung der Seuchenfestigkeit, der Widerstandskraft 
gegen das Erkranken und günstigere Bedingungen für das 
Genesen wären sehr erwünscht und wirksam. Solche Ein¬ 
richtungen haben sich schon bei manchen großen industriellen 
Betrieben, wie Bergwerken und Fabriken, als sehr segensreich 
erwiesen, indem sie Morbidität und Mortalität ganz wesentlich 
verminderten. 

Es hieße Eulen nach Athen tragen, wollte ich heute 
abermals über den Werth der Hydrotherapie zur Heilung 
selbst vorgeschrittener Fälle von bacillärer Tuberculoäe und 
Phthise berichten. Auch auf dem letzten Congresse fand diese 
heute schon vielfach erprobte Heilmethode, die eine wesent¬ 
liche Ergänzung und Vervollkommnung der Freiluftcur dar¬ 
stellt, keine Empfehlung. Nach meiner immer mehr an¬ 
wachsenden Erfahrung kann ich es mit vollster Bestimmtheit 
aussprechen: Phthisenbehandlung ohne entspre¬ 
chende, energische Hydrotherapie ist eine un¬ 
vollständige Behandlung. 


Bemerkungen zu meinem Aufsatze: 

Vorschläge zur Behandlung des Ulcus durum. 

Von Dr. S. Federn. 

Ich habe meinen Vorschlag zur Behandlung des Ulcus 
durum publicirt und ihn zur Discussion der Fachmänner ge¬ 
stellt; sie sollen entscheiden, ob mein Vorschlag an Kranken 
versucht werden soll oder nicht; ich hatte aber nicht die Ab¬ 
sicht, in die Discussion einzugreifen, weil ich nichts Neues 
zu seiner Begründung Vorbringen könnte. 

Ich habe nicht erwartet, daß alle Fachmänner aus den 
klinischen Thatsachen denselben Schluß ziehen werden wie 
ich, und ich bin daher nicht überrascht, daß der erste Fach¬ 
mann , der sich darüber ausspricht, Prof. Finger , in einem 
Aufsatze „Ulcus molle und Syphilis“, in Nr. 2 der „Wiener 
klinischen Wochenschrift“ dieses Jahres zu einem anderen 
Schlüsse gekommen ist. Liegt doch der Widerspruch den 
Menschen näher als die Zustimmung. Ich gebe ihm voll¬ 
kommen recht, wenn er auf Grund seiner Anschauung meinen 
Vorschlag nicht acceptirt, ich kann ihm aber nicht zugeben, 
daß er durch seine Ausführungen die Nichtberechtigung meines 
Vorschlages erwiesen hat und nur um dem „qui tacet, consentire 
videtur“ für jetzt und künftig zu entgehen, stelle ich fest, 
daß ich nach wie vor bei der Ansicht bleibe, daß, so lange 
der Syphilis-Organismus nicht nachweisbar ist, nur das Expe¬ 
riment über die Wirksamkeit meines Vorschlages entscheiden 
kann. 

Was Prof. Finger über die Bedeutung der Induration sagt, 
habe auch ich nicht so ausführlich, weil nicht in den Rahmen 
meines Vorschlages gehörig, aber klar genug angedeutet, 
denn ich sagte ausdrücklich: „Ich werde noch aus 
meiner Praxis zwei Fälle anführen, nicht etwa 
weil sie etwas besonders Neues lehren, sondern 
weil der erstere, als von mir selbst beobachtet, 
mir von größerer Evidenz war als bloß gelesene 
und der zweite etwas darlegte, was zwar vor¬ 
auszusetzen, aber damals noch nicht berich tet 
war.“ 

Prof. Finger sagt: „Eine Mischinfection von Schanker 
und Syphilis als Regel hinzustellen, wie Federn dies thut, ist 
unzulässig.“ Be wiesen ist sie nicht, aber unzulässig ist 
sie noch weniger; das Vorhandensein von Chancre mixte, den 
Finger selbst zugibt, kann ebenso gut in diesem wie in 
anderem Sinne gedeutet werden. Wenn die klinische Beobach¬ 


tung dagegen sprechen würde, so wären nicht so ausgezeich¬ 
nete Beobachter wie Hebra und Andere Unitarier geblieben. 

Wichtiger ist die Behauptung Finger’s : „Dasjenige, 
gegen das ich mich als völlig unrichtig wenden möchte, ist 
die Annahme Federn’s von irgend einem Zusammen¬ 
hänge zwischen der Intensität der Eiterung des Geschwürs 
und dem Auftreten syphilitischer Allgemeinerkrankung.“ 

Diese Behauptung müßte Finger erst durch Kranken¬ 
geschichten erweisen; in den 7 Fällen, die, wie er sagt, 
gleichartig verliefen, ist nicht ein Fall von eitrigem Bubo, 
und in meinem Aufsatze legte ich auf die Eiterbubonen 
das Hauptgewicht. 

Wenn Finger sagt: „Selbst bei phagädenisch zerfallender 
Induration folgen Erscheinungen allgemeiner Syphilis“, so 
glaubt wohl Finger selbst nicht, daß der phagädenische 
Proceß mit dem Ulcus molle identisch ist; er tritt zur Indura¬ 
tion hinzu, wenn das Syphiliscontagium vielleicht schon 
weiter gegangen ist, gerade so wie bei der Aetzung oder 
Excision des Ulcus. 

Ich muß noch bemerken, daß einzelne Fälle überhaupt 
nichts beweisen; wenn bei einem verheerenden Brande zu¬ 
weilen einzelne brennbare Gegenstände wie durch ein Wun¬ 
der gerettet werden, so beweist das nichts gegen die zer¬ 
störende Kraft des Feuers; ebenso kann ein einzelner Sy¬ 
philisbacillus der Vernichtung entgehen; Zufälligkeiten spie¬ 
len auch in pathologischen Processen oft eine wichtige Rolle. 

Finger meint, daß eitrige Bubonen nach Ulcus molle nur 
in 10% der Fälle Vorkommen; auch ich habe gewußt, daß 
sie nicht in der Regel Vorkommen, und habe mich geäußert: 
„Wir werden durch die Impfung wahrscheinlich weiche 
Bubonen bekommen“, und ich hege auch die Ueberzeugung, 
daß wir, wenn sich mein Vorschlag bewähren sollte, eine 
Methode der Impfung finden werde, durch welche wir eitrige 
Bubonen sicher erwarten können; ich habe ja auch schon 
darauf hingewiesen, daß wir ein besseres Impfmaterial ge¬ 
winnen können als einfach das Secret des Ulcus molle. 

Finger hat überhaupt vollständig übersehen, daß wir 
unsere therapeutischen Erfahrungen gar nicht zum Ver¬ 
gleiche und noch weniger als beweisend gegen meinen Vor¬ 
schlag heranzieheu können; sie stehen sozusagen in contra- 
dictorischem Gegensätze zu meinem Vorschläge. Unsere 
therapeutischen Maßnahmen zielen darauf hin, die Eiterbil¬ 
dung zu vermindern und die Bubonen zu verhindern, während 
mein Vorschlag das gerade Gegentheil beabsichtigt. Vielleicht 
ließe sich eher ein Anhaltspunkt zur Beurtheilung meines 
Vorschlages finden, wenn man nachweisen könnte, ob seit 
der antiseptischen Methode, welche die Behandlung des Ulcus 
molle sehr erleichtert hat, mehr Ulcera mixta sich entwickelt 
haben als vor der antiseptischen Methode. 

So sehr also auch die subjective Ansicht des Professor 
Finger als eines erfahrenen Fachmannes ins Gewicht fällt, 
objectiv haben seine Ausführungen meinen Vorschlag nicht 
als unberechtigt erwiesen. 


Zur Lehre von den Neurosen des peripheren 
Kreislaufsapparates. 

(Ueber vasomotorische Ataxie.) 

Von Dr. Hans Herz in Breslau. 

(Fortsetzung.) 

Das Verhalten des Herzens. 

Wenn dieser Abschnitt ein relativ kurzer wird, so liegt 
der Grund nicht etwa darin, daß sich das Herz bei unseren 
Kranken nur selten oder in untergeordnetem Grade betheiligt 
zeigt. Vielmehr ist auch am Herzen die vasomotorische Ataxie 
oft sehr deutlich und recht lästig. Wenn sie hier nicht aus¬ 
führlich besprochen wird , wenn ich sogar absichtlich unter 


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den anzuführenden Beispielen solche bevorzugt habe, bei 
denen wenig oder nichts über das Centralorgan zu sagen ist, 
so geschah es, weil die Erscheinungen des irritable heart, 
der nervösen Tachy- und Bradykardie, der nervösen Angina 
pectoris u. s. w., Erscheinungen, die zu einem guten Theile 
hierher gehören, eine eigene Besprechung verdienen und auch 
in vorzüglicher Weise gefunden haben (s. bei Rosenbach u. 
a. a. 0.). Ich will also hier nur anführen, daß die Herz- und 
Gefäßsymptome sich bei derselben Attaque combiniren können, 
oder auch in mehr oder minder weit auseinander gelegenen 
Zeiträumen auftreten resp. sogar zu alterniren scheinen. Ich 
möchte allerdings vor völligem Zusammenwerfen der Krank¬ 
heitszustände warnen, da ich einerseits centrale, anderseits 
periphere Störungen oft trotz längerer Beobachtung auch 
isolirt bleiben sah; im allgemeinen aber ist es derselbe Boden 
und sind es dieselben veranlassenden Momente, denen beide 
Arten von Neurosen ihre Entstehung verdanken. 

Wenn ich andeute, daß zahlreiche derartige Herz¬ 
symptome möglicherweise gar nicht von einer nervösen 
Störung des Herzmuskels im engeren Sinne, sondern von der 
Labilität der Kranzgefäße abhängen; wenn ich hervorhebe, 
daß diese letzteren natürlich sich anderen Gefäßen analog 
verhalten, also auch dieselben Ausgänge des Processes 
(Arteriosklerose, s. u.) aufweisen können, wie diese, so be¬ 
gebe ich mich schon mehr, als meine Absicht ist, in das Gebiet 
der Herzneurosen hinein. 

Nur einige Punkte verdienen gerade hier eine Erörte¬ 
rung, Punkte, welche in höchst auffälliger Weise das wunder¬ 
bare Zusammenspiel der Kreislaufsmechanismen demonstriren. 
Wir können hier auch einen wichtigen Factor für die Ent¬ 
stehung mancher Fälle von Gefäßataxie nachholen, der erst 
jetzt recht verständlich wird. 

Kein wichtiger Theil des Kreislaufsapparates kann 
abnorm fnnctioniren, ohne ganz direct die übrigen zu beein¬ 
flussen. Daher das recht häutige Auftreten von nervösen 
Störungen an den peripheren Gefäßen bei Herzfehlern aller 
Art. Das periphere Gefäßsystem erhält vom Herzen nicht nur 
das* Material in einem bestimmten Zustande der Spannung 
überliefert, sondern auch recht exacte Signale, die Wellen, 
welche theils in der Flüssigkeit, theils in der Gefäßwand 
verlaufend den einzelnen Strecken des Gefäßsystems Kenntnis 
geben von dem Bedarf an Kraft, der im nächsten Moment 
erforderlich ist, schneller, als diese Regulation durch das 
Nervensystem möglich ist (0. Rosknbach). Sobald also die 
regulirenden Impulse zeitweise oder dauernd sich abnorm ver¬ 
halten, ist auch die periphere Reaction eine veränderte. 

Das ist nun zunächst noch keine nervöse periphere 
Kreislaufsstörung. Es kommt aber, und zwar in der Regel 
bei Leuten mit etwas labilem Gefäßnervensystem, vor, daß 
die Reaction eine so enorme wird, daß sie eine besondere 
Stellung im Krankheitsbilde gewinnt, als nervöses Accidens 
einer organischen oder functionellon Herzaflfection. Dahin ge¬ 
hören eigentümliche Erscheinungen bei der plötzlichen Ver¬ 
änderung der Herzarbeit, die uns als Angina pectoris ent¬ 
gegentritt. Es handelt sich um Zustände von localer Anämie, 
besonders in den Extremitäten, Zustände, die gerade hier 
sehr oft, wie in einem von v. Schrötter 42 ) beschriebenen Falle, 
mit deutlicher Verengerung der großen Gefäße, z. B. der 
Radialis, einhergehen. Um einen einfachen „Reflex“ durch den 
Herzschmerz, wie E. Bamberger 43 ) meint, handelt es sich hier 
wohl kaum, sondern um abnorm starke Reaction gegen die 
veränderte Herztätigkeit. Ich habe diese Synkope in sehr 
auffälliger Weise auf die ganze linke Körperhälfte ausgedehnt 
gesehen. 

Fall 24. 0., Kaufmann, 52 Jahre. Immer leicht erregbar. 
Klage über kalte Ftiße. Hämorrhoidalblutungen. Erkrankt 1892 an 

42 ) v. Schrötter, Erkrankungen der Gefäße. „Notunagel’s Spec. Path. u. 
Ther.“ XY. Bd., pag. 393. 

48 ) E. Bamberger, Casuistische Beiträge zur Symptomatologie der Herz- 
neurosen. „Wiener klin. Wochenschr.“ 1888, Nr. 31. 


schwerer Influenza. Nach derselben stellen sich heftige Anfälle von 
Angina pectoris ein; Patient gibt an, daß dabei oft die ganze linke 
Seite des Körpers abstirbt, und daß dieses sehr lästige Symptom den 
eigentlichen Anfall noch längere Zeit überdauern kann. Die Unter¬ 
suchung ergibt am Herzen eine Verbreiterung der Herzdämpfung 
nach links bis zur Marnmillarlinie, leichtes systolisches Hauchen an 
der Spitze; der erste Aortenton ist unrein, der zweite klappend, 
mit eigenthümlich rauhem Beiklang. Periphere Arterien (Radialis 
und Temporalis) geschlängelt, hart, der Puls gespannt und etwas be¬ 
schleunigt. — Ich konnte den Patienten einmal im Anfalle beobachten; 
das Bild war sehr auffällig. Nicht nur Arm und Bein linkerseits, 
sondern auch die ganze linke Gesichtshälfte befanden sich in einem 
sehr anämischen Zustande. Die beiden Nasenhälften z. B. boten 
ganz verschiedene Färbung und Temperatur! — Exitus subitus 
nach circa 1 Jahr. 

Wichtiger noch ist für uns, daß in Fällen, wo das Ge¬ 
fäßsystem fortdauernd großen Kaliberschwankungen ausge¬ 
setzt ist, oder wo bei häufigem Wechsel in der Leistungs¬ 
fähigkeit des Herzens die Impulse sich sehr oft ändern, der 
Gefäßapparat manchmal in einen sehr hohen Grad von 
Labilität geräth. So sieht man bei Kranken mit Aorten- 
klappeninsufficienz, oder bei allen Herzleidenden, bei denen 
Rhythmus, Stärke, Celerität der Herzbewegung am selben 
Tage oder in verschiedenen Zeitepochen sehr oft und intensiv 
schwankt, deutliche vasomotorische Ataxie, die meist in den 
schweren Krankheitsbildern verschwindet, gar nicht selten 
aber doch selbstständig zur Geltung kommt. Ich führe z. B. 
folgenden Fall an. 

Fall 25. B., Arbeiterin, 39 J. Im Alter von 28 Jahren und 
von 36 Jahren schwerer Gelenkrheumatismus; dazwischen und noch 
später leichtere Attaquen. Schon beim ersten Anfalle wurde ein 
Herzfehler ärztlich festgestellt. Patientin leidet seitdem an Herz¬ 
klopfen und beim Treppensteigen an Athemnoth. Sie ist nicht nervös 
belastet, will früher nicht nervös gewesen sein. Seit einem Jahre 
Klage über Congestioncn nach dem Kopfe (Menses in Ordnung) 
und gelegentliches Absterben der Hände und Füße. Besonders ist 
der Patientin ein Zittern im linken Bein aufgefallen. Die Unter¬ 
suchung ergibt typische, gut compensirte Mitralstenose; Puls sehr 
unregelmäßig, sonst von guter Qualität. Durch Einwirkung schmerz¬ 
hafter Reize, durch minimale durch den Kopf geleitete galvanische 
Ströme, durch Amylnitrit läßt sich sehr leicht Congestion der Ge¬ 
sichts und Kopfhaut sowie des Augenhintergrundes hervorrufen; 
dabei subjectiv Benommenheit und leichtes Schwindelgefühl. Ich 
hatte auch im Verlauf längerer Beobachtung Gelegenheit, die An¬ 
fälle im linken Beine zu sehen. Dasselbe wurde ganz kühl, blaß, 
die Femoralis war viel schwächer als rechts zu fühlen, den Puls 
der Tibial. post, und Dorsal, ped. konnte ich überhaupt nicht mehr 
feststellen, während er rechts deutlich war. Dabei zeigte das Bein 
eine Form der Bewegung, welche durchaus der bei Paralysis 
agitans entsprach. 

Solche Fälle von vasomotorischer Ataxie, die im Ge¬ 
folge alter Herzfehler auftreten, habe ich recht oft gesehen. 
Ein gut Theil der „Nervosität“ Herzkranker findet in diesem 
Verhalten seine Erklärung. — 

Anderseits können häufige Caliberschwankungen ausge¬ 
dehnter peripherer Kreislaufsgebiete auch Einfluß auf die 
Herzarbeit gewinnen. Im allgemeinen zwar wird, wie erwähnt, 
der anämische respective hyperämische Zustand einzelner 
Kreislaufsgebiete durch Erweiterung respective Verengerung 
anderer Bezirke oder des ganzen übrigen Systems ausge¬ 
glichen, meist so wunderbar exact, daß die Herzarbeit unver¬ 
ändert bleibt. Einen directen Einfluß auf dieselbe gewinnen 
stets nur die Caliberschwankungen der Kranzgefäße, mit 
denen wir uns hier nicht beschäftigen. In seltenen Fällen 
kommt es aber doch wohl vor, daß die vasoconstrictorischen, 
respective vasodilatatorischen Störungen wegen allzu großer 
Ausdehnung oder wegen mangelhafter Function der compen- 
sirenden Apparate nicht ausgeglichen werden können. Hieher 

2 * 

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gehören vielleicht dio Fälle, die Nothnagel 44 ) unter der 
Rubrik : Angina pectoris vasomotoria beschrieben hat, 
Fälle, wo eine energische, anfallsweise auftretende Contraction 
der Arterien der Extremitäten, der ganzen Haut und auch 
wohl innerer Organe (Gehirn) zu einer Veränderung der 
Herzarbeit führte, die sich subjectiv als Angina pectoris 
äußerte. Auch hei Mahie 45 ) sind diese Zustände ausführlich 
behandelt. Man wird geneigt sein, bei so ausgedehnten Stö¬ 
rungen eine Reizung des allgemeinen Vasomotorencentrums 
anzunehmen, wie ich es sonst bei meinen Fällen von vaso¬ 
motorischer Ataxie nie gesehen habe. Uebrigens gibt v. Schröt- 
ter (1. c.) mit Recht zu bedenken, daß ein derartiger Vorgang 
das Herz wohl zu stärkerer Arbeit anregen muß, daß aber 
damit allein der cardiale Schmerz nicht erklärt ist. 

Ebenso können vasodilatatorische Anfälle hie und da die 
Herzarbeit beeinflussen, und zwar in ganz verschiedenerWeise. 
Bei der intermittir enden Erweiterung der Aorta, wo eine 
große Blutmenge in beschleunigtem Strome durch das weite 
Rohr fließt, sah Rosenbach verstärkte Herzarbeit, active Dila¬ 
tation des Herzens 40 ) mit starkem Herzklopfen eintreten. 
Anders bei nervöser Erschlaffung so großer Kreislaufsgebiete, 
daß der größte Theil des Blutes in ihnen Platz hat. wie bei 
Lähmung des Splanchnicus: hier treten Collapserscheinungen 
in verschiedener Schwere in den Vordergrund, das Herz 
arbeitet sehr schnell, oft arhythmisch. Ich habe bei Kranken 
mit labilem Gefäßsystem, die an Symptomen von Plethora 
abdominalis litten, mehrfach collapsähnliche Zustände gesehen, 
die vielleicht so zu erklären sind. Doch sind hier der Er¬ 
klärungsmöglichkeiten viele, ich verzichte daher auf Anfüh¬ 
rung meiner Fälle, von denen keiner absolut beweisend ist. 

Endlich ist noch der indirecte Einfluß der Neurosen des 
peripheren Kreislaufsapparates auf das Herz zu erwähnen. Die 
allgemeine Unruhe und nervöse Erregbarkeit, welche wir als 
Folge derselben gleich kennen lernen werden, muß auch auf das 
Herz sich übertragen. Dazu kommen die Angstzustände, 
welche besonders mit den so häufigen Kopfcongestionen ver¬ 
bunden sind, und welche zu sehr erregter Herzaction, zu Herz- 
palpitationen, auch zu Arhythmie führen können. Und so gibt 
es der verbindenden Fäden noch manche, die im Einzelnen zu 
verfolgen uns zu weit führen würde. (Fortsetzuug folgt.) 

Referate. 

Klemperer (Berlin): Ueber Entstehung und Verhütung 
der ozalsauren Niederschläge im Urin. 

Oxalsäure Nierensteine sind bedeutend häufiger, als man ge¬ 
meinhin annimmt; es enthalten nach neueren Feststellungen 30 bis 
50% aller Nierensteine Oxalsäure als wesentlichen Bestandteil. 
Daher verdient die Frage, wie man Concrement- bezw. Sediment¬ 
bildungen von Oxalsäure verhüten kann, unsere volle Beachtung. 
Bisher ist in prophylaktischer Beziehung nicht mehr bekannt, als 
daß oxalsäurehaltige Gemüse, insbesondere Spinat den Oxalurikern 
zu untersagen sind ; es ist wohl ebenso bekannt, daß trotz solchen 
Verbots Recidive von Oxalatsteinen, bezw. Fortbestehen von Oxalurie 
nicht selten beobachtet wird. Wenn man eine mittlere Portion Spinat 
genießt, in der Form, wie er bei uns gewöhnlich zubereitet wird, so 
bekommt man circa 100 Mgrra. im Magensaft lösliche Oxalsäure in 
den Magen. Davon erscheinen etwa 15 Mgr. im Urin wieder. Wo 
bleiben die übrigen 85 Mgrm.V Diese Frage kann man mit einiger 
Bestimmtheit beantworten. Im Stuhlgang finden sich höchstens 
10 Mgrm. wieder. Der Rest wird durch Bakterien und Fermente 
des Darms zerstört. 

Es ist nun noch die Frage, ob auch wirklich die ganze 
Oxalsäure, die zwischen Magen und Urin verschwindet, durch bak- 


44 ) Nothnagel, Angina pectoris vasomotoria. „Deutsches Arcli. f. klin. 
Med.“ 1867, III. 

46 ) Marie, „Revue de medecine.“ 1882- 

46 ) Siehe bei Rosenbach und bei Herz. „Deutsche med. Woehenschr.“ 
1900, Nr. 8/9. 


teritische Zersetzuug im Darme verloren geht oder ob nicht doch 
nach der Resorption eine Zerstörung durch den Stoffwechsel statt¬ 
finden kann. Diese Frage hat K. dadurch zur Entscheidung ge¬ 
bracht („Berl. klin. Wschr.“, 1901, Nr. 52), daß er oxalsaure Salze 
direct unter die Haot spritzte und deren Verbleib feststellte. Es 
ergab sich, daß oxalsaures Natron quantitativ im Urin wieder 
erschien. 

Oxalsäure findet sich in Glycocoll, Creatin und der Glycochol- 
säure. Oxalsäure verschwindet daher auch im Hungerzustande nicht 
aus dem Urin. 

Es ist therapeutisch nicht nöthig, den Harn ganz Oxalsäure- 
frei zu machen; es handelt sich nur darum, das Ausfallen des 
oxalsauren Kalks zu verhindern. Eine Reihe von Analysen hat 
nun K. zur Meinung geführt, daß Kalkoxalat um so leichter lös¬ 
lich ist, je mehr Magnesia und je weniger Kalk der Urin enthält. 
Will man nun Leute mit einer Kost ernähren, welche relativ wenig 
Kalk und viel Magnesia enthält, während sie zugleich nur geringe 
Oxalsäuremengen bildet, so thut man gut, Milch, Ei, Thee, Cacao 
und viele Gemüse zu untersagen, dagegen reichlich Fleisch, Fett, 
Brot, Mehlspeisen, Reis und Leguminosen, Aepfel und Birnen anzu- 
rathen. Ein absolutes Gemüseverbot scheint übrigens nicht noth- 
wendig, bloß Spinat und die Kohlsorten sind zu verbieten. Das 
Getränk sei reichlich, gegen alkoholische Getränke und Kaffee be¬ 
steht kein Einwand. Medicamentöse Beeinflussung wird durch Bit¬ 
tersalzdarreichung geübt. B. 


Friedrich Keller (UehliDgen): Bergsteigecuren für Nerven¬ 
kranke. 

Zur Bergsteigecur eignen sich folgende Gruppen von Nerven¬ 
kranken („Therap. Monatshefte“, 1901, Nr. 11): 1. Nervenleidende, 
welche ihren Beruf das Jahr über ausüben, die aber genöthigt sind, 
von Zeit zu Zeit auszuspannen, können neue Erfrischung schöpfen 
für Körper und Geist. Diejenigen Gehirncentren, welche übermüdet 
sind, können hier ausrnhen und andere, die bisher vernachlässigt 
wurden, kommen zu ihrem Rechte. Die gesundheitsschädigenden 
Reize sollen compensirt werden durch gesundheitsfördernde. Auch 
die meist etwas gestörten Körperfunctionen sollen wieder gebessert 
werden. 2. Ferner eignen sich Nervenkranke, die ihrem Berufe 
bisher mit Lust und Liebe oblagen, die ihn aber nicht mehr aus¬ 
üben können, weil sie zu rasch dabei ermüden, unangenehme 
Sensationen empfinden, die Aufmerksamkeit nicht mehr concentriren 
können. Bei ihnen sind gewisse, einseitig benützte Gehirncentren 
überreizt, die Reizschwellen für dieselben herabgesetzt. Diese Centren 
besitzen gewissermaßen eine erworbene Idiosynkrasie den schädigenden 
Reizen der täglichen Berufsarbeit gegenüber. Hier müssen die 
idiosynkrasischen Reize vom Nervensystem ferngehalten werden, 
damit sieh die Reizschwellen wieder aof die normale Größe ein¬ 
stellen können. Passivität ist streng zu meiden, weil schon die 
Erinnerung an die frühere Beschäftigung mit ihren Schädigungen, 
das Grübeln darüber, schädliche Reize darstellen. Für solche 
Patienten eignen sich Märsche, Kletterpartien u. s. w., welche 
schwierigere geistige Aufgaben zum Zweck haben, z. B. Vermessungen 
von Höhen, topographische, botanische, geologische, historische Unter¬ 
suchungen. 3. Nervenkranke, die keine Beschäftigung kennen, welche 
sie befriedigen könnte. Hieber gehören Töchter reicher Familien, 
welche nie zu arbeiten gelernt haben, ferner Müßiggänger, die sich 
nicht mehr selbständig aufraffen können za einer geordneten 
Thätigkeit. 4. Reihen sich Leute an, welche nicht nur müßig 
gehen, sondern auch noch durcli allerlei Passionen, Spiel, Weiber, 
Onanie, Alkohol, Tabak etc. ihre Gesundheit untergraben. Für 
diese Menschen eignet sich das Bergsteigen in hervorragenderWeise. 
Es geht wieder einmal ein Hauch von Begeisterung durch ihre 
Seele, wenn sie einen Berg im Schweiße ihres Angesichtes er¬ 
klettert haben und nun all die Herrlichkeiten zu ihren Fiißen 
liegen sehen. Sie erfahren wieder einmal, daß Anstrengung Genüsse 
verschafft. Mancher kehrt hoch oben auf einem Berggipfel, inmitten 
von Schnee und Eis, in sich. Er flüchtet sich dann zurück zu den 
Menschen mit dem festen Vorsatz, ein anderes Leben zu beginnen. 
Gut ist es, wenn der Arzt diese „Umstimmung“ anzufachen und 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 3 


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später au8zunützen weiß. 5. Eine weitere Gruppe bilden jene 
Kranken, welche an wirklichen körperlichen und geistigen Schmerzen 
leiden. Mancher, dessen Seele durch Schmerz gebeugt ist, wird hier 
Frieden und Heilung finden. Schließlich mag noch erwähnt werden, 
daß sich das Bergsteigen auch für Gesunde und solche Kranke 
eignet in vielen Fällen, die einer Aufbesserung des allgemeinen 
Stoffwechsels bedürfen. g. 

Minin (St. Petersburg): Ueber die Anwendung der Licht¬ 
therapie in der Chirurgie. 

Verf. macht auf die schmerzstillende und resorbirende Eigen¬ 
schaft des blauen elektrischen Lichts aufmerksam, das bisweilen eine 
direct verblüffende therapeutische Wirkung selbst bei einer so 
schwachen Lichtquelle ausüben soll, wie ein aus blauem Glase ver¬ 
fertigtes und mit einem Reflector versehenes Glühlämpchen von 
einer Lichtstärke von 16 Kerzen. Die weiteste Anwendung verdient 
das blaue elektrische Licht, wie es Verf. an der Hand einiger 
Fälle darthut („Die med. Woche“, 1901, Nr. 12 u. 13), bei 
chronischen Ekzemen des Gesichts, ganz besonders bei den so¬ 
genannten nervösen Ekzemen. Eine nicht minder glänzende thera¬ 
peutische Wirkung soll das blaue elektrische Licht bei Blutergüssen 
nach Contusionen entfalten, bei denen übrigens auch die schmerz¬ 
stillende Wirkung des blauen elektrischen Lichts sehr bald zum 
Ausdruck kommen soll. Die übliche Methode der Behandlung von 
Blutergüssen besteht bekanntlich in Anwendung von Kälte und in 
Hochlagerung der verletzten Extremität, dann in Massage unter 
Ilinzuftigung eines localen vollen Wannenbades und warmer Um¬ 
schläge. Im Hospital des kaiserlichen Leibgarde-Regiments zu 
Petersburg wird die Behandlung von Blutergüssen in folgender Weise 
geführt: Ein warmes Vollbad von 29° R. und 10 Minuten Sitzungs¬ 
dauer, Hochlagerung bei Verletzung irgend einer Extremität und 
Lichtbehandlung; bisweilen werden noch warme Umschläge mit 
10%ig er Borsäurelösung hinzugefügt. Die Heilungsdauer schwankt 
bei dieser Behandlung bei geringen Blutergüssen zwischen 1 bis 
3 Tagen. Was die Contusionen selbst betrifft, so erzeugen die 
blauen elektrischen Strahlen eine rasche Verengerung der Blut¬ 
gefäße , so daß die Contusionen rasch blaß werden; darauf folgt 
eine allmälige Verringerung der blutunterlaufenen Stelle, die gleich¬ 
sam von Regeneration der Haut und von Verschwinden der Schmerz¬ 
haftigkeit begleitet wird. 

Die Ansicht, daß das Licht nur bis auf die äußersten 
Schichten des Muskelgewebes zu dringen vermag, ist nach Verf. 
zweifellos irrthümlich. Verf. glaubt vielmehr, Grund zur An¬ 
nahme zu haben, daß das Licht leicht und sehr rasch durch die 
vordere Abdominalwand in den Darm und Magen einzudringen ver¬ 
mag. Jedenfalls hat er in einem Falle von Erbrechen nicht 
cerebralen Ursprungs durch Bestrahlung des Gebietes des Epigastrium 
und des Magens mit einem ans blauem Glase hergestellten Glüh¬ 
lämpchen das Erbrechen leicht zu coupiren vermocht; es wäre nach 
Verf. erwünscht, die Bestrahlung auch bei der sogenannten 
Hyperemesis gravidarum versuchsweise anzuwenden. Seine Haupt¬ 
anwendung wird das blaue elektrische Licht immerhin bei entzünd¬ 
lichen Infiltrationen finden, die der Bestrahlung mit elektrischem 
Lieht sehr rasch nachgeben. Nach Ilerniotomien nach Bassini 
beobachtet man bekanntlich Schwellung und Schmerzhaftigkeit der 
Venen des Samenstranges. Diese Schmerzen verschwinden zwar bei 
warmen Wannenbädern und Tragen eines Suspensoriums gewöhnlich 
ziemlich rasch; es kommen aber auch Fälle vor, in denen die 
Schmerzen selbst 14 Tage anhalten. Bei Bestrahlung mit elektrischem 
Licht verschwinden diese Erscheinungen schon nach einer, wenn 
viel nach zwei Bestrahlungen, d. h. nach einer Sitzungsdauer von 
10—20 Minuten. 

Zum Schluß hebt Verf. an der Hand einiger instructiver Bei¬ 
spiele die schmerzstillende Wirkung des elektrischen Lichts noch 
besonders hervor. Es gelang ihm, intercostale Neuralgien auf diese 
Weise in einigen Minuten vollständig zu beseitigen. Alles in Allem 
glaubt Verf. auf Grund seiner Erfahrungen bezüglich der thera¬ 
peutischen Wirkung des blauen elektrischen Lichts folgende zwei 
Thesen aufstellen zu können: 1. Das Licht eines blauen Glas- 


Glühlämpchens von 16 Kerzen Lichtstärke übt eine zweifache 
Wirkung aus: eine schmerzstillende und eine resorbirende. 2. Hinsicht¬ 
lich der Intensität und der Raschheit der therapeutischen Wirkung 
hat das Licht unter den übrigen gegenwärtig bekannten schmerz¬ 
stillenden Mitteln kein Analogon. L—y. 


Götzl und Salus (Prag): Zur Wirkung des Urotropins. 

Die Verf. studirten die Wirkungsweise des Urotropins auf 
experimentellem Wege („Prager med. Wochenschr.“, 1901, Nr. 31). 
Sie fanden: 

Urotropin ist an sich ein wirksames Antisepticum. Schon 
in 5°/ 0 iger Lösung tödtet es bei 17° Mikroben der ammoniakalischen 
Cystitis, ferner B. coli und typhi albi; in niederen Concentrationen 
wirkt es auf diese Mikroben entwickelungshemmend. Setzt man einem 
sauren Harne 3% Urotropin zu und läßt ihn bei Zimmertemperatur 
offen im Becherglase an der Luft stehen, so wird das Eintreten 
der ammoniakalischen Harngährung (z. B. für 11 Tage) verzögert. 
Die Erhöhung der Temperatur auf 37° führt zu einer bedeutenden 
Steigerung der antiseptischen Fähigkeit, derart, daß daun eine 
l'AVo'&e Lösung etwa gleich stark wirkt wie eine 2°/ 0 ige Lösung 
bei 17°. Diese Eigenschaft kommt mehreren bekannten Antisepticis 
zu. Die abgespaltenen Formaldehydmengen erklären sie nicht, sie 
können nur wenig unterstützend wirken. Gegenwart von Eiweiß 
störte die Urotropinwirkung nicht. Das Bact. typhi zeigte sich gegen 
Urotropin besonders empfindlich. Das Wachsthum von Schimmel¬ 
pilzen wird durch Urotropin nicht beeinträchtigt. In zwei Versuchen 
in vitro mit harnsauren Concrementen beobachteten die Verff. deut¬ 
liche harnsäurelösende Fähigkeit des Urotropins. Beobachtungen bei 
innerer Darreichung von 3mal täglich 0'5 Grm. in einem Glase 
Wasser ergaben: Das Urotropin wird in diesen Dosen gut vertragen 
(nur in einem Falle trat Brennen beim Uriniren auf, das mit 
Sistirung der Mcdication aufhörte). Im frisch (auch durch Katheterismus) 
entleerten Harne konnten Formaldehyd mit Jorrisen’s Reagens nicht 
oft nachgewiesen werden; sonst wies der Ausfall dieser ungemein 
empfindlichen Reaction auf sehr geringe Formaldehydmengen hin. 
Dagegen gaben die Harne stets intensive Urotropinreactionen. Dem 
Fehlen der Formaldehydreaction entsprach nicht auch ein Aus¬ 
bleiben der Urotropinwirkung und umgekehrt. Durchgreifende Unter¬ 
schiede im Erfolge der Therapie je nach der Reaction des Harnes 
konnten nicht erhoben werden. Das Urotropin erwies sich als treff¬ 
liches Harnantisepticum; wo der Erfolg zu wünschen übrig ließ, 
schien dies an der Unzulänglichkeit der üblichen Dosen zu liegen. 
Die locale Therapie wird durch diese Mcdication bei der chronischen 
Cystitis mit Harnretention keineswegs überflüssig. In einem Falle 
von Calculosis gingen nach Urotropingebrauch kleine, lehmfarbene 
Concremente von Harnsäure ab, welche weicher waren als die vor¬ 
her spontan abgegangenen röth liehen Concremente. N. 


R. Bernhardt (Warschau): Resorption lupöser Producte 
unter Pockeneinfluß. 

Ein Knabe mit Lupus des Gesichtes, der zum größten Theil 
narbig, im Centrum vereinzelt, in der Peripherie jedoch einen 
ganzen Wall von Lupusknötchen aufweist, erkrankt an Pocken. 
Nach Abheilung derselben zeigt das früher durch Lupus entstellte 
Gesicht ganz normale Züge (die Pockennarben sind in der Beschreibung 
absichtlich übergangen), an Stelle des lupösen Infiltrates findet sich 
eine blaßrothe, leicht infiltrirte Narbe, mit einer ganz ebenen, 
trockenen, etwas schuppenden Oberfläche, in der Narbe nirgends 
Knötchen. Zufälligerweise hatte der Autor vor der Pockenerkrankung 
zu anderen Zwecken eine Excision aus dem lupösen Herde 
gemacht; um nun die durch Variola gesetzten Veränderungen 
kennen zu lernen, entnahm er der Narbe ein ähnliches Stück zur 
mikroskopischen Untersuchung. Dieselbe ergab („Arcli. f. Dermat. 
u. Syph.“, Bd. LIV) Involution der lupösen Infiltration auf Basis 
einer eintretenden Degeneration mit nachfolgendem Zerfall der 
Zellen. Diese Involution ist aber keine vollständige, denn es finden 
sich in Corium kleine, rundliche, aus Zellen zusammengesetzte 
Herde, deren Gerüste aus einem unregelmäßigen Netzwerk besteht, 
in dessen Maschen ausschließlich epitheloide und lymphoide Zellen 


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liegen. Sie finden sich in der Regel in der Nähe von Blutgefäßen, 
deren Endothel verdickt erscheint. In der weiteren Umgebung 
dieser Herde findet man in abklingender Reihe verschiedene 
Degenerationsphasen dieser Zellen. Es weist dieser Befund darauf 
hin, daß wegen des Zurückbleibens dieser epitheloiden Zellhaufen 
(kleinste Tuberkelherde) die Heilung nur eine vorübergehende sein 
kann. In der That wurde an dem Kranken ein Recidiv in der 
Ausdehnung des ursprünglichen Lupusherdes im Verlaufe weniger 
Monate constatirt. Verfasser nimmt für den Zerfall der Zellen 
sowohl die hohen Temperaturen des Pockenfiebers, als auch eine 
specifische Wirkung des Pockengiftes in Anspruch. Merkwürdiger¬ 
weise ist der Einwirkung der directen Entzündung durch Localisation 
der Pocken auf dem lupösen Boden gar keine Erwähnung gethan. 
Der Autor scheint der Ansicht zu sein, es wäre ein Recurriren 
auf diesen, wie es scheint, gar nicht unwichtigen Umstand deshalb 
nicht nöthig, weil er die Pockennarben auch in der Beschreibung 
des Gesichtes nach der Heilung der Variola unbeachtet wissen will. 

Deutsch. 


Marischler (Lemberg): Ueber den Einfluß des Chlor- 
natriums auf die Ausscheidung der kranken 
Niere. 

M. unternahm seine Arbeit („Arch. f. Verdauungskrankheiten“, 
1901, Bd. VII, H. 4 u. 5), um einerseits der Frage der sogenannten 
Nierendurchlässigkeit bei Nephritis näher zu treten und zur Er¬ 
gründung des Einflusses des Chlornatriums auf die kranke Niere. 
Es wurde durch zahlreiche Stoffwechsel- und experimentell-patho¬ 
logische Versuche festgestellt, daß die erkrankte Niere zur Retention 
aller Harnbestandtheile neigt, mit dem Unterschiede, daß die 
Retention bei manchen Formen mehr das Wasser betrifft, bei an¬ 
deren die festen Bestandtheile. Es hat sich auch bald gezeigt, daß 
man von einer absoluten Impermeabilität, natürlich die Fälle der 
Anurie ausgenommen, bei gewöhnlicher parenchymatöser Nephritis 
nicht sprechen darf, denn einzelne Stoffe werden trotz ausgesprochener 
Nierenentzündung normal ausgeschieden. 

Auch für die Ausscheidung der Salze sind bis heute keine 
sicheren Regeln gefunden. Wenn man im concreten Falle bei 
Nephritis Na Cl-Retention findet, dann muß man sich die Frage vor¬ 
legen, ob dies durch die kranke Niere selbst bedingt wird, oder 
ob die Ursache der Retention in der gleichzeitigen Wasserretention 
zu suchen ist. 

Um auf diese Frage zu antworten, hat M. in vielen Fällen 
von Nephritis Stoffwechselversuche unternommen, wobei N, CI, P, 
Ca quantitativ bestimmt wurden. Dabei wurde auch die Menge von 
N H 3 im Harne festgestellt. Die Methoden waren die allgemein 
üblichen. Jeder Versuch wurde in drei gleiche Perioden getheilt. 
Die erste diente dazu, um den Kranken ins N-Gleichgewicht zu 
bringen. In der zweiten hat man dem Kranken sechs Grm. Na CI 
pro die, entweder als Pulver mit oder ohne Wasser, oder gelöst 
in 1 Liter destillirten Wassers gereicht. Die dritte Periode diente 
zur Controle möglicher Nachwirkungen. 

M. fand: Die parenchymatös erkrankte Niere ist sogar in 
Fällen verminderter Diurese für Na CI gut durchgängig. Eine even¬ 
tuelle Minderausscheidung der Chloride findet ihre Erklärung in 
der Zurückhaltung des Wassers. Die Diurese nach Kochsalzeinfuhr 
ist bei parenchymatösen Nephritisformen, selbst bei Erhöhung der 
Wasserzufuhr, stark beeinträchtigt; ohne Vermehrung der Wasser¬ 
zufuhr tritt sie nicht auf. Bei interstitiellen Formen kann es sogar 
zum Wasserverluste des Organismus kommen. B. 


Krahulik (Prag): Ueber Ischias scoliotica. 

Auf Grund seiner 5 beobachteten Fälle von Ischias scoliotica 
äußert sich Verf. („Sbornik klin.“, Bd. 3, H. 2) über die Natur 
des Leidens folgend: 1. Die Ischias scoliotica ist eine Rücken¬ 
markswurzelkrankheit. Für diese Behauptung spricht a) die Con- 
tractur der Rumpfextensoren der einen oder der anderen Seite, 
b) die Beharrlichkeit der Scoliose, auch wenn die Hüftschmerzen 
nachgelassen haben, c) die lange Dauer der Krankheit, d) das 
Bestehen der hyperästhetischen Zonen im Verlaufe der Lumbalnerven 


und endlich e) der Umstand, daß die Affection des Plexus lumbalis 
selbst ohne jede Läsion des Plexus sacralis eine Deviation des 
Rückgrates hervorrufen kann. 

2. Die Scoliose entsteht durch die Contraction der Rumpf¬ 
muskeln der einen oder beider Seiten. Die Contractur wird dann 
entweder reflectorisch durch Erkrankung der sensitiven, oder direct 
durch Erkrankung der motorischen Fasern, als Folge einer ent¬ 
zündlichen Läsion des Plexus sacralis und lumbalis, verursacht. 
Die schließlich e Form der Scoliose — heterologe, ho- 
mologeoderalternirende — hängt von der Resultante 
der Kräfte der contrahirten Muskeln ab. Stock. 

Alfred Gross (Kiel): Zur Symptomatologie der Tabes 
dorsalis. 

G. beschreibt einen Tabesfall mit eigenthümlichem Verlaufe. 
(„Deutsches Arch. f. kl. Med.“, Bd. 71, H. 4. u. 5). 

Ein besonders hervorstechendes und merkwürdiges Symptom 
im Krankheitsbilde des Patienten war eine zeitweise recidivirende 
Hämatoporphyrinurie, und es wäre gewiß von Interesse gewesen, 
eine Ursache dafür zu finden. Aber alle constatirten Organverände¬ 
rungen führen, soweit bekannt, nicht zu dieser Ausscheidung. Be¬ 
stehende Blutungen im Magen Darmtractus waren zu unbedeutend, 
auch der Verlauf der Hämatoporphyrinurie ein zu chronischer für 
die Annahme eines solchen Zusammenhanges. Auch das Vorkommen 
von Hämatoporphyrinurie, speciell bei Tabes, die sich ja sonst nicht 
selten mit anderweitigen Stoffwechselstörungen coraplicirt, ist in der 
Literatur nirgends erwähnt. Ebensowenig war die Hämatoporphyrinurie 
durch die Art der Nahrung in diesem Falle bedingt, denn während 
seiner Darmkoliken vermied Patient begreiflicherweise rohes Fleisch 
und Gemüse. Hervorzuheben ist vielleicht, daß bei der Aufnahme 
des Patienten der Blutbefund ein normaler war. Die Hämatopor¬ 
phyrinurie ist daher wahrscheinlich als eine idiopathische anzusehen, 
von chronischem Verlaufe, ähnlich wie in einem von Sobernhkim 
beobachteten Falle, wo die Erscheinung Jahre lang bestand und 
zufällig erkannt wurde. g. 

Funck (Brüssel): Der Vaccine- und Variolaerreger. 

Wie in früheren Arbeiten sucht der Verf. nochmals („Centralbl. 
f. Bakteriologie, Parasitenkunde und Infectionskrankheiteu“, Bd. 29, 
II. 24) den Nachweis zu führen, daß die Wirkung der Vaccine 
von der Anwesenheit eines Sporozoon herrühre, und daß man in 
dem Inhalte der Variolapusteln ein morphologisch gleiches Proto¬ 
zoon antreffe, das zuerst (1887) von L. Pfeiffer gesehen worden 
sei. Verf. nennt es Sporidium vaccinale ; beim Kalb erzeuge es die 
charakteristischen Symptome der Vaccine und verleihe den Thiereu 
dauernde Immunität. Es wird wohl noch zahlreicher Nachunter¬ 
suchungen und Bestätigungen dieser Befunde bedürfen, ehe diese 
Behauptungen als völlig erwiesen betrachtet werden können. 

_ Dr. S. 

Ransome und Foulerton: Ueber den Einfluß des Ozons 
auf die Lebenskraft einiger pathogener und an¬ 
derer Bakterien. 

Da der Einfluß des Ozons auf Bakterien noch nicht end¬ 
gültig festgestellt ist, traten die Verfasser dieser Frage näher ; die 
praktische Bedeutung, die einer allfälligen Verwerthbarkeit des 
Ozons für die Desinfection zukäme, ließ eine Kla‘Stellung der 
Frage umso wünschenswerther erscheinen. Die Versuche zeigten, 
daß Ozon im trockenen Zustande, wie es in der Natur vorkomrat, 
keine schädliche Wirkung auf Bakterien zukomrat, und daß somit 
die reinigende Wirkung, die es in der Natur ausübt, nur die Folge 
einer directen, chemischen Oxydation fauliger, organischer Sub¬ 
stanz, nicht aber der Ausdruck einer bakterienhemmenden Wirkung 
sein kann. („Centralbl. f. Bakteriologie, Parasitenkunde und Infections- 
krankheiten“, Bd. 29, H. 23.) Dr. S. 


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Kleine Mittheilungen. 

— Ueber pharmakologische Beeinflussung der Harnsäure¬ 
ausscheidung hat Ulrici Untersuchungen angestellt („Arch. f. exp. 
Path. u. Pharm.“, Bd. 46, H. 5 u. 6). Bei den meisten bisherigen 
Versuchen, welche eine Beeinflussung der Harnsäureausscheidung 
durch Medicamente darthun sollten , ist nicht genügende Rücksicht 
auf die Verhältnisse des Gesaramtstoffwechsels, mit welchem der 
Harnsäurestoffwechsel in enger Beziehung steht, genommen worden. 
Ulrici hat daher diese Versuche bei N- und P 2 0 6 -Gleichgewicht an sich 
selbst wiederholt. Benzoesäure (8 Grm. pro die) hatte keine wesent¬ 
liche Wirkung auf den N-Stoffwechsel, setzte aber die Harnsäure¬ 
ausscheidung in den ersten Tagen herab. Nachher trat eine geringe 
Vermehrung der Harnsäure ein. Aehnlich wirkte Gallussäure 
(8 Grm. pro die). Chinasäure (8 Grm. pro die) hatte im Gegen¬ 
sätze zu den bekannten Resultaten von WEISS weder auf den 
Stoffwechsel, noch auf die Harnsäure einen Einfluß. Tannin (3 Grm. 
pro die) bewirkte nur leichte Harnsäurevermehrung. Salicylsaures 
Natron (3—5 Grm. pro die) steigerte die N-Ausfuhr um 7%, die 
Harnsäureausfuhr dagegen um 40—50°/ 0 , so daß man ihm eine 
specielle Beförderung der Harnsäureausscheidung zuschreiben muß. 
Eine Vermehrung der Leukocyten im Verhältniß zu den Erythro- 
cyten konnte U. in der Salicylperiode nicht nackweisen. 

— Einen casuistischen Beitrag zur Fer8antherapie liefert 
A. Bass („Centralbl. für die ges. Therapie“, 1901, Nr. 12). Verf. 
gelangt auf Grund eingehender, streng wissenschaftlich durch- 
geführter Versuche mit dem Fersan zu den Ergebnissen, daß bei 
gestörter Magenverdauung, aber freier Pyloruspassage das Fersan 
als von der Magenverdauung unabhängiges Präparat, recht gute 
Dienste leisten kann, und daß schon sehr geringe Mengen Fersan 
genügen, um die dem Eisen specifische Reizwirkung auf die blut¬ 
bereitenden Organe auszuüben. Als Darreichungsform ist die in 
Oblaten oder Chocoladepastillen am ehesten anzuratheu; 15 Grm. 
pro die genügen sicherlich zur Erzielung des Heileffectes. 

— Das Amylenhydrat gegen Diabetes insipidus empfiehlt 
Niesser („Nouv. remed.“, 1901). Aus seinen Beobachtungen geht 
hervor, daß die Anwendung dieses Mittels in mittlerer Dosis 
(1 Grm. 3—6mal täglich) eine bedeutende Besserung beim Dia¬ 
betes insipidus herbeizuführen vermag, besonders was die Polyurie 
und Polydipsie betrifft. Der Geruch des Mittels ist nicht angenehm, 
er erinnert ein wenig an Campher, der Geschmack leicht brennend, 
pfefferartig. Auch kommt manchmal ein brennendes Gefühl im 
Hals dazu. Deshalb verschreibt Niessen das Mittel in Kapseln. 

— Auf der I. med. Abtheilung des k. k. Kaiserin Elisabeth- 
‘Spitals in Wien wurde die Milch- Und Eisensomatose in mehreren 
Fällen von Chlorose angewendet. Die Präparate wurden gern 
genommen und auch gut vertragen. Dieselben schienen in den 
angewendeten Fällen von guter Wirkung zu sein. Einige Kranken¬ 
geschichten erweisen die günstige Wirkung dieser Präparate. 

— Zur Behandlung der Pachydermia laryngis mit Saiicyi- 
säure berichtet Lublinski („Memorabilien“, Bd. 44, H. 4). L. hat 
zwar von der Salicylbehandlung nicht so gute Resultate gesehen 
wie Fein, bleibt aber doch bei diesem Mittel, das er in folgender 
Formel verwendet: 

Rp. Acid. salicyl.PU 

Spir. vini rectif., 

Aq. destill.aa. 5'0 

oder auch mit Glycerin einzupinseln. Diese Mittel wendet er auch 
bei Leukoplakie an, die er mit Pachydermie ätiologisch und klinisch 
für nahe verwandt betrachtet, aber 2—4mal täglich, was im Kehl¬ 
kopfe nicht möglich ist. 

— In der „Societe de Therapeutique“ in Paris berichtete 
Destree (Brüssel) über ein neues Diureticum, das Agurin, welches 
anscheinend sehr werthvolle Resultate liefert. Ein Schüler Destree’s, 
Impens, ist auf den Gedanken gekommen, das Theobrominnatrium 
mit einem anderen Salz zu combiniren ; für diesen Zweck hat 
sich ihm am brauchbarsten das Natriumacetat erwiesen. Diese 
neue Verbindung, das Agurin, ist ein weißes, ziemlich hygro¬ 
skopisches Pulver, das sich in Wasser nach und nach in seine 
Componenten spaltet. Es ist weit weniger ätzend als das Theo¬ 
brominnatrium, enthält, seiner chemischen Zusammensetzung nach, 


erheblich mehr Theobromiu als andere Doppelsalze (z. B. 10% 
mehr als das Diuretin) und äußert eine sehr beträchtliche diuretische 
Wirkung, ohne die Herzthätigkeit zu alteriren. Mit einer täglichen 
Dosis von 1*5 Grm. Agurin erzielt man in entsprechenden Fällen 
eine bedeutende Vermehrung der Harnmenge. Dabei erstreckt sich 
die Erhöhung der Ausscheidung auf die harnsauren Salze, die 
Chloride und auf die Phosphate im Harn. D. kommt auf Grund 
seiner klinischen Prüfung zu folgenden Schlüssen. Das Agurin ist 
nicht ätzend ; es ist ein gutes Diureticum; es vermehrt nicht nur 
die Menge des Wassers, sondern auch diejenige der festen Bestand¬ 
teile des Harns. Die Wirkung ist eine lang andauernde. 

— Als roborirende Medication eignen sich folgende Ver¬ 
schreibungen („Centralbl. f. d. ges. Therapie“, 1901): 


1. Rp. Calc. glycerinophosphor. 2'Ü 

Aq. menth. piper. 30‘0 

Syr. simpl. 25'0 

Aq. font.ad 1500 

D. S. Dreimal tägl. 1 Eßlöffel zu nehmen. 

2. Rp. Calc. glycerinophosphor.3'0 

Terr. siliceae.0'2 

Syr. althaeae quant. sat. ut f. pilul. Nr. XXX. 
D. S. Dreimal täglich 1 Pille zu nehmen. 

3. Rp. Natr. phosphor. 9icc., 

Extr. secal. com.aa. 2'U 

Extr. qua9siae quant. sat. ut pillul. Nr. XX. 
D. S. Dreimal täglich 1 Pille zu nehmen. 

4. Rp. Calc. glycerinophosphor. 6 0 

Natr. glycerinophosphor., 

Kal. glycerinophosphor., 

Magn. glycerinophosphor. ... aa. 2 0 

Ferr. glycerinophosphor. 10 

Tinct. strychni. 1’5 

Pepsini. 3'0 

Maltini. 10 

Tinct. colae. 10'0 

Syr. ceras. nigr.ad 200'0 


D. S. Während der Mahlzeiten 1 Eßlöffel zu 
nehmen. 

5. Rp. Extr. fluid, chinae, 

Extr. fluid, cocae, 

Extr. fluid, colae.aa. 10 0 

D. S. Nach dem Essen einen Kaffeelöffel in 
alkalischem Mineralwasser zu nehmen. 

— in der Behandlung der functioneilen Nervenerkrankungen 

hat Fl ESCH mit der Darreichung des Syrupus kolae compositus 
„Hell“ Erfolge erzielt. Die Zusammensetzung dieses Medicamentes 


ist die folgende: 

Rp. Chinin, ferro-citr. 2 - 5 

Strychnin, nitr. 0‘075 

Extr. de Kol. fluid. 25'0 

Natr. glycerinophosphor. 25'0 

Solv. len. calore in 

Syr. aurant. 200'0 


S. 3mal täglich 1 Kaffeelöffel. 

Der Syrupus kolae stellt ein vorzügliches tonisirendes Medicament dar, 
das in der Neurosentherapie vorzügliche Dienste zu leisten vermag. 

— Zur Behandlung perforirender Bauchwunden berichtet 
Tautzscher („Volkmann’s Samml. klin. Vorträge“, N. F. 319): 
Die abwartende Behandlung ist da, wo es sich um uncomplicirte 
Bauchwunden handelt, d. h. wo der Magendarmcanal nicht mit¬ 
verletzt ist und nicht etwa eine größere Blutung eine unmittelbare 
Lebensgefahr birgt, von günstigen Resultaten begleitet. Anders 
liegen die Verhältnisse, sobald die Intestinalorgane verletzt sind ; 
hier starben von 12 exspectativ behandelten Fällen 9 (= 75%) , 
von 17 operirten 11 (=65%); also eine unbedeutende Besserung 
der Erfolge bei den operirten. Von den Verletzungen waren 46 
durch Messerstich, 15 durch Revolverkugeln erzeugt, der Rest 
durch Maschinen, Explosionen und dergleichen zustande gekommen. 
Die Stichverletzungen geben eine günstigere Prognose als die 
Schuß Verletzungen. Für den Kriegsfall verschieben sich die Ver¬ 
hältnisse vielleicht dadurch günstig, daß C3 sich hier um Fern¬ 
schüsse und um Mantelgeschosse, im Frieden um Nahschüsse und 
Bleikugeln handelt und diese letzteren viel schwerere Verletzungen, 
vor Allem viel größere Ein- und Ausschußöffnungen setzen; der 
Verschluß einer Darmverletzung durch Schleimhautprolaps ist hier 
ausgeschlossen, dort möglich. Für die Therapie der perforirenden 
Baüchwunden ergibt sich, daß man stets, wo der geringste Vcr- 


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dacht auf Complication mit Magenverletzung besteht, auf jeden 
Fall laparotomiren und nur dann sich auf ein abwartendes Ver¬ 
halten beschränken soll, wenn jeder solche Verdacht ausgeschlossen 
erscheint. 

— Ein mechanisches Laxans für Säuglinge beschreibt 
Beer („Memorabilien“, Bd. 44, H. 4). Die Methode wird folgender¬ 
maßen ausgeführt: Die cylindrische Quecksilbersäule eines gewöhn¬ 
lichen Maximalthermometers wird mit Borvaseline eingefettet und 
wie zur Temperaturmessung in das Rectum geschoben. Daselbst 
wird das Thermometer an den Sphincter ani leicht angedrückt 
und um die Achse des Rectum in einem Kreise mit anfangs kurzem 
und später immer größer werdendem Radius herumgeführt, als 
wolle man den Sphincter allmälig dilatiren. Schon nach 2 bis 
3 Kreistouren fühlt man die Spannung des Sphincter nachlassen, 
das Rectum fängt an sich zu contrahiren und bei den nächsten 
Touren bleibt der Anus bereits offen, da die vorrückenden Skybala 
den Act der Defäcation reflectorisch auslösen. Sollte die Defäcation 
keine vollkommene sein, so muß der beschriebene Vorgang wieder¬ 
holt werden. Die Wirkung tritt stets prompt ein. Dabei wird dem 
Kinde kein Schaden zugefügt, da die ganze Procedur schmerzlos 
und harmlos ist. Bei der chronischen Obstipation tritt dieses Ver¬ 
fahren hinter der radical wirkenden Aenderung der Diät zurück, 
als Palliativmittel ist es jedoch auch in diesem Falle gut zu ge¬ 
brauchen. 

— Als Bandwurmmittel empfiehlt Dörr („Therap. d. Gegenw.“, 
1901, Nr. 11) das Cuprum oxydatum nigrum, das er als ebenso 
gefahrloses wie sicheres Mittel bezeichnet. D. wendet bei Erwachsenen 
folgende Dosis an: 


Rp. Cupr. oxydat. nigr. 6 0 

Calcar. carb. 2 0 

Bol. alb. laevigat.12 0 

Glycerin, qn. s., 


S. Täglich 4mal 2 Pillen zu nehmen, bei Ver¬ 
meidung von sauren Speisen. Einige Tage 
nach Beendigung des Gebrauches eine Dosis 
Ricinusöl. 

Sowohl Rademacher als auch Hager machen darauf aufmerksam, 
daß der Bandwurm mehr oder weniger verwest abzugehen pflegt, 
weshalb der erstgenannte bei solchen Personen, die den Wurm¬ 
abgang sehen wollen, für einige Tage so viel Aloe dem Cuprum 
hinzufügt, daß mäßiges Laxiren erfolgt. 


Literarische Anzeigen. 

Die Krankheiten der Frauen. Für Aerzte und Studirende 
dargestellt von Dr. Heinrich Fritsch. 10., vielfach verbesserte 
Auflage. Mit 278 Abbildungen im Text. Leipzig 1901, 
S. H irzel. 

In fünf Jahren vier Auflagen! Bei dem Ueberfluß an deutschen 
Lehrbüchern der Gynäkologie sagen diese Zahlen wohl mehr als 
eines Referenten Lob; denn sie beweisen, daß das Werk von Fritsch 
stets seinem Vorgesetzten Ziele, eine Einführung zu sein für den 
Studirenden, ein Wegweiser für den praktischen Arzt, ein Berather 
für den Fachcollegen, Rechnung getragen hat. Es ist bei einem 
Manne wie Fritsch, der mit der modernen Gynäkologie in steter 
Fühlung steht, selbstverständlich, daß in jeder Auflage die neuesten 
Errungenschaften des Faches soweit berücksichtigt sind, als sie 
eben in dem Rahmen eines Lehrbuches Berücksichtigung finden 
dürfen. Dadurch schon wird das Buch von Fritsch uns so werth¬ 
voll, weil es uns stets ein getreues Spiegelbild des gegenwärtigen 
Standes unserer Fachdiseiplin bietet, ohne daß die individuellen, auf 
der Summe eigener Erfahrungen beruhenden Anschauungen des 
Autors dabei zu kurz kämen. Fischer. 


Besserung der Sprache und Entwickelung der Hör¬ 
reste bei einem Taubstummen. (Rectification de la 
parole et developpement des restes auditifs chez un sourd- 
muet.) Von A. ZÜnd-Burguet. Paris, Publications de „La Pa¬ 
role“, institut de laryngologie et orthophonie 1901. 

Verf. suchte bei dem 24jährigen Taubstummen zunächst nach 
Urbantschitsch die Hörreste auszubilden; der Pat. gewöhnte sich 
zu hören und hörte thatsächlich nach wenigen Tagen viel besser, die 
Sprache aber blieb gleich schlecht. Dann suchte er nach Abbö 
Rousselot des Kranken arg vernachlässigte Articulation zu bessern ; 
der Zustand, in welchem der Pat. in den Unterricht eintrat, und 
dieser selbst werden eingehend mitgetheilt. Nach sehr kurzer Zeit, 
kaum zwei Monaten, sehr befriedigende Resultate. Aehnliche Resultate 
in anderen Fällen. Infeld. 


Pathologie der blennorrhoischen und venerischen 
Lymphgefäßerkrankungen. Eine anatomische Studie 
von Dr. G. Nobl. Mit vier lithographischen Tafeln. Franz 
Deuticke, Wien-Leipzig 1901. 

Mit dem Ausbaue der Symptomatologie hat die pathologisch¬ 
anatomische Fundirung der venerischen Läsionen nicht Schritt zu 
halten vermocht. So haben die Lymphgefäßveränderungen, gleich¬ 
wie die im Gefolge der venerischen Helkose auftretenden extra¬ 
parenchymatösen Lymphangoitiden bisher der anatomischen Explora¬ 
tion entrathen müssen. Auch die sogenannte syphilitische Lymph- 
Strangsklerose hat in den spärlichen vorliegenden Untersuchungen 
eine nur dürftige Interpretation erfahren. Dieses Gebiet hat nun 
N. auf das Fundament der anatomischen Untersuchung verpflanzt, 
um durch Feststellung der histologischen Verhältnisse, welche den 
blennorrhoischen, syphilitischen und venerischen Lymphgefäßer¬ 
krankungen zugrunde liegen, eine klaffende Lücke in unseren Kennt¬ 
nissen zu überbrücken. Es hat dazu jahrelanger Arbeit bedurft. 

Nach einer erschöpfenden Darstellung der einschlägigen 
Literatur im ersten Abschnitte wendet sich der Autor (im zweiten 
Abschnitte) der topographischen Anatomie des untersuchten Lymph - 
gebietes in eingehender Weise zu. Die weiteren drei Theile ent¬ 
halten das Ergebniß der pathologisch-anatomischen und theilweise 
auch bacteriologischen Befunde. Bei der blennorrhoischen Lymph- 
angioitis handelt es sich um eine specifische Intimaalteration prolifera¬ 
tiven Charakters. Die sogenannte syphilitische Lymphstrangsklerose 
ist auf eine obliterirende, mit Peri- und Paralymphangioitis einher¬ 
gehende Endolymphangioitis der extrapareuchymatösen, subtergumen- 
talen, dorsalen Lymphbahnen zu beziehen, während die venerischen 
Lymphbahnprocesse in einer eiterig-fibrinösen Entzündung der Saug¬ 
adern höherer Ordnung ihre Ursache haben. Die Bilder, welche 
dem Werke beiliegen, sind vorzüglich ausgeführt und überaus 
instructiv. Sz. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Aus den Abteilungen 

der 

73. Versammlung Deutscher Naturforscher und 

Aerzte. 

Hamburg, 22.-28. September 1901. 

(Coll.-Ber. der „Fr. Vereinignng d. Deutschen med. Fachpresse“.) 

XVI. 

Abtheilung für Kinderheilkunde . 

H. Leo (Bonn): Zur Phosphorbehandlung der Rachitis. 

Während Leo früher niemals, trotzdem er seit Einführung 
der Phosphortherapie dieselbe verwerthet, Störungen schwerer Art 
nach Gebrauch von Phosphor bei Kindern gesehen hat, hat er vor 
kurzem 2 Todesfälle beobachtet, die auf die interne Anwendung 
des Phosphors zu beziehen sind. Beide Kinder zeigten klinisch 
ungefähr die gleichen Erscheinungen: Icterus ä Apathie, das eine 
auch eine Lebervergrößerung. In dem einen Fall war nur kurze Zeit 
(im Ganzen 0 - 015 Grm.) Phosphor verabreicht, in dem anderen 


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(chronischen) Fall mit Lebervergrößerung: ca. 6 Monate lang, 
wenngleich mit Unterbrechungen. In beiden Fällen trat nicht 
allzu lange nach Auftreten der klinischen Erscheinungen der Tod 
ein. Im letzteren Fall warde die Section verweigert, ira ersten 
Falle ergab der pathologische Befund eine fettige Degeneration der 
Leber, Nerven und des Herzens. Die pathologische Diagnose wurde 
auf Phosphorvergiftung gestellt. 

Der Vortragende hebt hervor, daß er niemals die vorgeschric- 
benen Phosphordosen überschritten und kleinere Dosen verordnet 
habe, als sie z. B. Flachs angebe. 

Nach den letzten beiden traurigen Ereignissen stellt sich Leo, 
welcher stets von einem günstigen Einfluß auf den Allgemeinzu¬ 
stand bei Rachitis überzeugt gewesen ist, auf den Standpunkt, ent¬ 
weder das Mittel nunmehr ganz fortzulassen oder die Dosis herab¬ 
zusetzen. 

Soltmann (Breslau): Abgesehen von dem von ihm vertretenen Stand¬ 
punkt, daß der Phosphor die Rachitis günstig beeinflußt, und dass er wenn auch nicht 
direct durch Beeinflussung des Knochenwachsthums, so doch durch eine Verbes¬ 
serung des Stoffwechsels und damit schließlich auch auf die Knochenentwickelung, 
günstig einwirkt, so kommt es nach Soltmann’s längst vertretener und auch oft 
publicirter Ansicht vor Allem darauf an, daß der Phosphor in Oel richtig ver¬ 
abreicht wird. Die Apotheker müssen eine Lösung von Phosphoröl fertig halten 
von 1:500 (nicht aber 1 : 80), in der der Phosphor nicht ausfällt, sondern 
gelöst bleibt. Von dieser Lösung hat dann der Apotheker bei ärztlicher Ver¬ 
ordnung (von 0 01/100) nur 5Grm. zu nehmen (worin O'Ol Phosphor enthalten 
ist) und noch 95Grm. Oel zuzusetzen, lieber einfaches Oel ev. Leberthran, weil 
durch letzteren die Wirkung des Phosphors verdeckt werde. 

Falkenheim (Königsberg) gibt nur eine Dosis täglich von der O'Ol pro- 
centigen Lösung, wie es nach seiner Meinung Kassowitz empfohlen hat, also 
nur 0 0005 pro die. Von dem Erfolg einer Phosphorcur ist er bei zehnjähriger 
Anwendung überzeugt. 

Gernsheim (Essen) hat außer leichten Gastritiden nie etwas Schädliches 
bei der Phosphoranwendung gesehen. G. gibt allerdings sehr kleine Dosen; 
seine Verordnung lautet: 

Rp. Phosphor. 0 01 

Ol. amygd. dulc. 10 0 

Ol. cort. aurant.gtt. IV. 

DS. 3mal täglich 1 Tropfen, allmälig steigend bis 
auf 3 Tropfen. 

Schlossmann (Dresden): Der Phosphor fallt nicht aus, sondern wird 
bisweilen in kleinen Mengen oxydirt; die ZwEiFEL'schen ungünstigen Befunde 
beruhen wohl auf Versuchsfehlern. S. hält den Causalnexus zwischen der Phos¬ 
phordarreichung und dem Tode der Kinder des Herrn Leo nicht erbracht. 

Ritter (Berlin) betont, daß bereits von Kassowitz die von Gernsheim 
angeführte Verordnung angegeben sei. Im Uebrigen hat er eine Reihe von Phos¬ 
phorvergiftungen gesehen, wo das Medicament erbrochen, daher nicht resorbirt 
worden ist; es seien daher die chronischen Vergiftungen mehr als die acuten 
zu fürchten. 

Thomas (Freiburg): Kassowitz verordnet 2mal täglich Phosphor (zu 
0'0005), nicht nur einmal. Das Mittel macht bisweilen leichte Verdauungs¬ 
störungen, aber sicher in den vorgeschriebenen Dosen keine Intoxicationen. 
Der von Leo gegebene Sectionsbericht enthält nichts von miliaren Hämorrha- 
gien im ganzen Körper, nichts von fettiger Entartung der willkürlichen Mus- 
culatur; Thomas hält ihn nicht für beweisend für Phosphorintoxication. 

Leo (Bonn), Schlußwort: L. gibt zu, daß der Phosphor, wie es Schloss¬ 
mann verlangt, als endgiltiger Beweis der Posphorvergiftung in den Organen 
nicht nachgewiesen ist. Indessen hält der Vortragende, der sich früher lange 
mit experimenteller Phosphorvergiftung beschäftigt hat, Herr Schlossmann ent¬ 
gegen, daß in Fällen von Phosphorvergiftung bei heftiger Degeneration der 
Phosphornachweis häufig ausbleibt. Daher ist dieses Desiderat nicht ausschlag¬ 
gebend. Daß die fettige Entartung nicht durch andere Erkrankungen bedingt 
sein konnte, ließ sich bei Mangel solcher ausschließen. 

Zuppinger (Wien): lieber einen seltenen Fall von Fremd¬ 
körpern. 

Z. demonstrirt ein Lungenpräparat, das einem 2 1 / a jährigen 
Mädchen entstammt, welches sich in der Nacht einen rechtsseitigen 
Pneumo- resp. Pyopneumothorax zuzog, indem es aus seinem de- 
fecten Bettstrohsack eine leere Kornähre im Schlafe aspirirte. Nach 
38 Stunden starb das Kind. Z. macht auf diese Gefahr für Kinder 
aufmerksam. 

Soltmann (Breslau) theilt einen vollkommen analogen Fall mit, bei 
dem es sich um Actinomykose handelte. Da im mitgetheilten Falle die Unter¬ 
suchung auf Tuberkelbacillen nicht gemacht wurde , wäre es denkbar, daß es 
sich auch hier um Actinomykose gehandelt habe. Auch im Holtmann 'sehen 
Falle, der bei Lebzeiten diagnosticirt war, war die Actinomykosis erworben 
durch das Verschlucken einer „Taubengerste“, die die Retrovisceralspalte 
perforirt hatte und an der Thoraxseite zum Vorschein gekommen war. 

Zuppinger (Wien): Gegen die Auffassung seines Falles als Actinomykose 
spreche das anatomische Bild der Tuberculose, wie es die Section ergeben habe. 


J. Ritter : Die Behandlung schwächlicher Kinder. 

Die Behandlung von Kindern, welche eine ausgesprochene 
Vulnerabilität bestimmter Körpertheile, wie der Haut, der Schleim¬ 
häute, speciell der Respirationsschleimhäute und der Sinnesorgane 
zeigen, bei starker Betheiligung des lymphatischen Apparates und 
ausgesprochener Neigung zum Recidiv, hat Vortragender seit mehr 
als einem Lustrum unter ein, alle natürlichen Unterstützungsmittel 
zusammenfassendes, rationelles Regime zu bringen gesucht. Die 
Vorbedingungen für das Heilverfahren wurden aus Thierversuchen 
abgeleitet. In erster Reihe steht die sachgemäße Ernährung. 
Den Mineralsalzen, die ihrer Bedeutung entsprechende Stellung bei 
der Kostwahl zu geben, ist eine eindringliche Forderung. Durch 
ausgedehnte Stoffwechselversuche wird nachgewiesen, daß nicht nur 
das Dreigestirn der großen Nahrungsmittel, Eiweiß, Fette und 
Kohlehydrate, sondern auch die Mineralsalze zur Entwicklung der 
nothwendigen Lebensenergie gehören. Und zwar darf kein einziges 
der normalen Körpersalze fehlen; ja es muß sogar in seiner ganz 
bestimmten Verbindung zur Stelle sein, wenn der Organismus auf 
diesen Mangel nicht durch das Herabgehen seiner vitalen Kräfte 
reagiren soll. Classisches Beispiel hiefür ist das mehr durch seinen 
Mangel, als durch sein Anlagecapital sich bemerkbar machende 
Eisen. Dabei zeigt sich ein deutlicher Unterschied in der Aus¬ 
nutzung der Mineralsalze bei animalischer und vegetabilischer Kost 
zu ganz entschiedenen Gunsten der letzteren. Außer den Erfolgen 
des eine Reihe von Jahren fortgesetzten Verfahrens und der deut¬ 
lichen Sprache der Stoffwechsel versuche bringt jetzt die physikalische 
Chemie, die van T’HOFF’sche Lebre von der Lösung, die letzten 
aufklärenden Beweise für die Richtigkeit des Ernährungsprincipes. 

Sodann wird über die hervorragend wichtige Gymnastik der 
Lungen, die mechanische Behandlung der Musculatur des Brust¬ 
korbes, die methodischen Abreibungen und Sandbäder ausführlich 
berichtet. Eine bedeutsame Stelle nimmt auch in Rücksicht auf den 
lymphatischen Zustand dieser Kinder die den Bahnen des Lymph¬ 
systems sorgfältig angepaßte Massage ein. 

Endlich schließt der Redner, der in den Erholungsstätten für 
tuberculose Arbeiter eine entsprechende Durchführung seiner schon 
früher für die Behandlung scrophulöser Kinder empfohlenen Priu- 
cipien und somit auch die Durchführbarkeit seiner Ideen sieht, mit 
einem Appell, auch der Prophylaxe zu geben, was ihr zukomrae, 
da dies für das Allgemeinwohl von überragender Wichtigkeit und 
ohne Aufwendung übermäßiger Mittel möglich sei. 


Gesellschaft fiir innere Medicin in Wien. 

(Auszug aus dem officiellen Protokoll.) 

Sitzung vom 19. December 1901. 

H. NOTHNAGEL stellt einen 23jährigen Kranken vor, der an 
Anfällen von abortiver Epilepsie leidet. Die Anfälle sind 
zumal vom August 1898 bis Ostern 1899 überaus intensiv und 
häufig aufgetreten. Während des Anfalles wurde immer der linke 
Daumen gegen die Handfläche hineingezogen, dann traten Krämpfe 
in den Armen und Beinen, Zuckungen des Kopfes und Zähne¬ 
knirschen auf; das Bewußtsein war stets erhalten. Dauer der 
Krämpfe bis 10 Minuten, mitunter treten 2—3 Anfälle täglich auf, 
dann wieder nur zwei wöchentlich. Seit dem Juli begannen nun 
Anfälle von folgendem Typus: Pat. verzieht plötzlich schmerzlich 
das Gesicht, greift in der Regel in die Herzgegend, wird im Ge¬ 
sicht sehr blaß und cyanotisch, an den Händen blaß; dabei ver¬ 
spürt er sehr heftige Schmerzen in der Herzgegend, welche zu¬ 
weilen in den linken Arm ausstrahlen. Der Puls ist während des 
Anfalles sehr stark beschleunigt (130 —150), seine Spannung erhöht ; 
die Athmung normal. Die objective Untersuchung ergibt normales 
Verhalten aller Organe, auch des Herzens. — Nach der Ansicht 
des Vortr. handelt es sich hier um einen epileptischen Zustand; 
ob dabei eine directe Erregung corticaler Apparate oder infracor- 
ticaler resp. medullärer Centren vorliegt, ist nicht zu entscheiden ; 
wahrscheinlicher ist die zweite Annahme. 


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K. HOCHSINGER demonstrirt zwei Kinder mit Cor bovinum. 
1. Einen 9jährigen Knaben, der seit fünf Jahren an recidivirendem 
Gelenksrheumatismus leidet; nach dem zweiten Anfalle entstand 
rechtsseitige Pleuritis. Die Untersuchung ergibt : Fahlgraues Colorit, 
Cyanose der Lippen, Trommelschlägelfinger, Abflachung der rechten 
Thoraxhälfte mit Verengerung der Intercostalräume und leichter 
linksseitiger Scoliose, bedeutende Vorwölbung der rechten Thorax¬ 
hälfte, herzsystolische Einziehung, sichtbare Carotiden- und Brachialis- 
pulse, Pulsus celer, links- ober und unterhalb der Clavicula leichte, 
von der 3. Rippe an absolute Dämpfung, RHO Schalldämpfung, 
LH allenthalben Broncbialathmung, zwischen dem 3. bis 7. linken 
Intercostalraum überall systolisch-diastolisches Schwirren, breiter 
Herzspitzenstoß im 4. Intercostalraum, in der vorderen Axillar¬ 
linie; Herzpulsationen auch unterhalb des Rippenbogens fühlbar. 
Die Grenzen der Herzdämpfung sind Mitte des Sternums und vor¬ 
dere Axillarlinie. Im 4. und 5. Intercostalraum links unterhalb 
der 1 Mammilla ein langes, lautes systolisches Geräusch und ein 
schwächeres diastolisches Blasen, in der Nähe des Sternums ein 
diastolisches Geräusch von strömendem Charakter. Die Diagnose 
lautet : Insufficienz der Aorten- und Mitralklappen und pericardiale 
Synechien. Die Affection der Serösen ist wahrscheinlich tuberculöser 
Natur. — 2. Einen 13jährigen Knaben mit angeborenem Herzfehler. 
Die linke Thoraxhälfte vorgewölbt, lautes systolisches Schwirren 
über dem Sternum und links von demselben bis zum Rippenbogen 
starkes Abklappen des Pulmonalklappeuschlusses wahrnehmbar. 
Herzgrenzen: 2. linker Intercostalraum, rechter Sternalrand, einen 
Querfinger außerhalb der Mammilla, im 1. und 2. linken Interco- 
stalraura neben dem Sternum Dämpfung, das Arteriensystem unter¬ 
halb der A. subclavia abnorm schwach gefüllt; wahrscheinlich liegt 
dilatatorische Hypertrophie beider Ventrikel mit vorwiegender 
Betheiligung des rechten vor, vielleicht auch ein Offenbleiben des 
Ductus arteriosus Botalli, Dilatation des Pulmonalisstammes und Ver¬ 
engerung der Aorta an der Einmündungsstelle des Ductus arteriosus. 
Das RoENTGEN-Bild deutet auf das Bestehen eines inneren Collateral- 
kreislaufes hin. 

W. TÜRK zeigt den Stammbaum einer Haemophilen. Der¬ 
selbe bietet wesentliche Abweichungen von den im allgemeinen gel¬ 
tenden Gesetzen der Vererbung der Blutkrankheit. Der Großvater 
der vorgestellten Patientin väterlicherseits war Bluter und hat 
die Krankheit direct auf zwei Söhne und eine Tochter vererbt. 
Die beiden hämophilen Söhne übertrugen das Leiden direct auf 
einen männlichen und sechs weibliche Enkel derart, daß in der 
dritten Generation unter elf Mitgliedern sieben Bluter sind, unter 
ihnen sechs Frauen. In der vierten Generation sind unter zwanzig 
Mitgliedern fünf Bluter, ausschließlich Männer, die fünfte Genera¬ 
tion weist bisher nur einen Urenkel auf, welcher bis zum vier¬ 
zehnten Lebensjahre Bluter war und seither keine Krankheitser¬ 
scheinungen darbietet. Bemerkenswerth ist die große Betheiligung 
des ■ weiblichen Geschlechtes an der Erkrankung; sieben Frauen 
gegenüber zehn Männern, namentlich in der dritten Generation 
('6:1). Von der ersten bis zur dritten Generation findet ausschlie߬ 
lich der sonst so seltene Modus der directen Vererbung statt, der 
auch später vorwiegend bleibt, nur je einmal in der vierten und 
fünften Generation erfolgt eine indirecte Vererbung, welche wieder 
von der üblichen Regel abweicht. Einmal überträgt ein selbst nicht 
blutendes männliches Mitglied die Krankheit auf seine beiden männ¬ 
lichen Nachkommen , ein zweitesmal überträgt zwar der Regel 
nach ein weibliches Glied der Familie, das selbst nicht blutet, die 
Krankheit auf den Sohn; die Frau selbst jedoch stammt von einer 
hämophilen Mutter. 

ROß. BREUER berichtet über einen Patienten mit Stenose 
der Aorta thoracica, den er vor einem Jahre in der „K. k. 
Gesellschaft der Aerzte“ demonstrirt hatte. Der Kranke erlitt im 
8. Lebensjahre durch den Hornstoß eines Ochsen eine penetrirende 
Wunde im Rücken, seither litt er bei Anstrengungen an Herzklopfen, 
Kurzathmigkeit, Stechen in der linken Seite und Husten mit einige- 
itoäle blutig tingirtem Sputum. Vor einem Jahre wurden constatirt: 
Schrumpfung der linken Thoraxhälfte mit mächtiger pleuraler 
Schwarte, Verziehung der Trachea und des Oesophagus nach links, 
Die Hypertrophie des linken Ventrikels und das Verhalten der 


Gefäße ließen auf eine durch Verziehung oder Abknickung der Ge¬ 
fäße entstandene Stenose der Aorta unterhalb des Abganges der 
linken Subclavia schließen. Im Sommer 1901 starb der Kranke 
unter den Erscheinungen schwerer Hämoptoe. 

H. ALBRECHT demonstrirt das zugehörige anatomische 
Präparat. Es zeigt eine Diaphragmabildung in der Aorta. Die 
Aorta war in einer Schwiele eingebettet, als Ursache der Stenosi- 
rung wurde unterhalb der linken Subclavia ein die Aorta quer¬ 
durchsetzendes dünnes Diaphragma gefunden, welches nur durch 
eine 4 Mm. weite centrale Oeffnung den Blutstrom passiren ließ. 
Das Diaphragma bildete die untere Grenze eines großen Aneurysma 
mit rauher Innenfläche und oberer scharfer Begrenzung. Infolge 
des Trauma ist vielleicht eine circulare Ruptur der internen Wand¬ 
schichten der Aorta unter dem Subclaviaabgang erfolgt; die Intima 
und die innere Lage der Media sind dann durch den Blutstrom los¬ 
gewühlt worden und bildeten jenes Diaphragma. Daneben fand sich 
eine mächtige pleuro-mediastinale Schwarte in der linken Brust¬ 
hälfte, große Bronchiectasien in der geschrumpften linken Lunge, 
aus denen die tödtliche Hämoptoe erfolgt war, Stenosirung des 
linken Bronchus und Verziehung des Oesophagus nach links. 

R. V. STEYSKAL berichtet über das Resultat seiner Versuche 
über die Wirkung des Diphtherietoxins auf das Cir- 
culationssystem. Dieselben ergaben, daß unmittelbar nach der 
Injection des Diphtherietoxins eine Verschlechterung der Herzarbeit 
auftritt. Die reflectorische günstige Beeinflussung der Herzarbeit auf die 
Iscbiadicusreizung wird durch Diphtherietoxin vernichtet. Diese Ver¬ 
änderungen treten zu einer Zeit ein, wo das Vasomotorencentrum 
noch nicht gelähmt ist. Das Herzvolumen sinkt durch Diphtherie¬ 
toxin nicht ab, sondern steigt an. Die Versuche ergaben, daß das 
Herz durch das Diphtherietoxin primär direct geschädigt wird. 

STRUBELL erstattet eine vorläufige Mittheilung über eine 
neue Methode der Harn und Blutuntersuchung. Vortr. 
hat die Untersuchungen, die er mit dem Eiritauchrefraetometer 
an Urinen und Salzlösungen angestellt hat, auf eiweißhaltige Flüs¬ 
sigkeiten , speciell auf das Blutserum ausgedehnt. Das wichtigste 
Resultat ist die Erkenntniß, daß die Bestimmung des Brechungs¬ 
exponenten nicht als Ersatz für die Gefrierpunktsbestimraung 
dienen kann, daß sie jedoch ein werthvolles Mittel zur Ermittlung 
des Eiweißgehaltes des Blutserums ist. Man stellt durch Ablesen 
am Refractometer den Brechungsexponenten eines Serums fest, zieht 
von der gefundenen Anzahl Scalentheilen 15 Theile, welche dem 
destillirten Wasser, und 3, welche den Salzen entsprechen, ab, 
den Rest dividirt man durch 4 2 , welche Zahl von Scalentheilen 
etwa 1% Eiweiß entspricht. Die Untersuchung kann an einem 
Tropfen Serum in äußerst kurzer Zeit ausgeführt werden. 

Schluß der Discussion über das Thema Myiasis 
intestinalis. 

R. Gersuny bemerkt, daß die Discussion keine Entscheidung darüber 
gebracht habe, ob die Darmaffection der Madeninvasion vorausging oder ob 
Maden die Krankheit verursacht haben. Die Operation, welche nach dem 
Obductionsbefunde möglich gewesen wäre, wurde wegen des schlechten Allge¬ 
meinzustandes des Patienten und der Annahme, daß es sich um multiple 
Ulcerationen des Dünndarms und des Coecum handle, bis zu dem Zeitpunkte 
verschoben, da die Erscheinungen der Darmstenose mehr in den Vordergrund 
treten würden. Dies trat jedoch nicht ein, sondern die Durchfälle dauerten 
bis zum Schlüsse fort. Wäre aber auch damals die Operation ausgeführt 
worden, sie wäre unvollständig und daher nutzlos geblieben, weil man die 
beiden Dickdarmgeschwüre kaum gefunden hätte. Die Unterlassung der Ope¬ 
ration ist somit gerechtfertigt. 

E. Gärtner vertritt die Ansicht, daß ein Zusammenhang zwischen den 
Maden und der Erkrankung nicht bestehe. Die meisten Fälle von Myiasis 
werden nach den Angaben der Literatur durch Homalomya scalaris hervor¬ 
gerufen, deren Maden den Körper rasch verlassen. In dem zur Discussion 
gestellten Falle handelte e3 sich um darcophaga carnaria, welche noch niemals 
im menschlichen Darme gefunden wurde. Ueberhaupt sind trotz der zahl¬ 
reichen Obductionen und Untersuchungen von Dejecten bisher nur selten 
Fliegenmaden im Kothe gefunden worden. Zum Zwecke einer exacten Fest¬ 
stellung einer Myiasis intestinalis sind folgenle Bedingungen zu erfüllen: 
Untersuchung des Gefäßes, in welches die Dejecte gelangen, unmittelbar nach 
der Defäcation Controle derselben durch den Arzt, Untersuchung der Anal¬ 
öffnung des Kranken. 

H. Joseph meint, es müsse nach den Erfahrungen über die Biologie 
der Sarcophaga carnaria als ausgeschlossen erscheinen, daß Larven dieser 
Fliege, selbst wenn sie in den menschlichen Darmtractus gelangt sein sollten, 


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daselbst eine so lange Zeit, wie in dem besprochenen Falle, verweilen und 
auf dem Entwickelungsstadium der neugeborenen Made stehen bleiben. Dies 
ist noch auffälliger, wenn man bedenkt, daß die im Stuhle aufgefundenen 
Larven sich bei der weiteren Züchtung binnen Kurzem zur Imago entwickelten. 
Die nochmalige Untersuchung ergab, daß die im Stuhle gefundenen und als 
Chorion*angesprochenen Gebilde pflanzliche Zellmembranen waren. Gegen die 
Annahme einer Myiasis intestinalis spricht auch der Umstand, daß im Darme 
keine Maden gefunden wurden. 

H. Schlesinger gibt an, daß die Forderungen Gärtner's (Untersuchung 
des Gefäßes, in welches die Dejecte gelangen, Anwesenheit eines Arztes beim 
Absetzen der Excremente, öftere Inspection der Analöffnung des Kranken, 
Auffinden der Maden unmittelbar nach dem Defäcationsacte) in dem discutirten 
Falle erfüllt wurden; einmal wurden Maden nach einem Clysrna nach außen 
befördert. Mancher Irrthum (Gattung der Fliege, Anwesenheit des Chorion im 
Stuhle) sei auf die Schwierigkeit der Bestimmung der Dipterengattung zurück¬ 
zuführen. Die zahlreichen Beobachtungen von acuter Myiasis sind ein sicherer 
Beweis dafür, daß verschiedene Fliegenlarven durch einige Zeit lebend im 
menschlichen Magendarmcanale verweilen können. Der discutirte Krankheitsfall 
imponirte von allem Anfänge an als ein außergewöhnlicher Proceß, für welchen 
das ätiologische Moment fehlte; der Abgang von Maden sprach für eine Darm¬ 
erkrankung durch Fliegenlarven, welche Ansicht noch durch die Obduction 
bestärkt wurde. Ueber die näheren Modalitäten der Infection, der Einführung 
und Vermehrung der Larven, kurz des ganzen näheren causalen Verhältnisses 
können nur Hypothesen aufgestellt werden; eine vollständige Klärung der 
Frage ist erst von weiteren Beobachtungen zu erwarten. 

A. Weichselbaum bemerkt, daß, da alle bisher bekannten gescbwürs- 
bildenden Processe mit Sicherheit auszuschließen waren, ein unbekannter 
Proceß vorlag, so daß man per exclusionem zur Annahme einer Myiasis ge¬ 
langen mußte. Die klinischen und anatomischen Befunde sprechen gleichfalls 
für die Annahme, daß die Geschwürsbildung im Darme mit den Fliegenmadeu 
in Zusammenhang zu bringen sei. Pädogenese, welche Vortr. jedoch nur als 
eine Möglichkeit zur Erklärung herangezogen habe, ist nach Brauer bei dieser 
Infection möglich. 


Standesfragen. 

Eine neue Krankencasse. 

Vor Kurzem hat sich in Wien eine Krankencasse constituirt, 
die „Krankencasse der Wiener Bankbeamten“, die auf Grund des 
reg. Hilfscassengesetzes (1892) aufgebaut, gleichzeitig aber auch als 
Vereinskrankencasse (K.-V.-G. 1888) behördlich anerkannt worden 
ist und somit das Recht besitzt, versicherungspflichtige Per¬ 
sonen in gütiger Weise zu versichern. 

Mitglieder der neuen Krankencasse sind statutarisch einerseits 
die Beamten und Beamtinnen der Wiener Bank- und Creditinstitute 
und Bankhäuser, anderseits die Ehefrauen der Beamten. 

Die Leistungen der Casse sind verschieden. Ursprünglich war 
beabsichtigt, bei dieser Krankencasse die ärztliche Behandlung voll¬ 
kommen freizugeben und an Stelle der auch bei Hilfscassen sonst 
häufig üblichen freien ärztlichen Hilfe und Medicamentenbeistellung 
ein erhöhtes Krankengeld auszuwerfen. Dieser Vorgang wäre für 
die Aerzte sehr wünschenswert gewesen, und in der That hat die 
Wiener Aerztekammer, mit der die Proponenten anfangs in loyaler 
Weise in Fühlung getreten waren, diese Idee mit größter Freude 
begrüßt. 

Leider kam es anders. 

Weil diese „Hilfscasse“ das Recht erlangen wollte, daß die 
Zugehörigkeit zu ihr vor dem Gesetze als gleichbedeutend mit der 
Zugehörigkeit zu einer „Arbeiterkrankencasse“ (Bezirkskrankencasse) 
angesehen werde und versicherungsptlichtige Personen aus Bank¬ 
beamtenkreisen durch den Beitritt zu dieser Hilfscasse der Versiche¬ 
rungspflicht bei der Bezirkskrankencasse enthoben seien, verlangte 
die Statthalterei, daß die Statuten der neuen Hilfscasse unbedingt 
auch dem Kranken-Versicherungsgesetz vom Jahre 1888 Rechnung 
tragen müssen, daß somit den Versicherungspflichtigen wenigstens 
die Möglichkeit einer „freien ärztlichen Hilfe“ geboten werde, 
einer ärztlichen Hilfe durch „Cassenärzte“. 

Aus diesem Grunde variiren die Leistungen der Casse: 

1. Nicht versicherungspflichtige Mitglieder erhalten Kranken¬ 
geld, die theureren hydropathischen und mechanotherapeutischen 
Curen, sowie den Landaufenthalt und bei plötzlichen Erkran¬ 
kungen oder Unfällen die Bezahlung der Kosten für die ärzt¬ 
liche Hilfe bis zum Ausmaße des Minimaltarifes der Aerztekammer. 

2. Die Versicherungspflichtigen erhalten Krankengeld, Arzt 
und Apotheke, sowie Beerdigungsbeiträge. 


Die ärztliche Behandlung durch die Cassenärzte ist 
jedoch nur eine facultative, d. h. es bleibt den „Versicherungs¬ 
pflichtigen“ freigestellt, an Stelle der „freien ärztlichen Hilfe“ und 
der Medicamente das um die Hälfte erhöhte Krankengeld zu wählen. 

Cassenärzte wären also bei dieser Hilfscasse nur für jenen 
Theil der „Versicherungspflichtigen“ zu nominiren, die sich für die 
Beistellung der ärztlichen Hilfe in natura (und nicht im Wege der 
Erhöhung des Krankengeldes) entscheiden. 

Vom gesetzlichen und theoretischen Standpunkte aus wäre 
das alles recht schön. Für die Aerzte ist es jedoch heikel und 
bedenklich. Denu versicherungspflichtig sind ja nach dem 
Kranken-Versicherungsgesetz alle Bankbeamten, auch die Directoren, 
und sohin — mit Ausnahmeder Ehefrauen — sämmtliche Mitglieder dieser 
Hilfscasse; also könnten auch alle das Recht auf freie 
ärztliche Behandlung für sich einmal zu gelegener 
Zeit in Anspruch nehmen! 

Allerdings haben bisher nicht alle Bankbeamten vom..,der 
cassenärztlichen Hilfe bei der Bezirkskrankencasse, der sie zu¬ 
gehören, Gebrauch gemacht. Ira Gegentheile. Es galt bis jetzt als 
„Gepflogenheit“, daß bei den Bankinstituten nur jene Angestellten 
in der Bezirkskrankencasse versichert wurden, die einen Gehalt 
bis zu 1600 Kronen (ohne Einrechnung von Quartier- und Neben- 
gebüren) bezogen, daß hingegen allen anderen durch die Regierung 
„die Begünstigung der Befreiung von der Kranken¬ 
casse n p fl i c h t“ gewährt wurde. 

Die Statuten der neuen Krankencasse sind diesbezüglich un¬ 
klar. Es scheint, daß dort unter „versicherungspflichtig“ bloß die 
bis zum Inslebentreten der Casse „nicht befreiten“, also die 
Beamten unter 1600 Kronen Jahresgehalt gemeint sind. Wenn sich 
dies sicher derart verhält, dann besteht kein wesentlicher Grund 
für uns, das Inslebentreten der Casse zu fürchten, vorausgesetzt, 
daß diese unklare Frage in unzweideutiger Form gelöst 
und in den Statuten genau präcisirt werde, wer eventuell das Recht 
auf freie cassenärztliche Behandlung optiren darf. 

Würden unter „versicherungspflichtig“ alle nach dem Kranken- 
Versicherungsgesetz pflichtigen Beamten verstanden werden, dann 
würde die neue Casse eiue kolossale Schädigung der Aerzte bedeuten 
und zweifelsohne mit den Meistercassen auf gleiche 
Stufe gesetzt, ergo boykottirt werden müssen. 

Die Frage, wer für eine eventuelle cassenärztliche Behandlung 
in Betracht kommt, ist die hauptsächlichste, die principielle Frage, 
und sie muß vor Allem klipp und klar beantwortet sein, ehe mehr 
minder nebensächliche Punkte überhaupt berathen werden können. 

Zu diesen letzteren Punkten gehört u. A. auch die Absicht 
der Casse, ihren versicherungs pflichtigen Mitgliedern die freie 
Arztwahl (im cassentechnischen Sinne) zu gewähren. Selbst¬ 
redend könnte an freie Arztwahl eii^gig und allein 
gedacht werden, wenn die Versicherten einem 
Ce ns us (z. B. bis zu 1600 Kronen Gehalt) unterworfen 
sind; andernfalls müßte sie von vornherein verworfen werden, so 
verlockend es auch für fanatische Verehrer des Systems der freien 
Arztwahl sein könnte, hier unkluge Concessionen zu machen. 

Von weniger einschneidender Bedeutung erscheint es auch, 
daß die Cassenverwaltung die freie Arztwahl — nach Leipziger 
Muster — beschränken, d. h. daß sie sich unter den gemeldeten 
Aerzten eine Auswahl Vorbehalten will. Das wäre ja noch begreif¬ 
lich, wenn es auch nicht gerade angenehm ist, und es könnte 
immerhin schon als ein Fortschritt bezeichnet werden, wenn eine 
Casse, statt 5—10 Aerzte zu monopolisiren, 500 und mehr znlassen 
würde. Nur müßten die Principien, nach denen die Casse Auswahl 
treffen will, derart sein, daß sie von den Aerzten anerkannt werden 
können. Wenn heute verlautet, die Casse w r olle keine Aerzte als 
„frei zu wählende Cassenärzte“ zulassen, die ohnedies schon aus irgend 
einem „Fixum“ 2000 Kronen jährlich verdienen, so ist das un¬ 
sinnig und kann für die Aerzte nie und nimmer als Kriterium 
der Auslese anerkannt werden. Doch ist das — wie bemerkt — 
heute noch etwas Nebensächliches und sollte vor Erledigung des 
principiellen Punktes, was als versicherungspflichtig ent¬ 
sprechend dem Statute der Casse anzusehen ist, beziehungsweise 
vor Entscheidung der Frage, ob sich auf irgendwelche Weise be- 


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stimmen läßt, daß als versicherungspflichtig im Sinne des An¬ 
spruches auf freie cassenärztliche Behandlung nur die Beamten bis 
zu 1600 Kronen Gehalt anfzufassen sind, nicht verhandelt werden; 
denn es steht zu erwarten, daß diese Thatsache zur Befriedigung 
aller Theile geklärt werden könne, umsomehr, als ja bei der 
Cassenverwaltung — wenigstens ursprünglich — die Absicht vor¬ 
handen erscheint, mit der Aerztekammer ins Einvernehmen zu 
treten; hat sie ja doch der Kammer seinerzeit den Statutenentwurf 
vorgelegt und ist auf deren Intentionen rückhaltslos eingegangen, 
indem sie den ärztlichen Controldienst, dem Wunsche der Kammer 
gemäß, turnusartig festsetzte und u. A. bei Streitigkeiten mit Aerzten 
ein Schiedsgericht normirte, in dem ein Abgesandter der Aerztekammer 
Sitz und Stimme hat. 

Vor allem erwächst also der Wiener Aerztekammer die Auf¬ 
gabe, den Begriff der Cassenpflichtigkeit bei der „Kranken- 
casse der Wiener Bankbeamten“ haarscharf und auf die Dauer un¬ 
verrückbar zu umgrenzen und — falls sie für die „kleinen“ 
Bankbeamten cassenärztliche Arbeit concedirt — 
darauf hinzuwirken, daß unbeschränkte freie Arztwahl mit 
anständiger Honorirung platzgreife. 

* * 

* 

Seitens des Präsidiums der Wiener Aerztekammer wird 
Folgendes verlautbart: 

Der Vorstand der Wiener Aerztekammer hat durch seinen 
Delegirten mit den Proponenten der zu gründenden Kranken- 
casse der Bankbeamten Wiens Verhandlungen gepflogen, 
welche den Zweck hatten , die Casse auf die Basis der vollständig 
freien Wahl des Arztes für die nicht Versicherungspflichtigeu und 
der freien Aerztewahl für die Versicherungspflichtigen zu stellen. 
Die anfangs glatten Verhandlungen haben infolge mangelnden Ent¬ 
gegenkommens seitens des provisorischen Comit6s der Casse und 
einer nicht vollständigen Informirung des Delegirten der Casse dazu 
geführt, daß im allerletzten Momente ein Statut zustande ge¬ 
kommen ist, welches von dem ursprünglich ins Auge gefaßten 
Princip der freien Aerztewahl weit entfernt und für die Aerzte- 
schaft noch weit weniger günstig ist, als das von derselben in 
seltener Einmüthigkeit perhorrescirte Statut derMeisterkrankencassen. 
Es scheint ferner nahezu sicher, daß eine Reihe von Aerzten behufs 
Anstellung bei dieser Casse bereits in Aussicht genommen ist. 

Bei dieser Sachlage und der Dringlichkeit der Angelegenheit 
— die Casse soll schon im Laufe dieses Monats activirt werden — 
hat der Vorstand der Wiener Aerztekammer zunächst an die ihm 
bekannten Vertrauensärzte der provisorischen Cassenleitung eine 
Zuschrift gerichtet, in welcher diese Aerzte mit Berufung auf ihren 
collegialen Sinn und ihr Solidaritätsgefühl aufs dringlichste ersucht 
werden, vorderhand keine wie immer geartete Stelle bei der 
Krankencasse der Wiener Bankbeamten insolange anzunehmen, als 
die Wiener Aerztekammer, welche zur Berathung dieser Angelegen¬ 
heit in den nächsten Tagen Zusammentritt, über dieselbe ihr Votum 
abgegeben haben wird. 


Notizen. 


Wien, 18. Januar 1902. 

(K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien.) In der 
gestrigen Sitzung stellte zunächst Dr. Ludw. Teleky 3 Fälle von 
Oesophagusstricturen nach Kalilaugen Verätzung 
vor, welche mit Thiosinamin behandelt worden sind. 
Während der Thiosinaminanwendung (Injectionen einer 15%igen 
alkoholischen Lösung in den Rücken) wurde die Bougirung aus¬ 
gesetzt. In 2 Fällen trat ein eclatanter Erfolg ein, indem die 
Narbe so dehnbar wurde, daß in zwei Sitzungen bis zu den stärksten 
Bougienummern angestiegen werden konnte. In anderen Fällen 
war der Erfolg der Thiosinaminmedication geringer. Dieses 
Mittel scheint bei älteren Stricturen von Nutzen zu sein, Contra- 
indicationen bilden frische Narben und entzündliche Zustände im 
Organismus. — In der Discussionwies Hofr. Prof. Dr. Nedmann auf 


die ermutigenden Erfahrungen bei der Behandlung der Sklerodermie 
mit diesem Mittel hin; kais. Rath Dr. Kohn bemerkte, daß nach den 
Versuchen von Hebra, welcher die narbenerweichende Wirkung 
des Thiosinamins zuerst erkannt hat, dieses bei Lues wirkungslos, 
bei Tubereulose fiebererregend sei; Doc. Dr. Spiegler meinte, die 
besprochene therapeutische Eigenschaft des Thiosinamins komme 
allen Aminen und vielen aromatischen Körpern, so auch dem 
Tuberculin zu; Prof. Dr. Mraöek hat Dehnbarwerden von Haut¬ 
narben nach Thiosinaminanwendung beobachtet; Hofr. Prof. Wein- 
lechner machte darauf aufmerksam, daß die Narbendehnung 
im Oesophagus vielleicht auch auf die Bougirung zurückzuführen 
sei, was Dr. L. Teleky widerlegte. Doc. Dr. E. Ullmann hat 
von Thiosinamin niemals einen Erfolg gesehen. — Hierauf stellte 
Doc. Dr. Kreibich eine Pat. vor, bei welcher er eine A c t i n o- 
mykose der Wange durch Jodipininjectionen in 
25°/oig er Lösung zur Heilung gebracht hat. Auch in zwei anderen 
Fällen zeigte sich die Wirkung der Jodipininjectionen. — Schließlich 
erstattete Dr. Berte. Beer eine vorläufige Mittheilung über das 
Auftreten von subjectiven Lichterscheinungen im mag¬ 
netischen Felde. Es dürfte sich dabei vermuthlich um die 
Wirkung von Inductionsströmen handeln. 

(Wiener Krankenhäuser.) Am 13. d. M. hat die 
feierliche Uebergabe des neuen, den weitestgehenden Anforderungen 
der Hygiene und Krankenpflege vollauf entsprechenden gynäkolo¬ 
gisch-chirurgischen Pavillons stattgefuuden, welchen die Freiherren 
Albert und Nathaniel v. Rothschild behufs Ausgestaltung des 
von ihrem Vater gegründeten Krankenhauses der Wiener israeli¬ 
tischen Ciiltusgemeinde errichtet haben. Die gynäkologische Ab¬ 
theilung wird Dr. Carl Fleischmann , die chirurgische Abthei¬ 
lung Doc. Dr. Otto Zückerkandl leiten. 

(Universitätsnachrichten.) Einem Anträge des Pro¬ 
fessorencollegiums der Wien er medicinischen Facultät Folge leistend, 
hat das Unterrichtsministerium angeordnet, daß für das hygienische 
Universitätsinstitut ein den Postulaten der modernen Forschung 
Rechnung tragendes, mit den erforderlichen Behelfen auszuetatten- 
des bakteriologisches Laboratorium errichtet und mit den „beschleu¬ 
nigten Arbeiten“ zu diesem Zwecke begonnen werde. Die Arbeiten 
sind bereits in Angriff genommen worden. — Auf Grund der ohne 
ihre Zustimmung erfolgten Einrichtung der ophthalmologischen Cha¬ 
rite-Klinik und die Ernennung Gräff’s zum Extraordinarius hat 
die Berliner medicinische Facultät eine Eingabe an das Unter¬ 
richtsministerium gerichtet, in welcher sie ersucht, daß im Inter¬ 
esse des Unterrichtes wichtigere Neuorganisationen oder Aende- 
rungen in Hinkunft niemals ohne Befragung der Facultät erfol¬ 
gen mögen. 

(Bilz redivivus.) Unsere schnelllebige Zeit hält sich nicht 
lange bei dem Einzelindividuum auf, sie liebt die Abwechslung. 
Von dieser Thatsache ausgehend, treibt die Agitation für den 
Naturheilschwindel neue Blüthen. Eine Buchhandlung in Wien — sie 
führt den stolzen Titel Universitätsbuchhandlung — kündet mit 
einer im anständigen Buchhändlergewerbe bisher kaum geübten 
Art der Reclame, durch gesetzwidriges Colportiren und Vertheilen 
von Büchlein auf den Straßen, ja sogar vor den Thoren der Alma 
mater, der staunenden Mitwelt an, daß eine neue Heilmethode sie 
vor allen Krankheiten retten werde. PIaten heißt der neue Messias, 
er ist ein ehemaliger Angestellter der Bilzbeilanstalt und ruft in 
die Welt gleich seinem Herrn und Meister hinaus, daß nur seine 
Heilmethode die richtige sei, die Aerzte seien überflüssige Requisiten. 
— Um ein einziges Beispiel dafür anzuführen, wie schädlich das 
Buch wirken kann, wenn es unerfahrene Leute — und das sind 
ja in rebus medicis fast alle Laien — in die Hand bekommen, 
möge folgendes beweisen: Die Diphtheritis — so heißt es in dem 
von der Buchhandlung Szelinski ausgegebenen und den „deutschen 
Familien“ gewidmeten Reclamebüchlein — erstreckt sich nicht 
bloß auf Rachen und Kehlkopf, sondern hauptsächlich auf Magen 
und Darmcanal. Ergo sei die Behandlung: „Gurgelungen mit Wasser 
und hauptsächlich fleißig Klystiere, damit sich die Membranen 
im Darme abstoßen! Sapienti sat! — In der richtigen Erwägung, 
daß derartige Bücher ungemein viel Schaden stiften, wie die Er¬ 
fahrung beim Bilzbuche zeigte, hat der Vorstand der Wiener 


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Aerztekammer beschlossen, eine Eingabe an das Ministerium des 
Innern im Wege der Statthalterei zu richten, in der ersucht wird, 
wenigstens die Colportage dieses, die Curpfuscherei im höchsten 
Grade fördernden Buches in Oesterreich untersagen zu wollen. 

(Im „PASTEUR-Institut“ von Budapest) ist im Laufe 
des Jahres 1900 an 2490 Individuen die Schutzimpfung gegen die 
Wuthkrankheit ausgeführt worden. Von diesen Fällen stammten 
2093 aus Ungarn, 397 aus Croatien, Bosnien, Galizien, Rumänien. 
In 91*5% lag Hundebiß, in den übrigen Fällen zumeist Katzen¬ 
biß vor. Von den Geimpften erkrankten 0*28 °/ 0 an Lyssa, während 
von Nichtgeimpften erfahrungsgemäß 13*91% der Krankheit erliegen. 

(Reform des Krankenversicherungsgesetzes in 
Deutschland.) Der deutsche Aerztevereinsbund bereitet —wie 
wir erfahren — eine allgemeine Kundgebung der Aerzte zur Durch¬ 
sicht des Krankencassengesetzes vor. An die ärztlichen Vereine, 
die dem Bunde angehören, ist bereits vom Geschäftsausschusse ein 
Rundschreiben gerichtet worden, in welchem die einzelnen Vertre¬ 
tungskörper der Aerzteschaft ersucht werden, ihre Forderungen zu 
formuliren, damit auf diese Weise das für die Revision des Kranken¬ 
versicherungsgesetzes nothwendige Material gesammelt und gesichtet 
werden könne. 

(Zur Frage der weiblichen Krankenpflege.) Aus 
Berlin wird uns geschrieben: Eine Conferenz der Charite-Aerzte, 
der chirurgischen Universitätsklinik und der städtischen, sowie an¬ 
derer Krankenhäuser Berlins beschäftigte sich vor einigen Tagen 
mit der Frage der Krankenpflege auf den Männerabtheilungen. Es 
wurde darin übereingestimmt, daß ausschließliche Schwesternpflege 
nicht möglich sei, die Pflege der männlichen Kranken vielmehr 
am besten durch ein gemischtes System gesichert werde, d. h. 
männliche Hilfe in den Aufnahmestationen der Männer, in den 
Badehäusern, für Schmiercuren , Massage, bei Geschlechtskranken 
und Deliranten und das Sittlichkeitsgefühl der Schwestern ver¬ 
letzenden Hilfeleistungen. In die Verträge mit Schwesternschaften 
ist ein Paragraph aufznnehmen, nach welchem sie nicht zu Hilfe¬ 
leistungen herangezogen werden dürfen, welche ihr Sittlichkeits¬ 
gefühl verletzen, es sei denn, daß Gefahr im Verzüge ist. 

(Krankencassenstatistik.) Ueber den Umfang der 
Krankenversicherung Berlins entnehmen wir der „Allg. M. Centr.- 
Ztg.“ Folgendes: Am Schlüsse des Jahres 1900 bestanden 55 Orts- 
krankencassen, 43 Betriebskrankencassen und 20 Innungskranken- 
cassen. Die sämmtlichen Cassen zählten durchschnittlich 341.419 
männliche und 150.880 weibliche, zusammen 492.299 Mitglieder, 
d. h. 18.497 männliche und 10.020 weibliche, zusammen 28.517 
Mitglieder mehr als im Vorjahre. Mit Erwerbsunfähigkeit verbun¬ 
dene Erkrankungsfälle traten bei 141.597 männlichen und 58.946 
weiblichen Cassenmitgliedern (d. h. im Ganzen 7063 mehr als im 
Vorjahr) ein. Es starben 3450 männliche und 899 weibliche Mit¬ 
glieder. Die Gesammteinnahmen betrugen 15,714.340 M., die Ge- 
sammtausgaben 15,068.069 M. Unter den Ausgaben befanden sich: 
Arzthonorar 1,534.632 M., Arznei- und Heilmittelkosten 1,787.612 
Mark, Krankengeld 5,341.287 M., Angehörigenunterstützung 145.634 
Mark, Wöchnerinnenunterstützung 152.506 M., Sterbegelder 353.261 
Mark, Cur- und Verpflegungskosten in Krankenhäusern 1,866.364 M. 
Die persönlichen Verwaltungskosten betrugen 672.778 M., die säch¬ 
lichen 220.605 M. Das gesammte Vermögen der Cassen betrug am 
Schlüsse des Jahres 10,109.118 M. (d. h. 545.936 M. mehr als im 
Vorjahre), die Reservefonds aller Cassen enthielten am Jahres¬ 
schlüsse 9,214.288 M. 

(Statistik.) Vom 5. bis inclusive 11. Januar 1902 wurden in 
den Civilspitälern Wiens 7214 Personen behandelt. Hievon wurden 1360 
entlassen; 158 sind gestorben (10'4% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 66, egypt. 
Augenentzündung 1, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 4, Dysen¬ 
terie —, Blattern—, Varicellen 239, Scharlach 85, Masern 401, Keuchhusten 39, 
Rothlauf 49, Wochenbettfieber 5, Rötheln 4, Mumps 10, Influenza 3, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand 1, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 567 Personen gestorben 
(— 47 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind : In Krems Dr. Georg v. Paum- 
garten, 82 Jahre alt; in Bregenz der dortige Stadtarzt Dr. 
Ferdinand Sinz ; in Prag der städtische Bezirksarzt Dr. Carl 


Ploö ; in Budapest Dr. Ludwig Schwarz im Alter von 81 Jahren; 
in New-York der Redactenr des „Journal of nervous and mental 
diseases“ Dr. Charles Henry Brown. 


Unter dem bisherigen Titel: 

„Elektromedicinische Apparate, ihre Handhabung und Preise“ 

ist nunmehr eine neue, und zwar die 8. Auflage (1902) des vorzüglichen 
Handbuches der elektromedicinischen Technik und zugleich Hauptkataloges 
der Firma Reiniger, Gebbert & Schall in Wien und Budapest erschienen. Sie 
legt Zeugniß ab von der Leistungsfähigkeit und hervorragenden Entwickelung, 
welche diese strebsame, sich eines Weltrufes erfreuende Firma während ihres 
nunmehr 25jährigen Bestehens genommen hat. Die Zahl ihrer Fabrikate ist 
inzwischen derart angewachsen, daß der neue Katalog gegenüber dem vorher¬ 
gehenden (1898) fast den doppelten Umfang erhalten mußte, und er jetzt bei 
unverändertem Format (Großoctav) über 350 Seiten aufweist, ungerechnet der 
vorangehenden technologischen Einleitung, welche auf über 60 Seiten erweitert 
worden ist. Der Katalog, der übrigens mit einem sehr geschmackvoll verzierten 
Einband versehen ist, macht einen sehr stattlichen Eindruck. 

Was nun den durch 600 Abbildungen illustrirten und in 12 Abtheilungen 
sorgfältig geordneten Inhalt anbetrifft, so bietet derselbe eine umfassende und 
klare Uebersicht über den heutigen Stand der so vielseitigen ärztlichen Elektro¬ 
technik. Es sind da in mehreren tausend Nummern aufgeführt, genauestens 
beschrieben und größtentheils abgebildet: Apparate und Instrumente für 
Galvanisation, hydro-elektrische Bäder, Elektrolyse, Kataphorese, Faradi- 
sation, Franklinisation, Galvanokaustik, Endoskopie, sinusoidale Faradisation 
(Voltaisation); ferner: Anschlußapparate für den Starkstrom von Centralen, 
Elektromotoren für chirurgische Operationen, Vibrationsmassage, Centrifugirung, 
Stromtransformirung etc., Roentgenapparate, elektrische Lichtheilapparate, 
Augenelektromagnete, Apparate für Condensatorentladungen, elektrische Wasser¬ 
wärmer und Sterilisationsapparate, elektrische Heißluftapparate, elektrische 
Inhalirapparate, elektrische Ozonapparate etc. 

Bei all diesen Objecten sind, wie der Kundige leicht erkennt, die aller- 
neuesten Erfahrungen und Verbesserungen sowohl auf dem Gebiete der eigent¬ 
lichen Elektrotherapie, wie auch der Roentgentechnik und Lichtheilapparate 
berücksichtigt worden und ist die Fülle der gebotenen Neuheiten eine ganz 
überraschende. 

Jeder Katologabtheilung ist ein sehr ausführlicher theoretischer Pro- 
spect nebst eingehender Erklärung der Apparate und ein vollständiges Literatur- 
verzeichniß voran gestellt. Was aber diesen Katalog ganz besonders werthvoll 
macht und ihn weit über das Niveau dessen erhebt, was man gewöhnlich von 
einem Katalog erwartet, das ist die höchst instructive technologische Ein¬ 
leitung. In dieser ist ein vollständiger Abriß der Elektricitätslohre gegeben, 
soweit sie für den Arzt von Interesse ist. Ferner sind dann für die ver¬ 
schiedenen Arten der ärztlichen Anwendung elektrischer Vorrichtungen die 
leitenden Gesichtspunkte hervorgehoben, insbesondere aber auch die möglichen 
Fehlerquellen bei deren Verwendung und die Vermeidung oder Beseitigung 
aller Störungen gezeigt. Alles dieses hat für jeden Arzt bleibenden Werth, 
gleichviel, woher er seine Apparate bezieht. 

Der Katalog ist trotz der Fülle des gebotenen Materials so übersichtlich 
angelegt, daß es sehr leicht ist, sich darin zurecht zu finden. Zudem ist er 
mit einem vollständigen alphabetischen Sachregister versehen. Die Firma ver¬ 
sendet den Interessenten das Werk, welches wohl Jedem, auch Demjenigen, 
der gut mit Elektricität vertraut ist, etwas Neues bringt, gratis. 


Eingesendet. 

Ignaz Fritz’sche Stiftung. 

Der am 21. Februar 1841 zu Prag verstorbene Chirurgiae Doctor, 
Prager Universitätsprofessor und Primar-Chirurg im allgemeinen Krankenhanse 
daselbst, Ignaz Fritz hat in seinem Testamente die Hälfte seines Nachlasses 
zu einer Stiftung gewidmet, welche die praktische Ausbildung der bereits gra- 
duirten Arzte (Doctores mediciuae, Doctores chirurgiae oder Doctores medicinae 
et chirurgiae, d. i. Doctores universae) nach vollendeter theoretischer Aus¬ 
bildung zu fördern bestimmt ist. 

Die auf das Solarjahr 1901 entfallende Gebühr im Betrage von 2000 K 
(zweisansend Kronen) gelangt dermalen zur Verleihung. Zum Genüsse der Stiftung 
berechtigt und berufen sind nur solche graduirte Aerzte, welche ihrer Geburt 
nach den Kronländern Krain, Oberösterreich, Niederösterreich und Böhmen 
oder der Stadt Karlstadt in Kroatien angehören, und zwar so, daß die An¬ 
gehörigen dieser Kronländer im Genüsse der Stiftung in der bezeichneten 
Reihenfolge alljährlich abwechseln, wobei Ober- und Niederösterreich im Ver- 
hältniß zu den anderen Kronländern als ein Land in Betracht kommen, und 
wobei die Angehörigen dieser beiden Länder unter sich ganz gleichberechtigt 
sind. Die in der Stadt Karlstadt geborenen Doctoren haben immer und unter 
allen Umständen den Vorzug vor den übrigen Bewerbern, deren Reihenfolge 
durch dieselben daher stets unterbrochen wird. 

Von den zur Stiftung berufenen Aerzten müssen: a) Bewerber aus 
Karlstadt, aus Krain, Ober- und Niederösterreich an den k, k. Universitäten 
in Wien oder Prag graduirt haben und an dem k. k. allg. Krankenhause in 
Wien (mit den demselben affiliirten Krankenanstalten in Wien) oder an dem 
k. k. allg. Krankenhause in Prag (als Iutornpräparanden) mit der Ver¬ 
pflichtung, in diesen Krankenanstalten zu wohnen, unentgeltlich prakticiren, 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 3. 


l>) Bewerber aus Böhmen an der k. k. Universität in Prag graduirt haben 
und im k. k. allg. Krankenhause in Prag wie oben unentgeltlich prakticiren. 

Die soeben ausgeschriebene Jaliresgebühr ist für einen aus dem Kron- 
lande Ober- oder Niederösterreich geborenen Doctor bestimmt, und es steht 
das Verleihuugsrecht diesmal der k. k. n. ö. Stattbalterei in Wien zu; wenn 
jedoch ein . entsprechend qualificirter Bewerber aus Karlstadt einschreiten 
sollte* so übergeht das Verleibungsrecht an die königl. kroatisch-slavonisch- 
dalmatinische Landesregierung in Agram. Die Bewerbungsgesuche, belegt mit 
dem Tauf- oder Geburtsscheine, mit dem Doctordiplom und dem Zeugnisse 
über die Verwendung im Krankenhause sind bis 15. April 1902 bei der 
k. k. n. ö. Statthalterei in Wien einzubringen. 

Wien, am 31. December 1901. 

Von der k. k. n. ö. Statthalterei. 


Wiener Medicinisches Doctoren-Collegium. 

Wissenschaftliche Versammlung. 

Montag den 20. Januar 1902, 7 Uhr Abends, 
im Sitzuugssaale des Collegiums, I., Rothenthurmstraße 19 (vau Swietenhof). 

Vorsitz: Reg.-Rath Dr. R. Gersuny. 

Programm: 

Doc. Dr. J. Mannahf.rg : Diagnostische Bemerkungen zu einigen Unter¬ 
leibskrankheiten. 

r_ 


Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 

Die nächste Sitzung findet Donnerstag den 23. Januar 1902, 7 Uhr 
Abends, im Hörsaale der Klinik Schrötter statt, 

Vorsitz: Hofrath Prof. Dr. v. Schrötter. 

Programm: 

I. Demonstrationen (angemeldet: Docent Dr. An. Strasser, Prim. 
Dr. S. Kornfeld, Assistent Dr. M. Weinberger, Prof. Dr.v.ZEissL und Dr. Holz¬ 
knecht : Befunde bei Roentgendurchleuclitung der Blase.) 

II. Docent Dr. Max Herz: Ueber die Insulficienz der Ueocöcalklappe. 

III. Dr. Oskar Kraus : Zur Anatomie der Ueocöcalklappe. 

Das Präsidium. 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 


Mit dieser Nummer versenden wir eine Beilage der 

chemischen Fabrik Dr. G. F. Henning, Berlin, über Guacamphol. 

Wir empfehlen dieselben der geneigten Beachtung unsrer 
Leser. 


Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
Postversendnng. Die Preise der Einbanddeoken sind folgende: für die „Hed. 
Preise“ 1 * K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
,,Therapie der Gegenwart“: 70.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Postversendung. 


Die Jiubrik: „Erledigungen, ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 

Bte“ Wir empfehlen diese Rubrik der speciellen Beachtung unserer 
geehrten Leser; ln derselben werden öfters — neben der Publioation von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auch für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein können, welche an eine 
AenderunB desDomioils oder ihrer Verhältnisse nicht gedacht haben. 


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Den Herren Aerzten stehen Litteratur und Gratisproben zur Verfügung. 






































Wien, den 26. Januar 1902. 


Nr. 4. 


XLIH. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeituj g“ und 
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lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
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in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
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Medizinische 


Wiener 


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Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
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vereines: Jährl. 24 Mrk., halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
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werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
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Sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
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Presse. 


Begründet 1860. 


Redactlon: Telephon Nr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

- -* 9 $ 8 «- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


Administration: Telephon Nr. 9104. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Aus dem Laboratorium für pathologische Anatomie der Universität von München. Experimenteller 
Beitrag zur Frage der Behandlung von Knoehenfracturen. Von Dr. Baldo Rossi , Chirurgen des „Ospedale Maggiore“ zu Mailand. — Zur- 
-&ehand]ung des Ileus. Von Dr. L. Chassel in Wien. — Zur Lehre von den Neurosen des peripheren Kreislaufsapparates. (Ueber vasomotorische 
Ataxie.) Non Dr. Hans Heuz in Breslau. — Referate. Aus der königl. dermatologischen Universitäts-Klinik zu Breslau. J. Plato: Ueber den 

Werth und die Anwendungsweise des Protargols bei der Bekämpfung der Gonorrhoe. — Ralph Stockmann und Francis J. Charteris (Glasgow): 
Die Wirkung der Jodverbindungen auf das Herz und den Blutkreislauf. — Kissel (Moskau): Ueber die Diagnose der tuberculösen Peritonitis bei 
Kindern auf Grund von 54 Fällen eigener Beobachtung. — Hans Kirchner (Bamberg): Ueber die Verwendung des Aspirins bei Augenkrankheiten. — 
O. Kodym (Prag): Ueber die Prognose der Tnberculose. — Birke (Buffalo): Ueber angeborene Enge des Aortensystems. — F. Loefflf.r (Greifs¬ 
wald): Hygiene der Molkereiproducte. — R. Olshatsfn (Berlin): Ueber die Wahl der Operation bei Myomen. — Kohlbrugge (Utrecht): Die Auto¬ 
sterilisation des Dünndarmes und die Bedeutung des Cöcum. — Leclainche et Morel (Toulouse): La serolh^rapie de la septicemie gangreneuse. — 
Kleine Mittheilungen. Tabestherapie. — Honthin. — Technik der intranasalen Operationen. — Sidonal. — Eine neue Anwendungsart von Sublimat 
bei der Syphilisbehandlung. — „Bromocoll.“ — Pasta serosa Schleich's. — Behandlung der Gonorrhoe mit Iehthargau. — Behandlung der Syphilis 
mit intravenösen Sublimatinjectionen. — Indicationen zur Entspannungsincision bei Nierenleiden. — Literarische Anzeigen. Chirurgische Klinik 
der Nierenkrankheiten. Von Prof. James Israel. — Die Divertikel der Speiseröhre. Von Dr. Hugo Starck, Privatdocent für innere Medicin in 
Heidelberg. — Lehrbuch der praktischen Photographie. Von Prof. Dr. Adolf Miethe. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. Aus den Abtheilungen 
der 73. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte. Hamburg, 22. — 28. September 1901. (Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen 
med. Fachpresse“.) XVII. — Gesellschaft für innere Medicin in Wien. (Orig.-Ber.) — Wiener medizinisches Doctoren-Collegium. (Orig.-Ber.) — 
K, k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — Notizen. Hugo v. Ziemssen f. 1829—1902. — Neue Literatur. — Eingesendet. — Offene 
Correapondenz der Redaction und Administration. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist 


nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse “ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Aus dem Laboratorium für pathologische Anatomie 
der Universität von München. 

Experimenteller Beitrag zur Frage der 
Behandlung von Knoehenfracturen. 

Von Dr. Baldo Rossi , Chirurgen des „Ospedale Maggiore“ zu 

Mailand. 

Als eine der wichtigsten Methoden, um welche in der 
letzten Zeit die Therapie der Fracturen bereichert worden 
ist, kann ohne Zweifel die Massage und die frühzeitige 
Mobilisirung bezeichnet werden. 

Zuerst von Lucas Championniere vor einem Decennium 
für gewisse Fracturen der Fibula und des Radius angegeben, 
hat diese Methode allmälig ihr ursprüngliches Wirkungsgebiet 
überschritten und für eine erhebliche Zahl von Fracturen 
Geltung erlangt, in dem Maße, als die Chirurgen in einzelnen 
Fällen die Superiorität der Methode Championniere’s über 
andere therapeutische Behelfe erkannten. Heute gibt es sehr 
viele Chirurgen, welche Massage und frühzeitige Mobilisirung 
mehr oder weniger bei den verschiedenen Knochenbrüchen in 
Anwendung ziehen. Ich nenne Panzeiii, Durante und Nodaro 
in Italien, Reclus, Verchere, Delageniere in Frankreich, 
Selenko, Salovic, Serenen, Lebrun in Belgien, Franks in 
England, Kraske, Czerny,- Randerer in Deutschland, Albert 
und Bum in Oesterreich. 

Cbampionniere hat in seiner Arbeit „Traitement des 
tfractures par le massage et la mobilisation“ und 
in anderen Publicationen die Yortheile der von ihm einge¬ 


führten Methode hervorgehoben. Auf dem letzten internatio¬ 
nalen Cbirurgencongresse präcisirte er seine Anschauungen 
in folgender Weise: „Die Callusbildung ist bei Anwendung 
dieser Methode rascher und sicherer.“ „Die Schmerzhaftigkeit 
verschwindet viel rascher als nach anderen Heilbehelfen.“ 
„Die musculären Contracturen und consecutiven Deformationen 
werden leicht überwunden.“ „Die Mobilität des Gliedes und 
seine complete Vitalität bleiben erhalten.“ Die Muskelatro¬ 
phien schwinden sehr rasch und sind bei den ersten Versuchen 
der Rückkehr zur Function völlig beseitigt. 

Zu diesen wichtigen Schlußfolgerungen war Championniere 
durch klinische Beobachtung allein gelangt. In Bezug auf 
den experimentellen Theil der Frage konnte er anführen, daß 
der günstige Einfluß der Massage und Mobilisation für die 
Restitutio ad integrum der Weiehtheile in klarer Weise durch 
die Erfahrungen von Castex n. A. bewiesen war. 

Ueber das Verhalten der knöchernen Theile während 
des Processes der Wiederherstellung konnte er zur Stütze 
seiner klinischen Beobachtung bloß die Erfahrungen Tronetti’s 
citiren, der nachgewiesen hatte, daß bei großen Versuchs¬ 
tieren knöcherne Vereinigung trotz uneingeschränkter Bewe¬ 
gung zustande kommt, und jene Cagny’s, der angegeben hatte, 
daß die Reparation der Fracturen beim Hunde bei Immobili- 
sirung schlecht vor sich geht, gut bei geringgradiger Ein¬ 
schränkung der Bewegung, schlecht auch bei übermäßigen 
Bewegungen der betreffenden Gliedmaße. 

Im Monate April des vergangenen Jahres, 3 Monate vor 
dem bereits erwähnten Congresse, habe ich als erster im 
pathologisch-anatomischen Institute der Münchener Universität 
eine experimentelle Arbeit über Knoehenfracturen in Form 
einer Reihe von vergleichenden Untersuchungen an Thieren 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 4. 


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begonnen, um den Heilungsproceß bei verschiedenen thera¬ 
peutischen Methoden kennen zu lernen. 

Als Versuchsthiere (aus der Classe der Säugethiere) 
wählte ich Kaninchen, weil mir diese Thiere wegen ihrer 
gelehrigen Natur am meisten zu diesen Versuchen geeignet 
schienen. 

Die Versuchsthiere wurden in drei Serien eingetheilt: 

Eine Reihe wurde täglich massirt, frühzeitig mobilisirt 
und zwischen den Massagesitzungen im Fixationsverbande 
belassen, bis der Callus so fest geworden war, daß eine 
Dislocation der Fragmente nicht mehr ein treten konnte. 

Die zweite Reibe der Versuchsthiere erhielt einen im- 
mobilisirenden Verband und behielt denselben bis zur völligen 
Consolidirung der Fractur. 

Die dritte Versuchsreihe wurde der Naturheilung über¬ 
lassen. 

Es wurden 2 Monate alte Thiere ausgewählt. Ich legte 
Werth darauf, Thiere gleicher Art und gleichen Wurfes zu 
wählen. Die Thiere wurden nach Ablauf des Heilungsprocesses 
am gleichen Tage getödtet und der makro- und mikroskopischen 
Untersuchung unterzogen. 

Dies geschah mit Rücksicht auf die erfahrungsmäßige 
Verschiedenheit des Verlaufes von Fracturheilungen in ver¬ 
schiedenen Altersperioden. 

Im Alter von 2 Monaten ist das Kaninchen auch schon 
kräftig genug, um ohne Gefahr für seinen Allgemeinzustand 
die Folgen eines Knochenbruches zu überstehen. 

Ich hatte im Ganzen 66 Versuchsthiere. 15 dienten mir 
dazu, um anfangs die Modalität der Fracturirung und der 
Heilung präcisiren zu lernen, damit ich die folgenden Unter¬ 
suchungen exacter und gleichförmiger gestalten konnte; 21 
mußte ich wegen Accidentien während des Heilungsverlaufes 
außer Acht lassen, weil diese Zufälle, wenn auch nicht sonder¬ 
lich den nachfolgenden Vergleich erschweren konnten. 

Nur in einem einzigen, mittelst Immobilisirung geheilten 
Falle entwickelte sich an der Fracturstelle ein osteomyelitischer 
Proceß. Bekanntlich geben mehrere Autoren an, daß ein solches 
Vorkommniß bei Knochenfracturen der Kaninchen sich sehr 
lieh, häufig ereigne. 

Die restirenden 30 Versuchsthiere, in drei Gruppen ge- 
theilt, wurden an bestimmten Tagen während des Heilungs¬ 
verlaufes getödtet und der mikroskopischen Untersuchung 
zugeführt. 


Kaninchen der 

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1. 

2 . 
3. 
4- 

5. 

6 . 

7. 

8 . 
9. 

10 . 


Gruppe wurden getödtet 24 Stunden nach 


3 Tage 



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der Fracturirung 

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Ursprünglich hatte ich die Absicht, Querfracturen in 
der Nähe der Gelenke anzulegen, in der Erwartung, daß 
dann die minimale Verschiebung der Fragmente in der Serie 
der Massagethiere jedweden Verband überflüssig machen würde. 
Aus dem angeführten Grunde sind auch die periarticulären 
Fracturen für die Behandlung nach Championniebe am meisten 
geeignet. Ich mußte jedoch meine urspiüngliche Absicht wegen 
des physischen Unvermögens, die Fracturirungen gleichförmig 
zu gestalten, aufgeben. 

Das Trauma (die Fractur) wurde manuell in Aether- 
narkose erzeugt. Entsprach die Fractur nicht durchwegs den 
Anforderungen meiner Versuche, dann wurde das Thier unver¬ 
züglich beseitigt. 

Schwer war (in den Serien, die einen Verband erhielten), 
die Beschaffung eines leichten Apparates, der sich bequem 
anlegen und abnehmen ließ und Fixation der Fragmente, 
sowie der Gliedmaße bewirkte; sie gelang, indem ich Papp¬ 


schienen nahm, die durch Eintauchen in Wasser leicht erweicht 
und seitlich mittelst Pflasterstreifen befestigt wurden. 

Die Technik gestaltete sich ganz einfach. Nach Anlegung 
der Fractur wurden die Fragmente durch zwei ganz kleine, 
in Wasser modellirfähig gemachte Pappschienen wie in einem 
Gypsverbande in die richtige Lage gebracht. Ein 1 Cm. 
breiter und einen halben Meter langer Streifen amerikanischen 
Heftpflasters fixirte das Ganze besser als irgend ein anderer 
Immobilisirungsapparat. 

War so die richtige Lage der Fragmente sichergestellt; 
dann immobilisirte ich die Gliedmaße in toto in einem gleich¬ 
falls aus Pappschienen bereiteten, in Wasser erweichten und 
durch Pflasterstreifen fixirten Apparate. Ein wenig Watte 
an den vorspringenden Punkten diente zur Sicherung gegen 
Druck und dessen Folgen. 

Mit so einfachen Mitteln konnte ich, wenn die Fractur- 
stücke immobilisirt, Ruhe der Muskeln und der an die Fractur¬ 
stelle angrenzenden Gelenke gesichert war, ebenso einen 
glatten Heilungsverlauf verbürgen wie an den mit Immobili¬ 
sirung behandelten Fracturen menschlicher Knochen. 

Bei der mit Immobilisirung behandelten Thierserie blieb 
der Apparat bis zur völligen Consolidirung der Fragmente 
liegen. Sodann wurde er alle 6—7 Tage gewechselt, um die 
Beschaffenheit der Bruchstelle im Auge zu behalten. Auch 
bei der Massageserie war in den ersten Tagen die Anwendung 
eines Apparates nothwendig, um eine übermäßige Dislocation 
der Fragmente hintanzuhalten. 

Es war natürlich unmöglich, hei der der Naturheilung 
überlassenen Serie die Dislocation zu vermeiden. Diese Thier¬ 
serie diente ja übrigens bloß zur Feststellung der Thatsache, 
welche Rolle bei der Fracturheilung der Bewegung und 
welche der Massage zukommt. 

Relativ leicht gelang es mir, die Massagetechnik zu 
präcisiren. Die ersten Versuche machte ich in Narkose und 
verzichtete auf diese erst, als mir ihre Ueberflüssigkeit klar 
geworden war. Die Thiere blieben schon am Tage nach 
Anlegung der Fractur während der ganzen Manipulation 
ruhig. Der Apparat wurde überaus vorsichtig abgenommen, 
die Massage ganz sanft und jedesmal gleich lange ausgeführt. 
Es schien beinahe, als hätten diese Manipulationen beruhigend 
und schmerzstillend auf die Thiere eingewirkt. Nur manchmal 
waren diese bei Wiederanlegung des Apparates unruhig, 
weshalb zu dieser Zeit mit erhöhter Vorsicht vorgegangen 
werden mußte. Die Massagesitzungen werden täglich wieder¬ 
holt und dauerten 1 / t Stunde. Die Gliedmaße wurde vaselinirt, 
hierauf von der Fracturstelle aus zuerst oberhalb, später 
auch unterhalb derselben centripetal sanft gestrichen. Am 
Ende der Sitzung (und darin weicht meine Methodik von 
jener Championniere’s ab) massirte ich auch die Fracturstelle 
sehr sanft. Dies gelang mir auch ohne sonderliche Reaction 
von Seiten des Thieres. 

Vom 4. Tage an wurden leichte Gelenksbewegungen 
vorgenommen. 

Vom 5. Tage an, wenn die ersten Zeichen der Cohäsion 
des Callusgewebes sich bemerkbar machten, wurde der Apparat 
auf eine ganz kleine Schiene an der Hinterfläche des Beines 
reducirt und vom 7. oder 8. Tage an ganz weggelassen. 

Der klinische Verlauf meiner Versuche war im Ganzen 
folgender: Alsbald nach Anlegung der Fractur entwickelte 
sich in der Umgebung der Bruchstelle die gewohnteSchw.ellung, * 
theils durch Bluterguß, theils durch Gewebsinfiltration und 
anfangs auch durch die ersten Hei lungs Vorgänge. Die 
Schwellung nahm am 2. und 3. Tage immer mehr zu und war 
in der Massageserie stärker als in der iramobilisirten Serie. 
Schon am Ende des 3., deutlicher am 4. Tage, zeigte der 
provisorische Callus der Massageserie vermehrte Resistenz, 
wie sie in der anderen Serie niemals vor dem 5. Tage zu 
finden war. Der Unterschied in der Festigkeit der Callus- 
bildung wurde immer deutlicher, am 8. Tage war bei den 
massirten Kaninchen der Apparat schon überflüssig; bei den 

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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 4. 


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anderen (den immobilisirten) Thieren war zu dieser Zeit noch 
Dislocation an der Bruchstelle möglich; an das Weglassen 
des Apparates konnte vor dem 12. Tage nicht gedacht werden, 
wo der Callus der massirten Thiere bereits knöchern und in 
Resorption begriffen war. 

Einen durchaus knöchernen Callus fand ich an den 
mit einem Apparate versehenen Thieren nie vor dem 18. Tage. 
Während bei den massirten Kaninchen die volle Functions¬ 
tüchtigkeit ungefähr am 20. Tage wiederkehrte, war dasselbe 
bei den immobilisirten Thieren niemals vor dem 30. Tage 
zu beobachten. 

Die Erscheinungen an den der Naturheilung überlassenen 
Thieren näherten sich im Großen und Ganzen den an den 
Massagethieren beobachteten, nur war der Verlauf (die 
Ossification) langsamer, der provisorische Callus größer und 
die Deformation immer erheblich. 

Ich habe schon erwähnt, daß ich an allen Serien von 
Versuchsthieren den Heilungsverlauf vom 1. bis zum 36. Tage 
auch auf mikroskopischem Wege studirte. 

Die Thiere wurden mit Chloroform getödtet, die ge¬ 
brochene Gliedmaße wurde hierauf exarticulirt und nach 
Entfernung der Haut auf 3 Tage in 10%ige Formalinlösung 
gelegt. Dann wurde die Entkalkung vorgenommen. Zu diesem 
Zwecke bediente ich mich in vortheilhafter Weise einer 
saturirten Lösung von Acidum sulfurosum nach der Methode 
von Zieglee, die besser als jede andere Methode die Conser- 
virung der feinsten Structurelemente auch in großen Gewebs- 
stücken und im Zusammenhänge mit den Weicht,hei len ge¬ 
stattet. Die Stücke blieben 48 Stunden in dieser Lösung und 
kamen dann, ganz entkalkt, für 15—20 Stunden in fließendes 
Wasser und aus diesem für einen Tag in 70%igen, für einen 
zweiten Tag in 96%>g en Alkohol und für 2 Tage in ein 
Gemisch aus gleichen Theilen absoluten Alkohols und Aethers. 
Ich schloß in Celluloidin ein, da die Einschließung so großer 
und harter Stücke in Paraffin viel schwerer durchführbar ist. 

Ich gab der Methode Apathy’s den Vorzug. Dieser 
Autor läßt die Präparate 2 Tage in einer sehr dünnflüssigen. 
2 Tage in einer dickeren und 2 Tage bis zur völligen Er¬ 
härtung in einer ganz dicken Celluloidinlösung. Die Methode 
ist zwar langwieriger, doch verbürgt sie eine gleichmäßige 
Consistenz der gehärteten Präparate. 

Die Schnitte wurden vorwiegend mit Hämatoxylin und 
mit Methylenblau gefärbt; der Knochen färbt sich blau, 
Knorpel und anderes Gewebe violett. Manchmal nahm ich 
Cochenille, seltener Eosin, worin sich der Knochen lebhaft 
roth färbt. 

Bei der mikroskopischen Untersuchung wandte ich mein 
Augenmerk hauptsächlich den geringen Unterschieden in den 
derselben Gruppe (von Versuchsthieren) entstammenden Stücken 
zu, um zu erkennen, welche der Heilmethoden klinisch vor 
der anderen den Vorzug verdient. 

Auf die noch der Lösung harrenden Probleme in Bezug 
auf den Heilungsproceß will ich hier nicht näher eingehen. 

In allen meinen, der ersten Zeit der Callusbildung ent¬ 
stammenden Präparaten fand ich immer in geringerem oder 
höherem Maße Knorpelbildung. Ausnahmen lieferte nur die 
allererste Zeit, in der ich unzweifelhafte Belege für die 
Umwandlung von Knorpel in Knochen erheben konnte. Während 
sich an der Ossification Mark- und Knochenelemente in den 
Mark- und HAVERSi’schen Canälchen gleichmäßig betheiligen, 
wird das Knochengewebe des Callus hauptsächlich vom Periost 
aus gebildet. 

Durch active Proliferation der inneren Schichte entsteht 
die die Fragmente umgebende Callusmasse, und ihrer Activität 
ist es zuzuschreiben, daß die zwischen den Fracturenden 
befindlichen Zwischenräume sich mit neuem, später ver¬ 
knöcherndem Gewebe ausfüllen. 

Im Gegensätze zu der Angabe Ziegler’s undKAPSAMMER’s, 
daß die Neubildung von Knorpelsubstanz während desHeilungs- 
processes umso abundanter ist, je größer der Zwischenraum 


zwischen den Bruchenden war, konnte ich wiederholt beob¬ 
achten, daß die Entwickelung neuen Knorpels hauptsächlich 
im Verhältnisse zu den Bedingungen steht, welche die Blut- 
circulation in den lädirten Partien begünstigen. 

So wurde in meinen Präparaten Knorpel reichlich ge¬ 
funden, in der Massageserie und bei den der Naturheilung 
überlassenen Fällen, während die Knorpelbildung bei den 
mit Verbänden versehenen Thieren eine spärliche war, selbst 
in den Fällen, wo ein großer Zwischenraum zwischen den 
Bruchenden bestanden hatte. (Siehe z. B. Fig. 3.) 

Es folgt nun die getreue Wiedergabe der mikro¬ 
skopischen Befunde in meinen Präparaten : 

I. Gruppe (2 Stunden nach der Fractur): 

Reichliche Leukocytenansammlung inmitten coagulirten Blutes, 
die Gefäße der benachbarten Weichtheile, in den Markcanälchen, 
HAVERSi’schen Canälchen, am deutlichsten im Perioste, strotzend 
mit Blut gefüllt. Oedem der genannten Theile. 

Die Reactionsphänomene sind deutlicher in der Massage- und 
Selbstheilungsserie als in den Präparaten, welche von den immobili¬ 
sirten Gliedmaßen herstammen. 

II. Gruppe (3 Tage) : 

Die Unterschiede zwischen den Vergleichsserien sind deut¬ 
licher. Ueberall treten Reintegrationsphänomene in Erscheinung. 

In der Massageserie (Fig. 1) ist das Periost verdickt; es 
besteht neu gebildetes Gewebe mit reichlicher Gefäßbildung. Neben 
reichlichen neugebildeten Elementen findet man im Fracturgebiete 
zahlreiche Knorpelzellen. Die Knorpelneubildung findet speciell 
entlang dem Knochenrande statt, entsprechend der inneren Periost¬ 
schicht bis einige Millimeter nahe an die Bruchstelle. 

ln der Immobilisirungsserie sind die Reparationserscheinungen 
ungemein spärlich (Fig. 2). Wenig neugebildetes Gewebe, keine 
Knorpelspuren. 

Knorpelbildung ist auch bei den der Naturheilung über¬ 
lassenen Fällen, aber in geringerem Grade als bei der Massage¬ 
serie zu finden. Weniger deutlich bei den der Naturheilung über¬ 
lassenen als bei den Massagethieren ist die Neubildung von Gefäßen. 

III. Gruppe (4 Tage): 

In der Massageserie ist die Knorpelbildung noch reichlicher, 
schon dem bloßen Auge sichtbar geworden. Die Knorpelzellen, 
welche in der Gruppe II durch eine spärliche Zwischenschicht ge¬ 
trennt waren, sind am 4. Tage durch reichliche Intercellularsubstanz 
getrennt, die allenthalben von zahlreichen neugebildeten Gefäßen 
durchzogen ist. Reichlich und gut sichtbar ist auch bereits das 
trabeculäre, osteoide Gewebe zwischen Bruchenden und Knorpel¬ 
inseln. 

Bei den der Naturheilung überlassenen Fällen ist Knorpel¬ 
bildung reichlich, Gefäßneubildung spärlich; hingegen war keinerlei 
Knorpelbildung bei der 3. Serie auffindbar, wiewohl ich eine 
besonders große Zahl von Schnitten durchsuchte. 

IV. Gruppe (5 Tage): 

Massageserie: Reichliche Knorpelbildung in vorgeschrittener 
Entwickelung, die Zellen säulenförmig aufgereiht, nahe dem Zeit¬ 
punkte der Ossification. Die reichliche Grundsubstanz ist mehr 
getrübt, als in Gruppe III. Reichliche Neubildung von Gefäßen. 
Alle Charakteristica sind so wie bei den früheren Gruppen in der 
Massageserie am deutlichsten (Fig. 3). Bei dieser Gruppe ist die 
Knorpelsubstanz in den mit Fixationsapparaten behandelten Fällen 
in dem nämlichen Zustande wie bei den Massagefällen der Gruppe II, 
ausgenommen die geringergradige Gefäßbilduug; die Knorpelzellen 
sind unregelmäßig in spärliche Grundsubstanz eingebettet (Fig. 4). 
Die der Selbstheilung überlassenen Fälle dieser Gruppe stehen bis 
auf spärlichere Gefäßbildung und geringere Lebhaftigkeit des 
Heilungsprocesses den Massagethieren ziemlich nahe. 

V. Gruppe (8 Tage): 

Die Callusmasse ist bei der Massageserie schon erheblich 
groß. Zerstreut im Callus, zumal entlang den Rändern des frac- 
turirten Knochens und nahe der Fracturfläche, findet sich Knochen- 
bildung, besonders um die Bruchenden herum, und zwar bereits 
in solchem Maße, daß eine eventuelle Verschiebung der Fragmente 


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Wiener Medizinische Presse. — Nr. 4. 


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dadurch wohl verhindert werden kann. Bei den selbstgeheilten 
Fällen iet die Knochenbildung an einzelnen Punkten des Callus 
eben angedeutet. 

In der Serie der Apparatenthiere konnte ich trotz genauer 
Untersuchung keine Anzeichen von Ossification auffinden. Für diese 
Gruppe ist die Ueberlegenheit der Massage- über die Immobili- 
sationsmethode besonders wichtig und ins Auge springend. Ich habe 
je zwei Abbildungen beigelegt, die eine in schwacher, die andere 


starkem Knochengewebe besteht, das an Gefäßen reich ist, und 
nur an vereinzelten Stellen kleine, in Ossification begriffene Knorpel¬ 
inseln aufweist, ist er (der Callus) bei den beiden anderen Serien, 
zumal der mit Jmmobilisirung behandelten, größtenteils knorpelig, 
die Knocheninseln sind noch klein und gefäßarm. Diese Verände¬ 
rungen finden sich im nämlichen Verhältnisse in den Serien VII 
und VIII. In Serie IX und X ist der Callus bei allen Serien schon 
knöchern, doch bei der Massageserie blutreicher als bei den anderen, 



Fig. 2. 


in stärkerer Vergrößerung, welche die verschiedenen Bedingungen 
des Heilungsprocesses gut illustriren, und zeigt Fig. 5 das Massage¬ 
präparat in schwacher, Fig. 6 in starker Vergrößerung, Fig. 7 
das Apparatpräparat in schwacher, Fig. 8 in starker Vergrößerung. 

VII. Gruppe (12 Tage): 

Der Ossificationsproceß ist in allen Grappen deutlich; während 
aber der Callus in der Massageserie fast in seiner Totalität aus 



Fig. 4. 


und altem Knochen ähnlicher, zumal an seinem oberen und unteren 
Ende. 

Der klinische Verlauf und die mikroskopische Unter¬ 
suchung , die ich hier möglichst getreu geschildert habe, 
stimmen also darin überein, daß Massage und frühzeitige 
Mobilisation in der Hand des Chirurgen mächtige Handhaben 
sind, um bei Fracturen eine möglichst rasche (knöcherne) 
Callusbildung zu bewirken. 


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Agurin 


Farbenfabriken 

vorm. 

Friedr. Bayer & Co 
Elberfeld. 


Unter den gegenwärtig gebräuchlichen diuretischen Mitteln 
spielt das Theobromin sicherlich die hervorragendste Rolle. 
Allerdings ist diese Xanthinbase als solche wegen ihrer Schwer¬ 
löslichkeit in Wasser und der dadurch bedingten Schwierigkeit 
der Resorption nicht direkt anwendbar und auch ihr leicht lös¬ 
liches Natriumsalz infolge seiner stark alkalischen Reaction 
für den therapeutischen Gebrauch ungeeignet. Zur Ilerab- 
minderung seiner ätzenden Eigenschaften kann man nun das 
Theobrominnatrium mit einem andern organischen Salz com- 
binieren. So ist von Gram z. B. ein Doppelsalz aus Theobro¬ 
minnatrium und Natriumsalicylat angegeben worden, das leicht 
löslich und verhältnismässig wenig ätzend ist. Indessen ist das 
salicylsaure Natron häufig gerade bei den Indicationen, für die 
man das Theobromin verwendet, contraindiciert und auch 
nicht immer frei von Nebenwirkungen auf die Magenschleimhaut. 
Aus dieser Erwägung heraus hat Impens (Contribution ä l’etude 
des preparations solubles de la Theobromine, Gand 1901 ) 
eine andere Theobrominverbindung aufzufinden versucht und 
unter den hierfür in Betracht kommenden Salzen das Natrium¬ 
acetat als die therapeutisch geeignetste Componente festgestellt. 
Diese Doppelverbindung von Theobrominnatrium und essig¬ 
saurem Natrium ist das 


Agurin. 

Es stellt ein weisses, in Wasser leichtlösliches Pulver von 
salzig-bitterem Geschmack und schwach alkalischer Reaction 
vor. Es enthält ca. 60 % Theobromin, also erheblich mehr von 
dieser Base, als andere Verbindungen derselben. Dement¬ 
sprechend ist der diuretische Effekt ein sehr prompter 

D. 1. 


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und wird durch das im Organismus zu Carbonat verbrennende 
Natriumacetat nicht nur nicht beeinträchtigt, sondern sogar 
noch etwas unterstützt. Nach Destree erzielt man mit einer 
täglichen Dosis von 1,5 g. Agurin während 12 Tagen eine 
Vermehrung der Harnmenge von 1400 bis 4000 ccm.. 
Selbst bei nur geringem Vorhandensein von „mobiler“ Flüssig¬ 
keit in Form von Transsudaten, bei durch einseitigen Nieren¬ 
tumor physiologisch ausgeschalteter rechter Niere fand Litten 
Berlin noch unter alleiniger Darreichung von 3 g. Agurin 
Steigerung der täglichen Harnmenge von ca. 600 bis zu 2000 
ccm.. Diese Erhöhung der Ausscheidung erstreckt sich, was 
das Bemerkenswerteste ist, gleicherweise auf die harnsauren 
Salze und Chloride, wie auf die Phosphate im Harn. Nach 
den Beobachtungen Destree’s hält die Vermehrung der Aus¬ 
scheidung auch noch mehrere Tage nach Aufhören der Medi- 
cation an, und es kann selbst beim gesunden Menschen durch 
kleine Gaben Agurin eine Verdoppelung der 24 stündigen 
Harnsecretion hervorgerufen werden. Natürlich ist beim nor¬ 
malen Menschen eine derartige diuretische Wirkung nur aus¬ 
nahmsweise zu erwarten; denn in der Regel kann die tägliche 
Harnmenge durch Diuretica von der Art der Xanthinkörper nur 
dann eine Steigerung erfahren, wenn ein Wasservorrat in Form 
von Transsudaten im Körper vorhanden ist. 

Als Indicationen für das Agurin gelten alle mit hydro- 
pischen Ergüssen einhergehenden Krankheiten, besonders 
Stauungserscheinungen infolge incompensierter Herzklappen¬ 
fehler, cardialasthmatische und anginöse Beschwerden, cardialer 
und renaler Hydrops, Pleuritis exsudativa, Ascites, Nierenskle¬ 
rose, Nierentumor, interstitielle Nephritis, leichtere Fälle arterio¬ 
sklerotischer Schrumpfniere, etc. Weniger sicher wirkt das 
Agurin wie alle Diuretica der Xanthinreihe bei Hydropsieen 
nach parenchymatöser Nierenentzündung (Bright’scher Krankheit) 
und schwerer Schrumpfniere. 

Die Wirkung tritt rasch ein und erreicht ihr Maximum 
nach 2 bis 3 Tagen. Irgend welche unangenehmen Nebener¬ 
scheinungen sind nicht beobachtet worden; das Agurin alteriert 
weder den Magen, noch insbesondere das Herz, es ist vielmehr 
durchaus bekömmlich, selbst in Fällen, wo andere Theobromin¬ 
präparate schlecht vertragen werden. Nach Destree zeigen 


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bereits kleine Gaben bis zu 0,5 g. ausreichenden Effekt. Litten 
normirt als geeignetste Dosis die Darreichung von 3 Pulvern 
ä i,o g. täglich für Erwachsene. Damit wäre also die ge¬ 
bräuchliche Tagesgabe vom Agurin nur etwa halb 
so gross, wie von anderen gebräuchlichen Theo- 
brominderi vaten. 

Die Darreichung erfolgt entweder in Form von Pulvern 
(am besten wohl in Oblaten gehüllt), resp. Tabletten, oder in 
Lösung. Sirupe, insbesondere auch Fruchtsäfte und andere 
sauer reagierende Zusätze, fällen aus dem Agurin einen Teil 
unlöslichen Theobromins aus; als Geschmackscorrigentien sind 
daher Aqu. Menth, pip. oder einige Tropfen Ol. cinnamom. etc. 
zu verwenden, die den Geschmack des Agurins hinreichend 
verdecken 

Das Präparat muss, ebenso wie alle anderen Theobromin 
doppelsalze vor Feuchtigkeit und Luftzutritt sorgfältig 
geschützt werden, da sonst die aus der Luft angezogene 
Kohlensäure eine entsprechende Theobrominmenge ihres Lösungs¬ 
vehikels beraubt und die mit schlecht aufbewahrtem Agurin 
bereiteten Lösungen trübe aussehen würden, während sie bei 
richtiger Behandlung des Präparates klar sind. 


Rp. Agurin. 6,0 

Aqu. menth. pip. ad 200,0 

D. S.: In 2 Tagen zu verbrauchen. 

Rp. Agurin 6,0 

Spirit, menthae 2,0 
Aqu. dest. ad 200,0 

D. S.: 3 stündlich einen Esslöffel voll z. n. 

(NB. Als Geschmackscorrigens kann nach Belieben auch 01. cinnamom. gtt. II 
oder Liqu. Ammon, anis. 2 , 0 , oder Tr. aromatic. 5,0 verschrieben werden, als 
Süssmittel KrystalIsyco.se 0,02 — 0 , 04 .) 

Rp. Agurin. 1,0 

dt. dos. VI ad chart. cerat. 

D. S.: 3 mal täglich 1 Pulver in Oblaten zu nehmen. 


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Klinische Mitteilungen. 

Prof. l)v. DES TltEE- lirässel (Bulletin General de Therapeuliqut 
No. 24, 1901), der in der Sitzung vom 12. Juni 1901 der Sociele de Thera- 
peutique in Paris über seine im Höpital Saint-Jean zu Brüssel mit Agurin 
angestellten Versuche berichtet, erklärt das Agurin für ein gutes Diureticum, 
welches wegen seiner geringen ätzenden Eigenschaften gut vertragen wird 
und schon bei relativ schwachen Dosen (0,25 — 0,50 g. pro die) wirkt. — 
1,5 g. ruft eine starke Diurese hervor (Steigerung der täglichen Harnmenge 
um 70— 140 °/ 0 ). — Agurin vermehrt nicht nur die Menge des Wassers, 
sondern auch diejenige der festen Bestandteile des Harns. Die Wirkung 
ist eine langandauernde; sie ist selbst noch bis zu einer Woche nach dem 
Aufhören der Medication bemerkbar. 

Bei Nierenkrankheiten soll das Mittel (wie alle Xanthinbasen) nur mit 
einer gewissen Vorsicht gebraucht werden, weil es nur dann Erfolg haben 
kann, wenn das Nierenepithel noch genügend functionsfähig ist. 

Prof. Dr. LITTEN, Direktor den Städtischen Krankenhauses 
Gitschinerstr. in Berlin hat am 4. November 1901 im „ Verein für innere 
Medicin “ das Agurin zum Gegenstand eines Vortrages gemacht, in welchem 
er, auf Grund etwa halbjähriger Beobachtungen, zu folgenden Schlüssen 
gelangt: 

Bei gleicher diuretischer Wirksamkeit besitzt das Agurin den Vorzug 
vor dem Theobromin. natrio- salicylic., dass es neben dem Theobromin keine 
differenten Bestandteile (Salicylsäure) enthält. Das im Agurin enthaltene 
Natrium aceticuin ist ein Mittel, welches man seit langem bei den gleichen 
Indicationen anwendet, wie das Theobromin 

ln Form des Agurins wird das Theobromin glatt vertragen, auch dann, 
wenn andere Theobrominderivate schlecht vertragen werden. 

Es ist zunächst bei allen hydropischen Erscheinungen indiciert, be¬ 
sonders bei Stauungserscheinungen infolge von Herzklappenfehlern. Seine 
Wirkung wird durch vorangegangene oder gleichzeitige Darreichung der 
Digitalis unterstützt. Sein Angriffspunkt ist, im Gegensätze zur Digitalis, 
nicht das Herz, sondern die Niere. Am promptesten wirkt es bei intacter 
Niere, doch reagiert auch mitunter eine leichte, besonders chronische 
interstitielle Nephritis. 

San.-Bat Dr. OSTROWICZ, Landeck i. Schl. (Therapeut. 
Monalsh. No. /, 1902) berichtet über einen interessanten Fall von Insufficienz 
der Mitralis, verbunden mit Atemnot, allgemeiner Schwäche und Leber¬ 
schwellung, bei dem die sonst üblichen Mittel schliesslich versagten, die 
Diurese selbst nach Digitalis-Infus nicht stieg und das Oedem immer grösser 
wurde. 

In dieser misslichen Lage brachten 3 g. Agurin pro die die erwünschte 
Erleichterung. Am ersten Tage war die Diurese 1500 ccm., den nächsten 
Tag 2000, am 3. Tage 2000, am 4. 2250. Das Oedem verschwand: am 
5. Tage Diurese 2000, am 6. 1500, am 10. Tage 1250. Das Oedem ist voll¬ 
ständig verschwunden und das Wohlbefinden hält an. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 4. 


170 


Die Thatsache, daß bei der der Naturheilung überlassenen 
Serie der Heilungsproeeß ein minder günstiger war als bei 
der Massageserie, bestätigt in hohem Maße den Werth der 
Massage als therapeutisches Agens. 

Wir können also in bestimmter Weise behaupten, daß 
die Methode Championniere’s eine Idealmethode ist, um Wieder¬ 
vereinigung und knöcherne Consolidirung bei Fracturen zu 
erreichen. 


Nicht aus diesem Grunde allein aber wären , wie ich 
glaube, Mobilisation und Massage zum alleinigen Systeme in 
der Fracturtherapie zu erheben. Um den früheren anatomischen 
und functioneilen Zustand eines Knochens wieder zu erreichen, 
dessen Continuität unterbrochen wurde, müssen wir nicht bloß 
auf rasche und gute Callusbildung allein bedacht sein, sondern 
auch auf die Form des Knochens, die ja für die Functions¬ 
tüchtigkeit der Gliedmaße von außerordentlichem Werthe 



Fig. 6. 

Die reichliche Gefäßbildung bei der Massageserie erweist 
die Eignung dieser Methode, wo es sich darum handelt, 
Resorption des comprimirenden und anämisirenden Extra¬ 
vasates, locale Circulation und Förderung des natürlichen 
Heilungsvorganges zu bewirken. Im Gegensätze hiezu ver¬ 
ursacht das ständige Liegen und der Druck eines Apparates auf 
die Bruchstelle Verlangsamung des Heilungsprocesses, der ja 
an die locale Bedingung einer guten Circulation gebunden ist. 


Fig. 8. 

ist. Hiefür ist allerdings oftmals die Anlegung eines tempo¬ 
rären Apparates und permanenter Traction unerläßlich. 

Um mein Thema nicht allzuweit zu überschreiten, präcisire 
ich also: Massage und Mobilisation sind für die Therapie 
jener Fracturen geeignet, die ohne Dislocation der Fragmente 
einhergehen und für jene Fälle, wo man die Anlegung von 
temporären Apparaten mit methodischer Massage verbinden 
kann. 

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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 4. 


172 


Massage und frühzeitige Mobilisation sind zweifellos für 
die Mehrzahl der articulären und paraarticulären Fracturen, 
die ohne Dislocation einhergehen, geeignet. Massage wird sich 
schließlich manchmal auch der Tractionscur zugesellen können, 
wenn, wie z. B. in Deutschland, kein die Bruchstelle völlig 
deckender Apparat zur Anwendung gelangt. In den Fällen 
von Fractur mit Dislocation wende man möglichst bald die 
Massage an, d. h. schon zu einer Zeit, wo die Fragmente 
bereits so stark Zusammenhängen, daß die Gefahr einer 
erneuten Dislocation nicht vorliegt. Dies gilt zumal für 
bejahrte Leute, bei denen die Möglichkeit von bindegewebiger 
Wiedervereinigung und Verzögerung der Callusbildung immer 
im Auge zu behalten ist. 

Zum Schlüsse erlaube ich mir, dem Director des patho¬ 
logisch-anatomischen Institutes in München, Herrn Prof. 
Bollinger, für das mir bewiesene Entgegenkommen und 
Herrn Prof. Dürck für seine werthvollen Rathschläge den 
besten Dank zu sagen. 


Zur Behandlung des Ileus. 

Von Dr. L. Chaseel in Wien. 

Gegen Ende des Jahres 1899 ließ Bätsch (1) in der 
„Münch, med. Wochenschr.“ zwei kurze Aufsätze erscheinen, 
welche von überraschenden Heilwirkungen zu erzählen wußten, 
die er unter Controle seiner Collegen, der Herren Dr. Gebscher, 
Festner nnd Scheumann, durch Behandlung von Ileus mit 
subcutanen Injectionen von übermaximalen Dosen von Atropin 
(0 03 !— 0*05 !) erzielt haben wollte. Die Idee hiezu will er 
aus dem Werke des bekannten preußischen Feldchirurgen 
Theden (1788) entnommen haben; für die Atropinbehandlung 
geeignet bezeichnet er adynamische Formen des dynamischen 
Ileus (Schlange). Die in der Form ebenso bescheiden wie in der 
Sache bestimmt auftretende Mittheilung scheint in weiteren 
Kreisen (namentlich der praktischen Aerzte) ungemein anregend 
gewirkt zu haben, denn eine Reihe von Beobachtern, welchen 
die „Münch, med. Wochenschr.“ gastlich ihre Spalten öffnete, 
berichten in der nächsten Zeit über ihre größtentheils aus¬ 
gezeichneten Erfolge. Es zeigte sich wieder die bekannte, 
oft beklagte und doch begreifliche Scheu, ungünstige Fälle zu 
veröffentlichen, verbunden mit dem Bestreben, auch Mißerfolge 
günstig umzudeuten. Die Klinik, statt dem Taumel ex cathedra 
Halt zu gebieten, hat nur sozusagen officiös durch Gebele ( 2 ) 
die Behandlungweise verworfen. Ich halte es aber für nothwendig 
— soweit Textkritik bei realer Wissenschaft genügt — aus 
den Veröffentlichungen heraus die Erfolge als Scheinerfolge 
nachzuweisen, dabei aber auf die unleugbaren, in mancher 
Hinsicht heilenden Atropin Wirkungen hinzuweisen. Als wirk¬ 
liche Ileustherapie muß mit der Atropinbehandlung aufgeräumt 
werden, bevor mehr Unheil angerichtet wird. 

Die meisten Autoren haben sich freilich die Sache sehr 
leicht gemacht. Die Krankengeschichte lautet dann gewöhnlich 
so: Patient erkrankt unter Erbrechen und Bauchschmerzen; seit 
so und so viel Tagen kein Stuhl und keine Winde; Morphium¬ 
therapie und hohe Einläufe (bis 22 ! Liter) erfolglos, Operation 
unmöglich oder verweigert; Injection von 0 ' 03 !— 005 ! 
Atropinum sulfuricum; Atropinvergiftung und Schwinden der 
Oeclusionserscheinungen. Aus solchen Krankengeschichten 
lassen sich natürlich keine Schlüsse ziehen, ich muß dem 
Verfasser die Darmocclusion und Atropinheilung einfach 
glauben. Das sind die Fälle von Bätsch (1 u. 3 ), Aronheim ( 4 ), 
Dietrich ( 5 ), Adam (6), Gättgens ( 7 ), Holz (8), Demme ( 9 ), 
Lüttgen ( 10 ) und Moritz ( 21 ). Für eine Kritik geeignet sind 
nur die im folgenden zu erörternden Beobachtungen, seien es 
nun Heilungen, aber mit präciser Diagnose der Ursache des 
sogenannten Darmverschlusses, seien es Todesfälle. So berichtet 
Ostermayer (11 u. 12 ) (einer der wenigen, welche sich die 
mystische Atropinwirkung zu erklären versuchen) über zwei 
Heilungen. In einem Falle stellt er selbst die Diagnose auf 


Pseudo ileus; der zweite Kranke litt an 35tägigem glatten 
Darm Verschluß, was schon als Obstipation sehr merkwürdig 
ist, als Occlusion direct unglaublich wäre. Marcinowski (13) 
hat zwei Heilungen ; einmal bei Enteritis membranacea, das 
anderemal bei Verschlußerscheinungen nach Reposition einer 
incarcerirten Hernie (peritoneale und innere Strictur) Garre 
(14). Pritchard (15) heilt einen durch Gallenstein bedingten 
Obturationsileus. 

Letalen Ausgang beobachten Gebele ( 2 ) (bei Volvulus), 
Höchtlen (16) (Incarceration war wahrscheinlich durch Carcinom 
bedingt) und Bofinger( 17 ) (Volvulus und Hernia incarcerata!). 
Hieher gehört auch ein Fall von Bätsch ( 3 ), bei dem nach 
erfolgloser Atropinbehandlung die Laparotomie Einklemmung 
durch einen peritonealen Strang nachwies, aber noch Heilung 
bringen konnte. 

Die Casuistik läßt sich also zwanglos in drei Gruppen 
bringen. Zuerst Fälle, die evident Darmocclusion waren und 
bei denen die Atropintherapie fehlschlug; zweitens Fälle, 
welche unter Atropingebrauch heilten, aber keine Darm- 
occlusionen waren; für die dritte Gruppe bleiben also die 
Heilungen ohne exacte Diagnose. Es ist aber naheliegend au- 
zunehmen, daß wir es hier nicht mit wirklichem Darm¬ 
verschluß, sondern im äußersten Falle mit Pseudoileus zu 
thun hatten. Man muß sich also klar darüber sein, daß das 
Atropin in der Ileustherapie nichts zu suchen hat, ja vielleicht 
durch anscheinend subjective Besserung die Vornahme eines 
rechtzeitigen operativen Eingriffes verhindert, also direct 
schädigend wirkt, um es ebenso wie die seinerzeit em¬ 
pfohlenen Magenausspülungen zu verwerfen. 

Was leistet aber das Atropin und warum hat seine An¬ 
wendung bei Ileus solchen Anklang gefunden. Wenn wir vom 
sagenhaften Theden absehen, geht die Belladonnatherapie auf 
Tbousseau (18) zurück, welcher das Atropin — sei es allein, 
sei es in Combination mit Opium — bei verschiedenen Darm¬ 
leiden empfahl und ihm einen tonisirenden, das heißt den 
normalen Tonus des Darms herstellenden Einfluß zuschrieb. 
Die Pharmakologen scheinen aber im Ganzen anderer Meinung 
zu sein. So erinnere ich mich noch aus meiner Studentenzeit, 
daß Nothnagel gegen die Darmatonie im Verlauf des Typhus 
abdominalis Physostigmin oder Infusum fabae Calabar, also 
ein dem Atropin antagonistisches Mittel empfahl. Doch scheint 
thatsächlich den Belladonnapräparaten dieser tonische Einfluß 
zuzukommen. Ich verfüge über zwei eigene Beobachtungen 
bei spastischer und paralytischer Darmatonie, wo unter 
Atropinmedication (innerlich und in kleinen Dosen) einmal 
der paretische Darm zur Norm zurückkehrte, das anderemal 
die Contraction einer geblähten Schlinge sofort nachließ. Wenn 
ich wollte, könnte ich den letzteren Fall als beginnende Darm¬ 
occlusion mit WAHL’schen Symptomen deuten und zur Stützung 
der Ansichten von Bätsch verwenden. Ich glaube aber im 
Gegensätze zu ihm alle in die erstere Gruppe fallenden 
Krankheitsbilder als Störung des Darmtonus, sei e3 toxischen, 
sei es mechanischen (enteroptotischen) Ursprungs aussprechen 
zu dürfen, bei denen dann Atropin seine Heilkraft entfaltete. 
Einen Erfolg hat seine Arbeit jedenfalls für sich in Anspruch 
zu nehmen. Sie zeigt das Versagen der Morphiumtherapie 
bei gewissen Darmstörungen. Während noch im vorigen Jahr¬ 
hundert die Art der Opiumwirkung strittig schien; — Syden- 
ham( 19 ) lehrte: „Opium mehercle sedat“; Brown aber: „Opium 
mehercle excitat“ —, hat wenigstens für die letzten Jahrzehnte 
nur die erste Ansicht Geltung gefunden. Ich möchte aber gerade 
in dieser Sache auf einen Vortrag verweisen, den Pal ( 20 ) in 
der Gesellschaft der Aerzte in Wien hielt und der sich mit 
der Reizwirkung des Morphiums beschäftigte ; vielleicht werden 
diese beiden Thatsachen — Reiz des Morphiums und be¬ 
schränkte Heilwirkung des Atropins — diesem einen, wenn 
auch bescheidenen Platz in der Darmtherapie verschaffen. 

Was bleibt aber übrig, wenn bei einer wirklichen Darm¬ 
sperre Morphium und Atropin versagen, die Laparotomie 
verweigert wird oder unmöglich ist, und die allein helfenden 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — - Nr. 4. 


174 


Injectionen nach Bätsch conform unseren Ausführungen nicht 
applicirt werden dürfen. Ich möchte da die Collegen auf ein 
altes, wenn auch im letzten Jahrzehnt verworfenes Hilfsmittel 
wieder aufmerksam machen, auf die Darmpunetion. In dem 
eben in Vollendung begriffenen Handbuch der praktischen 
Chirurgie, einem wahren Standard work, hat v. Mikdlicz ( 22 ) 
wieder auf sie hingewiesen, und ich kann nichts Besseres thun, 
als seine Ansichten über Indication und Ausführung wörtlich 
wiederzugeben, wobei ich aber vorgreifend und im Wider¬ 
spruche mit ihm die Verhinderung des Austrittes von Darm¬ 
inhalt nicht dem von ihm wieder aus der Vergessenheit 
hervorgeholten PiROGOFF’schen Schleimhautpfropf zuschreibe, 
sondern conform mit Katayama ( 23 ) annehme, daß dies durch 
die Incongruenz der in den verschiedenen Schichten der 
Darm wand durch ein stechendes Instrument gesetzten Spaltungs¬ 
linien seinen Grund hat. Auch seine Angst vor derPunction mit 
Flüssigkeit gefüllter Hohlräume kann ich nach eigenen (24) 
Erfahrungen nicht theilen. 

Mikulicz schreibt: „Während in Bezug auf die Zulässig¬ 
keit und Zweckmäßigkeit der Darmpunetion behufs Entspan¬ 
nung des stark geblähten Darmes bei eröffneter Bauchhöhle 
kein Zweifel bestehen kann, da wir die kleine, unter der 
Controle des Auges gesetzte Lücke sofort durch Darmnähte 
verschließen können, sind die Meinungen in Bezug auf den 
Werth der Darmpunetion bei geschlossenen Bauchdecken getheilt. 

In Frage kommt die Darmpunetion bei hochgradigem 
Meteorismus, und zwar einmal als temporär wirkendes Mittel, 
falls wir nicht in der Lage sind, sofort zu einem radicalen 
Eingriff zu schreiten, in seltenen Fällen kann aber die Darm- 
punction in Verbindung mit anderen Maßnahmen (Darm¬ 
spülung) auch zur Heilung führen. 

Wir waren früher entschiedene Gegner dieser kleinen 
Operation, haben uns aber auf Grund einer Reihe von zweifellos 
günstigen Erfolgen und auf Grund der Erfahrung, daß wir 
durch die Darmpunetion nie geschadet haben, zur gegentheiligen 
Ansicht bekehrt. Man kann im Wesentlichen zwei Vorwürfe 
der Darmpunetion durch die uneröffneten Bauchdeeken machen: 

1 . daß durch die Punctionscanüle nicht genügend Gase ent¬ 
leert werden, um eine ausreichende Entlastung herbeizuführen, 

2. daß durch die gesetzte, wenn auch feine Lücke der Darm¬ 
wand infectiöser Inhalt in die Bauchhöhle treten und Peritonitis 
verursachen kann, sobald die Canüle entfernt ist. Was den 
ersten Punkt betrifft, so ist der Effect allerdings ein ver¬ 
schiedener; er hängt nicht nur von der Spannung des 
meteoristisch aufgetriebenen Leibes, sondern auch von der 
Contractionsfähigkeit der Darmmusculatur ab. Bei totaler 
Darmparalyse (z. B. bei weit fortgeschrittener Peritonitis) wird 
man durch Punction nur die getroffene und die unmittelbar 
benachbarten Schlingen entleeren können. Ist aber die Darm¬ 
musculatur noch leistungsfähig, wie in den meisten Fällen 
von mechanischem Ileus, so kann man durch die Punction 
einen oft recht erheblichen Effect erzielen. Die Entleerungder Gase 
durch die feine Canüle geht natürlich nur langsam vor sich, 
es dauert x / 2 bis 1 Stunde und länger, ehe eine volle Wirkung 
erreicht ist. Wenn man aber Geduld hat, so wird die Spannung 
der Bauchdecken in vielen Fällen wesentlich herabgesetzt, 
der Hochstand des Zwerchfells verringert und dadurch den 
Kranken zum mindesten eine erhebliche vorübergehende Er¬ 
leichterung verschafft. In manchen Fällen wird durch die 
Darmpunetion Zeit gewonnen, falls ein radicaler Eingriff aus 
äußeren Gründen oder wegen der noch nicht genügend fest¬ 
gestellten Diagnose aufgeschoben werden muß. In seltenen 
Fällen von mechanischem Ileus kann zweifellos eine aus¬ 
reichende Entspannung die Vorbedingung zur spontanen Lösung 
des Hindernisses abgeben, wenn dasselbe auf nicht operativem 
Wege überhaupt gelöst werden kann (Volvulus-Knickung). 
Der zweite Einwand, daß die Darmpunetion eine Peritonitis 
veranlassen kann, scheint a priori sehr berechtigt, ist aber 
sicher unbegründet, wenn man eine feine Canüle verwendet, 
die nicht viel stärker ist als die Nadel einer PRAVAz’schen 


Spritze. Sie reicht aus, um die unter starkem Druck stehenden 
Gase allmälig entweichen zu lassen. Die durch eine so feine 
Canüle gesetzte Lücke der Darmwand klafft keineswegs, wie 
manche sich vorstellen mögen. Wir wissen aus Erfahrung, 
daß selbst größere Lücken in der Darmwand durch die sich 
vordrängende Schleimhaut ventilartig verschlossen werden. 
Dies trifft hier vollends zu. Wir haben von der Darmpunetion 
weder in den geheilten Fällen den geringsten Schaden gesehen, 
noch bei Obductionen nachtheilige Folgen feststellen können. 
In der Regel ist die Punctionsöffnung in autopsia gar nich^ 
aufzufinden. 1 ) 

In Bezug auf die Technik der Darmpunetion ist Folgen¬ 
des zu bemerken. Womöglich führen wir dieselbe in der Linea 
alba, sonst an einer anderen nicht zu abhängigen Stelle aus, 
an der wir sicher keine größeren Gefäße verletzen (Art. epi- 
gastrica). Selbstverständlich muß an der betreffenden Stelle 
tympanitischer Schall vorhanden sein. Die feine Canüle wird 
zunächst ohne Verbindung mit der Spritze senkrecht einge¬ 
stochen , bis Gas unter einem leicht zischenden Geräusch 
austritt. 

Manchmal verstopft sich die Canüle während der Ein¬ 
führung durch Gewebsstücke , die sie auf dem Wege in das 
Darmlumen aufgenommen hat oder durch ein Partikelchen 
des flüssigen Darminhaltes; das letztere geschieht auch häufig 
später während des Durchgehens der Gase. In diesem Falle 
aspirirt man die steckengebliebenen Theile mit der angesetzten 
Spritze. Läßt die Spannung des Leibes nach, so entwickelt 
das aus3trömende Gas kein hörbares Geräusch mehr, man 
controlirt dann das Functioniren der Canüle durch eine vor¬ 
gehaltene kleine Flamme (Wachskerze, Streichholz). In der 
Regel ist das ausströmende Gas durch seinen penetranten 
Geruch bemerkbar. 

Die Canüle bleibt — 1 / 2 —1 Stunde lang liegen, solange 
Gas ausströmt, dann wird sie mit einem Ruck entfernt. Die 
Punction kann, wenn der Meteorismus wiederkehrt, selbstver¬ 
ständlich an derselben, besser jedoch an einer anderen Stelle 
wiederholt werden.“ 

Literatur: 1. Bätsch, „Münch, med. Wochenschr.“, 1899, Nr. 45 
und 51. — 2. Gebele, ibidem, 1901, Nr. 33. — 3. Bätsch, ibidem, 1900, 
Nr. 28- — 4. Akonheim, Ileus und Atropin, ibidem, 1901, Nr. 33. — 

5. Dietkich, Fall von Ileus mit Atropin behandelt, ibidem, 1901, Nr. 8- — 

6 . Adam, Ein schwerer Obturations-Ileus durch Atropin und Ol. oliv, geheilt, 

ibidem, 1901, Nr. 17- — 7. Uättgens, Ein Fall von Ileus mit Atropin be¬ 

handelt, ibidem, 1901, Nr. 17- — 8. Holz, Zur Atropinbehandlung des Ileus, 
ibidem, 1900, Nr. 48. — 9. Cael Demme, Weitere Beiträge zur Atropinbehandlung 
des Ileus, ibidem, 190ü, Nr. 48- — 1Ö. Lüttges, Zur Atropinbehandlung de3 
Ileus, ibidem, 1900, Nr. 48- — 11. Ostekmayer, Zur Darmwirkung des Atropin, 
ibidem, 1900, Nr. 49. — 12- Ostermayer, 35tägige Obstipation mit glattem 
Darmverschluß, ibidem, 1901, Nr. 27. — 13. Marcinowski, Zur Atropin¬ 
behandlung des Ileus, ibidem, 1900, Nr. 43- — 14. Garbe, Beiträge zur 
kliu. Chirurgie, 1892, IX, 1. — 15. Pritchard, Darmverschlnß durch 

Gallenstein, „Münch, med. Wochenschr.“, 1901, Nr. 33 — 16. Höchtlen, Ein 
weiterer Fall von Ileus mit Atropin behandelt, ibidem, 1901, Nr. 12. — 

17. Boeinger, Zur Atropinbehandlung des Ileus, ibidem, 1901, Nr. 17. — 

18. Trousseau, Clinique m6dicale des hopitaux de Dieu, T. II, pag. 493 u. 494 
(cit. n. 11). — 19. Cit. nach Albert, Lehrbuch der Chir., III. Aufl., Bd. III. 
— 20. Pal, „Wiener med. Presse“, 1901, Nr. 44- — 21. Moritz, Belladonna¬ 
behandlung bei Darmsperre. „St. Petersburger med. Wochenschr.“, 5 ex 1901, 
cit. nach „Münch, med. Wochenschr.“, 1901, Nr. 10. — 22. v. Mikulicz, Hand¬ 
buch d. praktischen Chirurgie, Bd. III, pag. 210 ff. — 23. Katayama, cit. 
nach Hoffmann, Lehrbuch d. geriehtl. Medicin. — 24. Ciiassel, Klin. Erfah¬ 
rungen über die Punctionen der entzündlichen Adnexgeschwülste durch die 
Scheide. „Wiener med. Wochenschr.“, 1892, Nr. 52 und folgende. 

*) Im Gegensatz hiezu verwerfen wir die Punction anderer, ausschlie߬ 
lich Flüssigkeit haltender Hohlräume durch die freie Peritonealhöhle hindurch 
vollständig, falls sie nicht den Zweck haben soll, über die Ausführung einer 
sofort auszuschließenden Laparotomie zu entscheiden, durch welche der durch 
die Punction angerichtete Schaden beseitigt werden kann (z. B. Echinococcus). 
Insbesondere ist auch die Punction der Gallenblase zu verwerfen, da ihre 
knappe Schleimhaut nicht wie beim Darm die gesetzte Lücke ventilartig ver¬ 
schließt. Wir haben uns an der durch Laparotomie bloßgelegten normalen und 
erkrankten Gallenblase wiederholt davon überzeugt, daß selbst aus der feinsten 
Punctionsöffnung continuirlich Inhalt nachsickert. 


2 * 

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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 4. 


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Zur Lehre von den Neurosen des peripheren 
Kreislaufsapparates. 

(Ueber vasomotorische Ataxie.) 

Von Dr. Hans Herz in Breslau. 

(Fortsetzung.) 

Das Verhalten des Nervensystems. 

Eine sorgfältige Analyse des psychischen Verhaltens 
unserer Kranken ist für ihr Verständnis und ihre Behand¬ 
lung unerläßlich; gerade hier werden sich Unterschiede von 
anderen Formen der Nervosität ergeben, die eine gesonderte 
Betrachtung der vasomotorischen Ataxie rechtfertigen. 

Die Kranken sind zum allergrößten Theile sehr d e p r i- 
mirter Stimmung. Manchmal handelt es sich ja um durchaus 
nervöse Individuen, hysterische und neurasthenische Subjecte. 
Und auch wo, wie nicht selten, andere nervöse Symptome 
fehlen oder nur angedeutet sind, ist oft, wie im ätiologischen 
Theile erörtert, ein sehr tiefes Gemüthsleben. sind schwere 
Affecte die veranlassenden Ursachen des Leidens. Aber auch 
abgesehen davon bietet dasselbe Veranlassung zur Verstim¬ 
mung zur Genüge. 

Das seelische Gleichgewicht hängt sicher in recht be¬ 
trächtlichem Grade davon ab, daß der Organismus aus allen 
seinen Theilen normale, dem jeweiligen Thätigkeitszustande 
entsprechende Signale zu dem Sitz des psychischen Betriebes 
sendet. Und nun denke man sich, wie im Körper dieser Un¬ 
glücklichen ungemein häufig — denn kleine Schwankungen 
sind jedenfalls unendlich zahlreicher, als die großen, direct 
wahrnehmbaren — abnorme Nachrichten centralwärts gesandt 
werden, man denke sich die percipirenden Organe selbst nicht 
genügend motivirten Kreislaufsschwankungen ausgesetzt: so 
wird man begreifen, daß Unlustgefühle nicht definirbarer 
Art, eine innere Unruhe, die Kranken beherrschen. Dazu 
kommen Angstzustände: nicht nur die Angst vor sich ent¬ 
wickelnden lebensgefährlichen Erkrankungen, denen die Sym¬ 
ptome ähneln, sondern auch die rein körperlichen Angstzu¬ 
stände, welche Kreislaufsstörungen in cerebro und am Herzen 
begleiten: Kopf- und Herzangst. Auch die Schlaflosigkeit, 
die theils durch allerlei abnorme Sensationen, theils schon 
durch geringe hyperämische Zustände im Gebiete der Kopf¬ 
gefäße unterhalten wird, trägt das Ihrige zu der deprimirten 
Stimmung der Kranken bei. Endlich ist bei vielen derselben 
auch der Kampf gegen das Leiden, der Versuch, die Anfälle 
nicht sowohl zu unterdrücken, aber zu verbergen, und das 
gewöhnliche Unterliegen dabei eine schwere Schädigung des 
Gemüthslebens. 

So erklärt sich das psychische Verhalten vieler dieser 
Kranken. Ein Theil ist mürrisch und launenhaft, von geringer 
Entschlußfähigkeit; aber auch wo das Verhalten der Außen¬ 
welt gegenüber intact bleibt, geben sich die Kranken in ihrem 
Innern den traurigsten Gefühlen hin, ja verzweifeln an ihrer 
Zukunft. Sie bedürfen dringend der Beruhigung und des 
Trostes, nicht nur aus subjectiven Gründen, sondern auch, 
weil die gemüthliche Depression die Labilität des Gefäßsystems 
unterhält und erhöht. 

Will man aber dem Kranken das Gefühl des Vertrauens 
einflößen und sein Seelenleben beherrschen, so muß man genau 
wissen, was man von ihm fordern kann und was nicht. Die 
obigen Ausführungen über die Aetiologie der Gefäßneurosen, 
mehr fast noch das normale Verhalten des Menschen lassen 
die engsten Beziehungen zwischen Affecten und Kreislaufs¬ 
störungen erkennen. Dem gegenüber erscheint es höchst merk¬ 
würdig, daß der bewußte Wille so gar keinen oder doch 
nur sehr minimalen Einfluß auf den peripheren Kreislaufs¬ 
apparat besitzt. Unter normalen Verhältnissen kaum constatir- 
bar, scheint ja bei -gewissen Individuen, besonders nervösen, 
ein solcher Einfluß zuweilen nachweisbar; aber es ist nicht 
unwahrscheinlich, daß dabei durch Vorstellungen ein lebhafter 


Affect und erst durch diesen die Aenderung des Kreislaufs 
zustande kommt. Diese Differenz in der Wirkung der einfachen 
in unserem Intellect auftauchenden Vorstellung und der mit 
starker Gefühlsbetonung verbundenen Vorstellung fordert zu 
Erklärungen heraus. 

A. Morison 47 ), der sich auch mit dieser Frage beschäftigte, 
führt zur Erklärung eine alte Theorie von J. Johnstone an, 
welcher die peripheren Ganglien als Hindernisse für den 
Willens Vorgang betrachtete. Während die sensiblen Fasern 
von unseren Eingeweiden her ohne Verzweigung zum Central¬ 
nervensystem laufen sollen, so daß sensible Impulse von dort 
ins Bewußtsein gelangen, sollen infolge der Verzweigungen 
der absteigenden Fasern in den dazwischen geschalteten 
Ganglien die Willensimpulse aufgehalten werden. Ich glaube 
kaum, daß eine so grob anatomische Erklärung befriedigend 
ist. Eine bessere Erklärung ließe sich wohl bei Schopenhauer 
finden in seinen Lehren über Willen und Intellect; doch 
würde uns das hier zu weit führen. 

Für unsere Krankheitszustände ergibt sich daraus 
Folgendes: Fast alle Patienten mit vasomotorischer Ataxie 
fühlen sich verkannt und unverstanden. Das ist ja nun bei 
Nervösen nichts Ungewöhnliches; aber gerade diese Leute haben 
ein gewisses Recht dazu. Ihre Umgebung sowohl, wie leider 
meist auch die Aerzte, erklären ihre Leiden für nervös, ein¬ 
gebildet, übertrieben, es wird den Kranken gepredigt, daß 
sie durch festen Willen über sich Herr werden könnten, alle 
möglichen psychischen Curen werden versucht. Und doch 
fühlen die Kranken — im Gegensätze zu vielen Nervösen, 
die das nur behaupten, — daß selbst stärkster Willenseinfluß 
nicht genügt, die Beschwerden zu unterdrücken. Vorstellungen 
beherrschen zwar in eminentem Grade die Action der will¬ 
kürlichen Musculatur; auch die Thätigkeit des Verdauungs¬ 
apparates ist mehr von ihnen abhängig, als man meist an¬ 
nimmt, wie ich das in meinem oben citirten Buche ausführlich 
auseinandergesetzt habe, und dasselbe gilt z. B. von der Blase. 
Der Gefäßapparat aber, und ganz besonders wieder der periphere, 
reagirt nur auf Vorstellungen mit lebhafter Aflfectbetonung. 

Bei einem großen Theile der hierher gehörigen Fälle 
kommen ja die Gefäßsymptome überhaupt ohne jeden Einfluß 
der Psyche durch die verschiedenen oben geschilderten Reize 
zustande. Dann ist der Einfluß psychischer Hemmung minimal; 
um ihn überhaupt zu fassen, müßten wir auf die merkwürdige 
Rolle eingehen, welche der psychische Elan einerseits, ander¬ 
seits die psychische Depression bei der Ueberwindung der 
verschiedensten (acuten) Krankheitszustände spielt, eine 
Rolle, die ich durchaus nicht ignoriren möchte, die aber star¬ 
ken und vor allem gerade plötzlich einwirkenden Reizen 
gegenüber recht unbedeutend ist. In den übrigen Fällen, wo 
seelische Vorgänge besonders die Störung auslösen, ist auch 
ein gewisser seelischer Einfluß möglich, aber doch nicht direct, 
sondern nur soweit, als der vom Intellect gelenkte Wille im¬ 
stande ist, affective Vorgänge zu beherrschen. Wohlgemerkt: 
nicht die Aeußerungen des Aflects der Außenwelt gegenüber 
zu unterdrücken; ein solches Verfahren führt vielmehr 
gerade oft zu einer besonders starken Schwankung im Kreis¬ 
laufsapparat, weil gewissermaßen die ganze Kraft des Affects, 
die sonst zum Theil nach außen abgeleitet wird, sich im 
Innern anstaut. Vielmehr handelt es sich um rein intra¬ 
psychische Vorgänge, bei Avelchen Hemmung erfolgt, ehe noch 
die Verbindungsbahnen des psychischen Betriebes mit dem 
somatischen irgendwie erregt sind. Daß eine derartige Dis- 
ciplinirung möglich ist, lehren nicht nur die Schriften der Philo¬ 
sophen, sondern die Selbstbeobachtung und Beobachtung der 
Mitmenschen. Daß sie aber sehr schwer ist und daß sie, be¬ 
sonders häufig wirkenden Reizen gegenüber, bei den meisten 
noch dazu nervös veranlagten Menschen mißglücken wird, 
wird kein Verständiger übersehen. Also ist selbst bei dieser 


47 ) Alexand. Moeison, On the relation of the nervous System to disease 
and disorder in the viscera. Edinburgh and London 1899. 


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Kategorie von Fällen die psychische Beeinflußbarkeit nur 
beschränkt. 

Es ist sehr wichtig, sich so über die Grenzen des durch 
den bewußten Willen zu Leistenden klar zu werden. Die 
Kranken athmen gewöhnlich auf, wenn man ihnen auseinander¬ 
setzt, daß sie sich zwar, um gesund zu werden, auch selbst 
möglichst beherrschen müssen, daß aber damit allein die Sache 
nicht gethan ist, daß vielmehr die rebellischen Gefäßnerven 
eine besondere Behandlung erheischen. 

(Fortsetzung folgt.) 


Referate. 

Aus der kön. dermatologischen Universitäts-Klinik 

zu Breslau. 

J. Plato: Ueber den Werth und die Anwendungsweise 
des Protargols bei der Bekämpfung der Gonor¬ 
rhoe. 

An der Klinik Neisser’s ist während der verflossenen drei 
Jahre das Protargol in zahlreichen Fällen in der Klinik, in der 
Poliklinik und in der Stadentensprechstunde — woselbst ein ganz 
besonders gleichmäßiges Material zur Verfügung stand — angewandt 
worden. 

Die damit gesammelten Erfahrungen sind fortgesetzt günstige 
gewesen („Heilkunde“, 1901, Nr. 8); das Protargol ist an die 
Spitze derjenigen Mittel zu stellen, welche geeignet sind, den Proceß 
zu beschränken und Complicationen zu verhüten. Das ist aber auch 
das Hauptziel einer jeden rationellen Trippertherapie. 

Beim Protargol führt: 

Der rein mechanische Effect der Injectionen nicht zu Com¬ 
plicationen infectiösen Materials. Die specitische Wirkung des Pro¬ 
targols ist erfahrungsgemäß die Abtödtung und Entwickelungshem¬ 
mung der Gonokokken. Es steigert dabei weder in unerwünschter 
Weise die Entzündung — es reizt verhältnißmäßig wenig —, noch 
wirkt es der Entzündung und Eiterung, d. h. den natürlichen Ab¬ 
wehrerscheinungen des Organismus, entgegen. Bei rationeller An¬ 
wendung des Protargols versiegt die Eiterung in der Regel nicht 
vor dem Verschwinden der Gonokokken. Der Patient entzieht sich 
deshalb nicht so leicht vorzeitig dem Einflüsse des Arztes und 
letzterer wird nicht so leicht verführt, einen scheinbaren Erfolg 
für einen wirklichen zu halten. Gerade diese erwähnten Eigen¬ 
schaften machen das Protargol za dem geeignetsten Mittel für die 
allgemeine ärztliche Praxis. 

Für die Protargolbehandlung sind geeignet: In erster Linie 
die ganz frischen Infectionen. Je früher die Behandlung beginnt, 
desto besser sind die Aussichten auf Heilung. 

Aber auch in älteren Fällen (behandelten und unbehandelten), 
sogar solchen, bei denen die Infection bereits mehrere Wochen 
zurückliegt , pflegen die Gonokokken in der Regel auf Protargol- 
injectionen zu verschwinden. Es ist jedoch zu bemerken, daß das 
Protargol besondere Vorzüge nur für die Behandlung der vorderen 
Harnröhre hat. 

Bei Erkrankung der weniger empfindlichen hinteren Harnröhre 
können mit gleichem Nutzen andere Silbersalze, namentlich das 
Argentum nitricum ( J / 4 —2°/ 0 ), angewandt werden. In ganz alten, 
chronischen Fällen findet das Protargol nur beschränkte Anwendung 
bei Exacerbationen. 

P. wandte das Protargol in Form von Injectionen in die Harn¬ 
röhre an. Diese Injectionen werden vom Patienten selbst mit einer 
mindestens 10 Ccm. fassenden, mit einem olivenförmigen Ansatz 
versehenen Spritze ausgeführt. 

Die erste Injection muß vom Arzte selbst gegeben werden, 
respective der Arzt muß sich davon überzeugen, daß der Patient 
richtig spritzt, daß insbesondere die Harnröhre durch die injicirte 
Flüssigkeit genügend gedehnt wird und dadurch die Taschen und 
Falten ausgeglichen werden. 

Wichtig ist, daß die Injectionen prolongirt ausgeführt werden. 
Gerade darin, daß man, ohne zu schaden, das Protargol lange mit 


der Schleimhaut in Contact lassen und ihm so Gelegenheit geben 
kann, seine notorische Wirksamkeit gegen die Gonokokken zu 
entfalten, liegt der große Vorzug des Mittels vor anderen. Drei In¬ 
jectionen täglich, und zwar zwei von 10 Minuten und eine — am 
besten die Abendinjection — von 20—30 Minuten Dauer, ist das 
Mindeste, was verlangt werden muß. 

Man verordne zunächst eine 1 / 4 %ig e Lösung in folgender Weise: 

Rp. Protargol. 0'5 

Glycerin. 5'0 

Aqu. frigid, ad . 200 - 0 

D. in vitr. nigr. 

Sind die Injectionen schmerzhaft, so setze man so viel Eucain. 
mur. B. zu, daß eine l%ige Lösung resultirt. 

Dann kann man mit höheren Protargolconcentrationen (bis l / a %) 
beginnen, resp. viel schneller mit der Concentration steigen. Ueber 
5°/o>ge Protargollösungen mit Zusatz von 5% Antipyrin ist P. für 
die Anteriorbehandlung nicht hinausgegangen. 

Jeden fünften oder sechsten Tag muß der Patient sich vor¬ 
stellen und müssen Präparate angefertigt werden. Wie schnell und 
wie hoch man steigt, das richtet sich ganz nach der Eigenart des 
einzelnen Falles. 

Mit der Concentration der Lösungen soll dabei so gestiegen 
werden, daß die Secretion nie ganz versiegt, insbesondere der 
„Morgentropfen“ nicht ausbleibt. Während der ganzen Zeit dürfen 
die Injectionen nicht einen Tag ausgesetzt werden. In etwas älteren, 
namentlich vorbehandelten Fällen kann mit stärkeren Concentrationen 
— bis 1% — begonnen und die Behandlung eventuell etwas 
früher abgebrochen werden, im Uebrigen ist der Gang derselbe wie 
bei den erstgenannten Fällen. G. 

Ralph Stockmann und Francis J. Charteris (Glasgow): Die 
Wirkung der Jod Verbindungen auf das Herz 
und den Blutkreislauf. 

Bei der Darreichung von Kalium oder Natrium jodatum ist 
keine unmittelbare Einwirkung auf den Blutkreislauf zu sehen wie 
bei den Nitraten, Aconitum oder Digitalis. Der Puls bleibt an 
Schnelligkeit und Stärke unverändert; allerdings findet sich in den 
meisten pharmakologischen Lehrbüchern die Ansicht, daß die Jodate 
den Blutdruck herabsetzen. 

Stockmann und Charteris („British Medical Journal“, 1901, 
2134) stellten einerseits an Patienten, denen wegen eines chro¬ 
nischen Rheumatismus, einer Ischias, einer Facialisparalyse Jod¬ 
kali oder Jodnatrium gegeben wurde, deren Gefäßsystem aber 
gesund war, andererseits an Herz- und Nierenkranken, an Patienten 
mit Aneurysma, Arteriosklerose, die ebenfalls Jod erhielten, Mes¬ 
sungen mit dem BASCH’schen Sphygmomanometer und dem Gärtner- 
schen Tonometer an und fanden niemals ein Sinken des Blutdruckes 
oder eine Veränderung der Zahl oder des Rhythmus der Herzschläge. 
Die Dosen waren gewöhnlich 1—3 Grm., manchmal mehr. 

Jodkali und Jodnatrium, in therapeutischen Dosen per os 
gegeben, schädigen das Herz nicht. Wenn die Jodsalze beim Kropf 
den Puls verlangsamen und schwächer machen, oder wenn, wie 
dies manchmal vorkommt, nach ihrer Darreichung rasche Abmage¬ 
rung eintritt, so ist dies wahrscheinlich nicht directe Jodwirkang, 
sondern Effect einer vermehrten oder veränderten jodsalzhältigen 
Schilddrüsensecretion, der ein mächtiger Einfluß auf die Circulation 
und auf den Stoffwechsel zugeschrieben werden muß. 

Beim Thierexperiment zeigte sich, daß Jodkali und Jodnatrium, 
per os gegeben, keinerlei Einfluß auf den Blutdruck hervorbrachten; 
intravenös einverleibt, setzte Jodkali den Blutdruck herab, 
während die Natriumverbindung keinen Effect hervorbrachte. 

_ — 1 . 

Kissel (Moskau): Ueber die Diagnose der tuberoulösen 
Peritonitis bei Kindern auf Grund von 54 Fällen 
eigener Beobaohtung. 

Die tuberculöse Peritonitis wird bei Kindern häufiger beob¬ 
achtet, als gewöhnlich angenommen wird. Man kann behaupten 
(„Archiv f. klin. Chirurgie“, 1901, LXV. Bd., Heft 2), daß fast 
sämmtliche Fälle des sogenannten spontanen Ascites nichts anderes 


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sind, als Fälle von taberculöser Peritonitis. Das Exsudat wird bei 
der tuberculösen Peritonitis nach allgemeiner tonisirender Behandlung 
nicht selten von selbst resorbirt, so daß die Kinder ihre Gesund¬ 
heit vollständig wiedererlangen. In den meisten Fällen schleicht 
sich die Krankheit unbemerkt heran. Die Angehörigen bemerken 
vor allem, daß das Kind scheinbar ohne jegliche Veranlassung 
mager und blaß zu werden beginnt. Die Diagnose wird bedeutend 
erleichtert, wenn man gleichzeitig seröse Pleuritis feststellt. Ver¬ 
dickung des Bauchfelles (dieselbe wird in der Weise bestimmt, 
daß das Peritoneum in eine Falte gefaßt wird) ist als das werth¬ 
vollste diagnostische Symptom der tuberculösen Peritonitis zu be¬ 
trachten. Bei tuberculöser exsudativer Peritonitis ist die Flüssig¬ 
keit, welche aus der Peritonealhöhle gewonnen wird, sehr reich 
an Eiweiß und von hohem specifischen Gewicht. Häufig findet man 
bei geringfügigen objectiven Erscheinungen und bei vollständig 
gutem subjectiven Befinden der Kranken das gesammte Peritoneum 
mit einer dicken Schicht ziemlich frischer tuberculöser Massen be¬ 
deckt. Am schwierigsten ist die Diagnose der Fälle von chronischem 
Ascites bei tuberculöser Pericarditis, welche Affection sehr selten 
angetroffen wird. Die tuberculöse Peritonitis beginnt nur in seltenen 
Fällen mit ziemlich heftigen Erscheinungen. L—y. 


Hans Kirchner (Bamberg): Ueber die Verwendung des 
Aspirins bei Augenkrankheiten. 

K. wandte das Aspirin zunächst bei acuten Iritiden an; es 
bewährte sich hiebei vollkommen; zunächst schien es den anderen 
Salicylpräparaten in der Wirkung gleichwertig; dann hat K. aber 
auch Fälle gesehen, in denen das zuerst angewandte Natr. salicyl. 
und Salol ohne wesentlichen Einfluß auf den Krankheitsproceß war, 
während mit Einsetzen der Aspirindarreichung Nachlaß der Schmerzen, 
rasches Abschwellen der Iris und Abblassen der Injection eintrat; 
dabei kam K. meist mit geringeren Dosen aus, als sie von Natr. 
salicyl. erforderlich zu sein pflegen. Auf der Höhe der Entzündung 
genügten abends 2 bis 1 Grm., morgens 1 Grm., später abends 1 Grm. 
Besonders gegen Abend eingenommen, bewirkten 1 bis 2 Grm. 
Aspirin auch bei heftiger Entzündung, meist unter gelindem Schwei߬ 
ausbruch, Beruhigung und wohlthuenden Schlaf. („Ophthalmol. 
Klinik“, 1901, Nr. 18.) Der therapeutische Werth des Aspirin ist 
jedoch mit seiner Verwerthung bei „rheumatischen“ Leiden durch¬ 
aus nicht erschöpft; es hat vielmehr auch bei mehreren Irido- 
cyklitiden unklarer Aetiologie vorzügliche Dienste geleistet und sowohl 
auf den Entzündungsproceß selbst, wie auch vornehmlich auf die 
damit verbundenen Schmerzen günstig gewirkt. 

Bei echter Skleritis konnte kein Einfluß des Aspirins auf den 
localen Entzündungsproceß w'ahrgenommen werden; dagegen wirkte 
Aspirin bei einigen Fällen von „Iritis serosa“ günstig. Die Reiz¬ 
erscheinungen gingen rascher zurück, und in einem ganz besonders 
schweren Fall mit dichtesten Glaskörpertrübuugen und breiten Syne¬ 
chien erfolgte rasch Resorption der Exsudate. Aspirin ist sodann 
auch ein vortreffliches Antineuralgicum. L. 


0. Kodym (Prag): Ueber die Prognose der Tuberculöse. 

Um die Prognose der Tuberculöse in Böhmen festzustellen, 
forschte Verf. („Sbornik Klinik“, III. Bd., Heft 1) in dem Verzeichniß 
der tuberculös Erkrankten der böhmischen Poliklinik in Prag fürs 
verflossene Jahr nach. Er fand 228 Fälle (141 Männer, 87 Frauen), 
von welchen 81 = 35’5% nach einem Jahre starben, 49 = 21‘5°/ 0 
sich verschlimmerten, 53 =: 23"2% gleich blieben, 40 = 17’5% 
sich besserten und 5 = 2*2% als geheilt angesehen werden können. 
Das Resultat der Behandluug hängt vom Grade der Lungenaffeetion ab. 
Von 81 Fällen anfangender Tuberculöse starben l'2°/ 0 (alle an Folgen 
schwerer Complicationen), 38*2% besserten sich oder genasen. 
In 75 Fällen ausgesprochener, aber begrenzter Infiltration starben 
41‘3%, besserten sich und genasen 13‘3%. Unter 72 Fällen 
vorgeschrittener Tuberculöse starben 64% und nur 5’5% 
besserten sich. Die Prognose blieb dieselbe, ob eine oder beide 
Lungen afficirt waren. Ein anderer wichtiger Umstand ist das 
Fieber. Von den fieberhaften Fällen starben im Laufe eines Jahres 
59 - 5% , 13% besserten sich, von den fieberlosen starben nur 


12% und besserten sich 32 - 7%. Die Prognose beeinflußt weiter 
die Pulsfrequenz. Von den verstorbenen zeigten 83°/ 0 eine Accele- 
ration über 100. Von den mit einer Acceleration über 100 be¬ 
hafteten starben 60%, die Acceleration über 120 führte den Tod 
in 71% herbei, wogegen ein günstiges Resultat (derselbe Stand oder 
eine Besserung) nur in 14’6% zu verzeichnen war. Gleichwohl ist 
die Tachykardie kein absolut ungünstiges Symptom. Eine Ver¬ 
minderung des Körpergewichtes, Blutarmuth, excessive Schweißab¬ 
sonderung wurden weit mehr in den fatalen , als in den günstigen 
Fällen beobachtet; es sind also insgesammt prognostisch schlechte 
Symptome. Prognostisch schwere Symptome sind auch die Reaction 
nach Ehrlich und die Albuminurie. Ein bedeutender Blutstarz ver¬ 
schlimmert die Prognose. Derselbe wurde in Fällen, die gestorben 
sind in 12 8%, die sich besserten in 2%, beobachtet. Die Larynx- 
tuberculose stellt eine sehr schwere Complication vor, noch mehr 
die Bauchfell- und Darmtuberculose. Die Heredität spielt in 
prognostischer Hinsicht keine wichtige Rolle. Im Alter bis zu 
30 Jahren ist die Tuberculöse am gefährlichsten, im Alter von 30 bis 
50 Jahren gelinder, nach 50 Jahren sind die Resultate wieder schlecht. 
Bei den Landbewohnern ist der Verlauf der Krank¬ 
heit keinesfalls günstiger als bei den Städtern. 

Es gibt also kein Symptom, das von absoluter prognostischer 
Schwere wäre, aber das Zusammentreffen aller Umstände und 
Symptome erlaubt eine Stellung der Prognose im Allgemeinen. 

Stück. 

Burke (Buffalo): Ueber angeborene Enge des Aorten¬ 
systems. 

Es gibt eine Enge des Aortensystems als Krankheitsursache- 
Dafür sprechen die Folgeerscheinungen, die sich ihr in klinischer 
und anatomischer Hinsicht anschließen. Solche Folgeerscheinungen 
sind („Deutsches Arch. f. kl. Med.“, 1901, Bd. 71, H. 2 u. 3): 
Am Herzen: Linksseitige Herzhypertrophie, an welche sich, wenn 
die Leistung des linken Ventrikels erschöpft ist, Dilatation des 
linken Ventrikels, des linken Vorhofes, Stauungserscheinungen in 
den Lungen, Hypertrophie des rechten Ventrikels, und wenn der 
Verlauf lange genug dauert und die Widerstandskraft des rechten 
Ventrikels durch diese oder andere intercurrente Umstände er¬ 
schöpft wird, auch Dilatation des rechten Ventrikels anschließt. 

In den Arterien: Arteriosklerose bei jugendlichen Individuen 
als Ausdruck eines längere Zeit erhöhten Blutdruckes. Als klinische 
Erscheinungen finden sich: Blässe des Gesichtes, ein Gefühl der 
Beengung und Beklemmung in der Brust und Dyspnoe mit Husten 
und katarrhalischem Auswurf, Zeichen einer Hypertrophie mit 
Dilatation des linken Ventrikels und nachfolgender Insufficienz des¬ 
selben, Erweiterung der Lungengrenzen und Zeichen einer Stauungs¬ 
bronchitis mit zunehmender Schwäche des rechten Ventrikels, Leber- 
vergrößerung, Albuminurie und Oedem. 

Ob diese Symptome und welche von ihnen auftreten, hängt 
von einer Reihe von Umständen, von Geschlecht, Beschäftigung 
und Lebensweise, Dauer der ganzen Affection ab. Bei Frauen stellt 
sich Anämie ein und die Störung verläuft unter dem Bilde einer 
primären Anämie, Chlorose oder perniciösen Anämie, während 
secundäre Veränderungen am Herzen zu fehlen pflegen. Wahr¬ 
scheinlich bildet hier die Verminderung der Blutmenge eine 
Compensation für die Erhöhung der Widerstände, wie sie in der 
Enge der Aorta gegeben ist. Bei Männern fällt dieses ausgleichende 
Moment weg, daher hier das Bild einer Herzerkrankung hervortritt. 

Aetiologisch liegen zwei Möglichkeiten vor. Die eine ist die 
eines angeborenen Zustandes, die andere die eines Zurückbleibens 
des Gefäßapparates im Wachsthum. 

Die Bedeutung der Enge des Gefäßes als prädisponirende 
Ursache für Infectionskrankheiten ist theoretisch, insofern sie 
sicher zu einer Schwäche des Körpers des behafteten Individuums 
führt, zuzugeben. Ueber die Größe dieser Bedeutung kann Mangels 
einwandsfreien Materials ohne neue Untersuchungsreihen nicht ent¬ 
schieden werden. 

Die Enge der Gefäße scheint prädisponirend für die Ent¬ 
stehung von Vitien zu wirken. B. 


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F. Loeffler (Greifswald): Hygiene der Molkereiproducte. 

Auf dem Gebiete der Hygiene der Molkereiproducte ist in 
neuerer Zeit außerordentlich viel gearbeitet worden. Man muß an¬ 
erkennen, daß große Fortschrittte gezeitigt worden sind, daß die 
Milch und die Molkereiproducte im Großen und Ganzen sehr viel 
besser geworden sind als früher und daß ein hygienisches Ver- 
ständniß auch bei den Producenten platzgegriffen hat. Aber vom 
hygienischen Standpunkte muß man gleichwohl betonen, daß be¬ 
stimmte Gefahren trotz aller Vorsicht doch noch bestehen blieben. 
(„Deutsche med. Wochenschr.“, 1901, Nr. 50.) Es sind dies, ab: 
gesehen von den giftigen Stoffen der Futtermittel, die Gefahren 
der Uebertragung der für den Menschen pathogenen Organismen 
und die Gefahren, welche durch die Zersetzung der Milch bedingt 
sind. Um diesen Gefahren vorzubeugen, ist es nöthig, vom hygieni¬ 
schen Standpunkte aus zu verlangen, daß alle Milch, welche in den 
Handel kommt, nun auch sicher vorher von diesen krankheits¬ 
erregenden Keimen und Zersetzungskeimen befreit wird. Das kann 
erzielt werden durch ein Pasteurisiren auf eine Temperatur von 58°. 
Praktisch wichtig aber ist es vor allen Dingen, daß in den 
Molkereien alle diese Vorsichtsmaßregeln in der strengsten Weise 
durchgeführt werden, daß alle Milch pasteurisirt wird und daß 
auch, wie Schlegtendal bei Besprechung der Typhuserkrankungen, 
welche durch Milch hervorgerufen sind, hervorhebt , die Milch¬ 
kannen, welche die Milchproducenten liefern, in der Molkerei nicht 
nur sorgfältig gereinigt, sondern auch durch Dampf sterilisirt 
werden. Gerade durch die nicht gereinigten Kannen soll sehr viel¬ 
fach der Typhuskeim verbreitet worden sein. Es ist zu verlangen, 
daß gute, brauchbare Sterilisations- und Pasteurisationsapparate an¬ 
gewendet werden, wie solche in großer Zahl zu Gebote stehen. B. 

R. Olshausen (Berlin): Ueber die Wahl der Operation 
bei Myomen. 

In den letzten Jahren hat sich die Ansicht, es seien bei den radi- 
calen Myomoperationen die Ovarien womöglich zurückzulassen, um so 
die Ausfallserscheinungen auf ein Minimum zu beschränken, immer 
mehr Bahn gebrochen. Man hat aber gleichzeitig von verschiedenen 
Seiten über Erkrankung der nach Uterusexstirpation zurück- 
gelassenen Ovarien berichtet, und es ist wohl denkbar, daß durch 
Ligaturen Circulationsstörungen, und infolge derselben Degenerationen 
in den Eierstöcken zustande kommen. Darum tritt Olshadsen 
(„Centralblatt f. Gynäk.“, 1901 , Nr. 1) ähnlich wie Werth dafür 
ein, möglichst viel Gewebe in der Nähe des Hilus Ovarü zu er¬ 
halten. 0. geht aber noch weiter, indem er auch für eine mög¬ 
lichste Erhaltung des Uterus plaidirt. Hiezu dient die von ihm in 
immer größerer Ausdehnung geübte Enucleation des Myoms auf 
abdominalem Wege, wobei nicht selten 3—6, ja 9 Myome und 
mehr aus einem Uterus ausgeschält wurden. Er hat sie in den 
Jahren 1900 und 1901 unter 136 Myomoperationen 37mal, d. h. 
in 27% der Fälle, ausgeführt. Fischer. 

Kohlbrugge (Utrecht): Die Auto Sterilisation des Dünn¬ 
darmes und die Bedeutung des Cöcum. 

Verf. fand („Centralbl. f. Bakteriologie, Parasitenkunde und 
Infectionskrankheiten“, Bd. 29, H. 13), daß der leere Dünndarm 
stets steril ist; sobald die Fäcalmassen durch die Peristaltik fort¬ 
geschafft sind, steriüisirt sich der Dünndarm selbst, auch die abge- 
tödteten Bakterien werden fortgeschafft oder aufgelöst. Dieser Vor¬ 
gang bildet die Autosterilisation des Dünndarmes. Das Cöcum und 
das Colon sind hingegen niemals steril, vielmehr betrachtet Verf. 
das Cöcum als die Brutstätte der Colibakterien, und zwar solcher, 
die dem Körper eigen sind. Dem Processus vermiformis wäre eine 
physiologische Bedeutung zuzuschreiben, und zwar die einer der 
Peristaltik entzogenen Cnlturstätte der dem Körper adäquaten Coli¬ 
bakterien. Sollte sich die Autosterilisation des Dünndarmes auch 
für den Menschen bestätigen, so käme dem Befunde eine chirurgi¬ 
sche Bedeutung zu und er würde z. B. nach Ansicht des Verf. die 
Erklärung für jene seltenen, fast symptomenlos verlaufenden Schüsse 
durch den Bauch abgeben. Dr. S. 


Leclainche ef'fooREL (Toulouse): La sörothör&pie de la 
septicemie gangreneuse. 

Außer der Mittheilung von Leclainchee aus dem Jahre 1898 
lag bisher keine Arbeit über eine Serotherapie des Rauschbrandes (die 
septicemie gangreneuse der Franzosen) vor. Leclainche setzte in 
Gemeinschaft mit Morel in den letzten Jahren seine Untersuchungen 
fort und kam zu dem Schlüsse („Annales de l’institut Pasteur“, 
1091, pag. 1), daß es durch intravenöse Injectionen von Bouillon- 
culturen des Vibrio septique bei Einhufern gelinge, ein Imraun¬ 
serum darzustellen, das präventive, unter Umständen auch iramuni- 
sirende Eigenschaften besitzt. Das Serum hat zugleich eine anti- 
bacterielle und antitoxische Wirksamkeit; dieselbe ist an die Be¬ 
günstigung der Phagocyten gebunden. Dr. S. 


Kleine Mittheilungen. 

— In der Tabestherapie betont Jacobsohn („Berl. Klinik“, 
H. 152): 1. größte körperliche Ruhe, eventuell Bettruhe; 2. kräftige 
Ernährung; 3. häufige warme Bäder (Soolbäder). Außerdem sollen 
die Kranken durch warme Kleidung vor Erkältungen geschützt 
werden. Was die compensatorische Uebungstherapie betrifft, so kann 
vor den bisher üblichen Uebertreibungen nicht genug gewarnt 
werden. Die Methode ist nur anwendbar für Fälle, in denen der 
Krankheitsproceß zu einem gewissen Stillstand gekommen ist. Sie 
leistet auch da nicht mehr als das Commandowort des Unterofficiers 
bei den kräftigen, aber ungewandten Recruten. 

— Das Honthin ist ein von der Firma Hell in Troppau 
hergestelltes Tanninpräparat, welches die Eigenthümlichkeit hat, 
den Magen unzersetzt zu passiren, das auf diesen daher keine 
Reizwirkung ausübt und somit erst im Darme die gewünschte 
Reizwirkung entfaltet. Besonders für die Kinderpraxis ist es ein 
sehr zu empfehlendes Mittel. Für Säuglinge betragen die Einzel¬ 
dosen 0 2—0‘3 Grm., für größere Kinder 0 4 —0‘5 Grm. 3—4mal 
täglich zu geben. Erwachsene erhalten Einzeldosen von 1 —1’5 Grm. 
Unter den chronischen Formen ist besonders der Darmkatarrh der 
Tuberculösen zu erwähnen. 

— In der Technik der intranasalen Operationen empfiehlt 
Denker („Zeitschr. f. Ohrenheilk.“, Bd. 39, Nr. 1) die Galvano¬ 
kaustik als vorbereitenden Act bei der Abtragung von knorpeligen 
und knöchernen Theilen des Naseninnern, insofern dadurch die so 
störenden Blutungen bei und nach der Operation anf ein Geringes 
beschränkt zu werden pflegen, resp. ganz ausbleiben. Nach vor¬ 
hergegangener ergiebiger Cocainisirung wird mit dem galvano¬ 
kaustischen Spitzbrenner oder der scharfen Kante des Flachbrenners 
die Basis der Crista oder die Spina nach oben und unten hin in 
dem Umfange umgrenzt, den später Säge oder Meißel abtragen 
soll; die elektrische Aetzung muß bis auf den Knochen, resp. 
Knorpel Vordringen. Auch bei Abtragung von Muscheltheilen wird 
das zu beseitigende Stück zunächst durch tiefgehende Aetzung 
umgrenzt und dann durch die Scheere entfernt. 

— Das Sidonal hat V. Rosenthal („Ther. Monatsh.“, 1901, 
Nr. 6) als Mittel gegen Gicht sich vorzüglich bewährt. Gebraucht 
wurden zweimal täglich 2‘5 Grm., nach je 100 Grm. eine drei¬ 
wöchentliche Pause gemacht, so daß im Ganzen 300 Grm. ver¬ 
wendet wurden. Röthe, Hautspannung über den Tophis, Schmerz¬ 
haftigkeit in den Gelenken schwanden in zunehmendem Maße, die 
Harnsäuremenge fiel, so daß zuletzt keine Spur eines Sedimentes 
vorhanden war, die Tophi selbst verkleinerten sich, die Beweg¬ 
lichkeit in den Gelenken stellte sich wieder ein. Die Besserung 
blieb auch nach Aussetzen des Sidonals bestehen. Nebenwirkungen 
wurden 'nicht beobachtet. 

— Eine neue Anwendungsart von Sublimat bei der 
Syphilisbehandlung bespricht Treves („Gazz. med. d. Torino“, 
1901, Nr. 6). In eine alkoholische Sublimatlösung (Hydrarg. 
bichlorat. l’O, Alkohol lOO'O, Aqua 10 - 0) wird ein großer Watte¬ 
bausch getaucht und mit demselben rasch — bei sorgfältiger Ver¬ 
meidung der Schleimhäute und Hautfalten — über die ganze 
Oberfläche des Körpers gefahren. Die fast unmittelbare Ver¬ 
dampfung des Alkohols bewirkt, daß auf der Haut eine ganz 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 4. 


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feine Decke von Sublimat deponirt bleibt, das zum Theil resorbirt 
wird. Niemals ist diese Resorption eine so stürmische, daß es zu 
Vergiftungserscheinungen käme; niemals kam es bei dieser An¬ 
wendung des Sublimats zum Entstehen von Stomatitis. Ebenso 
wenig ist zu fürchten, daß eine allzu lange Behandlung zu einer 
Reizung der Haut führen könne; man muß nur darauf achten, 
daß der Patient sich nicht wieder bekleidet, bevor der Alkohol 
völlig verdunstet ist. 

— Das „Bromocoll“ hat Notthafft („Denn. Centralbl.“, 
1901, Nr. 3) in mehreren Fällen mit sehr gutem Erfolg verwendet. 
Er fand es nie nothwendig, den Procentsatz der Salben oder 
Pasten an „Bromocoll“ über 10 hinaus zu erhöhen. Ein hart¬ 
näckiger Pruritus senilis verschwand unter dem Gebrauch einer 
Bromocollsalbe vollständig, ein Patient mit Eczema scroti chronicum 
hat nach Anwendung einer „Bromocoll-Theer-Zink Amylum-Paste“ 
das erstemal seit vielen Jahren wieder ungestört schlafen können 
und ist auf dem Wege der Besserung. In einem Fall von chroni¬ 
schem, intensiv juckendem Ekzem des Scrotums, Dammes und 
Afters, welcher durch Hämorrhoiden und Proctitis veranlaßt war, 
stillte „Bromocoll“ den unerträglichen Juckreiz. 

— Die Pasta serosa SCHLEICH’S ist nach Scharff („Monatsh. 
f. prakt. Dermatol.“, Bd. 33, Nr. 9) eine mit Ochsenblutserum her¬ 
gestellte Zinkpaste; sie bildet eine dickflüssige Masse, die, dünn 
aufgestriclien, ziemlich schnell zu einer die Haut abschließenden, 
sie ruhig stellenden und zugleich kühlenden weißen Decke ein¬ 
trocknet. Mit besonders günstigem Erfolge verwandte Verf. sie 

bei allen Reizzuständen der Haut, bei Intertrigo, Dermatitiden 

verschiedener Art und beim acuten Ekzem. Ihre stark austrocknende 
Wirkung bewährte sich namentlich bei Verbrennungen 1. und 

2. Grades, bei denen sie nach Entleerung der Blasen dick aufzu¬ 
streichen ist. Sehr gute Dienste bietet die Paste ferner bei der 

Behandlung von Unterschenkelgeschwüren und von granulirenden 
Wunden, deren Ueberhäutung sie wesentlich befördert. 

— Zur Behandlung der Gonorrhoe mit Ichthargan berichtet 
Fürst („D. med. Wschr.“, 1901, Nr. 14). Es ist nicht zu be¬ 
zweifeln , daß das Ichthargan — der alterprobte Höllenstein mit 
dem baktericiden, secretionsvermindernden, schmerzstillenden Ichthyol 
zu einem ehemischen Körper vereint — geradezu herausfordert, 
in der Therapie der Gonorrhoe verwerthet zu werden. F. hat nun 
das Mittel in 75 Fällen erprobt. Es handelte sich um 26 Erst- 
inficirte, um 49 Patienten mit zweiter oder mehrfacher Infection; 
acute Formen wurden 52, chronische 23 mit Ichthargan behandelt. 
Als Kriterium für die Heilung der männlichen Gonorrhoe gilt, 
daß der betreffende Patient keine subjectiven Klagen hat, daß 
sich bei ihm während einer achttägigen Beobachtungszeit nach 
dem Aussetzen der Behandlung weder Ausfluß zeigt, noch über¬ 
haupt gonokokkenhaltige Bestandtheile von der Harnröhrenschleim¬ 
haut zu gewinnen sind. Verf. empfiehlt für die Praxis der Gonor¬ 
rhoebehandlung das Ichthargan als durchaus brauchbares Mittel. 
Speciell für die Cassen- und Krankenhauspraxis hat es noch den 
besonderen Vorzug relativer Billigkeit. 

— Die Behandlung der Syphilis mit intravenösen Sublimat- 
injectionen erörtert Lichatschow („Med. Obosrenje“, 1901, Sept., 
Oct.). Die intravenösen Injectionen von Sublimatlösungen 1 : 1000 
und 1 : 500 sind nicht gefährlich und haben absolut keine schlimmen 
Folgen. Bei Bestehen von Sklerose der Gefäße ist diese Methode 
nicht anzuwenden. Die Symptome des condylomatösen Stadiums 
schwinden entschieden unter dieser Behandlung, obgleich während 
der Behandlung auch eine erneute Eruption beobachtet werden 
kann; die Wirkung der intravenösen Sublimatinjectionen auf die 
condylomatösen Erscheinungen ist durchaus nicht geringer, eher 
intensiver, als die Wirkung der subcutanen Sublimatinjection. Bei 
Anwendung von stärker concentrirten Lösungen schwinden die 
syphilitischen Symptome zwar rascher, doch ist hier keine aus¬ 
gesprochene Proportionalität zu bemerken. Bei intravenöser In- 
jection beobachtet man weder eine Reizung der Mundschleimhaut, 
noch eine Reizung des Darmes. Recidive treten bei der intra¬ 
venösen Behandlung rascher und häufiger auf als bei der sub¬ 
cutanen. Nach den Erfahrungen des Autors kann die intravenöse 
Injectionsmethode durchaus nicht als Universalmittel gelten, sie 


kann dort angewandt werden , wo die subcutanen Injectionen, als 
viel schmerzhaftere, nicht vertragen werden. 

— Die Indicationen zur Entspannungsincision bei Nieren¬ 
leiden erörtert Korteweg („Mitth. a. d. Grenzgebieten der Med. 
u. Chir.“, Bd. VIII, H. 4 u. 5). K. hält die Entspannungsincision 
bei Nierenleiden zunächst indicirt bei Verschluß eines Ureters durch 
Nierenstein und schildert die schweren Circulationsstörungen, die 
als Folge eines solchen nicht nur auf der obturirte n Seite, sondern 
auch auf der steinfreien nachzuweisen sind. Dabei wendet er sich 
gegen die Reflextheorie Israel’s, nach welcher der Stein der 
operirten Seite einen Krampf der Nierenarterie der anderen Seite 
herbeiführen soll; er glaubt vielmehr, daß es sich im Wesentlichen 
um Circulationsstörungen auf der gesunden Seite handle. Ist eine 
Niere infolge von Steinverschluß des Ureters angeschoppt, so muß 
das Blut durch die andere Arteria renalis umso schneller strömen, 
eiuestheils aus mechanischen Gründen, weil das Stromgebiet der 
Aorta eingeengt ist, anderentheils reflectorisch, weil der Harnstoff¬ 
gehalt des Blutes gestiegen ist. Dabei ist infolge des zu großen 
Blutandranges und erhöhten intrarenalen Druckes eine Schädigung 
der Function der gesunden Niere durchaus möglich, und diese 
Schädigung wird noch eher eintreten, wenn die zweite Niere bereits 
erkrankt ist. Eine cirrhotische, von einer wenig dehnbaren Kapsel 
umschlossene Niere wird anstatt der ihr zugemutheten, erhöhten 
Arbeit infolge des allzu großen Blutandranges weniger leisten. 
Der Harnstoffgehalt des Blutes nimmt inzwischen weiter zu, der 
Blutzufluß wird immer stärker und die Function immer geringer. 
Leistet der ganze Organismus lange genug Widerstand, so wird 
auch die nicht steinhaltende Niere denselben maximalen An¬ 
schoppungsgrad zeigen müssen wie die ursprünglich kranke. Durch 
jede Krankheit der einen Niere wird auch die andere bedroht. 
Berechtigung hat die Entspannungsincision auch bei der acut 
eiterigen Nierenentzündung mit miliarer Absceßbildung und bei 
der acuten, parenchymatösen Nephritis, auch wenn sie nur ein¬ 
seitig erfolgt bei beiderseitiger Erkrankung. Neben der Entzündung 
sind stets Circulationsstörungen Ursache der aufgehobenen Function. 
Auch bei der chronischen Nephritis werden Blutungen als Zeichen 
einer Circulationsstörung und Schmerzen als Zeichen einer Spannungs¬ 
erhöhung eine Kapselspaltung veranlassen können. 


Literarische Anzeigen. 

Chirurgische Klinik der Nierenkrankheiten. Von Prof. 

James Israel. Mit 15 lithographischen Tafeln und 8 Abbil¬ 
dungen im Text. Berlin 1901, August Hirschwald. 

Der 600 Seiten starke Band umfaßt das Resultat der ^jäh¬ 
rigen, überaus reichen Erfahrung des auf dem Gebiete der Nieren¬ 
chirurgie hochverdienten Autors. Das Buch stellt kein systemati¬ 
sches Lehrbuch dar, sondern beschränkt sich auf die Darstellung 
des Selbsterlebten, und da der Autor in fast allen Zweigen der 
modernen Nierenchirurgie in hervorragender Weise thätig war, 
fällt die Auslese nicht gering aus. 297 Krankengeschichten, zu¬ 
meist operativ behandelter Fälle, beweisen die reichhaltige Erfah¬ 
rung des Autors. 

Es erscheint unmöglich, in einem Referat die Fülle des im 
Werke enthaltenen Materials auch nur anzudeuten; das Buch 
muß gründlich gelesen und studirt werden. In hervorragend inter¬ 
essanter Weise bearbeitet sind die Capitel über Hydronephrosen, 
Pyonephrosen, Nieren- und Uretersteine; die Ansichten des Autors 
über die operative Behandlung der „renalen Hämaturien, Nephral- 
gien und Koliken bei scheinbar unveränderten Nieren“, sowie über 
Anurie sind ganz neu. 

Das Buch bietet nicht nur den engeren Fachgenossen eine 
sehr interessante und äußerst belehrende Lectüre, es muß auch 
dem inneren Mediciner und dem praktischen Arzte aufs wärmste 
empfohlen werden, weil der letztere daraus lernt, in welchem 
Stadium der Krankheit er den Patienten dem Chirurgen zu über¬ 
weisen habe, um den Erfolg der Operation möglichst günstig 
zu gestalten. Erdheim. 


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iyo2. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 4. 


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Die Divertikel der Speiseröhre. Von Dr. Hugo Starck, 

Privatdocent für innere Medicin in Heidelberg. Mit 2 Abbild, 
im Texte. Leipzig 1900, F. C. W. Vogel. 

Verf. schildert in dieser Monographie unter genauer Berück¬ 
sichtigung der gesammten Literatur und auf Grund von eigenen 
Erfahrungen in übersichtlicher und zugleich gründlicher Weise die 
Entstehung, die Symptome und den Verlauf der Pulsions- und 
Tractionsdivertikel und bespricht in erschöpfender Weise sowohl 
<}ie interne, als auch die chirurgische Therapie der verschiedenen 
Divertikelformen. E. 


Lehrbuch der praktischen Photographie. Von Prof. Dr. 
Adolf Mißthe. Mit 180 Abbildungen. Halle a. S. 1902, Wil- 
hel m Knapp. 

Das rasche Erscheinen der zweiten Auflage des MiETHE’schen 
Werkes beweist, daß dasselbe dem Zwecke, für den es geschrieben 
war, nämlich dem Berufsphotographen und dem Amateur als Nach¬ 
schlagewerk und zum Studium zu dienen, vollauf gerecht worden 
ist. Die neue Ausgabe, in welcher alle Fortschritte der Photogra¬ 
phie sorgfältigst berücksichtigt wurden, enthält in sieben Abschnitten 
das Um und Auf der praktischen Photographie, u. zw. das Licht 
in der Photographie, die Chemie der photographischen Processe, 
die photographischen Apparate, Negativ- und Positivprocesse, 
Reproduction und Vergrößerung, Photographie bei künstlichem 
Lichte und photographische Aesthetik. E. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Aus den Abteilungen 

der 

73. Versammlung Deutscher Naturforscher und 

Aerzte. 

Hamburg, 22.—28. September 1901. 

(Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) 

XVII. 

Abtheilung für Geburtshilfe und Gynäkologie. 

Heinrich: Ueber Operation großer Nabel- und Bauchnarben¬ 
brüche. 

Daß die sogenannte Etagennaht bei Laparotomie am sichersten 
vor späteren Narbenbrüchen schützt, ist durch die Untersuchungen 
von Abel nachgewiesen. 

Deshalb muß die Etagennaht auch principiell bei Bauchnarben¬ 
brüchen angewendet werden ; es ist nöthig, hier kurz einiges über 
die Physiologie der Bauchdecken zu sagen. 

Die physiologische Bedeutung der Recti beruht darauf, daß 
dieselben ein Punctum fixum für die queren Bauchmuskeln dar¬ 
stellen ; da sie aber bedeutend schwächer sind als die letzteren, so 
können sie nur ihrer Aufgabe gerecht werden, wenn beide Recti 
fest mit einander verbunden sind. Diese Verbindung (Linea alba) 
wird umsoweniger in Anspruch genommen und gezerrt, je stärker 
die- Recti selbst sind ira Verhältniß zu den queren Muskeln. 

Heinrich operirt folgendermaßen: Nach Ablösen der Därme 
und sonstiger Adhäsionen wird der Bruchsack abgetragen und das 
am Rande der Bruchpforte gelockerte Peritoneum durch fortlaufende 
Catgutnaht vereinigt. Dann wird die Rectusscheide einer Seite frei¬ 
gelegt und dieselbe durch einen flach bogenförmigen, nach außen 
convexen Schnitt durchtrennt. Die Endpunkte des Schnittes liegen 
ober- und unterhalb der Bruchpforte in der Linea alba. Der so ge¬ 
bildete halbmondförmige Fascienlappen wird sorgfältig vom Muskel 
abgelöst, umgeschlagen und an die Rectusscheide der anderen 
Seite angenäht. Diese Naht muß mit einem schwer resorbirbaren 
Material — Seide — angelegt werden. Darüber folgt die Hautnaht. 

Bei drei in dieser Weise operirten Fällen ist keine Spur 
eines beginnenden Recidivs vorhanden. 


Liegt die Bruchpforte nicht in der Linea alba, so kann die 
Bildung und das Umschlagen von Fascienmuskellappen Vortheile 
bieten. 

Zweifel : Die Ursache für die Entstehung des Bauchbruchs ist gewöhn¬ 
lich die, daß bei der primären Naht die Muskeln nicht genügend adaptirt werden. 
Auch bei Bauchbrüchen muß dasselbe Princip gelten wie bei der primären 
Operation. Z. spaltet auch die Rectusscheide auf, näht die hinteren beiden 
Blätter mit versenkten Seidennähten, legt alsdann durch beide Recti Catgut¬ 
nähte und endlich auch solche durch das vordere Blatt der Rectusscheide. Die 
Zahl der Bauchbrüche ist in der Leipziger Klinik seit der Veröffentlichung 
der ABEL'schen Tabelle noch gesunken. 

Brose weist auf die Unterschiede von Bauch- (Diastase der Recti) 
und Bauchnarbenbrüchen hin. Heinrich behandelt Bauchnarbenbrüche. Dieselben 
können in der Schnittlinie und auch in den Stichcanälen entstehen. Daher 
können auch Frauen mit per primam geheilter Banchwunde Hernien bekommen. 
Diese letzteren bieten namentlich , wenn mehrere vorhanden sind, der Opera¬ 
tion wesentliche Schwierigkeiten. Bei der Operation muß man vor allem die 
Spannung der Fascie vermeiden durch Anlegen von Muskelnähten. 

v. Wild: Für die Prophylaxe der Bauchbrüche nach der Geburt ge¬ 
schieht bis jetzt im Gegensatz zur Vorbeugung der Bauchnarbenbrüche viel 
zu wenig. Gymnastik während der Reconvalescenz des Wochenbettes ca. vom 
7- Tage ab ist dringend anzurathen; man lasse die Frauen sich selbst auf¬ 
richten; eine weitere Vorbeugungsmaßregel ist das Tragen von Miedern im 
Gegensatz zum Corset. 

Heinrich: Ueber die ALEXANDER’sche Operation. 

Die ALEXANDER’sche Operation hat sich in der Stille während 
der letzten 10 Jahre viele Anhänger erworben. Die Mehrzahl der¬ 
selben dürfte wohl der von Fritsch ausgesprochenen Ansicht bei¬ 
stimmen, daß, wenn diese Operation stets Dauererfolge gibt, sie 
zweifellos die beste, ungefährlichste und richtigste Methode der 
Heilung der Retroflexio ist. Diese ist sie sicher bei Retroflexio 
raob., falls keine üblen Folgen darnach entstehen. Bei fixirter Retro¬ 
flexio ist die Eröffnung des Bauches in der Mittellinie vorzuziehen. 
Ueble Folgen sind bei Geburten nicht bekannt; Heinrich hat 
unter acht Entbindungen, von denen er drei selbst beobachtete, 
auch nichts dergleichen beobachtet. 

Einzelne Fälle von späteren Hernien sind mitgetheilt und diese 
Fälle werden sich sicher mehren, wenn wir nicht zu einem ein¬ 
heitlichen , hernienverhütenden Operationsverfahren kommen. Ein 
solches Verfahren muß die Bildung eines künstlichen Brnchsackes 
vermeiden, und ebenso die Zurücklassung einer schwachen Stelle 
in der Bauch wand. 

Heinrich betont, daß bei gehöriger Verkürzung des Lig. rot. 
sich stets eine Ausstülpung des Peritoneums bilde und daß dieses 
künstliche Diverticulum Nuckii verödet werden müsse. 

Deswegen muß der Leistencanal eröffnet werden und nach 
Anziehen des Bandes der Peritonealtrichter eingeschlitzt werden; 
denn wenn derselbe dadurch beseitigt werden soll, daß die das 
Band fixirenden Nähte auch mit durch den Proc. periton. ge¬ 
legt werden, so wird auf diese Weise nur der nach vorn gelegene 
Theil desselben verödet. 

Da ferner nach Erfahrungen aus der Leipziger Klinik bei 
starkem Anziehen des Bandes der Uterus leicht umkippt, weil das 
Band das darüberliegende, nicht eröffnete Peritoneum und damit 
den unteren Theil des Uterus hebt, so wird auch von dort (Zweifel- 
König) dringend die Eröffnung des Peritonealtrichters gerathen. 

Heinrich hat nach der Eröffnung das Peritoneum mit einigen 
feinen Catgutnähten an das stark vorgezogene Band genäht und 
dieses dann wieder etwas in die Bauchhöhle zurückgleiten lassen, 
wie er es schon vor 5 Jahren beschrieb. 

Das Festnähen des Bandes selbst erfolgt mit vier quer durch 
dasselbe geführten Nähten, wobei darauf geachtet wird, daß die 
Nadel nicht mehr als etwa 1 / 3 der Bauchdicke faßt, um die central 
liegenden Gefäße möglichst zu schonen und Nekrose zu vermeiden. 
Durch diese Nähte werden die Schenkel des Leistencanals fest zu¬ 
sammengeschnürt. 

Ist der innere Leistenring sehr dehnbar, so wird er beim 
festen Anziehen des Bandes in einen länglichen Schlitz verwandelt, 
auf dessen Versorgung Rümpf hingewiesen hat. Dieselbe geschieht 
durch das Legen von 2—3 Nadeln lateral von der Umschlagstelle 
des Bandes. 

Als Nähmaterial benutzt Heinrich Seide sowohl beim Fest¬ 
nähen des Bandes als bei der Aponeurosennaht. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 4. 


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Unter 50 so ausgeführten Operationen hat Heinrich bei deren 
Entlassung keinen Mißerfolg gehabt. 32 davon liegen länger als 
zwei Jahre zurück. Von diesen, die allein hinsichtlich der Dauer¬ 
resultate in Betracht kommen, hat er 22 Fälle selbst wieder unter¬ 
sucht und richtige Lagerung gefunden. Entbunden sind 8, von denen 
sind 5 nachuntersucht, dieselben hatten kein Recidiv. 

Werth lenkt die-Aufmerksamkeit auf die Vortheile, welche das directe 
Aufsnchen des Bandes bietet, nicht den äußeren Leistenring soll man sichern, 
sondern den Leistencanal durch Spaltung der Aponeurose eröffnen: die störende 
Blutung fällt hiebei fort 

Mackenrodt: Nach der ALEXiNDERVchen Operation behält der Uterus 
weniger seine normale Lage, als nach einer richtig ausgeführten Vaginifixation. 
M. sucht zur Ausführung der Verkürzung das Ligamentum rotundum retroperi- 
toneal auf und verkürzt diesen Theil, während er den Theil im Leistencanal 
erhält. Er fixirt den Stumpf durch 2 Fäden in die Muskelbäuche. Hiedurch hat 
der Uterus eine mehr nach vorn geneigte Lage, als bei der ursprünglichen 
ALEXANDER-ADAM’schen Operation. Im Uebrigen sind es aber sicher nur wenige 
Fälle, in denen die Operation indicirt ist. 

Zweifel weist darauf hin, wie viel leichter das Ligamentum im Leisten¬ 
canal, als retroperitoneal zu finden sei; er betont die Nothwendigkeit einer 
exacten Blutstillung zur Erleichterung der Operation. Daß auch gut ausgeführte 
Vaginifixuren Geburtsstörungen geben können, hält er auch bei der Macken- 
RODT’schen Operation für sicher. 

Asch : Die Alexander AoAM’sche Operation schafft durchaus normale 
Verhältnisse. Der Peritonealtrichter läßt sich gleichfalls vermeiden. Auch in 
wenigen Fällen von fixirter Retroflexio läßt sich nach Lösung der Adhäsionen 
von der Vagina aus die ALEXANDER-ÄDAM’sche Operation mit Erfolg ausführen. 

Brose: Bei erschlafften Bauchdecken und großem, schwerem Uterus 
entsteht bei der ALEXANDER-ADAM’schen Operation sehr leicht ein Recidiv, hier 
gibt die Ventrofixation bessere Resultate; stets sei eine Individualisirung 
nothwendig. 

Str atz- Haag weist auf die Nothwendigkeit hin, längere Zeit zu beob¬ 
achten, bevor man von einem Fehlen von Recidiv spricht; viele als geheilt 
berichtete Fälle recidivirten später. 

Martin warnt vor der Ausführung der ALEXANDER’schen Operation, die 
Dauerresultate seien sehr schlecht, wenn man längere Zeit nach der Operation 
untersucht. 

P. Müller : Trotz anscheinend normaler Lage behalten viele Frauen 
nach der Operation ihre Beschwerden ; deshalb ist Müller auch in den letzten 
Jahren von der ALEXANDER’schen Operation zurückgekommen ; vielfach hängen 
die Beschwerden gar nicht von der Retroflexio ab. 

E. Fraenkel (Breslau) : Die Appendicitis in ihren Beziehungen 
zu den Erkrankungen der weiblichen Sexualorgane. 

Die durch die irrthümliche Zurückführung der häufigen peri- 
tonitischen Attaquen des Weibes ausschließlich auf Erkrankungen 
des Sexualapparates entstandene Annahme einer besonderen Prädi- 
lection der Appendicitis für das männliche Geschlecht ist nicht mehr 
haltbar. 

Die Fortleitung entzündlicher Processe vom Cöcum und Wurm¬ 
fortsatz zu den weiblichen Sexualorganen und auch in umgekehrter, 
aufsteigender Richtung erfolgt sowohl intraperitoneal, als auch extra¬ 
peritoneal. 

Die häufigste Genitalcomplication der Appendicitis sind ent¬ 
zündliche, bezw. eitrige Processe in den Adnexen, und zwar meist 
doppelseitige oder, wenn einseitig, rechts sitzend. Nur ganz aus¬ 
nahmsweise reicht der abnorm lange Appendix bis in die linke 
Beckenseite hinüber. Die auffallende Frequenz der Complication 
von Appendicitis mit Stiltorsion von Ovarial- und Parovarialcysten 
läßt sich durch die bei der Perityphlitis verstärkte Wirkung der 
BauchpresBe und die vermehrte Peristaltik erklären. 

Wegen der Seltenheit der einseitigen Adnexitis muß besonders 
bei rechtsseitigem Sitz derselben und bei gleichzeitig vorhandener 
Appendicitis ein Causalverhältniß zwischen beiden angenommen 
werden ; ebenso in Fällen rechtsseitiger Pyosalpinx oder sogenannter 
„idiopathischer“ Pafametritis bei kindlichen oder jungfräulichen In¬ 
dividuen, die kein Zeichen von Gonorrhoe oder Tuberculose bieten. 

Der von Edebohls behauptete enge Cansalnexus zwischen 
rechtsseitiger, Symptome machender Wanderniere und chronischer 
Appendicitis einerseits, sowie Adnexitis andererseits kann, wenig¬ 
stens in der von ihm beanspruchten Bedeutung, nicht aner¬ 
kannt werden. Die seiner Beweisführung zugrunde liegende pal- 
patorische Bestimmung des normalen Appendix ist nur unter aus¬ 
nahmsweise günstigen Bedingungen möglich, der positive Nachweis 
des krankhaft veränderten Wurmfortsatzes ist zwar von hohem 
diagnostischen Werth , unterliegt aber mannigfachen Irrthümern. 
Alle diagnostischen Schlüsse und statistischen Berechnungen, welche 


ausschließlich auf diesem Palpationsbefunde beruhen, sind unzu¬ 
verlässig. 

Wiederholte, zuweilen fieberhafte Anfälle von Schmerz, haupt¬ 
sächlich im rechten Hypogastrium, kurz vor oder während der Men¬ 
struation, ferner unregelmäßiger, meist verspäteter Eintritt derselben 
mit ungewöhnlich starkem Blutfluß bei Individuen, die früher ganz 
oder nahezu normal menstruirten, neben sonstigen gastrischen, in¬ 
testinalen oder nervösen Störungen müssen die Aufmerksamkeit, 
abgesehen von den anderen bekannten Ursachen der Dysmenorrhoe, 
auch auf eine larvirte Appendicitis richten und können nach Er¬ 
schöpfung aller anderen Mitteln die Appendektomie zur Erwägung 
bringen. 

Grundsätzlich soll bei jeder an Appendicitis erkrankten Frau 
eine fachmännische, schonende, aber genaue bimanuelle Bauchdecken- 
Scbeiden-Mastdarmuntersuchung — wenn nöthig in Narkose und 
Beckenhochlagerung oder im sehr warmen Bade — zur Vermeidung 
diagnostischer Irrthümer vorgenomraen werdeu. Umgekehrt ist aber 
auch bei allen anscheinend rein gynäkologischen Erkrankunge» die 
Möglichkeit einer complicirenden Appendicitis in Erwägung zu ziehen. 

Bei jeder, wegen Erkrankung der weiblichen Sexaalorgane 
und insbesondere wegen entzündlicher oder eitriger, ein- (rechts-) 
oder doppelseitiger Adnexaffection vorgenommenen abdominalen 
Köliotomie soll der Wurmfortsatz, wenn möglich, schonend aufge¬ 
sucht und — wenn erkrankt — mit entfernt werden. Auch ein 
sonst scheinbar gesunder, nur lose adhärenter Appendix soll reseeirt 
werden. 

Ebenso muß, soweit dazu nicht Trennung schützender Ver¬ 
wachsungen nöthig ist, bei jeder Laparotomie zwecks Appendix¬ 
entfernung der Zustand des Uterus und seiner Adnexe controlirt, 
bezw. corrigirt werden. 

Bei Verdacht einer Complication von Appendicitis mit ent¬ 
zündlich-eitrigen Adnexerkrankungen ist der abdominale Opera¬ 
tionsweg dem vaginalen vorzuziehen. Der typische (Sonnen- 
BDRG’sche) Flankenschnitt genügt bei Complication mit ausschließlich 
rechtsseitiger Adnexitis, sonst ist der Medianschnitt vorzuziehen. 
— Bei sehr tief herabreichenden Douglasabscessen empfiehlt sich 
deren Eröffnung von der Vagina oder bei kindlichen oder virginellen 
Verhältnissen vom Mastdarm aus. Findet sich dann noch über dem 
Beckeneingang oder auf der Beckenschaufel ein zweiter, mit dem 
Douglas nicht communicirender Absceß, so kann dieser entweder 
in derselben Sitzung durch abdominale Köliotomie, event. mit dem 
Appendix selbst und mit den erkrankten Genitalorganea oder später 
bei neuen, vom Appendix oder den Adnexen ausgehenden Störungen 
im freien Intervall operirt werden. 

Thorn t Das Zusammen treffen von Stieltorsion mit Appendixverwachsungen 
läßt sich leicht durch die peritonitischen Verwachsungen erklären, ohne daß 
eine Appendicitis die Ursache der Stieltorsion infolge der verstärkten Bauch¬ 
presse sein muß. 

V. Wild weist an der Beschreibunng von einzelnen Fällen nach, daß 
die Verwechslung zwischen Genitalerkrankungen nnd Appendicitis sehr häufig 
sei. Er weist besonders auf die larvirte Perityphlitis hin. 


Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 

(Auszug aus dem officiellen Protokoll.) 

Sitzung vom 9. Januar 1902. 

J. MANNABERG berichtet über einen Fall von acuter Leu¬ 
kämie. Die 19 Jahre alte Pat. hatte vor einem Monate ein maculo- 
papulöses Geschwür, weshalb ihr 2 Cgrm. Sublimat injicirt wurden. 
Eine Woche darauf erkrankte sie unter Fiebererscheinuugen (Tem¬ 
peratur bis 40°), Puls 132, Appetitverlust, vorübergehender Sali- 
vation, hochgradiger Schwäche; durch einige Tage bestand profuses 
Nasenbluten und Erbrechen. Zwei Wochen nach ihrer Erkrankung 
wurde Pat. somnolent, blaß, hatte livide Flecke an den Wangen, 
ward plötzlich schwerhörig, ferner wurden constatirt: Starrheit 
und Schmerzhaftigkeit der Halswirbelsäule, Trismus, Meteorismas, 
Milztumor, Schmerzhaftigkeit des ganzen Körpers, fehlende Patellar- 
reflexe. Im Beginne der Krankheit hatte man vorübergehend an 
eine Quecksilbervergiftung gedacht, schließlich gelangte Vortr. auf 
Gruud der Blutuntersuchung zu der Diagnose einer acuten Leukämie. 


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Für letztere sprach anch der Obductionsbefnnd, welcher ein 
gangränöses Geschwür im Rachen aufdeckte. 

E. Spiegler hat die Kranke im Beginne der Erkrankung beobachtet 
und hält daran fest, daß der bei der Pat. beobachtete Ausschlag syphilitischer 
Natur war. 

K. Berdacll bemerkt, daß sowohl der Krankheitsverlauf als auch der 
Blutbefund durch Sepsis erklärt werden könnten. 

J. Mannaberg weist nochmals darauf hin, daß der atypische Blut¬ 
befund durch Combination von Leukämie mit Sepsis zu erklären sei. 

R. SCHMIDT stellt eine 60jährige Pat. mit Erytbromel- 
algie vor. Die Frau bekam vor zwei Jahren am rechten Fuße 
Schmerzen, Schwellung und eine livide Verfärbung; die Symptome 
dauerten 5 Monate an und traten später am linken Fuße auf. Seit 
August v. J. bat sie in der rechten Hand anfallsweise Schmerzen, 
die Hand ist ödtmatös und abwechselnd roth oder blau cyanotisch 
gefärbt, die Nägel sind gekrümmt und blau-schwärzlich verfärbt. 
Die Untersuchung der Kranken ergibt: Milztumor, sklerotische Ver¬ 
dickung der peripheren Gefäße, Uebererregbarkeit der Vasomotoren 
(Dermographismus), 10 Millionen Erythrocyten in 1 Cmm., bläuliche 
Verfärbung im Gesichte, leichte Erhöhung der Temperatur. Die 
Therapie bestand in localer Application von Empl. cinereum, worauf 
die besonders bei Nacht exacerbirenden Schmerzen sich milderten, 
und von Eisbeuteln. 

L. v. Schrötter, welcher die Kranke ebenfalls beobachtet hat, lenkt 
die Aufmerksamkeit auf folgende Symptome: Venennetze am Thorax und am 
Halse, cyanotische Färbung des Gesichtes und der sichtbaren Schleimhäute, 
arteriosklerotische Veränderung. Dem Falle dürfte ein complicirter Symptomen- 
complex zugrunde liegen. 

W. Türk hat zwei ähnliche Fälle beobachtet: 1. Eine Frau mit Ne¬ 
phritis, linksseitiger Herzhypertrophie, mäßiger Sklerose der peripheren Gefäße, 
Eiweiternng der kleinen Venen im Gesichte, am Halse und an den Händen, 
Cyanose dieser Theile und der Schleimhäute, Veimehrung der Erythrocyten 
auf 7'5 Millionen. Hämoglobingehalt nach Fleischl 1J0—112. Die Kranke 
ging an Urämie zugrunde. 2. Eine Kranke mit kolossaler Cyanose und Gefäß- 
erweiterungen im Gesichte, am Halse und an den Schleimhäuten, Arteriosklerose, 
großem Milztumor, Erythrocyten 10 Millionen, Leukocyten 32.800, Hämoglobin¬ 
gehalt nach Fleischl über 140- 

M. Kahane hat bei der Zusammenstellung der bisher beschriebenen 
. Fälle von Erythromelalgie gefunden, daß es nur wenige reine Fälle derselben 
gibt. Nur solche Fälle, bei denen keine anderen Symptome vorliegen, können 
aber als Erylhromelalgie bezeichnet werden; bei Vorhandensein von Gefäß- 
verändeiungen könnte man nur von einem eiythromelalgieähnlichen Sympto- 
mencomplex sprechen. 

H. Weiß erinnert an zwei ähnliche von ihm in der „Gesellschaft der 
Aerzte“ vorgestellte Fälle. 

S. v. Basch hat bei den vorgestellten Patienten einen Blutdruck von 
120Mm. Hg gefunden, also keine hohe Ziffer. Dies spricht jedoch nicht gegen 
angiosklerotische Veränderungen, weil der Druck sich im Laufe der Zeit 
ändern kann. 

B. Schmidt erwidert, daß die Abgrenzung der reinen Erythromelalgie 
und der ihr ähnlichen, durch Arteriosklerose hervorgerufenen Symptome sehr 
schwer sei, weil fließende Uebergänge vorhanden sind. 

R. BREUER demonstrirt ein anatomisches Präparat von 
tnberculösem Magengeschwür, welches bei der Obduction 
einer 25jährigen Frau gewonnen wurde. Dieselbe erkrankte plötz¬ 
lich vor zwei Jahren unter Magenbeschwerden (Erbrechen) im An¬ 
schlüsse an ein psychisches Trauma; bei der Untersuchung fand 
man linksseitige Spitzentuberculose, complete Magenachylie und 
schwere motorische Mageninsufficienz. Später entwickelte sich Peri- 
carditis, von welcher Herzbeschwerden zurückblieben. Da man einen 
Sanduhrmagen bei der Pat. vermuthete, wurde eine Gastroentero¬ 
stomie ausgeführt; es fand sich aber nur, daß der vorspringende 
Leberlappen den Magen eindrückte. Einige Tage darauf Exitus. 
Bei der Obduction fanden sich: Chronische Tuberculose der linken 
Lungenspitze, tuberculose Pericarditis mit Concretio cordis, tuber- 
culöse Geschwüre im Magen, Schwellung der Bronchial- und Mesen¬ 
terialdrüsen. Pat. hatte zu Lebzeiten bei gefülltem Magen continuir- 
liches Fieber, oft mit Schüttelfrösten, welches nach der Magenaus¬ 
spülung sofort verschwand. 

Apotheker BLUMENTHAL demonstrirt eine Athmungsmaske 
fürSauerstoffinhalationen. Sie besitzt doppelte Metall wände, 
in deren Zwischenraum der Sauerstoff eingeleitet wird. Von da aus 
strömt er durch die vielfach perforirte Innenwand in den Hohl¬ 
raum der Maske. Dieselbe bedeckt Mund und Nase des Kranken. 
— Ferner demonstrirt B. einen Apparat zum Aufblasen 
vonPulver hülsen. Derselbe ist dazu bestimmt, das unhygienische 


Aufblasen der Papierhülsen für Pulver mit dem Munde zu ver¬ 
meiden. Er besteht aus einem Blasebalg, aus welchem die Luft 
durch eine verticale, an ihrem Ende nach abwärts gebogene Röhre 
entweicht und dabei die darunter gehaltenen Papierhülsen entfaltet. 


Wiener medicinisclies Doctoren-Collegium. 

Wissenschaftliche Versammlung vom 20. Jänner 1902. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

i. Mannaberg: Diagnostische Bemerkungen zu einigen Unterleibs¬ 
erkrankungen. 

Vortr. sah in den letzten 3 Jahren 5 Fälle von Leber- 
absceß, von denen 4 operirt wurden. Im ersten Falle handelte 
es sich um einen jungen, bis dahin gesunden Marineofficier, welcher 
unter allgemeinen Infectionssymptomen an remittirend-intermittirendem 
Fieber ohne Schüttelfröste erkrankte. Es bestand kein Schmerz, 
bloß hie und da ein Spannungsgefühl in der unteren Sternalgegend. 
Als einziges objectives Symptom ließ sich nachweisen, daß die 
Leberdämpfung vorn an der 5. Rippe begann und sich bei der 
Respiration nicht änderte. Die Leber war nach unten nicht ver- 
giößert, kein Milztumor, geringe Leukocytose, Jodreaction negativ. 
Wegen Verdacht auf Leberahsceß wurden zahlreiche tiefe Punctionen 
in die Leber ausgeführt; dieselben waren jedoch erfolglos. Als 
nach mehrwöchentlicher Krankheit Schüttelfröste eintraten , wurde 
von Prim. Doc. Dr. Schnitzler eine Laparotomie vorgenoramen, 
bei welcher in der Leberkuppe, doch tief in der Substanz der 
Leber ein kleiner Absceß eröffnet wurde. Heilung. — Im zweiten 
Falle traten bei einem jungen Manne, welcher früher öfter an 
Malaria, ein Jahr vor der Erkrankung au Dysenterie gelitten, hatte, 
folgende Erscheinungen auf: Intermittirend-remittirendes Fieber 
ohne Fröste, starke Leukocytose mit positiver Jodreaction, Dämpfungs- 
grenze der Leber vorne und seitlich etwas höher, respiratorische 
Verschiebung gering, Leber palpabel, doch nach unten wenig 
vergrößert, etwas schmerzhaft, Milztumor, rechts Schulterschmerz. 
Diagnose: Leberabsceß im rechten Lappen. Als ein Durchbruch des 
Eiters in die rechte Lunge erfolgte, wurde nach Resection mehrerer 
Rippen eine große Menge Eiter entleert. Nach 24 Stunden Exitus. 
— 3. Fall: 45jährige Frau, stets gesund; seit 2 J / 2 Monaten mäßig 
starkes, remittirendes Fieber, anfangs etwas Diarrhoe, niemals 
Schmerzen. Leberdämpfung nach oben vergrößert, nach unten 
2—3 Querfinger unter den Rippenbogen, Leber nicht schmerzhaft; 
geringer Milztumor. Hinten dieInterostalräume vorgewölbt. Diagnose: 
Leberabsceß. Operation, Heilung. — 4. Fall: 2(4 monatliches 
Fieber, dann durch etwa 1 Jahr keine Störung, hierauf starke 
Schüttelfröste, Leber vorne von der 4. Rippe bis unter den Nabel 
reichend, derb; starke Leukocytose, Jodreaction positiv. Diagnose: 
Multiple metastatische Leberabscesse vom Wurmfortsatz aus. Bei 
der Operation wird nur ein kleiner Absceß in der vorderen Leber¬ 
wand gefunden. Exitus. — 5. Fall: Eine 45jährige Frau aus 
einer Malariagegend hatte seit 11/ 2 Jahren intermittirendes Fieber, 
welches manchmal für Wochen ausblieb. Im Blute fanden sich 
keine Malariaparasiten. Leber nach unten bis au den Nabel ver¬ 
größert, schmerzhaft, Milz palpabel. Da der erste Mann der Pat. 
an Tabes dorsalis gestorben war, wurde an Lebersyphilis gedacht 
und eine Jodcur eingeleitet. Heilung. Als wichtigste Symptome des 
Leberabscesses sieht Vortr. an : Lange dauerndes, remittirend-inter- 
mittirendes Fieber, den Blutbefund (Leukocytose), Vergrößerung 
der Leber nach oben. 

Ferner hat Vortr. 3 Fälle von Pneumonie mit starkem 
Meteorismus beobachtet, von denen 2 in einer Wohnung vor¬ 
kamen und letal endeten. Im geheilten Falle fauden sich Pueu- 
moniekokken und Influenzabacillen im Sputum. 

Zum Schlüsse theilt Vortr. einen Fall von Pleuritis mit 
lleuserscheinungen mit: Meteorismus, kein Abgang von Koth und 
Winden, fäculentes Erbrechen, jauchiges pleuritisches Exsudat. 
Wegen Verdachtes auf Volvulus Colostomie. Nach 2 Tagen Exitus. 
Die Autopsie ergab keinerlei Abnormitäten im Darm. Der Ileus ist 
in diesem Falle als ein toxisch dynamischer anzusehen. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 4. 


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B. London bat im Oriente die Leberabscesse besonders bei Personen, 
namentlich Europäern, beobachtet, welche dem Alkoholgenuß ergeben waren. 
Die Verbreiterung der Leberdämpfung bei Leberabscessen kann er nach seinen 
Beobachtungen bestätigen. 

J. Schnitzler bemerkt, daß in dem vom Vortr. beschriebenen und von 
ihm operirten Falle von Leberabsceß der positive Ausfall der Jodreaction für 
den Entschluß zur Operation ausschlaggebend war, trotzdem circa 20 Punc- 
tionen keinen Eiter ergaben. Ferner hat Sch. noch einen Leberabsceß operirt, 
welcher anfangs für einen Lebertnmor gehalten wurde, ferner einen Leber¬ 
absceß nach Appendicitis. In einem von ihm beobachteten Falle von Rippen- 
fractur wanderte der entstandene leichte pleuritisclie Proceß auf die Unter¬ 
seite des Zwerchfelles hinüber, hierauf kam es zur Darmlähmung und Pat. starb 
trotz Operation an Ileus. 

H. Teleky hat einen Fall von im tastatischem Leberabsceß nach einem 
Entzündungsprocesse in der Nase beobachtet. In einem Falle hörte das monate¬ 
lang andauernde Fieber, in dessen Verlaufe eine Schwellung im Sprunggelenke 
auftrat, nach Jodkalidarreichung auf, dasselbe war auch der Fall, als das 
Fieber später wiederholt recidivirte; nach chirurgischer Behandlung eines an 
einem Fuße aufgetretenen Tophus ist das Fieber seit 2 Jahren verschwunden. 
Bei Darmläbmung werden durch Einführen eines Darmrohres nur geringe 
Mengen an Darmgasen entfernt. 

P. Mittler hat Meteorismus am häufigsten bei Pneumonie der Unter¬ 
lappen beobachtet; zur Bekämpfung des Meteorismus hat sich ihm als ein 
ausgezeichnetes Mittel Magnesia usta anglicana allein oler mit Calomel bewährt. 

Gersuny möchte die Herabsetzung der respiratorischen Verschieblich¬ 
keit der Leber bei Leberabsceß durch Lähmung der den Absceß am nächsten 
gelegenen Zwerchfellhälfte infolge ödematöser Durchtränkung des Zwerchfell¬ 
muskels erklären. Vielleicht dürfte auch die Darmlähmung bei Affectionen der 
Lungen auf ein Oedem der Darmwand zurückführbar sein, weil das Diaphragma 
für Flüssigkeit leicht passirbar ist. 

J. Mannaberg stimmt dieser Erklärung für die Unverschieblichkeit 
der Leber zu, die aber auch durch Verwachsung der Vorderfläche der Leber 
mit dem Zwerchfell und der Bauchwand entstehen kann. Die Anwendung des 
Darmrohre* soll bei Meteorismus nicht unterlassen werden, da dieser so 
sicherlich herabgesetzt wird; freilich können sich die Darmgase wieder an¬ 
sammeln ; sie müssen dann natürlich wieder entfernt worden. 


K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Med. Presse“.) 

Sitzung vom 24. Januar 1902. 

G. V. TÖRÖK zeigt ein Präparat, welches den Effect der 
Gastroenterostomia retrocolica demonstrirt. Diese Ope¬ 
ration wurde an einer 53jährigen Frau wegen Magencarcinom aus¬ 
geführt, wobei infolge der osteomalacischen Verkrümmung der 
Kippen und wegen fester Verwachsungen der Zugang zum Magen 
sich als so erschwert erwies, daß eine Ernährungsfistel, welche 
man ursprünglich anlegen wollte, nicht etablirt werden konnte. 
Pat. starb 18 Stunden nach der Operation; die Obduction ergab 
allgemeine Carcinomatose. Die Passage hinter der Anastomose war 
vorzüglich, der zuführende Darmschenkel hingegen war durch eine 
Darmwandfalte verengt. 

HUGO Frey stellt zwei Fälle von operirten otitischen 
Gehirnabscessen vor. Bei dem ersten Pat., einem 25jährigen 
Manne, welcher seit der Jugend an linksseitiger, zeitweise exacer- 
birender Otitis litt, traten plötzlich Symptome eines Gehirnabscesses 
auf: Fieber, Kopfschmerz, Erbrechen, Delirien, Puls 84. Nach Er¬ 
öffnung der Mittelohrräume wurde die Dura in der mittleren Schädel¬ 
grube freigelegt und incidirt, zwei Punctionen des Schädellappens er¬ 
gaben Eiter, ohne daß man in eine Absceßhöhle gekommen wäre. Drai¬ 
nage der Gehirnincisionen. Nach der Operation Besserung des Befin¬ 
dens des Pat., doch vorübergehend Aphasie und Paraphasie; der 
Kranke hatte zu dieser Zeit vollständig die Rechnungsoperation der 
Multiplication verlernt. Gegenwärtig besteht vollkommene Heilung. 
— Der zweite Patient, ein 26jähriger Mann, bekam im An¬ 
schlüsse an Otitis eine Eiterung im Warzenfortsatze; dieser wurde 
excochleirt. Als sich nach einiger Zeit Zeichen eines Gehirn¬ 
abscesses nebst linksseitiger Hypästhesie einstellten, wurde von der 
früheren Operationsstelle aus die Dura der hinteren und mittleren 
Schädelgrube freigelegt und eröffnet; mehrfache Incisionen in den 
Schläfelappen und das Kleinhirn förderten keinen Eiter zutage 
und das Befinden des Patienten besserte sich nicht; auch später 
wiederholte Punctionen hatten keinen Erfolg. Da entleerte sich 
plötzlich spontan aus der Wunde eine große Menge Eiter und 
die Sondirung führte auf einen zwischen der Dura und der vor¬ 
deren Wand der mittleren Schädelgrube liegenden Absceß, nach 
dessen Drainirung Heilung eintrat. — Vortr. ist der Ansicht, daß 


man schon bei bloßem Verdachte auf einen otitischen Gehirnabsceß 
operiren und diesen auf dem Wege angehen soll, auf dem er ent¬ 
standen ist, d. h. vom Ohre aus. 

Arth. Schiff hebt die Bedeutung der Lumbalpunction für die Diffe¬ 
rentialdiagnose zwischen Meningitis (eiterige PauctionsfliLssigkeit) und Gehirn¬ 
absceß (klarer Liquor) hervor. 

Vict. Hammerschlag- meint, daß die Lumbalpunction und die durch 
Rie ermöglichte genauere Stellung der Diagnose vielleicht eher zur Verzögerung 
mancher Operation führen könnte. 

E. Redlich bemerkt, daß differentialdiagnostisch noch die Encephalitis 
und die tuberculöse Meningitis in Betracht kommen. Die Lumbalpunction ist 
kein gleichgiltiger Eingriff, sie kann, unvorsichtig aasgeführt, bei Gehirn¬ 
tumor geradezu schädlich wirken. Ein Symptom des Gehirnabscesses ist der 
fieberlose Verlauf. 

Rob. Breuer schlägt die Gefahr der Lumbalpunction nicht so hoch an. 

K. Gussenbauer hält bei Gehirnabsceß und eiteriger Meningitis die 
Operation für indicirt. Der Effect der Operation hängt nur vom Zeitpunkte 
des Eingriffes ab. Die tuberculöse Meningitis ist bis jetzt nicht heilbar; wird 
sie es aber einmal sein, dann wohl nur auf chirurgischem Wege. 

Ernst Fuchsig demonstrirt einen Säugling mit einer Mi߬ 
bildung des Genitale (Synoschos). Die rechte Hodensack¬ 
hälfte ist größer als die linke; es besteht beiderseitige Hydrokele; 
die Haut des mit Ausnahme einer Phimose normalen Penis ist mit 
dem Scrotum verwachsen. Die Therapie wird in Durchtrennung 
der Verwachsung und Naht bestehen. 

Otto Grosser: Ueber arteriovenöse Anastomosen beim Men¬ 
schen. 

Vortr. hat derartige Anastomosen an den Endphalangen 
Krallen tragender Thiere beobachtet; das Uebergangsstück von 
der Arterie in die Vene ist durch das Auftreten von Längsmuscu- 
latur innerhalb der Ringmusculatur und das Fehlen der Intima 
ausgezeichnet. Im weiteren Verlaufe verschwindet die Längs- 
musculatur, die Ringmusculatur wird schwächer und die Intima 
tritt wieder auf, so daß nun eine Vene formirt ist. 

Beim Menschen fand Vortr. diese Anastomosen in der Finger¬ 
beere und im Nagelbette. In der ersteren entspringen die Anasto¬ 
mosen aus den Arterien in der subpapillaren Schichte. Die Arterie 
bekommt nach innen von der Ringmuskelschichte eine mächtige 
Längsmusculatur; die erstere kann auch durch ein Muskelgewebe 
aus kleinen und kurzen Muskelzellen mit ovalen Kernen (modifi- 
cirte glatte Musculatur) mit vereinzelten normalen Ringrauskel- 
fasern ersetzt werden. Die Längsmusculatur ist nicht compact, 
sondern bildet einzelne Stränge. Die Intima ist bis auf einzelne 
elastische Fasern verschwunden. Dann nimmt das Gefäß wie beim 
Thiere die Venenform an und mündet iu eine subpapilläre Vene. 
Die Anastomosen sind von Venenknäueln umgeben und in ein 
kernreiches Gewebe eingebettet. Im Nagelbette sind die Verhält¬ 
nisse ebenso, nur sind die Gefäßschlingen langgestreckt. Die physio¬ 
logische Bedeutung dieser Anastomosen könnte darin liegen, daß 
sie durch Beschleunigung der Blutcirculation eine schnelle Er¬ 
wärmung der Haut ermöglichen; dafür spricht auch der Umstand, 
daß sie bei Amphibien fehlen. Da Akroparästhesien , Trommel¬ 
schlägelfinger und Erythromelalgie an denselben Körpertheilen wie 
die Auastomosen Vorkommen, könnte man auch hier an einen Zu¬ 
sammenhang denken. 


Notizen. 


Wien, 25. Januar 1902. 


Hugo y. Ziemssen f. 

1829-1902. 


Einer der ersten Kliniker der Gegenwart, Geheimrath Prof. 
Dr. Hugo v. Ziemssen, ist in München, an der Stätte seiner Wirk¬ 
samkeit und seiner größten Erfolge, am 20. d. M. gestorben. 

Der Hintritt v. Ziemssen’s hat einen Lebenslauf abgeschlossen, 
der, an innerer Befriedigung und an Ehren reich wie selten einer, 
an Schaffensfreudigkeit und Schaffenskraft kaum seinesgleichen 
sah. Einer jener wenigen Glücklichen ist gestorben, denen sich 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 4. 


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mit der Arbeit stets der Erfolg verband und dessen unermüdlicher 
Drang zur Bethätigung immer auch das Arbeitsfeld fand, auf dem 
er seine Kraft zu entfalten, zu zeigen vermochte. 

Hugo v. Ziemssen ward am 13. December 1829 in Greifswald 
als Sohn des schwedischen Hofgerichtsrathes und späteren preußischen 
Geheimen Justizrathes Wilhelm Ziemssen geboren. Eifriger Hang 
zur Natur und ein früh erwachtes Interesse für die Naturwissen¬ 
schaften reiften seinen Entschluß, sich der Medicin zu widmen; 
er begann seine Universitätslaufoahn zu Greifswald im „tollen 
Jahre“ 1848. Ein Jahr darauf sehen wir ihn an der Berliner 
Universität, wo er zu Füßen Schlemm’s und Johannes Müller’s 
die Grundlagen und Principien der medicinischen Wissenschaft in 
sich aufnimmt und in innigem Contacte mit Virchow, Scherer 
und Scanzoni die naturwissenschaftliche Methodik auf die Medicin 
an wenden lernt. Denn in den Anfang der Studienzeit v. Ziemssen’s 
reichten noch die Ausläufer der SCHELLiNG’schen Naturphilosophie, 
des Brownianismus und des Yitalismus, die erst durch den macht¬ 
vollen Einfluß der naturwissenschaftlichen Schule erschüttert und 
vernichtet wurden. Im Jahre 1854 bestand v. Ziemssen zu Berlin 
das medicinische Examen; seine Promotionsarbeit handelte Uber 
den „Hospitalbrand“. 1855 —1861 war er Assistent bei F. Niemeye i. 

Die ersten Lorbeeren auf internistischem Gebiete, das er mit 
weitem klinischen Blicke und intuitivem Schaffen auszubauen ver¬ 
stand, sicherte ihm seine Monographie über „Pleuritis und Pneu¬ 
monie im Kindesalter“, die für die Differentialdiagnose jener 
Affectionen wichtig ist; sie bildet den Ausgangspunkt einer großen 
Reihe von Arbeiten, welche v. Ziemssen’s Ruhm und Ruf immer 
weiter trugen und von seiner seltenen Vielseitigkeit und Schaffens¬ 
kraft Zeugniß ablegten. Sein Buch „Die Elektricität in der Medicin“ 
ist bereits in vielen Auflagen erschienen. 

1863—1874 lehrte er neben Gerlach, Thiersch, Zenker, 
Heinere, Schroeder und Rosenthal zu Erlangen, und hier 
begründete er im Jahre 1866 das „Deutsche Archiv für klinische 
Medicin“, von dem bereits 69 Bände erschienen sind; es ist mit 
seinem Gründer gewachsen und hat in seinen Spalten den größten 
Theil des Werdegangs der Medicin verzeichnet. 

In unerschöpflicher Arbeitslust hat v. Ziemssen in den Sechziger¬ 
jahren sein großes „Handbuch der Pathologie und Therapie innerer 
Krankheiten“ redigirt und darin die Krankheiten des Kehlkopfes, 
des Oesophagus (mit Zenker), Chorea und die Physiologie der 
Haut selbst bearbeitet. Im Jahre 1870 stellte er seine Kraft in 
den Dienst seines Vaterlandes, einen Sanitätszug leitend und 
unermüdlich in den Hospitälern um Metz thätig. Von Ostern 1874 
bis zu seinem Tode war er Leiter der ersten medicinischen Klinik 
und Director des großen Krankenhauses zu München. Hier hat er 
eine gründliche Reform des klinischen Unterrichtes angebahnt und, 
seiner Zeit weit vorauseilend, auf die praktische Ausbildung seiner 
Aerzte das größte Gewicht gelegt. 

Im Vereine mit v. Pettenkofer gab er hier auch das 
„Handbuch der Hygiene“ heraus. 

Nicht weniger als 87 Publicationen, von denen einige ganze 
Bände füllen, sind aus v. Ziemssen’s Feder hervorgegangen. Nur 
einige derselben seien hier angeführt: 

„Neuralgie und Neuritis bei Diabetes“ ; „Cholera und ihre 
Behandlung“; „Aetiologie der Tuberculose“ ; „Syphilis des Nerven¬ 
systems“ ; „Lähmungen von Gehirnnerven“; „Studien über die 
normalen Bewegungsvorgänge am menschlichen Herzen“; „Pulsus 
differens und seine Bedeutung“ ; „Stimmbandlähmungen“; „Zur 
Technik der Localbehandlung dos Magens“ ; „Behandlung des 
Morbus Brightii“; „Die Neurasthenie und ihre Behandlung“; 
„Therapie der Tuberculose“; Behandlung der acuten Infektions¬ 
krankheiten“; „Ernährungstherapie bei Nierenkrankheiten“; „Ucber 
den medicinisch - klinischen Unterricht“; „Dämonenglaube und 
Wissenschaft“, ferner eine große Reihe in hygienischer Hinsicht 
allgemein wichtiger Arbeiten über die Morbidität von München, 
eine Anzahl historischer Erörterungen und viele Anregungen über 
den klinischen Unterricht, die Krankenpflege, Heilstätten, Recon- 
valescentenpflege etc. etc. 

Vor 2 Jahren haben die Schüler Ziemssen’s den 70. Geburtstag 
ihres Meisters durch Herausgabe einer Festschrift gefeiert. 


Ziemssen’s Leben ist eine lange Kette zusammenhängender 
und systematischer Arbeit. An allen Ecken und Enden boten sich 
ihm Probleme dar, denn er war ein Sehender, der allenthalben 
Lücken sah und Verbindungen fand, ein Forscher im wahrsten 
Sinne des Wortes, ein kluger Kliniker und ein zielbewußter Lehrer. 
Die Summe seines Lebens ist reich und groß gewesen. 


(Wiener Aerztekammer.) In der am 21. d. M. statt¬ 
gefundenen Versammlung der Wiener Aerztekammer wurde auf 
Grund eines Referates des Krankencassen-Comitös die Stellung¬ 
nahme zu der neu gegründeten Krankencasse der Wiener 
Bankbeamten einer eingehenden Berathung unterzogen. Dem 
vom Comitö gestellten Schlußantrage, die Frage der Krankencasse 
der Wiener Bankbeamten im Sinne der Meisterkrankencassenfrage 
zu behandeln, wurde mit überwiegender Majorität zugestimrnt und 
über Antrag des Dr. Max Herz folgender Beschluß gefaßt: Die 
Wiener Aerztekammer erklärt es für standeswidrig, bei der Kran¬ 
kencasse der Wiener Bankbeamten irgend eine ärztliche Stelle an¬ 
zunehmen, . insolange die Annahme einer solchen nicht unter Be¬ 
dingungen möglich ist, die von der Wiener Aerztekammer geprüft 
und gutgeheißen worden sind.“ Der Antrag des Dr. Obhlidal, 
„es sei ein Regulativ auszuarbeiten für alle Arten von Kran- 
kencassen, welches alle Punkte enthalten solle, deren Erfüllung 
die Aerzte zu fordern berechtigt sind; nach diesem Regulativ solle 
in Hinkunft mit den Krankencassen verkehrt und jedes andere 
Unterhandeln aufgegeben werden“, wurde dem Krankencassen- 
Comite der Kammer zur Berichterstattung zugewiesen. 

(Universitäts-Nach richten.) Die bereits angekündigte 
Berufung des o. Professors der Kinderheilkunde der Grazer Hoch¬ 
schule Dr. Theodor Escherich an die W i e n e r Universität ist 
nunmehr erfolgt. Mit Escherich, welcher der Münchener und 
Berliner Schule entstammt, tritt einer der ausgezeichnetsten 
Lehrer, ein unermüdlicher und erfolgreicher Forscher auf dem 
Gebiete der Pädiatrie, in den Verband unserer Universität. Von 
seinen zahlreichen Arbeiten seien — als Marksteine seines wissen¬ 
schaftlichen Werdeganges — hier nur die Monographien „Die Darm- 
bacterien des Säuglings“ (1886), „Aetiologie und Pathogenese der 
Diphtherie“ (1894), „Diphtherie, Croup und Serumtherapie“ (1895) 
genannt. Escherich wird vorläufig im St. Annen-Kinderspital lesen, 
bis die neue pädiatrische Klinik als würdige Stätte der Lehre 
und Forschung vollendet sein wird. — Hofrath Prof. Dr. ErNst 
Ludwig feierte am 19. d. M. seinen 60. Geburtstag. Collegen, 
Schüler und Freunde des allverehrten Lehrers bereiteten dem¬ 
selben aus diesem Anlasse herzliche Ovationen. 

(Auszeichnungen.) Generalstabsarzt Dr. Joseph Uriel 
hat den preußischen Kronenorden II. CI. mit dem Sterne, Ob. 
St. A. II. CI. Dr. Albert IIuber das Ehrenkreuz „Pro Ecclesia 
et Pontifice“, die Stabsärzte Dr. Alois Pick und Dr. Leopold 
Meisel haben den preußischen Rothen Adler-Or len Ilf, CI. und 
St. A. Dr. Johann Merlin hat den preußischen Kronenorden 
III. CI. erhalten. — Dem dirigirenden Arzte am Wiesbadener 
Krankenhause Dr. W. 0. Weintraud ist der Professortitel ver¬ 
liehen worden. 

(Oberster Sanitätsrath.) In der Sitzung vom 18. d. M. ge¬ 
langten nach Mittheilung der Verhältnisse der Verbreitung der Pest im 
Auslande die Anträge des Fachcomitös zur Bekämpfung der Tuber¬ 
culose zur Berathung und theil weisen Erledigung. Nach Schluß 
der Sitzung fand eine längere Berathung des Specialcomitös zur 
Feststellung der Grundsätze für den Betrieb wissenschaft¬ 
licher Studien an Kranken in den öffentlichen Kran¬ 
kenanstalten statt. 

(Niederösterreichischer Landes-Sanitätsrath.) 
In der Sitzung vom 13. Januar d. J. wurden folgende Referate 
erstattet: Ueber die seitens einer Gemeinde und mehrerer Pri¬ 
vater eingebrachten Recurse wegen Errichtung einer Berieselungs¬ 
anlage für die Abwässer eines Brauhauses; über das Project 
des Neubaues eines chirurgischen Pavillons und eines Prosectur- 
Gebäudes bei einer Wiener k. k. Krankenanstalt; über die 
Erweiterung einer Privat-Heilanstalt für Gemüths-, Geistes- und 
Nervenkranke iu Wien; über ejn Ansuchen um Verleihung 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 4. 


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einer Concession zum Betriebe einer Leichenbestattungs-Unterneh- 
mung in Wien mit Ausschluß der Leichen an Infections-Krank- 
heiten Verstorbener; über den Vorschlag für die Besetzung 
mehrerer Primararztstellen an den Wiener k. k. Krankenanstalten. 

(Centralausschuß sämmtlicherAerztekammern.) 
Die mährische Aerztekammer regt die Bildung eines Centralaus¬ 
schusses sämmtlicher Aerztekammern an. Die Aufgabe dieses Aus¬ 
schusses soll in der Besorgung des directen Verkehres mit den 
Centralstellen des Staates im Sinne der Beschlüsse sämmtlicher 
Kammern und in ihrem Namen bestehen, ferner in der Vorberathung 
und Vorbereitung aller gemeinsamen Angelegenheiten für den 
Kammertag. Die Institution des Centralausschusses soll dem Kam¬ 
mergesetze einverleibt und mit diesem juridisch begutachtet werden. 

(Di e P o rt o f rei he i t der ärztlichen V er letz u n gs- 
anzeigen.) In Nr. 49 des vorigen Jahres theilten wir mit, daß 
die k. k. Polizei unfrankirt eingesendete Verletzungsanzeigen den 
Absendern zur Einforderung des Portos rücksende, nachdem sie 
das betreffende Schriftstück entnommen hatte. Wir sprachen die 
Ansicht aus, daß die Polizei entweder die Zuschrift annehmen und 
dann das Porto entrichten solle oder aber die Annahme verwei¬ 
gern solle. Mit Bezug auf diese Notiz richtete die k, k. Polizei- 
direction an die Wiener Aerztekammer einen Erlaß, in dem sie 
darauf aufmerksam macht, daß Schriftstücke dann portofrei sind, 
wenn sie auf dem Couvert den Vermerk tragen: Dr. N. N. in 
Strafsachen, oder Dr. N. N. „Verletzungsanzeige“. — 

(Statistik.) Vom 12. bis inclusive 18. Januar 1902 wurden in 
den Civilspitälern Wiens 7427 Personen behandelt. Hievon wurden 1477 
entlassen; 1 fciO sind gestorben (9'8% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkeiung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 97, egypt. 
Augenentzündung 5, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 6, Dysen¬ 
terie —, Blattern —, Varicellen 178, Scharlach 73, Masern 392, Keuchhusten 49, 
Rothlauf 39, Wochenbettfieber 4, Rötheln 8, Mumps 6, Influenza —, follicul. 
Bindehaut-Enlznndung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 578 Personen gestorben 
(+ 11 gegen die Vorwoche). 

Zum Jahreswechsel versendete die Firma Heinrich Mattoni in Wien, 
Karlsbad, Franzensbad und Gießhübl-Sauerbrunn an die Aerzte einen hübsch 
ausgestatteten Abreißkalender. 

Hoftitel. Der Apotheker Julius Bittner, Coniferen-Sprit-Fabrikant in 
Reichenau, N.-Oe., wurde mit dem Titel eines k. u. k. Hoflieferanten aus¬ 
gezeichnet. 


Wiener Medicinisches Doctoren-Collegium. 

Wissenschaftliche Versammlung. 

Montag den 27. Januar 1902, 7 Uhr Abends, 

im SitzuDgssaale des Collegiums, I., RothenthurmstraOe 19 (van Swietenhof). 
Vorsitz: Prof. Obebsteinek. 

Programm: 

Doc. Dr. Emil Schwarz : Ueber die entfernteren Beziehungen zwischen 
den Organen. 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 


Mit dieser Nummer versenden wir eine Beilage der 

Farbenfabriken vormals Friedr. Bayer & Co., Elberfeld, über 
Agurin. Wir empfehlen dieselbe der geneigten Beachtung 
unsrer Leser. 


Die Rubrik: „Erledigungen, ärztliche Stellen“ etc . 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite, 

MT Wir empfehlen diese Rubrik der speolellen Beachtung unserer 
geehrten Leser; in derselben werden öfters — neben der Publioation von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auch für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein können, welche an eine 
Aenderung desDomioils oder ihrer Verhältnisse nicht gedacht haben. *3N 


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Ischias und Haemorrhoiden. 

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Franzensbad, Wien, Karlsbad, Budapest. 



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Wien, den 2. Februar 1902. 


Nr. 5. 


XLIII. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart-Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik“, letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse" 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Militäräizilicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
20 A", halbj. 10 A', viertelj. 5 K. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk., halbj. 12 Mrk. „Wiener Klmik“ 
separat: Inland: jährl. 8*'; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Ranm 
mit 50 Pf. — 60 fi berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein 
Sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „wiener Mediz. Presse“ in Wien.I, Maximilianstr. 4. 


Medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Organ für praktische Aerzte. 

-« 8 * 8 *- 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


Redaction: Telephon 1fr. 13.849. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Administration: Telephon Hr. 9104. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Aus der II. medicinischen Klinik der Wiener Universität (Hofrath Prof. E. Neusser). Erfahrungen 
über Aspirin. Von Dr. Friedbich Wielsch, Aspiranten der Klinik. — Aphasie und Demenz. Von Dr. A. Friedländer, Arzt der städt. Irrenanstalt 
in Frankfurt a. M. — Zur Lehre von den Neurosen des peripheren Kreislaufsapparates. (Ueber vasomotorische Ataxie.) Von Dr. Hans Herz in 
Breslau. — Referate. L. Kuttner (Berlin): Plätschergeräusch, Atonie und Gastroptose. — Stiller (Budapest): Noch ein Wort über Magenatonie.— 
Th. G. Janowsky und W. K. Wyssokowicz (Kiew): Ein Fall von Dermatomyositis. — Arthur Alexander (Breslau): Zur Klinik und Histologie der 
Folliclis. — A. Theilhabek (München): Zur Behandlung der Dysmenorrhoe. — L. E. Brkgmann (Warschau): Reflexepilepsie bei spastischer Oesophagus- 
stenose. — Simnitzki: Ueber die secretorische Tbätigkeit der Magendrüsen bei Gallenretention im Körper. — L. Fürst (Berlin): Die Asomnie im 
Kindesalter. — Sambebger: Ein Beitrag zur Lehre über die syphilitische Anämie mit besonderer Rücksicht auf die Blutveränderungen und die 
Urobilinurie. — Mikulicz und Reinbach (Breslau): Ueber Thyreoidismus bei einfachem Kropf. Ein Beitrag zur Stellung der Schilddrüse im 
BASEDow’schen Krankheitsbilde. — Borrel : Les th^ories parasitaires du cancer. — Geugou (Liege): De l’origine de l’alexine des s&rums normaux. — 
Kleine Mittheilungen. Behandlung der Furunculosis. — Ueber die Verwendung des Methylenblaus zur Prüfung der Nierenfanction. — Roborin. — 
Natrium salicylicum beim gonorrhoischen Gelenksrheumatismus. — Prostatitis. — „Ichtbyol“-Eisen und „Ichthyol“-Calcium. — Eine neue Methode 
der Phimosenoperation. — Literarische Anzeigen. Die Rassenschönheit des Weibes. Von Dr. C. H. Stratz. — Atlas und Grundriß der Ohrenheil¬ 
kunde. Unter Mitwirkung von Prof. Dr. A. Politzer in Wien herausgegeben von Dr. Gustav Brühl, Ohrenarzt in Berlin. — Feuilleton. Pariser Brief. 
(Orig.-Corresp.) I. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. Aus den Abtheilungen der 73. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte. 
Hamburg, 22.—28. September 1901. (Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) XVIII. — Gesellschaft für innere Medicin 
in Wien. (Orig.-Ber.) — Wiener medicinisches Doctoren-Collegium. (Orig.-Ber.) — K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — 
Notizen. Die Thätigkeit des „Oesterreichischen Naturbeilvereines“. — Neue Literatur. — Eingesendet. — Offene Correspondenz der Redaction 
und Administration. — Aerztliche Steilen. — Anzeigen. 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger*Angabe der Quelle „Wiener Medizinische Presse “ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Aus der II. medicinischen Klinik der Wiener 
Universität (Hofrath Prof. E. Neusscr). 

Erfahrungen über Aspirin. 

Von Dr. Friedrich Wielsch, Aspiranten der Klinik. 

Die therapeutische Wirkung der Salicylsäure bei rheu¬ 
matischen Erkrankungen ist eine solche, daß wir gewohnt 
sind, die Salicylsäure bei der Aufzählung der Specifica unseres 
Arznei Schatzes in erster Linie zu nennen. Leider aber hat die 
Salicylsäure oder vielmehr das salicylsäure Natron außer der 
günstigen Wirkung auch unerwünschte Nebenwirkungen, die 
Schuld daran sind, daß man häufig von der Anwendung dieses 
Mittels überhaupt, fast immer aber von einer dauernden 
absehen muß. In der Hoffnung, den Erfolg der Salicylsäure 
ohne unangenehme Nebenwirkungen zu erreichen, werden 
immer wieder neue Derivate und Verbindungen dieser Säure 
in die Therapie eingeführt; obwohl aber die Zahl dieser neuen 
Heilpräparate im Laufe der Zeit recht ansehnlich geworden 
ist, konnte doch keines das salicylsäure Natron erfolgreich 
verdrängen. Waren auch die Nebenwirkungen dieser neuen 
Heilmittel nicht mit denen des salieylsauren Natron identisch, 
so zeigten sich andere, oft unangenehmere, die daraus ent¬ 
sprangen, daß die Componente nun gleichfalls Nebenwirkungen 
entfaltete. Beim Aspirin war eine Wirkung von Seiten der 
Componente von vornherein nicht zu erwarten und es blieb 
daher nur die Befürchtung, daß das Aspirin als solches oder 
die sich abspaltende Salicylsäure im Organismus die dem 
salieylsauren Natron eigenen Nebenerscheinungeu entfalten 


könnte. Am Krankenbette stellte sich nun heraus, daß die thera¬ 
peutische Wirkung des Aspirins eben als Salicylwirkung sich 
mit der des salieylsauren Natron zum mindesten deckt, daß 
dagegen die beim salieylsauren Natron sich zeigenden Neben¬ 
wirkungen beim Aspirin theils nicht vorhanden, theils geringer 
und weniger unangenehm fühlbar sind. 

Das Aspirin stellt weiße Krystallnädelchen dar, deren 
Schmelzpunkt bei 135° liegt. Es löst sich in Wasser von 37° 
zu einem Procent, leicht in Alkohol und Aether. Es hat die 
chemische Zusammensetzung 

O—CO—C.H 3 

c«h 4 / 

x COOH 

die empirische Formel C 9 H 3 0 4 , ist also eine Acetylsalicyl¬ 
säure. Charakteristische Reactionen des Aspirins sind bisher 
nicht bekannt. Die verdünnte Lösung gibt mit Eisenchlorid 
eine nicht charakteristische dunklere Färbung als dem reinen 
Eisenchlorid entspricht; die concentrirte Lösung gibt einen 
nicht charakteristischen voluminösen, kaffeebraunen Nieder¬ 
schlag von Eisenaspirin. Eine Blaufärbung mit Eisenchlorid 
tritt, solange das Aspirin rein und unverändert ist, nicht 
auf; tritt eine solche ein, so ist das Aspirin bereits zersetzt 
und freie Salicylsäure vorhanden , was bei unaufmerksamem 
Aufbewahren in feuchten Räumen und in ungeschlossenen 
Flaschen leicht eintreten kann. 

Wird die Aspirinlösung gekocht oder mit Alkali ver¬ 
setzt, so tritt Spaltung ein, und zwar zerfällt das Aspirin 
unter Wasseraufnahme in Essigsäure und Salicylsäure. Bei 
Zusatz von Säuren tritt ebenfalls Spaltung ein, jedoch zum 
Unterschied vom Einflüsse des Alkali erst nach längerer 
Einwirkung. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 5. 


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Darmsaft hat (nach Dreser) die Wirkung des Alkali; 
Magensaft (Dreser) die der Säure. 

Das Aspirin hat einen säuerlichen Geschmack und es 
fehlt ihm nach Dreser jede ätzende Eigenschaft fast völlig. 
Auf diesen chemischen Eigenschaften: geringe Löslichkeit, 
nicht ätzende Wirkung, Spaltung im Darme und völlig 
indifferentes Verhalten des zweiten Spaltungsproductes, basirten 
die Erwägungen, die zur Einführung des Aspirins in die 
Therapie führten. 

Die Erfahrungen am Krankenbette entsprachen wie die 
nun folgende kurze Wiedergabe der Krankheitsgeschichten 
eines kleinen Theiles der an der II. medicinischen Klinik mit 
Aspirin behandelten Fälle ergibt, so ziemlich den theoretischen 
Voraussetzungen. 

Schon der erste Fall zeigte uns eine günstigere Wirkung 
des Aspirins gegenüber der des salicylsauren Natrons. 

I. Anna B., 40 Jahre alt, litt seit Herbst 1897 an Schmerzen 
im linken Knie, welches, ebenso wie später Fuß und Zehen, an¬ 
schwoll. Sie nahm durch Wochen Salicyl, bis sich Erbrechen ein¬ 
stellte. Eine Besserung wurde nicht erzielt, im Gegentheile schwollen 
auch das rechte Knie und die rechtsseitigen Fußgelenke an. Citronen- 
säure in Wasser gelöst brachte einige Linderung, hatte aber keine 
nachhaltige Wirkung, ebenso war dreimonatlicher Gebrauch der 
Schwefelbäder in Baden erfolglos. 

Bei der am 20. April 1899 erfolgten Aufnahme an unsere 
Klinik waren die Schultergelenke bei großen Excursionen schmerz¬ 
haft, die Ellbogengelenke in Beugestellung, aufgetrieben, knarrend ; 
das rechte Handgelenk deformirt, das linke etwas weniger. Hüft¬ 
gelenk links ziemlich frei, rechts vollständig fixirt; beide Knie 
kugelig aufgetrieben, in einem Winkel von circa 150° gebeugt. 
Fußgelenke schmerzhaft (Hallux valgus). Gehen unmöglich. Das 
der Patientin verabreichte Natrium salicyl., TO fünfmal im Tage, 
verursachte Magendrücken, Ohrensausen und fand sich später 
regelmäßig in der Spuckschale, da die Patientin jedesmal erbrach. 
Ein Erfolg war unter diesen Umständen nicht zu erwarten. 

Am 26. April wurde Aspirin 0*5, Natr. bicarbon. 1*0 täglich 
3 Pulver gereicht und ohne Anstand genommen; es verursachte 
keinerlei Uebelkeit, kein Erbrechen, jedoch klagte Patientin über 
Aufstoßen von Gasen mit wanzenähnlichem Gerüche. 

Wir ließen daher das Natr. bicarbon. weg, und reichten 
jetzt 0‘5 Aspirin dreimal täglich. Patientin empfand das Aspirin 
wie eine Erlösung; der bisher gesunkene Appetit nahm zu. Am 
2. Mai waren die Gelenksschmerzen, die schon früher nachgelassen 
hatten, verschwunden. Die Schwellungen, soweit sie noch nicht 
durch veraltete Gewebsveränderungen bedingt waren, gingen zurück, 
die übrigen konnten durch Massage etc. soweit gebessert werden, 
daß Patientin bald mit Hilfe eines Stockes gehen und am 31. Mai 
das Spital verlassen konnte. 

II. Mathilde W., 22jähr. Magd mit complicirtem Herzklappen¬ 
fehler kommt wegen Schmerzen in den nicht geschwellten Fuß- 
und Kniegelenken an die Klinik. Aspirin 3’0 pro die macht die 
Schmerzen nach 3 Tagen vollständig verschwinden. Herzbefund 
bleibt ungeändert. 

III. Marie M., 19 Jahre alt, leidet seit dem 17. Lebensjahre 
an recidivirendem Gelenksrheumatismus, wurde erst vor 14 Tagen 
aus dem Spitale nach dreimonatlicher Behandlung entlassen. Sie 
hat Schmerzen in den Hüften, Schwellungen der Fußgelenke. 
Aspirin 4’0 täglich behebt die Schmerzen nach 4 Tagen. Bei 
Bewegungen der Hüfte sind noch Schmerzen vorhanden. Cosaprin 1*0 
viermal täglich, erzielt ebenfalls keine weiteren Erfolge. 

IV. Marie B., 26jähr. Köchin, hat seit 8 Tagen Schmerzen 
im linken Hand- und Schultergelenke, linken Knie- und Hüftgelenke, 
in beiden Fußgelenken. Die Gelenke sind geröthet und geschwollen. 
Nach 4 Tagen ist Patientin, die täglich 6’0 Aspirin nimmt, voll¬ 
kommen schmerzfrei; Gelenke activ und passiv beweglich, keinerlei 
Schwellung zeigend. 

V. Marie B., 19jähr., ledige Dienstmagd, wird Ende September 
unter Schwellung der Fußgelenke von Zuckungen im Gesichte, 
insbesondere der Augenlider befallen. Bald darauf werden die 
oberen und unteren Extremitäten ebenfalls zuckend und zeigen 


den der Chorea eigenthümlichen ausfahrenden Charakter der Bewe¬ 
gungen. Die am 6. November in die Klinik aufgenommene Patientin 
zeigt choreatische Zuckungen im Gesichte und in den Extremi¬ 
täten, in letzteren namentlich beim Gehen. Auf Aspirin 5'0 bessert 
sich der Zustand soweit, daß Patientin das Spital nach 8 Tagen 
selbständig und ohne Hilfe gehend verlassen kann. Die Zuckungen 
sind fast verschwunden. 

VI. Susanne A., 41jähr. Bedienerin, erkrankte im Alter von 
39 Jahren zum erstenmale an Gelenksentztindung. Im April 1899 
traten wieder Schmerzen im Knie und in den Fußgelenken auf, 
kurz darauf auch Halsschmerzen. Der Status ergibt am 16. August 
1899: linkes Kniegelenk bedeutend geschwollen, Haut darüber 
gespannt, glänzend, geröthet. Berührung ist excessiv schmerzhaft. 
Die Tibia ebenfalls druckschmerzhaft. Rechtes Kniegelenk wenig 
schmerzhaft, dagegen die Fußgelenke geschwollen, die Haut ge¬ 
röthet, Bewegung wenig, Druck sehr schmerzhaft. Patientin voll¬ 
ständig appetitlos. Aspirin 1*0 täglich 4mal. 

18. August. Rechtes Kniegelenk schmerzfrei, Röthung und 
Schwellung der Fußgelenke geschwunden, doch druckschmerzhaft, 
linkes Kniegelenk abgeblaßt, aber sonst unverändert. 

20. August. Linkes Kniegelenk ebenfalls abgeschwollen, aber 
schmerzhaft. Trotz Aspirin nimmt der Appetit stetig zu. Von da 
ab bleibt der Zustand unverändert, indem die Schwellungen ver¬ 
schwinden, jedoch die Bewegungen des linken Kniegelenkes be¬ 
schränkt sind, so daß Patientin mit dem linken Fuße hinkt. Es 
wird am 5. September Aspirin ausgesetzt und Cosaprin versucht. 
Effect nicht besser als bei Aspirin. Am 11. September verläßt 
Patientin das Spital. 

VII. Marie H., 19jähr., ledige Kleidermacherin, ist seit dem 
7. Lebensjahre herzleideud. Im Mai 1899 erkältet sie sich, bekommt 
Kopf- und Halsschmerzen. Später röthet sich das linke Fußgelenk, 
schwillt an und wird schmerzhaft; gleichzeitig tritt Fieber auf. 
Trotz 3tägiger Bettruhe nehmen die Schmerzen zu; die Knie¬ 
gelenke schwellen an. 7 Moorbäder und 5 Dampfbäder werden 
vergeblich angewandt. Status praes. 9. September 1899: Schmerzen 
in den etwas geschwellten Handgelenken der linken oberen Extremität. 
Die rechte untere Extremität weist eine anästhetische analgetische 
Zone im Bereich des Nerv, cutan. femor. ant. auf. Rechtes Hüft¬ 
gelenk schmerzhaft. Knie und Fußgelenke schmerzhaft, etwas 
geröthet, stark geschwollen. Therapie 5‘0, Aspirin täglich. Am 
16. September sind die Schwellungen bedeutend zurückgegangen, 
die Schmerzhaftigkeit ist vollständig geschwunden, so daß Patientin 
gebessert das Spital verlassen kann. 

VIII. Elise K., 38jähr. Wirthschafterin, bekam, als sie 26 Jahre 
alt war, nach einem Bade im Freien Fieber, Schmerzen in den 
Hüften und später in den übrigen Gelenken. Salicylbehandlung 
brachte damals Genesung. Im Alter von 30 Jahren erkrankte sie 
neuerdings unter den gleichen Erscheinungen. Salicyl wurde aber 
diesmal schlecht vertragen, nach der Einnahme trat jedesmal Er¬ 
brechen auf. Seitdem hat Patientin häufig stundenlang Schmerzen 
in verschiedenen Gelenken, die wieder spontan verschwinden. Die 
jetzige Neuerkrankung datirt seit 14 Tagen, indem die Schmerzen 
im linken Fußgelenke, sodann in den Knien nicht mehr nachließen. 
Die genannten Gelenke rötheten sich, schwollen an. Schließlich 
wurden das rechte Schultergelenk und die Ellbogengelenke eben¬ 
falls befallen. Ichthyolsalbe, Umschläge mit essigsaurer Thonerde 
blieben ohne Erfolg. Natr. salicyl. rief Erbrechen hervor. Sali- 
pyrin wurde zwar vertragen, schaffte aber nur vorübergehende 
Erleichterung. Bei der Aufnahme auf die Klinik sind die Ellbogen¬ 
gelenke schmerzhaft, aber nicht geröthet; außerdem besteht ein 
complicirter Herzklappenfehler. Aspirin TO fünfmal täglich, Salicyl - 
vasogen äußerlich. Am nächsten Tage bereits sind die Schultern 
schmerzfrei, nach weiteren 3 Tagen auch die übrigen Gelenke ; 
nach 8 Tagen wird Patientin bis auf das unveränderte Cor geheilt 
entlassen. 

IX. Regina 0., 24jähr. Köchin, ist seit einer Gelenksent¬ 
zündung herzleidend. Vor 14 Tagen sind Schmerzen und An¬ 
schwellungen beider Knie aufgetreten, welche nach Bettruhe 
schwanden. Vor 2 Tagen erneuerten sich die Schmerzen. Trotz 
Bettruhe und ärztlicher Pulverbehandlung trat keine Besserung 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 5. 


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auf, weshalb Patientin am 19. December 1899 das Spital anfsucht. 
An den unteren Extremitäten der Patientin finden sich au Knie 
und Unterschenkel, sowie auf der Dorsalseite der Füße zerstreute 
röthliche, infiltrirte Flecke. Die Knie sind bei Bewegungen schmerz¬ 
haft. Aspirin B’O täglich. Am 23. December sind die Schmerzen 
in den Knien geringer, dafür neue Schmerzen im Ellbogengelenke. 
Am 25. December Schmerzen überall geschwunden. Erythem nur 
mehr spurweise vorhanden. Auftreten von Ohrensausen. 
Aspirin wird daher ausgesetzt. Am 27. December sind alle Be¬ 
schwerden geschwunden; am 28. December kann Patientin entlassen 
werden. 

X. Anna K., 24 jälir. Dienstmagd, begann seit 14 Tagen an 
Appetitlosigkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen und gleichzeitiger Stuhl¬ 
verstopfung zu leiden. Eine Woche später traten Schmerzen in 
den Knien, Waden und Füßen auf, welche sich schließlich auch 
auf Oberschenkel, Hüfte und Rücken erstreckten. Schließlich 
zeigten sich große, rothe Flecken an Brust, Rücken, Gesicht, 
Händen und Füßen. Die Finger und Hände schwollen an. Das 
Exanthem ist so juckend, daß Patientin nicht schlafen kann. 
Kalomel 0'5, Aspirin 5'0. Sofort am nächsten Tage blaßte das 
Exanthem ab, die Gelenksschmerzen ließen nach. Nach 4 Tagen 
kann Patientin vollkommen hergestellt entlassen .werden. 

So und ähnlich geht es fort. Die angeführten Krank¬ 
heitsgeschichten betreffen nur einen Theil der im ersten Jahre 
der Aspirindarreichung gemachten Beobachtungen. Seitdem 
wird das Aspirin dauernd auf der Klinik weiterverwendet, 
ja es ist geradezu vollständig an Stelle des salieylsauren 
Natrons gesetzt worden. Nachdem unsere Beobachtungen 
durch fast 3 Jahre an hunderten Fällen fortgesetzt worden 
sind, dürfen wir nun wohl mit Recht annehmen, ausreichende 
Erfahrungen gesammelt zu haben, um ein allseits und wirklich 
genügend begründetes Ui theil über den Heilwerth des Aspirins 
als Antirheumaticum abzugeben. 

Fassen wir sonach die sowohl aus den vorstehenden als 
aus den nicht angeführten Fällen sich ergebenden Erfahrungen 
über Aspirin zusammen, so können wir sagen, daß das Aspirin 
dem salieylsauren Natron vor Allem wegen seines (Geschmackes 
vorzuziehen ist. Während das salicylsaure Natron durch seinen 
süßen Geschmack theils von vorneherein, theils im Laufe des 
Gebrauches geradezu widerlich wird, schmeckt das Aspirin 
schwach säuerlich. Dieser säuerliche Geschmack ist kein auf¬ 
dringlicher und wird niemals ekelerregend oder unangenehm. 
Eine Reihe von Personen empfand, wenn sie das Aspirin in Sub¬ 
stanz in den Mund nahm, dasselbe überhaupt als geschmacklos. 
2 Grm. ohne Oblaten in den Mund gebracht und unter Wasser¬ 
nachtrinken hinabgeschwemmt, verursachten ein einige Minuten 
dauerndes Kratzen im Halse. Diese relative Geschmacklosig¬ 
keit, glaube ich, ist eine von jenen Eigenschaften, die eine 
lange und anhaltende Darreichung ermöglichen. 

Ist das Mittel im Magen angelangt, so ruft es niemals 
Erbrechen oder Ueblichkeiten hervor. Vorübergehend kam es 
zu Aufstoßen, aber auch dieses ließ sich sicher vermeiden, 
wenn man das Aspirin nicht nüchtern, sondern nach dem 
Essen nahm. Der Appetit wurde niemals schlechter, eher 
besser. Es dürfte dieses Verhalten davon herrühren, daß das 
Aspirin, wie ein Versuch im Reagensglase lehrt, von Säuren 
nur äußerst langsam zerlegt wird, und es daher bei dem 
kurzen Verweilen im Magen gar nicht oder nur zu einer 
kaum nennenswerthen Spaltung kommt. Während beim sali- 
cylsauren Natron ein großer Theil der Salzsäure des Magen¬ 
saftes gebunden wird und freie Salicylsäure entsteht, alterirt 
das Aspirin den Magensaft nicht. Erst im Darme, wo die 
alkalische Reaction vorherrscht, kommt die Salicylwirkung 
zur Geltung, indem hier das Aspirin in seine Componenten 
Essigsäure und Salicylsäure unter Wasseraufnahme zerfällt. 
Da die eine Componente, die Essigsäure, kaum nennenswerthe 
Nebenerscheinungen äußert, so bleibt die Wirkung der zweiten, 
der Salicylsäure, von da an allein übrig. 

Daher finden wir einige Stunden nach Einnahme von 
Aspirin Schweißausbruch, bei Fieber Temperaturabfall. Niemals 


beobachteten wir Schwerhörigkeit, Eingenommenheit des 
Kopfes, Delirien; dagegen war Ohrensausen bei einigen Fällen 
vorhanden. In einigen Fällen kamen Anflüge davon vor, die 
trotz weiterer Darreichung von selbst verschwanden. Einige 
Kranke bekamen bei Aspirin nicht Ohrensausen, obwohl sie 
bei salicylsaurem Natron sofort und selbst bei geringeren 
Dosen solches bekommen hatten. Auf die rheumatischen 
Gelenksschmerzen wirkte Aspirinbehandlung immer lindernd 
ein, besonders heftige wurden spätestens 12 Stunden hernach 
erträglicher und schwanden am 2.—3. Tage. Die Gelenks¬ 
schwellungen nahmen, wenn sie frisch und rein rheumatischer 
Natur waren, sichtlich ab, bei chronischen Fällen war die 
Wirkung, wie es in der Natur der Sache liegt, eine lang¬ 
samere, unsichere, und mußte durch Massage, Heißluft, Dampf- 
compressen etc. unterstützt werden. In den durch den Gono- 
coccus verursachten Fällen war die schmerzlindernde Wirkung 
ebenfalls günstig, aber nicht so durchschlagend wie bei echten 
Rheumatismen. Das Herz, ob es bereits erkrankt war oder 
nicht, wurde weder günstig, noch ungünstig beeinflußt. Collapse 
oder sonst bedrohliche Erscheinungen hatten wir in keinem 
Falle. Wir gaben das Aspirin zu 4, höchstens 6 Grm. für 
den Tag, zu 0*5 oder 1*0 pro dosi nach den Mahlzeiten ver¬ 
theilt; ein Hinaufgehen über diese Dosis in 2 Fällen brachte 
weder Vor- noch Nachtheile. Beim salieylsauren Natron, in 
der gleichen Art gegeben, hatten wir oft die lästigen Neben¬ 
erscheinungen, mit Rücksicht auf welche dann das Mittel 
ausgesetzt werden mußte, während das Aspirin jetzt wochen¬ 
lang weitergegeben wird, ohne daß wir aus obigem Grunde 
zum Aussetzen gezwungen wären Der Harn gab immer 
Salicylreaction. 

Vergleichen wir diese von uns gemachten Erfahrungen 
mit denen anderer Autoren, so decken sich dieselben fast 
vollständig, soweit die Medication der unseren ähnlich war, 
und das Mittel als Antirheumaticum in Verwendung stand. 
Diese Autoren konnten ebenfalls Temperaturabfall. Nachlassen 
der Schmerzen und Schwellungen bei acuten Rheumatismen, 
Besserung bei chronischen beobachten. Von geringer, meist 
nur schmerzlindernder Wirkung fanden auch sie es bei gonor¬ 
rhoischen Arthritiden. Dabei werden von Seiten des Ver- 
dauungstractes nur in höchst vereinzelten Fällen Störungen 
angeführt, ja ein Autor (Tripold) konnte sogar, selbst wenn 
er das Mittel constant auf nüchternen Magen gab, niemals 
Magenbeschwerden constatiren. Am wenigsten zufrieden ist 
Gazert, der das Mittel bis zu 3 Grm pro dosi gab und unter 
den so behandelten Fällen bei */ 3 Magenerscheinungen sah. 
Auch er fand aber bei der Dosirung zu 1 Grm. nur aus¬ 
nahmsweise solche Beschwerden. Vereinzelte Fälle von Ohren¬ 
sausen citirt fast jeder Autor. 

Auch bei rheumatischen Erkrankungen anderer Art, 
wie Augenerkrankungen, wird Aspirin gelobt. 

Bei Erkrankungen nicht rheumatischer Natur, wie 
Pleuritis exsudativa, soll es sich ebenfalls bewährt haben, 
bei einem Falle von Pleuritis exsudativa an unserer Klinik 
stieg weder die Diurese, noch fand sich sonst eine Aenderung, 
obwohl die Patientin fast stets in Schweiß gebadet war. 

Eine Reihe von Autoren versuchte das Aspirin als 
Antineuralgicum ohne Rücksicht auf die Aetiologie und fand 
es in den von ihnen citirten Fällen bewährt, so bei Gesichts¬ 
neuralgien, Migräne, Gicht, bei den Schmerzen der inoperablen 
Carcinome des Uterus, bei denen des Ulcus ventriculi, bei 
Schmerzen infolge Aneurysma Aortae, bei Tabesschmerzen 
und anderen. 

Ueber die Anwendung als Antipyretieum bei Krank¬ 
heiten nicht rheumatischer Natur haben wir keine Erfahrung, 
die Ansichten der anderen Autoren sind getheilt. Während 
es bei Influenza; in einem Falle sogar bei Malaria gelobt 
wird, wird vor der Anwendung bei Typhus direct gewarnt. 

Kropil und Gazert versuchten es in mehreren Fällen 
und hatten in allen kurz nach der Darreichung Collapse mit 
bedrohlichen Erscheinungen. 


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Beim Fieber der Tuberculösen soll man ebenfalls vor¬ 
sichtig sein und mit 0*1—0 - 2 Grm. beginnen, da man, wie 
die betreffenden Autoren anführen, sonst unangenehme Ueber- 
raschungen, bestehend in collapsdrohendem Temperatursturz, 
erleben kann. 

Das Endergebniß, das sich sowohl aus unseren als aus 
den Erfahrungen Anderer ergibt, wird daher sein: Das 
Aspirin ist ein Salicylpräparat mit ausgesprochener und 
reiner Salicylwirkung. Es ist in seiner Heilwirkung als Anti- 
rheumaticum dem salicylsauren Natron vollkommen gleich- 
werthig, verdient vor ihm jedoch insbesondere deswegen den 
Vorzug, weil es die Nebenwirkungen desselben nur zum 
kleinsten Theile hervorbringt. Hiedurch wird es möglich, 
das Präparat immer bis zur durchschlagenden Salicylwirkung, 
wo eine solche überhaupt erreichbar ist, zu geben, und auch 
eine Dauerbehandlung in chronischen Fällen ist mit Hilfe 
des Aspirins nunmehr durchführbar geworden. 

Literatur: Besanqon und Panlksco, L’etiologie de la choree et son 
traitement par l’aspirine. Journal de M6decine interne, Nr. 7, 1901. — Brunner, 
Ueber den therap. Werth des Aspirin. Klin.-therap. Wochenschr., 44, 1900 — 
Capbi, L’aspirina e le sne applicazione terapiche. La rassegn, med., 5/1900. — 
Comby-Renon, Bulletins et Mfunoires de la Soci6t6 m6dicale des hopitaux de 
Paris. — Bengel, Erfahrungen mit Aspirin aus der Privatpraxis. Berl. klin. 
Wochenschr., Nr. 27, 1900. — Dreseb, Pharmakolog. über Aspirin. Archiv f. 
die gesammte Physiologie. Bd. 79, pag. 306, 1899. — Floekingeb, Erfahrungen 
mit Aspirin. Therap. Monatsh, H. 3, Mäiz 1900, pag. 158 (Med. news, 18- Nov. 
1899). — Filipm, La clinica moderna, Nr. 7, 1900. — Fbiedebebg, Einige 
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Therapeut. Erfahrungen über Aspirin. Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 68, 
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Medicinal Zeitung, Nr. 20, 1900. — Goldshaw, Med. Progress, Nr. 23, 1900. — 
Grawitz, Deutsche Aerzte-Zeitung, Nr. 6, 1900, H. 2, pag. 43, 1901. — Haber¬ 
mann, Mittheilungen aus der Praxis über Aspirin. Deutsche med. Wochenschr., 
Nr. 8, 1900. — Impens, L’aspiiine comme succ^dant. de l’acide salicylique. 
Journ. mädicale de Bruxelles, Nr. 3, 18/1 1900. — K6tly, Klin. Erfahrungen 
über Aspirin. Die Heilkunde, H. 1, pag. 14, October 1899. — Kindler, Er¬ 
fahrungen mit Aspirin. Fortschritte d. Medicin, 39, pag. 780, 1900. — Kohn, 
Erfahrungen mit Aspirin. Deutsche Med. Woche, Nr. 23, 1900. — Kbopil, 
Ueber Aspirin. Allg. Wr. med. ZeituDg, Nr. 29, 1900. — Lehmann, Ueher 
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Salicylpräparat. Die Heilkunde, H. 18, 647, Aug. 1899. — Liesau, Weitere 
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Zur Anwendung des Aspirins. Therap. Monatsh., H. 5, pag. 246. Mai 1900- — 
Manasse, Weiteres über Aspirin. Therap. Monatsh., November 1900. — Masür, 
Ueber Aspirin. Inauguraldissertation, Freiburg 1900. — Müller, Einige Er¬ 
fahrungen über die Wirkung des Aspirin. Wr. klin. Rundschau, Nr. 50, 1900. — 
Meissner, Ueber Aspirin. Sammelreferat Med. Woche, Nr. 1, Berlin. — v. Noorden, 
Ueber die Arzneibehandlung des Diabetes mellitus. Deutsche Praxis, Nr. 11, 
1900. — Nüsch, Weitere Mittheilungen über den therap. Werth d. Aspirin. 
Münch. Med. Wochenschr., Nr. 12, 1900. — Pahr, Ueber Aspirin. Wr. klin. 
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par l’usage de l’Aspirine. Soci6t6 de Neurologie de Paris. Sßance du jeudi 8. Nov. 
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Soci6t6 m6dicale des höspitants, 19. October 1900. Bull, et m6m. de la M6d. 
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Nr. 23, 1901. — Schmeichler, Aspirin. Wr. med. Wochenschr., Nr. 38, pag. 1770, 
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derivat. Wr. klin. Rundschau, Nr. 36, 1900. — Valentin, Klinische Erfah¬ 
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1900. — Weil, Zur Wirkung des Aspirin. Therap. Monatsh., 11/1900- Die 
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Zimmermann (P.), Ein Beitrag zur Aspirinbehandlung. Berl. klin. Wochenschr. 
Nr. 27, 1900. 


Aphasie und Demenz. 

Von Dr. A. Friedländer, Arzt der städt. Irrenanstalt in 
Frankfurt a. M. *) 

Die Uebungstherapie unserer Zeit verzeichnet in den 
verschiedenen Formen ihrer Anwendung und bei den mannig¬ 
faltigsten Krankheitsformen bedeutende Erfolge. Ein wich¬ 
tiges, noch brach liegendes, zumindest fast unbebautes Feld 
ihrer Thätigkeit, auf dem zukünftige Geschlechter ohne Frage 
reiche Früchte ernten werden, ist das große Gebiet der Aphasien. 

Ich erlaube mir, Ihnen die Krankengeschichten zweier 
Männer von 26, respective 40 Jahren zu referiren. Ueber die 
ausgedehnten, über Jahre sich erstreckenden Untersuchungen 
und Intelligenzprüfungen an diesen Fällen werde ich an anderer 
Stelle in einer ausführlichen Arbeit berichten. 

Der Bildungsgrad beider Patienten war ein mäßiger. 
Der eine war Kutscher, der andere Kellner. Beide erkranken 
apoplectisch; Lues ist nicht sicher nachgewiesen. Es tritt 
Benommenheit, rechtsseitige Lähmung der Extremitäten, Fa- 
cialislähmuDg und Aphasie auf. Es kommt zu den Folge¬ 
erscheinungen der Contracturen, Atrophien etc. Beide Patienten 
erscheinen bei oberflächlicher Betrachtung dement. Das Bild 
verändert sich aber sofort, wenn man sich mit ihneü be¬ 
schäftigt. Und der Zweck unserer langwierigen, für den 
Patienten wie für den Arzt sehr ermüdenden Untersuchungen 
war in erster Linie der, zu erfahren, an welcher Stelle eine 
Therapie einsetzen könnte, ob es überhaupt eine solche gäbe, 
ob die Patienten so dement seien, wie sie erschienen, ob sie 
überhaupt dement seien im wahren Sinne des Wortes, ob die 
Aphasie einen höheren Grad von Aphasie vortäusche etc. 

Wir hatten also zwei Dinge scharf auseinanderzuhalten : 

Was ist durch die Grundkrankheit, durch das Gehirn¬ 
leiden erzeugt, was ist primäre Gehirnwirkung, zweitens, was 
für secundäre Folgeerscheinungen traten später auf? 

Die Fragestellung für unsere Fälle wäre also die: 

1. Besteht Demenz, und wenn: welche Art von Demenz? 

2. Ist die Demenz nur durch den Hirndefect bedingt? 

3. Täuscht die Aphasie höhere Grade der Demenz vor? und 

4. im Anhänge hiezu: wie stehen diese Kranken der 
Zurechnungs- und Dispositionsfähigkeit gegenüber ? 

Was die Aphasie betrifft, so stand sie von Anbeginn im 
Vordergründe der Erscheinungen. Bei dem ersten Kranken kam 
es bald zur Ausbildung totaler motorischer Aphasie und 
Agraphie, wie Alexie und fast totaler Amimie. Frühzeitig 
entwickelt sich bei dem Patienten das bekannte Zwangslachen, 
die unmotivirte, explosive Heiterkeit. 

Wie verhält sich hiebei die Intelligenz? Wir sagten 
oben, er machte auf den oberflächlichen Beobachter den Ein¬ 
druck eines total Dementen. Derselbe wird verstärkt dadurch, 
daß der Kranke auf Geräusche zunächst nicht reagirt. Er 
sitzt beispielsweise auf einem Stuhle; der Arzt tritt hinter 
ihn und läßt eine Repetiruhr neben seinem Ohre erklingen. 
Patient lächelt und dreht sich nicht um. Die Annahme läge 
nahe, daß er sich um den Vorgang nicht gekümmert habe ; 
denn sein Lächeln erscheint bei jeder Gelegenheit und auch 
ohne jede Veranlassung. Man könnte also glauben , daß er 
nicht percipirt hat, daß er seelentaub ist. Nun wird er ge¬ 
fragt, woher der Klang kam. Sofort dreht er sich um und 
weist auf die Uhr hin. Wird ihm jetzt aufgetragen, sich beim 
Vernehmen eines Geräusches umzuwenden, so befolgt er dies. 
Aufforderungen, das Auge, das Ohr, den Fuß des Arztes, 
seine rechte Hand, den Bleistift, das Tintenfaß u. s. w., die 


*) Vortrag, gehalten in der Section für Neurologie und Psychiatrie der 
73. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Hamburg. 


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Einrichtungsgegenstände des Zimmers zu zeigen, kommt er 
prompt und richtig nach. Nur rechts und links wird ab und 
zu verwechselt (oder vernachlässigt?). 

Der Kranke beobachtet die Vorgänge in der Außenwelt 
für sich und verwerthet dieselben. Er macht den Pfleger auf¬ 
merksam, wenn in Garten oder Zimmer etwas in Unordnung 
ist, er blättert nicht mechanisch in Bilderbüchern und 
illustrirten Zeitschriften, sondern bewußt, zu dem Zwecke, 
die Bilder zu betrachten. Dieser anscheinend völlig stumpfe 
Patient kennt auf Befragen alle Bilder, die er einmal gesehen 
hat. (Prüfung über Hunderte von Bildern.) 

Apperception und Reproduction optischer Eindrücke, 
und zwar alter wie frischer, sind fast intact. Sie sind aber 
auch nicht verlangsamt. 

Die weitere genaue Prüfung des Gedächtnisses, auf deren 
Einzelheiten ich hier nicht eingehen kann, ergab im Ganzen 
eine bedeutende Einschränkung, aber keineswegs eine Auf¬ 
hebung desselben. 

Da Patient auch mit der linken Hand keinerlei Schreib¬ 
bewegungen machen kann, so mußte sich die Prüfung seiner 
Zeichnenfähigkeit, seiner Copirfähigkeit darauf beschränken, 
die einschlägigen Untersuchungen mit Hilfe von Stäbchen 
vorzunehmen. Seine Kenntniß im Legen von geometrischen 
Figuren dürfte mit Rücksicht auf die sehr geringe Vorbildung 
als eine mäßig reducirte bezeichnet werden. Das Nachahmen 
wurde dem Patienten viel leichter als das aus sich heraus 
Schöpfen. Er war also imstande, selbst complicirte Figuren, 
die man ihm vorgelegt und dann verdeckt hatte, nachzu¬ 
ahmen, und relativ einfachere auf bloße Aufforderung hin zu 
legen. 

Schwere Defecte zeigt Patient auf dem Gebiete des 
Farbensinnes: er ist fast farbenblind. 

Dagegen ist die Fähigkeit, Geld zu erkennen, vollständig 
erhalten. Operationen mit demselben werden nur zum Theile 
richtig ausgeführt. 

In der Zahlenreihe gelangt er bei wiederholtem Fixiren 
bis 12. (Addition und Subtraction.) Doch laufen immer wieder 
Fehler, selbst bei diesen einfachsten Rechencombinationen, unter. 

Der Beurtheilung des Geisteszustandes des Kranken stellen 
sich erhebliche Schwierigkeiten in den Weg. Am leichtesten 
sind dieselben hinwegzuschaffen , wenn man die These einer 
Inaugural-Dissertation aus dem Jahre 1893 (Gossen) aner¬ 
kennen will, nach der „in allen Fällen von Aphasie Störungen 
der gesammten intellectuellen Functionen beobachtet werden“. 
So einfach ist aber die Sache doch nicht. Nicht einmal bei 
unserem Kutscher; noch viel weniger aber bei dem anderen 
Falle. Daß jene These viel zu allgemein gehalten ist, erkennen 
wir sofort, wenn wir uns der Ansichten anderer Autoren er¬ 
innern , die sich darüber einig sind, daß es zuweilen ganz 
außerordentlich schwer ist, über die Intelligenzstörungen bei 
Aphatikern ein sicheres Urtheil zu gewinnen. 

Ziehen, Mendel und Monakow haben die großen Schwierig¬ 
keiten beleuchtet, die bei der Beurtheilung dieser Frage zu 
beachten sind. 

Im zweiten Falle handelte es sich um eine partielle 
motorische Aphasie, stärkere Agraphie, fast totale Alexie. 
Sowie sich die Lähmungen unter der vorgenommenen Therapie 
besserten (leider nur bis zu einem bestimmten Grade), so er¬ 
wies sich auch, daß Patient im Laufe einiger Uebungswochen be¬ 
reits das Alphabet spontan schreiben lernte : zuerst vergaß 
er einige Buchstaben noch ganz, später schrieb er alle nieder, 
doch in falscher Reihenfolge, und schließlich brachte er sie 
alle in richtiger Folge zu Papier, und zwar deutsche 
wie lateinische, große wie kleine Buchstaben. (Ich zeige hier 
einige Schriftproben, die die Fortschritte des Patienten er¬ 
läutern.) Wie die Schrift, besserte sich auch die Sprache (aber 
langsamer) unter Lautübungen, deren Methode viel Zeit und 
Geduld erfordert: da nur die expressive Componente schwer 
gestört, die perceptive völlig erhalten schien, durfte man 
hoffen, dem Kranken durch Unterricht viel zu nützen. Der 


Kranke zeigte bei diesem Unterricht wie bei den wieder¬ 
holten, sehr genauen Intelligenzprüfungen ein gutes Gedäeht- 
niß für Vergangenheit wie Gegenwart, eine nur theilweise 
verringerte Merkfähigkeit, großen Fleiß und ungeschwächte 
Ausdauer bei den ermüdenden Untersuchungen, er zeigte eine 
ganz bedeutende Beiehrbarkeit. 

Die Aphasie hat bei beiden Kranken einen höheren Grad 
von Intelligenzstörungen vorgetäuscht; sie hat also einen ge¬ 
wissen Tlieil der Intelligenz verdeckt. 

Der eine Kranke ist als „circumscript“ blödsinnig zu be¬ 
zeichnen (im Sinne Meynert’s), doch keineswegs total dement. 

Der andere ist höchstens als geistesschwach zu erklären; 
beide sind in strafrechtlichem Sinne unzurechnungsfähig, der 
eine auch im civilrechtlichen dispositionsunfähig, den anderen 
würde ich ohne Bedenken — bei Anwendung aller Cautelen, 
bei absolutem Ausschluß jeder fremden Suggestion — civil- 
rechtliche Acte ausführen lassen. Wenngleich der Grad 
der motorischen Aphasie nicht maßgebend ist für den Grad 
der Intelligenzstörung, so bin ich doch bezüglich solcher 
Fälle der Anschauung, daß der eine deshalb dementer, bildungs¬ 
unfähiger etc. ist als der andere — weil er aphatischer ist. 

Der eine wird immer so dement bleiben, als er es 
heute ist. 

Der andere kann vielleicht — wenn kein neuer Anfall 
eintritt — noch zu einer weitgehenden geistigen Gesundheit 
gebracht werden. 

Darum wäre in allen diesen Fällen möglichst frühzeitig 
neben dem Kampf gegen die infolge der Lähmungen, auf¬ 
tretenden Störungen der Locomotion der gegen die Aphasie 
aufzunehmen. Die Therapie hätte diesbezüglich hauptsächlich 
pädagogisch zu sein, und es dürften manche Fälle noch zu 
relativer geistiger Genesung gelangen, die ohne die ent¬ 
sprechende Behandlung mehr und mehr verblöden. 

Wir dürfen wohl eine Parallele ziehen zwischen der 
Inactivitätsatrophie der gelähmten Extremitäten und den 
Inactivitätserscheinungen auf dem Gebiete des Articulations- 
apparates; gegen die eine hätte die Bewegungstherapie, gegen 
die anderen die Uebungstherapie für diese Apparate, i.e. Unter¬ 
richt und Erziehung, einzusetzen. Die pädagogische Methode 
hätte zunächst die Erhaltung des Besitzstandes und dann das 
„Einschleifen“ neuer Bahnen zum Ziele. 


Zur Lehre von den Neurosen des peripheren 
Kreislaufsapparates. 

(Ueber vasomotorische Ataxie.) 

Von Dr. Hans Herz in Breslau. 

(Fortsetzung.) 

Was die übrigen nervösen Symptome, die auf 
dem Gebiet der Motilität, der Sensibilität, der Gewebser- 
nährung, der Secretion liegen, anbetrifft, so müssen wir bei 
unseren Kranken drei Kategorien unterscheiden. Zunächst 
solche, welche wir unmittelbar als Folge des veränderten 
Kreislaufs in irgend einem peripheren oder centralen Organe 
zu betrachten haben : wir haben dieselben im obigen schon 
besprochen. Zweitens gibt es eine Reihe nervöser Symptome, 
die sich ganz besonders gern mit vasomotorischer Ataxie 
combiniren, ohne daß ein derartiger Zusammenhang besteht 
respective nachweisbar ist. Drittens können natürlich, ent¬ 
sprechend dem Habitus, alle möglichen nervösen Störungen 
Vorkommen; diese brauchen wir wohl nicht zu erörtern. 

Auf dem Gebiete der Motilität ist dem, was oben 
über die anämischen und hyperämischen Zustände der Mus- 
culatur bereits gesagt ist, wenig hinzuzufügen. Im allgemeinen 
wird man alles, was über eine gewisse Fnnctionsschwäche, 
die sich bis zum Gefühl des Versagens steigern kann, hinaus- 

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geht, als Complication zu betrachten haben, die nur in 1 
losem Zusammenhänge steht. 

Dahin gehört wohl alles, was über ernstere Lähmungen 
und Krämpfe bei vasomotorischen Störungen berichtet wird. 
Auch die Ataxie, die Nothnagel in einem seiner Fälle be¬ 
obachtete, kann ich nicht als unmittelbar zugehörig gelten 
lassen; ebensowenig das STELLWAG sche Symptom, das Solis- 
Cohen bei manchen seiner Kranken fand, da ich dasselbe nur 
im höchsten Affect sah, wo es auch sonst vorkommt. 

Außer einer recht leichten musculären Erregbarkeit 
gegen mechanische Reize, die vielleicht mit der allgemeinen 
Erhöhung der Erregbarkeit zusammenhängt, habe ich nur 
eine motorische Störung so oft zugleich mit vasomotorischer 
Ataxie gesehen, daß ich einen gewissen Zusammenhang an¬ 
nehme : nämlich Zitterbewegungen. Es verdient hervorgehoben 
zu werden, daß Zittern nicht nur bei ischämischen Zuständen 
(Kälte, Fieberfrost), sondern auch gerade bei AfFecten (Furcht, 
Zorn) beobachtet wird. Die Form des Zitterns ist nicht immer 
die gleiche. Es ähnelt oft dem bei Morbus Basedowii, seltener 
dem bei Paralysis agitans (s. Fall 25) oder dem senilen 
Zittern. Tremor der Augenlider bei Schluß derselben auf 
Geheiß (Rosenbach) ist oft, aber durchaus nicht immer vor¬ 
handen. 

Ueber die häufigen und sehr verschiedenartigen sen¬ 
siblen Begleiterscheinungen der örtlichen Kreislaufsstörungen 
ist ebenfalls das Nöthige gesagt. Hier müssen wir noch das 
Yerhältniß der Schmerzen zur vasomotorischen Ataxie des 
Näheren erörtern. Bei der ungeheuren Mehrzahl aller Kranken 
sind sehr heftige Schmerzen nicht zu verzeichnen. Die unan¬ 
genehmen Sensationen werden ja von den empfindlichen 
Kranken als Schmerzen aufgefaßt und mögen ja in der That, 
z. B. bei Kopfcongestionen, recht erhebliche Grade erreichen. 
Auch leiden die Kranken oft an allerlei herumziehenden 
Schmerzen, z. B. in den Körpermuskeln und im Leibe, ohne 
daß immer der Grund derselben zu eruiren wäre. Aber die 
überwältigenden Grade des Schmerzes, die z. B. bei Neural¬ 
gien auftreten, habe ich bei den im allgemeinen Theil ge¬ 
schilderten Anfällen selten gesehen. 

Und doch kommen derartige Schmerzanfälle im innigen 
Zusammenhänge mit vasomotorischen Störungen vor. Ver- 
hältnißmäßig klar ist ihre Genese, wenn z. B. die Congestion 
ein bereits krankes Organ trifft: schlechte Zähne, die sonst 
wenig schmerzen, können so die Ursache von rasenden 
Attaquen werden. Wie aber sind die Schmerzattaquen bei 
der Migräne, bei der intermittirenden Aortenerweiterung 
(s. o.), bei der ischämischen NoTHNAGEL’schen vasomotorischen 
Neurose der Arme zu erklären, wie endlich jene Verbindung 
von heftigster Congestion der gipfelnden Theile des Körpers 
mit unerträglichen Schmerzen, die man als Erythromelalgie 
bezeichnet? Ich bin sehr geneigt, hier eine gleichzeitige 
Affection sensibler Nervengebiete anzunehmen. Es mag, viel 
öfter, als aus Obigem hervorgeht, der sensible Theil der 
Störungen bei vasomotorischer Ataxie, auch wo er gering 
ist, auf einem derartigen begleitenden sensiblen Reizvorgange 
beruhen; es sind ja auch anderseits die Fälle sehr bekannt, 
wo heftige Neuralgien sich mit leichten vasomotorischen 
Phänomenen verbinden. In der Mitte stehen die zuletzt 
skizzirten Krankheitsbilder, bei denen beide Symptomenreihen 
gleich stark vertreten sind. Aus dieser Selbstständigkeit er¬ 
klärt es sich, warum z. B. der Migräneschmerz derselbe ist 
bei der spastischen wie bei der paralytischen Form. 

Doch hat es nicht an Versuchen gefehlt, und zwar von 
sehr autoritativer Seite, die sensiblen Phänomene den vaso¬ 
motorischen unterzuordnen. Nothnagel beruft sich für seine 
Fälle auf die Thatsache, daß auch Arterienembolie heftige 
neuralgiforme Schmerzen machen kann; Rosenbach denkt 
bei der intermittirenden Erweiterung der Bauchaorta an 
Zerrung und Erschütterung der Nervenplexus als Ursache 
der kardialgischen Paroxysmen; bei der Migräne soll die 
vasomotorische Affection der Hirnhäute den Schmerz auslösen; 


auch für die Erythromelalgie gibt es eine „Gefäßtheorie“ 
(Lannois 48 ). Ich wage nicht, sicher zu entscheiden. 

Trophische Erscheinungen werde ich unter den Aus¬ 
gängen der vasomotorischen Ataxie noch zu erörtern haben. 

Abweichungen von den normalen Secretion s- 
verhältnissen sind bei unseren Kranken so häufig, daß ich 
dieselben lange unter der Rubrik: vasomotorisch-secretorische 
Neurose classificirt habe. Ich bin davon zurückgekommen, 
weil die Labilität des Gefäßsystems mir schließlich das 
Charakteristische zu sein schien; aber als sehr verbreitete 
Combination verdienen die Anomalien der Absonderung die 
größte Beachtung. 

Die nahen Beziehungen zwischen Secretion und vaso¬ 
motorischen Vorgängen sind ja aus den anatomischen Be¬ 
ziehungen der bis jetzt erkannten Centren und Bahnen beider 
Apparate, welche zwar mancherlei Analogien, immerhin aber 
auch viele Differenzen bieten, nicht mit genügender Sicher¬ 
heit zu erschließen. Aber sie folgen aus physiologischen That- 
sachen. Lebhaftere Drüsenthätigkeit geht in der Regel mit 
Aenderungen der Circulation, besonders Hyperämie der be¬ 
treffenden Drüsen, einher. Dieselbe entspricht dem Thätig- 
keitszustande, ist aber doch oft so auffallend, dafi man be¬ 
kanntlich das Verhältniß umkehrend die vermehrte Secretion 
als Folge des erhöhten Blutdruckes darzustellen versucht hat. 
Wir brauchen hier auf die Widerlegung dieser irrthümlichen 
Ansicht nicht einzugehen. Es muß aber hier die Frage berührt 
werden, ob nicht veränderte, in specie gesteigerte Circulation 
die Secretion anzuregen oder wenigstens sehr zu unterstützen 
vermag. Auch die Physiologen (s. Landois 49 ) kennen Fälle, wo 
die Hyperämie den Reiz zur Secretion abzugeben scheint. 
Es würde sich so am einfachsten erklären, daß sehr starke 
Hyperämien ungemein häufig von leichter Vermehrung der 
Secretion begleitet sind. In der Regel, und besonders natür¬ 
lich, wo große Absonderungen ohne übermäßige Hyperämie 
auftreten, wird man vasomotorische und secretorische Phäno¬ 
mene als gleichberechtigt, als Erzeugnisse desselben Bodens 
betrachten. — Nicht nur quantitative, auch qualitative Ab¬ 
weichungen von der Norm scheinen vorzukommen. 

Manchmal begleiten, wie angedeutet, secretorische Stö¬ 
rungen die vasomotorischen Attaquen; manchmal treten erstere 
in gesonderten Anfällen auf. In der Mehrzahl der Fälle aber 
— und darin zeigt sich ihre relative Selbstständigkeit — haben 
die intensiveren Störungen der Secretion einen mehr con- 
tinuirlichen Charakter, allenfalls mit Exacerbationen und 
Remissionen; die Labilität dieses Systems ist auch hierbei an¬ 
gedeutet, indem auf alle möglichen Reize leicht Aenderungen 
der Secretion eintreten; aber die normale mittlere Thätigkeit 
ist gewöhnlich auf längere Zeit in der einen oder der anderen 
Richtung verändert. 

Im Einzelnen ist Folgendes zu sagen: Vermehrte 
Thränensecretion begleitet sehr oft die Congestion im 
Bereich der Kopfgefäße, besonders jene Form, bei welcher 
die Conjunctiva und die Nasenschleimhaut hauptsächlich afficirt 
erscheinen. Diese Secretion, obgleich nicht übermäßig stark, 
ist für viele so lästig, daß sie vor allen anderen Congestiv- 
symptomen den Kranken zum Arzte treiben kann. 

Auch die Secretion der Nasenschleimhaut ist in 
diesen Fällen etwas vermehrt. Die profusen Ergüsse finden 
sich, wie erwähnt, meist nicht bei allgemeiner vasomotorischer 
Ataxie, sondern bei der localisirten Form des nervösen 
Schnupfens. Auch sonst ist mir über secretorische Störungen 
im Gebiete des Respirationstractus nichts Sicheres bekannt. 

Anders im Digestionsapparat, wo zahlreiche auffällige 
Phänomene zu erwähnen sind. Zunächst sah ich in mehreren 
Fällen eine sehr lästige Vermehrung derSpeichelsecretion. 
Manchmal ist es ein sehr zäher, klebriger (Sympathicus-) 

48 ) Lannois, Paralysie vasomotrice des extremites ou Erythromelalgie. 
Thfcse de Paris, 1880. 

49 ) L. Landois, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. § 290. Einflüsse 
auf die Schweißabsonderung. 


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Speichel, der dauernd ein unangenehmes Gefühl im Munde 
unterhält; manchmal belästigt mehr die große Menge des 
wässerigen Secrets. Die Störung kann anfallsweise und con- 
tinuirlich auftreten. Ich führe zwei Beispiele an, in einem 
bestand fast dauernde Absonderung des zähen Secrets, im 
anderen füllte sich der Mund anfallsweise mit großen Flüssig¬ 
keitsmengen. 

Fall 26. G., Kaufmann, 35 Jahre. November 1899 nervöse 
Magendarmaffection, die in einer Kaltwasserheilanstalt mit ziemlichem 
Erfolg behandelt wurde. Nahm im Beginn seines Leidens 35 Pfund 
ab, die er in einem Jahre wieder einholte. Consultirte mich Februar 
1901 mit der Frage, ob er seine kaufmännische Thätigkeit wieder 
aufnehmen könne. Status: Habitus nervosus. Tremor der Hände 
beim Ausstrecken, der Augenlider beim Schließen auf Geheiß. Von 
Gefäßsymptomen fand ich sehr starke Varicen an den Beinen, 
Varicokele, Hämorrhoiden. Enorme Hyperämie der Brusthaut beim 
Entkleiden; Patient empfindet dabei ein brennendes Gefühl, (das¬ 
selbe, das er oft plötzlich ohne besonderen Grund zu spüren an¬ 
gibt); ferner dauernde regionäre Cyanose der Hände (Erfrierung 
nicht genügend nachweisbar). 

Am meisten quält den Patienten ein andauernder, nur selten 
auf Tage unterbrochener Speichelfluß. Das Secret ist nicht über¬ 
mäßig reichlich, aber es füllt als zähe Masse dauernd die Mund¬ 
höhle und beschäftigt den Patienten fortwährend, so daß er bald 
ausspuckt, bald herunterschluckt. Chinin brachte etwas Besserung. 

Fall 27. Frau D., 38 Jahre. Frau eines Steuerbeamten. Ist 
vor Jahr und Tag wegen Gallensteinen in meiner Behaudlung ge¬ 
wesen. Etwas nervös. Consultirt mich Februar 1899 wegen nervöser 
Herzbeschwerden, die in Anfällen auftreten. Nachts zuweilen sehr 
lästiges Absterben der Hände. Klagt außerdem darüber, daß sie 
zeitweise — unabhängig von den Herzanfällen — den Mund voll 
Wasser habe und dann mehrere Minuten lang spucken müsse, was 
ihr besonders immer in Gesellschaft passiere und sehr genant sei. 
Ich ließ mir das Secret bringen, es war ein ganz dünner Speichel. 
Chinin brachte das Symptom fast ganz zum Schwinden. 

Auch über Trockenheit im Munde klagen unsere Kranken 
oft; doch schien sie mir stets nur eine Folge anderweitig sehr 
gesteigerter Absonderungen. 

Sehr interessant sind die Beziehungen zum chronischen 
Magensaftfluß. In mehreren Fällen meiner Beobachtung 
stellte sich diese AfPection deutlich als Theilerscheinung 
einer allgemeinen vasomotorischen, resp. vasomotorisch-secre- 
torischen Neurose dar. 

Fall 28. v. B., Rittergutsbesitzer, 34 Jahre. Leidet seit der 
Pubertät oft an Herzklopfen. Seit 6 Jahren, seit seiner Verheiratung, 
häufige Kopfcongestiouen, mit starkem Angstgefühl, besonders an 
den Tagen nach dem Coitlis. Füße andauernd objectiv und sub- 
jectiv sehr kalt. Mittelstarke Dermographie. Erkrankt April 1897, 
angeblich nach einem Exceß in Baccho, an Sodbrennen und Auf¬ 
stoßen. Besonders nachts stellen sich öfter heftige Schmerzen ein. 
Wenig Appetit. Einigemale Erbrechen. Ich sah Patienten im Juni 
1897. Der Magen war etwas aufgebläht, in toto leicht druckempfind¬ 
lich. Im nüchternen Zustande; nach vorhergegangener abendlicher 
Ausspülung finden sich im Magen über 100 Ccm. sehr stark saurer 
Flüssigkeit. Der Urin ist alkalisch, reich an Phosphaten. Trotz 
Diät und abendlichen Ausspülungen mit Alkalilösungen keine er¬ 
hebliche Besserung; Patient brach die Behandlung nach 3 Wochen 
ab. — Wie ich hörte, ist Patient ein Jahr später einem Gehirn¬ 
schlag erlegen. 

Fall 29. 60 ) M., Gastwirth, 41 Jahre. Seit 8 Jahren Erbrechen 
saurer Massen, abwechselnd mit heftigen Schmerzen. Verschiedene 
Curen blieben ohne besonderen Effect. Seit 1891 lebte Patient vor¬ 
wiegend von Flüssigkeiten und gebrauchte dauernd Abführmittel. 
In letzter Zeit war der Appetit gut, kein Aufstoßen, kein Sod¬ 
brennen. Uebelkeit und Erbrechen nur nach manchen Ingestis. 
Nachts, zuweilen auch nachmittags heftige Schmerzanfälle. Ver- 


60 ) Herr Dr. Bb. OppLER-Breslau, der mir den Fall zeigte, hat mir gütigst 
die Krankengeschichte überlassen. 


Stopfung, von profusen Diarrhoen unterbrochen. Abmagerung. — 
Patient stammt aus nervöser Familie, will in der Jugend einen 
leichten „Schlaganfall“ erlitten haben. Er ist leicht aufgeregt und 
bekommt dann, sowie bei mäßigen Anstrengungen leicht Herz¬ 
klopfen. Schwitzt sehr leicht und viel, im Gesicht seit jenem Schlag¬ 
anfall nur halbseitig. 

Status vom 15. Mai 1895. Hautgefäße ziemlich erregbar, 
Hautreflexe stark. Die rechte Gesichtshälfte dauernd von dicken 
Schweißtropfen bedeckt. Herzdämpfung nach rechts mäßig verbreitert, 
Spitzenstoß stark , diffus und hebend. — Im Unterleibe Plätschern 
bis handbreit unterhalb des Nabels fühlbar; bis dorthin sieht man 
auch gelegentlich peristaltische Magenbewegungen. Im nüchternen 
Magen circa 150 Ccm. wasserklare, stark saure Flüssigkeit. 

Auf geeignete Therapie allmälige Besserung. 

Von einem dritten sehr instructiven Falle, den ich sah, 
verfüge ich leider nicht über die Krankengeschichte; außer¬ 
dem sind mir noch mehrere weniger beweisende Beobachtungen 
vorgekommen. Wie häufig man hei darauf gerichteter Auf¬ 
merksamkeit derartige vasomotorisch-secretorische Phänomene 
beim continuirlichen Magensaftfluß finden wird, muß weitere 
Forschung ergeben; jedenfalls ist nach obigem sorgfältig 
darauf zu achten. Nach der vorliegenden Literatur scheint 
es, als ob das Beobachtungsmaterial über dieses viel discutirte 
Krankheitsbild an verschiedenen Orten recht verschieden ist. 

Intermittirenden Magensaftfluß konnte ich bei 
meinen Fällen nie sicherstellen, doch kam er öfter bei unklaren 
Beschwerden in ernstliche diagnostische Erwägung. 

Dagegen sind mir bei meinen Kranken Anfälle von 
profusen Diarrhoen begegnet, die ihrer wässerigen Be¬ 
schaffenheit nach wohl nur durch vermehrte Darmsecretion zu 
erklären sind. 

Wie sich die Gallensecretion verhält, darüber ist 
es schwer, Klarheit zu gewinnen. Das häufige Auftreten von 
Gallensteinkoliken bei unseren Kranken ist erwähnt. Ob das 
auf eine veränderte Quantität oder Qualität der Galle schließen 
läßt, ob zeitweilige Hyperämien die Anfälle in so großer 
Menge provociren, das möchte ich hier nicht weiter verfolgen. 

Vom Urogenitalapparat erfordert nur die Niere besondere 
Betrachtung. Die Nierensecretion erschien öfter etwas 
vermehrt; doch war es schwer, bei meinem ambulanten Material 
darüber zuverlässige Zahlen zu gewinnen. In einem Falle hielt 
sich die Harnmenge dauernd zwischen 3000 und 4000 Ccm. 

Von besonderer Wichtigkeit ist das Auftreten der Albu¬ 
minurie bei zahlreichen Leuten mit vasomotorischer Ataxie, 
wie ja auch bei anderen Nervösen; spärliche hyaline und 
Schleimcylinder lassen sich im Sediment nicht selten dabei auf¬ 
finden. Obgleich es sich hier zweifellos sehr oft nicht um eine 
secretorische Störung handelt, möchte ich aus praktischen Grün¬ 
den diese Albuminurien hier zusammenhängend betrachten. 

Klinisch läßt sich eine in unregelmäßigen Anfällen auf¬ 
tretende Form der Albuminurie von der constanten unter¬ 
scheiden, die zwar auch zu gewissen Tageszeiten Remissionen 
und Intermissionen bieten kann, aber durch ihren regelmäßigen 
Verlauf eine dauernd wirkende Ursache anzeigt. 

Die Attaquen der ersten Art treten oft isolirt, z. B. nach 
psychischen Erregungen, meist aber im Anschluß an allerlei 
andere vasomotorische Anfälle ein; wenigstens werden sie nach 
solchen öfter entdeckt. Im Allgemeinen möchte ich annehmen, 
daß es sich hier um eine nervöse Secretionsanomalie handelt. 
Denn nachdem mit Recht trotz mancher Gegner die Ansicht 
die herrschende geworden ist, nach welcher der Urin kein 
Filtrat, sondern ein Secretionsproduct lebender Zellen ist, ist 
auch für diese Eiweißausscheidungen nicht die „Durchlässig¬ 
keit' 1 einer Membran, sondern eine veränderte secretorische 
Thätigkeit anzunehmen. Ob zugleich nervös bedingte Schwan¬ 
kungen im Caliber der Nierengefäße vorhanden sind, ob die¬ 
selben vielleicht gar die Ursache der abnormen Ausscheidung 
darstellen, wird sich kaum entscheiden lassen. 

Doch weist der Urinbefund gelegentlich auch auf eine 
andere Genese der Albuminurie hin. Nur nebenbei erwähne ich, 

2 * 


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Wiener Medizinische Presse. — - Nr. 5. 


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daß in vereinzelten Fällen rothe Blutkörperchen in spärlicher 
Menge im Sediment zu sehen sind; dann ist natürlich auch 
der Austritt minimaler Eiweißmengen möglich. Viel öfter 
geht die Ausscheidung von Albumin mit starken Ablagerungen 
von Salzen pari passu, mit Phosphaten, mit Uraten, ganz 
besonders oft aber mit sogenannten Briefcouvertkrystallen 
(angeblich oxalsaurem Kalk). Natürlich können diese Salze 
auch ohne Albuminurie bei den Kranken auftreten. Diese 
Zustände nur auf eine nervöse Abweichung der Secretion zu 
beziehen, geht nicht wohl an. Vielmehr müssen wir an Stoff¬ 
wechsel Vorgänge, und zwar wahrscheinlich meist durch ab¬ 
norme nervöse Einflüsse denken, die zu einer Aenderung des 
Excretionsäquivalents verschiedener Stoffe im Blute führen. 
Es gehört also diese Albuminurie in die Kategorie der von 
Rosenbach B1 ) als regulatorisch bezeichneten. 

Gerade die letztere mit Ausscheidung von Salzen ver¬ 
bundene Form der Albuminurie kann auch so anhaltend auf¬ 
treten, daß sie als chronisch zu bezeichnen ist. Doch kommen 
immer von Zeit zu Zeit wieder eiweißfreie Epochen vor. Es 
gibt aber noch eine zweite Form der chronischen Albuminarie 
bei unseren Kranken: jene Form, die bei Unterleibsplethora 
infolge von Stauung in den Nierenvenen zustande kommt 
und die ich in meinem oben citirten Buche pag. 330 f. be¬ 
schrieben habe. Es werden hier mittlere Eiweißmengen in 
einem Urin, der von normaler Menge und normalem Gewicht 
ist und keine nennenswerthen Salzniederschläge zeigt, aus¬ 
geschieden. Die gleichzeitigen Symptome der Unterleibs¬ 
plethora sind für die Diagnose sehr wichtig. 

Ich mußte auf diese Störungen schon deswegen näher 
eingehen, weil die vorübergehenden, mehr noch die dauern¬ 
den Formen der Albuminurie bei den nervösen Kranken mit 
ihrer Furcht vor schweren Nierenleiden, ebenso aber auch bei 
den meisten Aerzten große Angst erregen. Ich verfolge aber 
diese Störungen vielfach schon seit langen Jahren, ich kenne 
Fälle, wo die Albuminurie schon vorJahrzehnten festgestellt 
wurde, und wo doch jedes andere Zeichen von Nierenkrankheit 
ausblieb. Natürlich ist jeder Fall sorgfältig nach allen Rich¬ 
tungen zu betrachten: aber Albuminurie an sich, selbst mit 
spärlichen hyalinen Cylindern, ist kein Beweis schwerer Er¬ 
krankung. (Es gilt dies auch bei anderen Nervösen mit 
Albuminurie, bei ßlutarmuth u. s. f.) * 

Die verhältnismäßig schwerste Form stellt die Albumin¬ 
urie bei Plethora abdominalis dar. Hier treten in der That 
öfter Zeichen einer Erkrankung der Niere hinzu: granulirte 
Cylinder. vereinzelte Nierenepithelien und Leukocyten u. s. f. 
Aber auch in diesen Fällen fehlt meist jede Neigung zu 
Progredienz, zu urämischen Erscheinungen. In zwei Fällen 
der Art, die, an intercurrenten Krankheiten verstorben, zur 
Section kamen, fand sich mäßige cyanotische Induration der 
Nieren mit interstitiellen Veränderungen. Ich zweifle nicht, 
daß nach Jahrzehnten oder auch früher ein Untergang des 
Parenchyms mit Schrumpfung des Organes, wie bei allen 
langdauernden Nierenprocessen, eintreten kann ; ich halte es 
auch nicht für ausgeschlossen, daß schon die Arbeitsüber¬ 
lastung des Organs bei den geschilderten nervösen Albumin¬ 
urien auf Grund einer gewissen Disposition schließlich nach 
Jahrzehnten zu demselben Endausgang führen kann. Aber im 
Allgemeinen sind doch die letzteren Fälle als sehr, die ersteren 
als relativ günstig zu bezeichnen. (Fortsetzung folgt.) 

Referate. 

L. Kuttner (Berlin): Plätschergeräusch, Atonie und 
Gastroptose. 

Stiller (Budapest): Noch ein Wort über Magenatonie. 

1. Das lebhafte, schon bei oberflächlicher Berührung entste¬ 
hende Plätschergeräusch des Magens ist ein pathologisches Phä- 

5l ) S.O. Rosenbach, Die Ziele (Kr functionellen Diagnostik u.s. f. „Deutsche 
med. Wochenschr.“, 1901, Nr. 17 u. 18 u. a. a, 0. 


nomen. Das Auftreten des Plätschergeräusches bei gegebenem Fül¬ 
lungszustand des Magens ist im wesentlichen abhängig von dem 
Tonus der Magenmusculatur und der Beschaffenheit der Bauch- 
decken. Die Lage des Magens kommt erst in zweiter Linie in 
Frage. („Berl. klin. Wscbr.“, 1901, Nr. 50.) 

Das Plätschergeräusch spricht für Atonia ventricnli, wenn es 
während derZeit der Verdauung hervorzurufen ist; abnorm lange 
Zeit nach dieser weist es auf motorische Insufficienz hin. Die 
Menge der restirenden Speisereste, resp. der Grad der motorischen 
Leistungsfähigkeit des Magens, läßt sich nur durch die Sonden¬ 
untersuchung, resp. die Probespülung 2—3 Stunden nach dem 
Probefrühstück oder 6—7 Stunden nach dem Probemittagsmahl, 
bestimmen. Findet sich Plätschergeräusch im nüchternen Magen, so 
ist wiederum durch die Magenspülung zu beweisen, ob Para- 
sccretion oder motorische Insufficienz vorliegt. 

Die Atonie des Magens bedeutet eine Schlaffheit seiner Mus- 
culatur. Dieselbe beruht häufig auf constitutioneller Grundlage und 
ist oft nur Theilerscheinung einer „Asthenia nniversalis congenita“. 
Atouie und motorische Insufficienz dürfen nicht ohne weiteres als 
identisch betrachtet werden. Bei der einfachen Atonie kann die 
motorische Function des Magens für die üblichen Probekosten zu¬ 
weilen normal sein, meist aber bestehen Störungen der Motilität. 
Dieselben sind in der Regel nur geringfügig; hochgradige moto¬ 
rische Insufficienz bei einfacher Atonie ist vorübergehend und nur 
von kurzer Daoer; chronische atonische Ectasien kommen erst 
zustande, wenn zur Atonie Complicationen (Parasecretion etc.) 
hinzutreten. Aus der Atonie entwickelt sich öfters die Gastroptose; 
der gesunkene Magen kann normal functioniren, ist aber ebenso 
wie der atonische nur geringeren Ansprüchen gewachsen, bei 
Mehrforderung an die Leistungsfähigkeit des Organs tritt leicht 
motorische Störung ein. Die Atonie und die Gastroptose beanspru¬ 
chen unsere Beachtung, auch wenn keine Symptome mangelnder 
Function vorhanden sind. — 

2. Die Magenatonie ist das früheste und constanteste Zeichen 
der Enteroptose. Sie beruht auf einer angeborenen asthenischen 
Grundlage und betrifft den Nervenmuskelapparat des Magens. 
Fälle rein rausculärer oder localer Natur bilden die seltene Aus¬ 
nahme. Die einfache Atonie ist nur Schwäche des neuromusculären 
Tonus, die zur temporären Insufficienz disponirt, aber nur in der 
Minderzahl der Fälle zu stabiler Schädigung der Peristaltik, noch 
seltener zur Stagnation gedeiht. Die einfache oder peristolische 
Atonie ist nur facullative Insufficienz. Ptose, Atonie und nervöse 
Dyspepsie sind im Großen und Ganzen identisch. Der morpholo¬ 
gische Ausdruck, das anatomische Aequivalent derjenigen Functions¬ 
störung, die wir Atonie nennen, ist die Ptose, und ihr untrügliches 
klinisches Zeichen ist eben die Ptose und deren Product, das 
Plätschern. Dieses, wenn leicht und ergiebig auslösbar, bedeutet 
auf der Höhe der Verdauung einfache peristolische Atonie, nach 
der Verdauungszeit motorische Insufficienz oder peristaltische Atonie, 
bei nüchternem Magen Stagnation oder atonische Ectasie, Stadien 
eines Krankheitszustandes, welche unmerklieh in einander über¬ 
gehen. Als sehr werthvolle Control- und Complementärmethode des 
Plätscherns ist der Schallwechsel — Dämpfung bei linker Seiten- 
lage — zu verwerthen, welche eine natürliche Belastungs- oder 
Dehnungsprobe darstellt und um so sicherer ist, da sie nur bei 
höheren Graden der Atonie und Ptose zur Erscheinung kommt. 
Beide Proben können in Fällen, wo die Sondenprobe unthunlich 
ist, dieselbe in leichter und praktischer Weise ersetzen. B. 

Th. G. JANOWSKY und W. K. WYSSOKOWICZ (Kiew): Ein Fall 
von Dermatomyositis. 

Der Fall der Autoren gehört zur Kategorie der chronischen 
Erkrankungen, in welchen hauptsächlich der interstitielle Proceß 
in den Muskeln mit dem Charakter einer chronischen interstitiellen 
Granulationsentzündung zu Tage tritt. Der acute, fieberhafte Be¬ 
ginn der Erkrankung, die diffuse Ausbreitung der Muskelaffectionen 
ohne deutliche Aetiologie und die Hautveränderungen sprechen 
ohne Zweifel dafür, daß man es hier mit einem den Fällen Un- 
verricht’s und der anderen Autoren analogen Falle von Der- 


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Wiener Medizinische Presse. — Nr. 5. 


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matomyositis zu thun hatte („Deutsches Arch. f. kl. Med.“ 1901, 
B. 72, H. 1). — Was die Aetiologie dieser Krankheit anbetrifft, 
so erscheint sie bis jetzt noch nicht aufgeklärt. Einige Forscher 
sind geneigt, die Erkrankung durch Eindringen von Mikroorga¬ 
nismen und hauptsächlicli von Streptokokken in die Muskeln zu 
erklären; aber die von ihnen beschriebenen Fälle unterscheiden 
sich wesentlich von Dermatomyositis und müssen zu den metasta¬ 
tischen Muskelentzündungen, welche als häufige Folgeerscheinung 
von Septikämien und Septikopyämien auftreten, gerechnet werden. 
Was die Dermatomyositis anbetrifft, so ist es am richtigsten, sie 
als eine durch Mikroorganismen oder Intoxication hervorgerufene 
Erkrankung anzusehen. Ebenso wie die Aetiologie der acuten und 
chronischen interstitiellen Entzündungen der Nieren, der Leber 
und der anderen Organe oft nicht deutlich zu Tage tritt, so kann 
man auch hier annehraen, daß bei dieser Krankheit ebenfalls die 
Idiosynkrasie und eine besondere Prädisposition, infolge deren 
der Entzündungsproceß gerade das Muskelsystem ergreift, eine 
Rolle spielen. Was die Veränderungen in den anderen Organen 
anbetrifft, so wurden bei mikroskopischer Untersuchung Erschei¬ 
nungen von parenchymatöser Degeneration der Nieren, der Leber 
und der Herzmuskeln constatirt ; in den Lungen eine katar¬ 
rhalische Entzündung in den oberen Lappen und Erscheinungen 
von hypostatischer Pneumonie im Anfangsstadium im unteren Lap¬ 
pen. Alle diese Veränderungen der letzten Periode der Krankheit, 
wie auch die acute Perforationsperitonitis, standen natürlich mit 
der vorliegenden Dermatomyositis in keinem directen Zusammen¬ 
hänge. B. 

Arthur Alexander (Breslau): Zur Klinik und Histologie 
der Folliclis. 

Die „Folliclis“ ist charakterisirt durch schubweise auftretende, 
hauptsächlich Vorderarme, Handrücken und Ohren befallende Knöt¬ 
chen ; sie liegen in geringer Größe und von deutlicher Härte 
in oder unter der Haut, heilen entweder von selbst unter Narben¬ 
bildung mit Pigraentsäumen ab, oder sie rücken aus der Tiefe der 
Cutis empor, bedecken sich mit einer gelblichen Kruste und bilden 
nach der Abstoßung des Schorfes ein kraterförmiges, wenig Eiter 
secernirendes Geschwür. Der ganze Proceß endet mit einer, zuerst 
röthlichen, dann weiß werdenden und mit einem rothbrauDen 
Saum umgebenen Narbe, welche in ihrer Vielheit, ihrer Localisa- 
tion und ihrem Aussehen außerordentlich charakteristisch ist und 
aus deren Vorhandensein man auch, ohne daß frische Efflore- 
scenzen da wären, retrospectiv die Diagnose „Folliclis“ stellen 
darf. Die Knötchen steigern sich manchmal zu großen, schmerz¬ 
haften, ödematösen Infiltraten. Wie weit ein Zusammenhang dieser 
Affection mit der Tuberculose besteht, und ob die „Folliclis“ den 
„Tuberculiden“ beizuzählen sei oder nicht, läßt siel» derzeit noch 
nicht entscheiden. In allen (5) Fällen A. s. („Deutsches Arch. für 
klin Med.,“ Bd. 71, II. 6) handelte es sich um Kinder mit anato¬ 
misch feststellbarer Tuberculose eines inneren Organes und schub¬ 
weisen Kuötcheneruptionen. N. 

A. Theilhaber (München): Zur Behandlung der Dysme¬ 
norrhoe. 

Bei der überwiegenden Zahl von Menstrualkoliken sind nicht 
anatomische Ursachen, sondern functioneile Störungen anzunehmen. 
Als solche spricht Th. („Centralbl. f. Gynäk., 1901, Nr. 49“), spa¬ 
stische Contraction der am inneren Muttermund befindlichen kreis¬ 
förmigen Muskelfasern an. Zu diesen Spasmen glatter Muskelfasern 
disponirt in erster Linie abnorme Reizbarkeit des Nervensystems 
(bei Hysterie, Neurasthenie, geistiger Ueberanstrengung, Onanie 
u. s. w.). Als Behandlungsmethode für diese Fälle, in denen die 
Allgemeinbehandlung versagt, empfiehlt Th. die sogenannte „Resec- 
tio orificii interni“, bei der kleine Stücke aus dem Sphincter orific. 
int. herausgeschnitten werden. In ähnlicher Weise erfolge ja auch 
die Naturheilung der „Dysmenorrhoe“ nach der ersten Entbindung. 
Th. dilatirt die Cervix, discindirt die Portio und schneidet aus 
der vorderen und hinteren Wand des Muttermundes in der Median¬ 


linie je einen schmalen Theil aus Schleimhaut und Musculatur 
heraus. Zu diesem Zwecke hat er auch ein eigenes Messer con- 
struirt, welches nur 6 Mm. in die Tiefe eindringt. Fischer. 

L. E. Bregman (Warschau): Reflexepilepsie bei spasti¬ 
scher Oesophagusstenose. 

Bregman bringt die Krankengeschichte eines jungen Mannes 
(„Neurol. Centralbl.“ 1901, Nr. 21), der an Stenose des untersten 
Endes der Speiseröhre mit consecutiver Erweiterung derselben und 
an Anfällen von Bewußtlosigkeit leidet. Die langjährige Stenose 
wird als functionell, die Anfälle werden als epileptisch gedeutet, 
beides aus beriicksichtigungswerthen Gründen. Da die Anfälle bloß 
während des Essens auftreten und ihre Stärke am größten 
ist, wenn auch das Hinderniß am schwierigsten überwunden 
werden kann, da andere ätiologische Momente für die Anfälle, 
die erst nach mehrjährigem Bestehen des localen Leidens aufge¬ 
treten sind, fehlen, glaubt Verfasser eine Reflexepilepsie annehmen 
zu dürfen, ein Leiden, unter dessen vielen Ursachen bisher die 
Oesophagusstenose gefehlt habe. Infeld. 

Simnitzki: Ueber die secretorische Thätigkeit der 
Magendrüsen bei Gallenretention im Körper. 

Aus den klinischen Beobachtungen des Verf.’s geht hervor 
(„Wratsch“, 1901, Nr. 43), daß bei Gallenretention im Körper, bei 
Icterus, von Seite des Magens auffallende Veränderungen seiner 
secretorischen Thätigkeit auftreten, die in Steigerung der all¬ 
gemeinen Acidität des Mageninhaltes zum Ausdruck kommen. Diese 
Steigerung der Acidität geschieht auf Kosten der Vergrößerung der 
Quantität der freien Salzsäure, während die Quantität der gebundenen 
Salzsäure sowohl, wie auch die Quantität der Chloride überhaupt unver¬ 
ändert bleiben. Die Gesammtquantität der Salzsäure ist gesteigert. 
Die gesteigerte Acidität zeugt von einer gesteigerten secretorischen 
Thätigkeit des Magens. Die mit dem Verschwinden des Icterus vor 
sich gehende Abnahme der allgemeinen Acidität sowohl, wie auch 
die Quantität der freien Salzsäure und des ganzen Chlors des Magen¬ 
inhalts und umgekehrt, die Zunahme der allgemeinen Acidität, der 
Quantität an freier Salzsäure und des Chlors bei neuerlicher Gallen¬ 
retention im Körper sprechen ganz bestimmt für das Vorhandensein 
einer gewissen Abhängigkeit der secretorischen Thätigkeit des 
Magens von der Gallenretention. Verf. studirte dieselben Erschei¬ 
nungen auf dem Wege des Experiments und beobachtete auch hier 
eine deutliche Steigerung der secretorischen Thätigkeit der Magen¬ 
drüsen (Durchschnitt um 50°/o) nach Retention der Galle bei 
scheinbarer Fütterung der Versuchsthiere (Hunde) mit Magenfistel 
und durchgeschnittener Speiseröhre. Das Studium der secretorischen 
Thätigkeit des nach der Methode von Heidenhain-Pawlow isolirten 
Magens bei Retention der Galle ergab, daß die gesteigerte Saft¬ 
absonderung sich auf sämmtliche Verdauungsphasen erstreckt, auf 
die psychischen sowohl, wie auf die chemischen. Die Typen der 
Magensaftabsonderung zeigen eine ganze Reihe sehr wesentlicher 
Veränderungen: 1. Die Curve der Magensaftabsonderung für Milch 
nimmt die Form der Fleischcurve an ; 2. in den Curven für Fleisch 
und Brot zeigen sich secundäre Hebungen, und 3. die secretorische 
Thätigkeit der Magendrüsen auf Eigelb nimmt einen vollständig ver¬ 
schiedenen Typus an. Die Dauer des secretorischen Stadiums für Brot 
bleibt unverändert, steigt aber für die übrigen Nährraittelarten. Beson¬ 
ders charakteristisch in der Magensaftabsonderung bei Gallenretention 
ist das auffallende Vorherrschen der ersten Stunde über die übrigen. 
Auf wiederholtes Nachfüttern reagiren die Magendrüsen so schwach, 
daß im Charakter der secretorischen Thätigkeit der Drüsenzelle eine 
gesteigerte Reizbarkeit und rasche Ermüdbarkeit auftreten. Die Gallen¬ 
retention im Körper bedingt also nicht nur Veränderungen in der 
secretorischen Thätigkeit der Magendrüsen, sondern schafft einen 
krankhaften Zustand der Drüsenzelle selbst, die den Charakter der 
Asthenie hat. L—y. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 5. 


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L. Fürst (Berlin): Die Asomnie im Kindesalter. 

Zu den wichtigsten Bedingungen für das Gedeihen des Kindes 
gehört neben der entsprechenden Ernährung, dem Luftgenuß, der 
Muskelbewegung und Hautcultur, unzweifelhaft ein in seiner Tiefe 
und Dauer normaler, in seiner Continuität möglichst ununterbrochener 
Schlaf. Je jünger das Kind ist, desto mehr bedarf es eines solchen. 

Schlaflosigkeit oder gestörter, ungenügender Schlaf gehören in 
der ersten Lebenszeit zu den Ausnahmen. Wenn sie vorkommt, 
dann hat sie in der Regel leicht erkennbare Ursachen, wie Insecten- 
stiche, Hunger, Kolikschmerzen, Obstipation durch zu compacte 
Käsegerinnsel, zu warmes Bedecken, zu starke Heizung, Na߬ 
liegen u. s. w. Man hat demnach die Ursache der Schlaflosigkeit 
aufzusuchen und erzielt schon nach deren Beseitigung guten Schlaf. 
Selten braucht man hiezu Medicamente. 

Vom zweiten Jahre an bis zum Beginn des Schulalters, etwa 
im siebenten Jahre, sind es psychische Reize der verschiedensten 
Art, denen das Kind oft ausgesetzt wird und denen dann eine 
eventuelle Schlaflosigkeit zuzuschreiben ist. 

Diese Beeinträchtigung des Schlafes, welche das Kind schlaff 
und reizbar macht, wirkt auf seine physische Entwickelung sehr 
störend. Sie erfordert eine mehr pädagogische als medicinische Be¬ 
handlung, ein rationelleres psychisches Regime. Dennoch macht es 
sich bisweilen nöthig, raedicamentös einzugreifen und ein zugleich 
sedativ wirkendes Schlafmittel anzuwenden. F. hat in acht der¬ 
artigen Fällen, bei 5 Knaben und 3 Mädchen, ein Stärkeklystier 
mit 0'5—1*0 Grm. Dormiol bewährt gefunden („Deutsche Med.- 
Ztg. u , 1901, Nr. 91). 

Physische Ursachen, wie Anämie, ererbte Anlage zur Neu¬ 
rasthenie, rasches Wachsthum, congestive Zustände und sexuelle 
Entwickelungsphasen vor der Pubertät können wesentlich zur 
Schlaflosigkeit beitragen. Im Allgemeinen aber prävaliren doch 
psychische Einflüsse auf das noch so leicht erregbare Gehirn unter 
den ätiologischen Momenten. 

Für die Behandlung der Asomnie im höheren Kindesalter kom¬ 
men neben mehr in das Gebiet der Pädagogik hinüberstreifenden 
hygienischen Vorschriften in Betracht: Kühles Schlafen, leicht assi- 
milirbare Kost des Abends, eine 1 — l l / a stündige Pause vom Abend¬ 
brot bis zum Schlafengehen, weniger nahrhafte oder erregende, 
leicht kühlende und erquickende Getränke (Milch, Limonaden, Frucht¬ 
wein ohne Alkohol, ■ natürliche Säuerlinge) — alles dies ist bei 
Kindern mit Asomnie empfehlenswerth. Alkohol, Kaffee und Thee 
vermeide man. Seit über Jahresfrist hat F. auch hier mit Dormiol 
zufriedenstellende Resultate erzielt. B. 


Samberger (Prag): Ein Beitrag zur Lehre von der 
syphilitischen Anämie mit besonderer Rücksicht 
auf die Blutveränderungen und die Urobilinurie. 

Verf. untersuchte das Blut mehrerer Syphilitiker nach eigener 
Methode und kam auf Grund seiner Untersuchungen zur Annahme, 
daß die rothen Blutkörperchen durch Syphilis schwächer und we¬ 
niger resistent werden, besonders gegen das Quecksilber, dagegen 
aber erlangen sie wieder durch das Quecksilber ihre alte Resistenz 
zurück. Drei begleitende histologische Tafeln demonstriren am 
besten diesen einerseits destructiven, andererseits reparativen Ein¬ 
fluß des Quecksilbers. („Sbornik klin.“, Bd. 3, II. 2.) 

In Betreff der Erfahrungen über den Befund des Urobilins 
im Urin syphilitischer Personen fand Verf. durch die Reaction 
nach Wiersing, daß die Urobilinurie geradeso bei Syphilitikern, 
die noch keine Cur durchgemacht haben, wie bei jenen, die mit 
Mercur schon behandelt wurden, vorgefunden wird. In beiden Fällen 
wird die Urobilinurie wahrscheinlich durch Destruction der rothen 
Blutkörperchen verursacht. Denn in dem Maße, als sich die Stabilität 
der rothen Blutkörperchen infolge der mcrcuriellen Behandlung 
bessert, vermindert sich die Menge des Urobilins im Harne, so daß, 
wenn die zweite Tour beendet ist, auch die Urobilinurie verschwun¬ 
den ist. Bei Luetikern, bei denen vor der Behandlung die Reaction 
negativ war, fand Verf. in einem Falle eine halbe Stunde nach 
der Einreibung mit grauer Salbe deutliche Urobilinurie vor (in 
einem anderen Falle nach 5 und in einem dritton nach 11 Stunden). 


Es kann vorausgesetzt werden, daß das Quecksilber hier durch 
die Luftwege in den Organismus kam (Welander), denn anders 
ist eine so rasche Resorption schwer erklärlich. Stock. 

Mikulicz und Reinbach (Breslau): Ueber Thyreoidismus 
bei einfachem Kropf. Ein Beitrag zur Stellung 
der Schilddrüse im BASEDOW’schen Krankheits¬ 
bilde. 

Auch bei einfachem Kropf findet man manchmal Erscheinungen, 
wie sie bei Darreichung einer größerer Menge Thyreoidpräparate oder 
bei Basedow bemerkt werden , die Erscheinungen, die unter dem 
Namen „Thyreoidismus“ bekannt sind. Das Material der Klinik 
Mikulicz’s, von den Verf. auf das Vorkommen der einzelnen Sym¬ 
ptome des Thyreoidismus bei einfacher Struma untersucht, ergab, 
daß häufig ein mäßiger Grad von Steigerung der Pulsfrequenz 
(bis 112) vorkommt, auch seien manchmal ein leichter Grad von 
Exophthalmus, sowie auch leichte nervöse Störungen (Herzklopfen, 
Schwindel, Reizbarkeit) zu bemerken. Hochgradige Steigerung der 
Pulsfrequenz, erheblicher Exophthalmus, sowie schwere nervöse 
Störungen, namentlich aber die ganze Gruppe von trophischen 
Störungen (an der Haut, den Drüsen und den Geschlechtsorganen) 
kommen nur bei Basedow vor. 

Die Stellung der Schilddrüse im BASEDOW’schen Krankheits¬ 
bilde betreffend, äußern die Verf. ihre Ansicht dahin („Mittheil, 
a. d. Grenzgeb. f. Med. u. Chir.“, Bd. 8, H. 3), daß die übermäßige 
Function der Schilddrüse allein das Wesen der BASEDOW’schen 
Krankheit nicht erklären könne, daß aber der Kropf dabei eine 
bedeutende Rolle spiele. Die Schilddrüse ist nach Ansicht der Verf. 
in dem Kreisläufe des an Basedow Leidenden wie ein Multiplicator 
eingeschaltet. Die Schildrüse hypertrophirt auf Grund derselben 
Einflüsse, welche die anderen Symptome des Basedow erzeugen; 
die Hypertrophie der Schilddrüse hat eine gesteigerte Function 
derselben und damit die Erscheinungen des Thyreoidismus zur 
Folge; durch diesen wird wiederum das ganze Krankheitsbild ge¬ 
steigert und die Drüse wieder zu stärkerer Function angeregt u. 8. w. 
Durch Ausschaltung des Multiplicators auf operativem Wege (Ent¬ 
fernung der Struma) wird die Heilung der Krankheit so sehr er- 
erleichtert, daß manche Fälle von selbst oder auf die übliche interne 
Therapie heilen. Erdheim. 


Borrel: Leg theories par&sitaires du canoer. 

Verf. bespricht eingehend („Annales de l’institut Pasteur“, 
1901, pag. 49) die verschiedenen Arbeiten, die sich mit dem Erreger 
der malignen Geschwülste beschäftigen, und theilt sie in drei 
Gruppen, je nachdem Bakterien, Sporozoen oder Blastomyceten 
gefunden wurden. Er widerlegt die einzelnen Theorien, die sich 
auf unrichtige Befunde oder falsche Deutung mikroskopischer 
Bilder stützen, indem er jene Argumente anführt und durch eigene 
Untersuchungen stützt, die im Laufe der letzten Zeit von patholo¬ 
gischen Anatomen wiederholt geltend gemacht wurden. Bezüglich 
der bekannten Versuche Sanfeuice’s meint Borrel,, daß selbst, 
wenn die bei 2 Hunden (unter 59 operirten) entstandenen Tumoren 
Folgen der Hefeeinspritzung gewesen wären, man die Hefen noch 
nicht als Erreger der Geschwülste ansehen könne. Verf. schließt, 
daß möglicherweise einmal Tumoren gefunden werden können, die 
durch Bakterien, Sporozoen oder Hefen erzeugt wurden, bis jetzt 
aber sei keine dieser Hypothesen bewiesen. Dr. S. 


Gengou (Liege): De l’origine de l’alexine des sörums nor- 
maux. 

Vorliegende Arbeit ist schon deswegen von besonderem Inter¬ 
esse, weil sie aus dem METSCHNiKOFF’schen Laboratorium stammt 
und wir somit berechtigt sind, die vom Verf. iu der Frage der 
Alexine vertretenen Anschauungen als jene Metschnikoff’s zu be¬ 
trachten. Verf. kommt zu dem Schlüsse („Annales de l’institut 
Pasteur“, 1901, pag. 68), daß das Alexin bei dem Hunde und Ka¬ 
ninchen sich in größerer Menge in den polynucleären Leukocyten 


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229 


1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 5. 


230 


als in dem normalen Blutserum finde, während die einkernigen 
Leukocyten es nur in geringer Menge enthalten. Man könnte daher 
die polynucleären Leukocyten als die Quelle des Alexins im nor¬ 
malen Blutserum betrachten. Dr. S. 


Kleine Mittheilungen. 

— Die Behandlung der Furunculosis führt Arming („Monatsh. 
f. prakt. Dermat.“, Bd. 33, Nr. 7) in folgender Weise durch: Zur 
Eröffnung der Furunkel verwendet A. den hellrothglühenden spitzen 
Platinbrenner, der genügend tief, eventuell mehrmals in das Centrum 
des Abscesses gestoßen wird, was weniger schmerzhaft sein soll 
als das Messer, und den Entzündungsschmerz rascher stillt. Wo 
keine Reibung stattfindet, heilt die Wunde unter Brandschorf ohne 
Verband, sonst wird folgender Firniß aufgetragen: 


Rp. Anthrarobini. 2 0 

Tamenoli. 8 0 

Aether.20'0 

Tinctura Benzoes.30 0 


Darüber kommt, ehe der Firniß trocknet, ein kleines Stück Chino- 
solgaze, das Ganze wird mit einem reizlosen Pflaster, z. B. 2 */ 2 °/ 0 igem 
Salicyltrikoplast (Beiersdorf) bedeckt. Dieser Verband wird täglich 
gewechselt. Um Weiterverbreitung der Furunculose zu verhindern, 
darf ira Nacken das Haar nicht kurzgeschoren und kein Steh¬ 
kragen getragen werden; vom Barte gilt dasselbe. Ursächliche 
Ekzeme sind vorsichtig und reizlos zu behandeln. Dazu empfiehlt 
A. bei ausgebreiteter Erkrankung Kreolinbäder (20—25 Grm. auf 
ein Vollbad) von 30° C., eventuell auch nur Localbäder. Nach 
dem Bade darf die Haut nicht mit einem Handtuche abgerieben 
werden , sondern wird nur mittels Einhüllens und Abtupfens 
getrocknet. Dann werden alle erkrankten Partien und ihre Um¬ 
gebung mit 2°/ 0 igem Salicylspiritus betupft, jeder neue Herd wird 
mit einem kleinen Paquelinbrenner eröffnet, und die ganze Gegend 
dann mit folgender Pasta bedeckt: 


Rp. Sulfur, praecip., 

Campbor. trit.aa. l'O 

Acid. boric. 8 0 

Zinc. oxyd., 

Amyli.aa. 200 

' Vaselin, flav.ad 100 - 0 


Torpide Eiterbeulen werden nach der Eröffnung mit reizlosen 
Pulvern, Dermatol, Amyloform, 10%igem Pyoktanin-Wi9muth ge¬ 
füllt und mit einem möglichst kleinen Stück Salicyltrikoplast 
geschlossen. Ebenso werden die bereits früher eröffneten oder 
spontan durchgebrochenen, noch ungeheilten Furunkel behandelt. 
Neben Localbehandlung darf eine der Grundursache angepaßte 
hygienisch-diätetische und medicamentöse Therapie nicht fehlen. 

— Ueber die Verwendung des Methylenblaus zur Prüfung 
der Nierenfunction hat Assfglg („Zeitschr. f. klin. Med.“, Bd. 44, 
II. 3 u. 4) eine eingehende Nachprüfung ausgeführt. In einer ganzen 
Reihe der verschiedensten Erkrankungen , in welchen sonst kein 
klinisches Symptom für eine Mitbetheiligung der Nieren sprach, 
wurden doch Anomalien der Methylenblauausscheidung im Sinne 
einer verlängerten Dauer derselben constatirt. Da indessen der 
Durchgängigkeitscoefficient für die einzelnen Substanzen verschieden 
ist, so darf man aus dem Verhalten des Methylenblau keine zu 
weit gehenden Schlüsse ziehen und die Deutung der Resultate ist 
sehr schwierig. Eine anatomische Diagnose kann man auf Grund 
des Ausfalles der Methylenblauprüfung nicht stellen, denn einerseits 
bedingen anatomische Veränderungen der Niere nicht immer Func¬ 
tionsstörung, und andererseits kann die Niere anatomisch intact 
und functioneil doch afficirt sein. 

— Ein natürliches, eisenhaltiges Eiweißpräparat ist das 
Roborin. Das Hauptfeld für seine Anwendung ist die Chlorose 
(„Med. Wocli. Rundsch.“, 1901, Nr. 22). Ein zweites Feld für 
Roborin bieten die secundären Anämien in den Reconvalescenz- 
zeiten nach acuten Infectionskrankheiten und nach Blutverlusten; 
auch bei chronischen Infectionskrankheiten bessert Roborin oft die 
Anämie und den Allgemeinzustand. Das Präparat wirkt hier be¬ 
sonders durch die Hebung des Appetits und als Nährmittel an 
und für sich; in zweiter Linie erst als Eisenmittel. Auch bei 


Rachitis und Scrophulose wurde Roborin wegen seines hohen 
Kalk-, Eisen- und Eiweißgehaltes mit Erfolg versucht. Schon 
Kinder unter einem Jahre vertragen Roborin ohne Beschwerden. 
Die Vorzüge des Roborins bestehen in folgenden Punkten. Gute 
Haltbarkeit, Geruch- und Geschmacklosigkeit, hoher Gehalt an 
Eisen, Eiweiß und Kalksalzen, gute Bekömmlichkeit und Appetit¬ 
anregung. Auch Meitner („Allg. med. Central-Ztg. u , 1901, Nr. 99) 
hebt die Vorzüge des Roborins hervor. 

—■ Seine Erfahrungen mit Natrium salicylicum beim gonor¬ 
rhoischen Gelenksrheumatismus veröffentlicht Bockhart („Monatsh. 
f. prakt. Dermat.“, Bd. 33, Nr. 11, 1901). Er wendet das Mittel nicht 
ununterbrochen durch 4—6 Tage in gleichen Dosen an; er verordnet 
vielmehr am ersten Tage 8—10 Grm., am zweiten 6 Grm. Gleichzeitig 
wird das Gelenk mit Ichthyolvasogen und einem warmen Watteverband 
darüber behandelt. Am 3. und 4. Tage erhält der Kranke kein 
Salicyl, am 5. und 6. Tage wieder je 6 Grm. Hierauf wird aber¬ 
mals 3 Tage pausirt, an den folgenden erhält Pat. wieder 4 bis 
6 Grm. in halbgrammigen Dosen ; in letzterem Rhythmus wird bis 
zur Heilung fortgefahren. B. behandelte in den letzten 10 Jahren 
65 Patienten nach dieser Methode, unter diesen versagte das 
Mittel nur 5mal. Fälle von einfachem Hydrops genasen in 1 bis 
3 Wochen, schwerere in 1 — 2 Monaten. Es scheint nicht die 
schweißtreibende Wirkung des Salicyls die Ursache des günstigen 
Einflusses zu sein, denn andere schweißtreibende Mittel hatten, 
ebenso wie Salipyrin, Salol und Jodkalium, keinen Erfolg. Gänzlich 
unwirksam ist das salicylsaure Natron in Fällen von veralteten 
gonorrhoischen Gelenksentzündungen. Eine Recidive, die übrigens 
mehr von der Behandlung des Trippers abhängt, hat Verf. bei 
den geheilten Fällen niemals beobachtet. Was die häufig sich ein¬ 
stellende Ankylose betrifft, so schreibt B. hiebei dem fixirenden 
Verband, welcher sonst zur Linderung der Schmerzen Vortreffliches 
leistet, die Hauptschuld zu, und empfiehlt daher, den immobili- 
sirenden Verband zu unterlassen. Selbst ein kurzdauernder immobili- 
sirender Verband kann in dieser Hinsicht Schaden bringen. Ebenso 
schädlich für die Beweglichkeit des Gelenkes ist die Application 
der Eisblase, welche B. durch warme oder heiße Umschläge ersetzt. 

— Bei Prostatitis empfiehlt Guiard („Klin.-tberap. Wschr.“, 
1901, Nr. 44) Klysmen mit Antipyrin und Laudanum. Sie be¬ 
zwecken, die Schmerzhaftigkeit der Prostata und die Intoleranz 
der Blase bedeutend herabzusetzen. Ausspülungen der Blase, 
urethrovesicale Instillationen, sowie die Ausführung der Litho- 
thripsie werden durch dieses Verfahren wesentlich erleichtert. 
Auch auf die nächtlichen Congestivzustände übt das Verfahren 
eine vortheilhafte Wirkung. Seine Wirkung ist unzweifelhaft rascher 
und ausgesprochener als die von Suppositorien mit Morphin, Opium, 
Belladonna oder Cocain. Es genügt, 6—8 Tropfen Laudanum zu 
verwenden, doch kann man in schweren Fällen die Dosis unbe¬ 
denklich auch bis auf 12—18 Tropfen steigern, ohne unangenehme 
Folgen befürchten zu müssen. Die Technik der Irrigation ist einfach 
und leicht ausführbar. Man bedient sich hiezu einer kleinen, 20 Ccm. 
fassenden Glasspritze und einer Harnröhrensonde Nr. 14—15. Der 
Pat. füllt die Spritze mit gekochtem warmen Wasser, spritzt etwa 
2—3 Ccm. aus und entleert den Rest in eine Kaffeeschale, löst 
darin 1 — 1 J / 2 Grm. Antipyrin auf, fügt die nöthige Anzahl Opium¬ 
tropfen hinzu, aspirirt das Ganze in die Spritze, führt in hockender 
Stellung die Sonde 8 —10 Cm. tief ins Rectum ein, zieht das eine 
Ende der Bougie nach vorne, setzt an dasselbe die Spritze an 
und injicirt den Inhalt derselben. 

— Ueber „lchthyol“-Eisen und „lchthyol“~Calcium schreibt 
P. G. Unna („Monatsh. f. prakt. Dermat.“, Bd. 32, 1901). U. gibt 
sensiblen Kranken, die reines Ichthyol (in Lösung) nicht vertragen, 
neuerdings mit gutem Erfolge die Verbindungen Ichthyoleisen 
(Ferrichthol genannt) und Ichthyolcalcium, die in der Form von 
comprimirten Tabletten zu OT in den Handel gebracht werden. 
Beide Verbindungen sind geschmack- und geruchlos und für die 
ersten Wege ebenso indifferent wie Ichthalbin. Es zeigte sich, daß 
sie ihreu Componenten entsprechend günstige Nebenwirkungen 
besitzen, die sich häufig bei Hautkrankheiten verwenden lassen. 
Das Ferrichthol kommt in Betracht bei allen chronischen Angio¬ 
neurosen und neurotischen Entzündungen, der chronischen Urticaria 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 5. 


232 


und den analogen maculösen, papulösen und bullösen Erythan- 
themen, dem Lichen urticatus der Kinder, bei sämmtlichen Pur¬ 
puraformen und bei Hydroa (Duhring’s Krankheit). Die Darreichung 
des Ferrichthols in der Dosis von 1—2 Grm. täglich ist eine 
werthvolle Zugabe zur äußeren Pastenbehandlung dieser Erkran¬ 
kungen. Es kommt weiter in Betracht complicirende Chlorose und 
Anämie bei universellen Ekzemen anämischer Personen, pruriginöser 
Veränderung der Haut, und bei seborrhoischer Alopecie bei Frauen 
mittleren Lebensalters. Die dritte Indication bilden die Varicen 
der Unterschenkel bei anämischen Frauen, die vierte die Fälle, 
wo wir aus irgend welchen Gründen eine lange anhaltende Arsen- 
medication durchführen müssen, wie bei Lichen, Pemphigus, Nagel¬ 
ekzem, Skleronychie u. s. f. 

— Eine neue Methode der Phimosenoperation gibtScHLOFFER 
an („Centralbl. f. Chir.“, 1901, Nr. 26). Es wird zunächst das 
äußere Blatt nach der einen Seite schräg, dann das innere Blatt 
schräg nach der anderen Seite hin gespalten. Wenn nunmehr die 
Vorhaut zurückgezogen wird, entsteht eine rhombische Wundfläche, 
deren Ränder durch die Naht vereinigt werden. Die Präputial- 
öffnung wird durch diesen Eingriff hinreichend weit, es ist bei 
ihm eine Verstümmelung wie bei der Cireumcision und das Herab¬ 
hängen des Bürzels wie bei dem RosER’schen Dorsalschnitt vermieden. 


Literarische Anzeigen. 

Die Rassenschönheit des Weibes. Von Dr. C. H. Stratz. 

Mit 226 in den Text gedruckten Abbildungen und 1 Karte 
in Farbendruck, Stuttgart 1901, Ferdinand Enke. 

Von dem Maßstabe zur Werthung menschlicher Schönheit 
überhaupt, nämlich, daß Schönheit die höchste Gesundheit ist, 
ausgehend, will Verfasser auch den Maßstab zur Beurtheilung der 
Rassenschönheit gewinnen. Wie das Einzelindividuum in seiner Ent¬ 
wickelung nicht dem anderen gleicht, ebenso ist auch letztere bei 
einzelnen Gruppen von Individuen nicht immer die gleiche. Die 
kräftigste Gruppe, die im Kampf ums Dasein sich gegen die an¬ 
deren durchzusetzen imstande war, wird auch die höchst ent¬ 
wickelte sein. Die kräftigste, lebensfähigste Rasse wird zur vollendet¬ 
sten, d. h. die schönsten Individuen hervorbringen. Als die höchst 
entwickelte und schönste Rasse muß heute die weiße genannt 
werden. Von diesen Principien ausgehend, ergibt sich ein Ideal, 
das wenigstens in unserer Entwickelungsperiode einen absoluten 


Maßstab für die Beurtheilung menschlicher Schönheit gewährt. 
Wenn wir von der Thatsache ausgehen, daß die weiße Rasse die 
culturell und physiologisch entwickeltste ist, so haben wir in einem 
Exemplar dieser Rasse, an dem sämmtliche Körpertheile die zur 
Erfüllung ihrer Functionen beste Ausgestaltung, id est vollkommenste 
Gesundheit aufweisen, den gewünschten Idealmenschen. Legen wir 
nun diesen Maßstab an die Beurtheilung der Rassen an, so müssen 
wir als Rassenschönheit das Individuum bezeichnen, das seine charak¬ 
teristischen Rassenmerkmale in einem solchen Grade aufweist, daß 
sie die Grenzen unseres Schönheitsideals nicht überschreiten. 

Verfasser thcilt die Rassen ein in protomorphe (Primitiv¬ 
völker, die den ausgesprochensten Charakter der Urrassen zeigen), 
archimorphe (die herrschenden, activen) und metamorphe (die aus 
den archimorphen hervorgegangenen Mischrassen). Die archimor- 
phen Rassen scheiden sich in 3 Hauptrassen. Die Mongolen, Mittel¬ 
länder und Nigritien. Unter Mithilfe eines großen statistischen 
Materiales gewinnt Verfasser die für die verschiedenen Rassen 
charakteristischen Merkmale und weist an trefflichen Illustrationen 
nach, wie sich das Individuum zur Rassenschönheit entwickeln kann. 
Er bleibt auch hier seinem Princip treu, gelehrt, ohne langweilig 
zu sein. Aus seinen Worten spricht nicht allein der Arzt und An- 
thropolog, sondern auch der Künstler, dessen Streben nicht ein 
Einschachteln der Natur in ein starres System, sondern ein fro¬ 
hes Erschauen der Schönheit der Natur ist. Die vornehme Aus¬ 
stattung mit ihren vorzüglichen Illustrationen reiht diese Publi- 
cation würdig an die früheren Werke des Verfassers an. 

Kleinwächter. 

Atlas und Grundriß der Ohrenheilkunde. Unter Mit 
Wirkung von Prof. Dr. A. Politzer in Wien herausgegeben 
von Dr. Gustav Brühl, Ohrenarzt in Berlin. 244 farbige Ab¬ 
bildungen auf 39 Tafeln nach Originalaquarelleu von Maler 
G. Hammerschmidt. München 1901, J. F. Lehmann’s 
Verlag. 

Die nach Präparaten des Autors und Politzer’s — so ist die 
Mitwirkung des letzteren gemeint — angefertigten, sehr gelungenen 
Abbildungen werden sich zu Lehrzwecken und auch beim Selbst¬ 
studium jener Collegen, denen es in der Ohrenheilkunde an eige¬ 
nen Beobachtungen mangelt, höchst zweckdienlich erweisen. Daß 
der textliche Theil ein Lehrbuch nicht zu ersetzen vermag, ist bei 
der hauptsächlichen Bestimmung dieses Werkes leicht begreiflich 
und dürfte auch vom Verfasser gar nicht intendirt worden sein. 

Eitelberg. 


Feuilleton. 

Pariser Brief. 

(Orig.-Corresp. der „Wiener Med. Presse“.) 

I. 

— 28. Januar 1902. 

Die Primarii der internen Abtheilungen an den Pariser Kran¬ 
kenhäusern vereinigen sich wöchentlich einmal zu einer wissen¬ 
schaftlichen Sitzung, deren öffentliches Protokoll als „Bulletins et 
Memoires de la societe medicale des höspitaux de Paris“ heraus¬ 
gegeben wird. Die letzte Nummer des Jahres bringt die Uebersicht 
der im Jahre 1901 gehaltenen Vorträge in einer Arbeit des Ge- 
neralsecretärs Rendu, die gleichzeitig als das Resume der erzielten 
Leistungen im Gebiete der internen Medicin betrachtet werden kann. 

Das Interesse der Internisten hat sich heuer hauptsächlich 
auf das Studium der Lumbalpunction, der Cerebrospinal¬ 
flüssigkeit concentrirt. Durch die Lumbalpunction hat Netter schon 
im Jahre 1897 nachweisen können, daß die Cerebrospinalmeningitis, 
die man in Paris für erloschen hielt, sporadisch herrscht. Seither 
wurde die Pathogenie des Leidens erforscht und festgestellt, daß 
ätiologisch ein Theil durch die Influenza bedingt wird und anfangs 
als bloße Coryza bestehen kann. Rendu und Dieulafoy haben je 
einen solchen Fall vorgestellt. Parallel zu diesen Fällen haben 
Lermoyczow und Vaquez einen Fall gezeigt, wo eine Otitis der erste 


Vorbote einer Meningitis cerebrospinalis war. Diese Fälle verlaufen 
immer mit großen nervösen Störungen und täuschen eine Meningitis 
oder Typhus vor, während es andere Fälle gibt, die ambulatorisch 
behandelt werden, als Magenkatarrh z. B., bis eine probeweise 
ausgeführte Lumbalpunction die Diagnose aufklärt. Brissaud, Dieu¬ 
lafoy, Triboulet haben solche Fälle gesehen. In solchen Fällen 
ist die Cerebrospinalflüssigkeit nicht nothwendig inficirt von Mikroben, 
oder triibe; es genügt, daß sie (nach Rendu) eiweißhaltig sei, um 
als pathologisch betrachtet werden zu können. 

Was wird in der Zukunft aus den Individuen, die an Menin¬ 
gitis cerebrospinalis erkrankt waren? Chauffard hat zunächst ge¬ 
funden, daß die Recidiven in der Reconvalescenz ungemein leicht 
sind. Die leiseste Erkältung oder Anstrengung kann sie hervor- 
rufen (Rendu-Vincent). Daher sollen auch in den scheinbar leich¬ 
testen Fällen die Patienten lange Bettruhe beobachten, auch nach 
der vermuthlichen Genesung. Während Antony bei Soldaten nach 
Ausheilung der Meningitis vielfach Lähmungen und Störungen der 
Gesichts- und Gehörsfunction gefunden hat, bringt Netter eine 
bessere prognostische Statistik. Auch Chauffard glaubt, daß klinisch 
die Meningitis ausheile ; Sicard und Castaigne haben auch den 
anatomischen Nachweis einer radicalen Ausheilung erbracht. 

Für die chronischen Erkrankungen des Centralnervensystems 
hat die Lumbalpunction in Fällen von Syphilis, von tuberculöser 
Meningitis, bei secundären Pachymeningitiden infolge von Fractur, 
oder Alkoholismus ergeben, daß die Cerebrospinalflüssigkeit Lympho- 
cyten in Menge und polynucleäre nur in vereinzelten Formen ent- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 5. 


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hält; diagnostisch ist sie gegen Thrombosen, Neuronenhysterie, 
Chorea ein wichtiger Behelf. Nur bei Tumoren ist Vorsicht angezeigt, 
da in einem von Achard mitgetheilten Falle von Tumor des Klein¬ 
hirns die Punction8flüssigkeit Lymphocytcn enthielt. Desgleichen 
sind auch Lymphocyten zu finden bei Tabes, progressiver Para¬ 
lyse, sie fehlen hingegen bei Demenz der Greise, Melancholie etc. 

Was den Herpes zoster anlangt, so hat die Lumbalpunction 
den sicheren Nachweis für dessen centralen Ursprung erbracht, j 
Brissaüd , Achard, Widai, haben in Fällen von Zoster in der 
Lumbalpunctionsfltissigkeit Lymphocyten und große mononucleäre 
Zellen gefunden, sichere Zeichen einer Meningealreizung. Man hat 
auch das schädliche Agens wiederholt nachweisen können, in vielen 
Fällen als einen dem Colibaeillus ähnlichen Bacillus. Selbstverständ¬ 
lich kann Herpes zoster auch periphere Auslösung haben, durch 
Stoß, infectiöse Erkrankung (Pneumonie, Talamon). 

Therapeutisch hat die Lumbalpunction die Criscs gastriques 
der Tabiker günstig beeinflußt (Debove), doch ist sie nicht als zu¬ 
verlässiges Mittel zu empfehlen. Bei urämischen Kopfschmerzen hat 
Marie in zwei Fällen günstige Resultate erzielt. Desgleichen bei 
Ischias, wo namentlich die Injection von Cocain, wiederholt ausge¬ 
führt, Heilung auch in chronischen Fällen herbeigeführt hat. 

Unter den Infectionskrankheiten hat der Typhus am meisten 
Gelegenheit zu Beobachtungen gegeben. Das Mortalitätsprocent ist 
hier ein relativ sehr großes, 18%» größer als in den letzten 
12 Jahren. Es ist daher als ein therapeutisch sehr bemerkens- 
werthes Resultat zu betrachten, wenn Chaxtemesse durch Injec- 
tionen seines Serums die Mortalität bei den von ihm behandelten 
Fällen auf 5% heruntergesetzt hat. 

Die Perforationen des Darmes sind während des Typhus tödtlich, 
wenn nicht schleunigst operative Hilfe gebracht wird, d. h. längstens 
6 Stunden nach erfolgter Perforation. Frühzeitige Diagnose der er¬ 
folgten Perforation vor eingetretener Peritonitis ist somit ein noth- 
wendiges Postulat, denn weder das Absinken der Temperatur, noch 
das Beschleunigt- und Kleinerwerden des Pulses, das Verschwinden 
des Stuhlabganges, die Leibschmerzen sin! sichere Zeichen der er¬ 
folgten Perforation. 

Die Diphtheritis war heuer ungemein mörderisch und gegen 
das Serum sehr resistent. Die bisher üblichen Dosen mußten stark 
überschritten und die Injection oft wiederholt werden, um günstige 
Reactionen herbeizuführen. Sollte das Serum, das im PASTEUR’scheu In¬ 
stitut bereitet wird, an Wirksamkeit zu wünschen übrig lassen ? Wie 
dem auch sei, die Gesellschaft der Aerzte hat den Wunsch ausge¬ 
sprochen, daß, so wie in Deutschland, das zum Gebrauch ausgegebene 
Serum vorher auf seine Wirksamkeit im Thierexperiment geprüft 
werde. Im Anschluß an „Diphtheritis“ sei erwähnt, daß bei 
einer jüngst von Vincent beschriebenen diphtheroiden Erkrankung 
der Mandel, die durch einen von Kment entdeckten Spirillus be¬ 
dingt wird und bisher allen therapeutischen Behandlungen energi¬ 
schen Widerstand geleistet hat, durch Aufträgen von Methylenblau 
in Pulverform nach Siredey in 3 Tagen Heilung erzielt wird. 

Auf dem Gebiete der Erkrankang des Herzens Neues zu 
bringen, ist schwer. Tissier, Merklen und Barie haben durch ge¬ 
naue Messungen des Herzens während eines Anfalles von Polyarthritis 
acuta gefunden, daß das Herz sich erweitert, die Herztöne zu- und 
der Blutdruck an Intensität abnehmen. Es handelt sich also immer 
um eine Myocarditis, die sich dann später mit einer Endocarditis 
dauernd combiniren kann. Bei Gelegenheit eines Falles von in 
frühester Jugend erworbener Verengerung der Aorta hat Barie 
das ganze, diesbezüglich wenig bearbeitete Capitel gesichtet. 

Selbstverständlich haben die Aneurysmen vielfach pathologisch¬ 
anatomisch interessante Befunde ergeben: Zerstörung der Aortaklappen 
durch ein Aneurysma, Durchbruch ins Pericard, Compression des 
Vagus mit nachfolgender Pneumonie (Huchard). Vorsichtig muß 
man nach Babinski sein, wenn im Gefolge eines Aortenaneurysma 
oculo-pupilläre Erscheinungen auftreten. Diese sind nicht vom 
Aneurysma abhängig, sondern als Hirnsyphilis zu deuten. 

Die Lungen- und Rippenfellerkrankungen verlieren immer mehr 
und mehr an Terrain als selbständige Erkrankungen und werden 


immer mehr und mehr als Theilerscheinungen von Allgemeininfec- 
tion betrachtet. Die Lobärpneumonie wird z. B. als eine Localisation 
der Pneumonie betrachtet, kann aber auch nur eine Theiler- 
scheinung einer Allgemeininfection durch den Pneumococcus sein. So 
hat Hallopeau wechselseitig Recidive von Herpes und Pneumonie, 
Talamon Endocarditis nach Pneumonie, Ohauffaro Darmblutung 
durch Pneumococcus nach Lungenentzündung mitgetheilt. 

Die größten Fortschritte verdankt die Klinik und Therapie 
der Magendarmkrankheiten der Chirurgie. Ein Handinhandarbeiten 
von Chirurgen und Internisten ist hier überall sichtbar. Von den 
chirurgischen Erfolgen Hartmann’s, durch die Gastro-Enterostomie 
die von Soupault in letzter Zeit genau studirten Pylorusstenosen 
zu beheben, abgesehen, ist auf rein klinischem Boden die opo- 
therapeutisehe Methode Fremont’s erwachsen, ln vielen Fällen von 
chronischen Gastroenteritiden hat Le Gendre günstige Resultate 
mit dem von Fremont erzeugten Gasterine erzielt. In allen Fällen, 
wo mangelhafte Verdauung, gastrointestinale Infection, Leber¬ 
schwellung vorliegt, namentlich in Fällen von Hipochlorhydrie, 
gibt die Gasterine vorzügliche Resultate, desgleichen bei chroni¬ 
scher Diarrhoe mit Lienterie. 

Der neu ernannte Professor der Therapie, Prof. Gilbert, 
Nachfolger Landouzy’s, Hayem’s, Trousseau’s, an der Lehrkanzel 
für Therapie — nicht zu verwechseln mit der Arzneimittellehre, die 
hier von Poijchet vertreten wird — beschäftigt sich mit Vorliebe 
mit den Erkrankungen der Gallenwege und der Leber. Neuerdings 
beschreibt Gilbert eine hypertrophische Lebercirrhose, bedingt 
durch Alkoholismus und Tuberculose, wo die Leberzelle jahrelang 
intact bleibt, der Icterus, Ascites, Milztumor constant sind. Gilbert 
beschreibt auch einen acholischen Icterus, wo die Gelbfärbung 
des Patienten einhergeht mit Gelbfärbung des Serums, nicht des 
Urins. Parallel zu diesem steht nun eine Gelbfärbung des Serums, 
wo die Haut nicht pigmentirt ist: anicterische Cholämie. Dieser 
letzte Zustand ist von großer klinischer Bedeutung, weil er oft 
verkannt wird und dann schwere Blutungen und Nierenleiden er¬ 
zeugt , die der klinischen Deutung entgehen können. Viele Fälle 
von sogenannter Hämophilie, paroxysmaler Hämoglobiuurie, inter- 
mittirender Albuminurie hängen von dieser anicterischen Chol¬ 
ämie ab. 

Während die Erkrankungen der Niere im Vorjahre noch 
vielfach zu Beiträgen Anlaß gegeben haben, hat heuer bloß ein 
Capitel der Nierenpathologie, die orthostatische Albuminurie, auf¬ 
merksame Behandlung erfahren. Die Ansichten über die Pathogenese 
dieses Leidens sind wechselnd. Le Noir hält diese Albuminurie 
für eine vorübergehende Nierenschädigung, die im Gefolge von 
Dyspepsie auftritt. De Mosxy sah einen Fall nach Fixirung der 
gleichzeitig bestehenden Wanderniere heilen. Diesen Fällen stehen 
solche gegenüber, wo es sich doch um echte Nephritiden handelt, 
und diese sind die Mehrzahl. 

Neben diesen die allgemeine interne Pathologie betreffenden 
Arbeiten wurden auch speciellere Fragen in der Kinderpathologie 
behandelt, z. B. Scorbut im Gefolge von Ernährung mit sterilisirter 
Milch, Variola bei Säuglingen, sich nur durch Hypothermie und 
Icterus manifestirend , Polyneuritis nach Keuchhusten etc. Variot 
und Beclere haben die Roentgenstrahlen zu diagnostischen Zwecken 
benützt bei Pneumonie, Aneurysmen, Gelenksveränderungen bei 
Gicht, chronischem Rheumatismus, Tabes. 

Endlich hat Rendu einen Nekrolog auf die während des 
Jahres verstorbenen Mitglieder verfaßt. Es sind de Gennes und Delpe- 
rich, die zu jung gestorbeu sind, um über weitere Kreise sich be¬ 
kannt zu machen, Goupiexheim, der sich als Specialist für Kehlkopf¬ 
leiden der allgemeinen Medicin entfremdethat, und Potain, über dessen 
j Leistungen ein nächster Brief berichten wird. Dr. —n. 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 5. 


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Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Aus den Abteilungen 

der 

73. Versammlung Deutscher Naturforscher und 

Aerzte. 

Hamburg, 22.-28. September 1901. 

(Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) 

XVIII. 

Abtheilung für Chirurgie. 

Schuchard (Stettin): lieber Operationstische im Allgemeinen 
nebst Demonstration eines neuen Tisches. 

Sch. ist von der Verwendung von „Universaltischen“ abge¬ 
kommen, weil für die überwiegende Mehrzahl der chirurgischen 
Operationen nur eine ganz einfache horizontale Lagerung noth- 
wendig ist und complicirte Vorrichtungen hiebei nur im Wege 
sind. „Specialoperationstische“ werden nur für den besonderen 
Fall in Gebrauch gezogen. Die einfache Beckenhochlagerung bei 
geradegestellten Hüftgelenken, namentlich zur gynäkologischen 
Laparotomie erreicht Sch. in einfachster Weise durch einen Veit- 
SCHßöDER’schen Untersuchungsstuhl , bei dem die Sitzplatte sich 
um einen gemeinsamen Drehpunkt in die Höhe, die Rücken¬ 
platte nach abwärts bewegen läßt. Die Patientin wird in den 
Beinhaltern an den gebeugten Knien befestigt und ihr Oberkörper 
und Kopf hängt, lediglich durch eine glatte, um 45° geneigte 
Fläche unterstützt, frei nach abwärts. 

Sch. hat nach dem Princip des TRENDELENBURG’schen Stuhles 
einen Tisch construirt, der eine für sämmtliche Körpergrößen 
Erwachsener ausreichende Verschiebung innerhalb der Unterstützungs¬ 
fläche ermöglicht. Er deinonstrirt die Vortheile des Tisches, ins¬ 
besondere für die verschiedenen Modificationen der Beckenhoch¬ 
lagerung, für Eingriffe und für Hals- und Kopfoperationen. 

Lorenz (Wien): Ueber die unblutige Behandlung des musculären 
Schiefhalses. 

In der Behandlung des Schiefhalses herrscht zur Stunde keine 
Findigkeit. Hier subcutane, hier offene Myotomie, hier Verlänge¬ 
rung des Muskels durch künstliche Plastik, hier radicale Exstir¬ 
pation des ganzen Muskels. Alle diese Methoden richten sich ein- 
seitig gegen das Caput obstipum und lassen das Collum obstipura 
mehr weniger bei Seite, deshalb sind die Resultate vielfach ungleich¬ 
mäßig. Die Beseitigung des Caput obstipum bedeutet lediglich die 
Ermöglichung einer occipitalen Compensation der Cervicalskoliose, 
diese selbst bleibt bestehen , es wurde zur Krümmung die zuge¬ 
hörige Gegenkrümmung hinzugefügt: der Fortbestand der Cervial- 
skoliose begünstigt die Recidive der Kopfneigung. Eine rationelle 
Therapie muß gegen das Caput obstipum und gegen das Collum 
obstipum gleichmäßig vorgehen. Gegen das Caput obstipum hat 
Lorenz bisher die offene Myotomie des Kopfnickers, gegen das 
Collum obstipum das modellirende Redressement der Halswirbel¬ 
säule mit bestem Erfolge angewendet. Dabei wurde die Myotomie 
lediglich als Voract des modeliirenden Redressements betrachtet. 

Durch methodische Pflege dieser letzteren Maßnahme sah sich 
Lorenz in die Lage versetzt, die Behandlung des Schiefhalses noch 
conservativer zu gestalten und des Messers dabei völlig zu ent- 
rathen. Das modellirende Redressement der Halswirbelsäule ist 
nämlich imstande, sämmtliche Hindernisse, welche sich der Cor- 
rectur entgegenstellen, zu beseitigen. Soweit der Kopfnicker hiebei 
in Frage kommt, geschieht dies durch subcutane Myorhexis des¬ 
selben. Die erreichte Umkrümmung wird sofort durch einen Dauer¬ 
verband fixirt. Die bisher erreichten Resultate sind insoferne ideale, 
als jede Spur der Deformität verschwindet. Es fehlt sowohl die Narbe 
als auch die bekannte, seitliche Abflachung der Halsbasis, da die 
Muskelcoulisse des Kopfnickers erhalten und derselbe soweit dehnbar 
bleibt, daß entgegengesetzte Kopfneigungen leicht ausgeführt werden 
können. Die Indicationsgrenzen der subcutanen Myorhexis sind mit 
Sicherheit noch nicht festzustellen, die gelungenen Fälle standen im 


6., 8. und 14. Lebensjahre. An einem im 9. Lebensjahre stehen¬ 
den Knaben und bei 2 Patientinnen in den ersten Zwanzigerjahren 
mißlang die Methode. Lorenz hofft, daß dieselbe dem kindlichen 
Schief halse gegenüber stets ausreichender werde. Beim veralteten 
Schiefhalse der Adolescenten und Erwachsenen bleibt die Myotomie 
zu Recht bestehen. Doch hat Lorenz selbst in diesen Fällen mit 
der subcutanen Myotomie und energischen, modeliirenden Redresse¬ 
ments der Halswirbelsäule sein Auslangen gefunden. Lorenz leugnet 
nicht, daß in solchen Fällen auch die von Mikulicz empfohlene 
Exstirpation des Kopfnickers gute Resultate geben könne. Allein 
er hält das Verfahren für unnöthig eingreifend, wegen der starken 
Abflachung der kranken Halsseite für entstellend und zudem für 
überflüssig. 

Die subcutane Myorhexis des Kopfuickers hat auch ein ätio¬ 
logisches Interesse, da sie gewissermaßen die Gegenprobe zur Stro- 
MEYER’schen Theorie von der Entstehung des Schiefhalses durch 
Muskelriß während der Geburt darstellt. Ist die Theorie richtig, so 
müssen alle durch Myorhexis geheilten Schiefhälse recidiviren, was 
nach den bisherigen Erfahrungen nicht zutrifft, da die ältesten 
Fälle seit einem, beziehungsweise eineinhalb Jahren tadellos 
geheilt geblieben sind. Auch die hundertfältigen Erfahrungen, 
welche Lorenz über die Myorhexis adductorum gelegentlich der 
unblutigen Einrenkung der angeborenen Hüftgelenksverrenkung 
gemacht hat, sprechen dagegen, da Adductionscontracturen niemals 
zur Beobachtung kamen. Lorenz hält es für wahrscheinlich, daß 
die subcutanen Muskelverletzungen geringere Neigung zur Narben¬ 
schrumpfung zeigen als die in offener Wunde gesetzten. Lorenz 
stellt die unblutige Behandlung des Schiefhalses in Parallele mit der 
unblutigen Behandlung des Klumpfußes durch das modellirende 
Redressement und hofft beim Schiefhalse auf dieselben ausgezeich¬ 
neten Resultate, wie sie beim Klumpfuß mit der analogen Methode 
allerwärts erreicht wurden. Lorenz will das Gebiet der unblutigen 
Chirurgie durch die neue Methode um ein wichtiges und dankbares, 
wenn auch kleines Arbeitsfeld erweitert haben und ladet die Fach¬ 
genossen zur Nachprüfung seiner Methode ein. 

Joacliimstlial (Berlin) hat Fälle aufzuweisen, die durchaus für den 
congenitalen Charakter des Schiefhalses sprechen, ebenso wie er den angebo¬ 
renen Schiefstand des Schulterblattes beobachtet hat. Er übt nur die offene 
Durchschneidung des Sternocleido und hat stets radicale Heilung gesehen, ohne 
daß längere Nachbehandlung nothwendig war. 

Schanz (Dresden) theilt eine Beobachtung von congenitalem Schiefhals 
sofort nach der Geburt mit, wo er erst in dem Muskel nichts fand, nach 
3 Tagen aber mehrere Knoten fand, die nach Massage in 6 Wochen schwanden. 
Er glaubt durch die Behandlung einem dauernden Schiefhals vorgebeugt zu 
haben. S. beschreibt dann noch seinen Verband nach Schiefhalsoperation. 

Petersen (Kiel): Vortr. ist der erste gewesen, der die Stromeyer’ sehe 
Theorie des Caput obstipum bekämpft hat, und kann über Fälle berichten, in 
denen die Eltern ganz genau beobachtet haben, daß die Kinder bis zum 4. und 
5. Lebensjahre ganz gesund gewesen sind, bis sich allmälig der Schiefhals 
ausgebildet hat. 

Hoffa (Würzburg): Die experimentelle Begründung der Sehnen¬ 
plastik. 

Die Sehnenplastik mit ihren vielfachen Modificationen bedeutet 
einen großen Fortschritt für die chirurgische Orthopädie. Obgleich 
diese Operation nun schon tausendfältig ausgeführt worden ist, fehlte 
es bisher noch an genauen Untersuchungen über die Heilungsvor¬ 
gänge im Anschluß an Sebnenpla3tiken. Diese Lücke hat Hoffa 
ausgefüllt durch die Mittheilung von 11 Untersuchungsprotokollen 
von Präparaten, die er durch Sehnenplastiken gewonnen hat, 
welche an Hunden und Katzen ausgeführt wurden. Die Sehnen 
wurden theils verlängert, theils verkürzt, theils in der verschiedensten 
Weise aneinandergenäht. Die Thiere wurden nach verschieden 
langen Zeitintervallen getödtet, die Operationsstelle exstirpirt, ge¬ 
härtet, gefärbt und durch Serienschnitte untersucht. Eines der Prä¬ 
parate stammt von einer Patientin, bei der nach Verkürzung des 
Tibialis anticus eine Nachoperation nöthig wurde; im Verlauf der¬ 
selben wurde die alte Operationsstelle 242 Tage nach der ersten 
Operation exstirpirt. 

Die Ergebnisse der histologischen Untersuchungen sind in 
Kürze folgende : Die nach den verschiedenen Methoden der Sehnen- 
plastik im Verlaufe der nächsten Wochen sich abspielenden Pro- 
cesse führen zur Bildung einer Narbe, an deren Aufbau einerseits 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 5. 


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das Sehnengewebe selbst, andererseits das Peritoneum internum und 
externum sowie das peritendinöse Bindegewebe Antheil nimmt. Es 
spielen sich dabei histologisch annähernd die gleichen Vorgänge 
ab, wie sie nach den Untersuchungen von Enderlen, Busse und 
neuerdings von Schradicke für die Heilungsvorgänge nach der ein¬ 
fachen Tenotomie geschildert worden sind. 

Die Neubildung des Sehnengewebes ist in der Regel eine 
sehr bedeutende. Es entstehen zahlreiche Bündel junger Sehnen, die 
in die Narbe einstrahlen und mit gleichgearteten Fascikeln innige 
Geflechte eingehen. In den ersten Wochen erscheint die neugebildete 
Narbe noch mehr oder weniger bindegewebig, später aber wird sie 
vorwiegend sehnig. Alte und neugebildete Sehnen sind aber noch 
nach Monaten durch den verschiedenen Zellreichthum, sowie durch 
die Farbenunterschiede (bei Hämatoxylin-Eosinfärbung) gut zu 
unterscheiden. 

War die Operation nicht ganz aseptisch, hatte vielmehr eine 
leichte Infection stattgefunden, so überwog die Proliferation des 
Bindegewebes entschieden die von der Sehne ausgehende Neubildung. 
Die Heilung wird ferner verzögert, wenn sich größere Hämorrhagien 
im Operationsgebiete einstellen. — Sehr interessant ist das Verhalten 
der Sehnenpartien, welche zwischen die einzelnen Nähte gefasst, 
gewissermaßen abgeschnürt werden. Man erkennt dann zunächst 
deutlich eine Degeneration der abgeschnürten Sehnenbündel. Die 
regressiven Processe am Sehnengewebe verlaufen unter Kernschwund, 
unter Auffaserung und homogener Quellung der Fasern. In die 
degenerirten Sehnenabschnitte wandern dann zahlreiche Leukocyten 
und Wanderzellen ein, durch deren Umwandlung dann wieder zu¬ 
nächst Bindegewebe und später sehniges Gewebe entsteht. 

Mit dem Alter der Narbe nimmt deren Zellgehalt und Ge¬ 
fäßreichthum allmälig ab, während die Zwischensubstanzen zunehmen. 
Aber auch noch nach Monaten sind die Processe der Emigration 
und Immigration, sowie die Bildung und Rückbildung der Narbe 
nicht beendet. 

Für die Praxis ergibt sich aus den obigen Mittheilungen ein¬ 
mal, daß strengste Aseptik und Vermeidung jeder Infection, ferner 
exacte Blutstillung zur Verhütung von Hämorrhagien für die Er¬ 
zielung einer guten Heilung nöthig sind, und ferner, daß die Fixa¬ 
tion des operirten Theiles in der gewünschten Stellung für längere 
Zeit auch noch nach vollständig beendeter Wundheilung stattfinden 
muß, damit eine wirklich solide Narbe entstehe. (Demonstration 
der mikroskopischen Präparate.) 


Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 23. Januar 1902. 

Alois STRASSER demonstrirt eine Pat. mit räthselhaften 
Fiebersteigerungen. (Wird in der „Wiener Med. Presse“ 
ausführlich publicirt werden.) 

M. WEINBERGER stellt einen Knaben mit Aortenstenose 
vor. Es bestehen folgende Symptome: Herzklopfen, Schwindel, 
Athemnoth, der Puls in den Radiales, Brachiales, Subclaviae und 
Carotiden abnorm klein, systolische Pulsation im zweiten rechten 
Intercostalranme, daselbst auch fühlbares Schwirren und im Roentgen- 
bilde ein Schatten, klappender zweiter Aortenton , systolisches 
Geräusch über der Herzspitze, Hypertrophie des linken Ventrikels. 
Es handelt sich um eine Stenosirung der Aorta vor dem Abgänge 
der Anonyma — vielleicht eine Folge von Endocarditis nach einer 
vor einigen Jahren überstandenen Diphtheritis — und um eine 
aneurysmatische Erweiterung des vor der Stenose gelegenen Aorten¬ 
abschnittes. 

W. TÜRK stellt einen Pat. mit hochgradigem Milztumor, 
Hyperglobulie und Cyanose vor, außerdem ist auch die 
Leber vergrößert. Die Affection besteht seit 10 Jahren, das Gesicht 
ist cyanotisch und die Rachenschleimhaut düster roth gefärbt. 
Die Blutuntersuchung ergibt: Erythrocyten 9*5 Millionen, Leuko¬ 
cyten gegen 27.000, Hämoglobin um 180°, Färbekraft fast 1} im 
Blute finden sich einzelne Makro- und Mikrocyten, vereinzelte 
Normoblasten und Poikilocyten, Mastzellen 2 38°/o, Lymphocyten 
8 —10°/ 0 , polymorphkernige Leukocyten gegen 80%. Es muß bei 


diesem eigenartigen Krankheitsbilde eine Veränderung im myeloiden 
Gewebe vorliegen, welche zu einer Steigerung der blutbereitenden 
Function desselben geführt hat. 

EM. SCHWARZ stellt einen Knaben mit hochgradiger 
Leukämie und schwerem Diabetes vor. Bei dem Pat. 
bestehen neben Polydipsie Drüsenschwellungen, Milztumor (myelogene 
Leukämie mit 300.000 Leukocyten), Zuckergehalt des Harnes 6%, 
welcher trotz antidiabetischer Diät nur auf 4% heruntergedrückt 
werden kann, hochgradiger Ascites, welcher bereits einmal puuetirt 
werden mußte. Der Knabe ist plötzlich taub geworden, wahr¬ 
scheinlich infolge einer leukämischen Labyrinthaffection. Es ist 
fraglich, ob hier eine zufällige Coincidenz beider Krankheiten 
besteht, oler ob beide auf eine Grundursache zurückzuführen sind. 

S. KORNFELD hat in 150 Fällen controlirende Tonometer¬ 
messungen vorgenommen, um deren Verläßlichkeit zu prüfen. 
Die Tonometermessungen ergaben größere Schwankungen als die¬ 
jenigen mit dem Sphygmomanometer. Der Tonometerdruck zeigt 
manchmal keinen Parallelismus mit dem Manometerdruck und die 
Resultate der Tonometermessung hängen von der Höhe de3 Tono¬ 
meterringes und von der Dauer der Anämisirung ab. (Wird in 
diesen Blättern in extenso zur Veröffentlichung gelangen.) 

S. Jellinek bemerkt, daß das Tonometer gut vergleichbare relative 
Werthe ergibt, dasselbe zeigt auch an beiden Radiales eine Druckdifferenz 
von 10—20 Mm. Hg, ebenso registrirt es einen Druckanstieg nach Anstrengung. 

Nothnagel erklärt diese Differenz in dem Blutdrücke der beiden Radiales, 
welche bei jedem 4.—5. Menschen vorkommt, durch anatomische Variationen 
der Gefäße. 

T. Schrötter macht darauf aufmerksam, daß diese Differenzen durch 
die Ulnares wieder ausgeglichen werden. 

S. V. Basch weist darauf hin, daß für die Klinik eine einheitliche 
Blutdruckmethode von Vortheil wäre, es sollte daher nach dieser Richtung 
eine Einigung erzielt werden. 

H. Wolf hat bei der Nachprüfung der Tonometerangaben gefunden, 
daß die Druckangaben mit der Höhe des Tonometerringes schwanken ; ferner 
gelingt es durch Beeinflussung der Gewebe (z. B. durch Hitze) den Blutdruck 
für längere Zeit herabzusetzen. 

Nothnagel bemerkt, daß das beste Instrument znr Blutdruckmessung 
für den Praktiker der Finger ist, welcher selbst geringe Druckdifferenzen 
erkennen läßt. Für exacte UDd wissenschaftliche Bestimmungen ist dagegen 
ein Meßinstrument von großem Nutzen. 

V. Basch hebt hervor, daß die Messung des Blutdruckes mit dem Finger 
nur in 23% der Fälle richtige Resultate gibt, weil man mit dem Finger ein 
Product aus dem Drucke und der getasteten Fläche mißt, während das Instru¬ 
ment den Druck mißt. Die Spannung der Arterie ist nicht mit dem Blutdrucke 
identisch. 

Max Herz : Ueber die Insufficienz der lleocöcalklappe. 

Die lleocöcalklappe besteht aus zwei dünnen Schleimhaut¬ 
falten, deren freie Ränder einen schmallippigen Klappenraund bilden. 
Die Klappe hängt von der linken Cöcumwand herab und taucht 
in den flüssigen Inhalt, wodurch eine Art von Syphonverschluß 
geschaffen wird. Eine normale Klappe hält einen so hohen Druck 
aus, daß es eher zu einer Berstung des Dickdarms kommt. Die 
Druckprüfung hat Vortr. in der Weise vorgenommen, daß er in 
das Colon ein Glasrohr einband und unter steigendem Drucke 
Wasser einfließen ließ. Gibt das Ventil der Klappe bei weniger als 
20 Ccm. Wasser nach, so ist es als insufficieut anzusehen; bei 
vollkommener Insufficienz fließt das Wasser rasch in das Ueum 
ab. Anatomisch findet sich in solchen Fällen entweder Auflockerung 
der Lippen oder ein vollständiges Ectropium derselben; diese 
Veränderungen kommen besonders bei Potatoren, Herzkranken und 
Individuen vor, welche an chronischer Obstipation leiden. 

Klinisch documentirt sich das Leiden durch mäßigen Meteo¬ 
rismus, wobei die rechte Seite mehr aufgetrieben ist, und durch 
percussorisch nachweisbare Ausdehnung des Cöcum. Comprimirt 
man bei insufficienter Klappe mit der linken Hand das aufsteigen de 
Colon und drückt das Cöcum mit der rechten Hand zusammen, 
so entweicht der Darminhalt unter Gurren oder Quatschen in das 
Ileum; nachher zeigt die Percussion einen veränderten Schall über 
dem Ileum. Obstipation ist nicht nur die Ursache, sondern auch 
die Folge dieser Insufficienz, weitere Folgen sind Flatulenz, oft 
kolikartige Schmerzen in der rechten Bauchseite, nervöse Be¬ 
schwerden und Abmagerung. Therapeutisch kommen in Betracht : 
Abführmittel, Darmdesinficientia und Dickdarmmassage. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 5. 


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Wiener medicinisches Doctoren-Collegium. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Med. Presse“.) 

Wissenschaftliche Versammlung vom 27. Januar 1902. 

Emil Schwarz: Lieber die entfernteren Beziehungen zwischen 
den Organen. 

Organe sind functioneil differenzirte Theile des Organismus; 
die Erhaltung und Fortpflanzung des Individuums wird nur durch 
die richtige Synergie seiner Organe erreicht, jede Störung derselben 
zieht auch eine Störung im Gesammtorganismus nach sich. Selbst 
bei einzelligen Wesen zeigt sich eine gewisse Differenzirung, indem 
bestimmte Functionen an besondere Theile der Zelle geknüpft sind. 
Bei der Differenzirung der höheren Organismen entstehen Organe 
mit specifischen Leistungen, aber auch mit specifischen Bedürfnissen ; 
darin liegt aber eine innere Ursache immer weitergehender Compli- 
cationen der physiologischen Beziehungen und des causalen Verhält¬ 
nisses zwischen den Organen. So bedingt z. B. die Localisation der 
Athmung an bestimmte Organe die Entwickelung des Blutkreislaufes, 
der Organismus bedarf specieller Excretionsorgane und Einrichtungen 
zur Entgiftung der Zerfallsproducte etc. 

Da wir nicht genau die Bedeutung aller Organe kennen, 
bleiben uns auch ihre Wechselbeziehungen dunkel. Ziemlich geklärt 
sind die Wechselbeziehungen der Organe der Respiration, Nutrition 
und des Kreislaufes zum Organismus und zu einander. Oft zeigt 
sich aber eine gleichzeitige Reaction von Organen auf eine und 
dieselbe Einwirkung, die wir nur constatiren, aber nicht verstehen 
können; wir bezeichnen sie als entfernte Beziehungen. Man sieht 
einen solchen Zusammenhang z. B. zwischen Mamma und dem 
graviden Uterus. Diese Beziehungen sind anatomischer oder 
functioneller Natur. Unter ersteren versteht man die Thatsache, 
daß die Entwickelung eines Organes die Entwickelung eines anderen 
Organes bedingt; wird z. B. dem Krebse ein gestieltes Auge 
amputirt, so entwickelt sich, wenn das Ganglion der Sehnerven er¬ 
halten geblieben ist, ein Auge, wenn es zerstört wurde, nur ein 
Fühler; das Ganglion regt also die Gewebe zu einer specifischen 
Anordnung an. Beim Menschen steht die Behaarung mit der 
Mächtigkeit der unter ihr liegenden Muskelschichte im umgekehrten 
Verhältnisse, sie ist auch stärker über atrophischen Muskeln. Die 
Muskelmasse des Herzens hängt von der Entwickelung der Körper- 
musculatur ab; als entfernte Beziehungen könnte man auch die 
gleichzeitige Erkrankung der Gelenksserosa und des Endocards, 
der Parotis und des Hodens ansehen; diese Gewebe scheinen aber 
gleichmäßig stark auf eine Infection zu reagiren. Durch dieselbe 
Annahme einer Gewebsverwandtschaft könnte man die Thatsachen 
erklären, daß Carcinome der Schilddrüse, der Mamma, de6 Ovariums 
und der Prostata gerne Knochenmetastasen setzen, daß ins Blut 
gelangte Riesenzellen sich in der Milz erhalten, während sie im 
übrigen Körper degeneriren, daß bei Anämie die Milz und das 
Knochenmark erkranken, daß metastatische Knochencarcinome zur 
myeloiden Umwandlung der Milz führen. Letztere zeigt auch Be¬ 
ziehungen zur Leber (Lebertumor bei Leukämie und Pseudoleukämie, 
Milztumor bei Lebercirrhose und der BANTi’schen Krankheit), eine 
Deutung dessen läßt sich vielleicht durch den Hinweis auf die 
hervorragende bämatopoetische Function der Leber im Embryonal- 
leben geben; so nehmen manche Autoren an, daß bei lymphatischer 
Infiltration der Leber mikroskopische Ueberbleibsel des lymphatischen 
Lebergewebes hypertrophiren. Ferner hat die Milz noch Beziehungen 
zu Lymphdrüsen, mit denen sie bei manchen Anämien gleichzeitig 
erkrankt, und angeblich auch zum Pankreas (Sistiren der Trypsin- 
production nach Milzexstirpation, Verkleinerung der Milz bei Pankreas¬ 
nekrose). Zwischen dem Genitale und dem Knochenmark bestehen 
Beziehungen, welche vielleicht in manchen Fällen durch die Schild¬ 
drüse vermittelt werden, mit den Geschlechtsdrüsen stehen überhaupt 
die meisten Organe im Connex; hiefür sprechen: Anschwellen der 
Thyreoidea in der Gravidität und oft bei den Menses, die Tetania 
gravidarum, Entstehung eines Kropfes oder des M. Basedowii in 
der Gravidität, Störungen der Genitalfunction oder Atrophie der 
Genitalien bei M. Basedowii. Störungen in der Genitalsphäre gehören 
auch zu den ersten Symptomen des Myxödems. Bekannt ist der 
Connex der Genitalorgane mit dem Knochensystem (Osteomalacie, 


periostale Knochenwucherungen in der Gravidität) direct oder mit 
Einschaltung der Thyreoidea und zum Centralnervensystem (puerperale 
Psychosen, Störungen der Geschlechtsfunctionen bei Akromegalie). 
Die Schilddrüse scheint die meisten Beziehungen zu anderen Organen 
zu besitzen, so z. B. zum Knochensystem, Centralnervensystem, zur 
Haut (Myxödem), zum Darm, zur Milz, zu Lymphdrüsen und zur 
Thymus (diese vier Organe weisen beim M. Basedowii Veränderungen 
auf); überhaupt besteht eine Menge von Beziehungen zwischen 
Schilddrüse, Thymus und dem lymphatischen System. Thymus, 
Schilddrüse und Hypophysis zeigen Wechselbeziehungen (Thymus¬ 
persistenz und thyreogene Symptome bei Akromegalie), bei den 
beiden letzteren ist auch das Knochensystem mitbetheiligt. Die 
häufige Störung des Zuckerstoffwechsels bei M. Basedowii und 
Akromegalie wird auf eine Betheiligung des Pankreas zurückgeführt. 
Die größte Rolle in diesen Wechselbeziehungen spielen die Drüsen 
ohne Ausführungsgang. Unter diesen zeigt ferner die Nebenniere 
bei M. AddisoDii einen Connex mit der Haut (Pigraentirung), dem 
Centralnervensystem (Asthenie), dem Verdauungsapparat (schwere 
Magen-Darmerscheinungen) und dem sympathischen System, da¬ 
gegen sind secundäre Erscheinungen an der Nebenniere noch un¬ 
bekannt, außer vielleicht bei ADDisoN’scher Erkrankung ohne 
anatomische Läsion der Nebenniere, wo dennoch Nebennieren¬ 
symptome vorliegen. Die Beziehungen des sympathischen Systems 
zu den meisten Organen und dem Knochensystem bei Herz- und 
Lungenerkrankungen scheinen directe zu sein. Die Beziehungen 
zwischen Nebenniere und Syrapathius dürften vielleicht darauf be¬ 
ruhen, daß erstere ebenfalls ein sympathisch-nervöses Organ mit 
vorderhand noch unbekannter Function ist; der Connex zwischen 
den einzelnen Theilen des hämatopoetischen Systems beruht auf 
einer compensirenden Thätigkeit derselben für einander oder auf 
der Gewebsverwandtschaft und der daraus resultirenden gleichen 
Reaction auf Noxen und Reize. Aehnliches ließe sich auch bei den 
Beziehungen der sogenannten Blutdrüsen denken, die Annahme 
einer inneren Secretion ist nicht imstande, alle Wechselbeziehungen 
zu erklären. 

E. Schütz fragt, wie sich die Annahme einer auf Milz und Leber 
gleichzeitig einwirkenden Noxe bei der BANTi’schen Krankheit erkläre, wenn 
die Leber in manchen Fällen später erkrankt. 

P. Mittler macht auf die Wechselbeziehungen zwischen Genitalien und 
Speicheldrüsen (Ptyalismus bei Graviden), Asthma und Nasenaffectionen, Er¬ 
brechen und Gravidität, Coitus und Erbrechen aufmerksam. 

E. Schwarz erwidert, daß bei BANTi’scher Krankheit die Leber früher 
auf den gemeinsamen Reiz reagiren kann. Es gibt noch eine Menge von 
Wechselbeziehungen, welche in dem Vortrage außeracht gelassen wurden, weil 
sie sich durch die Annahme eines Reflexvorganges erklären lassen. Interessant 
ist die Wechselbeziehung zwischen Gravidität und Ptyalismus, weil sie ein 
Analogon zur Orchitis bei Mumps darstellt. 


K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 31. Januar 1902. 

K. KREIBICH stellt einen Pat. mit Haemangioma mol- 
lusciforme des Gesichtes vor. Der Kranke hatte bei der Geburt 
eine kleine Teleangiektasie an der linken Wange, welche sich anfangs 
nur allmälig vergrößerte, seit dem 30. Lebensjahre des Pat. 
aber über das ganze Gesicht ausgebreitet hat; seit einem Jahre 
hat sie den Charakter einer Geschwulst angenommen. Das ganze 
Gesicht des Pat. ist von der mächtigen blauröthlichen, die Arterien 
und hauptsächlich die Venen betreffenden Gefäßwucherung einge¬ 
nommen, welche stellenweise kleine Tumoren trägt. Die kolossal 
vergrößerte Oberlippe hängt so weit herab, daß sie das Kinn 
bedeckt. Die Gefäßwucherung findet sich auch in der Nase und 
im Munde bis zur Grenze zwischen hartem und weichem Gaumen. 
Auf eine Therapie verzichtet der Kranke. 

J. Rabl bat einen ähnlichen Fall, bei welchem von der Gefäßwucherung 
die Nase, die Oberlippe und ein Theil der Wange eingenommen war, an der 
Klinik weil. Prof. Dumkeichek's beobachtet. 

H. LORENZ demonstrirt einen Mann mit multiplen Athe¬ 
romen des Sero tum. Die Vorderseite und die Ränder des Hoden¬ 
sackes sind von einer Unzahl erbsen- bis haselnußgroßer, dicht 
bei einander stehender Atherome bedeckt, so daß dadurch das 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 5. 


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Bild eines traubenartigen Tumors zustande kommt. Die Affection 
hat vor 10 Jahren ihren Anfang genommen. Die Therapie wird 
in Exstirpation der erkrankten Scrotalhaut und Deckung des De- 
fectes aus der Nachbarhaut bestellen. 

A. Weichselbaum: Ueber den gegenwärtigen Stand der Lehre 
von der Entstehung und dem Wesen der Tuberculose. 

Die Tuberculose wurde noch vor zwei Decennien für eine 
Constitutionsanomalie angesehen ; seit der Entdeckung des Tuberkel¬ 
bacillus durch Rob. Koch haben sich die Anschauungen über das 
Wesen dieser Volksseuche natürlich total geändert. Viele von Koch 
aufgestellte Grundsätze (Specificität des Bacillus, Infection durch 
Athmung, Abhängigkeit der Erkrankung von einer individuellen 
Disposition) bestehen zum Theile noch heute zu Recht, manche haben 
Modificationen und weiteren Ausbau erfahren oder sind noch Gegen¬ 
stand der Controverse. 

Vom Tuberkelbacillus wurde festgestellt, daß er nicht nur 
in der bekannten stäbchenförmigen Form, sondern auch in Form 
von verzweigten Fäden mit kolbigen Verzweigungen oder in 
aktinomycesähnlichen Drüsen gezüchtet werden kann; aus letzterem 
Grunde reihen ihn manche Forscher zu den Streptotricheen ein, an¬ 
dere behaupten, daß er nur das parasitische Stadium eines sapro- 
phytischen Pilzes darstellt. In der neueren Zeit sind mehrere ihm 
verwandte Specie3 in der Milch, Butter, Gartenerde und auf dem 
Timotheegras gefunden worden, welche mit ihm die Eigenschaft der 
Säurefestigkeit und ferner das culturelle und biologische Verhalten 
theilen, mit dem Unterschiede jedoch, daß die von jenen erzeugten 
Knötchen nicht verkäsen. Die Bacillen der Geflügeltuberculose stimmen 
mit den Tuberkelbacillen der Menschen und Säugethiere nicht überein, 
sie sind auch für Menschen und Säugethiere nicht pathogen; um¬ 
gekehrt erzeugen letztere Bacillen nicht bei Vögeln Tuberculose. 
Nach Koch ist auch die Perlsucht nicht mit der Menscbentuberculose 
identisch. Es ist entgegen der ursprünglichen Ansicht Koch’s frag¬ 
lich, ob der Tuberkelbacillus Sporen bildet. Seine Widerstandsfähigkeit 
basirt auf seinem Gehalt an einer Fettsubstanz. Manche Autoren 
glauben an die Ubiquität des Tuberkelbacillus, andere leugnen 
diese, da der Bacillus nur in der Umgebung hustender Phthisiker 
vorkomme. Es steht fest, daß der Tuberkelbacillus die Tuberculose 
erzeugt, er muß aber einen geeigneten Boden zu seiner Vermehrung 
finden (die sogenannte Disposition). 

Eine weitere Streitfrage ist die nach der Eintrittspforte der 
Mikroben in den Organismus: nach Baumgarten dringt er schon 
bei der Zeugung mit den Spermatozoiden in das Ovulum ein, 
bleibt in dem entwickelnden Fötus in einer Art von Larvenstadium 
und führt erst im extrauterinen Leben zur Infection des Körpers. 
Klebs spricht den Darmtractus als Eintrittspforte an , andere 
Autoren sehen diese in den Tonsillen, von welchen aus sie auf dem 
Umwege über die Hals- und Mediastinaldrüsen zur Bildung von 
Gefäßtuberkeln und dann zu Herden in der Lunge kommt. 
Ribbert betrachtet die Inhalation für die häufigste Infections- 
quelle. Die Bacillen passiren dabei die Lungen , ohne sie zu ver¬ 
ändern, und erzeugen zunächst Tuberculose der intrathoracalen 
Lymphdrüsen. Die germinative und placentare Entstehung der 
Tuberculose ist nicht von der Hand zu weisen, kommt aber sehr 
selten vor. Gegen die Annahme einer primären Darminfection mit 
Tuberculose spricht das seltene Vorkommen der Darmtuberculose 
in großen Städten; außerdem ist die Identität der Perlsucht mit 
Tuberculose nicht erwiesen, auch ist z. B. das bosnische Rind 
resistent gegen Perlsucht, aber empfänglich für menschliche Tuber- 
culose (Karlinski). 

Soviel steht bisher fest, daß durch das Hantiren mit dem 
Fleische von Rindern an den Händen tuberculose Geschwüre, Lupus 
oder anatomische Warzen entstehen können. Es ist nicht bewiesen, 
daß die Perlsuchtbacillen für den Menschen virulent sind, es muß 
aber jedenfalls zugegeben werden, daß das Perlsuchtvirus beim 
Menschen schwer haftet oder nur leichtere Formen von Tuberculose 
erzeugt. Die ursprüngliche Ansicht Koch’s, daß der Tuberkelbacillus 
am häufigsten mit der Athemluft in die Lunge gelangt, besteht 
noch zu Recht, mag diese nun durch in der Luft schwebende ver¬ 
spritzte Sputumtröpfchen (Flügge) oder durch trockenes, verstäubtes 
Sputum erfolgen. Die vorwiegende und frühzeitige Localisation der 


Tuberculose in den Lungenspitzen erklärt man durch den Umstand, 
daß dieselben schlechter mit Blut versorgt und schlechter ventilirt 
werden. Nach Freund hängt diese schlechte Luft- und Blutver¬ 
sorgung der Lungenspitzen mit der Beschaffenheit des Knorpels der 
ersten Rippe zusammen. 

(Die Discussion wurde auf die nächste Sitzung verschoben.) 

Notizen. 

Wien, 1. Februar 1902. 

Die Thätigkeit des „Oesterreicliisclien Naturheil- 

vereines“. 

Die Naturheilbewegung ist wie eine Hydra: wenn man ihr einen 
Kopf abschlägt, wachsen viele andere nach. Nach vielen Bemühungen 
der Aerztekammern und ärztlichen Vereine kam die Regierung end¬ 
lich zur Einsicht, daß die Naturheilbewegung „für das Volkswohl 
gemeinschädlich“ sei, wie es in einem Ministerialerlasse hieß. In 
Böhmen untersagte die Stattbalterei die Bildung von neuen Zweig¬ 
vereinen mit der ausdrücklichen Motivirung, daß diese Vereine der 
Curpfuscherei Vorschub leisten, und beauftragte die politischen 
Unterbehörden, den bereits bestehenden Vereinen eine verschärfte 
Aufmerksamkeit zuwenden zu wollen. In Wien gelang es der Aerzte- 
kammer, die öffentliche Abhaltung von Naturheilvorträgen gegen 
Entröe durch ausländische Laien zu unterdrücken, und wurden die 
Vorträge nur auf die Mitglieder des Naturheil Vereines beschränkt, 
außerdem wurden zu denselben nicht nur ein Polizeibeamter, son¬ 
dern auch ein Sanilätsbcamter als Regierungsvertreter delegirt. 
Auch die Colportage des Buches von Bilz wurde in Oesterreich 
verboten. Doch die Naturheilapostel ruhen nicht. Durch den „rollen¬ 
den Rubel“ wurde eine neue Agitation entfacht. Vorerst wurde ein 
Erzherzog ersucht, das Protectorat über den Naturheilverein zu 
übernehmen; man wollte den illustren Namen eines erlauchten 
Mitgliedes des Kaiserhauses dazu mißbrauchen, um das verblasste 
Renommee des Vereines wiederum aufzufrischen. Es gelang der 
Intervention des Kammerpräsidenten, unter Aufklärung über die 
Consequenzen, die die Uebernahme des Protectorates über den 
Verein haben könnte, diesem gut gewählten Schachzuge das Prä- 
venire zu spielen. Man versuchte, den Protomedicus Austriae hinters 
Licht zu führen und ihn sowie die unter seiner Leitung stehende 
Gesellschaft für Gesundheitspflege zum corporativen Besuche der 
Naturheilanstalt bei Brunn a. G. zu veranlassen. Auch dieser Plan 
mißlang. Doch die Bilzgarde stirbt nicht, aber ergibt sich auch 
nicht! In der richtigen Voraussetzung, daß die Behörden gegen¬ 
wärtig andere Sorgen haben, als sich ausschließlich mit ihren 
werthen Persönlichkeiten zu befassen , hielten sie sich kurze Zeit 
zurück, traten jedoch mit aller Wucht wieder auf den Plan, als 
sie die Behörden in Sicherheit gewiegt glaubten. Im December 
1901 fanden wiederum trotz des ausdrücklichen Verbotes Vorträge 
ausländischer Laien gegen Entree statt. Der Inhalt derselben ist 
immer derselbe. Irgend ein zusammengesuchtes hygienisches Sam¬ 
melsurium, der Zweck und der Knalletfect ist: „Hoch die Natur¬ 
heilkunde, nieder mit der Giftmedicin, kaufet das Buch von Bilz 
und P laten!“ Man kann nicht leugnen, daß diese Vorträge eine 
deletäre Wirkung ausüben. Die Aerzte in den peripheren Stadt¬ 
bezirken kommen oft in peinliche Situationen: die Patienten lehnen 
die angeordnete Behandlung ab und wollen nach Bilz und Platen 
behandelt sein. Die städtischen Amtsärzte sind auf Grund unan¬ 
fechtbarer statistischer Daten in der Lage, gleich den praktischen 
Aerzten eine rapide Abnahme der ßchutzpockenimpfung constatiren 
zu können. Was nützt es, daß die Aerzte sich bemühen, die Im¬ 
pfung zu propagiren? Sic finden bei der Bevölkerung radicalen 
Widerstand, steht ja doch im Buche von Bilz und fast in jeder 
Nummer des „Gesundheitsrath“, des otficiellen Organes des Natur¬ 
heilvereines , daß die Impfung ein Verbrechen ist! Der Vorstand 
der Wiener Aerztekammer hat neuerlich beschlossen, die Wiener 
Polizeidireetion unter Darlegung der Gründe auf das Dringendste 
zu ersuchen, durch scharfe Coutrole, resp. Inhibirung dieser Vor¬ 
träge, die erfahrungsgemäß ungemein viel Unheil stiften, da sie 
die Bevölkerung gegen die Aerzte, die Wissenschaft und staatliche 


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243 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 5. 


244 


Institute förmlich aufwiegeln, der unseligen Naturheilagitation ein 
Ende zu bereiten. Hoffentlich erinnert sich die Behörde ihrer 
Pflicht! Will man etwa so lange warten, bis die Toleranz gegen 
dieses gemeinschädliche Treiben eine schwere Blatternepidemie oder 
noch Aergeres zur Folge haben wird ? ms. 

(Der J ustizrainister über die gerichtsärztlichen 
Gebühren.) Der Herr Justizminister sagte in der Sitzung des 
„Budgetaasschusses“ im Reichsrathe am 24. Januar, daß die 
„Reform der gerichtsärztlichen Gebühren die lebhafteste Befriedi¬ 
gung der betheiligten Personen hervorgerufen habe.“ Das ist die Ant¬ 
wort auf den einmüthigen Protest sämmtlicher Ärztekammern Oester¬ 
reichs auf deren außerordentlichem Kammertage, der den Tarif als 
unannehmbar erklärte. 

(Die Krankencasse der Bankbeamten.) Der Beschluß 
der Aerztekammer betreffend die Nichtannahme von Stellen bei der 
Krankencasse der Bankbeamten Wiens hatte die erfreuliche Folge, 
daß gegenwärtig noch keine einzige Stelle besetzt wurde: 
die provisorische CassenleifUDg hat den Wunsch ausgesprochen, 
die Kammer möge in weitere Verhandlungen eintreten, um die 
Modalitäten festzusetzeD, unter denen die Aerzte Stellen annehmen 
könnten. Ueber das Ergebniß der Verhandlungen werden wir be¬ 
richten. 

(Universitäts-Nachrichten.) Der a. o. Prof. Ernst 
Emil Moravcsik ist zum Ordinarius für Psychiatrie, Prof. Leo 
Lieberman zum Ordinarius für Hygiene an der Budapester 
Universität ernannt worden. — Für die Universität Berlin soll ein 
Ordinariat für pharmaceutische Chemie errichtet, an das physio¬ 
logische Institut der nämlichen Universität ein neurobiologisches 
Laboratorium angegliedert werden. 

(Personalien.) Hofrath Dr. Franz Auchenthale« hat 
das Ritterkreuz des Leopold-Ordens, der Corvettenarzt Dr. Sigis¬ 
mund Ritter v. Wierzbicki den Medjidie-Orden, der Marine-Stabsarzt 
des Ruhestandes Dr. Michael Bradn den serbischen Sava-Orden 
erhalten. — Der Polizei-Oberbezirksarzt, kaiserl. Rath Dr. Anton 
Merta ist zum Polizei-Chefarzte, der Polizei-Bezirksarzt Dr. Karl 
Hibsch zum Polizei-Oberbezirksarzte im Stande der Wiener Polizei- 
direction ernannt worden. 

(Jubiläum.) Der große französische Physiologe Etienne- 
Jules Marey hat am 19. Januar d. J. das 50jährige Jubiläum des 
Beginnes seiner akademischen Laufbahn gefeiert 

(0 österreichisch er Balneologencongreß.) Der 
Centralverband der Baineologen Oesterreichs veranstaltet in der 
Zeit vom 20.—23. März d. J. den III. wissenschaftlichen Congreß 
in Wien. Dem vorläufigen Piogramme entnehmen wir, daß neben 
einer großen Zahl angemeldeter Vorträge zwei zur Discussion 
gestellte Referate: 1. Ueber Diabetes (Ref.: Doc. Dr. Kolisch 
und Doc. Dr. A. Strasser), 2. Der chronische Gelenks¬ 
rheumatismus (Ref. Dr. L. Wick und Dr. A. Bum), sowie die 
sociale Frage in den Curorten Besprechung finden werden. Tbeil- ! 
nehmer dieses Congresses kann jeder österreichische oder aus¬ 
ländische Arzt durch Anmeldung beim Ausschüsse, resp. Secretär 
(Doc. Dr. K. Ullmann, I., Goldschmiedgasse 6), werden. 

(Militärärztliches.) Der Ob.-St.-A. I. CI. Dr. Emil 
Janchen ist in den Ruhestand versetzt und ihm bei diesem Anlasse 
der Orden'der eisernen Krone III. CI. verliehen, St.-A. Dr. Adolph 
Zemanek in den Ruhestand versetzt worden. 

(Aejztekammer-G utachten.) Die österreichischen 
Aerztekammern sind vom Handelsministerium aufgefordert worden, 
über den Gesetzentwurf, betreffend die Novelle zum Gewerbe¬ 
gesetze, soweit dieser Entwurf in dem Abschnitte über die Meister- 
krankencassen Bestimmungen enthält, welche sich auf die Gewäh¬ 
rung ärztlicher Hilfe beziehen, ein Gutachten abzugeben. 

(Hyrtl’s Porträt-Sammlung) namhafter Aerzte und 
Naturforscher, die im Laufe der Zeit zur Stärke von 10.000 Blättern 
herangewachsen ist, wurde von der Hofbibliothek angekauft. 

(VII. Internationale Confereuz der Gesell¬ 
schaften vom Rothen Kreuz.) Im Monate Mai d. J. wird 
in St. Petersburg die VII. Internationale Conferenz der Gesell¬ 
schaften vom Rothen Kreuze stattfinden, bei der insbesondere die 


im südafrikanischen Kriege und auf dem ostasiatischen Kriegs¬ 
schauplätze gesammelten Erfahrungen berathen werden sollen. 

(Statistik.) Vom 19. bis inclusive 25. Januar 1902 wurden in 
den Civilspitälern Wiens 7467 Personen behandelt. Hievon wurden 1612 
entlassen; 150 sind gestorben (8‘5% ^ es Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 66, egypt. 
Augenentzündung 1, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 5, Dysen¬ 
terie —, Blattern —, Varicellen 170, Scharlach 82, Masern 294, Keuchhusten 52, 
Rothlauf 48, Wochenbetlfieber 4, Rötheln 6, Mumps 11, Influenza 1, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wieu 601 Personen gestorben 
(-f- 23 gegen die Vorwoche). 


Bericht über die öffentlich unentgeltlichen Heilcurse für sprachgebrech- 
liche Kinder der städtischen Volks- und Bürgerschulen Wiens, erstattet von 
Dr. B. CoßN in Wien. Aus dem uns vorliegenden Berichte ersehen wir, daß 
in dieser seit 10 Jahren bestehenden, den armen Schulkindern gewidmeten 
Humanitätsanstalt während des verflossenen Decenniums 148 vorwiegend mit 
Stottern behaftete Knaben und Mädchen behandelt, und daß 60% davon ge¬ 
heilt, und 30"/ o gebessert wurden. Zugleich mit der Institution der Heilcurse 
wurde vor 3 Jahren auch ein unentgeltliches Ambulatorium für er¬ 
wachsene arme Sprachkranke errichtet, welches von 165 derartigen 
Patienten besucht wurde. Bei dein Umstande, daß die Behandlung des Stotterns 
eine sehr mühsame und zeitraubende ist, haben die Zahlen der hier Be¬ 
handelten eine erhöhte Bedeutung. 


Der Gebrauch natürlicher Soolebäder im Hause bürgert sich — ins¬ 
besondere auch in der Kinderpraxis — durch Dr. Sedlitzky’s Badetabletten 
immer mehr ein. Auch zu Combinationen in verschiedenen Curorten werden 
dieselben verwendet, so z. B. in Karlsbad mit den dortigen Sprudelbädern, 
welche Combination sich in vielen Fällen sehr bewährt. 


Wiener Medicinisches Doctoren-CoHegium. 

Wissenschaftliche Versammlung. 

Montag den 3. Februar 1902, 7 Uhr Abends, 
im Sitzungssaale des Collegiums, L, Rothenthurmstraße 19 (vau Swietenhof). 
Vorsitz: Dr. H. Telekt. 

Programm: 

Doc. Dr. M. Hajek : Warum recidiviren Nasenpolypen? 

Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 

Sitzung Donnerstag den 6. Februar 1902, 7 Uhr Abends, im Hörsaale 
der Klinik Nothnagel. 


Vorsitz: Hofrath rrof. Nothnaoel. 

Programm: 

I. Demonstrationen (angemeldet: Dr. K. Hochsingeb, Dr. Raf. Cokn, 
Prof. Dr.M. v. Zeissl und Dr. Holzknecht: Befunde bei RoentgendurchleuchtuDg 
der Blase). 

II. Dr. Oskab Krads: Zur Anatomie der Ileocöcalklappe. 

(Anmeldungen zur Discussion über das Thema „Ileocöcalklappe“ werden 
vor der Sitzung erbeten.) _Das Präsidium. 

Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 

Mit dieser Nummer versenden wir einen Prospect des 
Apothekers H. Nanning in Haag über ein neues Chininpräparat. 
Wir empfehlen denselben der geneigten Beachtung unsrer Leser. 

Die Rubrik: „Erledigungen , ärztliche Stellen“ etc . 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite, 




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Wien, den 9. Februar 1902. 


Nr. 6. 


XLIII. Jahrgang. _ 

Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart-Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik“, letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse" 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 

Medizinische 


Wiener 


Abonnementspreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Militärärztlicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
20 A', halbj. 10 A', viertel]. 5 A". Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk-, halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 AT; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien. I., Maximilianstr. 4. 


Presse. 


Begründet 1860. 


Organ für praktische Aerzte. 

-* 888 .- 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


Redaction: Telephon Kr. 13.849. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Administration: Telephon Kr. 9104. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Ueber Magenatonie. Von Docent Dr. Alois Pick, k. u. k. Stabsarzt, Abtheilungs-Chefarzt im Garnisons- 
spitale Nr. 1 in Wien. — Beobachtungen und Versuche über die Ammoniakausscheidung im menschlichen Urin mit besonderer Berücksichtigung 
noch anderer stickstoffhaltiger Substanzen und Bestimmung der Acidität nach Lieblein. Von Dr. W. Camerer jun. in Stuttgart. Zur Lehre von 
den Neurosen des peripheren Kreislaufsapparates. (Ueber vasomotorische Ataxie.) Von Dr. Hans Herz in Breslau. — Referate. Dünschmann (Wies¬ 
baden) : Experimentelle Glykosurie. — Karl von Stevskai, (Wien): Kritisch-experimentelle Untersuchungen über den Herztod infolge der Diphtherie- 
intoxication. — E. Romberg (Marburg): Weitere Mittheilungen zur Serumdiagnose der Tuberculose. — Marx (Lübbecke): Chinin als Stypticum und 
Antisepticum. — Menge (Leipzig): Das Wesen der Dysmenorrhoe. — Grosse (Stuttgart): Trachealknorpeldefect und Silberdrahtnetzdecknng. 
Remy (Liege): Contribution ä l’6tude de la lievre typhoide et de son bacille. Troisibme partie. Procfede nouveau pour isoler le bacille typhique des 
paux. — Gorini (Rom): Ueber die bei den Hornhautvaccineherden vorkommenden Zelleinschlüsse. — Risel (Leipzig): Zur Kenntniß des Chloroms. — 
Svkhla: Neue Symptome der Fissura ani. — Witzel (Bonn): Ein operatives Verfahren zur Behandlung der Luxatio congenita coxae. Heteroplastik 
des Limbus. — G. Bikeles (Lemberg): Zur Kenntniß der motorischen Hirnnerven im Hirnschenkelfuß. —■ Abrikossow (Moskau):. Ueber einen^Fall 
von myasthenischer Paralyse nach Influenza. — Kleine Mittbeilnngen. Magenausspnlungen bei magenkranken Säuglingen. —.Thigenol „Roche“. 
Behandlung der Thoraxempyeme mit permanenter Aspirations Irainage. — Trachombehandlung mit Ichthargan. — Einfluß einzelner Eiweißkörper 
auf die Zuckerausscheidung bei Diabetes mellitus. — Darstellung des sterilen Lanolins. — Stimmritzenkrampf der Kinder. — Literarische 
Anzeigen. Die Deutsche Klinik am Eingänge des zwanzigsten Jahrhunderts. In akademischen Vorlesungen herausgegeben von E. v. Leyden und 
F. Klemperer. — Die Entschädigung der Unterleibsbrüche in der staatlichen Unfallversicherung. Von Dr. C. Kaufmann, Docent für Chirurgie an 
der Universität Zürich. — Feuilleton. Berliner Briefe. (Orig.-Corresp.) II. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. Aus den Abtheilungen der 
73. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte. Hamburg, 22. — 28. September 1901. (Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med! 
Fachpresse“.) XIX. — Aus englischen Gesellschaften. (Orig.-Ber.) — Notizen. — None Literatur. - Eingesendet. — Offene Correspoudenz der 
Redaction and Administration. — Aerztllche Stellen. — Anzeigen. 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse“ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 


Ueber Magenatonie. 

Von Docent Dr. Alois Pick, k. u. k. Stabsarzt, Abtheilungs- 
Chefarzt im Garnisonsspitale Nr. 1 in Wien.*) 

Wenn ich mir erlaubt habe, gerade dieses Thema zum 
Gegenstände meiner heutigen Besprechung zu wählen, so liegen 
die Gründe dafür in erster Linie darin, daß sowohl bezüglich 
des Krankheitsbegriffes als auch bezüglich der Nomenclatur 
unter den verschiedenen Autoren bisnun eine Einigung noch 
nicht erzielt werden konnte, andererseits halte ich die Kenntniß 
dieser Affection gerade für den praktischen Arzt für außer¬ 
ordentlich wichtig, und zwar zufolge des häufigen Vorkommens 
derselben, sowie wegen der Mannigfaltigkeit der Krankheits¬ 
bilder, welche gerade diese Affection wie keine andere dar¬ 
zubieten im Stande ist. 

Während einige Autoren bei der Charakterisirung dieser 
Krankheit das Hauptgewicht auf die Dehnbarkeit des Magens, 
auf die Erschlaffung der Magenwandung legen, wird wiederum 
von anderer Seite den motorischen Störungen, welche bei dieser 
Affection zu Tage treten, die größte Bedeutung beigemessen, 
und je nach dem Standpunkte, welchen die einzelnen Autoren 
diesbezüglich einnehmen, wird auch der Werth der Symptome, 
welchen wir bei dieser Krankheit begegnen, verschieden be- 
urtheilt. 

Ich verstehe unter Magenatonie jenen Zu¬ 
stand, bei welchem der Tonus der Musculatur 

*) Nach einem in der wissenschaftlichen Versammlung des „Wiener medi- 
cinischen Doctoren-Collegiums“ am 16. December 1901 gehaltenen Vortrage. 


des Magens herabgesetzt ist. Infolge dessen wäre die 
Bezeichnung „Myasthenie“ (Boas) oder „Hypotonie“ 
(Bouveret) richtiger. 

Wodurch kommt nun bei der Magenatonie die Erschlaf¬ 
fung der Magenwandung, beziehungsweise der Verlust oder 
die Herabsetzung des Tonus zum Ausdrucke ? 

Unstreitig zunächst dadurch, daß der atonische Magen 
der jeweiligen Belastung mehr nachgibt als ein gesunder 
Magen unter sonst gleichen Verhältnissen, id est, wenn man 
die gleiche Flüssigkeitsmenge in einen atonischen Magen 
hineinbringt, so wird er durch diese mehr ausgedehnt werden 
als der gesunde Magen unter den gleichen Umständen. 

Diese Erschlaffung an und für sich muß noch keine 
wesentliche Störung bedingen; es können mitunter derartige 
Erscheinungen bestehen, ohne daß irgendwelche subjective 
Beschwerden zur Beobachtung gelangen. Die Störungen werden 
erst dann intensiver, wenn die wichtigste Erscheinung der 
Magenatonie hinzugetreten ist, nämlich die motorische 
Störung der Peristaltik, respective die Ver¬ 
langsamung der Entleerung des Mageninhaltes 
in den Darm. 

Vergegenwärtigen wir uns einmal die Anordnung der 
Musculatur des Magens. Die inneren Schichten derselben 
werden bekanntlich von diagonalen und circulären Muskel¬ 
fasern gebildet, die äußeren Schichten von longitudinalen. 
Entsprechend dieser Anordnung der Musculatur gliedert sich 
auch die Motilität. Sie besteht einerseits in einer vermittelst 
der cireulär und diagonal angeordneten Musculatur erfolgenden 
Zusammenziehung des Magens um seinen Inhalt und in einer 
Rotation des letzteren, wodurch dieser mit der Magenschleim¬ 
haut in innige Berührung gebracht wird und ihm die Magen- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 6. 


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safte innig und gleichmäßig beigemengt werden — eine 
Procedur, welche sicherlich nicht ohne Bedeutung für das 
Verdauungsgeschäft ist —, und andererseits besteht die 
motorische Function des Magens in einer Contraction der 
longitudinalen Muskelfasern, welche die Peristaltik besorgen. 

Wir können uns denken, daß bei einer Atonie, welche 
vorwiegend die inneren Muskelschichten betrifft, es sich, wie 
dies besonders von Stiller wiederholt nachdrücklich hervor¬ 
gehoben wurde, lediglich um eine Herabsetzung der 
Peristole, um einen weniger knappen Anschluß des Magens 
um seinen Inhalt, um eine Beeinträchtigung der rotirenden 
Bewegung handeln wird, daß aber, wenn die Atonie weiter¬ 
geschritten ist und auch die longitudinalen Muskeln ergriffen 
hat, die Peristaltik leiden und eine Verlangsamung der Ent¬ 
leerung des Magens in den Darm stattfinden wird. 

Es kann daher ganz gut der Magen in dem Sinne er¬ 
schlafft sein, daß er sich um seinen Inhalt nicht entsprechend 
contrahirt und die peristaltisch-motorische Function kann 
dennoch vollkommen intact sein; wenn wir nach einer be¬ 
stimmten Zeit den Magen aushebern, so finden wir, daß er 
sich ebensogut entleert hat wie ein gesunder Magen. Vielleicht 
treten auch die longitudinalen Muskeln vicariirend für die 
anderen, in ihrer Thätigkeit erschlafften ein, ein Vorgang, 
welchen wir ja auch sonst im Körper mannigfach wahrnehmen 
können. 

Was dieEntstehungderMagenatonie anbelangt, 
so kann dieses Leiden entweder angeboren sein oder erworben 
werden. Stiller hält die Anlage zu dieser Krankheit für an¬ 
geboren und die Atoniker für minderwerthige Individuen. 
Er stellt eine eigene Krankheitsgruppe auf, die sogenannte 
Asthenia universalis congenita, in welche nach 
seiner Auffassung einerseits die nervösen Dyspepsien, anderer¬ 
seits die Enteroptose und die Atonie gehören. Diese drei 
{■stadien sind nach ihm gewissermaßen Theilerscheinungen des¬ 
selben Krankheitsbildes. 

Nach Stiller’s Ansicht, welche er in mehreren sehr 
interessanten und wissenschaftlich bedeutsamen Arbeiten dar¬ 
gelegt hat, sind hauptsächlich diejenigen Individuen für die 
Atonie disponirt, welche eine freie zehnte Rippe, eine Costa 
fluctuans decima, besitzen. Zu diesen Resultaten ist Stiller 
an der Hand eines enormen Beobachtungsmateriales gelangt, 
aus welchem Grunde man auch diese auf langjährigen 
Forschungen basirte Anschauung nicht ohne Weiteres von 
der Hand weisen kann. 

Zweifellos sind in manchen Familien diese Zustände 
erblich. Praktische Aerzte, welche Gelegenheit haben, Familien 
durch mehrere Jahre zu beobachten, werden bei Kindern und 
Enkelkindern oft die gleichen Erscheinungen finden, wie bei 
der Mutter, respective Großmutter. 

Die Störungen, welche eine Magenatonie her vorrufen 
können, sind mannigfacher Art. 

Wenn wir von der Schleimhaut des Magens ausgehen, 
so wissen wir, wie Oser angegeben hat, daß schon 
katarrhalische Zustände des Magens zur Erschlaf¬ 
fung führen können, ebenso wie ein Katarrh der Harnblase 
mit der Zeit zu einer Atonie der Blasenmusculatur Ver¬ 
anlassung geben kann. 

Eine andere Veranlassung zur Entstehung der Magen¬ 
atonie sind Störungen, welche die Muskeln als 
solche betreffen. Es kann sich hiebei zunächst um 
Allgemeinerkrankungen handeln. So finden wir Atonie sehr 
häufig im Gefolge von erschöpfenden Krankheiten der ver¬ 
schiedensten Art. 

Es können aber auch nervöse Einflüsse eine Rolle 
spielen. Der Tonus der Magenmusculatur steht ja bekanntlich 
unter dem Einflüsse des Vagus und Splanchnicus; Schädigungen 
dieser Nerven können somit auch Atonie des Magens bedingen, 
geradeso wie der Tonus irgend eines anderen Muskels, dessen 
Nerv durchschnitten oder dessen Centrum gelähmt ist, eben¬ 
falls eine Herabsetzung erfährt. 


Atonie des Magens finden wir ferner nach abgelaufenen 
Peritonitiden, also einer Erkrankung, bei welcher zunächst 
das Peritoneum, der Ueberzug des Magens leidet. 

Atonien können auch dadurch hervorgerufen werden, 
daß an den Magen zu große Anforderungen gestellt werden, 
also ein Mißverhältniß zwischen der Musculatur und der 
Arbeitsleistung, die sie vollbringen soll, besteht. Doch gibt 
dies meines Erachtens ungleich seltener zur Atonie Ver¬ 
anlassung, als man von vorneherein annehmen sollte. Denn 
gerade bei denjenigen Bevölkerungsschichten, welche vorwiegend 
von Vegetabilien leben und die infolge dessen eine voluminösere 
Kost zu sich nehmen, finden wir diese Affection seltener als 
bei den Angehörigen jener Classen, welche eine mehr com- 
pendiöse Nahrung zu sich zu nehmen gewohnt sind. Den Grund 
hiefür werde ich noch später erörtern. 

Es kommt wohl bei solchen Personen, welche gewohnheits¬ 
mäßig große Mengen von Nahrung zu sich nehmen, auch zu 
einer Vergrößerung des Organs, zu einer Megalogastrie, wie 
Ewald diesen Zustand bezeichnet hat; aber das ist ebenso¬ 
wenig ein pathologischer Zustand, wie die Vergrößerung der 
Hand des Arbeiters, und es wird sicherlich Niemandem ein¬ 
fallen, diese Vergrößerung der Hand des Arbeiters mit 
Akromegalie oder Riesenwuchs in Parallele zu setzen. 

Worin besteht nun der Unterschied zwischen der 
physiologischen und der pathologischen Vergrößerung des 
Organs ? 

Bei der Megalogastrie besteht ein vergrößertes Organ, 
jedoch mit intacter Function, bei der Atonia ventriculi hin¬ 
gegen ist die Function, wie ich bereits erwähnt habe und wie 
im Weiteren ausgeführt werden soll, nicht intact. 

Die hauptsächlichste Ursache der Atonie ist nach meiner 
Ueberzeugung in allen jenen Umständen gelegen, welche ge¬ 
eignet sind, den intraabdominalen Druck herabzusetzen. 

Hiezu gehören die Erschlaffungszustände der Bauchwand, 
wiederholte und besonders schwere Geburten^ Dehiscenz der 
Musculi recti abdominis, große Nabelbrüche, rapide Abmage¬ 
rung, ferner auch größere Fettablagerung in den Bauch¬ 
wandungen. 

Das Absinken des intraabdominalen Druckes hat zur Folge, 
daß Magen und Darm dem in ihrem Inneren herrschenden 
Gasdrucke mehr nachgeben, also atonisch werden. Das ist 
auch der Grund, weshalb man unter den erwähnten Um¬ 
ständen so häufig, und zwar gleichzeitig Atonie des Magens 
und des Darmes vorfindet. 

Aehnliche Erfahrungen kann man auch aus dem Ex¬ 
periment gewinnen. Wenn wir einen Magen oder Darm über¬ 
mäßig auf bl äsen, können wir schon dadurch allein das Organ 
atonisch machen. 

Es erübrigt nun hier noch, jener Zustände Erwähnung 
zu thun, welche mit der Atonie in innigem Zusammenhänge 
stehen und welche sehr häufig zu Verwechslungen mit ihr 
Veranlassung geben: Das wäre zunächst die Ektasie oder die 
Dilatation. 

Während die Atonie einen functioneilen, wechselnden 
Zustand darstellt, haben wir es bei der Dilatation mit etwas 
Bleibendem zu thun. Der atonische Magen wird, wenn er be¬ 
lastet ist, etwas größer sein als der normale; wenn er aber 
leer ist, wird er sich wiederum zusammenziehen und annähernd 
dieselbe Größe annehmen wie de norma. 

Ein dilatirter Magen ist jedoch dauernd vergrößert, er 
ist ein vergrößertes Organ. 

Nun ist es aber zweifellos, daß die Dilatationen des 
Magens weit häufiger einer ganz anderen Ursache ihre Ent¬ 
stehung verdanken als die Atonie. Während die Atonie durch 
ein Absinken des Tonus der Musculatur, also durch einen 
Schwächezustand derselben bedingt ist, wird die Dilatation in 
der großen Mehrzahl der Fälle durch das gerade Gegentheil 
erzeugt, durch eine Hypertonie, wie Riegel dies genannt hat. 

Die Dilatation entwickelt sich in der Regel dann, wenn 
ein mechanisches Hinderniß für die Entleerung des Magen 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 6. 


262 


vorhanden ist — eine Geschwulst am Pylorus, Verlagerungen, 
peritonitische Adhäsionen u. s. w. Unter solchen Verhältnissen 
wird der Magen sich mehr anstrengen müssen, um seinen In¬ 
halt in das Duodenum zu befördern, es wird eine erhöhte 
Arbeitsleistung zu Tage treten, und es wird dadurch einem 
bekannten physiologischen Gesetze zufolge zu einer Hyper¬ 
trophie der Musculatur kommen. Es entspricht somit die 
Dilatation des Magens gewiß einer sogenannten excentrischen 
Hypertrophie, und zwar der mit Dilatation verbundenen 
excentrischen Hypertrophie des Herzens. 

Mitunter kann wohl auch eine Atonie des Magens zu 
totaler Erschlaffung, zu dauernder Vergrößerung des Organs 
führen; während aber diese atonische Ektasie eine Tendenz 
zur Heilung zeigt, ist die hypertonische Dilatation, welche 
sich im Anschluß an ein mechanisches Hinderniß entwickelt 
hat, ein bleibender Zustand. 

Bei der erstgenannten Art der Ektasie, die durch die 
Atonie des Magens hervorgerufen wird, ist es möglich, durch 
die Erhöhung des Tonus der Musculatur, welche durch ver¬ 
schiedene Momente herbeigeführt werden kann, Besserung, ja 
sogar, wie ich glaube, auch Heilung des Leidens zu erzielen. 
Jeder erfahrene Arzt hat sicher bereits Fälle gesehen, in 
denen man die Diagnose auf Dilatatio ventriculi gestellt und 
sich wiederholt von dem Bestände der Dilatation überzeugt 
hat, und in denen man, wenn man den Patienten nach län¬ 
gerer Zeit wieder zu Gesichte bekam, überrascht war, keine 
Spur der Ektasie mehr zu finden. 

Boas hat im Einklänge mit Rosenbach darauf hin¬ 
gewiesen, daß eigentlich nicht die Dehnbarkeitsverhältnisse, 
sondern hauptsächlich die motorischen Functionen in Betracht 
zu ziehen sind, und infolgedessen vorgeschlagen, für die Atonie 
die Bezeichnung „motorische Insufficienz ersten Grades“ und 
für die Dilatation die Bezeichnung „motorische Insufficienz 
zweiten Grades“ einzuführen. 

Unter motorischer Insufficienz ersten Grades versteht 
Boas denjenigen Zustand, bei welchem der Magen, wenn auch 
erst nach längerer Zeit, seinen Inhalt in den Darm zu ent¬ 
leeren vermag. 

Unter motorischer Insufficienz zweiten Grades versteht 
er jenen Zustand, bei welchem der Magen überhaupt nicht 
mehr imstande ist, sich vollständig in den Darm zu entleeren, 
bei welchem Zustande immer ein Residuum im Magen 
zurückbleibt. 

Wenn nun auch in den meisten Fällen von Atonie that- 
sächlich motorische Insufficienz ersten Grades besteht und in 
den meisten Fällen von Ektasie oder Dilatation motorische 
Insufficienz zweiten Grades vorhanden ist, so decken sich 
diese Begriffe, wie übrigens auch Boas selbst hervorgehoben 
hat, nicht vollständig. Es gibt Fälle von Atonie, die über¬ 
haupt keine motorische Insufficienz darbieten, und andererseits 
kann man motorische Insufficienzen beobachten, die unter rein 
nervösen Einflüssen entstanden sind und bei denen keine 
Herabsetzung des Tonus der Magenrausculatur vorliegt. 

Die Erscheinungen, welche der atonische Magen dar¬ 
bietet, sind wohl in erster Linie von der motorischen Störung 
abhängig. 

Wenn wir zunächst die einfachen Erschlaffungen des 
Magens ins Auge fassen, die keine motorische Insufficienz 
darbieten, so finden wir, daß es sich gewöhnlich mehr um 
Störungen leichterer Art handelt. Derartige Patienten leiden 
häufig an luftartigem Aufstoßen, Druckgefühl im Magen, sowie 
an nervösen Erscheinungen, die auf eine häufig gleichzeitig 
bestehende, durch die continuirliche Dehnung des Magens aus¬ 
gelöste Hyperästhesie des Magens zurückzuführen sind. Jeden¬ 
falls sind die Störungen, welche bei diesem Zustande der 
Musculatur zur Beobachtung gelangen, mehr nervöser Natur. 

Ernstere Symptome finden wir jedoch dann, wenn 
Störungen der Motilität vorhanden sind, wenn der Magen 
seinen Inhalt nicht rechtzeitig in den Darm entleeren kann, 


und es sind dann die Beschwerden bis zu einem gewissen 
Grade proportional der motorischen Insufficienz. 

Die Symptome, über welche die Patienten bei Magen- 
atonie klagen, sind mannigfach: 

Druckgefühl im Magen, welches in der Regel erst später 
auftritt und insoferne gewissermaßen auch einen Anhaltspunkt 
für die Erkennung der Motilitätsstörung bietet; dann einfaches 
Aufstoßen; auch Aufstoßen von saurem Mageninhalt. Die 
Kranken haben das Bedürfniß, bald nach dem Essen die 
Kleidung zu lüften. Sehr häufig haben sie mangelndes Hunger¬ 
gefühl, dabei kann aber der Appetit ganz intact sein, d. h., 
wenn sich die Patienten trotz des Mangels an Hunger zum 
Essen entschließen, so essen sie mit Appetit, aber sehr bald 
stellt sich bei ihnen das Sättigungsgefühl ein. Das Sättigungs¬ 
gefühl ist ja zum Theile von dem Füllungszustande des 
Magens abhängig, und in diesen Fällen befindet sich der 
Magen bald im Zustande der Füllung, weil er zum Theile 
mit den von den früheren Mahlzeiten zurückgebliebenen Speise¬ 
resten, zum Theile mit Gasen oder Luft erfüllt ist. 

Außer den bereits erwähnten Störungen finden wir auch 
Erscheinungen von Seiten anderer Organe, die zum Theile 
auch von der die Atonie des Magens begleitenden Atonie des 
Darmes abhängig sein dürften. 

Die zwischen Magen-Darmaffectionen und bestimmten 
Krankheitserscheinungen des Nervensystems obwaltenden Be¬ 
ziehungen sind von altersher bekannt und häufig beobachtet. 
So z. B. wurde eine Form des Schwindels auf Verdauungs¬ 
störungen bezogen, worauf die von den Alten gebrauchte Be¬ 
zeichnung „vertigo a stomacho laeso“ oder „per consensum 
ventriculi“ hindeutet; ebenso wie der Ausdruck „Hypochondrie“ 
deutlich darauf weist, daß die Ursache dieser Gemüths- 
verstimmung unter das Zwerchfell, somit in die Bauchhöhle 
verlegt wurde. Infolge der herabgesetzten motorischen Leistung 
des Magen-Darmcanals tritt Stagnation der Ingesta und unter 
Mitwirkung von Bacterien eine Zersetzung und Fäulniß des 
Speisebreies, insbesondere der Eiweißkörper, ein, wobei aro¬ 
matische Substanzen (Indol, Scatol) und Ptoma'ine gebildet 
werden, welche, zur Resorption gelangt, die verschiedenartigsten 
Symptome hervorrufen können. Durch die Bestimmung der 
gepaarten Schwefelsäuren im Harne sind wir in der Lage, 
die Intensität dieser Zersetzungsvorgänge abzuschätzen. 

Die Erscheinungen, denen wir unter solchen Umständen 
begegnen, erstrecken sich auf das Nerven- und Gefäßsystem, 
den Stoffwechsel und auf die Hautdecken. 

Von den nervösen Störungen wurde der Schwindel schon 
genannt. Troüsseau 1 ), der den Magenschwindel zum Gegenstände 
einer klinischen Arbeit machte, versuchte diesen von anderen 
Schwindelformen differentialdiagnostisch abzugrenzen. Nach 
diesem Autor behalten die Kranken das volle Bewußtsein 
bei und können, selbst wenn sie hinstürzen, von den eigen- 
thümlichen Sensationen und Hallucinationen volle Rechenschaft 
geben. Auch soll der Anfall nie eintreten, wenn die Patienten 
den Kopf neigen. Dieses Verhalten findet sich ebensowohl bei 
anderen Schwindelformen. Bemerkenswerth ist nur das Sistiren 
der Schwindelanfälle nach Behebung des Magen-Darmleidens. 

Ein anderes nervöses Symptom ist der Kopfschmerz. 
Dieser tritt in Form von Hemikranie, von Stirn-oder Hinter¬ 
hauptkopfschmerz oder einer diffusen Schmerzhaftigkeit des 
ganzen Kopfes auf. Auch Kopfdruck oder Gefühl von Ein¬ 
genommensein des Kopfes können unter solchen Umständen 
beobachtet werden. Desgleichen wurden Krämpfe im Gefolge 
der Autointoxication beschrieben. Das wiederholte Vorkommen 
schwerer Formen von Tetanie bei Dilatation des Magens war 
schon geeignet, den Gedanken eines Zusammenhanges zwischen 
Affectionen des Verdauungstractes und des Nervensystems 
anzuregen. 


J ) Trousskau, Med. Klinik des Hotel Dien in Paris, 1868, III. Bd., 
1. Lief. Deutsch von Cit.i.mann und Nikmkykh. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 6. 


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Sehr auffallend ist oft die psychische Verstimmung, die 
Steigerung der Unlustgefühle, die wir bei solchen Kranken 
beobachten, ferner Arbeitsscheu, Platzangst, kurz fast alle 
Symptome, wie wir sie in dem reichen Bilde der Neurasthenie 
begegnen können. Alle Symptome der Neurasthenie können 
als Folgen einer Autointoxication auftreten und durch Be¬ 
kämpfung der letzteren zum Schwinden gebracht werden. 
Wenn auch sicherlich im Verlaufe der primären Neurasthenie 
secundäre Störungen der Magendarmfunction auftreten können, 
so gehen doch zweifellos in vielen Fällen die Verdauungs¬ 
störungen voraus. 

Von mehreren Psychiatern wurde auch auf den Zusammen¬ 
hang zwischen Geistesstörungen und Autointoxication hin¬ 
gewiesen . 

In einzelnen Fällen von Magen-Darmatonie, besonders 
bei jungen Mädchen, finden sich auch Erscheinungen seitens 
des peripheren Nervensystems, wie Tremor der Extremitäten, 
Intentionszittern, sowie Symptome, wie sie im Bilde des 
Morbus Basedowii auftreten, Exophthalmus, GRAEFE’sehes 
Phänomen und Herzklopfen. Reichlicher Indicangehalt des 
Harnes, sowie gleichzeitig nachweisbare alimentäre Glykosurie 
können in diesen Fällen als Ausdruck der durch die Auto¬ 
intoxication bewirkten Stoffwechselstörung angesehen werden. 
Darmatonie bei Morbus Basedowii wurde schon von Federn 
beobachtet. In einzelnen dieser Fälle habe ich durch eine 
antifermentative Therapie eine auffallende Besserung erzielt. 

Auch Störungen im Gebiete der Sinnesnerven, vorüber¬ 
gehende Hemiopie, Verdunklung des Gesichtsfeldes, Gesichts- 
hallucinationen, Schwäche der Augenmuskeln, sowie Ohren¬ 
sausen können durch Autointoxication bedingt sein. 

In anderen Fällen klagen die Atoniker über Gefühl 
von Druck in der Herzgegend, Beklommenheit, sowie unbe¬ 
stimmte Angstzustände, die mitunter von Tachycardie begleitet 
sind. Auch Bradycardie, ja selbst Arhythmie des Pulses 
kommt zur Beobachtung, so daß sich die Patienten für schwer 
herzleidend halten. Die Herzbeschwerden treten meist eine 
gewisse Zeit nach der Mahlzeit oder nach einer bestimmten 
Mahlzeit auf. Endlich wird häufig die als Dermographismus 
bekannte, gesteigerte Erregbarkeit der Hautgefäße sehr häufig 
bei Atonie des Magens angetroffen. Von Hautaffectionen 
finden wir Urticaria, die oft anfallsweise auftritt, ferner 
Ekzeme und Erytheme, welche als solche toxischen Ursprungs 
aufzufassen sind. 

Aufgefallen ist mir die häufige Coincidenz zwischen 
Chlorose und Magenatonie. Schon Bouchard 2 ) und seine 
Schüler Couturier 3 ), Rosenbach, Neüsser 4 * ), Gluzinski und 
Buzdigan fi ) haben darauf hingewiesen, daß bei Magenatonie 
auch Anämie und Chlorose Vorkommen können. Es sei hier 
hervorgehoben, daß auch von Kaufmann schwere Anämien 
durch Magenausspülungen geheilt wurden. 

Nun habe ich seinerzeit in der Ambulanz der Klinik 
Nothnagel eine Anzahl von Fällen zu beobachten Gelegen¬ 
heit gehabt, in denen die Magen- und Darmatonie der Chlorose 
voranging 6 ), so daß ich ebenfalls den Eindruck gewonnen 
habe, daß die Atonie des Magens und Darmes ein wenigstens 
auslösendes (begünstigendes) Moment für die Anämie und 
die Chlorose abgeben müsse. Es kann dies kaum befremdend 
sein, nachdem man ja seit jeher angenommen hat, daß gewisse 
Chlorosen durch Stuhlverstopfungen hartnäckiger Art hervor¬ 
gerufen werden können. 

Ich habe bei solchen Atonien zunächst als therapeutisches 
Agens die Magenausspülungen gewählt, und zwar haupt¬ 


2 ) Bouchard, Le?ons sur les autointoxications. Paris 1887. 

8 ) Couturier, Des rapports de la Chlorose avec la dilatation de l’estomac. 
Paris 1888. 

4 ) Neusser, Vortr. in der Sitzung des Wiener medicinischen Doctoren- 

Collegiums. 1890. 

6 ) Gluzinski und Buzdigan, VI. Congr. d. poln. Aerzte. 1891. 

6 ) Pick, Zur Therapie der Chlorose. „Wr. klin. Wscbr.“, 1891, Nr. 50. 


sächlich in solchen Fällen, bei denen sich die früher ange¬ 
wandte Eisen-, bezw. Eisenarsentherapie als vollkommen 
erfolglos gezeigt hatte. Unter methodischen Magenausspülungen 
besserte sich nicht nur die Atonie, sondern es besserte sich 
auch, wie durch entsprechende Untersuchung des Blutes nach- 
gewiesen wurde, die Chlorose. 

Ich habe dann weiters, von der Ansicht ausgehend, 
daß möglicherweise eine Autointoxication die Ursache dieser 
Chlorose sein könne, versucht, das Leiden durch die Dar¬ 
reichung von Antifermentativis zu bekämpfen, und zwar 
habe ich Kreosot in Dosen von 5 Ctgrm. pro dosi, späterhin 
Ammonium sulfoichthyolicum in Dosen von 1—2 Dcgrm. pro 
dosi dreimal täglich nehmen lassen. Mit dieser Medication habe 
ich in einzelnen dieser Fälle geradezu überraschende Resultate 
erzielt. 

Ich möchte selbstverständlich, um kein Mißverständniß 
aufkommen zu lassen, gleich bemerken, daß es mir nicht 
einfällt, bei jeder Chlorose eines dieser Antifermentativa zu 
geben, sondern ich möchte diese Medication hauptsächlich 
für jene Fälle empfehlen, welche in einem genetischen Zu¬ 
sammenhänge mit einer Magen- oder Darmaffection stehen. 
Bei solchen Fällen hat sich diese Methode bewährt, und ich 
behalte sie hauptsächlich für diejenigen Chlorosen bei, bei 
denen die Darreichung von Eisen nichts nützt, Fälle, die ja 
auch jedem Praktiker genügend bekannt sind. 

Das häufigere Vorkommen der Chlorose beim weiblichen 
Geschlechte kann man aus der Lebensweise der Frauen er¬ 
klären. Wichtige Factoren sind die moderne Kleidung, das 
Miedertragen, die vorwiegend ruhige sitzende Beschäftigung 
der Mädchen und Frauen bei Handarbeiten, beim Clavier : 
spielen u. s. f., wogegen das männliche Geschlecht viel mehr 
Bewegung macht. Ueberdies ist bei Mädchen die sexuelle 
Entwickelung in der Pubertät viel schneller als beim Manne. 
Nun kann man annehmen, daß in dieser Periode ein größerer 
Blutzuflnß zu den Genitalien stattfinde, wodurch eine Anämie 
anderer Organe bedingt würde. Wenn nun eine Schädlichkeit 
den anämischen Magen befällt, so wird sie demselben viel 
gefährlicher als einem solchen mit normalem Blutgehalte. 

Für die verschiedenen Symptome aus so zahlreichen 
Gebieten des Organismus, die ich eben beschrieben habe, ist eine 
mehrfache Deutung zulässig. Hiebei können wir einerseits an 
mechanische Verhältnisse, andererseits aber auch an chemische 
Agentien denken. 

Zunächst dürfen wir die Veränderungen des Blutdruckes 
nicht außer Acht lassen, auf welche insbesondere Federn in 
seinen Arbeiten hingewiesen hat, welche sicherlich imstande 
sind, uns mehrere bei Magenatonie auftretende Erscheinungen, 
namentlich den Kopfschmerz und den Schwindel, zu erklären. 

Für viele Symptome glaube ich aber, wie ich es auch 
in mehreren vor Jahren erschienenen Arbeiten dargethan, 
die Autointoxication als Ursache auffassen zu dürfen, und 
namentlich die Beschaffenheit des Harnes spricht für die 
Richtigkeit meiner Annahme. 

Wenn man den Harn derartiger Patienten untersucht, 
so findet man eine Vermehrung der BAUMANN’schen Aether- 
schwefelsäuren, einen gesteigerten Indicangehalt und ins¬ 
besondere die Zeichen vermehrter Oxydation, was alles immer 
charakteristisch für das Vorhandensein einer Autointoxi¬ 
cation ist. 

Zur Unterstützung meiner Ansicht möchte ich bemerken, 
daß sich ein antifermentatives Regime, sowohl was die Diät 
anbelangt, als was die innere Medication betrifft, bei diesen 
Kranken ganz außerordentlich bewährt hat. 

(Schluß folgt.) 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 6. 


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Beobachtungen und Versuche 

über die 

Ammoniakausscheidung im menschlichen Urin 

mit besonderer Berücksichtigung noch anderer stickstoff¬ 
haltiger Substanzen und Bestimmung der Acidität nacli 

Lieblein. 

Von Dr. W. Camerer jun. in Stuttgart. *) 

Seitdem Schmiedeberg und seine Schüler nachgewiesen 
haben, daß der Ammoniak ein intermediäres Stoffwechsel- 
product und eine Vorstufe des Harnstoffes sei, und daß er 
in gewissen Fällen dazu diene, das Blut und die Gewebssäfte 
vor Uebersäuerung zu schützen, ist die Ammoniakausscheidung 
in zahlreichen Krankheitsfällen, namentlich bei 
schwerem Diabetes, eingehend untersucht worden, während 
die Erforschung der physiologischen Bedingungen 
der Ammoniakausscheidung mehr oder weniger zurückgeblieben 
ist. Diese Lücke wenigstens theilweise auszufüllen, ist Zweck 
der vorliegenden Arbeit, welcher ich ein paar Worte, betreffend 
Einrichtung der Versuche und Versuchstechnik, vorausschicken 
möchte. 

Die Alkalescenz des Blutes und der Gewebssäfte, unter 
normalen Verhältnissen wohl nur geringen Schwankungen 
unterworfen, obwohl beim Stoffwechsel fortwährend Säuren 
durch Oxydation entstehen (H 2 S0 4 H 2 C0 3 , organische Säuren), 
wird bekanntlich durch die Thätigkeit der Nieren auf der 
für den gasförmigen Stoffwechsel erforderlichen Höhe erhalten, 
denn die Nieren vermögen aus dem alkalischen Blut ein 
saures Secret, eben den Harn zu bilden. Wird aber 
künstlich, z. B. durch Zufuhr von Mineralsäuren oder patho¬ 
logisch durch übermäßige Bildung organischer Säuren oder 
mangelhafte Oxydation von solchen , das Blut ungewöhnlich 
reich an Säuren, so reicht, wie es scheint, die Nierenthätig- 
keit zu genügender Entfernung derselben nicht ohneweiters 
aus, und es treten wenigstens beim Fleischfresser und Menschen 
anderweitige Schutzvorrichtungen gegen die Gefahr der Ueber¬ 
säuerung in verstärkte Thätigkeit. Von den im Blute ent¬ 
haltenen Ammoniakverbindungen wird alsdann ein größerer 
Theil als gewöhnlich der Umwandlung in Harnstoff entzogen 
und. an überschüssige Säuren gebunden, durch den Urin 
entleert. Auch vermehrte Ausscheidung von fixen Alkalien 
und sogar von Erdalkalien will man in solchen Fällen beob¬ 
achtet haben, welch letztere von angegriffenem Kuochen- 
gewebe herstammen sollen. Um die Acidose, wie man die 
Säurebildung im Körper nennt, zu messen, wäre selbstver¬ 
ständlich der ganz correcte Weg, Analysen des Blutes 
(und der Gewebssäfte) auf ihren Gehalt an Alkalien und 
Säuren vorzunehmen oder aber, da diese Aufgabe unlösbar 
ist, wenigstens die Alkalien und Säuren des Urins zu be¬ 
stimmen. Auch letzteres ist mit so großem Aufwand an Zeit 
und Arbeit verbunden, daß das Verfahren schon deshalb nur 
selten angewendet werden könnte. Zudem ist es bisher trotz 
aller Mühe noch nicht vollkommen gelungen, die organischen 
Säuren des Urins quantitativ zu ermitteln. Man muß sich 
also in den meisten Fällen damit begnügen, den Ammoniak¬ 
gehalt des Urins als Index für die Acidose zu benutzen. 
Weniger geeignet hiezu ist sein Gehalt an fixen Alkalien, 
da die Größe ihrer Ausscheidungen im Wesentlichen von der 
Größe der Zufuhr abhängt. Es wäre die Bestimmung der 
fixen Alkalien nicht nur im Urin, sondern auch im Koth 
und in der Nahrung vorzunehmen. Bezüglich der Ammoniak¬ 
ausscheidung kommt Folgendes in Betracht: Die Ausscheidung 
von Ammon-N geht, wie wir nachher sehen werden, beim 
Gesunden der Ausscheidung an Gesammt-N (im Urin) an¬ 
nähernd proportional und beträgt bei gemischter Kost beim 
Erwachsenen rund 5% des Gesammt-N mit kleinen Schwan¬ 
kungen zwischen 4\5% und 5’5%. Einer 24stiindigen Aus- 

*) Vortrag, gehalten auf der 73- Versammlung Deutscher Naturforscher 
und Aerzte, Hamburg 1901. 


Scheidung von 1'5 Grm. Ammon-N entspricht also 30 Grm. 
Gesammt-N; einer solchen von 2 0 Ammon-N aber 40 Grm. 
Gesammt-N. Ueberschreitet die 24stündige Menge von Ammon-N 
den Werth 15 Grm. oder 2 0 Grm , so kann man allerdings 
schon hieraus auf pathologische Verhältnisse schließen, da 
ein Gesunder auf die Dauer keine entsprechend großen Eiwei߬ 
mengen verzehrt und zersetzt. Im Allgemeinen aber ist der 
Bestimmung des Ammon-N eine solche des Gesammt-N bei¬ 
zufügen, da nicht der absolute (24stündige), sondern nur der 
relative Werth von Ammon-N (auf 100 Gesammt-N bezogen) 
Schlüsse auf abnorme Stoffwechsel Vorgänge gestattet. 

Die Bestimmung des Ammon-N im Urin geschah bisher 
meist nach dem zwar sehr einfachen, aber insofern wenig 
zuverlässigen Verfahren von Scblösing, als hier die Resultate 
von äußeren Versuchsbedingungen, wie Größe des Exsiccators, 
Dauer des Versuches, Art des angewandten Desinfections- 
mittels u. s. w.. in schwer eontrolirbarer Weise abhängen. 
Besser und viel rascher zum Ziel führend ist das Verfahren 
von Wurster, aus dem mit Erdalkalien versetzten Urin den 
Ammoniak im Vacuum zu entbinden. Allerdings gibt auch 
die ursprüngliche Vorschrift von Wurster, namentlich das 
Abdesilliren mit MgO, zu Fehlern Anlaß; ich habe deshalb 
nach der von meinem chemischen Mitarbeiter Söldner ange¬ 
gebenen Modification J ) gearbeitet. 

Die Gesammtsäure oder sogenannte Acidität des 
Urins durch directe Titration zu ermitteln, ist auch unter 
Anwendung der neuempfohlenen Farbenindicatoren nicht wohl 
möglich, da die Resultate allzu ungenau sind. Ich habe von 
den anderen bisher vorgeschlagenen Methoden der Acidität¬ 
bestimmung die von Lieblein gewählt, nach welcher in einer 
Portion des Urins der Gehalt an gesammter P 2 O ß ermittelt 
wird; in einer anderen Portion der Gehalt an derjenigen 
P 2 O r> , die an primäre Phosphate gebunden ist. Ich nenne 
letztere „saure P 2 0 5 “. Lieblein hat gefunden — und ich 
kann den Befund bestätigen —, d«ß der sauer reagirende 
Urin gesunder Menschen durchschnittlich 58% „saurer P,0 5 “ 
enthält, d. h. es sind 58% der P 2 O ö in primären, 42% in 
secundären Phosphaten vorhanden. Ueber 90% saurer P 2 0„ 
habe ich noch nie beobachtet; bei einem Gehalt von 35% 
solcher beginnt der Urin amphoter, bei einem Gehalt von 
20% alkalisch zu reagiren und im letzteren Falle durch 
Ausscheidung von Erdpho3phaten auch trüb zu werden. 

Näheres über diese Verhältnisse mit Angabe der nöthigen 
Literatur, sowie über meine eigenen Analysen und Versuche, 
von welchen ich hier nur einen kurzen Üeberblick gebe — 
findet sich in einer demnächst in der „Zeitschrift für Biologie“ 
erscheinenden Arbeit. 

1. Zur Bestimmung der physiologischen Verhältnisse 
beim Erwachsenen wurden die 24stiindigen Urine von 
zahlreichen gesunden Personen in mehreren Versuchsreihen 
auf ihren Gehalt an Gesammtstickstoff, Harnstoff. Ammoniak, 
Gesammt-P a ü 6 und saurer P 2 0 5 untersucht. Die Ernährung 
war gemischt. 

Die Mittelwerthe auf einen Tag und eine Person be¬ 
rechnet, waren folgende: 

Harnstoffgruppe 

Gesammt-N !-— -- 

lj Harnstoff N Ammon N 

14 52 Grm. 12 412 0 724 j 2 *9 170 

Hieraus die relativen Werthe: 


— P, 0-, insges. 


0. in sauren 
Salzen 


Auf 100 Gesammt-N kommen 
l Harnstoff N ; Ammon N P ? 0 ; 

85-5 50 20 


Auf 100 P., 0-, kommen 
P a 0 5 in sauren Salzen 


59 


Von diesen Mittelzahlen weichen die Beobachtungen an 
den einzelnen Versuchstagen nur wenig ab. Klare Bezie- 


') „Zeitschrift f. Biologie“, Bil. 38, pag. 237 ft‘. 

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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 6. 


268 


hungen zwischen der Nahrungszufuhr und der relativen 
Ammoniakausscheidung, sowie der Acidität des Urins ließen 
sich nicht nachweisen , während die absolute Ammoniak¬ 
ausscheidung sich als in hohem Maß abhängig zeigte von 
der Eiweißzersetzung und also auch von der Eiweißzufuhr. 

2. Um den Einfluß des Alters auf diese Verhältnisse 
zu prüfen, wurden die Urine von Jünglingen im Alter von 
14—19 Jahren, ferner von 3jährigen Kindern untersucht. An 
noch jüngeren Individuen habe ich selbst keine Untersuchungen 
angestellt; ich gebe im Folgenden Mittelwerthe und Analysen 
von Camerer sen. 



Auf 100 Gesammt-N 

kommen 

Auf 100 P 2 0 5 kommen 


Harnstoff N 

Ammon N 

P,Oa 

“j P 3 0 6 in sauren Salzen 

Jüngling 

818 

5'7 

17 

50 

Kind 

85-9 

64 

18 

57 ! 

Säugling 

815 

66 

22 

69 


Als wichtigste Erscheinung zeigt sich ein deutliches 
Absinken der relativen Am moniak werthe mit 
zunehmendem Lebensalter. 

Eine willkommene Ergänzung hiefür geben die neuen 
Untersuchungen Pfaundler’s. Derselbe fand nämlich bei ge¬ 
sunden Säuglingen in den ersten Lebensmonaten eine relative 
Ammoniakausscheidung von etwa 14. Diese Befunde sind wohl 
zum Theil durch den Unterschied in der Ernährung der 
verschiedenen Lebensalter zu erklären; doch ist es wahr¬ 
scheinlich , daß hier außerdem noch eine charakteristische 
Eigentümlichkeit des kindlichen und jugend¬ 
lichen Körpers zutage tritt, und zwar liegt es nahe, zur 
Erklärung an die Retention besonders von Erdalkalien im 
wachsenden Körper zum Zweck der Knochenbildung zu denken. 


Nach meinen Ermittlungen beträgt nämlich beim Mutter- 
railchsäugling- in der 10. Lebenswoche die Retention von 
Mineralbestandtheilen überhaupt mindestens 50% der Zufuhr 
und noch viel mehr bei den Erdalkalien. 

3. Zur Prüfung der Frage, ob die Ammoniakausschei¬ 
dung ebenso wie die Ausscheidung von Harnstoff“und Extractiv- 
stoffen im Verlauf der 24 Tagesstunden gesetzmäßigen Schwan¬ 
kungen unterworfen sei, wurde der 24stündige Urin von 
6 Erwachsenen in 6 Portionen aufgefangen. 

Es zeigte sich, daß die relative Ammoniakausscheidung 
bei ruhender Verdauung am höchsten ist (5 7), nach 
dem Frühstück absinkt (5 0) und ihr Minimum 
nach dem Mittagessen erreich t (4‘1). Darauf folgt 
wieder ein leichter Anstieg (4'6). 

Ob diese Schwankungen durch die Nahrungszufuhr an 
sich schon bedingt sind, oder ob sie nur von der Beschaffen¬ 
heit und den verschiedenen Resorptionsbedingungen derselben 
abhängen, welche Rolle die Bereitung der Verdauungssäfte 
dabei spielt, das ist vorläufig noch nicht mit Sicherheit zu 
entscheiden. 

4. Um den Einfluß einseitiger Ernährung auf 
die Ammoniakausscheidung zu untersuchen, wurden 24stündige 
Urine bei gemischter Kost und bei F1 e i s c h d i ä t gesammelt. 
Es zeigt sich ein der vermehrten Gesammtstickstoffausschei- 
dung annähernd parallel gehendes Ansteigen der absoluten 
Ammoniakausscheidung, während die relativen Ammoniak- 
werthe nicht vermehrt waren. 

5. In der folgenden Versuchsreihe wurde die Einwirkung 
der Säure- und Alkalizufuhr untersucht, uüd zwar 
wurde beim Säure versuch an zwei aufeinander folgenden 
Tagen 4, resp. 5 Grm. einer 25%igen Salzsäurelösung, beim 
Alkaliversuch je 8 Grm. Natron bicarbonicum gegeben. 



Säurever 

such 


A 

1 k a 1 i v e r 

such 

Auf 100 Gesammt-N kommen 

Auf 100 P 2 0 5 kommen 


Auf 100 Gesammt-N kommen 

Auf 100 P 2 O ä kommen 

Harnstoff N 

Ammon N 

P„ O r in sauren Salzen 


Harnstoff N 

Ammon N 

P 2 O ä in sauren Salzen 

82-7 

5-7 

61 

Tag 1 

87-2 

50 

57 

84-7 

6-6 

61 

Tag 2 1 
Alkalitag ) 

87-6 

3-2 

35 

81-4 

7'3 

60 

Tag 3 
Alkalitag / 

89-7 

2-3 

18 

85-2 

64 

57 

Tag 4 

85-8 

3-4 

38 

87T 

5'4 

59 

Tag 5 

883 

4-7 

56 

87-8 

5-6 

56 

Tag 6 

90-6 

45 

58 

88-1 

53 

57 




— 


Tag 1 
Tag 2 
Säuretag 
Tag 3 
Säuretag 
Tag 4 
Tag 5 
Tag G 
Tag 7 


Es ergab sich also eine deutliche, wenn auch nur mäßige 
Erhöhung der relativen Ammoniakausscheidung an den 
Säuretagen (wie schon früher bekannt), während die Urin¬ 
acidität an denselben nicht vermehrt war. Beim Alkali¬ 
versuch sanken sowohl die relativen Ammonwerthe, 
als auch die Urinacidität deutlich ab. Eine vollkommene 
Erklärung dieser auffallenden Erscheinung läßt sich vorläufig 
nicht geben. 


Durch die vorstehenden Versuche ist gezeigt worden, 
daß die Ammoniakausscheidung beim Gesunden unter ver¬ 
schiedenen Verhältnissen charakteristische Veränderungen 
zeigt, welche allerdings verhältnißmäßig gering sind. Sehr 
viel erheblichere Abweichungen findet man bekanntlich bei 
zahl reichen Krankheiten, insbesondere bei Diabetes, bei 
welchem die relative Ammoniakausscheidung bis auf 40 und 
darüber ansteigen kann. 


Zur Lehre von den Neurosen des peripheren 
Kreislaufsapparates. 

(Ueber vasomotorische Ataxie.) 

Von Dr. Hans Herz in Breslau. 

. (Fortsetzung.) 

Kehren wir zu den Secretionsstörungen zurück. Es 
bleiben noch — last not least — die der Haut zu betrach¬ 
ten. Im Allgemeinen neigen die Kranken zum Schwitzen; be¬ 
sonders die Angst, sei es Kopf- oder Herzangst, bei den An¬ 
fällen, ferner seelische Erregungen, körperliche Anstrengun¬ 


gen rufen es leicht hervor. Das ist noch nicht sehr charak¬ 
teristisch; in einigen Fällen aber werden die Schweiße so 
profus und andauernd, daß sie im höchsten Grade belästigen 
und ernste Austrocknungssymptome veranlassen. In einem 
Falle führte der enorme Wasserverlust durch die Haut 
schließlich zu höchst verminderter Urinmenge und damit zum 
Ausfallen von harnsauren Concrementen in der Niere. Ich 
führe zwei sehr charakteristische Fälle an. 

Fall 30. M., Stud. phil., 25 J. Stammt aus sehr nervöser 
Familie. Leidet seit der Pubertät an einer Herzneurose. Häufige 
Congestionen nach Nase und Augen. Varicokele. Zeitweise Hämor¬ 
rhoidalblutungen. Consultirt mich April 1898 wegen unerträglichen 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 6. 


270 


Schwitzens. Mehrmals bei Tage, besonders aber bei Nacht wird die 
Haut des ganzen Oberkörpers plötzlich warm, ganz leicht roth, 
fängt an zu brennen. Das unangenehme Gefühl weckt den Kranken 
sogar aus dem Schlafe. Dann erfolgt eine profuse Secretion, der¬ 
art , daß das ganze Bett durchtränkt ist. Das Secret ist leicht 
übelriechend. Nach dem Anfall zuweilen Miliaria. — Besserung 
durch Chinin und Abwaschungen mit Essigwasser. 

Fall 31. Frau T , Kaufmannsgattin, circa 44 J. Recht ner¬ 
vös, besonders im letzten Jahre infolge des eintretenden Klimak¬ 
teriums uud der Sorge um einen kranken Angehörigen. Klagt viel 
über Kopfcougestionen, besonders auch Congestionen des Rachens 
mit höchst lästigen Sensationen. Unklare, sehr wechselnde Beschwer¬ 
den im Unterleibe. Seit October 1900 ganz profuse Schweiße, die 
besonders anfallsweise auftraten und dann mit großem Schwächegefühl 
endigten. Trotz großer Flüssigkeitszufuhr blieb der früher ganz 
klare Urin hochgestellt und ließ viel Urate ausfallen. December 1900 
leichte Nierenkolik, im Urin weiße und viele rothe Blutkörperchen 
und zahlreiche Urate; rechte Niere druckempfindlich. Der Anfall 
wiederholte sich einigemale. Trotz verschiedener therapeutischer Ma߬ 
nahmen blieb der Zustand bis zum Februar 1901 bestehen, wo er 
sich allmälig verlor. Urin von dieser Zeit ebenfalls wieder normal. 

Von den örtlichen Störungen der Schweißsecretion, die 
ich sonst nicht in nennenswerther Häufigkeit bei vasomoto¬ 
rischer Ataxie sah, habe ich nur die Verhältnisse der Schwei߬ 
absonderung an den unteren Extremitäten zu besprechen. Bei 
der großen Verbreitung des Schweißfußes würde ich auf das 
nicht seltene Vorkommen desselben bei meinen Kranken keinen 
großen Werth gelegt haben, wenn nicht diese selbst den Ver¬ 
hältnissen ihrer Extremitäten ängstliche Aufmerksamkeit zu¬ 
gewendet hätten, und wenn nicht schließlich nähere Betrach¬ 
tung mich gelehrt hätte, daß dieselbe manchmal, aber nicht 
immer unberechtigt war. 

Der Glaube des Volkes an die furchtbaren Folgen unter¬ 
drückter Fußschweiße ist ja bekannt; um eine gewisse Er¬ 
klärung für das Entstehen dieser Meinung zu finden, wird 
gewöhnlich auf die secundäre Sistirung bei gewissen schweren 
Nervenkrankheiten hingewiesen. Ich kann hier noch ein an¬ 
deres Moment als genügend sichergestellt anführen, welches 
das Auftreten zwar nicht gefährlicher Krankheiten, wie das 
Volk will, aber mannigfacher Beschwerden nach Aufhören 
der Schweißsecretion an den Füßen bedingt. Diese Secretion, 
verbunden mit zureichender Hyperämie, ist ein vorzügliches 
Ableitungsmittel gerade bei diesen Gefäßneurosen. Ich konnte 
mit Sicherheit verfolgen, daß das Auftreten allerlei vaso¬ 
motorischer Beschwerden an den verschiedensten Orten Hand 
in Hand ging mit Verminderung resp. Vermehrung der 
Schweißbildung an den Füßen. Solche Fälle sind auch in der 
Literatur bekannt. 

So erwähnt Nothnagel (1. c.) aus der LKYDEN’schen 
Praxis den Fall eines 30jährigen Kreisrichters, der über 
Attaquen von Herzklopfen mit dem Gefühl herannahender 
Ohnmacht klagte. Bei den Anfällen werden Hände und Füße 
kühl, das Gesicht blaß und eingefallen. Bei näheren Fragen 
gibt Patient an, daß er an schweißigen Füßen leidet, und daß 
Kaltwerden der Füße den Anfällen vorausgeht. Es tritt so¬ 
dann das Kältegefühl der Hände, die Blässe des Gesichts 
und sogleich das Herzklopfen ein. Patient erzählt ferner, daß 
er einigemale durch Erwärmen der Füße den Anfällen vor¬ 
gebeugt habe. — Herz ganz normal. 

Ich konnte ferner experimentell mich überzeugen, daß 
gewisse Kranke, die außer zahlreichen anderen Beschwerden 
besonders über ihre stets in unangenehmer Weise kalten 
und schweißlosen Füße klagten, sich in toto bedeutend besser 
fühlten, sobald es gelang, in ihren Füßen künstlich Hyper¬ 
ämie und besonders Schweißbildung zu erzeugen. 

Fall 32. B., höherer Magistratsbeamter, 39 J. Sucht mich im 
December 1896 auf. Will bis vor 8 Jahreu ganz gesund gewesen sein. 
Beginn des Leidens angeblich infolge Erkältung der Füße mit 
einem*heftigen Schwiudelanfall, der den Kranken zwang, zu liegen, 
Ohrensausen und Erbrechen. Der Anfall ging in zwei Tagen vor¬ 


über. Seitdem klagt Patient, daß er stets kalte Füße habe, und 
daß dieselben von einer höchst lästigen, früher nie vorhandenen 
Trockenheit seien. Daneben bestehen leichte Unsicherheit beim 
Gehen (verbunden , wie ich mich überzeugte, mit Hyperämie der 
Papillen), öfteres Herzklopfen, allgemeine Unruhe, wechselnde Mus¬ 
kelschmerzen. Neigung zu Bronchialkatarrhen. Die Untersuchung 
der Unterschenkel und Füße ergibt in der That auffällige Kälte 
derselben, während alle Arterienpulse normal erscheinen. Durch An¬ 
wendung eines elektrischen Fußbades, mehr noch durch einen 
Trockenschwitzapparat gelang es, die Füße zum Schwitzen zu 
bringen; die in ihnen dabei erzeugte Hyperämie hielt, wenn auch 
natürlich in abnehmendem Grade, 12—36 Stunden an, und solange 
sie bestand, war das Befinden des Kranken ganz ausgezeichnet. 
Allmälig wurde so die kalte trockene Beschaffenheit der Haut der 
Füße fast ganz beseitigt, und die Beschwerden des Kranken haben 
sich bis auf die Neigung zu Bronchitis im großen Ganzen verloren. 

In manchen Fällen ist zwar eine gewisse Erwärmung 
der Beine zu erzielen, aber das Schwitzen bleibt aus, und 
dann ist der Etfect auf das allgemeine Befinden fast null. 

Fall 33. M., Kaufmann, 48 J. Hat früher viel an nervösen 
Herzbeschwerden uud starken Hämorrhoidalblutungen gelitten ; doch 
haben sich in den letzten Jahren diese Störungen verloren. Patient 
klagt, daß er stets an Schweißfuß gelitten habe, daß derselbe aber 
seit 2 Jahren einem lästigen Kältegefühl in den unteren Extremi¬ 
täten gewichen sei, das viel lästiger sei, als jener. Ungefähr seit 
derselben Zeit klagt Patient über Kopfschmerzen, die mäßigen 
Grades sind, aber gelegentlich heftige Exacerbationen zeigen. Die 
Kopfhaare sind ihm, angeblich in wenigen Monaten, bis auf einen 
ganz geringen Kranz ausgegangen. Am stärksten quält den Kran¬ 
ken eine enorme, mit Unruhe verbundene Schlaflosigkeit. — Die 
Untersuchung (August 1897) ergibt hyperäraische Papillen, bei 
heftigen Kopfschmerzen deutliche Gongestion auch der äußeren 
Theile des Kopfes. zahlreiche Erweiterungen der oberflächlichsten 
Hautvenen. Füße auffällig kalt und trocken. Es gelang nicht, durch 
irgend ein Mittel dieselben in Schweiß zu bringen, obgleich sie 
natürlich im heißen Bade schließlich etwas blutreicher wurden. Der 
Fall gehört zu den hartnäckigsten meiner Beobachtung, ich habe 
ihn noch jüngst fast ungebessert wiedergesehen. 

Ich erwähne noch, daß in diesen Fällen die Schweiß- 
production am übrigen Körper keine bessernde Wirkung hatte. 

Auch andere Drüsen der Haut scheinen bei vasomoto¬ 
rischer Ataxie abnorm zu functioniren. Hieher gehört ver¬ 
mehrte (oder veränderte) Secretion der Talgdrüsen, die sich 
in der recht häufigen Akne äußert, sowie die gelegentlich 
erwähnte Galactorrhoe. Wahrscheinlich bedingt eine Ver¬ 
minderung der Secretion der Talgdrüsen die trockene, zu¬ 
weilen auch fein abschilfernde Beschaffenheit der Haut bei 
manchen dieser Kranken. (Fortsetzung folgt.) 

Referate. 

Dünschmann (Wiesbaden): Experimentelle Glykosurie. 

Es bestehen vier Quellen der Glykosurie. Der Zucker kaDn 
herrühren: 1. von nicht assimilirten, ins Blut und den Urin über- 
getretenen Kohlehydraten; 2. von aufgespeichertem Glykogen, 
welches infolge von in abnormer Weise auftretender Hydrolyse 
in Zucker verwandelt wird; 3. von Prote'insubstanzen, die durch 
abnorme Processe Zucker abspalten, der durch den Urin ausge¬ 
schieden wird; 4. von Fetten, die man neuerdings versucht hat 
für die Erklärung des Auftretens von Glykosurie auch heranzu¬ 
ziehen. Die Assirailationskraft des lebenden Protoplasmas gegen¬ 
über Kohlehydraten ist nicht unbeschränkt. Der gewöhnliche Weg, 
auf dem der Organismus die Kohlehydrate aufzuspeichern und ihren 
Uebertritt ins Blut in Gestalt von Zucker zu verhindern pflegt, 
ist die Verwandlung derselben in Fett. Daneben dienen die 
Kohlehydrate aber auch zweifellos zum Aufbau der Protein- 
substanzen. Drittens können die Kohlehydrate durch Uebertritt 
in den portalen Kreislauf in die Leber gerathen und daselbst in 
Glykogen verwandelt werden. Hier werden also dann die Mono- 

2 * 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 6. 


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saccharatc durch Deshydratation in Polysaccharate verwandelt. Die 
Protoplasmawirkung der Leberzellen ist dabei zu vergleichen mit 
einer ähnlichen Thätigkeit von pflanzlichen Zellen bei der Auf¬ 
speicherung von Stärke und Cellulose. Kohlehydrate aber, die das 
thicrische Protoplasma nicht in einer der obigen drei Formen 
assimiliren kann, gerathcn als Zucker in die Circulation und er¬ 
zeugen auf diese Weise Glykosurie. 

Bei der Glykosurie durch abnorme Verwand¬ 
lung von Glykogen in Zucker handelt es sich um eine 
Glykosurie, die durch bereits assimilirte Kohlehydrate erzeugt wird. 

Man hat sich beim Glykogen die Kohlehydratgruppe an einen 
N-haltigen Kern gebunden vorzustellen, von dem sie durch Oxy¬ 
dation abgespaltcn werden kann, ohne daß jener N-haltige Kern 
wesentlich davon alficirt wird. Glykogen wird bekanntlich that- 
sächlich durch diastatische Enzyme leicht in Zucker verwandelt. 

Glykosurie durch Zerfall von Pr otei'u su bs tan¬ 
zen unter Freiwerden von Zucker. Eine Abspaltung von 
Zucker von in dieser Form aufgespeicherten Kohlehydraten ist 
nur möglich unter gänzlichem Zerfalle des betreffenden Protein- 
moleküls. Folglich muß dabei die Zuckerausscbeidung mit einer 
entsprechenden N-Ausscheidung durch den Urin Hand in Hand 
gehen, und wenn dies, wie in manchen Fällen thatsächlich beob¬ 
achtet wird, die einzige Quelle der Glykosurie ist, so pflegen 
dann Zucker und N-haltige Substanzen in ziemlich constantem 
Verhältnisse zu einander im Urin aufzutreten. Beim Pankreas- und 
Phloridzindiabetes rührt immer der ausgeschiedene Zucker zum 
Theil von zersetztem Eiweiß her. 

4. Glykosurie, wobei Fett die Ursache ist. Fett 
wird vielfach, sowohl im Pflanzen- wie im Thierreiche, aus Kohle¬ 
hydraten gebildet. Auch weiß man, daß im Pflanzenreiche (z. B. 
bei den Oel enthaltenden Samen) umgekehrt Kohlehydrate aus 
Fetten gebildet werden können. Nach dieser Analogie könnte man 
also voraussetzen, daß auch im Thierreiche Zucker aus Fetten 
entstehen könne. Diese Frage ist in letzter Zeit vielfach discutirt 
worden, doch ist noch keine sichere, einschlägige Thatsache be¬ 
kannt. B. 

Karl von Steyskal (Wien): Kritisch-experimentelle Unter¬ 
suchungen über den Herztod infolge der Diph- 
therieintoxication. 

Mit genauen Methoden läßt sich beim Diphtherieherzen unmit¬ 
telbar nach der Diphtherietoxinwirkung eine kurzdauernde Schädi¬ 
gung der Herzarbeit, der eine ebenfalls kurz dauernde Begünsti¬ 
gung vorhergeht, naehweisen („Zeitschr. f. kl. Md.“, B. 44, II. 5 
und G, 1902). An diese primäre unmittelbare Wirkung des Diph¬ 
therietoxins auf das Herz schließt sich in späteren Zeiträumen 
eine zweite, die der früheren, primären, analog ist und sich von ihr 
nur zeitlich unterscheidet. Dieselbe äußert sich zunächst in einem 
Stadium vermehrter Arbeitsleistung, bedingt durch Reizung der 
die Arbeit begünstigenden Apparate desselben, und in einem zwei¬ 
ten Stadium, wo das Diphtherietoxin die Herzarbeit direct ver¬ 
schlechtert. ln dem Stadium der vermehrten Herzarbeit aber schon 
läßt sich deutlich naehweisen, daß die normale, reflectorische gün¬ 
stige Beeinflussung des Herzens durch Nervenreizung fehlt, daß 
also das Herz nicht mehr auf die Höhe der normalen Arbeitsleistung 
gebracht werden kann. 

Das Vasomotorensystem wird durch Diphtherietoxin gleich¬ 
falls und frühzeitig geschädigt, doch gibt es Stadien, in welchen 
das Herz bei der Diphtherietoxinwirkung nicht mehr deutlich 
reflectorisch erregbar ist, während die Vasomotorencentren noch 
durch Nervenreizung reflectorisch erregbar sind. Wir haben es 
hier also mit zwei parallel gehenden Einwirkungen auf Herz und 
Vasomotoren zu thun, die schließlich eine Schädigung beider her- 
beifübren. Die Vasomotorenlähmung schädigt das Herz nicht in 
der Weise, daß es zu wenig mit Blut gespeist wird, sondern die 
Lähmung des Vasomotorencentrums bewirkt am Herzen direct 
eine Herzerweiterung mit vermehrter Blutfüllung. Das Herz ist 
in seinem Tonus, wie der gauzc Circulationsapparat von der Me- 
dulla abhängig. B. 


E. Romberg (Marburg) .* Weitere Mittheilungen zur Serum¬ 
diagnose der Tuberculose. 

Aus den Mittheilungen R.’s („Münchener med. Wschr.“, 1902, 
Nr. 3) folgt: Koch hat die v. BEHRiNG’sche Beobachtung bestätigt, 
daß die Agglutination bei Tuberculose mit Bacillenemulsionen zu¬ 
verlässiger zu prüfen ist als mit den homogenen Culturen Arloing’s 
und Dodrmont’s. Da Koch ein zur Herstellung der Emulsionen 
geeignetes Bacillenmaterial durch die Höchster Farbwerke käuflich 
abgeben läßt, kann nach Ansicht Romberg’s auf die Samraelforschung 
zur Feststellung der Bedeutung der Agglutination bei Tuberculose 
verzichtet werden. 

Die KoCH’sche, sehr stark verdünnte Aufschwemmung zer¬ 
kleinerter Bacillen ist zur Ermittelung des diagnostischen Werthes 
der Agglutination ungeeignet, weil sie die Reaction in der Ver¬ 
dünnung von 1 : 5 nicht mehr deutlich erkennen läßt und der Aus¬ 
fall der Probe in dieser Verdünnung nicht entbehrt werden kann, 
wenn man verhältnißmäßig schwer agglutinirende Emulsionen be¬ 
nutzt, wie die KoCH’sche Flüssigkeit oder die v. ßEBRiNG’schen 
Präparate. Die letzteren geben in dieser Beziehung zuverlässigere 
Werthe. Die KocH’schen Resultate bestätigen eine frühere Fest¬ 
stellung, daß die Serumreaction kein Hilfsmittel für die Erken¬ 
nung bereits manifester Tuberculosen ist. Ueber ihren Werth für 
die Erkennung der Tuberculose überhaupt vermögen sie nichts 
auszusagen. 

Die diagnostische Bedeutung des Tuberculins und der Agglu¬ 
tination für die menschliche Tuberculose in ihrer verschiedenen 
Entwickelung und in den verschiedenen Lebensaltern läßt sich mit 
Sicherheit nur auf Grund eines anatomisch controlirten Materials 
entscheiden, das mit der nöthigen Sorgfalt nach dem Vorbilde 
Nägeli’s untersucht ist. So wahrscheinlich der hohe diagnostische 
Werth der Tuberculinprobe wenigstens für den Erwachsenen ist, 
so fehlt es für den Menschen noch völlig an sicher verwerthbaren 
und hinreichend großen Untersuchungsreihen. Besonders wünschens¬ 
wert erscheint die Prüfung der Agglutination im kindlichen Alter. 

_ yr; L. 

Marx (Lübbecke): Chinin als Stypticum und Anti- 
septicum. 

Anläßlich von Versuchen, die Verf. gelegentlich des Studiums 
der Blutbacterien anstellte, machte er die Wahrnehmung, daß 
das Chinin styptische und antineptische Eigenschaften besitze. Zum 
Zwecke der Blutstillung empfiehlt Verf. („Centralbl. f. Chir.“, 1901, 
Nr. 45) die Tamponade mit Gazebauschen, die in eine 1—2%ige 
Lösung von Chinin, muriat. getaucht sind, und dieselbe Concentration 
würde sich zum Absptilen der Wunden empfehlen. Die styptische 
Wirkung des Chinins leitet Verf. aus der agglutinirenden Wirkung, 
die Chinin auf Blutkörperchen ausübt, ab, während die antiseptische 
Wirkung, die schon früher bekannt war, noch durch Versuche be¬ 
stätigt wurde. Da das Chinin keine schädlichen Nebenwirkungen 
hat, hält es Verf. für angezeigt, mittelst desselben den letzten Rest 
der parenchymatösen Blutung zu stillen, wobei es gleichzeitig 
gelingt, die Keime, die während der Operation in die Wunde 
gelangt sind, unschädlich zu machen. Erdheim. 


Menge (Leipzig): Das Wesen der Dysmenorrhoe. 

Man muß zunächst zwei Formen von Dysmenorrhoe aus¬ 
einander halten: erstens die von Erkrankungen des Genitalapparates 
unabhängige „idiopathische“ Dysmenorrhoe und zweitens die 
durch Genitalerkrankuugen bedingte „s e c u n d ä r e u Dysmenorrhoe. 
Beide Arten sind aber auf eine „menstruelle Wehenthätigkeit“ des 
Uterus zurückzuführen. Während diese aber bei somatisch und 
psychisch gesunden Frauen nur als ein geringes Unbehagen 
empfunden wird, wird sie nach M. („Centralbl. f. Gyn.“, 1901, 
Nr. 50) als dysmenorrhoischer Schmerz fühlbar 1. bei den fanc- 
tionelleu Störungen des Nervensystems (Hysterie, Neurasthenie) 
— nervöse Dysmenorrhoe, 2. bei pathologischen Veränderungen 
des Genitalcanales, welche ein räumliches Mißverhältniß bedingen — 
mechanische Dysmenorrhoe, 3. bei pathologischen Veränderungen 
der Beckenorgane, die eine erhöhte Empfindlichkeit derselben zur 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 6. 


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Folge haben — Dysmenorrhöen inflammatoria. Natürlich können 
alle diese 3 Formen sich combiniren. Entsprechend der enormen 
Verbreitung der Hysterie und Neurasthenie beim weiblichen Geschlecht 
ist die nervöse Dysmenorrhoe die am häufigsten vorkommende Form. 
Die Therapie muß in erster Linie eine causale sein. Hei den sicher 
rein mechanischen Formen Entfernung des obstruirenden Hindernisses, 
bei der inflammatorischen Behandlung der entzündlich erkrankten 
Genitalorgane , bei den nervösen diätetische Maßnahmen (Mastcur) 
und physikalische Heilfactoren (allgemeine Körpermassage, Hydro¬ 
therapie, Gymnastik), Loslösung des kranken Individuums von der 
gewohnten Thätigkeit und Umgebung. Bei der Cocai'nisirung der 
Nasenschleimhaut bei Dysmenorrhoe sind die Resultate zuweilen 
eclatante, zuweilen vollkommen negativ. Eine besondere Form von 
causaler Dysmenorrhoe ist nicht anzunehmen. Fischer. 

Grosse (Stuttgart): Trachealknorpeldefect und Silber¬ 
drahtnetzdeckung. 

Verf. benützte die von Witzel und Göpel angegebene Methode 
der Deckung von Defecten mit Silberdrahtnetzen („Centralbl. f. 
Chir.“, 1900, Nr. 10 und 17) in einem Falle von Defect der 
Trachealwand, der sich bei einem Kinde nach einer Tracheotomie 
infolge Diphtherie einstellte. Das Kind litt seit Jahren an heftiger 
Dyspnoe, so daß es nicht schlafen konnte, da im tiefen Schlaf die 
Trachea sofort zusammenklappte ; das Kind konnte daher nur 
5—10 Minuten im Halbschlafe liegen. 

Verf. bat nun die Trachea bloßgelegt, zwischen Haut und 
Schleimhaut eiu starkes Silberdrabtnetz von 2 Cm. Breite und 
3 Cm. Länge eingenäht und die Haut darüber geschlossen. Das 
Netz heilte ein, obwohl die Operation wegen Asphyxie des Bat. 
ohne jede Antisepsis gemacht werden mußte, und diente der Trachea 
als Stütze, so daß bei der Inspiration kein Zusammenklappen mehr 
möglich war. Der Schlaf war von der Stunde der Operation an ein 
ungestörter, der Zustand blieb seit der Operation (jetzt 6 / 4 Jahre) 
gleich gut. 

Verf. empfiehlt das Verfahren („Centralbl. f. Chir.“, 1901, 
Nr. 45), weil es sehr einfach ist, für ähnliche Fälle aufs Wärmste. 

Erdheim. 

Remy (Liege): Contribution ä l’etude de la fievre ty¬ 
phoide et de son bacille. Troisifeme partie. Pro- 
cödö nouveau pour isoler le bacille typhique des 
eauz. 

In Fortsetzung seiner Untersuchungen , über die an dieser 
Stelle bereits referirt wurde, ging Verf. der Frage nach, wie der 
Typhusbacillus aus dem Wasser bei Gegenwart des Bact. coli heraus¬ 
gezüchtet werden könne. Hiebei fand er, daß es keine Methode 
gibt, die eine Anreicherung der Typhusbacillen auf Kosten der 
Colibacillen gestatten würde, daß im Gegentheil die verschiedenen 
Methoden das Vorherrschen des Bact. coli umso mehr begünstigen, 
je zahlreicher die Passagen durch carbolhältige Medien sind. Es ist 
daher die directe Verimpfung des Wassers der indirecten (nach Au¬ 
wendung eines der Anreicherungsverfahrenj vorzuziehen, u. zw. be¬ 
sonders dann, wenn die Bacillen abgeschwächt sind. Verf. gibt sodann 
das von ihm geübte Verfahren an, das im Original nachgelesen 
werden mag, da es wohl nur für den Fachmann von Interesse ist. 
Aus seinen weiteren Untersuchungen glaubt er schließen zu können, 
daß man auch unter natürlichen Bedingungen Typhusbacillen finden 
könne, die ihre Agglutinationsfähigkeit verloren haben. Das beste 
Mittel, um in solchen Fällen, also bei Mikroorganismen, die in 
ihrem culturellen und morphologischen Verhalten dem Typhus¬ 
bacillus entsprechen, die bakteriologische Bestimmung vornehmen 
zu können, ist die Injection derselben an Meerschweinchen, um ein 
gegen Typhusbacillen agglutinircndes Serum zu erhalten. Dieser 
Vorgang ist jedoch überflüssig, falls der fragliche Mikroorganis¬ 
mus durch ein Typhusimmunserum in hoher Verdünnung agglu- 
tinirt wird. Dr. S. 


Gorini (Rom): Ueber die bei den Hornhautvaccineher¬ 
den vorkommenden Zelleinschlüsse. 

Die Suche nach dem Erreger der Variola hat schon ver¬ 
schiedenartige „Parasiten“ zu Tage gefördert, die meist aber nur 
von ihrem Entdecker anerkannt wurden ; in diese Gruppe gehört 
wohl auch das endocelluläre Vaccinekörperchen, Cytoryctes vaccinae 
(Guarnieri). Die Untersuchungen des Verf. führen zu dem Schlüsse, 
daß der Cytoryctes entweder das Product einer nucleären Verän¬ 
derung der Epithelzellen oder ein Parasit ist. Verf. behält es sich 
für eine ausführliche Arbeit vor, an der Hand einer größeren Zahl 
von Beweisgründen und Figuren auszuführen, welche von den 
beiden Hypothesen ihm die beachtenswertheste zu sein scheint. Bis 
dahin muß sich also der neugierige Leser gedulden, nur ist es 
wohl gestattet, seine Verwunderung über diese Art der Publication 
auszudrücken, da der Zweck derartiger Mittheilungen ganz un¬ 
klar ist. Gr- S. 

RiSEL (Leipzig): Zur Kenntniß des Chloroms. 

Dem Chlorom ist derzeit noch eine selbständige Stellung 
unter den lymphatischen Neubildungen anzuweisen („Deutsches 
Arch. f. kl. Med. u , 1901, Bd. 72, H. 1). Wir haben das Chlorom 
anzusehen als ein Lymphosarkom von eigenthümlich grüner Farbe, 
das unter den klinischen Erscheinungen der Leukämie, beziehungs¬ 
weise Pseudoleukämie, auftritt, und hätten es demgemäß, wenn wir 
dies mit einem Worte ausdrücken wollten, vielleicht am besten als 
Chlorolymphosarkom zu bezeichnen, wiewohl eine Nothwendigkeit 
liiefür nicht vorliegt und wir mit der Bezeichnung „Chlorom“ voll¬ 
ständig auskommen. Ob und inwieweit den in einzelnen Fällen von 
Chlorom Vorgefundenen tuberculösen Veränderungen eine besondere 
Bedeutung beizumessen ist, muß dabei noch dahingestellt bleiben. 
Hinsichtlich der dem Chlorom eigenthümlichen grünen Färbung ist 
zu bemerken: Dieser grüne Farbenton verliert beim längeren 
Liegen an der Luft an Deutlichkeit und geht sehr bald in ein 
schmutziges Grün über. Ein Versuch, die grüne Färbung zu er¬ 
halten, hatte keinen Erfolg. Nur wenige Angaben darüber liegen 
vor, daß die Grünfärbung der Geschwulstmassen schon intra vitam 
beobachtet wurde. Ueber die Natur der grünen Färbung des 
Chloroms gehen die Meinungen der Autoren auseinander. R. ist 
geneigt, sie als eine Parenchymfärbung im Sinne Virchow’s auf¬ 
zufassen, ähnlich der Färbung des grünen Eiters. Die Möglichkeit 
ihres Zustandekommens durch pigmentbildende Bacterien erscheint 
jedoch nicht ausgeschlossen. B. 

Svehla: Neue Symptome der Fissura ani. 

Verf. beobachtete 5 Fälle von Fissura ani, die eine Coxitis 
so vorzüglich vortäuschten, daß in einem Falle sogar ein immobi- 
lisirender Verband angelegt, in einem anderen angerathen wurde. 
Diese coxitischen Symptome der Fissura erklärt Verf. („Sbornik 
klin.“, Bd. 3, H. 2) folgendermaßen: Das Kind sucht jene Stellung 
einzunehmen, in welcher die Schmerzen und die Reibung die ge¬ 
ringsten wären, es trachtet also die Schenkelwurzeln von einander¬ 
zu halten, und das gelingt eben am besten in der Stellung der 
Flexion im Hüftgelenke, Adduction und Rotation nach innen. 
Fixirt dann das Kind das Bein in dieser Position, so hat man dann 
die pathognomische x-Stellung der Coxitis vor sich. Wahrscheinlich 
wird die Fixation durch reflectorischen Muskelzug infolge der 
Schmerzen noch gesteigert. Stock. 

Witzel (Bonn): Ein operatives Verfahren zur Behand¬ 
lung der Luxatio congenita coxae. Heteroplastik 
des Limbus. 

Für diejenigen Fälle von Ilüftgelenksverrenkung, bei welchen 
gleich die ersten Versuche die unblutige Reposition wegen Mangels 
eines jeden Haltes als auf die Dauer völlig aussichtslos erscheinen 
lassen, schlägt Verf. ein Verfahren vor („Centralbl. f. Chir.“, 1901, 
Nr. 40), welches er bereits in einem geeigneten Falle ange¬ 
wendet hat. 

In Narkose wird das kranke, verkürzte Bein kräftig ange¬ 
zogen (bis zu gleicher Länge beider Extremitäten) und in dieser 


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Stellung eingegypst. Wenn der Verband bequem liegt, wird nach 
einigen Tagen ein Fenster über dem Trochanter ausgeschnitten. 
Nach gründlicher Desinfection der Haut wird nun ein Schnitt quer 
über die Spitze des Trochanters geführt und durch Abziehen der 
Haut nach oben der Femurkopf zugänglicher gemacht. Nun werden im 
Halbkreis nach hinten und oben von dem gut durchfühlbaren Kopfe 
5 vergoldete Nägel so nebeneinander eingeschlagen, daß sie, in 
einer Pallisadenreihe stehend und mit den abgerundeten Köpfen 
einen geschlossenen Ring bildend, jedes Ausweichen des Femur 
in dieser Richtung unmöglich machen. Da bei der Luxatio con¬ 
genita die betreffende ßeckenwandpartie abnorm dick zu sein 
pflegt, kann man die Nägel ca. 2 Cm. tief eintreiben, ohne die 
Beckenwand zu durchdringen. 

Das Kind vertrug die Operation gut. Die Nägel heilten ein 
und sollen nach bekannter Erfahrung die Bildung eines knöchernen 
Limbus anregen. Erdheim. 

6. Bikeles (Lemberg): Zur Kenntniß der motorischen 
Hirnnerven im Hirnschenkelfuß. 

Die Annahme, daß die motorischen Hirnnervenbahnen im 
Hirnschenkelfuß medial von der eigentlichen Pyramidenbahn liegen, 
hat Widerspruch erfahren; Bikeles hat sie schon früher insofern 
gestützt, als er in einem Falle von oberflächlicher Erweiterung des 
Gesammtgebietes einer Arteria fossae Sylvii lateral von der Pyrami¬ 
denbahn keine entsprechende Degeneration fand. Im vorliegenden 
Falle („Neurolog. Centralbl.“, 1901, Nr. 20) findet die alte Lehre 
eine positive Stütze. In dieser Beobachtung — motorischer Aphasie 
mit nachfolgender rechtseitiger Hemiparese — fanden sich in der 
linken Großhirnhälfte oberflächliche Erweiterungsherde, ein alter 
entsprechend dem ganzen Gyrus frontalis inferior, je ein frischer 
im untersten Abschnitt des Gyrus centralis anterior und im Gyrus 
parietalis inferior. Secundäre Degenerationen fanden sich nun ira 
Hirnschenkelfuß nur medial von der Pyramidenbahn, nämlich im 
zweiten medialen Fünftel ; da die March i-Präparate im untersten 
Ponsabschnitt und in der Oblongata über den ganzen Querschnitt 
der linken Pyramidenbahn zerstreute schwarze Schollen zeigten, 
welche unterhalb des Facialiskerns zwar an Zahl verringert, jedoch 
deutlich zum Vorschein kamen, während die frontale Brückenbahn, 
an die man denken könnte, in den vorderen Abschnitten des Pons 
aufhört, da ferner die eigentliche Pyramidenbahn aber sowohl im 
Hirnschenkelfuß, als auch im Rückenmark intact war, so können 
sich jene Degenerationen, die im Hirnschenkelfuß medial von der 
eigentlichen Pyramidenbahn liegen, nur auf die motorischen Hirn¬ 
nerven beziehen. Infeld. 

Abrikossow (Moskau): Ueber einen Fall von myasthe¬ 
nischer Paralyse nach Influenza. 

Die 30jährige Patientin wurde mit Erscheinungen von rechts¬ 
seitiger katarrhalischer Pneumonie in das Krankenhaus aufgenommen. 
Im Sputum PFEiFFER’sche Bacillen. Vater starb au Schwindsucht. 
Häufig Anfälle von Migräne und Hysterie. Mit der fortschreitenden 
Besserung der Lungenerscheinungen nahmen rasch allgemeine 
Schwäche und leichte Ermüdbarkeit der gesammten willkürlichen 
Musculatur zu. Maskenähnlicher Gesichtsausdruck infolge Parese 
der Gesichtsmuskeln. Leichte beiderseitige Ptosis der Augenlider 
mit secundärer Contraction des M. frontalis; rasch eintretende Er¬ 
müdbarkeit bei den Augenbewegungen. Schwäche des M. orbicularis, 
oculi, sowie der Lippen und Wangenmusculatur. Parese der Kau- 
und Zungenmuskeln. Stimme schwach. Parese der Hals- und Rumpf- 
musculatur, so daß die Patientin ohne Stütze nicht zu sitzen ver¬ 
mag. Bei den unbedeutendsten Bewegungen tritt rasch Asthma ein. 
Untere und obere Extremitäten äußerst schwach. Stark ausge¬ 
sprochene Erscheinungen von rascher Ermüdbarkeit und Kraftab¬ 
nahme der Muskelcontractionen sowohl bei willkürlichen Bewe¬ 
gungen, wie auch bei Reizung mittels inductiven Stromes. Reflexe, 
sowie Psychik normal. Die Behandlung bestand in Anwendung von 
Wannenbädern und subcutanen Arseninjectionen. Nach einem 
14tägigen Aufenthalt im Krankenhause besserte sich der Zustand 
dermaßen , daß die Kranke nuumehr zu gehen vermochte. Die 


Sprachstörung, die Erschwerung des Kauactes, die Schwächeerschei¬ 
nungen in den Gesichts- und Augenmuskeln verschwanden allmälig. 
— Der vorstehende Fall („Wratsch“, 1901, Nr. 43) ist durch den 
deutlich zutage tretenden, bacteriologisch erwiesenen Zusammenhang 
der myasthenischen Paralyse und der Influenza besonders interessant. 
Als Ursache solcher Affectionen sind verschiedene Infectionsstoffe 
sowie Intoxicationen zu betrachten, die unmittelbar auf das centrale 
Nervensystem einwirken. L—y. 


Kleine Mittheilungen. 

— Ueber Magenausspülungen bei magenkranken Säuglingen 

berichtet Schlesinger („Arch. f. öff. Gesundheitspflege“, 1901). 
Die Magenspülung ist bei Säuglingen erheblich leichter durchzu¬ 
führen als bei Erwachsenen, da die Toleranz bei kleinen Kindern 
eine unerwartet große ist. Es kommt hinzu, daß die Magenspülung 
in manchen Fällen, so bei schwerem Brechdurchfälle, geradezu 
lebensrettend wirken kann. Dieses therapeutische Verfahren sollte 
deshalb mehr von den Aerzten geübt werden, als dies der Fall 
ist. Nachstehend einige Winke für die Ausführung der Magen¬ 
spülung : Man läßt das Kind auf dem Schoße der Mutter sitzen 
und es so mit leicht vornüber gebeugtem Kopfe von dieser fixiren; 
die linke Hand hält den Körper und die Arme fest, die rechte 
faßt den Kopf um die Stirne und fixirt später, nach vollendeter 
Einführung der Sonde in den Magen, diese kurz vor dem Munde 
des Säuglings. Die Sonde, ein weicher Nelatonkatheter (etwa Nr. 22), 
wird also nicht durch die Nase, sondern unter leichtem Nieder¬ 
drücken der Zunge durch den Mund eingeführt, nachdem sie mit 
der Spülflüssigkeit, nicht mit Oel, befeuchtet worden. Als Spül¬ 
flüssigkeit benützt man am besten reines, auf Körpertemperatur 
erwärmtes Wasser. Je nach dem Alter des Säuglings läßt man 
50 —100 — 150 Ccm. in den Magen eingießen. Als Druckhöhe 
genügt oft 50 Cm. Schreit das Kind sehr, muß man den Trichter 
zur Ueberwindung des gesteigerten Abdominaldruckes natürlich 
höher halten. Die Sonde muß bei den kleinsten'Säuglingen etwa 
23 Cm. weit, bei den größeren entsprechend mehr, etwa 30 bis 
35 Cm., eingeführt werden. Die Befürchtung, daß man mit der 
Sonde statt in den Oesophagus in den Kehlkopf gelangt, ist ganz 
und gar unbegründet. Der Effect der Magenspülung ist oft ein 
fast momentaner; auch bei mittelschweren Fällen von Gastro¬ 
enteritis sollte man das Verfahren anwenden, ohne lange Zeit mit 
anderen Maßnahmen zu verlieren. 

— Ueber das Thigenol „Roche“ berichtet Jaquet. Es ist 
das Natriumsalz der Sulfosäure eines synthetisch dargestellten 
Sulfoöles, welch letzteres 10°/ 0 fest gebundenen Schwefel enthält. 
Die Einführung des Schwefels wurde bewerkstelligt, um eine Ver¬ 
bindung zu erhalten, welche bei völliger Ungiftigkeit hervorragende 
antiseptische und resorptionsbefördernde Eigenschaften besitzt. Als 
Salz einer schwefelhaltigen Säure der Fettreihe mit organisch 
gebundenem Schwefel äußert Thigenol neben seinen antiseptischen, 
antiparasitären und die Resorption erhöhenden Eigenschaften auch 
eine schmerzstillende. Es besitzt den Vorzug der Geruchlosigkeit, 
trocknet zu einer nicht klebenden Decke auf der Haut ein, läßt 
sich mit Wasser leicht abwaschen und die mit demselben beschmutzte 
Wäsche ist ebenfalls leicht zu reinigen. Was die Wirkung anbe¬ 
langt, so tritt die juckreizstillende Wirkung in den Vordergrund, 
außerdem wirkt es entzündungsmildernd und leicht resorbirend; 
muß jedoch in dieser Hinsicht zu den mildwirkenden Mitteln 
gerechnet werden. Bei sehr empfindlicher Haut oder bei starken 
Entzündungserscheinungen kann es auch reizend wirken, und in 
solchen Fällen muß die Application mit Vorsicht gemacht werden. 

— Die Behandlung der Thoraxempyeme mit permanenter 
Aspirationsdrainage erörtert Rudolf Fbaäk („Die Heilkunde“, 
1901, Nr. 6). Die Function geschieht ohne Narkose nach Infiltration 
der Punctionsstelle mit Nirwanin oder SCHLEiCH’scher Lösung. 
Nach Extraction des Stachels fließt aus der Canüle der Eiter hervor; 
die Oeffnung wird aber sofort mit dem Finger geschlossen und 
dann durch die Canüle ein vorbereitetes, genau passendes, etwa 
1 / 2 Mm. langes Drain eingeschoben. Das Drain soll etwa 6—8 Cm. 
in den Thorax eindringen. Ueber dem eingeführten Drain wird 


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die Troicartcanüle ausgezogen. Das Empyem wird nicht gleich 
ganz entleert, um die plötzliche Entlastung des Thorax zu ver¬ 
meiden ; außer dem während der Punction und Einführung des 
Schlauches abgeflossenen Eiter wird nur ein ßruchtheil von etwa 
1 / i Liter in eine Flasche abgelassen, worauf ein Quetschhahn den 
Schlauch abklemmt. Die Flasche hat einen doppelt durchbohrten 
Stöpsel. Durch die eine Bohrung geht ein Glasrohr bis zum Boden 
der Flasche und taucht hier in Flüssigkeit. Mit diesem Rohr wird 
das Drainrohr in Verbindung gesetzt. Im Laufe von 2—5 Tagen 
wird in Etappen durch zeitweiliges Oeffnen des Quetschhahnes der 
Eiter ganz abgelassen. Von nun an kann das Rohr dauernd offen 
bleiben und der weiter sich bildende Eiter constant abfließen. Die 
Flasche ist ein ständiger Begleiter des Kranken, auch wenn er 
das Bett verläßt. Wenn im Laufe der Wochen die Secretion sich 
auf ein Minimum reducirt hat, werden Flasche und Schlauch 
entfernt und nur eventuell noch für einige Zeit ein kurzes, dünnes 
Drain eingeführt, bis völlige Ausheilung eintritt. 

— Die Trachombehandlung mit Ichthargan erörtert Marczel 
Falta („Knapp und Schweiger’s Archiv f. Augenheilk.“, Bd. 43). 
Das Ichthargan wurde in den verschiedensten Formen und Stadien 
des Trachoms angewendet. F. führt einige seiner Fälle an. Aus 
denselben ist ersichtlich, daß das Ichthargan bei jeder Form des 
Trachoms schätzenswerthe Dienste leistet. Es wird in einer 1 / 2 - bis 
3°/ 0 igen Solution angewendet, je nach dem Verhalten der Kranken, 
bezw. ob milder eingegriffen werden muß oder energischer. Bei 
sehr reizbarem Auge ist es rathsam, mit einer 1 / 2 %igen Solution 
zu beginnen. 

— Ueber den Einfluß einzelner Eiweißkörper auf die 
Zuckerausscheidung bei Diabetes mellitus berichtet N. Stra- 
domsky („Zeitschr. f. diätet. u. phys. Therapie“, Bd. IV, II. 4). 
Da es durch experimentelle Versuche und klinische Beobachtungen 
festgestellt ist, daß bei ausschließlicher Fleischkost die Diabetiker 
in schweren Fällen nicht aufhören, Zucker auszuscheiden, der 
offenbar aus Eiweiß gebildet wird, ist es auch für die diätetische 
Cur des Diabetes von Interesse zu wissen, ob aus einigen Eiwei߬ 
körpern der Nahrung mehr Zucker gebildet wird als aus anderen. 
Da sich aus einigen Nährmitteln (Thymus, Leber, Muskeln) auf 
chemischem Wege Pentosen abspalten lassen, ist es namentlich 
auch wichtig zu ergründen, ob auch im Organismus des Diabetikers 
solche Processe vor sich gehen, die als Resultat eine Pentose- 
ausscheidung ergeben. Die an einem schweren und an einem 
mittelschweren Falle von Diabetes vorgenommenen Versuche des 
Verf. ergaben ein identisches Resultat. Beidemale wurde die größte 
Zuckermenge bei Ernährung mit Leber, die geringste im ersten 
Falle bei der Plasmonnahrung, im zweiten bei Ernährung mit 
Tropon ausgeschieden; die Fischnahrung ergab beidemale eine 
größere Zuckerausscheidung als Fleisch. Bei der Thymus-, Leber- 
uud Fleischnahrung wurden Reactionen auf Pentose ausgeführt, 
jedoch mit negativem Resultat, so daß geschlossen werden darf, 
daß entweder der Organismus des Diabetikers keine solche Zuckerart 
aus diesen Eiweißkörpern — aus denen sie auf chemischem Wege 
zu bekommen ist — bildet oder anderenfalls sie in Traubenzucker 
umwandelt, oder sie auch zu Wasser und Kohlensäure verbrennt. 
Da nach den neueren Anschauungen die Harnsäure als Endproduct 
der Nucleinzersetzung im menschlichen Organismus erscheint, anderer¬ 
seits aber auch die Phosphorsäureausscheidung als Indicator für 
den Zerfall der Nuclei'ne im Organismus anzusprechen ist, wurden 
nach beiden Richtungen hin Untersuchungen angestellt, die jedoch 
nicht auf die Verabreichung großer Mengen von Nucleinen hin¬ 
wiesen. 

— Ueber die Darstellung des sterilen Lanolins berichtet 
Homeyer („Apoth.-Ztg.“, 1902, Nr. 5). In einem heizbaren Salben¬ 
kessel mit gutem Rührwerk werden 50 Kgrm. Lanolin mit 500 Grm. 
reinem Wasserstoffsuperoxyd in Form einer vorher sorgfältig ent¬ 
säuerten, concentrirten, wässerigen Lösung gemischt. Nachdem dies 
geschehen, erwärmt man den Inhalt des Kessels unter beständigem 
Rühren 12 Stunden auf 50°. Nach dieser Zeit ist das Wasserstoffsuper¬ 
oxyd vollkommen in Wasser und Sauerstoff zersetzt, sämmtliche Bak¬ 
terien sind abgetödtet, und das Lanolin ist sterilisirt. Man läßt nun 
in der Ruhe erkalten und entfernt das Wasser, welches sich vom 


Lanolin getrennt hat, durch einen Ablaßhahn im Boden des Kessels. 
Um das Lanolin auch dauernd steril zu erhalten, setzt H. jetzt 
dem Kesselinhalt abermals 250 Grm. reines säurefreies Wasser¬ 
stoffsuperoxyd in geeigneter wässeriger Lösung zu und mischt 
von neuem gut durch. Schließlich erfolgt ein Zusatz von 5 Grm. 
Platiumoor, während das Rührwerk noch einige Stunden in Be¬ 
wegung bleibt. Die geringe Menge Platin (5 Grm. auf 50 Kgrm. 
Lanolin) hat auf die Eigenschaften des Präparates wohl keinerlei 
Einfluß und kann dieselbe ebenso wie die kleinen Spuren von 
Eisen und Kalk, welche so vielen arzneilichen Substanzen anhaften, 
bei der Beurtheilung des Lanolinum sterilisatum wohl ohne Berück¬ 
sichtigung bleiben. Aus angestellten Versuchen ergibt sich, daß 
der Salbenkörper nicht nur Nährboden verschlechternde Eigen¬ 
schaften, sondern auch einen schädigenden Einfluß auf pathogene 
und Fäulnißbakterien ausübt. Diese Wirkung ist vermuthlich .auf 
seinen Gehalt an „Ozon“ zurückzuführen, welches sich mit Hilfe 
der bekannten Reagentien (Thalliumchlorür, Jodkaliumstärkepapier) 
noch deutlich nachweisen läßt. 

— Gegen Stimmritzenkrampf der Kinder empfiehlt, Comby 
(„T hor. Monatsh.“, 1901, Nr. 12): 


Rp. Moscbi. OT 

Kali bromati. l - 0 

Syrup. Aurant. Fluor., 

Aq. destill.aa. 30 0 


M. D. S. 3mal täglich 1 Kaffelöffel zu nehmen. 


Literarische Anzeigen. 

Die Deutsche Klinik am Eingänge des zwanzigsten 
Jahrhunderts. In akademischen Vorlesungen herausgegeben 
von E. V. Leyden und F. Klemperer. Mit Illustrationen und 
Tafeln. Wien und Berlin 1902, Urban & Schwarzen¬ 
berg. 

Fünfzehn neue Lieferungen (28—42) des hervorragenden 
Sammelwerkes „Deutsche Klinik“, das den gegenwärtigen Stand 
unseres Wissens in lebendiger Form, umfassender Darstellung, über¬ 
sichtlicher Gliederung und strenger Durchführung wiedergibt, liegen 
uns vor. An erster Stelle steht Jansen. Er bespricht „Die Ent¬ 
zündungen des Mittelohrs und ihre Behandlung“. Das 
dem „großen Publicum“ der Aerzte zum Theile wohl noch ferne 
liegende Gebiet findet sich hier ungemein fesselnd und leicht faßbar 
dargestellt; auf die Therapie hat Jansen mit Recht einen besonderen 
Nackdruck gelegt. — „Ueber methodische Hörübungen“ 
von Victor Urbantschitsch ist ein Gebiet, das sein Autor selbst 
geschaffen, und das er mit der ihm eigenen Wärme und Beredsam¬ 
keit beschreibt und vertheidigt. — E. Henoch berichtet „Ueber 
die Pneumonie der Kinder und ihre Behandlung“. 
Ein klinischer Lehrer von umfassender, in viel Jahre langer Uebung 
geschärfter Erfahrung spricht hier zu seinen Schülern. Mit der 
Bescheidenheit des wahren Forschers deckt er die Mängel unseres 
Wissens auf, weiß aber auch unsere Errungenschaften hervorzu¬ 
heben und zu beleuchten. — A. Hoffa erörtert das Thema „Die 
spinalen und cerebralen Kinderlähmungen“. Ein 
Meister der Therapie, ist er auch ein Meister der Darstellung und 
lebensvollen Schilderung. — H. Gutzmann „Ueber Sprach¬ 
störungen des Kindesalters“ faßt übersichtlich zusammen, 
was man sonst nur mühsam, in vielen Werken verstreut, zu finden 
vermag. — „Die acuten Verdauungsstörungen des 
Säuglingsalters“ von dem nunmehr der Wiener Universität 
angehörenden Pädiater Th. Escherich ist eine auf bacteriologischer 
Grundlage aufgebaute, geradezu classische Vorlesung. — 0. Kohts 
behandelt die „Meningitis der Kinder und Hydroce- 
phalus“. — Wohl niemand war berufener zur Erörterung des 
Themas „Pleuritis“ als R. Stintzing, ein Therapeut im wahrsten 
Sinne des Wortes. — H. Unverricht bespricht in lichtvoller Weise 
„Experimentelles und Therapeutisches über den 
Pneumothorax“. — „Die Behandlung Tuberculöser 
in geschlossenen Heilanstalten“ von A. Moeller ist eine 
I umfassende und überaus lesenswerthe Darstellung dieses so actuellen 
I Gegenstandes. Wir weisen insbesondere auf die trefflichen Illustra- 


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tionen dieser Abhandlung hin. — Lieferung 34 und 35 enthalten 
zunächst die Fortsetzung des Aufsatzes „Klinik der Neubil¬ 
dungen der Leber und der Gallen weg e“ von Fr. Kraus, 
ferner „Gallensteine“ von E. Nedssf.r, einen Aufsatz voll an¬ 
regender Gedanken und aufgerollter Probleme, schließlich H. Noth- 
nagel’s Vorlesung, der in classischer Weise Pathologie und Therapie 
der „Darmverschließung“ schildert. — „Dysenterie und 
Amöbenenteritis“ von G. Hoppe-Seyler, „Lyssa“ von 
F. Penzoldt und „Tetanus“ von P. Jacob bilden den ersten 
Theil von Lieferung 36—38, die G. Cornkt mit der Besprechung 
seines ureigenen Gebietes „Die Tuberculose als acute I n- 
fectionskrankheit“ fortsetzt. — Am Schlüsse kommt der 
Herausgeber E. v. Leyden selbst; er hat sich das Thema „Pneu¬ 
monie“ gewählt, das wie kein zweites bloß an der Hand einer 
immensen Erfahrung im Lichte Deuer Gedanken zu erscheinen ver¬ 
mag. Lob würde hier Tadel sein. Man lese selbst, wie v. Leyden 
das so viel durchsprochene Gebiet neu durchmißt und erleuchtet. 

— Im nächsten Hefte sehen wir zunächst die Fortsetzung von 
Edinger’s „Kopfschmerzen und Migrän e“, dann R. Geigel’s 
„Gehirnhämorrhagie und Emboli e“. — Kein Geringerer als 
M. Bernhardt schildert die „Lähmungen der peripherischen 
Nerven“, ein Meister wie Kaposi die „Dermatomykosen“. 

— „Ueber Erytheme“ spricht Caspary, die „Seborrhoe“ 

behandelt, dem Leser eine Fülle von therapeutischen Winken dar¬ 
bietend, G. Riehl. — „Die Toxikodermien“ von Jadassohn 
und „Die tuberculösen Hauterkrankungen“ von 
A. Neisser sind streng gegliederte, überaus anregende und fesselnde 
Darstellungen dieser schwierigen, noch vielfach des Ausbaues be¬ 
dürftigen Themata. — W. von Leube hat seine classische Darstel¬ 
lungsweise diesmal der „Leukämie“ gewidmet, C. von Noorden’s 
Namen sehen wir an der Spitze eines Aufsatzes aus dem Stoff¬ 
wechselgebiete „Ueberernährung und Unterernährung“; 
die „ÄDDisON’sche Krankheit“ ist von L. Riess besprochen 
worden. — Die obige kurze Skizze reicht wohl dazu hin, darauf 
aufmerksam zu machen, daß die Fortsetzung der „Deutsche Klinik“ 
vollauf eingelialten hat, was ihr Anfang versprach. Wir kennen 
kein zweites Werk, das in gleicher Weise geeignet ist, dem Prak¬ 
tiker ein zutreffendes Bild der Medicin von heutzutage zu entwerfen. 
In der „Deutschen Klinik“ ist thatsächlich kein Wort zu wenig, 
kein Wort zu viel; jedes Thema wurde von einem Autor bearbeitet, 
der auf dem besprochenen Gebiete selbst thätig ist. Und darum 
hat jede der Vorlesungen den Werth einer Monographie, die 
uns den Stand der speciellen Frage im Lichte einer tiefen, großen 
Erfahrung, in trefflicher Bearbeitung wiedergibt. Br. 

Die Entschädigung der Unterleibsbrüche in der 
staatlichen Unfallversicherung. Von Dr. C. Kauf¬ 
mann, Docent für Chirurgie an der Universität Zürich. Wien 
1900, Franz Deuticke. 

Im Aufträge der Arbeiter-Unfallversicherungsanstalt für Nieder¬ 
österreich hat sich Kaufmann der mühevollen Arbeit unterzogen, 
ein Gutachten zu verfassen, ob und unter welchen Umständen das 


Feuilleton. 


Berliner Briefe. 

(Orig.-Corresp. der „Wiener Med. Presse“.) 

II. 

Die drei Koryphäen des „Medicinischen Berlin“ sind gegen¬ 
wärtig in Aller Munde. Virchow, der berühmte, vielgefeierte Nestor, 
sieht der sehr langsamen Genesung von seiner Fractur des Schen¬ 
kelhalses entgegen, die, wie berichtet wird, beginnende Callusbildung 
und Resorption des Extravasates erkennen läßt, aber doch in seinem 
hohen Alter nicht bedeutungslos ist. Denn Virchow war nie an 
langes Liegen gewöhnt, sehr rührig und beweglich ; und nun muß 
er mit Geduld das Bett hüten , allen wissenschaftlichen Interessen 
fernbleibend. Während er Zeit und Muße hat, mit ehrerbietiger 


Entstehen einer Hernie als Unfall im Sinne des Gesetzes zu be¬ 
trachten ist, und wie sich die Unfallversicherung gegenüber diesen 
Unfallbrüchen zu verhalten habe. 

Während ein großer Theil der Chirurgen früher der Ansicht 
war, daß bei einem normal gebauten Individuum eine Hernie 
plötzlich nicht entstehen könne, daß höchstens in einen bereits 
früher präformirten Bruchsack plötzlich Eingeweide austreten 
können, vertritt K. die von seinem Lehrer Kocher aufgestellte 
Behauptung, daß auch ohne präformirten Bruchsack eine Hernie 
plötzlich (also Bruchsack und Bruchinhalt) entstehen könne, was 
für die Qualification einer Hernie al3 Unfall von größter Bedeutung 
ist. Kocher fand anläßlich der jetzt so häufigen Radicaloperationen 
der Hernien, daß bei Leuten, die eine sogenannte Bruchanlage 
haben, ein Bruchsackkegel besteht, d. h. daß infolge verminderter 
Resistenz der Fascien und Muskeln bei geringen Anstrengungen 
das Peritoneum sich vorwölbe, aber beim Nachlassen des Druckes 
infolge der Elasticität von selbst zurückgehe. Wenn nun infolge 
einer stärkeren Anstrengung das gedehnte Peritoneum auf einmal 
stärker verschoben und hinausgedräugt wird, so daß es sich nicht 
mehr zurückzieht und jetzt Raum zur permanenten Aufnahme 
eines Eingeweides bietet, ist die Bruchanlage zur Hernie geworden. 

Von dieser Voraussetzung ausgehend, nimmt K. die Möglich¬ 
keit der unfallsweisen Entstehung einer Hernie ohneweiters an, 
er qualificirt aber den Bruch als Unfallbruch nur dann, wenn 
derselbe bei einer außergewöhnlichen Anstrengung, an 
die der Arbeiter nicht gewöhnt war, oder durch ein Unfall¬ 
er e i g n i ß (Trauma auf den Unterleib, Ausgleiten während des 
Hebens von Gegenständen etc.) entstanden ist. Dieses Erforderniß 
ist eigentlicher rechtlicher Natur, der Betriebsunfall muß durch 
Zeugen oder sonstige Aussagen bewiesen werden. Das zweite 
Erforderniß ist medicinischer Natur, nämlich der Nachweis, daß 
der Bruch frisch und plötzlich unter Schmerzen, die 
zu baldiger Unterbrechung der Arbeit und zur Anrufung ärztlicher 
Hilfe am Unfalltage selbst oder am nächsten Tage nöthigten, in 
die Erscheinung getreten sei. An dieser frühzeitigen Anrufung 
ärztlicher Hilfe hält K. fest, da, je länger die Zeit, die seit dem 
Unfälle verstrichen ist, desto schwieriger der Nachweis ist, daß 
die Hernie eine frische sei. Obwohl die Diagnose eines „frischen 
Bruches“ nicht mit aller Sicherheit zu stellen ist, gibt K. doch 
einige Momente an, welche diese Diagnose wahrscheinlich machen, 
als die geringe Größe der Hernie (höchstens Hühnereigröße), die 
interstitielle Lage derselben, Enge der Bruchpforte (kaum für einen 
FiDger durchgängig) etc. Wenn aber die Hernien bis in das 
Scrotum herabreichen oder angewachsen sind, dann ist eine frische, 
Hernie sicher auszuschließen. 

Die Einklemmung einer früher schon vorhandenen Hernie 
hält K. dann für einen Unfall im Sinne des Unfallgesetzes, wenn 
dieselbe bei betriebsüblicher Arbeit, bei schwerer Anstrengung oder 
zufolge eines Unfalles im Betriebe sich ereignet. 

Es ist zu hoffen, daß das kleine Büchlein zur Klärung der 
Frage des „Unfallbruches“ und zur einheitlichen Beurtheilung 
desselben von Seiten der Aerzte und der Unfallversicherungen bei¬ 
tragen wird. Erdheim. 


Resignation die „Goldene Medaille“ zu betrachten, das Einzige, 
was ihm zum 80. Geburtstag von „oben“ zu Theil geworden, und 
über die Folgen eines steifen Rückgrats und Nackens nachdenken 
kann, leuchtet Ernst von Bergmann die Soone der Huld. Am 
Geburtstage des Kaisers erhielt der hochgeschätzte Chirurg, welcher 
persona gratissima ist, den Titel eines Wirklichen Geheimen Rathes 
mit dem Prädicate „Excellenz“, also die gleiche Ehrung, die schon 
seinem Vorgänger Langenbeck zu Theil geworden, v. Bergmann’s 
wissenschaftliche und bürgerliche Verdienste (es sei hier nur an 
seine unermüdliche Thätigkeit für das „Rettungswesen“ erinnert) 
haben damit eine sehr hohe Anerkennung gefunden. Aber auch 
Ernst v. Leyden, der am 20. April seinen 70. Geburtstag feiert, 
ist eine Auszeichnung zugedacht, und zwar aus den Kreisen seiner 
Fachgenossen, Schüler und Verehrer aller Culturländer heraus. Es 
soll durch freiwillige Beiträge eine seinen Namen verewigende 
Stiftung ins Leben gerufen werden, deren Zinsen der Förderung 


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Nr. 6. 


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medicinischer Forschungen, jedenfalls in erster Linie auf den Arbeits¬ 
gebieten des Jubilars, dienen sollen. Diese sehr sympathische Idee 
zu verwirklichen, ist ein großes internationales Comite zusamraen- 
getreten, dem auch die Oesterreicher v. Basch, v. Jaksch, Schrötter 
von Kristelli und Nothnagel angehören. 

An erster Stelle finden wir unter den Namen der Comitcmit- 
glieder auch den für Preußen allmächtigen Decernenten für alle 
Universitätsangelegenheiten, den Wirkl. Geh.-Ob-Reg.-Rath und 
Ministerialdirector Prof. Dr. Althoff, ein sicheres Zeichen für die 
Beliebtheit des Jubilars in höchsten Kreisen und fiir den Antheil, 
welchen man dort an Leyden’ s Ehrentage nimmt. Altboff’s 
Name wurde gelegentlich der Berufung des „katholischen“ Ge¬ 
schichtsprofessors Dr. Spahn nach Straßburg, welche der Initiative 
des Kaisers zugeschrieben wird, viel genannt. Diese Berufung er¬ 
regte einen ähnlichen Sturm, wie ihn vor einigen Jahren die jetzt 
recht still gewordene Goethe-Gesellschaft inscenirte. Auf Mommsen’s 
flammende Kundgebung gegen die Gefährdung der „voraussetzungs¬ 
losen“ (d. h. von der Confession unabhängigen) Wissenschaft antwor¬ 
teten verschiedene Universitäten mit Zustimmungsadressen, die ihre 
Spitze, da diese nicht bloß bis an die Stufen des Thrones reicht, gegen 
Althoff richtete. Die Berliner Universität reagirte nicht auf Momm¬ 
sen’s Aufruf, die Anhänger Althoff’s bereiteten sogar eine Gegen¬ 
demonstration in Gestalt eines Festmahles, bei welchem er lebhaft 
gefeiert wurde. Auch das „Comite für Krebsforschung“ 
nahm in seiner jüngsten Versammlung Anlaß, für Althoff, den 
es zum Ehrenmitgliede ernannt hatte, einzutreten, v. Leyden gab 
mit warmen Worten der Anerkennung für dieses Ehrenmitglied Aus¬ 
druck, dessen Einfluß es wohl zu danken ist, daß jetzt in der Charite 
ein an die erste roedicinische Klinik angegliedertes, mit 20 Betten 
und einem Laboratorium ausgestattetes „Institut für Krebs¬ 
forschung“ ins Leben tritt. Man kann sich nur freuen, daß 
für die Bekämpfung jenes furchtbaren, Tausende dahinraffenden 
Leidens, welchem auch mehrere Mitglieder des Hohenzollernhauses 
zum Opfer fielen, in dem diesjährigen Etat 53.000 Mark ausge¬ 
setzt sind. 

•In der Charite fand noch eine andere interessante Versamm¬ 
lung unter dem Vorsitze des Generalarztes Dr. Schaper statt, welche 
sich mit der Regelung der Frage: „Weibliche oder männ¬ 
liche Krankenpflege?“ beschäftigte. 

In eingehender Weise wurde durch sämmtliche Leiter hiesiger 
Krankenhäuser dieses Thema berathen. Das Ergebniß war die Fest¬ 
stellung bestimmter Grundsätze, welche künftig maßgebend sein 
sollen. Man entschied sich für ein g em isch te s System. Vor¬ 
wiegend wird die Krankenpflege nach wie vor in weiblichen Händen 
ruhen, denn die geschulten Krankenschwestern sind und bleiben 
die besten, den Kranken auch liebsten Pflegerinnen. Doch werden 
aus Zweckmäßigkeits- und Sittlichkeitsgründen für bestimmte Kate¬ 
gorien von Patienten lediglich männliche Wärter fungiren, so 
z. B. in den Aufnahmestationen, dann für Bäder, Schmiercuren und 
Massage, für die Pflege von Geschlechtskranken und von Deliranten 
Es ist erfreulich, daß diese Frage endlich einmal klargestellt ist, 
und daß principiell festgelegte Normen geschaffen wurden. 

Von dem gewaltigen Aufschwung des wissenschaftlichen Ar- 
beitens in der Reichshauptstadt gibt vor Allem die „Medicinische 
Gesellschaft“ ein Bild, über welches in der Jahresversammlung 
vom 8. Januar unter v. Bergmann’s Vorsitz Bericht erstattet wurde. 
Sie zählt jetzt nicht weniger als 1227 Mitglieder. Es fanden im 
abgelaufenen Jahre 39 größere Vorträge, 43 Vorstellungen und 
Demonstrationen statt, eine respectable Leistung. Ihre Einnahmen 
betrugen 28.000 Mark und ihr Nominalvermögen hat bereits die 
Höhe von 151.000 Mark erreicht. Die von Vielen angestrebte 
Schaffung eines eigenen Heims für die Gesellschaft, welche bis jetzt 
noch Gast der Chirurgischen Gesellschaft im LANGENBECK-Hause ist, 
rückt demnach in immer nähere Aussicht. Der Lesesaal der Medi¬ 
cinischen Gesellschaft ist so reichhaltig mit allen periodischen Erschei¬ 
nungen der Fachliteratur ausgestattet, so musterhaft organisirt und 
geleitet, daß es für Jeden ein Genuß ist, dort zu arbeiten. Außer 7379 
Zeitschriften enthält die Bibliothek 4442 Bücher, 4942 Disserta¬ 
tionen und 1464 Sonderabdrücke, also ein schon sehr stattliches 


Material. Eine der neuesten Schenkungen an die Bibliothek ist die 
ViRCHOW-Bibliographie, ein stattlicher Band in der Aus¬ 
stattung des VißCHOw’schen Archivs, welcher eine Uebersicht der 
Publicationen dieses Gelehrten von 1843—1901 bietet. 

Aber auch die vom Docentenverein veranstalteten „Ferien- 
curse für praktische Aerzte“, die vom 1. bis 29. März 
gehalten werden, bekunden ein lebhaft pulsirendes wissenschaftliches 
Leben. Nicht weniger als 127 Professoren, Docenten, Assistenten etc. 
haben Curse angezeigt, und zwar vertheilen sich diese auf folgende 
Fächer: Anatomie und Histologie 22, Physiologie 2, Innere Medicin 
36, Psychiatrie 2, Nervenkrankheiten 6, Chirurgie 9, Augenheil¬ 
kunde 5, Ohrenheilkunde 10, Kehlkopf- und Nasenkrankheiten 10, 
Hautkrankheiten 4, Krankheiten der Harn- und Geschlechtsorgane 4, 
Gerichtliche Medicin und Hygiene 6, Wissenschaftliche Photographie 1. 
Da mancher Docent 2, 3 und mehr verschiedene Curse abhält, so 
kann man daraus ermessen, wie mannigfache Gelegenheit hier den 
praktischen Aerzten , die auf der Höhe der Zeit bleiben und zu¬ 
gleich manche Kenntnisse oder Fertigkeiten wieder auffrischen 
wollen, geboten ist. 

Aus den Verhandlungen der „Aerztekammer für die 
Provinz Brandenburg und den Stadtkreis Berlin“ 
möchte ich den Antrag des Privatdocenten Dr. Weyl* hier nicht 
unerwähnt lassen, weil er auch weit über die Grenzen Deutschlands 
hinaus Interesse finden dürfte. Bekanntlich hat nur eine kleine 
Anzahl von deutschen Staaten bisher der Feuerbestattung Entgegen¬ 
kommen und Sympathie bekundet, Preußen verhält sich bis in die 
neueste Zeit streng ablehnend, so daß in diesem Staat kein Cre- 
matorium für allgemeinen Gebrauch zngelassen wurde, während 
Gotha, Jena (Weimar), Hamburg, Darmstadt u. a. schon — ohne 
Rücksicht auf kirchlichen Widerspruch, solche in Betrieb gesetzt 
haben. Die Verbrennung von anatomischen Leichenresten und Thier- 
cadavern ist natürlich unbenommen. Der bekannte Hygieniker Weyl 
beantragte nun die Gestattung der Verbrennung von 
Pestleichen im Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege. Wie 
er betont, gewährleistet die Erdbestattung der Pestleichen nicht unter 
allen Umständen eine schnelle und sichere Vernichtung 
der Pestbacillen; denn diese sind ein Contagium vi vum, welches 
viel mehr als z. B. das der Cholera, des Typhus, der Diphtherie, 
selbst des Milzbrandes, die Bevölkerung gefährden kann. Weyl 
will nicht etwa durch eine Hinterthür die Feuerbestattung ein¬ 
schmuggeln ; diese wird, wie er meint, sich aus socialen und hygieni¬ 
schen Gründen selbst Bahn brechen; er stellte seinen Antrag 
lediglich im öffentlichen Interesse, da bei dem jetzt so gesteigerten 
Seeverkehr jeden Augenblick jede Hafenstadt ein Einschleppungs¬ 
ort werden kann. Provisorische Creinatorien lassen sich überall 
mit wenigen Mitteln binnen 36 Stunden errichten. Der Antrag wurde 
denn auch mit starker Majorität angenommen. 

Die große Organisation der Aerztekammer hat, wie alle der¬ 
artigen Corporationen, nun auch die bisher selbständig gewesene 
„Berliner ärztliche Unterstützungscasse“, die Jahre 
lang viel Segen stiftete und viel Noth linderte, aufgesaugt. Diese 
Casse ist, nachdem sie sich als solche aufgelöst hat, mit der Aerzte¬ 
kammer verschmolzen. Es ist damit dieser bewährten Wohlfahrts¬ 
einrichtung möglicherweise eine stabilere Zukunft gesichert. Ein 
gleiches Schicksal dürfte der „Hufeland’scIi en Stiftung“ 
über kurz oder lang bevorstehen, wenn sie ihre Unterstützungs¬ 
zwecke, für welche die eigenen Beiträge allmälig sehr nachlassen, 
auch ferner erfüllen soll. Das Andenken an den großen Christoph 
Wilhelm Hufeland, der als Arzt und Mensch, als akademischer 
Lehrer und als Schriftsteller so hohe Verdienste hatte, wird trotz¬ 
dem fortleben, wenn auch, wie vorauszusehen, diese Stiftung mit 
den Finanzen der Aerztekammer zusammenfließt und künftig von 
dieser mit verwaltet wird. od 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 6. 


284 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Aus den Abteilungen 

der 

73. Versammlung Deutscher Naturforscher und 

Aerzte. 

Hamburg, 22.-28. September 1901. 

(Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) 

XIX. 

Abtheilung für Kinderheilkunde. 

Moro (Graz): Biologische Beziehungen zwischen Milch und 
Serum. 

Die Untersuchungen zerfallen' in 2 Abschnitte. Der 1. Theil 
beschäftigt sich mit der Frage nach den Alexinstoffen in der Milch 
und im kindlichen Blutserum. 

Die Redensart von bacterienvernichtenden Substanzen in der 
rohen Milch, insbesondere in der Menschenmilch, ist, trotzdem ein¬ 
schlägige Untersuchungen fehlen, eine sehr allgemeine geworden. 
Da die Feststellung dieser angenommenen Thatsache für die künst¬ 
liche Ernährungsfrage von großer Bedeutung ist, wurden zuerst 
Kuhmilch und Menschenrailch einer Prüfung in diesem Sinne unter¬ 
zogen. Das Ergebniß war ein vollständig negatives: Weder die 
Kuhmilch noch die Menschenmilch besitzt nachweisbare bactericide 
Substanzen. Von der Ueberlegung geleitet, daß, falls die Frauen¬ 
milch Alexine enthält, das Brustkindserum vermöge der unausgesetzt 
mit der Nahrung zugeführten Stoffe eine Steigerung der ursprüng¬ 
lichen bactericiden Kraft erfahren muß, was bei den Flaschenkindern 
in Wegfall käme, da diese eine Milch erhalten, deren eventuelle 
Alexine vorher durch die Hitze zerstört worden sind, wurde folgende 
Frage gestellt: Wirkt das Serum der Brustkinder unter gleichen 
Verhältnissen stärker bactericid als das Serum künstlich ernährter 
Säuglinge oder nicht? — Die in reicher Zahl und nach verschie¬ 
denen Methoden ausgeftihrten Versuche ergaben nun sämmtlich: 
Das Blutserum der Brustkinder besitzt eine bedeutend größere 
bactericide Kraft als das Serum künstlich ernährter Säuglinge. 
Auch wurde an einem und demselben Fall gezeigt, daß die bactericide 
Kraft des Blutserums größer ist, solange der Säugling an der 
Brust trinkt, als nach Einleitung der künstlichen Ernährung. 

Diesen Experimenten schlossen sich hämolytische Versuche 
an, welche übereinstimmend ergaben: Das Serum der Brustkinder 
wirkt stärker hämolytisch als das Serum künstlich ernährter 
Säuglinge. 

Die gesteigerte Kraft der Serumalexine bei den Brustkindern 
ist, wie einschlägige Versuche zeigten, keineswegs etwa nur ein 
Ausdruck des meist besseren Gedeihens dieser Säuglinge, sondern 
die Quelle dafür mnß zweifelsohne die Menschenmilch selbst sein. 
Der Umstand, daß die Alexine als solche in der Milch nicht nach¬ 
weisbar sind, beweist gar nicht, daß diese Stoffe in der Milch nicht 
vorhanden sind. Sie können in der Milch in einem eigenthümlichen 
Bindungsverhältniß mit dem Caseinmolekül stehen, und es ist an¬ 
zunehmen, daß diese Substanzen, sowie andere Imponderabilien der 
Milch erst auf dem Wege der Verdauung frei gemacht, leicht 
resorbirt werden und in die Blutbahn gelangen. Die Dazwischenhaltung 
des Organismus würde somit diese „alexogenen“ Substanzen aus 
der unwirksamen in die wirksame Modification überführen. Es ist 
sehr wahrscheinlich, daß die alexogenen Substanzen der Menschen¬ 
milch Abkömmlinge des mütterlichen Blutserums sind, und wir 
können uns vorstellen, daß die Bindung der normalen Blutalexine 
an das Blutcasein eine Function der Brustdrüsenzelle selbst ist. 

Die vorliegenden Untersuchungen zeigen uns einen bisher 
nicht bekannten und praktisch wichtigen Unterschied zwischen der 
natürlichen und der künstlichen Ernährung und sind ein neuerlicher 
Hinweis für die große Bedeutung der natürlichen Ernährung. 

Der 2. Theil der Untersuchungen befaßt sich mit dem 
Lactoserum von Bordet. Injicirt man einem Kaninchen mehrmals 
subcutane Milch, so gewinnt das Serum dieses Thieres bekanntlich 
die Eigenschaft, die Milch zu fällen. Ein derartig activirtes Serum 


nennen wir ein Lactoserum. Das Lactoserum vermag aber nur jene 
Milchart zu fällen, welche zu seiner Darstellung verwendet wurde. 
Kuhlactoserum fällt nur Kuhmilch, nicht aber Frauen- oder Ziegen¬ 
milch u. s. w. Auf diesem Wege wurde der unzweideutige Beweis 
vou der specifischen Verschiedenheit des Eiweißes verschiedener 
Milcharten erbracht. (Wassermann und Schütze.) Nach einigen 
Details, die Ileaction selbst betreffend, wendet sich Vortr. der Frage 
nach den individuellen Verschiedenheiten des Milcheiweißes ver¬ 
schiedener Vertreter derselben Species, z. B. verschiedener Ammen, 
zu, in der Hoffnung, der Beantwortung dieser interessanten Frage 
nach dieser biologischen Methode näher rücken zu können. Dies 
gelang in der Tliat insofern, als zahlreichen Versuchen zufolge 
ein und dasselbe Menschenlactoserum gegenüber der Milch ver¬ 
schiedener Ammen sehr verschieden wirkte. Der Unterschied lag 
in der Fällungsgreuze. Die Fällungsgrenze erreichte stets den 
höchsten Werth, wenn das Menschenlactoserum mit der Milch jenes 
Individuums in Reaction gebracht wurde, mit welcher das Lactoserum 
dargestellt wurde. (Der Vortrag wurde durch die Demonstration 
der Hauptversuche und einiger graphischer Darstellungen erläutert.) 

Schloßmann (Dresden): Wenn Mono in der rohen Milch bactericide 
Eigenschaften vermißt, so beruht dies vielleicht auf Versuchsfehlern; jedenfalls 
hat Hesse, der allerdings mit großen Mengen Milch gearbeitet hat, diese Eigen¬ 
schaft nachweisen können. Ganz stimmt Schlossmann dem zu, daß die Bobdet- 
scbe Fällung am besten und vollkommensten gelingt, wenn man zum Serum 
des kindlichen Blutes Milch der eigenen Mutter hinzusetzt. Hier zeigt sich 
deutlich das enge Band, das zwischen den Bluteigenschaften von Mutter und 
Kind besteht. Schlossmann benülzt für seine Demonstrationen Hydrokelenflüssig- 
keit, ein Verfahren, das er allgemein empfehlen möchte. 

Moro entgegnet Schlossmann, daß die HEssE’schen Versuche bei Bei¬ 
behaltung der Versuchsanordnung schon von Basenan bestritten worden sind. 
Im Uebrigen wäre kaum einzusehen, wenn die Milch bactericid wirkte, warum 
es so schwer sei, Menschenmilch steril zu sammeln. (Cohn und Neumann, be¬ 
stätigt von Mono selbst.) Ferner kam bei Mobo’s Versuchen nicht nur der 
Staphylococcus, sondern auch Cholera, Typhus, Coli, Pyocyaneus und Prodigiosus 
zur Anwendung. 

W. Freund (Breslau): Zur Kenntnis der Oxydationsvorgänge im 
Säuglingsorganismus. 

Die Vorstellungen Keller’s über das Zustandekommen einer 
Acidose bei Säuglingen gipfeln, sowie er sie in seiner Arbeit 
„Malzsuppe, eine Nahrung für magendarmkraDke Säuglinge“, zu¬ 
sammenfaßt, in der Annahme, daß bei schweren Ernährungsstörungen 
von Säuglingen die geschädigte Oxydationskraft des Organismus 
eine wesentliche Rolle spielt. Ich habe seither auf verschiedenen 
Wegen versucht, einen präcisen Ausdruck für diese Annahme zu 
finden, zunächst durch Untersuchungen über das VerhältDiß der 
Ausscheidung des oxydirten zum unoxydirten Schwefel im Harn von 
gesunden und kranken Säuglingen („Zeitschr. f. physiolog. Chemie“, 
1900, Januar). Diese Untersuchungen führten nicht zum Ziele, da 
der genannte Quotient sich als Maßstab der Oxydationen unbrauch¬ 
bar erwies. Von therapeutischen Bemühungen mit Benzol bei 
chronischem Erbrechen ausgehend, versuchte ich die Anwendung 
der NENCKi’schen Benzolmethode bei Säuglingen, nach der in den 
auf bestimmte Mengen einverleibten Benzols ausgeschiedenen Phenol¬ 
mengen ein Maßstab für die Oxydationen im Organismus zu er¬ 
blicken ist. Durch eine Reihe von Versuchen an gesunden und 
atrophischen Säuglingen konnte ich nachweisen, daß die letzteren 
aus gleichen Mengen Benzol ganz erheblich weniger Phenol zu 
bilden imstande sind als die gesunden. Wir stehen somit zum 
erstenmale vor dem directen Nachweise eines gestörten Oxydations¬ 
vorganges bei Säuglingen mit schweren Ernährungsstörungen. 

Da das Benzol zu den sogenannten im Körper secundär 
oxydablen Stoffen gehört, so dürfen wir aus dem beobachteten 
Verhalten kranker Säuglinge schließen, daß bei ihnen auch irgend¬ 
welche Störungen primärer Oxydationen bestehen. Infolgedessen 
scheint mir ein weiterer Schritt in der Deutung der erhöhten 
Ammoniakausscheidung bei Säuglingen gethan. Ob aber dieselbe 
durch die Vermeidung der Oxydationsvorgänge derart beeinflußt 
wird, wie Keller annimmt, daß nämlich saure Stoffwechselproducte 
nicht weiter oxydirt werden und Ammoniak mit sich reißen, oder, 
ob es richtig, was Pfaundler kürzlich wahrscheinlich zu machen 
versuchte, daß eine Ammoniakstauung eintritt, weil die oxydative 
Synthese zu Harnstoff unterbleibt, muß vorläufig noch unentschieden 
bleiben. 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 6. 


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Pfaundler (Graz): Es ist erfreulich, daß die Versuche von Freund die 
Verwendbarkeit einer neuen handlichen Methode zur Gewinnung eines quanti¬ 
tativen Maßstabes der oxydativen Leistung des kindlichen Organismus ergeben 
haben. Doch ist es nicht richtig, daß die FREUND’sche Methode die erste ist, 
welche diesem Zwecke dient, da Pfaundler selbst bereits im Vorjahre über 
Versuche berichten konnte, das oxydative Ferment des überlebenden Leber¬ 
gewebes aus Säuglingsleichen zu solchen Bestimmungen zu verwenden. Sehr 
bemerkenswerth erscheint, daß die Ergebnisse der beiden, so verschiedenen 
Methoden analoge sind. Denn auch Pfaundler fand die oxydative Energie im 
Organismus kranker und atrophischer Kinder wesentlich gegen die Norm ver¬ 
mindert. Die von Czerny-Keller aufgeworfene Frage der Säurevergiftung bei 
chronisch magendarmkranken Kindern kann die Untersuchung auf die oxydative 
Energie des Organismus, wie schon Freund hervorhob, an sich allerdings nicht 
entscheiden. 

Camerer (Stuttgart) glaubt, daß von Keller der Einfluß des Hungers 
auf die Ammonausscheidung nicht berücksichtigt worden ist, und die magen¬ 
darmkranken Kinder befinden sich doch alle mehr oder weniger im Hunger¬ 
zustande. Und zwar steigt die NH 3 -Ausscheidung schon wieder wenige Stunden 
nach aufgenommener Mahlzeit an. Ferner hatte Camerer gezeigt, daß erhöhte 
relative NH 3 -Ausscheidung eine charakteristische Eigenschaft des kindlichen 
und jugendlichen Körpers ist. Camerer ist geneigt, diese Erscheinung auf 
Retention von Alkali zum Zweck der Knochenbildung zurnckzuführen. 

Freund (Breslau) erwidert, daß die von ihm angewendete Methode der 
PFAUNDLER’schen darum überlegen sei, weil sie durch die Verhältnisse des 
lebenden Organismus aDgeht. Außerdem erscheinen die Ergebnisse Pfaundler’s 
nach bisher noch nicht veröffentlichten Untersuchungen von Bartenstein an 
der Breslauer Klinik anfechtbar. 


Aus englischen Gesellschaften. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Royal Academy of Medicine in Ireland. 

Dawson : Glycosurie und Geisteskrankheiten. 

Es gibt zwei Arten des Vergesellschaftens der Glycosurie und 
Geisteskrankheiten, solche Fälle, bei denen die Glycosurie secun- 
där ist und seltene Fälle, bei denen die Glycosurie primär ist. 
Dawson hatte in Farnhaw House eine Frau, die viele Jahre an 
Polyurie und periodischer Melancholie, verbunden mit allgemeiner 
Schwäche, litt; 'sie wurde wegen eines schweren Anfalles aufge¬ 
nommen und — da sie Zucker im Urin hatte — auf Diabetesdiät 
gesetzt. Der Zucker und die Symptome von Seite der Psyche 
schwanden, sie wurde nach zwei Monaten gebessert entlassen und 
befindet sich seither unter Beibehaltung der Diät wohl. In zwei 
anderen Fällen — Verstimmung seit einem Influenzaanfall und Me¬ 
lancholie nach einem Trauma des Kopfes — Glycosurie, die durch 
Behandlung behoben wurde; die Geistesstörung gieng mit dem 
Diabetes zurück. In vier weiteren Fällen trat die Glycosurie uur 
zeitweise auf; es war dies ein Fall von Paranvia, ein Fall von 
subacuter Manie mit Tendenz zu Stupor, ferner eine acute Manie 
mit Stupor und endlich eine acute Verrücktheit. Eine hervorste¬ 
chende Eigenschaft aller 7 Fälle mit Ausnahme eines einzigen war 
die geistige Unruhe und der hohe Blutdruck während des acuten 
Stadiums. Bei wahrer diabetischer Geistesstörung sind die Gehirn¬ 
symptome durch cerebrale Unterernährung veranlaßt. Die bloß symp¬ 
tomatische Glycosurie war offenbar rein alimentär hervorgerufen 
durch einen Fehler in der Assimilation des Zuckers, und wurde 
besonders häufig bei der Melancholie beobachtet. Glycosurie muß 
nicht immer die Prognose der Geistesstörung verschlechtern. 

Walter Smith fragt, ob die Zuckerkrankheit unter den Geisteskranken 
häufiger ist als unter den geistig normalen Patienten? 

Sarage fand nur 3% der Patienten von Bethlem Hospital zucker¬ 
krank, während ein Wiener Arzt unter den Geisteskranken 12% an Diabetes 
leidend fand. Smith fragt auch, ob nicht Diabetes eine bestimmte Form von 
Geistesstörung hervorrufe; ihm scheine es, als ob öfter Melancholie entstünde 
als Aufregungszustände. 

Dawson antwortet, daß die Glycosurie bei Geisteskranken selten sei; 
die erwähnten seien seine ersten Fälle. Melancholie und senile Demenz seien 
die häufigsten Formen. 

Burgess: Einseitige fettige Degenerationen des Herzens. 

Das Präparat stammt von einem schlecht genährten 35jäh- 
rigen beschäftigungslosen Arbeiter, der, wie man erfuhr, bis zum 
Tage des Unfalls über keinerlei Schmerzen klagte. Man sah ihn 
plötzlich zu Boden sinken; als Hilfe kam, war er bereits todt. 
Beide Lungen emphysematös, keinerlei Narben oder Verdichtungen 
in denselben. Das Pericard ausgedehnt, beim Anschneiden sickern 


ungefähr 0’5 Liter Blut und Gerinnsel heraus. Bubgess suchte 
vor und nach dem Entfernen des Herzens vergeblich nach der 
Quelle der Blutung. Die Herzklappen sind intact, die ganze vor¬ 
dere Wand des rechten Ventrikels besteht aus Fett bei fast gänz¬ 
lichem Fehlen der Muskelfasern; der linke Ventrikel ist normal, 
ebenso beide Vorhöfe. Die Aorta ist atheromatös. Die Ventrikel 
sind an der Oberfläche mit Fibrinflocken bedeckt, die sich leicht 
abschälen lassen. Beide Coronararterien sind durchgängig. Obwohl 
die Quelle der Blutung nicht nachweisbar ist, scheint die Todes¬ 
ursache nach B. klar zu sein: Bei einer acuten Pericarditis bei 
vorher krankem Herzen genügt eine kleine gelegentliche Blutung, 
um den Herzstillstand herbeizuführen. Da in diesem Falle kein 
Aneurysma, auch kein Carcinom oder eine Tuberculose des Peri¬ 
cards zu finden war, und Scorbut und Purpura ausgeschlossen sind, 
so bleibt nur die Annahme einer capillaren Blutung bei acuter 
Pericarditis. 

Finny bezweifelt, dass die Ventrikelwand ans Fettgewebe besteht, und 
neigt der Ansicht zu, daß es sich um ein Neugebilde handelt, weshalb eine 
histologische Untersuchung angezeigt sei. 


Medical Society of London. 

Crombie: Physische Tauglichkeit für das Leben in den Tropen¬ 
ländern. 

Es sind nicht die klimatischen Verhältnisse der Tropenlän¬ 
der Schuld daran, daß die Gesundheit der dort lebenden Europäer 
ungünstig beeinflußt wird, sondern verschiedene Nebenumstände; 
es treten nach längerem Aufenthalte in den Tropen gewisse Fehler 
der Constitution zutage. Die Thermogenese und Thermolyse ist 
infolge der hohen äußeren Temperaturen eine andere als in Eu¬ 
ropa. Mit uratischer Diathese behaftete Personen befinden sich im 
tropischen Klima wohl, so daß die Gicht selten ist. Den Nephri- 
tikern geht es infolge der besonderen Thätigkeit der Functionen 
der Haut gut, ohne daß sie darum leichter geheilt werden. 

Acuter Rheumatismus ist unter den Europäern beinahe un¬ 
bekannt, doch sind die subacuten Rheumatismen in gewissen Classen 
der Eingeborenen Indiens häufig. Der hyperämische Zustand der 
Haut erweist sich bei parasitären und exsudativen Hautkrankheiten 
von gutem Nutzen. Trockene, schuppende Ausschläge sind selten. 
Groß ist die Neigung zu Fieberfrösten und inneren Congestionen; 
so kann kein Anglo Indier kalte Bäder vertragen. Leute mit 
schwacher Circulation befinden sich, allerdings nur kurze Zeit, in 
den Tropenländern wohl. Die Körpertemperatur ist um % Grad 
höher als in Europa, die der Eingeborenen ist um noch 1 / i Grad 
erhöht. 

Durch die Anstrengung sich der hohen Außentemperatur an¬ 
zupassen, entsteht fortwährend Abgespanntheit der Nerven, wozu 
sich noch die Folgen der Ueberarbeitung und des Heimwehs ge¬ 
sellen. Zwei Ursachen können zu dieser Neurasthenie prädispo- 
niren: Fettsucht und schwaches Nervensystem. Das vollständige 
Versagen der Nerven tritt besonders bei den im Civildienste und 
im Forstdepartement Beschäftigten auf. Ein Mann, der gesund blei¬ 
ben will, darf keine Verdauungs- oder Resorptionsstörung zeigen. 
Neurasthenie und Magenerweiterung geben stets eine ungünstige 
Vereinigung. Die Neigung zur Diarrhoe ist ein großer Körper¬ 
fehler. Die Tuberculose ist unter den indischen Eingeborenen selten, 
ebenso bei den Europäern, häufig jedoch bei den Mischlingen. 
Hereditäre Belastung mit Tuberculose hindert nicht, daß der Be¬ 
lastete in den Tropenländern gedeiht; ist jedoch einmal die Tuber- 
culose ausgebrochen, dann verläuft sie rapid, möglicherweise in¬ 
folge Verschlechterung des Blutes durch die Malariaparasiten. Früh¬ 
syphilis läßt sich erfolgreich behandeln, weniger die Spätforraen. 
Die Zuckerkrankheit nimmt einen langsamen Verlauf. 

Anderson : Die Späteinwirkungen des Aufenthaltes von Europäern 
in den Tropenländern. 

Viele Krankheiten, als deren Ursache die große Hitze ange¬ 
geben wird, sind auf mangelhafte persönliche Hygiene zurückzu¬ 
führen. Die Erfahrungen der Lebensversicherungsgesellschaften 
sprechen zu Ungunsten der Leute, die früher in den Tropen lebten. 
Malaria ist die Hauptkrankheit dieser Menschen, besonders die 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 6. 


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späteren Folgen der Krankheit, die Neuralgie und der Stirnkopf¬ 
schmerz. Trotz der allgemeinen Verbreitung der Syphilis unter den 
Eingeborenen Indiens ist die Tabes selten. Auch der Hitzschlag 
verursacht manchmal ernste Folgekrankheiten. Manchmal gesellt 
sich zur Malaria eine fieberlose Kachexie bei vorhandener Milz¬ 
vergrößerung. Das sogenannte Typhomalariafieber ist wahrscheinlich 
ein Typhus bei einem vorher mit Malaria inficirten Individuum. 
Oft bestehen Leberabscesse, die noch jahrelang nach der Rückkehr 
des Patienten nach Europa latent sind. Die Dysenterie tritt, obwohl 
sie ätiologisch von der Malaria unabhängig ist, vorzugsweise bei 
Malariakrauken auf. Der eingeborene Soldat neigt sehr zur Dysen¬ 
terie, ist aber relativ frei vom Leberabsceß; der Gru nd dieser 
Immunität liegt möglicherweise in der Diät. 

Thin ist der Ansicht, daß nur ein Mann von wohlproportionirtem Körper¬ 
gewicht seine Gesundheit in den Tropen behält. Die Spätsymptome der Ma¬ 
laria sind unklar, und viele derselben sind nicht auf die Plasmodien zu 
beziehen. 

Cantlie meint, der Leberabsceß sei nicht durch Dysenterie veranlaßt; 
derselbe tritt oft wenige Wochen nach der Ankunft des Europäers in den 
Tropen bei völliger Abwesenheit von dysenterischen Erscheinuugen auf. 

Lawrie behauptet, daß in Indien oft Erkrankungen dem Klima zuge¬ 
schrieben werden, obwohl sie nur durch Diätfehler entstanden sind. 

Duncan sagt, daß das Vorkommen der Tuberculose in Indien mit dem 
Districte wechselt. Ein Europäer, der einmal Dysenterie hatte, soll nicht 
wieder nach Indien gehen, ebenso Leute, die Syphilis hatten. Auch sollte kein 
Europäer im Alter unter 25 Jahren nach Indien gehen. 


Notizen. 


Wien, 8. Februar 1902. 

(K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien.) In der 
gestrigen Sitzung berichtete zunächst Dr. Jos. Kaiser über einen 
Fall von otitischem Hirnabsceß, der einen 10jährigen 
Knaben mit Scharlachotitis betraf und durch Operation geheilt 
warde. — Hierauf besprach Hofr. Prof. Weichselbaum die Pro¬ 
phylaxe der Tuberculose. Einleitend mahnte er zum Auf¬ 
geben der Apathie, welche die Aerzte gegenüber den Bestrebungen 
zur Verhütung der Tuberculose bisher an den Tag gelegt haben. 
Die Prophylaxe der Tuberculose — sagte W. — zielt auf die Ver¬ 
nichtung der Tuberkelbaeillen und auf die Bekämpfung der krank¬ 
haften Disposition hin. In ersterer Hinsicht ist die frühzeitige 
Feststellung der Krankheit wichtig. Serum- und Tuberculindia- 
gnostik sind derzeit wohl nur zur Erkennung der Rindertuberculose 
geeignet. Erstrebenswert!! sind: Anzeigepflicht seitens der Aerzte 
bei Erkrankungen und Todesfällen an Tuberculose und obligatorische 
Desinfection der Wohnungen, in welchen Tuberculose gewohnt 
haben. Die speciellen Maßregeln haben sich gegen die Verbreitung 
der Tuberculose durch Menschen und Thiere zu richten. Hiebei 
kommen in Betracht: Unschädlichmachung des Auswurfes Tuber- 
culöser, Spuckverbot, Vorsichtsmaßregeln beim Husten, Desinfection 
der Gebrauchsgegenstände Tuberculöser, Isolirung oder Unter¬ 
bringung der Phthisiker in Specialheilanstalten und Behandlung 
in den Anfangsstadien, Regelung des Milch- und Fleischverkehres, 
Genuß der Milch in abgekochtem Zustande und Gewinnung von 
Butter aus pasteurisirtem Rahm. Die Bekämpfung der Disposition 
hat in Hintanhaltung von Eheschließungen Tuberculöser, Pflege der 
Kinder Tuberculöser, Hebung der Ernährung und in vernünftiger 
Arbeiterhygiene zu bestehen. — In der Discussion berichtete 
Dr. Gust. Kaiser über Versuche mit blauem Lichte, das sich als 
baktericid für Tuberkelbacillen erwiesen hat; Stabsarzt Dr. Franz 
besprach seine diagnostischen Erfahrungen mit Tuberculin an 
Soldaten; kaiserl. Rath Dr. Rabl gab der Ansicht Ausdruck, daß 
bei der Vererbung der Tuberculose die Vererbung der Disposition 
die Hauptrolle spiele, und Hofr. Prof. Winternitz hielt die vor¬ 
geschlagenen Maßregeln nicht für ausreichend, da viele Tuber- 
culoseerkrankungen ja nicht diagnosticirbar sind. Auch scheine die An¬ 
steckung von Individuum auf Individuum durchaus nicht oft zu erfolgen. 
Das Wichtigste im Kampfe gegen die Tuberculose sei die Kräfti¬ 
gung der Constitution, sowie die Einführung besserer hygienischer 
und materieller Lebensverhältnisse. (Die Discussion wird in der 
nächsten Sitzung fortgesetzt.) 


(Oberster Sanitätsrath.) In der Sitzung vom 1. d. M. 
wurde zunächst über die neuesten amtlichen Nachrichten betreffend 
das Auftreten und die Verbreitung der Pest im Auslande, sowie 
über erfolgreiche, in Marseille ange8tellte Versuche einer raschen 
Vertilgung der Schiffsratten durch Kohlensäure, welche aus einer 
Batterie eiserner, mit flüssiger Kohlensäure gefüllter Tuben unter 
Erwärmung der letzteren im Wasserbade in die zuvor geschlossenen 
Schiffsräume eingeleitet wird, Mittheilung gemacht. Der Oberste 
Sanitätsrath stimmte zu, daß diese Methode der Rattenvertilgung 
auch zur Erprobung auf einheimischen Schiffen empfohlen werde. 
Hierauf wurden die Berathuugen über die gegen die Verbreitung 
der Tuberculose zu treffenden Maßnahmen fortgesetzt und 
sowohl jene, welche sich auf die Unschädlichmachung der tuber- 
culösen Auswurfstoffe der Kranken beziehen, als jene, welche die 
Hintanhaltung der Verbreitung der Tuberculose durch tuberculose 
Hausthiere und von denselben stammende thierische Producte be¬ 
treffen, erledigt. Schließlich gelangte ein Referat über die Modali¬ 
täten der Einrichtung von Wiederholungscursen für 
Hebammen, welche bisher nur in Triest eingeführt sind, zur Be- 
rathung und Beschlußfassung. 

(Die Krankencasse der Bankbeamten) hat sich con- 
stituirt und, wie wir vernehmen, zum Präsidenten der Aerzte- 
kammer einen Delegirten entsendet, welcher die Bereitwilligkeit 
des neugewählten Vorstandes aussprach, mit der Aerztekamraer in 
Verhandlungen einzutreten, die den Zweck haben, eine Mitwirkung 
der Aerzte an der Casse unter Zustimmung der Kammer zu er¬ 
möglichen. — Die provisorische Cassenleitung hatte am 25. Januar 
eine Liste von 16 Aerzten publicirt, die im Aufträge der Casse 
die nichtversicherungspflichtigen Mitglieder behufs Aufnahme unter¬ 
suchen sollten. Diese Aerzte haben nun an die Kammer eine Zu¬ 
schrift gerichtet, in der sie erklären-, „insolange auf die Aus 
Übung der Functionen bei der Casse zu verzichten, 
bis das endgiltige Votum der Kammer in dieser An¬ 
gelegenheit gefallen ist.“ Gewiß ein schöner Erfolg der 
ärztlichen Organisation und des Einflusses, den die Aerztekammer 
unter den Aerzten und nach außen hin besitzt. 

(Der österreichische N aturheilverein) setzt seine 
Hetze gegen die Impfung in impetuoser Weise unter den Augen 
der Behörden fort. Am 2. d. M. fand im Festsaale des Ingenieur¬ 
vereines ein Vortrag des ausländischen Curpfuschers Gerling aus 
Berlin statt unter dem Titel: „Die Wahrheit über die Impfung.“ 
Der Einladung ist ein ira Verlage des Naturheilvereines erschienenes 
Flugblatt beigelegt, in dem die Eltern gewarnt werden, die Kinder 
impfen zu lassen. Das Pamphlet schließt mit folgenden Worten: 
„Die Impfung ist vom medicinischen Standpunkte eine Blutver¬ 
giftung, vom rechtlichen Standpunkte aus eine Verletzung 
der p ersön lic hen F r ei heit, vom juridischen Standpunkte aus 
eine vorsätzliche Körperverletzung, vom religiösen Stand¬ 
punkte aus eine Gotteslästerung; im Ganzen aber entweder 
W a h n s i n n oder Verbrechen !“ — Wie lange wird die Behörde 
noch die Angriffe des Naturheilvereines auf staatliche Institutionen 
dulden ? Gibt es denn kein Aufsichtsrecht über den Naturheirverein 
bei den Behörden ? 

(Reclameblüthen der Curpfuscher.) Es hat in den 
Kreisen der Apotheker eine lebhafte Bewegung hervorgerufen, daß die 
Aerztekammer sich gegen die von den Apothekern mit Geheiramitteln 
getriebene, directe oder durch deren Verkauf geförderte Curpfuscherei 
gewendet hat, und wurde diese negirt. Als Beweis für die geradezu 
allem Anstande hohnsprechende Reclame möge nun folgendes dienen : 
Vor kurzer Zeit wüthete in Wien ein heftiger Sturm, durch den viele 
Leute verletzt wurden. Diese Patienten, deren Namen die Zeitungen 
bekannt gaben , erhielten Briefe, deren Couvert nebst der Adresse 
den Vermerk trug: „Laut Zeitungsnachricht verun¬ 
glückt“ und deren Inhalt eine Anpreisung des mit Erlaß des 
Ministeriums des Innern vom 24. December 1893, Z. 30.469 ver¬ 
botenen „Wunderbalsams“ des Apothekers Thierry in Pre- 
grada in so unsinniger Weise enthielt, daß wir uns nicht versagen 
können, diese Stylblüthe des XX. Jahrhunderts niedriger zu hängen: 

„Dieser „Wunderbalsam“ des Apothekers Thierry in Pregrada 
(Croatien) ist ein sicheres Heilmittel innerlich und äußerlich, Wunden 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 6. 


290 


all er A rt schnell heilend, bei innerlichen Krankheiten zur Reinigung 
des Blutes von allen schädlichen verdorbenen Säften, nach deren Aus¬ 
treibung jede Krankheit schwindet, sie mag heißen wie immer, auf den 
Namen kommt <s nicht an. Laut Ausspruch eines alten „Medicinal-Doc- 
lors“, web her 40 Jahre lang in großen Spitälern gewirkt hat: „Man brauche 
nicht zu wissen, an „was“ man leidet, denn das kann nie erforscht werden, 
jede Bestimmung einer Krankheit ist nur Vermuthung, welche auf Täu¬ 
schung beruht, aber gegen Alles wirkt die Blutreinigung.“ — Dieser 
Wunderbalsam ist in Wien zu bekommen nur beim Apotheker Brady 
nächst dem Stefansplatz in der Rothenthurmstraße. 1 „Flaschl“ 
30 Kreuzer. Außerdem soll man 3mal täglich einen Apfel essen, das be¬ 
fördert die Blutreinigung rascher.“ 

Der Vorstand der Wiener Aerztekammer, dem diese neue Art von 
Reclame zur Kenntniß gebracht wurde, hat den Vorgang unter 
Vorlage eines Originalbriefes der competcnten politischen Behörde 
zur Amtshandlung übergeben. 

(Gutachten über die Kranken-, Unfall-und Alters¬ 
versicherung.) Im Budgetausschusse des Reichsrathes theilte 
der Minister des Innern mit, daß er demnächst eine Vorlage über 
die Kranken-, Unfall- und Altersversicherung einbringen werde und 
daß er zuvor die Gutachten des Arbeitsbeirathes, des Industriebei- 
rathes, des Versicherungsbeirathes und des landwirtschaftlichen 
Beirathes einholen wolle. Von dem Einholen eines Gutachtens der 
Aerztekammer n Oesterreichs ist keine Rede. Wiederum ein 
Beweis für die souveräne Nichtachtung der ärztlichen Wünsche 
seitens der Regierung. Der Vorstand der W'iener Kammer hat 
angeregt, eine dringliche Eingabe sämmtlicher Kammern an das 
Ministerium des Innern zu richten, in der ersucht wird, in dieser 
die Aerzte so tief berührenden Angelegenheit auch das Gutachten 
der Aerztekammern einzuholen. 

(Auszeichnungen.) Der Professor der Chirurgie an der 
Berliner Universität Dr. von Bergmann wurde zum wirklichen 
Geheimen Rathe mit dem Prädicat „Excellenz“ ernannt. — Pro¬ 
fessor Dr. E. Tauffer in Budapest hat den Hofrathstitel erhalten. 

(Hab i 1 itati o n e n.) Regimentsarzt Dr. Karl Biehl hat sich 
als Privatdocent für Ohrenheilkunde an der medicinischen Facultät 
der Universität in Wien, Dr. Julius Marischler als Privatdocent 
für interne Medicin und Dr. Adam Szulislawski als Privatdocent 
für Augenheilkunde an der medicinischen Facultät der Universität 
in Lemberg habilitirt. 

(Der niederösterreichische Landesausschuß) 
hat — wie wir erfahren — beschlossen, bei der auf den Wiosen- 
gründen „In der Rose“ nächst Ottakring zu erbauenden Landes- 
irrcnanstalt nach dem Muster der in Wien bestehenden Privatheil¬ 
anstalten Sanatorien zu errichten, iu welchen Geisteskranke aus 
den bemittelten Ständen Aufnahme finden sollen. Die Kranken 
werden in Abtheilungen erster und zweiter Classe untergebracht 
werden können. 

(Leichenverbrennung.) In der am 30. Januar stattge¬ 
habten Plenarversammlung des ärztlichen Vereines der südlichen Be¬ 
zirke Wiens hielt der Obmann des Vereines Dr. Josef Scholz einen 
Vortrag: „Ueber den derzeitigen Stand der Leichenverbrennung“, 
an dessen Schlüsse er folgende Resolution beantragte: „Der ärzt¬ 
liche Verein der südlichen Bezirke Wiens betrachtet die Einäsche¬ 
rung der Leichen von an Infectionskrankheiten verstorbenen Per¬ 
sonen als eine nicht abzuweisende Forderung der allgemeinen 
Hygiene, an deren Erfüllung energisch zu arbeiten ist. Es wird 
als selbstverständlich angesehen, daß Personen, welche die Ver¬ 
brennung ihrer Leiche letztwillig anordnen, die Erfüllung 
ihres letzten Willens ermöglicht würde.“ Nach einer eingehenden Dis- 
cussion, an welcher sich eine größere Zahl der Vereinsmitglieder be¬ 
theiligte, wurde die voranstehende Resolution einstimmig angenommen. 

(Medicinischo Terminologie.) Im Verlage von 
Urban & Schwarzenberg ist soeben die II. Abtheilung 
(Bogen 11—20) der „Medicinischen Terminologie“ von Walter 
Guttmann erschienen. Dieselbe stellt eine Ableitung und Erklärung 
der gebräuchlichsten Fachausdrücke aller Zweige der Medicin und 
ihrer Hilfswissenschaften dar. Wer sich daran erinnert, wie oft er 
in Fragen medicinischer Etymologie erfolglos Umfrage gehalten 
hat und auf Suche war, wird das Erscheinen eines Werkes mit 
Freuden begrüßen, das mit trefflicher Anordnung und ausgezeich¬ 
neter Uebersichtlichkeit einen wahrhaft umfassenden Inhalt verbindet. 


Man darf vielleicht behaupten, daß kaum jemals schon die erste 
Auflage eines etymologischen Lexikons so vollkommen gewesen ist 
wie das GuTTMANN’sche Werk. Wer nur einen Blick in dasselbe 
wirft, muß den ungeheueren Fleiß bewundern, mit dem es verfaßt 
worden ist. Es hat eine empfindliche Lücke der medicinischen 
Literatur ausgefüllt. 

(Congreß für innere Medicin.) Vom 15.—18. April 
wird zu Wiesbaden unter dem Vorsitze des Geh. Med.-Rathes 
Prof. Dr. Naunyn (Straßburg) der 20. Congreß für innere Medicin 
tagen. Als schon länger vorbereitete Verhandlungsgegenstände, für 
welche Autoritäten ersten Ranges die Referate übernommen haben 
und welche bedeutendes actuelles Interesse haben, stehen auf dem 
Programme: Diagnose und Therapie des Magen¬ 
geschwüres (Referenten EwALD-Berlin und FLEtNER-Heidel- 
berg) und: Die Lichttherapie (Referent BiE-Kopenhagen). 
Außerdem sind zahlreiche Einzelvorträge angeraeldet. 

(Zur Bekämpfung des Curpfuscherthums.) Im 
Anhänge zu den Ausführungen des „Berliner Briefes“ in Nr. 2 d. Bl. 
machen wir unsere Leser darauf aufmerksam, daß über Anregung 
des Centralvereines deutscher Aerzte in Böhmen zu Warnsdorf seit 
vier Jahren ein Vorgänger des im citirten Briefe genannten 
hygienischen Volksblattes, eine populär-hygienische Monatsschrift 
„Gesundheitslehrer“ erscheint, dessen Redaction Prim. Dr. H. Kantor 
in Warnsdorf als Ehrenamt führt. Leider hat das Blatt außer¬ 
halb Deutschböhmens in ärztlichen Kreisen Oesterreichs durch Aus¬ 
legen im Wartezimmer noch nicht jene Verbreitung gefunden, welche 
seine Tendenz verdiente, während ärztliche Vereinigungen des 
Deutschen Reiches den „Gesundheitslehrer“ wärmstcus fördern. — 
In Ergänzung unserer Mittheilung (Nr. 3 d. Bl.), daß die Wiener 
Aerztekammer beschlossen habe, gegen die Reclame, welche mit dem 
„Naturheilbuche“ Plateu getrieben wird, durch eine Petition an 
das k. k. Ministerium des Innern Stellung zu nehmen, damit 
wenigstens ein Verbot der Colportage dieses Buches erlassen 
werde, sei darauf aufmerksam gemacht, daß dieses Ministerium mit 
Erlaß v. 26. October 1897, Z. 25.210 ein solches Verbot zuglefölT 
mit einem solchen, welches das famose Bilzbuch betraf, bereits 
verfügt hat. Leider kümmern sich die Behörden um ihre eigenen 
Erlässe zu wenig. 

(Aerztetiberfluß in Capstadt.) Bisher konnten in Cap¬ 
stadt Aerzte der verschiedensten Nationalitäten ihre Praxis aus- 
üben. Wie die Statthalterei der Aerztekammer mittheilt, hat 
die Regierung in Capstadt die Ausübung der ärztlichen Praxis 
auf die einheimischen Aerzte beschränkt und angeordnet, daß aus¬ 
ländische Aerzte zur Praxis nicht mehr zugelassen werden sollen. 

(Statistik.) Vom 26. Januar bis inclusive 1. Februar 1902 wurden in 
den C i vi 1 s pit älern Wiens 7401 Personen behandelt. Hievon wurden 1470 
entlassen ; 163 sind gestorben (10% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 93, egypt. 
Augenentzündung 2, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 5, Dysen¬ 
terie —, Blattern —, Varicellen 193, Scharlach 77, Masern 392, Keuchhusten 60, 
Rothlauf 44, Wochenbettfieber 3, Rötheln 5, Mumps 10, Influenza —, follicul. 
Bindehaut-Entzündung—, Meningitis cerebrospin.—, Milzbrand—, Lyssa—. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 558 Personen gestorben 
(— 43 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Wien der pensionirte 
Bezirksarzt Dr. Josef Tugendhat im 69. Lebensjahre; in Baden 
der Regimentsart Dr. Franz Schwarz ; in Heidelberg der a. o. Pro¬ 
fessor der Hygiene Dr. Eduard Cramer, 38 Jahre alt; in Hannover 
Dr. Louis Kugelmann, einer der ersten Aerzte, welche die Bedeu¬ 
tung der SEMELWEis’schen That erkannt haben, im 74. Lebens¬ 
jahre; in Braunau i. B. der Regimentsarzt Dr. Hubert Toman, 
Chefarzt des Truppenspitales in Trencsin, im 36. Lebensjahre; in 
Genua der Professor der operativen Medicin daselbst Doctor 
G. Garibaldi. 

Doc. Dr. Ludwig Braun wohnt jetzt IX., Liechtensteinstraße 4. 

Bei Anämie, Chlorose, Rachitis, Scrophulose und Tuberculose ist der 
Gebrauch von Jahr’s ZUS. Jod-Ferratin-Pastillen besonders angezeigt. Sie 
wirken nicht nur appetitanregend, sondern auch blut- und knochenbildend, 
schleimlösend und hustenstillend. Man verordnet Kindern 2—4, Erwachsenen 
6—9 Stück täglich, wobei sauere Speisen zu vermeiden sind. 


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291 


1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 6. 


292 


Neue Literatur. 


(Der Redaction zur Besprechung eingesandte Büch er.) 

E. v. Leyden und F. Klemperer, Die Deutsche Klinik am Eingänge des 

XX. Jahrhunderts. Wien und Berlin 1901, Urban & Schwarzen¬ 
berg. Heft 27-39. 

W. Guttmann , Medicinische Terminologie. II. Abtheilung. Wien und Berlin 

1901, Urban & Schwarzenberg. — M. 4-—. 

Hermann Thiesing , Die Localanästhesie. Leipzig 1902, Arthur Felix. — 
M. 1.60. 

O. Schaeffer, Gynäkologische Operationslehre. München 1902, J. F. Leh¬ 
mann. — M. 12.—. 

J. Sobotta, Histologie und mikroskopische Anatomie des Menschen. München 

1902, J. F. Lehmann. — M. 20.-. 

Weygandt W., Atlas und Grundriß der Psychiatrie. München 1902, J. F. Leh¬ 
mann. — M. 16.—• 

Knapp, Geburtshilfliche Diätetik und Therapie. Wien 1902, F. Tempsky. 

P. Le Gendre et G. Lepage, Le Medecin dans la societe contemporaine. 

Paris 1902, Masson et Cie. — Frcs. 2.—. 

Max Rubner, Ernährung im Knabenalter. Berlin 1902, A. Hirschwald. 

A. le Dentn, Cancer du sein. Paris 1902, Baillifj»e et fils. 

F. Theodor, Praktische Winke zur Ernährung und Pflege der Kinder. Berlin 

1902, Hugo Steinitz. — M. 2.—. 


Wiener Medicinisches Doctoren-CoUegium, 

Wissenschaftliche Versammlung. 

Montag den 10. Februar 1902, 7 Uhr Abends, 
im Sitzungssaal des Collegiums, I., Rothenthurmstraße 19 (van Swieteuhof). 
Vorsitz: Dr. P. Mittler. 

Programm: 

Doc. Dr. Josef Pollak : Ueber Mittelohrerkrankungen im Kindesalter. 

Oesterreichische Gesellschaft für Gesundheitspflege. 

Voll-Versammlung Mittwoch den 12. Februar 1902, um 7 Uhr Abends, 
im Hörsaale des k. k. hygienischen Universitäts-Institutes, IX., Schwarzspanier¬ 
straße 17- 

Tagesordnung: 

1. Mittheilungen des Vorsitzenden. 

2. Doc. Dr. Rudolf Kraus: Neue Methoden zum Nachweise von Bacterien, 
Blut, Eiweiß und Milch mittelst Blutserums. (Mit Demonstrationen.) 

Gäste sind willkommen. 

Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 

Mit dieser Nummer versenden wir einen Prospect der 
ehern. Fabrik Kalle & Co. in Biebrich a. Rh. über Orexin. 
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der geneigten Beachtung unsrer Leser. 

Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h — 60 Pf. mit 
Postversendung. Die Preise der Einbanddeoken sind folgende: für die „Med. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
,,Therapie der Gegenwart“: K 1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Postversendung. 

Die Rubrik: „Erledigungen , ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 

HC Wir empfehlen diese Rubrik der speclellen Beaohtung unserer 
geehrten Leser; in derselben werden öfters — neben der Publioation von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auch für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein können, welche an eine 
Aenderung des Domicils oder ihrer Verhältnisse nicht gedacht haben. 


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Dos.: 1,5—2 gr. als Pulver, ev. in Oblaten; 
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Wien, den IG. Februar 1902. 


Nr. 7. 


XLIII. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart-Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militär ärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsanfträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse" 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 

Medizinische 


Wiener 


Abonnementßnreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Militärärztlicner Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
20 K, halbj. 10 K t viertel]-5 K. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk. , halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 K-, Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2 spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein 
Sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien, I., Maximilianstr. 4. 


Presse. 


Begründet 1860. 


Redactlon: Telephon Nr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

- '988 -- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 
Administration: Telephon Kr. 9104. 


INHALT: Origin&lien nnd klinische Vorlesungen. Beiträge zur Casuistik der Abdominalchirurgie. Von Prof. R. v. Mosetig-Moorhof. II. — Ueber Magen- 
atonie. Von Docent Dr. Alois Pick , k. u. k. Stabsarzt, Abtheilungs-Chefarzt im Garnisonsspitale Nr. 1 in Wien. — Referate. Wilms (Leipzig): 
Studien zur Pathologie der Verbrennung. Die Ursache des Todes nach ausgedehnter Hautverbrennung. — Aichel (Erlangen): Die Beurtheilung 
des Wochenbettes nach der Pulszahl. — H. Gebhard (Lübeck): Maßnahmen zur Ergänzung der durch Unterbringung in Heilstätten geübten Vor¬ 
sorge für Lungenkranke. — Otto von Fbanqük (Würzburg): Uterusabsceß und Metritis dissecans. — Senator (Berlin): Ueber Anaemia splenica 
mit Ascites (BANTi'sche Krankheit). — S. Simnitzky (St. Petersburg): Ueber den Einfluß der Gallenretention auf die secratorische Thätigkeit der 
Magendrüsen. — Kionka und Liebrecht (Jena): Ueber ein neues Baldrianpräparat (Valeriansäurediätbylamid). — Kablinski (Maglaj, Bosnien): 
Zur Kenntniß der säurefesten Bakterien. — Skalicka: Ueber die Vertheilung des Herpes zoster. — Kleine Mittheilungen. Verfahren zur 
Behandlung der Kniescheibenbrüche. — Xeroform. — Eine Methode, Fußabdrücke zu machen. — „Extractum Chinae Nanning“. — Injeetionen 
von Jodoform. — Zur Behandlung des Milzbrandes mit intravenösen Injeetionen von löslichem Silber. — Die gleichzeitige Anwendung von Queck¬ 
silber- und Jodpräparaten. — Zur Verwendung des Epicarins. — Methode zur Unterscheidung von Menschen- und Thierblut. — Die therapeutische 
Wirkung D’ARSONVAL’scher Ströme. — Peritonisation. — Literarische Anzeigen. Beiträge zur psychiatrischen Klinik. Herausgegeben von Professor 
R. Sommer. — Ueber den gegenwärtigen Stand der Ohrenheilkunde. Von Dr. Kahutz in Lübeck. — Das Seelenleben des Menschen im gesunden 
und kranken Gehirn. Von Dr. Robert Glaser. — Feuilleton. Ueber die Ersatzansprüche an die Eisenbahnen auf Grund der Haftpflicht- und 
Unfall-Versicherungsgesetxe. Von Dr. Michael Grossmann, Universitätsdocent, Chefarzt der k. k. priv. österr. Nordwestbahn. — Verhandlungen 
ärztlicher Vereine. Aus medicinischen Gesellschaften Deutschlands. (Orig.-Ber.) — Gesellschaft für innere Medicin in Wien. (Orig.-Ber.) — 
Notizen. — Nene Literatur. — Gingesendet. — Offene Correspondenz der Redaction und Administration. — Aerztliche Stellen. — 
Anzeigen. 


Nackdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse “ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Beiträge zur Casuistik der Abdominalchirurgie. 

Von Prof. R. v. Mosetig-Moorhof. 

II. 

Spontanperforation der Gallenblase. 

Ein 48jähriger Straßenarbeiter, früher stets gesund, erkrankte 
8 Tage vor der Aufnahme an der zweiten chirurgischen Abtei¬ 
lung unter Erscheinungen schwerer Magenverstimmung und Diar¬ 
rhoe, die ihn zur Bettruhe zwangen. Seit 4 Tagen besteht Er¬ 
brechen, complete Obstipation, kein Abgang von Winden, Schmerzen 
in der rechten Abdominalgegend, Fieber. Patient mäßig genährt, 
Haut blaß, im Gesicht leicht cyanotisch. Brustorgane gesund. Ab¬ 
domen etwas aufgetrieben, links leicht eindrückbar, rechterseits sind 
die Bauchdecken gespannt. Betastung hierselbst empfindlich, nament¬ 
lich entsprechend der Ileocöcalgegend , wo deutliche Dämpfung bis 
in die Lendenregion nachweisbar ist. Keine Verstärkung der Darm¬ 
peristaltik'. Zunge stark belegt, aber feucht. Die Untersuchung per 
Rectum ergibt Schmerzhaftigkeit im Douglas rechter Seite, doch 
daselbst keine Vortreibung oder größere Resistenz. Urin normal 
an Farbe, etwas eiweißhaltig, kann ohne Anstand entleert werden. 
Puls 120. Temperatur bei der Morgenvisite 38. Diagnose : Perfo¬ 
rationsperitonitis ex appendicitide suppurativa. Sofortige Laparotomie 
in ruhiger Chloroformnarkose. Der bei uns in solchen Fällen übliche 
laterale Längsschnitt entlang dem äußeren Rande des Musculus 
rectus eröffnet die Bauchhöhle, aus der sehr trübe ascitische Flüs¬ 
sigkeit herausquillt, die eine grünliche Farbe aufweist. Cöcum und 
Appendix normal, die Dünndärme dagegen diffus geröthet, hier und 
dort gegenseitig und mit dem Netze leicht verklebt. Während 


der Lösung strömt die grüne, mit Eiterfloeken gemischte Ascites¬ 
flüssigkeit zwischen den Schlingen hervor, und mit ihr wird plötz¬ 
lich ein etwa kleinhaselnußgroßer, mehrkantiger, stumpfeckiger, 
schwarzbrauner Gallenstein hervorgeschwemmt. 

Die Diagnose war nun richtiggestellt, wir nahmen Gallen¬ 
blasenruptur an, erweiterten den Längsschnitt bis zum Rippen¬ 
bogen, fügten einen Querschnitt bis zur Linea alba bei und fanden 
nun nach Aufhebung der blassen, etwas schlaffen Leber die halbleere 
Gallenblase, aus deren Unterwand etwas hinter der Kuppe durch 
einen rundlichen Defect die abgerundete, aber doch deutlich vorsprin¬ 
gende Kante eines Gallensteines nackt hervorlugte. Nach Anlegung 
von Schutzcompressen und zweier Haltezügel an der Gallenblasen¬ 
kuppe wurde zwischen beiden durch einen 3 Cm. langen Schnitt 
die Gallenblase incidirt und aus dem Schnitte zunächst der theilweise 
prolabirte, die Defectöffnung abschließende Gallenstein und dann 
noch 5 andere extrahirt, welche lose in der Gallenblase lagen. 
Ductus cysticus frei, ebenso der Choledochus. Alle Steine hatten 
nahezu die gleiche Größe und das gleiche sonderbare Aussehen ; 
sie trugen nicht Facetten, sondern mehrfache hügelartig vorspringende, 
wenn auch glatte Erhöhungen, welche das Niveau der Steine bis zu 
3 / 4 Cm. Höhe überragten. Die Gallensteine hatten eine dunkelbraune, 
stellenweise ins schwärzliche nuancirte Farbe — letzteres insbeson¬ 
dere an den Hügeln — und waren hart, mit den Fingern nicht zer¬ 
drückbar. Die Schleimhaut der Gallenblase war stark geröthet, er¬ 
weicht, die Wandungen morsch. An eine Erhaltung der Gallenblase 
durch Sutur des Defectes und Cholecystostomie war bei der hoch¬ 
gradigen Entzündung derselben nicht zu denken ; es mußte zur 
Exstirpation geschritten werden. Nach Ablösung der Gallenblase 
von der Leber wurde der Cysticus doppelt abgebunden und die 
Abtragung mit einem Scheerenschlage beendet. Nach gründlicher 
Toilette des Bauchraumes und Durchspülung mit heißer Kochsalz- 


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307 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 7. 


308 


lösung legten wir eine mehrfach zusammengelegte, glattrandige 
Jodoformgazecompresse so in die Bauchhöhle, daß das eine Ende 
der schmalen Compresse den unterbundenen Cysticusstumpf unter¬ 
polsterte und tief gegen den Choledochus reichte, während das 
andere Ende oben durch die Laparotomiewunde herausgeleitet wurde. 
Nahtverschluß des Bauches. Occlusivverband. 

Der Wundverlauf gestaltete sich ideal. Operirt wurde am 
15. September. Beim ersten Verbandwechsel am 23. fanden wir die 
Verbandstücke gallig durchtränkt. Die Laparotomiewunde mit Aus¬ 
nahme der offen gelassenen Lücke prima intentione verheilt. Ent¬ 
fernung der Nähte und der Jodoformgazecompresse. Der Gallen¬ 
abfluß dauerte bis zum 8. October an, dann schloß sich die Fistel 
rasch. Entlassung am 12. 

Die Untersuchung des Präparates ergab die Schleimhaut 
der Gallenblase hochgradig entzündet, in der Umgebung des Defectes 
mit Hämorrhagien durchsetzt. Die Defectöffnung selbst war über 
erbsengroß, rundlich, nicht spaltenförmig wie bei Rupturen, deren 
Ränder verdünnt, ulcerös erweicht, ungemein morsch, leicht zer- 
reißlich. 

Es handelte sich also in vorliegendem Falle nicht um 
eine Spontanruptur, um eine Berstung der Gallenblase, für die 
immer eine größere oder mindere äußere Veranlassung den 
Anstoß gibt, sondern um eine gewiß außerordentlich seltene 
Perforation der hochgradig entzündeten Blase in die freie 
Bauchhöhle durch den Druck eines eigenthümlich geformten, 
mit zuckerhutförmigen Fortsätzen ausgestatteten harten Gallen¬ 
steines, also sozusagen um ein Decubitusgeschwür. Die Per¬ 
foration fand offenbar während der Bettruhe des Kranken 
ohne jedwede äußere Veranlassung 4 Tage vor der Aufnahme 
statt und war die Ursache der plötzlich auftretenden Perito¬ 
nitis und der damit einsetzenden Symptome des Ileus. Da 
Patient angeblich früher nie an Icterus oder Koliken gelitten 
hatte und die empfindlichste Stelle des Abdomens mit der 
ausgesprochensten Dämpfung die Ileocöcalgegend betraf, hatten 
wir als Ursache der leicht kenntlichen Perforativ-Peritonitis 
fälschlicherweise eine so sehr häufige Appendicitis angenommen, 
umsomehr, als auch der Douglas gleicher Seite ausgesprochene 
Schmerzhaftigkeit zeigte. 

Eine Spontanperforation der an die Bauchdecken, aber sonst 
nicht angewachsenen Gallenblase ist selbstverständlich von 
viel größeren Gefahren begleitet als die traumatische Ruptur; 
betrifft doch letztere eine zwar durch Gallenstauung stark 
gespannte, sonst jedoch gesunde Blase mit normaler oder 
doch aseptischer Galle, welche bekanntlich vom Bauchraume 
gut vertragen wird, und höchstens serös-fibrinöse, nie aber eitrige 
Peritonitis zu erregen vermag. Bei der Spontanperforation 
auf ulcerösem Wege ist die Galle aber infectiös; sie erregt 
in der freien Bauchhöhle septische Peritonitis. Die gründliche 
Ausspülung mit heißer Kochsalzlösung und die accurate 
Trockenlegung des kleinen Beckenraumes hat sich auch diesmal 
bestens bewährt. Eine verläßliche Versorgung des abgebundenen 
Cysticusstumpfes gibt es nicht, auch die Ueberhüllung mit 
Netz gibt keine Sicherheit; das Beste bleibt die Unterpolste¬ 
rung mit Gaze, um einen nachträglichen Gallenerguß in die 
Bauchhöhle nach Abstoßung der Ligatur vor der definitiven 
Vernarbung des Stumpfes zu verhüten. 


Ueber Magenatonie. 

Von Docent Dr. Alois Pick, k. u. k. Stabsarzt, Abtheilungs- 
Chefarzt im Garnisonsspitale Nr. 1 in Wien. 

(Schiaß.) 

Nun handelt es sich noch darum, alle die Methoden zu 
besprechen, welche geeignet sind, zur Diagnose der Magen¬ 
atonie zu führen, bezw. diese Diagnose zu erhärten, und da 
haben wir gewissermaßen zwei Gruppen auseinanderzuhalten : 
Die einen Methoden, welche sich darauf erstrecken, die Größen¬ 
verhältnisse des Magens, respective seine Lage und Ausdehn¬ 
barkeit festzustellen, und jene Methoden, weiche hauptsäch¬ 


lich darauf gerichtet sind, die motorische Insufficienz zu er¬ 
weisen. 

Was zunächst die ersterwähnten Untersuchungsmethoden 
anbelangt, so wären da zu nennen: Die Inspection, die Per¬ 
cussion und Palpation, ferner gewisse Dehnungsmethoden des 
Magens, Dehnungsmethoden mittelst Kohlensäure, Luftein¬ 
blasung, durch Zufahr von Flüssigkeit — ich nenne hier 
Pierry, Penzold und Dehio — und noch anderweitige Methoden, 
welche ich bei der heutigen Besprechung bei Seite stellen 
zu dürfen glaube, aus dem Grunde, weil sich dieselben für 
die Praxis als weniger geeignet oder gar vollkommen ent¬ 
behrlich gezeigt haben. 

Was nun vor Allem die Inspection anbelangt, so wird 
uns dieselbe nur in manchen Fällen den erwünschten Auf¬ 
schluß über die Größenverhältnisse und die Lage des Magens 
ertheilen können. Diese Untersuchung wird nach dem Vor¬ 
schläge von Boas am besten in der Weise ausgeführt, daß man 
am Kopfende des liegenden Patienten stehend dessen Magen- 
gegend besichtigt. Man sieht dann mitunter den Magen in 
seinen Contouren hervortreten. Nun unterliegt aber diese 
Methode mannigfachen Irrungen, und wir werden daher auf 
die Inspection allein kein großes Gewicht bei der Diagnose¬ 
stellung legen. 

Wichtiger ist die Percussion, welche merkwürdigerweise 
im Allgemeinen noch wenig gewürdigt wird, ja eigentlich 
noch immer stark in den Hintergrund gedrängt erscheint. 
Und doch ist sie so werthvoll für unsere Zwecke! 

Allerdings ist die gewöhnliche Percussion oft nicht im¬ 
stande , uns über die Größe des Magens genauen Aufschluß 
zu ertheilen, und zwar aus dem Grunde, weil ja mitunter 
die Dämpfungsunterschiede zwischen Magen und Darm sehr 
geringe sind, abhängig von dem Luftgehalte und dem Füllungs¬ 
zustande dieser Organe. Aber es steht uns ein Verfahren zur 
Disposition. welches uns die Möglichkeit gibt, auf höchst 
einfache Weise die Größenverhältnisse, sowie die Lage des 
Magens unter allen Umständen genau festzustellen, und das 
ist die Percussion bei gleichzeitiger Auscultation. 

Schon Leichtenstern hat zur Bestimmung der unteren 
Magengrenze die Stäbchen-Plessimeterpercussion unter gleich¬ 
zeitiger Auscultation vorgeschlagen. Auscultirt man den Magen, 
während gleichzeitig das Plessimeter mit einem metallenen 
Körper, beispielsweise mit einem Metallkatheter, beklopft wird, 
so hört man über dem Magen einen lauten Metallklang, welcher 
sich von dem des Colon gut unterscheiden läßt. 

Auf dem internationalen medicinischen Congresse zu 
Rom im Jahre 1894 wurde von Benderski 7 ) die ausculta- 
toiische Percussion des Magens und Darmes empfohlen. Die¬ 
selbe beruht auf dem Umstande, daß durch schwache Per¬ 
cussion eines Hohlraumes nur die in demselben befindliche 
Luftsäule zum Schwingen gebracht wird. Der hiedurch ent¬ 
stehende Ton kann allerdings nicht mit bloßem Ohr, wohl 
aber durch das Stethoskop deutlich vernommen werden. Die 
Grenzen des Organs sind somit auf die Weise festzustellen, 
daß das Stethoskop auf das zu untersuchende Organ aufge¬ 
setzt und dann zum Rande desselben hin percutirt wird. 

Eine wesentliche Erweiterung erhielt diese Methode 
durch Bdch 8 ), nachdem dieselbe auch schon früher von 
Villari 9 ), der ein eigenes Instrument für diese Untersuchung 
angegeben hatte, sowie von Henschen, Peiper, Stenzel, 
Bianchi empfohlen worden war. 

Buch bedient sich zur Auscultation eines gewöhnlichen 
Stethoskops ohne Ohrmuschel, das mit einem Schlauch ver¬ 
bunden ist, der eine Olive trägt. Mit Hilfe der „auscultatori- 
schen Percussion“ oder „Transsonanz“, wie er seine Methode 
nennt, nahm er Lage- und Größenbestimmungen der Brust - 
und Bauchorgane an Lebenden und Leichen vor, bei welch 

7 ) Benderski, Atti del congresso medico internat. in Roma. 1894, B'l. III. 
Med. int., pag. 149—157. 

*) „Deutsche med. Wochenschr.“, 1901, Nr. 38. 

®) Giorn. internat. delle scienz. med. 15, VII, 1899. 


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letzteren die nachträgliche Section ihn von der Exaetheit 
und außerordentlichen Empfindlichkeit seiner Untersuchungs¬ 
methode überzeugen konnte. 

Um die Grenzen eines Organs zu bestimmen, empfiehlt 
er, das Stethoskop auf eine Stelle aufzusetzen, von welcher 
man mit Sicherheit annehmen kann , daß sie sich innerhalb 
der Grenzen des betreffenden Organs befindet, und sodann 
gegen die Grenzen desselben hin zu percutiren, ohne die Lage 
des Stethoskops zu ändern. Man hört nun einen trommelnden 
und schmetternden Laut. Sobald jedoch der percutirende 
Finger die Grenze des Organs überschreitet, hört der Laut 
auf oder verändert seine Klangfarbe in einem solchen Maße, 
daß selbst ein unmusikalisches Ohr den Unterschied sofort 
wahrnehmen muß. An der Stelle, an welcher diese Verände¬ 
rung des Schalles stattfindet, liegt eben die Grenze des 
Organs. 

Zur Controle empfiehlt Buch , das Stethoskop jetzt 
jenseits der Grenze des untersuchten Organs aufzusetzen und 
gegen dieselbe hin zu percutiren. Falls man beispielsweise 
die untere Grenze des Magens gefunden hat, setzt man seinem 
Vorschläge gemäß das Stethoskop unterhalb der Grenze auf 
das Colon auf und percutirt von hier aus aufwärts gegen 
den Magen zu. Nunmehr hört man, so lange man über dem 
Colon percutirt, denselben trommelnden, schmetternden Laut, 
welchen man früher bei der Percussion über dem Magen 
vernommen hatte; dieser Laut ändert sich jedoch auffallend 
in dem Momente, als man die Magengrenze überschreitet. 
Auf diese Weise gelingt es rasch, die untere Grenze des 
Magens festzustellen, bezw. seine frühere Bestimmung zu 
controliren. 

Wenn man die obere Grenze des Magens finden will, 
so stellt man nach Büch vor Allem die unteren Herz- und 
Lungengrenzen fest. Sodann verfährt man in ähnlicher Weise 
wie bei der Bestimmung der unteren Magengrenze, indem 
man das Stethoskop auf die Bauchwand über dem Magen 
aufsetzt und gegen Herz und Lunge hin so lange percutirt, 
bis der Magenschall verschwindet. 

Durch die percutorische Auscultation gelingt es auch, 
die Grenzen fester Organe, sowie die von anderen Organen 
bedeckten Theile derselben festzustellen. Bei Organen, welche 
einander theilweise bedecken, ist es nach den Ausführungen 
des genannten Autors nothwendig, zunächst jenes Organ zu 
umgrenzen, welches der Bauch wand näher liegt. 

Wenn man die von der Leber bedeckten Antheile des 
Magens bestimmen will, muß man demnach zuerst den linken 
Leberlappen und einen Tbeil des rechten umgrenzen. Man 
stellt dementsprechend das Stethoskop auf den linken Leber¬ 
lappen, links von der Mittellinie, und percutirt mittelst ganz 
leiser Berührung der Haut zur Grenze des Organs hin. Hat 
man dieselbe gefunden, so stelle man zum Zwecke der Con¬ 
trole das Stethoskop jenseits der Grenzen auf den Magen 
und pereutire ebenso äußerst leise gegen den linken Leber¬ 
rand zurück, um den hinter dem linken Leberlappen befind¬ 
lichen Magenantheil nicht mit anzuschlagen. 

Ist einmal die Lebergrenze exact bestimmt, so gelingt 
es leicht, den Pylorus percutorisch festzustellen. Zu diesem 
Behufe stellt man nach Büch’s Vorschlag das Stethoskop 
unterhalb des Leberrandes auf den Magen, dessen untere 
Grenze man bereits vorher bestimmt hat, und percutirt gegen 
die vermuthete kleine Curvatur hin, bis man deren Grenze 
findet. Bei dem percutorischen Nachweise der linken Magen¬ 
grenze muß nach der Vorschrift Buch’s über den Rippen sehr 
leise percutirt werden, da sonst auch jenseits der Grenze 
noch Magenschall gehört wird, weil, wie Büch hervorhebt, 
der Knochen den Anschlag auf größere Strecken überträgt. 

Die Untersuchung ist, wie ich mich überzeugen konnte, 
ungemein leicht ausführbar, ihre Erlernung und Einübung 
nimmt nur sehr geringe Zeit in Anspruch und sie belästigt, 
was bei der so häufig vorkommenden Empfindlichkeit der 


Patienten gewiß auch nicht ohne Bedeutung ist, den Kranken 
durchaus nicht. 

Auch ich übe seit längerer Zeit diese Methode und 
habe, wie Buch es that, wiederholt von meinen Hörern diese 
Untersuchung mit verbundenen Augen ausführen lassen. Ich 
war geradezu überrascht von der außerordentlichen Exaetheit, 
mit der man die Magengrenzen bestimmen kann. 

Hiebei bediente ich mich zuweilen eines in neuester 
Zeit von Hofmann 10 ) für diese Zwecke construirten eigenen 
Percussionshamraers, welcher mit einer Hand zu dirigiren 
ist. Dieser Apparat besteht aus der Verbindung eines Plessi¬ 
meters mit einem einfachen Percussionshammer. Das Plessi¬ 
meter ist aus Hartgummi hergestellt und mit einer Lage 
von Weichgummi überzogen. Der Percussionshammer hat die 
Gestalt eines Clavierhammers. Der Hammerstiel stellt einen 
zweiarmigen Hebel dar, an dessen Vorderarm der Hammer¬ 
kopf sich befindet, welcher durch eine Feder auf das Plessi¬ 
meter niedergedrückt wird. Am anderen Ende des Hammers 
befindet sich unter dem Handgriffe eine einfache Vorrichtung, 
welche mittelst Uebertragung des Fingerdruckes das Heben 
und Fallenlassen des Hammerkopfes auf das Plessimeter auf 
die leichteste Weise ermöglicht. 

Das Instrument bietet den nicht zu unterschätzenden 
Vortheil, daß man die Untersuchung ohne fremde Beihilfe 
vornehmen kann, indem man nämlich mit der einen Hand 
das Stethoskop fixirt und mit der anderen percutirt. Man 
kann sich aber auch mit dem gewöhnlichen Instrumentarium 
behelfen, indem man das Stethoskop durch den Patienten 
fixiren läßt. 

Ich war überrascht von der Genauigkeit und von der 
Uebereinstimmung in den Resultaten, welche ich auf diese 
Weise gewinnen konnte, so daß ich mich entschloß, diese 
Methode auch weiter zu üben. 

Mittelst der Palpation kann man mitunter auch Plätscher¬ 
geräusche nachweisen, welche durch das stoßweise Aufdrücken 
der Hände auf die Magengegend hervorgerufen werden. Be¬ 
züglich ihrer Dignität werden die Plätschergeräusche ver¬ 
schieden beurtheilt, je nach dem Standpunkte, den der be¬ 
treffende Untersucher einnimmt. 

Wenn man, wie beispielsweise Elsner n ) unter Atonie 
nur die motorische Insufficienz versteht, so wird das Plätscher¬ 
geräusch eine weit untergeordnetere Rolle in der Diagnostik 
spielen, als wenn man mit diesem Namen lediglich den Mangel 
an entsprechender Contractilität des Magens bezeichnet. 

Während der genannte Autor auf dem Standpunkte 
steht, daß Atonie des Magens mit motorischer Insufficienz 
identisch sein müsse, und das Plätschergeräusch mit Rück¬ 
sicht auf die Diagnose der in Rede stehenden Affection als 
an sich gleichgiltige Erscheinung bezeichnet, deren praktischer 
Werth ein verschwindend geringer sei, vertreten andere 
hervorragende Autoren eine gegentheilige Anschauung, so 
Stiller 12 ), Volland 1S ), Schülk u ), Kuttner 16 ) u. A. 

Mein Standpunkt bezüglich der Plätschergeräusche ist 
folgender: Plätschergeräusche treten im Magen dann auf, 
wenn Luft und Flüssigkeit in demselben vorhanden sind, 
und sie werden umso leichter hervorzurufen sein, je mehr 
der Magen der untersuchenden Hand zugänglich ist, also 
bei Ptose des Magens, ferner, wenn die Spannung der Bauch- 
deckenmusculatur nachgelassen hat. Die Plätschergeräusche 
dienen in diesen Fällen dazu, um annähernd Lage und 
Größe des Magens zu bestimmen, und für die Zwecke der 
Praxis ist auch dieses höchst einfache Verfahren zu empfehlen. 

10 ) Hopmann, Ueber auscultatorische Percussion. „Münch, med. Wschr.“, 

1901, Nr. 35. 

u ) Elsner, „Berliner klin. Wochenschr.“, 1901, Nr. 16. 

la ) Stiller, Die stigmatische Bedeutung der Costa decima fluctuans. 
Archiv f. Verdauungskrankheiten. Bd. VII, Heft 4—5. — Stiller, „Berliner 
klin. Wochenschr.“, 1899, Nr. 35, 39 und 50. 

13 ) Voland, Ibidem, 1901, Nr. 43. 

14 ) Schüle, „Archiv f. Verdauungskrankheiten“, Bd. VII, Heft 4—5. 

n ) Küttner, „Berliner klin. Wochenschr.“, 1899. 


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Um die Plätschergeräusche des Magens von denen des 
Darmes genau abzugrenzen, kann man sich ebenfalls des Ver¬ 
fahrens der gleichzeitigen Auscultation und Percussion bedienen. 
Man setzt das Stethoskop oberhalb des TüAüBE’schen Raumes 
auf und sucht durch Palpation Plätschergeräusche hervorzu¬ 
rufen. Man wird dann deutlich einen anderen Klang hören, 
wenn man den Magen palpirt, als wenn man über denselben 
hinausgeht. 

Wenn man Plätschergeräusche zu einer Zeit noch wahr¬ 
nehmen kann, zu welcher der Magen bereits entleert sein 
sollte, so bieten sie nur den Vortheil, daß man daraus den 
Schluß ziehen kann, daß der Magen sich langsam entleert; 
sonst aber läßt sich daraus nichts entnehmen. Ich glaube, 
daß in dieser Fassung das Heranziehen der Plätschergeräusche 
zu diagnostischen Zwecken vollkommen einwandfrei ist — 
man darf eben nicht zuviel von einem Symptom verlangen. 

Nun ist es klar, daß Plätschergeräusche während der 
Digestion bei einem atonischen Magen leichter entstehen 
können als bei einem Magen, welcher sich energisch um 
seinen Inhalt zusammenzieht. Insoferne hat Volland recht, 
daß man, wenn laute Plätschergeräusche etwas Normales 
wären, bei marschirenden Truppen oder im Ballsaale ganz 
außerordentlich laute Plätschergeräusche hören müßte. 

Die Bestimmung der Plätschergeräusche bedeutet also 
eine werthvolle Ergänzung der anderen Untersuchungs¬ 
methoden und eine außerordentlich brauchbare Orientirung 
für den ersten Moment, wenn sie selbstverständlich auch 
nicht in der Lage ist, alle anderen Untersuchungsmethoden 
überflüssig zu machen. 

Eine bei weitem zuverlässigere Untersuchungsmethode 
für die motorische Leistungsfähigkeit des Magens ist die von 
Leube empfohlene Ausheberungsmethode. Wir wissen, daß 
die Probemahlzeit nach Leube-Riegel in etwa 6 — 7 Stunden 
aus dem Magen entleert sein soll. Wenn wir somit nach 
dieser Zeit den Magen aushebern und keinen Rückstand mehr 
finden, so ist der Magen motorisch leistungsfähig; wenn wir 
ein Residuum vorfinden, dann ist er motorisch insufficient, 
und zwar umsomehr insufficient, je größer der im Magen 
zurückgebliebene Rest ist. 

Insoferne ist diese Methode genauer und werthvoller 
als die Untersuchungsmetbode mittelst der Plätschergeräusche. 
Die Plätschergeräusche können nämlich absolut keinen Anhalts¬ 
punkt für die Größe des Mageninhaltes geben, denn sie sind 
mitunter sehr laut bei Vorhandensein von geringen Mengen 
flüssigen Inhaltes, und in einem anderen Falle sind die Plätscher¬ 
geräusche wenig intensiv, trotzdem im Magen ein ziemlich 
bedeutender Rückstand enthalten ist. 

Die erwähnten Methoden sind meines Erachtens für die 
Praxis eigentlich vollkommen ausreichend. Man hat zwar 
gegen dieselben den Ein wand erhoben, daß man durch die 
Ausheberung nicht den ganzen Mageninhalt erhalte und ein 
Theil wenigstens immer zurückbleibe, und man hat deshalb 
nach anderen Methoden gesucht, die zuverlässigere Resultate 
ergeben sollten. Es wurden noch genauere Methoden angegeben 
und empfohlen, die ich ja für klinische Zwecke für außer¬ 
ordentlich brauchbar ansehe, die aber für die Praxis im 
Allgemeinen entbehrlich sind. Nach Mathieü-Remond hebert 
man den Patienten nach einer bestimmten Zeit aus und 
notirt die ausgeheberte Menge, sowie die Acidität derselben. 
Darauf läßt man ein bestimmtes, genau abgemessenes Quantum 
Wasser in den Magen hineinfließen und hebt und senkt 
wiederholt den Trichter, damit man eine innige Mischung 
des Wassers mit der im Magen enthaltenen Flüssigkeit zu¬ 
stande bringe. Dann läßt man so viel als möglich abfließen 
und bestimmt nunmehr die Acidität des herausbekommenen 
Quantums. Aus den auf diese Weise erhaltenen Factoren 
läßt sich mit Leichtigkeit durch einfache Rechnung der Rest, 
der nach der ersten Ausheberung im Magen verblieben ist, 
bestimmen. 


Ein ähnliches Verfahren ist das von Strauss angegebene. 
Es ist nur dadurch von dem eben beschriebenen unterschieden, 
daß Strauss nicht die Acidität, sondern das specifische Ge¬ 
wicht des herausbeförderten Mageninhaltes und des mit Wasser 
versetzten Restes bestimmt. 

In neuester Zeit hat Schüle 1c ) eine Methode veröffent¬ 
licht, die eine Modification des LEUBR’schen Verfahrens dar¬ 
stellt und auf der Berechnung des Trockenrückstandes be¬ 
ruht. Sie besteht darin, daß der Magen l Stunde nach dem 
Probefrühstück, bezw. 3 Stunden nach einer bestimmten Probe¬ 
mahlzeit sorgfältig ausgespült wird. Bei normaler motorischer 
Kraft wiegt der feste Rückstand 1—5 Grm. 

Ich kann auf alle diese Methoden, welche eine werth¬ 
volle Bereicherung für die Klinik, für die wissenschaftliche 
Untersuchung darstellen, hier nicht besonders eingehen ; für 
die praktischen Zwecke sind sie entbehrlich. In der Praxis 
können wir mit Leube’s Verfahren, mit der Ausheberung 
nach einem bestimmten Probemittagmahl, bezw. Probefrühstück 
(nach Boas) unser Auslangen finden. Wenn der Magen 
2 Stunden nach einem Probefrühstück oder 7 Stunden nach 
einer Probemittagmahlzeit leer ist, so ist die motorische 
Thätigkeit desselben intact, andernfalls besteht motorische 
Insufficienz. 

Andere Methoden zur Untersuchung sind die von Klemperer 
angegebene sogenannte Oelprobe und die von Ewald-Sievers 
beschriebene Salolprobe. 

Die KLEMPERER’sche Methode beruht auf dem Umstande, 
daß Fett im Magen nicht resorbirt und fast gar nicht verändert 
wird. Man kann somit ein Maß für die Entleerung des Magens 
bekommen, wenn man eine bestimmte Menge Oel in den 
Magen bringt und denselben nach einiger Zeit aushebert. 

Die Salolprobe hat man zur Bestimmung der Motilität 
herangezogen, auf Grund der Eigenthümlichkeit des Salols, 
sich nicht im sauren Magensafte, sondern erst im alkalischen 
Darmsafte zu spalten. Die im Harne ausgeschiedene Salicyl- 
säure kann durch Eisenchloridlösung leicht nachgewiesen 
werden, und es soll 1 Grm. Salol 40—-75 Minuten nach der 
Einnahme im Harne nachweisbar sein. Doch sind gegen die 
Brauchbarkeit dieser Methode von vielen Seiten, so von 
Brunner, Reale und Grande, Heinrich Stein, J. Päl u. A. ge¬ 
wichtige Einwände erhoben worden. So hat beispielsweise der 
Umstand, daß das Salol auch im Magen, insbesondere bei 
Anwesenheit von Schleim gespalten wird, den Werth dieser 
Methode erheblich eingeschränkt. Da nun aber die Salolprobe 
nicht nur von den Motilitätsverhältnissen des Magens (abge¬ 
sehen von eventuellem Vorhandensein größerer Schleimmassen), 
sondern auch von den Resorptionsverhältnissen des Darmes 
abhängt, ist sie zur Beurtheilung der Motilität an und für 
sich nicht genügend und daher auch nicht als besonders 
brauchbar zu empfehlen, wenn man sie auch immerhin zur 
Ergänzung der anderen Untersuchungen heranziehen kann. 

Was den Chemismus des Magens anlangt, so ergibt die 
chemische Untersuchung des Mageninhaltes wechselnde Resul¬ 
tate ; mitunter zeigt sich kein abnormer Befund, in anderen 
Fällen wieder erscheint die Acidität herabgesetzt. Relativ 
häufig jedoch besteht Hypersecretion bei Atonia ventriculi, 
auf welche Fälle insbesondere Bouveret aufmerksam gemacht 
hat. Im Allgemeinen werden die Störungen des Chemismus 
von den jeweiligen Complicationen abhängig sein. 

Nachdem wir nunmehr die Untersuchungsmethoden der 
Magenatonie besprochen haben, wenigstens soweit sie für 
den praktischen Arzt in Betracht kommen, hätten wir noch 
die Therapie dieses Leidens einer Erörterung zu unterziehen. 

Welche Momente hat die Therapie besonders ins Auge 
zu fassen? 

Vor Allem kommt als wichtigstes Moment die Ent¬ 
stehungsursache in Betracht. 


16 ) Schüle, Fortschritte der Medicin, 1901, Nr. 18. 


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Nr. 7. 


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Da nach meiner Auffassung vor Allem der intraabdomi¬ 
nelle Druck, bezw. seine Herabsetzung, somit der Erschlaffungs- 
zustand der Bauchwand in erster Linie für die Entstehung 
dieser Krankheit verantwortlich zu machen ist, so muß auch 
bei der Therapie in erster Linie denjenigen Behandlungs¬ 
methoden das Uebergewicht eingeräumt werden, welche geeignet 
sind, die Schwächezüstände der Bauch wand zu beheben und 
somit den intraabdominellen Druck zu steigern. 

Diese Methoden sind: die Massage, die Gymnastik, die 
elektrische Behandlung und die Hydrotherapie. 

Dann haben wir jene Momente zu berücksichtigen, welche 
die Autointoxication zu bekämpfen vermögen, das sind eine 
geeignete Diät und eine entsprechende antifermentative Medi- 
cation. 

Soweit die Autointoxication in Frage kommt, wissen 
wir, daß der vegetabilischen Diät gewissermaßen der Vorzug 
vor der animalischen gebührt, weil erstere weniger Veran¬ 
lassung zur Autointoxication vom Darme aus gibt als die 
letztere. 

Doch haben uns einschlägige Untersuchungen gelehrt, 
daß es nicht nothwendig ist, rein vegetabilische Kost genießen 
zu lassen, es genügt vielmehr, den animalischen Stoffen ent¬ 
sprechende Mengen von Vegetabilien beizumischen. 

Von Medicamenten, welchen ein antifermentativer Einfluß 
zuzuschreiben ist, möchte ich das Kreosot, Kreosotal, Resorcin, 
Ammonium sulfoichthyolicum und Menthol nennen. 

Ich bin mir dessen wohl bewußt, daß man nicht im¬ 
stande ist, den Magen oder Darm zu desinficiren, warum 
also geben wir dann dennoch Antifermentativa ? 

Jeder, der sich mit Gährungs- und Fäulnißvorgängen 
beschäftigt hat, wird wissen, wie oft eine geringfügige Stö¬ 
rung genügt, um gewisse Gährungen aufzuhalten ; und solchen 
Gährungen entgegenzutreten, sind wir in vielen Fällen durch 
die Darreichung von antifermentativen Mitteln imstande. 

Es wäre nun noch des doppeltkohlensauren Natrons Er¬ 
wähnung zu thun , dessen wir uns häufig bedienen , dessen 
Darreichung in hohen Dosen Pfungen empfohlen hat. Dasselbe 
ist vor Allem in den so häufig vorkommenden Fällen indi- 
cirt, die mit starker Säurebildung und Hypersecretion ver¬ 
bunden sind. 

Von den physikalischen Behandlungsmethoden, die ich 
eingangs genannt habe, empfehle ich vor Allem die Massage, 
weil sie wie keine andere geeignet ist, in erster Linie auf 
die motorischen Functionen, insbesondere des Darmes zu 
wirken, und weil sie vor Allem imstande ist. den Tonus der 
Bauchwand zu kräftigen. 

Das Gleiche gilt von der Gymnastik. Nur werden wir 
bei der Behandlung der Atonie vornehmlich jene Uebungen 
heranziehen, welche hauptsächlich darauf gerichtet sind, die 
Musculatur des Rumpfes zu kräftigen. Diese sind: 

1. Das Erheben des Oberkörpers aus der horizontalen 
Lage mit unter den Kopf gelegten Händen, eine Uebung, die 
bis zur beginnenden Erschöpfung zu wiederholen ist. Falls 
die Patienten zu schwach sind , diese Uebung allein auszu¬ 
führen , muß man zur Ermöglichung derselben die Füße der 
Patienten durch einen leichten Druck fixiren. Späterhin können 
die Patienten diese Bewegung ausführen, ohne daß man ihnen 
in dieser Weise hiebei behilflich sein müßte. 

2. Die zweite Uebung, die ich vornehmen lasse, besteht 
darin, daß der Patient auf einer festen horizontalen Unter¬ 
lage liegt und die Beine im Knie gestreckt gleichzeitig aus 
der Horizontale in die Verticale erbebt, dann wieder senkt, 
wieder erhebt und dies einigemale wiederholt, ohne die Unter¬ 
lage mit den Fersen zu berühren. Das ist ebenfalls eine 
Uebung, die darauf hinzielt, die Musculatur des Rumpfes sehr 
zu kräftigen. 

Ebensolche Bewegungen können selbstverständlich mit 
Zuhilfenahme entsprechender Apparate vorgenommen werden, 
und man kann auf gleiche Weise durch die Apparatotherapie 
auf die Erhöhung des Tonus im Abdomen einwirken. 


Was die elektrische Behandlung anbelangt, so bediene 
ich mich der Faradisation, der ich vor der Galvanisation den 
Vorzug einräume. Ich verwende die Faradisation entweder in 
Form der faradischen Rolle, so daß eine 10 Cm. lange und 
5 Cm. breite Elektrode auf das Hypogastrium aufgelegt und 
die andere, als Massirrclle armirte Elektrode kräftig über das 
Abdomen gestrichen wird, oder wir nehmen zwei ganz gleich 
große Elektroden von 10 Cm. Länge und 5 Cm. Breite mit 
Griffen, die eine wird über dem linken Hypochondrium, die 
andere in der Magengegend aufgelegt, dann wird die secun- 
däre Rolle des Inductionsapparates rasch hin und her bewegt, 
der primären genähert und von derselben entfernt, wodurch 
man kräftige Contractionen und Erschlaffungen der Bauch¬ 
wandung erhält. Dieses Verfahren ist besonders geeignet, den 
Tonus der Musculatur zu heben. Dann wechselt man die Stellen, 
legt die Elektroden an anderen Partien des Abdomens an und 
verfährt in gleicher Weise. 

Bei der Bestimmung der Diät der Atoniker muß in erster 
Linie individualisirt werden, denn es gibt keine allgemeine 
Diätregel, die für alle Atoniker geeignet wäre, ebenso wie es 
keine allgemeine Diät für sämmtliche Magenkatarrhe gibt. 
Im Allgemeinen werden wir bei schweren Insufficienzen moto¬ 
rischer Art der breiigen Kost den Vorzug geben. Woferne 
die motorische Insufficienz nur geringeren Grades ist, lasse 
ich einfach gemischte Kost genießen mit Ausnahme von 
blähenden Speisen , wie Kohl, Gurken , Rettig; im übrigen 
lasse ich den Patienten gemischte Kost essen, anfangs in 
kleinen, dann in entsprechend größeren Quantitäten, und ich 
lege auch dort, wo ich mit breiiger Kost beginne, das Haupt¬ 
gewicht darauf, bald zur gemischten Kost iiberzugehen. Die 
Hauptsache ist, lieber öfter im Tage und nicht zu viel auf 
einmal genießen zu lassen. 

Emen Punkt der Discussion bildet noch immer das 
Trinken; immer noch gibt es Aerzte, die solchen Patienten 
die Flüssigkeitszufuhr gänzlich untersagen. 

Ich glaube, daß man diesbezüglich nicht zu strenge Vor¬ 
gehen soll; man kann meiner Meinung nach den Patienten 
ganz anstandslos den Genuß gewisser Mengen von Flüssigkeit, 
bis 2 Liter im Tage, gestatten. Ich lasse freilich ebensowenig 
den Magen literweise mit Flüssigkeit füllen, wie ich ihn denn 
auch mit festen Speisen auf einmal nicht überladen lasse, 
aber eine vollkommene Entziehung von Flüssigkeit halte ich 
für entschieden contraindicirt, weil wir dadurch direct Er¬ 
nährungsstörungen hervorrufen können. Ich glaube sogar, daß 
manche Patienten nur aus diesem Grunde nervös und besonders 
reizbar werden, weil sie bei solchem Regime von immerwähren¬ 
dem Durstgefühle geplagt sind und ihre Ernährung dar¬ 
niederliegt. 

Die Flüssigkeitsentziehung ist wenigstens nach meiner 
Ueberzeugung nur dort am Platze, wo höhergradige Hyper¬ 
ästhesie gegen Flüssigkeit vorhanden ist, wo die Kranken 
feste Nahrung ganz gut vertragen , dagegen Flüssigkeit er¬ 
brechen. Hierauf muß man Rücksicht nehmen und dem Mangel 
der Flüssigkeitsaufnahme per os dadurch begegnen, daß man 
die Flüssigkeit per rectum einführt, d. i. zu Nährklystieren 
als der zur Unterstützung der trockenen Diät nothwendigen 
Form der Flüssigkeitszufuhr Zuflucht nehmen. Ich empfehle 
die Verwendung solcher Klystiere, welche reichlich Flüssig¬ 
keit enthalten, und gebe dementsprechend mit Vorliebe Bouillon- 
klystiere. Man kann sich leicht überzeugen, daß man hiedurch 
größere Mengen von Flüssigkeit zur Resorption bringen, der 
Wasserverarmung des Organismus wesentlich entgegenarbeiten, 
ja sogar diese verhüten kann. Unter dem beschriebenen Regime 
wird es wohl in vielen Fällen gelingen, die Krankheit ent¬ 
weder zu beheben oder sie wenigstens wesentlich zu bessern., 
den Zustand der Kranken erträglich zu machen. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 7. 


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Referate. 

Wilms (Leipzig): Studien zur Pathologie der Ver¬ 
brennung. Die Ursache des Todes nach aus¬ 
gedehnter Hautverbrennung. 

Bei dem Studium der Pathologie der Verbrennung ist Verf. 
zu der Ansieht gelaugt, daß man das Ergebniß des Thier¬ 
experimentes nicht ohneweitere auf den Menschen anwenden kann, 
weil der Bau der Haut bei Thier und Mensch große Differenzen 
aufweist. Er hat sieh daher zur Aufgabe gemacht, auf der Klinik 
Mikulicz die Fälle von Verbrennungen klinisch genau zu be¬ 
obachten und ausgiebige Untersuchungen über die einzelnen Störungen 
und Erscheinungen, die bei den mit Verbrennungen behafteten Pat. 
auftraten, anzustellen. Auf Grund dieser Untersuchungen bespricht 
Verf. („Mitth. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir.“, Bd. 8, Nr. 4 u. 5) 
die verschiedenen Theorien, die über den Tod nach Verbrennung 
aufgestellt wurden, und kommt zu dem Schlüsse, daß keine der¬ 
selben (weder die Reflextheorie, noch die Theorie der Blutzerstörungen, 
noch die Wasserverarmung, noch die Intoxicationstheorie) für alle 
Fälle genüge. Nach Ansicht des Verf. seien es zwei Momente, 
welche den Tod herbeiführen, u. zw. bei Verbrennungen III. Grades 
die Intoxication mit den Eiweiß - Zerfallsproducten, bei Ver¬ 
brennungen II. Grades hauptsächlich der große Plasmaverlust, den 
der Körper erleidet. 

Die Consequenzen, die Verf. für die Therapie der Ver¬ 
brennungen aus seinen Beobachtungen zog, waren, der Resorption 
der toxischen Substanzen und der Wasserverarmung des Blutes 
entgegenzuwirken. Die Wunden wurden mit einem aseptischen 
Verband gedeckt, u. zw. in der Weise, daß auf die verbrannte 
Partie eine einfache Lage steriler Gaze kam und erst darüber der 
gewöhnliche, trockene aseptische Verband angelegt wurde. Beim 
Verbandwechsel blieb die unterste Lage stets auf der Wunde liegen, 
während die oberen Lagen, je nach der Durchtränkung desselben, 
einmal oder mehrmals gewechselt wurden. Die untere Lage blieb 
5—7 Tage liegen und wurde dann im Bade entfernt. Der zweite 
Verband wurde in ähnlicher Weise angelegt. Auf diese Art gelang 
es, den Verbandwechsel möglichst schmerzlos auszuführen. Verf. ver¬ 
suchte anfangs auch schmerzlindernde Mittel (Orthoform) anzuwenden, 
dies hat sich aber als unzweckmäßig erwiesen, und er zog es vor, 
kleine Dosen Morphin subcutan zu injiciren. 

Außerdem hat Verf. die Pat., die gewöhnlich über starken 
Durst klagten,, viel Wasser oder leichtes Bier, Kaffee, Thee etc. 
trinken lassen. Er wollte dadurch nicht nur der Wasserverarmung 
Vorbeugen, sondern auch eine starke Secretion und reichliche Harn¬ 
entleerung erzeugen und möglichst schnell die toxischen Substanzen 
aus dem Körper entfernen. Im Uebrigen sind die Pat. warm zu 
halten, da sonst eine starke Abkühlung durch die enorme Secretion 
der Körperoberfläche statthat, die den Collaps begünstigt. Bei ein¬ 
getretenem Collaps hat Verf. von Coffein als Analepticum den 
besten Erfolg gesehen. Erdheim. 

Aichel (Erlangen): Die Beurtheilung des Wochenbettes 
nach der Pulszahl. 

Wenn man die Pulsfrequenz zur Beurtheilung des Wochen¬ 
bettes heranziehen will, dann muß man („Münch, med. Wsehr.“, 
1901, Nr. 47) auch die Pulszahl der Wöchnerin in den letzten 
4—6 Wochen der Schwangerschaft (und während der Geburt) 
kennen. Dieses Piincip hat Verf. an 130 Schwangeren der Er¬ 
langer Klinik durchgeführt. Es ergab sich, daß fast in allen Fällen 
eine Erhöhung der Pulsfrequenz während der Geburt stattfindet, 
welche bei Erstgebärenden stärker ist als bei Mehrgebärenden ; 
die Pulscurve kehrt dann im gesund verlaufenden Wochenbett all- 
mälig zur Höhe der Schwangerschaftscurve zurück; je eher im 
Wochenbett die Pulszahl sinkt, desto größer ist die Gewähr, daß 
wir eine gesunde Wöchnerin vor uns haben. Hatte die Wöchnerin 
schon in der Schwangerschaft dauernd einen erhöhten Puls, z. B. 
infolge von Chlorose oder anderen chronischen Krankheiten, so 
wird die Beschleunigung des Pulses im Wochenbett im Allgemeinen 
keine Bedeutung haben. Die Beobachtung der Pulszahl einer Wöch¬ 


nerin bietet somit nur dann ein sicheres Mittel zur Beurtheilung 
ihres Zustandes, wenn ihre Pulszahl vor Beginn der Geburt be¬ 
kannt war. Ein hoher Puls im Wochenbett beweist im Allgemeinen 
nicht das Vorhandensein einer Krankheit, eine geringe Pulszahl 
schließt sie nicht aus. Antwortet der Puls auf die geringste Er¬ 
krankung durch Zahlvermehrung, so ist eine Wöchnerin nur dann 
als gesund zu betrachten, wenn in den ersten Wochenbettstagen 
die Pulszahl auf die Zahl des Pulses in der Schwangerschaft sinkt. 
Umgekehrt ist eine fieberhaft erkrankte Wöchnerin erst dann als 
gesund anzusehen, wenn neben der Körperwärme auch der Puls 
zur ursprünglichen Zahl zurückgekehrt ist. Ist der Puls im Wochen¬ 
bett frequenter als in der Schwangerschaft, so müssen wir stets 
das Vorhandensein von Krankheitskeimen verrauthen, auch wenn 
die Körperwärme sich ordnungsgemäß verhält. Es sollte daher 
der Arzt, resp. die Hebamme schon bei jeder Schwangeren, soweit 
möglich, die Pulszahl feststellen. Das Princip, Durchschnittszahlen 
auf dem Wege der Statistik zu gewinnen, ist also falsch; man 
muß vielmehr bei jeder Wöchnerin die Pulszahl im letzten Monat 
der Schwangerschaft mit der Pulszahl im Wochenbette vergleichen. 

L. 

H. Gebhard (Lübeck): Maßnahmen zur Ergänzung der 
durch Unterbringung in Heilstätten geübten 
Vorsorge für Lungenkranke. 

Die dringendsten Maßnahmen, um die Verschickung von 
Lungenkranken durch die Invaliden-Versicherungsanstalten zu er¬ 
gänzen (selbstverständlich die Aufgabe nicht erschöpfend), lauten 
(„Berl. klin. Wsehr.“, 1902, Nr. 3): 

Ausdehnung der Befugniß der Versicherungsanstalten, das 
Heilverfahren für Lungenkranke einzuleiten, auf die Angehörigen 
der Versicherten, soweit der § 45 des Invalidenversicherungsgesetzes 
dazu Raum gibt; soweit dies nicht der Fall ist, Schaffung von 
Heilstätten für die Angehörigen der Mindestbemittelten durch Wohl¬ 
fahrtsvereine. 

Zusammenwirken der die Verschickung von Lungenkranken 
in Heilstätten besorgenden Stellen (Iuvalidenversicherungsanstalten,' 
Wohlfahrtsvereine) mit den für die Handhabung der hygienischen 
Fürsorge im Allgemeinen zuständigen Stellen dergestalt, daß wenn 
aus Anlaß von Anträgen auf Verschickung Kranker das Vorhan¬ 
densein von Tubereulose festgestellt ist, die gründliche und dauer¬ 
hafte Reinigung und Desinficirung der inficirten Räume und Fahrnisse 
bewerkstelligt wird. 

Versorgung solcher Familien, in welchen sich an Tuberculose 
erkrankte Personen befinden, mit Wohnungen, welche die Möglich¬ 
keit einer größeren räumlichen Trennung der Erkrankten von den 
Mitbewohnern (Familienangehörigen) bieten, als sie die Wohnungen 
der Minderbemittelten im Allgemeinen gewähren, und Aufsichtfüh¬ 
rung darüber, daß alsdann die geräumigere Wohnung auch dauernd 
zu dem vorgeschriebenen Zwecke verwendet wird. B. 

Otto von Franque (Würzburg): Uterusabsceß und Me- 
tritis dissecans. 

Von einem Falle seiner Beobachtung ausgehend, bei welchem 
diese beiden seltenen Erkrankungen zusammentrafen, bespricht 
Fr. unter kritischer Verwerthung der Literatur zunächst die Me- 
tritis dissecans. 

Bei dieser ist die intra partum erfolgte Infection das haupt¬ 
sächlichste ätiologische Moment. Die operative Beendigung der Ge¬ 
burt, wobei sowohl die gesteigerte Infectionsmöglichkeit, als auch 
mechanische Insulte in Betracht kommen, ist hiebei ein prädispo- 
nirender Factor. An die Geburt schließt sich meist ein schweres, 
noch fieberhaftes Wochenbett, worauf durchschnittlich in der vierten 
Woche nekrotische Gewebsstücke unter raschem Abfall der Tem¬ 
peratur ausgestoßen werden. Langdauernde Vergrößerung, Empfind¬ 
lichkeit und Härte des Uterus, Hochstand der Cervix infolge der 
entstandenen Verwachsungen, mißfärbiges, übelriechendes Lochial- 
secret, häufig Oedem des Dammes und der großen Labien als 
Folge der in den Beckenvenen fortgeleiteten Thrombose sind die 
klinischen, wenn auch keineswegs immer eindeutigen Symptome. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 7. 


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Die Mortalität ist nach Beckmann 27 j / 3 °/ 0 ; bei den schließlich 
genesenen Patientinnen ist Atrophie oder Obliteration des Uterus nicht 
selten. Therapeutisch tritt Fr. für ein rein exspectatives Ver¬ 
fahren ein. 

Bezüglich des Uterusabscesses sind 15 vollkommen einwands- 
freie Fälle zusamraengestellt. Schon dies beweist, daß der Uterus- 
absceß eine seltene Erkrankung ist, als isolirter, ein Krankheits¬ 
bild sui generis bedingender Befand aber geradezu eine Rarität 
darstellt (6 Fälle). Für seine Entstehung kommen sowohl die 
puerperale, wie gonorrhoische, tuberculöse und die gewöhnliche 
Wundinfection in Betracht. Der Verlauf der puerperalen Formen 
fällt mit dem des Puerperalfiebers zusammen, während die gonor¬ 
rhoischen Uterusabscesse chronisch verlaufen können. Objectiv tritt 
die gesteigerte Druckempfindlichkeit und die Vergrößerung des 
Uterus in den Vordergrund. Durchbrüche erfolgen in die Uterus¬ 
höhle, ins Rectum und in die freie Bauchhöhle. Differentialdiagno¬ 
stisch kommt die leichte Verwechslung mit Eiterherden in der Nach¬ 
barschaft des Uterus, insbesondere mit dem ja sehr viel häufigeren 
Pyosalpinx in Betracht, ferner die Pyometra, insbesondere die 
Pyometra lateralis, sowie Myome, namentlich solche, die puerperale 
Vereiterung zeigen. Die Prognose ist eine dubiose; therapeutisch 
wird in seltenen Fällen die Eröffnung und Drainage von der 
Scheide oder vom Cavum uteri aus möglich sein; meist wird die 
Laparotomie, welche allein die nöthige vollkommene Uebersicht 
und ein conservatives Vorgehen gestattet, als Operation der Wahl 
zu machen sein. Fjscher. 

Senator (Berlin): Ueber Anaemia splenica mit Ascites 
(BANTi’sche Krankheit). 

Banti beschreibt 3 Stadien der in Rede stehenden Krankheit, 
nämlich 1. ein anämisches Stadium, in welchem nur Milzschwellung 
und Anämie vorhanden ist, und zwar soll die Milzschwellung der 
Anämie vorangehen, die primäre und erste Krankheitserscheinung 
sein. Dieses Stadium dauert 3—5 Jahre, zuweilen aber auch 10 
bis 11 Jahre. Ihm folgt 2. ein Uebergangsstadium, in welchem der 
Harn sparsamer wird, reichlich Urate, Urobilin und manchmal auch 
Spuren von Gallenpigment enthält. Es dauert nur einige Monate 
und geht in das 3., ascitische Stadium über. Der Ascites entwickelt 
sich langsam und schmerzlos, alle Symptome der Anämie werden 
schlimmer, Abends ist öfters die Temperatur etwas erhöht. Das 
Blut zeigt zunehmende Verminderung der rothen Körperchen und 
des Hämoglobins, während die weißen Blutzellen in leichtem Grade 
vermehrt sind. Der Tod tritt nach einer Dauer dieses Stadiums 
von 5—7 Monaten, selten einem Jahre ein. („Berl. klin. Wschr.“, 
1901, Nr. 46.) 

Die Vergrößerung der Milz beruht auf einer Veränderung, 
die als „Fibroadenie“ zu bezeichnen ist. Im Gentrum der Follikel 
rings um die Arterie findet sich nämlicii eine Zone gewucherten 
Bindegewebes. In der Pulpa zeigen im 1. Stadium die Venen eine 
Auskleidung mit großen Zellen, so daß sie fast wie Epithelcanäle 
aussehen. Aehnliche Zellen finden sich in dem die Vene umgeben¬ 
den Reticulum. Schließlich kann die Pulpa ganz eine fibröse Um¬ 
wandlung erfahren. In der Milzvene und in der Pfortader von der 
Einmündung der Milzvene bis zur Leber ist die Intima mit derben 
erhabenen Plättchen bedeckt, die alle Merkmale der atheromatösen 
und sklerotischen Partien der Aorta aufweisen. In der Leber fand 
B. ringförmige Cirrhose, ausgehend von den interlobulären Räumen 
in die Aeste der Vena portae und sich in die Interlobularspalten 
erstreckend. Im Milzsafte fehlten kernhaltige rothe Blutkörperchen, 
im Knochenmarke fand sich fötales Mark. Lymphdrüsenschwellungen 
fehlten. B. nahm an , daß die Milz der ursprüngliche Sitz der 
Affcction sei und hält die Krankheit für infectiösen Ursprungs. Daß 
der Verdauungscanal der Ausgangspunkt der Affection ist, dafür 
läßt sich vielleicht der Umstand geltend machen, daß Verdauungs¬ 
störungen, besonders Diarrhoen, im Beginne nachweisbar sind. 

Für die Behandlung wird die Splenectomie, deren Gefahren 
wegen der Neigung zu Blutungen, wegen Verwachsungen des 
vergrößerten Organes keineswegs zu unterschätzen sind, doch mehr 
als bisher in Berücksichtigung zu ziehen sein. Die sonstige Behand¬ 


lung ist die bekannte, bei schweren Anämien und Leukämien 
übliche, d. h. die Herbeiführung möglichst günstiger hygienischer 
und diätetischer Verhältnisse, der innere und subcutane Gebrauch 
von Arsenik (oder kakodylsaurem Natron), von Eisen, Jod u. s. w. 

B. 

S. Simnitzky (St. Petersburg): Ueber den Einfluß der 
Gallenretention auf die secretorische Thätigkeit 
der Magendrüsen. 

Behufs klinischer Untersuchung wählte S. vornehmlich Fälle, 
von Icterus catarrhalis, und zwar aus dem Grunde, weil bei dieser 
Krankheit die Gelbsucht allmälig an Intensität zunimmt und dann, 
wieder zurückgeht. Stellt man nämlich Beobachtungen über den 
chemischen Bestand des Mageninhaltes an und vergleicht die ge¬ 
wonnenen Resultate mit dem Verlauf des Icterus, so kann man 
verfolgen, ob in der That die Gallenretention die Magenthätigkeit 
beeinflußt und welcher Art dieser Einfluß ist. Verf. untersuchte 
in dieser Weise den chemischen Bestand des Mageninhalts von 
12 Kranken (7 Fälle von Icterus catarrhalis, 1 Fall von Morbus 
Weili cum colica hepatica, 3 Fälle von hypertrophischer Leber- 
cirrhose und 1 Fall von Gelbsucht infolge Oompression de3 D. 
choledochus durch einen Pankreaskrebs). Im Ganzen wurden 
81 Analysen ausgeführt. Es wurde den Kranken nach dem Ewald- 
schen Probefrühstück (35 Grm. Weißbrod und 250 Ccm. dünnen 
Thee) der Mageninhalt ausgehebert und dann die freie HCl, die 
freie, an Eiweiß gebundene HCl, die Gesammtchlormenge und aus 
den Differenzen die an Eiweiß gebundene HCl. und die Chloride 
bestimmt. Die Gesammtacidität wurde durch 5 /, 0 Normalnatronlauge 
festgestellt, wobei Phenolphthalein als Indicator diente. 8. fand bei 
Gallenretention Hyperchlorhydrie des Mageninhaltes, die auf 
Steigerung der secretorischen Magenprocesse schließen läßt. Um 
diese Abhängigkeit der Magenfunction von der Gallenretention im 
Organismus genau festzustellen, wandte er sich sodann zum Thier¬ 
experimente. Auch dieses zeigte ihm, daß die Störungen der 
Secretion der Magendrüsen dem Gange der icterischen Erscheinungen 
entsprechen, und daß sie verschwinden, sobald die Behinderung 
des Gallenflusses fortfällt (klinische Beobachtung). Hieraus folgt un¬ 
mittelbar, daß eben die Gallenretention, resp. die Gallenintoxication 
des Organismus, jene hypersecretorischen Störungen der Magen¬ 
thätigkeit, welche in sämmtlichen Versuchen zur Beobachtung kamen, 
nach sich zieht. B. 


Kionka und Liebrecht (Jena): Ueber ein neues Baldrian¬ 
präparat (Valeriansäurediäthylamid). 

Das Valeriansäurediäthylamid CH :! . CH ;l . CH.,. CIL N (C 2 H ß ) ä 
stellt eine eigentümlich riechende, farblose, wasserklare Flüssigkeit 
dar von scharf brennendem Geschmackc. Im Ganzen wurden bisher 
mehr als 100 Patienten mit dem Präparate behandelt („Deutsche 
med. Wochensehr.“, 1901, Nr. 49). Die Kapseln wurden stets 
gern genommen. Das zuweilen einige Zeit nach dem Einnehmen 
aufiretende Aufstoßen, das als „fenchelartig“ oder „obstartig“ ge¬ 
schildert wird, ist weiter nicht unangenehm. Irgendwelche „Neben¬ 
wirkungen“ wurden bisher sonst nicht beobachtet, selbst nicht in 
einigen Fällen, in denen sehr große Mengen (8—10 Kapseln auf 
einmal, oder dreimal täglich 6 Kapseln) genommen wurden. Weit¬ 
aus in den meisten der mit dem Präparate behandelten Fälle wurde 
von den Aerzten über therapeutische Erfolge berichtet. Am besten 
bewährte sich das Präparat: 1. Bei Hysterie, selbst schweren 
Grades, auch Hysteria virilis. In einzelnen Fällen bestanden gleich¬ 
zeitig schwere Herzfehler, so daß die objectiv wahrnehmbare Besse¬ 
rung (resp. Heilung) der Hysterie ein wesentlicher Hcileffect war. 
Wiederholt ließ sich der erzielte Heilerfolg auch durch objective 
Beobachtungen feststellen. Hieran schließen sich einige Fälle von 
Neurasthenie und Hypochondrie, bei denen gleichfalls deutliche 
Besserungen gesehen wurden. 2. Bei traumatischen Neurosen, 
namentlich den auf Störungen in der Gefäßinnervation beruhenden 
Krankheitserscheinungen. 3. Bei gewissen, wohl durch die gleiche 
primäre Schädigung verursachten Formen von Hemikranie und 
Neuralgien, z. B. Ischias. Auch einzelne Fälle von Flimmerskotom 

2 * 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 7. 


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wurden mit gutem Erfolge behandelt. 4. Bei Störungen während 
der Menstruation. Hier wurden die Blutwallungen und Schmerzen 
im Unterleibe, fast regelmäßig auch die bestehenden Kopfschmerzen 
beseitigt, mitunter auch die Blutungen verringert. 5. Bei Beschwerden 
während des Klimakteriums (Ausfallserscheinungen) und während der 
Gravidität (Wallungen). Fliegende Hitze, Wallungen und Herz¬ 
klopfen wurden auch bei Patientinnen mit normaler Menstruation 
beseitigt. Nach allen diesen bisher vorliegenden Erfahrungen kann 
das Valeriansäurediäthylamid zur weiteren Prüfung bei den ge¬ 
nannten oder ähnlichen Krankheitsformen empfohlen werden. Das 
Präparat, welches unter dem Namen „Valyl“ dargestellt wird, ist 
im Handel nur in Gelatinekapseln (zu 0'125 Grm. mit der gleichen 
Menge Sebum ovile) eingeschlossen erhältlich. Man gibt von diesen 
Kapseln dreimal täglich 2—3 Stück, in hartnäckigen Fällen mehr: 
4 — 6 Stück. B. 

Karlinski (Magiaj, Bosnien): Zur Kenntniß der säure¬ 
festen Bakterien. 

Bekanntlich hat Sticker gelegentlich seines Aufenthaltes in 
Bombay den Nachweis führen können, daß die Schleimhaut des 
Nasenrachenraumes als eine wichtige, ja die wichtigste Infections- 
pforte bei der Lepra anzusehen ist. Karlinski untersuchte nun 
in einer größeren Zahl von Fällen den Nasenschleim und fand 
(„Centralbl. f. Bakteriologie, Parasitenkunde und Infectionskrank- 
heiten“, Bd. 29, H.12) in 19 Fällen unter 235 säurefeste Bacillen 
5mal bei Syphilis, 4mal bei Malaria, 2mal bei Schnupfen, lOmal 
bei gesunden Leuten). Diese Bacillen waren sowohl von den Tuber¬ 
kelbacillen, als auch von den Leprabacillen zu unterscheiden. Der 
Befund ist aber sehr bemerkenswerth und praktisch von großer 
Bedeutung, da er leicht bei unrichtiger Deutung, beziehungsweise 
bei Unkenntniß des Vorkommens von säurefesten Bacillen im Nasen¬ 
schleime Veranlassung zu Fehldiagnosen geben kann. Dr. S. 


Skalicka: Ueber die Vertheilung des Herpes Zoster. 

Der idiopathische Herpes Zoster ist eine Hautkrankheit, die 
in gewissen Zonen der einen oder anderen Körperhälfte localisirt 
ist. Diese Zonen correspondiren mit den peripheren Zonen der 
hinteren Rückenmarkswurzeln. Bei drei Kranken, die Verf. Gelegen¬ 
heit hatte auf der czechischen Poliklinik in Prag (Abth. des Prof. 
Thomayer) zu beobachten („Sbornik klinicky“, Bd. 3, H. 2), war 
diese Localisation eine evidente. Demzufolge ist Verf. derselben An¬ 
sicht wie Head und Campbel, daß die Ursache des Herpes Zoster 
in einer Läsion der hinteren Rückenmarkswurzeln zu suchen sei. 

Stock. 


Kleine Mittheilungen. 

— Ein neues Verfahren zur Behandlung der Kniescheiben¬ 
brüche erörtert Popper („Centralbl. f. Chir.“, 1901, Nr. 6). Zwei 
Heftpflasterstreifen von je 4—6 Cm. Breite und 50 Cm. Länge 
werden so zugeschnitten, daß sie sich an einem Ende pilzartig 
(bis 9 Cm.) verbreitern und in einem Bogen abschneiden, welcher 
ungefähr der oberen, resp. unteren Grenze der Patella entspricht. 
Das breite Stück des einen Streifens wird oben bis zur Quadri- 
cepsbursa incl., das des anderen unten auf die über der Tuberositas 
tibiae gelegene Haut fixirt. Dann macht man in den unteren 
Streifen in seiner Mitte einen Schlitz von wenigen Centimetern, 
durch den der obere Streifen durchgezogen wird. Durch kräftigen 
Zug an beiden Streifen werden jetzt die Fragmente adaptirt. Halbe 
Sitzstellung des Patienten und Lagerung des Beins auf einer 
schiefen Ebene dienen zur Entspannung von Ileopsoas und Quadri- 
ceps. Nach Ausgleich der Diastase wird die Bruchstelle noch durch 
einen 8 Cm. langen, 4 Cm. breiten Heftpflasterstreifen fixirt, der 
unter den beiden Heftpflasterstreifen quer durchgezogen wird. Dann 
werden die Hauptstreifen an Ober- und Unterschenkel völlig fest¬ 
geklebt, doch so, daß ihre Enden frei bleiben. Entsprechend den¬ 
selben werden zu ihrer Aufnahme zwei Gypsringe an Ober- und 
Unterschenkel angelegt, die gleichzeitig eine zur Streckung dienende 
gepolsterte Kniescheibe fixiren. Vom ersten Tage an werden die 


vom Verbände freigelassenen Seitenpartien des Gelenks leicht 
massirt. Nach 2—3 Wochen Abnahme der Gypsringe und Knie¬ 
schiene. Nach 3 Wochen wird auch das Pflaster entfernt und mit 
Massage des ganzen Gelenks begonnen. Passive und active Bewe¬ 
gungen. Die Methode eignet sich nur für frische Fälle. 

— Ueber Xeroform und seine Wirkung bei Ulcus corneae 
und anderen Augenkrankheitqn berichtet neben anderen Autoren 
Marcinowski („Ther. Monatsh.“), der ein schmieriges Ulcus, welches 
er 8 Tage lang mit Jodoform und anderen Mitteln erfolglos be¬ 
handelt hatte, durch Bestreuen mit Xeroform günstig beeinflußte. 
Bei Hornhautgeschwüren und anderea Augenleiden, wie Verletzungen 
verschiedener Art, nässenden Ekzemen, folliculärer und pustulöser 
Bindehautentzündung, Blennorrhoe, Frühlingskatarrh, leistet Xero¬ 
form nach Angabe von Friedland, Wicherkiewicz , Bock, Zirm 
und Herrnheiser glänzende Dienste. Gerühmt wird die Ungiftig¬ 
keit und Geruchlosigkeit des Xeroforms, wodurch es sich dem 
Jodoform gegenüber vortheilhaft auszeichnet. Angewandt wurde 
es als Pulver oder als 5- und 10°/ 0 ig e Salbe. 

— Eine neue forensisch wichtige Methode, FuBabdrÜCke 
ZU machen, beschreibt Timmer („Zeitschr. f. orthop. Chir. u , Bd. IX, 
H. 2). Man nehme zwei dicke Glasplatten, womöglich aus Spiegel¬ 
glas, eine Tintenrolle, ein wenig Druckfarbe guter Consistenz und 
Watte mit Talcum venetum. Auf die eine Glasplatte wird etwas 
Druckfarbe gethan und mit der Tintenrolle ausgerollt. Die Platte 
wird hiedurch mit einer gleichmäßigen dünnen Tintenschicht be¬ 
deckt. Auf die andere Platte legt man einen Bogen glattes Papier. 
Der Patient tritt nun zuerst auf die Platte mit der Tintenschicht, 
dann auf die mit dem Papierbogen. Man erhält auf diese Weise 
einen ausgezeichneten Abdruck, den man nach Aufstreuen des 
Talks durch Watte sofort trocknen kann. Die Methode hat auch 
den Vorzug, daß man die benützte Glasplatte nur wieder mit 
der Tintenrolle zu behandeln braucht, um sie sofort wieder ge¬ 
brauchsfertig zu haben. 

— Das „Extractum Chinae Nanning“ hat einen hohen con- 
stanten Alkaloidgehalt von 5%, sämmtliche Bitterstoffe der Rinde, 
sowie die Chinagerbsäure in unverändertem, gelöstem Zustande. 
Es vereinigt in sich die Wirkungen des Chinins mit denen der 
Amara. Vom Extracte werden gewöhnlich auf den nüchternen 
Magen 20 Tropfen genommen. Es bewährt sich zumal bei Appetit¬ 
losigkeit von Reconvalescenten. Hier kann es in Milch, Wein,' 
Leberthran gegeben werden und wird gut vertragen. Wenn es 
auch auf das Grundleiden keine specifische Wirkung ausübt, so 
unterstützt es den Patienten durch die Hebung des Appetits und 
Körpergewichtes im Kampfe gegen die Infection. Mit dieser Tendenz 
kann es bei allen, nicht mit hohem Fieber eiuhergehenden Erkran¬ 
kungen, bei denen der Appetit und die Ernährung gesunken ist, 
angewendet werden. 

— Parenchymatöse Injectionen von Jodoform („Therap. 
Monatsh.“) hat Kronberg für die Behandlung von Strumen sehr 
wirksam gefunden. Er benutzte zur Injection eine Lösung von 


Rp. Jodoform.10 

01. Oliv., 

Aether snlf..aa. 7'0 

oder 

Rp. Jodoform . l'O 

Aether. sulf..14'0 


1—2mal wöchentlich wurden Einspritzungen von l'O gemacht. 
Unter 300 Einzelinjectionen wurde kein unangenehmer Zufall beob¬ 
achtet. Nur einmal entwickelte sich an einer Injectionsstelle ein 
kleiner Absceß. Die Beschwerden nach den Injectionen waren gering; 
leichte Schmerzhaftigkeit, öfter Ziehen im Ohr und übler Geschmack 
gleich nach der Einspritzung. 

— Zur Behandlung des Milzbrandes mit intravenösen 
Injectionen von löslichem Silber (Collargolum) berichtet Fischer 
(„Münch, med. Wschr.“, 1901, Nr. 47). Es handelte sich um einen 
großen, 3 Tage bestehenden Milzbrandcarbunkel, der die ganze 
rechte Gesichtshälfte erfasst und Schüttelfröste, hohes Fieber, sehr 
schlechtes Allgemeinbefinden, Beschwerden beim • Schlucken etc. 
veranlaßt hatte. Da der Kranke unter steter Controle im Kranken¬ 
hause und ein kräftiger Mann in besten Jahren war, wurde von 
einer sofortigen Operation abgesehen und intravenöse Injectionen 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 7. 


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von Collargol (5’0 einer l%igen Lösung) gegeben. Vier Injectionen 
schienen auszureicben. Besonders auffallend war, daß es zu keiner 
tiefen Nekrose kam. Milzbrandbacillen wurden im Carbunkel wieder¬ 
holt nachgewiesen; irgend eine andere Behandlung fand nicht statt. 

— Die gleichzeitige Anwendung von Quecksilber- und Jod¬ 
präparaten haben ausgedehnte Versuche von F. Lesser („Deutsche 
med. Wschr.“, 1901, Nr. 48) zum Gegenstände der Untersuchung. 
Die Versuche haben gezeigt, daß die Furcht vor der Jodqueck¬ 
silberbildung im Verlaufe der parallel nebeneinander hergehenden 
Quecksilber-Jodtherapie nur unter gewissen Umständen begründet 
ist, auf die an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden kann. 
Inunctionen von Unguentum cinereum und intramusculäre Injec¬ 
tionen von Hydrargyrum salicylicum, Hydrargyrum thymolo aceticura 
und Oleum cinereum, sowie Injectionen löslicher Quecksilbersalze 
werden nach Lesser’s Erfahrungen bei gleichzeitiger Jodtherapie 
niemals zu einer Schädigung durch Bildung von Jodquecksilber 
führen, und kann daher von diesen Combiuationen der Jod- und 
Quecksilberbehandlung ein ausgiebiger Gebrauch bei der Behand¬ 
lung der Lues gemacht werden. 

— Zur Verwendung des Epicarins berichtet Winkler 
(„Monatsh. f. prakt. Dermat.“, 1901, Nr. 8). Verf. verweist haupt¬ 
sächlich auf zwei Indicationen des genannten Mittels. Er verordnet 
es bei Seborrhoea capitis und dem darauf folgenden Haarausfallc 
in alkoholischer Lösung, in der Formel: 


Rp. Epicarini. 5 0 

Aeth. sulfur.15 0 

Spir. vin. gall.80 0 


I). S. Haarspiritus. 

und läßt diesen nach Scheitelung des Haares täglich einmal in 
die Kopfhaut einreiben. Man bringt unmittelbar auf die Kopfhaut 
einige Tropfen des Epicarinspiritus und verreibt sie mit dem 
Finger. Die zweite Indication sind Perniones. Hier ist einerseits 
die juckstillende Wirkung des Epicarins zu verwerthen, und anderer¬ 
seits kommt ein gewisser Einfluß auf die Hautgefäße in Betracht. 
Zu dieser Behandlung dient folgendes Kecept: 


Rp. Epicarini. 3'U 

Sapon. virid. calin. 0'5 

Ungt. caseini . . *..ad 30'0 

M. f. ungt. 

D. S. Salbe. 


Die Salbe wird täglich im warmen Bade entfernt und nach sorg¬ 
fältigem Abtrocknen neu aufgetragen. 

— Eine sehr brauchbare Methode zur Unterscheidung von 
Menschen- und Thierblut ist die durch das Spectroskop nach¬ 
weisbare ungleiche Resistenz des Farbstoffes der verschiedenen 
Blutarten gegen Alkalien („Berl. klin. Wschr.“, 1901, Nr. 51). 
Dieses von Korber entdeckte Verfahren, das fast ganz in Ver¬ 
gessenheit gerathen war, hat Ziemke einer neuen Prüfung unter¬ 
zogen. Wegen der Einzelheiten der Methode muß auf das Original 
verwiesen werden, jedenfalls ergab sich die forensische Verwerth- 
barkeit derselben. 

— Ueber die therapeutische Wirkung d’ArsonvaFscher 
Ströme hat Kindler („Berliner klin. Wschr.“, 1901, Nr. 51) auf 
Goldscheider’s Abtheilung im Krankenhaus Moabit Untersuchungen 
angestellt. Es wurden Kranke mit Stoffwechselaffectionen, mit 
Nerven- und inneren Krankheiten und Hautleiden dieser Behandlung 
unterzogen. Im Allgemeinen hat sich ein objectiv nachweisbarer 
Einfluß auf den Krankheitsproceß in keinem Fall zeigen lassen. 
Schmerzen, Parästhesien, Schlaflosigkeit wurden häufig gebessert. 
Bisweilen mag wohl der Hautreiz, erzeugt durch die Büschelent¬ 
ladung der hochgespannten Ströme, gewirkt haben, bisweilen nur 
Suggestion. Also auch nach diesen Resultaten erfüllen sich die 
Erwartungen nicht, die man anfangs auf Grund der enthusiastischen 
Lobpreisungen französischer Aerzte von der therapeutischen Wirkung 
der Teslaströme hegte. 

— Unter Peritonisation verstehen QufiNU und Judet ein 
Verfahren, das bezweckt, nach intraabdominaler Operation in der 
Bauchhöhle einen ununterbrochenen Serosaüberzug von neuem zu 
sehaffen („Berl. klin. Wschr.“, 1901, Nr. 51). Diese Idee ist nicht 
neu, sondern es wird wohl von allen Operateuren angestrebt, nach 


Appendektomien, Totalexstirpationen und Operationen an den 
Adnexen durch Uebernähung, bezw. durch Zusammenziehung des 
Peritoneums der Nachbarschaft über dem Operationsgebiet einen 
Verschluß zu schaffen. Quenü und Jüdet sind hierin sehr syste¬ 
matisch vorgegangen und rühmen diesem Verfahren nach, daß es 
die Bildung von zur Darmocclusion führenden Adhäsionen aus¬ 
schließt. Nicht nur die unmittelbaren, sondern auch die ferneren 
Resultate sollen sich dadurch gebessert haben. Zur Durchführung 
ihrer Methode bei Beckenausräumungen wenden sie unter Umständen 
Peritonealplastik an unter Verwendung des meist gesunden Peri¬ 
toneums der vorderen Bauchwand und trennen die tiefere Becken¬ 
höhle durch Vernähen des Peritonealüberzuges der Blase mit dem 
des Colon. So schaffen sie einen Blindsack , der von der übrigen 
Bauchhöhle getrennt ist, und glauben auf diese Weise dieselbe 
vor Infectionen am besten zu schützen. 


Literarische Anzeigen. 

Beiträge zur psychiatrischen Klinik. Herausgegeben von 
Prof. R. Sommer. Band I, Heft 1. Berlin und Wien 1902, 
Urban & Schwarzenberg. 

Die methodische Analyse der bei den Geisteskrankheiten zu 
beobachtenden Erscheinungen ist das Arbeitsfeld Sommer’s , des 
Gießener Psychiaters. Sie hat in einem „Lehrbuch der psychopatho- 
logischen Untersuchungsmethoden“ ihren zusammenfassenden Aus¬ 
druck gefunden. Auch in seiner „Diagnostik der Geisteskrank¬ 
heiten“ ist auf die Analyse der Krankheitsbilder das Hauptgewicht 
gelegt. Eine Fortsetzung, gleichfalls in einer das Gebiet umfassen¬ 
den Weise, bildet der aus seiner Klinik hervorgegangene und von 
seinem Assistenten Dr. Alber herausgegebene „Atlas der Geistes¬ 
krankheiten“. Die „Beiträge zur psychiatrischen Klinik“, deren 
erstes Heft erschienen ist, sollen nun die Ergebnisse der metho¬ 
dischen Analyse in Einzelarbeiten zur Kenntniß bringen. 

Das Princip, im Gebiete den psychopathischen Erscheinungen 
Reiz und Wirkung unter Berücksichtigung de3 zeitlichen Ablaufs 
genau zu messen, soll in Bezug auf die einzelnen Symptome weiter 
angewendet werden, wobei wesentlich differentialdiagnostische Zwecke 
ins Auge gefaßt sind. Es handelt sich um das Problem, wie man 
aus dem Status praesens Schlüsse auf die früheren Erscheinungen 
und auf die weitere Entwickelung machen kann, um die Aufgabe, ob- 
jective Symptome zu finden, welche für bestimmte Krankheitsgruppen 
pathognomonisch sind, lösen zu können. Der Analyse sollen nicht nur 
die motorischen Aeußerungen von Gehirnvorgängen unterworfen 
werden, sondern auch die morphologischen Zustände, besonders die Ab¬ 
normitäten des Schädelbaues. Neben der Analyse einzelner Symptome 
müssen die zeitlichen Verhältnisse des Ablaufs der Krankheit in 
Betracht gezogen werden, es hat ihr die erste, planmäßige Analyse 
der Symptomencomplexe zu folgen; diese Analyse in verschiedenen 
Momenten des Ablaufs ist die Voraussetzung einer wissenschaftlichen 
Diagnostik und Prognostik; weiterhin wird die Ableituug einer 
wissenschaftlich begründeten Behandlung angestrebt. Dabei erscheint 
die Einheitlichkeit der Methode als wesentliches Erforderniß und 
eine damit durchgeführte Arbeitsorganisation möchte Sommer neben 
der herrschenden, völlig individualistischen Art des Producirens, 
welche die Kräfte zersplittert und die Entwickelung des Faches 
eher hemmt als fördert, möglichst zur Geltung bringen. 

I. R. Sommer : Zur Diagnostik und chirurgischen Behand¬ 
lung des Hydrocephalus internus und der Kleinhirn¬ 
tumoren. 

Die Idiotie beruht meistens nicht auf fehlerhafter Keimanlage, 
sondern stellt das Resultat bestimmter Gehirnerkrankuugen dar. 
Sommer will nachweisen, daß diese Krankheiten nicht nur in einzelnen 
Symptomen besserungsfähig, sondern auch zum Theil wirklich heil¬ 
bar sind; es muß nun die Frage geprüft werden, ob sie nicht in 
statu nascendi heilbar sind, so daß sich die Idiotie verhindern ließe. 
Es handelt sich darum, dem entstehenden Hydrocephalus zu be¬ 
kämpfen ; auch dieser ist vermuthlich schon ein Krankheitsproduct; 
es gilt aber zu erforschen, wie er zustande kommt. Dazu sind in 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 7. 


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erster Linie bestimmte Localerkrankungen geeignet, als deren Folge 
sich der Hydrocephalns darstellt. 

Im Anschluß daran wird ein in vielen Punkten richtig dia- 
gnosticirter Fall von Kleinhirntumor mit starkem Hydrocephalus 
analysirt, der bei seinem medianen und tiefen Sitze bei der Ope¬ 
ration nicht gefunden wurde und auch nicht hätte angegangen 
werden können. Es fragt sich nun, ob nicht in solchen Fällen auch 
ohne Entfernung der Geschwulst durch Eröffnung des Schädels 
über dem Kleinhirn, in dem die Vena Galeni von dem auf sie aus¬ 
geübten Drucke befreit wird, wenigstens der bedrohliche Hydroce¬ 
phalus ohne Ventrikelpunction, die nur vorübergehend nützen kann, 
zum Verschwinden gebracht werden könnte. Die Ursache des Todes 
nach Entfernung einer großen Tumorenmasse sieht Verf., da eine 
völlige Veränderung aller Circulationsverhältnisse eintreten muß, in 
einer fortschreitenden directen Lähmung der Medullaoblongata. Sommer 
empfiehlt daher principiell ein zweizeitiges Operiren. Lum- 
balpunction oder Schädeleröffnung hinter dem Kleinhirn und erst 
nach einer Reihe von Tagen Exstirpation der Geschwulst, bezw. 
Punction der Ventrikel. 

Das Gleiche wie bei Tumoren mit begleitendem Hydrocephalus 
kommt nun vermuthlich bei vielen Fällen mit bloßem Hydrocephalus 
in Betracht. Ließe sicli auf diesem Wege eine Besserung der Er¬ 
folge der Operation in beginnenden Fällen von Hydrocephalus er¬ 
zielen, so würde in prophylaktischer Weise die beträchtliche Zahl 
der hydrocephalischen Idioten vermindert werden können. 

II. A. Alber.* Der Einfluß des Alkohols auf motorische 
Functionen des Menschen. I. 

Alber’s Untersucbungsreihe gilt dem Studium der durch die 
Alkoholwirkung verursachten unwillkürlichen motorischen Erschei¬ 
nungen. Verf. hat die Lösung des Problems einerseits und haupt¬ 
sächlich durch die Analyse der unwillkürlichen Bewegungen an den 
Fingern mittels des dreidimensionalen Zitterapparates, andererseits 
durch die Feststellung des cerebralen Einflusses auf den Ablauf 
des Patellarreflexes mittels des lteflexmultiplicators versucht (beides 
von Sommer ausgebildete graphische Verfahren). Was die Zitter¬ 
bewegungen betrifft, so liebt Verf. hervor, daß nicht in der Zahl 
der Ausschläge, sondern in der Form, resp. dem Ablauf derselben 
der Hauptpunkt der Beobachtung liege. In der vorliegenden Unter¬ 
suchung werden die in systematischer Folge gewonnenen Zitter- 
curven (Druck, Transversal- und Stoßcomponente der Bewegung 
gesondert) eines Alkoholdeliranten und die bei einem Alkohol¬ 
experiment an einem Gesunden gewonnenen Zittercurven, ferner 
die Curven des Patellarreflexes im Normalzustände und unter dem 
Einflüsse des Alkohols bei dem letzteren Individuum mit einander 


mit entsprechenden Cautelen und in verschiedener Hinsicht verglichen. 
Der Krankheitsverlauf zeigte sich auch an den Zittercurven. Im 
Experiment stellt sich u. a. nach anfänglicher Unsicherheit (näm¬ 
lich von dem Alkoholgenuß) im Beginne der Alkoholzufuhr eine 
ruhigere Handhaltung ein; daneben machen sich aber schon feinere 
Oscillationen in zunehmendem Maße bemerkbar ; weiterhin ist die 
Versuchsperson nicht mehr imstande, die Hand in ruhiger Lage 
ausgestreckt zu halten, der Willensimpnls beginnt zu versagen, 
nachdem zu Beginn centrale Erleichterung der Auslösung von Wil¬ 
lensimpulsen in Erscheinung getreten ist. Unter weiterer Alkohol¬ 
aufnahme gewinnt sie wieder mehr Haltung (Pausen in der Curve), 
psychomotorische Hemmung; die Alkohol Wirkung zeigt sich aber 
noch 1 >/ 2 Stunden nach Beendigung des Versuches (1 Liter Wein = 
111-6 Grm. absol. Alkohol in l 1 /. Stunden). Zwischen den Ergeb¬ 
nissen der experimentellen Zitter- und Kniephänomencurven besteht 
in den Hauptpunkten Uebereinstimmung. Zum Schluß formulirt 
Alber die Fragen, auf welche jene Untersuchungsmethoden zu¬ 
nächst angewendet werden sollen. Infeld. 

Ueber den gegenwärtigen Stand der Ohrenheilkunde. 
Von Dl*. Karutz in Lübeck. (Klinische Vorträge aus dem Ge¬ 
biete der Otologie uud Pharyngo-Rhinologie. Herausgegeben 
von Doc. Dr. Haug in München.) Jena 1900, Gustav Fischer. 
3. Bd., 9. H. 

Stiege heute ein Vertreter der älteren Ohrenheilkunde aus 
dem Grabe wieder an das Licht des Tages und sähe, wie das 
zarte Stämmchen, welches er zurückgelassen, sich zum starken Baume 
entwickelt hat, der seine mächtigen Aeste weithin breitet, er würde 
es kaum fassen! Auf allen Gebieten unserer Disciplin, in der Ana¬ 
tomie, Physiologie und Therapie sind ungeahnte Fortschritte gemacht 
worden, und zumal die Otochirurgie hat einen Aufschwung ge¬ 
nommen, wie man ihn noch vor wenigen Lustren für unmöglich 
gehalten hätte. Man begreift es daher auch, daß K. diesen Ueber- 
blick in gehobener Stimmung vorträgt. Und er darf es umso eher 
thun, als er an der Hebung des hier. gemeinten Wissenszweiges 
redlich mitgearbeitet hat. Eitelberg. 

Das Seelenleben des Menschen im gesunden und im 
kranken Gehirn. Von Dr. Robert Glaser. Frauenfeld 1901, 
J. Huber. 

Das Thema ist von einem Irrenarzt „für Gebildete aus allen 
Ständen kurz dargestellt“. Verfasser bekennt sich zum Dualismus; 
Kant, Christenthum und Neurologie bilden den Inhalt des Buches. 
Die Ausstattung ist zu loben. Infeld. 


Feuilleton. 

Ueber die Ersatzansprüche an die Eisenbahnen 
auf Grund der Haftpflicht- und Unfall-Versiche¬ 
rungsgesetze. 

Von Dr. Michael Großmann, Universit-ätsdocent, Chefarzt der 
k. k. priv. österr. Nordwestbahn.*) 

Es ist eine bedauerliche, aber nicht zu ändernde Thatsache, 
daß allen Werken, welche Menschenhände geschaffen, allen Insti¬ 
tutionen, welche Menschengeist ersonnen, Mängel und Gebrechen 
selbst dann noch anhaften, wenn es sich um Meisterleistungen 
handelt. Und so ist es auch nicht wunderlich, daß die Eisenbahnen 
trotz aller Fortschritte, auf die sie hinzuweisen in der Lage sind, 
uoch immer den Stempel der Unvollkommenheit an sich tragen. 

Seit dem ersten Anbeginn wurde es immer und wird auch noch 
heute schwer empfunden, daß in dem Eisenbahnverkehre die Ge¬ 
fahren für Gesundheit und Leben nicht gänzlich beseitigt werden 
konnten. Bei den ersten schmerzlichen Erfahrungen auf diesem 
Gebiete durfte man sich noch der Hoffnung hingeben, daß es sich 

*) Vortrag, gehalten im Club österreichischer Eisenbahnbeamten am 
19. November 1901. 


hier bloß um die Schwierigkeiten des Anfangs, um eine Art von 
Kinderkrankheit der dazumal noch völlig neuartigen Unternehmung 
handeln dürfte, und daß mit Beseitigung der in Betracht kommen¬ 
den Gebrechen auch die wünschenswerthe Sicherheit zu erzielen 
sein wird. 

Trotzdem aber der Lösung dieser Aufgabe in der ganzen 
weiten Welt, wo nur Eisenbahnen gebaut und in Betrieb gesetzt 
wurden , gleich von vorneherein eine nie erlahmende, eine stets 
opferbereite Fürsorge gewidmet wurde, sind wir von dem ersehnten 
Ziele noch immer weit entfernt. 

Wie weit wir davon entfernt sind, darüber geben uns unter 
Anderem die Rechenschaftsberichte der „Berufsgenossenschaftlichen 
Unfallversicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen“ eine 
beiläufige Vorstellung. 

Im Jahre 1899 sind K 7,055.664'02 , im Jahre 1900 
K 8,918.853-94, also nahezu um zwei Millionen mehr als in dem 
vorangegangenen Jahre als Versicherungsbeitrag gezahlt worden. 
Das sind aber bloß jene Entschädigungen, welche an die eigenen 
Organe der Bahnen auf Grund der U n f allsg esetz e ausgezahlt 
wurden. Durch diese Zahlen gelangt jedoch selbst diese Schaden¬ 
kategorie, nachdem jährlich namhafte Nachzahlungen erforderlich 
sind, nicht im vollen Umfange zum Ausdrucke. Rechnet man jene 
Beträge hinzu, welche an fremde, durch den Eisenbahnverkehr 
geschädigte Personen nach dem Haftpflichtgesetze gezahlt 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 7. 


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werden müssen, dann ergibt sich auf Grund einer beiläufigen Schätzung, 
daß die österreichischen Eisenbahnen derzeit an Unfallsschäden min¬ 
destens 14—15 Millionen Kronen jährlich zu zahlen haben. 

Aus den angeführten Zahlen würde sich zunächst die That- 
sache ergeben , daß die Eisenbahnen für die Gesundheit und das 
Leben der Menschen noch immer eine Gefahr bilden, deren er¬ 
schreckende Größe die jährlich zu zahlenden Entschädigungs¬ 
summen deutlich genug illustriren. Dazu käme noch die geradezu 
entmuthigende Erfahrung, daß trotz der exorbitanten Opfer, welche 
im Interesse der Verkehrssicherheit auf technischem und admini¬ 
strativem Gebiete jahraus jahrein gebracht werden, die Schadenbe¬ 
träge, statt sich zu verringern, sich continuirlieh, zuweilen sogar 
sprunghaft erhöhen. 

In diesem Ergebnisse tritt uns ein Räthsel entgegen, welches 
zum Nachdenken anregt. Die Folgezustände eines Uebels werden 
bekanntlich am erfolgreichsten sanirt, wenn das Uebel selbst be¬ 
kämpft wird. Warum hat die auf allen anderen Gebieten so be¬ 
währte prophylaktische Methode gerade in unserem Falle einen so 
kläglichen Erfolg gehabt? 

Eine befriedigende Antwort auf diese Frage wird umso 
schwieriger zu finden sein, wenn man sich gegenwärtig hält, daß 
die Zweckmäßigkeit der getroffenen Vorsichtsmaßregeln kaum in 
Zweifel gezogen werden könnte, daß im Gegentheil viele derselben 
durch die große Verläßlichkeit, mit welcher sie den angestrebten 
Zweck erfüllen, unsere Bewunderung und unseren lies pect gerade¬ 
zu herausfordern. In dem wachsenden I’ersonenverkehre allein ist 
eine Aufklärung dieser auffallenden Beobachtung ebensowenig ge¬ 
legen, wie in dem gerade im letzten Jahrzehnte so bescheidenen 
Anwachsen unseres Schienennetzes. Und so drängt sich der Ge¬ 
danke von selbst auf, daß hier wohl auch noch andere Faotoren 
und nicht allein die unglücklichen Ereignisse im Eisenbahnbetriebe 
in Betracht kommen dürften. 

Wer sich in dieser Frage Klarheit verschaffen will, der muß 
sich schon der Mühe unterziehen, die Schadensumme, zum Theile 
wenigstens, auf ihre Genesis zu prüfen. Er muß sich Auskunft 
verschaffen, aus welchen Einzelbeträgen sich dieselbe summirt hat; 
welche Umstände und Ereignisse die Grundlage für die Entschädi¬ 
gungsansprüche abgegeben haben; welche Summen und unter 
welchem Rechtstitel freiwillig oder durch Richterspruch zuerkannt 
worden sind etc. etc. Nach den Erfahrungen, die ich mir in meiner 
amtlichen Stellung einerseits und im Gerichtssaale, wo ich als 
Sachverständiger zu fungiren die Ehre hatte, andererseits gesam¬ 
melt habe, wird es gar nicht nöthig sein, alle Einzelbeträgc der 
ausgewiesenen Summe in der angedeuteten Weise zu analysiren, 
um zur Ueberzeugung zu gelangen, daß dieselbe nur zum geringen 
Theile aus berechtigten Ersatzansprüchen für durch Eisenbahn- 
uufälle erlittene Schäden entstanden ist, der weitaus überwiegende 
Theil aber auf jedes andere Conto, nur nicht auf. das der unglück¬ 
lichen Ereignisse im Eisenbahndienste und -Verkehre gebucht 
werden müsste. 

Meine Herren! Das Haftpflicht- und Unfall-Versicherungs- 
gesetz verpflichtet die Eisenbahnen für alle Schäden, welche durch 
ihren Betrieb und durch ihr Verschulden an Gesundheit und Leben 
der Reisenden oder der eigenen Bediensteten angerichtet werden, 
Schadenersatz , soweit dies durch Geldentschädigung möglich ist, 
zu leisten. 

Bei der praktischen Durchführung der in Rede stehenden Ge¬ 
setze haben sich aber Uebelstände und Complicationen ergeben, 
welche bei dem klaren Wortlaute der gesetzlichen Verfügungen 
von vorneherein kaum Zu befürchten waren. Es werden die ein¬ 
fachsten Begriffe absichtlich verwirrt, die festgestellten Grenzen 
der Verantwortlichkeit verwischt und mit den humanen Absichten 
der gesetzlichen Bestimmungen oft genug ein unglaublicher Mi߬ 
brauch getrieben. 

Es schien mir nun angezeigt, diese Verhältnisse, insoweit ich 
dieselben aus eigener Anschauung kennen zu lernen die Gelegen¬ 
heit hatte, einmal öffentlich zur Sprache zu bringen. Ich ließ mich 
dabei auch von der Hoffnung leiten, daß mit dem Nachweise und 
der Erkenntniß eines bestehenden Uebelstandes, auch der erste und 
bedeutungsvolle Schritt zu dessen Beseitigung gemacht wird. 


ln allen Fällen, in welchen das Haftpflicht- oder Unfalls- 
Versicherungsgesetz seine Anwendung finden soll, hängt die Ent¬ 
scheidung hauptsächlich von der Beantwortung folgender Fragen ab : 

1. Ob und welcher Unfall sich überhaupt ereignet hat? 

2. Wen die Schuld und damit auch die Verantwortung für 
den eingetretenen Unfall trifft? 

ß. Ob und welcher Schaden durch den Unfall hervorgerufeu 
worden ist ? 

Man sollte nun meinen, daß die Beantwortung der ersten 
Fragen: „ob und welcher Unfall sich ereignet hat ?“ kaum irgend 
einer Schwierigkeit begegnen könne. Die Eisenbahnen arheiten doch 
nicht im Geheimen , sondern im vollen Lichte der Oeffentlichkeit 
— da müßte doch mindestens diese Frage in jedem einzelnen 
Falle mit der wünschenswerthen Verläßlichkeit zu beantworten 
sein. Selbst diese Voraussetzung hat sich als unrichtig erwiesen, 
und es klingt fast unglaublich, daß schon diese selbstverständliche 
Bestimmung: es müsse vor Allem der Nachweis erbracht werden, 
daß ein Unfall t hatsächlich stattgefunden habe, 
vielfach umgangen wird. 

Von den verschiedenen Methoden, mit welchen eine solche 
Umgehung angestrebt wird, möchte ich nur einzelne Hauptgruppen 
flüchtig hervorheben. 

Am häufigsten wird ein Auskunftsmittel benützt, welches an 
Einfachheit und, wie die Erfahrung lehrt, auch an Verwendbarkeit 
kaum überboten werden könnte. Da man sich einen Eisenbahnunfall, 
wie man ihn gerade brauchen könnte, bedauerlicherweise nicht 
bestellen kann, da weiters die absichtliche Herbeiführung eines 
solchen mit unberechenbaren Gefahren verschiedener Art behaftet 
ist, wird der bequeme, die Gesundheit und das Leben auch nicht 
einen Moment bedrohende Weg eingeschlagen, daß man irgend 
eine Art des Unfalles erdichtet. Es wird dann unter Thränen 
und selbstverständlich auch unter Eid das erlittene unglückliche 
Ereigniß mit allen seinen schreckenerregenden Einzelnheiten ge¬ 
schildert , um sodann den Schutz der Gesetze und einen Schaden¬ 
ersatz für die stark , vielleicht gar unheilbar erschütterte Gesund¬ 
heit etc. in vollem Umfange für sich in Anspruch zu nehmen. 
Diese Methode wird viel häufiger angewendet, als man es, ohne 
dirccte Erfahrungen, glauben würde. 

Ich will zur Illustration dieser Gruppe nur einen Fall kurz 
schildern. 

Vor einigen Jahren kam ein Arbeiter zu mir und klagte 
über Erscheinungen von Darmkatarrh. Da es sich um einen blühend 
aussehenden, kräftigen jungen Mann handelte, bei dem keine Spur 
von Fieber nachzuweisen war, hatte ich es nicht recht begreifen 
können, daß er wegen eines so unbedeutenden Anlasses sich dienst¬ 
unfähig gemeldet habe. Es verging ein Tag nach dem anderen, 
die Krankheitsdauer erstreckte sich bereits über 14 Tage, aber 
die Mittel, die ich verordnete, hatten noch immer keinen Erfolg. 
Ich habe im Gegentheil täglich die stereotype Auskunft bekommen, 
der Zustand bestehe unverändert fort, oder er habe sich sogar 
verschlimmert. Ich bestand nun darauf, daß sieh der Kranke ins 
Hospital begebe, um auf einer internen Abtheilung weiter behan¬ 
delt zu werden. Es dauerte aber keine 24 Stunden und er wurde 
von da wieder entlassen, da eine Krankheit bei ihm nicht nach¬ 
zuweisen war. Von einer Wiederaufnahme der Arbeit jedoch wollte 
der Mann trotzdem noch immer nichts hören, dagegen verzichtete 
er auf jede weitere ärztliche Behandlung. Nun war mir der un¬ 
verständliche Fall auf einmal ziemlich klar. Er gehörte zu jener, 
in der Eisenbahnwelt vielfach vertretenen Gruppe von Kranken, 
welche die Heilung ihres angeblich leidenden Zustandes im Be¬ 
ginne aus gewissen taktischen Gründen einem Arzte anvertrauen, dem 
sie aber sehr bald den Rücken kehren und vom Medicinae-Doctor 
zum Juris-Doctor übergehen. Damit erleidet die Heilmethode aller¬ 
dings eine radicale Aenderung. 

Schon nach einigen Wochen wurde der Direction folgende 
Klage gerichtlich zugestellt: Beim Abladen von Schotter sei der 
Mann vom Wagen abgerutscht und habe durch den erlittenen Un¬ 
fall sofort an Ort und Stelle einen epileptischen Anfall bekommen, 
der seither sich öfters wiederholt hat. Bei der Gerichtsverhand¬ 
lung hatte der Vertreter der Gesellschaft darauf hingewiesen, daß 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 7. 


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an demselben Tage und zur bezeichneten Stunde, als sich der Un¬ 
fall ereignet haben soll, mit dem Abladen des Schotters noch 
weitere 30 Arbeiter beschäftigt gewesen sind, und daß sowohl diese 
als auch die Beamten, welche die Arbeit überwacht haben, zu be¬ 
eiden bereit sind , daß sie von einem Unfälle überhaupt und von 
einem epileptischen Anfalle insbesondere nichts gemerkt haben. 
Es wurde auch die bemerkenswerthe Thatsache hervorgehoben, 
daß während der mehrwöchentlichen Behandlung dem behandelnden 
Arzte und später im Krankenhause wohl über Darmkatarrh, aber 
mit keinem Worte über einen erlittenen Unfall und über die epi¬ 
leptischen Zustände geklagt wurde; daß auch keinerlei äußere 
Zeichen vorhanden waren, welche für den Ablauf der geschilderten 
Ereignisse gesprochen hätten. Doch alle diese Einwendungen haben 
keinen Eindruck gemacht. — Die Sachverständigen mußten zugeben, 
daß durch äußere Gewalt Epilepsie hervorgerufen werden kann, 
und damit war der Proceß, ohne daß der Nachweis er¬ 
bracht worden wäre, daß ein Unfall sich th atsächlich 
ereignet hat, zu Gunsten des Klägers entschieden. Durch einen 
Zufall stellte es sich nach einigen Monaten heraus, daß derselbe 
Arbeiter, der schon seit seiner Kindheit an Epilepsie litt, denselben 
Proceß gegen eine andere Bahngesellschaft mit gleich günstigem Er¬ 
folge bereits durchgeführt habe. Ohne diese Enthüllung hätte er zwei¬ 
fellos sein Glück auch noch bei den anderen Bahnen versucht, und 
es ist anzunehmen, daß er es durchaus nicht auf die Privatbahnen 
allein abgesehen habe, daß vielmehr auch die k. k. Staatsbahnen, 
bei einiger Geduld, die ihnen gebührende Berücksichtigung ge¬ 
funden hätten. 

Eine zweite Methode, mit deren Hilfe eine Umgehung des 
Nachweises, daß ein Unfall sich überhaupt ereignet hat, versucht 
wird, besteht darin, daß gewisse im Eisenbahnverkehre unerläßliche 
Vorgänge, durch übertriebene und entstellte Schilderung, zu einem 
unheilvollen Ereignisse aufgebauscht werden. „Der Zug ist zu rasch 
in Bewegung gesetzt oder zu rasch zum Stehen gebracht worden“, 
heißt es sehr oft, und der plötzliche Ruck habe ein Anstoßen, ein 
Umfallen u. s. w. zur Folge gehabt. 

Wer Eisenbahnfahrten öfters unternimmt und die sich dabei 
abspielenden Vorgänge mit einiger Aufmerksamkeit verfolgt, wird 
sicherlich die Beobachtung gemacht haben, daß die Art und Weise, 
in welcher die Eisenbahnzüge gegenwärtig aus dem ruhenden in 
den rollenden Zustand oder in umgekehrter Reihenfolge aus der 
Bewegung zum Stillstände gebracht werden, im Vergleiche zur 
Vergangenheit einen höchst beachtenswerthen Fortschritt gemacht 
hat. Dieser Uebergang wird in der Regel so sanft bewerkstelligt, 
daß es wohl kaum glaublich ist, daß selbst diese Quelle von Eisen¬ 
bahnunfällen noch immer nicht versiegen will. 

Es ist ja richtig, daß in Ausnahmsfällen beim Eintritte un¬ 
vorhergesehener Ereignisse ein möglichst rasches Stehenbleiben 
angestrebt werden muß, bei welchem ein stärkerer Ruck oder Stoß 
geradezu unvermeidlich ist. Ist es aber möglich, frage ich, daß 
solche Ereignisse nicht allein von dem gesammten Zugsförderungs-, 
ZugsbegleituDgs- und Stationspersonale, sondern von allen, oft nach 
vielen Hunderten zählenden, im Zuge befindlichen Personen unbe¬ 
merkt bleiben könnten ? Und ist es nicht von vorneherein verdächtig, 
wenn unter solchen Umständen bloß eine einzige Person die Klage 
erhebt, durch einen derartigen „Ruck“, den keiner der An¬ 
wesenden wahrgenommen, einen Schaden erlitten zu haben V Die 
Erfahrung zeigte, daß selbst solche Processe gegen die Eisenbahnen 
nicht aussichtslos geführt werden. 

Die bisher geschilderten Gruppen haben, wie wir gesehen 
haben, ihre Ersatzansprüche auf Grund von Unfällen, die sich nie 
ereignet und die ihnen demnach einen Schaden auch nie zufügen 
konnten, geltend gemacht. So weit brauchen sich diejenigen gegen 
die Wahrheit allerdings nicht zu versündigen, welche irgend einen 
Unfall, wenn auch durch eigenes Verschulden, thatsächlich erlitten 
haben. Sie brauchen bloß die Methode anzuwenden, die sie treffende 
Verantwortung von sich abzuwälzen und die Schuld, wenn auch 
unter Verdrehung aller Rechtsbegriffe und sehr oft auch des ge¬ 
sunden Menschenverstandes, den Organen der Eisenbahn aufzubürden. 

Ich will nur einzelne Beispiele dieser Gruppe anführen. 


Ein 68jähriger Herr, mit den unverkennbaren Spuren seniler 
Demenz, steigt in den Eisenbahnzug. Anstatt sich niederzusetzen, 
bleibt er, ohne jedweden vernünftigen Grund, mitten im Waggon 
stehen. Der Zug wird ruhig und vorsichtig in Bewegung gesetzt, 
trotzdem aber soll der alte Herr nach vorne gefallen sein. Daß das 
Ereigniß überhaupt stattgefunden hat, und unter den gegebenen Um¬ 
ständen eintreten konnte, wurde ebenso wenig nachgewiesen, wie 
eine Aufklärung dafür gegeben, warum der Verunglückte, im 
Widerspruche mit dem Trägheitsgesetze, nicht nach rückwärts, in 
die ursprüngliche Ruhelage, sondern im Momente, als der Zug sich 
in Bewegung gesetzt, auffallenderweise nach vorne gefallen sein 
soll. Die Alterserscheinungen, welche bei diesem Herrn zweifellos 
schon Jahre hindurch bestanden haben dürften — andere Krank¬ 
heiten waren im Momente der Proceßführung bei ihm nicht nach¬ 
weisbar — sind nun als Folgezustände des mysteriösen Vorfalles 
hingestellt und die Bahn zu einem Schadenersatz von K 10.000 
verurtheilt worden. 

In einem anderen Falle handelte es sich um eine junge, 
lebenslustige Dame. In der Restauration der Abfahrtsstation soll 
sie untrügliche Beweise dafür gegeben haben, daß sie dem Vereine 
der Antialkoholiker nicht angehört. Nach einem ausgiebigen 
Cognacconsum stieg sie in den Waggon. Es war ein heißer Som¬ 
mertag, und es läßt sich denken, daß zur Abkühlung der auch 
sonst corpulenten und congestiven Dame, die vom Alkohol herrühren¬ 
den Blutwallungen nicht allzuviel beigetragen haben dürften. Sie 
sah sich aber trotzdem nicht veranlaßt, einen der erwiesenermaßen 
zur Verfügung gestandenen freien Plätze in Anspruch za nehmen, 
sie zog es vielmehr vor, im Wagendurchgange stehen zu bleiben 
— offenbar, um den kühlenden Luftzug auf sich einwirken zu 
lassen. Das mag eine zweckentsprechende und angenehme Disposi¬ 
tion gewesen sein, bei einer so schwankenden Gleichgewichtslage 
aber war es entschieden eine leichtsinnige Ueberschätzung der 
momentanen Leistungsfähigkeit. Das unvermeidliche Unglück ist 
nun thatsächlich eingetreten. Der Zug ist an der vorgeschriebenen 
Stelle wohl in einer Weise stehen geblieben, daß keinem Menschen 
etwas aufgefallen, noch weniger passirt ist, die erwähnte Dame 
aber ist im Momente des Stehenbleibens trotzdem nach vorne ge¬ 
fallen und wurde am Kopfe verletzt. Die Verletzung war nur eine 
geringfügige, es erfolgte bald vollständige Heilung, aber auch 
eine gerichtliche Verurtheilung der Bahnverwaltung zum Schaden¬ 
ersätze. 

Ich frage nun: Hat sich in diesem oder in dem vorerwähnten 
Falle thatsächlich ein Eisenbahnunfall ereignet ? Haben sich dabei 
Ereiguisse abgespielt, welche zu verhüten die Bahnverwaltung ver¬ 
pflichtet oder auch nur im Stande gewesen wäre. Den Personen¬ 
verkehr , ohne den Zug in Bewegung zu setzen und ab und zu 
wieder zum Stillstände zu bringen, aufrecht zu halten, ist eia bisher 
ungelöstes und voraussichtlich unlösbares Problem. Dieser Wechsel 
im Gleichgewichtszustände des Zuges wird von der überwiegenden 
Mehrzahl der Reisenden kaum beachtet, sehr oft kaum bemerkt. 
Wenn nun einzelne Personen durch ein solches Ereigniß, welches 
nachweisbar mit gebotener pflichtgemäßer Vorsicht eingeleitet wurde 
uud in normaler Weise abgelaufen ist, trotzdem ihr Gleichgewicht 
verlieren, liegt die Schuld offenbar in ihnen selbst, in einem tem¬ 
porären oder bleibenden Defecte ihrer körperlichen Beschaffenheit. 
Für die Unterlassung, für die eigene körperliche Sicherheit aus¬ 
reichend vorzusorgen, kann aber unter diesen und ähnlichen Um¬ 
ständen die Verantwortung gerechterweise nur die betreffenden 
Personen selbst, niemals aber die Bahnverwaltung treffen. Es ist 
nicht ihre Sache, jedem Reisenden, der infolge von Alter, Krank¬ 
heit oder Alkohol auf schwankenden Füßen steht, einen Wärter 
beizustellen, oder anderweitige Vorsorge zu treffen, daß er nicht 
in stehender, sondern sitzender Stellung die Reise a n t r e te 
und beschließe. 

Mit den Unfällen, welche durch irgend eine Art von krank¬ 
haften Zuständen hervorgerufen wurden, haben jene Fälle viel 
Aehnlichkeit, in welchen das beklagenswerthe Ereigniß durch Un¬ 
achtsamkeit , Leichtsinn oder durch Unverstand verursacht wurde. 
Es ist in einem gegebenen Falle nicht immer leicht zu sagen, welche 
der erwähnten Ursachen den Unfall herbeigeführt hat; in der 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 7. 


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Regel ergeben sich aber genügende Anhaltspunkte für die Annahme, 
daß sie alle mitgewirkt haben. 

Die Methode, welche diese Verunglückten sodann anwenden, 
um den Schutz der Gesetze für sich in Anspruch nehmen zu können, 
ist die ganz gleiche wie bei der vorhin erwähnten Gruppe. Bei 
der Schilderung der Einzelnheiten des Unfalles und insbesondere bei 
der Auseinandersetzung des ursächlichen Zusammenhanges, wird 
auf die historische Wahrheit kein großes Gewicht gelegt. Man kann 
auf diese Tugend, die unpraktisch ist, wie die meisten Tugenden, 
umso leichter verzichten, als mau in dem Momente, wo man bei 
einer plumpen Unwahrheit ertappt wird, mit einer unschuldsvollen 
und mitleiderregenden Miene darauf hinweisen kann, daß man sich 
infolge des erlittenen Schreckens füglich nicht alles merken konnte. 
So viel Erinnerung hat aber jeder Einzelne von dem traurigen Er¬ 
eignisse unter allen Umständen noch bewahrt, um mit Bestimmt¬ 
heit versichern zu können, der von ihm erlittene Unfall wurde 
einzig und allein durch die Nachlässigkeit der Bahnbediensteten 
hervorgerufen. Die begehrliche Hand wird nun weit ausgestreckt, 
um für den erlittenen Schreck, für die ausgestandeuen Schmerzen, 
für den Entgang an Erwerb, für die Einschränkung der Erwerbs¬ 
fähigkeit, für die ärztliche Behandlung, für die Medicamente, für 
den Rechtsvertreter, für die Beschädigung der Toilette u. s. w., 
eine recht ausgiebige Entschädigung einzuheimsen. 

Es scheint mir der Mühe werth, auch aus dieser Gruppe 
einige Beispiele zu erzählen. 

Ein Ehepaar macht mit einigen Kindern einen Ausflug in den 
Wienerwald. Auf der Heimfahrt , auf einer Zwischenstation der 
Stadtbahn, konnten sich Mann und Weib nicht einigen, ob man den 
Zug gegen den Prater oder gegen die Alserstraße nehmen soll? 
Ehe noch ein Uebereinkommen getroffen wurde, kam der Zug, für 
den die Gattin gestimmt hat. Zu einem weiteren Ueberlegen war 
keine Zeit mehr, und die Frau beeilte sich, in ein Coup6 zu steigen. 
Der Mann aber, der offenbar Werth darauf legte, daß seine Meinung 
zur Geltung gelange, beeilt sich, ohne lange darüber nachzudenken, 
seine bessere Hälfte von den Stufen des Wagens herabzuziehen. 
Der Zug kam inzwischen in Bewegung und die gewaltsam vom 
Zuge entfernte Frau fiel auf die Pflastersteine des Perrons. Die er¬ 
littene Beschädigung war keine nennenswerthe , wohl aber die so¬ 
fort gerichtlich geltend gemachten Entschädigungsansprüche. Der 
Unfall soll, nach dem Wortlaute der Klage, dadurch entstanden sein, 
daß der Zug zu früh und ohne vorhergehendes Signal die Station 
verlassen habe. Obgleich nun die Erhebungen die Unrichtigkeit 
beider Behauptungen und insbesondere den unwiderleglichen Beweis 
ergeben haben, daß der Zug nicht nur nicht zu früh, sondern im 
Gegentheile infolge eines bestimmten Zwischenfalles, um zwei Minuten 
später, als fahrplanmäßig, die Station verlassen habe, mußten auch 
diese Ansprüche, wenn auch nicht in vollem Umfange, befriedigt 
werden. 

Geradezu tragikomisch war folgender hieher gehörige Fall: 

Ein Herr machte einen Ausflug nach Retz, um sich von dem 
Stande der dortigen Weincultur, der er schon seit vielen Jahren 
ein theilnahmsvolles Interesse entgegengebracht, wieder einmal per¬ 
sönlich zu überzeugen. Da er nun einmal diesen weiten Weg ge¬ 
macht hat, war es ihm selbstverständlich darum zu thun, seine 
Aufgabe mit gewohnter Gründlichkeit zu lösen. Es wurden zahl¬ 
reiche Kostproben, eingehende vergleichende Studien der verschie¬ 
denen Jahrgänge gemacht und es befestigte sich neuerdings seine 
Ueberzeugung, daß Retz seinen alten Ruf als Weingegend nach wie 
vor verdiene, sowie sein Entschluß, diesem gelobten Lande mit 
seiner Kundschaft auch ferner treu zu bleiben. Befriedigt durch 
die gesammelten Erfahrungen, wurde die Rückreise in der denkbar 
günstigsten Stimmung angetreten, bis ein ganz harmloser und auch 
nicht vorhergesehener Umstand zu einem ernsten Unfälle führte. 
Nach den Einrichtungen unseres Organismus müssen bekanntlich 
die aufgenommenen Flüssigkeitsquantitäten den menschlichen Körper 
selbst dann, wenn es sich um den edelsten aller Retzer handelt, 
früher oder später, wenn auch auf Umwegen und in veränderter 
Beschaffenheit, wieder verlassen. Auch unser heiterer Zecher wurde 
sehr bald an dieses strenge Naturgesetz kategorisch gemahnt und 
als wohlerzogener Mensch trat er sofort auf die Plattform des 


Waggons, um den Anforderungen dieses Naturgesetzes ohne Weiteres 
zu entsprechen. Inmitten dieser treuen Pflichterfüllung hatte der 
Zug einen scharfen Bogen beschrieben und der bedauernswerthe 
Anhänger von Retz und seiner Umgebung flog gegen die Convexität 
dieses Bogens vom Wagen herab. Der Unfall ist relativ glücklich 
verlaufen, der Mann hat sich bloß einige Rippen gebrochen, dafür aber 
sofort mit Berufung auf das Haftpflichtgesetz die Klage gegen die 
Eisenbahn eingereicht, die selbstverständlich das ganze Unglück 
verschuldet hat. (Fortsetzung folgt.) 

Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Aus 

medicinisclien Gesellschaften Deutschlands. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Medicinische Gesellschaft zu Magdeburg. 

Schreiber: Ueber Untersuchungsmethoden des Farbensinnes. 

Vortr. geht zunächst auf die Theorien der Farbenempfindung 
von Youno, Helmholtz und Hering ein und beleuchtet darauf 
kritisch die einzelnen Untersuchungsmethoden. 

Von den Wahlproben bevorzugt er die von Hans Adler 
angegebene und von sämmtlichen österreichischen Staatsbahnen 
seit 1893 eingeführte Farbenstiftprobe. Einmal stellt dieselbe 
größere Anforderungen an den Farbensinn dadurch, daß die far¬ 
bigen Flächen kleinere sind als bei den Wollproben. Dann ist 
dieselbe der von Seebeck, Holmgren, Daae u. A. angegebenen 
und modificirten Untersuchungsmethoden mit Wollproben und far¬ 
bigen Papieren auch insofern überlegen, als man es bei den Farben¬ 
stiften mit einem stets gleichbleibenden Materiale zu thun hat, 
welches weder durch Verbleichen oder Beschmutzen seine Farbe 
verliert; auch sind die Farbstifte stets in derselben Qualität aus 
derselben Bezugsquelle erhältlich. Ein ganz besonderer Vortheil 
der Farbenstiftprobe beruht jedoch darin, daß man das Unter¬ 
suchungsresultat, wenn auch nicht schwarz auf weiß, so doch bunt 
auf weiß von dem Farbenblinden selbst aufgezeichnet, bei der 
Krankengeschichte, bezw. bei den Acten aufbewahren kann, als 
ein objectives Zeichen des mangelhaften oder gestörten Farbensinns 
des untersuchten Individuums. Sehr gut zu verwerthen sind dann 
auch diese Documente zur Demonstration der Farbenblindheit bei 
dem klinischen Unterricht. Auch der Vortr. ist in der Lage, der¬ 
artige Aufzeichnungen der Versammlung als Demonstrationsobject 
vorzulegen. Wie alle Wahlproben, muß auch die Farbenstiftprobe 
bei guter Tagesbeleuchtung vorgenommen werden, um einwands¬ 
freie Resultate zu ergeben. Um vermittelst der pseudoisochroma¬ 
tischen Untersuchungsmethode Farbenblindheit festzustellen, sind 
die vielverbreiteten STiLLiNG’schen Tafeln hauptsächlich in Ge¬ 
brauch. Dieselben haben vor allen Dingen den Vorzug der Ein¬ 
fachheit der Anwendung. Leider steht die neueste (10.) Auflage 
derselben technisch hinter den früheren Auflagen zurück, da die 
Zahlentüpfel fast durchweg mit einem leichten Glanz ausgestattet 
sind, so daß auch Farbenblinde die meisten Tafeln zu entziffern 
vermögen, wenn das Licht in einem besonderen Winkel auf dio 
Blätter fällt. Von den Florcontrastproben eignen sich in hervor¬ 
ragender Weise die PFLÜGER’schen Tafeln zur Bestimmung der 
Farbenblindheit, und es würde für viele bahnärztliche Zwecke die 
eine auch in dem Lehrbuch der Hygiene des Auges von Hermann 
Cohn als instructiv abgedruckte Tafel von Pflüger genügen, 
nach welcher übrigens von Cohn ein Hakentäfelchen zur Prüfung 
feinen Farbensinnes construirt wurde, welches als sehr brauchbar 
bezeichnet werden muß. Mit Hilfe dieses Täfelchens, an dem nur 
auszusetzen ist, daß es mit einem etwas zu dichten Florpapier ge¬ 
liefert wird, sind in kürzester Zeit durchaus sichere Farbenprü¬ 
fungen auszuführen. Außerdem bietet die Florcontrastprobe, wie 
sie mit den PFLÜGFR’schen Tafeln und Cohn’s Täfelchen angestellt 
wird, den unleugbaren Vortheil, daß sie auch bei künstlicher Be¬ 
leuchtung einwandsfreie Resultate liefert. 

Schließlich führt Schr. den von Eversbusck construirten 
Apparat zur praktischen Untersuchung des Farbensinnes bei dem 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 7. 


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Eisenbahn- und Marinepersonal vor. Wenn sich auch die verschie¬ 
densten Autoren gegen die Laternenprobe ausgesprochen haben, 
da das rothe und grüne Signal auch von Rothgrünblinden wegen 
der Helligkeitsdifferenz ziemlich gut unterschieden wird, so ist man 
doch mit der EvERSBUSCH’schen Laterne imstande, Farbenblinde 
sicher feststellen zu können. Der schnelle und regellose Wechsel 
der Farben grün, roth, blau, gelb und violett bei kleiner und 
zweitkleinster Blende, untermischt mit den Milchglasscheiben, bringt 
jeden Farbenblinden aus der Fassung und wird ihn schon nach 
kurzer Untersuchung die verkehrtesten Antworten geben lassen, 
wie das auf das Schlagendste an einem roth-grünblinden Indivi¬ 
duum während der Demonstrationssitzung bewiesen wurde, während 
der Farbentüchtige auch nach länger dauernder Untersuchung stets 
richtig antwortet. Auch zur Bestimmung der Farbensinnschwäche 
ist der EvERSBUSCH’sche Apparat vorzüglich zu gebrauchen. Zum 
dauernden Gedächtniß können dann die Untersuchungsresultate in 
ein vorgedrucktes Schema eingetragen und dem Protokoll beige¬ 
fügt werden. Da die Anwendung des Apparates neben der Tages¬ 
beleuchtung ein Dunkelzimmer erfordert, so wird die Prüfung mit 
diesem Instrument in Zukunft den Augenärzten Vorbehalten bleiben. 


Berliner medicinische Gesellschaft. 

E. Aron : Ueber Sauerstoffinhalationen. 

Vortr. weist zunächst darauf hin, daß die gewöhnliche At¬ 
mosphäre immer so viel Sauerstoff enthält, um das Hämoglobin 
des Blutes damit zu sättigen. Mehr kann das Hämoglobin nicht 
aufnehmen; es ist also die Zufuhr von mehr Sauerstoff zwecklos; 
denn mehr Sauerstoff als bis zur Sättigung des Hämoglobins kann 
chemisch nicht gebunden werden. Um mehr Sauerstoff zur Auf¬ 
nahme zu bringen, muß man also einen anderen Weg wählen, 
nämlich mehr Hämoglobin mit der atmosphärischen Luft in Berüh¬ 
rung bringen, also entweder mehr Hämoglobin schaffen (Bekäm¬ 
pfung der Anämie) oder Beschleunigung der Circulation, wenn diese 
verlangsamt ist, oder Steigerung des Athemeffectes, bei gestörter 
Respiration. 

Die Erfahrung hat denn auch gezeigt, daß in Krankheits¬ 
fällen durch Zufuhr von reinem Sauerstoff nichts gewonnen wird. 
Die wenigen Fälle, in welchen Besserung erzielt wurde, waren 
Dyspnoen bei Herzfehlern und Lungenerkrankungen im Stadium 
der Dyspnoe; hier fühlten sich die Kranken zuweilen während 
der Dauer der Sauerstoffanwendung etwas erleichtert. Oft verfehlte 
die O-Einathmung ganz ihre Wirkung. Bei Bronchiektasien und 
Mediastinaltumoren, die mit sehr schwerer Dyspnoe einhergingen, 
blieb jegliche Wirkung aus. Auch Chlorosen und andere Anämien 
zeigten keine Besserung. Ein Kranker mit einem Herzfehler bekam 
nach der Inhalation eine Lungenembolie. Ein Lungenkranker lehnte 
die Fortsetzung der Cur ab, da der Erfolg sehr unbedeutend war 
und nur so lange anhielt, als die Inhalation erfolgte. Zuweilen 
wurde angegeben, daß die Inhalation als angenehm und kühl em¬ 
pfunden wurde. Auch hiebei kamen Irrthümer von Seiten der Pat. 
vor. Diese angenehme Empfindung läßt sich wohl so erklären, 
daß das Gas aus dem comprimirten Zustand kommt und sich bei 
der Ausdehnung abkühlt. A. hat nie eine deutliche Abnahme der 
Cyanose gesehen; zuweilen ließ dieselbe vorübergehend etwas nach. 

Bei Ertrunkenen ist mit künstlicher Athmung das Gleiche 
zu erzielen; ebenso bei Morphiumvergiftung. Bei Kohlenoxydver¬ 
giftung ist aus naheliegenden Gründen der Sauerstoff von Vortheil. 
Auch bei Milchvergiftungen ist der 0 als nützlich gepriesen worden. 
Effectvoll erwies sich der Sauerstoff dem Vortr. ferner bei Experi¬ 
menten, in welchen er Thiere und Menschen in verdünnter Luft 
athmen ließ; in der verdünnten Luft ist eben weniger Sauerstoff 
als sonst und als nöthig vorhanden, also Zufuhr erklärlicher Weise 
nutzbringend. 

Trotzdem die schon vorliegenden physiologischen Thatsachen 
und die klinischen Erfahrungen sich also gegen die Anwendung 
von 0 aussprechen, hat Vortr. noch weitere Untersuchungen über 
den Einfluß des Sauerstoffs auf Blutdruck, Pulszahl, intrapleuralen 
Druck etc. angestellt und gefunden, daß ein wesentlicher und für 
die Therapie zugrunde zu legender Effect nicht erzielt wird. 


Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Med. Presse“.) 

Sitzung vom 6. Februar 1902. 

K. HOCHSINGER stellt ein ll Monate altes Kind mit ange¬ 
borener Cyanose vor. Es handelt sich bei dem rachitischen 
Kinde um einen congenitalen Herzfehler. Die Untersuchung ergibt 
folgenden Befund: Trommelschlägelfinger, hochgradige Cyanose des 
Gesichtes, Arterien des Augenhintergrundes mit dunklem Blut ge¬ 
füllt, bedeutende Vergrößerung des rechten Herzens, namentlich der 
rechten Hälfte, an allen Ostien laute, abklappende Töne, der 
2. Pulmonalton besonders kräftig, manchmal ein leises Geräusch 
über dem Manubrium sterni hörbar, Arterien des Gesichtes und 
der oberen Extremitäten rechts schwächer gefüllt als links. Die 
Symptome sprechen für eine Beimischung venösen Blutes zum 
arteriellen und für einen schlechten Füllungszustand der Aorta 
ascendens. Die Deutung des Symptomencomplexes spricht Vortr. 
vermuthungsweise dahin aus, daß es sich vielleicht bei offenstehen¬ 
dem Ductus Botalli, um einen congenitalen Entwickelungsfehler de3 
Septum zwischen der Pulmonalis und der Aorta handelt, so daß 
die Aorta aus dem rechten und die Pulmonalis aus dem linken 
Herzen entspringt. 

RAF. COEN stellt ein Mädchen mit Wolfsrachen vor, bei 
welchem er durch Sprachübungen eine normale Aus¬ 
sprache erzielt hat, obwohl Pat. keinen Obturator trägt. Der¬ 
selbe wurde nur im Anfänge der Behandlung benützt. Die Aussprache 
der Pat. ist nahezu normal. 

J. SCHNITZLER berichtet über einen Fall von A p pen diciti s 
im Anschlüsse an Streptokokkenangina. Die 24jährige 
Pat. verspürte durch 14 Tage einen leichten Schmerz in der Ileo- 
cöcalgegend, plötzlich bekam sie hohes Fieber und etwas heftigere 
Schmerzen im Bauche. Die Untersuchung ergab eine schwere Strepto- 
kokkenaugina, Dämpfung in der Ileocöcalgegend, welche nur bei 
starkem Drucke schmerzhaft war, und enorme Leukocytose. Wegen 
Verdacht auf Appendicitis wurde die Laparotomie ausgeführt, bei 
welcher sich Eiter in der Bauchhöhle fand. Der Appendix war auf 
das Fünffache verdickt, eitrig infiltrirt, an einer Stelle gangränös 
zerfallen. In der Bauchhöhle fanden sich keine Verwachsungen, im 
Eiter wurden Streptokokken nachgewiesen. Exstirpation des Appen¬ 
dix, Heilung. Merkwürdig sind die verschwindend geringen localen 
Symptome. Man muß nach den Untersuchungen Adrian’s annehmen, 
daß der Wurmfortsatz einen Locus minoris resistentiae bei der An¬ 
siedelung der von der Angina in den Kreislauf gelangten Strepto¬ 
kokken gebildet hat. 

V. ZEISSL nnd HOLZKNECHT erörtern ihre Roentgen- 
untersuchungen über den Blasenverschuß. Die Blase 
wurde vom Ureter aus mit Quecksilber (300, respective 700 Ccm) 
gefüllt und die Harnröhre zugeschnürt, wenn sich der Harn zu ent¬ 
leeren begann. Dadurch waren solche Verhältnisse geschaffen, wie 
sie beim Harnen vorliegen. Die Roentgendurchleuchtung zeigte, daß 
der Blasenverschluß durch den Sphincter vesicae int. gebildet wird, 
daß bei starker Blasenfüllung die Pars prostatica nicht in den 
Blasenraum einbezogen wird und daß weder die von einzelnen 

Autoren angenommene Trichterbildung der vollen Blase noch das 
Regurgitiren des Secretes aus der hinteren Harnröhre in die Blase, 
noch die strenge Eintheilung in eine Urethritis anterior und posterior 
als physiologisch functionelle Thatsache möglich ist. Letztere Ein¬ 
theilung ist nur für den Sprachgebrauch bequem, aber unrichtig. 

G. Holzknecht bemerkt, daß die Durchleuchtungsricbtung so gewählt 
wurde, daß die Blase und das Orificium int. getroffen worden. 

Oskar Kraus (Karlsbad): Zur Anatomie der lleocöcalklappe. 

Vortr. hat schon im Jahre 1892 Untersuchungen über diesen 
Gegenstand angestellt und schon damals die Schlußfähigkeit der 

Klappe als die Norm gefunden, ferner hat er bereits damals 

eine Reihe von Fällen mit den charakteristischen pathologisch¬ 

anatomischen Zeichen der Insufficientia valvulae coli beschrieben. 
Vortr. demonstrirt an einem ausgeschnittenen Cöcum mit der Klappe 
und dem Ileum, daß, wenn man das Colon unterbindet und in das¬ 
selbe Luft einbläst, diese Luft nicht entweicht, daß also die Klappe 
passiv und luftdicht schließt. An einem solchen Darm mit schließender 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 7. 


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Klappe verläuft die vordere Tänie mit einem nach innen oben 
offenen Bogen, der Abbiegung des Cöcura gegen das Colon ent¬ 
sprechend. Hier finden sich 3 Haustra, deren Basis die Tänie und 
deren Spitze gegen das Ileum gerichtet ist. Das oberste (Haustrum 
coli primum) und das unterste (H. coecale) überlagern das mittlere 
(H. ileocolicum) so, daß von ihm nur ein kleines Dreieck zu sehen 
ist. An der Hinterseite hat Vortr. einen besonderen Faserstrang 
beschrieben, welcher von der Tänie brückenförmig über die beiden 
hier zusammenstoßenden Haustra führt und der Klappe größere 
Festigkeit verleiht (Habenula coeci). 

Vortr. zeigt durch ein in das Cöcum eingebundenes Fenster 
die Schlußfähigkeit der Klappe. Bei übermäßiger Lufteintreibung 
reißt zuerst die kürzeste innere Tänie, dann streckt sich das Colon 
gerade, dadurch wird das Haustrum ileocolicum freigelegt, ferner 
müssen die Habenula coeci und die bindegewebigen Verwachsungen 
zwischen Ileum und Cöcum nachgeben, wodurch die obere Klappenlippe 
verkürzt und die Klappe insufficient wird. Unter 130 Klappen hat 
Vortr. nur 11 insufficiente gefunden; bei diesen finden sich große 
Breite des Colon, fast keine Abbiegung des Cöcum gegen das 
Colon und frei nebeneinander liegende Haustra. Ob diese Insuffizienz 
erworben ist, oder auf einer Persistenz des infantilen Zustandes — 
beim Neugeborenen schließt die Klappe noch nicht — beruht, ver¬ 
mochte Vortr. nicht zu entscheiden. Es läßt sich also direct zeigen, 
daß die Klappe unter rein mechanischen Verhältnissen schließt; 
intra vitam läßt sich dies nicht beobachten, weil die Versuchsthiere 
keine schließende Klappe haben. Ob die Oeffnung der Klappen auf 
einen Nerveneinfluß hin erfolgt, ist derzeit nicht bekannt, diese 
Möglichkeit ist aber nicht ausgeschlossen. 

Aehnliche Formationen der Klappe, wie sie Docent Herz be¬ 
schrieben hat (Rüsselform, Ektropium, Ueberragen einer Lippe), 
hat Vortr. nicht gesehen, und er sieht die Klappe als ein echtes 
Lippenventil an. Er hält das Fehlen der Producte des Eiwei߬ 
zerfalles im Dünndarm, wenn diese Körper nicht resorbirt würden, 
was erst zu erweisen wäre, für einen Beweis der Schlußfähigkeit 
der Klappe. 

Heinr. Weiß bespricht eingehend die Literatur über die Ileocöcalklappe. 
Er hält die Insufficienz derselben für angeboren; sie habe auch keine so weit- 
tragende Bedeutung, wie es Doc. Herz angegeben hat. 

Ferd. Winkler hat an Thieren Versuche über die Innervation des 
Sphincters angestellt, welcher bei Thieren die Ileocöcalklappe vertritt. Dieselben 
ergaben, daß er reflectorisch durch Reizung des Lchiadicus beeinflußt werden 
kann. Bei theilweiser Ablösung des Mesorectum bleibt ferner der Schließungs¬ 
reflex, bei noch weiterer Ablösung auch der Oeffnungsreflex aus. Nach Durch¬ 
spülung des Darmes mit 7«%’8 er Phenol- oder l% 0 iger Milchsäurelösung bleibt 
der Schließungsreflex aus, durch Opium wurde der Tonus des Sphiucters 
herabgesetzt,«lurch Glaubersalz erhöht. 

Osk. Kraus erinnert an einen von Nothnagel beschriebenen Fall von 
Ileus, bei welchem eine gefärbte Kochsalzlösung, welche per rectum injicirt 
worden war, bei der Obduction oberhalb der Klappe gefunden wurde; diesem 
Falle kommt eine Beweiskraft zu. Es ist hier möglich, daß die Insufficienz 
angeboren war oder erst im Verlaufe des Ileus entstanden ist. 

M. Herz erwidert in seinem Schlußwort, daß das Ectropium der Klappe 
bei einem Potator gefunden wurde. Die von ihm beschriebenen Fälle wurden 
im Leben untersucht und der Befund bei der Obduction controlirt. 

Gersuny ist der Ansicht, daß die Klappe sich selbstthätig öffnet und 
schließt. 


Notizen. 


Wien, 15. Februar 1902. 

(K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien.) In der 
gestrigen Sitzung stellte zunächst Doc. Dr. Kreibich eine Kranke 
mit Lupus miliaris vor. Die Affection ist im Anschlüsse an 
ein Oedem des Gesichtes, wahrscheinlich auf dem Wege der Blut¬ 
bahn, sehr rasch aufgetreten. Vortr. erörterte dann die Differential¬ 
diagnose der Fremdkörperriesenzellen und der tuberculösen Riesen¬ 
zellen. In der Discussion erbrachte llofrath Prof. Neumann Bei¬ 
spiele für die Infectiosität der Tuberculose, Prof. Dr. Ehrmann 
berichtete über das Entstehen von Lupus nach localer Tuberculose 
und Dr. K. Sternberg bestritt die Differenzirbarkeit von Riesen¬ 
zellen verschiedenen Ursprungs. — Hierauf demonstrirten Pro¬ 
fessor Dr. Lang und Dr. Bauer neu-e Pflasterpräparate 
(Gelone und Tegone). Erstere sind Glycerinleime, welchen die ver¬ 


schiedensten raedicamentösen Substanzen incorporirt werden können; 
sie kleben beim Befeuchten mit Wasser und schmiegen sich der 
zu deckenden Oberfläche exact an. Bei letzteren dient Agar als 
Medicamententräger. — Doc. Dr. A. Klein besprach sodann seine 
Versuche über die agglutinirenden Eigenschaften von 
Extracten aus rothen Blutkörperchen. — Professor 
Dr. J. PAl erstattete eine vorläufige Mittheilung über die Grenz¬ 
bestimmung der Organe mittels Transsonanz (Aus- 
cultation eines leisen Percussionstones) und beschrieb das hiezu 
verwendete Instrumentarium, bestehend aus einem federnden Stift 
zur Erzeugung des Geräusches und einem Stethoskope. — Schlie߬ 
lich sprach Prof. Dr. Benedikt zur Discussion über den Weichsel- 
BAUM’schen Vortrag. Die Ausführungen B.’s erscheinen in extenso 
in unserem Blatte. — Die Discussion wird in der nächsten Sitzung 
fortgesetzt. 

(Sko DA-Fei er.) Anläßlich der 100. Wiederkehr des Ge¬ 
burtstages Josef Skoda’s (geb. 10. December 1805) wird das Pro¬ 
fessorencollegium der Wiener medicinischen Facultät eine Gesammt- 
ausgabe der Schriften des verewigten Klinikers herausgeben. Wir 
verweisen auf den diesbezüglichen Aufruf des vom Collegium ad hoc 
eingesetzten Comitös im „Eingesendet“ der vorliegenden Nummer. 

(Wohlfahrtsaction der österreichischen Aerzte.) 
Am 11. d. M. fand im Saale der Gesellschaft der Aerzte eine von 
Obersanitätsrath Dr. Mucha im Namen des „Oesterreichischen Aerzte- 
Vereinsverbandes“ einberufene Aerzteversammlung statt, um die 
ersten Berathungen zur Verwirklichung der geplanten Wohlfahrts¬ 
action für dürftige Witwen und Waisen von Aerzten zu pflegen, 
In einleitender Rede betonte der Vorsitzende, daß alle bisherigen 
Bemühungen, das Witwen- und Waisen Unterstützungsinstitut ent¬ 
sprechend zu fundiren, bisher erfolglos geblieben seien, und ertheilte 
hierauf dem Antragsteller Dr. Heinrich Adler das Wort. Dieser 
begründete in längerer, oft von Beifall unterbrochener Rede folgenden 
Antrag: „Das Actionscomitö wird beauftragt und erhält unbeschränkte 
Vollmacht, alle Schritte zu unternehmen und Veranstaltungen zu 
treffen, um den Witwen- und Waisenunterstützungsfond des öster¬ 
reichischen Aerztevereiosverbaudes zu kräftigen; zu diesem Behufe 
insbesondere unter Beobachtung der gesetzlichen and behördlichen 
Vorschriften Sammlungen, Wohlthätigkeitsfeste und Publicationen 
zu veranstalten, eine Lotterie zu unternehmen oder an dem Erträgnisse 
von Lotterien Participationen zu erwirken, für die Verwendung, 
Anlage und Verwaltung der erzielten Einnahmen bis zu ihrer Ab¬ 
führung an den Fond Sorge zu tragen und überhaupt nach seinem 
besten Ermessen alles zu unternehmen und vorzukehren, was das 
Comit6 zur Verwirklichung des angestrebten Zweckes für nothwendig 
oder nützlich erachten wird. Das Actionscomitö wird nach Bedarf 
die große Commission einberufen und derselben über den Fortgang 
der Actiou und über die Verwendung und Anlage der zu Gunsten 
des Fonds erzielten Einnahmen Bericht zu erstatten haben.“ — Der 
Antrag wurde einstimmig angenommen. — Bei den hierauf vor- 
genomraenen Wahlen in die große Commission wurden folgende 
Functionäre gewählt: Zum Präsidenten der großen Commission 
Obersanitätsrath Dr. Mucha, zu Ehrenpräsidenten die Hofräthe 
Chrobak, v. Dräsche, Gussenbauer und Nothnagel, sowie 
Sectionschef v. Kusy, zu Vicepräsidenten Dr. Gorhan, Dr. Heim 
und Dr. Loew, zum Generalsecretär Dr. Heinrich Adler, zu 
Schatzmeistern Regierungsrath Dr. Svetlin und Dr. Ed. Fischer, 
zu Revisoren Prof. v. Frisch, Dr. Gruss und kais. Rath Dr. Rabl, 
zu Schriftführern die DDr. Kempf, Knedel und Schmarda. Das per 
acclamationem gewählte Executivcomitö besteht aus folgenden Mit¬ 
gliedern : Präsident Dr. Loew, Vicepräsident Sectionsrath Dr. Illing, 
Secretär Dr. Heinrich Adler, Schatzmeister Regierungsrath Dr. 
Svetlin und Dr. Fischer, Schriftführer Dr. Schmarda. — Wir be¬ 
grüßen die Action des Aerztevereinsverbandes, welche eine segens¬ 
volle Institution vorbereitet, auf das Wärmste und wünschen ihr im 
Interesse der Bedürftigen, denen sie gewidmet ist, einen vollen Erfolg. 

(Pensio nsinstitu t im W i ener med ici ni sch en Doc- 
torencollegi um.) Am 6. d. M. fand unter dem Vorsitze des 
Präsidenten Primarius Dr. Hans Adler die 25. Generalversamm¬ 
lung des Pensionsinstitutes der Aerzte in feierlicher Weise statt. 
Diese Anstalt, eine Schöpfung der Herren Dr. Adler, Dr. Heim 


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und Dr. Hopfgartner, hat gegenwärtig ein Vermögen von 1,348.888 
Kronen und wirkt ungemein segensreich, indem sie im abgelaufenen 
Jahre an 26 Aerzte den Betrag von 31.200 Kronen als Pensionen 
;i 1200 Kronen, im Ganzen in 25 Jahren über 400.000 Kronen zahlte, 
so daß es ungemein wünschenswerth ist, daß die Aerzte in ihrem 
eigenen Interesse dem Institute beitreten. Der Cassabericht wurde 
genehmigt und dem Cassier kais. Rath Dr. Batsy das Absolutorium 
ertheilt. Dem Präsidenten Primarius Dr. Hans Adler, der zum 
26. Male an die leitende Stelle berufen wurde, wurden lebhafte 
Ovationen dargebracht. Zum Präsidentenstellvertreter wurde Doctor 
Josef Heim, zu Cassieren Dr. Batsy und Rettter wiedergewählt, 
in den Vorstand wurden Dr. Zemann und Dr. Max Stransky 
neugewählt; ferner wurde beschlossen, im Juni 1. J. anläßlich des 
25jährigen Jubiläums eine Festversammlung abzuhalten. 

(I m p f sto f f d ep öts te 11 e n.) Die Statthalterei in Wien 
wurde mit Ministerialerlaß ermächtigt, die Direction der k. k. Impf¬ 
stoffgewinnungsanstalt zu verständigen, daß Impfstofflieferungen an 
Depotstellen im In- und Auslande gegen fixe Bestellung unter nach¬ 
stehenden Bedingungen keinem Anstande unterliegen : Die Haltbar¬ 
keit des Impfstoffes ist durch entsprechende Verpackung und Bei¬ 
gabe einer Belehrung über die Aufbewahrung desselben zu sichern, 
der Detailverkaufspreis mit der betreffenden Depötstelle angemessen 
zu vereinbaren, und der Zeitpunkt, bis zu welchem für die unver¬ 
ändert gute Wirksamkeit des Impfstoffes von der Anstalt garantirt 
wird, auf der Etiquette deutlich ersichtlich zu machen ; alle der¬ 
artigen Sendungen sind ordnungsmäßig zu verbuchen , die Forde¬ 
rungen und Eingänge genau zu verrechnen. 

(Auszeichnungen.) Der praktische Arzt in Wien Doctor 
Emerich Klotzberg hat den Franz Joseph-Orden, der praktische 
Arzt in Wien Dr. Karl Stockmar das goldene Verdienstkreuz 
mit der Krone erhalten. 

(Promotio sub auspiciis Imperatoris.) An der 
deutschen Universität in Prag wurde am 8. d. M. der Cand. med. 
Emanuel Gross sub auspiciis Imperatoris zum Doctor der ge- 
sammten Heilkunde promovirt. 

(Aerztliches Fortbil (lungswesen in Schlesien.) 
Aus Breslau wird uns geschrieben: ln Görlitz, im oberschlesischen 
Industriebezirke und hierorts sind locale Vereinigungen zwecks 
Veranstaltung unen tgeltlich er Curse und Vorträge für prakti¬ 
sche Aerzte gegründet worden. Die Breslauer Vereinigung, welche 
vornehmlich aus den leitenden Aerzten der dortigen Krankenhäuser 
besteht, wird sich dem Centralcomite der in ganz Preußen verbreiteten 
Organisation angliedern und im Frühjahr ihre Thätigkeit beginnen. 
Außerdem wird die medicinische Facultät selbständig im Sommer 
einen Cyclus von Fortbildungscursen und Vorträgen veranstalten. 

(Aus Greifswald) schreibt man uns: Der Lehrkörper der 
medicinischen Facultät der Universität Greifswald wird auch in 
diesem Jahre, und zwar im October, wieder Fortbildungscurse für 
praktische Aerzte veranstalten. Mit Rücksicht auf die Neubesetzung 
der Stelle des inneren Klinikers ist der Termin noch nicht genauer 
festgelegt, doch wird dies im Beginne des Somraersemesters ge¬ 
schehen. 

(Helmh OLTZ-Biographie.) Prof. Dr. Leo Königsberger 
in Heidelberg hat es unternommen, eine große Helmholtz-BIo- 
graphie zu schreiben, welche im Laufe der nächsten zwei Jahre 
erscheinen soll. 

(Tuberculose-Heilstätte.) Das erste Sanatorium für 
Brustkranke in Galizien dürfte bei Krakau im Herbste d. J. er¬ 
öffnet werden. 

(Variola in London.) Aus London wird uns geschrieben: 
Seit der Mitte des vorigen Jahres herrscht hier eine überaus starke 
Variola-Epidemie. Seit August 1901 bis Januar d. J. sind 2151 
Fälle von Variola den Spitälern zugewachsen. In der ersten Hälfte 
des verflossenen Monates allein zählte man 447 Blatternfälle in 
London. Am 25. Januar waren 900 Fälle in Behandlung. Ist es 
nicht beinerkenswerth, daß die Behörden angesichts dieser er¬ 
schreckenden Thatsachen der Agitation der Irapfgegner stillschwei¬ 
gend gegenüberstehen! 


(Eine Liga gegen die Kindersterblichkeit) ist 

— wie uns aus Paris geschrieben wird — dort gegründet worden. 
Sie bezweckt die Durchführung aller für die Entwickelung des 
Kindes nothwendigen hygienischen Maßnahmen, die Gründung von 
Zufluchtsorten für schwangere Frauen und Sammelbäusern für ver¬ 
wahrloste Säuglinge, die Veranstaltung regelmäßiger Hausbesuche, 
schließlich die Sammlung und Evidenthaltung der gesammten pädia¬ 
trischen Literatur. 

(Reclameblüthen der Curpfuscherei.) Herr Apo¬ 
theker C. Brady in Wien, dessen Apotheke in dem von uns in 
Nr. 6 reproducirten, an Privatpersonen verschickten Briefe als Be¬ 
zugsquelle eines Wunderbalsams bezeichnet wurde, theilt uns mit, 
daß sein Name ohne sein Wissen in diese Flugschrift, von deren 
Bestehen er keine Kenntniß hatte, aufgenommen worden sei, und 
daß er der ganzen Angelegenheit vollständig ferne stehe. Wir 
nehmen von dieser Erklärung gern Notiz. 

(Statistik.) Vom 2 bis inclusive 8. Februar 1902 wurden in 
den Ci vilspitälern Wiens 7404 Personen behandelt. Hievon wurden 1596 
entlassen ; 170 sind gestorben (9'6% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 92, egypt. 
Augenentzündung 1, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 1, Dysen¬ 
terie —, Blattern —, Varicellen 164, Scharlach 83, Masern 342, Keuchhusten 57, 
Rothlauf 51, Wochenbettfieber 4, Rötheln 10, Mumps 14, Influenza—, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin.—, Milzbrand—, Lyssa—. 

— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 587 Personen gestorben 
(+ 29 gegen die Vorwoche). 


Eingesendet. 


Skoda-Feier. 

Das Professoren-Collegium der Wiener medicinischen Facultät hat den 
Beschluß gefaßt, anläßlich der bevorstehenden Centennarfeier des Ge¬ 
burtstags Josef Skoda’s eine Gesammtausgabe-der Schriften des Meisters 
zu veranstalten. 

Das mit dieser Aufgabe betraute, unterfertigte Comite wendet sich an 
diejenigen Herren Collegen, welche Schüler Skoda’s waren und im Besitze 
von Collegienheften, Aufzeichnungeu von Vorlesungen oder Vorträgen des¬ 
selben sind, mit der Bitte, diese Beiträge an den Herrn Decan oder Herrn 
Hofrath Nothnagel zur Benützung, resp. Bearbeitung einsenden zu wollen. 

Selbstverständlich wird das Comite die Einsendungen nach Einsicht¬ 
nahme unversehrt zurückstellen. 

Wien, im Februar 1902. 

Nothnagel m./p., Schrötter m./p., Benedikt m./p., v. Töply m./p., 
Neuburger m./p. 


Aus Aerztekreisen. 

Sehr geehrter Herr Redacteur! 

Glauben Sie nicht auch, daß es der Lamentationen über die große 
Nothlage der Aerzte in den Tagesblättern genug ist? 

Es ist gut, das öffentliche Gewissen aufzurütteln, aber man bedenke 
auch die Schattenseiten. 

Die Wirkung auf den competentesten Arzt gegen dieses Leiden hat 
sich bereits gezeigt. Die Regierung, unter deren activer und passiver Assistenz 
die Verhältnisse so geworden sind, hat unter Hinweis auf den aufreibenden 
Beruf des Arztes erklären lassen — nicht etwa, daß sie sich bemühen werde, die 
Ursache der Nothlage zu erforschen und zu beheben —, sondern daß sie die 
Sammlung eines Unterstützungs- (i. e. Almosen)fonds für die in Armuth Zurück¬ 
gebliebenen begrüße. 

Das Gros des Publicums wird sich, durch die Lamentationen gerührt, 
auch an der Action betheiligen. Es wird heute Lose kaufen, morgen aber 
keine Skrupel haben, sich, seitens der behördlichen Organe sympathisch be¬ 
grüßt, zum Zwecke weiterer ungerechtfertigter Verkürzung der ärztlichen Honorare 
zu organisiren. 

Für nothleidende Menschen hat man Almosen, aber keine Rücksicht. 
Es wäre so schön, wenn eine Versammlung von angesehenen Collegen gleich 
der vom 10. d. M. der Oeffentlichkeit auch Einblick verschaffen würde in die 
Machtmittel, welche auszunützen die Aerzteschaft bisher noch zögerte. 

Wien, am 14. Februar 1902. 

Mit collegialen Grüßen Ihr ergebener 
Dr. J. 


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Wien, den 23. Februar 1902. 


Nr. 8. 


XLIII. Jahrgang. _ 

Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militäiärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik - , letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Rogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsauftriige sind an 
die Administration der „"Wiener Medizinischen Presse“ 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 


Wiener 


Abonneraentrpreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Militäräiztlicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
20 A', halbj. 10 K, viertelj. 5 A'. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk. , halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 K; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Bantu 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Anslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein 
Sendung des Betragesper Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mecuz. Presse“ in Wien,! , Maximilianstr.4. 


Medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Organ für praktische Aerzte. 

--QS8.- 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


Redaction: Telephon Nr. 13.849. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Administration: Telephon Nr. 9104. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Mittheilungen aus dem Krankenhause in Biala. Conservative Exstirpation von Uterusmyonien. I. 

Von Dr. Josef Boqdanik, Director des Krankenhauses, — Aus der III. med. Abtheilung des Primarius Baron Pfhnoen im k. k. Krankenhaus Wieden. 
Ein Fall von Processus puerperalis, behandelt mit Unguentum Crede. Von Dr. Ludwio Geiringer, emer. Assistent der Abtheilung. Zur Lehre 
von den Neurosen des peripheren Kreislaufsapparates. (Ueber vasomotorische Ataxie.) Von Dr. Hans Herz n Breslau. Referate. Kari. Petrkx 
(Lund): Ein Fall von traumatischer Rüekenmarksaffection nebst einem Beitrage zur Kenntniß der secundären Degeneration des Rückenmarks. 
Kurella (Berlin): Ueber einige Fragen der Elektrotherapie. — A. Oppenheim (Berlin): Lungenembolien nach chirurgischen Eingriffen mit besonderer 
Berücksichtigung der nach Operationen am Processus vermiformis beobachteten. — A. Gassmann (Bern): Fünf Fälle von Naevi oystepitheliomatosi 
disseminati (Hidradenoires Jaquet et Darier etc.). — Zacher (Ahrweiler): Ueber einen Fall von doppelseitigem, symmetrisch gelegenem Erweichnngs- 
herd im Stirnhirn und Neuritis optica. — Coloman Pandy (Gyula): Die Entstehung der Tabes. — A.Saenger: Ueber Hirnsymptome bei Oarcino- 
matose. — Fritz Mendel (Berlin): Ueber Staaroperationen bei Hochbetagten. — Helsham (New-South-Wales): Wolfsrachen und gespaltene Zunge. 
Bertarei.li (Turin): Eitrige, durch EBERTH’sche Bacillen verursachte Thyreoiditis nach Typhus abdominalis. — Kleine Mittheilungen. Virknng 
des Thyreoidsaftes auf das centrale Nervensystem. — Solveol. — Behandlung der durch Spontanruptur der Gallenblase bedingten Peritonitis. - 
Dyspepsie. — Therapeutische Erfahrungen bei Chorea. — Europhen. — Eine einfache Lagerungsvorrichtnng für dio untere Extremität. Acoin. 
Schlangenbiß. — Haarfärbemittel. — Literarische Anzeigen. Klinik der Verdauungskrankheiten. Von Prof. Dr. C. A. Ewald. — Grundriß der 
Balneotherapie und der einheimischen Balneographie. Von Doc. Dr. L. v. Korczynski. Feuilleton. Ueber die Ersatzansprüche an die Eisen¬ 
bahnen auf Grund der Haftpflicht- und Unfall-Versicherungsgesetze. Von Dr. Michael Grossmann, Univorsitätsdocent, Chefarzt der k. k. priv. österr. 
Nordwestbahn. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. Aus den Abtheilungen der 73. Versammlung Deutscher * Naturforscher und Aerzte. 
Hamburg, 22.-28. September 1901. (Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) XX. — Aus französischen Gesellschaften. 
(Orig.-Ber.) — Aus italienischen Gesellschaften. (Orig.-Ber.) — Notizen. — Neue Literatur. — Eingesendet. Offene Correspondenz der 
Redaction und Administration. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen, 

Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe, der Quelle „ Wiener Medizinische Presse“ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

MittheHunf/en ans dem Kraul* enhanse in Jiiafa. 

Conservative Exstirpation von Uterusmyomen. 

i. 

Von Dr. Josef Bogdanik, Director des Krankenhauses. 

Bei (len Geschwülsten der Gebärmutter, insbesondere 
wenn sie etwas umfangreicher sind, wird mit der Geschwulst 
die ganze Gebärmutter entfernt, und zwar entweder auf dem 
Wege der Laparotomie oder von der Vagina aus, was von 
der größeren Fertigkeit und Vorliebe des betreffenden Opera¬ 
teurs für dieses oder jenes Verfahren abhängt. Da jedoch die 
Entfernung der Gebärmutter für die betreffende Person nicht 
gleiehgiltig sein kann, umsomehr, als die Erfahrung gezeigt 
hat, daß darauf oft Psychosen eintreten, so wird es wohl an¬ 
gezeigt sein, die Gebärmutter dort zu schonen, wo die 
Geschwulst exstirpirt werden kann. Ich möchte hier drei dem 
Sitze nach verschiedene Arten von Neubildungen der Gebär¬ 
mutter anführen, bei denen dieses Organ erhalten werden kann. 

I. Der erste Fall betrifft Fibromyome, welche, von der 
Schleimhaut der Gebärmutter ausgehend und gewöhnlich 
gestielt polypenartig aufsitzend, in die Gebärmutterböhle 
hineinwachsen. Die Gebärmutterhöhle wird wie bei einer 
Schwangerschaft erweitert, der Gebärmutterbals, später auch 
der Gebärmuttermund werden ausgedehnt und man kann durch 
die Vaginaluntersuchung sehr leicht das Neugebilde touchiren. 

In einem solchen Falle habe ich im Jahre 1890 ein kindskopf- 
großes Uterusmyom, welches sich bereits in die Vagina hinein¬ 


geschoben hatte und eine septische Infection verursachte, entfernt, 
indem ich in Narkose die Hand in die Gebärmutterhöhle einführte 
und den Stiel wie bei einer angewachsenen Placenta mit den Nägeln 
ahkratzte. Das septische Fieber hörte bald auf und die Genesung 
machte rasche Fortschritte. 

Sonst pflege ich bei kleinen, von der Mucosa ausgehenden 
Geschwülsten mit einer Zange die Geschwulst zu fassen, und es 
wird durch Rotation der Stiel abgedreht. In diesen Fällen wäre eine 
Totalexstirpation der Gebärmutter unverzeihlich. 

II. Die zweite Art repräsentiren subseröse Fibro¬ 
myome. Die Operation möchte ich an der Hand eines im 
Jahre 1900 operirten Falles illustriren. 

Bei einer 40 Jahre alten Witwe, welche nie schwanger war, 
diagnosticirte ich ein Fibromyom der Gebärmutter, deren Fundus 
bis zur Hälfte zwischen den Nabel und der Symphyse reichte. Die 
Geschwulst war in allen Richtungen leicht beweglich. Um die 
Geschwulst zu entfernen, konnten zwei Wege eingeschlagen werden: 
per vaginam oder per laparotomiam. Da ich aber wo möglich 
immer die Laparotomie wähle, führte ich nach entsprechender Vor¬ 
bereitung der Kranken einen Schnitt, welcher, etwas unterhalb des 
Nabels beginnend, in der Linea alba drei Querfinger oberhalb 
des Nabels endete. Nachdem die Bauchhöhle geöffnet war, wälzte 
ich die Gebärmutter mit dem Neugebilde aus der Bauchhöhle 
heraus. Ich fand eine zwei Faust große Geschwulst, welche, 
der hinteren und oberen Wand der Gebärmutter subserös aufsaß. 
Nun spaltete ich das Peritoneum mittelst eines Längsschnittes über 
der größten Erhabenheit der Geschwulst, löste das Bauchfell vom 
Tumor ab und trennte ihn dann, stumpf arbeitend, vom Uterus. Die 
ganz minimale Blutung wurde gestillt, darauf das Peritoneum über 
der Gebärmutter mittelst einer fortlaufenden Naht aus Oarholcatgnt 


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1902. — Wiener,Medizinische Presse. — Nr. 8. 


geschlossen. Nun versenkte ich die Gebärmutter in die Beckenhöhle 
und legte eine Etagennaht der Wunde in den Bauchdecken an, 
wobei zu versenkten Nähten Carbolcatgut, zum Nähen der Haut 
Crin de Florence verwendet wurde. Die Operation wurde aseptisch 
ausgeführt und ein aseptischer Verband angelegt. Dieses geschah 
am 25. April 1900. Im weiteren Verlaufe entwickelte sich eine 
umschriebene Peritonitis mit Exsudatbildung, welche jedoch bald 
behoben wurde. Die Wunde heilte per primam intentionem. Am 
2. Juni 1900 konnte die Kranke das Spital genesen verlassen. 

Die entfernte Geschwulst war ein Fibromyom und hatte einen 
Umfang von 28 Cm. Die Kranke ist bis heute gesund und recidivfrei. 

III. Die dritte Art sind wandständige Fibrome, 
welche gleichfalls mit Schonung der Gebärmutter entfernt 
werden können. Diese Operation werde ich ebenfalls durch 
die Beschreibung eines operirten Falles erörtern. 

Am 2. August 1897 verlangte die Aufnahme ins Spital eine 
34 Jahre alte Frau. Die Menses traten im 17. Lebensjahre auf, mit 
24 Jahren heiratete Pat., sie hat einmal geboren. Untei leibsbeschwerden 
hatte sie seit ungefähr zwei Jahren, ungeachtet dessen waren die 
Menses regelmäßig, nur litt sie an Blutungen bei schwererer Arbeit. 
Seit 2 Monaten fühlt sie sich sehr schwach, die unteren Extremitäten 
schwellen an. Bei der Aufnahme war sie sehr kachektisch, erdfahl, 
der Puls kaum fühlbar. Bei der combinirten Untersuchung fand ich, 
daß die gut bewegliche Gebärmutter auf zwei Qtierfinger oberhalb 
des Nabels reichte, ihre Oberfläche war glatt. Nach entsprechender 
Vorbereitung wurde am 3. August 1897 die Bauchhöhle in der 
Linea alba oberhalb der Symphyse bis zum Nabel eröffnet, dann der 
Schnitt nach links bis auf 3 Cm. oberhalb des Nabels verlängert. 
Erst jetzt konnte der vergrößerte Uterus in toto aus der Bauch¬ 
höhle herausgewälzt werden, worauf ich oberhalb der Geschwulst 
die durchtrennten Bauchdecken mit Klemmen vereinigte. Dann 
unterband ich den Gebärmutterhals mit sterilisirter Gaze, um 
einer Blutung aus der Gebärmutterwand vorzubeugen. Nun führte 
ich über die vordere Wand der Gebärmutter einen 15 Cm. langen 
Längsschnitt wie bei einem Kaiserschnitte und drang bis auf das 
Neugebilde ein. Nachdem die vordere Wand der Geschwulst ganz 
freigelegt worden war, schälte ich den Tumor aus dem Muskel auf 
stumpfem Wege heraus, ohne daß die Uterushöhle eröffnet wurde. Nach¬ 
dem die Wunde in der Gebärmutter mit steriler Gaze gereinigt war, 
vereinigte ich den durchtrennten Gebärmuttermuskel durch eine fort¬ 
laufende Naht aus Carbolcatgut, ohne die Mucosa zu durchstechen, 
dann legte ich eine Catgutnaht am Peritoneum uterinum an. Ich ent¬ 
fernte noch aus der hinteren Uteruswand ein haselnußgroßes sub¬ 
peritoneal sitzendes Fibrom, dann entfernte ich die Gazeligatur 
vom Uterushalse, reinigte die Bauchhöhle, worauf die Gebärmutter 
versenkt wurde. Etagennaht der Bauchdecken, steriler Verband. In 
die Vagina wurden Globul. jodoformii eingeführt und 1*00 Ergotin 
subcutan injicirt. 

Das exstirpirte Fibromyom hatte eine eiförmige Gestalt und 
war 1300 Grm. schwer. 

Ueber die Nachbehandlung ist nicht viel erwähnenswerth. 
Das Allgemeinbefinden besserte sich, der Puls war gut und schwankte 
zwischen 84 und 104, die Temperatur war in den ersten 8 Tagen 
etwas erhöht bis 39'8° C. Der Harn mußte mittelst Katheter ent¬ 
fernt werden. Beim ersten Verbandwechsel am 4. August wurde 
ein Theil der Nähte entfernt, beim zweiten Verbandwechsel am 
18. August der Rest der Nähte; prima intentio. Die Kranke fühlt 
sich gaDz wohl und wiegt 44‘5 Kgrm. Der Uterus ist beweglich, 
keine Exsudatbildung. Am 4. September wurde die Kranke genesen 
entlassen. — Am 18. September 1898 stellte sie sich wieder vor, 
sah gesund aus und wog 75 Kgrm. Im Frühjahre 1901 untersuchte 
ich sie zum letztenmale; sie ist kerngesund und recidivfrei. 

Auf diese Weise operirte Fälle, die bis vor wenigen 
Jahren nur vereinzelt dastanden, mehren sich. Selbst bei 
Schwangeren wird die Geschwulst exstirpirt, obwohl es in 
den meisten Fällen zu Ahortus führt. Auch während der 
Entbindung muß in jedem Falle das Neugebilde entfernt 
werden, wo es ein Hinderniß für die Entwickelung der Frucht 
abgibt. — Es wäre noch die Frage aufzuwerfen, wie man 


sich in einem Falle von Uterus duplex myomatosus zu ver¬ 
halten habe. Es sind Fälle, wo sich ein Fibromyom zwischen 
die Körper zweier vollkommen getrennter Uteri hineinschiebt. 
In diesen Fällen wird die Totalexstirpation beider Uteri mit- 
sammt dem Neugebilde vorgenommen. Ich würde jedoch, bevor 
ich zur Hysterektomie schreite, zuerst versuchen, ob es nicht 
möglich sei, die Geschwulst auszusehälen, ohne den Uterus 
duplex mit zu entfernen. 


A us der III. med. Abtheilung des Primarius Baron 
Pfuugen im k. k. Krankenhaus Wieden. 

Ein Fall von Processus puerperalis, behandelt 
mit Unguentum Crede. 

Von Dr. Ludwig Geiringer, emer. Assistenten der Abtheiluug. 

Am 2. August v. J. wurde die 30jähr. Frau K. ins Spital 
gebracht; dieselbe war auf einer Fahrt von Ungarn nach Wien 
am 24. Juli im Eisenbalinwaggon von Wehen befallen worden und 
mußte in Grammatneusiedl auswaggonirt werden; daselbst wurde sie 
(eine Ipara) ohne Kunsthilfe im Beisein einer Hebamme von einem 
reifen, gesunden Knaben entbunden; die Placenta ging angeblich 
3 Stunden nach der Geburt spontan ab. Vier Tage nach der 
Geburt sei Schüttelfrost und Fieber (bis 39‘8) aufgetreten und 
7 Tage post partum gingen angeblich noch Stücke der Placenta 
und Theile der Eihäute ab. Als Fieber auftrat, wurde ärztliche 
Hilfe angerufen. Der Arzt entschied sich trotz des ungünstigen 
Zustandes der Patientin für den Transport nach Wien in ein Spital, 
da in den derzeitigen Wohnungsverhältnissen (es war ein kleines, 
unsauberes, von Ungeziefer strotzendes Zimmerchen) überhaupt 
keine Aussicht auf Wiederherstellung vorhanden war. Patientin 
wurde daher am 2. August, also 9 Tage nach der Geburt, mittelst 
Wagens von Grammatneusiedl ins Spital gebracht. 

Bei der Aufnahme zeigen sich bei der kräftigen, gut ge¬ 
bauten Frau alle Anzeichen puerperaler Sepsis. Temperatur 39'3, 
Puls 140, klein, jagend; verfallener Gesichtsausdruck, trockene 
Lippen; trockene, gefurchte, dick belegte Zunge; die Brüste noch 
etwas Milch absondernd. Abdomen aufgetrieben, an den Flanken 
starke Druckempfindlichkeit, spontane Schmerzen im Bauch gering. 
Am Introitus vaginae ein ungefähr 2 Cm. langer Einriß, der mit 
gelbgrauen Exsudatmassen belegt ist, in der Vagina selbst einige 
ebenfalls eiterig belegte Druckgeschwüre. Aus dem Muttermunde 
quillt reichlich übelriechendes Secret. Uterus gut contrahirt. 

Es wird vorerst zu der gewöhnlichen Therapie bei puerperaler 
Sepsis geschritten. Patientin erhält täglich zwei gründliche vaginale 
und intrauterine Sublimatausspülungen, die Geschwüre werden mit 
Jodtinctur touchirt; bei excessiver Temperatur kalte Ganzein¬ 
packungen ; intern nebst reichlicher Milchzufnhr, Cognac, Malaga 
und Weißwein; täglich 3 Chininpulver ä 0'5 Grm. Trotz dieser 
peinlich dnrehgeführten therapeutischen Maßregeln blieb der Zu¬ 
stand ein stationär schlechter; nur die Geschwüre in der Vagina 
reinigten sich. Es traten wiederholt Schüttelfröste mit darauf¬ 
folgenden Steigerungen bis über 40° auf. Patientin war häufig 
somnolent, delirirte, so daß die Prognose als vollständig infaust 
zu betrachten war. Am 7. Tage ihres Spitalsaufenthaltes, d. i. also 
am 15. Tage post partum oder am 11. Tage nach Einbruch des 
Fiebers, entschloß ich mich, noch einen Versuch mit Unguentum 
Crede zu machen, über dessen Werth damals die ersten Publi- 
cationen erschienen. Patientin erhielt am 8. August 3 Grm., am 
9. August 5 Grm. und am 10. August 3 Grm. Unguentum Cred6 
an den Außenseiten der Oberschenkel, der Hüfte und Arme ein¬ 
gerieben. Schon in der Nacht vom 9. zum 10. August war der 
Schlaf ein ruhiger, es traten keine Delirien oder Schüttelfröste 
mehr auf, die Morgentemperatur war am 10. August 36‘8 
und stieg am selben Abend nur noch bis 38*3; dabei war das 
Auffallendste der fast über Nacht eingetretene Umschwung im 
subjectiven Befinden der Patientin. Dieselbe fühlte sich sehr wohl, 
äußerte Appetit und machte den Eindruck einer vollkommenen 
Reconvalescentin; ich ließ noch durch 3 Tage je 3 Grm. Unguentum 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 8. 


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Crede einreiben. Der Zustand blieb fortlaufend ein vortrefflicher, 
es trat kein Schüttelfrost oder eine irgendwie nennenswerthe 
Temperaturerhöhung mehr auf, Patientin fühlte sich immer sehr 
wohl, hatte ausgezeichneten Appetit und Schlaf und konnte am 
23. August, also nach dreiwöchentlichem Spitalsaufenthalt, zwar 
noch etwas anämisch, sonst aber vollkommen gesund das Kranken¬ 
haus verlassen. 

Ich lasse im Nachfolgenden die Fiebertabelle über den Verlauf 
folgen, die wohl am eclatantesten den Erfolg der Behandlung mit 
Unguentum Cred6 kennzeichnet: 




8 Uhr 

12 Uhr 

4 Uhr 

8 Uhr 


Spitalseintritt 





2./VIII. 

15 Grm. Chinin 

39'3 

38 8 

39-4 

39-5 




(Schüttelfrost) 


3./VIII. 

1’5 Grm. Chinin 

37 

371 

37-7 

39 

4./VIII. 

1'5 Grm. Chinin 

381 

377 

387 

38 2 



(Schüttelfrost) 



5./VIII. 

1'5 Grm. Chinin 

37-1 

37-5 

391 

40'2 

6./VIII. 

15 Grm. Chinin 

39 3 

37-8 

38-2 

38 

7./VIII. 


37'3 

37 

38-2 

392 

3 Grm. 

(Schüttelfrost) 




8./VIII. 

Ungt. Cred6 

37-2 

40 

40'5 

39-8 

5 Grm. 

Ungt. Cred6 

382 

38-6 

39-6 

391 

9./VIII. 

3 Grm. 

Ungt. Cred6 

368 

369 

376 

38 3 

10 /VIII. 

3 Grm. 

Ungt. Crede 

362 

36-3 

36-7 

37-2 

ll./VIII. 

3 Grm. 

Ungt. Cred6 

36 2 

366 

37'2 

374 

12./VIII. 

3 Grm. 





13/VIII. 

Ungt. Cred6 

36-3 

364 

363 

367 


Die nachfolgenden Temperaturen entsprachen auch fernerhin 
der Norm. 

Es wurden sohin im Ganzen 20 Grm der CREDE’schen Salbe 
inungirt; schon nach Einreibung von 8 Grm. zeigte sich die auf¬ 
fallende Besserung, die eben, wie der Verlauf bewies, einzig und 
allein der Wirksamkeit der CßEDfi’schen Salbe zugeschrieben 
werden muß. 

Ich habe in der Folge noch zu wiederholtenmalen Ge¬ 
legenheit gehabt, Unguentum Cred6 bei puerperaler Sepsis 
in Anwendung zu bringen ; doch sah ich einen wirklich guten 
und sicher nur durch die Anwendung der CREDE’schen Salbe 
bewirkten Erfolg bloß in den Fällen, in welchen ausgeprägte 
locale Erscheinungen von Seiten des Peritoneums fehlten, 
wo also die Erscheinungen allgemeiner Sepsis vorhanden 
waren. Ganz unbeeinflußt von Unguentum Cred6 verliefen 
jedoch diejenigen Fälle, bei denen die Section schwere eiterige 
Infiltration der Parametrien und des Peritoneums oder eine 
ausgebreitete diphtheritisehe Entzündung des Endometriums 
darbot. 

Jedenfalls aber halte ich es nach meinen Erfahrungen 
für eine Pflicht, in jedem Falle von puerperaler Sepsis 
wenigstens einen Versuch mit der Einreibung von Unguentum 
Crede zu machen, da hiedurch häufig noch in sonst aussichts¬ 
losen Fällen vollkommene Genesung erzielt werden kann. 

Zur Lehre von den Neurosen des peripheren 
Kreislaufsapparates. 

(Ueber vasomotorische Ataxie.) 

Von Dr. Hans Herz in Breslau. 

(Schluß.) 

Therapie. 

Die Behandlung der geschilderten Neurosen des peri¬ 
pheren Kreislaufsapparates ist ein recht complicirtes, aber 
auch recht dankbares Gebiet für den Arzt. Denn mag auch 
mancher Mißerfolg zu verzeichnen sein, oft genug gelingt es 
bei strenger Individualisirung, wie sie ein so vielgestaltiges 


Leiden natürlich erfordert, die Beschwerden zu beseitigen 
oder wenigstens auf ein Geringes zu beschränken; ja es er¬ 
scheint möglich, die schweren Endausgänge, vor Allem die 
Arteriosklerose, zu verhüten. 

Von einer Prophylaxe des Grundleidens läßt 
sich ja theoretisch sprechen; praktisch kommt dabei nicht 
viel heraus. Hat man über Nachkommen von Leuten mit der¬ 
artig labilem Gefäßnervensystem Bestimmungen zu treffen, so 
gelten für ihre Erziehung und weitere Lebensweise dieselben 
hygienischen Grundsätze, wie bei allen zur Nervosität u. s. w. 
geneigten Individuen. Im Uebrigen hat man es in der Regel 
erst mit dem ausgebildeten, meist schon lange bestehenden 
Leiden zu thun. 

Viel wichtiger sind die Verhütungsmaßregeln 
der einzelnen Manifestationen des Leidens. Diese 
Maßregeln stellen schon einen Theil der eigentlichen Therapie 
dar: denn, wie erwähnt, erhöht jeder neue Anfall die Er¬ 
regbarkeit des Gefäßnervensystems, und es ist viel gewon¬ 
nen, wenn es gelingt, längere Zeit die Anfälle zu vermeiden. 
Es müssen also prophylaktisch alle jene Schädigungen mög¬ 
lichst beseitigt werden, welche jene provociren können, d. h. 
nicht nur die eigentlichen ätiologischen Momente der Krank¬ 
heit, sondern auch alle jene Reize, welche bei einmal erwor¬ 
bener Labilität sich unangenehm bemerkbar machen. Jeder 
Fall bietet in dieser Hinsicht ein Studium für sich; flüchtige 
Bekanntschaft mit dem Kranken genügt hier selten. Wer 
sich aber die Mühe nicht verdrießen läßt, sorgfältig in die 
Details der Lebensweise seiner Patienten einzudringen, bei 
längerer Beobachtung alle Schädigungen kennen zu lernen, 
wer es versteht, die letzteren soweit thunlich unter Ein¬ 
setzung aller Autorität dem Kranken aus dem Wege zu 
räumen, hat einen großen Theil der Behandlung bereits ge¬ 
leistet. Aus dem ätiologischen und symptomatologischen Theil 
ergibt sich, was hier Alles in Betracht kommt: bald sind es 
seeliche Vorgänge, bald Kältewirkungen, bald Gifte, bald 
zahllose andere schädliche Reize, die das Eingreifen des 
Arztes erfordern. Näheres Eingehen ist nicht ausführbar. 

Was die eigentliche Behandlung betrifft, so kann 
auch sie sich auf die Anfälle oder auf die zugrunde liegende La¬ 
bilität des Gefäßnervensystems beziehen. Und auch hier ist 
hervorzuheben, daß ebenso wie natürlich einerseits die Be¬ 
handlung des Grundleidens die Neigung zu örtlichen Mani¬ 
festationen verhindert, anderseits die prompte Beseitigung der 
Attaquen die gesammte Erregbarkeit vermindert. 

Zum Theil ist die Wirksamkeit der zu schildernden 
Maßnahmen nur empirisch festgestellt. Es lassen sich aber 
doch gewisse Principien für die Behandlung finden. 

Zunächst das Princip der U e b u n g, — während die 
oben erwähnten prophylaktischen Maßnahmen das Princip der 
Schonung vertreten. Wenn auch schon kleine Reize bei 
unseren Kranken große Störungen hervorrufen, so gelingt es 
zuweilen doch, noch kleinere aufzufinden, auf die keine oder 
geringe Reaction erfolgt, und durch sehr vorsichtige und 
langsame Steigerung erreicht man nicht selten eine derartige 
Gewöhnung des Organismus, daß auch auf etwas größere 
Reize nur mittlere Ausschläge erfolgen. 

Ferner kann man versuchen, auf die Blutverthei- 
lung im Körper einzuwirken. Entweder man nimmt den 
von den Kreislaufsstörungen befallenen Körpertheil direct in 
Angriff, indem man z. B. auf den hyperämischen Theil Ein¬ 
flüsse wirken läßt, die das Blut aus ihm entfernen (Kälte, 
örtliche Blutentziehung etc.) und vice versa. Oder aber man 
greift an anderen Kreislaufsgebieten an, von denen man er¬ 
fahrungsgemäß weiß, daß sie in gewissen antagonistischen 
(unter Umständen auch synergischen) Beziehungen zu den er¬ 
krankten stehen; hier spielt z. B. bei hyperämischen Zu¬ 
ständen die Ableitung auf den Darm, auf die Haut, auf die 
Extremitäten eine große Rolle, auch die allgemeinen Blutent¬ 
ziehungen gehören hierher. Beide Methoden wirken naturgemäß 
zunächst — und manchmal sehr manifest — während des 


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Anfalles. Die Erfahrung lehrt aber, daß es auch gelingt, bei 
habitueller Anwendung derselben in bestimmten (etwa täg¬ 
lichen) Intervallen eine dauernde Neigung zu einer bestimm¬ 
ten, erwünschten Yertheilung der Blutmassen zu erhalten. 

Daß Maßnahmen indicirt sind, welche die allgemeine 
Erregbarkeit des Nervensystems herabsetzen und die mit¬ 
spielenden Constitutionsanomalien verbessern, bedarf wohl 
kaum der Erwähnung. 

Betrachten wir unter Zuhilfenahme dieser Principien 
in Kürze die zur Verfügung stehenden Methoden. 

Die Grenzen der psychischen Beeinflußbarkeit un¬ 
seres Krankheitsbildes sind oben genau beschrieben. Nur jene 
Vorstellungen gewinnen Einfluß auf das Gefäßsystem, welche 
mit lebhaften Affecten verknüpft sind, während ein directer 
Willenseinfluß nur in sehr geringem Maße statthat. Es ist 
daher gar nicht immer zweckmäßig, die Kranken zur An¬ 
strengung ihres letzten Fünkchens Energie anzuspornen, um 
die auftauchenden Beschwerden respective deren Aeußerun- 
gen zu unterdrücken; der meist vergebliche Kampf unterhält 
nur die deprimirte Stimmung. Nur die excessive Steigerung 
der Ausbrüche ist durch geeignete psychische Maßnahmen 
zu bekämpfen, besonders muß es gelingen, den Kranken, die 
von so mannigfachen körperlichen Angstgefühlen gepeinigt 
sind, die weitere Angst vor einer drohenden Gefahr für Leib 
und Leben zu benehmen. Ist es schon aus letzterem Grunde 
nöthig, daß der Arzt eine Art psychischer Herrschaft über 
den Kranken gewinnt, so ist dies mindestens ebenso erforder¬ 
lich, um ihn zu allen den Maßnahmen zu bewegen, welche im 
Verlaufe einer so langwierigen Krankheit sich als nothwendig 
ergeben. Es ist aber mit die wichtigste Vorbedingung für 
das Vertrauen des Patienten, daß der Arzt auf seine Be¬ 
schwerden eingeht und Verständniß für dieselben zeigt. 

Bei der Beurtheilung der medicamentösen Einwir¬ 
kungen muß ich mich besonders auf die Empirie stützen, da 
die Pharmakologie vielfach nicht genügende Thatsachen zur 
Erklärung der Erfolge respective Nichterfolge einer Anzahl 
von Mitteln an die Hand gibt. 

Zu diesen gehört vor Allem das Chinin, das ich für eine 
Art Specificum halte, und das merkwürdigerweise schon von 
den ersten Beobachtern der vasomotorischen Neurosen (z. B. 
Cahen 1. c.) gerühmt wird. Nicht als ob seine Anwendung 
immer gleich von Heilung gefolgt wäre: das ist vielmehr 
nur sehr selten der Fall. Aber eine gewisse subjective Besse¬ 
rung schien mir als Regel unverkennbar, und vor Allem be¬ 
reitet das Mittel den Boden für jede weitere Behandlung vor. 
Meine Resultate in der Behandlung der vasomotorischen 
Ataxie haben sich gebessert, seitdem ich methodisch fast in 
jedem Falle zuerst Chinin brauche, in acuteren Fällen in 
Lösung (2 - 0 : 1800, 3mal täglich 1 Eßlöffel), in etwas pro- 
trahirteren in Pillen (2 - 5 mit Ferr. hydrog. red. 6 - 0 zu 60 
Pillen, 3mal täglich 2 Stück); auch Chinadecocte und, besonders 
lange, Tinct. chin. cps. wende ich oft an. Ich will mich nicht 
in theoretische Speculationen über die Wirkung des Mittels 
einlassen, es ist auch schwer, fast unmöglich, solche Erfolge 
statistiscli zu fixiren: aber ich empfehle die Prüfung dringend. 

Auch die Gefäßwirkung des zweiten Mittels, das sich 
mir bewährte, des Arseniks, ist pharmakologisch nicht sicher¬ 
gestellt (s. Gumprecht ö2 ). In den kleinen Dosen, in welchen 
ich es gebe (3mal täglich 3—4 Tropfen Sol. Fowleri), wirkte 
es vielleicht als minimaler Reiz „übend“ auf das Gefäßnerven¬ 
system. Der zweifellos recht günstige Erfolg beruht wohl 
zum Theil auch auf der Steigerung der Blutbildung bei den 
oft blutarmen Patienten. 

Von allen Herz- und Gefäßmitteln habe ich sonst — 
bei dem chronischen Verlauf des Leidens probirt man sie ja 
oft genug durch — nur vorübergehende oder wenig sichere, 

62 ) Gumprecht, Zur Kenntniß der Arsenikvergiftung. „Deutsche med. 
Wochenschr.“, 1893. 


wenn überhaupt eine Wirkung gesehen; einige Mittel waren 
direct schädlich. 

Der Gedanke liegt ja nahe, bei hyperämischen Zustän¬ 
den gefäßzusammenziehende Mittel zu geben und umgekehrt, 
und die Ausführung erscheint um so eher möglich, weil 
manche dieser Mittel sicher auch auf den peripheren Kreis¬ 
laufsapparat wirken. Aber der Erfolg entspricht nur wenig 
den Erwartungen. 

Wo besonders Gefäßerweiterungen vorliegen, scheint 
z. B. Digitalis indicirt. Aber die Erfahrung lehrte mich, daß 
dieses unschätzbare Mittel hier oft gar nicht, oft direct schäd¬ 
lich wirkte. Ich sehe nicht selten Kranke, bei welchen Col- 
legen auf die Diagnose „Herzleiden“ hin Digitalis gaben, 
und welche infolge des üblen Einflusses dieser Medication 
auf das allgemeine Befinden aus dieser Behandlung weg¬ 
blieben. — Vorübergehenden Erfolg sah ich von Ergotin und 
Coffein. Kampher blieb ohne jede Wirkung oder verschlechterte 
das Befinden. Nur Strychnin, in sehr kleinen Dosen (3mal 
täglich 3 Tropfen Tinct. Strychni) längere Zeit gebraucht, 
schien das Befinden der Kranken günstig zu beeinflussen, viel¬ 
leicht infolge einer Art Gewöhnung an den kleinen Reiz. 

Nicht viel mehr leisten die gefäßerweiternden Mittel. 
Alkohol und Aether sind im Anfall der Synkope, besonders 
wenn die Gefäße weiter Hautbezirke und des Gehirns befallen 
sind, recht gut wirkende Mittel; aber bei öfterem Gebrauche 
verlangen sie bald Steigerung der Dosis und erhöhen nur 
noch die vasomotorische Labilität. Von Amylnitrit, Natrium¬ 
nitrit, Nitroglycerin sah ich nur vorübergehenden und un¬ 
sicheren Erfolg; Tartarus stibiatus, das anderweitig empfohlen 
ist, fand ich ohne Wirkung. 

Was andere Arzneigruppen anlangt, sind die Narcotica kaum 
zu umgehen. Besonders die leichten Antispasmodiea, Baldrian 
und Castoreum, wirken oft vorzüglich und sind bei völliger 
Gefahrlosigkeit lange Zeit fort zu brauchen. Brom ist bei 
heftigen Beschwerden indicirt; ich gab es auch, wenn Leute, 
die ein labiles Gefäßnervensystem besaßen, große Aufregungen 
zu überstehen hatten, gewissermaßen prophylaktisch. Ganz 
auffällig gut wirkt in manchen Fällen das Cocain (hydro- 
chlor. O'l : 60 dreimal täglich ein Theelöffel), oft versagt es 
auch; vielleicht ist eine gefäßverengernde Wirkung dabei von 
großer Bedeutung, da es besonders bei Formen mit vorwie¬ 
genden Gefäßerweiterungen wirkte. Schlafmittel aller Art sind 
im Princip zu widerrathen, in praxi nicht ganz zu entbehren. 

Direct warnen möchte ich vor der Anwendung aller 
Opiate für die große Mehrzahl der Kranken. Abgesehen von 
der Gefahr der Gewöhnung und allen auch sonst zu beobach¬ 
tenden Nebenwirkungen treten auffällig oft heftige Verschlim¬ 
merungen der vasomotorischen Labilität durch jene Mittel 
ein; oft wissen die Kranken schon , daß sie dieselben nicht 
vertragen. 

Endlich die Mittel, welche eine Ableitung auf Haut und 
Darm erzeugen. Die Ableitung geschieht einerseits durch Er¬ 
zeugung von Hyperämie, anderseits durch Hervorrufung einer 
starken Secretion oder selbst Exsudation: wird durch die 
erste eventuelle Blutanhäufung in entfernten Körpertheilen 
bekämpft, so sorgt letztere dafür, in der hyperämischen Haut 
respective im hyperämischen Darm die Blutfülle durch Aus¬ 
scheidung oft größerer Wassermassen zu mäßigen und immer 
neuen Blutmengen Platz zu schaffen. Daß diese zunächst nur 
momentan wirkenden Ableitungen auch anhaltendere Wir¬ 
kungen entfalten können, ist oben schon erwähnt. 

Die Hyperämie und Secretion werden bekanntlich nicht 
immer durch dieselben Mittel erzeugt. Unter den Medica- 
menten, welche auf die Haut ableiten, müssen wir die Rube- 
facientien von jenen Mitteln einigermaßen trennen, welche 
Schweiß und Exsudationen erzielen. Die ersteren wirken meist 
nur vorübergehend und schwach, immerhin sind Senfpapiere, 
Pinselungen mit Jod, mit Tinct. Ratanh. — auch Benson- 
pflaster gehören hierher — den Kranken als momentane Ab¬ 
leitung meist willkommen; die schmerzstillende Wirkung 


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dieser Hautreize spielt auch dabei mit. Vesicantien sind iin 
Ganzen aus der Mode, und auch ich habe von dieser Methode 
nur sehr selten in verzweifelten Fällen Gebrauch gemacht, 
einmal aber, bei heftigen Hirneongestionen, am Nacken mit 
solchem Erfolge, daß ich gelegentlich einen Versuch damit 
doch für berechtigt halte, wenn andere Methoden nichts leisten. 
Den schweißtreibenden Medieamenten zieht man wohl mehr 
andere schweißtreibende Methoden vor. 

Bei den Darmmitteln combinirt sich viel öfter die liyper- 
ämisirende Wirkung mit Steigerung der Secretion und selbst 
Exsudation. Eine tüchtige Abführcur stellt in der That eine 
vorzügliche Heilmethode bei unseren Kranken dar, besonders 
dort empfehlenswerth, wo schon Obstipation besteht oder wo 
Anfälle vom Unterleib her ausgelöst werden. Es ist be- 
merkenswerth, daß besonders auch die (aetiven und venösen) 
Hyperämien der lieber auffällig günstig von diesen Curen 
beeinflußt werden, und daß man bei allgemeiner Plethora 
abdominalis die liyperämisirende Wirkung durchaus nicht zu 
scheuen hat. Man muß mäßig dünne, ;i--4malige Entleerungen 
zu erzielen suchen, wodurch, das ist nicht so wesentlich. Ich 
bevorzuge Bitterwasser oder künstliches Karlsbader Salz, doch 
habe ich auch von Marienbader Tabletten, von Kurella'schem 
Brustpulver, von verschiedenen Thees gute Erfolge gesehen. 
Die Mittel müssen mindestens 14 Tage hintereinander ge¬ 
braucht werden, bei kräftigen Leuten habe ich sie bis 5 Wochen 
gegeben. Viel milder, daher aber viel länger anwendbar, ist 
der von altersher gerühmte Cremor tartari; ich ließ ihn 
monatelang jeden Tag nüchtern gebrauchen und fand ihn 
seines alten Rufes nicht unwürdig. 

Ich kann hier die Brunnen curen anschließen, welche 
in ganz ähnlicher Weise wirken. Bei einiger Widerstands¬ 
fähigkeit sind es die alkalisch-sulfatischen Quellen (z. B. 
Marienbader Kreuzbrunnen), die in erster Reihe in Betracht 
kommen, doch lassen sich auch mit Kochsalzquellen (Hom- 
burger, Kissinger) befriedigende Erfolge erzielen. Zahllose 
Kranke kennen die günstige Wirkung dieser Trinkeuren auf 
ihre Beschwerden und wenden sie immer wieder an, obgleich 
der gewünschte Erfolg gegen die von den Aerzten meist in 
den Vordergrund gestellte Fettleibigkeit oder Magendarm- 
affection sich bei näherer Betrachtung als sehr gering erweist. 

Die Brunneneuren verbindet man öfter mit irgendwelchen 
hydriatischen Methoden, die aber auch allein oft und mit 
bestem Erfolge in Anwendung kommen. Durch die ungeheure 
Mannigfaltigkeit der Methoden und ihre individuelle Ab¬ 
stufung können sie sehr vielen Indicationen gerecht werden. 
Ich kann hier nur in Kürze die wichtigsten Grundsätze skizziren. 

Was die verschiedenen Badeeuren bei allen Nervösen 
durch Kräftigung und durch die Abstumpfung der allge¬ 
meinen Erregbarkeit leisten, ist bekannt genug und gilt auch 
von unseren Kranken. Die Zahl der angewandten Methoden 
ist ja sehr groß, Abreibungen, Voll-, Halb- und Theilbäder, 
Einpackungen, Douchen, See- und Flußbäder, Mineralbäder, 
Bäder mit medicamentösen Zusätzen (Soole, Fichtennadelextract) 
können in sehr verschiedener Abstufung in bekannter Weise 
mit Vortheil zur Anwendung kommen. Zu merken ist nur. 
daß sehr brüske Einwirkungen, im Beginne der Cur wenig¬ 
stens, daß ein häufiger Wechsel der Temperaturen, wie er 
bei anderen Nervösen nicht selten ganz vortheilhaft ist, bei 
der großen Labilität des Gefäßsystems zu vermeiden sind; 
von Dampfbädern, sehr kalten Flußbädern z. B., habe ich mehr 
Schaden als Nutzen gesehen. 

Es muß gerade bei diesen Badeproceduren das oben er¬ 
wähnte wichtige Princip der Hebung nicht übersehen werden. 
Es ist nothwendig und nützlich, mit recht geringen Einwir¬ 
kungen zu beginnen, und dieselben nach Befinden an Dauer 
und Intensität anschwellen zu lassen. Nirgends ist eine fort¬ 
laufende Bewachung so nothwendig, das Schema so schädlich, 
wie hier. Bei geeigneter Methodik lassen sich aber z. B. 
gerade auch bei großer Labilität der Hautgefäße recht gute 
Erfolge erzielen. 


Besonders wichtig sind bei unseren Kranken, wo ja 
örtliche Störungen das Krankheitsbild beherrschen, die ört¬ 
lichen Maßnahmen. Zunächst dort, wo sich die Erkrankung 
manifestirt. Ein kalter Umschlag auf den Kopf bei Congestion 
nach demselben, das Hineintauchen der abgestorbenen Hände 
in warmes Wasser, das sind die vom Kranken selbst meist 
schon erprobten, am nächsten liegenden Mittel. Es lassen sich 
in gleicher Weise aber auch viel nachhaltigere Wirkungen 
erzielen, in den meisten Fällen, aber besonders bei jenen 
Zuständen, wo sei es von vornherein, sei es im späteren Ver¬ 
lauf eine Kreislaufsstörung an einem Gliede chronisch wird. 
Hier steht, erfahrungsgemäß die allgemeine Behandlung sehr 
hinter der örtlichen zurück. Die oben beschriebenen dauernden 
synkopalen Zustände der Beine sind durch heiße Fußbäder 
aller Art — besonders gut wirkt hier auch trockene Hitze 
in Schwitzapparaten — für längere Zeit vollkommen zu be¬ 
seitigen, was die Kranken meist sehr dankbar anerkennen. 
Bei der regionären Cyanose der Hände, den sogenannten 
erfrorenen Fingern etc , fand ich in leichteren Fällen lange 
fortgesetzte tägliche Handbäder mit anorganischen Säuren 
wirksam, die als sehr energischer Reiz auf die Hauteireulation 
zu wirken scheinen; schwerere Fälle sind allerdings unheilbar. 

Oder man greift an entfernten Körperstellen an und 
kann auch hier vorübergehende und dauernde Erfolge erzielen. 
Bei den so häufigen Kopfcongestionen z. B. sind heiße Fu߬ 
bäder, eventuell mit etwas gestoßenem Senf, von möglichst 
hoher Temperatur und langer Dauer im Anfall das empfehlens- 
wertheste; bei den mehr dauernden, wenn auch leichteren 
Zuständen der Kopfcongestion, welche besonders den Schlaf 
stören, wirken heiße Fußbäder am Abend als Schlafmittel, 
auch sind öftere Soolsitzbäder hier von guter Wirkung. In 
einem merkwürdigen Falle, wo ein Kranker über Absterben 
der Hände klagte, das im Winter oft sehr lange anhielt, 
konnte ich den Anfall durch warme Handbäder nicht eoupiren; 
doch löste sich der Krampf, wenn der Kranke mit den Füßen 
in ein Gefäß mit kaltem Wasser stieg. — Bei Zuständen, 
bei welchen man Grund hat, Congestionen in Organen der 
Brust- und Bauchhöhle anzunehmen, kann man die ganze 
Haut zur Ableitung benutzen, und zwar kommt hier besonders 
die Anregung der Schweißthätigkeit durch die verschiedenen 
dabei üblichen Methoden in Betracht. Doch ist im Beginne 
der Cur stets große Vorsicht nöthig. 

Den Brunnen- und Badeproceduren schließeich die Frage 
nach klimatischen Einflüssen an, die sich ja mit jenen 
oft verbinden lassen, aber auch allein eine Rolle spielen. Die 
Empirie lehrt, daß sich Kranke mit labilem Gefäßnervensystem 
in mittlerer Höhenluft, etwa zwischen 600 und 1000 Meter Höhe, 
am wohlsten fühlen. Größere Höhen wirken meist unangenehm 
erregend. Der Einfluß des Seeklimas ist ungemein verschieden, 
ich konnte irgend welchen Grund nicht auffinden, warum 
manche dieser Personen ihre beste Zeit an der See verbringen, 
während andere den Aufenthalt an der See abbrechen müssen, 
weil die Beschwerden sich steigern. In hartnäckigen Fällen 
wird man ja auch mit Seebädern trotz der letzteren Erfah¬ 
rungen einen Versuch machen. 

lieber den Werth der mechanischen Heilmethoden, 
der Massage und der medico-mechanischen Behandlung bei 
unseren Kranken möchte ich ein endgiltiges Urtheil nicht 
fällen. Daß im Anfalle selbst, z. B. bei Synkope der Arme, 
energisches Reiben die Beschwerden lindert oder aufhebt, ist 
sicher. Einen dauernden Einfluß auf die Regelmäßigkeit der 
örtlichen Blutbewegung, den man ja vielleicht von vornherein 
erwarten könnte, habe ich nicht deutlich gesehen, auch nicht 
bei den constanten Formen (der regionären Cyanose, den 
kalten Füßen u. s. w.). Vielleicht ist von jenen heilgymna¬ 
stischen Methoden am meisten zu erwarten, welche eigene 
Mitarbeit des Patienten verlangen; denn eine gewisse körper¬ 
liche Bewegung ist ihnen durchaus nützlich. Weitere Beob¬ 
achtungen müssen ergeben, ob die mechanischen Maßnahmen 
noch einen anderen Werth für diese Kranken haben, als den 


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allgemeinen, den sie für die Ernährung und die Kräftigung 
des Nervensystems besitzen. 

Sehr gute Dienste hat mir die elektrische Be¬ 
handlung geleistet. Der faradische Pinsel, der als Derivans 
und schmerzstillendes Mittel wirkt, hat im allgemeinen nur 
beschränkte Anwendung; die Erzeugung stärkerer Schmerzen, 
die wechselnde Erregung beim Bestreichen verschiedener 
Hautbezirke sind ganz zu vermeiden. Mit Platten oder 
Schwamm habe ich auch nicht viel erzielt. Am besten wirkte 
der faradische Strom, wenn man ihn durch Wasser hindurch 
auf eine Extremität längere Zeit wirken ließ, z. B. als elek¬ 
trisches Fußbad, indem beide Elektroden in den Eimer ge¬ 
hängt wurden; es gelang so, in eiskalten Füßen eine sehr 
angenehme Hyperämie zu erzielen. — Viel weiter gehende 
Anwendung machte ich von dem galvanischen Strome, und 
zwar, um von weniger sicheren Wirkungen zu schweigen, 
als einem vorzüglichen Uebungsmittel. Es ist oben erwähnt, 
daß schon sehr geringe galvanische Ströme, durch den Kopf 
geleitet, bei sehr vielen Fällen vasomotorischer Ataxie die 
lebhaftesten Unlustgefühle erzeugen, wobei cerebrale Kreis¬ 
laufsstörungen sicher eine Rolle spielen. Ich habe nun jetzt 
bereits in einer Reihe von Fällen — die Kranken müssen sich 
zu einer mehrwöchentlichen Cur bereit erklären — durch den 
Kopf in der Weise Ströme geleitet, daß ich mit den minimalsten 
Stärken anfing und allmälig stieg. Die Kranken dürfen den 
Strom zunächst gar nicht fühlen, und die Steigerung muß sehr 
langsam sein. Manche fielen bald ab, da sie den Strom absolut 
nicht vertrugen. Bei vielen aber war es ganz auffällig, wie 
sie sich allmälig an immer stärkere Ströme gewöhnten. Und 
was das Erfreulichste dabei war: auch andere Reize, welche 
sonst den Gefäßapparat des Kopfes in Unordnung versetzten 
— nur Fälle mit entsprechenden Symptomen habe ich derart 
behandelt —, hatten deutlich geringere Wirkung. Die Er¬ 
leichterung dadurch war zuweilen sehr wesentlich. 

Ich bemerke noch, daß ich einen directen Einfluß auf 
die großen Gefäße weder durch Anwendung des galvanischen 
noch des faradischen Stromes erzielen konnte. Es gelang mir 
z. B. in keiner Weise, die stark klopfenden Carotiden bei 
Hirncongestion zur Contraction zu bringen. 

Endlich die Blutentziehungen. Zu örtlichen Blut¬ 
entziehungen scheint die Natur selbst aufzufordern; denn, 
wie erwähnt, oft stellen Nasenblutungen bei Hirncongestionen, 
Hämorrhoidalblutungen bei Unterleibscongestion eine dem 
Kranken höchst wohlthätige Erleichterung dar; wir haben 
gesehen, daß manche Leute das Nasenbluten direct provociren. 
Ein übergroßer Bluterguß, wie er bei spontaner Hämorrhagie 
dft das ärztliche Eingreifen erfordert, läßt sich ja mit unseren 
Methoden vermeiden. In der That habe ich blutige Schröpf¬ 
köpfe und Blutegel nicht selten und gelegentlich mit gutem 
Erfolge angewendet, im Nacken bei sehr heftiger Gehirn- 
congestion, besonders wo im mittleren oder höheren Lebens¬ 
alter doch eine cerebrale Apoplexie nicht unmöglich schien, 
in der Lebergegend bei Leberhyperämie u. s. w. Daß ich die 
Methode nicht öfter anwendete, hatte mehrere Gründe. Der 
geringste war der, daß viele derartige Kranke kein Blut 
„sehen“ können, psychisch dadurch enorm erregt werden. 
Die Beobachtung der spontanen Blutungen lehrte mich aber 
schon, daß der Erfolg durchaus nicht nachhaltig ist, dieselben 
wiederholen sich meist und führen schließlich doch zu einer 
gewissen Anämie. Da zudem ein guter Theil meiner Patienten 
schon von vornherein blutarm war, so hielt ich wiederholte 
Blutentziehungen für unstatthaft. 

Dasselbe gilt noch in vermehrter Weise vom Aderlaß. 
Die ableitende Wirkung desselben läßt sich durch andere 
Methoden wohl in ähnlicher Weise auch erreichen, ohne daß 
dem Körper kostbares Material verloren geht. Während ich 
den Aderlaß z. B. im Klimacterium 63 ) bei kräftigen Personen, 


53 ) H. Herz, lieber den Aderlaß im Klimacterium. „Zeitschrift f. prakt. 
Aerzte“, 1900. 


wo eine normale Evacuation fortfällt, öfter mit Erfolg ange¬ 
wendet habe, schien mir die abnorme Vertheilung der Blut¬ 
menge bis jetzt nur einmal (Fall 13) in gefährlicher Lage 
eine Indication zur Venaesection. 

Wie man sieht, ist die Zahl der bei der Behandlung 
einzuschlagenden Wege sehr groß, und ich glaube nicht, daß 
ich alle Methoden erschöpft habe, welche bei einem so viel¬ 
gestaltigen Krankheitsbilde gelegentlich in Anwendung kom¬ 
men können. Diese Maßnahmen in möglichst passender Weise 
zu treffen, sie zu combiniren und abzuwechseln, ist Sache der 
persönlichen Geschicklichkeit des Arztes. Regeln lassen sich 
darüber nicht aufstellen, zumal die Beschwerden und der 
Verlauf jedes einzelnen Falles und vor allem auch seine Re- 
action auf irgend ein angewandtes Heilverfahren ungemein 
verschieden sind. 

Jedenfalls sind Erfolge nur dann zu erzielen, wenn man 
dem peripheren Kreislaufsapparat, dessen Bedeutung für die 
Blutbewegung zu schildern mit der Hauptzweck dieser Arbeit 
war, und seinen functioneilen Störungen eingehendere Be¬ 
achtung widmet, als sie ihnen meist zutheil wird. 


Referate. 


Karl Petren (Land): Ein Fall von traumatischer 
Rückenmarksaffection nebst einem Beitrage zur 
Kenntniß der secundären Degeneration des 
Rückenmarks. 

Die Ergebnisse der Arbeit Petren’s („Nord. raed. Arkiv“, 
1901, Bd. 34) betreffs der Bahnen im centralen Nervensystem 
lauten: 

Das Vorkommen absteigender, exogener Fasern auf den 
SCHULTZE’schen Kommafeldern ist bewiesen, ebenso auf dem tri¬ 
angulären Felde des Sacralmarkes. Durch diese Beobachtung wird 
das Vorkommen exogener Fasern (und zwar vom oberen Theile 
des Rückenmarkes) auch auf dem ovalen Felde des Lendenmarkes 
wahrscheinlich. Das Vorkommen endogener, absteigend degenerirender 
Fasern auf den genannten Feldern der Hinterstränge ist nicht 
bewiesen; die Wahrscheinlichkeit des Vorkommens solcher Fasern 
leugnet Petren nicht. 

In Uebereinstimmung mit dem allgemeinen Gesetze für die 
Lagerung der Fasern der Hinterstränge sind auch auf dem 
Gebiete des ovalen Feldes des Lendenmarkes die langen Fasern, 
d. h. die aus dem oberen Theile des Rückenmarkes stammenden, 
näher an der Mittellinie gelegen als die kurzen Fasern. Unter den 
aufsteigenden, exogenen Fasern der Hinterstränge verbleiben die 
aus den Cervical- und den 3 bis 6 oberen Dorsalnerven stammenden 
bis zum obersten Theile des Cervicalmarkes in den BuRDACH’schen 
Strängen. Die Fasern von den Nerven der Halsanschwellung und 
von den genannten oberen Dorsalnerven werden im oberen Theile 
des Cervicalmarkes, gleichwie im verlängerten Marke, innerhalb 
der medialen Hälfte der BüRDACH’schen Stränge völlig mit einander 
vermischt. Die laterale Hälfte dieser Stränge wird folglich hier nur 
von den Fasern der 1—4 Cervicalnerven gebildet. Die Fasern der 
letztgenannten Nerven endigen im lateralen Kerne des Burdach- 
schen Stranges, im medialen BüRDACH’schen Kerne aber die Fasern 
von den 5—8 Cervicalnerven und den oberen Dorsalnerven. Dieser 
Kern muß noch andere (sonst unbekannte) Verbindungen als die¬ 
jenigen mit den Fasern der Hinterstränge und der Schleife haben; 
betreffs des lateralen Kernes ist dies aber nicht der Fall. Ein Theil 
der aufsteigenden, exogenen Fasern der Hinterstränge geht in den 
hinteren Kleinhirnarm derselben Seite direct über. Eine directe 
Verbindung mit dem gekreuzten Kleinhirnarme oder mit der Schleife 
gibt es — der bisherigen Erfahrung nach — nicht. Auf dem 
Gebiete der Pyramidenseitenstrangbahnen finden sich spärliche, auf¬ 
steigende Fasern von sehr langem Verlaufe (in diesem Falle wenigstens 
vom ersten Dorsalsegraente bis zur Brücke) vor. Ein Theil der 
Fasern der Kleinhirnseitonstrangbahn wird während des Verlaufes 
durch das Cervicalmark vom vorderen zum hinteren Theile dieser 
Bahn verschoben. Die Hauptmasse der Fasern der GowERS’schen 


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Bahn braucht 5—7 Segmente (wenigstens im Cervicalraarke), um 
von der Grenzschicht der grauen Substanz zur Peripherie des 
Rückenmarks zu gelangen. Ein bestimmter Unterschied zwischen 
der GowEßs'schen Bahn und dem sogenannten Grundbündel des 
Seitenstrangs läßt sich nicht mit Fug aufrechthalten. Aller Wahr¬ 
scheinlichkeit nach endigt ein Theil der Fasern der GowERS’schen 
Bahn im Seitenstrangkerne des verlängerten Markes. Die auf¬ 
steigenden, endogenen Fasern des ventralen Hinterstrangfeldes er¬ 
strecken sich über 5 Segmente, nicht aber weiter. Die Grenzschicht 
des Vorderhorns im Vorderseitenstrange degenerirt sowohl auf- als 
absteigend ; ihre Fasern erstrecken sich über 3, höchstens 4 Segmente. 
Unter den betreffenden Fasern zeigen die in den Vordersträngen 
gelegenen einen noch kürzeren Verlauf als die in den Seitensträngen. 
Verf. hat eine sehr kurze aufsteigende Degeneration des medialen 
Seitenstrangbündels gefunden. N. 


Kurella (Berlin): Ueber einige Fragen der Elektro¬ 
therapie. 

Die Anuahme, daß sich der elektrische Strom durch den 
Körper wie durch einen Leitungsdraht bewege, erkennt Kurella 
nicht an („Centralbl. f. Nervenheilkunde u. P6ych.“, 1901, Nr. 10). 
Der menschliche Körper ist nicht ein Leiter 1. Classe (wie die 
Metalle), sondern ein Leiter 2. Classe, der noch dazu in eine 
isolirende Hülle, die Epidermis, eingeschlossen ist. Von einer 
Stromleitung durch den Körper kann daher im eigentlichen Sinne 
nicht die Rede sein, sondern nur insofern, als eine Stromleitung 
durch Wanderung von Ionen stattfindet, nämlich von Anionen von 
der Kathode aus zur Anode hin, von Kathionen von der Kathode 
her zur Anode hin. Ganz verschieden davon ist aber der erregende 
Einfluß von Schließung und Oeffnung eines Batteriestromes und von 
Inductionsschlägen. Alle erregende Wirkung elektrischer Vorgänge 
auf irritable Gewebe ist nicht auf ein Stromschema, sondern auf 
die Vorgänge bei Condensatorenentladung zurückzuführen. Bei 
diesen Vorgängen bilden die Elektroden die metallischen Belegungen 
eines Condensators, der Körper aber das Dielectricum eines Condeu- 
sators. (Der Ausdruck Dielectricum ist ein Ersatz für den ver¬ 
alteten Ausdruck Isolator.) Im Körper bewegt sicli daher kein 
elektrischer Strom, sondern es vollzieht sich im Körper eine 
dielektrische Verschiebung. Die dielektrische Verschiebung im 
thierischen Körper ist ein complicirter Vorgang, der noch nicht 
hinreichend aufgeklärt ist; jedenfalls sind es keine elektrolytischen 
Vorgänge und keine Verhältnisse wie im Leitungsdraht oder in 
einer Glühlampe, und die Apparate zum Messen des Stromes sind 
nicht zu verwerthen. L. 

A. Oppenheim (Berlin): Lungenembolien nach chirurgi¬ 
schen Eingriffen mit besonderer Berücksichti¬ 
gung der nach Operationen am Processus ver¬ 
miformis beobachteten. 

Lungenembolien nach chirurgischen Eingriffen werden ge¬ 
wöhnlich nur dann sicher diagnosticirt, wenn sie ganz schwere 
Erscheinungen machen oder zum Tode führen. Die leichten Formen 
köDnen falsch gedeutet oder gar übersehen werden. 0. hat rasch 
nach einander fünf einschlägige Fälle beobachtet („Berl. klin. 
Wschr.“, 1902, Nr. 5). Er ist der Ansicht, daß die bei dem peri- 
typhlitischen Absceß häufiger als bei anderen Krankheiten beob¬ 
achteten Thrombosen ihre Ursache in der Krankheit selbst haben 
(zumal Fälle genug bekannt sind, in denen diese Complication auch 
ohne Operation beobachtet worden ist). Wenn man nämlich bedenkt, 
wie bei der Perityphlitis perforativa der Absceß sich rapide ent¬ 
wickelt und besonders bei extra peritonealer Lage mit seinem in- 
fectiösen, die Pseudomembranen durchsetzenden Inhalt auf den Ge¬ 
fäßen des Beckens lastet, so hat man auch die Klärung dafür, daß 
in diesen direct in die Vena cava führenden Venen der autochthone 
Sitz dieser Thromben zu suchen ist, welche als „Compressions- 
thrombosen“ in der Umgebung von Entzündungsherden (Billroth) 
anzusehen sind. 

Aehnlich und doch anders verhält es sich bei den Throm¬ 
bosen nach Operationen im anfallsfreien Stadium der Appendicitis 


welche uns ungleich seltener begegnen. In Bezug auf die Entstehung 
dieser weist Verf. auf die Arbeit von Ebert und Schimmelbusch 
hin, welche zu dem Schlüsse gelangt sind, daß selbst auf heftige 
Gefäßwandverletzungen hin bei guter Circulation fortgesetzte und 
obturirende Thromben kaum zustande kommen. 

Bei der Operation stellen sich aber die Verhältnisse oft so, 
daß der in Adhäsionen eingegrabene Appendix häufig an der Fascia 
iliaca festgelöthet ist. Bei den Bemühungeu, ihn aus seinen Ver¬ 
bindungen zu lösen , wird an den Gefäßen gezerrt und kommt 
dann als zweiter Hauptfactor eine Circulationsstörung hinzu, die 
bei diesen Kranken durch das geschwächte, von der Narkose alterirte 
Herz hervorgerufen wird; dann haben wir die Bedingungen für 
das Zustandekommen einer Thrombose. Die von diesem Thrombus 
ausgehenden Embolien können symptomlos verlaufen; ihr Sitz ist 
fast immer rechts im unteren Lappen, gewöhnlich in der Nähe der 
Pleura zu suchen. 0. hat in seinen Fällen regelmäßig Temperatur¬ 
steigerungen beobachtet. N. 

A. Gassmann (Bern): Fünf Fälle von Naevi cystepi- 
theliomatosi disseminati (Hidradenomes Jaquet et 
Darier etc.). 

Das klinische Bild dieser so vielfach benannten Dermatose 
(Lymphangioma tuberosum multiplex Kaposi, Ilae- 
mangoendothelioma tuberosum multiplex, Syringo- 
cystom, Hidradenomes etc.) ist bereits zur Genüge von den 
verschiedenen Autoren gezeichnet; es handelt sich um mehr oder 
weniger zahlreiche, zumeist über die Vorderfläche des Thorax dis- 
seminirte, erhabene, hanfkorn- bis bohnengroße Knötchen von röth- 
licher Farbe, deren erstes Auftreten zumeist in die frühe Jugend 
zurückreicht. Als andere Localisationsstellen seien noch der Rücken, 
Hals und das untere Augenlid genannt. Während ein Theil der bis¬ 
herigen Beschreiber geneigt ist, die Entstehung dieser Geschwülst- 
chen uu8 dem Endothel, sei es der Lymphgefäße, sei e3 der Capil- 
larcn abzuleiten, treten die anderen für einen Zusammenhang mit 
dem Epithel des Schweißdrüsenausführungsganges ein. Der Autor 
kritisirt im letzten Theile seiner Arbeit die zuzüglichen Befunde 
und sucht zu erweisen, daß weder die eine, noch die andere An¬ 
schauung einwandsfrei wäre. Ihm selbst boten fünf einschlägige 
Fälle reichliches Material zur histologischen Untersuchung („Archiv 
f. Dermat. und Svph.“, LVIII), auf Grund deren er sich für die 
epitheliale Natur der Geschwülstchen ausspricht. Da die Zellen 
ihrem Aussehen nach als epitheliale oder endotheliale nicht zu unter¬ 
scheiden sind, so ist auf den Befund zahlreicher Körnchen im Proto¬ 
plasma der Zellen, welche die Stränge und Cysten bilden, besonderer 
Nachdruck gelegt, die in ihrem Färbcverhalten ganz mit dem 
lveratohyalin identisch sind, mit der einzigen Ausnahme, daß 
sie bei Hämalaun-Eisessigbehandlung etwas entfärbt werden. In fast 
allen Fällen konnten Auswüchse des Deckepithels constatirt werden, 
welche im Bereiche der Geschwulst als solide Zapfen, ohue jegliches 
Lumen, in die Tiefe dringen und sich in der Pars reticularis verzweigen; 
der Zusammenhang des Deckepithels mit den Geschwulststrängen ist 
aus den Serienschnitten mit absoluter Sicherheit zu gewinnen, ebenso 
auch die unmittelbare Verbindung einer Cyste mit dem Epithel 
vermittelst eines Zellstranges. Wohl ist auch der Zusammenhang mit 
der Basis der Schweißdrüsenausführungsgänge an einzelnen Bildern 
zu erkennen, an anderen Stellen aber deuten die Befunde auf die 
Möglichkeit, daß die Geschwulstmassen auch von anderen Punkten 
des Epithels, speciell von den Haarbälgen, ausgehen können. 
Die Affection ist demnach als ein gutartiges Epitheliom aufzu¬ 
fassen und bei ihrem klinischen Charakter und ihrem Verlauf 
scheint dem Autor die von ihm neugewählte Bezeichnung „N a ev i 
cystepitheliomatosi disseminati“ die treffendste. 

Deutsch. 

Zacher (Ahrweiler): Ueber einen Fall von doppelseitigem, 
symmetrisch gelegenem Erweichungsherd im 
Stirnhirn und Neuritis optica. 

Zacher fand in seinem instructiven Falle („Neurol. Centralbl.“, 
1901, Nr. 23) als dauernde Symptome keine somatischen Ausfalls¬ 
erscheinungen, wohl aber eine Reihe psychischer Phänomene. Aus- 

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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 8. 


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gesprochene Störung der Merkfäbigkeit bei intactem Gedächtniß 
für die Vergangenheit; Mangel jeglicher Reaction auf äußere Vor¬ 
gänge sowie auf Veränderungen, die seine Persönlichkeit, beziehungs¬ 
weise seinen Körper betrafen. Pat. war anspruchsfähig, ermüdete 
aber leicht; heitere Stimmung; die Witzelsucht, hier localdiagnostisch 
eher verwendbar als bei Tumoren, weist, da Pat. vcrmuthlich eben¬ 
so wie andere seiner Art sie auch in gesunden Tagen gehabt 
hatte, darauf hin, daß ihm die Beurtheilungsfähigkeit, beziehungs¬ 
weise das Gefühl für seine Lage verloren gegangen war. Die anfäng¬ 
liche Reizbarkeit verlor sich bald. Beiderseitige Neuritis optica mit 
zahlreichen Rlutungcn erschwerte die Diagnose; eine Ursache für 
die Neuritis ergab sich nicht. Pat. war Diabetiker. Infeld. 

Coloman Pänoy (Gvula): Die Entstehung der Tabes. 

Verfasser hat bei verschiedenen experimentellen Vergiftungen 
und in klinisch beobachteten verschiedenartigen Fällen das Rücken¬ 
mark untersucht und findet („Neurol. Centralbl.“, 1901, Nr. 23), 
von Einzelheiten abgesehen, daß die Hinterstränge beim lutactbleiben 
der hinteren Wurzeln degeneriren und bei deren Degeneration intact 
bleiben können. Die Hinterstränge des Rückenmarks können demnach 
unabhängig von den hinteren Wurzeln erkranken. Die Degeneration 
macht keinen Unterschied zwischen exogenen und endogenen Fasern, 
nur der außerordentlich langsame Verlauf der Tabes kann zu einer 
solchen Annahme führen. Die Tabes ist eine in der Zone inter- 
mediaire der Hinterstränge beginnende endogene, pseudo-systematische 
Erkrankung, welche allem Anscheine nach auf dem Wege einer 
chronischen luetischen Vergiftung der Hinterstränge entsteht; das 
erwähnte Feld ist hei sämmtlichen Stoffwechselvcränderungon der 
empfindlichste Theil der Hinterstränge; seine Erkrankung ist die 
Conditio sine qua non der Tabes, und dies soll nicht nur die sämmt¬ 
lichen anatomischen Veränderungen, sondern auch das klinische Bild 
vollkommen verständlich machen. Infeld. 

A. Saenger ; Ueber Hirnsymptome bei Carcinomatose. 

Saknger meint, unter Zugrundelegung einer eigenen Reob- 
achtung, in der die mikroskopische Untersuchung noch Metastasen 
des Krebses da nachweisen ließ, wo man nach dem makroskopischen 
Rilde dieselben nicht erwartet hätte, und anderer Reobaehtungen 
(„Neurol. Centralbl.“, 1901, Nr. 23), daß Oppenheim’s toxische 
Hypothese für Herdsymptome ohne anatomischen Refund bei 
Carcinomatose nach genauerer mikroskopischer Untersuchung des 
Gehirns und seiner Häute immer mehr an Wahrscheinlichkeit ver¬ 
lieren dürfte. Die Hirnsymptome bei Carcinomatose sind 1. all¬ 
gemeiner Natur: Koma, Apathie, Demenz, wahrscheinlich toxisch 
bedingt; 2. sogenannte Herdsymptome, a) ohne makroskopischen 
Refund, wobei es sich wahrscheinlich meist um mikroskopische 
Krebsmetastasen in der Hirnhaut, beziehungsweise in der Ilirnsubstanz 
oder um derzeit noch nicht eruirbare Veränderungen handelt; b) 
mit makroskopischem Refund, Geschwulstmetastasen von verschiedener 
Größe und Erweichungen oder Rlutungen ohne Metastasenbildungen. 
Die allgemeinen und die speciellen Symptome können sich combiniren. 
— Bezüglich der mikroskopisch nachweisbaren Krebsmetastasen im 
llirn sei auf eine Demonstration IIirschl’s im Wiener psychiatrischen 
Verein („W. klin. Wschr.“, 1898, Nr. 27) verwiesen. Infeld. 

Fritz Mendel (Reriin): Ueber Staaroperationen bei Hoch¬ 
betagten. 

Verf. hat die Krankenjournale der HiRSCHBERo’schen Klinik 
auf die Staaroperationen bei Hochbetagten (von 80 Jahren und 
darüber) hin genau untersucht. Unter 1645 Kern-Staarextractionen 
betrafen 33 Patienten über 80 Jahre („Rerl. klin. Wschr.“, 1901, 
Nr. 32). Was die Operation selbst bei den Hochbetagten anbetrifft, 
so war dieselbe trotz der natürlichen Complicationen seitens des 
Körpers und des Auges im Wesentlichen ganz regelmäßig. Nur ein 
einzigesmal, bei einer besonders unruhigen Patientin, wurde mäßiger 
Glaskörperverlust beobachtet. Der Heilungsverlauf war mit eiuer 
Ausnahme ganz regelrecht. Ferner trat nach der Heilung des 
Staarschnitts in einem Falle bei einem 80jährigen, der nur einen 
Tag zu Rett gelegen hatte, Bronchopneumonie auf, die zum tödt- 


lichen Ausgang führte. In diesem Falle war vor der im Anfang 
des Herbstes vorgenommenen Staaroperation der ganze Sommer zu 
einer klimatischen und Badecur der chronischen Bronchitis benutzt 
worden. Auf Grund dieser Thatsachen darf man also behaupten, 
daß auch bei Hochbetagten die Extraction ein empfehlenswerthes 
Verfahren darstellt. Allerdings ist große Sorgfalt und Ueberwachung 
nothwendig, um gute Erfolge zu erzielen. Die Complicationen von 
Seiten des Körpers und des Auges erheischen große Aufmerksamkeit. 
Namentlich sind es die Bronchialkatarrhe, die infolge ihrer Husten¬ 
stöße ungünstig auf den Verlauf der Heilung einwirken. N. 

Helsham (New-South-Wales): Wolfsrachen und gespaltene 
Zunge. 

H. berichtet über folgenden Fall („Brit. Journ. Dent. Sc.“) : 
Bei einem 2 Tage alten Kinde fehlte der weiche Gaumen völlig ; 
an seiner Stelle fand sich ein ovales Loch, durch das man die 
Nasenscheidewand und den Vomer sehen konnte. Die freien Ränder 
der Oeffnung wurden durch je eine Falte, von der Tonsille bis 
zum Unterkiefer, hinter den letzten Molar reichend, gebildet. Die 
Zunge war vollkommen von hinten bis zur Spitze, wo beide Enden 
zusammenstießen, getheilt; wenn das Kind schrie, richteten sich die 
beiden Hälften zu zwei Kämmen auf, die sich beinahe an ihren 
freien Rändern berührten ; sonst besaß das Organ keine Beweglichkeit. 
Der Vater des Kindes war Japaner, die Mutter Australierin. N. 

Bertarelli (Turin): Eitrige, durch EBERTH’sche Bacil¬ 
len verursachte Thyreoiditis nach Typhus ab¬ 
dominalis. 

Die posttyphösen Eiterungen waren im Laufe der letzten 
Jahre wiederholt Gegenstand eingehender bakteriologischer Unter¬ 
suchung; oft wurde in denselben als ihr Erreger der Typhus¬ 
bacillus nachgewiesen. Die vorliegende Mittheilung („Centralbl. f. 
Bakteriologie, Parasitenkunde und Infectionskrankheiten“, Bd. 29, 
H. 13) liefert einen weiteren Beitrag zu diesem Capitel, indem 
Verf. als Erreger einer eitrigen Thyreoiditis, die kurze Zeit nach 
einem Abdomiualtyphus auftrat, den echten Typhusbacillus nach¬ 
weisen konnte. Nach der Angabe des Verf. ist dies der zweite bis¬ 
her bekannte Fall, der bakteriologisch genau untersucht wurde. Be¬ 
merkenswerth ist, daß in diesen beiden Fällen eine Struma bestand ; 
Verf. glaubt, daß die posttyphöse Strumitis Schilddrüsen betrifft, 
die bereits verändert sind und bei welchen daher das bakterien- 
tödtende Vermögen des Strumasecretes oder der normale Widerstand 
der Drüse vermindert waren. Dr. S. 


Kleine Mittheilungen. 

— Die Beiträge zur Lehre von der Wirkung des Thyreoid- 
saftes auf das centrale Nervensystem von Haskovec („Arch. 
intern, d. Pharmakodyn. et deTher.“, 1901, Vol. III, pag. 167) lehren: 
Intravenöse Injection des frischen thyreoidalen Saftes von Hunden 
oder des wässerigen Extractes von Merck’s Thyreoidinum siccatum 
bewirkt nach früheren Versuchen des Autors bei Hunden eine 
kurz andauernde Depression des Blutdrucks und Acceleration des 
Pulses. Die Pulsbeschleunigung ist wahrscheinlich nicht durch 
Vaguslähmung und auch nicht allein durch eine directe Reizung 
des Herzens, sondern vielleicht durch Reizung des Centrums der 
Nervi accelerantes bedingt. Die Verminderung des Blutdrucks 
stellt sich auch nach dem Durchschneiden der Nervi vagi, nach 
Durchschneidung der Mcdulla oblongata und nach Vergiftung mit 
Atropin ein, kann somit nicht bulbären Ursprungs sein. Nach 
vollkommener Ausbohrung des Rückenmarks und der Medulla 
oblongata eines curarisirten Hundes bewirkt die thyreoidale In¬ 
jection mäßiges Sinken des Druckes ohne wesentliche Aenderuug 
der Pulsfrequenz; somit ist auch der spinale Ursprung der Blut¬ 
drucksverminderung unwahrscheinlich gemacht. Werden die Organe 
der Bauchhöhle unterbunden und dadurch das Gebiet des Nervus 
Splanchnicus aus dem Blutkreislauf ganz ausgeschlossen, so wird 
der Blutdruck ebenfalls merklich herabgedrückt und zugleich der 
Puls mehr oder minder deutlich beschleunigt. Der Autor zieht 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 8. 


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daraus den Schluß, daß die Drucksenkung nicht durch Beeinflussung 
der Vasoconslrictoren weder central, noch peripher bewirkt werden 
kann. Wahrscheinlich handelt es sich um eine directc schädigende 
Einwirkung auf das Herz selbst, wenn auch das Mitwirken noch 
anderer Factoren, wie z. B. Dilatation der Blutgefäße, nicht aus¬ 
zuschließen ist. 

— Das Solveol, ein mit Wasser momentan mischbares Anti- 
septicum, ist weniger giftig als Carbolsäure, frei von anhaftendem 
Geruch und nicht schlüpfrig w'ie die Kresolseifen. Es besteht aus 
Kresol, das durch kresotinsaures Natrium in eine neutrale, mit 
Wasser mischbare Lösung gebracht worden ist, und gibt mit jedem 
beliebigen reinen Wasser durchsichtige Lösuugen. Zur Händedes- 
infection und zum Reinigen der Instrumente nimmt man 1—2%ige 
Lösungen. Die Lösung ist neutral, klar, mischt sich mit Blut und 
Eiter in jedem Verhältniß, ohne Gerinnungen zu erzeugen, und 
gibt auch mit Urin, Speichel, Bronchialsecret, Blasen- und Vaginal¬ 
schleim keine Niederschläge. Statt nur die eine (1—2°/ 0 ige Sol- 
veollösung zu benutzen, kann man auch diftcrenziren und eine 
2%ige Solveollösung dort anwenden, wo eine stärkere Desinfection 
erwünscht ist (z. B. Verbinden der Wunden, bei Ozäna, fauliger 
Cystitis, Empyemoperation etc.), während man für Ilände, Kochen 
und Aufbewahren der Instrumente, sowie zu Spülungen die l°/ 0 igen, 
für Ausspülungen bei Operationen in Körperhöhlen noch etwas 
verdtinntere Lösungen benutzt. Auf empfindliche und entzündete 
Schleimhäute wirkt die 2°/ 0 ige Lösung mäßig brennend. 

— Zur Behandlung der durch Spontanruptur der stein 
haltigen Gallenblase in die freie Bauchhöhle bedingten Peritonitis 
empfiehlt König („D. med. Wschr.“, 11)02, Nr. 7) bei den schweren 
Formen, welche entweder durch Verschleppung zu spät kommen 
oder durch das Hervorgehen aus einem Anfall von Gallenstein¬ 
kolik virulenter Iufectiou verdächtig sind, nach Exstirpation der 
kranken Gallenblase die Bauch wunde durch Jodoformgaze offen 
zu halten; wo aber nichts auf so ernste Zeichen hinweist, bei der 
sozusagen in aller Stille vorbereiteten Perforation ohne vorauf¬ 
gegangene Entzündungserscheinungen, nach gehöriger Säuberung 
die Bauchhöhle in normaler Weise zu verschließen. 

— lieber nervöse Dyspepsie mit besonderer Berücksichtigung 
der Diagnose und Therapie berichtet Boas (,,Berl. Klinik“, 1901, 
Nr. 161). Einige kurze Bemerkungen erfordert — so schließt B. — 
noch die medicamentöse Behandlung der nervösen Dyspepsie. Daß 
man mit Medicamenten eine nervöse Dyspepsie nicht zu heilen 
vermag, bedarf keines Wortes. Andererseits ist die übertriebene 
Verbannung aller und jeder Arzneimittel aus der Behandlung der¬ 
selben bekanntlich nichts anderes als ein schlauer Tric mancher 
ärztlicher und nicht ärztlicher Naturheilkundiger, die für sich 
gewissermaßen ein Naturmonopol in Anspruch nehmen wollen. Im 
Ganzen ist der Werth von Medicamenten ein symptomatischer. 
Wo z. B. durch keine der bekannten physikalischen und hydro¬ 
therapeutischen Methoden Schlaf zu erzielen ist, thut eine einmalige 
Darreichung von Trional oder Hedonal bisweilen Wunder. 

— Seine therapeutischen Erfahrungen bei Chorea publicirt 
Tscherno - Schwarz („Wratsch“, 1901, Nr. 43). Er hat die 
Affection in 29 Fällen indifferent behandelt, um festzustellen, wie 
der Aufenthalt im Krankenhaus an und für sich wirkt, ln einem 
Viertel dieser Fälle war bald Abnahme der Convulsionen zu finden, 
in den übrigen Fällen ließen die convulsiven Zuckungen nur sehr 
langsam und allmälig nach. Die mittlere Durchschnittsdauer der 
Krankheit beträgt für diese Fälle 76 Tage. Chinin wurde 31 mal 
angewandt. Die meisten Kinder bekamen 0‘3 3mal täglich. Das 
Chinin war vollständig nutzlos. Die mittlere Dauer der Krankheit 
betrug 100 Tage. Das Chinin ergab somit ein schlechteres Resultat 
als die indifferente Behandlung. Nicht günstiger fiel das Resultat 
der Brombehandlung der Chorea aus. Brom bekamen 47 Kinder, 
und zwar 3—6 Eßlöffel einer 3—4°/ 0 igen Lösung täglich. Eine 
mehr oder minder wahrnehmbare Besserung folgte dieser Behand¬ 
lung nur in ö’öo/o der Fälle. Die mittlere Krankheitsdauer betrug 
115 Tage. In 9 Fällen traten unangenehme Nebenwirkungen auf, — 
Antipyrin wurde in 22 Fällen gegeben, meistens l'O täglich. Die | 
Wirkung des Antipyrins war fast der des Broms gleich. — Arsen 
wurde in 86 Fällen geprüft, zum Theile in Form der FowLER’schen I 


Lösung. Die Resultate der Arsenbehandlung unterscheiden sich nur 
wenig von denen der indifferenten Behandlung. Die durchschnitt¬ 
liche Krankheitsdauer betrug 75 Tage. Bessere Resultate ergab die 
Behandlungsmethode nach Comby (Verabreichung der BouDiN’sehen 
Lösung). 

— Ueber die Anwendung des Europhen bei Erkrankungen 
der Nase und des Rachens mit besonderer Berücksichtigung der 
Laryngitis tuberculosa berichtet Hatch („Allg. med. Central-Ztg. u , 
1901, Nr. 56). Europhen gleicht dem Jodoform darin, daß es anti¬ 
septisch wirkt, daß es freies Jod abspaltet, die Schleimsecretion 
stimulirt, eventuell Schleimhypersecretion einschränkt, Congestious- 
zustände mildert und Entzündungsprocesse zur Heilung bringt; es 
unterscheidet sich aber vom Jodoform dadurch, daß es leichter ist 
als das Jodoform und infolgedessen in größerer Volumsquantität 
auf die Oberfläche der afficirten Partie gestreut werden kann; 
ferner dadurch, daß es klebrig ist und auch an weichen Flächen 
haften bleibt, während das Jodoform herunterfällt, wenn es nicht 
durch eine Bandage festgehalten, bezw. in Salbenform applicirt 
wird; schließlich dadurch, daß es nicht giftig ist und ruhig auch 
innerlich verabreicht werden kann, da selbst große Dosen, wie 
30 Gran (circa 2'0 Grm.), nur vorübergehende Kopf- und Rumpf¬ 
schmerzen verursachen, die jedoch rasch verschwinden und dann 
bei dem betreffenden Individuum eine Toleranz selbst dieser Dosis 
gegenüber zurücklassen. 

— Eine einfache Lagerungsvorrichtung für die untere 
Extremität schildert Klapp („Ztschr. f. Chir.“, Bd. 61, H. 1 u. 2). 
Die Lagerungsvorrichtung, die speciell bei Neigung zu Deeubitus- 
bildung vortreffliche Dienste leistet, besteht aus einem bis Uber 
die Knie reichenden Tricotschlauch, welcher vermittelst eines durch¬ 
gesteckten Stockes lang ausgebreitet und an einer Rolle aufgehängt 
wird. Man kann diesen Tricotschlauch entweder allein als Schwebe 
für den Unterschenkel gebrauchen oder ihn mit einer Streckvor¬ 
richtung combiniren. Bei letzterer legt mau zweckmäßig das Heft¬ 
pflaster dreitheilig und spiralig um das Bein mit guter Polsterung 
der Knöchel. Man vertheilt auf diese Weise den Zug über das 
ganze Bein. 

— Das Acoin ist ein Anästheticum, das in der Chirurgie, 
der Augenheilkunde und bei Zahnoperationeu bereits ganz aus¬ 
gebreitete Anwendung gefunden hat. Zahlreiche Arbeiten und 
Angaben verläßlicher Autoren liegen über dieses Mittel vor, u. A. 
von Trolldenier („Therap. Monatsh.“), der die anästhesirenden 
Eigenschaften des Acoin im Thierversuche festgestellt hat, von 
Darier, Guibert, Carter, Hirsch, Stasinski, Senn. Tkolldenier 
nimmt folgende Lösung: 

Rp. Acoin. 01 

Natr. chlor. 0'8 

Aq. dest.lOO'O 

Für kürzere Anästhesie (30 Minuten) genügt eine Lösung: 

Rp. Acoin. 0 05 

Natr. chlor. 0'8 

Aq. dest.1UO U 

Zur Behandlung des Ulcus serpens corneae verwendet Stasinski 
folgende Zusammensetzung : 

Rp. Acoin. 10 

Cocain, mur. 2 0 

Atrop. sulf. 0'5 

Natr. chlor. 5'0 

Aq. dest.1000 

Nach der lnjection spült er das Auge noch einmal mit der Subliraat- 
lösung aus und bringt auf den Geschwürsgrund das Wundpulver, 
welches er in das Geschwür mit der convexen Fläche des scharfen 
Löffels energisch einreibt. Hierauf bestreut er noch die ganze 
Hornhaut mit dem Pulver (Xeroform besonders zu empfehlen) und 
verbindet beide Augen, um dieselben möglichst zu imraobilisiren. 

— Den Schlangenbiß hat Metzülescu („Ther. Monatsh.“, 
1901, Nr. 12) zu wiederholtenmalen erfolgreich mit subcutanen 
Injectionen von Kalium permanganicum (wässerige Lösung von 
1 : 100) behandelt. Er injicirt an der Bißstelle und centralwärts 
an mehreren Punkten rund um die Peripherie des gebissenen Gliedes. 

— Als Haarfärbemittel empfiehlt Broers („Monatsh. f. prakt. 
Dermatol “, 1901) das Hemin. Es ist ein graugrünes Pulver und 
wird in der Weise angewendet, daß man mit Wasser eine Art 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 8. 


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Paste davon macht und diese mit einer kleinen Bürste (Zahnbürste) 
in die Haare einreibt. Es muß später ausgewaschen werden. Die 
Intensität der Farbe wechselt von lichtbraun bis orangenroth, nach 
3 / 4 8tündiger Einwirkung sind die Haare lichtbraun, nach 4stündiger 
rothbraun bis goldblond gefärbt. Wismuth in Verbindung mit Schwefel- 
natrium ist nicht zu empfehlen, da die Haare eine häßliche graue 
Farbe bekommen und schleimig entarten. Nußextract und chinesische 
Tusche sind fast ganz wirkungslos. Vorzuziehen ist noch das über¬ 
mangansaure Kali in l°/ 0 iger Lösung. 


Literarische Anzeigen. 

Klinik der Verdauungskrankheiten. Von Prof. Or. C. A. 

Ewald. III. Die Krankheiten des Darms und des 
Bauchfells. Mit 75 Abbildungen. Berlin 1902, August 
Hirsch wald. 

Das in Vorlesungsform dargestellte Werk ist auf der Grund¬ 
lage einer reichhaltigen, durch unablässiges Studium vertieften und 
geläuterten Erfahrung aufgebaut. Daß sein Autor die Form der 
directen Anrede wählte, erschien zumal für diesen Stoff angezeigt, 
bei dem es, wie so leicht nicht bei einem zweiten, darauf ankam, 
rein persönliche Erfahrungen mitzutheilen und eigene Untersuchungs¬ 
methoden zu demonstriren. E. hat die großen Schwierigkeiten 
einer kurzen und für das Studium geeigneten Darstellung der 
Darmkrankheiten vollkommen überwunden. Sein Buch steht ohne 
Frage in der ersten Reihe der den nämlichen Gegenstand behandelnden 
Werke. 

Die Eintragung passender Krankengeschichten an geeigneter 
Stelle trägt zur Instructivität überaus viel bei. 

ln 14 Vorlesungen werden die Untersuchungsmethoden, die 
Nahrungsmittel, die habituelle Obstipation, die Entzündung der 
Darmschleimhaut, Darmgeschwüre, Typhlitis und Perityphlitis, Neo- 


Feuilleton. 

Ueber die Ersatzansprüche an die Eisenbahnen 
auf Grund der Haftpflicht- und Unfall-Versiche¬ 
rungsgesetze. 

Von Dr. Michael Großmann, Univcrsitätsdocent, Chefarzt der 
k. k. priv. österr. Nordwestbahn. 

(Fortsetzung.) 

Meine Herren ! Die wenigen Beispiele, die ich aus der langen 
Reihe der selbsterlebten Fälle flüchtig angeführt habe, geben schon 
eine beiläufige Vorstellung davon, wie oft die Eisenbahnen auch 
für Unfälle, die sich nie oder nicht durch ihren Betrieb ereignet 
haben, zur Verantwortung gezogen und auch zum Schadenersatz 
verpflichtet werden. Das ist aber noch nicht alles. 

Bei der Entscheidung der in Rede stehenden Entschädigungs- 
processe spielt die Beantwortung der Frage: ob und welchen Schaden 
der angeblich oder thatsächlich stattgehabte Unfall verursacht hat, 
eine wichtige Rolle. 

Wer nun geglaubt hat, daß die Beantwortung dieser Frage 
keiner größeren Schwierigkeit begegnen könnte, da es in der Regel 
klar und ehrlich entschieden werden wird, ob und in welchem 
Grade die physische Integrität und die Erwerbsfähigkeit geschädigt 
wurde, der war in einem großen Irrthume befangen. Die Erfahrung 
hat gelehrt, daß gerade diese Frage das eigentliche ergiebige Feld 
abgibt, auf welchem Recht und Wahrheit in der verwegensten und 
rücksichtslosesten Weise vergewaltigt werden. 

Wer alle die Kniffe und Schliche schildern wollte, mit deren 
Hilfe belanglose Folgezustände zu irreparablen Schädigungen von 
Gesundheit und Leben aufgebauscht, und in Fällen, wo eine Ver¬ 
letzung überhaupt nicht stattgefunden hat, die sonderbarsten Krank¬ 
heiten simulirt werden, oder wo zu eiuem bestehenden Gebrechen 


plasmen, der Ileus, die Krankheiten des Mastdarms, die nervösen 
Darmerkrank-ungen, Parasiten und die Krankheiten des Bauchfells 
erörtert. Br. 

Grundriß der Balneotherapie und der einheimischen 
Balneographie. Von Doc. Dr. L. v. Korczynski. Krakau 
1900, Verlag des Vereines zur Publication polnischer medi- 
cinischer Werke. 

Das Buch v. Kohczynski’s ist als eine Fortsetzung der Smo- 
LENSKi’schen Berichte über die Fortschritte der Balneologie in den 
polnischen Ländern anzusehen. 

Es zerfällt in zwei Abtheilungen: Allgemeine Balneotherapie 
und Balneographie. Die Balneotherapie umfaßt die Hydro¬ 
therapie, die Balneotherapie im engeren Sinne des Wortes und die 
Klimatotherapie. Den Vortrag über die Hydrotherapie beginnt eine 
Schilderung der physiologischen Wirkung des Wassers. Im Capitel 
„Balneotherapie“ erörtert Verf. den Begriff und die Eintheilung 
der Mineralwässer. 

Den Abschnitt über die Klimatotherapie beginnt die Erklärung 
des Wortes „Klima“. Dann erst schreitet v. Korczynski zur Schil¬ 
derung der klimatischen Factoren sowohl in physikalischer wie auch 
in physiologischer Richtung. 

Völlig neu ist die Klimatologie des Karpathengebietes. 

Rein praktischen Zielen ist der abschließende Abschnitt „Ueber 
die Einrichtungen der klimatischen Stationen“ gewidmet. 

Im zweiten Theile des Buches, der Balneographie, sind 
ca. 70 Bade- und Curorte im Detail mit kritischer Genauigkeit 
besprochen. 

V. Korczynski ist allenthalben klar und leicht verständlich; 
ohne die praktischen Ziele des Buches irgendwo aus dem Auge 
zu verlieren, hat er sich durchwegs auf dem Niveau gegenwärtiger 
wissenschaftlicher Anschauungen erhalten, dem Studirenden aber 
nicht nur die Gelegenheit zum praktischen Erlernen jenes großen 
Gebietes der Therapie, sondern auch zur kritischen Einsicht und 
zum Studium der Balneotherapie gegeben. W. Jaworski. 


der dazu mehr-weniger passende Eisenbahnunfall ersonnen wird, 
um das alte Leiden endlich in rentabler Weise zu fructificiren: 
der müßte ein umfangreiches Buch schreiben. In dem engen Rahmen 
eines einzigen Vortrages ist der reichhaltige Stoff nicht zu be¬ 
wältigen. 

Diesem Umstande Rechnung tragend, will ich mich heute 
darauf beschränken, bloß zwei Krankheitsforraen zur Sprache zu 
bringen, mit welchen nach meinem Dafürhalten bei den Entschädi¬ 
gungsprocessen der größte Mißbrauch getrieben wird. 

Ungerechtfertigt erscheint es mir, Leistenbrüche als 
Folgezustände eines Unfalles hinzustellen. Ich werde 
über diese, sowie über die später zu erwähnende Krankheitsform, 
da ich mich an dieser Stelle und bei dieser Gelegenheit in eine 
eingehende medicinische Erörterung nicht einlassen kann, nur so 
viel hervorheben, als mir nothwendig erscheint, meine Auffassung 
wenigstens vom Standpunkte des logischen Gedankenganges begreif¬ 
lich zu machen. 

Wie entstehen denn die meisten Brüche in der Leistengegend ? 

Einzelne Blutgefäße und anderweitige Leitungsröhren für 
Drüsensecrete etc. ziehen entweder aus der Bauchhöhle zu peripher 
gelegenen Organen, oder umgekehrt von diesen in die Bauchhöhle. 
Der Weg, den diese Gebilde zu nehmen haben, ist von der Natur 
in Form eines Canals vorgezeichnet, der nach seiner Lage L eiste n- 
canal genannt wild. Unter normalen Verhältnissen hat der Quer¬ 
durchmesser desselben nicht größer zu sein, als der Umfang der 
ihn durchziehenden Röhrensysteme. In vielen Fällen finden wir aber 
diese Norm nicht eingehalten, der Canal ist bald an seinem peri¬ 
pheren, bald an seinem centralen Abschnitte, nicht selten aber der 
ganzen Länge Dach viel weiter angelegt, als e3 sein functioneller 
Zweck erfordern würde. Von den Dimensionen des Leistencanals 
kann man sich leicht überzeugen. Während unter normalen Um¬ 
ständen der tastende Finger in demselben nicht Vordringen kann, 
vermag er unter den erwähnten abnormen Verhältnissen den Canal 
bald mehr, bald weniger, sehr oft aber der ganzen Länge nach 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 8. 


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mit Leichtigkeit zu passiren und mit seiner Spitze in die freie 
Bauchhöhle zu gelangen. In solchen Fällen sind aber alle Vorbe¬ 
dingungen gegeben , daß in den Leistencanal außer den normalen, 
gelegentlich auch fremdartige, nicht dahin gehörige Gebilde, wie 
Darmschlingen, hineingelangen. Wenn nun diese den Leistencanal 
je nach den gegebenen Verhältnissen allmälig oder auch auf ein¬ 
mal passiren und unter der Haut als eine elastisch e G esc hw ulst 
erscheinen, haben wir einen Leistenbruch in optima forma vor uns. 
Ohne einen angeborenen weiten und offenen Leistencanal wird durch 
Springen, durch Heben größerer Gewichte, durch forcirte körper¬ 
liche Anstrengung allein, kaum jemals ein Leisten bruch 
hervorgerufen. Hingegen ist es erwiesen, daß sich eine Hernie, 
wo diese anatomischen Vorbedingungen gegeben sind, auch bei einer 
sitzenden Lebensweise, ohne jedwede bemerkenswerthe Kraftan¬ 
strengung entwickeln kann. 

Angesichts dieser tausendfältig bestätigten und demnach auch 
allgemein anerkannten Thatsachen wäre ja die Frage: ob ein Lei¬ 
stenbruch als Folgezustand eines Unfalles auftreten könne, ein 
für allemal in negativem Sinne zu beantworten. 

Die Mehrzahl der Fachmänner vertritt jedoch die Ansicht, 
daß, wenn auch durch das Vorhandensein eines weit offenen Leisten¬ 
canals die Disposition zur Hernie gegeben war, durch eine körper¬ 
liche Ueberanstrengung die Entwickelung eines solchen Bruches 
zuweilen eingeleitet und beschleunigt werde. 

Diese Auffassung, welche selbst dann, wenn sie keinerlei 
Einwendung begegnen würde, nur auf die seltenen Aus¬ 
nahmsfälle Bezug haben könnte, bildet nun die eigentliche 
Grundlage, auf welcher die Entschädigungsansprüche bei Brüchen 
erhoben werden. 

Schon die Schwierigkeit der Entscheidung : ob im gegebenen 
Falle einzig und allein die angeborene weite Oeffnung des Leisten¬ 
canals, oder aber noch ein anderweitiger schädigender Factor mit¬ 
gewirkt hat, verleitet sehr oft zu unberechtigten Forderungen. 
Leute, welche seit vielen Jahren mit einem Bruche behaftet waren, 
brauchen nur die Behauptung aufzustellen, derselbe sei durch diesen 
oder jenen Unfall vor wenigen Tagen entstanden, um ihre Ent¬ 
schädigungsansprüche, wie die Erfahrung lehrt, erfolgreich geltend 
zu machen. In anderen Fällen habe ich folgendes Vorgehen beob¬ 
achtet: Es sind Kranke zu mir gekommen, um mich wegen einer 
schon seit längerer Zeit bestehenden belästigenden Empfindung in 
der Leistengegend zu consultiren. Die Untersuchung ergab, daß die 
Beschwerden durch einen nicht beachteten B r u ch verursacht 
werden. Ueber diese Mittheilung sind die Kranken sehr oft 
ganz consternirt, ja beinahe gekränkt. Sie haben von Aehnlichem 
nie etwas gehört, noch weniger empfunden, heißt cs da, weiters, 
daß sie in ihrem ganzen Leben gesund gewesen, viele Jahre beim 
Militär gedient haben und gar nicht wüßten, wieso sie zu so etwas 
kämen. Der Diagnose wird also das weitgehendste Mißtrauen ent¬ 
gegengebracht. Es gibt eben Krankheiten, welche die Eitelkeit der 
Menschen schwer verletzen. Sie werden es ruhig, mit einer ge¬ 
wissen verständnißvollen Genugthuung hinnehmen, wenn man ihnen 
sagt, sie wären „nervös“. Spricht man aber von einem „Bruch“, 
oder gar von einem „Kropf“, wird diese Diagnose gar nicht selten 
als eine persönliche Beleidigung aufgefaßt. 

Schon nach 1—2 Tagen kommen diese Kranken wieder. In 
ihrem Zustande hat sich inzwischen nichts geändert, nur ihr Gedächt- 
niß hat in der kurzen Zwischenzeit riesige Fortschritte gemacht und 
die Tonart ihrer Sprache hat eine radicale Aenderung erlitten. Sie 
sind überhaupt nur deshalb gekommen, um die Erklärung abzu¬ 
geben , daß sie sich nun mit aller Bestimmtheit erinnern, vor 
wenigen Tagen, zu dieser oder jener Stunde, an einem bestimmten 
Orte, im Eisenbahnverkehre einen Unfall erlitten zu haben, der 
sofort den Zustand, der ärztlich als „Bruch“ qualifieirt wurde, zur 
Folge hatte. 

Was zu dieser nachträglichen Aufklärung geführt hat, wird 
weiter nicht besprochen, höchstens, daß noch betont wird, daß, 
wenn man sich schon im Eisenbahnverkehre einen 
Bruch zugezogen hat, will man doch auch etwas dafür haben. 
Der Entschädigungsproceß ist auch schon eingeleitet, die erforder¬ 
lichen ärztlichen Gutachten sind bereits eingeholt, und wer auf 


diesem Gebiete einige Erfahrung hat, kann dom Manne die be¬ 
ruhigende Versicherung geben, daß sein Proceß, nach menschlicher 
Voraussicht, zu seiner vollsten Befriedigung enden wird. 

Nach meinem RechtsbegrifFe sind die Entschädigungsansprüche, 
welche auf Grund von Leistenbrüchen erhoben werden, nicht allein 
in jenen Fällen, wo es sich, wie in meinem vorhin erzählten Bei¬ 
spiele, um plumpe Schwindeleien, handelt, nicht berechtigt, so ndern 
durchwegsunberechtigt. 

Wir wollen die Lehre, daß größere körperliche Anstrengung 
die Entwickelung eines Leistenbruches bei sonst vorhandener Dis¬ 
position beschleunigen könne, als eine unantastbare Wahr¬ 
heit acceptiren und daraus unsere Consequenzen ziehen. 

Jeder Mensch hat selbst zu bestimmen, was er sich physisch 
zumuthen darf, und hat dafür selbst Sorge zu tragen, daß die an 
ihn gestellten Anforderungen diese Grenze nicht überschreiten. — 
Man begegnet im Leben oft genug Menschen, die mit einem orga¬ 
nischen Herzfehler einer Beschäftigung nachgehen, welche ihr 
Leiden in verhängnißvoller Weise verschlimmert oder Menschen, 
die mit einem Augenleiden behaftet durch Schreiben, Zeichnen oder 
andere feinere Handarbeiten ihren Lebensunterhalt begründen, trotz¬ 
dem ihr ohnedies defectes Sehvermögen durch diese Beschäf¬ 
tigung im hohen Grade geschädigt wird. Wir haben aber nie ge¬ 
hört, daß aus ähnlichen Anlässen der Dienstgeber zur Verantwortung 
gezogen oder gar zum Schadenersatz verhalten worden wäre. 

Unvergleichlich weniger Berechtigung liegt aber darin, auf 
Grund eines Leistenbruches Entschädigungsansprüche zu erheben. 
Wenn jemand als Gepäcksträger, als Verschieber, als Schlosser, 
Heizer oder Bremser in den Eisenbahndienst tritt, und er sich, 
ohne daß ihm, wie ja das selbstverständlich ist, eine Dienstleistung 
und insbesondere eine Kraftanstrengung zugemuthet wird, die nicht 
in dem genau umschriebenen Kreis seiner Obliegenheiten schon 
von vorneherein festgesetzt und nicht von allen seinen Amtscollegen 
in gleicher Weise zu leisten wäre, trotzdem im Dienste, weil er 
mit einem offenen Leistencanal behaftet ist, einen 
Bruch zuzieht, wüßte ich wirklich nicht, welches Verschulden der 
Eisenbahnverwaltung aus diesem Anlasse zum Vorwurfe gemacht 
werden könnte und sie zu sühnen hätte. 

Ich möchte nur noch einen Punkt hervorheben. Seit dem 
Jahre 1897 habe ich zuerst allein, später gemeinsam mit einem 
der Herren Bahnärzte, gelegentlich der ärztlichen Untersuchung 
bei Neuaufnahmen in den Dienst der österreichischen Nordwestbahn 
jeden einzelnen Fall auf die Beschaffenheit des Leistencanals sorg¬ 
fältig geprüft und den Befund genau notirt. — Dabei ergab sich, 
daß in 1000 Fällen der Leistencanal rechterseits in 104, linkerseits 
in 181, auf beiden Seiten in 376, zusammen also in 661 Fällen 
soweit offen war, daß der tastende Finger bis in die freie Bauch¬ 
höhle gelangen konnte. Mit anderen Worten : in 66• 1 °/ 0 der Fälle 
waren die anatomischen Vorbedingungen für dieEnt- 
wickelung eines Leistenbruches gegeben. Die Schlu߬ 
folgerungen ergeben sich wohl von selbst. 

Meine Herren ! Wir wollen uns nun mit der bereits ange¬ 
deuteten zweiten Krankheitsform beschäftigen, von welcher ich vor¬ 
weg behauptet habe, daß sie in der Mehrzahl der Fälle ganz 
ungerechtfertigt als Grundlage von Entschädigungsansprüchen be¬ 
nützt wird. 

Durch die Einwirkung einer äußeren Gewalt, Stoß, Schlag, 
Quetschung, Schnitt und Stich, durch jene Schädigungen, welche 
in der medicinischen Sprache insgesammt als Trauma bezeichnet 
werden, können nicht allein Wunden, Knochenbrüche, Verlust von 
Extremitäten u. s. w., sondern auch Störungen im Nerven¬ 
systeme hervorgerufen werden. 

Nervenleiden wird „Neurose“ genannt, und so spricht man 
in diesen Fällen, unter gleichzeitiger Berücksichtigung der sie be¬ 
dingenden Ursache, von einer „traumatischen Neurose“. 

Wie fast bei allen Krankheiten, wird auch bei diesen Nerven¬ 
leiden das Krankheitsbild von zwei Symptomengruppen beherrscht. 
Diejenigen Erscheinungen , deren Vorhandensein de” Arzt durch 
dazu geeignete Untersuchungsmethoden nachzuweisen In der Lage 
ist, gehören in die Gruppe der objectiven Symptome, die 
jenigen hingegen, welche der Controle unzugänglich sind und sich 


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nur in der Empfindung oder Phantasie des Kranken bemerkbar 
machen, werden zu den subjectiven Symptomen gezählt. 
Während nun die Constatirung der objectiven Erscheinungen zumeist 
in der Hand des Arztes gelegen ist, deren Verläßlichkeit einzig 
und allein von seiner Sachkenntniß und Gewissenhaftigkeit abhängen 
wird, besitzen wir bei den subjectiven Symptomen keine anderen 
Anhaltspunkte, als die uncontrolirbaren Angaben der Kranken. 
Daraus ergibt sich, daß die Diagnose der „traumatischen Neurose“ 
auf zwei Grundpfeiler aufgebaut ist, von denen wir aber n u r den 
einen auf seine Tragfähigkeit zu prüfen in der Lage 
sind, niemals aber auch den anderen. 

Es ist vielleicht nicht uninteressant, darauf hinzuweisen, daß 
die medicinische Wissenschaft, auf das Vorkommen einer „trauma¬ 
tischen Neurose“ überhaupt erst durch die Wirksamkeit der Haft- 
pfiichtgesetze aufmerksam wurde. In England, wo diese Gesetze 
zuerst eingeführt wurden, sind die ersten Beobachtungen über diese 
Krankheit gemacht und schon 18G6 veröffentlicht worden. In Deutsch¬ 
land kam diese Frage erst 1871, als das Haftpfiichtgesetz auch 
dort eingeführt wurde, zur wissenschaftlichen Discussion. 

Die traumatische Neurose hat in einer verhältnißmäßig kurzen 
Zeit zwar nicht eine befriedigende wissenschaftliche Aufklärung, 
dafür aber eine forensische Bedeutung von täglichzu¬ 
nehmender Tragweite gewonnen. Ein auf Grund des 
Haftpflichtgesetzes geführter Proceß, bei welchem die traumatische 
Neurose nicht eine wichtige oder gar entscheidende Rolle spielen 
würde, dürfte heutzutage kaum mehr Vorkommen. Welche Dimen¬ 
sionen diese Frage anzunehmen droht, lehrt uns ein Ereigniß der 
allerletzten Tage. Am 15. October v. J. hat sich auf der Strecke 
der Nordwestbahn, bei Celakovic, ein geringfügiger Unfall ereignet. 
Ich sage geringfügig, denn selbst die Fahrbetriebsraittel sind voll¬ 
ständig intact geblieben und von den Reisenden waren es nur vier, 
bei denen eine geringfügige eben noch nachweisbare Hautabschürfung 
zu constatiren war. Trotzdem haben sämmtliehe Passagiere be¬ 
reits ihre Entschädigungsansprüche geltend gemacht, weil bei Allen, 
sage Allen die traumatisch eNeurose angeblicli anfgetreten ist. 

Es ist nun vollständig begreiflich, daß die medicinischen 
Fachgelehrten dem Studium einer Krankheit von so eminent 
praktischer Bedeutung ein großes und anhaltendes Interesse 
entgegengebracht haben. Abhandlungen und auch Lehrbücher in 
den verschiedensten Sprachen und fast endloser Zahl sind über 
diesen Gegenstand erschienen, aber die Lehre von der traumatischen 
Neurose ist bedauerlicher Weise, wie ich schon hervorgehobeu habe, 
noch immer lückenhaft geblieben. Selbst bezüglich der wichtigsten 
Grundfragen bestehen noch die weitgehendsten Meinungsverschie¬ 
denheiten. — Von diesen möchte ich an dieser Stelle nur diejenigen 
hervorheben, welche vom processualen Standpunkte von eingreifender 
Bedeutung sind. Dazu ist es aber nothwendig, daß ich, wenn auch 
nicht eine streng wissenschaftliche, so doch wenigstens eine bei¬ 
läufige, ich möchte sagen summarische Schilderung der Erscheinungen 
gebe, welche bei der traumatischen Neurose beobachtet werden. 

Zu den wichtigsten objectiv nachweisbaren Symptomen zählt 
man die folgenden: eine Störung jener Nervenbahnen, welche die 
Empfindung leiten. Man findet kleinere oder größere Bezirke, ja 
selbst eine ganze Körperhälfte mehr oder weniger empfindungslos, 
zuweilen bis zu einem Grade, daß das Durchstechen einer Nadel 
nicht den allergeringsten Schmerz verursacht und bei geschlossenen 
Augen gar nicht wahrgenommen wird. Weiters findet man eine 
Störung in jenen Nervenbahnen, welche die Muskelbewegung zu 
reguliren haben. Es besteht eine allgemeine oder nur auf einzelne 
Extremitäten beschränkte Kraftabnahme. Zuweilen macht sich eine 
Incoordination der Bewegungen in Form eines taumelnden Ganges 
wie nach stärkerem Alkoholgenuß geltend; oder es treten in be¬ 
stimmten Muskelgruppen rhythmische Contractionen (Zittern) auf. 
Ein Tremor, der bei der leichtesten psychischen Aufregung pro- 
vocirt und verstärkt wird. Die Sehnenreflexe werden sehr oft er¬ 
höht. In einzelnen Fällen besteht ein beschleunigter Puls von 120 
bis 150, welcher bei der geringsten Emotion oder körperlichen 
Anstrengung sich noch weiter steigert. Von den Sinnesorganen 
wird hauptsächlich das Auge in einer eigenthümlichen Weise in 
Mitleidenschaft gezogen. Das Sehfeld erleidet im Allgemeinen und 


insbesondere für die Wahrnehmung gewisser Farben eine Ein¬ 
schränkung. 

Von der langen Reihe der subjectiven Beschwerden will ich 
nur diejenigen, denen wir am häufigsten begegnen, hervorheben. 
Im Vordergründe steht die Gemüthsdepression, die Melancholie. Es 
wird über Abschwächung der geistigen Fähigkeiten und der Willens¬ 
kraft, über leichte Erregbarkeit, über Schlaflosigkeit, unruhige 
Träume, Kopfschmerz und Schwindelanfälle geklagt. Auch über 
spontan auftretende Schmerzen an einzelnen Körpertheilen, über 
empfindliche Druckstellen, namentlich an der Wirbelsäule, über 
Hitze- und Kältegefühl, Ameisenkriechen in den Extremitäten etc. 
wird Beschwerde geführt. 

Man glaubte nun, daß an der Hand so vieler, zum Theile 
sogar markanter Erkennungszeichen die Diagnostik dieser Krankheit 
keinerlei Schwierigkeit begegnen könnte. Diese Zuversicht dauerte aber 
nur so lange, bis Charcot, der welberithmte französische Nervenarzt 
einerseits und unser nicht minder berühmter Meister Nothnagel 
andererseits darauf hingewiesen haben, daß die traumatische 
Neurose und die Hysterie einander so ähnlich sin 1 wio 
ein Ei dem anderen, und daß der einzige nachweisbare Unterschied 
zwischen beiden Zuständen ausschließlich in der bedingenden Ur¬ 
sache gelegen sei. Man spricht auch seit dieser Zeit bald von 
einer traumatischen Neurose, bald von einer traumatischen 
Hysterie. 

Damit waren die ersten differential-diagnostischen Schwierig¬ 
keiten gegeben, und man mußte schon mit der Möglichkeit rechnen, 
daß eine alte Hysterie unter der Maske einer jungen 
traumatischen Neurose auftauchen und das Haft¬ 
pflichtgesetz mißbrauchen könnte. 

Diese diagnostische Schwierigkeit hat aber noch erheblich 
zugenommen, als man darauf gekommen ist, daß zwischen der 
traumatischen Neurose und der Neurasthenie eine scharfe 
Unterscheidung kaum durchführbar sei. Da aber in unserem ner¬ 
vösen Zeitalter jeder zweite oder dritte Mensch neu rasth enisch 
befunden wird , hat durch diesen Nachweis die Zahl jener Fälle, 
welche ganz ähnliche Zustände zeigen wie die traumatische Neurose, 
ungeheuer zugenommen, und für die bewußten und unbew'ußten 
Täuschungen ist ein weites Feld eröffnet worden. 

Endlich ist aber auch noch der Nachweis erbracht worden, 
daß bei jener senilen Veränderung der Blutgefäße, welche in einer 
Art von Verknöcherung derselben besteht und in der Wissenschaft 
als Arteriosklerose bezeichnet wird, ebenso wie nach Mi߬ 
brauch von Alkohol und Nicotin ganz ähnliche Erscheinungen auf- 
treten, wie bei der traumatischen Neurose. Damit hat aber 
der ohnehin weite Kreis von Krankheitsbildern, 
welche sich bis zur Verwechslung ähnlich sind, 
einen geradezu erschreckenden Umfang gewonnen. 

Diese diagnostischen Schwierigkeiten werden aber noch zu 
allem Ueberfluß durch eine Thatsache im hohen Grade complicirt. 
Wie in den großen Bahnhöfen, um mit einem naheliegenden Bei¬ 
spiele zu beginnen, oder in stark frequentirten Theatern oder an¬ 
derweitigen Vergnügungsorten und öffentlichen Localen durch ent¬ 
sprechende Aufschriften vor Taschendieben gewarnt wird, finden 
wir bei allen Autoren, welche über die traumatische Neurose ihre 
Erfahrungen veröffentlicht haben, die dringende Warnung, 
sich vor Simulanten inacht zu nehmen. Es existirt kein 
einziges der objectiven Symptome, welches nicht gelegentlich schon 
siraulirt worden wäre. Dafür spricht schon der Umstand, daß man 
für jedes einzelne Symptom eigene Methoden und Apparate ange- 
gegeben hat, um etwaige Täuschungen möglichst aufzudecken. 

Vor Jahr und Tag haben die Zeitungen die sensationelle 
Nachricht gebracht, daß ein sächsischer Schaffner 20 volle Jahre 
den Scheintod simulirt hat und nur durch ein zufälliges Ereigniß 
entlarvt wurdo. Nach diesem Record auf dem Gebiete der Simulation 
kann man sich wohl eine beiläufige Vorstellung machen, was 
wir von der traumatischen Neurose in der an gedeu¬ 
teten Richtung noch zu erwarten haben. 

Ich kann es an dieser Stelle nicht verschweigen, daß man 
in ernsten Kreisen offen davon spricht, es werden bei uns Schulen 
abgehalten, in denen die Leute unterrichtet werden, wie sie die 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 8. 


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traumatische Neurose zu simuliren haben. Einer der hervorragendsten 
Lehrer, eine einstmalige Zierde der Wiener Universität, Hofrath 
Prof. Albert, hat es in der k. k. Gesellschaft der Aerzte ge¬ 
legentlich eines Vortrages öffentlich gesagt, daß ihm ähnliche 
Mittheilungen von glaubwürdiger Seite gemacht wurden. Auch 
der deutsche Kliniker Prof. Eülenüurg spricht in einem seiner 
Werke von Umständen, welche die „systematische Züchtung“ 
traumatischer Neurose begünstigen. Ich selbst bringe allen diesen 
Angaben trotzdem die weitgehendste Skepsis entgegen, gleichwie 
ich auch der Behauptung kein Vertrauen schenke, daß nach jedem 
Eisenbahnunfalle Emissäre ausgeschickt werden, um die Betheiligten 
zur Proceßführung zu animiren. Diese Gerüchte sind aber, wie ich 
glaube, von einer ernsten symptomatischen Bedeutung 
und ihr Entstehen ein untrügliches Zeichen, daß 
etwas in der Luft liegt. 

(Schluß folgt.) 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 


Aus den Abteilungen 

der 

73. Versammlung Deutscher Naturforscher und 

Aerzte. 

Hamburg, 22.—28. September 1901. 

(Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) 

XX. 

Abtheilung für Chirurgie. 

Lange (München): Die Bildung von Sehnen aus Seide bei der 
periostalen Verpflanzung. 

Bei der periostalen Verpflanzung der Muskeln, die sich oft 
verkürzen, hat L. die Sehnen durch Seide verlängert nach dem 
Vorgänge von Gluck und Kümmell. In 44 Fällen hat er damit 
gute Erfolge erzielt. Bei dieser Operation legt er großen Werth 
auf die normale Spannung des Muskels. L. bespricht dann zwei 
Fälle, in denen die Seidensehnen die Haut durchschnitten, einmal 
unter dem Druck des Gypsverbandes, ein anderesmal unter dem 
des Schnürstiefels. Daß diese Seidensehnen, die er bis zu 20 Cra. 
lang gemacht hatte, sich mit normalem Sehnengewebe umgeben, 
dafür sprechen seine klinischen Erfahrungen und die Palpation. 
In einem Falle hat er bei einer Nachoperation gesehen, daß dies 
wirklich der Fall war. Die ursprüngliche Sehne präsentirte sich 
als kleiner, derber, runder Strang, in dessen Mitte die Seidenfäden 
lagen und die mikroskopische Untersuchung ergab normales Sehnen¬ 
gewebe. (Demonstration der mikroskopischen Präparate.) 

Julius Wolff (Berlin) (zum Vortrage Hoffa’s) demonstrirt ein Ver¬ 
fahren, die Sehne zu verlängern durch vielfaches Einkerben auf jeder Seite. 

Hoffa erörtert die Vorzüge des BEYER’schen Verfahrens, die subcutane 
Einkerbung der Sehne am unteren und oberen Ende je auf einer Seite. 

J. Wolff bezweifelt die gute subcutane Ausführbarkeit der Methode. 

Hoffa demonstrirt dieselbe durch Zeichnungen. 

Kümmell (Hamburg) spricht ein Wort für Gluck und hält es für 
Pflicht, dessen Verdienste bei der Frage der künstlichen Sehnen hier auszu¬ 
sprechen. Wie alle anderen habe auch er zuerst nicht an die Erfolge des 
GLuex’schen Verfahrens geglaubt, bis er an seinen eigenen Präparaten die er¬ 
wähnten günstigen Beobachtungen gemacht hat. 

Vulpius (Heidelberg) fragt an, wie Lange sterilisirt. Er hat sehr 
häufig noch nach Jahren Ausstoßung der seidenen Sehne gesehen. 

Lange (München) : 10 Minuten läng Auskochen in 10%o‘& er Sublimat¬ 
lösung. Er benutzt die stärkste Seide. 

Petersen (Kiel) empfiehlt für diese Operationen denSilkworm, da der¬ 
selbe für Bakterien nicht durchgängig ist. 

Reiner (Wien): Ueber Epiphyseolyse bei Genua valga. 

Nach vielfachen Leichenversuchen und wenigen an Lebenden 
ist R. zu dem Schluß gekommen, daß man die Epiphysenlösung vom 
7.—8. bis zum 17.—18. Jahre ohne Nebenverletzungen machen 
kann, und er hat diese Operation besonders in Hiusicht auf die 


Correctur des Genu valgum studirt. Dazu hat er sich einen Apparat 
construirt, den er demonstrirt, mit dem die Operation durch einen 
Druck außerordentlich leicht auszuführen ist. Die Gefahren sind 
gering, die Nachbehandlung kurz, 5 bis 6 Wochen Verband. 

Trendelenburg (Leipzig) fragt nach Roentgenaufnahmen, die beweisen, 
daß die Trennung auch in der Epiphysenlinie geschehen ist, und wie es mit 
den Wachsthumsstörungen bei jüngeren Individuen ist. 

Reiner hat Wachsthumsstörungen nicht beobachtet; die zahlreichen 
Untersuchungen von anderer Seite haben auch zur Genüge bewiesen, daß Wachs- 
thumsstörangen nur entweder durch Dislocation oder Entzündung der Epiphyse 
eintritt. Roentgenaufnahmen hat er gemacht, doch nicht mitgebracht. 

Jul. Wolff (Berlin) hat durch den Efappenverband die denkbar besten 
Resultate erzielt. Er hält die Epiphysenlösung für ein nicht erstrebenswerthes 
Ereigniß. 

Reiner (Wien) hält die Gefahr einer Wachsthumsstörung für ausge¬ 
schlossen und betont die kurze Zeit der Behandlnng gegenüber anderen 
Verfahren. 

Vulpius (Heidelberg): Zur Behandlung der Contracturen und 
Ankylosen des Kniegelenks. 

Die überwiegende Mehrzahl der Contracturen und Ankylosen 
des Kniegelenks ist durch tuberculöse Entzündung entstanden. Selten 
bleibt die Beweglichkeit des Gelenkes in der Richtung der Beugung 
theilweise erhalten, so daß eine völlige Streckung unmöglich ist 
— reine Contractur. Meist entwickelt sich eine fibröse oder ge¬ 
mischt fibrös-ossäre Ankylose, und oft tritt eine Verschiebung der 
Tibia hinzu. 

Aufgabe unserer Therapie ist die völlige, dauernde und gefahr¬ 
lose Beseitigung der Deformität. Ueber die beste Lösung dieser 
Aufgabe ist man sich noch nicht einig. Lorenz hat das model- 
lirende Redressement empfohlen unter Betonung des Princips ab¬ 
soluter Skeletschonung auf Kosten der Weichtheile. 

Unzweifelhaft ist das LoRENZ’sche Verfahren weit besser als 
die anderen unblutigen Methoden, als die Gewichtsextension nament¬ 
lich und viel allgemeiner durchführbar als die Apparatbehandlung, 
obwohl mit dieser unter günstigen äußeren Umständen manches 
zu leisten ist. Andererseits hat das Verfahren große Gefahren: 
Ueberdehnung und Zerreißung vor Gefäß und Nerv, Aufreißung 
abgekapselter tuberculöser Herde, Fettembolie, Subluxation der 
Tibia, Recidiv. Zur Verhütung der letzteren trägt die Flexoren- 
tenotomie bei, welche offen gemacht werden soll. Plastische Ver¬ 
längerung ist nicht uöthig, da eine Schwächung der Muskeln er¬ 
wünscht ist. Ueber die Wirksamkeit der neuerdings vorgeschla¬ 
genen Sehnen Überpflanzung sind wir noch nicht genügend orientirt. 

Die Osteoklase quetscht die Weichtheile und wird deshalb 
besser durch die lineäre oder keilförmige Osteotomie ersetzt. Doch 
haben diese Eingriffe den Nachtheil, daß sie die ursprüngliche De¬ 
formität verdecken durch eine neue, die Abknicknng der Bruch¬ 
stelle. Außerdem sind Gefäß und Nerv, namentlich wenn sie in 
Narben eingebettet sind, bei dem nöthigen Redressement gefährdet. 

Die typische oder die bogenförmige Resection hat zwar den 
Nachtheil, daß sie eine Verkürzung schafft, die indeß durch spar¬ 
same Resection beschränkt werden kann. Dafür hat sie eminente Vor¬ 
theile : sichere, rasche, gefahrlose Geraderichtung, möglichste Ver¬ 
hütung des Recidivs durch ossäre Ankylose, Entfernung verborgener 
und schlummernder tuberculöser Knochenherde. 

Aus der Kritik der Methoden ergibt sich folgende Richtschnur 
für ihre Anwendung. 

1. Bei reiner Contractur geringen Grades, jungen Datums: 
Tenotomie der Flexoren und Redressement. 

2. Bei reiner Contractur mäßigen Grades, alten Datums: 
Tenotomie und supracondylöse Osteoklase. 

3. Bei Contractur mit starker Narbenbildung, bei Contractur 
über 135° und bei allen Ankylosen : Resection. 

Die Empfehlung dieser Auswahl beruht auf guten und bösen 
Erfahrungen an 100 eigenen Fällen. 

Lorenz (Wien) kann die Gefahren des unblutigen Redressements nicht 
anerkennen, wie er durch seine zahlreichen Beobachtungen bestätigen kann. 
Allerdings darf man ein schnell gewonnenes Redressement nicht gleich fixiren. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 8 


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Aus französischen Gesellschaften. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Med. Presse“.) 

Sociötö mödicale des höpitaux. 

Mathieu: Ueber Aerophagie oder Pseudofiatulenz. 

Vortr. hatte Gelegenheit, mehrere Fälle der genannten Er¬ 
krankung zu beobachten, welche darin besteht, daß die Patienten 
Luft schlucken und dieselbe in Form eines geräuschvollen, anfalls¬ 
weise auftretenden Rtilpsens wieder herausbefördern. Man kann 
auch manchmal den Ructus durch Druck auf das Epigastrium 
willkürlich erzeugen. Aerophagie wird meist bei solchen erblich 
belasteten Neuropathen beobachtet, welche an verschiedenen dyspep¬ 
tischen Symptomen leiden, oft auch die Erscheinungen allgemeiner 
AbmageruDg darbieten. Es fragt sich nun, in welchen Beziehungen 
die Aerophagie und die Störungen der Magenfunction zu einander 
stehen. Es wird behauptet, daß die Aörophagie das Primäre ist 
und secundär zu Distension und Atonie des Magens führt, doch 
scheint für die Mehrzahl der Fälle gerade das Gegentheil zu 
gelten, daß nämlich die an Distension des Magens leidenden Kranken 
die Gewohnheit annehmen, Luft zu verschlucken, um sich auf 
diese Weise von der Gasansammlung im Magen, der sie ihre Be¬ 
schwerden zuschreiben , zu befreien. Die an Dyspepsie leidenden 
Nervösen haben eine wahre Phobie bezüglich der Gasansammlung 
und schreiben ihre Verdauungsstörungen derselben in erster Linie 
zu. Das Verschlucken von Luft öffnet die Cardia und erzeugt 
Ructus, nach welchem eine gewisse Erleichterung auftritt. Später 
gewöhnen sich die Patienten, die Luft in den Magen förmlich ein¬ 
zupumpen, welcher sich durch fast continuirlichen Ructus derselben 
zu entledigen bestrebt. Es bildet sich so im Laufe der Zeit ein 
förmlicher Circulus vitiosus, indem die Patienten Luft schlucken, ein 
Spannungsgefühl erzeugen, das wieder durch Ructus erleichtert wird, 
dann neuerlich Luft verschlucken etc. Die Indicationen der Be¬ 
handlung ergeben sich aus der Kenntniß des Mechanismus der 
Aerophagie. Man muß die Kranken über die wahren Ursachen des 
Phänomens aufklären, worauf dasselbe gewöhnlich verschwindet. 
Bei Hysterischen liegen die Verhältnisse nicht so einfach, man muß 
hier oft zu schärferen Maßregeln greifen, z. B. Isolirung der 
Kranken, um Heilung zu erzielen. 

Linossier unterscheidet zwischen dyspeptischer und hysterischer Aero¬ 
phagie. Letztere tritt plötzlich auf, ist sehr geräuschvoll und der Heilung 
wenig zugänglich. Die hysterische Aerophagie beruht auf einer Contraction 
des Zwerchfells und der Inspirationsmuskeln mit gleichzeitigem Glottisschluß, 
wodurch die Luft gewaltsam in den Magen aspirirt wird, in der zweiten 
Phase contrahiren sich die Bauchmuskeln und befördern die Luft nach außen. 

Variot: Bleivergiftung durch Benützen eines bleihaltigen Zinn¬ 
bechers. 

V. berichtet über ein Kind, das eine vollkommene Paralyse 
der unteren Extremitäten und daneben eine Parese der oberen Ex¬ 
tremitäten, jedoch ohne Sphinkteraffectionen zeigte, am Zahnfleisch- 
rande ein deutlicher Bleisaum. Die Bleivergiftung ließ sich nur 
durch den ständigen Gebrauch eines stark bleihaltigen (75%) Zinn¬ 
bechers erklären. 

Rendu bemerkt hiezu, daß er einen Fall von Bleivergiftung be¬ 
obachtete, die bei einem Manne auftrat, der Apfelwein trank, welcher in blei¬ 
haltigen Zinnflaschen aufbewahrt wurde. 

Chantemesse: Serotherapie des Typhus. 

Das von Ch. hergestellte Antityphusserum wirkt nicht nur 
prophylaktisch, sondern auch antitoxisch. Ch. behandelte 100 Fälle. 
Alle vor dem zehnten Krankheitstage injicirten Patienten wurden 
geheilt. Es starben sechs Patienten. 

Die demonstrirten Curven zeigen die rasche Abnahme des 
Fiebers und der Pulsfrequenz, namentlich bei jugendlichen und 
kräftigen Kranken, die gleich im Beginne der Krankheit in Be¬ 
handlung kamen. Durch die Serotherapie wird die Krankheitsdauer 
abgekürzt. Albuminurie trat nie auf, häufig Polyurie. 

Die Injectionen (12 —14 Qcm. als erste) sind schmerz- und 
reizlos, wenn sie am rechten Vorderarm gemacht werden. Nach 
zehn Tagen bei geringem Fieber eine neuerliche Injection von 4 bis 
5 Qcm., bei stärkerem Fieber 10 Qcm. Unter den 100 Fällen trat 


nur zweimal Erythem nach den Injectionen auf, obwohl manche 
Patienten im Ganzen bis 20 Qcm. Serum erhielten. 

Ch. verabfolgte allen mit Serum behandelten Patienten reich¬ 
lich Getränke und ließ sie häufig baden. 

Marie: Senile Hysterie. 

72jähriger Mann, Hemiplegie und Hemianästhesie links, 
glossolabiale Krämpfe. Die Erscheinungen traten, als Pat. 40 Jahre 
alt war, nach einem Sturze auf, verschwanden mehrmals und erschienen 
wieder. Pat. hat überdies von Zeit zu Zeit Anfälle von Zuckungen, 
die mit einer Ejaculation enden; die Anfälle können durch Druck 
auf die Hoden coupirt werden. 

Acadömie des Sciences. 

Charrin und Delamare: Einfluß der specifischen Erkrankungen 
der Eltern auf die Nachkommenschaft; Knochenwachs¬ 
thumsstörungen, tuberculöse Erkrankungen ohne Mikroben. 

Die Nachkommenschaft von Kaninchen , denen Tuberkelgift 
(ätherischer Extract) injicirt worden war, wies Gelenksmißbildungen, 
die an angeborene Hüftgelenksluxationen erinnerten, auf. Außerdem 
fanden sich Fehler in der Beckenformation, Torsion des Femurs etc. 
Nebenbei waren die Jungen in ihrer ganzen Entwickelung zurück¬ 
geblieben; die Knochen waren brüchig, zart und durchscheinend, 
das Körpergewicht war um die Hälfte vermindert. 

Im den Lungen der Nachkommenschaft der tuberculös ge¬ 
machten schwangeren Kaninchen fanden sich weißliche, den Tu¬ 
berkeln ähnliche Knötchen; doch konnte in denselben weder der 
KoCH’sche noch ein anderer Bacillus nachgewiesen werden. Die 
Knötchen bestanden aus Zellen mit degenerirten Kernen und ver¬ 
einzelten Riesenzellen ähnlichen Gebilden. 

Grehaut: Neue Untersuchungen über die Trennung des Kohlen¬ 
oxydes vom Hämoglobin. 

Bringt man ein Thier, das Kohlenoxyd eingeathmet hat, in 
frische Luft, so verringert sich der Kohlenoxydgehalt des Blutes 
nach Ablauf von 20 Minuten nur unbedeutend; läßt man aber das 
Thier Bauerstoff einathmen, so sinkt der Percentsatz des Kohlen¬ 
oxydes bedeutend (in 20 Minuten von 23*7 Ccm. auf 10'1 Ccm.). 
Die Versuche bestätigen daher den praktischen Werth der Anwen¬ 
dung des Sauerstoffes bei Kohlenoxydgasvergiftungen. 


Aus italienischen Gesellschaften. 

(Orig Ber. der „Wiener Mediz. Presse“.) 

Accademia medico-chirurgica di Ferrara. 

Resinelli (Berlin): Ueber den Durchgang von Methylenblau durch 
die Placenta. 

R. injicirte Methylenblau subcutan in Dosen von 0'05 Grm. 
Der Harn wurde in Intervallen von 15 Minuten aufgefangen, um 
den Zeitpunkt des Auftretens des Farbstoffes festzustellen. Wo es 
möglich war, wurde das Fruchtwasser unter allen gegebenen 
Cautelen gesammelt. Der Harn des Kindes wurde im Augenblicke 
seiner Geburt und an den folgenden Tagen gesammelt, bis jede 
Spur von Methylenfarbstoff aus ihm geschwunden war. Gelang es 
nicht, den Harn zu sammeln, dann wurde seine Farbe an vor¬ 
gelegter hydrophiler Gaze festgestellt. R. untersuchte 33 Gravide 
im Alter zwischen 18 und 36 Jahren, darunter 17 Primiparae 
und 16 Pluriparae, der 2. Serie gehören 9 Fälle an, der 3. Serie 
gehören 3 Fälle mit Todtgeburten an. R. fand: Das Methylenblau, 
das der Mutter während des Geburtsactes injicirt wird, geht unter 
normalen Verhältnissen in den Fötus über und kann in dem Harne 
desselben auch dann nachgewiesen werden, wenn das Methylenblau 
15 Minuten vor seiner Austreibung der Mutter injicirt worden ist. 
Innerhalb des Zeitraumes von drei Tagen verschwand sodann jede 
Spur von Methylenblauausscheidung aus dem Harne des Kindes. 
Verstrich zwischen Injection und Geburt ein Zeitraum, länger als 
6 Tage, dann zeigte sich im Harne des Kindes kein Farbstoff 
mehr, woraus geschlossen werden kann, daß das in den Fötus 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 8. 


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übergegangene Chromogen wieder in den mütterlichen Kreislauf 
zurückgekehrt und aus diesem ausgeschieden worden ist. Von den 
23 Fällen, in welchen das Fruchtwasser hatte untersucht werden 
können, haben nur drei positive Resultate ergeben. 

Ist der Fötus abgestorben, dann geht das Methylenblau 
weder in das Fruchtwasser, noch in den Fötus über. 

Cappelletti und D’Ormea: Die chlorarme Diät bei der Brom- 
cur der Epilepsie. 

Die Autoren haben an 20 Patienten mit schwerer Epilepsie die 
Versuche von Toulouse nachgeprüft. Sie reichten 3 — 8 Grm. Brom 
täglich. Die erhaltenen Resultate lauten: Die Therapie nach Toulouse 
übt einen nachweisbaren Einfluß auf die Zahl, Intensität und Dauer 
der Anfälle der Epileptiker aus; sie hat keinerlei Schädigungen 
zur Folge; der psychische Zustand der Epileptiker bessert sich nach 
Anwendung dieser Therapie, der Ernährungszustand wird gebessert, 
das Aussetzen der Therapie schließt ein weiteres Vorschreiten der 
Besserung nicht aus. Läßt man nach Ablauf der Behandlung wieder 
chlorreichere Diät verabreichen, dann bleibt die Wirkung der Therapie 
trotzdem unverändert bestehen. 


R. Accademia di Fisiocritici di Siena. 

G. Cabibbe: Eine sehr seltene Anomalie der Aeste des Aorten¬ 
bogens. 

Vortr. zeigt ein Präparat aus der Leiche eines 64jährigen, 
an interstitieller Nephritis, Carcinoma ventriculi und Endocarditis 
vegetans verstorbenen Mannes. Die Anomalie desselben besteht: 

1. In Verlagerung des Aortenbogens nach links von Trachea 
und Oesophagus; 

2. in gemeinsamem Ursprünge der beiden Carotiden un¬ 
mittelbar neben dem Abgänge der linken Subclavia; 

3. im Abgänge der rechten Subclavia, die links und. 17 Mm. 
tiefer entspringt als die linke. Die rechte Subclavia zieht hinter 
dem Oesophagus nach rechts hinüber. 

4. Aus der rechten Carotis geht die rechte Vertebralarterie 
hervor, weiter als die normal entspringende linke Vertebralis. 

5. Der rechte Nervus laryngeus kreuzt die rechte Arteria 
vertebralis und ist kürzer als der linke. 

Daneben bestehen andere Abnormitäten. So ein gemeinsamer 
Abgang der Thyreoidea inferior, Mammaria interna, Suprascapularis 
aus der rechten Subclavia, der Thyreoidea inferior, Mammaria 
interna und der beiden Scapulares aus der rechten Subclavia. 

Solieri Sante: Darmperforation durch Ascariden. 

S. erörtert die Anschauungen der Beobachter über die Natur 
der Darmperforationen bei Anwesenheit von Ascariden und be¬ 
richtet über einen an der Klinik Biondi’s beobachteten, einschlägigen 
Fall. An der Hand der Anamnese, des Krankheitsverlaufes, des 
Befundes bei der Laparotomie und nach Ausschließung aller anderen 
möglichen Ursachen sucht er den Nachweis zu erbringen, daß 
Ascariden eine Perforation des Darmes zustande bringen können. 
Er stützt seine Angabe durch den Nachweis von Ascariden unter 
der Serosa in der Muscularis der ßubmucosa des Darmes. 

R. Accademia di Medicina di Torino. 

Sacerdoti: Untersuchungen über Neoformation von Knochen. 

Vortr. berichtet über Versuche, bei denen es ihm gelungen 
ist, am Kaninchen durch Ligatur der Nierengefäße das Auftreten 
von Knochenlamellen entsprechend den Papillen der betreffenden 
Niere zu bewirken. Der neugebildete Knochen zeigt durch 
Osteoblasten , Osteoklasten, HAVERS’sche Canälchen und durch 
Knochenmark, das aus normalen Markelementen besteht, die normale 
Knochenstructur an. Dieser Befund, der drei Monate nach Anlegung 
der Ligatur an den Nierengefäßen zu beobachten war, sei schwerlich 
von allgemeiner Bedeutung — meint S. —, da er zeigt, daß auf 
pathologische Reize hin Knochen an Stellen auftreten können, wo 
■ta Natur aus keine Matrix für Knochengewebe besteht. 

H^^Ie Wirkung frischen Nebennierenextractes. 

LS5&fc c l e °pr°tem aus der Nebenniere übt dieselben Wirkungen 
^^^^Hj^Bwässerige Extract. 


Notizen. 


Wien, 22. Februar 1902. 

(K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien.) In der 
gestrigen Sitzung stellte zunächst Prof. Dr. E. Schiff eine 101 Jahre 
alte Pat. vor, bei welcher er ein Epitheliom an der Nase 
durch Roentgenbestrahlung binnen 25 Tagen zur völligen 
Heilung gebracht hat, ferner ein Mädchen, bei dem er ebenso einen 
Lupus exulcerans hypertrophicus des Gesichtes mit schönem kos¬ 
metischen Effecte beseitigt hat. Vortr. regte an, daß im Anschlüsse 
an Tuberculoseheilstätten Anstalten für Lupusbehandlung errichtet 
werden mögen. — Prof. Dr. Ehrmann demonstrirte hierauf eine Pat. 
mit Lupus disseminatus am Unterschenkel; die Verbreitung 
geschah auf dem Blutwege von einem alten tuberculösen Herde 
aus. Vortr. berichtete ferner über zwei ähnliche Fälle. — Sodann 
fand die Discussion über den W EiCHSELBAUM’schen Vortrag ihre 
Fortsetzung. Dr. Holzknecht bekämpfte die Angabe Kaiser’s, 
der durch blaues Licht Heilungsvorgänge bei Lungentuberculose 
beobachtet haben will. Die Ausführungen des folgenden Redners, 
Dr. F. Kornfeld, erscheinen in extenso in unserem Blatte. — 
Dr. Leop. Freund gab seiner Erfahrung Ausdruck, daß das weiße 
Licht wirkungsvoller sei als blaues Licht, und daß rothen und 
gelben Strahlen ein curativer Effect bei hartnäckigen Geschwürs¬ 
processen zukomrae. — Hofr. Prof. Winternitz betonte als Haupt¬ 
moment des Kampfes gegen die Tuberculose die Hebung der 
Widerstandskraft des Individuums gegen die Infection und die Ver¬ 
besserung der materiellen und hygienischen Verhältnisse. — Dr. 
L. Wick erklärte die bisherige Tuberculosestatistik für ungenügend 
und wünschte dieselbe durch eine freiwillige Statistik unter Be¬ 
theiligung der Aerzte ersetzt. Die Tuberculinprobe sei unverläßlich. — 
Das Schlußwort Weichselbaum’s erfolgt in der nächsten Sitzung. — 
Schließlich demonstrirte Dr. Favarger ein operativ gewonnenes 
Präparat von dem Falle von Elephantiasis, den er im November 
v. J. vorgestellt hat. — Am Anfänge der Sitzung verkündete der 
Vorsitzende, daß sich im Schoße der Gesellschaft ein Comitö zur 
Prüfung der Tuberculosefrage gebildet habe, welchem folgende 
Mitglieder angeboren: Die Proff. Benedikt, Gruber, Monti, 
v. Mosetig, Neumann, Neusser, Nothnagel, Paltauf, v.Schrötter, 
Weichselbaum , Winternitz , ferner Ob.-San.-R. Dr. Mucha, die 
Docenten Kovacs, Sternberg, Weismayer und Polizeiarzt Dr. 
Ph. Silberstern. 

(Jubiläen.) In den letzten Tagen haben mehrere der her¬ 
vorragendsten Vertreter unserer Wissenschaft eine nur der geringeren 
Zahl der Sterblichen beschiedene Altersgrenze erreicht. In erster 
Linie steht der Altmeister der deutschen Kliniker, Adolf Kussmaul, 
der am 20. d. M. seinen 80. Geburtstag feierte und zu dessen 
ragender Größe die unbegrenzte Zahl seiner Verehrer bewundernd 
emporblickt. — Der Berliner Chirurg Franz König hat am 16. Fe¬ 
bruar sein 71. Lebensjahr begonnen. Seine Schüler haben ihren 
jugendfrischen Meister in mannigfacher Weise geehrt und gefeiert. 
— Am 20. d. M. feierten außerdem Prof. Sigmund Rosenstein in 
Leiden und der Generalstabsarzt der deutschen Armee Professor 
Dr. v. Leuthold ihren 70. Geburtstag; der erstere bekannt durch 
seine hervorragende „Pathologie und Therapie der Nierenkrank¬ 
heiten“ , der zweite ein warmer Verfechter der Interessen seiner 
Subalternen und ein Förderer des wissenschaftlichen Fortschrittes 
im Militärsanitätswesen. 

(Wiener Aerztekammer.) Am 25. d. M. findet die 
Hauptversammlung dieser Kammer statt, deren Tagesordnung nebst 
dem Rechenschaftsberichte des Vorstandes über das Jahr 1901 
unter Anderem ein Referat betreffend die Regelung der Befugnisse 
der Zahnärzte und Zahntechniker enthält. 

(Personalien.) Als Nachfolger v. Ziemssen’s ist Professor 
Dr. Josef v. Bauer, Oberarzt und Vorstand der propädeutisch- 
medicinischen Klinik, zum Director des städtischen allgemeinen 
Krankenhauses in München, der Polizei-Assistenzarzt Dr. Simon Kien 
zum Polizeibezirksarzte in Wien ernannt worden. 

(Freie Arztwahl.) Der ärztliche Verein des neunten Be¬ 
zirkes in Wien hat in seiner Sitzung vom 19. Februar d. J. be- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 8. 


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schlossen, sich mit den übrigen Wiener Bezirksvereinen in Ver¬ 
bindung zu setzen behufs Ausschreibung von drei Ehrenpreisen für 
die Lösung der Frage, auf welche Weise eine allgemeine 
Krankencassc mit freier Aerztewahl durch dieAerzte 
selbst errichtet und betrieben werden könne. Die näheren Be¬ 
stimmungen über den Modus der Preisausschreibung sollen von einem 
Comite ausgearbeitet werden, welches aus je einem Mitgliede der 
an der Preisausschreibung participirenden Vereine bestehen soll. 
Der genannte Verein hat für diesen Zweck 100 Kronen gewidmet. 

(Verein der Aerzte des I. Bezirkes in Wien.) In 
der Plenarversammlung dieses Vereines vom 17. d. M. sprach 
Dr. Ronsburger über den gegenwärtigen Stand der Leichenein¬ 
äscherung in den Culturländern und beantragte am Schlüsse seines 
Vortrages nachfolgende Resolution : „Der Verein der Aerzte des 
1. Bezirkes in Wien erkennt es aus hygienischen Gründen als un¬ 
bedingt nothwendig an, daß im Falle des Auftretens von Volks¬ 
seuchen Vorrichtungen zur Einäscherung von Epidemieleichen vor¬ 
handen seien, und spricht sich im Interesse der öffentlichen Wohl¬ 
fahrt für die alsbaldige Erbauung von Crematorien in Oesterreich 
und die gesetzliche Ermöglichung einer facultativen Benützung der¬ 
selben aus.“ Die Resolution wurde von der Versammlung einstimmig 
angenommen. Der Obmann Dr. Kornfeld stellte hierauf den An¬ 
trag, der Verein möge dem „Wiener Verein der Freunde der 
Feuerbestattung „Flamme“ als Mitglied beitreten, welcher Antrag 
von der Versammlung gleichfalls einstimmig angenommen wurde. 

(Vertretung durch Ad vocaten vor dem Ehreu- 
rathe.) Nunmehr hat auch die steiermärkische Aerztekammer den 
Beschluß, die Vertretung ehrenräthlich belangter Kammerangehöriger 
durch Advocaten nicht zuzulassen, definitiv in ihre Geschäftsordnung 
aufgenommen. 

(Aus Berlin) schreibt uns ein gelegentlicher Correspondent: 
Anläßlich der Etat-Berathung im deutschen Reichstage bemerkte 
Staatssecretär Graf Podsadovsky zur Frage des Frauenstudiums 
unter anderem: „Ich sprach erst kürzlich einen sehr berühmten 
Mann, der sagte mir, daß er der Frage sehr skeptisch gegenüber¬ 
stehe, ob Frauen zur Ausübung der medicinischen, besonders der 
chirurgischen Wissenschaft gleich befähigt sind wie die Männer etc. 
Die chirurgische Befähigung der Damen, so resumirt er, sei ihm 
zweifelhaft. Freilich, so fügte er hinzu, so viel, wie die 
große Menge der gewöhnlichen Aerzte leistet, werden 
die Frauen wohl auch noch leisten können.“ (Heiterkeit!) — 
Also Heiterkeit, d. i. Spott über die „große Menge der gewöhnlichen 
Aerzte“, welche täglich ihre Gesundheit, ihr Leben für die leidende 
Menschheit zu Markte trägt? Hängen wir nun dieses wegwerfende 
Gutachten einer „Leuchte der Wissenschaft“ zur besseren Illustrirung 
für die misera plebs medicorum etwas niedriger. Der berühmte Mann 
will offenbar festsetzen, daß die Frauen gewöhnliche Aerzte werden 
dürfen, auf die Professur hingegen von vornherein verzichten müßten. 
Mit nichten! Eine unerträgliche Last wäre für das schwache Weib 
der Beruf des praktischen Arztes in seiner heutigen Gestalt; 
brechen doch so viele kernfeste Männer vorzeitig unter ihr zusammen. 
„Nervenstärke und rasche Entschlußfähigkeit zu sofortigem Eingriffe“ 
braucht der gewöhnliche Arzt zumindest in dem Maße wie der be¬ 
rühmte Chirurg, und er bringt sie auch meistens auf, ohne daß 
ihm des Letzteren Behelfe zu Gebote stünden. Denn wer Anderer 
vollführt unter sorgenvoller Verantwortung und dennoch kaltblütig 
— oft in der elendsten Hütte, umringt von jammernden Angehörigen 
ohne jegliche Assistenz — die schwierigen Operationen an Kreißenden, 
wer Anderer araputirt dort die zerschmetterten Gliedmaßen, als der 
gewöhnliche Arzt auf dem Lande? Und gerade dieser aufreibende 
Beruf soll der Frau eröffnet werden; von ihren eigenen pflege¬ 
bedürftigen Kindern weg soll der unerbittliche Kranke sie bei Tag 
und Nacht in Wind und Wetter hinausjagen, gerade die heroischen 
Pflichten der großen Menge der gewöhnlichen Aerzte will man 
ihren schwachen Schultern aufbürden ? Für ihren zarten Organismus 
paßt im Gegentheil das sorgenfreie Los eines wohldotirten Professors 
viel besser. Und warum sollte sie letzteres nicht auch erreichen 
können? Man lasse sie oder einen aus der großen Menge nach dem 
Doctorate sich längere Zeit an reichlich belehrendem Materiale 
heranbilden, und es ist gar nicht cinzusehen, warum kein tüchtiger 


Specialist aus ihnen werden sollte. Doch wir wollen keinen Beitrag 
zum Frauenrechte liefern, sondern nur energisch dagegen protestiren, 
daß der wichtigste sociale Stand von autoritativer Seite dem Hohne 
des großen Publicums preisgeboten werde. 

(Realschul abiturienten in Deutschland.) Die Abitu¬ 
rienten der Realgymnasien sind nunmehr in Deutschland auch zum 
Studium der Jurisprudenz zugelassen worden. Die betreffende mini¬ 
sterielle Bekanntmachung enthält jedoch im Gegensätze zur seiner¬ 
zeitigen, mit der die Zulassung der Realschulabiturienten zum 
Medicinstudium ausgesprochen wurde, die bemerkenswerthe Mahnung: 
„Die geeignetste Anstalt zur Vorbildung für den juristischen Beruf 
ist das humanistische Gymnasium.“ Damit kennzeichnet die Regie¬ 
rung ihren Standpnnkt, nach dem ihr die aus einem humanistischen 
Gymnasium hervorgegangenen Juristen der Bevorzugung würdig 
erscheinen. 

(XXXI. Chirurgen-Congreß.) Der 31. Congreß der 
deutschen Gesellschaft für Chirurgie wird vom 2. bis 5. April 1902 
in Berlin tagen. Die Eröffnung des Congresses findet Mittwoch, 
den 2. April, Vormittags 10 Uhr, im LANGENBECK-Hause statt. 
Ankündigungen von Vorträgen und Demonstrationen sind an Pro¬ 
fessor Dr. Kocher, Bern (Schweiz) zu richten; die nach dem 
10. März einlaufenden Anmeldungen können nicht mit Sicherheit auf 
Berücksichtigung rechnen. Bis jetzt sind zahlreiche Vorträge an¬ 
gemeldet, welche die Gebiete der Wundbehandlung, die Krebsfrage, 
Pathogenese und Therapie der Perityphlitis und Peritonitis, die 
Unterleibschirurgie etc. behandeln. 

(Organisation der schweizerischen Aerzte- 
schaff.) Die schweizerischen Aerzte haben sich neu organisirt. Der 
„Aerztliche Centralverein“ und die „Societe medicale de la Suisse 
romande“ haben sich zu einer „Eidgenössischen ärztlichen Verbin¬ 
dung“ zusammengeschlossen, die durch die als schweizerische Aerzte¬ 
kammer vereinigten Delegirten der beiden Gesellschaften vertreten 
und verwaltet wird. Eine von den Delegirtenversararalungen ge¬ 
wählte Aerztecommission bildet das vorberathende ausführende 
Organ ’ der schweizerischen Aerztekammer. Die Aerztekammer ist 
mit folgenden Aufgaben betraut: a) Sie unterbreitet die Wünsche 
der Schweizer Aerzte in Frage der öffentlichen Gesundheits- und 
Krankenpflege den jeweiligen competenten Behörden; b) sie nimmt 
die Interessen des ärztlichen Standes in Schutz und trifft zu diesem 
Zwecke die durch die Umstände geforderten Maßregeln. 

(Der„Wohlfahrt8verein für Hinterbliebene der 
Aerzte Wi ens“) beklagt innerhalb der letzten Tage drei Todes¬ 
fälle aus der Reihe seiner Mitglieder. Den bezugsberechtigten 
Hinterbliebenen der betreffenden 3 Mitglieder wurden 4043 Kronen 
ausbezahlt. Während des fast zweijährigen Vereinsbestandes gelangten 
in 9 Todesfällen insgesammt 11.136 Kronen zur Auszahlung und 
wurde mit der entsprechenden Quote in einigen Fällen wirkliche 
Hilfe gebracht. — Beitrittsanmeldungen sind zu richten an den 
„Wohlfahrtsverein für Hinterbliebene der Aerzte Wiens“, II., Prater¬ 
straße Nr. 10. 

(Einträglichkeit des Impfgeschäftes in Eng¬ 
land.) Wir entnehmen der „A. M. Centr.-Ztg.“ eine Mittheilung 
aus dem „Morning Leader“, einer impfgegnerischen englischen 
Zeitung. Diese wendet sich gegen die Folgen des neuen Impfgesetzes, 
welches den impfenden Aerzten für die Impfung in ihrem Operations¬ 
zimmer 2 Shilling 6 Pence und für Impfungen in der Privatwohnung 
des zu Impfenden 7 Shilling 6 Pence bewilligt, und zwar aus öffent¬ 
lichen Mitteln. In dieser Tendenz erzählt er die Geschichte eines 
einträglichen Impfgeschäftes, die des Humors nicht entbehrt und 
wenn nicht wahr, doch wenigstens gut erfunden ist. Ein Arzt 
impfte seine Frau und seine sämmtlichen Kinder, und zwar nicht 
in seinem Operationszimmer, sondern in seinen Privaträumen, damit 
er für jeden einzelnen Fall 7 Shilling und 6 Pence berechnen konnte. 
Schließlich impfte er sich selbst und setzte auch diesen Fall irv 
Rechnung. Das Schlimmste ist nach Ansicht des „Morning Lead^Ä 
daß nach den gesetzlichen Bestimmungen nichts im 
diese Impfungen alle vierzehn Tage zu 

großer Familie können somit in England durch fortge^B^^frS^f» 
ihrer Familie einen erheblichen Theil ihres Unterh^BjIll' -- 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 8. 


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(V. Internationaler Dermatologen-Congreß.) Mit 
Rücksicht darauf, daß der internationale allgemeine medicinische 
Congreß im Jahre 1903 in Madrid tagen wird, ist der ursprünglich 
für dasselbe Jahr in Aussicht genommene internationale dermato¬ 
logische Congreß in Berlin auf das Jahr 1904 verlegt worden, und 
zwar wird derselbe im September dieses Jahres unter dem Präsidium 
E. Lesser’s stattfinden. Generalsecretär des Congresses ist 0. Ro¬ 
senthal. 

(Statistik.) Vom 9. bis inclusive 15. Februar 1902 wurden in 
den C i vi lspi t älern Wiens 7363 Personen behandelt. Hievon wurden 1479 
entlassen; 156 sind gestorben (9 5% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 78, egypt. 
Augenentzündung 3, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 10, Dysen¬ 
terie —, Blattern —, Varicellen 125, Scharlach 90, Masern 369, Keuchhusten 50, 
Rothlauf 47, Wochenbettfieber 9, Rötheln 3, Mumps 10, Influenza—, follicul. 
Bindehaut-Entzündung—, Meningitis cerebrospin.—, Milzbrand—, Lyssa—. 
— ln der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 629 Personen gestorben 
(+42 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Aus Berlin wird der Tod des hervorragen¬ 
den Orthopäden Prof. Julius Wolff gemeldet. Wir behalten uns eine 
eingehende Würdigung der Bedeutung des Verblichenen vor. — 
Gestorben sind ferner: In Schattau iu Mähren der Districtsarzt 
Dr. Publig , als Opfer seines Berufes; in Eger der Augenarzt 
Dr. Anton Padiaür im 39. Lebensjahre; in Budapest Dr. Bela 
Renyi , 40 Jahre alt, und Dr. Marcell Müller im Alter von 
26 Jahren; in Beszterczebänya Dr. Jacob Krieser im 75. Lebens¬ 
jahre; in Krems Dr. A. Ott; in Dresden der Director des statisti¬ 
schen Bureaus des Königreiches Sachsen Dr. Arthur Geissler, 
70 Jahre alt. 


Berichtigung. In unserem Referate über die Behandlung septischer Horn- 
liautgeschwüre, Ulcus seipens corneae etc. (nach Dr. Stasisski in Nr. 48 v. J., 
Spalte 2225) ist außer Airol auch Xeroform erwähnt worden. Herr Dr. Stasinski 
hat jedoch, wie wir erfahren, nur Airol angewandt, die Empfehlung von Xero¬ 
form für dieselben Krankheiten rührt von den Autoren her, die wir in unserer 
Notiz auf Spalte 320 in Nr. 7 d. J. anführten. 


Einfuhr des „Alboferin“ nach Rußland. Zufolge bestätigter Entschei¬ 
dung des Medicinalrathcs in St. Petersburg wurde die Einfuhr des Eiweiß- 
Eisen-Phosphorpräparates „Alboferin“ nach Rußland bewilligt. 

Das „Alboferin“ wird in Apotheken auf ärztliche Anordnung verabreicht. 
(Zuschrift des löbl. russischen General-Consulatcs in Wien Nr. 124 vom 
14. Februar 1902.) 


Wiener Medicinisches Doctoren-Collegium, 

Wissenschaftliche Versammlung. 

Montag den 24. Februar 1902, 7 Uhr Abends, 
im SitzungHsaale des Collegiums, I. Rothentlmrmstraße 19 (vau Swieteuhof). 
Vorsitz: Dr. H. Tklkky. 

Programm: 

Doc. Dr. Gaul Uli.mann : Einige Hautanomalien in ihren Beziehungen zu 
inneren Organerkrankungen. 


Neue Literatur. 

(Der Redaction zur Besprechung eingesandte Büiher.) 

E. v. Leyden u. F. Klemperer, Deutsche Klinik. Lieferung 40—42. Wien 
und Berlin 1902, Urban & Schwarzenberg. 

W. Traugott, Die nervöse Schlaflosigkeit. Leipzig 1902, H. Hartung & 
Sohn. — M. 1.50. 

Schilling, Diätetik des Darmes. Leipzig 1902, H. Hartung & Sohn. — 
M. 3.—. 

M. Fraenkel, Die 20 bist. u. osteol. med. Staatsexamensvorträge. Leipzig 1902, 
H. Hartung & Sohn. — M. 5.—. 

Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 

Mit dieser Nummer versenden wir einen Prospect der 
Actien-Gesellschaft für Anilin Fabrication in Berlin S. 0. über 
Bromocoll-Salbe, ein Mittel zur Bekämpfung des Juckreizes 
bei Hautaffectionen, den wir der geneigten Beachtung unsrer 
Leser empfehlen. 


Die Rubrik: „ Erledigungen, ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der »weiten Inseraten-Seite. 

Dr. Fries’ 8Che Privatheilanstalt für 

Nerven- und Gemiithskranke, Morphinisten etc. 

===== in Inzersdorf bei Wien. = = = = = 


Wirksamstes 

Arsen-Eisen- 
Wasser 

gegen Blutarmuth, Frauenkrank¬ 
heiten, Nerven- und Hautkrank¬ 
heiten etc. 

HEINRICH MATTONI, WIEN, i :: SSKHSSJUti." 

10 K. n. k. österr. Hof- und Kammerlieferant. 



Bei acuten 
fällen von 


Eminente 
Erfolge!! 


morbus Brighti 


Steigerung der Diurese durch Crinken 
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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 8. 


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Prof. Dr. €r«$t Visclltr (Strassburg): 

Die Wirkung des „Pertussins“ war eine überraschende; wenn¬ 
gleich ich nicht gerade sagen kann, dass der Keuchhusten Bich in 
einigen Tagen in einen einfachen Katarrh verwandelte, so wurden 
die Anfälle so milde, der Schleim so locker, dass das Erschreckende 
des Keuchhustens, das Blauwerden und die drohende Erstickung, voll¬ 
ständig wegiielen. 

Dr. tnodel, kgl. Bezirksarzt a. D. (Weissenburg): 

Nach dem Gebrauch des Pertussln war es mir beim Erwachen 
plötzlich, als athmete ich die freie herrliche Luit auf einem Alpen- 
Gipfel. Diese Leichtathmigkeit fiel mir besonders auf, der ich in¬ 
folge langjähriger Bronchialkatarrhe an merklichem Emphysem leide. 
Dr. HlfrOd Itliller (Neuhausen): 

Mein Urtheil geht dahin, dass das Pertussin ein Mittel ist, das 
in kürzester Zeit den mit Recht so gefürchteten Keuchhusten in 
einen ungefährlichen und fast unmerkbaren Bronchialkatarrh über* 
zuführen vermag. Ich kenne zur Zeit kein anderes Mittel, welches 
sich des gleichen Vorzuges rühmen dürfte. 

Dr. Erich R. vom ItlatzHer (Birkfeld, Steierm.): 

Die drei mit Pertussin behandelten Bronchitiden, davon zwei 
bei Kindern, zählten zu den schwersten Formen und jedesmal er¬ 
wies sich Ihr Präparat als von ausgezeichneter Wirkurg; der starke 
Hustenreiz nahm in wenigen Stunden bereits ab und die Secretion 
beg. nn sich bald zu verringern, die Temperatur fiel ab. 

Dr. Stösstttr, leit. Arzt d. lothring. Sanatoriums (Alberschweiler): 
Ihr Pertussin habe ich in 3 Fällen angewendet und zwar davon 
in 2 Fällen mit hervorragendem, im 3. mit leidlichem Erfolg. Alle 
3 Fälle waren solche der schwersten Schwindsucht. Ich nehme 
schon jetzt an, dass Pertussin bei uns nicht mehr ausgehen wird. 

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Wien, den 2 . März 1902. 


Nr. 9. 


XLIII. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart-Forraat stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik“, letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse" 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 


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Abonnementr-preise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Militärärztliclier Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
20 A', halbj. 10 A', viertelj. 5 AT. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines : Jährl. 24 Mrk. , halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 A"; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein 
Sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien,!., Maximilianstr. 4. 


Medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Redaction: Telephon Kr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

■-•—«SS©-- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 
Administration: Telephon Kr. 9104. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Ueber ungewöhnlichen Sitz des Primäraffectes an der Haut und Schleimhaut. Von Hofrath Professor 
Dr. Isidor Neumann. — Ueber die klinische Bedeutung des Ekzema seborrhoicum. Von Dr. Georg Bonne in Klein-Flottbeck. — Aus der zehnten 
chirurgischen Abtheilung des städtischen Spitales zu Triest. Ein Fall von Periostitis albuminosa. Von Dr. Stuparich, Chirurg. Assistent. — Referate. 
G. Scagliosi (Palermo): Ueber den Sonnenstich. — L. Freund (Wien): Beitrag zur Physiologie der Epidermis mit Bezug auf deren Durchlässigkeit 
für Licht. — Alfred Wolff (Berlin): Die Morphologie der Pleuraergüsse. — Paul Cohnheim (Berlin): Die Heilwirkung großer Dosen von Olivenöl 
bei organischen und spastischen Pylorus- und Duodenalstenosen und deren Folgezuständen. — Aus der chirurgischen Uuiversitätsklinik und dem 
Johanneshospitale zu Bonn (Geheimrath Schede). V. Schmieden : Klinische Erfahrungen über Vioform. — Ans dem chirurgisch-pathologischen 
Institut der Universität Leipzig. Eduard Sthamer : Zur Frage der Entstehung von Magengeschwüren und Leberinfarcten nach experimentellen 
Netzresectionen. — Adrian (Straßburg): Ueber Neurofibromatose und ihre Complicationen. — Honsell (Tübingen): Zur Kenntniß der sogenannten 
primären Myositis purulenta. — J. Jaddassohn (Bern) : Ueber eine eigenartige Erkrankung der Nasenhaut bei Kindern („Granulosis rubra nasi“). — 
Stiassny (Frankfurt a. M.): Ein Fall von angeborener Myocarditis fibrosa. — Hebxheimer (Frankfurt a. M.): Ueber einen Fall von echter Neben¬ 
lunge. — Kleine Mittheilnngen. Entstehung und Verhütung von oxalsauren Nierensteinen. — Dormiol. — Behandlung der Lidrandentzündung. — 
Pertussin. — Fersan. — Die Resistenz der Eier und der Larven des Ankylostoma. — Jod- und Kreosot-Vasogene. — Speciflcum bei Scharlach. — 
Literarische Anzeigen. Handbuch der Massage und Heilgymnastik. Von Dr. Anton Bum. — Lehrbuch der topographischen Anatomie. Von 
Prof. Dr. T. Hermann. — Sammlung stereoskopischer Aufnahmen als Behelf für den theoretisch-praktischen Unterricht in der Geburtshilfe. Von 
Dr. Ludwig Knapp, Privatdocent an der deutschen Universität in Prag. — Feuilleton. Ueber die Ersatzansprüche an die Eisenbahnen auf Grund 
der Haftpflicht- und Unfall-Versicherungsgesetze. Von Dr. Michael Grossmann , Universitätsdocent, Chefarzt der k. k. priv. österr. Nord westbahn. — 
Verhandlungen ärztlicher Vereine. Gesellschaft für innere Mediän in Wien. (Orig.-Ber.) — K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 
(Orig.-Ber.) — Aus medicinischen Gesellschaften Deutschlands. (Orig.-Ber.) — Notizen. — Neue Literatur. — Eingesendet. — Offene 
Correspondenz der Redaction und Administration. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse u gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Ueber ungewöhnlichen Sitz des Primäraffectes 
an der Haut und Schleimhaut. 

Von Hofrath Prof. Dr. Isidor Neumann. *) 

Der Gegenstand meines heutigen Vortrages ist nicht bloß 
theoretisch, sondern er hat auch in vielfacher Beziehung ein 
eminent praktisches Interesse. 

Wie Ihnen bekannt, werden die Sklerosen nach ihrem 
Sitze in genitale, perigenitale und extragenitale 
eingetheilt. 

Bezüglich der genitalen Sklerosen möchte ich hier bloß 
eine^ Localisation besonders hervorheben, das ist beim 
Weibe die Vaginalportion, beim Manne die 
Urethra. Die Sklerose an der Vaginalportion ist in sani¬ 
tärer Beziehung vermöge ihrer Verborgenheit für das Indi¬ 
viduum und als lnfectionsquelle von allergrößter Tragweite, 
sind ja allein auf meiner Klinik nahezu 300 Sklerosen an der 
Vaginalportion beobachtet worden. Sie werden begreifen, daß 
an einer Stelle, an welcher durch physiologische Verhältnisse — 
die Menstruation — das Epithel leicht macerirt wird, gelegent¬ 
lich der Cohabitation Virus sehr leicht gelangt und Infection 
erfolgt. 

Da man nicht immer in der Lage ist, mit der Be¬ 
quemlichkeit, wie sie die Einrichtungen einer Klinik gestatten, 
die Frauen zu untersuchen, und nicht immer die Patientinnen 

*) Vortrag, gehalten in der wissenschaftlichen Versammlung des Wiener 
medicinischen Doctorencollegiums am 13. Januar 1902. 


in jene Verhältnisse bringen kann, unter denen eine Diagnosen¬ 
stellung leicht möglich wäre, ist also aus rein äußeren 
Gründen die Diagnose oft erschwert. 

Aber auch aus klinischen Gründen. Es gehört 
nämlich viel Uebung dazu, um eine solche Krankheit sicher 
zu diagnosticiren. 

Wenn beispielsweise das Individuum noch nicht geboren 
hat, der Scheidencanal eng und schmal und die Mutter¬ 
mundsöffnung ganz klein ist, dann ist daselbst fiir den Fall 
einer Infection nur eine Infiltration zu constatiren. Wenn man 
ein Röhrenspeculum einführt, schnellt zwar die Vaginal¬ 
portion wegen ihres größeren Gewichtes in die Tiefe, aber das 
ist kein genügender Anhaltspunkt für die Diagnose. In der 
Regel wird diese dadurch gestützt, daß sowohl an der Mündung 
des Cervicalcanales, als auch an der Vaginal portion ein speckiger 
Belag, mitunter auch ein umschriebener Substanzverlust mit 
speckigem Belage vorhanden ist. 

Ein weiteres wichtiges Moment muß ich diesbezüglich 
noch hervorheben: Die Diagnose ist nämlich auch aus dem 
Grunde schwierig, weil man die Drüsen, welche bei 
dieser Localisation des Primäraffectes anseh wellen, nicht 
palpiren kann. 

Wenn die Sklerose an den äußeren Gescklechtstheilen 
sitzt, untersucht man die Lymphdrüsen, aber die Glandulae 
iliacae, überhaupt die Drüsen in der Bauchhöhle können in 
der Regel nicht palpirt werden, und so erscheint die Diagnose 
erschwert. 

Bei Weibern, welche mehrmals geboren haben, ist die 
Diagnose leichter. Der Scheidencanal ist weit, der Muttermund 
breit, gewöhnlich erodirt, das Geschwür zeigt einen specki¬ 
gen Belag. 


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403 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 9. 


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Von Bedeutung sind diese Dinge, wenn z. B. ein solches 
Individuum während der Schwangerschaft syphili¬ 
tisch inficirt wird. In solchen Fällen wird die Vaginal¬ 
portion enorm dick, die Mündung des Cervicalcanales sehr eng. 
Kommt es dann am Ende der Gravidität zum Austritte der 
Frucht, so kann der Cervicalcanal sich nicht ausdehnen, und 
es müssen Incisionen gemacht werden, weil das Gewebe sehr 
hart und unnachgiebig geworden ist. 

Desgleichen ist auch die Aufnahme des Semen 
virile erschwert. Wie gesagt, ist das Gewebe der Portio 
verdickt, der Canal sehr enge, und dadurch kann das Semen 
nicht eindringen, bezw. nicht in den Uterus gelangen. Die 
Folge ist Sterilität. 

Noch folgenreicher sind die Dinge im späteren Ver¬ 
laufe. Wenn die Sklerose nicht gleich resorbirt wird, können 
Elemente, die zwar nur mikroskopisch nachweisbar sind , im 
Gewebe Zurückbleiben. Durch die Menstrualflüssigkeit und 
andere Secrete wird das Epithel abgestoßen , solche Stellen 
werden macerirt und das derart entstandene Geschwür bildet 
wieder eine Infectionsquelle; namentlich kommen bei Männern 
an der Mündung der Urethra auf solche Weise Infectionen 
zustande. 

Andererseits hat die Sache auch insoferne große Bedeu¬ 
tung, als die Erfahrung lehrt, daß Gummata gerne an den¬ 
jenigen Stellen auftreten, an denen im recenten Stadium die 
Sklerose saß, und nachdem weiters Gummata bei den dazu 
disponirenden Individuen häufig in Carcinom übergehen, so 
ist die Krankheit von größter Bedeutung. Bei Männern kommen 
infolge von Sklerosen der Urethra entstandene Stricturen in 
Betracht. 

Perigenitale Localisationen kommen am Mons 
veneris, an den Schenkelflächen und an den Analfalten vor ; 
an letzterer Stelle entstehen sie häufig durch Analcoitus. 

Wir gehen nunmehr zum eigentlichen Thema unseres 
Vortrages, zur Erörterung der extragenitalen Sklerosen, über. 
Die extragenitalen Sklerosen sind für die Praxis von der 
allergrößten Wichtigkeit, nicht bloß für das erkrankte Indi¬ 
viduum selbst, sondern auch für die Allgemeinheit, weil sie 
leicht auf andere Individuen übertragen werden können. 
Welche Bedeutung gerade die extragenitale Sklerose besitzt, 
werden Sie daraus ersehen, daß sie in den letzten Jahren 
einen geraumen Platz in der Literatur einnimmt, daß man 
sich mit dieser Erkrankung eingehend befaßt und eine große 
Anzahl einschlägiger Beobachtungen publicirt worden ist. 

Bei der sogenannten besseren Classe kommen extragenitale 
Sklerosen vorwiegend durch Kuß und sexuelle Perversität 
vor, bei der ärmeren Bevölkerung sind es mehr Geräth- 
schaften und das enge Zusammenleben in unzureichenden 
Räumen, durch die die Infectionen begünstigt werden; es 
wird somit mit der Steigerung des socialen und sexuellen 
Verkehres auch die Zahl der extragenitalen Sklerosen zunehmen. 
Bevor ich ins Specielle eingehe, möchte ich einige statistische 
Daten hervorheben. 

Im Folgenden soll das Material meiner Klinik, bei dessen 
statistischer Zusammenstellung der Aspirant meiner Klinik Dr. 
Brandweiner mitgewirkt, die in Rede stehende Frage näher be¬ 
leuchten. 

An meiner Klinik kamen in der Zeit von 1880 bis 1901 
207 Fälle von extragenitalen Sklerosen vor. In diesem Zeitraum 
waren 4634 mit syphilitischem Primäraffect behaftete Kranke in 
klinischer Behandlung, worunter 2822 Männer und 1811 Weiber. 

Der Loealisation nach waren unter den 4113 genitalen 
in der Urethra 365, unter letzteren an der Vaginalpartion 310, 
davon an beiden Cervicallippen 152, der vorderen Cervicallippe 97, 
der hinteren Cervicallippe 61. 

Perigenital fanden sich 157, darunter ad anum 38 (12 Männer, 
26 Weiber), an der inneren Schenkelfläche 37 (19 M., 18 W.), am 
Mons veneris 82 (43 M., 39 W.). 


Extragenitale Primäraffecte 207 (100 M. , 107 W.), d. i. 
4 4 7% der Gesammtzahl. 

Der Loealisation nach waren an der Oberlippe 41 (15 M., 
26 W.), Unterlippe 65 (31 M., 34 W.), Mundwinkel 8 (6 M., 2 W.), 
Wange 4 (3 M., 1 W.), Kinn 12 (9 M., 3 W.), Tonsillen 20 (8 M., 
12 W.), hinteren Rachenwand 1 (1 M.), Zunge 2 (1 M., 1 W.), 
Nasenflügel 2 (1 M., 1 W.), Augenlid 4 (2 M., 2 W.), Stirn 3 (3 M.), 
Zahnfleisch 6 (2 M., 4 W.), Finger und Hand 27 (17 M., 10 W.), 
Brustdrüse 9 (9 W.), Nabel 1 (1 W.), Oberschenkel 1 (1 M.), 
Vorderarm 1 (1 W.). 

Betreffend die nähere Loealisation ergaben sich an der 
Oberlippe median 13, rechts 15, links 13,* Unterlippe median 23, 
rechts 24, links 18; Mundwinkel rechts 4, links 4; Wange rechts 3, 
links 1; Kinn median 5, rechts 2, links 5; Tonsillen beiderseits 1, 
rechts 11, links 8: hinteren Rachenwand medial 1; Zunge median 1, 
rechts am Rand 1; Nasenflügel rechts 2 ; Augenlid rechts oben 3, 
links unten 1; Stirne rechts 2, links 1; an dem Zahnfleisch der oberen 
Schneidezähne 4, der unteren Schneidezähne 2; Finger: Zeige¬ 
finger rechts 8, links 3; Mittelfinger rechts 4, links 2, Ringfinger 
rechts 2 ; Daumen rechts 3; Handrücken 2 ; Handteller rechts 3 ; 
Brustdrüse rechts 4, links 5; Oberschenkel links 1; Vorderarm 
rechts 1; Nabel 1. 

Dem Berufe nach waren: Schuhmacher 6, Schneider 5, 
Beamte 6, Schauspieler 5, Kutscher 11, Schlosser 8, Hutmacher 2, 
Kellner 6, Reisende 5, Buchbindergehilfen 2, Buehexpeditor 1, 
Handlungsgehilfen 2, Metalldrucker 1, Hausknechte 13, Diener 9, 
Agenten 6, Bahnarbeiter 7, ohne Beruf 5. . 

Von den 107 Weibern waren: Mägde 47, Prostituirte 8, 
Ammen 7, Hebammen 7, Köchinnen 7, Stubenmädchen 21, ver¬ 
heiratete Frauen 4, ohne Beschäftigung 6. 

Nun möchte ich Ihnen eine Anzahl Beobachtungen mit¬ 
theilen, die ein besonderes Interesse beanspruchen und gleich¬ 
zeitig diagnostische Winke geben. 

Es kam ein Kranker an meine Klinik, der ein Infiltrat 
in den Afterfalten aufwies. Dies war das einzige Krankheits¬ 
symptom. Bei der Untersuchung fand ich die Inguinaldrüsen 
nicht vergrößert, dagegen die Achseldrüsen geschwellt. Nun 
hatte der Patient am Vorderarme unter dem Handgelenke 
eine Narbe von Thalergröße, die an der Peripherie pigmentirt 
war. Auf meine Frage gab der Betreffende an, daß er ge¬ 
legentlich einer Rauferei an dieser Stelle gebissen worden sei 
und an der Bißstelle ein Geschwür bekommen habe. Bei der 
Confrontirung ergab sich in der That die Richtigkeit dieser 
Angabe. Ich habe mir nämlich den Mann, mit welchem der 
Patient gerauft hatte und von dem er gebissen worden war, 
kommen lassen und constatirte bei demselben Syphilis, und 
zwar hatte er nässende Papeln an den Lippen. Es war also 
das syphilitische Virus durch die Bißwunde in den Organismus 
gedrungen. 

Ein zweiter interessanter Fall betrifft eine Bauernfamilie. 
Eine Braut bekam vom Bräutigam Syphilis. Beide traten in 
meine Klinik zur Behandlung. Aus ihrer Ehe gingen zwei 
congenital syphilitische Kinder hervor. Gelegentlich eines 
Streites zwischen den Eheleuten wollte der Schwiegervater 
interveniren, wurde Vom Schwiegersohn in den Mittelfinger 
gebissen und bekam an der Bißstelle einen syphilitischen 
Primäraffect. Es entwickelte sich eine ringförmige Sklerose 
mit consecutiven Erscheinungen. Es handelte sich um ein 
anämisches Individuum, bei dem nachher ein papulo-pustu- 
löses Syphilid und mehrfache andere schwere syphilitische Er¬ 
scheinungen auftraten. 

Auf gleiche Weise wurde ein SicherheitsWachmann inficirt, 
der auf meiner Klinik behandelt wurde. Bei einer Arretirung 
wurde er an der Hand gebissen und bekam daselbst eine 
Sklerose und später Erscheinungen von Syphilis. 

Im Juni oder Juli vorigen Jahres kam eine alte Frau 
an meine Klinik, um sich wegen eines Zungengeschwüres 
behandeln zu lassen. Mein Assistent Dr. Matzenauer stellte 
die richtige Diagnose auf median gelagerte Sklerose an der 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 9. 


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Zunge von Thalergröße mit einem papulo-pustulösen Syphilid. 
Die Infection ist interessant. Die Patientin hatte ihr Enkel¬ 
kind „gepäppelt“ und bekam von diesem congenital syphiliti¬ 
schen Kinde die Sklerose an der Zunge mit consecutiven Er¬ 
scheinungen. 

Es dauerte nicht lange, als die Tante dieses Kindes — 
ein Mädchen im Alter von 12 Jahren — mit einer Sklerose 
an der Tonsille ebenfalls an meine Klinik kam. Sie hatte das 
Kind in gleicher Weise genährt und sich dadurch inficirt. 
Auch bei ihr folgten die typischen secundären Erscheinungen ; erst 
vor einigen Wochen konnte sie aus der Klinik entlassen werden. 

Besonders interessant ist folgender Fall: Ein Mann 
(Handelsreisender) hatte sich auf der Reise einen syphilitischen 
Primäraffect geholt und pflog nach der Rückkehr mit seiner 
im 7. Monate graviden Gattin ehelichen Verkehr. Diese be¬ 
kam im 8. Monate der Gravidität eine Sklerose. Das Kind 
wurde reif und syphilisfrei geboren. Postconceptionelle Syphilis 
geht in der großen Mehrzahl der Fälle in den letzten Monaten 
der Schwangerschaft auf die Nachkommenschaft nicht über, 
dagegen in den ersten Monaten der Gravidität: da stirbt in 
der Regel die Frucht ab. Wie bereits erwähnt, brachte die 
Frau ein reifes, gösundes Kind zur Welt. Als dieses 5 Monate 
alt war, bekam es von der Mutter, die damals nässende Papeln 
hatte, einen Primäraffect am Nabel und ein papulo-pustulöses 
Syphilid. 

Noch interessanter ist die folgende Beobachtung: Eine 
Frau hatte ein vom Vater her syphilitisches Kind zur 
Welt gebracht. Die Mutter zeigte keinerlei Erscheinungen 
von Syphilis. Nach dem Gesetze von Colles wird die 
Mutter vom Kinde nicht inficirt. In letzter Zeit hat je¬ 
doch diese Annahme eine Modification erfahren. Wenn näm¬ 
lich eine solche Mutter schon mehrere Kinder mit Syphilis 
geboren hat, dann ist ihre Immunität vollständig; wenn sie 
aber nur ein einziges Kind zur Welt gebracht hat, dann ist 
die Möglichkeit vorhanden, daß sie vom Kinde inficirt wird. 
Also es war in unserem Falle die Mutter gegen die Syphilis 
ihres Kindes immun, aber nicht bloß gegen diese Syphilis, 
sondern auch gegen Uebertragung von nässenden Papeln 
durch Impfung. Damals konnten wir nämlich noch Impfungen 
vornehmen. Die Mutter war also auch immun gegen Syphilis 
von außen. Ich habe nun die ganze Familie auf meine Klinik 
genommen, und da ereignete sich Folgendes: Die Großmutter, 
welche die Gewohnheit hatte, das Enkelkind an ihren Lippen 
saugen zu lassen , bekam eine Sklerose in der Ausdehnung 
von Haselnußgröße mit consecutiven Erscheinungen. 

Daraus ersieht man, daß Immunität der Mutter gegen 
die Syphilis ihres Kindes, sowie gegen Syphilis von außen 
bestand, daß aber das hereditär-syphilitische Kind die Krank¬ 
heit auf gesunde Individuen übertrug. Diese Thatsache hat in 
der Praxis insoferne Bedeutung, als Ammen, wenn sie ein 
syphilitisches Kind anlegen, durch dasselbe inficirt werden 
können, während die Mutter frei bleibt. 

Nun kommen aber, speciell in besseren Familien, be¬ 
sonders traurige Fälle häufig zur Beobachtung, in denen, ob¬ 
zwar die manifesten Symptome der Syphilis längst abge¬ 
laufen sind, späterhin Infection von Syphilis stattfindet, und 
ich möchte Ihnen ein charakteristisches Beispiel dafür im 
Folgenden anführen. 

Ein Herr hatte vor 10 Jahren Syphilis acquirirt und 
war entsprechend behandelt worden, es traten keinerlei Sym¬ 
ptome mehr zu Tage. Bevor er heiratete -— 10 Jahre nach 
dem Auftreten des Primäraffectes — hat er, obzwar kein 
Symptom der Krankheit vorhanden war, ärztlichen Rath ein- 
geholt und die Zustimmung zur Ehe erhalten. Nun hatte er 
seine Frau nach 10 Jahren inficirt. Er bekam nämlich eine 
Erosion an der Lippe, und diese war genügend, seine Frau 
zu inficiren. Diese bekam eine Sklerose an der Lippe mit 
consecutiven Erscheinungen von Syphilis. 

In socialer Beziehung sind folgende Fälle von großem 
Interesse: 


Zum verstorbenen Carl v. Braün kam ein Mädchen im 
Alter von 17 Jahren (sie war Braut) mit einem Geschwüre 
an der Lippe. Ich wurde consultirt, und wir stellten die 
Diagnose „Sklerose“. Bei der Confrontirung des Bräutigams 
ergab sich, daß er vor 3 Jahren Syphilis acquirirt hatte, 
welche er behandeln ließ. Zur Zeit unserer Untersuchung be¬ 
standen blos geschwollene Lymphdrüsen, Leukoplakie in der 
Mundhöhle und eine leichte Erosion an der Lippe. Der von 
den Angehörigen der Braut gewünschten Aufhebung der Ver¬ 
lobung habe ich nicht zugestimmt, weil die Syphilis das beste 
Mittel bildet, daß die Leute nicht auseinandergehen, und 
es ist mir auch in diesem Falle gelungen, die Leute zu über¬ 
zeugen. Das Mädchen bekam dann Psoriasis palmaris und 
plantaris, tiefe Rhagaden an den Mundwinkeln, Alopecie, wurde 
hochgradig anämisch , bekam sehr viele Lymphdrüsenschwel- 
lungen. Diese Zustände zogen sich durch beiläufig 2 Jahre 
hin, dann habe ich ihnen die Ehe gestattet. Sie bekamen 
2 Kinder, dieselben sind zwar anämisch, zeigen aber keine 
Erscheinungen von Syphilis. Die Frau bekam weiterhin 
keine Symptome luetischer Natur. Das Beste in derartigen 
Fällen ist, daß die Personen sich heiraten, da sie sich nicht 
mehr inficiren. Ich brauche wohl nicht besonders hervorzu¬ 
heben, welche Wichtigkeit derartige Fälle in der Praxis 
haben. 

Sehr begünstigt ist das Auftreten extragenitaler 
Sklerosenbeigewissen Berufsarten durch die Thätig- 
keit der Betreffenden, und ich möchte hier speciell die Aerzte, 
Hebammen und Wäscherinnen hervorheben. Der Arzt 
muß den Syphilitikern gegenüber wie ein Soldat in die Schlacht 
gehen, er muß Vorsichten gebrauchen, um nicht allzuleicht 
schwere Schädigung zu erleiden. Er untersucht beispielsweise 
einen Patienten mit einem Spatel, es treten Schlingbewegungen 
und Husten ein, falls der Arzt nicht die Vorsicht gebraucht, 
die Zunge zurückzuschieben, bekommt er vom Patienten einen 
Schleimpfropf in die Conjunctiva geschleudert; wenn er dann 
nur ein wenig an dem Lide reibt, hat er nach einiger Zeit 
die Sklerose an der Bindehaut. 

Ungleich häufiger ist der Arzt, namentlich der Zahnarzt, 
der Infection an den Händen ausgesetzt. In meiner Statistik 
finden sich 3 Zahnärzte. Der Eine von diesen hatte die Krankheit 
erst bemerkt, nachdem bereits eine Iridocyclitis aufgetreten 
war; bei der genauen Untersuchung fand sich am Finger 
eine Sklerose, welche er sich beim Plombiren zugezogen hatte. 
Aehnlich sind die beiden anderen Zahnärzte inficirt worden. 

Sklerosen an der Flachhand bei Aerzten kommen zu¬ 
weilen auch in folgender Weise zustande. Der Betreffende trägt 
beispielsweise einen Stock mit einem rauhen Griff und bekommt 
davon an der Vola manus eine Erosion. Untersucht er dann 
einen Syphilitiker, so kann er daselbst inficirt werden, es 
tritt an der epidermisfreien Stelle der Flachhand eine Skle¬ 
rose auf. 

Eine solche Sklerose ist bloß durch eine umschriebene 
und braunrothe Verfärbung der Haut charakterisirt, woselbst 
nach einiger Zeit die Epidermis Risse bekommt und schuppig 
wird; sonst sieht man nichts Auffälliges. Dann schwellen die 
Cubital- und die Achseldrüsen an, und schließlich tritt das 
allgemeine Exanthem auf. In den letzten Jahren habe ich 
2 Aerzte behandelt, die auf die geschilderte Weise inficirt 
wurden. 

Extragenitale Sklerosen kommen bei Aerzten häufig 
vom Nagelbette aus vor. Bei der heute allgemein geübten 
Asepsis und Antisepsis kommt es infolge des häufigen gründ¬ 
lichen Waschens und Reibens der Hände sehr häufig zu kleinen 
Einrissen am Nagelfalz, zu sogenannten Neidern. Wenn man 
sich an derartigen Stellen während der Operation inficirt, 
glaubt man ein Panaritium oder eine Paronychie zu bekommen, 
und am Ende sieht man die Sklerose. Das temmt viel häufiger 
vor, als man allgemein annimmt, und ich möchte deshalb 
darauf ganz besonders aufmerksam machen. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 9. 


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Viel Schuld an solchen traurigen Vorkommnissen trägt 
die Unvorsichtigkeit der Aerzte sowie der Umstand, 
daß man im allgemeinen zu viel digital untersucht. 
Man geht oft mit dem Finger in die Vagina ein, um die 
Vaginalportion zu untersuchen, dazu hat man aber doch den 
Gesichtssinn , man braucht da nicht herumzutasten. Wir er¬ 
kennen ja auch eine Pflanze nicht an einem einzigen Kenn¬ 
zeichen, wir müssen die Staubfäden, das Pistil, den Kelch, 
die Blumenkrone u. s. w. in Betracht ziehen. Warum soll man 
denn in unserem Falle stets nur auf ein Symptom hin dia- 
gnosticiren, warum denn immer die Härte untersuchen, es 
gibt ja doch noch andere Erscheinungen, auf die wir unsere 
Diagnose stützen können. Man untersuche die Lymphdrüsen 
und die Lymphgefäße, zum Beispiel das dorsale Lymph¬ 
gefäß am Penis, und es erscheint mir als ein Abusus, wenn 
man glaubt, man müsse den Patienten immer mit dem Finger 
untersuchen. Viele Syphilidologen haben sich auf solche Weise 
inficirt. 

Auch die Hebammen sind der extragenitalen Infection 
sehr ausgesetzt. Ich hab$ auf meiner Klinik eine Hebamme ge¬ 
habt, die sich an einem Kinde, welches Papeln am Genitale hatte, 
inficirt hat. Diese Hebamme hat dann 5 Wöchnerinnen inficirt. 

Größere Gelegenheit zur extragenitalen Infection besteht 
auch für die Wäscherinnen. Wenn die Wäsche trocken 
ist, inficirt sie nicht; wenn man aber das Virus auflöst und 
durch die Manipulation des Waschens in die Haut einreibt, 
bekommt man leicht eine Sklerose. 

Andererseits gibt es Sklerosen am Genitale, welche von 
einem extragenitalen syphilitischen Herd dorthin übertragen 
wurden, z. B. durch Perversität etc. 

Noch wichtiger sind die Fälle von Infection durch 
die rituelle Beschneidung und die damit verbundenen 
Manipulationen. Vor etwa 35—40 Jahren war diese Frage 
geradezu sensationell geworden — durch die Circumcision war 
angeblich sehr viel Syphilis aufgetreten. Ich glaube aber, daß 
kaum 10% dieser Fälle in Wirklichkeit Syphilis waren, und 
es fragt sich, was für pathologische Processe da eigentlich 
bestanden. Die Kinder bekamen Geschwüre, die keine Tendenz 
zur Heilung zeigten, und Drüsenschwellungen. Das Fehlen 
jeder Pflege, die mangelnde Antisepsis, Infectionen mit Eiter¬ 
kokken dürften in der großen Mehrzahl der Fälle diese 
Geschwürsbildungen und Drüsenschwellung verursacht haben. 

Noch trauriger und verhängnißvoller erscheint in dieser 
Beziehung die Uebertragung von Tuberculose ge¬ 
legentlich der rituellen Circumcision. Es sind 
meiner Erinnerung nach beiläufig drei Jahre her, daß mir in 
kurzer Zeit hintereinander 3 oder 4 Kinder aus demselben 
Orte in Ungarn auf die Klinik zur Behandlung gesendet 
worden. Die Untersuchung zeigte bei sämmtlichen kleinen 
Patienten am Reste des Präputiums tiefe Geschwüre, die eigen- 
thümlich aussahen, so daß es von vornherein den Anschein 
erweckte, daß es sich um tuberculose Ulcerationen handle. 
Es waren sehr seichte Geschwüre mit dem gewissen hellgelben 
Belag und blasser Peripherie, leicht blutend. Die Lymphdrüsen 
— nämlich die cruralen und die inguinalen — waren enorm 
groß, das Abdomen war aufgetrieben. Dieser Befund ließ natür¬ 
lich keinen Zweifel aufkommen, daß hier tuberculose Geschwüre 
vorhanden waren. Es wurde die bakteriologische Untersuchung 
vorgenommen, welche das Vorhandensein von Tuberkelbacillen 
ergab; in den Drüsen allerdings waren Tuberkelbacillen nicht 
nachzuweisen. 

Bald darauf kamen noch zwei Kinder aus diesem Orte 
mit der gleichen Erkrankung in meine Behandlung. Jetzt 
war mir natürlich sehr daran gelegen, die Aetiologie zu er¬ 
forschen. Ich ließ mir den Operateur, der an den erkrankten 
Kindern die Circumcision vorgenommen hatte, kommen, ihn 
genau untersuchen, und die exacte Untersuchung dieses Mannes 
ergab Tuberculose in beiden Lungenspitzen. Er war natürlich 
in Unkenntniß seines Leidens gewesen und ganz außer sich, 


daß er die Kinder inficirt hatte. Kurz und gut, es werden 
oft Fehldiagnosen von Syphilis gemacht, und es handelt sich 
dabei zuweilen um eine noch viel ärgere Krankheit als Syphilis. 
Es sind auch sämmtliche Kinder an Bauchtuberculose zugrunde 
gegangen. 

Ich brauche wohl nicht daran zu erinnern, daß beispiels¬ 
weise durch Geräthschaften oder Eßzeug syphilitische 
Infectionen vermittelt werden. So gebrauchen z. B. in manchen 
Gegenden die Bauern, wenn sie von der Feldarbeit nach Hause 
kommen, einen breiten Holzlöffel, der von allen Theilnehmern 
an der Mahlzeit benützt wird. Wenn dann Sklerosen an den 
Mundwinkeln zur Beobachtung kommen, wird das Niemanden 
Wunder nehmen. 

Daß das Küssen der Verstorbenen bei den Mohammedanern 
zum Auftreten von Sklerosen am Munde Veranlassung geben 
kann, braucht wohl nicht besonders hervorgehoben zu werden. 

Ich will, ohne auch im entferntesten das Thema er¬ 
schöpfen zu wollen, nur noch darauf hinweisen, daß Täto- 
wirungen, die Vaccination, Katheterismus der 
Harnblase, KatheterismusderTubaEustachii etc. 
zur Uebertragung von Syphilis und zum Auftreten extragenitaler 
Sklerose Veranlassung gegeben haben, und auch auf diese Vor¬ 
kommnisse Ihre Aufmerksamkeit lenken. 

Einige Worte möchte ich auch der sogenannten endemi¬ 
schen Syphilis, die in den einzelnen Ländern als Skerl- 
jewo, Frenjak etc. bezeichnet wird, widmen. Bei der 
endemischen Syphilis ist gewiß der größte Theil auf extra¬ 
genitalem Wege acquirirt, also eine in der Kindheit erwor¬ 
bene , nicht behandelte Syphilis bei Individuen, welche in 
engen, unreinen Wohnungen leben, bar jeder körperlichen 
Pflege. Die Leute befinden sich in schlechten materiellen und 
hygienischen Verhältnissen, Malaria, Tuberculose und andere 
consumirende Krankheiten sind in -den betreffenden Ländern 
endemisch, und es kann da nicht verwundern, wenn dann die 
Syphilis bei dem von ihr befallenen Individuum größere 
Partien der Haut und Schleimhaut occupirt und zu großen 
Destructionen führt. Es handelt sich in diesen Fällen 
um eine Krankheit, welche nicht von Generation zu Gene¬ 
ration vererbt, sondern, wie ich bereits erwähnt habe, in der 
Jugend acquirirt, nicht beachtet und vernachlässigt worden 
ist. Die Fälle von endemischer Syphilis in Dalmatien, im 
Küstenland, in Rußland etc. haben sämmtlich den gleichen 
Ursprung und fast alle den gleichen Krankheitscharakter. 
Daß hier maligne Formen zur Beobachtung gelangen, 
findet seine einfache Erklärung in der Thatsache, daß bei der¬ 
artigen Geschwüren an der Haut und Schleimhaut wegen der 
mangelhaften Pflege und der Unreinlichkeit der Proceß weiter 
fortschreitet und durch Autoinoculation immer neue Herde 
geschaffen werden. 

Nun noch einige Worte bezüglich der Differential¬ 
diagnose. Ich glaube auch hier durch einige charakteristische 
Beispiele die Sache am besten zu erläutern. 

Vor zwei Jahren wurde auf meiner Klinik ein Mann 
aufgenommen, der eine Geschwulst in der Ausdehnung von 
Apfelgröße von folgender Beschaffenheit aufwies: Die Ge¬ 
schwulst war an der Oberfläche glatt, geröthet, überhäutet, 
hart, ebenso derb wie ein Sarkom. Es konnte anfänglich die 
Diagnose nicht gestellt werden, die erst mit der Production 
des allgemeinen Exanthems möglich wurde. 

Ein anderes Beispiel: Ein Kranker wurde wegen 
inoperablen Carcinoms vom Chirurgen einfach entlassen. Der 
Betreffende suchte meine Klinik auf und ich erhob folgenden 
Befund: Die eine Tonsille ist normal, die andere exulcerirt, 
trägt einen enorm harten Knoten, das Gaumensegel ist dunkel 
verfärbt, das Epithel daselbst stellenweise abgestoßen. Die 
Jugulardrüsen derselben Seite sind bedeutend vergrößert. Bald 
darnach stellte sich maculopapulöses Syphilid ein, und eine 
energisch durchgeführte Schmiercur brachte den ganzen Proceß 
zum Schwinden. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 9. 


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Jüngst ließ ein Patient auf meiner Klinik sich wegen 
folgender Erscheinungen untersuchen: An der Stelle des 
(letzten) fehlenden Zahnes im Unterkiefer war ein harter 
Knoten zu tasten, der an seiner Oberfläche exulcerirt war, 
die Drüsen, zumal die Jugular- und die Submaxillardrüsen, 
waren beträchtlich geschwollen. Von anderer Seite war die 
Diagnose auf Carcinoma inoperabile gestellt und Alkohol- 
injectionen gemacht worden. Ich ließ den Mann auf meine 
Klinik auftiehmen. Nach einiger Zeit bekam er ein allgemeines 
Exanthem, die Diagnose der Syphilis war sichergestellt. 

Im abgelaufenen Jahre erschien ein Anatomiediener auf 
meiner Klinik wegen eines geschwürigen Processes an dem 
Zeigefinger der rechten Hand. Es war daselbst ein Knoten 
entstanden, der für einen Furunkel gehalten und gespalten 
worden war. Da die Wunde nicht heilte, suchte er meinen 
Rath. Es dauerte nicht lange, und der Mann bekam eine 
Rupia syphilitica. Der syphilitische Primäraffect war wahr¬ 
scheinlich am rechten Zeigefinger. 

Wie ich bereits früher hervorgehoben habe, war es gerade 
das letzte Decennium, in welchem ganz hervorragende Syphili- 
dologen, derWichtigkeit dieses Gegenstandes Rechnung tragend, 
sich auch mit der Statistik der extragenitalen Sklerose be¬ 
schäftigt haben. Selbstverständlich ist die Zahl der publicirten 
Fälle im Yerhältniß zu den wirklich vorkommenden Fällen 
eine recht geringfügige, aber nicht geringfügig ist die Wich¬ 
tigkeit der extragenitalen Sklerosen für das befallene Indi¬ 
viduum selbst und für seine Umgebung, da für die letztere 
immer und lange Zeit durch den Wiederaufbruch des Primär- 
affectes eine große Infectionsgefahr besteht. Dadurch, daß der 
Träger der Sklerose häufig lange Zeit im Unklaren über die 
wahre Natur seiner Erkrankung bleibt, wird die Syphilis eher 
progressiv, aber nicht etwa durch die Intensität des Virus 
allein, sondern durch die mangelhafte Behandlung und Pflege 
nimmt die Syphilis einen ex- und intensiveren Charakter an. 
Es bedarf nach all dem Vorgebrachten sicherlich keiner 
weiteren Erörterungen, welche Wichtigkeit die extragenitale 
Sklerose besitzt und welcher Werth hier der richtig und 
rechtzeitig gestellten Diagnose innewohnt. 

Bevor ich schließe, sei noch der sogenannten extra¬ 
genitalen venerischen Geschwüre mit einigen W orten 
Erwähnung gethan. Sie werden wohl seltener beobachtet, 
können jedoch auch an jeder Partie der Haut oder Schleim¬ 
haut Vorkommen und laufen bei regelrechter Behandlung rasch 
ohne weitere Folgeerscheinungen ab. Da diese Geschwüre bloß 
örtlich bleiben und das Virus höchstens bis zu den nächsten 
Lymphdrüsen dringt, so ist dasselbe nur von untergeordneter 
Bedeutung. 


Ueber die klinische Bedeutung des Ekzema 
seborrhoicum. 

Von Dr. Georg Bonne in Klein-Flottbeck.*) 

Unter Ekzema seborrhoicum verstehe ich mit Unna 
einen infectiösen Hautkatarrh mit proteusartigem Charakter, 
dessen einheitliches Wesen sich aber dadurch documentirt, 
daß die einzelnen, unter sich gänzlich verschiedenen Formen 
des Auftretens bei einem und dem nämlichen Individuum zu 
gleicher Zeit oder in beliebigen Zeiträumen, eventuell noch 
variirt durch die mannigfaltigsten Complicationen, Vorkommen 
können. Vor allem schafft das Ekzem der äußeren Haut sowohl 
wie der aus diesem sich fortsetzende Schleimhautproceß den 
Locus minoris resistentiae für das Eindringen der Staphylo¬ 
kokken, Streptokokken und Tuberkelbacillen, ähnlich wie wir 
durch den Organismus der Masern, des Scharlachs, der Influenza 
den Boden für diese secundäre Infection vorbereitet sehen. 


*) Nach einem in der Abtheilnng für Dermatologie der 73. Versammlung 
deutscher Naturforscher und Aerzte in Hamburg gehaltenen Vortrage. 


Auf Grund einer über mehr als zehn Jahre sich er¬ 
streckenden hausärztlichen Praxis bin ich zu der Ueberzeugung 
gelangt, daß dieser infectiöse Hautkatarrh nicht an den 
Grenzen der Schleimhaut Halt macht, sondern, entsprechend 
dem proteusartigen Charakter des Ekzems, auf dieselbe in 
der für Schleimhäute charakteristischen Form des acuten und 
chronischen Katarrhs übergeht, anatomisch und physiologisch 
aber das analoge Bild erzeugt wie der infectiöse Katarrh der 
Cutis. 

Niemand hat Anstoß daran genommen, daß die Augen¬ 
ärzte von einem Ekzem der Conjunctiva, der Cornea, sprachen. 
Aber diese Erkrankungen finden sich nur bei Kindern aus 
ekzematösen Familien. Man kann behaupten, daß alle Kinder 
mit Ekzem der Conjunctiva und der Cornea bei genauer 
Anamnese und Beobachtung irgend welche Zeichen des typischen 
UNNA’schen Ekzema seborrhoicum aufweisen. Das Ekzem der 
Conjunctiva und der Cornea bedeutet eben nur das Ueber- 
greifen des Katarrhs der äußeren Haut auf die Schleimhäute 
des Auges. 

In Consequenz dieser Anschauung kann ich auch den 
Schnupfen ekzemkranker Kinder nicht als das Primäre, das 
Ekzem als das Secundäre ansehen, wie insbesondere die Lehr¬ 
bücher der Nasenspecialisten noch bis auf den heutigen Tag 
lehren, sondern als das Secundäre, als das Uebergreifen des 
Hautkatarrhs auf die Schleimhaut der Nase. Anderseits weckt 
das herabfließende Nasensecret das latente Ekzem der Gesichts¬ 
haut zur frischen Inflammation. Ich habe unter den circa 
400 Familien meiner Clientei rund hundert ekzematöse Familien. 
Diese Hundert liefern das ganze Heer der Kinder mit Neigung 
zu beständigem Schnupfen, mit Nasenrachengranulationen, 
Mittelohrkatarrhen, Neigung zu Croup, zu der Diphtherie, 
Hypertrophien der Mandeln, Lungenkatarrhen und Lungen¬ 
entzündungen, Magen- und Darmkatarrhen, bei den Erwachsenen 
desgleichen der Neigung zu Schnupfen, zu Ohrpfi öpfen, zu 
Katarrhen des Mittelohres, zu Zahncaries, zu Bronchial-, Magen- 
und Darmkatarrhen, zu Katarrhen der weiblichen Sexual¬ 
organe u. s. w. 

Auch in meinem 1900 bei Reinhardt-München er¬ 
schienenen Buche habe ich das seborrhoische Ekzem als Consti¬ 
tutionsbasis aller dieser Verhältnisse eingehend besprochen und 
durch ausführliche statistische Angaben erläutert. 

Merkwürdig ist der auch von anderen Autoren betonte, 
auf gegenseitiger Beeinflussung basirende Zusammenhang 
zwischen Ekzem einerseits und Asthma, sowie Gicht ander¬ 
seits. Auf Grund meiner klinischen Beobachtungen und auf 
Grund der Arbeiten von Richard Volkmann und seiner Schüler 
über die Entstehung von Hautcarcinomen auf ekzematöser 
Basis gelange ich zu dem Resultate, daß auch die Carcinome 
der Schleimhäute auf Basis der chronischen Reizung dieser 
infolge des ekzematösen Katarrhs entstehen können. 

Indessen scheint doch, daß zum Zustandekommen derartiger 
Carcinome außer dem Ekzem auch noch ein weiterer Reiz, 
sei es durch von außen kommende oder in der Constitution 
begründete Schädlichkeiten, von Nöthen sei. Ich weise u. a. 
auf das meist gleichzeitige Vorkommen von Gicht und 
Carcinom hin und sehe in der Blutbeschaffenheit der harn¬ 
sauren Diathese einen weiteren derartigen, das Zustandekommen 
von Carcinomen begünstigenden Reiz. Weitere Beobachtungen 
sind hier noch erforderlich. 

Die Therapie der ekzematösen Constitution hat Bezug zu 
nehmen auf die sorgfältige und rechtzeitige Beseitigung jeglichen 
Ekzems der äußeren Haut, sodann aber auch auf die Hebung 
der Gesammtconstitution, während es Sache der inneren 
Medicin und der Ohren-, Nasen- und Kehlkopfärzte ist, die 
Folgezustände der Schleimhauterkrankungen der „Ekzematiker“ 
auf das Sorgfältigste zu beseitigen. 


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Aus der zehnten chirurgischen Abtheilung des 
städtischen Spitales zu Triest. 

Ein Fall von Periostitis albuminosa. 

Von Dr. Stuparich, Chirurg. Assistenten. 

Da das Wesen der sogenannten Ostitis und Periostitis 
albuminosa noch dunkel ist, so bieten alle dazugehörigen 
Fälle ein großes Interesse. Aus dem Grunde will ich nicht 
einen Fall unerwähnt lassen, der unlängst in der X. chirur¬ 
gischen Abtheilung zur Beobachtung kam, und dies umso¬ 
weniger, als unser Fall im Unwesentlichen der Erkrankung 
gewisse Eigenheiten darbot. 

Der spontane, „rheumatische“ , selten traumatische Ur¬ 
sprung, der fieberlose Verlauf, die Bildung eines oftmals 
massenhaften subperiostalen Ergusses einer durchscheinen¬ 
den, synoviaartigen, fadenziehenden Flüssigkeit 
bei langen Röhrenknochen (gewöhnlich des unteren Femur- 
und oberen Brachiumendes), entsprachen ganz unserem Falle. 
Doch heißt es in der Literatur, daß die Periostitis albuminosa, 
die als Abart der altbekannten acuten spontanen Periostitis 
und Osteomyelitis aufzufassen ist, an jugendlichen, im Wachs¬ 
thum begriffenen Personen auftritt und durch ungemein lange, 
auf Jahre ausgedehnte Dauer (Albert) sich kennzeichnet, 
was unserem Falle fremd war. 

Bei unserem Patienten, einem 36jährigen, sehr robusten 
Bauer, schwoll anscheinend ohne Grund der rechte Unterschenkel 
im Verlaufe weniger Tage bedeutend an. Bei der Aufnahme fand 
sich eine von der Knöchelgegend bis zu den Condylen reichende, 
gleichmäßig vertheilte, bedeutende Anschwellung. Der Unterschenkel 
war hart anzufühlen, auf Druck wenig schmerzhaft; die Haut zeigte 
keine tiefe Entzündung. Das Allgemeinbefinden war kaum gestört, 
die Temperatur normal. Die schwankende Diagnose lautete auf 
Venenthrombose. 

Am 2. Tage nach der Aufnahme stieg die Temperatur auf 
38'1 , später blieb sie normal. Am 5. Tage entdeckte man längs 
dem inneren Rande des oberen Tibiadrittels einen länglichen, fluc- 
tuirenden, mäßig schmerzhaften Wulst. Die Punction ergab den 
von den Autoren beschriebenen, oben erwähnten typischen Erguß. 
Nach Ruhe und Hochlagerung nahm in der Folge die Anschwellung 
ab. Der Patient verließ bald das Krankenhaus ; bei einem nach 
mehreren Wochen erfolgten ambulatorischen Besuche war noch 
eine namhafte Anschwellung vorhanden. 


Referate. 


G. Scagliosi (Palermo): Ueber den Sonnenstich. 

Scagliosi hat Meerschweinchen in den Monaten August und 
September der directen Sonnenwirkung ausgesetzt. („Virchow’s 
Arch.“, Bd. 165, pag. 15.) Es kam zu plötzlichen Todesfällen, indem 
die Thiere nach Beschleunigung von Athmung und Herzaction unter 
Erweiterung der Pupillen in Krämpfe verfielen und starben. Sollten 
sie länger leben, so kamen sie an einen kühlen Ort, wo sie sich 
erholten. Die Thiere starben 55 Minuten, 1 Stunde, 3, 6, 24, 30, 
36 Stunden nach Beginn des Experiments. Die Untersuchung des 
Centralnervensystems ergab nach 1 Stunde alle Ganglienzellen der 
Hirnrinde verändert, Zerfall der NiSSL’scheu Körperchen, Defor- 
mirung des Kernkörperchens bei Schwellung der Kerne selbst. Die 
Vorderhornzellen des Rückenmarks zeigten nur geringe Verände¬ 
rungen bei stärkerer Veränderung anderer Ganglienzellen desselben. 
Nach 3 Stunden zeigten die Ganglienzellen des Hirns starke Auf¬ 
lösung der geformten Substanz in Hirnrinde und grauen Kernen; 
im Rückenmark bestand in den Vorderhornzellen Zerfall der Nissl- 
sclien Körperchen in wechselnder Intensität, in anderen Ganglien¬ 
zellen Atrophie mit Chromatolyse, theilweise auch Vacuolisation. 
Nach 6 Stunden waren in sämmtlichen Ganglienzellen der Hirnrinde 
die NisSL’schen Granula verschwunden, so daß vielfach die netz¬ 
förmige Structur der ungefärbten Substanz hervortrat. Die Kerne 
zeigten Schwellung und excentrische Lagerung bei Deformation des 
Kernkörperchens; im Rückenmark waren die Veränderungen die¬ 


selben wie früher. Nach 24 Stunden waren die Veränderungen noch 
sehr stark, aber etwas geringer als nach 6 Stunden; auch nach 
30 Stunden und ebenso nach 36 Stunden bot noch keine Zelle der 
Hirnrinde normales Aussehen der NisSL’schen Zellkörperchen; in 
vielen war die chromatische Substanz fast gänzlich geschwunden 
bei excentrischer Lagerung des geschwollenen Kerns. Im Rücken¬ 
mark waren die Vorderhornzellen nur wenig verändert, während 
die anderen Zellen ein homogenes Aussehen mit Blähung des Kerns 
zeigten. Am Herzen trat nach anfänglicher starker Congestion der 
Blutgefäße nach 3 Stunden eine leichte Vermehrung der Muskel¬ 
kerne mit geringer leukocytischer Infiltration in das Bindegewebe 
ein, Veränderungen, die auch weiterhin anhielten. Auch in den 
Lungen entwickelte sich nach anfänglicher Hyperämie eine rund- 
zeilige Infiltration der Septen, so daß nach 24 Stunden die 
Bronchialwand zum Theil zellig in Form von kleinen Herden 
infiltrirt war. In den Nieren kam es auch zu starker Hyperämie in 
allen Theilen mit Trübung der Epithelien der Harncanälchen; nach 
24 Stunden waren' die MALPiGHi’schen Körperchen von ihrem 
Epithel entblößt, das Epithel der Harncanälchen war der Nekrose 
verfallen, so daß im weiteren Verlauf auch die Harncanälchen in 
weitem Umfang ihr Epithel verloren hatten. Die Leber endlich 
zeigte starke Hyperämie, zu der weiterhin an einzelnen Stellen 
des interlobulären Bindegewebes eine rundzellige Infiltration und 
nekrotische Herde in der Mitte der Lobuli hinzutraten. N. 


L. Freund (Wien): Beitrag zur Physiologie der Epi¬ 
dermis mit Bezug auf deren Durchlässigkeit 
für Licht. 

Die Untersuchungen kümmern sich nicht darum, ob die 
chemisch wirksamen, d. h. die ultravioletten Strahlen thatsächlick 
alle jene Wirkungen auf krankhafte Processe der Haut ausüben, 
welche ihnen von den verschiedenen Autoren zugeschrieben werden, 
sondern vielmehr darum, ob sie überhaupt in die Lage 
kommen, auf die Gebilde in dfer Tiefe des Coriums einzuwirken. 
Durch die Versuche anderer Autoren (Dessaigües , Gadueff, 
Finsen, Stbebel u. a.) war sichergestellt, daß sowohl optische, 
als auch chemisch-wirksame Strahlen thierische Gewebe unter Um¬ 
ständen sogar in beträchtlich dicker Schichte zu passiren vermögen. 
Da es dem Autor darum zu thun war, zu eruiren, ob ultraviolette 
Strahlen überhaupt durch die Epidermis in die tieferen Hautschichten 
eindriDgen können und welchem Theile des ultravioletten Spectrums 
diese Fähigkeit zukomme, war er direct auf die spectographische 
Prüfung gewiesen. Wegen der Absorption eines Theiles der 
ultravioletten Strahlen durch Glas bediente sich F. eines Gitter- 
spectographen. Als Untersuchungsmateriale dienten („Archiv f. 
Derm. u. Syph.“, LVI1I) Blasendecken von Brand- und Pemphigus¬ 
blasen und THiERSCH’sche Lamellen. Die Membranen wurden 
zwischen zwei Quarzplatten ausgebreitet und diese vor dem Spalte 
des Gitterspectographen befestigt; als Lichtquelle diente ein Rum- 
k o r f f’sches Inductorium, das entworfene Spectrum wurde mit 
und ohne Vorschaltung des Präparates photographirt. Die Absorp¬ 
tion der ultravioletten Strahlen beginnt dann bei der Cadmiumlinie 
X = 3250 AE (AüGSTRÖM’sche Einheiten). Es dringen also blaue, 
violette und ultraviolette Strahlen bis zur Wellenlänge der Cadmium¬ 
linie durch die Epidermis. Das Verhalten von Hornlamellen wurde 
in gleicher Weise, das des Blutes mittelst Glasspectographen ge¬ 
prüft und schließlich auch noch lebende (d. i. von Blut durch¬ 
strömte) FroBchschwimmhaut zum Versuche herangezogen. Alle 
diese Versuche ergaben mit Bestimmtheit, daß ein beträchtlicher 
Theil der ultravioletten Strahlen durch die Epidermis zu den 
tieferen Hautschichten zu gelangen vermag. Bezüglich der Ver¬ 
wendung der blauen Flüssigkeitsfilter (Lösungen von Kupferammo¬ 
niumsulfat) ergab ein Versuch mit dem Gitterspectographen, daß 
eine lOMm. dicke Schichte von 5°/ 0 iger Kupferammoniumsulfat¬ 
lösung bei einer Expositionszeit von 3 Minuten fast kein ultra¬ 
violettes Licht durchläßt. Die Versuche legen daher dringend nahe, 
solche Lichtquellen zu verwenden, bezw. ausfindig zu machen, die bei 
großer Intensität vorzügliche Strahlen der brauchbaren Wellenlängen 
aussenden. Deutsch. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 9. 


414 


Alfred Wolff (Berlin): Die Morphologie der Pleura¬ 
ergüsse. 

Das morphologische Bild der Ergüsse erlaubt Schlüsse auf 
ihre Aetiologie (tuberculös oder acut-infectiös). 

Das Hervor treten der lymphocytären Quote im Exsudat ( 1 / 2 
und mehr Lymphocyten) spricht für den tuberculösn Charakter des 
Ergusses. Auch die tuberculösen Ergüsse zeigen zuerst polynucleären 
Charakter ; sie sind oft nicht steril, sondern enthalten wie auch 
oft Ergüsse anderer Aetiologie eigenartige Stäbchen, die in Cultur 
nicht zu züchten sind (Michaelis). Allmälig tritt die lymphocytäre 
Quote mehr in den Vordergrund. In zweifelhaften Fällen ist von 
8 zu 8 Tagen zu “punctiren und das morphologische Bild festzu¬ 
stellen. Die Diagnose „Lymphocyt“ ist bisweilen leicht zu stellen. 
Oft erfordert der Nachweis der Lymphocyten die Anwendung 
aller beschriebenen Methoden. Sie können in Exsudaten ver¬ 
wechselt werden mit Degenerationszuständen von polynucleären 
Zellen: den Pseudolymphocyten und den Zellen mit verklumptem 
Kern. Auch die Epithelien gehen eigenartige Veränderungen ein, 
wodurch sie den großen mononucleären Zellen „Ehrlich’s“ ähnlich 
werden. Den tuberculösen Ergüssen gegenüber sind die acut ent¬ 
standenen durch einen anderen morphologischen Charakter unter¬ 
schieden (polynucleäre Zellen und Epithelien). B. 

Paul Cohnheim (Berlin): Die Heilwirkung großer Dosen 
von Olivenöl bei organischen und spastischen 
Pylorus- und Duodenalstenosen und deren Folge¬ 
zuständen. 

Aus den Darlegungen C.’s („Therapie d. Gegenwart“, 1902, 
Nr. 2) folgt: Fälle von Gastrektasie, welche nicht durch ein orga¬ 
nisches Hinerniß, sondern durch einen Spasmus des Pylorus infolge 
Ulcus oder Fissur am Magenausgang hervorgerufen sind, werden 
durch Eingießungen großer Oelmengen (100—250 Grm. täglich) 
in kurzer Zeit geheilt oder erheblich gebessert. Fälle von narbigen 
Pylorus- oder Duodenalstenosen piit secundärer Gastrektasie werden 
durch methodische Anwendung großer Oelgaben ebenfalls (relativ) 
geheilt, d. h. sie bleiben bei vorsichtiger Lebensweise beschwerdefrei. 
In diesen Fällen wirkt das Oel mechanisch durch Verminderung 
des Reibungswiderstandes. Fälle von relativer Stenose des Pylorus 
und des Duodenums, die sich klinisch durch Hypersecretio continua 
und Pylorospasmus mehrere Stunden nach den Hauptmahlzeiten 
documentiren, werden ebenfalls durch Oeldarreichung erheblich ge¬ 
bessert oder gänzlich geheilt. Das Oel wird am besten längere 
Zeit hindurch dreimal täglich in Mengen von je 50 Ccm. 1 Stunde 
vor dem Essen genommen oder per Sonde eingegossen. Ist dies 
aus äußeren Gründen nicht angängig, so gibt man einmal täg¬ 
lich in den leeren Magen 100 — 150 Ccm. auf Körpertemperatur 
erwärmtes Oel. Die Oelanwendung genügt drei Indicationen, der 
Krampfstillung, der Reibungsverminderung und der Hebung der 
Ernährung, da das Oel selbst bei hochgradigen Stenosen in den 
Dünndarm gelangt und dort resorbirt wird. Das Oel wirkt auf den 
Pylorospasmus bei Ulcus wie ein Narcoticum ; es verursacht keinerlei 
unangenehme Nebenwirkungen, vorausgesetzt, daß es rein ist; es 
bewirkt weder Aufstoßen noch Diarrhoe. Es wird von den Patienten 
gern genommen. Bei rein nervösen (hysterischen) Magenkrämpfen 
ist keine güustige Wirkung bisher erzielt, woraus sich differential¬ 
diagnostische Gesichtspunkte zur Unterscheidung des nervösen und 
organischen Pylorospasmus ergeben. Mit Hilfe der Oelcur gelingt 
es, eine Reihe von Pylorusstenosen mit schwerer, consecutiver 
Gastrektasie so weit zu bessern, daß ein chirurgischer Eingriff’ 
nicht mehr nöthig ist. Vor jeder wegen Pylorusstenose beabsich¬ 
tigten Magenoperation sollte daher zunächst die Oelbehandlung ver¬ 
sucht werden. N. 

Aus der chirurgischen Universitätsklinik und dem 
Johanneshospitale zu Bonn (Geheimrath Schede). 
V. Schmieden : Klinische Erfahrungen über Vioform. 

Das bakteriologisch und toxikologisch von Tavel geprüfte 
und empfohlene Vioform — Jodchloroxychinolin — ist von Schede 
seit :, / 4 Jahren als Pulverantisepticum und namentlich als Vioform- 


gaze mit vorzüglichstem Erfolge angewandt worden. Es erfüllt, 
wie Schmieden berichtet („Deutsche Ztschr. f. Chirurgie“, Bd. 61, 
Heft 5/6), alle Anforderungen, die man zu stellen berechtigt ist. 
Es wirkt antibakteriell, speciell antituberculös, ist ungiftig oder 
doch wenigstens in sehr großen Massen ohne Giftwirkung, ist ge¬ 
ruchlos und theilt nicht, wie Jodoform, allem, was damit in Be¬ 
rührung kommt, sein Aroma mit, erzeugt keine Hautekzerae, heilt 
vielmehr solche, beeinträchtigt nicht das Wachsthum der normalen 
Körpergewebe, hindert vor allem nicht Granulirung und Epithe- 
lisirung, hat sehr nachhaltige Wirkung, weil es sich nicht zersetzt 
(geruchlose Tampons nach 12 Tagen und länger!) und wirkt so¬ 
wohl austrocknend als blutstillend. Es wird, schließt Schmieden, 
berufen sein, „dasWundantisepticum des praktischen 
Arztes zu werden“. R. L. 

Aus dem chirurgisch-pathologischen Institut der 
Universität Leipzig. 

Eduard Sthamer : Zur Frage der Entstehung von Magen¬ 
geschwüren und Leberinfarcten nach experi¬ 
mentellen Netzresectionen. 

Sowohl klinisch als experimentell hat man nach Netzabtra¬ 
gungen wiederholt Magengeschwüre und Leberinfarcte entstehen 
sehen. Während Friedrich für die aseptische Entstehungsmöglich¬ 
keit jener Vorkommnisse Beweise erbracht zu haben meinte, stellten 
Engelhardt und Neck die Infection als einen wesentlichen ursäch¬ 
lichen Factor hin. Deshalb hat Sthamer („Deutsche Ztschr. f. 
Chirurgie“, Bd. 61, Heft 5/6) nochmals die Betheiligung der Bak¬ 
terien bei Entstehung jener Magengeschwüre und Leberinfarcte 
experimentell geprüft und kommt zum Schlüsse, daß dieselbe nicht 
durch die Anwesenheit von Bakterien bedingt sein muß. Es treten 
beim Meerschweinchen nach völlig aseptisch ausgeführter Ligatur 
und Resection des Netzes Infarcte in der Leber und Geschwür¬ 
bildung im Magen auf, ohne daß bei der Obduction Bakterien- 
wachsthum aus der Ligaturstelle sowohl, als aus den Infarctherden 
nachgewiesen werden könnte. R. L. 


Adrian (Straßburg): Ueber Neurofibromatose und ihre 
Complicationen. 

Verf. hat die auf der Klinik Madelong in Behandlung ge¬ 
standenen 12 Fälle von Neurofibromatose auf die vorhandenen 
Complicationen genau untersucht und deren eine große Zahl ge¬ 
funden (Veränderungen an der Haut, dem Knochensystem, den 
inneren Organen, dem Centralnerven3ystem, psychische Störungen etc.). 
Diese Complicationen sieht Verf. als Stütze der Annahme an („Beitr. 
z. klin. Chir.“, Bd. 31, H. 3), daß die Neurofibromatose auf con¬ 
genitaler Anlage beruhe und daß die Krankheit als Mißbildung 
im weiteren Sinne des Wortes aufzufassen sei. 

Für die Annahme der congenitalen Anlage spricht vor Allem 
das zweifellose Angeborensein der Affection in manchen Fällen 
oder zum mindesten die Entwickelung der Krankheit in den meisten 
Fällen in der Jugend. Weiters betont Verf. die Wichtigkeit der so 
häufig constatirten Mißbildungen und Hemmungsbildungen für die 
Annahme der angeborenen Anlage der Krankheit. Erdheim. 


Honsell (Tübingen): Zur Kenntniß der sogenannten 
primären Myositis purulenta. 

Die primäre Myositis purulenta ist eine relativ seltene Krank¬ 
heit, von welcher jedoch auf der Klinik v. Brüns 9 Fälle beob¬ 
achtet wurden. Die Fälle tragen alle insoferne einen gemeinschaft¬ 
lichen Stempel, als jedesmal bei einem bis dabin völlig gesunden 
Menschen — d. h. nicht im Anschlüsse an eine bereits manifeste Eite¬ 
rung — plötzlich unter Fieber und starken Schmerzen eine Muskel¬ 
entzündung sich einstellte, die bald abscedirte und nach der Incision 
in wenigen Tagen heilte. In allen Fällen fand Verf. den Staphylo- 
coccus pyogenes aureus als alleinigen Erreger der Eiterung und 
in ätiologischer Beziehung erwiesen sich Ueberanstrengung und 
directe Traumen als prädisponirend für die Krankheit. 

2 * 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 9. 


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Die Therapie ist Dach Ansicht des Verf. („Beitr. z. klin. 
Chir.“, Bd. 31, Nr. 3) eine rein chirurgische und beruht in Er¬ 
öffnung und Drainage des Abscesses, sobald man Fluctuation con- 
statirt hat. Im Stadium der Infiltration wären Hochlagerung und 
Immobilisirung des Gliedes, sowie feuchte Verbände am Platze. Mit 
Rücksicht auf die Erfahrung, daß myositische Infiltrate sich auch 
dann, wenn sie unter osteomyelitischen Erscheinungen auftreten, 
spontan zuriickbilden können, widerräth Verf. jedoch eine Incision 
Vor der eitrigen Einschmelzung der Infiltrate. Die Fälle, die auf 
der KÜDik beobachtet wurden, gingen sämmtlich in Genesung über, 
die Prognose der Krankheit ist jedoch in vielen Fällen, namentlich 
in den mit schweren Fiebererscheinungen einhergehenden, eine 
ziemlich ernste, hingegen bleibt die Prognose quoad functionem 
eine günstige, indem sogar bei größeren Verlusten der Muskel¬ 
substanz das übrigbleibende Muskelgewebe durch die feste Binde- 
gewebsnarbe wieder eine solche Festigkeit erlangt, daß bei zweck¬ 
mäßiger Behandlung und tüchtiger Gymnastik die spätere Functions¬ 
störung keine allzugroße sein wird. Erdheim. 

J. Jadassohn (Bern): Ueber eine eigenartige Erkrankung 
der Nasenhaut bei Kindern („Granulosis rubra 
nasi“). 

Die ersten Beobachtungen reichen bis in den Beginn der 
Neunzigerjahre zurück; im Ganzen sind es sieben Fälle, aus denen 
der Autor das klinische Bild („Arch. f. Derm. u. Syph. u , LVII1) 
entwickelt. Am häutigen Theil der Nase findet sich eine ziemlich 
intensive, leicht wegdrückbare, wenig begrenzte Röthung, aus 
welcher sich einzelne, zumeist bloß stecknadelspitzgroße, dunkler 
rothe, etwas erhabene Knötchen ohne bestimmte Anordnung und 
ohne Neigung zur Confluenz erheben. Schuppen- und Narbenbildung 
fehlen in der Regel, Teleangiektasien sind manchmal vorhanden, 
dagegen bildet Hyperidrosis die fast regelmäßige Begleiterin des 
Zustandes. Alle Patienten waren Kinder im Alter von 7—16 Jahren, 
der Verlauf der Erkrankung ist ein ziemlich einförmiger, Schwan* 
kungen in der Röthung kommen vor, ja dieselbe kann auch ganz 
fehlen, spontane Rückbildung konnte gleichfalls in einem Falle 
consfatirt werden. Die eventuell in Frage kommenden Affectiouen, 
Lupus vulgaris, Lupus erythematosus, Acne vulgaris und rosacea 
ließen sich ausschließen. Die histologischen Veränderungen finden 
sich hauptsächlich im Corium, Blut- und Lymphgefäße sind erweitert 
und von schmäleren und breiteren Zügen groß und blaßkerniger 
Zellen und mononucleärer Leukocyten begleitet, die bindegewebige 
Grundlage an fixen Zellen reicher. In den mäßig ausgebildeten 
Fällen findet man diese Zellanhäufungen um die Schweißdrüsenaus- 
führuDgsgänge gelagert. Es handelt sich daher im Wesentlichen 
um eine chronische Entzündung, die sich an die Gefäße, vor 
allem aber an die Schweißdrüsenausführungsgänge anschließt: ob 
die Erscheinungen zur Hyperidrosis in einem ursächlichen Verhält¬ 
nisse stehen, läßt sich nicht fix erweisen. Therapeutisch wurden 
im Allgemeinen die bei der Acne üblichen Verfahren ohne beson¬ 
deren Erfolg angewendet; bessere Resultate scheint die oberflächliche 
Berührung mit dem Flachbrenner zu geben. Die vom Autor ge¬ 
wählte Bezeichnung entspricht dem klinischen Symptomenbilde. Der 
von Luithlen als „eigenthümliche Form von Akne mit Schwei߬ 
drüsenveränderungen“ beschriebene Fall ist vielleicht das externe 
Bild der geschilderten Affection. Deutsch. 

Stiassny (Frankfurt a. M.): Ein Fall von angeborener 
Myocarditiß fibrosa. 

Bei der Section eines 4 Tage nach der Geburt gestorbenen 
Kindes fand sich ein auffallend großes Herz, welches an Stelle der 
Aortenklappen einen gemeinschaftlichen, nicht in Klappen ab- 
getheilten , schmalen, glänzend röthlichen, höckerigen Ringwulst 
aufwies. Die übrigen Klappen waren intact; die Herzmusculatur 
zeigte in großer Ausdehnung einen gelblichen Farbenton. Bei 
histologischer Untersuchung der Herzwand fand sich in derselben 
eine starke Bindegewebsentwickelung mit Verschmälerung und stellen¬ 
weisem Schwund der Muskelfasern. Größere Anhäufungen von Rund¬ 


zellen wurden nicht gefunden, selten waren kleinere Mengen solcher 
nachweisbar. Verf. deutet den Proceß („Centralbl. für allgemeine 
Pathologie u. pathologische Anatomie“, Bd. 12, Heft 10) als fibröse 
Myocarditi8 und faßt ihn als Folgezustand der Vorgefundenen Aorten- 
insufficienz im Sinne Weigert’s auf. Bei derselben kommt es in¬ 
folge Ueberdehnung des linken Ventrikels zu Zerrungen und Zer¬ 
reißungen der Muskelfasern und hiedurch zu einer Bindegewebs- 
anhäufung, die also eine Ersatzbildung für untergegangene Muskel¬ 
fasern darstellt. Wie in dem vorliegenden Falle die Insufficienz der 
Aortenklappen zustande gekommen ist, war nicht zu entscheiden. 
Nach der Annahme des Verf. muß keineswegs eine fötale Endo- 
carditis Vorgelegen sein, vielmehr kann es sich auch um eine Mi߬ 
bildung gehandelt haben. Dr. S—. 


Herxheimer (Frankfurt a. M.): Ueber einen Fall von echter 
Nebenlunge. 

Verf. fand bei der Obduction eines drei Wochen alten männ¬ 
lichen Kindes nach innen von der rechten Lungenspitze ein 1 Ccm. 
langes, bohnenförmiges Gebilde, welches dicht neben der Trachea 
saß und einer Lymphdrüse glich; in dasselbe führte ein ziemlich 
weit oben abgehender Ast der Trachea. Bei histologischer Unter¬ 
suchung zeigte sich, daß dieses Gebilde von Lungengewebe (im 
Zustand der katarrhalischen Pneumonie) gebildet wurde. Es handelte 
sich, wie die genaue anatomische Untersuchung ergab, um Mi߬ 
bildung des Bronchialbaumes und der Lunge, um die Bildung einer 
echten Nebenlunge. Eine derartige Lungenmißbildung per excessum 
wurde bisher noch nicht beschrieben. Klinisch war der Fall dadurch 
interessant, daß die kleine, infolge der Entzündung vergrößerte 
und derbere Nebenlunge durch Druck auf den Hauptast, der beide 
ausgebildeten Lungen versorgte, stenotische Erscheinungen ver¬ 
ursachte. („Centralbl. für allgemeine Pathologie und pathologische 
Anatomie“, Bd. 12, Heft 13.) Dr. S—. 


Kleine MitthfeiHüngen. 

— Ueber Entstehung und Verhütung der oxalsauren Nieren¬ 
steine sprach in der „Berl. med. Gesellsch.“ G. Klemperer. Man 
war bisher nicht in der Lage, Patienten, die an Oxalurie litten, 
geeignete Rathschläge zur Verhütung und Beseitigung des Leidens 
zu geben. Man verbot eine oxalsäurezuführende Nahrung, so vor 
allen Dingen Spinat, allein das wirkte nicht genügend. Lommel 
fand, daß nach Verbitterung von Leim auch Oxalsäure gebildet 
wird, und zwar durch das Zersetzungsproduct des Leims, das 
Glykokol. Nun ist aber das Kreatin, das immer im Fleisch ent¬ 
halten, ein Glykokolderivat. Man müßte also zur Hebung der 
oxalsauren Lithiasis kein Fleisch und keine Gemüse geben, das 
ist aber unmöglich. Nun hebt aber Klemperer hervor, daß es 
gar nicht darauf ankomme, die Bildung der Oxalsäure hintanzu¬ 
halten, als vielmehr sie in Lösung zu halten, ihr Ausfallen zu 
vermeiden. Ein sehr gutes Lösungsmittel ist die Magnesia. Es ist 
daher eine magnesiaarme Diät zu vermeiden. Daher verwirft 
Klemperer in diesen Fällen die Milch, die magnesiaarm und 
kalkreich ist, ebenso Eier und die oxalhaltigen Gemüse, empfiehlt 
dagegen Fleisch, Fett, Leguminosen, Mehlspeisen. Zur Unterstützung 
dienen tägliche Dosen von 2 Grm. Magnesia sulfurica. 

— Aus experimentellen Untersuchungen über das Dormiol 
von Baroch („Allg. Med. Central-Ztg.“, 1902, Nr. 3) geht hervor, 
daß die lähmende, sedative und hypnotische Wirkung des Dormiol 
der Hauptsache nach vom Chloralhydrat ausgeht. Dabei ist die 
Athraung ruhig, regelmäßig, etwas verlangsamt, die Sensibilität 
und Reflexerregbarkeit vermindert, bei größeren Dosen tritt Reflex¬ 
lähmung, Anästhesie und Muskellähmung ein, bei großen Dosen 
fällt das starke Sinken der Körpertemperatur, der Respirationszahl 
und Pulsfrequenz auf, dem schließlich in einigen Stunden der 
Exitus folgt. Insoweit stimmt das Chloralhydrat mit dem Dormiol 
überein; auch darin noch, daß sehr kleine Dosen ein leichtes 
Excitationsstadium hervorrnfen, ähnlich wie Chloroform. Daß die 
sedative und hypnotische Wirkung des Chloralhydrats durch das 
gleichfalls hypnotisch wirkende Amylenhydrat noch unterstützt 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 9. 


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wird, ist sehr wahrscheinlich. Der Gedanke, daß durch Verbindung 
des Chloral- und Amylenhydrats ein Mittel geschaffen werden 
könnte, mit den Vorzügen beider, aber ohne die Nachtheile des 
einen, erscheint daher ganz plausibel. Ob dieser Gedanke in dem 
Dorraiol seine Verwirklichung gefunden, war nicht Sache der vor¬ 
liegenden Untersuchung. Erst zahlreiche klinische Versuche können 
dies beweisen. 

— Zur Behandlung der Lidrandentzündung empfiehlt Wolff- 
berg („Wschr. f. Ther. u. Hyg. d. Auges“, V, Nr. 1 u. 2) die 
Seifenwaschung, und zwar eignet sich dazü am besten die Ray- 
seife. Bei der Anwendung dieser Seife ist von besonderem Werth, 
daß das Alkali durch das Eiweiß und das Eifett so vollständig 
eingehüllt wird, daß von einer Reizwirkung derselben keine Rede 
mehr sein kann. W. tränkt einen Wattebausch mit einer Sublimat¬ 
lösung (0’02 0 / 0 ), drückt ihn aus, fährt einigemale über die Seife 
und reibt dann die Lidränder des geschlossenen Auges sanft ein, 
spült nach energischer Verreibung des Schaumes denselben sodann 
wieder ab und trocknet mit Watte ab, wobei die Schuppen leicht 
entfernt werden. Bei stark adhärenten Krusten streicht man gelbe 
Salbe nach, verreibt dieselbe mit dem Seifenschaum, wodurch es 
ganz leicht gelingt, alle Schuppen und Krusten zu entfernen. Bei 
schweren Ekzemen an den Lidräudern kann es sich vortheilhaft 
erweisen, an Stelle der Rayseife eine Theer-Resorcin Schwefelseife 
oder Naphtalanseife zu benützen. 

— Ueber Taeschner’s Pertussin (Extr. Thymi sacchar. 
Taescbner) berichtet Ernst Fischer („D. med. Wschr.“). Die 
Darreichung des genannten Präparates empfiehlt sich bei acuten 
und chronischen Katarrhen des Kehlkopfs und der Bronchien aller 
Art, bei Emphysematikern, besonders bei hochbetagten Individuen 
mit den bekannten Erscheinungen von Engigkeit auf der Brust 
und Hustenbeschwerden. Der Operateur hat in dem Pertussin ein 
werthvolles Mittel, Späterscheinungen der Narkose zu mildern oder 
zu beseitigen. Ueber die Herstellung des Pertussin ist Folgendes 
zu sagen: Ein nach besonderer Methode verfertigtes Fluidextract 
des deutschen Thymians wird.j.mit Zuckeqsyrup in dem Verhältniß 
gemischt, daß das fertige Präparat dem Gehalt eines Infusums 
von 1 : 7 entspricht. Ein anderer Zusatz ist darin nicht enthalten. 

— Ueber Fersan berichten G. Guttmann und L. Kardos 
(„Gyogyaszat“, 1901, Nr. 17—18). Durch zahlreiche Versuche, 
welche die Vertf. mit dem Fersan hauptsächlich bei Mädchen im 
Alter von 17—22 Jahren anstellten, konnten sie sich von der 
raschen Wirkung des Fersans überzeugen. Diese betrifft nicht so 
sehr die Gewichtszunahme als die Steigerung des Hämoglobingehaltes 
der rothen Blutkörperchen. Die Verfasser kommen zu dem Schlüsse, 
daß in allen jenen Fällen, wo der Häraoglobingebalt und die rothen 
Blutkörperchen abgenommen haben, die Darreichung von Fersan 
günstig wirke, besonders dann, wenn es nöthig ist, den herab¬ 
gekommenen , geschwächten Gesammtorganismus mittelst eines 
hygienischen, eisen- und phosphorhältigen Nährmittels zu kräftigen 
und zu fördern. 

— Ueber die Resistenz der Eier und der Larven des 
Ankylostoma gegenüber physikalisch-chemischen Agentieu berichtet 
Lambinet („D. öst. Sanitätswesen“, 1901, Nr. 48). Zu dem Zwecke 
dieser Untersuchung wurde eine abgewogene Menge der eierhältigen 
Fäcalien in die zu prüfende Desinfectionsflüssigkeit (im Verhältnisse 
1 : 10) gebracht und mit derselben 1 Stunde im Contact belassen. 
Nachher wurde ein Theil der Probe mit Spodium und Wasser zu 
einem Brei gemacht, in einer Petrischale mit reinem Wasser über¬ 
schichtet und bei 25—30° C. stehen gelassen. Bei diesem Verfahren 
findet man nach 4 Tagen in den Proben, in welchen die Eier nicht 
abgetödtet wurden, zahlreiche Larven in der Flüssigkeit schwimmend, 
die mit der Lupe gut sichtbar sind. Die angestellten Versuche 
ergaben: Sublimatlösung 2%o hemmt ein wenig die Entwickelung 
der Eier. Desgleichen Kalkwasser, 3°/ 0 ige Phosphorsäure, 3°/ 0 ige 
Lysollösung, FERNBACH’sche Lösung, Eau de Labaracque und de 
Javelle; sie verhindern aber die Entwickelung der Eier nicht. 
Aehnlich resistent wie die Eier sind auch die Larven in allen 
ihren Entwickelungsstadien. Sie sind die eigentliche Ursache der 
Infection bei Menschen, indem sie gewöhnlich mit dem Wasser genossen 
werden. Die Lebensdauer der Larven im Wasser beträgt mehrere 


Monate. Die mit Reinculturen von Larven angestellten Abtödtungs- 
versuche ergaben: Sublimatlösung 2°/ 00 tödtete die Larven nicht 
nach 6 Stunden. Phenolsalzlösung 3% sistirte die Bewegung der 
Larven nach 2 Stunden, die coucentrirte FERNBACH’sche Solution 
nach einer J / 4 Stunde, die verdünnte (1 : 10) nach 1 Stunde. 5%ige 
Schwefelsäure tödtete nach 3 / t Stunden, concentrirte Sodalösung 
nach 2 Stunden ab, während 2°/ 0 ige Phosphorsäure nach 48 Stunden 
und Eau de Javelle und de Labaracque nach 1 Stunde keine Ab- 
tödtung hervorriefen. 3%ige Lysollösung tödtete nach 7 bis 
10 Minuten, Ammoniak nach einer 1 / i — 1 / 2 Stunde ab. Von den 
gasförmigen Desinfectionsmitteln tödteten CHClj , NH,, CS 2 nach 
24 Stunden. Formalin verhielt sich negativ. Rasche Austrocknung, 
Einwirkung von 30°/ O igen Salzlösungen, Glycerin, ferner Ein¬ 
wirkung der Sonnenstrahlen tödten die Larven in wenigen Stunden. 
Auf Grund seiner Versuche schließt der Verfasser, daß eine wirksame 
Desinfection der Fäcalien in Bezug auf Ankylostoma in der Praxis 
undurchführbar ist. 

Ueber die Jod- und Kreosot-Vasogene berichtet Bernstein. 
Die Vasogene sind chemisch als oxygenirte Kohlenwasserstoffe 
anzusehen, welche den flüssigen Vaselinen am nächsten stehen, 
wiewohl sie diesen in mancher Hinsicht überlegen sind. Charakte¬ 
ristisch für die Vasogene ist, daß sich in ihnen in Wasser unlös¬ 
liche Medicamente lösen, während sie mit Wasser eine Emulsion 
erzeugen. Mit Vasogen vereinigen sich: Jodoform, Jod, Quecksilber, 
Natriumsalicylat, Ichthyol, Kreosot u. a. Die Anwendung der 
Vasogene geschieht innerlich und äußerlich, in flüssiger oder fester 
Consistenz. Beim äußerlichen Gebrauch reibt man das Vasogen in 
die Haut ein, oder bestreicht dieselbe damit, oder applicirt es auf 
Wunden. Innerlich wird es in Kapseln, oder als Emulsion mit 
Wasser, oder in Milch oder Wein gereicht. Das Jodvasogen hat 
gegenüber anderen Jodpräparaten entschiedene Vorzüge. Es dringt 
schnell in die tieferen Schichten der Oberhaut. Durch Urinunter¬ 
suchungen wurde festgestellt, daß das Jodvasogen schnell aus dem 
Organismus eliminirt wird. Ein Ueberschuß von Jodvasogen läßt 
sich -von der Hautoberfläche uni den Schleimhäuten bequem ent¬ 
fernen. Jodvasogen schädigt die Haut nicht und ruft bei äußer¬ 
licher Anwendung keine Reizung hervor. Jodvasogen erzeugt keinen 
Schnupfen. Die gleichen Sätze kann man mit einigen Beschrän¬ 
kungen auch auf das Kreosotvasogen übertragen, wiewohl die 
Erfolge mit demselben weniger in die Augen fallend sind. 

— Als Specificum bei Scharlach bezeichnet Siecke („Deutsche 
Med.-Ztg. u , 1902, Nr. 10) das Sozojodol. Die Anwendung dieses 
Mittels erfolgt am besten so, daß man stündlich so viel des fein 
gepulverten Salzes in den Rachen bläst, daß die entzündeten 
Theile gänzlich eingestäubt sind. Bei kleinen Kindern, welche 
widerspenstig sind, und bei bewußtlosen Patienten verbietet sich 
diese Anwendungsart im Allgemeinen: hier macht der Arzt bei 
Gelegenheit seiner Besuche die Einblasungen und läßt im Uebrigen 
VaStündlich einen Kaffee- bis Kinderlötfel voll folgender Lösung geben: 


Rp. „Sozojodol“-Natrii.3 0—5 0 

Natr. chlorati. 10 

Spiritus. 200 

Aq. destillat. ad. 10) 0 


Diese Medication paßt zwar für alle Formen der Scharlachaugina, 
wenn man sie unerschrocken durchführt; schnellere Erfolge lassen 
sich erzielen, wenn sich bei den schweren Formen der tief nekroti- 
sirenden und gangränösen Angina dem „Sozojodol“-Natrium das 
viel schwerer lösliche und dadurch eine nachhaltigere Wirkung 


verbürgende citronensaure Silber beimischt. S. gibt daun folgende 
Einblasung: 

Rp. Itroli. 0‘5 

„ Sozojodol “-Natrii.IÜ'0 

f. pulv. subtil iss. 

und folgende, im Dunkeln aufzubewahrende Schüttelmixtur: 

Rp. Lroli. 0'5 

„Sozojodol “-Natrii. 50 

Spiritus. 200—500 

Aq. destillat. ad. 200'0 


Bei verschleppten, schon septischen Fällen werden außerdem noch 
vom Unguent. Collargoli Credo zweimal täglich je zwei bohnen¬ 
große Stücke in die innere Fläche der Oberschenkel eingerieben. 


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419 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 9. 


420 


Literarische Anzeigen. 

Handbuch der Massage und Heilgymnastik für 
praktische Aerzte. Von Dr. Anton Bum. Dritte, ver¬ 
mehrte und verbesserte Auflage. Berlin und Wien 1902, 
Urban & Schwarzenberg. 

Aus der Thatsache, daß binnen fünf Jahren schon eine dritte 
Auflage des BüM’schen Handbuches der Massage und Heilgymnastik 
nöthig geworden ist, erhellt das Interesse, welches das vorliegende 
Buch und der in ihm behandelte Gegenstand allseitig gefunden 
haben. In der That ist die^Mecbanotherapie heutzutage zum Gemein¬ 
gute des praktischen Arztes geworden, was nicht zum wenigsten 
dem vorliegenden Buche zu verdanken ist, das, wie wir schon früher 
hervorgehoben haben, die beste bisher vorliegende Darstellung 
der Technik, Wirkungsart und Anwendung der Massage und Heil¬ 
gymnastik enthält. 

Die frühere Eintheilung in einen allgemeinen und einen 
speciellen Theil ist beibehalten, dafür aber den neuesten technischen 
und wissenschaftlichen Errungenschaften in weitem Maße Rechnung 
getragen worden. Gänzlich neubearbeitet sind die Abschnitte, die 
sich mit der FRENKEL-LEYDEN’schen Uebungstherapie beschäftigen. 
Sie enthalten ausführliche Anleitungen zur Ausführung der Uebungen 
und Beschreibungen und Abbildungen der wichtigsten Apparate, wie 
sie von Frenkel , Goi.dscheider und Jacob angegeben worden 
sind. Auch das Capitel von den duplicirten Bewegungen mit me߬ 
barem Widerstande weist mehrfach einschneidende Veränderungen 
auf; insbesondere ist die HERz’sche Widerstandsgymnastik berück¬ 
sichtigt worden nebst den von diesem Autor construirten Apparaten, 
die wohl den vollkommensten Ersatz der manuellen Widerstands¬ 
gymnastik bieten. Im Uebrigen enthält der allgemeine Theil des 
Buches eine Beschreibung der Technik der Massage und Heilgym¬ 
nastik, ihrer physiologischen örtlichen und allgemeinen Wirkungen, 
der Indicationen und Contraindicationen der Mechanotherapie und 
des diagnostischen Werthes dieser Heilfactoren. Der specielle Theil 
umfaßt die Anwendung der' Mechanotherapie bei den einzelnen 
Krankheitsgruppen und ist, wie schon früher, zum Theil von ver¬ 
schiedenen berufenen Autoren (A. Eitelberg, S. Klein, C. Laker) 
bearbeitet worden , je nachdem Specialgebiete in Frage kommen. 
Wir finden hier detaillirte Anleitungen für die Mechanotherapie bei 
Erkrankungen der Respirations-, Circulations- und Digestionsorgane, 
des Nervensystems und der Bewegungsorgane, ferner bei Haut-, 
Augen- und Ohrenkrankheiten und solchen der Harn- und Ge¬ 
schlechtsorgane. Im Schlußcapitel wird der Einfluß der Massage 
und Heilgymnastik auf Allgemeiuerkrankungen des Organismus: 
Fettleibigkeit, Gicht etc. besprochen. 


Feuilleton. 

lieber die Ersatzansprüche an die Eisenbahnen 
auf Grund der Haftpflicht- und Unfall-Versiche¬ 
rungsgesetze. 

Von Dr. Michael Großmann, Universitätsdocent, Chefarzt der 
k. k. priv. österr. Nordwestbahn. 

(Schluß.) 

Meine Herren! Aus meinen flüchtigen Auseinandersetzungen 
werden Sie die Thatsache schon selbst herausgefunden haben, daß 
bei der Wirksamkeit der Haftpflicht- und der Unfallgesetze dem 
Arzte eine hervorragende, ja entscheidende Rolle zugedacht worden 
ist. Das richterliche Urtheil stützt sich hier fast ausschlie߬ 
lich auf das fachmännische Gutachten, und die Gerechtig¬ 
keit der Entscheidung wird wesentlich von der 
Correctheit des ärztlichen Ausspruches abhängen. 
Mit diesen Erwägungen sind wir bei der Frage von den „Sachver¬ 
ständigen“ und damit bei dem wundesten Punkt der ganzen An¬ 
gelegenheit angelangt. 


Besondere Hervorhebung verdient das dem Buche beigegebene 
lückenlose Literaturverzeichniß, das eine erschöpfende Bibliographie 
der Mechanotherapie darstellt. A. Hoffa (Würzburg). 

Lehrbuch der topographischen Anatomie. Von Professor 

Dr. T. Hermann. I. Band : Kopf und Hals. 1. Abtheilung: K o p f. 

Leipzig 1901, S. Hirzel. 

Das 183 Figuren , vorwiegend nach Originalzeichnungen des 
Verfassers enthaltende Werk gehört sicherlich zu den schönsten und 
besten seiner Art; Instructivität und Plasticität der eine Meister¬ 
hand verrathenden Figuren sind groß und ins Auge springend. 
Und damit ist einem Lehrbuche der topogaphischen Anatomie, aus 
dem der Student Erinnerungsbilder sammeln, das der Arzt als Nacli- 
schlagebuch zur raschen Orientirung benützen will, sein bestes 
Lob gesprochen. Hermann’s Buch entstammt einem durch die Neu¬ 
ordnung des deutschen medicinischen Prüfungswesens gesetzten 
Bedürfnisse, die Beziehungen der Anatomie zu den klinischen 
Wissenschaften reger, wirksamer, enger zu gestalten. Die interne 
Medicin, die Pathologie, die Geburtshilfe, die Augenheilkunde 
klopfen ja oftmals fragend bei der topographischen Anatomie an. 
Darum nennt auch Hermann mit Recht die topographische Ana¬ 
tomie eine angewandte Anatomie und deshalb hat er nunmehr seine 
eigene „topographische Anatomie“ geschrieben, deren vorliegender 
erster Theil uns doppelt freut; erstens für sich allein und zweitens, 
weil er uns die Anwartschaft auf die Fortsetzung des so schönen 
Werkes gewährt. B. 


Sammlung stereoskopischer Aufnahmen als Behelf für 
den theoretisch-praktischen Unterricht in der Geburtshilfe. 
Von Dr. Ludwig Knapp, Privatdocent an der deutschen Uni¬ 
versität in Prag. München 1901, Seitz & Schauer. 

Es gibt kaum ein anderes Fach in der Medicin, in welchem 
der Unterricht am lebenden Materiale, ,von so einschneidender Be¬ 
deutung ist, wie die Geburtshilfe. Als Ersatzmittel für den An¬ 
schauungsunterricht muß uns das Phantom dienen, welches ins¬ 
besondere bei der Lehre operativer Maßnahmen erprobte Dienste 
leistet. Ob durch die stereoskopische Wiedergabe von Phantom- 
bildern und Beckenpräparaten eine weitere Förderung des geburts¬ 
hilflichen Anschauungsunterrichtes erzielt wird, ist mehr als zwei¬ 
felhaft ; bleiben doch insbesondere die ersteren stets photographische 
Reproductionen nicht von Naturobjecten, sondern nur solche von 
mehr oder weniger gelungenen Ersatzmitteln. Für die landläufigen 
Stereoskope der Optiker sind die Tafeln etwas zu groß ausge¬ 
fallen. Fischer. 


Wir haben in den letzten Jahren nicht allein dort, wo es 
sich, wie in unserem Falle, ausschließlich um Geld handelte, sondern 
wo weit höhere Güter, Ehre und Freiheit, Familienglück und 
Menschenleben in Betracht kamen, mit Gutachten von Sachver¬ 
ständigen aller Art bitterböse Erfahrungen gemacht. Auch das¬ 
jenige, was wir bei unseren Entschädigungsprocessen mit Bezug 
auf Sachverständige erlebt haben, kann uns — ich muß es offen 
und rückhaltlos erklären — mit besonderer Befriedigung nicht 
erfüllen. Im gewöhnlichen Leben ist es in der Regel Gegenstand 
einer eingehenden Berathung, welcher Arzt an das Lager eines 
Kranken berufen werde, ohne daß diese Berathung Anstoß erregen 
oder nach irgend einer Seite verletzend wirken würde. In unserem 
Falle, wo es sich, wenn man die exorbitanten Kosten als Maßstab 
gelten lassen will, sicherlich um einen Schwerkranken handelt, ist 
von einer ernstlichen Erwägung der Wahl des zu berufenden Fach¬ 
mannes in den meisten Fällen kaum etwas zu bemerken. Nicht 
von der Pflichttreue und Ehrenhaftigkeit der ärzt¬ 
lichen Sachverständigen ist hier die Rede — die 
steht über allen Zweifel erhaben —, sondern einzig 
und allein von der leichtfertigen Art, in welcher 
die Sachverständigen in unserem Falle nomini rt zu 
werden pflegen. In diesem Vorgehen liegt meines Erachtens 
die Hauptursache jener ungünstigen Resultate, welche in den schon 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 9. 


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citirten Rechenschaftsberichten zum Ausdrucke gelangen. Zur Be¬ 
gründung meiner Behauptung will ich nur einige Beispiele her¬ 
vorheben. 

Ein Conducteur der österreichischen Nordwestbahn, bei dem 
ich schon vor etwa 20 Jahren einen hochgradigen Herzfehler (eine 
Insufficienz und Stenose der Bicuspidalklappe) constatirte, wurde 
im Jahre 1888 infolge dieses Leidens dienstunfähig und nach 
längerer Krankheitsdauer in den Ruhestand versetzt. Daraufhin 
trat er mit der Behauptung hervor, er habe sich sein Leiden vor 
etwa zwei Jahren durch Herabrutschen von einem durch Eiskrusten 
schlüpfrig gewordenen Laufbrett zugezogen und fordere nun die 
ihm gebührende Entschädigung. Es kam zum Processe, und die 
Direction hat über meinen Vorschlag einen Professor der Wiener 
Universität, der auf dem Gebiete der Herzkrankheiten als Forscher 
und Lehrer einen Weltruf genießt, als Sachverständigen nominirt. 
Vom Kläger wurde zur selben Function ein in der Brigittenau 
prakticirender junger College in Vorschlag gebracht. Bei der Ge¬ 
richtsverhandlung erklärte der Professor, daß ein Herzzustand, wie 
er bei diesem Conducteur nachzuweisen war, niemals durch 
ein Trauma, sondern nur durch eine organische Er¬ 
krankung des Herzens entstehen könne. „Ich bin nicht 
Ihrer Meinung,“ erwiderte kurz und bündig sein junger Partner, 
„ich halte den Zustand für eine durch Trauma bedingte Herz¬ 
krankheit.“ Nun gibt es ja gottbegnadete Talente, das wollen wir 
ohneweiters zugeben, die schon in jungen Jahren, ohne viel Er¬ 
fahrung, ohne tieferes Studium, einzig und allein durch ihren 
genialen Blick die Wahrheit rasch und sicher herausfinden. Wir 
haben aber von dem erwähnten Collegen weder vorher, noch nachher 
etwas gehört, was eine derartige Begabung bei ihm auch nur im 
entferntesten voraussetzen ließe; und nachdem er den Herzfehler, 
der mindestens 20 Jahre bestanden hat, mit einem angeblich vor 
zwei Jahren erlittenen Unfall in Zusammenhang brachte, müßte 
für sein selbstbewußtes Auftreten jedenfalls eine andere Aufklärung 
gesucht werden. Das fachmännische Gutachten von so ungleich- 
werthigen Kräften muß unter allen Umständen, namentlich aber bei 
der geringsten Meinungsdifferenz, geradezu wie eine Komödie wirken 
und wird der öffentlichen Rechtspflege kaum ersprießliche Dienste 
leisten. 

In höchst lehrreicher Weise wird die Sachverständigenmisere 
durch folgenden Fall illustrirt: In einer historisch berühmten Provinz¬ 
stadt Böhmens stand ein Taglöhner im Dienste der österreichischen 
Nordwestbahn. Eines Tages meldete er dem dortigen Bahnarzte, 
es wäre ihm beim Abladen von Waarenstücken ein Baumwollballen 
auf die Schulter gefallen, demzufolge er außer Stande sei, seine 
Arbeit fortzusetzen. Auch in diesem Falle haben die anwesenden 
Arbeiter von dem Ereignisse merkwürdigerweise nichts wahr¬ 
genommen. Der Arzt konnte bei der Untersuchung keinerlei Spuren 
eines erlittenen Unfalles nach weisen , der Mann blieb aber trotz¬ 
dem mehrere Monate hindurch im Krankenstände. Da er nicht zu 
bewegen war, seine Arbeit wieder aufzunehmen, wurde er zur 
chefärztlichen Untersuchung nach Wien beschieden. Ich habe nun 
mit aller Sorgfalt die Untersuchung vorgenommen und mein Augen¬ 
merk insbesondere darauf gerichtet, ob nicht eine vorausgegangene 
Fractur irgend eines den Brustkorb umgebenden Knochens nach¬ 
zuweisen sei. Nachdem ich keinerlei Erkrankung und keine Spur 
einer vorausgegangenen Verletzung nachweisen konnte, machte ich 
dem Patienten — um einen Beweis meiner vollen Unbefangenheit 
zu geben — folgende Proposition: er möge sich an die chirurgische 
Klinik des Herrn Hofrath Gussenbauer und an die interne Klinik 
des Herrn Hofrath Nothnagel mit je einem Empfehlungsschreiben 
von mir begeben und sich dort einer neuerlichen ärztlichen Unter¬ 
suchung unterziehen. Ich werde mich dem Ausspruche dieser 
Schulen, so erklärte ich ihm, unbedingt fügen und bei einem Nach¬ 
weis irgend eines Leidens die Consequenzen zu seinen Gunsten 
ziehen. Das Ergebniß war an beideu Kliniken völlig negativ. 
Der Mann fuhr nach Hause, nicht um seinen Dienst aufzunehmen, 
sondern um den Proceß gegen die Gesellschaft einzuleiten. Ich war 
nun nicht wenig überrascht, daß er in seiner Klage sich auf ein 
Gutachten beruft, in welchem von zwei Gerichtsärzten be¬ 
stätigt wurde, daß bei dem Patienten die siebente Rippe 


rechtsseitig gebrochen sei, daß die Bruchenden weit 
a us ei n an d er 81 eh e n und durch ihre fortwährenden 
Bewegungen die Leberoberfläche scheuern; daß der 
Kranke demzufolge in einem qualvollen, arbeits- 
und erwerbsunfähigen Zustande sich befinde, von 
welchem er nurdurch ei n e 1 eb e n s g e fäh r 1 i c h e Oper a- 
tion befreit werden könnte. Es muß noch hervorgehoben 
werden , daß in diesem Falle der eine der beiden Gerichtsärzte 
bereits ein Parere in dem Sinne abgegeben hat, daß bei dem Manne 
keinerlei Krankheit nachzuweisen sei. In seinem zweiten Gutachten 
betont er aber ausdrücklich, daß er den geschilderten Rippenbruch 
zuerst ganz übersehen habe, jetzt aber, da er auf denselben auf¬ 
merksam gemacht wurde, ihn mit aller Bestimmtheit zu 
erkennen imstande sei. 

Bei der Gerichtsverhandlung, welche in Wien statt gefunden 
hat, wurden zwei hiesige Aerzte als Sachverständige einvernommen, 
welche auf Grundlage ihrer Untersuchung ein Gutachten von bei¬ 
läufig folgendem Inhalte abgegeben haben: „Von irgend einer 
vorausgegangenen Verletzung ist keine Spur nach¬ 
zuweisen. Das, was sich über der Leberoberfläche 
hin- und herbewegt, ist bei einem jeden normal ent¬ 
wickelten M en sch en in glei cher Wei 8e n achzu weisen, 
es ist nichts anderes als eine falsche Rippe.“ — Ich 
will nur noch hinzufügen, daß der Herr Kläger schon am nächst¬ 
folgenden Tage die Wiederaufnahme seiner Arbeit angestrebt hat. 
Sein „qualvoller Zustand“ hat demnach ohne „lebensgefährliche 
Operation“ sofort aufgehört. 

Eine wahre Calamität von vorläufig noch gar nicht zu über¬ 
sehender Tragweite bilden bei den Processen, von denen hier die 
Rede ist, jene MeinungsdifFerenzen, welche bezüglich der trauma¬ 
tischen Neurose unter den Aerzten noch herrschen. Ich habe 
bereits angedeutet, mit welchen Schwierigkeiten das Erkennen dieses 
Leidens verbunden ist, und wie leicht dasselbe mit anderweitigen 
krankhaften Zuständen verwechselt werden kann. Anstatt nun unter 
solchen Umständen die weitgehendste Vorsicht walten zu lassen, 
finden viele Sachverständige deu Nachweis, wenn auch nur der 
minimalsten Störungen im Nervensysteme*), für vollkommen aus¬ 
reichend, um traumatische Neurose zu diagnosticiren. 
Wenn diese Auffassung zur Geltung gelangen sollte, 
werden wir einen Menschen, bei dem eine trauma¬ 
tische Neurose nicht nachweisbar wäre, wohl mit einer 
Laterne suchen müssen. Wer dann mit der Behauptung hervortritt, 
es sei ihm im Eisenbahnverkehre etwas passirt, braucht sich, selbst 
wenn seine Angaben bezüglich des erlittenen Unfalles, mehr seiner 
Erfiudungsgabe als seiner Wahrheitsliebe Ehre machen sollten, keine 
grauen Haare darüber wachsen zu lassen, ob die traumatische 
Neurose bei ihm auch gefunden werden wird. Diese Diagnose ist 
durch die erwähnte ärztliche Auffassung für alle Zeilen und für 
alle Fälle sichergestellt. 

Meine ohnehin schon tiefgehenden Bedenken gegen diese Art 
von Diagnostik wurden aber noch erheblich gesteigert, als ich die 
Erfahrung gemacht habe, daß auch bei der Beantwortung der 
Fragen: ob dieser oder jener, angeblich durch einen Unfall hervor¬ 
gerufene Fall von traumatischer Neurose große Schmerzen verur¬ 
sache, ob und in welchem Grade er Arbeits- oder Erwerbsunfähig¬ 
keit involvire, und endlich wie es mit den Chancen seiner Heilung 
stehe — Fragen, welche bei Bemessung des Schmerzensgeldes und 
der sonstigen Entschädigungsbeträge von naheliegender Wichtigkeit 
sind — eine Auffassung zur Geltung kommt, welche, soweit ich 
die Sache zu beurtheilen vermag, viel zu weitgehend und schon 
deshalb unberechtigt ist. 

Ich will Ihnen nur einen einzigen Fall erzählen, der die an¬ 
gedeuteten Mißstände weit heller zu beleuchten vermag, als es die 
weitläufigste Schilderung imstande wäre. 


*) Ein Zittern der geschlossenen Augenlider, der herausgestreckten 
Zunge, der auseinandergespreizten Finger, eine mäßige Steigerung der Sehnen¬ 
reflexe, Zustände, welche nicht allein durch verschiedenartige Leiden bedingt 
sein, sondern auch bei Menschen, welche allem Anscheine nach völlig gesund 
sind, Vorkommen können. 


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Es handelte sich wieder einmal um die tr au m ati sc h e 
Neurose und der Richter erkundigte sich, wie gewöhnlich, ob 
der Kranke große Schmerzen zu ertragen habe und wie der weitere 
Verlauf des Leidens sich gestalten werde. „Ehe ich auf diese Frage 
antworte,“ erwiderte einer der Herren Sachverständigen, „möchte 
ich bitten anzuordnen, daß der Kranke vorerst den Saal verlasse.“ 
Der Vorsitzende hatte diesen humanen Erwägungen sofort Rech¬ 
nung getragen, und der Kranke, der schon früher im Verlaufe 
der Verhandlung bei jeder passenden und nicht passenden Gelegen¬ 
heit , so oft nur von ihm die Rede war , bitter geweint hat, 
verließ nun unter heftigem Schluchzen, als Zeichen, daß er die 
Ursache, weshalb er sich entfernen müßte, genau kenne, den Ver¬ 
handlungssaal. 

Der Herr Sachverständige entwarf nun ein ergreifend trauriges 
Bild von den qualvollen Leiden, die der Kranke zu ertragen habe, 
und von der schrecklichen Zukunft, der er entgegengehe. Er werde 
nicht allein körperlich, sondern auch geistig immer mehr verfallen, 
so daß eigentlich der Tod als eine wahre Erlösung zu betrachten 
sei. Nur so nebenbei wurde noch hervorgehoben, daß die Auf¬ 
regungen der Proceßführung den Zustand in der ungünstigsten 
Weise beeinflussen, und daß die Prognose nur dann etwas günstiger 
lauten würde, wenn der Proceß rasch und für den Kranken glück¬ 
lich zu Ende ginge. Dieses Gutachten hat sichtlichen Eindruck 
gemacht, denn es wurde Alles aufgeboten, was vom Standpunkte 
der Proceßführung zur Rettung des Kranken beigetragen werden 
konnte. 

Nach wenigen Wochen führte mich der Zufall mit dem Vor¬ 
sitzenden dieses Gerichtshofes zusammen. Bei dieser Gelegenheit er¬ 
zählte er mir folgendes Erlebniß: „Sie erinnern sich doch an den 
schweren Fall von traumatischer Neurose, mit dem wir uns jüngst 
zu befassen hatten. Einige Tage nach der Gerichtsverhandlung 
mußte ich nach Baden fahren, und am Südbahnhofe ist mir ein 
Herr, der bald singend, bald pfeifend vor mir ging, besonders da¬ 
durch aufgefallen, daß er die zum Perron führende steile Treppe 
mit einer beneidenswerthen Agilität emporkletterte. Als ich nun 
den Herrn etwas genauer ansah, schien es mir, als sollte ich ihn 
eigentlich kennen, wenn mir auch im Momente nicht einfallen 
wollte, woher diese Bekanntschaft herrühre. Erst nach längerem 
Nachdenken bin ich endlich darauf gekommen, daß das der Mann 
mit der traumatischen Neurose gewesen ist, dessen Schicksal uns 
vor wenigen Tagen so tief gerührt hat. 

Der Herr Sachverständige hat uns allerdings gleich erklärt, 
daß, wenn der Proceß rasch und glücklich zu Ende geht, auch der 
weitere Krankheitsverlauf sich günstiger gestalten wird, daß aber 
der Erfolg so prompt und so glänzend sein werde, hätte ich 
dennoch kaum zu hoffen gewagt.“ 

Der Hinweis, den wir im Gerichtssaale sehr oft zu hören 
bekommen, daß ein rascher und glücklicher Abschluß des Processes 
für den Zustand des Kranken von dem günstigsten Einflüsse wäre, 
daß dagegen ein schleppender Proceßgang und wiederholte ärztliche 
Untersuchungen denselben ungünstig beeinflussen würden, enthält 
ja eine unantastbare Wahrheit. Diese gilt aber nicht für die trau¬ 
matische Neurose allein. Ich wenigstens kenne keinen krankhaften 
Zustand , der durch den raschen und glücklichen Abschluß eines 
Processes statt gebessert, geschädigt werden würde. Freilich spielt 
in unseren Fällen noch ein wichtiges Moment mit. Eine gelegent¬ 
lich einer Eisenbahnfahrt acquirirte, wenn auch noch so bescheidene 
traumatische Neurose repräsentirt heutzutage ein Capital, welches 
seinen Mann in der Regel reichlich, sehr oft sogar glänzend er¬ 
nährt. Man kann sich also denken, daß in der Zeit der Ungewi߬ 
heit, ehe die Würfe) endgiltig entschieden haben, die Gemütlis- 
stimmung, der Appetit und auch der Schlaf vieles zu wünschen 
übrig lassen werden. Es wird sich um einen Seelenzustand handeln, 
der wohl viel Aehnlichkeit haben dürfte mit demjenigen, in welchem 
die bedauernswerthen Lotterieschwärmer sich in dem Momente vor 
der Ziehung befinden. Wir haben aber noch nie gehört, daß die 
Lottodirection sich veranlaßt gesehen hätte, dafür zu sorgen, daß 
jene Nummern aus der Urne gezogen werden, welche die zuver¬ 
lässige Eignung hätten, die Schlaflosigkeit und die große Aufregung 
der geehrten Kunden zu beseitigen. 


Und nun möchte ich noch eine Erscheinung hervorheben, 
der wir bei den in Rede stehenden Processen sehr oft begegnen. 
Man kann sich wohl denken, daß diese Verhandlungen ohne social¬ 
politische Auseinandersetzungen nur äußerst selten ablaufen. Gegen 
diese Thatsache an und für sich wäre ja nichts einzuwenden, wenn 
man nur die Gewißheit hätte, daß dadurch Wahrheit und Recht 
nach jeder Richtung gefördert werden. 

Das ist aber bedauerlicher Weise nicht immer der Fall. 

Selbst dort, wo der Nachweis eines berechtigten Entschädi¬ 
gungsanspruches völlig mißlungen und die Haltlosigkeit der Klage 
bis zur Evidenz nachgewiesen ist, wird sehr oft gefordert, daß 
auf die Arrauth des Klägers, auf die beklagenswerthen Verhältnisse 
seiner Familie, u. s. w. Rücksicht genommen werde. Diese Methode 
kann mir eine große Sympathie nicht einflößen. Wer für das Elend 
und den Jammer seines Nebenmenschen Herz und Sinn hat, wird 
vor allem in die eigene Tasche greifen, um die Noth nach Mög¬ 
lichkeit zu lindern. Wer aber immer nur auf Kosten Anderer den 
Menschenfreund spielen will, der hat uns von der Echtheit seiner 
Herzensregung noch lange nicht überzeugt. Unter keinen Umständen 
darf der Gerichtssaal als die Stätte eines Wohlthätigkeitsvereines 
angesehen werden, und wer Geschenke und Almosen an¬ 
strebt, hat ein Bittgesuch und nicht eine Klage ein- 
z u re i c he n. 

Recht bedauerlich ist auch die Art und Weise, wie gewisse 
Tagesjournale und periodische Zeitschriften die hier in Rede stehen¬ 
den Entschädigungsprocesse zu besprechen pflegen. Es wird gegen 
alle Welt Mißtrauen erregt, jeder wird verdächtigt und die Bahn¬ 
verwaltung in einem Lichte dargestellt, ab würde sie ihre Organe 
zwingen, durch falsche Aussagen den Verunglückten um sein gutes 
Recht zu prellen, und sich selbst einer gesetzlichen Verpflichtung 
zu entziehen. Das ist die Auffassung, der wir gerade 
in jenen Blättern begegnen, welche den Kampf für 
die sociale Gerechtigkeit als ihren eigentlichen 
Lebenszweck erklären. 

Ob nicht hier in der Hitze des Gefechtes ein taktischer Fehler 
begangen wird? 

In den letzten Jahrzehnten sind auf socialpolitischem Gebiete 
große und segensreiche Erfolge erzielt worden, welche jedes mensch¬ 
lich fühlende Herz mit freudiger Geuugthuung erfüllen. Diese Er¬ 
gebnisse waren aber nur zu erzielen, weil in diesem großen 
Kampfe mit der Waffe der Gerechtigkeit gefochten 
wurde. Wenn nun diese Waffe ihre unwiderstehliche 
Zauberkraft auch für die Zukunft ungeschwächt be¬ 
wahren soll, darf siezurVertheidigung einer unge¬ 
rechten Sache niemals mißbraucht werden. Das 
Losungswort „Suum cuique“ kann doch nicht bloß für 
eine einzige Gesellschaftsschichte, es muß für alle 
Welt die gleiche legale Geltung haben, wenn es nicht 
zu einer werthlosen Phrase herabsinken soll. 

Meine Herren! Ich habe nur einzelne Uebelstände flüchtig 
angedeutet, aber noch lange nicht alles erschöpft, was hier tadelnd 
hervorzuheben wäre. Ich glaube aber, daß schon meine bisherigen 
Auseinandersetzungen hinreichen, um den Eindruck hervorzurufen : 
So kann und darf es nicht weiter gehen! 

Nach meinem Dafürhalten ist der Weg, den die Bahnverwal¬ 
tungen zur Ordnung dieser wichtigen Frage einzuschlagen hätten, 
klar genug vorgeschrieben. Ich will versuchen, denselben so wie er 
mir vorschwebt, wenn auch nur mit einigen Strichen zu skizziren. 

Vor allem müßte der Begriff eines Eisenbahn-Un¬ 
falles schärfer umschrieben werden, um durch eine 
klare, aller Welt verständliche Definition zu verhüten, daß von nun 
ab, wie es bisher öfters geschehen, die harmlosesten Ereignisse als 
Unfall angemeldet und verwerthet werden. 

Weiters wäre es dringend angezeigt, daß die Grenzen 
der Verantwortlichkeit genauer festgestellt werden. 
Die bei uns noch immer übliche Ueberwachnng und Bevormundung 
der Reisenden hat vollständig aufzuhören. Es muß endlich die 
Einsicht d urchdringeu, daß die Folgen eigener Un¬ 
vorsichtigkeit oder Ungeschicklichkeit je der Mensch 
selbst zu tragen habe. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 9. 


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Nachdem bis jetzt selbst in den Fällen, wo bis zur Evidenz 
nachgewiesen wurde, daß die Entschädigungsansprüche auf unred¬ 
lichem Wege geltend gemacht wurden, das Strafgericht sich niemals 
veranlaßt gesehen hat, einzugreifen, erscheint es angezeigt, daß 
man in dem Haftpflicht- und Unfallsgesetze nicht allein die Straf¬ 
barkeit eines etwaigen Mißbrauches ausdrücklich verfügt, sondern 
daß auch das Ausmaß einer strengen Strafe für 
denjenigen klar und deutlich festgestellt werde, 
der durch unwahre Angaben, durch Simulation von 
Krankheiten einen Schadenersatz anstrebt, oder 
einen anderen zu einem ähnlichen Schritt verleitet. 

Es müßte ferner in gesetzlicher Form die Bestimmung auf¬ 
genommen werden, daß Leistenbrüche die Grundlage 
eines Ersatzanspruches niemals abgeben können. 
Sollte eine solche Bestimmung, gleichviel aus welchem Grunde, nicht 
durchzusetzen sein, dann haben die Bahnverwaltungen 
ihren Aerzten die Weisung zuertheilen, bei Neu¬ 
aufnahmen jeden Candidaten ausnahmslos zurück¬ 
zuweisen, der mit einem offenen Leistencanal be¬ 
haftet ist. 

Bei der Bestimmung von Entschädigungen sollte 
der principielle Standpunkt strenge eingehalten 
und vertheidigt werden, daß nur in jenen Fällen, wo 
eine volle Genesung ausgeschlossen ist, wie beim 
Ve rluste etner Extremit ät oder ei n e s K ö r p e r t hei 1 e s, 
der Gesammtschaden auf einmal durch eine Abfin¬ 
dungssumme geordnet wird. In allen anderen Fällen, ins¬ 
besondere bei der traumatischen Neurose, werde nur eine Jahres¬ 
rente zugestanden. Die Dauer dieser Rente soll von dem weiteren 
Verlaufe der Krankheit abhängig gemacht und den Bahn¬ 
verwaltungen das Recht gewahrt werden, sich über den jeweiligen 
Zustand des Rentenbesitzers in der ihr geeignet erscheinenden Form 
zu jeder Zeit zu informiren. Es darf nicht geduldet werden, daß 
ein Eisenbahnunfall, wie dies bisher oft genug geschehen ist, die 
Bedeutung eines begehrenswerthen Glücksfalles gewinne. 

Vor wenigen Wochen war in den Zeitungen die Notiz zu 
lesen: „Die Generaldirection der Badischen Eisenbahnen bewilligte 
dem Fräulein Kölling, die bei dem Eisenbahnunglück am Carlsthor 
beide Beine verlor, eine Entschädigung von 90.000 Mark.“ Fast 
die gleiche Summe, 48.000 fl. ö. W., wurde bei uns durch richter¬ 
liches Urtheil einem Greisler aus dem Wienerwalde zugesprochen, 
der zwar keine einzige Extremität eingebüßt, sondern sich nur an¬ 
geblich eine traumatische Neurose zugezogen hat. Solche Erfolge 
wirken ansteckend und machen, wie die Erfahrung lehrt, in der 
Bevölkerung Schule. Ich will als Beweis dieser Behauptung nur 
ein Beispiel aus der jüngsten Zeit anführen. 

Ein Obst- und Gemüsehändler aus Belohrad in Böhmen hatte 
auf der Strecke der Nordwestbahn einen Unfall erlitten. Nach dem 
Ergebnisse der Untersuchung zweier Gerichtsärzte, die über be¬ 
hördlichen Auftrag schon 2 — 3 Tage nachher vorgenommen wurde, 
ist dem Manne glücklicherweise nichts geschehen. Nun führt der 
Mann, dessen gesammtes Hab und Gut, wie ich mich mit eigenen 
Augen überzeugt habe, kaum den Werth von einigen Gulden 
repräsentirt, einen Proceß gegen die Bahn, in welchem er einen 
Schadenersatz von K 180.000 fordert. Fast das Doppelte also von 
dem, was das Fräulein Kölling für den Verlust ihrer beiden Beine 
zugesprochen erhielt. 

Ist es da nicht gerechtfertigt, wenn ich vorhin angedeutet 
habe, daß bei uns, wenn nicht ein kräftiger Riegel vorgeschoben 
wird, die Gefahr besteht, daß Eisenbahnunfall und Haupttreffer 
synonyme Begriffe werden? 

Meine Herren! Wenn jene Mißstände, von denen ich einen 
Theil heute flüchtig angedeutet habe, nach und nach beseitigt 
werden sollen, muß vor allem die Sachverständigen¬ 
frage eine befriedigende Lösung finden. Eine solche 
Lösung würde ich in folgender Vorkehrung erblicken. 

Die Begutachtung jedes einzelnen Falles soll 
von nun ab einem S ach verstän digen co 11 egium über- 
tragen werden. Dieses Collegium hat aus je einem 
Professor der internen Medicin, der Chirurgie und 


Nervenpathologie der Wiener Universität zu be¬ 
stehen und wird über Vorschlag des Unterrichts-, 
ministers vom Ministerpräsidenten ernannt. Dieser, 
ärztliche Areopag hat als wichtiges Glied der Rechtspflege und 
als öffentliche Staatsinstitution nicht ausschließlich die 
Eisenbahnen, sondern die Rechte sämmtlicher hier 
in Betracht kommenden Parteien durch sein fach¬ 
männisches Votum zu schützen. 

Das Amt in diesem Collegium darf nicht als ein unbe¬ 
soldetes Ehrenamt, sondern im Gegentheile, mit Rücksicht auf 
die damit verbundene mühevolle Aufgabe, als eine reich dotirte 
Stellung in Aussicht genommen werden. Damit aber die Geldfrage 
kein weiteres Hinderniß abgebe, mögen sich die Bahnverwaltungen 
bereit erklären, die Kosten zu übernehmen. 

Durch die Wirksamkeit eines solchen Sachverständigen¬ 
collegiums werden zunächst die bisher üblichen Verdächtigungen 
ein Ende nehmen. Die vornehme sociale Stellung wird das Collegium 
gegen jedweden Verdacht ausreichend schützen; das hohe Niveau 
seiner fachwissenschaftlichen Bildung seinem Gutachten das öffent¬ 
liche Vertrauen in einem Grade sichern, wie dies unter den heutigen 
Verhältnissen kaum je zu erreichen ist. 

Die Zahl der Processe wird bei der vorgeschlagenen 
Form der Begutachtung zweifellos stark ab nehmen. Personen, 
welche durch den Bahnbetrieb thatsächlich geschädigt worden sind, 
werden ihre berechtigten Ersatzansprüche im Handumdrehen zur 
Geltung briugen. Auch die Fälle von Uebertreibungen und unbe¬ 
rechtigten Forderungen dürften in dem Maße abnehmen, als sie sich 
durch die strenge Prüfung als aussichtslos erweisen werden. 

Die verdächtigen Fälle werden behufs einer Ueberprüfung 
ihrer Angaben, je nach der Natur des Leidens, der Klinik des 
einen oder anderen Sachverständigen zugewiesen. Der wirklich 
Kranke wird sich dieser Anordnung fügen, wohl wissend, daß die¬ 
selbe am raschesten zu einem Ziele führt. Der Simulation aber wird 
ein -verläßlicher Riegel vorgeschoben. Es läßt sich denken, daß bei 
einer derartigen Anordnung der bereits erwähnte sächsische Schaffner 
eine Scheintodkomödie nicht acht Tage, geschweige denn zwanzig 
Jahre hätte fortführen können. 

Aber auch solche Fälle, wie sie uns thatsächlich vorgekommen 
sind, wären dann undenkbar, daß junge Leute wenige Wochen, nachdem 
sie eine Einschränkung ihrer Erwerbs- und Arbeitsfähigkeit gericht¬ 
lich feststellen ließen, assentirt und in den Militärstand aufgenommen 
wurden und nun als active Soldaten eine Invaliditäts¬ 
rente der berufsgenossenschaftlichen Unfallver- 
siche rungsanstalt weiterbeziehen. 

Von unschätzbarem Werthe wird es auch sein, daß bei der 
vorgeschlagenen Aenderung das gesammte Kranken- und Proceßmate- 
riale gewissermaßen in einer Hand vereinigt sein wird. 

Auf diese Weise wird berufenen Männern die Gelegenheit ge¬ 
geben, gewisse bisher ungelöste, vom medicinisch-wissenschaftlichen, 
wie namentlich vom forensischen Standpunkte gleich wichtige Fragen 
an der Hand einer reichen Erfahrung in relativ kurzer Zeit zu 
beantworten. Es ist anzunehmen, daß die Diagnostik der 
traumatischen Neurose große Fortschritte machen 
wird; daß wir endlich erfahren werden, wie es um die Prognose 
dieses Leidens bestellt ist, ob und in welchem Umfange diese 
Krankheit eine Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit zur Folge hat ; 
ob und in welchem Grade sie von Schmerzen begleitet ist u. s. w. 

Meine heutigen Vorschläge sollten nur beiläufig die Richtung 
andeuten, in welcher die Sanirungsbestrebungen sich zu bewegen 
hätten. Für präcisere Anträge wird erst dann der Moment ge¬ 
kommen sein, wenn der von mir angeregte Gedanke verwirklicht 
werden sollte. 

Meine Herren! Gestatten Sie mir, daß ich Sie zum Schlüsse 
an jene großen Interessen erinnere, welche bei der Beseitigung 
der besprochenen Mißstände in Betracht kommen. Für die Eisen¬ 
bahnverwaltungen handelt es sich hier zweifellos einzig und allein 
um eine Geldfrage. Mit Rücksicht auf die großen nationalökonomi¬ 
schen und socialen Interessen, die ihr anvertraut sind, werden sie 
sich gegen ungerechtfertigte, mit so großen Geldopfern verbundene 
Zumuthungen pflichtschuldigst wehren müssen. Aber auch für die 


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Wiener Medizinische Presse. — Nr. 9. 


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Eisenbahnbeamten und -Bediensteten ist die ms beschäftigende 
Frage durchaus nicht gleichgiltig. Wer die Erscheinungen im öffent¬ 
lichen Leben mit Interesse und mit unbefangenen Augen zu ver¬ 
folgen imstande ist, dem kann es nicht entgangen sein, daß den 
Eisenbahnen in den letzten Jahren Opfer auferlegt worden sind, 
welche mit ihren Einnahmen durchaus nicht gleichen Schritt halten. 
Wir wollen von den staatlichen Anforderungen, die in Form von 
Tarifbestimmungen, Investitionen und Steuern aller Art sich geltend 
machen, ganz absehen und nur das in Erwägung ziehen, was 
sich im ei ge n en H a u s h a 1 te, alsp gewissermaßen en 
famille abspielt. 

Zu den schon früher bestandenen Wohlfahrtseinrichtungen, 
Pensions- und Krankeninstituten kam im Jahre 1895 die Aufhebung 
der Accordarbeiten unter gleichzeitiger Stabilisirung der Arbeiter; 
im Jahre 1898 die Regelung der Dienst- und Ruhezeiten des Per¬ 
sonales und im Jahre 1899 die Verfügungen in Bezug auf die 
Gehaltsregulirung und die Verbesserung der Altersversorgung. In 
neuester Zeit wird das Gesetz der Alters- und Invaliditätsver¬ 
sorgung der Arbeiter vorbereitet, und aus dem Kreise des alten 
Personales tauchen wieder neue Wünsche und neue Forderungen auf. 

Vom allgemein menschlichen Standpunkte sind ja diese Be¬ 
strebungen durchaus begreiflich und die erzielten Erfolge als ein 
erfreuliches Zeichen der siegreich fortschreitenden socialen Ge¬ 
rechtigkeit zu begrüßen. Bedauerlich ist nur, daß auch diesem 
Freudenkelch ein Wermuthstropfen beigemengt ist, der einen unge¬ 
störten Genuß nicht aufkommen läßt. Für die Zunahme von Forde¬ 
rungen ist wohl für Jahre hinaus reichlich vorgesorgt; die Frage 
aber: ob die Eisenbahnen die Belastungsprobe auch zu bestehen 
in der Lage sein werden, ist bis jetzt einer ernsten Erwägung 
kaum gewürdigt worden. In dem stürmischen Tempo, in welchem 
Forderung auf Forderung folgte, hatte man keine Zeit für die 
nüchterne Ueberlegung, ob die Erfüllung der Wünsche noch im 
Bereiche der Leistungsfähigkeit der Bahngesellschaften gelegen ist, 
und daß die Ausgaben in erster Reihe von den Einnahmen ab¬ 
hängig gemacht werden müssen. Unter diesen Verhältnissen fällt 
es für die Beamten und Bediensteten doppelt schwer in die Wagschale, 
daß die Bahnen: schon an Unfallschäden so horrende Beträge zu 
zahlen haben. Geradezu unerträglich ist aber der Gedanke, daß 
viele Millionen jährlich durchs Fenster hinausgeworfeu werden, als 
Prämien für Schwindeleien unredlicher Menschen. Mit diesem Gelde 
könnte eine große Zahl der berechtigten Wünsche der Beamten 
und Bediensteten verwirklicht werden, und es ist keine Uebertreibung 
von mir, wenn ich. behaupte, daß für dieselben hier ein Stück 
Existenzfrage auf dem Spiele steht. 

s Die allerwichtigsten Interessen aber kommen erst in Betracht, 
wenn die Frage vom staatspolitischen Standpunkte in Erwägung 
gezogen wird. Der Mißbrauch gesetzlicher Bestimmungen hat, wie 
wir gesehen haben, reiche Früchte getragen, und der Erfolg hat 
zu erhöhter Verwegenheit ermuthigt. Solche Vorgänge wirken wie 
ein Pesthauchr auf die öffentliche Moral. Die Staatsgewalt hat aber 
keine erhabenere und heiligere Aufgabe, als die höchsten Ideale 
der Menschheit, die Wahrheit und Gerechtigkeit, mit ihrer mäch¬ 
tigen Hand zu beschützen und unter allen Umständen und um jeden 
Preis zur Geltung zur bringen. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 


Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Med. Presse“.) 

Sitzung vom 20. Februar 1902. 

S. Erben stellt einen älteren Pat. mit disseminirten 
Erweichungsherden am Boden des IV. Ventrikels 
auf Grund von Arteriosklerose vor. Der Kranke verlor 
vor 10 Monaten plötzlich die Sprache und konnte nur schlecht 
schlucken, weshalb auch der Speichel aus dem Munde floß. Das 
Fehlen sonstiger krankhafter Symptome, auch von Atrophie, ferner 
die Constanz des Krankheitsbildes and der Umstand, daß durch 
den elektrischen Strom der Schluckact reflectorisch nur schwer 


hervorgerufen werden kann, lassen vermuthen, daß diese (pseudo¬ 
bulbäre) Lähmung der Lippen, der Zunge und des weichen Gaumens 
nicht auf eiDe Kernläsion, sondern auf disseminirte Erweichungs¬ 
herde am Boden des IV. Ventrikels im Anschlüsse an die vorhandene 
Arteriosklerose znrückführbar sein dürften. 

H. Schur berichtet über den Obductionsbefund der Pat., 
welche er am 12. December 1901 demonstrirt hat (s. Nr. 2 ex 1902 
der'„Wiener Med. Presse“). Die Autopsie ergab, daß es sich um 
echte tuberculöse Pseudoleukämie gehandelt hat. Die 
Pat. hatte zur Zeit der Demonstration universelle Lymphomatöse, 
kachektisch anämisches Aussehen, großen Leber- und Milztumor, zeit¬ 
weise Fieber und enorme Leukocytose (240.000); die Krankheit 
hatte sich schubweise entwickelt. Der Zustand verschlimmerte sich 
allraälig, die Leukocytose nahm etwas zu, blieb aber stets 
polynucleär, die Pat. klagte über allgemeine Schmerzhaftigkeit, 
besonders auf Druck. In den letzten Monaten stellte sich auch eine 
leichte Parese des linken Beines ein, die Reflexe waren stets leb¬ 
haft. Die Obduction ergab: Amyloidose der Leber, Milz und Niere 
und auch theilweise des Darmes, Hyperplasie der Lymphdrüsen von 
tuberculÖ8em Charakter mit Riesenzellen sowie vereinzelte Tuberkeln 
und Tuberkelbacillen. Eine Eingangspforte für die Tuberculöse war 
nicht zu finden; das Knochenmark zeigte keine Veränderung. 

L. v. Schrötter fragt, wie sich die Bronchialdrüsen, die Tonsillen nnd 
die Tonsilla pharyngea verhielten. 

H. Schur erwidert, daß die Tonsillen normal, die Bronchialdrüsen 
geschwellt waren, die Pharynxtonsille wurde nicht untersucht. 

W. Türk bemerkt, daß bei Tuberculöse gewöhnlich ein normaler Blut¬ 
befund besteht, ausnahmsweise findet sich Leukocytose. Für die Diagnose des 
tnberculösen Charakters von Lymphomen sind Fieberbewegungen, Schmerz¬ 
haftigkeit der Drüsen nnd Fehlen von Schwellungen des lymphatischen Gewebes 
in den Schleimhäuten zu verwenden, während die echte lymphatische Hyper¬ 
plasie sich durch Schmerzlosigkeit, Fieberlosigkeit und die genannten Schwel¬ 
lungen auszeichnet. Andererseits gibt es auch Fälle von echter Hyperplasie 
der Lymphdrüsen mit normalem Blutbefnnde. Es scheint demnach auch Lymph- 
diüsenhyperplasien ohne aggressiven Charakter zu geben. 

H. Schur bemerkt, daß auch, bei echter Paeudoleukämie Fieber. Vor¬ 
kommen kann, wie er selbst in einem Falle mit 30-000 Lymphocyten im Blute, 
von diesen 90% mononucleäre, beobachten konnte. 

J. Sterilberg meint, daß bei universellen Lymphdrüsenerkrankungen 
mononucleäre Leukocytose verkommen kann, aber nicht Vorkommen muß; nach 
diesem Befunde kann man daher keine Unterabtheilungen der Pseudoleukämie 
abgrenzen. 

W. Türk ist der Ansicht, daß Lymphocytose für Psendoleukämie nicht 
beweisend ist; bei dem wechselnden Blutbefnnde wird man die Differential¬ 
diagnose bei Lymphdrüsenschwellungen nur nach dem klinischen Gesammtbilde 
stellen müssen. 

W. Türk stellt eine Kranke mit Phlebarteriektasie an 
der linken Hand vor. Geringe Anzeichen derselben bestanden schon 
in der Kindheit, erst seit der Pubertät haben sich beträchtliche 
Erweiterungen und Schlängelungen der Arterien, Capillaren und Venen 
entwickelt. Daneben bestehen Aorteninsufficienz und Erweiterung 
aller Arterien am linken Arme, der linke Vorderarm ist um 4 Cm. 
länger und die Phalangen sind zarter als rechts, die Temperatur in 
der linken Axilla ist um O'5°/ 0 höher als rechts. 

L. v. Schrötter erinnert an einen ähnlichen, von ihm demonstrirten 
Fall, einen Violinspieler betreffend, welcher infolge des Leidens seinen Beruf 
nicht ausüben konnte. Durch systematische Excision und Unterbindung wnrdo 
vollständige Heilung erzielt. 

S. v. Basch bemerkt, daß er bei der vorgestellten Pat. einen Blutdruck 
von 240 Mm. Quecksilber gemessen habe. 

Otto Grosser und Alfred Fröhlich : Beiträge zur metameren 
Innervation der Haut. 

Otto Grosser bespricht den anatomischen Theil. Wie 
in so vielen anderen' Fragen, welche die Anatomie des Nerven¬ 
systems betreffen, sind auch in der Frage des Zusammenhanges 
zwischen bestimmten Hautgebieten und den einzelnen Abschnitten 
des Rückenmarkes zunächst die Kliniker und Experimentatoren den 
Anatomen vorangegangen. Auf Grund der Ausfallserscheinungen bei 
Verletzungen hinterer Spinalnerven wurzeln oder des Rückenmarkes 
selbst und nach der Verkeilung mancher Krankheiten, besonders 
des Herpes zoster, gelangte man zur Ansicht, daß den einzelnen 
Wurzeln respective Rückenmarkssegmenten an den Extremitäten 
längs-, am Thorax gürtelförmig horizontal verlaofende Hautstreifen, 
welche 3—4 Intercostalräume überkreuzen, entsprechen. Diese letz¬ 
teren schienen gegenüber dem schief absteigenden Rippen- und 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 9. 


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Intercostalnervenverlaufe anatomisch vollständig unerklärlich; nur 
Bolk hat ohne nähere Begründung angegeben, daß sie auch 
anatomisch feststellbar wären. Sie sind nicht in Plexusbildungen 
der Intercostalnerven, sondern darin begründet, daß die Eintritts¬ 
stellen des Ramus posterior, lateralis und anterior jedes Spinal¬ 
nerven in die Haut in einer Horizontalen liegen ; dies wird dadurch 
erreicht, daß die Rami posteriores zwischen den langen und den 
breiten Rückenmuskeln um 2—3 Wirbelhöhen absteigen, sich dann 
in der Haut lateralwärts wenden, während die Rami laterales zur 
Haut treten, bevor die Rippe den tiefsten Punkt erreicht hat, die 
Rami anteriores hingegen im Bereiche des vorderen aufsteigenden 
Theiles der Rippe. Die feinere Hautverzweigung dieser Aeste er¬ 
folgt im wesentlichen mittels horizontaler Stämmchen. Im Thorax¬ 
bereiche sind Rückenmarkszone, Wurzelzone und Zone der peripheren 
Nerven identisch, da Plexus fehlen. Beim Embryo bilden die von 
einem Intercostalnerven versorgten Zonen vom Anfang an senkrecht 
zur Körperachse stehende Bänder. Später werden die Rami ant. 
und laterales durch die eintretende Rippenneigung caudalwärts ver¬ 
schoben, die Rami post, durch den Verschluß des W T irbelcanals 
und die langen Rückenmuskeln, dann durch die vom Halse über 
den Rücken herunterwachsenden breiten Rückenrauskeln medial- und 
caudalwärts verzogen. Gleichzeitig wird auch die gesammte Thorax¬ 
haut caudalwärts zur unteren Extremität verzogen; die Haut wächst 
nämlich ungefähr gleichförmig in ihrer gesammten Fläche, die 
Extremität stülpt aber die Haut an einer Stelle besonders stark 
vor, dehnt sie und zieht sie vom Thorax an sich hinüber. Dieses 
gleichmäßige interstitielle Wachsthum der Haut erklärt also in 
erster Linie die Erhaltung der ursprünglichen, horizontal verlaufenden 
metameren Hautzone am Thorax und ihre caudale Verschiebung. 

A. FRÖHLICH bespricht den klinischen und experi¬ 
mentellen Theil der Frage. Bei Querschnittsläsionen des Rücken¬ 
markes erfährt man nur die untere Grenze der unverletzten Haut¬ 
strecke. Die Durchschneidung einer einzigen Rückenmarksworzel 
hat keinen Effect, weil die Wurzelgebiete der Haut einander decken; 
beim Affen wird ein Hautgebiet von 3, beim Menschen von 5 Rücken¬ 
markssegmenten versorgt. Die exacte Wurzelabgrenznng der Wurzel¬ 
gebiete beim Menschen kennen wir nicht; Head’s Angaben scheinen 
sieb bei der Nachprüfung nicht zu bestätigen. Zur Erklärung des 
Umstandes, daß manchmal Anästhesien an den Extremitäten mit 
circulär senkrecht auf die Extremität stehenden Grenzen abschließen, 
haben die Franzosen einen neuen Typus der Metamerie aufgestellt, 
daß jeder Glieda bschnitt mit einem besonderen Centrum im Rücken¬ 
marke verbunden ist, welches sich mit anderen derartigen Centren 
zu einem gleichsam selbständigen Rückenmark für jede Extremität 
verbindet. Diese Annahme ist unhaltbar, die gliedweise Sensibilitäts¬ 
störung kommt durch combinirte Erkrankung von Wurzeln oder 
Rüekenmarkssegmenten zustande. Die Vortr. haben als das Ver¬ 
breitungsgebiet des 8. Cervicalncrven beim Affen einen Streifen am 
Ulnarrande der Hand und dem kleinen und einem Theil des Ring¬ 
fingers bestimmt. 


K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 28. Februar 1902. 

J. PÄL stellt zwei Kranke vor, bei welchen von R. Frank 
wegen Ascites die TALMA’sche Operation ausgeführt 
worden ist. Beide Patienten litten an Lebercirrhose und der Ascites 
wurde mehrmals punctirt. Unter ScHLEiCH’scher Anästhesie (wegen 
des schlechten Herzzustandes) wurde das Netz an die vordere 
Bauchwand angenäht; nach der Operation stellten sich bei dem 
einen Kranken Hämatemesis und epileptische Anfälle ein, welch’ 
letztere nach Brombehandlung sistirten; der Ascites kehrte in 
keinem der beiden Fälle zurück. Die TALMA’sche Operation ist 
bisher in 60 Fällen, darunter 7mal von Frank, mit circa 40% 
definitivem Heilerfolge ausgeführt worden. 

A. V. Eiseisberg hat in Königsberg mehrere Falle nach Talma operirt; 
die Resultate werden auf dem diesjährigen Chirurgencongresse veröffentlicht 
werden. Es wurde immer ein Netzpfropf zwischen Peritoneum und M. rectus 
eingenäht j in einem Falle mußte wegen hartnäckiger Wiederkehr des Ascites 


auch die Milz an das Peritoneum fixirt werden. Gewöhnlich verschwindet der 
Ascites nicht gleich nach der Operation , sondern muß öfter punctirt werden. 
Die Hämatemesis nach der Operation ist durch retrograde Embolie zu erklären. 

R. Frank bemerkt, daß sich die Operation bei schlechter Beschaffen¬ 
heit des Netzes (Schrumpfung) schwierig gestalten könne; er hat aus diesem 
Grunde in einigen Fällen Appendices epiploicae und Dickdarm zur Fixation 
verwendet; letztere wurde meist peritoneal vorgenommen. 

A. V. ElSELSBERG berichtet über die Bildung trag¬ 
fähiger Stümpfe und einfache Prothesen bei supra- 
malleolärer Amputation. Vortr. hat zur Bildung trag¬ 
fähiger Stümpfe bei supramalleolärer Amputation ein modificirtes 
BiER’scbes Verfahren angewendet: Aus der Tibia wird parallel zu 
ihrer Oberfläche eine Knochenplatte gesägt, welche durch eine 
Periostbrücke mit der Tibia in Verbindung bleibt und auf die 
Amputationsfläche derselben umgeklappt wird. Unter 25 Fällen 
wurden auf diese Weise 22mal tragfähige Stümpfe erzielt. 

Eine andere Methode rührt von Bunge her: Bei dieser wird ein 
enger Streifen der Knochenoberfläche oberhalb der Sägefläche vom 
Periost entblößt und das Knochenmark auf einige Millimeter von der 
Amputationsfläche aufwärts ausgeräumt, so daß sich auf der Knochen¬ 
fläche kein Callus bilden kann. Vortr. stellt einen 19jähr. Mann 
vor, bei welchem er wegen Tuberculose der Fußgelenke die Am¬ 
putation nach der ersteren Methode erfolgreich ausgeführt hat. 
Pat. trägt eine einfache Prothese: An einem Holzstocke von der 
für Prothesen gebräuchlichen Form sind oben zwei Eisenschienen 
befestigt, welche den Unterschenkel zwischen sich aufnehmen; 
durch Gypsbinden wird nach der Unterschenkelform eine Hülse 
gebildet, die den Stumpf bis unter das Knie aufnimmt und durch 
Gummibänder oberhalb des Knies festgehalten wird. Die Prothese 
wiegt 1 Kgrm. und kostet ca. 5 Mark. 

Moskowits hält die Methode von Bunge für einfacher; außerdem kann 
bei ihr der Stumpf auch länger gemacht werden. 

J. Schnitzler macht auf das von Bbuns angegebene Verfahren auf¬ 
merksam, bei welchem die Sägefläche mit dem Periost bedeckt wird. 

A. v. Eiseisberg frägt, ob der Stumpf bei dieser Methode tragfähig sei. 

J. Schnitzler hat dies bestätigt gefunden, wenn die Hautnarbe nicht 
auf der Tragfläche liegt. 

S. SPIEGL demonstrirt eine sei bstw i rkend e Injections- 
spritze. Der Kolben wird durch eine Spiralfeder vorgeschoben, 
die Arretirung erfolgt durch Abschließen eines Hahnes im Ansatz¬ 
stücke oder durch einen Hebel, welcher an dem in Form einer 
Zahnstange gebildeten Kolbenstiele eingreift. Die Nadel ist an 
dem Ansatzstücke durch BajonnettVerschluss befestigt. Die Spritze 
ist leicht sterilisirbar und kann mit einer Hand bedient werden, 
was z. B. bei hypodermatischen Injectionen von Vortheil ist. 

FRANZ Hermann erstattet eine vorläufige Mittheilung über 
die Anwesenheit von tryptischem Ferment im leukä¬ 
mischen Blute. Im Blute leukämischer Leichen wurden nicht 
coagulirbare Eiweißkörper nachgewiesen, während sie im Blute 
lebender Leukämischer nicht zu finden sind. Die Versuche des Vor¬ 
tragenden ergaben, daß im Blute Leukämischer ein protolytisches, 
in alkalischer Lösung wirkendes Ferment enthalten sei, welches 
erst nach längerem Stehen die Eiweißkörper des Blutes peptonisirt. 
Bakterienwirkung war bei den Versuchen ausgeschlossen. 

Schluß der Oiscussion zum Vortrage von A. Weichselbaum ; 
Ueber das Wesen und die Prophylaxe der Tuberculöse. 

R. Kraus hat bei Nachprüfung der Angaben von G. Kaiser über die 
baktericide Wirkung des blauen Lichtes auf Tuberkelbacillen gefunden, daß 
Kaiser gar nicht mit Tuberkelbacillen experimentirt habe, und daß dem blauen 
Lichte keine baktericide Wirkung zukomme. 

W. Rauch berichtet über die prophylaktischen Maßregeln, welche in 
Gleichenberg bezüglich der Tuberculose eingeführt sind. Unter diesen sind 
neben allgemeinen hygienischen Maßnahmen hervorzuheben '■ Anzeigepflicht 
und Desinfectionszwang bei Todesfällen an Tuberculose, letzteres anf Verlangen 
des Arztes auch dann, wenn ein Tuberculöser ans einer Wohnung auszieht, 
ferner Spuckverbot, Beaufsichtigung des Melkviehes durch einen Thierarzt, 
Einführung der Milchsterilisation; Einführung der Tuberculinimpfung des Melk¬ 
viehs wird geplant. In Deutschland sollen derartige prophylaktische Maßregeln 
zur Abnahme der Tuberculoseerkrankungen in Carorten geführt haben. Nach 
einer vom Redner angefertigten und von einem Amtsärzte controlirten Statistik, 
welche mit dem Jahre 1815 beginnt, ist die Sterblichkeit an Tnberculose in 
Gleichenberg seit 1835, wo dieses zn einem Cnrorte wurde, nicht gestiegen. 
Redner mahnt zu einigem Vorgehen im Kampfe gegen die Tuberculose, 
welcher schon in der Kinderstnbe beginnen muß. 

A. Weichselbaum bemerkt in seinem Schlußworte, daß vom anatomischen 
Standpunkte der Unterschied zwischen Scrophulo3e und Tnberculose fallen 


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1902, — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 9. 


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gelassen werden könne. Die Versuche von Franz beweisen die Unschädlichkeit 
der Tuberculinirnpfung; mehrfache derartige Beobachtungen wären geeignet, 
zur Verbreitung dieser Behandlungsmethode beizutragen. Gegenüber W. Winter¬ 
nitz führt Vortr. an, daß die Tuberkelbacillen nicht ubiquitär sind, da sie 
im Sonnenlichte sehr bald absterben, im Sputum von Phthisikern im An- 
fangsstadium gar nicht oder nur spärlich enthalten sind, aus manchen 
tuberculösen Organen gar nicht hinausgelangen und nach ihrem Abgänge mit 
dem Harn oder den Fäces bald durch Fäulniß zerstört werden. Auch im 
Sputum sind nach Kitasato die meisten Tuberkelbacillen abgestorben. Diese 
bleiben nur an dunklen Orten lange virulent, und hier können sie durch 
unsere Maßnahmen vernichtet werden. Das Spuckverbot ist durchführbar, wie 
die Erfahrung in Amerika lehrt. Am Barte haftende Bacillen dürften wohl 
nicht verstäubt werden und können bei ungenügender Reinlichkeit nur in den 
Magen gelangen, wo sie zerstört werden. Disposition ist ein vager Begriff, 
während die Biologie des Tuberkelbacillus genau studirt ist; ein Kampf gegen 
letztere ist daher aussichtsvoller als die Hebung der unbekannten Disposition. 
Die bisherigen Statistiken über die Tuberculosefrage sind unzureichend. Eine 
Herabdrückung der Mortalitätsziffer an Tuberculose durch prophylaktische 
Maßregeln ist bereits mehrfach erwiesen (Cornet), die Hebung der materiellen 
Verhältnisse jedes einzelnen ist überhaupt undurchführbar. Man muß sich 
also an das Durchführbare, die Bekämpfung der Infection, halten ; dieses 
Vorgehen steht auch mit dem bei anderen Infectionskrankheiten erprobten 
im Einklang. Schwere Tuberculose sollen in Anstalten untergebracht werden. 
Die Anzeigepflicht bei Tuberculose hätte wohl keinesfalls die schweren Conse- 
quenzen zur Folge, die ihr prognosticirt werden ; sie ist ja auch bereits in 
einigen Staaten eingeführt. 


Aus 

medicinischen Gesellschaften Deutschlands. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Medicinische Gesellschaft zu Leipzig. 

Perthes: Medicinisches und Chirurgisches aus Peking. 

Vortr. berichtet über seine in Peking als ordinirender Arzt 
der chirurgischen Abtheilung des 6. ostasiatischen Feldlazareths 
gesammelten ärztlichen Erfahrungen. Die chinesische Hausanlage 
erwies sich als dem Klima sehr gut angepaßt. Die einzelnen Chine¬ 
senwohnungen ließen sich ohne Schwierigkeit in brauchbare Kranken¬ 
pavillons umwandeln. Besondere Beachtung wurde der Wasser¬ 
versorgung wegen der Gefahr der Infection mit Typhus und Dysen¬ 
terie , wie der Heizung wegen der Gefahr der Kohlenoxydver¬ 
giftung durch die chinesischen Thonöfen geschenkt. Eine besondere 
Wasserkochküche ermöglichte die Verwendung nur gekochten Wassers; 
die chinesischen Oefen wurden nur für besondere Zwecke, Koch¬ 
küchen, Sterilisation beim Operationssaale beibehalten, wo sie sich 
als gut brauchbar erwiesen. Vortr. berichtete über 4 von ihm operirte 
Fälle von Leberabsceß (3 der Patienten wurden geheilt) und geht 
sodann auf die Erfahrungen in der Chinesenpraxis ein. Die chine¬ 
sische Bevölkerung erwies sich der Behandlung durch den fremden 
Arzt und den Operationsvorschlägen sehr gut zugänglich. P. sah 
einen Fall hochgradiger Spaltbildung an allen 4 Extremitäten, einen 
Fall von Fibroma molluscum, vorwiegend der linken Hand, mit 
Steigerung des Knochenwachsthums, die Effecte der chinesischen 
Prügelstrafe in verschiedenen Stadien, einen wegen Urethralstenose 
operirten Eunuchen, Schußfracturen des Humerus, der Ulna und 
der Tibia, Schuß durch den Nervus ulnaris, Läsion der Arteria 
iliaca externa durch Schuß, mit folgender Gangrän des Fußes. 
Zum Schlüsse demonstrirte P. Gypsabgüsse, Fußabdrücke und Roent- 
genbilder verkrüppelter chinesischer Frauenfüße. Die Roentgen- 
bilder lassen sehr deutlich die Umbildung der äußeren Knochenform, 
sowie die Transformation der Knochenarchitektur entsprechend der 
veränderten Belastung erkennen. 


Schlesische Gesellschaft für vaterländische Cultur in 

Breslau. 

Neisser : Ueber Syphilisübertragungsversuche auf Thiere. 

Bisher sind alle Versuche dieser Art negativ ausgefallen. 
In der letzten Zeit sind zwei Arbeiten aus der Straßburger Klinik 
hervorgegangen, von denen die eine über ein positives Resultat 
bei einem Schweine berichtete. Auch die NEissER’schen Versuche 
sind an Schweinen angestellt worden. Es wurden 18 Thiere ge¬ 
impft. Nur einmal gelang die Uebertragung. Das Thier war in 
gewissem Sinne hereditär belastet, da die Versuche auch bei dem 


Elternpaare angestellt worden waren. Es entstand ein papulocirci- 
näres, bezw. crustöses Syphilid, soweit man nach dem Aussehen 
berechtigt ist, die aufgetretenen Erscheinungen so zu bezeichnen. 
Thierärzte, die zu Rathe gezogen wurden, erklärten, daß ihnen 
derartige Ausschläge völlig unbekannt seien. So darf man mit einer 
gewissen Wahrscheinlichkeit die Ausschläge per exclusionem als 
syphilitische bezeichnen. Noch mehr als die Versuche bei Schweinen 
versprechen jene bei Affen, da die Serumverhältnisse hier biologisch 
denen des Menschen ähnlicher sind. Therapeutisch lassen sich aus 
den Versuchen noch keine bestimmten Schlüsse ziehen. 

Neisser: Die Beziehungen der Tabes zur Quecksilberbehand¬ 
lung. 

Zu den ätiologischen Momenten, die Tabes erzeugen können, 
gehört die Syphilis, die jedenfalls bei der großen Anzahl der Er¬ 
krankten, die vorher Lues durchgemacht haben, auch mit ange¬ 
nommen werden muß. Daß aber andererseits unter den au9lösenden 
Factoren die Syphilis fehlen kann, muß zugegeben werden. Bemer¬ 
kenswerth ist, daß in einzelnen Ländern, in denen viel Syphilis vor¬ 
kommt, wie in Bosnien, Herzegovina, Dalmatien und in gewissen 
rassischen Bezirken, keine Tabes und Paralyse vorkommt. Hier 
sind syphilitische Spätformen häufig, weil fast gar keine Behand¬ 
lung, wenigstens keine Quecksilberbehandlung vorausgeht. Hypo¬ 
thesen über die Entstehung der Krankheit sind mehrfach aufgestellt 
worden. Nach der STRÜMPELL’schen Toxintheorie sind es nicht 
die Bakterien, sondern ihre Toxine, welche die Tabes erzeugen. 
Die HiTZiG’sche Anschauung ist aus der Literatur verschwanden, 
wonach das Syphilisgift am meisten betheiligt sei, aber auch die 
anderen venerischen Gifte wirksam sein können, so daß nur be¬ 
stimmte Syphilitiker die Tabes bekämen. Nun ist die Frage auf¬ 
geworfen worden, ob nicht gerade dem von uns angewandten 
Quecksilber eine Schuld an der Erkrankung beizumessen sei. Die 
Frage ist der ernsten Prüfung werth : Wie verhält sich die Queck- 
siIberbehandlung zur Tabes? ijs stellt sich nun heraus, daß die 
bei weitem größere Zahl der Tabiker vorher nicht mit Quecksilber 
behandelt worden ist. Vortr. stellte aus der Literatur 445 Tabes¬ 
fälle zusammen , die genau beschrieben waren. Bei 156 war von 
Syphilis überhaupt keine Rede, bei 98 konnte mit Wahrscheinlich¬ 
keit oder Sicherheit Lues angenommen werden. In diesen Fällen 
— zusammen 254 = 57% — hatte keine Quecksilberbehandlung 
stattgefunden. Bei 173 Fällen = 39°/ 0 hatte eine ungenügende 
Mercurbehandlung stattgefunden, bei 18 = 4% hatte eine Behand¬ 
lung stattgefunden, die als ausreichend bezeichnet werden kann: 
nämlich 5—7 Curen in den ersten Jahren. Von weiteren 97 Tabes¬ 
fällen!, die aus Breslau stammten, waren 53% nie behandelt, 5% 
ausreichend, der Rest war ungenügend behandelt worden. Man 
darf somit den Satz aussprechen, daß die meisten Tabiker 
mit Quecksilber nichts zu thun gehabt haben. 


Notizen. 


Wien, 1. März 1902. 

(Wiener Aerztekammer.) In der am 25. Februar d. J % 
statlgefundenen Kammerversammlung verkündete zunächst Präsident 
Primarius Dr. Heim zufolge Beschlusses des Ehrenrathes zwei 
ehrenräthliche Erkenntnisse, mit welchen dem Arzte 
Dr. Rudolf Weiss, VI., Gumpendorferstraße Nr. 100 wohnhaft, wegen 
standesunwürdigen Verhaltens und fortgesetzter Nichtbeachtung der 
im Kammergesetze begründeten Anforderungen der Kammer eine 
Geldbuße von 400 Kronen auferlegt und dem Arzte Dr. Ludwig 
Lasky, VIII., Josefstädterstraße Nr. 34 wohnhaft, wegen fortgesetzten 
standesunwürdigen Verhaltens eine Rüge ertheilt wurde. — Bei 
Bekanntgabe des Einlaufes macht Präsident Mittheilung, daß die 
Krankencasse der Wiener Bankbeamten an die Kammer 
um Wiederaufnahme der Verhandlungen betreffend die Stellung¬ 
nahme der Aerzte zu dieser Krankencasse herangetreten sei, und 
daß die ad hoc von der Kammer eingesetzte Commission beschlossen 
habe, als Basis für weitere Verhandlungen die Bedingung auf¬ 
zustellen , daß die Cassa eine Aenderung ihrer Statuten in dem 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 9. 


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Sinne vornehme, daß ihre Mitglieder nur auf Krankengeld mit 
Ausschluß der freien ärztlichen Behandlung versichert werden 
dürfen. Auf dieser Basis haben bereits Vorbesprechungen des 
Krankencassen Comites der Kammer mit den Delegirten der Cassa 
stattgefunden. — Einer Anregung des Vorstandes wegen Ermächtigung 
der geschäftsführenden Aerztekammer zur Ueberreichung einer Ein¬ 
gabe namens sämmtlicher Aerztekammern an das Ministerium des 
Innern, in welcher um Einholung eines Gutachtens von den Aerzte¬ 
kammern über den die Arbeiter-Krankenversicherung 
betreffenden Gesetzentwurf ersucht wird, wird zugestimmt. — Der 
Dringlichkeitsantrag deß Dr. Stricker: „Die Kammer erklärt die 
Annahme jeder wie immer gearteten und benannten ärztlichen Stelle 
bei allen neu zu gründenden registrirten Hilfscasseu, welche ihren 
Mitgliedern unentgeltliche ärztliche Behandlung beistellen, für standes¬ 
widrig“ gelangte nach eingehender Berathung zur Annahme. Ein 
Antrag des Dr. Stricker betreffend Stellungnahme zur registrirten 
Krankencassa „Einigkeit“ anläßlich der von derselben beschlossenen 
Statutenänderung, wonach nunmehr alle Privatbeamten beiderlei 
Geschlechtes der Cassa als ordentliche Mitglieder beitreten und 
demnach unentgeltliche ärztliche Behandlung beanspruchen können, 
wird dem Krankencassen-Comitö zur Vorberathung zugewiesen. 
Ueber Antrag der DDr. Stransky und Gruss wird den Reichsraths- 
Abgeordneten Dr. Sylvester, Walz und Genossen für die von ihnen 
in der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 14. Februar 1. J. ein- 
gebrachte Interpellation an den Minister des Innern betretfend die 
endliche Regelung der Aerztefrage bei den Krankencassen der Dank 
der Kammer votirt. 

(Oberster Sanitätsrath.) In der Sitzung vom 22. Fe¬ 
bruar 1902 gelangten nach Mittheilungen über den Stand der Pest 
und der Blattern im Auslande unter Anderem folgende Berathungs- 
gegenstände zur Verhandlung: Gutachten über die Eignung eines 
Leitfadens über „Erste Hilfe“ zur gelegentlichen Verwendung beim 
Schulunterrichte ; Gutachten über die Eignung bestimmter Wand¬ 
tafeln über die Anatomie des menschlichen Körpers und die „Erste 
Hilfe bei Unglücksfällen“ zum Unterrichtsgebrauche an Volks- und 
Bürgerschulen ; Initiativantrag ctes Obersanitäthratbes Prof. Dr. Ritter 
von Jaksch betreffend die Vermehrung der Hebammenschulen 
in Oesterreich, insbesondere in Böhmen. Zur Berathung über diese 
Angelegenheit wurde ein Specialcomitß eingesetzt. 

(Leopold Oser.) In der bescheidenen Weise, die ihn 
charakterisirt, hat vor wenigen Tagen Reg.-Rath Prof. Dr. Leopold 
Oser, ärztlicher Director des Rotlischildspitales in Wien, im engsten 
Freundeskreise sein dreißigjähriges Docenten-Jubiläum begangen. 
Die Intimität der Feier hat wohl manchen verhindert, dem Manne 
glückwünschend die Hand zu drücken, der im Zenith eines ausge¬ 
zeichneten didaktischen und ärztlichen Wirkens steht; sie kann 
aber die Collegen, Freunde und Schüler Oser's nicht abhalten, 
den Anlaß dieses Jubiläums dazu zu benützen, dem hingebungs¬ 
vollen Lehrer, dem unermüdlichen wissenschaftlichen Arbeiter, dem 
erfolgreichen Arzte ihre wärmsten Sympathien auszusprechen. Auch 
die „Wiener Med. Presse“, zu deren geschätztesten Mitarbeitern Oser 
seit einem Menschenalter zählt, schließt sich freudig den zahlreichen 
Verehrern des Jubilars an. 

(Aus den ärztlichen Vereinen Wiens.) In den ärzt¬ 
lichen Bezirksvereinen Wiens haben in den letzten Tagen die Neu¬ 
wahlen in die Bureaux stattgefunden. Die letzteren sind — so¬ 
weit uns Berichte vorliegen — wie folgt zusammengesetzt: Aerzt- 
licher Verein des I. Bezirkes: Obmann Dr. J. Kornfeld ; Obmann¬ 
stellvertreter Prof. Dr. Ernst Finger ; Schriftführer Dr. K. Dirmoser 
und Dr. R. Neurath; Cassier Dr. J. Samuely. — Aerztlicher Verein 
des II. Bezirkes: Obmann Kais. Rath Dr. Lerch , dessen Stellver¬ 
treter Dr. Steinbehger und Dr. J. Weis ; Schriftführer Dr. Reiss¬ 
berg und Dr. Popper ; Oekonom Dr. Ehrmann , dessen Stellver¬ 
treter Dr. Grün. — Aerztlicher Verein der südlichen Bezirke: 
Obmann Dr. Scholz; Obmannstellvertreter Dr. M. Bauer; Schrift¬ 
führer Dr. R. Ullmann ; Cassier Dr. Heim. — Aerztlicher Verein 
der'südwestlichen Bezirke: Obmann Dr. Obhlidal ; Obmannstell¬ 
vertreter Dr. J. Läufer ; Schriftführer Dr. Forschner und Dr. 
Strunz ; Oekonom Dr. Friedländer. — Margarethner Aerzteverein: 
Obmann Dr. F. Gerstinger ; Obmannstellvertreter Dr. Ludwig Boros ; 


Schriftführer Dr. Theodor Stern, Dr. Julius v. Lindhoudt; Cassier 
Dr. Alois Kapl. — Aerztlicher Verein im VIII. Bezirke: Obmann 
Dr. Skorscheran ; Obmannstellvertreter Dr. Eduard Kraus ; Cassier 
Dr. Anton Schmied ; I. Schriftführer Dr. Mareck, Dr. Lauterbach ; 
II. Schriftführer Dr. Max Riemer. — Aerztlicher Verein im IX. 
Bezirke : Obmann Doc. Dr. M. Herz ; Obmannstellvertreter Doctor 
Küchler und Dr. Nussbaüm; Schriftführer Dr. Dreicurs und 
Dr. Jos. Königstein ; Cassiere Dr. A. Foges und Dr. Natanson. — 
Aerztlicher Verein der westlichen Bezirke: Obmann Dr. Schum ; 
Obmannstellvertreter Dr. Lauterstein ; Schriftführer Dr. Rimböck 
und Dr. Friedmann; Cassier Dr. J. Kohn. — Aerzteverein des X. Be¬ 
zirkes : Obmann Dr. Karl Koch; Obmannstellvertreter Dr. S. Lich- 
tenstern und Dr. L. Weinhardt; Schriftführer Dr. R. Back, 
Dr. Norbert Handl und Dr. M. Rosenthal. — Aerztlicher Verein 
des XIX. Bezirkes: Obmann Dr. Sigm. Pollak; Obmannstellvertreter 
Dr. S. F. Schwarz ; Schriftführer Dr. M. Obebsohn ; Cassier Doctor 
Walter Krauss. — Verein der Bahnärzte der öst.-ung. Staats¬ 
eisenbahn-Gesellschaft : Obmann Dr. Orazio Piipjni , dessen Stell¬ 
vertreter Dr. Jacob Möller in Müglitz und Dr. Leopold Wasser¬ 
mann in Trebitsch; Schriftführer Dr. Eduard Fahn in Stadlau; 
Cassier Dr. Richard Back in Wien. 

(Aufnahme scrophulöser Kinder in Seehospize.) 
Arme Kinder, die das vierte Lebensjahr erreicht haben und an 
Skrophulose leiden, können auf Plätzen der Stadt Wien in den 
Seehospizen San Pelagio, Grado, Cirkvenica, Triest, im Kaiser 
Franz Joseph-Hospiz zu Sulzbach, sowie in Hall und Baden Aufnahme 
finden. Gesuche, denen ein legales Armuthszeugniß anzuschließen 
ist, sind beim Wiener Magistrate (Abtheilung XII) zu überreichen. 
Auch für Nichtzuständige steht dem Magistrate eine beschränkte 
Anzahl von Freiplätzen zur Verfügung. 

(Unentgeltliche Krankenhauspflege Infections- 
kranker.) Aus Berlin wird uns geschrieben: Der Stadtverordnete 
Dr. Nathan hatte vor kurzem den Antrag eingebracht, daß manche, 
insbesondere die schweren lnfectionskrankheiten in den städtischen 
Krankenhäusern unentgeltlich behandelt werden. Der Antrag gelangte 
in der vorigen Woche zur Berathung. Er wurde einem Ausschüsse 
zur weiteren Berathung übergeben, oder mit anderen Worten fried¬ 
lich bestattet. 

(Aus Hamburg) wird uns geschrieben: Am 1. Februar 
ist hier die vom 28. und 29. Deutschen Aerztetage beschlossene 
Auskunftsstelle des Deutschen Aerztevereinsbundes für die Besetzung 
ärztlicher Stellen im Auslande und auf deutschen Schiffen ins 
Leben getreten. 

(Die Spende eines Crösus.) Wie amerikanische Blätter 
melden, hat der Milliardär Rockefeller der Universität seiner Vater¬ 
stadt Chicago 30 Millionen Dollars gespendet. 

(P r e i s s c h r i f t.) Die catalonische Akademie der medicinischen 
Wissenschaften schreibt einen Preis von 2500 Pesetas für die beste 
Arbeit über: „Die vergleichende Histologie der Fovea centralis“ 
aus. Der Wettbewerb ist international und steht Jedermann frei, 
jedoch muß die Arbeit in französischer, italienischer, portugiesischer 
oder spanischer Sprache abgefaßt sein und ist bis zum 31. Decem- 
ber 1902 an den Generalsecretär der Akademie in Barcelona ein¬ 
zusenden. 

(Congreß für innere Me di ein.) Mit diesem Congresse, 
welcher, wie schon raitgetheilt wurde, vom 15.—18. April d. J. 
zu Wiesbaden stattfindet, ist eine Ausstellung von pharmaceu- 
tischen, chemischen u. s. w. Präparaten und von Instrumenten und 
Apparaten, soweit sie für die innere Medicin Interesse haben, ver¬ 
bunden. Anmeldungen zu dieser Ausstellung nimmt der ständige 
Secretär des Congresses Herr Geheimrath Dr. Emil Pfeiffer, Wies¬ 
baden, Parkstraße 13, entgegen. 

(Julius W o l f f f .) Einer der Begründer der orthopädischen 
Chirurgie und ihr mächtiger Förderer Prof. Julius Wolff, ist, wie 
bereits kurz gemeldet, am 20. Februar, 66 Jahre alt, in Berlin 
gestorben, wo er mehr als vier Decennien hindurch gewirkt. Sein 
Name ist für alle Zeiten mit dem von ihm aufgestellten und gegen 
zahlreiche Widersacher verfochtenen Gesetze der Tr a n s f o r m ati o n 
der Knochen verknüpft, welches, auf den histologischen Unter¬ 
suchungen H. v. Meyer’s aufgebaut, die functionelle Anpassung 


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435 


436 


1002. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 9. 


des Knochensystems an physiologische und pathologische statische 
Verhältnisse gegenüber der HüETER-VOLKMANN’schen Zug- und 
Drucktheorie propagirt. Den umfassenden Studien für die Aufstel¬ 
lung und Verteidigung des Transformationsgesetzes reihen sich 
zahlreiche Arbeiten an, von welchen jene über Osteoplastik, über 
Heilung der Knochenbrüche,, über Redressement des Buckels bei 
Spondylitis, über unblutige Einrenkung der angeborenen Hüftgelenks¬ 
verrenkung, Arthrolyse, Hüftgelenksresection, Orthopädie der De¬ 
formitäten (Klumpfuß, Genu valgum, Scoliose) durch Etappenverbände, 
über angeborene Flughautbildung, Ueberdachen großer Defecte her¬ 
vorgehoben werden mögen. — Erst 1890, in spätem Mannesalter, 
fand Wolff für seine wissenschaftliche Thätigkeit durch die Er¬ 
nennung zum Director der Universitäts Polikliuik für orthopädische 
Chirurgie officielle Anerkennung. Mit ihm ist ein trefflicher Lehrer, 
eine eminente wissenschaftliche Arbeitskraft geschieden. 

(Statistik.) Vom 16. bis inclusive 22. Februar 1902 wurden in 
den C i v i 1s pi t äler n Wiens 7497 Personen behandelt. Hievon wurden 1556 
entlassen; 171 sind gestorben (9 9% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 74, egypt. 
Augenentzündung —, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 7, Dysen¬ 
terie 1, Blattern — , Varicellen 156, Scharlach 92, Masern 378, Keuchhusten 67, 
Rothlauf 41, Wochenbettfieber 9, Rötheln 7, Mumps 21, Influenza 1, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 647 Personen gestorben 
(-f- 18 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind : In Wien der berühmte Afrika¬ 
reisende und Forscher Med. Dr. Emil Holüb, dem die Naturwissen¬ 
schaft die Sammlung und Sichtung eines großen Thatsachenmate- 
riales zu danken hat, 55 Jahre alt; in Prag der in weiten Kreisen 
hochgeehrte Oberstabsarzt Dr. Ignaz Rex im 80. Lebensjahre; in 
Törökbalint der Gemeindearzt Dr. L. Danis, 38 Jahre alt; in 
Moskau der hervorragende Pädiater Professor Dr. Nil Filatow 
im Alter von 59 Jahren. 


Der Gesammtauflage dieser Nummer liegt ein Prospect über die Wohl¬ 
fahrts-Einrichtungen des Wiener medicinischen Doctoren-Kollegiums bei, den 
wir der geneigten Beachtung unserer Leser empfehlen. 


Wiener Medicinisclies Doctoren-Collegium. 

Wissenschaftliche Versammlung. 

Montag den 3. März 1902, 7 Uhr Abends, 

im Sitzungssaals des Collegiums, I., Rothentliurmstraße 19 (van Swieteuliof). 

Vorsitz: Dr. P. Mittler. 

Programm: 

Doc. Dr. Ludwig Bhaün : Ueber „reflectorische Herzaffectionen“. 

Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 

Sitzung Donnerstag den 6. März 1902, 7 Ubr Abends, im Hörsaale der 
Klinik Schrötter. 

, Vorsitz: Hofratli Prof. v. Schrötter. 

Programm: 

I. Demonstrationen (angemeldet: Hofr. Prof. v. Scurötter, Assistent 
Dr. V. Czyhlarz, Doc. Dr. Spiegler, Assistent Dr. Fr. Vollbracht, Dr. Brik, 
Assistent Dr.SoRGo, Assistent Dr. Weinberger). 

II. Discussion über das Thema: Metamere Innervation der Haut. (Zum 
Worte gemeldet: Doc. Dr. H. Schlesinger,, Dr. A. v. Decastello.) 

III. Dr. Hugo Goldmann : Die Cachexia montana. 

Die nächsten Mitgliederwahlen finden am 20. März d. J. statt; An¬ 
meldungen zum Beitritte werden vom Präsidium und von den Secretären bis 
zum '13. März entgegengenommen. Das Präsidium. 


Neue Literatur. 

(Der Redaction zur Besprechung eingesandte Bücher.) 

R. Sommer, Beiträge zur psych. Klinik. Bd. 1, H. 1. Wien und Berlin 1902, 
Urban & Schwarzenberg. 

Anton Bum, Handbueh der Massage und Heilgymnastik. 3. Auflage. Wien 
und Berlin 1902, Urban & Schwarzenberg. 

M. Kittel, Die gichtisch-barnsauren Ablagerungen. 3. Auflage. Leipzig 1902, 
Benno Ko ne gen. 

Carl Waibel, Unfallgutachten. Wiesbaden 1902, J. F. Bergmann. — M. 8.—. 

Adamklewicz, Großhirnrinde als Organ der Seele. Wiesbaden 1902, J. F. 
Bergmann. 

J. Röpke, Berufskrankheiten des Ohres. Wiesbaden 1902, J. F. Bergmann. — 
M. 5.-, 

O. LÜbarsob,- Arbeiten ans der path.-anat. Abtheilnng des kön. byg. Institutes 
zu Posen. Wiesbaden 1901, J. F. Bergmann. — M. 9.—. 


E. Storch, Muskelfunction und Bewußtsein. Wiesbaden 1901, J. F. Bergmann. 
G. Futterer, Aetiologie des Carcinoms. Wiesbaden 1901, J. F. Bergmann. — 
M. 4.—. 

W. Mott, Pathologie des Nervensystems. Wiesbaden 1902, J. F. Bergmann. — 
M. 280. 

Friedrich Friedmann, Die Altersveränderungen und ihre Behandlung. Wien 
und Berlin 1902, Urban & Schwarzenberg. 

Kurelia H., Der neue Zolltarif und die Lebenshaltung des Arbeiters. Berlin 
1901, Julius Springer. 

Paul Steinberg, Der Doctortitel deutsch-amerikanischer Schwindelinstitute. 
Nürnberg 1902. 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 


Einzelne Nummern der ,Wr, Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
Postversendnng. Die Preise der Einbanddecken sind folgende: für die „Med. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
„Therapie der Gegenwart“: K 1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Post Versendung. 


Die llubrik; „Erledigungen, ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 


MB* Wir empfehlen diese Rubrik der speciellen Beachtung unserer 
geehrten Leser; in derselben werden öfters — neben der Publication von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auch für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein können, welche an eine 
Aenderung des Domiclls oder ihrer Verhältnisse nicht gedacht haben. 


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Schwellungen der Gelenke; 

Wunden, Contusionen u. Abschür¬ 
fungen ; Furunkeln, Karbunkeln, 
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zündungen der Lymphgefässe; 

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zündlichen Erosionen der Portio 
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Wien, den 9. März 1902. 


Nr. 10. 


XLIII. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart-Fonnat stark, Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik', letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse“ 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 


Wiener 


Abonneraentnpreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Militärärztlicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland : Jährl. 
20 A', halbj. io A‘, viertel]- 5 K - Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk., halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 A’; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder dereu Ranm 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein 
Sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien, I, Maximilianstr. 4. 


Medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Organ für praktische Aerzte. 

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Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


Bedactlon: Telephon Nr. 13.849. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Administration: Telephon Nr. 9104. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Warum recidiviren die Nasenpolypen? Von Doe. Dr.MAKCusHA.JEK. — Aus dem Leopoldstädter Kinder- 
spitale in Wien. Beitrag zur Xeroform-Therapie. Von Dr. G. Carl Pfeiffenbergeb, I. Secundararzt am genannten Krankenhause. — Die Therapie 
der Blennorrhoe mit Acidum nitricum. Anmerkungen zur modernen Trippertherapie. Von Dr. Moriz Porosz (Popper), Specialarzt für Harn- und 
Geschlechtskrankheiten in Budapest. — Referate. Buckston Browne (London): Aus meiner 25jährigen urologischen Praxis. — O. Rosf.nthai. 
(Berlin): Ueber Jododerma tuberosum fungoides. — Soxhi-et (München): Ueber Kindernährmittel. — L. Mohr (Frankfurt a. M.): Ueber Blutver¬ 
änderungen bei Vergiftungen mit Benzolkörpern. — Aus dem anatomischen Institut und der chirurgischen Klinik zu Marburg. Enderlen : Ein 
Beitrag zur Chirurgie des hinteren Mediastinums. — Thomayer (Prag): Ueber die Frühdiagnose der Lungentuberculosc. — ühlumsky (Krakau): 
Ueber die Behandlung inficirter Wunden und septischer Processe mit Carbolsäure. — Ludwig Pick (Wien): Ueber Hyperemesis gravidarum. — 
Arthur Hartmann (Berlin): Die Schwerhörigen in der Schule. — Krafft (Rostock): Ueber locale und allgemeine Schädigung infolge von Taxis¬ 
versuchen incarcerirter Hernien. — Traina (Pavia): Ueber das Verhalten der weißen Blutkörperchen bei der Cachexia strumipriva. — Kleine 
Mittbeilungen. Werth des Aderlasses bei Urämie. — „Puro.“ — Behandlung von Lumbago und Muskelrheumatismus. — Theinhardt’s lösliche 
Kindernahrung. — Bei Lungenblntungen. — Die dermatotberapentische Brauchbarkeit zweier Pyrogallusderivate (Lenigallol, Eugallol). — W'irkung 
des Morphins auf den Magen. — Ueber den Gebrauch des Jodip : ns zur Untersuchung der Motilität des Magens. — Literarische Anzeigen. 
Maladies du cuir chevelu. Par le Dr. R. Sabouraud. — Jahresbericht über die Fortschritte in der Lehre von den pathogenen Mikroorganismen, 
umfassend Bacterien, Pilze und Protozoen. Unter Mitwirkung von Fachgenossen bearbeitet und herausgegeben von Prof. P. v. Baumgarten und 
Prof. F. Tange. — Der Vomitus gravidarum perniciosus (Hyperemesis gravidarum). Von Dr. E. Dirmoser. — Feuilleton. Budapester Briefe. 
(Orig.-Corresp.) I. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. Wiener medicinisches Doctoren-Collegium. (Orig.-Ber.) — K. k. Gesellschaft der Aerzte 
in Wien, (Orig.-Ber.) — Notizen. Moriz Kaposi f. 1837— 1902. — Die österreichische Sanitätsverwaltung im Parlamente. — Nene Literatur. — 
Efngesendet. — Offene Correapondejjz der Redaction and Administration. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse“ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Warum recidiviren die Nasenpolypen? 

Von Doc. Dr. Marcus Hajek.*) 

M. H.! Die Nasenpolypen haben seit jeher ein beliebtes 
Object für die wissenschaftliche Forschung abgegeben. Es 
gibt nicht viele Themata in der medicinischen Literatur, über 
welche so viel wie über die Nasenpolypen geschrieben wurde, 
und ein einigermaßen auf Vollständigkeit Anspruch erhebendes 
Literaturverzeichniß würde Bände füllen. 

Die Nasenpolypen fesselten insbesondere wegen ihres 
eigentümlichen Aussehens, wegen ihrer gallertartigen, öde- 
matösen Beschaffenheit die Aufmerksamkeit des Beobachters, 
nicht minder wegen der zuweilen unglaublich schnell einge¬ 
tretenen Recidive derselben. Wegen dieses letzteren charakte¬ 
ristischen Verhaltens galten sie noch bis in die jüngste Zeit 
als Typus der sogenannten gutartigen recidiviren den Ge¬ 
schwülste und gelten als das in nichtrhinologischen Kreisen 
fast durchwegs auch noch heute. 

Ich habe aber die Nasenpolypen nicht nur deshalb, weil 
sie eine der häufigsten Nasenerkrankungen repräsentiren, zum 
Gegenstände meines heutigen Vortrages gewählt, sondern auch 
deshalb, weil in der jüngsten Entwickelung der Lehre über 
die Nasenpolypen sich der Einfluß der modernen rhinologi- 
schen Erforschung und Erkenntniß fast am ausgeprägtesten 
manifestirt. Es soll übrigens nicht geleugnet werden, daß die 


*) Vortrag, gehalten in der wissenschaftlichen Versammlung des Wiener 
medicinischen Doctorencollegiums am 3. Februar 1902. 


Alten , insbesonders die Chirurgen im abgelaufenen und im 
Beginne dieses Jahrhunderts manchen wichtigen Baustein 
zum gegenwärtig feststehenden Gebäude der Lehre über diese 
Geschwülste geliefert haben; aber jene wichtigen Arbeiten, 
durch welche die Fragen nach dem Wesen und nach den Ur¬ 
sachen der Recidive der Nasenpolypen als gelöst erscheinen, 
hat das letzte Decennium geliefert. Diese Fortschritte unserer 
Erkenntniß haben wir der modernen rhinologischen Technik, 
ferner der normalen und pathologischen Anatomie und Histo¬ 
logie zu verdanken. 

Sie müssen es mir erlassen, m. H., Ihnen hier über die 
Aetiologie und Morphologie der Nasenpolypen erschöpfende 
Mittheilungen zu machen. Ich will in Kürze hier nur so viel 
darüber vortragen, als mir nothwendig erscheint, um das 
hier zu erörternde Thema der Recidive der Nasenpolypen be¬ 
sprechen zu können. 

Durch zahlreiche Untersuchungen in den letzten Decen- 
nien ist festgestellt worden, daß der Nasenpolyp nichts 
anderes darstellt als das Product einer chroni¬ 
schen Entzündung der Nasenschleimhaut, wel¬ 
ches durch Oedem hochgradig erweicht und ver¬ 
ändert erscheint. Es ist also der Nasenpolyp 
nicht als eine Neubildung, wie man früher ge¬ 
glaubt hatte, sondern als eine ödematöse ent¬ 
zündliche Hypertrophie der Schleimhaut aufzu¬ 
fassen. Während man ferner den Nasenpolypen unter den 
Geschwülsten früher eine besondere Ausnahmestellung einge¬ 
räumt hatte, zeigte sich nunmehr, daß alles das, was als 
Hypertrophie, papilläre Hypertrophie und polypoide Hyper¬ 
trophie der Nasenmuscheln bezeichnet wird, dem Wesen nach 
vollkommen identische Gebilde darstellt, wenn dieselben sich 


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11)02. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 10. 


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auch in Bezug auf ihre Form und Consistenz sehr erheblich 
von einander unterscheiden. 

Es mag indessen für den nicht Eingeweihten im ersten 
Momente die Behauptung einigermaßen verblüffend erscheinen, 
daß eine breitbasige, gekörnte Scheimhauthypertrophie von 
fester Consistenz mit einer langgestielten, gallertig aassehen¬ 
den Geschwulst von glatter Oberfläche identisch sein solle, 
und doch verhält es sich in der Wirklichkeit so. 

Mit der mikroskopischen Anatomie, welche allmälig zur 
Klärung dieser Verhältnisse beigetragen hat, sind die Namen von 
zwei Heroen der medicinischen Wissenschaft des abgelaufenen 
Jahrhunderts innig verknüpft: die Namen von v. Frerichs und 
Billroth. Ersterer zeigte in seiner Inaugural-Dissertation, 
daß das Epithel des Nasenpolypen dem Epithel des Mutter¬ 
bodens, also der Nasenschleimhaut entspricht, während Billroth 
zum erstenmale eine genaue Histologie des Nasenpolypen ent¬ 
warf, in welcher er betonte, daß der Polyp in allen seinen 
Theilen eine wahre Hypertrophie der Schleimhaut des Mutter¬ 
bodens darstelle. 

Zcckerkandl , dem wir in der Anatomie der Nase so 
viel verdanken, hat uns des weiteren gelehrt, wie verschie¬ 
dene Charaktere die Nasenschleimhaut in den verschiedenen 
Theilen der Nasenhöhle aufweist. Während die Muskelcon- 
vexitäten von einer consistenten, gefäßreichen, festgefügten 
Schleimhaut umgeben sind, ist die Schleimhaut in den Nasen¬ 
gängen, besonders aber in dem mittleren und oberen Nasen- 
gaDge von äußerst zarter Beschaffenheit. Die ganze Schleim¬ 
haut besteht an den letzterwähnten Gebieten aus Flimmer¬ 
epithel und ein paar locker gewebten Fibrillen. Gleichzeitig 
fungirt diese dünne Membran auch als Periost, weshalb sie 
auch als muco-periostaler Ueberzug bezeichnet wird. Dieses 
Gewebe wird bei einer entzündlichen Veränderung, da die 
Maschen desselben locker gewebt sind, leicht ödematös, her¬ 
vorragend, während die fester gefügten Muschelüberzüge auf 
die entzündlichen Reize hin nur mit einer diffusen Schwellung 
reagiren. Diese verschiedene Form der Reaction verschieden 
gebauter Schleimhautpartien hat durchaus nichts Befremdendes 
an sich, wenn wir uns daran erinnern, daß überall am mensch¬ 
lichen Körper die Form der Schwellung — ob glatt oder 
höckerig, ob circumscript oder diffus — von der Anordnung 
und Ausdehnung der interstitiellen Substanz abhängig ist. 

Diese von Zuckerkandl auf anatomischer Grundlage ge¬ 
wonnenen Deductionen stimmen vollkommen mit meinen am 
Lebenden gesammelten Erfahrungen überein, denn ich habe 
sehr häufig gesehen, daß die erwähnten, zart gebauten Schleim¬ 
hautstellen auf jeden intensiven Reiz mit öderaatöser Schwel¬ 
lung reagiren. Gelegentlich der aus den verschiedensten 
Gründen vorgenommenen operativen Eingriffe in der Gegend der 
mittleren Muschel und des mittleren Nasenganges beobachteten 
wir, daß die hierselbst auftretenden reactiven Schwellungen 
der Schleimhaut immer ödematöser Natur sind. Ganz beson¬ 
ders belehrend ist in dieser Beziehung das Verhalten des 
Restes der mittleren Nasenmuschel, wenn ein Theil der 
letzteren mittelst Schlinge oder Curette entfernt worden ist. 
Während die äußere Partie der Muschel, an welcher die 
Schleimhaut festgefügt ist, auch bei der reactiven Schwellung 
roth und derb aussieht, nimmt die concave Schleimhautfläche 
einen ödematösen Charakter an. Die Schwellung ist an der 
letzterwähnten Stelle nicht selten so intensiv, daß die ganze 
obere Partie des mittleren Nasenganges davon verlegt wird. 
Dieselbe Beobachtung habe ich häufig an der Innenbekleidung 
der Siebbeinzellen machen können, wenn dieselben aus irgend 
einem Grunde eröffnet werden mußten. 

Wem nun dieses Verhalten einzelner Schleimhautbezirke 
der Nasenschleimhaut geläufig ist, dem wird es nicht schwer 
fallen, die Entwickelung herabhängender, gestielter Ge¬ 
schwülste, wie es die Nasenpolypen zumeist sind, zu be 
greifen. Der mittlere Nasengang, aus welchem die Nasen¬ 
polypen in der Regel entspringen, ist dicht besäet mit kantigen 
Vorsprüngen, von welchen die ödematösen Schleimhautfalten, 


weil auf einer schmalen Basis aufsitzend, leicht abknicken und 
infolge der Stauung an der Insertionsstelle noch hochgradiger 
ödematös werden. Bedenkt man noch des weiteren, daß die 
Insertionsstellen infolge der engen Spalten und Oeffnungen, 
in denen die Polypen sich ausbreiten, leicht durch die Um¬ 
gebung verengt werden, dann wird es erst recht begreiflich, 
daß für die weitere Stauung und Bildung eines hochgradigen 
chronischen Oedems ausreichende Gelegenheit geboten ist. 

Nach diesen einleitenden Bemerkungen, welche, wie ich 
glaube, geeignet sind, die Art der Entwickelung der Nasen¬ 
polypen verständlich zu machen, will ich nunmehr auf das 
eigentliche Thema meines Vortrages, auf die Ursache der 
Recidive der Nasenpolypen, eingehen. 

Die Vorstellungen über die Ursache der Recidive der 
Nasenpolypen haben im Laufe der Zeiten mannigfache Wand¬ 
lungen durrhgemacht, je nach der Ursache, welche man der 
Entstehung der Nasenpolypen supponirte. Bald wurde die 
Polypenrecidive einer nicht zu behebenden polypösen Disposi¬ 
tion , bald einer Erkrankung des Blutes, bald einer gichti¬ 
schen oder einer anderen Diathese zugeschrieben; von einigen 
Autoren wurde das Auftreten von Nasenpolypen als Aus¬ 
druck einer allgemeinen Degeneration u. dgl. m. hingestellt. 

Wie bereits früher erwähnt wurde, sind die Nasen¬ 
polypen bis in die neueste Zeit von den Chirurgen durchwegs 
als der Typus der recidivirenden gutartigen Geschwülste be¬ 
zeichnet worden, und da es vor einigen Jahrzehnten noch 
keine Rhinologen gegeben hat und dementsprechend die 
Chirurgen auch dieses Gebiet allein beherrschten, verlohnt es 
sich der Mühe, zu untersuchen, warum die Chirurgen nach 
ihrer Erfahrung zur Annahme gelangen mußten, daß die 
Polypen recidiviren. 

Die Chirurgen haben bei dem Mangel einer künstlichen 
Beleuchtung nur sehr geringen Einblick in die Nasenhöhle 
erhalten, und diejenigen Geschwülste, welche sie mit freiem 
Auge sehen konnte, mittelst Kornzangö öder eines ähnlichen 
Instrumentes entfernt. Jedermann, der heute gewohnt ist, 
mittelst der künstlichen Beleuchtung zu rhinoskopiren, wird 
ohneweiters und mit Recht sagen können, daß eine gründ¬ 
liche Entfernung der Nasenpolypen ohne künstliche Beleuch¬ 
tung einfach gar nicht möglich ist, daß somit die Recidive 
bei Polypenbildung unter solchen Umständen nothwendiger 
Weise eintreten mußte, weil es a priori ausgeschlossen war, 
daß sämmtliche Polypen auch wirklich entfernt wurden. Viele 
Chirurgen sprachen zwar die Meinung aus, daß die Polypen 
deshalb recidiviren, weil man den Stiel gewöhnlich nicht zu 
entfernen vermag und deshalb der Polypenstiel von neuem 
den Polypenkörper producire, und deshalb finden wir auch 
bei mehreren Autoren die Forderung, den Polypen samrat 
seinem Stiele und Knochenansatze zu entfernen, weil nach 
diesem Vorgehen die Nasenpolypen weniger häufig recidiviren. 

So richtig auch diese Erklärung für viele Fälle ist und 
von dem tüchtigen und praktischen Sinne der Chirurgen 
Zeugniß gibt, so war dennoch diese Erklärung nicht über 
die Bedeutung einer Vermuthung hinausgekommen, weil ihnen 
bei dem Mangel verläßlicher Untersuchungsmethoden und 
anatomischer Kenntnisse die Mittel zum Beweise der Richtig¬ 
keit ihrer Annahme fehlten. Die Richtigkeit der angeführten 
Vermuthungen zu beweisen, ist erst der modernen Rhino- 
skopie mit Hilfe der anatomischen Fortschritte gelungen. 

Da waren cs nun wiederum in erster Linie die Sections- 
befunde Emil Zuckerkandl’s, welche uns über die Ursprungs¬ 
stelle der Nasenpolypen wichtige Aufklärungen brachten. Er 
bewies, was wir jetzt auch vermittelst unserer verbesserten 
rhinoskopischen Untersuchungsmethoden bestätigen können, 
daß die Nasenpolypen in der großen Mehrzahl 
der Fälle in den Buchten des mittleren Nasen¬ 
ganges, im Hiatus, am Infundibulum und an den 
(Jstien der Nebenhöhlen ihren Ursprung nehmen, 
also in einem Gebiete, welches für unsere zur Entfernung 
der Nasenpolypen bestimmten Instrumente nicht so ohneweiters 


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zugänglich ist. Selbst wenn wir mit Hilfe der vorderen und 
hinteren Rhinoskopie alle sichtbaren Nasenpolypen entfernt 
haben, ist es fast mit Sicherheit anzunehmen, daß, trotzdem 
in den tieferen Spalten noch immer chronisch entzündete 
Schleimhautstellen vorhanden sind, welche, wenn sie belassen 
werden, im Laufe der Zeit wegen der eingangs erwähnten 
Gründe unbedingt zu ödematösen Geschwülsten heranwachsen 
müssen. 

Aus dieser Erkenntniß schöpfend, hat sich die Methode 
der Polypenoperation wesentlich geändert, denn in den meisten 
Fällen von multipler Polypenbildung ist die Entfernung 
der in den Nasengängen sichtbaren Polypen nur 
die Einleitung zur Behandlung, das Wesent¬ 
lichste der Therapie ist die Ausrottung ihrer 
Ansätze. Es muß unsere Aufmerksamkeit dahin gerichtet 
sein, durch die Freilegung der Polypeninsertionen die ge- 
sammte erkrankte Schleimhaut zu entfernen. Jeder erfahrene 
Rhinologe weiß heutzutage, daß in einer ganzen Anzahl von 
Fällen die Resection der mittleren Nasenmuschel, manchmal sogar 
noch weiterer Theile des Siebbeins unumgänglich nothwendig 
wird, um sämmtliche erkrankten Schleimhautpartien zu ent¬ 
fernen. Es ist leider im Rahmen eines Vortrages für die Casuistik 
wenig Raum vorhanden, weshalb ich es mir versagen muß, 
an Beispielen zu illustriren, wie jahrelang fortbehandelte 
Fälle von Nasenpolypen, welche wieder und immer wieder 
recidivirten, nach der geschilderten Methode der Behandlung 
dennoch schließlich dauernd geheilt wurden. 

Die beschriebene Behandlungsmethode reicht aber durchaus 
nicht für alle Fälle aus, sondern bewährt sich nur in einer 
einzigen Kategorie von Fällen. Denn in den bisher discutirten 
Fällen haben wir angenommen, daß irgend eine Ursache 
einmal einen entzündlichen Zustand an dem Siebbeinüberzug 
gesetzt hat, welcher zur Polypenbildung geführt hat. Hiebei 
haben wir des weiteren angenommen, daß, wenn die gesammte 
erkrankte Schleimhaut entfernt worden war, die Krankheit 
aufgehört hat, alles das aber unter einer Voraussetzung, und 
diese war, daß keine weitere entzündungserregende Ursache 
bei der Erkrankung eingewirkt hat. 

Obwohl wir nun in der Mehrzahl der Fälle den Charakter 
des jeweilig zu beschuldigenden Entzündungsreizes gar nicht 
kennen, wissen wir heute doch mindestens so viel, daß diese 
Ursache in vielen Fällen auch nach gründlichster Entfernung 
aller Polypen und ihrer Insertionen weiter fortbesteht und 
von neuem die Polypenbildung zur Folge hat. 

Eine derartig fortdauernde Ursache ist zu¬ 
meist in Eiterungen der Nebenhöhlen, besonders 
in der Eiterung der Kieferhöhle und des Sieb¬ 
beinlabyrinthes gegeben. Der Erkenntniß der latenten 
Empyeme der Nebenhöhlen der Nase haben wir es zu ver¬ 
danken, daß eine gewiß nicht unbeträchtliche Anzahl von 
Patienten, welche in früherem Zeiten verdammt waren, zeit¬ 
lebens sich wegen ihrer Polypen operiren zu lassen, ohne je 
davon befreit werden zu können, heutzutage davon mit 
Sicherheit, und zwar in relativ kurzer Zeit befreit werden 
können. Der Eiter der Nebenhöhlen fördert in der Weise 
die Recidive der Nasenpolypen, daß er fortwährend gewisse 
Partien der Schleimhaut bespült und dadurch entzündungs¬ 
erregend wirkt, oder — was noch wahrscheinlicher ist — daß 
die Entzündung der Kieferhöhlen, bezw. der Siebbeinlabyrinth¬ 
schleimhaut durch die entfernten Ostien per continuitatem auf 
die Schleimhaut der Nase übergeht. 

Wie diese fortschreitende Erkenntniß der Nebenhöhlen- 
affectionen die Recidive der Nasenpolypen vermindert hat, 
illustrirt unter Anderem folgendes meiner Praxis entlehnte 
Beispiel zur Genüge: Ich habe vom Jahre 1891 bis zum 
Jahre 1894, also im Laufe von 4 Jahren, 7 Fälle von Nasen¬ 
polypen , welche mit Empyem der Nebenhöhlen combinirt 
waren, zusammengestellt, Fälle von Polypenbildung, welche 
bis dahin alljährlich zu wiederholten malen operirt worden 
waren. Die Erkrankung dauerte in den herangezogenen Fällen 


schon 8—15 Jahre. In 6 Fällen war die Kieferhöhle, in einem 
Falle nur das Siebbeinlabyrinth an dem Empyem betheiligt, 
in 2 Fällen war das Kieferhöhlenempyem doppelseitig. Sämmt¬ 
liche 7 Fälle sind, seit die radicale Operation der Polypen 
mit der Behandlung des Nebenhöhlenempyems verbunden 
worden war, also zumindest seit 8 Jahren, recidivfrei geblieben. 
Ich habe seither in zahlreichen anderen Fällen die Abhängig¬ 
keit der Nasenpolypen von einem Nebenhöhlenempyem con- 
statiren können, doch verfüge ich bei den später behandelten 
Fällen naturgemäß noch nicht über eine so lange recidivfreie 
Zeit wie in den erwähnten 7 Fällen, da der seither ver¬ 
strichene Zeitraum kürzer ist. 

Es ist ganz merkwürdig, daß, obwohl die Abhängigkeit 
der Nasenpolypen von Nebenhöhleneiterungen gewöhnlich als 
eine Errungenschaft der modernen Rhinologie angesprochen 
wird, doch schon im 18. Jahrhundert deutliche Angabe über 
einen solchen Zusammenhang beider Erkrankungen vorliegen. 
Heymann führt in seinem ausführlichen Literaturverzeichnisse 
über die Nasenpolypen Wepfne (1727) und Johann Gottlieb 
Süss (1748) an, welche ganz klar auf Grund von Obductions- 
befunden behauptet hatten, daß die vorhandenen Nasenpolypen 
von dem Kieferhöhlenempyem abhängig seien. 

In neuerer Zeit haben besonders Bai er und Grün wald 
diesen Connex wieder hervorgehoben. Die ursprüngliche Ver¬ 
allgemeinerung seitens Grünwald’s, daß Nasenpolypen geradezu 
pathognomonisch für Nebenhöhlenaffectionen seien, ist von 
den meisten modernen Rhinologen erheblich eingeschränkt, da 
es außer allem Zweifel steht, daß Nasenpolypen häufig genug 
auch bei Fehlen jeglicher Nebenhöhlenerkrankung auftreten. 

'Es gibt aber auch Fälle von inveterirter Polypenbildung, 
in welchen man trotz Abwesenheit von Empyem der Neben¬ 
höhlen und gründlichster Entfernung aller krankhaft ver¬ 
änderten Schleimhaut keine Ruhe für die Dauer zu schaffen 
vermag. Mitten in dem narbigen Gewebe oder unmittelbar 
daneben schießen neue Polypen oder polypöse Wucherungen 
: aüf. In diesen Fällen zeigt die Erfahrung, daß eine wirklich 
gründliche Heilung nur vermittelst Entfernung der knöchernen 
Grundlage der Polypen erzielt werden kann. 

Die Beobachtung, daß inveterirte Nasenpolypen nach 
der Extraction ihrer knöchernen Basis weniger leicht recidi- 
viren, rührt, wie ich bereits an anderer Stelle hervorgehoben 
habe, von den Chirurgen her. Sie führten diesen Effect auf 
die Entfernung des Stieles zurück und hielten zu diesem 
Zwecke die Entfernung der knöchernen Ansätze für unver¬ 
meidlich. Es ist eigentlich zu verwundern, wie sie ohne aus¬ 
reichende Untersuchungsmethoden und ohne Kenntniß der 
pathologisch-anatomischen Verhältnisse zu einer Anschauung 
gelangten, welche die modernen Rhinologen erst nach viel¬ 
fachen Discussionen erzielen konnten. 

Die Lehre von den Beziehungen des knöchernen Sieb¬ 
beins zu den Nasenpolypen war bis vor wenigen Jahren eines 
der umstrittensten Capitel der Rhinologie. Der Engländer 
Woaks war der erste, welcher behauptete, daß die Polypen 
nicht einer primären Entzündung der Schleimhaut, sondern 
einer primären Erkrankung des Siebbeinknochens ihren 
Ursprung verdanken. Er benannte diese Knochenerkrankung 
„Necrosing ethmoiditis“. Die Lehre von Woaks wurde 
aber mit berechtigtem Mißtrauen aufgenommen, weil er weder 
klinisch, noch anatomisch zwingende Gründe für diese merk¬ 
würdige Ansicht beibringen konnte. Diese ganze Lehre war 
in ein mystisches Dunkel gehüllt, bis Zuckerkandl zuerst 
nachwies, daß die Oberfläche des Siebbeinknochens an der 
Ursprungsstelle der Polypen des öfteren Osteophyten zeigt. 
Diese Osteophyten sind aber durchaus nicht die primäre 
Ursache, sondern die secundäre Folge der Polypen, da die 
Entzündung bei der polypösen Wucherung stets von der 
Oberfläche ausgeht und nur später allmälig tiefergreifend 
die periostalen Schichten erreicht und hier zur Bildung zarter 
Osteophyten führt, welche auf Druck verminderte Resistenz 
zeigen und daher leicht brechen. 


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Ich selbst habe dann diese Frage in einer meiner Haupt¬ 
arbeiten einem systematischen Studium unterzogen und, wie 
ich glaube, auf Grund von mikroskopischen Untersuchungen 
der Lösung zugeführt, und habe gezeigt, daß auch zum 
Verständnisse dieser complicirten Verhältnisse die Kenntniß 
der normalen Structur des Gewebes conditio sine qua non ist. 

Gestatten Sie mir vorerst das Wichtigste über die 
normalen anatomischen Verhältnisse der Schleimhaut zum 
Siebbeinknochen zu erwähnen, weil diese Kenntniß das Ver- 
ständniß der pathologischen Verhältnisse wesentlich erleichtert. 

Wenn man einen Siebbeinknochen entkalkt und im Zu¬ 
sammenhänge mit der Schleimhaut schneidet, so zeigt die 
mikroskopische Untersuchung eine höchst intime Ver¬ 
bindung zwischen Schleimhaut und Knochen. Die 
dünne und lockere Beschaffenheit des Siebbeinüberzuges ist 
durch die früheren Publicationen Zuckerkandl’s bekannt 
gewesen, daß jedoch die Schleimhaut mit ihrer tieferen 
Schichte ununterbrochen in die Markzwischenräume des höchst 
spongiösen Siebbeinknochens übergeht, habe ich zum ersten- 
male gezeigt. 

Infolge dieses eigenartigen Baues des Siebbeinknochens 
kommen auch unter pathologischen Verhältnissen eigenthiim- 
liche Befunde zustande. Solange die Entzündung nur in den 
oberflächlichsten Schichten platzgreift, ist nichts Auffälliges 
wahrzunehmen. Sobald aber der Entzündungsproceß tiefer 
greift, werden auch die interspongiösen Räume des Siebbein¬ 
knochens mit zelligem Infiltrate erfüllt, und es bildet dann 
der Entzündungsherd von der subepithelialen Schichte der 
Mucosa bis in die tieferen Markräume des Knochens hinein 
ein ununterbrochenes Continuum. Ja, in vielen Fällen über¬ 
geht die Entzündung allenthalben auf die periostale Schichte 
des Knochens und gibt Veranlassung zu jenen hyperplastischen 
Knochenveränderungen, als deren Ergebniß die Osteophyten 
zu bezeichnen sind. Nur nebenher möchte ich bemerken, daß 
in veralteten Fällen auch rareficirende Knochenveränderungen 
Vorkommen, wodurch Theile der Knochenbalken resorbirt 
werden. 

Untersucht man nun die Nasenpolypen im Zusammen¬ 
hänge mit dem Knochen, an welchem sie inseriren, so findet 
man, daß die Entzündung immer von der subepithelialen 
Schichte beginnt und von hier aus allmälig tiefer und tiefer 
greift, in manchen Fällen bis in die Markräume, bis zu den 
Knochenbälkchen, an welch letzteren wir dann verschieden- 
gradigen hyperplastischen und rareficirenden Knochenverände¬ 
rungen begegnen können. Constant ist immer die ober¬ 
flächliche Entzündung, inconstant die tiefe Ent¬ 
zündung. Es gibt keine Beobachtung, welche zeigen würde, 
daß eine tiefe Entzündung allein vorhanden gewesen wäre, 
woraus folgt, daß der Polyp immer mit einer Entzündung 
von der Oberfläche her beginnt und nicht umgekehrt. 

Man sollte glauben, daß ein derartig constanter Befund 
ein- für allemal der speculativen Erörterung, nach welcher 
der Knochen das primär, die Schleimhaut das secundär er¬ 
krankte Gebiet sei, den Boden entziehen müßte. Weit gefehlt! 
Cordes, der in der Nacharbeitung des erwähnten Themas 
Punkt für Punkt meine Befunde bestätigt, versucht dennoch, 
der Polypenbildung eine primäre Knochenerkrankung als 
Aetiologon zu supponiren. Eine Discussion über diese An¬ 
schauung an diesem Orte würde mich zu weit führen, und 
werde ich meinen Standpunkt in dieser Frage in dem 
B. FRAENKEL’schen Archiv für Laryngologie im Detail prä- 
cisiren. 

Was haben nun die erwähnten anatomischen und patho¬ 
logisch-anatomischen Verhältnisse mit der Lehre von der 
Recidive der Nasenpolypen zu thun ? Die Dinge hängen 
folgendermaßen zusammen: 

Das Bild der tiefen Entzündung mit den von entzünd¬ 
lichem Infiltrat erfüllten Markräumen und mit dem wuchern¬ 
den Periost ist ein anatomisches Bild, welches uns in der 
ungezwungensten Weise erklärt, warum manche Polypen der 


Nasenschleimhaut trotz der gründlichsten Entfernung alles 
krankhaften Gewebes dennoch recidiviren: Wir können 
eben mit der Schleimhaut nicht auch gleich¬ 
zeitig das Infiltrat der Markräume mitentfernen. 
Selbst bei gründlichster Entfernung aller Weichtheile bleibt 
eine durch und durch infütrirte Marksubstanz übrig, welche 
allen äußeren Schädlichkeiten, insbesondere aber der die 
Rhinitis erzeugenden Ursache gegenüber als Locus minoris 
resistentiae aufzufassen ist. Entsteht bei irgend einer Gelegen¬ 
heit eine acute Entzündung des Infiltrates der erwähnten 
Markräume, so wird das geschwellte und ödematös gewordene 
Markgewebe nach der freien Oberfläche vorquellen und zur 
neuerlichen Entwickelung von Nasenpolypen Veranlassung 
geben. Darum bleibt bei Betheiligung der Markräume durch 
das entzündliche Infiltrat nichts anderes übrig, als auch das 
entzündlich infiltrirte Markgewebe mit zu entfernen, was aber 
ohne gleichzeitige Mitentfernung des umgebenden Knochen¬ 
gerüstes nicht möglich ist. In das Praktische übersetzt, heißt 
das so viel, daß man in gewissen Fällen der Recidive der 
Nasenpolypen nur dann Einhalt gebieten kann, wenn man 
die knöcherne Grundlage der Polypen mitentfernt, also das¬ 
jenige thut, was einzelne Chirurgen schon vorher gethan 
haben. 

Resumire ich nun noch einmal ganz kurz das Ergebniß 
der Untersuchungen, so wird die Antwort auf die eingangs 
gestellte Frage „Warum recidiviren Nasenpolypen ?“ folgen¬ 
dermaßen lauten: 

1. Weil gewöhnlich nicht sämmtliche Po¬ 
lypen und die einzelnen Polypen nicht im ganzen 
entfernt werden. 

2. Weil man das Empyem, welches für die 
Entwickelung der Polypen die entzündliche 
Ursache abgibt, übersieht. 

3. Weil das Knochenmark und das Periost, 
aus welchen die Polypen ihren Ursprung nehmen, 
miterkrankt sind und aus dem übrig bleibenden 
zelligen Infiltrate der Markräume neue Polypen 
sich entwickeln. 


Aus dem Leopoldstädter Kinderspitale in Wien. 

Beitrag zur Xeroform-Therapie. 

Von Dr. G. Carl Pfeiffenberger, 1. Secundararzt am genannten 

Krankenhause. 

Die langjährigen Erfahrungen meines Vaters, des prakt. 
Arztes L. Pfeiffenberger , und meine eigenen mehrjährigen 
Beobachtungen in Hospitälern bestätigten die schon früher ge¬ 
machten Angaben, daß das Xeroform alle günstigen Eigen¬ 
schaften des Jodoforms vereint, ohne dessen Nachtheile zu 
haben. Uebereinstimmend ergaben unsere Beobachtungen, daß 
dem Xeroform in der Wundbehandlung der Vorzug vor ver¬ 
schiedenen anderen Mitteln gebührt. Ueberall da, wo man eines 
Antisepticums, reizlosen, eines secretionsbeschrankenden Deck¬ 
mittels und schmerzlindernden Verbandmittels benöthigte, 
machten wir mit Xeroform gute Erfahrungen, außer bei chirur¬ 
gischen Fällen auch bei verschiedenen anderen Erkrankungen, 
speciell der Haut. So erzielte ich sehr zufriedenstellende Erfolge 
in einer ganzen Reihe von Fällen von schweren, chronischen 
Ekzemen und bei Verbrennungen verschiedenen 
Grades. Bei letzteren trat sehr bemerkenswerth die schmerz¬ 
lindernde Wirkung zutage und die auffallend rasche und 
glatte Abheilung der Brandwunde. Die schmerzlindernde 
Wirkung zeigte sich eclatant an einem Kinde, das mit aus¬ 
gedehnten Verbrühungen zweiten Grades gebracht wurde. Das 
Kind wimmerte erbärmlich und krümmte sich vor Schmerzen. 
Die Blasen waren durchwegs geplatzt und die bloßliegenden 
Hautschichten starrten von einer — Salzkruste. Nach rascher 
Entfernung dieses radicalen Mittels wurde die ganze Partie 


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mit Xeroform bestreut. In wenigen Minuten beruhigte sich 
das Kind; es war von seinen Schmerzen befreit. 

Bei einer anderen Verbrennung dritten Grades am Unter¬ 
schenkel war der Befund und Verlauf folgender: Acht Tage 
nach dem Unfälle zur Beobachtung ins Leopoldstädter Kinder¬ 
spital gekommen, war die ganze betroffene Partie von 
schwarzen Fetzen, mißfarbigen Borken und jauchigem Secret 
bedeckt. Nach ausgiebiger Reinigung wurde ein Verband mit 
essigsaurer Thonerde angelegt, der aber bereits nach wenigen 
Stunden von äußerst übelriechendem Secret durchtränkt war. 
Der Verband wurde erneuert, zuvor aber die ganze Partie mit 
Xeroform dünn bestreut und das von nun an stets. Die 
Secretion verringerte sich rasch, und es trat keine übel¬ 
riechende Zersetzung mehr auf. Nach Abstoßung aller 
nekrotischen Partien stellten sich bald recht hübsche kräftige 
Granulationen ein, die nun mit Xeroform weiter bestreut 
wurden aber statt der essigsauren Thonerde Borsalbeverband 
erhielten. Die fast die ganze Unterschenkelvorderflä3he be¬ 
deckende Wundfläche wurde unter Narkose zweimal gethierscht. 
Sämmtliche Läppchen heilten unter Xeroform verband fehlerlos 
an und brachten so die ursprünglich recht übel aussehende 
Verbrennung in verhältnißmäßig kurzer Zeit zur vollständigen 
Heilung. 

Bei Verbrennungen war die Anwendungsweise im allge¬ 
meinen folgende: Im frischen und noch entzündlichen Stadium 
wurde die ganze Verbrennungsfläche dünn mit Xeroform bestreut 
und mit essigsaurer Thonerde verbunden. Im weiteren Stadium, 
wenn sich die Wundflächen gereinigt, eventuell nekrotische 
Partien abgestoßen hatten, erfolgte nebst der Bestreuung 
zumeist Borsalben verband. Durchwegs wurde damit rasche und 
glatte Heilung erzielt, respective frühzeitig die Möglichkeit 
der Transplantation geschaffen. 

Die secretionsvermindernde, beziehungsweise 
desodorisirende Wirkung des Xeroforms habe ich in 
vielen Fällen als angenehm empfunden, besonders bei lang¬ 
dauernden Wundprocessen. Ich erwähne nur zwei Fälle, die 
mir wegen ihres vielmonatliehen Verlaufes — ebenfalls im 
Leopoldstädter Kinderspitale beobachtet — noch frisch im 
Gedächtnisse haften. 

Beide betrafen Verletzungen schwerster Art, und zwar 
eine gräßliche Zermalmung und Zerreißung des rechten Unter¬ 
schenkels eines zweijährigen Knaben durch eine Dreschmaschine 
und eine fast vollständige Abschälung (der Haut und Weich- 
theile) des rechten Fußes mit Eröffnung einer Anzahl Fuß-, 
beziehungsweise Zehengelenke bei einem elfjährigen Knaben 
durch Ueberfahrenwerden. Da in beiden Fällen Amputation 
abgelehnt wurde, mußte die conservative Methode in Anwen¬ 
dung kommen. Leicht begreiflicher Weise entstanden infolge 
des langsamen Abstoßungsprocesses und der überreichlichen 
Wundsecretion und deren Zersetzung äußerst übelriechende 
Stoffe, Umstände, die die Behandlung für Arzt, Patienten und 
Umgebung äußerst unangenehm gestalteten. Nach dem vergeb¬ 
lichen Versuche, Secretion und Zersetzung mit den ver¬ 
schiedensten Mitteln — Jodoform mußte bei den ausgedehnten 
Wundflächen infolge Resorptionserscheinungen bald aufgegeben 
werden — einzuschränken, griff ich zum Xeroform und konnte 
vollauf zufrieden sein, da es nun endlich gelang, die Secretion 
bedeutend einzuschränken und die Bildung übelriechender Stoffe 
fast ganz hintanzuhalten. Dabei trat bald Wundreinigung und 
kräftige Granulation ein, die den langwierigen Knochenab- 
stoßungsproceß für den Kranken und dessen Umgebung 
wenigstens erträglich machten und spätere operative Eingriffe 
ermöglichten. Das Allgemeinbefinden beider Patienten stellte 
sich bald recht günstig und verblieb es durch die ganze Zeit 
der Behandlung. 

Bei einer Reihe von chronischen oder acuten, 
stark secernirenden Ekzemen leistete das Xeroform 
vorzügliche Dienste. Auffallend rasch tritt Secretionsver- 
minderung und Ueberhäutung der betroffenen Partien ein. 


Ich will nur einen Fall anführen, der ein äußerst hartnäckiges 
Leiden betraf. 

Ein lOjähriges Mädchen, anämisch, abgemagert, litt seit vier 
Jahren an einem schweren Kopfekzem, das jeder Therapie bisher 
getrotzt hatte; es war auch bereits Uber 2 Monate an einer derma¬ 
tologischen Klinik ohne Erfolg in Behandlung gewesen. Der da¬ 
malige Status praesens war folgender: Die ganze Kopfschwarte 
nebst den angrenzenden Hautpartien der Stirn- und Wangengegend, 
Ohren und Nacken bildeten eine mißfarbige granulirende und stark 
secernirende Wundfläche; von Haaren oder Haarbälgen war keine 
Spur zu sehen. Es bestand ziemlich hohes Fieber (bis zu 39 6°). Die 
zuerst eingeschlagene Therapie mit Unguentum diachylon mußte 
wegen der profusen Secretion uud daraus resultirender Socret- 
stauung verlassen werden. Es wurde nun die ganze Wundfläche 
mit Xeroform bestäubt und essigsaure Thonerde darüber applicirt. 
Diese Therapie beeinflußte deu Proceß so günstig, daß nach acht 
Tagen das Fieber vollständig schwand und die Secretion auffallend 
sich verminderte, so daß wieder mit Salbenverband begonnen 
werden konnte. Die Bestreuung mit Xeroform wurde fortgesetzt, 
weil sich bei versuchsweisem Aussetzen dann sogleich wieder 
stärkere Secretion und Mißfarbigwerden der Granulationen einstellte. 
Als Decksalbe wurde Borsalbe benutzt. Schon nach Ablauf der 
ersten 14 Tage konnte von den Rändern her Ueberhäutungstendenz 
bemerkt werden, die sich immer mehr ausbreitete. Nach 4 Wochen 
waren Stirn, Wangen, Nacken und Ohren bereits vollständig über¬ 
häutet, während die Wundfläche am Schädel sich gegen den Scheitel 
zu verkleinerte. Nur waren die überhäuteten Partien sehr empfind¬ 
lich und stießen sich noch einigemale ab. Ich versuchte deshalb 
wieder Diachylonsalbe als Decksalbe und zwar mit bestem Erfolg; es 
bildeten sich resistentere Epithelisirungen. Nach zweimonatlicher 
Behandlung waren nur noch zwei schmale Streifen über den Ohren 
ohne Epithelbedeckung, die anderen Partien glatt, glanzen 1, aber 
ohne eine Spur von Haaren. Dieser Umstand erschien ja erklärlich 
durch die Annahme, daß durch den jahrelangen Proceß die Haar¬ 
bälge vernichtet worden waren. Doch zu meiner Ueberraschung 
stellten sich im dritten Monate zuerst einzeln, dann immer dichter 
die Haare wieder ein, und zwar genau den Gang einhaltend wie 
die Ueberhäutung, vom Rande zum Centrum (Scheitel) fortschreitend. 

Nach allen diesen und zahlreichen anderen günstig be¬ 
einflußten Fällen kann das Xeroform als functionsbeschrän¬ 
kendes, desodorisirendes und schmerzlinderndes Mittel zur 
ausgedehntesten Verwendung gebracht werden, zumal unan¬ 
genehme oder giftige Erscheinungen dabei nicht beobachtet 
werden konnten. 

Die Therapie der Blennorrhoe mit Acidum 

nitricum. 

Anmerkungen zur modernen Trippertherapie. 

Von Dr. Moriz PorOBZ (Popper), Specialarzt für Harn- und 
Geschlechtskrankheiten in Budapest. 

Es ist eine auffallende Erscheinung, daß das Argentum 
nitricum trotz aller neuen und neuesten Antigonorrhoica seinen 
alten ehrenvollen Platz behauptet. 

Ich bin gewiß nicht dem Zeitgeiste und der theoretischen 
Auffassung entsprechend vorgegangen, als ich die Nachtheile 
des Argent. nitricum auf nicht theoretischer Basis und nicht 
mit Hilfe eines neuen Mittels, sondern mit den Vorzügen 
des Acidum nitricum zu ersetzen, bezw. zu mildern bestrebt 
war. Ein großer Nachtheil des Argent. nitr. ist nämlich, 
daß es in acuten und subacuten Fällen schon in schwacher 
Lösung (*/ 2 %) und in chronischen Fällen in concentrirterer 
Lösung (1—2—3%, auch 5%) brennende, intensive Schmerzen 
verursacht. 

Viele Fälle von chronischer Blennorrhoe sind eben diesen 
Schmerzen zuzuschreiben, denn viele Patienten, die sehr em¬ 
pfindlicher Natur sind und schon bei Anwendung einer 
schwächeren Lösung über heftige Schmerzen klagen, verzichten 

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lieber auf die weitere Behandlung der Blennorrhoe, als daß sie 
sich eine Zeit lang von solchen Schmerzen plagen lassen. Das 
Widerstreben im Spital liegender Patienten kann selbstver¬ 
ständlich sehr leicht gebrochen werden, doch in der Privat¬ 
praxis steckt die Empfindlichkeit des Patienten dem ärztlichen 
Eingreifen oft engere Grenzen, als es wünschenswerth erscheint. 

Unzählige Patienten verlieren infolge der Schmerzen, die 
nach der Behandlung mit einer Lapislösung auftreten, viel, 
manchmal auch einen halben Tag von ihrer Arbeitszeit. In¬ 
folge dessen war mein Streben dahin gerichtet, die Patienten 
nach Thunlichkeit von diesen Schmerzen zu verschonen. An¬ 
fangs habe ich den Versuch gemacht, die Einspritzung der 
Lapislösung in die Pars posterior der Harnröhre erst nach 
einer Anästhesirung derselben (3—5%ige Cocainlösung) vor¬ 
zunehmen. Abgesehen von der zweimaligen Instrumentenein¬ 
führung war der chemische Proceß, der durch die Argent. 
nitr.- und Cocainlösung hervorgerufen wird (Arg. CI), ein 
Hinderniß, das ich gerne vermieden gesehen hätte. Die An¬ 
wendung des Eucains konnte, da es auch ein Chlorid ist. auch 
nicht in Betracht gezogen werden. Den chemischen Proceß 
und die hervorgerufenen Veränderungen habe ich mit Auf¬ 
merksamkeit verfolgt und bin dadurch auf den Gedanken ge¬ 
kommen , daß das Argent. nitr. nur als Nitrat eine günstige 
Wirkung ausübt. Und in der That bildet nicht nur das 
Argent. nitr., sondern auch das Acid. nitr. mit dem Eiweiß 
einen Niederschlag. 

In einer Acid. nitr.-Lösung löst sich sowohl das Cocain, 
hydrochl., als auch das Eucain. hydrochl. sehr gut. Wenn also 
eine Acid. nitr.-Lösung, entsprechend der in einem Molecül- 
gewichte des Argent. nitr. befindlichen Acid. nitric.-Wurzel 
angefertigt wird, ist zu hoffen, daß die Wirkung der Lösung, 
der durch sie verursachte Schmerz, nicht größer sein wird, als 
er nach einer Einspritzung von Lapislösung war. Der dadurch 
verursachte Schmerz kann noch durch die darin aufgelösten 
Cocainsalze gemildert werden. 

In dem Molecülgewicht von einem Gramm Lapislösung 
(169'7) setzt sich nämlich das Molecülgewicht der Acid. nitric.- 
Wurzel (N0 3 ) aus Folgendem zusammen: 


N (Atomgewicht) ... 14 

0 3 . 3x16 == 48 

zusammen ... 62 


d. h. N0 3 ist etwa der dritte Theil des Argent. nitric. 
(169-7 : 62 = 2'8). 

Wenn wir also ein Gramm Acid. nitric. in drei Litern 
Wasser auf lösen, erhalten wir eine Lösung, die ungefähr 
einer Argent. nitr.-Lösung (1 %o) entspricht. 

Nachdem ich die Wirkung einer solch schwachen , mit 
Cocain vermengten Lösung auf meine Zunge, auf die Haut, 
auf flüssiges Eiweiß geprüft hatte, habe ich anfangs in den 
vorderen Theil der Harnröhre, später in die Pars posterior 
Einspritzungen vorgenommen. Da die erwarteten Schmerzen 
nicht in Erscheinung traten, habe ich das Cocain ausgelassen 
und die Concentration der Lösung langsam gehoben, bis ich 
endlich Acid. nitric. conc. 1 : 400 verschrieben habe. Das ist 
nun die schwächste Lösung, die ich benütze. Ich muß be¬ 
merken , daß das ungarische officinelle Acid. nitr. conc. nur 
56°/oig ist. so daß z. B. eine Acid. nitr.-Lösung 1 : 300 mit 
einer 3:300, d. h. einer l%igen Argent. nitr.-Lösung nicht 
identisch ist, sondern nur einer 0'5%igen Lösung entspricht. 

Mit dieser Lösung (1:3 — 400) habe ich die Patienten 
bei acuter Blennorrhoe die Einspritzungen (mit gewöhnlicher 
Tripperspritze) vornehmen lassen. Um die Apotheker aufmerk¬ 
sam zu machen, wäre es zu empfehlen, die Lösung folgender¬ 
maßen zu verschreiben: 


Kp. Acid. nitric. conc. puri gr. unum . . . (10)!!! 

Aqu*e dest. grt.3—400 

Mfd. Zum Einspritzen. 


Da diese Lösung nicht solch intensives Brennen und 
nicht so große Schmerzen verursacht wie die Lapislösung, 
schien es mir überflüssig, auch Cocain hinzuzufügen. 


Das Resultat war folgendes: 

Die ersten 1—2 Einspritzungen verursachen ein unbe¬ 
deutendes Brennen, ebenso wie die mit Zincum oder Plumbum 
acet.-Lösung. Die weiteren Einspritzungen haben absolut keine 
Empfindlichkeit zur Folge. Nach dem Aufhören der Empfind¬ 
lichkeit werden fünfmal täglich Einspritzungen vorgenommen, 
und zwar derart, daß die Lösung 1—2 Minuten in der Harn¬ 
röhre zurückbehalten wird. Nach 1—2 Tagen nimmt der Aus¬ 
fluß auffallend ab und ist schleimig, bei fünfmal vorgenom¬ 
menen Einspritzungen ist er wässerig, dünn und nicht mehr 
eiterig. Später kann der Ausfluß nur herausgedrückt werden 
und ist dichtschleimig. Der Urin, der früher dicht und trüb 
war, wird klar und nur einzelne Fasern zeigen sich in ihm. 

Nach einer längeren Zeit nimmt auch die Menge dieses 
dichten Ausflusses derart ab, daß nicht einmal die bekannten 
Bonjour-Tröpfchen herauszubringen sind und auch der Urin 
vollkommen klar ist. 

Können in dem dichten schleimigen Ausfluß noch Gono¬ 
kokken nachgewiesen werden, dann lasse ich eine noch concen- 
trirtere Lösung (1 : 200) benützen. Wenn sich dünner, seröser 
Ausfluß gezeigt hat und die Harnröhre empfindlich ist, greife 
ich zur Behandlung mit Adstringentien. 

In vielen Fällen verschwinden bei diesem Verfahren 
auch die Fasern vollkommen. Doch in einzelnen Fällen können 
sie ebenso wenig zum Verschwinden gebracht werden, wie durch 
das Einspritzen mit anderen Mitteln, bei denen diese Schwierig¬ 
keit nicht eingestanden wird. Die Fasern bestehen aus Schleim, 
Epithelial- und weniger Rundzellen (Eiterzellen). Gonokokken 
können aber nicht nachgewiesen werden. 

Bei dieser Behandlungsmethode heilt der Tripper nach 
2—3 Wochen. 

Uebergeht die Blennorrhoe auf die Pars posterior, sind 
die Einspritzungen in den hinteren Theil der Harnröhre in 
ähnlicher Weise fortzusetzen. Da sie aber nur einmal täglich 
vorgenoramen werden können, benütze ich eine concentrirtere 
Lösung. Mit einer y 2 %igen mache ich den Anfang und tiber¬ 
gehe langsam bis zu einer l%igen, sogar bis zu einer 2%igen. 
Die concentrirteren Lösungen bringe ich aber nicht täglich in 
Anwendung. 

Wenn eine 3—4malige Untersuchung nur einen nega¬ 
tiven Gonokokkenbefund nachweisen kann, spritze ich, bezw. 
lasse ich seltener einspritzen, bis ich nach einer Zeit succes- 
sive das Spritzen ganz einstelle. Während dieser Zeit treten 
die Gonokokken weder infolge eines vorgenommenen Coitus (mit 
Condom), noch einer eventuellen Pollution in Erscheinung. 

In einem Falle habe ich versucht, nachdem der Ausfluß 
und der Gonococcusinhalt geringer geworden, 2—3 Tage eine 
y 2 %ige Plumb. acet.-Lösung einspritzen zu lassen. Während 
dieser Behandlung ist die Menge des Ausflusses und die Zahl 
der Gonokokken bedeutend gestiegen. Nachdem das Acid. 
nitr. wieder in Anwendung gekommen ist, hat sowohl der 
Ausfluß, als auch die Gonokokkenmenge abgenommen und ist 
später ganz verschwunden. Ein anderesmal habe ich die Be¬ 
handlung mit einer y 2 °/oigen Plumbumlösung begonnen, unter 
deren Einwirkung der Ausfluß und die Gonokokkenmenge nur 
eine kleinere Abnahme zeigte als bei der Behandlung mit 
Acid. nitr. Bei der darauf folgenden Behandlung mit Acid. 
nitr. konnte man außer den bekannten Symptomen auffallend 
viel Epithelialzellen und in diesen viel Gonokokken finden. 

Die y 2 %ige Argent. nitr.-Lösung hingegen, welche ich 
einmal nach einer l%igen Acid. nitr.-Lösung in die Pars 
posterior einspritzte, verursachte zur auffallenden Ueber- 
raschung des Patienten heftige, brennende Schmerzen, die 
einige Stunden anhielten, während die verhältnißmäßig stärkere 
Acidum-Lösung von ganz unbedeutenden unangenehmen Folgen 
begleitet war. 

In jüngster Zeit habe ich bei 1—2 Patienten, die ihre 
Heilung beschleunigen wollten, versucht, schon bei der ersten 
Gelegenheit eine 2%ige Lösung in die Pars anterior einzu¬ 
spritzen. Auf diese Weise ist es mir auch in der That ge- 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 10. 


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lungen, ein rascheres Resultat zu erzielen. Die schon ge¬ 
schilderten einzelnen Stadien sind viel rascher eingetreten. 
Ich habe natürlich nur ein- oder zweimal eine so starke Ein- 

f ritzung gegeben, nach der der Patient in der geschilderten 
eise von der verdünnten (1:3—400) Lösung Gebrauch macht. 
Ich will im Acid. nitric. durchaus kein Specificura sehen. 
Es ist nicht das einzige Mittel, mit dem man Blennorrhoe 
heilen kann. 

Ich glaube, daß auch andere, mit Eiweiß Niederschlag 
bildende Mittel (Cupr. sulf., Chrom-, Pikrinsäure u. s. w.) die 
Heilung der Blennorrhoe in günstiger Weise beeinflussen. 
Wenn das Acid. nitric. auch nicht besser wäre als die bis¬ 
herigen Mittel, als das Argent. nitr., müßte dennoch zuge¬ 
geben werden, daß es letzteres vollkommen ersetzt, ohne die 
heftigen Schmerzen zur Folge zu haben. Ich benütze es schon 
seit mehr als drei Jahren und habe immer mehr Gelegenheit 
gehabt, mir von seinen guten Eigenschaften Ueberzeugung 
zu verschaffen, so daß ich das Argent. nitr. absolute ganz gut 
entbehren konnte. 

Wenn wir nun eine Parallele zwischen der Wirkung 
des Argent. nitr. und der des Acid. nitr. ziehen , finden wir 
Folgendes: 

Die Wirkung des Argent. nitr. besteht darin, daß ein 
chemischer Proceß eintritt, infolge dessen ein Silberoxyd- 
Albuminat entsteht und die frei gewordene Acid. nitric.-Wurzel 
(NOs) zu Salpetersäure, dann zu einem Nitrat-Albuminat 
wird. Dieser chemische Proceß ist mit einer gewissen Wärme¬ 
entwickelung verbunden und dies verursacht das brennende 
Gefühl. Die frei gewordene Salpetersäure bildet mit dem Ei¬ 
weiß eine constante Verbindung, gestocktes Eiweiß, überdies 
binden die niemals fehlenden Chloride einen Theil des Silbers 
in Form von Ag CI; daß das Silberoxyd-Albuminat keine 
constante Verbindung ist, ist auch schon daraus ersichtlich, 
daß der durch den Lapis hervorgerufene weiße Fleck unter 
der Lichteinwirkung schwarz, d. h. das Ag ausgeschieden 
wird. Was also eine Wirkung ausübt, ist nichts anderes als 
die Salpetersäure. Wenn also die Salpetersäure nicht im 
Wege eines chemischen Processes auf die Schleimhaut der 
Harnröhre gelangt, sondern als solches direct in die Harn¬ 
röhre eingeführt wird, bleibt das brennende Gefühl aus und 
die Wirkung ist dieselbe. 

Die gute Wirkung der Salpetersäure, die wir in der 
Praxis zu beobachten Gelegenheit haben, sehe ich darin, daß 
es die Zellen der Schleimhaut fixirt, stockt, welche durch die 
Gonokokken und ihre Toxine afficirt sind. Dadurch werden 
sie zur Aufnahme von Gonokokken ungeeignet, und wenn sie 
sich schon eingenistet haben, werden die Gonokokken dadurch 
eingeschlossen und ihr weiteres Fortleben unmöglich gemacht, 
wenn es auch die Gonokokken selbst nicht stockt. In der 
That zeigen sich nach den Einspritzungen mit Acid. nitr., 
namentlich zur Zeit des dichten schleimigen Ausflusses die 
Epithelialzellen in auffallend großer Menge. 

Unter diesen Epithelialzellen finden sich viele, deren 
Plasma von einer dichten Gonokokkenmasse ausgefüllt wird. 
Dabei nimmt die Zahl der Eiterzellen sehr ab, die Gruppe 
der in denselben befindlichen Gonokokken besteht aus weniger 
Individuen, aus weniger Paaren, so daß man vor dem völligen 
Verschwinden kaum 3—4 Paar in einer Eiterzelle und auch 
solche nur in 5—6 Gesichtsfeldern oder im ganzen Präparate 
1—2 sehen konnte. 

Ueberdies zeigt das Mikroskop auch lang gestrichene, 
dunkel gefärbte Schleimfetzen. 

Die bacteriologische Erfahrung zeigt aber auch, daß es 
bisher noch nicht gelungen ist, die meisten Mikroorganismen, 
namentlich aber die Gonokokken auf sauerer Basis zu züchten. 
Es ist nicht ausgeschlossen, daß das Acid. nitr. auf diesem 
Wege die Zahl der Gonokokken vermindert. 

Ob eine solche Säurelösung in die tieferen Schichten der 
Schleimhaut eindringt oder nicht, weiß ich nicht und trete 
dieser Frage auch nicht näher. Das ist im Allgemeinen auch 


bei Silberverbindungen, die in gelöstem Zustande bleiben, ganz 
problematisch. Wenn auch nach dem Diffusionsgesetz eine 
Diffusion durch die Schleimhaut in die tieferen Gewebe mög¬ 
lich wäre, was sehr zweifelhaft ist, wäre es auch dann eine 
physische Unmöglichkeit, daß das Medicament in die Harn- 
röhrenlacunen, welche Eiter und Schleim enthalten, eindringe. 

Die Tiefenwirkung ist auch bei solchen Mitteln nicht fest¬ 
gestellt , welche unter dem Namen gelöster und mit Eiweiß 
nicht stockender Silberverbindungen von den verschiedensten 
chemischen Fabriken in den Handel gebracht werden. Diese 
Mittel sind die Mißgeburt der gegen die Mikroorganismen 
gerichteten Epoche. 

Ein wesentlicher Irrthum besteht darin, daß man die 
guten Eigenschaften des Argent. nitr., namentlich seine bac- 
tericide Wirkung, dem Argent. zuschreibt. Darauf weisen 
Ckkde’s nachträglich vorgenommenen Versuche hin, welche er 
mit pulverisirtem Argent., bei Wunden und Geschwüren in 
Anwendung gebracht, vorgenommen hat. Er hat nämlich die 
Erfahrung gemacht, daß in solchen rascher heilenden Wunden 
und Geschwüren Argentum lacticum nachgewiesen werden 
kann. 

Legen wir andererseits einen Silberthaler in die Platt- 
cultur (Petrische Schale), so entwickeln sich in dem darüber 
gegossenen Nährmittel oberhalb des Thalers keine Keime. Das 
früher Gesagte beweist noch nicht, daß das Silber diese Wirkung 
hat. Es liefert vielmehr den Beweis, daß sich in der Wunde 
Milchsäure bildet. Das ist um so auffallender, da eben bei 
Eiterung, Transsudation eine alkalische Reagenz zu erwarten 
wäre. Eine andere Frage wäre noch, ob man nicht ein besseres 
und schöneres Resultat erzielen würde, wenn man solche 
Wunden mit Milchsäure behandelt, als wenn man Argent. 
oder Milchsäuresilber (Acetol) anwendet. Auch bei .Cystitis 
ist es auffallend, daß bei ausgiebiger Eiterung der Urin oft 
stark sauere Reaction zeigt. Und eine sehr bedenkliche Er¬ 
scheinung ist es, wenn der Urin bei Cystitis alkalisch wird. 

Ich kann mich übrigens nur schwer von dem Gedanken 
trennen, daß der kranke Organismus, dessen Blutalkalicität 
abgenommen hat (Fodor), nicht irgend eine Säure zum Selbst¬ 
schutze erzeugt, die in den Wunden und Geschwüren und bei 
Cystitis u. s. w. nachgewiesen werden könnte? Schwerkranke 
haben für Saueres eine gewisse Vorliebe. Bei Scorbut ist 
sogar erfahrungsgemäß Citronen- und Milchsäure ein gebräuch¬ 
liches Heilmittel. Die einschlägigen Versuche wären sehr 
interessant. Ich selbst benütze sehr häufig bei Wunden, Ge¬ 
schwüren und Abscessen statt Sublimatgaze eine 2—3%ige, 
in letzterer Zeit sogar eine 5%ige Acid. nitric.-Lösung. Auf 
Grund der auf diesem Gebiete gemachten, noch geringfügigen 
Erfahrungen läßt sich noch kein endgiltiges Urtheil aus¬ 
sprechen, obgleich der bisherige Erfolg sehr günstig und auf¬ 
munternd ist. (Schluß folgt.) 


Referate. 


Buckston Browne (London): Aus einer 25jährigen uro- 
logischen Praxis. 

B.’s Therapie steht in mancher Hinsicht im Widerspruche 
zu jener andererer Urologen. Immer ist sie reich an beraerkens- 
werthen Details und auf ungeheuerer Erfahrung aufgebaut. Das 
Katheterfieber hält B. („Lancet“, 1901, Nov.) für eine Suppressio 
urinae, bedingt durch nervösen Shok nach Reizung der Urethra. 
Frauen und Kinder leiden nicht daran, beim Manne aber, dessen 
Urethra zugleich sexuelle Bedeutung hat, und zumal bei nervösen 
Individuen, tritt es häufig auf, zumal wenn die Behandlung ohne 
Anwendung von Anästheticis oder Narkoticis geschah. Die beste 
Prophylaxe ist äußerst schonende Untersuchung; dasselbe gilt für 
die unblutige Entfernung der Steine. Bei leichten Fällen, kleineren 
Steinen im mittleren Lebensalter und bei gesunder Blase ist die 
Litholapaxie die Operation der Wahl, alle anderen Fälle werden 

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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 10. 


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besser durch die Cystotomia suprapubica behandelt; der perineale 
Steinschnitt ist veraltet. Was die Entstehung der Prostatahypertrophie 
anlangt, so möchte Verf. zu reichlichem Coitus nach 50 Jahren 
einen gewissen schädlichen Einfluß zusprechen. Die Behandlung sei 
so lange als möglich eine unblutige; mit der nöthigen Sorgfalt 
ausgeführt, wird der Katheterismus unbegrenzt lange ertragen und 
ruft keine Cystitis hervor; ohne daß Instrumente eingeführt werden, 
kommt es nur ausnahmsweise zu Cystitis. B. gibt jedem seiner 
Kranken eine Anzahl Sublimattabletten, eine Literflasche, um eine 
Lösung von 1 : 1000 herzustellen, eine 34 Cm. lange Glasröhre 
mit Fuß und Korkverschluß, schließlich einen aus Metall hergestellten 
Kasten, der 7 Abtheilungen enthält, in welchen je ein Katheter 
für jeden Wochentag liegt, als Lubricans dient reines Vaselin in 
Tuben. Vor dem Zubettegehen katheterisirt sich der Kranke, dann 
trocknet er den Katheter, spült ihn mit Wasser und Seife ab und 
steckt ihn über Nacht in die mit Sublimat gefüllte Standröhre. Am 
Morgen wird er herausgenommen, getrocknet und in sein Fach gelegt, 
wo er bis zur nächsten Woche gebrauchsfertig liegen bleibt. Muß der 
Katheter anch am Tage benutzt werden, so bleibt er 24 Stunden 
in der Sublimatlösung und wird zu jedem Gebrauche aus ihr heraus¬ 
genommen. Leute, die außer dem Hause beschäftigt sind, Reisende etc. 
tragen zwei Metallbüchsen bei sich, in der einen liegen die für 
jeden Tag nöthigen reinen Katheter, die andere dient zur Aufnahme 
der gebrauchten, die Abends im Schlafzimmer gereinigt und in das 
Sublimatbad gelegt werden. Bei acuter Harnverhaltung infolge der 
Prostatahypertrophie gelingt e3 stets , einen Katheter einzuführen. 
Am besten versucht man es zuerst mit einem elastischen, dann 
kommt ein silbernes Instrument, das unter Leitung des im Rectum 
liegenden Fingers eingeführt wird. Die Entleerung der übermäßig 
gefüllten Blase erfolge langsam. Blutige Operationen zur Heilung 
der Prostatahypertrophie sind nur dann vorzunehmen, wenn das 
Katheterisiren unmöglich oder unerträglich ist, oder wenn Steine 
resp. schwere Cystitis vorliegt. Bei Adenomen der Prostata kann 
es gelingen, dieselben submucös zu enucleiren; fibröse Schwellungen 
kann man mit Messer und Scheere abtragen. Die von FßEyjEE 
empfohlene Enucleation der Prostata ohne Verletzung der Harn¬ 
röhre, der Samencanäle u. s. w. ist anatomisch unmöglich. Opera¬ 
tionen vom Damme aus sind zu unterlassen ; kann man von der 
Blase aus die Prostata nicht entfernen, so kann man eine Blasen¬ 
fistel anlegen. Operationen an den Testikeln oder Vas. defer. sind 
zu verwerfen. In der Behandlung der Stricturen, die instrumenteil 
nicht genügend erweitert werden können, oder die man auf die 
Dauer nicht offen halten kann, übt Verf. nur die Urethrotomia 
interna ; gewaltsame Dehnungen, Elektrolyse etc. perhorrescirt er 
und auch die Urethrotomia externa läßt er nicht gelten, da man 
dasselbe durch die innere Operation erreichen kann und dabei 
stets sicher ist, das ceDtrale Ende zu finden. Es gibt keine Strictur, 
die man mit Geduld und Geschicklichkeit iu der Narkose nicht 
überwinden könnte; auch hier leistet der im Rectum liegende 
Finger gute Dienste. Als Urethrotom nimmt B. das CiviALE’sche 
Instrument; der Schnitt geht durch die ganze Länge und Tiefe 
der Strictur am Boden der Harnröhre. Am Schlüsse der Operation 
wird ein dicker Dauerkatheter eingelegt, der 3 Tage liegen bleibt. 
Die Erweiterung der Harnröhre bis zur Durchlässigkeit für das 
Urethrotom und die Spaltung erfolgen in einer Sitzung. G. 

0. Rosenthal (Berlin): Ueber Jododerma tuberosum 
fungoides. 

Bei einer wegen Asthma bronchiale Jahre hindurch mit Jod¬ 
kali behandelten Patientin trat, nachdem das Medicament eine Zeit 
lang ausgesetzt und dann neuerdings in einer Concentration von 
12 - 0:200‘0 angewendet worden war, nach einigen Monaten ein 
Exanthem im Gesichte in Form entstellender Geschwülste auf; es 
waren kleinnußgroße Tumoren, von bräunlicher Farbe und derb¬ 
schwammiger Consistenz, zum Tbeil mit Borken bedeckt, zum Theil 
dünn-eitriges Secret liefernd. Nach Aussetzen des Jod erfolgt In¬ 
volution, die Tumoren trocknen ein und bilden bräunliche Borken, 
die mit Hinterlassung hellbräunlicher Pigmentationen abfallen. Ein 
Tumor wurde excidirt („Archiv f. Derm. u. Syph.“, LVII) und 
zur histologischen Untersuchung verwendet. Die Tumorbildung 


entspricht einem nicht scharf abgegrenzten Infiltrat im Corium, 
welches aus polynucleären und einkernigen Zellen besteht, in der 
Umgebung beträchtliches Oedem, Epidermis-Rete und Papillarschicht 
in starker Proliferation begriffen mit vornehmlichster Betheiligung 
des Stratum granulosum, reichliche Absceßbildung in allen Lagen 
des Rete und Corium, in diesen oder auch an anderen Stellen extra- 
vasirte, rothe Blutkörperchen ; Gefäßzerreißungen sind nicht nach¬ 
weisbar. Talg- und Knäueldrüsen intact. Ganz besonderen Nach¬ 
druck aber legt der Autor auf den enormen Reichthum an 
verschiedenen Bakterien, insbesondere findet man die Umgebung 
der Abscesse von Kokken reichlich besetzt. Dem histologischen 
Befunde nach handelt es sich um ausgedehnte entzündliche Ver¬ 
änderungen der Blutgefäße. Was nun die besondere Form dieses 
Jodexanthems anlangt, so weist der Autor zunächst einmal darauf 
hin, daß die bisher beschriebenen Fälle fast ausschließlich Gesicht 
und Hände betrafen, dann weiters, daß ähnlich wuchernde Geschwulst¬ 
formen (Framboesia syphilitica) die gleiche Prädilection 
zeigen. Andere in Analogie zu ziehende Processe lassen im allge¬ 
meinen mit der beschriebenen Affection die Tendenz erkennen, 
unbedeckte oder Irritationen ausgesetzte Stellen in ganz besonderem 
Maße zu befallen. Da eine anatomische Differenz zwischen bedeckten 
oder unbedeckten Stellen nicht vorhanden ist, so wird von R. als 
die neben dem ursächlichen Moment (Jod) in Betracht kommende 
zweite Noxe der große Reichthum an Kokken hervorgehoben; 
diese seien vielleicht durch Aenderung ihrer biologi¬ 
schen Eigenschaften infolge von Einwirkung von 
Jod imstande, diese eigen thümlic he tuberöse Form 
des Exanthems zu erzeugen. Zum Schlüsse wird noch be¬ 
tont, daß es nicht die Größe der verabreichten Arzneidose sei, 
welche für die Bösartigkeit des Exanthems in Frage komme, es sei 
auch nicht gewöhnlich, daß z. B. die häufig beobachtete Jodakne 
jemals ihren Charakter verliere und sich in die tuberöse Form 
umwandle, sondern es trete eine oder die andere Erscheinung von 
vorneherein auf den Plan. Deütsch. 


Soxhlet (München): Ueber Kindernährmittel. 

Die Ueberlegenheit der Muttermilch ist nicht nur in ihrer 
Keimfreiheit und ihrem Unzersetztsein, sondern auch darin begründet, 
daß sie stofflich wesentlich anders zusammengesetzt ist als ihr gewöhn¬ 
liches Ersatzmittel, die Kuhmilch. Die bisher zur Ausgleichung der 
stofflichen Verschiedenheit gegebenen Vorschriften gingen von unrich¬ 
tigen Annahmen über die Zusammensetzung der Muttermilch aus. 

Das richtige Verhältniß von Eiweiß zu Fett herzustellen, ist 
bisher mißglückt, weil die an Fett angereicherte, genügend ver¬ 
dünnte Kuhmilch beim Kochen oder Sterilisiren eine weitgehende 
Entmischung dadurch erleidet, daß das ursprüngliche, fein vertheilte 
Fett zu gröberen Partikeln zusammenfließt; die mit der Mutter¬ 
milch aufgenommenen großen Fettmengen werden aber nur deshalb 
so gut vertragen, weil sie darin staubförmig vertheilt sind. Es bleibt 
also nichts anderes übrig, als das fehlende Fett durch einen Nähr¬ 
stoff zu ersetzen, der im Körper in Fett verwandelt wird und als 
Wärme- und Krafterzeuger das Fett vertreten kann, in Wasser 
löslich, mithin leicht aufsaugungsfähig ist und durch Erhitzen keine 
Veränderungen erleidet. Dabei wird in erster Linie an das natür¬ 
liche Kohlehydrat der Milch, an den Milchzucker, zu denken sein. 

Die Nährmittelfabrik München (in Pasing) erzeugt nun nach 
S.’s Angaben ein solches Präparat und bringt es unter dem Namen 
Nährzucker in den Handel ; es hat folgende Eigenschaften : Es ist ein 
weißes, wenig hygroskopisches Pulver (Mellins food und ähnliche 
Präparate zerfließen ebenso wie eingetrockneter Malzextract an der 
Luft rasch zu Syrup), löst sich leicht in Wasser zu einer schwach 
gelblich gefärbten, etwas opalisirenden Flüssigkeit von schwachem 
Malzgeruch und Geschmack und ist nur J / 4 mal so süß wie Rohr¬ 
zucker. Das Präparat hat einen geringen , durch den Geschmack 
nicht wahrnehmbaren, gleichmäßig eingehaltenen Säuregrad und 
Gehalt an löslichen Kalksalzen, außerdem einen etwa 2°/o betragen¬ 
den Kochsalzgehalt. 

Die Gebrauchsanweisung nach Soxhlet lautet: Zur Darstel¬ 
lung von Nährzucker entnimmt man der mit Schraubenver- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 10. 


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Schluß versehenen Blechbüchse mittelst eines trockenen Kaffeelöffels 
die erforderliche Menge und löst sie in kaltem, besser warmem 
Wasser unter Umrühren, mischt mit der Milch und sterilisirt das 
Gemisch in der üblichen Weise. Ein voll gehäufter Kaffeelöffel ent¬ 
hält ca. 10 Grm. des Pulvers; 2 solcher Löffel voll auf 1 / 10 
Liter Milch entsprechen der größten Gabe. Man beginnt mit 1 Löffel 
voll auf je y, 0 Liter Milch, der man 1 / 10 bis 2 / ]0 Liter Wasser 
zusetzt, und verringert je nach dem Nahrungsbedürfniß und Alter 
des Kindes die Wassermenge bis auf ’/io Liter und steigert die 
Nährzuckermenge bis auf 2 Kaffeelöffel voll. — Zur Darstellung 
der Liebigsuppe löst man die mit einem trockenen Kaffeelöffel 
der Blechbüchse entnommene Menge in der zum Verdünnen der 
Milch dienenden Menge siedend heißen Wassers, mischt mit der 
Milch und sterilisirt. Das zur Lösung dienende Wasser muß siedend 
heiß sein, weil sich andernfalls die Weizen-Eiweißstoffe in der 
Milch nicht flockig vertheilen, sondern zusammenballen. Ein mäßig 
voll gehäufter Kaffeelöffel faßt 8 Grm. Nach den bisher üblichen 
Mengen und angepaßt der bisherigen Milchzuckerbeigabe sind auf 
je Vio Liter Milch 1 mäßig gehäufter Kaffeelöffel voll, gelöst in 
V l0 bis 2 / 10 Liter Wasser, zu verwenden. . G. 

L. Mohr (Frankfurt a. M.): Ueber Blutveränderungen bei 
Vergiftungen mit Benzolkörpern. 

Die ausgedehnte fabriksmäßige Darstellung des Benzols und 
seiner Derivate und ihre mannigfaltige Verwendung im praktischen 
Leben haben schon vielfach Gelegenheit gegeben, die schädigenden 
Wirkungen dieser Stoffe auf den Organismus des Menschen zu 
beobachten. Auch in experimenteller Richtung ist mehrfach am 
Thiere der Einfluß dieser Substanzen studirt worden. Abgesehen 
von Vergiftungen, die gelegentlich zu Selbstmordzwecken oder aus 
Unachtsamkeit Vorkommen, sind hauptsächlich Arbeiter, die mit 
der Darstellung der genannten Körper oder mit ihrer praktischen 
Verwendung beschäftigt sind, der Vergiftung ausgesetzt. Im Laufe 
des letzten Wintersemesters hat M. eine Reihe derartiger Ver 
giftungen bei Arbeitern zu sehen Gelegenheit gehabt, deren Verlauf 
gewisse interessante Einzelheiten darbot („Deutsche med. Wschr.“, 
1902, Nr. 5). Das klinische Bild der Vergiftungen durch Benzol 
und seine Derivate ist aus einer großen Zahl von Einzelbeob¬ 
achtungen bekannt. Die Arbeiter in derartigen Betrieben fangen 
an, unter Kopfschmerzen und Schwindel zu erkranken; in schweren 
Fällen fallen sie bewußtlos hin unter den Zeichen allgemeinen 
Collapses. Die Extremitäten sind kühl, der Puls beschleunigt, klein, 
die Athmung meist flach und beschleunigt. Dazu können Symptome 
von Seiten des Nervensystems kommen, Zuckungen in der Muscu- 
latur des Körpers, Erlöschen der Reflexe. Den Angelpunkt aller 
dieser Erscheinungen bildet die Umwandlung des normalen Blut¬ 
farbstoffes in einen für die Lebensprocesse im Organismus unge¬ 
eigneten Körper, das Methämoglobin. Daraus resultirt zum Theil 
auch die eigenthümliche Veränderung der Gesichtsfarbe bei solchen 
Kranken, die außerdem noch durch die Gelbfärbung infolge zu¬ 
grunde gehender rother Blutkörperchen bedingt ist. Bei den einzelnen 
Vergiftungen kommen aber je nach dem einwirkenden Körper — 
Nitro-, Binitro-, Chlornitro-, Chlorbinitro-Benzol und Anilin — 
gewisse specielle Eigentümlichkeiten zum Vorschein, die ein Er¬ 
kennen des schädigenden Giftes ermöglichen können. So ist die 
Hautfarbe der in dem Reductionsraum beschäftigten Arbeiter blau- 
cyanotisch, während die mit den Nitrirungsproducten Beschäftigten 
eine mehr gelbbraune Farbe haben. Bei diesen letzteren ist der 
Icterus vorherrschend und soll ein Frühsymptom der Erkrankung 
bilden. Es sollen ferner die nervösen Erscheinungen bei der Anilin¬ 
vergiftung mit einemmale ablaufen, während sie bei den Vergiftungen 
mit den Nitrokörpern in mehreren Anfällen auftreten. Es ist jedoch 
im Einzelfalle bei dem Mangel genauer Angaben schwer, die Art 
der in Betracht kommenden Substanz mit Sicherheit aus dem 
klinischen Bilde anzugeben. Für die chemische Identificirung stehen 
uns allerdings eine Reihe von Hilfsmitteln zur Verfügung; sie 
mögen jedoch einen größeren Werth für ganz acute Vergiftungen 
durch Genuß der Substanz haben als für die mehr chronischen, 
hauptsächlich bei Anilinarbeitern vorkommenden, bei denen die 


Ausscheidung des fraglichen Stoffes sich auf längere Zeit vertheilt, 
so daß dieser nur jeweilig in geringerer Menge in den Aus- 
scheidungsproducten des Körpers vorhanden ist. So ist man denn 
häufig genöthigt, den einzelnen Fall unter den weiteren Begriff 
der Benzol- oder Anilinvergiftungen zu subsumiren. B. 

Aus dem anatomischen Institut und dev chirurgi - 
sehen Klinik zu Marburg . 

Enderlen: Ein Beitrag zur Chirurgie des hinteren 
Mediastinums. 

Die operative Entfernung eines Gebisses aus dem Oesophagus 
auf dem Wege durch das hintere Mediastinum wurde Endbrlen 
zum Anlasse, dieser Gegend anatomische und chirurgische Aufmerk¬ 
samkeit zu schenken. Er kommt zum Schlüsse („Deustche Ztschr. 
f. Chirurgie“, Bd. 61, H. 5/6), daß auch in der Norm die Lage 
des Oesophagus in seinem Verhältniß zur Wirbelsäule, zur Aorta 
oder zu den Pleurablättern, besonders dem rechtsseitigen, variirt. 
Als Zugang zur Speiseröhre empfiehlt sich oberhalb der Bifurcation 
die linke Seite, in der Höhe des 5.—6. Brustwirbels die rechte 
Seite und noch tiefer abwärts die rechte oder linke Seite; der beste 
Schnitt ist ein Bogenschnitt oder rechteckiger Lappenschnitt mit 
der Basis an der Wirbelsäule. Es beschränkt sich diese Operation 
auf Fremdkörper, die anders zu entfernen unmöglich ist, oder die 
die Speiseröhre bereits durchbohrt haben, und auf die sehr seltenen 
tiefen Divertikel, falls sie palliativer Behandlung trotzen und nicht 
Verwachsungen unüberwindliche Hindernisse machen. Der Operation 
am Oesophagus ist die Gastrostomie vorauszuschicken. Bei glatter 
Wunde des Oesophagus kann die Naht versucht werden; doch ist 
im übrigen die Tamponade angezeigt. Pleuraverletzungen sind durch 
die Tamponade während der Operation mit nachfolgender Naht zu 
behandeln. Für anderweitige Eingriffe in das hintere Mediastinum 
könnten noch Eiterungen in Betracht kommen, die von der Wirbel¬ 
säule oder Speiseröhre ausgehen und durch die Operation von oben 
(Mediastinotomia collaris) nicht zu beherrschen sind, oder ent¬ 
sprechend gelagerte Lungenabscesse. R. L. 

Thomayer (Prag): Ueber die Frühdiagnose der Lungen- 
tuberculose. 

Birch-Hirschfeld’s Arbeit „Ueber den Sitz und die Entwicke¬ 
lung der primären Lungentuberculose („Deutsches Archiv f. klin. 
Med.“, Bd. 64, pag. 58, 1899) erweckte bei Verf. das Interesse, 
zu erforschen, ob auch unsere diagnostischen Behelfe diese Anfänge 
zu diagnosticiren vermögen. Gewöhnlich werden als diagnostische 
Frühsymptome angeführt: schwächere Athmung, rauhe Inspiration, 
prolongirte Exspiration, saccadirte Athmung und Blasenrasseln, 
welches aber von den meisten schon für ein vorgeschrittenes Phä¬ 
nomen gehalten wird. Verf.’s 2jährige Arbeit zeigte jedoch („Sbornik 
klin. u , Bd. III, H. 3), daß diese für das Initialstadium bisher cha¬ 
rakteristisch gehaltenen Symptome nur untergeordneten Werth be¬ 
sitzen, da sie auch nach ^gelaufenem und ausgeheiltem Spitzen- 
processe vorgefunden werden, ja, daß die abgeschwächte Athmung 
sogar eher das Ende als den Anfang des Processes bezeichnet. 
Also sehr klägliche Resultate! Ist also dies Frühstadium überhaupt 
klinisch erkennbar? Birch-Hirschfeld glaubt das nicht, und fast 
dasselbe bekennt auch Thomayer. Da aber der Anfang der 
Tuberculose nach Birch - Hirschfeld einer begrenzten Spitzen¬ 
bronchitis gleicht, sind im gegebenen Falle (z. B. bei Dyspeptischen, 
ohne jede locale Bestimmung Fiebernden, die eine Pleuritis über¬ 
standen, hereditär Belasteten u. s. w.) die Symptome der Spitzen¬ 
bronchitis aufzusuchen. Ein aufmerksam gesuchter Rhonchus, ein 
trockenes oder feuchtes Rasselgeräusch, das besonders während des 
Hustenserst zum Vorschein kommt, soll als das wichtigste 
AuBcultations- und physikalische Symptom des Frühstadiuras der 
Lungentuberculose betrachtet werden. Stock. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 10. 


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Chlumsky (Krakau): Ueber die Behandlung inficirter 
Wunden und septischer Processe mit Carbol- 
säure. 

Die Behandlung septischer Wunden mit Carbolsäure, welcher 
Verf. sich schon seit zwei Jahren bedient („Casopis ces. 16karu“, 
1902, Nr. 4), ist von den heute üblichen Heilmethoden etwas ver¬ 
schieden. Verf. bestreicht die kranke Stelle mit einer Mischung 
von reiner Carbolsäure und Kampher. Die Mischung, die nicht nach 
Carbol, sondern nach Kampher riecht, brennt und ätzt die gesunde 
Haut nicht im geringsten Grade. Besonders die Behandlung des 
Erysipels mit dieser Mischung gibt vorzügliche Resultate. Schon 
nach dem ersten oder zweiten Tage fällt das Fieber und die 
Röthe und Schwellung nehmen ab. Bei inficirten Wunden werden 
dieselben mit der Mischung abgespült und der Ueberrest wird mit 
Watte abgesaugt. In etlichen schweren Fällen wurden auf die 
Wunde in die Mischung getränkte Compressen gelegt, und dennoch 
war eine Intoxication nie zu verzeichnen. Dafür reinigten sich die 
Wunden zusehends und das Fieber nahm ab. Unangenehm ist 
höchstens der Umstand, daß die Haut Dach etlichen Bestreichungen 
pergamentartig sich verändert und die oberflächlichen hornartigen 
Theile in kleinen Schuppen sich abschälen. Stock. 


Ludwig Pick (Wien): Ueber Hyperemesis gravidarum. 

Nach einleitender ausführlicher Literaturbesprechung werden 
22 Fälle der Klinik Scbauta aus den Jahren 1892—1900 mit- 
getheilt („Sammlung klin. Vorträge“, Nr. 325/326). Der Autor 
sichtet sie in 3 Gruppen: in leichte, mittelschwere und schwere 
Fälle. Die leichten zeichnen sich durch kurze Krankheitsdauer, 
durch wenig häufiges und wenig heftiges Erbrechen und durch die 
prompte Wirksamkeit der eingeschlagenen Therapie aus, welche 
vor allem in AnstaltsbehandluDg und absoluter Bettruhe in Rücken¬ 
lage bestand. Die mittelschweren Fälle charakterisiren sich durch 
längere Dauer der Erkrankung und namentlich durch die Häufig¬ 
keit und Heftigkeit des Erbrechens, sowie durch die Unabhängig¬ 
keit seines Auftretens von der Art uüd Zeit der Nahrungsaufnahme 
(auch bei Nacht). Bei den schweren Krankheitsformen ist das 
ganze Allgemeinbefinden stark in Mitleidenschaft gezogen ; wir stehen 
dem Krankheitsprocesse oft ganz machtlos gegenüber, indem oft 
jede Art medicamentöser und mechanischer Therapie versagt. In 
einzelnen dieser Fälle mußte als Ultimum refugium zu dem Abortus 
artificialis gegriffen werden, der nach dem Ausspruche Schauta’s 
in der Therapie der Hyperemesis gravidarum „fast vollkommen 
entbehrlich“ ist. In den Obductionsbefunden der zwei letal ver¬ 
laufenen Fälle, von denen einer mit schwerer Lues complicirt war, 
ist übereinstimmend von eitriger Endometritis, bezw. Deciduitis (ein 
schlechtes Wort!) die Rede. 

Aetiologisch stellt P. in erste Linie die AßLFELD’sche Theorie, 
welche die Hyperemesis als einen erhöhten Grad der durch die 
Schwangerschaft herbeigeführten nervösen Reizbarkeit auffaßt; er 
betont weiterhin die häufig schon vor und während der Gravidität 
bestehende Anämie als prädisponirendes Moment, ebenso Lagever¬ 
änderungen des Uterus. Gegen die toxische Theorie spricht die 
relative Seltenheit des Krankheitsbildes der Hyperemesis, die selten 
gefundene Vermehrung des Indicangehaltes, ferner das sofortige 
Sistiren des Erbrechens nach erfolgter Entleerung des Uterus, da 
doch nicht gut angenommen werden kann, daß die Toxinwirkung 
im gleichen Momente aufhört. Fischer. 


Arthur Hartmann (Berlin): Die Schwerhörigen in der 
Schule. 

Aus den bemerkenswerthen Ausführungen H.’s („Deutsche 
Aerzte-Ztg.“, 1902, Nr. 2) sei Folgendes hervorgehoben. 

Da in den Schulen sich eine beträchtliche Anzahl von Kin¬ 
dern befindet mit heilbarer Schwerhörigkeit, welchen keine Behand¬ 
lung zu Theil wird, ist schon aus diesem Grunde die Einwirkung 
von Aerzten an den Schulen erforderlich. Die Aerzte haben die 
Aufgabe, die Ursache einer bestehenden Schwerhörigkeit festzu¬ 


stellen und dafür Sorge zu tragen, daß dieselbe beseitigt werde, so¬ 
weit dies möglich ist. 

In Städten, in welchen sich Ohrenärzte befinden , muß die 
Mitwirkung von Ohrenärzten als wünschenswerth betrachtet werden. 

Für Kinder mit hochgradiger Schwerhörigkeit, welche durch 
eine Behandlung nicht beseitigt werden kann, muß besondere Für¬ 
sorge getroffen werden, da ohne eine solche, ebenso wie bei 
Taubstummen, die geistige Entwickelung auf einer tiefen Stufe bleibt. 

Hochgradig schwerhörige Kinder müssen durch Erlernen des 
Absehens vom Munde und durch Nachhilfeunterricht so gefördert 
werden, daß sie am Classenunterricht mit Erfolg theilnehmen können. 
Kann ein solcher Abseh- und Nachhilfeunterricht nicht eingerichtet 
werden, so müssen die hochgradig schwerhörigen Kinder einer 
Taubstummenanstalt überwiesen werden. N. 


Krafft (Rostock): Ueber locale und allgemeine Schädi¬ 
gung infolge von Taxisversuchen incarcerirter 
Hernien. 

Verf. hat theils die an der Rostocker chirurgischen Klinik 
vorgekommenen, theils die in der Literatur niedergelegten Fälle 
von incarcerirten Hernien zusammengestellt, bei welchen es infolge 
der Taxisversuche zu Schädigungen des Bruchinhaltes oder der 
Hüllen gekommen ist. Auf Grund seiner Erfahrungen kommt Verf. 
zu dem Schlüsse („Beitr. z. klin. Chir. M , Bd. 31, H. 2), daß die 
Gewalt, mit welcher die Taxis ausgeführt wird, nicht einmal eine 
große zu sein braucht, und daß es schon bei gewissen obwaltenden 
Verhältnissen zu Schädigungen des Bruchinhaltes kommen kann. 

Zu den häufigsten Schädigungen gehören die Reposition en 
bloc, Blutungen in den Bruchsack oder Hämatome im Mesenterium ; 
weiters citirt Verf. Fälle von Quetschung des Darmes mit Gangrän, 
sowie Fälle von Darmperforationen infolge der Taxis. 

ln Anbetracht dieser Schädigungen hat sich an verschiedenen 
Kliniken der Usus eingestellt, keine Repositionsversuche zu machen, 
sondern den Patienten sofort zu operiren und die Radicaloperation 
anzuschließen. Leider werden die Anschauungen der Kliniker be¬ 
treffs der Taxis von den Praktikern nicht getheilt. Es werden noch 
immer Repositionsversuche bei Brüchen unternommen, die dafür 
völlig ungeeignet sind, und so kommt es denn, daß nicht nur nicht 
genützt, sondern sogar noch geschadet wird, was umso bedauer¬ 
licher ist, als dadurch die Prognose der nachher doch nöthigen 
Operation bedeutend verschlechtert wird. 

Nach Ansicht des Verf. wäre ein schonender Taxisversuch 
nur in Fällen von Inearceratio stercorea, wo die Bruchpforte sehr 
weit, der Darminhalt sehr breiig und das Allgemeinbefinden noch 
gut ist, gestattet. Bei elastischer Einklemmung oder in irgendwie 
zweifelhaften Fällen thut mau besser, selbst von ganz schonenden 
Taxisversuchen abzustehen und sofort zur Operation zu rathen. 

Erdheim. 


Traina (Pavia): Ueber das Verhalten der weißen Blut¬ 
körperchen bei der Cachexia strumipriva. 

Verf. untersuchte das Verhalten der weißen Blutkörperchen 
bei Hunden, denen er die ganze Schilddrüse oder nur einen Theil der¬ 
selben exstirpirt hatte. Hiebei ergab sich („Centralbl. für pathologi¬ 
sche Anatomie und allgemeine Pathologie“, Bd. 12, Heft 7), daß bei 
den Thieren, denen nur ein Theil der Schilddrüse herausgenommen 
wurde, eine schwache Vermehrung der Leukocyten und eine kaum 
merkliche Abnahme der rothen Blutkörperchen auftrat. Schärfer 
treten diese Veränderungen bei Entfernung der ganzen Schilddrüse 
hervor. Zu denselben Ergebnissen kam Quervain bei analogen 
Versuchen, und auch Mendel fand in einem Falle von angeborenem 
Myxödem bei gleichzeitigem Cretinismus eine Vermehrung der Leu¬ 
kocyten ; die rothen Blutkörperchen waren aber eher vermehrt als 
vermindert. Dr. S—. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 10. 


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Kleine Mittheilungen. 

— Auf Grund von 11 eigenen Beobachtungen über den 
therapeutischen Werth des Aderlasses bei Urämie gelangt Walko 
(„Prager Ztschr. f. Heilk.“, Bd. 22, H. 8 u. 9) zu folgenden Er¬ 
gebnissen : Auffallend war in der Mehrzahl der Fälle der eclatante 
Rückgang der urämischen Erscheinungen nach dem Aderlaß, zweitens 
die reichliche Diurese eines sedimentreichen blnthältigen Harns, in 
manchen Fällen auch reichliche Schweißsecretion und Abnahme 
des Eiweißgehaltes des Harns. Diese günstigen Erfolge waren fast 
nur bei acuter Nephritis und acuten Nachschüben leichter subacuter 
Formen zu verzeichnen, während der Aderlaß bei genuiner oder 
secundärer Schrumpfniere, Amyloidniere, großer weißer Niere 
wirkungslos blieb oder nur geringe Veränderungen in der Intensität 
und dem Ablauf der Erscheinungen und damit nur vorübergehende 
Besserung bewirkte. Erhebliche Differenzen der molecularen Con- 
centration vor und während des urämischen Anfalls bestehen nicht, 
dagegen findet sich eine mehr oder minder deutliche Vermehrung 
des Wassergehaltes des Blutes im Anfall, die aber kein constantes 
oder für die Urämie charakteristisches Vorkommniß ist. Es gibt 
zahlreiche Fälle von Urämie und Nephritis, bei welchen der Trocken¬ 
gehalt des Gesammtblutes, wie des Serums und ebenso der Eiwei߬ 
gehalt ein annähernd normaler ist. Das Blut spielt also nur eine 
vermittelnde Rolle zwischen Niere und Körpergewebe und ist im¬ 
stande, ebenso wie seinen Wassergehalt, auch seinen osmotischen 
Druck zu regeln. Ebensowenig lassen sich die Verhältnisse des 
Blutdruckes zur Erklärung der Aderlaßwirkung heranziehen, denn 
während die Spannung des Pulses stark abnimmt, ändert sich der 
Druck wenig oder gar nicht. Es besteht vielmehr eine Reizung 
des vasomotorischen Centrums, welche zu Krampf der Nieren¬ 
gefäße führt. Die Herabsetzung dieses Krampfes bildet neben der 
directen Entlastung des Blutes ein Hauptmoment in der Wirkungs¬ 
weise des Aderlasses. 

— Ueber die Verwendung des Fleischsaftes „Puro“ bei den 
Kranken der Spitalsabtheilung des Zuchthauses in München be¬ 
richtet Schäfer („Münch, med. Wschr.“; 1901, Nr. 51). Die 
Patienten, bei denen das Puro zur Anwendung kam, litten tlieils 
an während der Haftzeit erworbenen anämischen Formen von Magen¬ 
störungen, Diarrhöen, theils an Marasmus praematurus, theils an 
Tuberculose; in einem Falle handelte es sich um Scorbut. In 
diesen Fällen, wo schließlich jede andere Nahrung verweigert 
wurde, bekamen die Kranken nur 4 — 5mal des Tages einen Kaffee¬ 
löffel Puro mit etwas Weißbrot, Wein etc. Das Puro stellte in 
allen diesen Fällen den Appetit wieder her. Das Puro ist somit 
in Fällen von gänzlichem Darniederliegen der Magenthätigkeit 
ein werthvolles Unterstützungsmittel der Ernährungstherapie, sowohl 
bei der Behandlung der Magenkrankheiten, wie überhaupt in allen 
Fällen von Unterernährung und der daraus entstehenden Inanition, 
auch bei den verschiedenen Formen der Anämie. 

— Zur Behandlung von Lumbago und Muskelrheumatismus 


verschreibe man (Ibidem): 

Rp. Menthol. 1*5 

Acid. salicyl. 4 0 

Chlorat. hydr., 

Camphor.aa. 30 

Pulv. Capsici . 7'5 

Ol. Crotonis gtt. Nr. V, 

Petrol, q. s.ad 60 0 


Die schmerzende Stelle mit einer kleinen Menge des Liniments 
tüchtig einreiben. 

— Ueber THEINHARDT’S lösliche Kindernahrung liegen neben 
größeren Publicationen von Biedert, Heubner, Penhoff u. a. 
zahlreiche Arbeiten von Kinderärzten vor. Schukler („Berl. klin. 
Wschr.“), Lilienfeld („Aerztl. Monatschr.“), Baum („Kinderarzt“), 
Graetzer , v. Boltenstern , Bendix , Manasse u. v. a. rühmen 
die Vorzüge des genannten Präparates. Ein Kilo Trockensubstanz 
dieser Kindernahrung enthält 165 Grm. Eiweiß (davon 90% ver¬ 
daulich), 55 Grm. Fett, 571 Grm. lösliche Kohlehydrate (Dextrin-, 
Trauben- und Milchzucker), 175 Grm. andere stickstofffreie Nähr¬ 
stoffe, modificirtes Amylum, 34 Grm. Mineralstoffe (darin 14 Grm. 
Phosphorsäure, resp. 23 Grm. Calciumphosphat); in diesen 1000 Grm. 
sind also 812—825 Grm. für den Säugling sofort assimilirbarer 


Nährstoffe enthalten. Das Präparat eignet sich sowohl zur Er¬ 
nährung gesunder Kinder als auch bei Brechdurchfall und anderen 
Darmerkrankungen. Die für das betreffende Säuglingsalter passende 
Pulvermenge wird mit heißem Wasser angerührt, der so entstehende 
Brei der Milch hinzugefügt und mit dieser sterilisirt. Bei Ver¬ 
dauungsstörungen nimmt man mehr Pulver mit weniger Milch. 
Neben anderen Vorzügen zeichnet sich Theinhardt’s lösliche 
Kindernahrung durch billigen Preis aus. 

— Bei Lungenblutungen eignet sich’ folgende Medication 


(„Centralbl. f. Therap.“, 1902, Nr. 3): 

Rp. Chin. sulfur., 

Ergotini, 

Extr. laud.aa. 0‘2 

Acid. gallic.2'0 

M. f. pilul. Nr. XX. 

D. S. Täglich 5 Pillen; 

auch Rp. Pulv. fol. digital.0'2 

Pulv. ipecac., 

Ergotini.aa. U'l 

Acid. gallic.2 0 

M. f. pilul. Nr. XX. 

D. S. 3mal täglich 2 Pillen zu nehmen; 

ferner: 

Rp. Extr. fluid, geran. macul.10'U 

D. S. Stündlich 4—5 Tropfen zu nehmen; 

ebenso 

Rp. Sol. spirit. nitroglyc. 1%. 2 0 

Aq. menth. piperit.120 

D. S. Stündlich 3 Tropfen zu nehmen. 

Rp. Extr. fluid, com'melin. tuberos.15 0 

D. S. Stündlich 10 Tropfen zu nehmen. 

Rp. Hydrastinini hydrochlor. 2 0 

Aq. destill.25'0 

D. S. Stündlich 5 Tropfen in Zuckerwasser zu 
nehmen. 

Rp. Extr. hydrast. canad. gicc. 0'2 

Codein. pho3phor.0'05 


M. f. p. Dtr. tal. dos. Nr. X, ad chart. cerat. 

D. S. 3mal täglich 1 Pulver zu nehmen. 

— Die dermatotherapeutische Brauchbarkeit zweier Pyro- 
gallusderivate (Lenigallol, Eugallol) erörtert Franz Poör und 
resumirt seine Ausführungen in folgender Weise: Das Lenigallol 
ist bei Beginn des acuten Ekzems angezeigt, wo es die Hyperämie 
und die Exsudation schnell vermindert und das Jucken behebt. 
Bei nässenden Ekzemen wirkt die Zinkpastacomposition eminent 
trocknend, ln starker Concentration (30—50%) ist Lenigallol in 
hohem Maße keratolytisch. Ein Vorzug vor der Pyrogallussäure 
besteht darin, daß P. niemals während oder nach der Anwendung 
Intoxicationserscheinungen oder Albuminurie beobachtete, und daß 
die Wirkung sich bloß auf die erkrankten Hautpartien bezieht, 
während es die normale Haut nicht beeinträchtigt. Bei chronischen 
Ekzemen ist die Anwendung des Lenigallols nur als Hilfsmittel 
des Theers oder der Kalilauge gerechtfertigt. Bei Psoriasis scheint 
es nicht besonders wirksam zu sein. Eugallol ist ein sehr gutes, 
hervorragendes und vielverheißendes Antipsoriaticum der Zukunft. 
Als Vortheile vor dem Chrysarobin sind zu erwähnen, daß es 
weniger irritirt; vor dem Pyrogallol: daß es keine Intoxication 
verursacht. Nachtheilig ist der bisher noch etwas hohe Preis, der 
es für die Armen- und Spitalspraxis beinahe unmöglich macht. 

— Zur Kenntniß der Wirkung des Morphins auf den Magen 
berichtet Hirsch („Centralbl. f. inn. Med.“, 1901, Nr. 2). Die 
üblichen Morphindosen wirken auf die Magenverdauung in folgen¬ 
der Weise ein: Die Entleerung des Magens wird erheblich ver¬ 
zögert. Die Salzsäuresecretion erfährt im Beginne der Morphin- 
Wirkung zunächst eine Abschwächung; im späteren Verlaufe 
dagegen eine abnorme Steigerung. Mit steigender Morphindosis 
nimmt auch die genannte Beeinflussung progressiv zu. Wird die¬ 
selbe Dosis subcutan iujicirt, so treten die genannten Störungen 
der Magenverdauung stärker hervor, als wenn diese per os ge¬ 
geben wird. Bei Verabreichung des Mittels per os bedingt die 
gleichzeitig verabfolgte Nahrung, entsprechend deren langsamer 
oder rascher Resorption, ein schwächeres, resp. stärkeres Auftreten 
der oben geschilderten Morphiumwirkung. Es zeigt sich hiebei eine 
erfreuliche Uebereinstimmung zwischen der klinischen Beobachtung 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 10. 


472 


und den Thierexperimenten, sowohl bezüglich der motorischen 
Fnnctionsstörnngen als auch insbesondere bezüglich der Secretions- 
steigerung, welche der anfänglichen Secretionshemmung folgt. Man 
kann deshalb annehmen, daß aach beim Menschen das Mor¬ 
phium imstande ist, einen kürzere oder längere Zeit anhaltenden 
Krampfzustand des Pylorus zu erwirken. Daraus würde dann 
verständlich werden, daß nach Angabe einzelner Autoren Morphium 
bei manchen Kranken Magenkrämpfe verursacht. 

— Ueber den Gebrauch des Jodipins zur Untersuchung 
der Motilität des Magens berichtet G. Lucibelli („Klin.-therap. 
Wschr.“, 1901, Nr. 46) Folgendes: Das Jodipin ist ein sicheres 
Mittel zur Beurtheilung der Motilität des Magens, da es nur im 
Darm gespalten wird. Die Untersuchungen an Thieren beweisen, 
daß die Methode eine experimentelle Grundlage hat, welche keinen 
Zweifel über ihre Exactheit zuläßt, daher das Verfahren in die 
semiotische Praxis eingeführt werden kann. Bei der Spaltung des 
Jodipins hat die Galle die größte Bedeutung, in zweiter Reihe 
kommt der Pankreas- und der Darmsaft. Der Speichel hat keine 
Einwirkung auf das Mittel. Bei 6 Individuen mit normalem Ver¬ 
dauungsapparat trat die Jodreaction zwischen 25 Minuten und 
l 3 / 4 Stunden nach Verabreichung des Jodipins auf, also durch¬ 
schnittlich nach 1 Stunde 10 Minuten. Das Verschwinden derselben 
erfolgte zwischen 24 und 50 Stunden, also durchschnittlich nach 
40 Stunden. Wenn man das Vorhandensein einer Magen- oder 
Lebererkrankung (motorische Insufficienz des Magens und Pylorus¬ 
stenose, Darmacholie) ausschließt, so vermag die Jodipinprobe ein 
untrügliches Kriterium für die Diagnose einer Pankreaserkrankung 
abzugeben. 


Literarische Anzeigen. 

Maladies du cuir chevelu. I. Les maladies seborrheiques. S c- 
borrhee, Acnös, Calvitie. Par le Dr. R. Sabouraild. 
Paris, Masson et Cie., 1902. 

Saboueand’s umfangreiche Monographie über die seborrhoischen 
Veränderungen des Haarbodens bildet den ersten Abschnitt eines 
groß angelegten Specialwerkes, das ein erschöpfendes Bild der Er¬ 
krankungen des Capillitium8 bieten soll. 

Bei Betrachtung des exponirten Planes — dem zufolge die 
exfoliativen Processe, die Arten der Alopecie, die suppurativen und 
exsudativen Affectionen, gleichwie die durch pflanzliche Parasiten 
bedingten Störungen in den folgenden Theilen des Werkes eine 
gesonderte, selbständige Bearbeitung erfahren sollen — wird man un¬ 
willkürlich an den mächtigen Fortschritt der Disciplin gemahnt, 
die nunmehr auf eigenem Grund und Boden eine Parcellirung er¬ 
heischt. Von diesem Gesichtspunkte aus ist wohl S. als der be¬ 
rufenste Interpret der fraglichen Krankheitsgruppe zu betrachten, 
denn gerade seine Untersuchungen sind es, welchen die complicirten 
Verhältnisse der seborrhoischen Störungen die gründlichste Auf- 


Feuilleton. 


Budapester Briefe. 

(Orig.-Corresp. der „Wiener Mediz. Presse“.) 

I. 

Nach den sensationellen Ereignissen, deren Mittelpunkt vom 
rechten Wege abgewichene Aerzte waren, ist die Action, von 
der wir zu berichten haben, eine um so erfreulichere, denn hier 
finden wir die ganze Aer/.teschaft, die Mann für Mann zur Er¬ 
reichung eines edlen und erhabenen Zieles ihr Scherflein beiträgt 
und hoffentlich auch eine Pensions- und Hilfscasse für Aerztewitweu 
und -Waisen schaffen wird. Schon im Jahre 1850 hatten sich 
ungarländische Aerzte das anerkennenswerthe Ziel gesetzt, eine 
Pensionsanstalt im größeren Stile zu errichten, der auch eine größere 
Stiftung von Franz Flor gewidmet worden ist; doch war leider 
ihre Liebesmühe eine vergebliche. Die ganze Bewegung verlief im 
Sande und nur die Gründung eines Hilfsvereines von nichtssagen- 


hellung verdanken. Das Werk bietet dem Fachmanne vielfache An¬ 
regung, dem Praktiker gründliche Belehrung. 

Ehe S. in die Erörterung der Seborrhoe, die er befremdlicher¬ 
weise mit dem ominösen Kennzeichen ihres Endausganges — als 
„Calvities“ — bezeichnet, eingeht, liefert er eine Darstellung der 
auf Seborrhoe zu beziehenden Processe der allgemeinen Decke, 
unter welchen die poly- und monoformen Akneeruptionen (A. vul¬ 
garis, varioliformis, furunculosa, Keloidakne), die Seborrhoea con- 
gestiva, gewisse Pityriasis- und Psoriasisformen u. a. ihre Ein¬ 
reibung erfahren. Die zweite Hälfte der 342 Seiten starken Mono¬ 
graphie ist der Schilderung der Pathologie, Aetiologie, Symptomato¬ 
logie, Diagnostik und Therapie gewidmet. Nobl. 


Jahresbericht über die Fortschritte in der Lehre 
von den pathogenen Mikroorganismen, umfassend 
Bacterien, Pilze und Protozoen. Unter Mitwirkung 
von Fachgenossen bearbeitet und herausgegeben von Prof. 

P. v. Baumgarten und Prof. F.Tangl. 15. Jahrgang, 1899, 
Leipzig 1901, S. Hirzel. 

Wieder liegt, von Fachgenossen sehnlichst erwartet, ein neuer 
Band der BAUMGARTEN’schen Jahresberichte vor. Die großen Vor¬ 
züge dieses Werkes und seinen unschätzbaren Werth für jeden 
Bacteriologen neuerdings hervorzuheben, ist wohl überflüssig, und 
es genügt der Hinweis darauf, daß 2508 Arbeiten in dem vor¬ 
liegenden Bande referirt werden. Für die Gediegenheit und Ver¬ 
läßlichkeit der einzelnen, oft recht umfänglichen und ausführlichen 
Referate spricht schon der Name ihrer Verfasser, die durchwegs 
zu den angesehensten Vertretern ihres Faches gehören. In zahl¬ 
reichen Anmerkungen theilt Baumgarten seinen persönlichen Stand¬ 
punkt in controversen Fragen mit. So reiht sich denn der neue 
Jahrgang würdig seinen Vorgängern an. Dr. S—■. 

Der VomituB gravidarum perniciosus (Hyperemesis 
gravidarum) von Dr. E. Dirmoser. Wien und Leipzig 1901, 
Braumüller. 

In der vorliegenden monographischen Darstellung des Schwan¬ 
gerschaftserbrechens vertritt der Autor den Standpunkt, daß die 
Hyperemesis als eine Autointoxication aufzufassen ist, wobei die 
genitalen Endigungen der Nervi vagi-sympathici eine allerdings 
von ihm nicht näher bewiesene Rolle spielen sollen. Als Haupt¬ 
stütze dienen dem Verfasser die Resultate der Harnanalyse, welche 
jedoch in den leichten Fällen kaum verwerthbar, in der schweren 
aber keineswegs eindeutig sind. Auf der Autointoxicationslehre 
beruht auch die von Dirmoser eingeschlagene Therapie, in der 
Menthol, Creosot, Calomel, Darmirrigationen sowohl bei der Emesis 
wie Hyperemesis zur Anwendung kommen. Bei dem Dunkel, in 
welches die in Frage stehende Erkrankung — auch nach Dirmoser’s 
Arbeit — noch gehüllt ist, werden die Ausführungen des Ver¬ 
fassers jedenfalls dankbare Beachtung finden. Fischeb. 


der Bedeutung war der einzige Erfolg dieser zehnjährigen Actiou. 
Und selbst dieser Hilfsverein, der sich dem Protectorate des Buda¬ 
pester Aerzteclubs anvertrauen mußte, konnte nach dreißigjährigem 
Bestände von den Mitgliedertaxen, Stiftungen und Legaten ein 
Stammvermögen von nur 120.000 Kronen sammeln, das selbst¬ 
redend nur eine tröpfelnde Hilfsquelle der erwerbsunfähigen Aerzte, 
ihrer Witwen und Waisen sein kann. Unter dem Eindrücke dieser 
sich immer trauriger gestaltenden Verhältnisse hatte die Aerzteliga 
sich auch das Ziel gesteckt, die Sünden des Staates und der 
Gesellschaft auf dem Gebiete der Wohlfahrtspflege wett zu 
machen. 

Es ist ja ein unumgängliches Erforderniß, daß die im Dienste 
edler und erhabener Ziele stehende Aerzteschaft auf einem hohen 
moralischen Niveau stehe. Das kann aber nur erreicht werden, 
wenn ihre Existenz und ihre Zukunft nach allen Richtungen 
hin gesichert erscheint. Und dieses hohe, aber nicht erreichbare 
Ziel hat der durch die Aerzteliga gegründete Pensions- und Hilfs¬ 
fonds vor Augen und schickt sich nun an, ein größeres Stamm¬ 
vermögen zu sammeln. Den Mittelpunkt dieser Action wird eine 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 10. 


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großartige Kunstausstellung bilden, die einzig in ihrer Art, im Privat¬ 
besitz befindliche Kunstobjecte umfassen und im Herbste 1902 er¬ 
öffnet werden wird. Der Budapester Aerzteverband hat an sämmt- 
liche Aerzte und alle Kunstmäcen Kundschreibene gerichtet, die das 
Ziel der humanitären und auch künstcrisch bedeutsamen Veranstal¬ 
tung besser als jede andere Empfehlung beleuchten. 

Schon die überaus rege Theilnahme, welche die Budapester 
Aerzteschaft der jüngsten Hauptversammlung des Buda¬ 
pester Aerzteverbandes gegenüber bekundete, ließ vermulhen, 
daß die Unzufriedenheit, welche unter den hauptstädtischen Aerzten 
infolge der precären materiellen Lage des ärztlichen Standes herrscht, 
sich im Laufe der Sitzung, die unter anderem die Aufgabe hatte, 
die Neuwahl der Functionäre vorzunehmen, Luft machen werde. 
Bezirksarzt Dr. Eugen Barsy ergriff auch die Gelegenheit, der Aerzte- 
liga ans Herz zu legen, gegen alle in Budapest florirenden Institute 
und Vereine aufzutreten, welche unter der Flagge der Humanität und 
der wissenschaftlichen Forschung auf Kosten der Aerzle das Kran¬ 
kenmaterial selbst der wohlhabenderen Kreise zu selbstischen Zwecken 
fructificiren. Es würde die precäre Lage der hauptstädtischen Aerzte 
aus der Welt schaffen, wenn die sogenannten Krankenunterstützungs¬ 
oder besser gesagt, Aerzte- und Krankenausbeutungsvereine durch 
eine energische Action unmöglich gemacht würden. Die Ausfüh¬ 
rungen des Redners wurden mit stürmischen Beifallskundgebungen 
aufgenommen und unisono als Directive für die Thätigkeit des 
neuen Bureaus, an dessen Spitze Hofrath Dr. Otto Schwartzer 
de Babacz gestellt wurde, erklärt. Die vollständige Sanirung der 
Uebelstände kann aber auf dieser Basis allein nicht platzgreifen. 
Eine Besserung der Verhältnisse kann erst dann eintreten, wenn 
eine Centralisation der Aerzte bewerkstelligt sein wird. Und diese 
kann nur im Wege einer stetig durchzuführenden Verstaatlichung 
erzielt werden, für die die Regierung und die öffentliche Meinung 
unter allen Umständen und in vorderster Reihe gewonnen werden 
muß. So lange die Aerzteschaft Ungarns Mann für Mann nicht auf 
dieser Basis eine tiefgreifende Action entfaltet, wird alles im besten 
Falle beim Alten bleiben. 

Der Krankenunterstützungsverein der ungarischen Beamten, 
gegen den die Aerzteliga im vergangenen Jahre eine erfolgreiche 
Action durchgeführt hatte, hat für die ärztliche Behandlung die 
Dividende festgestellt, welche den Mitgliedern nach der Zahl der 
Aerzte angewiesen wird. Als Basis dieser Dividende dient die Summe, 
welche aus den Einnahmen nach Abzug der Kosten der Arzneien, 
der Beerdigungsbeiträge, Unterstützungen etc. übrig bleibt. Von 
diesem Reste würden 80% als Dividende für Aerztehonorare be¬ 
stimmt. Die Dividende, welche für fünf Monate festgestellt wurde, 
während der die freie Aerztewahl zur Geltung gekommen ist, be¬ 
trägt 1487 Kronen, d. i. eine Krone für jede Visite. 

Im Finanzausschüsse des Abgeordnetenhauses wurde die Er¬ 
richtung einiger neuen Kliniken angeregt. Der Cultus- und Unter¬ 
richtsminister Dr. Julius Wlassicz erklärte, es könne mit Rücksicht 
auf die finanziellen Verhältnisse des Landes nur die Errichtung 
einer Klinik für Nervenkranke für die nächste Zukunft ins Auge 
gefasst werden. Bl. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Wiener medicinisekes Üoctoren-Collegium. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Med. Presse“.) 

Wissenschaftliche Versammlung vom 24. Februar 1902. 

Karl Ullmann : Einige Hautanomalien in ihren Beziehungen zu 
inneren Organerkrankungen. 

Beziehungen zwischen Hautanomalien oder Hautkrankheiten 
und zwischen Störungen innerer Organe können verschiedener Art 
sein und nach verschiedenen Gesichtspunkten beurtheilt werden : 
diese Beziehungen sind zeitlich oder örtlich, näher oder entfernt. 
In zeitlicher Beziehung können die Hauterscheinungen der inneren 
Organerkrankung vorangehen (z. B. Icterus als Vorbote maligner, 
noch nicht manifester Tumoren), ihr nachfolgen (Chloasma bei 
Gravidität, Alopecie nach Typhus, Exantheme bei Diabetes etc.), 
oder sie begleiten (Oedeme bei verschiedenen Organerkrankungen). 


Eine örtliche Beziehung zu inneren Erkrankungen zeigen gewisse 
Trophoneurosen, Decubitus acutus, Herpes zoster, Schweißanomalien, 
die druckschmerzhaften und analgetischen Zonen Head’s. Viele Haut¬ 
krankheiten und Hautanomalien beruhen auf einer hereditären Be¬ 
lastung (Psoriasis, Lichen ruber, manche Ekzeme, Akneformen, 
Pemphigus, Ichthyosis, Keratosen, Xeroderma, Mißbildungen der 
Haut u. s. w.), bei anderen ist letztere noch nicht sicher erwiesen 
(Angio- und Trophoneurosen der Haut). Die Entstehung derartiger 
Hautkrankheiten knüpft sich oft an gewisse Entwickelungsperioden 
des Menschen, besonders an die Evolution und die Involution: so 
kommen im Kindesalter namentlich Ekzeme und Seborrhoe, bei 
Juvenilen Akne, im Klimakterium Fettbildung und Hypertrichosis, 
im höheren Alter maligne Tumoren vor. Zum Zustandekommen der 
Hauterkrankung müssen meist mehrere auslösende Momente Zusammen¬ 
wirken ; so können z. B. bei der Angiektasie im Gesichte neben der 
individuellen Disposition die Einwirkung von Kälte, Alkohol, über¬ 
mäßiger Genuß von Herzgiften als ätiologische Momente fungiren. 
Die Haut ist ein Excretionsorgan für Wasser, Gase und für Proto¬ 
plasmagifte (Harnsäure, Harnstoff, Bakterien, Toxine) und dient 
auch der Wärmeregulirung; ein functioneller Ausfall der Haut muß 
daher innere Organe belasten. So gehen Individuen mit Ekzema 
universale, Pemphigus, Sklerema etc. nach einiger Zeit zugrunde, 
die Obduction deckt dann Anämie, Darm-, Nieren- oder Lungen¬ 
erkrankungen oder Amyloidose auf. Manche Autoren führen diese 
Erscheinungen auf den Ausfall der inneren Secretion der Haut 
zurück, welcher Meinung Vortr. nicht beipflichtet; die Haut ist 
jedoch sicher ein entgiftendes Organ; dafür sprechen die Ilaut- 
affectionen, welche Nieren- und Darmerkrankungen begleiten. Zwischen 
Niere und Haut scheint kein fester directer Zusammenhang zu be¬ 
stehen ; so kommt es z. B. bei chronischem M. Brightii nicht zu Haut- 
affectionen, trotzdem urotoxische Substanzen durch die Haut aus¬ 
geschieden werden; vielleicht setzt dabei das bestehende Oedem 
die Empfindlichkeit der Haut gegen diese Substanzen herab. Viel¬ 
leicht ist die Coincidenz von Nieren- und Hauterkrankungen durch 
Erkrankung eines höheren, z. B. eines vasomotorischen Centrums 
bedingt. Als Ursache der Hauterkrankungen bei Magen- und Darra- 
affectionen (Ekzeme, Erytheme, Verfärbungen, Gefäßektasien) werden 
Spaltungsproducte des Eiweißes angesehen, welche auch manchmal, 
aber nicht immer, im Harne nachweisbar sind ; letzterer Umstaud 
hat vielleicht seinen Grund in ungenügenden chemischen Methoden 
zum Nachweise der Spaltproducte oder darin, daß die Hautaffectionen 
auf bisher unbekannte Spaltproducte des Eiweißes zurückzuftihren 
sind. Beim Zustandekommen derartiger autotoxischer Hautaffectionen 
spielt die Disposition eine wichtige Rolle, ebenso Hysterie und 
Neurasthenie; bei ersterer kommen flüchtige, bei letzterer länger 
anhaltende Hautveränderungen vor. Bei Magenstörungen beobachtet 
man oft einfache Hautangiome, welche der Ausdruck einer localen 
Gefäßschwäche sind. Manche Hauterkrankungen zeigen eine directe 
Beziehung zum Nervensystem, z. B. Angioneurosen, Erythromelalgie, 
Schweißanomalien, Herpes zoster etc. Ferner zeigen Beziehungen zu 
inneren Organen': Toxikodermien, acute Exantheme, Hauterkrankung 
bei Constitutionsanomalien, sogenannten Diathesen und Bluterkran¬ 
kungen, die Syndrome der Cachexia strumipriva, des M. ßasedowii 
und Addisonii u. a. 

K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 7. März 1902. 

W. KNÖPFELMACHER demonstrirt ein Präparat von beider¬ 
seitiger Ureteren- und Nierenbeckenverdoppelung. 
Dasselbe wurde bei der Obduction eines vierjährigen Mädchens ge¬ 
wonnen, an dem intra vitam Leber- und Milztumor und in der 
linken Flanke ein retroperitonealer, streptokokkenhältiger Absceß 
sich fanden. Wurde auf letzteren vom Rectum aus ein Druck aus¬ 
geübt, dann entleerte sich Eiter aus der Vagina. Im Harne wurden 
Colibacterien uachgewiesen. Bei der Section zeigten sich beide 
Nieren mit doppelten Nierenbecken und doppelten Ureteren ver¬ 
sehen ; der linke obere Ureter mündete in die Vagina. Durch In- 
fection von dieser aus war es zur Pyelonephritis gekommen. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 10. 


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E. ULLMANN erstattet eine vorläufige Mittheilung über die 
Transplantation der Niere. Die ausgeschnittene Niere wurde 
demselben Thiere (Hund) unter die Haut des Halses genäht, die 
Nierenarterien mit der Carotis, die Nierenvene mit der Jugularis 
verbunden, so daß die Blutcirculation iu der Niere erhalten blieb. 
Die Niere blieb lebend und secernirte in ganz normaler Weise durch 
mehrere Tage Harn. 

A. v. Eiselsberg erwähnt seine noch im Gange befindlichen Versuche 
über Transplantation kleiner Nierenstücke ins Mesenterium. 

A. Biedl berichtet, daß sich bei entnierten Thieren die infolge der 
Urämie eintretende Alteration der Athmung durch Injection von frischem 
Nierensaft beeinflussen lasse ; eine Verlängerung des Lebens der Thiere sei aber 
durch die Injectionen nicht zu erzielen. 

A. Kreidl bemerkt, daß A. Exneu schon vor vier Jahren in fast derselben 
Weise wie Vortr. Nierentransplantationen an drei Hun len vorgenommen habe. 

R. TÖPFER schildert seine Untersuchungen an Thieren über 
den Eiweißabbau in der Leber, bei welchen ein Theil der 
Organe aus der Circulation ausgeschaltet und die Leber vital durch¬ 
blutet wurde. Es ergab sich, daß die Leber nur unter Zuhilfenahme 
des Verdauungsapparates einen Abbau der zugeführten Eiweißkörper 
zu bewerkstelligen imstande sei; diese müssen vorher während der 
Passage durch die Darmwand dazu geeignet gemacht werden. Wahr¬ 
scheinlich wird in der Darm wand ein großer Theil der eingeführten 
Eiweißkörper in coagulirbares Eiweiß zurückverwandelt. 

Sigmund Frankel: Ueber stereochemisch bewirkte Wirkungs¬ 
differenzen. 

Das Studium des Aufbaues ähnlich wirkender Körper ergibt, 
daß eine bestimmte Gruppirung der chemischen Bestandtheile der¬ 
selben mit der gleichen Wirkung einhergeht. In jeder wirksamen 
Substanz findet sich eine verankernde Gruppe, welche die Substanz 
mit dem Körpergewebe in Wechselbeziehung bringt, und eine die 
specifische Wirkung hervorrufende Gruppe; diese Gruppen können 
auch in größerer Anzahl vorhanden sein. Dann kommen je nach 
der Stärke der Affinität zwischen den einzelnen Gruppen und dem 
Gewebe Haupt- und Nebenwirkungen zum Vorschein. Die Haupt¬ 
wirkung der Substanz bleibt bestehen, wenn bei gleichbleibender 
chemischer Bindung verschiedene Gruppen der ursprünglichen Ver¬ 
bindung angelagert werden. So zeigen alle Derivate des Morphins, 
bei welchen das Phenolhydroxyl durch beliebige Radicale ersetzt 
wird, eine hypnotische Wirkung (Codein, Dionin, Heroin etc.); 
wird jedoch dabei durch Sprengung des Benzolringes eine andere 
chemische Bindung erzeugt, daun entstehen z. B. strychninartige 
Substanzen ohne hypnotische Wirkung. Das Morphin wird voll¬ 
kommen unwirksam, wenn sich zwei Moleciile desselben zu einem 
Ester (Pseudomorphin) verbinden, oder wenn sie durch ein Radical 
in einer bestimmten Stellung aneinander gebunden werden, oder 
wenn der Morpholinring des Morphins gesprengt wird. Substanzen, 
welche gleiche Gruppen enthalten, wirken anders, wenn die Lage¬ 
rung ihrer chemischen Einheiten im Raume eine andere wird. So 
unterscheiden sich z. B. die Fumarsäure und die Mälleinsäure nur 
durch die doppelte Bindung zweier Kohlenstoffatome. 

Viele dieser Substanzen gehen leicht in einander über, z. B. 
durch Erhitzen; dabei erweist sich die labile Modification als die 
wirksamere. Bei Substanzen mit asymmetrischem Kohlenstotfatom 
tritt diese Wirkung noch deutlicher hervor. Die Weinsäure hat z. B. 
optisch active und inactive Modificatiouen von verschiedener Giftig¬ 
keit; die Arabinose ist je nach ihrer chemischen Constitution ver¬ 
schieden verdaulich, das Asparagin tritt in einer süßen und einer ge¬ 
schmacklosen Modification auf, das Links-Cocain wirkt weniger rasch 
als das Rechts-Cocain; das aus dem Fliegenpilz gewonnene Muscarin 
verhält sich anders als das künstlich gewounene. Ebenso gibt es 
physiologisch wirksame und unwirksame Atropinderivate; der Alka- 
loidbestandtheil des Atropin (Tropin) wird erst durch Anlagerung 
einer aromatischen Säure wirksam. 


Notizen. 

Wien, 8. März 1902. 



Die Wiener Hochschule, unsere Facultät, hat ein schwerer 
Verlust betroffen. Der ausgezeichnete Vertreter der Derma¬ 
tologie, als Lehrer, Forscher und Arzt gleich hochstehend, 
Ferdinand Hebba’s erfolgreicher Mitarbeiter und Nachfolger, 
Hofrath Prof. Moriz Kaposi ist in den Morgenstunden des 
6. März verschieden. Ein Mann ist zur Ruhe gegangen, dessen 
unermüdliches Wirken und Schaffen auf dem Gebiete der Haut¬ 
krankheiten den Glanz jener Epoche reflectirte, die wir mit Stolz 
die Aera der zweiten Wiener medicinischen Schule nennen. Ihm 
war es beschieden, an der Seite des Reformators der Dermatologie, 
eines Hebra, zu wirken, als eifriger, hochbegabter Jüngling 
einzutreten in den wissenschaftlichen Kreis der Männer, deren 
Namen eingetragen sind in das Ehrenbuch der Medicin und 
ihrer Lehre, das Erbe zu wahren und zu mehren, das ihm 
geworden. 

Er ist den Weg gewandert, den ihm Neigung , Pflicht 
und seltene naturwissenschaftliche Begabung gewiesen und 
erleichtert haben. Er hat erreicht, was nur den Auserwählten 
beschieden : Sein Name ist unlösbar verbunden mit der Wissen¬ 
schaft, die er gefördert; sein Andenken ist gesichert für alle 
Zeiten. 

Eine berufene Feder soll an dieser Stelle der wissen¬ 
schaftlichen und didactischen Bedeutung Kaposi’s gerecht 
werden. 


Die österreichische Sanitätsverwaltung im 
Parlamente. 

In der Budgetdebatte des österreichischen Abgeordnetenliauses 
hatte der Sanitätsreferent im Ministerium des Innern, Sectionschef 
R. v. Kcsy, Anlaß, in gedrängter Kürze ein Expose der Leistungen 
der Sanitätsverwaltung Oesterreichs zu entwerfen, dessen wesent¬ 
lichsten Inhalt wir folgen lassen. Dem ärztlichen Leser dürften die 
mit großem Beifall aufgenommenen Mittheilungen des unermüdlichen 
ärztlichen Beamten, der als Protomedicus Oesterreichs das Sanitäts¬ 
ressort in musterhafter und erfolgreicher Weise leitet, von besonderem 
Interesse sein. 

Im Jahre 1872 hat die Zahl der Blatterntodesfälle in Oesterreich 
mehr als 36.000, im Jahre 1873 sogar 65.000 betragen, wovon auf Nieder¬ 
österreich allein 7000 Todesfälle entfielen. Im Jahre 1874 betrug die Ziffer 
noch mehr als 30.000, und von da ab ist erst eine Abnahme zu constatiren, 
ohne daß es aber in irgend einem Lande Oesterreichs ein blättern frei es Jahr 
gegeben hätte. Zunächst wurde nur mit der Impfung in der Armee vorgegangen, 
und es hat sich hiedurch der Gesundheitszustand wesentlich gebessert. Man hat 
infolge dessen der Impfung eine größere Aufmerksamkeit gewidmet. Trotzdem 
gab es im Jahre 1893 in Niederösterreich noch 700 Blatteratodesfälle. Nun 
haben wir die Schulimpfung einführen können, und es wurde an die Stiftung 
einer eigenen Impfstoffgewinnungsanstalt gedacht. Denn die Vorbedingung zur 
Bekämpfung der Blattern war, daß man einen absolut unschädlichen, wirk¬ 
samen, von jeder Ansteckung freien Impfstoff gewinnen mußte. Die Impfanstalt 
wurde daher so eingerichtet, daß sie allen Anforderungen der Aseptik voll¬ 
ständig standhalten kann. Es wurde mit Aufwand von vielem Scharfsinn und 
technischer Fachksnntniß eine Methode erdacht, die heute in ganz Europa 
uachgeahmt wird, um jede Verunreinigung des Impfstoffes hintanzuhalten. Die 
Impfanstalt verfügt auch über ein eigenes hacteriologisches Lab:>ratorium, wo 
auf Grund mikroskopischer Untersuchungen mit Sicherheit festgestellt wird, 
daß keine irgendwelche die Gesundheit schädigenden Keime in der Lymphe 
vorhanden sind. Die Thiere, von denen der Stoff stammt, werden nnter thier¬ 
ärztlicher Mitwirkung secirt, und in einem Protokoll wird constatirt, daß an 
dem Thiere keine krankhafte Veränderung vorhanden war. Die Pflege der 
Impfung, die durch das Vertrauen gefördert wurde, das die Bevölkerung jetzt 
in den weitesten Kreisen zu diesem unanfechtbaren Impfstoff faßte, hat 
wesentlich dazu beigetragen, daß es gelungen ist, die Blattern¬ 
erkrankungen auf ein sehr niedriges Maß herabzudrücken. 
Nieder Österreich erfreut sich jetzt seit vier Jahren bis auf ein Jahr, wo drei 
Blatternfälle aus dem Ausland eingeschleppt worden sind, der Blattern, 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 10. 


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freiheit, und Oberösterreich, Salzburg, fast alle Alpenländer, selbst Böhmen 
und Mähren haben schon einige ganz blatternfreie Jahre gehabt. Mit Aus¬ 
nahme von Galizien und der Bukowina, wo die Sanitätsverhältnisse, obwohl 
sie sich ungemein gebessert haben, noch nicht jene günstigen Erfolge erreicht 
haben wie in den anderen Ländern und die Einschleppung der Blattern aus 
Rußland möglich ist, haben wir in manchenJahren in sämmtlichen 
Kronländern Oesterreichs nicht zehn Blatterntodesfälle ge¬ 
habt, während im Jahre 1873 allein 65.000 Fälle vor¬ 
gekommen sind. 

Es ist auch gelungen, die Diphtheriesterblichkeit durch ein 
ähnliches staatliches Institut herabzumindern und durch die außerordentliche 
Unterstützung von Gemeinden und anderen autonomen Körperschaften, die bei 
der Durchführung von Assanirungsmaßregeln in der muniticentesten Weise vor¬ 
gegangen sind, ist es auch gelungen, die Typhus- und Ruhrsterblich¬ 
keit herabzusetzen, so zwar, daß, während im Jahre 1892 die Sterblichkeit 
an Infectionskrankheiten die Ziffer von 106.000 erreichte, den sechsten Theil 
der gesammten Sterblichkeit, trotz des Anwachsens der Bevölkerung in diesem 
Zeitraum um zweieinhalb Millionen die Sterbefälle an Infectionskrankheiten im 
Jahre 1900 um 50.000 geringer waren. Während vor zehn Jahren in Oester¬ 
reich rund 700.000 Todesfälle vorgekommen sind, hat sich im Jahre 1900 die 
Zahl der Todesfälle auf 58.000 ermäßigt. Die staatliche Sanitätsverwaltung 
kann daher mit einiger Befriedigung auf gewisse Erfolge zurückblicken und 
auch für die Handhabung des Sanitäts- und Woblfährtswesens einiges Vertrauen 
in Anspruch nehmen. 

Zn jenen Krankheiten, deren Bekämpfung uns durch die Fortschritte 
der wissenschaftlichen Forschung zugänglich geworden ist, gehören insbesondere 
die Tuberculose und die Malaria. In dieser Hinsicht sind bereits Vor¬ 
bereitungen im Zuge, damit es möglich werde, die Fortschritte der Wissen¬ 
schaft piaktisch für das Sanitätswesen zu verwerthen. Bei der Tuberculo-e 
spielt die Heilstättenfrage eine große Rolle. Ich kann versichern, daß die 
Sanitätsverwaltung nichts unterläßt, um die Errichtung von Heilstätten zu 
fördern, und daß sie nicht bloß bei der Heilanstalt Alland, die eine Jahres¬ 
subvention von 8000 Kronen genießt, sondern auch bei anderen im Werke 
begriffenen Heilstätten ihre Mitwirkung sichergestellt hat. Selbstverständlich 
kann, wenn man von der Tuberculose spricht, auch nicht von derScrophu- 
lose geschwiegen werden, und es ist gar keine Frage, daß die Scrophulose, 
die gerade die heranwachsende Generation am meisten physisch degenerirt, in 
die Bekämpfung der Tuberculose einbezogen werden muß. Wirschätzen daher auch 
die Seehospize, die bisher allerdings der privaten Wohlthätigkeit ihre Ent¬ 
stehung verdanken, außeroi deutlich hoch. Wenn die eigentlichen Ursachen der 
Pellagra auch wissenschaftlich noch nicht erkannt sind, so war die Regie¬ 
rung doch auch in dieser Beziehung nicht müßig. Die Regierung hat im Jahre 
1898 das Pellagrpgarium in Rovereto mit einem Betrage von 48<)0 Kronen be¬ 
dacht, welcher Betrag im Jahre 1900 bereiis auf 10-000 Kroöen erhöht wurde. 
Desgleichen ist die Action der Bekämpfung der Pellagra in Gradisca wieder 
aufgenommen worden. 

Eine andere Endemie, deren Charakter leider noch nicht wissenschaftlich 
erforscht ist, ist der die Alpenländer so sehr bedrängende Idiotismus und 
Cretinismus. Es handelt sich bei Bekämpfung des Cretinismus nicht bloß 
um Pflegeanstalten, obwohl da leider wenig zu heilen ist. In jüngster Zeit 
ist man aber dennoch so weit gekommen, daß man gewisse physische Degene¬ 
rationserscheinungen kennen lernte, die mit dem Beginne des Cretinismus 
einhergehen, und daß man medicinische Präparate anzufertigen verstanden 
hat, die auf die Heilung im Anfangsstadium einwirken, die sogenannten 
Thyreoidinpräparate. Nun ist die Staatsverwaltung daran, diese Präparate 
unentgeltlich dieser Behandlung zur Verfügung zu stellen. Es werden mit 
den Landesausschüssen der Alpenländer Verhandlungen gepflogen, um die 
Möglichkeit zu schaffen, solche heilungsfähige Kinder in Anstalten unterzu¬ 
bringen, um dort einerseits den Einflüssen entrückt zu sein, die den Creti¬ 
nismus immer wachsen lassen, und andererseits die durch die Wissenschaft 
gebotenen Mittel anzuwenden, um die Fortschritte der Krankheit hintanzu¬ 
halten. Natürlich braucht eino solche Pflege lange Zeit, und es ist nicht gut 
möglich, durch sehr lange Zeit diese Pflege in der Anstalt durchzuführen. Es 
soll diese Pflege dann unt*r dir Controle der Sanitätsorgane in die Familie 
übergehen, und es sollen auch der betroffenen Familie die Heilmittel umsonst 
beigestellt werden. Auf diese Art dürfte es gelingen, die enorme Zahl von 
Cretinösen, die die Statistik mit mehr als 20.000 angibt, wieder zu vermindern. 

Was die Irrenpflege anlangt, darf ich mich darauf berufen, daß 
auch in diesem Zweige die Sanitätsverwaltung einen neuerlichen Anlauf ge¬ 
nommen hat,, um diese schwierige Frage, die nicht bloß eine sanitäre ist, 
sondern hauptsächlich durch die Beziehungen zum Entmündigungsverfahren in 
die Rechtssphäre eingreift, im Einvernehmen mit dem Justizministerium einer 
Lösung zuznführen. Es sind die Berathungen der zu diesem Zwecke hei den 
Ministerien eingesetzten gemischten Commission schon ziemlich vorgeschritten, 
um die Hoffnung zu bieten, daß die gewünschte Reform bald in Angriff 
genommen werden kann. 

Wenn ich mir erlaubt habe, auf einige Erfolge des Sanitätswesens 
hinznweisen, um zu begründen, daß die staatliche Sanitätsverwaltung in dieser 
Richtung einiges Vertrauen verdient, bin ich weit davon entfernt, das Ver¬ 
dienst nur den Bemühungen der staatlichen Sanitätsorgane zuzuschreiben. Die 
großen Calamitäten, die wir in den letzten 10—15 Jahren gehabt haben, das 
wiederholte Eindringen von Cholera und Pest haben eine so allseitige 
Thätigkeit der Gemeinden bei der Assanirung, bei der Schaffung von Wohl- 
thätigkeitsinstitutionen ins Leben gerufen, die gewiß sehr viel dazu bei¬ 
getragen hat, die Infectionskrankheiten, aber auch andere Krankheiten zu 
vermindern. Es ist in dieser Richtung auf diesem neutralen Cultnrgebiet mit 


vereinten Kräften vorgegangen worden, und ei ist erhebend, aussprechen zu 
können, daß sich die Eintracht auf diesem Gebiete der humanitären und 
sanitären Cultur in einer solchen Weise bewahrheitet hat. 


(Freie Arztwahl bei den K r a nk en c aa s en.) Im Ab- 
geordneteDhause hat Sectionschef Dr. R. v. Wolf einige Mitthei¬ 
lungen über die „im Zuge befindliche“ Revision des Arbeiter- 
K'ranken- und Unfallversicherungs-Gesetze gemacht, die nicht ver¬ 
fehlen werden, die Aufmerksamkeit der Aerzte zu erregen, zumal 
sie die gesetzmäßige Einführung der freien Arztwahl in absehbarer 
Zeit in Aussicht zu stellen scheinen. Der Regierungsvertreter sagte 
unter Anderem: 

„Was das Verhältniß der Krankencassen zu den Aerzten und zu den 
Apothekern anbelangt, so leugne ich nicht, daß diese Frage eine äußerst 
schwierig zu lösende sein wird, aus dem Grunde, weil die Gegensätze zu 
hart aneinander stoßen; auf der einen Seite die Krankencassen, welche 
in ihrem Ausgabenetat an die strengste Sparsamkeit gebunden sind, auf 
der anderen Seite die Aerzte, die doch gewiß eine würdige Hono- 
rirung ihrer Leistungen in Anspruch nehmen dürfen, und 
endlich die Apotheker, denen man es nicht für übel nehmen kann, wenn 
sie eine ausreichende Verzinsung ihres oft nicht unbedeutenden Anlage- 
capitals fordern. — Es ist uns auf diesem Wege der Krankenversicherung 
Deutschland vorausgegangen, und wenn auch dort nicht die besten Zu¬ 
stände bis heute geschaffen sind, so sind doch gewissermaßen mustergiltige 
Zustände geschaffen, und die Regierung strebt dahin, die Dinge in Oester¬ 
reich auf dieselbe Bahn zu bringen. Selbstverständlich ist auch in diesem 
Falle der Weg der freien Vereinbarungen, wie er in Deutschland 
betreten wurde, derjenige, der wohl zunächst ins Auge gefaßt werden muß.“ 

(Pro me die o.) Im österreichischen Abgeordnetenhause ist 
jüngst ein Wort für die Aerzte gesprochen worden, das reproducirt 
zu werden verdient. In der Budgetdebatte bemerkte der praktische 
Arzt, Abgeordneter Dr. Opydo, daß es höchste Zeit wäre, dem ärzt¬ 
lichen Stande jenes Wohlwollen und jene Fürsorge angedeihen zu 
lassen, welche diesem Stande kraft seirer socialen Stellung gebührt. 
Bis jetzt sei für den Aerztesta id von Seite der Regierung sehr 
wenig geschehen. Die Aerztekammern habeu für den praktischen 
Arzt keine Bedeutung, weil sie keine Vertretung im Reichsrath, 
im Landtag, im Obersten Sanitätsrath, ja nicht einmal im Landes¬ 
sanitätsrath haben und ihre Beschlüsse nicht rechtskräftig'sind. 
Für manche Stände sei schon etwas geschehen. Vom ärztlichen 
Stande sei in diesem Hause nie die Rede. Redner schilderte die 
materiell ungünstige Lage der Spitalsärzte auf dem flachen Lande, 
deren Thätigkeit zu ihrer Entlohnung in keinem Verhältnisse stehe, 
der Gemeinde- und Districtsärzte, der Krankencassenärzte, bezüglich 
deren die Ausbeutung den denkbar höchsten Grad erreicht habe, 
der Eisenbahnärzte etc., und kommt sodann auf die Lage der 
Privatärzte zu sprechen, deren Praxis durch die große Concurrenz fast 
gänzlich unterbunden sei. Die Sterblichkeit bei den Aerzten sei durch¬ 
schnittlich um 25 9°/ 0 höher als bei der übrigen Bevölkernng. Pflicht 
der Regierung wäre es, den praktischen Aerzten durch Verleihung 
von Stipendien und unentgeltlichen Cursen beizustehen. Redner be¬ 
antragte schließlich eine Resolution, in welche die Regierung auf¬ 
gefordert wird, in kürzester Zeit ein Gesetz betreffend die obli¬ 
gatorische Versicherung der praktischen Aerzte 
vorzulegen, durch welches allen Privatärzten, welche einen Anspruch 
auf eine Pension der Staatsbeamten der zehnten Rangsclasse nicht 
besitzen, für den Fall der Invalidität oder im Todesfälle den 
Witwen und Waisen derselben die Bezüge der Staatsbeamten der 
zehnten Rangsclasse zugesichert werden. 

(Die Studirenden und die Aspirantenmisere.) 
Am 4. d. M. hat eine allgemeine Versammlung der Wiener 
medicinischen Studentenschaft stattgefunden, in welcher der Vollzugs¬ 
ausschuß über seine bisherige Thätigkeit Bericht erstattete und eine vom 
Professorencollegium dem Unterrichtsministerium zu überreichende 
Denkschrift vorlegte. Von einem falschen, weil im praktischen Leben 
verhängnißvollen Idealismus befangen — sagt die Denkschrift ! ) — 
dränge sich der Abiturient zu einem Berufe, den die Tradition 
zum edelsten gestempelt habe, der aber auch der undankbarste 

') Die Denkschrift, deren allgemeine Verbreitung sicherlich wünschens¬ 
wert erscheint, kann gegen Zusendung von 30 Hellern (in Briefmarken) vom 
Obmanre des Vollzugsausschusses Herrn E. Wicumann (VIII., Fuhrmanngasse 7) 
bezogen werden. Aerztlicho Vereine erhalten bei Bezug von 10 Exemplaren zwei 
Freiexemplare. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 10. 


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sei. Nach Jahren schweren Studiums komme er zur Einsicht, daß 
er einen wenig aussichtsreichen Beruf gewählt habe. Als jung 
promovirter Arzt müsse er auf einer Abtheilung prakticiren, gleich¬ 
viel ob er sich später als fest angestellter oder als praktischer 
Arzt sein Brot verdiene. Dieser Forderung fehle gewiß nicht die 
Berechtigung. Aber wie könne man verlangen, daß ein Mann, ein 
Arzt, einen anstrengenden und verantwortungsvollen Dienst im 
Interesse seiner Mitmenschen und des Staates macht, ohne daß er 
einen Heller Entschädigung bekomme ? Die Aussichten des Mediciners 
seien aber die denkbar schlimmsten, wenn er Staatsbeamter werden 
wolle. Nach der Promovirung, nach zweijähriger Spitals- oder drei¬ 
jähriger Privatpraxis, überdies nach Ablegung der sehr schwierigen 
Physikatsprüfung winke ihm eine adjutirte, oft aber auch nicht 
adjutirte Stelle in der X. Rangsclasse, während die mit der 
Physikatsprüfung gleichwerthige Amtsleiter- oder Richteramtsprüfung 
die IX. Rangsclasse eintrage. Um das Schicksal der jungen Aerzte 
müßten sich nicht Secundarärzte und Assistenten, welche die Leidens¬ 
jahre des Aspiranten hinter sich haben , nicht die praktischen 
Aerzte, die den eigenen schweren Kampf ums Dasein kämpfen 
müssen, sondern die Studenten der Medicin bekümmern, die durch 
das caudinische Joch des unbesoldeten Aspirantenthums zu gehen 
haben. Würde der Staat allen mittellosen, eben promovirten 
Studenten behufs gründlicher Ausbildung ein Staatsstipendium 
von 500 fl. für die Dauer eines Jahres gewähren, so wäre die 
Frage gelöst. — Die überaus zahlreich besuchte Versammlung, 
welcher viele Professoren und Aerzte anwohnten, nahm den vor- 
gelegten Entwurf einhellig an. Ihren Sympathien für die Bestrebungen 
der Studentenschaft gaben Decan Prof. Kolisko, Hofr. Prof. Neusser, 
Dr. Josef Kornfeld als Vertreter der Wiener Aerztekammer und 
die Vertreter des Vereines der Hilfsärzte der k. k. Wiener Kranken¬ 
anstalten Ausdruck. 

(Wiener Aerztekammer.) Am 4. d. M. hat eine Voll¬ 
versammlung der Kammer stattgefundon, in welcher die in der 
Versammlung vom 28. Februar vertagten Verhandluugsgegen- 
stände erledigt wurden. Raummangels wegen werden wir über die 
Beschlüsse dieser Kammersitzung erst in nächster Nummer berichten. 

(Au8 den Aerztekammern.) Gegen die Verordnung, daß 
die Revaccination der Schulkinder unentgeltlich vorzunehmen sei, 
hatte die mährische Aerztekammer seinerzeit Beschwerde erhoben. 
Seitens des Ministeriums ist jedoch dieser Beschwerde keine Folge 
gegeben worden. Die mährische Aerztekammmer beabsichtigt nun¬ 
mehr, die ihrem Sprengel angehörenden Aerzte aufzufordern, dies¬ 
bezüglich die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu richten. 
— Der Aerztekammervorstand für Kärnten hat — wie das „Oest. 
Aerztekammerblatt“ meldet—an die Districtsärzte folgende Warnung 
ergehen lassen : Nachdem anläßlicli einer von der Bezirkshaupt- 
manuschaft einberufenen Bürgermeisterconferenz die angeblich hohen 
Tarifsätze der Districtsärzte für privatärztliche Verrichtungen einen 
Punkt der BerathuDgen bildeten und es nicht ausgeschlossen ist, 
daß in absehbarer Zeit von Seite der politischen Behörden das 
Verlangen an die Districtsärzte gestellt werden könnte, ihre For¬ 
derungen in dieser Beziehung herabzumindern, „warnt die Kammer 
die Herren Districtsärzte, mit ihren Taxen niederer zu gehen, 
wenn die k. k. Bezirkshauptmannschaften mit diesem Ansinnen an 
sie herantreten würden“. 

(Habilitationen.) Dr. Andreas Gonka hat sich als 
Privatdocent für Zahnheilkunde und Dr. Roman Rencki als Privat- 
docent für interne Medicin an der medicinischen Facultät der Uni¬ 
versität in Lemberg habilitirt. 

(P ersonalien.) Der praktische Arzt Dr. Edmdnd Rossiwal 
hat den Orden der eisernen Krone III. Classe, der um die Milch¬ 
hygiene hochverdiente Professor an der technischen Hochschule in 
München Dr. Franz Soxhlet den persönlichen Adel erhalten. 

(Deutsche Gesellschaft für orthopädische Chi¬ 
rurgie.) Der 1. Congreßtag der Deutschen Gesellschaft für ortho¬ 
pädische Chirurgie, die sich — wie wir seinerzeit meldeten — 
am 23. September v. J. constituirt hat, wird der 1. April d. J. 
sein, der Tag vor Beginn der Zusammenkunft der „Deutschen 
Gesellschaft für Chirurgie“. Die Wahl ist auf diesen Tag gefallen, 


um, einem allgemeinen Wunsche Rechnung tragend , mit dem 
Chirurgen-Congresse Fühlung zu behalten. 

(Der VI. französischeinternisten-Congreß) wird 
am 1. April in Toulouse tagen. Verhandlungsgegenstände sind: 
„Insufficienz der Leber“, Ref. Charrin (Paris), Ducamp (Montpel¬ 
lier), Ver Enke (Gand); „Eklampsie der Kinder“, Ref. Moossons 
(Bordeaux), d’Espini (Genf); „Ueber Sedativa“, Ref. Soulier 
(Lyon), Henrijean (Liege). 

(Internationale Vereinigung der medicinischen 
Fachpresse.) Eine Delegirten-Conferenz der genannten Vereini¬ 
gung wird am 7. April in Monte Carlo tagen. Daselbst sollen die 
Vorbesprechungen zum II. Internationalen medicinischen Preß- 
congresse abgehalten werden. 

(Aus Berlin) wird uns geschrieben: Unsere Stadt erfreut 
sich seit kurzem der Specialität der ersten Krankencassenärztin. 
Es ist Fräulein Dr. von der Leyen, die bei der Betriebscasse der 
Berliner Straßenbahngesellschaft als Arzt angestellt wurde. 

(Statistik.) Vom 23. Februar bis inclusive 1. März 1902 wurden in 
den C i vi Ispitälern Wiens 7487 Personen behandelt. Hievon wurden 1529 
entlassen; 177 sind gestorben (10'4% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkernng Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 81, egypt. 
Augenentzündung 2, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 4, Dysen¬ 
terie —, Blattern —, Varicellen 159, Scharlach 77, Masern 326, Keuchhusten 61, 
Rothlauf 46, Wochenbettfieber 5, Rötheln 19, Mumps 21, Influenza 2, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 680 Personen gestorben 
(+ 33 gegen die Vorwoche). 


Die Fichtenbad-Tabletten von Dr. Sedlitzky verleihen dem Bade einen 
intensiven Gerneh nach ätherischem Fichtenöl und zeichnen sich durch leichte 
Löslichkeit und Haltbarkeit gegen die gewöhnlichen Extracte aus. Diese Bäder 
bieten also auch zugleich Fichtenöl-Inhalationen und wirken in jenen Fällen, 
wo eine stärkere Badecur nicht in Anwendung kommt, leicht anregend und 
leicht die Haut reizend. 


Wiener Medicinisches Doctoren-Collegium. 

Wissenschaftliche Versammlung. 

Montag den 10. März 1902, 7 Uhr Abends, 
im Institute für Radiotherapie des Prof. Schiff, I., Maximilianstraße 13. 

Vorsitz: Hofr. Prof. R. v. Redeb. 

Programm: 

Prof. E. Schiff: Ueber neueste physikalische Behandlungsmethoden von 
Hautkrankheiten. (Mit Demonstrationen.) 

Neue Literatur. 

(Der Redaction zur Besprechung eingesandte Bücher.) 

Nauss E., Constitutionspathologie. München 1901 (Otto Gmelin). 

Loos R., Bau und Topographie des Alveolarfortsatzes im Oberkiefer. Mit 
10 Tafeln und 4 Figuren im Texte. Wien 1901, Alfred Holder. 

Hübler H., Roentgen-Atlas. Dresden 1901, G. Kühtmann. — 36-—. 
Valassoponlo A., La peste d’Alexandrien 1899. Paris 1901, A. Maloine. 
Wilhelm Ebstein, Die Krankheiten im Feldzuge gegen Rußland (1812). 

Stuttgart 1902, Ferdinand Enke. — M. 2-40. 

Heinrich Hock, Die Diagnose der Herzmuskelerkrankungen. Stuttgart 1902, 
Ferdinand Enke. — M. 2.—. 

Albert Hoifa , Lehrbuch der orthopädischen Chirurgie. 4. Auflage. Stuttgart 
1902, Ferdinand Enke. — M. 23.—. 


Verantwortlicher Redactenr: Docent Dr. Ludwig Braun. 


Mit dieser Nummer versenden wir, für die Abonnenten 
der „Wiener Mediz. Presse“ als Beilage, das Februar- 
März-Heft der „Wiene r Klin ik“. Dasselbe enthält: 

„Errungenschaften und gegenwärtigerstand der Organotherapie.“ 
Von Doc. Dr. L. Ritter v. Korczynski in Krakau. 

Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
PostversenduDg. Die Preise der Elnb&nddeoken sind folgende: für die „Med. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.)- 
„Therapie der Gegenwart“ j K 1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Postversendung[ 

Die Rubrik: „Erledigungen, ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 

S Wir empfehlen diese Rubrik der speolellen Beachtung unserer 
rten Leser; in derselben werden öfters — neben der Publioation von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auch für diejenigen 
Herren Aerzte von Interease oder Werth sein können, welche an eine 
Aenderung des Domioils oder ihrer Verhältnisse nicht gedaoht haben. -flH 


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ALill. Jaürgang._Wien, den 16. März 1902. 


JNr. 11. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart-Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik“, letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse" 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 


Wiener 


Abonnementopreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Militärärztlicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jahrl. 
20 K, halbj. 10 K, viertelj. 5 K. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk-, halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 K; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein 
Sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien ,1, Maximilianstr. 4. 


medizinische Presse. 


Begründet 1860. 

Redaction: Telephon Nr. 13.B49. 


Organ für praktische Aerzte. 

--—«sg@.- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 

Administration: Telephon Nr. 9104. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Tuberculosefragen. Von Prof. Dr. Moriz Benedikt in WieD. — Die physikalisch-chemischen Eigen¬ 
schaften der Mineralwässer. Zu Prof. Dr. Jawobski’s Aufsatz „Heilwasser und Trinkheilwasserstätten“. Von Dr. Hans Koeppe. — Entgegnung 
auf vorstehenden Artikel. Von Prof. W. Jaworski. — Die Therapie der Blennorrhoe mit Acidum nitricum. Anmerkungen zur modernen Tripper¬ 
therapie. Von Dr. Moriz Porosz (Popper), Specialarzt für Harn- und Geschlechtskrankheiten in Budapest. — Referate. H. Oppenheim (Berlin): 
Ueber einen Fall von Rückenmarkstumor. — Drigalski und Conradi (Berlin): Ueber ein Verfahren zum Nachweis von Typhusbacillen. — Fritz 
Sengler (Karlsruhe): Ein Fall von Lufteintritt in die Venen des puerperalen Uterus mit tödtlichem Ausgange. — Blauel (Tübingen): Das Ver¬ 
halten des Blutdruckes beim Menschen während der Aether- und der Chloroformnarkose. — Nove-Jossekand (Paris): Die Behandlungen der 
angeborenen Hüftluxation nach der LoRENz’schen Methode. — Kieseritzkt (Riga): Experimentelle Untersuchungen über die Einwirkung von 
Nahrungsentziehung auf das Blut. — A. Gassmann (Bern): Ueber die Betheiligung der Uterusschleimhaut bei der Vulvovaginitis gonorrhoica der 
Kinder. — Aus dem pathologischen Institut (Geheimrath Marchand) und der chirurgischen Klinik (Geheimrath Küster) zu Marburg. Endeblen 
und Jüsti: Beiträge zur Kenntniß der ÜNNA’schen Plasmazellen. — J. Weigl (Müncheu): Sterilisationsapparat für Verbandmaterialien von 
R. Klien. — Kleine Mittheilungen. Eine einfache und empfindliche Eiweißprobe. — Creosotal. — Heilmittel gegen aufgesprungene Hände. — 
Erfahrungen mit der spinalen Anästhesie nach Bier. — Die Wirkung des Strychnins bei der Lungentuberculose. — Subcutane Injectionen natür¬ 
licher und künstlicher Arsenpräparate. — Quecksilberresorption bei der Schmiercur. — Lecithin. — Ein äußerer Handgriff zur Erleichterung der 
Defäcation. — Literarische Anzeigen. Handbuch der Therapie innerer Krankheiten in sieben Bänden, herausgegeben von Prof. Dr. F. Penzoldt 
und Prof. Dr. R. Stintzing. — Grundzüge der allgemeinen Mikrobiologie. Von Dr. M. Nicolle. — Feuilleton. Moriz Kaposi. Ein Nachruf. — 
Verhandlungen ärztlicher Vereine. Gesellschaft für innere Medicin in Wien. (Orig.-Ber.) — Notizen. — Nene Literatur. — Eingesendet. — 
Offene Correspondenz der Redaction and Administration. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse“ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Tuberculosefragen. 

Von Prof. Dr. Moriz Benedikt in Wien. *) 

Motto : Nil h ii in a u i n ohis 
alienum sit. 

I. Die Ansteekungsfähigkeit. 

Die wichtigste Frage ist wohl die der Ansteckungs¬ 
fäh igk eit der Sehwindsucht. 

Es ist gut, in allen Fragen die größte Lehrmeisterin — 
die Geschichte — zu Rathe zu ziehen, und da sehen wir, daß 
ein großer Meister im sogenannten grauen, aber oft sonnen¬ 
hellen Alterthume, daß Galen bereits die Frage bejaht hat 
und die wichtigste Bedingung der Ansteckung kannte. Er 
le^rt: „Bei Phthisikern bestehen faulige Aushauchungen im 
Zimmer, das sie bewohnen, und fötider Geruch. Erfahrungs¬ 
gemäß verfallen diejenigen in Phthisis, welche mit Phthisikern 
zusammen im Bette schlafen, lange zusammen wohnen, mit 
ihnen essen und trinken, oder deren Kleider und Wäsche ge¬ 
brauchen, bevor deren Schädlichkeiten beseitigt worden sind.“ 
Auf die volle Bedeutung dieser Lehre, deren Kenntniß ich 
Herrn Docenten Dr. Max Neuburger verdanke, kommen wir 
noch zurück. 

Eine zweite wichtige Lehre aus der Geschichte ziehe 
ich aus der Thatsache, daß die Gefahr der Ansteckung bei 
der Tuberculose keine sehr große sein könne, da dieselbe zeit¬ 
weilig aus dem Bewußtsein der Gelehrtenwelt entschwand. 


*) Vortrag, gehalten am 14. Februar 1902 in der k. k. Gesellschaft der 
Aerzte in Wien. 


Wenn Kliniker, wie Skoda und Oppolzer, diese Entstehungs¬ 
ursache übersehen konnten, so muß die Ansteckung nur unter 
besonders begünstigenden Bedingungen auftreten. Zweifellos 
wird heute die Ansteckungsgefahr in social-gemeingefährlicher 
Weise übertrieben. Es gibt eigene, uns noch nicht in ihrem 
Wesen bekannte Bedingungen, unter denen die Ansteckung erfolgt. 

Eine weitere Lehre aus der Geschichte, die bei dieser 
Gelegenheit besonders drastisch hervortritt, ist die, daß jeder 
Fortschritt in der Wissenschaft einen Rückschritt nach sich 
zieht. Mit den großen Errungenschaften der pathologischen 
Anatomie, welche die Tuberkeln als „Neubildung“ auffaßte, ver¬ 
schwand die alte Lehre von dem Entstehen durch Ansteckung. 
Aus dieser allgemeinen Lehre. die sich immer wieder von 
Neuem bewährt, geht für uns die Mahnung hervor, uns auch 
heute wieder zu fragen, ob nicht auch im heutigen Fortschritt 
ein theilweises Verkennen der Wahrheit liegt. 

II. Die Heimstätten der Ansteckung. 

Forschen wir nach den Bedingungen und Gelegen¬ 
heiten der Ansteckungsgefahr, so stoßen wir zu¬ 
nächst auf die Wohnungsfrage. Die Volkswohnung, die 
Heimstätte des Elends, ist die wichtigste Brutstätte der 
Schwindsucht. In ihr ist von einer gründlichen Lüftung, 
Besonnung und Reinigung keine Rede. Das Krankengift 
wuchert im Schmutze, von der die Luft erfüllt ist, der sich 
an den Wänden, am Fußboden, an den Einrichtungsgegen¬ 
ständen, an den Kleidern, an der Wäsche und an der Körper- 
oberfiäche anhäuft. 

Die Wäsche und besonders die Bettwäsche und die 
Kleider von Kranken und Verstorbenen werden überdies oft 
von den Gesunden benützt. 


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499 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 11. 


500 


Dieses Zusammenleben von Gesunden und Kranken in 
schlechten Wohnungen unter den genannten gesundheitsschäd¬ 
lichen Bedingungen ist um so gefährlicher, als es sich meist 
um schlecht genährte Menschen handelt, welche überdies allen 
Unbilden des Wetters ausgesetzt sind. 

Betont muß werden, daß Wohnräume als Träger der 
Ansteckungsstoffe im weiteren Sinne nicht etwa durch kurze 
und vorübergehende Benützung durch einen Kranken, sondern 
nur durch lange und häufige gefährlich werden, wenn nicht 
die nöthigen gesundheitlichen Vorkehrungen getroffen werden. 
Es ist nöthig dies zu betonen, damit nicht eine unnöthige 
und störende Panik im Publicum platzgreife. 

Es ist ferner gewiß, daß das Zusammenleben mit Phthisi¬ 
kern überhaupt gefährlich werden kann, und daß besonders 
beim ehelichen Zusammenleben der gesunde Theil in galoppi- 
rende Schwindsucht verfallen kann, besonders wenn der 
Kranke sich bereits im hektischen, fieberhaften Zustande mit 
reichlicher Schweißbildung befindet. Wir sehen aber so häufig 
diese Gefahr vorübergehen, wenn keine Prädisposition vor¬ 
handen ist, und die sonstigen hygienischen Verhältnisse 
günstig sind. 

Nach der Volkswohnung sind unter gewissen Verhält¬ 
nissen die Specialeurorte eine große Gefahr für die Ver¬ 
schlimmerung und die Verbreitung der Lungenschwindsucht. 
Kranke, die zu Hause viele hygienische Vortheile genießen, 
nämlich eine günstige Wohnung und eine gesunde, ihnen 
angepaßte Kost sowie reichliche Pflege, werden in Curorte ge¬ 
schleppt, und sie kehren elend oder gar nicht mehr zurück. 
Die Erfahrung zeigt, daß je älter der Curort ist, desto ge¬ 
fährlicher wird er für die Kranken, für die Begleiter und 
für die einheimische Bevölkerung. 

Worin besteht die Gefahr der Curorte? 

Vor Allem wieder in den Wohnungen. Durch Jahrzehnte 
und in jeder „Saison“ wechseln Schwindsüchtige mit Schwind¬ 
süchtigen in denselben Gelassen ab, die Wände, die Möbel, 
die Bettwäsche, der Fußboden, die Teppiche, die Vorhänge sind 
mit Giftstoff überladen und dieser Giftstoff erreicht durch An¬ 
häufung mit der Zeit jene Beschaffenheit, welche ihm nahezu 
die volle Treffsicherheit verleiht. 

Ich konnte auch wirklich erfahren, daß die Gefährlich¬ 
keit nicht an den Curort, sondern an bestimmte Wohnungen, 
Häuser und Viertel gebunden ist. ’) 

Eine weitere Gefahr ist die Vermengung der Leib- und 
der Bettwäsche untereinander und mit jener der Gesunden, 
und daß für die Entgiftung dieser Wäsche nicht ausgiebig 
durch große Hitze bei der Reinigung gesorgt ist. In dieser 
Krankenwäsche sind aber die Bedingungen vorhanden, daß 
die Ansteckungsstoffe ihre volle Giftigkeit erreichen. 

Dazu kommt, daß in allen Curorten, in denen Tuberculöse 
sich häufen, die Influenza leicht endemisch wird und zum 
Damoklesschwert besonders der Kranken wird. 

In denselben Zimmern, in denselben Betten mit der 
inficirten Wäsche wohnen die Einheimischen außerhalb der 
Saison und holen sich die Krankheit. 

Die Sanirung der Curorte ist daher ein dringendes 
Bedürfniß. Wir kommen darauf später zurück. 

Zunächst als Infectionsstelle sind die Spitäler zu 
nennen. Es ist eine allgemein anerkannte Sache, daß es in 
großen, besonders in älteren Spitälern immer Säle gibt, welche 
nicht nur für die Kranken gefährlich sind, sondern auch für 
die Wärterinnen und die Aerzte. Es sei dabei bemerkt, daß 
dies nicht bloß für Tuberculöse gilt, sondern auch für 
Dysenterie, egyptiscbe Augenkrankheit, Typhus etc. Und hier 
begegnen wir wieder der merkwürdigen Thatsache, daß solche 
Uebelstände jahrelang fortbestehen, ohne daß die Behörden 

') ln einem südlichen Curorte laufen die Canäle der höher gelegenen 
Stadt unter den von fremden Kranken bewohnten Häusern in den Gebirgsbach. 
Dort befindet sich auch der Curpark und die Curmusik und bis vor kurzem 
eine Kaltwasserheilanstalt mit Pension. 


die nöthigen Consequenzen ziehen, und daß die Thatsache lange 
als officielles Geheimniß gewahrt wird. 

Solche Giftbuden sind nur zu häufig die Kasernen 
und ihnen reihen sich die Gefängnisse an. Dabei ist freilich 
nicht bloß die Vergiftung der Wohn- und Aufenthaltsräume 
maßgebend, sondern auch oft eine schuldbare Unterernährung. 
Ich kenne ein Gefängniß, in dem die Mortalität innerhalb 
eines Jahres um 12% abnahm, als ein gewissenhafter Director 
die Regie übernahm. Besonders Militärgefängnisse und 
vorzüglich jene, die in Festungscasematten untergebracht sind, 
bilden oft wahre Expeditionsanstalten ins Jenseits , und um 
die Statistik nicht gar zu erschreckend zu gestalten, werden 
die Todescandidaten oft begnadigt und an die Spitäler oder 
in die Heimat abgeliefert. Je nach den einzelnen Localitäten 
bedeutet oft schon die Verurtheilung zu 1—3 Jahren ein 
Todesurtheil, und das Todtenbeil schwingt die Tuberculöse. 
Dies ist um so schauerlicher, als viele Verurteilungen nicht 
wegen Verbrechen, sondern wegen Disciplinarvergehen erfolgen, 
und weil viele Militär-Strafgesetze und besonders die Proceß- 
ordnungen unvollkommen sind und Justizirrthiimer leicht Vor¬ 
kommen. 

Daß auch in — selbst in den luxuriösen englischen — 
Irrenhäusern Tuberculöse, sozusagen als Hausepidemie 
auftreten kann, wurde von den englischen Collegen mit 
Schrecken bemerkt. Dabei spielt die Vergiftung der Wohn¬ 
räume nicht allein eine Rolle, wie wir später sehen werden. 

III. Der Giftstoff. 

Es muß zunächst die Frage des Ursprungs des Krank¬ 
heitsgiftes und seiner Träger (Vehikel) erörtert werden. Außer 
von den Producten der Rinder (Milch , Käse, etwa Fleisch) 
rührt das Schwindsuchtsgift vom Menschen her. Man sieht 
das Sputum und die Exhalationen von der Lunge als die vor¬ 
züglichsten Träger an. Gewiß nicht minder wichtig ist der 
mit Unrecht von den Modernen vernachlässigte Schweiß. 
Der Schweiß ist gewiß ein Entladungsversuch der Natur zur 
Befreiung von Giftstoffen und daß die Beimengung desselben 
zur Luft und Nahrung sowohl Selbstwiedervergiftung und 
Vergiftung Anderer bedeutet, geht aus den klinischen That- 
sachen zweifellos hervor. Aus dieser Quelle stammt auch mit 
die Gefährlichkeit der nicht oder unvollständig gereinigten 
Bett- und Leibwäsche und der Kleidung der Kranken. 

Es wäre wieder einmal Zeit, den Schweißen jene Sorg¬ 
falt der Erforschung und Untersuchung zuzuwenden, die ihnen 
in früheren Jahrhunderten zutheil wurden. 2 ) 

Die klinischen Thatsachen — viel besser als jene aus den 
Laboratorien — sagen aus. daß alle diese Giftträger aus dem 
menschlichen Körper gehäuft sein müssen und erst, wie Galen 
betont hat, nach langer Zeit wirken. Es scheint, daß erst 
eine Art Gährung oder Fäulniß eintreten müsse, bis sie ihre 
Treffsicherheit erlangen. 

Auch der zweifellose Umstand, daß die Ausscheidungen 
in den späteren Stadien der Schwindsucht gefährlicher sind, 
sprechen dafür, daß gewisse, noch nicht aufgeklärte Ver¬ 
änderungen vorgehen. Die Menge der Mikroben allein ist nicht 
maßgebend. 

Es scheint mir, daß die Versuche Koch’s, die menschliche 
Tuberculöse auf das Rind zu übertragen, daran gescheitert seien, 
daß er unausgegohrenen oder unausgefaulten Virus im obigen 
Sinne verwendet hat. Hätte er eine Kuh für einige Zeit in 
einen wegen seiner ansteckenden Eigenschaft bekannten 
Krankensaal gebracht und sie an den beschmierten Betten, 
an der Leibwäsche und am Körper der Kranken lecken lassen, 
hätte er sie mit den Kranken zusammen schlafen lassen , so 
hätte er vielleicht einen besseren Erfolg gehabt. 

*) Die alte Methode der „Derivation“ durch Vesicatore und Cauterisation 
ist noch in vielen Ländern bei Tuberculöse im Gebrauch. Sie wirkt offenbar, 
indem sie die Ausscheidung der „Materia peccans“ an einem Orte mit künst¬ 
lich vermindertem Widerslande begünstigt. 


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501 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 11. 


502 


Ob dabei die Vehikel oder die Mikroben oder beide eine 
und welche Veränderung sie eingehen, ist bis heute nicht nur 
nicht bekannt, sondern die Frage ist nicht einmal scharf 
gestellt. 

IV. Die Denkgrundformel der Aetiologie in der 
Schwindsuchtslehre. 

Wir wollen nun die Frage nach der Entstehung der 
Schwindsucht vom denkmethodischen und vom Erfahrungs- 
Standpunkte erörtern. Selbst wenn wir annehmen, daß die 
Schwindsucht immer eine ansteckende Krankheit sei, ist die 
Ursachenlehre nicht mit der Lehre von den Eigenschaften und 
der Wirkungsweise der ansteckenden Giftstoffe erschöpft. 

Die gesammte Giftlehre lehrt uns ja, daß es gift¬ 
empfindliche und giftfeste Gewebe und Organismen gibt. 

Bei jeder solcher Ursachenforschung müssen wir eine 
Grundformel des biologischen Denkens zugrunde legen. Jede 
biologische Aeußerung (Manifestation „M“) — und eine jede 
Krankheit ist eine solche — ist zunächst abhängig von den 
ererbten 3 ) oder den angeborenen Eigenschaften des betreffenden 
Wesens oder Organs, die wir als seine Natur („N“) bezeichnen. 
In zweiter Reihe maßgebend ist die Entwickelung („E“). Die 
Factoren dieser Entwickelung sind von verschiedenem Werthe. 
Ein Theil derselben greift so tief in die Existenzbedingungen 
ein, daß er zur zweiten Natur („N' u ) wird, während andere 
minder tief eingreifen, und die wir im engeren Sinne als 
Entwickelungsmomente („E“) bezeichnen. Außerdem gibt es 
Gelegenheitsursachen (.,0“). 

Die Summe der Gleichungsglieder N, N' und E stellen 
die Prädisposition im weiteren Sinne, das Glied N dieselbe im 
engeren Sinne dar. In mathematischer Form ist diese biologi¬ 
sche Grundformel so zu schreiben: 

M = f(± N, ± N', ± E, ± 0). 

Wir können mit Bestimmtheit sagen: Schwindsucht kann 
nur dort entstehen, wo die Natur des Organismus oder eines 
Organs es möglich macht. Es ist also vor Allem die ursprüng¬ 
liche „Natur“ (die „Anlage“) maßgebend, und es ist sicher, 
daß es eine angeborene Schwindsucht im Sinne einer er¬ 
erbten Anlage gibt, mit Ausschluß selbst der im Fötusleben 
oder in der ersten Kindheit erworbenen. Die letzteren Formen, 
welche die ganze Entwickelung des Organismus von seinen 
ersten Anlagen beeinflussen, reihen sich an Bedeutung der 
Vererbung an und stecken also im Reihengliede „N', i. e. in 
der zweiten Natur“. 

Heute wird die ererbte, angeborene Schwindsucht in den 
Hintergrund gedrängt, nicht von der Natur, sondern von den 
Gelehrten. 

Diese ererbten und selbst die congenitalen Fälle sind 
nämlich für die heutige Aufführung des Leidens sehr störend, 
und man hat verschiedene Ausreden vorgebracht, um sich in 
seinen Schlußfolgerungen nicht stören zu lassen. Wer aber 
solche Fälle beobachtet hat. der wird die eclatante Thatsache 
keiner dogmatischen Anschauung unterordnen. 

Gegenüber dieser bestimmten Lebenszeit des Auftretens 
der Schwindsucht ist die Frage berechtigt, ob man solche sehr 
schwer belastete Individuen von erster Kindheit an durch Auf¬ 
enthalt an Orten ohne KoCH’sche Zellen vor dem Ausbruche 
des Leidens schützen könne. Ist dies nicht der Fall, so wäre 
die Unabhängigkeit von der Einwirkung der KocH’schen Zellen 
gesichert. 

Das Erscheinen der KocH’schen Zellen in diesen prädesti- 
nirten Fällen könnte als unausweichliche Begleiter- 


8 ) Ererbt sagt nicht aus, daß eines der Eltern schon dieselbe Krankheit 
hatte. Jede Vererbung muß als Erscheinung einmal anfangen. Ererbt ist hier 
in dem Sinne genommen, daß schon im Momente der Befruchtung des Eies der 
Keim zur Erkrankung gegeben ist. Es handelt sich also um eine Keimanlage 
und wir können in einem solchen Falle von Prädestination (Vorberbestimmung) 
statt von Prädisposition sprechen, während wir alle vom Fötusleben an er¬ 
worbene Prädisposition auch ala Präparation (Vorbereitung) bezeichnen können. 


scheinung aufgefaßt werden, wie das Auftreten von Schimmel¬ 
pilzen in nicht gelüfteten und nicht besonnten Kellerräumen. 

Wir haben die fötalen und juvenilen Verhältnisse schon 
erwähnt, welche zum Reihengliede N' gehören. Weiters können 
ökonomische, sociale und klimatische Verhältnisse, vor Allem aber 
auch die Art der Berufsthätigkeit etc. die Natur eines Menschen 
so eindringlich umgestalten, daß die Summe dieser Entwickelungs- 
factoren als „zweite Natur“ die Erkrankung fast so mächtig 
vorbereiten können, wie die ursprüngliche Anlage. 

Bei den meisten Beschäftigungen, die zur Schwindsucht 
führen, gibt die Reizung der Lungen durch Vermengungen 
von chemisch-mechanisch erregenden Stoffen zur Athmungsluft 
zu entzündlichen Erkrankungen Veranlassung, auf deren Basis 
wahrscheinlichst immer durch Einwirkung von Kocffschen Zellen 
sich das specifische Leiden entwickelt. Je nach der Fatalität 
der Erscheinungen können diese Einwirkungen entweder zum 
Factor N' oder zum Factor E gerechnet werden. Bei anderen 
Beschäftigungen, z.B. bei Schneidern, entsteht die Schwindsucht, 
weil bei beruflicher Körperhaltung ein Theil der Lungen — 
besonders die Spitzen — nicht ventilirt werden und daher die 
Gewebe ihre normale Leistungs- und Widerstandsfähigkeit 
verlieren, und hier kann eine Schädlichkeit, die KocH’schen 
Zellen, mit den von ihnen aus dem Gewebe als Nährboden 
herausgebildeten „Toxinen“ die Krankheit hervorrufen. 

Alle schwächenden Krankheiten können Entwickelungs- 
factoren der Schwindsucht sein. 

Auch nervöse Erscheinungen sind als begünstigend an- 
zuseben, so z. B. die Entartung der Respirationsnerven bei 
Paralytikern, Tabikern und Myelitikern. Auch die tiefe Ab¬ 
magerung bei hysterischer Inappetenz und Erbrechen verursacht 
Schwindsucht, wie die Abzehrung durch Hunger und Elend. 

Wir haben bisher die „Natur“, die zweite Natur und 
andere Factoren der „Entwickelung“ unserer obigen Formel 
erwogen. Wir müssen nun nach den eigentlichen Gelegenheits¬ 
ursachen (0) der Erkrankung fragen. 

Hier müssen wir uns wieder fragen, ob eine solche 
überhaupt immer nöthig ist. Die ererbten Fälle zwingen uns 
nicht zu einer solchen Annahme. Wir können uns vorstellen, 
daß die Lebensbedingungen derartige sind, daß die gesunden 
Leistungs- und Stoffwechselvorgänge in einer bestimmten 
Lebenszeit, sowie bei ererbter Paralyse oder Tabes oder 
Carcinomatose einen krankhaften Charakter annehmen. Selbst 
wenn in solchem Falle eine bestimmte Begleiterscheinung, 
nämlich das Auftreten von KocH’schen Zellen für jeden Fall 
und vom ersten Momente an, sichergestellt wäre, so verlangt 
die Logik noch nicht, daß diese Zellen eine wesentliche Be¬ 
dingung der Erkrankung darstellen. Es wäre möglich, daß 
sie bloß ein unvermeidliches Accidens, ein Adjuvans, ein Expe- 
diens bedeuten. 

Die Auffassung der Tuberculose für diese Fälle als 
Degenerationskrankheit war die allgemeine vor 1882, und mir 
scheint es noch heute nicht vollständig einwurfsfrei, wenn 
wir diese Auffassung vollständig aufgeben. 

Ich will damit keine Behauptung aufstellen, nicht einmal 
einer persönlichen Ueberzeugung Ausdruck geben, sondern 
nur das Recht auf Zweifel aufrecht erhalten. Zweifel ist die 
Mutter der Kritik und Kritik die Mutter des Fortschrittes 
und die Behüterin vor Fehlschlüssen und Verirrungen. 

Zweifellos ist jedoch, daß bei ererbter und erworbener 
Vorbereitung (Prädisposition) der Tuberkelvirus die Krankheit 
gewöhnlich erzeugt. 4 ) (Schluß folgt.) 


*) Wenn wir als wichtigste Gelegenheitsursache die Infection bezeichnen, 
dürfen wir doch nicht auf eine andere vergessen, wenigstens als localen Er¬ 
reger, nämlich Trauma. Heute ist es ja zweifellos, daß Trauma bei Prädisposition 
dahin führen kann, daß der Reactionsproceß den tuberculösen oder carcinomatösen 
„Charakter“ annehme. 


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503 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 11 


504 


Die physikalisch-chemischen Eigenschaften 
der Mineralwässer. 

Zu Prof. Dr. Jaworski’s Aufsatz „Heilwasser und Trink¬ 
heilwasserstätten“. 

Von Dr. Hans Koeppe. 

In seinem Artikel in Nr. 1 n. 2 der „Wiener Medizinischen 
Presse“ kommt Jawobski auch auf die „chemisch-physikalischen 
Eigenschaften der Mineralwässer“ zu sprechen und citirt dabei 
einzelne aus dem Zusammenhang herausgerissene Sätze aus 
meinen diesbezüglichen Veröffentlichungen, welche ein so voll¬ 
kommen falsches Bild von dem Gegenstände ergeben, daß ich 
mich den Lesern dieser Zeitschrift gegenüber zur nachstehenden 
Berichtigung verpflichtet fühle. 

Zunächst eine directe Unwahrheit: 

„Nach der Aussage competenter Autoren 3 ) unterlaufen 
bei diesen Untersuchungen kolossale Versuchsfehler: „Die 
Gefrierpunktserniedrigung.... gibt nicht die 
gleichen Zahlen in der Hand desselben Experi¬ 
mentators und auch nicht für dieselbe Lösung.““ 
In der Anmerkung 3 steht H. Koeppe, so daß der Leser 
glauben muß, dieser von Jaworski citirte Satz finde sich in 
meinen Schriften. Bei nochmaliger genauer Durchsicht habe 
ich denselben nicht finden können; es ist auch unmöglich, 
daß ich denselben in dieser Fassung irgendwo geschrieben 
hätte, denn gerade das Gegentheil ist richtig: die Gefrier¬ 
punktserniedrigung einer Lösung ist immer dieselbe, 
gleichviel von wem und wann dieselbe bestimmt wird. Zeigt 
dieselbe Lösung bei wiederholten Bestimmungen andere 
Gefrierpunktsdepression, dann erkennt man daran gerade, daß 
nicht mehr dieselbe Lösung da ist, sondern eine andere. Das 
ist auch der Sinn meiner Abhandlung in den „Therapeutischen 
Monatsheften“, Juni 1900, in denen ich zeigte, daß bei der 
Gefrierpunktsbestimmung von Mineralwässern mit freier Kohlen¬ 
säure gewisse Vorsichtsmaßregeln zu beachten sind, sonst 
erhält man recht weit auseinandergehende Untersuchungs¬ 
resultate. Für diese Verschiedenheiten zwischen den Zahlen 
von Strauss-Kostkewicz und den meinigen habe ich gerade in 
der betreffenden Abhandlung den Grund angegeben und 
gezeigt, wie man übereinstimmendeWerthe erhält. 
Diese Thatsache ignorirt aber Jaworski vollständig; er citirt, 
daß die Gefrierpunktserniedrigung der Marienbader Rudolfs¬ 
quelle von Koeppe mit 0T85°C., von Strauss-Kostkewicz 
mit 0’090°C. ermittelt wurde, verschweigt aber, daß ich 
gerade nachgewiesen habe, daß die beiden verschiedenen Zahlen 
sich auch nicht auf dasselbe Wasser beziehen. Ich selbst 
habe in derselben Abhandlung für die Marienbader Rudolfsquelle 
3 Zahlen: 0T85 0 , 0080° und 0'060° für die Gefrierpunkts¬ 
erniedrigung angegeben, die man findet, je nachdem man das 
Wasser verändert. Mit dem gleichen Anrechte hätte Jaworski 
auch diese Zahlen citiren können. 

Bei dieser Art Arbeiten zu citiren, kann man natürlich 
alles Mögliche heraus- oder hineinlesen, und die Schlüsse, 
welche sich auf solche Citate aufbauen lassen, sind auch 
danach. 

Um den Lesern dieser Zeitschrift ein Beispiel zu geben, 
wie Jaworski den Sinn einer Abhandlung in das Gegentheil 
umkehrt, dadurch daß er das nicht Passende einfach 
weg läßt, bitte ich Jaworski’s Citate, welche den Seiten 133, 
134, 135 und 136 meines Büchleins „Physikalische Chemie in 
der Medicin“, A. Holder, Wien 1900, entnommen sind, im 
Zusammenhang mit den vorhergehenden und folgenden Zeilen 
zu lesen ; dieselben lauten : 

Seite 133: Bei der physikalisch-chemischen Untersuchung 
der Mineralwässer ist nun auf einige Besonderheiten auf¬ 
merksam zu machen. Die Bestimmung der Gefrierpunkts¬ 
erniedrigung der Mineralwässer stößt auf gewisse Schwierig¬ 
keiten, welche durch den Gehalt derWässer an freier 
Kohlensäure bedingt sind. 


Lassen wirProben eines Mineralwassers im 
Gefrierapparate gefrieren, so erhalten wir fast 
ebenso viele verschiedene Resultate, als Be¬ 
stimmungen gemacht wurden, ja dieselbe Probe 
wiederholt untersucht, ergibt gleichfalls ver¬ 
schiedene Werthe, doch sind diese so, daß jede neue 
Untersuchung einen geringeren Werth anzeigt als die vorher¬ 
gehende. Der Grund dieser Unbeständigkeit der Untersuchungs¬ 
resultate liegt darin, daß bei den einzelnen Bestimmungen 
Wasser mit verschiedenem Kohlensäuregehalt untersucht 
wurde .... 

Seite 134 u. 135: Dieser Werth zeigt deutlich, wie be¬ 
deutend der Antheil der Kohlensäure am osmotischen Druck 
des Wassers ist. Diesen Antheil der Kohlensäure aber möchten 
wir doch noch kennen lernen, denn auf jeden Fall bildet die¬ 
selbe einen wichtigen Factor. Um nun einigermaßen 
constante Werthe zu erhalten, denn absolut 
gleiche Resultate halte ich, wie gesagt, für 
nicht möglich, verfuhr ich folgendermaßen: 

.... Auf diese Weise gelang es mir, übereinstimmende 
Resultate zu erhalten (der Unterschied der Werthe be¬ 
trug 0 0050°), vorausgesetzt, daß die einzelnen Proben gleich- 
werthig, d. h. nur die erste Probe aus den frisch geöffneten 
Flaschen waren. Das auf diese Art untersuchte Mineralwasser 
war das Selterswasser des „Selterssprudels Augusta Victoria“ 
von Selters an der Lahn. Dieses Wasser erhielt ich unmittel¬ 
bar nach der Füllung von der Quelle und untersuchte es am 
folgenden Tage nach der Füllung. Die Proben von drei ver¬ 
schiedenen Sendungen erwiesen sich gleich. Wenn nun aber 
eine längereZeit zwisch en Füllung der Flaschen 
und Untersuchung vergeht, dann ist der Ein wand 
zu erheben, daß jetzt das Mineralwasser in der 
Flasche dem aus der Quelle springenden nicht 
mehr gleich ist, und in Bezug auf die Kohlensäure ist 
das ohne weiteres zuzugeben. In diesen Fällen wird auch bei 
gewissenhaftestem Arbeiten keine Uebereinstimmung zu er¬ 
zielen sein. 

Um ganz sicher zu sein, müssen wir fordern, daß die 
Bestimmungen unmittelbar an der Quelle selbst 
ausgeführt werden, natürlich unter denselben Cautelen: 
Auffangen des Mineralwassers im eisgekühlten Gefäß, sofortige 
Untersuchung in eisgekühlter Gefrierröhre u. s. w. 

So vorsichtig man diese Untersuchungen 
auch ausführen mag, immer haftet denselben 
etwas Unsicheres an: hat man wenig gerührt, so kommt 
einem die Gefrierpunktserniedrigung zu groß vor, man glaubt, 
das Quecksilber sei beim Erstarren nicht hoch genug gestiegen ; 
hat man viel gerührt, so denkt man umgekehrt, das Queck¬ 
silber stieg höher als richtig, da Kohlensäure entwichen ist. 

Seite 136: Ein Vergleichen der chemischen und der 
physikalisch-chemischen Analyse unter Berücksichtigung der 
Zahlenwerthe beider ist theoretisch nur dann statthaft, wenn 
beide Analysen sich auf dasselbe Wasser beziehen, d. h. die 
Proben für die Analysen nicht von derselben Quelle ent¬ 
stammen, sondern auch gl ei ch ze i t ig der Quelle entnommen 
werden. Es ist ja immerhin denkbar, wenn auch nicht sehr 
wahrscheinlich, daß zwei Proben eines Mineralwassers, welche 
an verschiedenen Tagen geschöpft werden, auch thatsächlich 
verschieden sind. Liegen dagegen zwischen der Aus¬ 
führung der chemischen Analyse und der physi¬ 
kalisch-chemischen Untersuchung eines Brunnens 
vieleJahre, so schwindet schon etwas die Ueber- 
zeugung, daß beidemale dasselbe Wasser unter¬ 
sucht wurde. 

Die gesperrt gedruckten Stellen sind Jaworski’s Citate. 
Ein Commentar zu denselben dürfte überflüssig sein. 

Wie geschickt Jaworski die Citate aus dem Zusammen¬ 
hang herausreißen kann und durch Einflechten in seine Aus¬ 
einandersetzungen ihnen einen anderen Sinn gibt, zeigte mir 
folgender Passus: „Ich habe die Sache mit den Worten eines 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 11. 


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auf diesem Gebiete verdienten Forschers für abgethan be¬ 
trachtet : „ Da nun die Mineralwässer gewiß nichts anderes 
sind als Salzlösungen, ist es auch nicht richtig zu 
sagen: dieses oder jenes Mineralwasser enthält so und soviel 
NaCl, denn auch im Mineralwasser ist NaCl in seine 
Ionen dissociirt.“ In dieser Fassung habe ich meine 
eigenen Worte nicht wieder erkannt und sie bei 
anderen Autoren gesucht. Sie stehen in meinem schon erwähnten 
Werkchen Seite 132, es sind dieselben, doch sind dort andere 
W orte großgedruckt, und sie sind in ganz anderem Sinne 
verwendet. An sich ist der Satz unanfechtbar richtig, doch 
legt Jaworski mehr hinein, als er aussagt. In Jaworski’s 
Fassung klingt der Satz, als ob ich ganz seiner Ansicht in 
der Beurtheilung der Mineralwässer wäre, und das ist nicht 
der Fall. 

Allerdings sind in den Mineralwässern die Salze dissociirt, 
aber nicht in den gleichen Verhältnissen wie in den ein¬ 
fachen Salzlösungen, da die einzelnen Salze in den Mineral¬ 
wässern sich in Bezug auf die Dissociation gegenseitig be¬ 
einflussen. Inwieweit in Bezug auf diesen Punkt sich die 
natürlichen Mineralwässer nachmachen lassen und inwieweit 
die therapeutische Wirkung dadurch beeinflußt wird, das ist 
eine ganz andere Frage, die eben noch in Discussion steht. 
Daß aber bei der Art und Weise, wie Jaworski citirt, das 
Eintreten in eine solche Discussion mit ihm durchaus nicht 
lockt, wird man verstehen. Das also ist Jaworski’s Art zu 
citiren, wobei er den Autor der Citate nennt. Wenn er aber 
behauptet: „Einige Autoren gehen unglaublicher Weise so 
weit, daß sie den künstlichen Salzlösungen, z. B. dem nach¬ 
geahmten Mineralwasser, jede Dissociation in Ionen absprechen 
und dieselbe als eine specifische Eigenschaft nur dem aus 
dem Brunnen geschöpften Wasser zuschreiben“, so glaube ich, 
diese Autoren existiren überhaupt nicht; mir sind derartige 
Aeußerungen in der einschlägigen Literatur noch nicht bekannt 
geworden. 


Entgegnung auf vorstehenden Artikel.*) 

Von Prof. W. Jaworski. 

Herr College H. Koeppe ist ganz im Irrthum, wenn er 
mich „directer Unwahrheit“ beschuldigt, daß ich in meinem 
Aufsatze „Heilwässer und Heilwassertrinkstatten“ ein falsches 
Citat mit den Worten angeführt hätte: „Die Gefrierpunkts¬ 
erniedrigung . . . gibt nicht die gleichen Zahlen in der Hand 
desselben Experimentators und auch nicht für dieselbe Lösung.“ 
Diese Worte sind in der Abhandlung: „Die Gefrierpunkts¬ 
erniedrigung der verschiedenen Mineralwässer im Vergleiche 
zu derjenigen des Blutes“ von Dr. Alexander v. Kostkiewicz 
(aus der III. med. Klinik der Charitö, Director Geh. Rath 
Prof. Senator) auf Seite 578, „Therap. Monatshefte“, 1899, 
H. 11 zu lesen, und zwar fängt der betreffende Absatz fol¬ 
gendermaßen an: „Die Bestimmung der Gefrierpunktsernie¬ 
drigung wurde von mir (d. h. v. Kostkiewicz) vermittelst des 
BECKMANN’schen Apparates ausgeführt. Was die absolute 
Genauigkeit der hiebei erhaltenen Zahlen betrifft, so muß 
bemerkt werden, daß diese gewissen Schwankungen unterworfen 
sind. Die Gefrierpunktserniedrigung vermittelst des 
BECKMANN’schen Apparates gibt nach Heidenhain 1 ) nicht 
die gleichen Zahlen in der Hand dessel ben Experi¬ 
mentators und auch nicht für dieselbe Lösung...“ 
Ich habe somit eine directe Wahrheit citirt, und es 
wird Jedermann ein sehen , daß der Vorwurf der directen 
Unwahrheit nicht mich, sondern eher den Herrn 
Collegen Koeppe treffen kann. 


*) Damit ist diese Angelegenheit für die „Wiener Med. Presse“ erledigt. 

Red. 

*) Der Gewährsmann Prof. Heidenhain ist der uns Allen wohlbekannte 
Physiologe und Experimentator. Anm. des Verfassers. 


Was die Klage des Herrn Collegen Koeppe anbelangt, 
ich hätte seine Ausführungen nicht richtig verstanden , muß 
ich es denjenigen Lesern zur Beurtheilung überlassen, welche 
seine für jeden Mediciner anregende und recht empfehlens- 
werthe Schrift „Physikalische Chemie in derMedicin“ durch¬ 
gelesen haben. Die dort schwankend niedergelegten Ansichten 
findet man nicht unzweideutig dargestellt, was in Anbetracht 
der Neuheit des Gegenstandes ganz erklärlich ist und des¬ 
wegen auch einen gewissenhaften Verfasser kein Vorwurf 
treffen kann. 

Pie Therapie der Blennorrhoe mit Acidum 

nitricum. 

Anmerkungen zur modernen Trippertherapie. 

Von Dr. Bloriz Porosz (Popper), Specialarzt für Harn- und 
Geschlechtskrankheiten in Budapest. 

(Schluß.) 

Nach dieser kurzen Excursion will ich nun wieder auf 
meinen Gegenstand zurückkommen und der Ansicht Ausdruck 
geben, daß eine verfehlte Richtung und ein unrichtiger Weg 
eingeschlagen wird, wenn die guten Eigenschaften des Argent. 
nitr. in der Therapie des Trippers dem Argent. zugeschrieben 
und Silberpräparate hergestellt werden. 

Es könnte dagegen die Einwendung gemacht werden, 
daß die Argentumalbuminate, Casein-, Peptonverbindungen des 
Argentum, sich als gute Antiblennorrhoica erwiesen haben. 

Seitdem auch vollkommen indifferente Lösungen als 
Antiblennorrhoica erkannt wurden, ist mein Verdacht noch 
um so begründeter, daß die Behandlung der Blennorrhoea 
bloß mit Eiweiß-, Casein-, Peptonlösungen wahrscheinlich das¬ 
selbe Resultat aufweisen würde, wie die Behandlung mit 
ihren Silberverbindungen. Auch solche Versuche wären von 
großem Interesse. 

Es ist Thatsache, daß es der Mühe lohnen würde, ein 
solches Specificum ausfindig zu machen. Es ist eine schöne 
und edle Aufgabe, aber bisher ein unerreichtes Ideal. 

Wie die Blennorrhoe in der Bibel beschrieben wurde, 
ist sie auch heute; sie ist auch heute dieselbe wie vor Jahr¬ 
tausenden. Sie heilt jetzt wie früher, auch ohne Specifica, 
durch die Heilkraft der Natur allein. 

Die weise Natur bat dafür gesorgt, daß der Organismus, 
wenn er und die einzelnen Gewebe Gefahr laufen, in ihrer 
Lebensf hätigkeit eingeschränkt zu werden oder sie ganz zu 
verlieren, sich dagegen und gegen die Folgen wehren könne. 
Gelangen Gonokokken und mit ihrem Toxin durchdrungener 
Eiter in die Harnröhre, greift das Toxin wahrscheinlich die 
oberflächlichen Schichten der Schleimhaut an. Auf diese Affec- 
tion reagirt der Organismus mit einer Hyperämie und mit 
rascher Nahrungszuführung, damit die Epithelialzellen , die 
ihre Lebensfähigkeit eingebüßt haben, sammt dem schädlichen 
Stoff, je früher entfernt und mit neuen, gesunden und actions¬ 
fähigen ersetzt werden. 

Die Hyperämie der Gewebe erhöht ihre Alkalicität, 
verbessert und vermehrt damit zugleich die Lebensbedin¬ 
gungen der Gonokokken. Sie nisten sieh in den Lücken zwi¬ 
schen den Epithelialzellen ein, umgeben sie oder dringen in 
sie ein und vermehren sich dort. Die weißen Blutzellen : die 
Eiterzellen wehren sich dagegen und richten einen heftigen 
Angriff auf sie. Mit der Hyperämie kommen auch sie in 
größerer Anzahl auf den Schauplatz des Kampfes. Sie nehmen 
den individuellen Kampf auf und nehmen selbst um den 
Preis ihrer eigenen Lebensfähigkeit die Anstifter des Uebels, 
die Gonokokken und wahrscheinlich auch ihr Toxin in sich 
auf und entfernen sich so in Form von infeotiösem Eiter aus 
dem Organismus. Auch die kranken Epithelialzellen entfernen 
sich in großer Menge, ebenfalls im Eiter. 

Wie sich die Hyperämie im Allgemeinen nicht auf den 
engen Platz der Einwirkung beschränkt, bildet sich auch in 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 11. 


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der Harnröhre ein breiterer hyperämischer Hof um den Sitz 
des Uebels. Bei der Erweiterung des Hofes fällt wahrschein¬ 
lich auch dem Gonokokkentoxin eine nicht unbedeutende 
Rolle zu. 

Das Toxin hat wahrscheinlich die Bestimmung, den 
Boden für die Ernährung und Vermehrung vorzubereiten. 
Diesen Lebensproceß finden wir auch bei den Pilzen und 
beim gewöhnlichen Schimmel. Das Product des Schimmel¬ 
pilzes (Toxin) macht in der Umgebung der Schimmelcolonie 
das übst weich. Dieser weiche Theil hat auch dann einen 
schimmeligen Beigeschmack, wenn auch auf ihm keine Schimmel¬ 
colonie zu entdecken ist. Das ist die Vorbereitung des Bodens 
für die Ermöglichung der Fortpflanzung, und zwar dafür, 
daß die feinen Schimmelfäden eindringen können, um sich 
Nahrung in den Säften des Obstes zu holen. 

In ähnlicher Weise gingen auch die Gonokokken vor, 
aber der Oiganjsmus wehrt sich dagegen, und zwar nach 
zwei Richtungen. In erster Reihe gegen die Vermehrung der 
Gonokokken, in zweiter gegen die Toxinproduction. Die Auf¬ 
gabe, die Vermehrung der Gonokokken zu verhindern, über¬ 
nehmen die in großer Menge zum Vorscheine kommenden 
Leukocyten. Der Erfolg des Kampfes hängt davon ab, ob die 
Zahl der Leukocyten mit den sich vermehrenden Gonokokken 
und mit der Menge des producirten Toxins Schritt halten 
kann. Wer von beiden zurückbleibt, ist der Besiegte. 
Können sich die Gonokokken und Toxine nicht in solcher 
Menge vermehren, in welchem Maße sie durch die Leukocyten 
einverleibt werden (Phagocytosis), endet der Kampf mit der 
völligen Vernichtung der Gonokokken mit der Heilung der 
Blennorrhoe. In zweiter Reihe wehrt sich der Organismus 
dagegen, indem die Epithelialzellen, welche durch das Toxin 
in ihrer Actionsfähigkeit beeinträchtigt oder abgestorben sind, 
ersetzt, regenerirt werden. Die lebendige, gesunde Zelle besitzt 
auch eine gewisse Widerstandsfähigkeit. Werden aber die Epithe¬ 
lialzellen von Toxinen beeinträchtigt, gewähren sie den Gono¬ 
kokken die Aufnahme, können aber nicht mehr ihre Aufgabe 
so erfüllen, wie es sein sollte. Deshalb will der Organismus 
die unvollkommenen Elemente los werden, um sie mit neueren, 
besseren und vollkommeneren zu ersetzen. Dies wird durch 
die gesteigerte Ernährung, Hyperämie erreicht. 

Wenn wir also in die Fußtapfen der Natur treten, 
den Organismus schützen und von der Krankheit befreien 
wollen, dann müssen wir nur an den natürlichen Schutz¬ 
bestrebungen des Organismus theilnehmen. Dies kann nach 
mehrfachen Richtungen erreicht werden. 

Die eine wäre, wenn die reactive Hyperämie der Schleim¬ 
haut verhindert werden könnte, damit die Lockerung der Ge¬ 
webe und Zellen und die damit verbundene Alkalicität die 
Lebensbedingungen der Gonokokken nicht fördern. Da wir 
dies aber nicht erreichen können, mildern wir die schon vor¬ 
handene Hyperämie. Das hat sich in der Praxis auch ohne 
theoretische Erörterungen bewährt. Schon lange her werden 
Adstringentien benützt, und zwar Plumb. acet., Zinc. sulf., 
Zinc. sulfocarbolic., Alumen, Tannin u. s. w. Diese werden von 
den neueren Mitteln mit klangvollem Namen nicht verdrängt. 
In ähnlicher Weise wirken auf den Penis gemachte Eisum¬ 
schläge. Ein Specialist, der bettlägerige Kranke dieser Be¬ 
handlung unterzog, erlangte auch ohne locales Eingreifen ein 
glänzendes Resultat, über das er am Congresse in Moskau 
referirte. 

Der zweite Theil der Aufgabe wäre, die Gonokokken 
zur Toxinproduction unfähig zu machen. Dies liegt aber nicht 
in unserer Macht. Noch eine Aufgabe wäre, die gebildeten 
Toxine zu binden oder sammt den Gonokokken zu entfernen. 
Ob die Toxine durch die Hyperämie gebunden werden, wissen 
wir nicht; es ist aber auch nicht wahrscheinlich, weil der 
Eiter infectionsfähig ist. Die durch die Hyperämie hervor- 
gerufene Transsudation ist aber dazu geeignet, daß sie die 
Gonokokken und die Toxine sozusagen mechanisch heraus¬ 
spült. Dazu kommt noch das Uriniren, das durch die Injec- 


tionen gefördert werden kann. Dies dürfte die Erklärung für 
die Wirkung von mehreremal täglich vorgenommenen Ein¬ 
spritzungen und langanhaltenden Irrigationen mit indiffe¬ 
renten und schwachen Lösungen sein (Janet). Auch die von 
Julius Kiss und K. Joos vorgenommenen Versuche („Central¬ 
blatt f. Harn- u. Geschlechtskrankh.“) beweisen, daß das reine 
Wasser, die Bor- und physiologische Salzlösung nicht als 
desinficirende, sondern als mechanische Reinigungsmittel von 
heilender Wirkung waren. 

Der Zweck der Leukocyten ist aber, die Gonokokken 
und die Toxine in sich aufzunehmen (Phagocytosis). Deshalb 
ist die künstliche Steigerung der Hyperämie, wenn sie durch 
Schmerzen nicht unmöglich gemacht wird, ein sehr rationelles 
Vorgehen. Das ist die theoretische Erklärung für jenes alte, 
drastische, aber von ihnen für gut befundene Vorgehen, 
welches früher bei den Huszaren üblich war. Sie haben näm¬ 
lich den acuten Tripper geheilt, indem sie den Penis zwischen 
zwei heiße Ziegel oder Dachziegel gelegt und gehalten haben, 
so lange es nur möglich war. Die Folge davon war eine 
starke Entzündung, ein Oedem und große Schmerzen. Nach 
einigen Tagen hat der Fluß aufgehört. 

Auch die Erfahrung lehrt, daß die peracuten Blennor- 
rhoen für die Heilung eine bessere Prognose bieten, weil der 
Organismus sich lebhafter wehrt. 

Wenn es gelingen würde, die Gonokokken auch in den 
tieferen Schichten unschädlich zu machen, wäre all dies 
gegenstandslos. Das antiseptische Verfahren hat diesen Zweck 
vor Augen. 

Dies wäre ein Verfahren, das dem Zeitgeiste entspräche. 
Diese theoretische Erörterung lenkt unser Heilverfahren. Sie 
hat uns aber auch oft von der wahren Richtung abgelenkt. 
Darauf bemerkt K. Joos („Centralbl. f. Harn- u. Geschlechts¬ 
krankheiten“, 1900, H. 6), „in der Gonorrhoetherapie findet 
man auffallenderweise die grobchemische, ich möchte fast 
sagen die Reagenstheorie. Man behandelt die Harnröhre als 
Reagensglas und gießt in sie alle möglichen Lösungen , um 
sie wieder zu desinficiren“. Und das heißt auf Irrwege ge- 
rathen, denn die Harnröhre ist ein lebendes, sich wehrendes, 
widerstandsfähiges Organ und kann mit dem Reagensglas 
nicht verglichen werden. 

Es ist ja unmöglich, von außen, von der Schleimhaut¬ 
oberfläche in das Innere zu gelangen, um die Gonokokken zu 
vernichten, ohne das Gewebe zu verletzen. Nachdem die 
obere Epithelialschichte abgestorben ist, verhindert dies auch 
die geringe Resorption. Wenn sie aber doch zustande käme, 
würde der unter ihr befindliche Saft und die Blutcirculation 
den in geringer Menge eingedrungenen , aber wirkungslosen 
Stoff chemisch verändern und sogleich weiter befördern, ohne 
mit der Submucosa und den in ihr befindlichen Gonokokken 
in Berührung zu kommen. So behauptet es Joos ganz richtig. 

Obgleich Lösungen von größerer Concentration (l%iges 
Sublimat, 10%iges Arg. nitr.), die zur Vernichtung der Gono¬ 
kokken genügen, auch in den übrigen gesunden, oder weniger 
angegriffenen Theilen der Harnröhre große Verwüstungen an- 
richten, haben Einzelne (Feleki u. a. m.) mit der soge¬ 
nannten abortiven Behandlung Versuche gemacht. Sie haben 
darüber Abhandlungen geschrieben und die Behandlung 
auch warm empfohlen, aber die Statistik hat in einzelnen 
Fällen eine längere, oft Wochen lang anhaltende Krankheit 
nachgewiesen. 

In der Literatur finden sich einzelne Spuren dieses Ver¬ 
fahrens, aber gewöhnlich machen die am wenigsten Gebrauch 
von der abortiven Behandlung, die sie zuerst empfohlen haben. 

Ich habe es, wenn auch nur nebenher, erwähnt, befasse 
mich aber nicht eingehend damit. Es ist klar, daß eine solche 
Behandlung für den Patienten ein größeres Uebel ist als die 
Krankheit selbst. 

Die weniger kühnen, aber praktisch denkenden Aerzte 
sind bei den adstringirenden Mitteln geblieben, Plumbum 
acet. bas. sol., Zincum sulfuricum, schwache Tanninlösungen 


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Nr. 11. 


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haben ihren Platz unter den tripperheilenden Mitteln und 
werden ihn noch lange behaupten. 

Die Adstringentien tragen bekanntlich zur Abnahme der 
Hyperämie bei, die einestheils mit einer Besserung des sub- 
jectiven Befindens, anderentheils mit der Verminderung des 
Ausflusses gleichbedeutend ist. Diese klinischen Symptome 
zeigen ihre Wirkung. 

Bei der Anwendung dieser Mittel unterlaufen sehr häufig 
große Fehler. Ein Fehler ist, daß auch der inficirte Eiter 
in den hinteren Theil der Harnröhre gespritzt wird; der 
zweite Fehler ist die gewaltsame Einspritzung des Medica- 
mentes, was eher reizend als mildernd wirkt. Um dies zu 
vermeiden, haben Einzelne den Versuch gemacht, das Uebel 
durch medicamentöse Behandlung zu beheben. Die interne 
Behandlung (Balsame oder andere Mittel innerlich genommen) 
hat gegenüber der Möglichkeit der gewaltsamen Einspritzungen 
den Vorzug. Der günstige Einfluß des Heilmittels würde sich 
durch den desinficirten Urin geltend machen, während dadurch 
kein Schaden angerichtet wird. Die Vermeidung eines 
eventuell schädlichen Eingreifens und die Erfahrung, daß der 
Tripper häufig auch ohne Behandlung heilt, hat schon Einzelne 
dazu veranlaßt, an dem Principe nihil nocere weiter festzu¬ 
halten und die interne Behandlung aufzugeben. Daher waren 
sie bestrebt, die Hyperämie bloß durch Ruhe zu mildern. 
Auch dieses Verfahren hat sich als zweckdienlich erwiesen. 

All dies hat natürlich nur auf Fälle von ganz acuten 
Blennorrhoen Bezug. 

Der chronische Tripper kann schon infolge der abge¬ 
nommenen Empfindlichkeit mit stärkeren Acid. nitric.-Lö- 
sungen behandelt werden. Hier kommen schon die */ 2 —1- und 
2°/ 0 igen Einspritzungen, Instillationen täglich einmal, schon 
häufiger bei entsprechender Behandlung in Anwendung. 

Zum Schlüsse der Schilderung meines Heilverfahrens 
gelangt, fühle ich es sozusagen heraus, daß Vielen eine 
statistische Zusammenstellung fehlen w ^rde. 

Ich habe keine casuistischen Daten zusammengestellt, 
und zwar deshalb nicht, weil ich ihnen weder Werth, noch 
Bedeutung zuschreibe. 

Der Verlauf einzelner Fälle ist weder bei der Blennor¬ 
rhoe noch bei anderen Krankheiten gleichmäßig. Die Viru¬ 
lenz der Gonokokken, die Verschiedenheit des zu ihrer Ver¬ 
mehrung geeigneten Bodens, die Wehrfähigkeit der Heilungs¬ 
neigung des Organismus sind bei den einzelnen Individuen 
verschieden. Und wenn es uns auch möglich wäre, die gleich¬ 
mäßigen Fälle herauszusuchen und zusammenzustellen, ent¬ 
zieht sich unserer Aufmerksamkeit noch immer ein Factor 
von großer Wichtigkeit. Die Beschäftigung und die Lebens¬ 
weise des Patienten. Das Biertrinken, das Auftreten von 
Pollutionen, der trotz des ärztlichen Verbotes oft im Geheimen 
vorgenommene Coitus oder andere mit dem geschlechtlichen 
Leben verbundene Aufregungen können auf den Verlauf der 
Krankheit störend einwirken, so daß der eine Fall ganz 
anders verläuft wie ein anderer. 

Ich selbst habe Fälle gesehen, die der Behandlung hart¬ 
näckigen Widerstand zu leisten schienen. Ich selbst habe 
nach einer rasch eingetretenen Besserung eine auffallende 
Verschlimmerung beobachtet, deren Ursache, wie es die 
Patienten nach ihrer Genesung eingestanden haben, der 
Coitus war. 

In den erwähnten Umständen liegt auch theilweise die 
Ursache dessen, daß die Statistiken einzelner Autoren über eine 
und dieselbe Heilmethode sich gegenseitig widersprechen. 

Auch Chinin nützt nicht in jedem Malariafalle. Auch 
eine sehr schwache Ipeeacuanha-Lösung ruft manchmal Herz¬ 
schwäche hervor. 

Dies erschwert eben die Aufgabe des Arztes und eben 
deshalb, weil jeder Krankheitsfall sozusagen eine andere Krank¬ 
heit ist, kann eine gute und richtige Statistik nicht zusammen- 
gestellt werden. Es ist schon deshalb unmöglich, weil auch 
der Zufall eine große Rolle in der Gruppirung der Fälle 


spielt. Die subjective individuelle Ansicht eines Fachmannes 
hat einen größeren Werth als jede Statistik. 

Um nur ein Beispiel zu bringen, erwähne ich, daß 
Finger davor warnt, bei acutem Tripper die Einspritzungen 
mit Adstringentien sofort vorzunehmen. Neisser macht die 
Einspritzungen sofort. Beide führen zweifelsohne den Patienten 
der Genesung zu. 

Wenn auch nicht alle Wege. so führen doch viele — 
nach Rom. Verschiedene Heilmethoden haben eine heilbrin¬ 
gende Wirkung, nur muß man gegebenen Falls die ent¬ 
sprechende anwenden. Ein Fabriksarbeiter, der den ganzen 
Tag arbeitet, kann nicht mit JANET’schen Irrigationen be¬ 
handelt werden. Nach der Ansicht Einzelner (Farkas) darf 
man ihm bei acutem Tripper nicht einmal die Spritze in die 
Hand geben; er soll nach ihrer Ansicht nur Copaiva ein- 
nehraen, bis man nach Verlauf des acuten Stadiums zu 
stärkeren Lösungen und zu tiefen Einspritzungen greifen 
kann. Auch die erwähnten Methoden können zum Ziele führen. 

Das Wesentliche dabei ist aber, wie der behandelnde 
Arzt unter gegebenen Umständen die Krankheit beurtheilt, 
und auf welche Weise er in diesen Fällen am schnellsten zum 
Ziele zu gelangen glaubt. 

So lange das Urtheil von der subjectiven individuellen 
Auffassung abhängt, so lange das Kriterium keine sichere 
Basis hat, wird die These: „si duo faciunt idem, non est 
idem“ seine Richtigkeit haben. 

Deshalb ist es Täuschung, von einem souveränen Mittel, 
von einem Specificum zu sprechen. Es ist manchmal nur eine 
Selbsttäuschung, manchmal aber auch, wenn auch unwillkür¬ 
lich, eine Irreführung Anderer. 

Wenn mich Jemand fragen sollte, ob das Acid. nitric. 
ein gutes Mittel gegen Blennorrhoe ist, so werde ich darauf 
erwidern: es ist ein gutes Mittel; es ist sogar besser als das 
Argent. nitric. Es ist auch für den Patienten besser und kann 
mit dem Argent. nitric. gar nicht verglichen werden. Ich 
konnte auch in kürzerer Zeit nach meiner Methode — die ich 
oben geschildert habe — zum Ziele gelangen. Es möge sich 
Jedermann davon Ueberzeugung verschaffen! Andere hin¬ 
gegen können über ein anderes Mittel, über eine auf anderer 
Basis aufgebaute Heilmethode derselben Ansicht sein. Doch 
Jedermann wird nach seinem Glauben selig. 

Jeder behält das Verfahren, das er am besten versteht 
und mit dem er am raschesten zum Ziele, zur Heilung des 
Patienten, gelangt. Das ist unser Zweck, unsere Aufgabe, 
unser Beruf. 

Referate. 

H. Oppenheim (Berlin): Ueber einen Fall von Rücken- 
markßtumor. 

Die Beobachtung bezieht sich auf einen Mann von 40 Jahren, 
der wegen eines Schmerzes im linken Hypochondrium, etwa in 
dem von der 8. und 9. Dorsalwurzel innervirten Hautgebiete, ärzt¬ 
liche Hilfe aufsuchte („Berl. klin. Wschr. u , 1902 , Nr. 2). Der 
Schmerz war zeitweise so heftig, daß Pat. den Rumpf steif hielt, 
sich ängstlich und vorsichtig bewegte. Der Nabel war nach rechts 
verzogen, die Bauchmusculatur links flacher, minder kräftig, durch 
den elektrischen Strom weniger erregbar; der Bauchreflex fehlte 
links. Schon auf Grund des angegebenen Befundes machte 0. die 
Wahrscheinlichkeitsdiagnose: Tumor innerhalb des Wirbelcanals. 
Drei Wochen später war die Schwäche der Bauchmuskeln deutlicher, 
bestand Abstumpfung des Gefühls für Berührungen und Nadelstiche 
in der linken Hypochondrium- und Abdorainalgegend und Herab¬ 
setzung des Temperatursinnes am rechten Unterschenkel. Der Kranke 
erhielt zunächst ein Stützcorset , Jodipin und Aspirin. Da die 
Schmerzen eine große Heftigkeit erlangten, wurde nun zunächst 
der Versuch einer Extensionsbehandlung in Rückenlage gemacht. 
Von diesem Zeitpunkte an nahmen die Compressionserscheinungen 
rasch erheblich zu, etwa 7 Wochen später war Pat. paraplegisch, 

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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 11. 


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das licke Bein völlig gelähmt, das rechte noch in den Fuß- und 
Zehengelenken beweglich, am rechten Beine bestand Analgesie, 
links Ilypästhesie. Beriihrungsgefühl beiderseits herabgesetzt. Sehnen¬ 
phänomene beiderseits, besonders links gesteigert, Gürtelschmerz, in 
der entsprechenden Zone, Abstumpfung der tactilen Sensibilität und 
des Schmerzgefühls. Hechts kein Abdominalreflex. 

Harnentleerung erschwert. In der Höhe der 7. und 8. Rippe 
der linken Seite bestand eine diffuse Schwellung und Druckempfind¬ 
lichkeit. 0. nahm nun ein Neoplasma im Gebiete der 8. und 9. 
und eventuell der folgenden Dorsalwurzeln an. Bei der Operation 
drängte sich nach Eröffnung der Dura ein etwa haselnußgroßer 
Tumor hervor, der leicht herauszuschälen war; das Rückenmark 
war nicht tangirt. Es war ein Fibrom mit stellenweiser myxo- 
matöser Umwandlung. Schon 24 Stunden nach der Operation waren 
die Schmerzen verschwunden, nach etwa einer Woche die Schwierig¬ 
keiten der Harnentleerung, alsbald auch die Unterschiede der 
Sensibilität zwischen rechts und links. Zur gleichen Zeit vermochte 
der Kranke auch den rechten Oberschenkel zu beugen, sowie 
aus- und einwärts zu rollen. Acht Tage nach der Operation trat 
anfallsweise hohes Fieber und Pulsbeschleunigung, sowie Schlaf¬ 
sucht ein, und es entwickelte sich ein hochgradiger Meteorismus. 
Weitere 8 Tage später fand 0. beginnende Neuritis optica, Nystagmus 
und Nackensteifigkeit, Blasenparese und zunehmende Bewegungs¬ 
störung der Beine. Der Liquor cerebrospinalis war trübe und 
flockig. 18 Tage nach der Operation erfolgte der Exitus letalis. 
Die Obduction ergab eiterige Cerebrospinalmeningitis und Com- 
pressionserscheinungen des Rückenmarks in der Höhe der 8. Dorsal¬ 
wurzel. Die Compression war nicht so beträchtlich, als daß nicht 
bei Vermeidung der Infection ein nahezu völliger Ausgleich der 
Functionsstörungen möglich gewesen wäre. Das Interesse des Falles 
liegt in dem Umstande, daß ein so kleiner Tumor im Leben genau 
zu localisiren war, und daß er an der erwarteten und freigelegten 
Stelle gefunden und exstirpirt wurde. Trotz des ungünstigen Aus¬ 
ganges infolge der hinzugetretenen Meningitis lehrt der Fall in 
überzeugender Weise, daß die Behandlung der im Wirbelcanale 
außerhalb des Rückenmarks entstehenden Geschwülste eine chirur¬ 
gische sein muß. B. 

Dmgalski und Conradi (Berlin): Ueber ein Verfahren zum 
Nachweis der Typhusbacillen. 

Der Nachweis von Typhusbacillen in den Fäces, dem Urin, 
im Wasser etc. begegnet bekanntlich immer noch sehr großen 
Schwierigkeiten, trotzdem im Laufe der Jahre eine Unmenge von 
Methoden angegeben wurde, die eine leichte Unterscheidung des 
Typhusbacillus von den Bakterien der Coligruppe oder eine An¬ 
reicherung der Typhusbacillen, beziehungsweise Schädigung des 
Wachsthums des Bacterium coli ermöglichen sollten. Leider hat 
keine der Methoden das gehalten, was sie versprochen. Die Verf. 
empfehlen nun einen neuen Nährboden („Ztschr. f. Hygiene u. In- 
fectionskrankheiten“, Bd. 39, pag. 283), der im Wesentlichen einen 
Fleischwasser-Nutrose Peptonagar mit 13°/ 0 iger Lackmuslösung und 
0'01% 0 igem Krysta II violett darstellt; die genaue Vorschrift für seine 
Herstellung sei im Original nachgelesen. Das Krystallviolett übt 
wie gewisse andere Anilinfarbstoffe eine elective baktericide Wirkung 
aus, indem es die Typhusbacillen in ihrem Wachsthum nicht 
schädigt, hingegen einen großen Theil der gleichzeitig mit diesen 
in Typhusstühlen vorkommenden Kokken und Bacillen in ihrer 
Entwickelung hemmt. Der Zusatz von Milchzucker und Lackmus 
lösung zu dem Nährboden ermöglicht leicht eine Unterscheidung 
der Typhus- und Colicolonien, da das Bacterium coli den Milch¬ 
zucker unter Säurebildung zersetzt und seine Colonien daher roth 
erscheinen, während dem Typhusbacillus diese Wirkung nicht zu¬ 
kommt, seine Colonien daher blau sind. Von anderen ebenfalls 
blauen Colonien, die bei diesem Verfahren aus Typhusstühlen ge¬ 
wonnen werden, unterscheiden sich die Colonien des Typhusbacillus 
leicht durch ihre Form und Größe. Durch Anwendung dieses Ver¬ 
fahrens gelang es den Verff., in 50 Typhusfällen constant den 
Typhusbacillus nachzuweisen, bei mehr als der Hälfte dieser Fälle 
bereits zu einer Zeit, da die WiDAL’sche Reaction im Verhältniß 
1 : 10 noch negativ war. Außerdem gelang es ihnen auch bei 


4 Personen, bei denen die klinische Untersuchung auch nicht ein¬ 
mal den Verdacht einer Typhusinfection gerechtfertigt hatte, die 
aber in einer typhusdurchseuchten Umgebung lebten, in ihren zum 
Theil völlig normal aussehenden Entleerungen vereinzelte Typhus¬ 
bacillen nachzuweisen. 

Die Schlußsätze dieser Arbeit lauten: 

1. Bei Vorliegen einer Typhuserkrankung gelingt es in jedem 
einzelnen Falle, sofort oder nach wiederholter Untersuchung fast 
stets innerhalb. 18, spätestens nach 24 Stunden Typhusbacillen 
aufzufinden. 

2. Auch in solchen Fällen, welche klinisch unsichere oder 
überhaupt keine Krankheitszeichen darboten, wurden Typhusbacillen 
festgestellt. 

3. Die bacteriologische Untersuchung ermöglichte bisweilen 
in zweifelhaften Fällen die Typhusdiagnose zu einer Zeit, wo alle 
sonstigen diagnostischen Hilfsmittel im Stiche ließen. 

Falls sich die Ergebnisse dieser Untersuchungen bei Nach¬ 
prüfungen , die ja zweifelsohne in verschiedenen Laboratorien 
angestellt werden dürften, bestätigen sollten, hätten wir hier eine 
höchst bedeutsame und wichtige Methode vor uns, die für die 
klinische Diagnostik, nicht minder aber auch für die Hygiene und 
Prophylaxe (man denke an die Untersuchung suspecten Wassers, 
Milch etc.) von ungeheurem Werthe wäre. Dr. S—. 

Fritz Sengler (Karlsruhe): Ein Fall von Lufteintritt in 
die Venen des puerperalen Uterus mit tödtlichem 
Ausgange. 

Zur Vermeidung des oben angeführten Accidens schlägt S. 
(„Münch, med. Wschr.“, 1902, Nr. 5) Folgendes vor : 

Alle geburtshilflichen Operationen sind womöglich in Steiß- 
rückenlage mit etwas erhöhtem Oberkörper vorzunehmen. Dabei 
ist auf einen andauernd guten Contractionszustand des Uterus zu 
achten. Zur Vornahme einiger Operationen, z. B. bei der Reposi¬ 
tion vorgefallener Theile, schweren Wendungen etc., wird die 
SiMs’sche Seitenlage oder auch die Knieellenbogenlage wohl nicht 
immer zu umgehen sein, doch sollte man sie im Hinblick auf die 
mögliche Luftaspiration nur auf stricteste Indication hin wählen. 

Die Ausführung manueller Placentarlösungen und combinirter 
Wendungen bei Placenta praevia ist unter anhaltender Irrigation 
der Scheide, resp. der Uterushöhle mit physiologischer Kochsalz¬ 
lösung — natürlich unter allen gegebenen Cautelen — zu machen. 
S. geht hiebei von folgenden Erwägungen aus : Einmal wird die 
mit der Hand unvermeidlich doch eingebrachte Luft auf ein Minimum 
beschränkt werden. Und dann , sollte doch Aspiration in die Blut¬ 
bahn eintreten, so würde die in den Organismus gelangende Salz¬ 
lösung demselben nicht nur nicht schaden, im Gegensatz zu Aus¬ 
spülungen mit Carbol- , Lysol- oder Sublimatlösungen, bei denen 
sogar gelegentlich plötzliche Todesfälle festgestellt sind, sondern viel¬ 
mehr imstande sein, den wohl stets bereits eingetretenen größeren 
Blutverlust zu ersetzen und so direct belebend und kräftigend zu 
wirken. Die Ausführung als solche dürfte wohl auch nicht auf zu 
große Schwierigkeiten stoßen. Wenn auch diese Vorschläge gewiß 
nicht künftighin alle Fälle von Luftembolie zu verhindern vermögen, 
so wird deren Zahl durch sie vielleicht einigermaßen beschränkt 
werden können, was bei ihrer Gefährlichkeit sicher zu begrüßen wäre. 

N. 

Blauel (Tübingen): Das Verhalten des Blutdruckes 
beim Menschen während der Aether- und der 
Chloroformnarkose. 

Um genaue Aufschlüsse über das Verhalten des Blutdruckes 
während der Narkose zu erhalten, hat Verf. eine ganze Reihe von 
Blutdruckmessungen mit dem GÄRTNER’schen Tonometer an 100 
mit Aether und 39 mit Chloroform narkotisirten Patienten ausge¬ 
führt. Die genauen, während der ganzen Dauer der Narkose von 
Zeit zu Zeit wiederholten Messungen bestätigten zum großen Theile 
die vom Thierexperimente her bereits bekannten Thatsachen. 

Verf. fand, daß Chloroform und Aether in ihrem Einfluß auf 
den Blutdruck in directem Gegensätze stehen , indem die Aether- 


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Nr. 11. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — 


Blutdruckcyrve dem Gebiete über der Normalböhe, die Chloro- 
formcurve demjenigen unter der Normalhöhe angehört. In der 
Aethernarkose erfährt der Blutdruck eine Steigerung, während er 
in der Chloroformnarkose sinkt. Verf. hebt zu Gunsten des Aethers 
den Umstand besonders hervor („Beitr. z. klin.Chir.“, Bd. 31, Nr. 2), 
daß diese Blutdrucksteigerung auch bei schwächlichen, durch Krank¬ 
heit bereits herabgekommenen Individuen regelmäßig eintrat, daß 
die Blutdrucksteigerung während der ganzen Dauer der Nar¬ 
kose — wenn auch nicht ganz gleichmäßig — anhielt, und daß 
namentlich ein plötzliches Nachlassen des Blutdruckes nicht vor¬ 
gekommen ist. 

Die blutdruckerniedrigende Eigenschaft des Chloroforms kommt 
nach den Versuchen des Verf. schon ganz kleinen Dosen zu ; der 
Blutdruck sinkt allmälig und auch sprungweise (bis zur Synkope), 
und zwar erfolgt die Blutdruckerniedrigung ohne jedes vorher¬ 
gehende Anzeichen ; weiters kann das Sinken des Druckes noch 
dann eintreten, wenn die Chloroformzufuhr schon einige Zeit hin¬ 
durch ausgesetzt war. 

Da der Stand des Blutdruckes der zahlenmäßige Ausdruck 
für die Leistungen des Circulationsmechanismus ist, nimmt Verf. 
mit Recht an, daß der Aethcr den Mechanismus unterstützt und 
zu höchster Leitung befähigt, das Chloroform hingegen denselben 
schädigt. Dementsprechend gibt Verf. der Aethernarkose den unbe¬ 
dingten Vorzug vor der Cloroformnarkose. Erdheim. 

Nove-Josserand (Paris): Die Behandlungen der angebo¬ 
renen Hüftluxation nach der LORENZ’schen Me¬ 
thode. 

Verf. erörtert an der Hand von 115 eigenen Beobachtungen 
die Technik der unblutigen Behandlung der angeborenen Hüft¬ 
luxation und die damit erzielten Resultate. Sein eigenes Vorgehen 
bei der Einrenkung hat nichts Abweichendes. Die Anwendung der 
LORENZ’schen Schraube wird nur bei Kindern über 5 Jahren geübt. 
In der Fixationsperiode, die N.-J. im Durchschnitte auf 10 Monate 
ausdehnt, sucht er die Abductionsstellung des Oberschenkels wo¬ 
möglich mit Einwärtsrotationsstellung desselben zu combiniren. Primäre 
Einwärtsrotation nennt er eine Stellung, bei der in einem Abduc- 
tionswinkel von 40° und leichter Innenrotation die Reposition be¬ 
stehen bleibt — der Verband hat in diesem Falle nicht nur Becken 
und Oberschenkel, sondern auch Unterschenkel und Fuß der kranken 
Seite zu umschließen, um die Auswärtsrotation der Extremität zu 
verhindern. Meist ist man aber genöthigt, zur Sicherung der Re¬ 
tention des Schenkelkopfes nach der Reposition den Oberschenkel 
wesentlich stärker, und zwar bis zum rechten Winkel, zu abduciren. 
In dieser Position stellt sich der Oberschenkel in einen gewissen 
Grad von Auswärtsrollung. Hat man den Verband in einem so er¬ 
heblichen Abductionswinkel angelegt, so braucht er zunächst nur 
bis zum Knie zu reichen. N.-J. wechselt ihn nach ungefähr zwei 
Monaten und bringt dann das Bein in die secundäre Einwärts¬ 
rotationsstellung („Rev. mens, des malad, de l’enfauce“, 1901, Juni). 
Es gelingt dann, in Narkose nach einigen Bewegungen eine Ab¬ 
ductionsstellung von 45—60° mit leichter Einwärtsrollung herbei¬ 
zuführen, bei der der Kopf in der Pfanne bleibt. Wie bei der 
primären Einwärtsrotationsstellung muß der nun angelegte Ver¬ 
band die ganze Extremität umschließen. Er wird nach zwei Monaten 
durch einen neuen Verband ersetzt, der wiederum das Knie frei¬ 
läßt und von drei zu drei Monaten erneuert wird. Die Nachbehand¬ 
lung besteht in Anwendung von Bädern, Massage, Bewegungen, 
bei denen indeß jede Gewalt vermieden werden muß. 

Nach diesem Vorgänge kann man bei Kindern unter 5 Jahren 
in der Hälfte der Fälle Erfolge erzielen, die in anatomischer und 
functioneller Beziehung als Heilung gelten können. Gute functioneile 
Resultate sind in ca. 8O 0 / 0 und Besserungen fast stets zu erreichen. 
Nach dem 5. Lebensjahre sind die Resultate weniger gut und die 
wirklichen Repositionen seltener. Verminderung des Hinkens, Ge¬ 
stalt sverbesserung, Verschwinden der Lordose und vermehrte 
Widerstandsfähigkeit der Patienten lassen sich aber durch den 
Eingriff immer erzielen; dieser bleibt bis zum 10. Lebensjahre 
empfehlenswert!!. Heber diese Altersgrenze hinaus sind die Ge¬ 


fahren, die in dem Eintritt von Fracturen und nervösen Zuständen 
drohen, zu groß und die erreichbare Besserung zu gering, um die 
Operation als empfehlenswerth bezeichnen zu können. G. 

Kieseritzky (Riga): Experimentelle Untersuchungen 
über die Einwirkung von Nahrungsentziehung 
auf das Blut. 

Nach den Thierversuchen K.’s kann nicht mehr daran ge- 
zweifelt werden, daß absolute Nahrungseutziehung sehr wohl im¬ 
stande ist, eine Anämie zu erzeugen, die durch Abnahme des Ei¬ 
weißgehaltes mit nachfolgender Erhöhung des Wassergehaltes im 
Blut und Serum charakterisirt ist, und daß diese hydrämische Form 
der Anämie bestehen bleibt, nachdem es bereits seit beträchtlicher 
Zeit zu einem vollen Ersatz des Körpergewichtes gekommen ist, 
daß also die Thiere anämisch werden, weil der Eiweißverlust lang¬ 
samer gedeckt wird als der Wasserverlust, wobei die festen Körper¬ 
organe eine schnellere Regeneration erfahren als das Blut („Deutsche 
Aerzte-Ztg. u , 1902, Nr. 4). 

Die Frage des Einflusses der Unterernährung auf die Blut¬ 
zusammensetzung — deren Beantwortung K. sich für die Zukunft 
vorbehält — wird durch einen der Versuche insofern berührt, 
als daraus für die Praxis der wichtige Schluß hervorgeht, daß eine 
einmal eingetretene Anämie durch nachfolgende ungenügende Er¬ 
nährung noch mehr verstärkt wird, und daß mit einiger Sicherheit 
anzuuehmen ist, daß sich die Entwickelung einer Hydrantie auch 
bei qualitativ und quantitativ unzureichender Ernährung heraus¬ 
bilden wird, wie das in jenem Versuche klar zutage tritt. B. 

A. Gassmann (Bern): Ueber die Betheiligung der Uterus- 
Bchleimhaut bei der Vulvovaginitis gonorrhoica 
der Kinder. 

Die Betheiligung der Uterusschleimhaut am gonorrhoischen 
Proceß wurde bisher nur bei Vorhandensein ausgesprochener klinischer 
Symptome (plötzlicher Fieberanstieg unter Schüttelfrost, Schmerzen 
im Unterleib, Schmerzhaftigkeit des Uterus bei Druck auf die 
Bauchdecken oder auch Urinfrequenz oder -Retention bei nor¬ 
maler Blase) oder gelegentlich der Obduction con3tatirt, wenn ein 
derart erkranktes Kind an den Folgeerscheinungen zugrunde ging 
(Peritonitis, Endocarditis). Nun läßt sich ganz gut aunehmen, daß 
die durch den Gonococcus an der Uterusschleimhaut hervorge¬ 
rufenen Erscheinungen nicht immer so intensiv sein müßten, als 
oben geschildert, daß demnach ohne die genannten Symptome dennoch 
die Uterusschleimhaut betheiligt wäre. Es ist das praktisch inso- 
ferne von Wichtigkeit, als wir die ohnehin erst nach langer Be¬ 
handlung zum Ziele führenden Vaginalspülungen unbedingt auch 
mit einer Behandlung der Cervixschleimhaut verbinden müßten. 
Gassmann hat nun zwei Serien von Fällen diesbezüglich untersucht 
(„Correspondenzbl. f. Schweizer Aerzte“, 1900 u. 1901) und ge¬ 
funden, daß in der größeren Zahl der Fälle das Cerviealsecret 
sich gonokokkenfrei erwies, während gleichzeitig im Vaginaleiter 
solche nachgewiesen werden konnten; bloß in einem einzigen der 
untersuchten 11 Fälle fanden sich auch im Cerviealsecret Gono¬ 
kokken, doch fehlten auch in diesem Falle jedwede endometritiseben 
und peritonitischen Symptome. Dieser Befund läßt es rationell er¬ 
scheinen, in jedem Falle von Vulvovaginitis auch das Cerviealsecret 
mikroskopisch (es ist dies vielleicht der Punkt, welcher An¬ 
fechtungen der Untersuchungsresultate zuläßt. Anmerk. d. Ref.) 
zu untersuchen, um eventuell auch den Cervicalcananal antibakteriell 
zu behandeln. Deutsch. 

Aus dem pathoUnjischeu Institut (deheimvath Mar¬ 
ch and) und der chirurgischen, Klinik- (Geheimrath 
Küster) xu Marburg, 

Enderlen und Justi: Beiträge zur Kenntniß derUNNA- 
schen Plasmazellen. 

Unna’s Lehre von den Plasmazellen hat vielfache Angriffe 
erfahren. Darum beschäftigen sich in einer großen Untersuchungs¬ 
reihe Enderlen und Justi aufs neue mit dieser Angelegenheit 
und veröffentlichen ihre Beobachtungsprotokolle („Deutsche Zeitschr. 
f. Chirurgie“, Bd. G2, II. 1/2). Sic erkennen als Plasmazellen nur 


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Wiener Medizinische Presse. — Nr. 11. 


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jene mit dem dunklen zusammengeballten Protoplasmasaum an, 
mit hellem Hof und excentrisch liegendem Kern mit plumpem Chro¬ 
matingerüst. Da sie zu diesen wohl charakterisirten Gebilden 
alle erforderlichen Uebergänge von den Leukocyten beobachten 
konnten, schließen sie sich hinsichtlich der Genese der Ansicht von 
Jadassohn, Marscbalko u. s. w. entgegen der ÜNNA’schen vom 
Ursprung aus Bindegewebszellen an. Die Unna’scIic Färbung er¬ 
weist sich aber als sicherstes Erkennungsmittel (Methylenblaufärbung 
mit Alkoholfixirung), und mit der Behauptung, daß man die Plasma¬ 
zellen, wenn man sie einmal gesehen habe, bei jeder Färbemethode 
leicht wiederfinden könne, hat Jadassohn nicht recht. Irgend welche 
tinctoriellen und morphologischen Eigenschaften müssen doch präcisirt 
werden, will man den ÜNXA’schen Zellen eine besondere Stellung 
in der pathologischen Histologie einräumen. Hinsichtlich der Ver¬ 
mehrung der Plasmazellen scheint die Ansicht von der indirecten 
Kerntheilung die richtige zu sein, wenn auch die Möglichkeit einer 
directen Theilung nicht ganz zurückzuweisen möglich ist. Die de- 
generativen Vorgänge erkennt man an dem unregelmäßig gebuchteten 
Protoplasmasaum, der diffusen, häufig blässeren Färbung der 
Schrumpfung des Kerns und der vaeuolären Zerklüftung des Proto¬ 
plasmas. Mit den Granulationszellen des Tuberkels dürften sie 
nichts zu thun haben, auch nichts mit Vorstufen zu Sarkom- und 
Carcinomzellen; auch kommen ihnen phagocytäre Eigenschaften im 
gewöhnlichen Sinne nicht zu. Dagegen scheint von außen eine in 
Methylenblau färbbare Substanz in sie einzudringen, welche zu¬ 
nächst den Körnchensaum bildet, weiterhin aber tiefer in den Zell¬ 
leib aufgenommen wird und sich schließlich so massenhaft anhäuft, 
daß nur noch neben dem Kern ein heller Hof übrig bleibt. Als 
Quelle dieser chromophilen Massen hat man wohl zuerst an das 
Freiwerden färbbarer Substanz bei dem Zerfall von Zellen, wie er 
pathologisch in ausgedehntester Weise, in geringerem Grade auch 
physiologisch statthat, zu denken. R. L. 

J. Weigl (München): SterilisationBapparat für Verband¬ 
materialien von R. Klien. 

Verf. hat im Aufträge Buchner’s den Apparat Klien’s 
neuerdings geprüft und theilt nuumehr die Resultate mit („Münch, 
med. Wschr.“, 1902, Nr. 8). Der Apparat ist sehr einfach und 
handlich constrnirt. Er besteht aus einem cylindrischen Wasser¬ 
behälter, dessen Decke einen runden Ausschnitt hat, und aus einem 
Mantel von der Form zweier, auf den entgegengesetzten Seiten 
geschlossener , ineinandergreifender Cylinder. In deu runden Aus¬ 
schnitt kann eine große Schimmelbuschbüchse oder ein deckelartiger 
Einsatz, welcher drei kleine Schimmelbuschbüchsen trägt, eingefügt 
werden. Der Apparat dient nach der Intention des Erfinders einem 
zweifachen Zwecke: einmal der Sterilisation der in den Schimmel¬ 
buschbüchsen eingelegten Verbandmaterialien durch strömenden 
Dampf, zweitens der Austrocknung der feucht gewordenen Mate¬ 
rialien , wodurch der Nachtheil, feuchte Verbandstoffe verwenden 
zu müssen, aufgehoben wird. 

Was die Trocknung der sterilisirten Materialien betrifft, so 
genügt für die kleinen Schimmelbuschbüchsen, selbst bei sehr 
dichter Füllung, die Zeit von 35—40 Minuten, um trockenes 
Material zu erhalten ; die große Schimmelbuschbüchse beansprucht 
bei sehr dichter Füllung die Zeit von ca. 80 Minuten. Dann sind 
selbst die in der Cylindermitte befindlichen Wattebäusche fast 
ganz trocken; Binden, Gazestreifen und die den Cylinderwandungen 
nahen Wattelagen sind vollständig trocken; je lockerer aber die 
große Büchse eingefüllt ist, desto kürzer ist die Zeit, welche zur 
Trocknung nötbig ist. Aus den Versuchen ergibt sich, daß der 
Apparat thatsächlich seinen zweifachen Zweck erfüllt. Dazu kommt, 
daß der Apparat auf jedem Ofen aufgestellt und durch dessen 
Feuer in Gang gesetzt werden kann, eine große Bequemlichkeit 
für die praktische Benützung. Vom Anheizen bis zum Beginn des 
ausströmenden Dampfes aus der Mantelöffnung dauert es je nach 
Wärmequelle und Füllung des Wasserbehälters 10 bis 25 Minuten. 
Ein weiterer Vortheil des Apparates besteht in seinem billigen 
Preise. 

Die Bedienung des Apparates ist vollkommen gefahrlos. N. 


Kleine Mittheilungen. 

— Eine einfache und empfindliche Eiweißprobe gibt 
Bychowsk an („Deutsche med. Wschr.“, 1902, Nr. 2). Man ist oft, 
besonders in der Privat-, resp. Kinderpraxis, in der unaugenehmen 
Lage, auf Grund einiger Tropfen Urin entscheiden zu müssen, ob 
derselbe Eiweiß enthält oder nicht. Die üblichen Eiweißproben 
sind in solchen Fällen nicht anwendbar. B. theilt einen Kunstgriff 
mit, um schon in einem bis zwei Tropfen Urin Eiweiß mit Be¬ 
stimmtheit nachzuweisen. Schüttet man nämlich in ein Reagenzglas 
oder irgend welches beliebige farblose Gefäß, das heißes Wasser 
enthält, einen Tropfen Urin, so entsteht in dem Wasser, wenn 
der Urin nur Spuren von Eiweiß enthält, eine sehr leicht wahr¬ 
nehmbare opalescireude Trübung, die ganz an die Rauchwolke 
einer Cigarre erinnert. Diese Reaction, die ja eigentlich nur eine 
Modification der Kochprobe ist, ist sehr empfindlich, ja sogar 
empfindlicher und entscheidender als die Kochprobe selbst, denn 
sie beruht auf Farbencontrast zwischen dem farblosen Wasser und 
opalescirendem coagulirten Eiweiß. Besonders zweckmäßig ist es, 
das Reagenzglas während der Probe auf einem schwarzen Hinter¬ 
gründe, also z. B. dem Rockärmel, zu halten. Man kann dann die 
Rauchwolke kaum übersehen. Dieser Probe haften die Mängel der 
Kochprobe an, vor Allem geben auch Phosphate dieselbe Wolke. 
Dem ist leicht durch Hinzufügen eines Tropfens Essigsäure abzu- 
helfen. 

— Es ist nach den Erfahrungen van Zandt’s („South. 
Practitioncr“, 1901, Dce.) nicht zweifelhaft, daß das CreOSOtal 
bei Pneumonie eine Heilwirkung entfaltet, die man oft als be¬ 
sonders specifisch bezeichnen könnte. Z. hat die gute Wirkung des 
Creosotals beobachtet, nicht bloß wenn es gleich am Anfang, sondern 
auch wenn cs erst später gegeben wurde. Der Unterschied in den 
Resultaten ist jedenfalls weniger von der Zeit, zu der man mit 
der Creosotalbehandlung beginnt, abhängig, als von den Unter¬ 
schieden der Infectiou. Das Creosotal darf nicht zu zeitig aus- 
gesetzt werden. Es soll mindestens 3 Tage, bei Bronchopneumonie 
noch länger, gegeben werden. Da es sich nicht löst, gebe man es 
in Emulsion oder in heißem, gesüßtem Wasser, welches während 
des Trinkens gut gerührt werden muß. Die Emulsion ist besonders 
für kleine Kinder vorzuziehen. Das Mischen mit alkoholischen oder 
sauren Flüssigkeiten ist nicht zu rathen, da diese den Geschmack 
und Geruch des Creosotals hervorheben. Dosirung: Erwachsenen 
alle 3 Stunden 0’7 Grm. 

— Als Heilmittel gegen aufgesprungene Hände eignet sich 
(„Corr. f. Schw. Aerzte“, 1901, Nr. 1): 

Rp. Hydrarg. oxyd. flav. 0T5 

Balsam, peruvian. 06 

Vaselin.150 

Morgens und Abends einzureiben. 

Bei vorhandenem Jucken kann der Salbe noch 0'15 Carbolsäure 
hinzugefügt werden. 

Rp. Menthol. U'6 

01. Oliv., 

Salol.aa. 0'? 

Ung. Lanolin.18'0 

— Seine Erfahrungen mit der spinalen Anästhesie nach 
BlER erörlert W. Klopfstein („Wiener klin. Rundschau“, 1901, 
Nr. 49). Nach Injectionen von Tropacocain und Eucain a in den 
pioarachnoidealen Raum wird in der Mehrzahl der Fälle eine voll¬ 
kommene Unempfindlichkeit beobachtet, welche sich von deu unteren 
Extremitäten bis zum Nabel, manchmal höher, ja bis auf die 
oberen Extremitäten erstrecken kann. Unangenehme Nebenerschei¬ 
nungen, Fieber oder Kopfschmerzen können gänzlich ausbleiben. 
Aus unbekannter Ursache tritt weder nach Tropacocain, noch nach 
Eucain die Anästhesie auf. Es gibt Individuen, die sich durch eine 
besondere Idiosynkrasie sowohl gegen das Tropacocain als auch 
das Eucain auszeichneu. Bei ihnen kann sich neben Kopfschmerzen, 
Erbrechen u. s. w. ein gefährlicher Collaps entwickeln. Spinale 
Injectionen von Tropacocain alteriren die Athmung und Herz- 
thätigkeit viel weniger wie solche von Eucain «. Das Tropacocain 
ist dem letzteren daher vorzuziehen und kann auch bei älteren 
Personen angewendet werden. Das Tropacocain hat weiter einen 
entschiedenen Vorzug vor Eucain a, denn es verursacht kein Fieber 


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und die Kopfschmerzen pflegen gewöhnlich nicht so intensiv zu 
sein, wie nacli Eucain x. Mit Rücksicht darauf, daß nach spinalen 
Injectionen die Anästhesie manchesmal ausbleibt, und daß Collaps- 
erscheinungen sowohl nach Tropacocain als auch nach Eucain x 
auftreten, ohne daß wir imstande wären, diesen Umstand vor einer 
Operation zu ahneD, empfiehlt es sich bei dringenden Operationen, 
Laparotomien bei inneren Einklemmungen, Herniotomien etc. den 
Kranken mit Aether oder Chloroform zu narkotisiren. Die Inhalations¬ 
narkose ist bezüglich der Anästhesie immer positiv, die medulläre 
Narkose unsicher. 

— Die Wirkung des Strychnins bei der Lungentuberculose 

bespricht Ferran („Med. mod.“, 1001, Nr. 45). Sowie Arsen und 
die Kakodylpräparate wirkt Strychnin gegen die tuberculöse Kachexie, 
indem es die Körperkräfte und den Allgemeinzustand des Kranken 
hebt; die Wirkung muß eine ähnliche sein wie bei anderen Krank- 
heitsznständen (seniler Schwäche, bei Depressionsgefühlen nach 
Infectionskrankheiten, besonders nach Influenza), wo das Strychnin 
ein sehr gutes therapeutisches Hilfsmittel sein soll. Im Gegensatz 
zu anderen Substanzen, z. B. Coffein, scheint es nicht nach einer 
vorübergehenden Periode der Excitation eine noch stärkere De¬ 
pression zu hinterlassen. F. weist besonders darauf hin, daß auch 
bei lange fortgesetztem Gebrauche hoher Dosen von Strychnin 
der Organismus dasselbe vollständig gut verträgt und nicht das 
geringste Zeichen von Vergiftung auftritt. Mit der Besserung 
des Lungenleidens geht auch eine solche der Dyspnoe, des Fiebers 
und der nächtlichen Schweiße einher. Zwei solcher Fälle — den 
einen mit sehr vorgeschrittener Kachexie, den anderen noch im 
Anfangsstadium des Leidens — führt F. genauer an. Mit Vortheil 
bediente er sich bei dieser Medication der combinirten Verordnung 
von Arsenik und Strychnin: Arsensaures Strychnin 0 002, Natr. 
glycerophosphat. O f 2, Ca hypopbosphit. 0’05 pro Pille. Die Schnellig¬ 
keit und Leichtigkeit, mit welcher das schwefelsaure oder arsen¬ 
saure Strychnin durch den Verdauungscanal resorbirt werden, 
zwingen bei diesem Mittel niemals, den hypodermatischen Weg 
einzuschlagen. Die tägliche Dosis von 6 Mgrm. auf 3raal im Tage 
(nach dem Essen) vertheilt, hat in den meisten Fällen sehr gute 
Resultate, zu schwache Dosen weniger befriedigende gegeben; 
letztere scheinen nicht die Kräfte- und Energiesteigerung, die 
Appetitbesserung zu geben, welche mit der Wirkung des Strychnins 
meist verknüpft sind und welche dasselbe zu einem werthvollen 
Hilfsmittel in der Tuberculosebehandlung machen, indem der 
Organismus in die Möglichkeit versetzt wird, alle therapeutischen 
Quellen besser auszunützen. 

— Ueber die subcutanen Injectionen natürlicher und künst¬ 
licher Arsenpräparate berichtet Steiner („D. Med.-Ztg.“, 1901, 
Nr. 63). Er stellte zunächst fest, daß eine Intoxication nicht zu 
befürchten sei, und versuchte dann das Levicowasser bei Haut¬ 
krankheiten, bei Leukämie und bei Pseudoleukämie. Stärkere locale 
Reizerscheinungen traten nur in einem Falle auf und beruhten 
wahrscheinlich auf einer Verunreinigung des Wassers. Eine günstige 
Einwirkung auf den Krankheitszustand ließ sich schon nach wenigen 
Einspritzungen feststelleu. Mehrere Fälle von Psoriasis wurden 
geheilt; bei Leukämie und Pseudoleukämie wurde längere oder 
kürzere Zeit andauernde Besserung erreicht. Zur Herbeiführung 
dieses Erfolges waren meist 25 — 30 Einspritzungen (>/ 2 — 1 Pravaz- 
spritze) erforderlich. Verf. empfiehlt das Verfahren in allen Fällen, 
in denen eine Schonung des Magendarmcanals geboten und eine 
schnell eintretende Arsenwirkung gewünscht wird. Zur subcutanen 
Injection soll das Levicowasser vor anderen Präparaten den Vorzug 
verdienen, weil es eine „natürliche, dem Organismus angepaßte“ 
Arsenverbindung darstellt. 

— Aus den experimentellen Untersuchungen von Juliusberg 
(„Arch. f. Dermat. u. Syph.“, 1901, Bd. 56, Nr. 1) über die Queck- 
silberresorption bei der Schmiercur geht Folgendes hervor: 
Von dem Quecksilber der grauen Salbe gelangt ein Theil durch 
die Lungen, ein Theil durch die Haut in den Organismus. Der 
Theil, der durch die Lunge zur Aufnahme kommt, ist der beträcht¬ 
lichere. Der Theil, der durch die Haut aufgenommen wird, wird 
nicht in dem Aggregatznstande, den das Hg in der grauen Salbe 
besitzt, resorbirt, sondern in Form einer resorbirbaren chemischen 


Salzverbindung. So große Mengen verdunstenden Hg’s deu Körper 
auch umgeben, es gelangt doch nur ein ganz geringer, praktisch 
irrelevanter Theil' dieses Quecksilbers durch die Haut (vielleicht 
auch in Form resorbirbarer Salzverbindungen) in den Körper. Die 
aus den eingeathmeten Dämpfen an der Lungenoberfläche sich 
niederschlagenden Quecksilberkügelchen werden niemals als solche 
aufgenommen werden, sondern wandeln sich außerordentlich rasch in 
resorbirbare Verbindungen um; Elimination des Quecksilbers aus 
dem Körper mit der Ausathmungsluft findet nicht statt. 

— Die Untersuchungen von Lancereaux und Paulesco 
(„Bull. d. l’acad. d. med.“, 1901, Nr. 24) haben festgestellt, daß 
das Lecithin für die Ernährung des Organismus im Allgemeinen 
und des Nervensystems im Besonderen eine große Rolle spielt. 
Experimentelle und therapeutische Versuche haben dies bestätigt 
und neben anderen guten Wirkungen die Gewichtszunahme von 
Thieren und Menschen unter dem Lecithineinfluß constatirt. Die 
Verfasser haben bei zwei Kranken mit Pankreasdiabetes in vor¬ 
gerücktem Stadium unter dem Einfluß des Lecithin eine rapide 
Gewichtszunahme und beträchtliche Besserung des Allgemeinzustandes 
erreicht. Sie verwandten Ovo-Lecithin Bouillon. Lecithin ist also 
ein ausgezeichnetes Nährmittel, welches in Fällen schnellen Kräfte¬ 
verfalls große Dienste leisten kann. Auch bei anderen Kranken 
(Knochentuberculose und amyloide Nierendegeneration, beginnende 
Tuberculöse, Bronchopneumonie) hat das Präparat eine Vermehrung 
des Körpergewichts herbeizuführen vermocht. 

— Einen äußeren Handgriff zur Erleichterung der Defä- 
cation („Hinterdammschutz“) erörtert Gumprecht. („Deutsche med. 
Wschr. u , 1901, Nr. 43). Der Handgriff bezweckt, die Entleerung 
schmerzlos zu machen. Geringe Grade von Hämorrhoidalaffectionen, 
die als solche kaum als Krankheit gelten, aber doch nicht uner¬ 
hebliche Schmerzen verursachen, sind ungemein häufig. Gerade 
diesen zahllosen leichten Hämorrhoidariern kommt der Handgriff, 
den der Patient selbst ausführt, zu Gute. Das Ziel des Handgriffes 
besteht darin, die Spannung der Analumgebung während der Defä- 
cation durch Gegendruck mit der Hand zu vermeiden und den 
ersten, härtesten Kothballen manuell herauszudrücken. Die Aus¬ 
führung gestaltet sich folgendermaßen: In dem Moment vor der 
Defäcation legt der Patient die flache linke Hand auf das Kreuz¬ 
bein, so daß die Fingerspitzen über das uutere Ende de3 Kreuz- 
und Steißbeins noch um etwas hinüberragen. Wenn nun der Koth 
durch das Rectum andrängt, so fühlt man unter den Fingerspitzen, 
wie die Weichtheile hinter dem After sich vorwölben, und sucht 
durch einen allmälig zunehmenden Druck diese Vorwölbung auszu¬ 
gleichen. Danu krümmen sich die Fingerspitzen hakenförmig um 
das Steißbeinende herum, schneiden dadurch den vorderen Theil 
der Kothsäule von dem hinteren ab und drängen ihn zum Anus 
hinaus. Dann gehen die Finger in die Anfangsstellung zurück und 
üben nun während der ganzen Defäcation einen genügenden Gegen¬ 
druck, um jede Weichtheilspannung zu verhindern; sie bleiben 
bei der ganzen Procedur unbeschmutzt. 

Literarische Anzeigen. 

Handbuch der Therapie innerer Krankheiten in sieben 

Bänden, herausgegeben von Prof. Dr. F. Penzoldt und Prof. 

Dr. R. Stintzing. Dritte umgearbeitete Auflage. Jena 1902, 

Gustav Fischer. 1. und 2. Lieferung. 

Das groß angelegte und umfassende Werk von Penzoldt und 
Stintzing, das sich im Fluge die medicinische Welt erobert hat 
und heute bereits ein unentbehrliches Inventarstück der ärztlichen 
Bibliotheken darstellt, erscheint nunmehr in dritter Auflage. Die 
uns vorliegenden zwei Lieferungen enthalten: A. Gärtner, „Ver¬ 
hütung der Uebertragung und Verbreitung ansteckender Krank¬ 
heiten“ ; H. Büchner, „Schutzimpfung und andere individuelle 
Schutzmaßregeln“; H. v. Ziemssen , „Allgemeine Behandlung der 
Infectionskrankheiten“; 0. Vierordt, „Behandlung des Scharlach“; 
Derselbe, „Behandlung der Gesichts- und Kopfrose“ ; L. Pfeiffer, 
„Diagnose und Prognose der Blattern“ ; Derselbe, „Behandlung und 
Prophylaxe der Blattern“ ; F. Ganghofer, „Behandlung der Diph- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 11. 


520 


therie, des Keuchhustens und des Mumps“ ; Rumpf, „Behandlung 
der asiatischen Cholera“; Kartülis, „Behandlung der Dysenterie“; 
H. v. Ziemsskn, „Behandlung des Unterleibstyphus und der Pest“; 
Gebhard, „Behandlung der puerperalen Septikämie“ ; Gumprecht, 
„Behandlung des Gelbfiebers“ ; Maragliano, „Klinische Behand¬ 
lung der Malariainfection“ ; H. 0. Lie, „Behandlung der Lepra“; 
Garbe, „Prophylaxe und Behandlung des Milzbrandes“'. Wir kommen 
noch ausführlich auf das treffliche Handbuch zurück. B. 

Grandzüge der allgemeinen Mikrobiologie. Von Or. 

M. Nicolle. Ins Deutsche übertragen von Dr. H. Dünscfmann. 

Berlin 1901, August Hirschwald. 

Das vorliegende Büchlein enthält zunächst eine Darstellung 
der Morphologie der verschiedenen Bacterien und Pilze, sowie der 
Protozoen; hieran schließt sich eine eingehende Besprechung ihres 

Feuilleton. 

Moriz Kaposi. 

Ein Nach ruf. 

Am G. März, 8 Uhr Früh, schloß einer der größten Meister 
der Wiener Schule die Augen. Er war noch einer der Wenigen, 
welche die Blüthezeit der Wiener Schule miterlebt und sie der 
Nachwelt überliefert haben. 

Die Wiener dermatologische Schule, die als die bedeutendste 
des deutsch sprechenden Europas angesehen werden muß, hat IIebra 
begründet, Kaposi hat ihr zu einem Weltruf verholfen. Das unge¬ 
heuere Material, das gerade hier in Wien sich aus dem ganzen 
Osten und Süden concentrirte, gab für Hebra sowohl als für 
Kaposi den richtigen Boden ihrer Forschungen ab. In dieses 
Material Sichtung und Ordnung gebracht zu haben, die Dermatologie 
überhaupt erst auf Grund exacter Beobachtungen an diesem Materiale 
aufgebaut zu haben, war das Verdienst dieser beiden Männer. 
Ueberhaupt .sind diese beiden Meister nicht getrennt zu betrachten. 
Was Hebra schuf, erfuhr durch Kaposi die richtige Interpretation; 
was Kaposi schuf, war auch weiterhin nur ein Ausbau von Hebra’s 
Lehre. Darum ist auch ein großer Theil des Lehrbuches Hebra- 
Kaposi von Kaposi direct verfaßt, und diese Vereinigung der 
Arbeiten beider Meister wirft ein Streiflicht auch auf das wissen¬ 
schaftliche Verhältniß beider Männer. Kaposi war die Fortsetzung 
Hebra’s —, aber doch genug verändert durch seine mächtige 
Individualität, so daß er sich groß genug erhob, um mit Leichtig¬ 
keit als das, was er war, erkannt zu werden. 

Kaposi wurde am 23. October 1837 zu Kaposvar in Ungarn 
als vorletzter Sohn armer Eltern geboren. Aber Mutter sowohl 
als Vater zeichneten sich durch klugen Ernst und Arbeitsamkeit 
aus, die sie auch auf ihre Kinder zu übertragen bestrebt waren. 
Fortwährend stachelte besonders der Vater den jungen Knaben zu 
neuer Arbeit an. In Kaposvar besuchte Kaposi das ungarische 
Untergymnasium, setzte dann seine Studien am deutschen Ober 
gymnasium in Preßburg fort, wo er die Matura mit ausgezeichnetem 
Erfolge bestand. 

Nach der Matura inscribirte er an der Wiener medicinischen 
Facultät, wo er mit Maüthner (dem verstorbenen Professor der 
Augenheilkunde) besonders intim verkehrte. Trotz der ärmlichen 
Verhältnisse, in denen er lebte, studirte Kaposi mit ungeheuerem 
Eifer. Nach Absolvirung seiner Studien und Erlangung des Doctor- 
diploms trat Kaposi 1863 im allgemeinen Krankenhause als 
Aspirant ein; zugleich aber führte er als Leiter das Sanatorium 
Löw, um sich auf diese Weise seinen Lebensunterhalt zu erwerben. 
Dort kam er auch in Berührung mit hervorragenden medicinischen 
Lehrern jener Zeit, so mit Skoda, Oppolzer und Hebra. 

Durch einen Zufall trat er Hebra näher. Dieser mochte die 
besonderen Fähigkeiten des jungen Mannes entdeckt haben, denn 
schon nach kurzer Zeit traten beide als Verfasser des großen 
Lehrbuches vor die Oeffentlichkeit. Von nun an war Kaposi Mit¬ 
arbeiter Hebra’s. Eine Reihe von Artikeln dieses Lehrbuches, 


biologischen Verhaltens , wobei insbesonders ihrer chemischen und 
physikalischen Wirkungen in umfassender Weise Rechnung ge¬ 
tragen wird. Der zweite Theil, der die Phagocytenlehre, die Patho¬ 
logie der Entzündung, die Lehre von der Immunität und der 
Bildung der Antikörper enthält, ist, wie es bei einem langjährigen 
Schüler des Pasteur’ sehen Institutes in Paris nicht anders zu er¬ 
warten stand, ganz im Sinne Metschnikoff’s geschrieben und ver¬ 
tritt daher einen Standpunkt, der von deutschen Fachcollegen im 
allgemeinen nicht getheilt wird. Trotzdem wird aber jedermann 
das Büchlein mit Vergnügen lesen und, mag er sich auch mit 
den Anschauungen des Verfassers auf dem Gebiete der Immunität 
und bezüglich der Rolle der Phagocyten nicht einverstanden er¬ 
klären , so wird er das Büchlein doch nicht unbefriedigt aus der 
Hand legen. Darum sei es allen Fachcollegen, sowie dem Arzte, 
der sich für die einschlägige Frage interessirt, auf das Beste 
empfohlen. Dr. S—. 


meist in monographischer Form geschrieben, haben Kaposi zum 
Autor. Auf Grund der Arbeiten (über Syphilis der Mund-, Rachen-, 
Nasen- und Kehlkopfhöhle) hatte sich Kaposi im Jahre 1866 als 
Docent für Syphilis und etwas später für Dermatologie habilitirt. 
Von diesem Jahre an erschienen Jahr für Jahr aus der Feder 
Kaposi’s eine Reihe von Arbeiten aus den verschiedensten Capiteln 
der Dermatologie. Oft befand sich Kaposi bei diesen Arbeiten im 
Widerspruche zu Hebra ; aber die Sicherheit der Beobachtung und 
die Klarheit der Beschreibung überzeugten bald Hebra von der 
Richtigkeit der Anschauungen seines Schülers. In den Jahren 1870, 
1871, 1872 finden wir Kaposi mit der Abfassung eines großen 
Theiles der oben erwähnten Abhandlungen im Lehrbuche Hebra- 
Kaposi beschäftigt. Nebenbei aber fand er genug Zeit, eine. Reihe 
von anderen wichtigen Arbeiten auszuführen, die sieb zum Theile 
in ätiologischen, zum Theile in histologischen Beobachtungen einzelner 
Krankheitsformen bewegen, so die Bearbeitung des Rhinoskleroms 
(das eben von Hebra entdeckt worden war), die Aetiologie der 
Impetigo contagiosa faciei, des Erythema multiforme und der 
ldeutität der die Mykosen bedingenden Pilze, die „Neuen Beiträge 
zur Kenntniß des Lupus erythematosus“ — Arbeiten, die zum Theile 
im eben entstandenen „Archive für Dermatologie und Syphilis“ 
niedergelegt wurden. Im Jahre 1872 beschreibt auch Kaposi zum 
erstenmale ein ebenso wichtiges als interessantes Krankheitsbild, 
das er schon damals in seiner ganzen Klinik erfaßte: das idio¬ 
pathische multiple Pigmentsarkora der Haut, das seither von vielen 
Autoren zum Ausgangspunkte ihrer Forschungen gemacht wurde. 
In meisterhafter Darstellung schilderte er die3eä bis dahin unbe¬ 
kannte Krankheitsbild, so daß dasselbe bald in den allgemeinen 
Schatz der Dermatologie aufgenommen werden konnte und durch 
bald folgende Berichte anderer Autoren seine volle Bestätigung 
erhielt. In diesem Jahre begann er sein großes Werk: „Die 
Syphilis der Haut und der angrenzenden Schleimhäute.“ In diesem 
Werke wird bekanntlich die Lehre der Einheitlichkeit der venerischen 
Geschwüre mit großem Scharfsinne verfochten, sowie es überhaupt 
als Charakteristicum sowohl für Hebra als auch für Kaposi gelten 
kann, daß sie die Krankheitsbilder auf möglichste Einfachheit 
zurückzuführen und die sonst von vielen Autoren als getrennt 
angesehenen Krankheitsbilder nur als Varietäten derselben Krank¬ 
heit aufzufassen geneigt sind. 

Im selben Jahre hielt auch Kaposi einen Vortrag über die 
Variola-Varicellenfrage, in welchem er gleichfalls die Identität 
beider Krankheitsbilder vertrat. Hebra wie Kaposi hatten beide 
in unvergleichlicher Meisterschaft die Fähigkeit, die charakteristischen 
Momente des Krankheitsbildes zu percipiren und zu erkennen. Für 
sie waren die Symptome Ausdruck tieferer biologischer Gesetze, 
deren Umwandelbarkeit das Immerwiedererkennen der Krankheit 
erfordert. Als ein zweites, gleichfalls sehr wichtiges Hilfsmittel ver¬ 
langten sie für die Diagnose den Verlauf der Erkrankung, mit 
demselben Rechte, weil in diesem die vielleicht früher gleichartigen 
Krankheitserscheinungen sich verschieden gest alten müssen. In der 
exacten Durchführung dieser vorgezeichneten Kriterien gelang es 
Kaposi , eine Reihe von Krankheitsbildern neu zu entdecken oder 
schon bekannte schärfer zu charakterisiren und zu differenziren. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 11. 


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Die Eigentümlichkeit des Herpes zoster, nur einmal ein Individuum 
zu befallen, führte ihn zur Erkenntniß des Herpes zoster hystericus, 
der sich durch häufige Recidiven auszeichnet. Die von ihm aufge¬ 
stellten sehr klaren Charaktere der syphilitischen Efflorescenzeu, 
ihrer Ausbreitung, ihres Wachsthums und ihrer Rückbildung führten 
ihn zur scharfen Beurtheilung des hilflosen Lupus syphiliticus. 
Die nächsten Jahre (1878, 1879) pubücirte Kaposi eine Reihe 
von therapeutischen Arbeiten, und zwar über das neu aufgekommene 
Vaselin, das Chrysarobin und das Pyrogallns, durch welche diese 
Mittel in den therapeutischen Schatz der Dermatolgie aufgenoramen 
wurden. 

Im Jahre 1880 erschien das berühmte „Lehrbuch der Haut¬ 
krankheiten“ in Vorlesungen zum erstenmale. Es ist dies ein in 
ziemlicher Kürze gehaltener Auszug der Wiener dermatologischen 
Schule in einer Klarheit der Diction, in solcher Schärfe der Kritik, 
daß dieses Buch nicht mit Unrecht zu den classischesten Werken 
der medicinischen Literatur gezählt werden kann. Zeugniß dafür, 
daß es in der ganzen dermatologischen Welt sofort großen Anklang 
fand, gibt die schon im nächsten Jahre erschienene Uebersetzung 
von Dennier und Dyon. Mit diesem Werke hatte Kaposi sich auf 
eigene Beine gestellt und hatte die Gemeinsamkeit mit Hebra 
einen formellen Abschluß gefunden. Herra äußerte sich über dieses 
Werk in höchst anerkennender Weise, was bei der Ehrlichkeit der 
Kritik dieses Mannes nicht genug zu schätzen ist. Im gleichen 
Jahre übernahm Kaposi die dermatologische Klinik in Wien, deren 
erster Lehrer eben gestorben war. 

Durch Kaposi’s Berufung an die Stelle des verstorbenen 
Großmeisters der Dermatologie war gewiß die geeignetste Person 
gefunden worden, denselben zu ersetzen. In rascher Aufeinander¬ 
folge konnte Kaposi durch Aufdeckung neuer Krankheitsbilder der 
Welt von seiner ausgezeichneten Beobachtungsgabe und von seinem 
Forschungsgeiste Zeugniß geben. Im Jahre 1882 entdeckte er das 
Xeroderma pigmentosum, ein Krankheitsbild, das, von früher Kind¬ 
heit an bestehend, durch das ganze Leben des Individuums anhält 
und durch das Dazutreten von verschiedenen Geschwülsten zum 
Schlüsse den Tod herbeiführt. Das eigenartige Aussehen der Kranken, 
die Beschaffenheit der Haut, die Welkheit derselben, die Pigraent- 
verschiebungen, das Auftreten von Nävi, Angiomen, Carcinomen rief 
in dem klaren Geiste Kaposi’s sofort jene geniale Hypothese der 
Analogie mit der Greisenhaut wach, durch welche mit einemmale 
das Kraiikheitsbild an Klarheit gewann. Besondere Derraatitiden 
bei Diabetikern, Boubon d’AIeppe, eine neue Form der Hautkrank¬ 
heit, Lymphoderma perniciosa, die Glossodynia exfoliativa, Urti¬ 
caria pigmentosa, Lichen ruber moniliformis, Impetigo herpetiformis, 
über die Frage des Lichen ruber, über Pemphigus, über Sklero¬ 
dermie, über Pathogenese der Pigmentirungen und Entfärbungen 
der Haut, über einige Formen der Akne, über Mycosis fungoides, 
Sarcomatosis cutis und eine Reihe anderer Arbeiten geben Zeugniß 
von der großen Fruchtbarkeit Kaposi’s in den laufenden Jahren 
seiner klinischen Thätigkeit. Bekannt ist die eigenartige Stellung 
Kaposi’s in der Auffassung des Lupus, den er nicht wie die 
meisten Dermatologen als eine eigene Form der Hauttuberculose 
bezeichnen möchte, sondern als Krankheitsbild sui generis, indem er 
als eigentliche Hauttuberculose eine eigene Form auffand, die er 
als Tuberculosis miliaris cutis propria bezeichnete. Auch die vielum¬ 
strittene Frage des Lichen ruber hat er in einigen polemischen 
Artikeln mit großem Glücke geklärt, desgleichen auf dem Con- 
gresse zu Graz die Ansichten über den Pemphigus, den er als ein 
wohlcharakterisirtes Krankheitsbild mit wohlcharakterisirten Sym¬ 
ptomen und Verlaufe zeichnete, und wobei er sich gegen jede Ver¬ 
mengung von mit Pemphigus nicht identischen Bildern und gegen 
jede Theilung des Krankheitsbildes auf das Entschiedenste aus¬ 
sprach. In jüngster Zeit veröffentlichte er noch eine Reihe von 
kleineren Arbeiten, so über Hyperhydrosis spinalis superior, über 
Xeroderma pigmentosum und gab einen dreibändigen Atlas heraus. 
Unterdessen hatte sein Lehrbuch die 5. Auflage erlebt und wurde 
in fast sämmtliche Sprachen der Welt übersetzt. Auf dem Congresse 
zu Paris sollte Kaposi sein letztes großes polemisches Referat 
halten, diesmal über die vulgärste und meistumstrittene Frage, 
„das Ekzem“. Es stand hier nicht weniger auf dem Spiele, als 


einen der Hauptsätze Hebr.vs umzustürzen, die Aetiologie und 
Pathologie des Ekzems betreffend. 

Mit größter Unerschrockenheit, mit Unsummen von Beweisen, 
mit scharfer Dialektik hatte er sich gegen die in letzter Zeit so 
häufig auftauchenden Ansichten von der bakteritischen Entstehungs¬ 
ursache als alleinigem ätiologischen Grunde des Ekzems gewendet. 
An der Hand der Klinik, seiner Lehrmeisterin, wies er diese Rich¬ 
tung in die ihr gebührenden Schranken. Nur der Wichtigkeit des 
Themas und besonders dem Umstande, daß das Lehrgebäude Herra’s 
bedroht wurde, ist es zuzuschreiben, daß Kaposi etwas schärfere 
Töne der Abwehr fand. Es ist schwer, irgend ein Thema der 
Dermatologie zu finden, das nicht durch Kaposi einen Ausbau oder 
eine größere Prägnanz in der Charakteristik gefunden hätte. Und 
dies alles brachte er in einer so durchsichtigen, klaren Weise, in 
einer fast selbstverständlichen Form, daß es nicht Wunder nehmen 
kann, wenn er auf den dermatologischen Congressen von allen 
Seiten mit großer Bewunderung und Anerkennung angehört wurde. 
Auch hier in Wien pflegte Kaposi in der dermatologischen Gesell¬ 
schaft und in der Gesellschaft der Aerzte vorzutragen, und die 
Lebhaftigkeit und Klarheit seines Vortrages fesselte stets die Zu¬ 
hörer. Dazu kam seine rasche Apperception von äußeren Bildern; 
im Fluge übersah er das ganze Krankheitsbild, Beginn, Verlauf, 
Heilung, und ebenso rasch entwickelte sich bei ihm die Diagnose. 
So dürften wohl seine verblüffenden Diagnosen in der dermatologi¬ 
schen Gesellschaft in weiteren Kreisen bekannt sein. Und wenn 
dann Kaposi die Gründe seiner Diagnose entwickelte, so erkannte 
man mit Staunen, aus welch einfachen Prämissen seine Diagnose 
resultirte. Kaposi suchte niemals etwas Neues. Er suchte womöglich 
sämmtliche Erscheinungen aus schon bekannten Thatsachen zu er¬ 
klären , und w'enn sich ihm dann etwas Neues aufdrängte, so 
konnte man sicher sein, daß es auch von niemand noch beobachtet 
worden war. Hiezu kamen noch sein glänzendes Gedächtniß und 
seine ungeheure Literaturkenntniß. Ueberblickt man die große Reihe 
seiner wissenschaftlichen Arbeiten und bedenkt man, daß Kaposi 
zu den beschäftigtsten Aerzten gehörte, so muß man über seine un¬ 
geheure Arbeitskraft staunen. 

Dieselben Eigenschaften, die Kaposi alsForscher und Polemiker 
auszeichneten, mußten ihn auch zu einem ausgezeichneten, den 
Studenten fascinirenden Lehrer machen. Der volle Hörsaal, die 
Schüler aller Herren Länder zeugen von der Lehrbegabung 
Kaposi’s. 

So scharf Kaposi in der Polemik war, so gemüthvoll war 
er im privaten Leben. Mit welch kindlicher Liebe er an Hebra 
hing, dessen Tochter er zur Frau genommen hatte, zeigte seine 
Gedächtnißrede, zeigten sein Zurückweisen auf Herra und die 
sanfte Ablehnung des Lobes, das ihm aus Anlaß seines 25jährigen 
Jubiläums zutheil wurde. Die Wohlthaten, die ihm Hebra er¬ 
wiesen, konnte er niemals vergessen. 

Nicht zum wenigsten dieses tiefe Gemüthsleben dürfte neben 
seiner allgemein anerkannten großen diagnostischen Begabung ihn 
zu einem wohl über den ganzen Erdenrund bekannten und geliebten 
Arzte gemacht haben. In seiner Therapie war er ein zielbewußter 
Arzt, der, obgleich nur mit wenigen Mitteln hantirend, die schönsten 
Heilresultate erzielte. Dafür aber kannte er auch die Wirksamkeit 
dieser Mittel und ihre Indication wie kein zweiter. Auf einem Con¬ 
gresse sagte Kaposi: „Ich getraue mich sämmtliche Hautkrankheiten 
mit fünf Mitteln zu behandeln; nur auf das Wie? kommt es an.“ 
Wie der Chirurg sein beschränktes Instrumentarium hat, so genügt 
auch dem Dermatologen eine geringe Zahl von Medicamenten ; das 
Wichtigste ist die genaue Kenntniß dieser. Im Privatverkehr war 
Kaposi ein jovialer, heiterer Mensch, der trotz seiner Stellung und 
seines Berufes sich jedermann in der liebenswürdigsten Weise 
anschloß. 

Am 23. October 1900 feierte Kaposi sein 25jähriges Professoren¬ 
jubiläum und aus der ganzen Welt liefen Kundgebungen und 
Beglückwünschungen ein. Einen Tag darauf erlitt Kaposi einen 
apoplektischen Insult, von dem er sich nach zwei wöchentlichem 
Krankenlager erholte. Bis zum October 1901 ging nun Kaposi 
wieder seinem Berufe nach. Ein neuerlicher apoplektischer Insult 
entfernte ihn diesmal länger von seiner Thätigkeit. Seither hat 


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er sich nie mehr ganz erholt. Bei seiner großen Arbeitsfreudig¬ 
keit und der Rastlosigkeit seines Temperamentes ließ sichz war 
Kaposi nicht zurückhalten, sich seiner gewohnten Beschäftigung 
voll und ganz hinzugeben. Wenn auch die Ruhe seiner Nächte 
durcli schwere Dyspnoe gestört war, immer erschien Kaposi in der 
Vorlesung und ging dann auch seinem Berufe nach. Selbst noch 
einige Stunden vor dem Tode war er nicht zu bewegen , sich zu 
Bette zu begeben. Rasch und ohne weitere Qual starb er 
nach einem Leben voll fruchtbarer Thätigkeit und reich an Er¬ 
folgen , indem ihm sämmtliche Ehrungen erwiesen wurden, die 
einem akademischen Lehrer zutheil werden können. Unter unge¬ 
heurer Betheiligung des Volkes, der Aerzte und aller derer, die 
Namen und Rang in Wien besitzen, wurde Kaposi am 8. März zur 
Ruhe gebettet — es zollte ihm noch nach dem Tode die Welt ihre 
volle Anerkennung. Wie ein Fürst wurde Kaposi begraben. 

Mit ihm starb ein großer Geist, ein rastloser Arbeiter und 
ein guter Mensch. Dr. Weidenfeld. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Med. Presse“.) 

Sitzung vom 6. März 1902. 

E. SPIEGLER stellt zwei Fälle von Sklerodermie vor. 
1. Eine 35jährige Frau, bei welcher vor 5 Jahren im Anschlüsse 
an Röthung und Oedem des Gesichtes die Gesichtshaut starr und 
von der Unterlage schwer abhebbar wurde; die Sklerodermie breitete 
sich von da aus auf den übrigen Körper aus. Da noch nirgends 
atrophische oder narbige Processe an der Haut zu bemerken 
sind, ist eine Restitutio ad integrum möglich. 2. Einen Mann, 
welcher seit zwei Jahren an der Atfection leidet, die sich besonders 
mächtig und scharf begrenzt am Kopfe zeigt; die Grenzen bilden die 
Linien, wo der Hemdkragen den Hals umschließt und wo der Hut¬ 
rand zu liegen kommt. Auch bei diesem Pat. sind Oedeme voran¬ 
gegangen, gegenwärtig sind schon atrophische Hautstellen vorhanden. 
Die Schilddrüse ist bei dem Pat. normal und Thyreoideatherapie 
war bisher erfolglos. Verf. möchte den Oedemen in manchen Fällen 
von Sklerodermie eine ätiologische Bedeutung zuschreiben; sie 
werden oft durch mechanische Momente, z. B. durch den Druck 
der Kleidung, hervorgerufen. 

E. v. Czyhlarz bat einen Fall von hochgradiger Sklerodermie an den 
unteren Extremitäten im Gefolge von Oedemen nach einer Herzaffrtction be¬ 
obachtet. 

E. Schwarz möchte angiotrophoneurotischen Vorgängen bei dem Zu¬ 
standekommen der Sklerodermie die Hauptrolle zuweisen. 

J. Breuer beschreibt einen Fall, bei welchen sich nach vorausgegan¬ 
genen angionenrotiscben Symptomen an den Händen ausgebreitete Sklerodermie 
entwickelt hat, welche auch die Schleimhäute und die Bandapparate der Ge¬ 
lenke betraf. In einem Falle begann Sklerodermie als ein fieberhafter Proceß; 
die Affection erreichte binnen kurzem einen sehr hoben Grad, heilte aber fast 
vollständig aus. 

H. Schlesinger erwähnt einen Fall von Sklerodermie im Anschlüsse 
an RATNAUD’sche Affection der Finger. 

H. Teleky hat in einem Falle von Sklerodermie spontane Hautblutungen 
bis zu Flachhandgröße beobachtet und wäre daher geneigt, eine Affection 
der Gefäße mit dem Leiden in ätiologischen Zusammenhang zu bringen. 

H. Nothnagel bemerkt, daß das Wesen der Sklerodermie noch dunkel 
ist; vielleicht handelt es sich in Analogie mit dem Myxödem um eine Auto- 
intoxication oder den Ausfall der inneren Secretion eines Organes, der Aus¬ 
gangspunkt ist aber unbekannt. Die angeführten Momente (Oedeme, Angio¬ 
neurosen) dürften nur Gelegenheitsursachen sein. Nach seinen Beobachtungen 
kommt bei Sklerodermie oft Dunkelfärbung der Haut vor; er hat Fälle von 
RATNAUD’scher Affection noch niemals in Sklerodermie übergehen gesehen, da¬ 
gegen viele Fälle von Sklerodermie beobachtet, welche ohne äußeres veranlas¬ 
sendes Moment entstanden sind. 

J. Breuer ergänzt seine Mittheilung dahin, daß bei dem ersten von 
ihm erwähnten Falle die Schilddrüse nicht tastbar war, so daß man hätte 
an Myxödem denken können, doch fehlten die übrigen Symptome desselben. 

E. Spiegler bemerkt, daß er die Oedeme durchaus nicht als die einzige 
Ursache der Sklerodermie erklären wollte, sie bilden nur in einigen Fällen 
das einzige objective Substrat, welches man zur Erklärung heranziehen könnte. 
Die Aetiologie der meisten Fälle von Sklerodermie ist dunkel, z. B. bei 
den Fällen, wo nur circumscripte multiple Hautflecken sklerodermatisch ver¬ 
ändert sind. 


U. Nothnagel meint, daß man am ehesten zur Lösung der Frage nach 
dem Wesen der Sklerodermie gelangen könnte, wenn man annimmt, daß sie 
den Effect verschiedener Processe bilde. 

H. Kämmerling hat 16 Fälle von Sklerodermie beobachtet, von denen 
die meisten angaben, daß sich das Leiden im Anschlüsse an eine Durchnässung 
entwickelt habe. Auch die Pat. Spiegler’s gibt an, daß sie viel gewaschen hat. 

W. SCHLESINGER demonstrirt einen Pat. mit Akromegalie 
and Diabetes mellitus. Pat. bekam im Alter von 26 Jahren 
Diabetes mit viel Zucker im Harn, welcher auf eine eingeleitete 
Cur verschwand. Seit dieser Zeit haben sich akromegalische Ver¬ 
änderungen (Vorspringen der Jochbogen, Progenie, Vergrößerung 
der Ohren, Hände und Füße), Impotenz und eine Körpergewichts¬ 
zunahme von 60 auf 104 Kgrm. eingestellt. Die Zuckerausschei¬ 
dung ist später wieder aufgetreten, sie zeigt sprunghaften Cha¬ 
rakter unabhängig von der Nahrung. Bei Akromegalie kommen 
zwei Formen von Diabetes vor: 1. Schwere Formen, die auf 
Kohlehydratentziehung prompt reagiren, als deren Ursache binde¬ 
gewebige Veränderungen im Pankreas angenommen werden ; 
2. Formen mit sprunghaftem Charakter und unabhängig von der 
Nahrung, bei denen öfters ein Hirntumor als Aetiologie aufgedeckt 
wurde. In die zweite Gruppe scheint der vorgestellte Fall zu ge¬ 
hören, wenn er auch keine Symptome eines Hirntumors zeigt. 

M. Sternberg bemerkt, daß der vorgestellte Fall den Eindruck eines 
Diaböte gras macht, welcher gewöhnlich milde verläuft und nicht mit Verände¬ 
rungen im Pankreas zusammenhängt. Redner fragt, ob psychische Veränderungen 
(Melancholie) beim Pat. zu beobachten sind. 

W. Schlesinger erwidert, daß die bei dem Pat. bestehende degenerirte 
Stimmung individuelle Gründe hat. Der Diab^te gras kommt bei so jugend¬ 
lichen Individuen nicht zur Beobachtung. 

A. Pollatschek hat den Diabete gras auch bei jugendlichen Individuen 
beobachtet, so speciell bei einer Familie, in welcher der Vater den Diabetes 
enet in späteren Lebensjahren, seine 4 Kinder dagegen schon in der Jugend 
gleichzeitig mit Adipositas bekamen. Dasselbe Krankheitsbild hatte sich bei 
einem Studenten entwickelt, welcher auch von M. Stebnbebg beobachtet wurde. 

E. V. CZYHLARZ stellt einen Mann mit umschriebenen 
Hautatrophien am Rücken vor. Dieselben sind pigmentirt, 
pergamentartig und folgen der Richtung der Intercostalnerven. Die 
Hautsensibilität ist an diesen Stellen normal. Die Affection dürfte 
mit dem Nervensystem im Zusammenhänge stehen. 

F. VOLLBRACHT stellt einen Pat. mit Ophthalmia hepa- 
tica vor. Der Kranke war Potator; vor einem Jahre bekam er 
Icterus und Hemeralopie, später Schmerzen in der Augengegend, 
Conjunctivitis und symmetrisch gelegene Hornhautgeschwüre. Die 
Leber und die Milz sind stark vergrößert. Diese Augeneomplication 
der Lebercirrhose dürfte mit der Kachexie des Kranken im Zusam¬ 
menhang stehen. 

L. Königstein bemerkt, daß ein solcher Zusammenhang von Augen¬ 
erkrankungen mit Icterus nach seinen jahrelang systematisch durchgeführten 
Untersuchungen äußerst selten ist und nur unter besonderen Verhältnissen zur 
Beobachtung kommt. 

J. BRIK demonstrirt H arn concr emente. 1. Einen Cystin¬ 
stein, in welchem auch Tyrosin und Leucin nachweisbar sind: 
2. Urate, welehe nach Selbstzertrümmeruug abgegangen sind; letztere 
ist vielleicht auf den reichlichen Genuß von alkalischen Wässern 
zurückzuführen. 

A. Strasser hat in einer Familie bei der Mutter und bei 6 Kindern 
Cystinurie beobachtet, bei der Mutter ging ein Cystinstein spontan ab. 

J. Brik bemerkt, daß die Schwester der Pat., von welcher der Cysten¬ 
stein stammt, ebenfalls Cystinurie und Cystinsteine hat. 

A. Pollatschek hat einen Fall von Cystinurie beobachtet, bei welchem 
die Cystinkry8talle nur im sauren Harn, dagegen nicht im alkalischen nach¬ 
weisbar waren. 

J. SORGO stellt eine 45jährige Frau mit multiplen Fibro- 
lipomen am ganzen Körper vor. Die Pat. hatte Malaria, Hysterie 
und Gelenksrheumatismus, gegenwärtig hat sie eine Lungenspitzen¬ 
infiltration. Pat. hat am Körper, namentlich am Halse und Rumpfe, 
seit dem 7. Lebensjahre dunkle Pigmentfiecke, multiple kleine, 
weiche Tumoren, ferner livide, stellenweise tumorartig erhabene 
Flecken. Die histologische Untersuchung ergab, daß allen diesen 
Veränderungen kleine, weiche Fibrolipome zugrunde liegen, die 
Pigmentirungen sind auf Hautatrophie zurückzuführon. An der 
Zunge sitzen zwei Fibrome, im Kehlkopf multiple, polygonähnliche 
Tuberculide. Es handelt sich wahrscheinlich um eine Neurofibro¬ 
matose, wenn auch Nervenfasern in den Lipomen nicht nachweis¬ 
bar sind. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 11. 


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M. Sternberg bemerkt, daß bei Neurofibromatose die Tumoren vom 
Perineurium ausgehen, und daß daher Nervenfasern nur bei geeigneter Schnitt- 
lührung im Zusammenhänge mit dem Tumor stehen. Betreffs der bei dieser 
Krankheit meist bestehenden melancholischen Stimmung wurde mehrmals nach¬ 
gewiesen, daß sie vielleicht mit der im Gehirn Vorgefundenen Gliomatose im 
Zusammenhänge stehen dürfte. 

J. Sorgo erwidert, daß die Pat. eher eine reizbare Gemüthsstimmung 
besitzt, für eine Tumorbildung im Centralnervensystem liegt kein Anhalts¬ 
punkt vor. 

W. Türk hat gegenwärtig einen Fall in Beobachtung, bei welchem die 
Hauttumoren symmetrisch angeordnet sind, das ganze Bild ist sonst dem vor¬ 
gestellten Falle gleich, nur sind die Tumoren größer. 

J. Sorgo verweist darauf, daß im vorgestellten Falle symmetrische 
Hautpartien von der Affection verschont oder weniger befallen sind. Die 
Sensibilität ist normal. 

Ferner stellt J. SORGO einen Mann mit progressiver 
spinaler Muskelatrophie vor, welche sich im Anschlüsse 
an Bleiintoxication entwickelt hat. Pat. war früher Marmor¬ 
schleifer , litt an unbestimmten Bleivergiftungssymptomen und 
hatte auch einen Bleisaum. Vor 3 Jahren begann die Muskel- 
erkraukung an der Hand, deren Finger er nicht beugen konnte, 
dann wurden die ganzen oberen Extremitäten und im Anschlüsse 
an ein Trauma (Fall) auch das von diesem betroffene rechte Bein 
ergriffen. Die Muskeln der oberen Extremitäten und des Schulter¬ 
gürtels sind höchstgradig atrophisch, zeigen fibrilläre Zuckungen, 
die entstandene Abmagerung wird durch starke Wucherung des 
Panniculus adiposus verdeckt. Die Muskeln zeigen Entartungsreaction, 
die Reflexe fehlen an den oberen Extremitäten, an den unteren 
sind sie erhöht. 

H. Nothnagel bebt hervor, daß die gleichsam compensirende Fettgewebs¬ 
wucherung bei spinaler Kinderlähmung Regel sei, bei den progressiven Muskel¬ 
atrophien der Erwachsenen dagegen fehle; in letzteren Fällen wird sogar Haut¬ 
atrophie beobachtet. 

J. Sorgo erwidert, daß die Fettwucherung bei dem Pat. erst seit zwei 
Jahren besteht. 

E. Schwarz erinnert daran, daß über atrophischen Muskeln Zunahme 
der Behaarung zu beobachten ist. 

M. WEINBERGER stellt einen 20jähr. Pat. mit traumati¬ 
scher Lähmung vor. Der Kranke bekam einen Messerstich 
in der linken Supraclaviculargegend, welcher ca. 6 Cm. tief eindrang. 
Es stellte sich sofort eine Lähmung des linken Armes ein, nach 
3 Wochen wurden die gelähmten Muskeln atrophisch. Die Atrophie be¬ 
trifft : Den Pectoralis, Deltoideus, Supra- und Infraepinatus, Supinator 
longus, Triceps. Es besteht Entartungsreaction. Die Läsion hat ent¬ 
weder die Plexuswurzeln oder den Plexusantheil selbst betroffen, 
welche aus dem 5. und 6. Cervicalis stammen, u. zw. nach dem 
Durchtritte durch die Scaleni und vor der Vereinigung zum Plexus. 
Es ist die Nervennaht in Aussicht genommen. 


Notizen. 


Wien, 15. März 1902. 

(Ein Vorschlag für die Pensionsversicherung 
der Aerzte.) Namens des Vereines der Selbsthilfe der Aerzte 
Galiziens, der Bukowina und Schlesiens haben vor wenigen Tagen 
Prof. Jordan (Krakau) und Director Dr. Bogdanik (Biala) dem 
Abgeordnetenhause eine Petition unterbreitet, deren Wortlaut uns 
vorliegt. In derselben wird im Hinblick auf den Nothstand der 
Aerzte und die Aussichtslosigkeit der Selbstversorgung die Bitte 
gestellt, auf legislativem Wege eine Altersversorgung der 
Aerzte durch Versicherung einzuführen. Die Versicherung, welche 
sich auf alle kammerpflichtigen Aerzte erstrecken soll, die das 
50. Lebensjahr noch nicht erreicht haben, hätte jährlich 2400 Kronen, 
die Witwenrente 9G0 Kronen, der Erziehungsbeitrag bis zum 
20. Lebensjahre 240 Kronen pro Kind zu betragen. Die volle 
Altersrente ist nach 35 Jahren fällig. Nach 5 Versicherungsjahren 
erlangen die Versicherten das Recht auf eine Rente im Erkrankungs¬ 
falle und im Falle vorübergehender Erwerbsunfähigkeit, auf eine 
Invaliditätsrente, auf eine Alters-, Witwenrente etc. Der Pensions¬ 
fond wird aus den Beiträgen der Versicherten und den Beiträgen 
jener Anstalten gebildet, welche Aerzte gegen eine jährliche oder 
monatliche Vergütung beschäftigen, ohne ihnen eine Altersrente zu¬ 
zusichern, durch Beiträge des Staates und durch den Recept- 


stempel. Die Verschreibung von Recepten seitens aller Aerzte 
darf nur auf Blanquetten erfolgen, die von der Finanzbehörde aus¬ 
gefolgt werden und mit je einem 5 Hellerstempel versehen sind. 
Diese Blanquette müssen in der Privatpraxis von den Aerzten selbst 
angeschafft werden. Ferner muß jedes Recept vom Apotheker gleich¬ 
falls mit einem 5 Hellerstempel versehen und dieser mit der 
Apothekerstampiglie bedruckt werden. Dieser Stempel kann in den 
Preis des Arzneimittels eingerechnet werden, wird daher vom 
Publicum eingehoben. Dies der wesentlichste Inhalt der Petition, 
auf welche zurückzukommen wir uns Vorbehalten. Sie schließt mit 
Uebergang8vorschlägen für die Versicherung solcher Aerzte, die bei 
Inslebentreten des gewünschten Gesetzes das 50. Lebensjahr über¬ 
schritten haben, und ersucht — falls der Anschluß seitens der 
Aerzte der übrigen Kronländer wider Erwarten nicht erfolgen sollte 
— um die legislative Durchführung der Pensionsversicherung in 
Galizien. 

(K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien.) In der 
gestrigen Sitzung stellte zunächst Prim. Dr. Büdinger eine 25jähr. 
Frau vor, welche er wegen Darm Verschlusses operirt 
hat. Die Occlusion war durch zwei Netzstränge und die verlängerte 
Tube gebildet worden. Es dürfte sich um Residuen einer localen 
Peritonitis nach Abortus gehandelt haben. Nach Abtragung der 
einschnürenden Stränge trat Heilung ein. — Hierauf demonstrirte 
Dr. Rud. Neurath einen Säugling mit angeborenem Femur- 
defect. Der linke Femur ist um 8 Cm. kürzer als der rechte 
und im oberen Antheile geknickt, die Epiphyse des Schenkel¬ 
kopfes mit dem Schenkelhälse knöchern verwachsen. In der Dis- 
cussion bemerkte Hofr. Prof. Weinlechner, daß die Verschmelzung 
der Epiphyse des Femurkopfes wohl hauptsächlich ätiologisch in 
Betracht kommen dürfte. — Doc. Dr. Em. Ullmann demonstrirte 
sodann einen Hund, bei welchem er die in der vorigen Sitzung 
beschriebene Nierentransplantation vorgenommen hat. Die 
Niere functionirt bisher normal. — Hierauf zeigte Prof. Dr. Kretz 
Präparate von Lebercirrhose, welche zwischen den Gebieten 
der Pfortader und der Vena cava Anastomosenbildung aufweisen. 
Hiedurch wurde die Stauung im Pfortaderkreislaufe herabgesetzt. 
Dasselbe bezweckt die TALMA’sche Operation, welche jedoch nur 
bei noch ziemlich gutem Zustande der Lebersubstanz von Erfolg 
sein kann. — Schließlich erörterte Dr. S. Jellinek die animali¬ 
schen Effecte der Elektricität, speciell des Starkstromes. 
Der Leitungswiderstand des menschlichen Körpers schwankt — 
sagte Vortr. — zwischen 30.000 und 40.000 Ohm, kann aber 
bei längerem Durchgänge des Stromes bis auf 1 / 30 der ursprüng¬ 
lichen Höhe absinken. Vortr. besprach mehrere in Wien beobachtete 
Fälle von elektrischem Tod durch Ströme von 90—4400 Volt 
Spannung. Die Obduction ergab außer starker Contraction des 
Herzens und flüssiger Blutbeschaffenheit keine Veränderungen, 
welche auf den Einfluß der Elektricität zu beziehen wären; zweimal 
wurde an der Ein- und Austrittsstelle des Stromes (Flachhand) 
Blasenbildung beobachtet. An einem Kaninchen, bei dem durch 
den elektrischen Strom die Hinterbeine, sowie die Anal- und 
Blasensphincteren gelähmt wurden, fanden sich im Lendenmarke 
Degeneration der Hinterstränge, höher oben Veränderung der den 
Hinterhörnern anliegenden Partien, ferner degenerative Procesäe 
im Ischiadieus. Bei einem durch den elektrischen Strom getödteten 
Meerschweinchen wurde eine von einer Blutung durchsetzte Gang¬ 
lienzelle vorgefunden. — In der hierauf folgenden Discussion, 
an welcher sich Prof. Benedikt, Doc. Dr. Pauli, Dr. Richter, 
Dr. K. Sternberg, Doc. Dr. Topolanski, Dr. Rud. Beck und 
Dr. Pilcz betheiligten, wurden mehrere Behauptungen des Vortr. 
angef'ochten, vor Allem die mangelnde Betonung des Unterschiedes 
zwischen den Leitungsverhältnissen bei Gleichstrom und Wechsel¬ 
strom. 

(Wiener Aerzte kämm er.) In der am 4. März d. J. statt¬ 
gefundenen Kammerversammluug gelangten die in der Versammlung 
vom 25. Februar vertagten Verhandlungsgegenstände zur Erledigung. 
Die vom Cassadirector Dr. Kornfeld vorgelegten Jahresrechnungen 
über das Vermögen der Kammer, den Kaiser Franz Joseph-Regierungs- 
Jubiläumsfond der Kammer pro 1901 und den vor kurzem von 
der Kammer übernommenen Fond des Wiener chirurgischen Gremiums 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 11. 


wurden auf Grund des Berichtes der Cassa- und Rechnungsrevisoren 
genehmigt. Der vom Schriftführer Dr. Heinrich Adler erstattete 
Jahres-Reehenschaftsbe,rieht des Vorstandes über die Thätigkeit der 
Kammer im Jahre 1901 wurde zur Kenntniß genommen. Den beiden 
vorgenannten Functionären wurde einstimmig der Dank für die große 
Mühewaltung, der sie sich im abgelaufenen Jahre unterzogen, votirt 
und dem Kanzleileiter und dem übrigen Kanzleipersonale die Anerken¬ 
nung ausgesprochen. Dem Reichsrathsabgeordneten Dr. Straucher 
wurde für die von ihm am 24. Februar 1902 an den Minister¬ 
präsidenten als Leiter des Ministeriums des Innern eingebrachte 
Interpellation betreffend die Einholung eines Gutachtens der oster- 
reichischen Aerztekamraern über das Krankenversicherungs-Reform¬ 
programm wegen seines verdienstvollen Eintretens für die ärztlichen 
Interessen der wärmste Dank ausgesprochen. — Ein Antrag des 
Dr. Jellinek betreffs Ueberreichung einer Eingabe an die competenten 
Centralstellen wegen Zuerkennung einer Altersversorgung an die 
von der Staatsverwaltung angestellten Forstärzte — und ein Antrag 
des Dr. Püpini wegen Beitrittes sämmtlicher Aerzte Wiens zu dem 
Wohlfahrtsvereine für Hinterbliebene der Aerzte Wiens wurden 
der geschäftsordnungsmäßigen Behandlung zugeführt. — Auf Grund 
eines vom Regierungsrathe Dr. Jarisch erstatteten Referates wurde 
beschlossen, wegen gesetzlicher Regelung der Befugnisse der Zahn¬ 
ärzte und Zahntechniker an das Ministerium des Innern in 
einer neuerlichen Eingabe die Bitte zu richten, das Ministerium 
wolle unter Mitwirkung von Referenten des obersten 
Sanitätsrath es und der Professoren-Collegien eine 
neue, den thatsächlichen Verhältnissen strenge Rechnung tragende 
Gesetzes Vorlage ausarbeiten lassen, in welcher 1. normirt wird, 
daß das concessionirte Gewerbe der „Zahntechniker“ aufgehoben 
und die sogenannte „Zahntechnik“ in ein Hilfsgewerbe um¬ 
gewandelt wird. 2. In dieser Gesetzesvorlage wolle nach eingehen¬ 
der Prüfung der Verhältnisse ausdrücklich betont werden, daß in 
Oesterreich die Zahn- und Kieferersatzkunde, wie dies in allen 
Culturstaaten geschieht, naturgemäß als ein integrirender Bestand- 
theil der Zahnheilkunde zu betrachten ist, zu dessen Ausübung der 
Zahnarzt vermöge seines Berufes eo ipso berechtigt ist. 3. Bis zum 
Eintritte der Wirksamkeit der erbetenen Gesetzesvorlage möge das 
k. k. Ministerium des Innern im Wege einer Verordnung im Ein¬ 
vernehmen mit dem k. k. Handelsministerium die Verordnung vom 
Jahre 1892 aufheben und einstweilen den Zustand wieder her¬ 
steilen, in welchem sich die Angelegenheit vor dem Erscheinen der 
Verordnung vom Jahre 1892 befunden hat. 4. Schließlich möge 
das k. k. Ministerium des Innern den mit sogenannten „erweiterten 
Concessionen“ ausgestatteten Zahntechnikern unter Androhung der 
sofortigen Entziehung der ihnen gewährten Befugnisse neuerdings 
einschärfen lassen, daß sie sich strengstens innerhalb der in ihrer 
erweiterten Concession gezogenen Grenzen zu halten haben. 

(Universitätsnachrichten.) Der Professor der Psy¬ 
chiatrie an der W i e n er Universität Hofrath Dr. Richard Freih. 
v. Krafft-Ebing ist nach einer von echt wissenschaftlichem 
Geiste erfüllten Laufbahn aus Gesundheitsrücksichten in den Ruhe¬ 
stand getreten. Aus diesem Anlasse hat der Gelehrte, der in diesen 
Tagen sein 30jähriges Professorenjubiläum feierte, das Comthur- 
kreuz des Franz Joseph-Ordens, der Physiologe Hofrath Professor 
Dr. Maximilian Ritter v. Vintschgau in Innsbruck aus dem¬ 
selben Anlasse das Ritterkreuz des Leopold-Ordens erhalten. — 
Der mit dem Titel eines außerordentlichen Professors bekleidete 
Privatdocent Dr. Franz Scherer ist zum Extraordinarius für 
Krankheiten der Neugeborenen und Säuglinge an der böhmischen 
Universität in Prag ernannt worden. 

(0österreichischer Balneologen-Congreß.) Für 
den in der Zeit vom 20.—25. März d. J. in Wien stattfindenden 
III. wissenschaftlichen Congreß der Balneologen Oesterreichs wird 
folgende Tagesordnung verlautbart: Donnerstag, 20. März, 1 / i 8 Uhr 
abends, zwanglose gesellige Zusammenkunft im Saale des Hotel 
Metropole (mit Damen). — Freitag, 21. März, 9 Uhr Eröffnungs¬ 
sitzung. I. Referat: Therapie des Diabetes (Reff. Doc. Kolisch 
und Strasser) ; Vorträge der Herren Proff. Biedl, Glax, v. Schröt- 
ter, Ludwig, Dr. Fellner, Kisch, Clar. — Samstag, 22.März, 

9 Uhr Sitzung. II. Referat: Der chronische Gelenkrheu¬ 


matismus (Reff. DDr. L. Wick und A. Bum). Vorträge der 
Herren Prof. Kreidl, K. Ullmann, K. Krads, J. Fodor, E. Schwarz, 
Prof. Herzfeld, W. Pollak. — Nachmittag: Berathung social- 
balneologischer Angelegenheiten. — Sonntag, 23. März, Sitzung. 
Vorträge der Herren A. Löbl, Steinsberg, Prof. Gärtner, E. Weisz, 
Ziffer, D. Weiss, Nenadowicz. — Montag, 24. März, Ausflug 
nach Bad Deutsch-Altenburg-Carnuntum. — Dienstag, 25. März, 
Ausflug nach Baden und Alland. — Die Sitzungen finden im Saale 
der k. k. Gesellschaft der Aerzte (IX., Frankgasse 8) statt. Aus¬ 
künfte daselbst. 

(Versammlungen.) Montag, 17. März, 7 Uhr Abends, 
findet die diesjährige ordentliche Generalversammlung des 
Doctoren-Collegiums in dessen Sitzungssaale (I-, Rothen¬ 
thurmstraße 19) statt. — In demselben Saale wird Donnerstag, 
20. März, 6 Uhr Abends, die allgemeine Mitgliederversammlung des 
Krankenvereines der Aerzte Wiens abgehalten werden. 

(Mittheilungen zur Geschichte der Medicin und 
der Naturwissenschaften.) So betitelt sich eine neue, von 
der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Medicin und der 
Naturwissenschaften herausgegebene, unter Redaction von Georg 
W. A. Kahlbaum, Max Neuburger und Karl Sudhoff stehende 
periodische Zeitschrift, die in zwanglosen Heften erscheinen wird* 
Sie ist aus dem Verständnisse für die Nothwendigkeit historischer 
Kenntnisse, auch auf dem Gebiete der Medicin, hervorgegangen. 

(Aerztliche Studienreisen.) In der am 20. Februar 
unter Vorsitz v. Leyden’s abgehaltenen Generalversammlung des 
Comites zur Veranstaltung ärztlicher Studienreisen in Bade- und 
Curorte wurde der diesjährige Reiseplan wie folgt festgesetzt: 
Die Studienreise beginnt in Dresden, geht über Schandau, Königs¬ 
brunn, Bilin, Teplitz, Gießhübel, Elster, Franzensbad, Lobenstein, 
Stehen, Marienbad und endet in Karlsbad. Bemerkenswerth ist, daß 
in diesem Jahre die Studienreise bereits in den ersten Tagen des 
September beginnt und einen Tag vor Beginn der Naturforscher¬ 
versammlung in Karlsbad endet. Ueber die Kosten werden demnächst 
nähere Angaben gemacht werden. 

(Statistik.) Vom 2. bis inclusive 8. März 1902 wurden in den 
Ci vilspitälern Wiens 7591 Personen behandelt. Hievon wurden 1569 
entlassen; 163 Bind gestorben (9'4% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 72, egypt. 
Augenentzündung 2, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 7, Dysen¬ 
terie —, Blattern —, Varicellen 154, Scharlach 73, Masern 347, Keuchhusten 61, 
Bothlauf 29, Wochenbettfieber 3, Rötheln 15, Mumps 13, Influenza —, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 663 Personen gestorben 
(— 17 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Wien der praktische 
Arzt Dr. Valentin Ladenbauer, 54 Jahre alt; in Budapest Doctor 
Heinrich Papai ; in Marburg der a. o. Professor der Gynäkologie 
Dr. Heinrich Lahs im Alter von 64 Jahren; in Aachen der frühere 
Badeinspector von Aachen Dr. Bernhard Lersch, 85 Jahre alt. 


Gesellschaft für innere Medicin in Wien, 

Sitzung Donnerstag den 20. März 1902, 7 Uhr Abends, im Hörsaale der 
Klinik Nothnagel. 

Vorsitz: Hofrath Prof. Nothnagel. 

Programm : 

I. Administrative Sitzung. 

a) Wahl neuer Mitglieder. 

b) Berathung der Geschäftsordnung. 

II. Demonstrationen. 

III. Dr. Hugo Goldmann: Die Cachexia montana. Das Präsidium. 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 


Mit dieser Nummer versenden wir eine Beilage der 
Farbenfabriken vormals Friedr. Bayer & Co., Elberfeld, über 
Aspirin. Wir empfehlen dieselben der geneigten Beachtung 
unsrer Leser. 


Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
Postversendung. Die Preise der Einb&nddeoken sind folgende: für die „Med. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
„Therapie der Gegenwart 4 *: K 1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Post Versendung. 


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Wien, den 23. März 1902. 


Nr. 12. 


XLIII. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sorntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart-Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ nnd 
die „Wiener Klinik“, letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse“ 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 


Wiener 


Abonnementepreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Militärärztlicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
20Ä", halbj. 10 K, viertel]. 5 K. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk. , halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 K; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. = G0 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern nnd Postämtern, im Inlande durch Ein 
Sendung des Betragesper Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien, I., Maximilianstr. 4. 


medizinische Presse. 


Begründet 1860. 

Redaction: Telephon Nr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

-« 0 * 8 '- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 
Administration: Telephon Nr. 9104. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Beiträge zur Casuistik der Abdominalchirurgie. Von Prof. R. v. Mosetig-Moorhof. — Beiträge zur 
Tuberculosefrage. Von Dr. Ferdinand Kornfeld in Wien. — Tuberculosefragen. Von Prof. Dr. Moriz Benedikt in WieD. — Referate. Linossie 
(Vichy): Die Ernährung bei Hypercblorhydrie. — Aus der chirurgischen Klinik zu Marburg (Geheimrath Küster). Endkrlen und Josti: Ueber 
die Heilung von Wunden der Gallenblase und die Deckung von Defecten der Gallenblase durch transplantirtes Netz. — Achilles Nordmann 
(Basel); Ueber einen positiven chemischen Befund bei Unverträglichkeit der Muttermilch. — Milbbadt (Bernau): Eine Oberarmfractur durch 
Muskelzug. — Borchard (Posen): Ueber luetische Gelenkserkrankungen. — R. Sikvkbs (Helsingfors): Zur Kenntniß der Embolie der Arteria 
meseraica superior. — Aus der kaiserlichen chirurgischen Universitätsklinik zu Kyoto (Japan). H. Ito und Omi: Klinische und experimentelle Bei¬ 
träge zur chirurgischen Behandlung des Ascites. — De Jong (Leyden) : Experiences comparatives sur l'action pathogene pour les animaux, notamment 

pour ceux de l’espfece bovine, des bacilles tuberculeux procurant du boeuf et de l’homme. — Kleine Mittheilungen. Palliative Behandlung 
inoperabler Gebärmutterkrebse. — Dermato therapeutische Notizen. — Fall von plastischer Restitution der Nasenspitze. — Hedonal. — Therapeu¬ 
tische Wirkung der intravenösen Injection von metallischem Jod. — Beitrag zur Wirkung der Albumosenpräparate. — Glykogen bei consumirenden 
Krankheiten. — Salochinin. — Literarische Anzeigen. Die chronische Stuhlverstopfung in der Theorie und Praxis. Von Prof. Dr. Wilhelm 
Ebstein. — Einführung in die erste Hilfe bei Unfällen. Für Samaritercurse und zur Selbstbelehrung gemeinverständlich dargestellt von 
Dr. Ignaz Spiegel, Arzt der Wiener freivnlligen Rettungsgesellschaft. — Die erste Hilfe bei plötzlichen Unglücksfällen. Tabellarisch und alphabetisch 
dargestellt von Dr. J. Lambebg, Inspectionsarzt der Wiener freiwilligen Rettnngsgesellschaft. — Berichte nnd Erfahrungen auf dem Gebiete der 
Gynäkologie nnd Geburtshilfe. Von Dr. A. Debkunner in Frauenfeld. — Feuilleton. Budapester Briefe. (Orig.-Corresp.) II. — Verhandlungen 
ärztlicher Vereine. Aus den Abtheilungen der 73. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte. Hamburg, 22.—28. September 1901. 

(Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) XXI. — Aus französischen Gesellschaften. (Orig.-Ber.) — Notizen. — Nene 

Literatur. — Eingesendet. Offene Correspondenz der Redaction und Administration. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 

Hiezu eine Beilage: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung.“ 

Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse“ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Beiträge zur Casuistik der Abdominalchirurgie. 

Von Prof. R. v. Mosetig-Moorhof. 

III. 

Zwei Fälle traumatischer Darmruptur. 

Eine Illustration zu dem bekannten, so seltsamen Gesetze 
der Duplicität der Fälle gab der Monat August 1901. In der 
kurzen Zwischenfolge von 14 Tagen gelangten nämlich zwei 
Patienten zur Aufnahme, welche durch äußere Schädlichkeit 
sich je eine Ruptur der in Hernien vorgelagerten Dünndarm¬ 
sehlingen zugezogen hatten. Die Rücklagerung der im Bruch¬ 
sacke verletzten Eingeweide in die freie Bauchhöhle erfolgte 
in beiden Fällen: in dem einen wahrscheinlich durch die 
Stoßgewalt des Trauma selbst, im anderen durch ärztliche Taxis. 

a) Ein 69jähriger Bauer, Träger eines angeblich zweifaust¬ 
großen, schwer reponiblen rechtsseitigen Leistenbruches, wurde bei 
vorgefallenem Bruche am 19. August Morgens, während er mit 
einer Arbeit im Stalle stehend beschäftigt war, von einer Heugabel 
an der Brucbgeschwulst getroffen, welche von einer Kali mit den 
Hörnern geschleudert worden war. Welcher Theil der Heugabel ihn 
getroffen, kann Patient nicht angebeu, wahrscheinlich war es wohl 
der Stiel. Er verspürte an der verletzten Stelle zuerst nur geringen 
Schmerz, so daß er seine Arbeit noch beenden konnte, später 
steigerten sich aber die Beschwerden und er suchte das Bett auf. 
Da auch Lieblichkeiten sich einstellten, wurde der Landarzt herbei¬ 
geholt, welcher an der Bruchgeschwulst Taxis übte, leider mit Er¬ 
folg. Die Bruchgeschwulst war kleiner geworden, dafür aber traten 
heftige Bauchschmerzen auf und wiederholtes Erbrechen, Verhaltung 


von Stuhl und Winden, allmälig zunehmende Auftreibung des Unter¬ 
leibes. In diesem Zustande legte Patient am nächsten Tage eine 
mehrstündige Eisenbahnfahrt zurück und kam etwa 50 Stunden 
nach erlittener Verletzung zur Aufnahme. Er war relativ noch 
rüstig, von kräftiger Muskulatur, klagte vornehmlich über 
große Unrahe und Gefühl starker Prostration. Puls klein, leicht 
unterdrückbar, 120, Arterien mäßig rigid. Temperatur 36*2. Brust¬ 
organe gesund, Herztöne etwas dumpf. Unterleib aufgetrieben, 
namentlich rechterseits stärker gespannt. Dämpfung in der rechten 
Lenden- und Inguinalregion. Die Haut der Leiste unverletzt, nur 
an einer Stelle der Scrotumwurzel sugillirt. Hodensack and Leisten¬ 
canal von einer circa hühnereigroßen Geschwulst eingenommen, die 
einen leeren Percussionsschall gibt, der in die gedämpfte Zone der 
unteren Abdominalregion übergeht. Die Bruchgeschwulst wenig em¬ 
pfindlich, gespannt, elastisch, ihr Inhalt läßt sich durch zarten Druck 
verdrängen, kommt aber bei Nachlaß des Druckes sofort wieder zum 
Vorschein, besteht also offenbar nur aus Flüssigkeit. Der entleerte 
Sack fühlt sich verdickt und derb an. Sofortige Operation mit 
Localanästhesie nach Schleich. Zunächst Bruchschnitt nach Bassini 
oberhalb und parallel dem PouPART’schen Bande. Nach Bloßlegung 
und Spaltung des verdickten leeren Bruchsackes entströmt kothige 
Flüssigkeit der Abdominalhöhle. Nunmehr Dorchtrennung der Bauch¬ 
decken durch äußeren Lateralschnitt am Rande des Rectus. In der 
weit geöffneten Bauchhöhle erblickt man geblähte, stark geröthete, 
strichweise mit eiterig-fibrinösem Belage bedeckte Dünndarmschlingen, 
zwischen welchen fäculent riechende, braungefärbte Jauche entquillt. 
In der Nähe des inneren Leistenringes kommt man endlich auf eine 
perforirte lleumschlinge, welche durch einen circa l 1 /* Cm. langen, 
quer gestellten scharfrandigen Riß Darminhalt und Gase entleert. 
Verschluß durch doppelte Lembertnähte, Reposition der Schlinge, 
ausgiebige Toilette des Abdomen durch Ausspülung mit heißer 


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Kochsalzlösung, Abwischen der Darmbeläge und Trockenlegung des 
Douglas. Jodoformgazedrainage und Vernähung der Laparotomie¬ 
wunde bis auf den zur Durchführung des Jodoformdrains offen- 
gelassenen Leistencanal. Trotz Kocbsalzinfusion und Analepticis 
nahm der schon ante operationem bestandene Collaps zu. Exitus 
nach 22 Stunden. Der Obductionsbefund lautete: Diffuse 
eiterige Peritonitis nach traumatischer Ruptur einer Ileumschlinge, 
50 Cm. von der lleocöcalklappe entfernt. Darmnaht sufficient. 
Bronchitis mit Atelektase beider unteren Lungenlappen. Gefäßatherom. 
Morsches Herz. 

b) 48jäbriger Kutscher, mit bilateralen freien Leistenhernien 
behaftet, ein doppeltes Bracherium tragend, fiel in den Nachmittags¬ 
stunden des 31. August, beim Fässerabladen beschäftigt, durch Aus¬ 
rutschen derart auf die Kante des schon auf den Boden gestellten 
Fasses, daß die linksseitige Pelotte des Bruchbandes einen heftigen 
Stoß erfuhr. Sofortiger heftiger Schmerz. Patient begab sich nach 
Hause und ging zu Bett. In der Nacht Erbrechen, Zunahme der 
Schmerzen im Unterleibe, Verhaltung von Stuhl und Winden. Am 
2. Tage Vormittags Aufnahme. Patient zeigt ängstlichen Gesichts¬ 
ausdruck, halonirte Augen. In der Nacht hat er noch zweimal ge¬ 
brochen, seit dem Morgen nicht mehr. Temperatur normal, Puls 90, 
Zunge feucht. Abdomen gleichmäßig aufgetrieben, bei Betastung 
schmerzhaft, gespannt, namentlich linkerseits. Hodensack und linke 
Leiste sugillirt, im linken Leistencanale eine etwa fingergliedlange, 
leicht verschiebliche Geschwulst, welche bei nachgelassenem leichten 
Druck sofort wieder sichtbar wird. Daselbst leerer Percussionsschall, 
der in die Dämpfungszone des Hypochondriums übergeht. Offenbar 
leerer, Flüssigkeit hältiger Bruchsack. Rechterseits eine freie, 
kinderfaustgroße Scrotalhernie. Die Diagnose lautet: Darmruptur 
mit Perforationsperitonitis. Sofortige Laparotomie in Narkose circa 
38 Stunden nach erlittenem Unfall. 

Durch lateralen Längsschnitt wird die Abdominalhöhle er¬ 
öffnet, welcher viel kothigriechende, braungefärbte Flüssigkeit ent¬ 
quillt. Dünndärme gebläht, stark geröthet, mit eiterig-fibrinösem 
Belage theils bedeckt, theils gegenseitig verklebt. Nach kurzer Suche 
in der Gegend des inneren Leistenringes wird eine perforirte Dünn- 
darrnschlinge aufgefunden. Die Oeffnnng, etwa 1 Cm. lang, quer¬ 
gestellt, scharfgerändert, entleert Darminhalt. Verschluß durch 
doppelte Lembertnaht, sodann sorgfältige Auswaschung der Bauch¬ 
höhle und der kleinen Beckenhöhle, Abwischen der fibrinösen Beläge, 
endlich Drainage bis in den Douglas und Vernähung der Laparotomie¬ 
wunde. Das periphere Ende des Drains wird durch den Leisten¬ 
canal nach Contraapertur in der Leiste herausgeleitet. 

Der postoperative Verlauf gestaltete sich recht günstig, Urin ¬ 
entleerung erfolgte spontan, Winde gingen am 4. Tage ab, Stuhl 
erfolgte auf Ricinusöl am 5., am 7. Tage wurde der Verband 
zum erstenmale abgenommen. Die Laparotomiewunde war prima 
verheilt. Abnahme der Nähte, Entfernung des drainirenden Gaze¬ 
streifens. Contraöffnung lebhaft granulirend.. Entlassung am 5. October. 

Zur Drainage der Bauchhöhle bediene ich mich aus¬ 
nahmslos der Jodoformgaze. Der hiezu dienliche, entsprechend 
lange, kleinfingerdicke, locker zusammengerollte Streifen wird 
derart mit Guttaperchapapier umwickelt, daß nur das Ende 
des Streifens in der Länge von 2—3 Cm. aus der Umhüllung 
hervorragt. Es geschieht dies, damit bei längerem Verweilen nicht 
Verklebungen zwischen Därmen und der Gaze sich bilden, 
welche die Entfernung der Drainage schwieriger und für den 
Kranken schmerzlicher gestalten. Daß starre, unnachgiebige 
Drainrohre Decubitus der sich ihnen anschmiegenden Eingeweide 
hervorrufen können, habe ich einmal zu erfahren Gelegenheit 
gehabt. 

In keinem der beiden geschilderten Fälle von Darmruptur 
konnte jenes häufige unstillbare Erbrechen beobachtet werden, 
welches Berndt als charakteristisch für Darmruptur bezeichnet; 
im zweiten Falle erbrach der Kranke binnen 38 Stunden nur 
dreimal. 


Beiträge zur Tuberculosefrage. 

Von Dr. Ferdinand Kornfeld in Wien. *) 

Die hochwillkommene Gelegenheit einer in großen Zügen 
gefaßten Darlegung des gegenwärtigen Standes der An¬ 
schauungen über die Tuberculosefrage, wie sie uns von Herrn 
Hofr. Prof. Weichselbaum in seinen beiden hier gehaltenen 
Vorträgen geboten wurde, sowie einer Discussion der wichtigsten 
Momente der Tuberculoseprophylaxe würde Allen, insbesondere 
den Klinikern, denen jahraus jahrein ein Heer von Krank¬ 
heitsfällen in diesem oder jenem Stadium der Schwindsucht 
vor Augen steht, ferner auch den Praktikern mit vieljähriger 
Berufsthätigkeit, Anlaß bieten, Erfahrungsthatsachen, Meinungs¬ 
äußerungen und VerbesserungsVorschläge vorzubringen , aus 
denen sich die Grundzüge einer in Vorschlag zu bringenden 
Gesetzesvorlage oder behördliche Verfügungen zum Schutze 
gegen die Verbreitung der Tuberculose als Volkskrankheit 
ableiten ließen. Leider war die Discussion bis zu dem gegen¬ 
wärtigen Punkte an solchen Kundgebungen von klinischer 
und praktisch-ärztlicher Seite ungemein steril. Allein es sind 
im vollen Gegensätze hiezu im Laufe der Debatte Momente 
zutage getreten, welche von mancher Seite eine von den 
gangbaren Auffassungen bezüglich der grundlegenden Fragen 
der Tuberculose nicht unbeträchtlich abweichende Meinung 
verrathen, so daß zunächst daran mancherlei Bemerkungen 
zu knüpfen als unabweislich erscheint. Es handelt sich doch 
um eine Frage von tiefeinschneidendster Bedeutung, nicht 
allein in wissenschaftlicher Beziehung, sondern in weit höherem 
Maße noch für die gesammten Interessen der Menschheit in 
social ökonomischer, cultureller, geistiger und materieller 
Hinsicht, welche, wie nur irgend eine Frage, in alle Schichten 
und Kreise der Bevölkerung aller Erdstriche auf das Be¬ 
deutsamste eingreift. 

Allein im Rahmen einer Discussion ist es unsere Pflicht, 
uns thunlichste Beschränkung aufzuerlegen und einzelne 
Momente, die gleichwohl einer ausführlichen Darlegung be¬ 
dürftigerscheinen, in Kürze vorzubringen; unter Zugrundelegung 
der unübersehbar anwachsenden neueren Tuberculoseliteratur 
muß das bezüglich all dieser Momente sich darbietende Sub¬ 
strat zu weiteren gründlichen Erwägungen Anlaß bilden, 
die auszuführen heute die Zeit zu knapp bemessen ist. 

Im bisherigen Verlaufe der Discussion über die Tuber¬ 
culosefrage konnten wir einen zweifachen Appell aus ver¬ 
schiedenem Munde vernehmen: jenen ersten, höchst beherzigens- 
werthen, von Seite des Herrn Hofrathes Weichselbaum, welcher 
den Aerzten eine erhöhte Beachtung der großen gemeinsamen 
Tuberculosegefahr ans Herz legte, und einen zweiten aus 
dem Munde des Herrn Prof. Benedikt, welcher dahin zielte, 
gewissen Dingen, die sozusagen klar zutage liegen, von denen 
man aber deshalb nicht gerne spricht, weil sie höchst unan¬ 
genehme, selbst tieftraurige Wahrheiten bergen, weiter auf 
den Grund zu gehen. Ich darf glauben, daß ich in der Lage 
sein werde, durch meine Ausführungen beiden Mahnungen, 
der ersten vornehmlich, in manchen Stücken gerecht zu werden. 

Wir müssen meines Erachtens die Worte des Herrn 
Hofrathes Weichselbaum auf das Wärmste begrüßen, mit 
denen er die gewichtige Mahnung kundgab, die Majorität 
der Aerzteschaft möge der großen Frage der Tuberculose, 
insbesondere der Prophylaxe, minder lässig und nicht nahezu 
gleichgiltig gegenüberstehen. Dieses Memento, das wir von so 
autoritativer Seite vernehmen, sollte gerade bei uns zu Lande, 
wo die Tuberculose nach den verläßlichen Ausweisen der 
Physikate und der statistischen Centralcommission so un¬ 
glaublich zahlreiche Opfer fordert, nicht ungehört verhallen. 
Insbesondere bei dem gegenwärtigen Stande der Dinge, ent¬ 
sprechend dem lebhaften Interesse, das die große Oeffentlichkeit 
der Bedeutung der Tuberculose und der zu ihrer Bekämpfung 


*) Vorgetragen in der Sitzung der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien 
am 21. Februar 1902. 


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zu treffenden Maßnahmen, angeeifert durch die Erörterung 
aller einschlägigen Fragen nicht bloß in der Fach-, sondern 
auch in der Tagespresse, in Familienjournalen und Revuen, 
entgegen bringt, müssen wir alles daran setzen, durch wissen¬ 
schaftliche Erforschung, durch das Studium der Statistik, 
der Verhältnisse unter andersgearteten äußeren Bedingungen, 
in anderen Ländern, unter geänderten meteorologischen, sani¬ 
tären und wirthschaftlichen Einflüssen dahin zu gelangen, 
daß wir mit Vorschlägen hervortreten können, die, ferne von 
jeder theoretisirenden Speculation und frei von dem Bequem- 
lichkeitsprincipe des laissez-aller, die Gewähr für Erfolg in 
sich tragen. Es geht heute, wo die Aufmerksamkeit Aller 
einmal auf das Lebhafteste — vielleicht mehr als dienlich 
sein kann — geweckt ist, nicht mehr an, sich darauf zu 
berufen, das, was nach menschlichem Ermessen zur Bekämpfung 
der Tuberculose, namentlich in prophylaktischer Beziehung 
geschehen könne, sei bereits gethan; der Schutz vor An¬ 
steckung werde zumeist bestens gehandhabt, namentlich die 
Spitalseinrichtungen gewährleisteten eine ausreichende Sicher¬ 
heit gegenüber der Gefährdung der Gesunden oder der nicht 
tuberculös Erkrankten durch die Uebertragung der Tuber¬ 
culose. Daß dem keineswegs so sei, darüber später einige 
petails. Es sind ferner müßige Sophismen, zu sagen, man 
werde der Tuberculose niemals beizukommen imstande sein, 
da sie möglicherweise eine von der Natur, man könnte sagen, 
in teleologischer Weisheit geschaffene, socialökonomische, 
unentbehrliche Remedur sei, die dort verheerend wirke, wo 
die Gefahr der Ueberproduction und die mangelnde Zuversicht 
für die Existenzmöglichkeit am schärfsten zutage trete; ja 
man werde sich vergeblich bemühen, die Zahl der der Schwind¬ 
sucht zum Opfer fallenden Menschen auch nur um ein Nennens- 
werthes zu vermindern. Es mag ja richtig sein, daß wir in 
der Tuberculose einem sogenannten Erbübel, einem Erzfeinde 
des Menschengeschlechtes begegnen, aber von einem sogenannten 
Willen der Natur, der über ihr Geheiß der Menschheit einen 
unentrinnbaren Würgengel gesendet habe, darf doch nicht 
die Rede sein. 

Die wirksame Bekämpfung der Tuberculose und ihrer 
schwerwiegenden, nahezu allumfassenden Folgen gehört gewiß 
zu den allerschwersten Problemen, an deren Lösung sich Forscher¬ 
geist und tausendfach vereinte Willenskraft der Massen, Staats¬ 
gewalt und aufgeklärte Urtheilskraft des Einzelnen zu bethätigen 
haben; gegen eine Uebermacht der Gefahr wird nur durch eine 
universelle Massenentfaltung bei der Abwehr aufzukommen sein. 
Allein die Anzeichen bestehen bereits dafür, daß es möglich ist, in 
diesemungleicbenKampfeeinigeVortheilezuerringen. Den Kampf 
nicht aufnehmen und nicht weiterführen wollen, würde eine resig- 
nirte Muthlosigkeit, odereinebequeme Lässigkeit bedeuten, welche, 
wenn irgendwo, so gewiß hier durchaus unangebracht wäre. 
Wenn wir vielmehr Alle unverdrossen am Ausbau der For¬ 
schung und an der Belehrung des Volkes, an dem Ersinnen 
und an der Einbürgerung vernünftiger und erfolgversprechender 
Maßnahmen gegenüber der Tuberculose als Volkskrankheit 
arbeiten werden, dann werden sich auch bei uns zu Lande jene 
Erfolge Schritt für Schritt einstellen, die wir alle ausnahmslos, 
ob dieser oder jener wissenschaftlichen oder praktischen Ueber- 
zeugung huldigend, sehnlich herbeiwünschen und manchen 
Ortes bereits erwachsen sehen. Die verblüffenden Erfolge freilich, 
die uns unlängst Herr Dr. Kaiser hier auf Grund seines 
Experimentirens mit blauem Licht in etwas mehr als flüchtiger 
Weise geschildert hat und die durch die Beleuchtung von 
Seite des Collegen Dr. Holzknecht in ganz anderem Lichte 
erscheinen, wären gewiß weit mehr, als die Majorität der 
Aerzteschaft sich nur träumen ließe. Man weiß übrigens bereits 
zur Genüge , wie überaus rasch es von solchen wunderbaren 
Erfolgen wieder absolut still zu werden pflegt und, wie es 
gar so häufig zu ergehen pflegt, daß bereits die ersten Control¬ 
versuche auch nicht das Allermindeste von dem ergeben, was 
der Pfadfinder auf einem neuen Zweige der Therapie mit so 
viel Applomb in die Oeffentlichkeit hinausschmetterte. Fürwahr, 


etwas mehr Ueberlegung und Vorsicht wäre namentlich dann 
am Platze, wenn es sich nicht etwa um den roentgologischen 
Streit bezüglich einer Naevus- oder Alopeciebehandlung, sondern 
umso ungemein bedeutungsvolle Dinge, wie es die Lungen¬ 
schwindsucht ist, handelt. Man hüte sich doch endlich vor 
dieser Art der Flucht in die Oeffentlichkeit; die Anpreisung 
der „neuen Behandlung der Tuberculose mit blauem Lichte“, 
an deren Werth ja kein vernünftiger Mensch glaubt, bringt 
das große Publicum in überflüssige Erregung, sie wird eine 
Plage für uns Aerzte und endlich zerfließt sie auch für den 
glücklichen Finder — denn erfunden hat er die Sache nicht — 
in das, was sie ist, in blauen Dunst. 

In merkwürdig bezeichnender Weise, deutlicher als man 
denken mochte, sind in unserer Discussion gegenüber der 
Mahnung des Herrn Vortragenden, Principien zum Ausdrucke 
gebracht worden, welche Schlag auf Schlag das sonderbar 
anmuthende, wenn auch noch so eindringlich und über¬ 
zeugungssüchtig vorgetragene Widerspiel jener genannt 
werden müssen. Es konnte förmlich nicht augenfälliger demon- 
strirt werden, wie nothwendig gewisse Mahnungen immer 
und immer wieder sein können und wie sie gerade dort mi߬ 
achtet zu werden pflegen, wo sie mehr als selbstverständlich 
sein sollten. Umsomehr Aufmerksamkeit müssen solche Enuncia- 
tionen erwecken, wenn sie von einer Seite stammen, die 
praktische Erfahrungen seit Decennien ihr Eigen nennt. 
Ich sehe Herrn Hofrath Winternitz, dessen Ausführungen 
einige nähere Würdigung herausfordern, nochmals als Redner 
in der Discussion vorgemerkt; darum dürfen wir erwarten, 
daß er zu den wenigen Sätzen seiner vorwöchentlichen Erörte¬ 
rungen, zu denen er selbst hinzusetzte, es sei leider manches 
von dem, was er bezüglich der Tuberculose habe Vorbringen 
wollen, seinem Gedächtnisse entschwunden gewesen, noch 
mehrfache Nachträge bringen werde. Wir sind aber bei einem 
so eminenten und taktisch zuverlässigen Redner, wie es 
Hofrath Winternitz ist, nicht gewohnt, daß er aus einer 
einmal bezogenen Position auch nur zollbreit zurückweicht. 
Das von ihm vor 8 Tagen abgelegte Glaubensbekenntniß 
bezüglich der Tuberculosefrage kann daher auch heute schon, 
so wie es sich der^ Beurtheilung darbietet, ins Auge gefaßt 
werden; es hätte von diesem Bekenntnisse vor Allem ein 
eigenartiges Interesse zu wissen, wie zahlreiche Adepten 
dieser Nihilismus, die Tuberculoseprophylaxe betreffend, 
bereits, oder noch zählt. Die im officiellen Protokolle der 
vorigen Sitzung verzeichneten Ausführungen von Hofrath 
Winternitz fordern Satz für Satz zu einem entschiedenen 
Widerspruche heraus; ich bitte aber zu glauben, daß es mir 
hier, vor dieser hochansehnlichen Gesellschaft, in ganz unper¬ 
sönlicher Weise darum allein zu thun ist, die gangbaren 
und zuverlässigen Anschauungen der anderen Autoritäten 
auf diesem Gebiete, wie es Cornet, Baumgarten, Flügge, 
Fraenkel, Weichselbaum, Rob. Koch, Gerhardt, v. Leyden, 
Jakob und Pannwitz u. v. A. sind, in ihren Grundzügen umso 
nachdrücklicher hervorzuheben, als sie in der letzten Sitzung 
durch Herrn Hofrath Wisternitz in so entschiedener Weise 
förmlich in den Sand geschleudert wurden. Meine Herren, 
es hätte den Anschein gewinnen können, als wolle Hofrath 
Winternitz von Maßregeln der allgemeinen und der persön¬ 
lichen, individuellen Prophylaxe der Tuberculose nichts wissen ; 
gewiß, ich muß ausdrücklich betonen, ich habe darüber ein 
directes Wort nicht gehört. Allein, wenn man zwischen den 
Worten den Sinn der nothwendigen Conclusionen heraushört, 
dann müssen unser Aller, nicht meine Schlußfolgerungen allein, 
gegenüber denselben in streng oppositionellem Sinne ausfallen. 

In möglichster Kürze denn Einiges entgegen den Leit¬ 
sätzen von Hofrath Winternitz unter neuerlicher Betonung 
dessen, was in den anerkannten Darstellungen aller Beob¬ 
achter und Forscher über diesen Gegenstand aus neuerer 
Zeit zu finden ist. 

Hofrath Winternitz’s Ausführungen gipfeln in dem 
Schlüsse: „ Wir sind nicht in der Lage, mit den vorgeschlagenen, 


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so harten Maßnahmen die Tuberculose seltener zu machen. 
Wenn man bedenkt, wie viele Leute, die wahrscheinlich 
Bacillen produciren, der Untersuchung entgehen müssen, so 
scheint es umsoweniger begreiflich, daß der Bacillenfang 
einen Erfolg haben könnte.“ Die unerläßliche Conclusion, die 
ja in Hofrath Winternitz’s Kopfe, ganz ebenso wie nach dem 
Anhören seiner Motivirung in dem der großen Mehrzahl von 
uns unentrinnbar auftauchen muß, ist die: „Da wir die Bacillen 
nicht „abfangen“ können, da wir nicht alle unschädlich 
machen können, nun dann thun wir lieber gar nichts und 
beschränken wir uns auf die hygienischen, diätetischen 
Maßnahmen, Hebung der materiellen Verhältnisse, die mir 
viel wichtiger erscheinen.“ Uns Allen erscheinen sie nicht 
minder wichtig; nur erhebt sich damit allsogleich die auch 
vielleicht von Hofrath Winternitz schwer zu beantwortende 
Frage, wie wir wohl auf kurzem Wege erreichen können, was 
uns Allen so wünschenswerth erscheint. Davon übrigens später. 

Ein Satz zeigt uns, laut Protokoll, ganz unverhüllt 
die Schwäche der Logik, die Winternitz in diesem Falle, 
merkwürdigerweise im Gegensätze zu seinen sonstigen scharf¬ 
sinnigen Beweisführungen entwickelt: „Die Tuberkelbacillen 
sollen durch Verstäuben und Verspritzen des Sputums ver¬ 
breitet werden, und man will das Sputum unschädlich 
machen!“ Hier fehlt bloß das kleine Wort „möglichst“ 
unschädlich machen. Wer würde sich der Erwartung hin¬ 
geben wollen, alle Bacillen sicher „abfangen“ zu können; 
allein daraus darf sich doch nicht der Schluß ergeben: da 
wir nicht alle „fangen“ können, so geben wir den „Bacillen¬ 
fang“ ganz auf. Ein vielleicht etwas unwissenschaftlicher 
noch klingendes Gleichniß liegt so nahe, daß es nicht unaus¬ 
gesprochen bleiben soll: Die Straßen dieser oder jener Stadt 
sind nicht absolut staubfrei zu halten ; ergo lassen wir das 
Straßenreinigen ganz sein! So liegen die Dinge aber keines¬ 
wegs. „So müßte man auch das Schlucken des Speichels“ — 
natürlich auch wieder möglichst — „verbieten !“ Geschieht 
auch, Herr Hofrath, in den Vorschriften der allermeisten 
gut geleiteten Anstalten und in der privaten Krankenpflege. 

Einen weiteren Satz, den Herr Hofrath Winternitz nach 
meinen eigenen Aufzeichnungen während seiner Rede sicher 
gesprochen hat, den vermisse ich in dem Protokoll. Es handelte 
sich darum, daß es Winternitz sonderbar erschien, wieso sich 
ein Tuberculöser mit seinem Sputum Rachen und Mund¬ 
schleimhaut nicht inficirt. Erstens kommen solche Infectionen 
im Pharynx und besonders im Larynx bekanntlich — wie auch 
in fast allen Compendien und Lehrbüchern der inneren Medicin 
zu lesen — nicht so selten vor. Glücklicherweise seltener, als 
man befürchten müßte. Das kommt nun daher, weil man sich 
bei sorgfältigen mikroskopischen Untersuchungen davon über¬ 
zeugen kann, daß die bacillenhältigen Sputumballen und 
-Flocken, wenn sie in den Mund gelangen, zumeist mit einer 
Schichte zähklebrigen Bronchialschleims umhüllt sind, in der 
sich überhaupt keine Bacillen finden, so daß eine Contact- 
infection dadurch hintangehalten werden kann. Im Uebrigen 
findet eine Inoculation von tuberculösem Material vielleicht 
darum nicht statt, weil der Organismus — wohl in analoger 
Weise wie bei der Syphilis — durch gewisse antitoxischeStoffe 
gegenüber dem Virus immun bleibt, das er bereits beherbergt. 

Die Verfügung des Schnurbartrasirens, weil am Barte 
„selbst des geschicktesten Bacillenspuckers Millionen Bacillen 
hängen bleiben müssen“, ist eine aus Herrn Hofraths Munde 
mehrfach gehörte Bemerkung, die eine ernsthafte Discussion 
wohl entbehrlich macht von jedem Bakteriologen aber leicht 
zu widerlegen sein wird. 

Was den Umstand anlangt, daß Winternitz als Stütze 
seiner Anschauung, die Uebertragung der Tuberculose durch 
Contagion sei nicht häufig, die Seltenheit der Tuberculose 
bei der einheimischen Bevölkerung der Curorte, wie Soden, 
Gleichenberg, Görbersdorf, anführt, in denen den 
Sommer über so viele Tuberculose Zusammenkommen, so bin 
ich der Anschauung, diese Thatsachen ließen sich unschwer 


verständlich machen. Ich will davon absehen, daß z. B. Gericke 
erwähnt, daß gerade in Soden die meisten Einheimischen 
an Tuberculose sterben. 

Zunächst handelt es sich da um eine kräftige, auf 
dem Lande unter günstigen landschaftlichen, nutritiven und 
hygienischen Verhältnissen geborene und aufgewachsene Be¬ 
völkerung, zudem in der Umgebung von Cur- und Lungen¬ 
heilstätten, in denen die Technik der Prophylaxe, wie man 
sich überzeugen kann, strenge und trefflich gehandhabt, also 
die Verstreuung und Verschleppung der infectiösen Keime 
thunlichst vermieden wird. Es sei im Zusammenhänge damit 
daran erinnert, daß es bekanntlich Gegenden gibt, in denen 
die Tuberculose eine ungemein seltene Erkrankung ist und 
nicht einmal durch Einschleppung sich festsetzt; dies gilt 
beispielsweise für gewisse Districte Schwedens, in denen 
die arbeitende Bevölkerung Holz-, Theer- und Fichtennadel¬ 
ölgewinnung betreibt. Diese Leute erkranken nur ungemein 
selten an Tuberculose und erreichen durchschnittlich ein 
relativ sehr hohes Alter; sehr ernst zu nehmende Beobachter 
schreiben dem Theer und seinen antiseptischen und antikatar¬ 
rhalischen Eigenschaften eine bedeutsame Rolle in diesem 
Sinne zu, und bekanntlich hat Sommerbrodt, zum Theil auch 
auf diese Erfahrungen gestützt, seine werthvolle und erfolg¬ 
reiche Therapie der Lungenphthise mittels Theer-Kreosot- 
präparaten inaugurirt, die dann zahllose Anhänger gefunden 
hat. Schließlich irrt Hofrath Winternitz sehr, wenn er glaubt, 
die Einwohnerschaft mancher Tuberculoseourorte sei nicht 
geradezu von Tuberculose durchseucht; bei Conet findet sich 
Interessantes hierüber. 

Winternitz beruft sich ferner, als Gegner der Contagions-, 
resp. Infectionshypothese, auf die Beobachtung der seltenen 
Ansteckung, die bei Ehepaaren, von denen der eine Theil 
tuberculös ist, bloß in 10% der Fälle stattfinden soll. Gewiß 
ist diese Ziffer für Winternitz so niedrig ausgefallen, weil 
es sich für ihn um ein besonders ausgewähltes, d. h. einer 
bevorzugten Menschenclasse angehöriges Beobachtungsmateriale 
handelt und er die Häufigkeit der Contagion, resp. der directen 
Infection zwischen Mann und Weib oder umgekehrt, in den 
niedrigsten Schichten der ärmsten Arbeiterbevölkerung außer 
Acht zu lassen genöthigt ist, weil sie ihm weit minder ge¬ 
läufig ist. Wir wollen im Weiteren sehen, wie unrichtig diese 
Zahl, die Winternitz sich im Kopfe construirt hat, ist — die 
einzige Zahl, die er als Beleg für seine verschiedenen Be¬ 
hauptungen anführte. Die große Literatur und insbesondere 
einer der namhaftesten Autoren in der Tuberculosefrage, 
Cornet, kommt nämlich auf Grund einer außerordentlich 
gewissenhaften und genauen Untersuchungen in den meisten 
Dingen zu ganz entgegengesetzten Anschauungen, als sie 
Winternitz durch seine andere Art der Betrachtung der 
Verhältnisse zu sehen vermeint. 

Die Uebereinstimmung mit den Grundsätzen Cornet’s, 
die sich in der ganzen neueren Literatur, mit verschwindenden 
Ausnahmen, seitens aller großen Forscher bekundet, scheint 
mir die Ermächtigung dazu zu bieten, gegen Meinungen mit 
aller Entschiedenheit zu polemisiren, die von so hocherfahrener 
und gewiß auch in der Tuberculosefrage und -Literatur bestens 
bewanderter, in vielen Details derselben sogar autoritativer 
Seite, ausgesprochen wurden. Allein der Contrast zu den 
Grundsätzen, die uns von allererster Seite förmlich als Leit¬ 
motiv an die Spitze der Gesammtdarstellung der Frage ge¬ 
setzt wurden, verlangt eine unumwundene Stellungnahme, 
damit es nirgends auch nur den Anschein gewinnen könnte, 
als seien die Meinungen von Winternitz unerörtert, oder 
unwidersprochen geblieben, oder gar acceptirt worden. 

Wenn sich Hofrath Winternitz auf eine Statistik von 
Riffel beruft, als einer Hauptstütze der von ihm so warm 
verfochtenen Hereditätslehre, demjenigen, der die mon¬ 
ströse Behauptung verfechten will, der Tuberkelbacillus könne 
der Erreger der Lungenschwindsucht und der tuberculösen 
Processe nicht sein, sondern es handle sich hiebei lediglich 


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um eine erbliche Krankheit, sowie es übrigens bekanntlich 
auch andere Autoren thun, so sei ihm das entgegengehalten, 
was Cobnet über diese Statistik mit vollem Recht sagt *): 

„Riffel hat auf 112 Seiten gegen 100 sachliche, sinnstörende 
Fehler und Widersprüche fertig gebracht. Von der merkwürdig 
langen Lebensdauer einzelner Personen will ich absehen. Einer, 
der sich 1781 verheiratete, hat über 100 Jahre später noch einmal 
den Bund der Ehe geschlossen. Auch den Todten, die Riffel oft 
zweimal in verschiedenen Lebensaltern sterben läßt, will ich die 
Ruhe gönnen und sie nicht, wie Riffel. Jahrzehnte nach dem 
Tode verheiraten. Aber Frauen verwandeln sich in Männer, ein 
Mädchen heiratet bereits mit 8 Jahren, ein Knabe stirbt mit einem 
Jahre und heiratet gleichwohl 18 und 20 Jahre später; ja ein 
Mädchen stirbt mit einem Monate und heiratet 30 Jahre später 
einen Witwer und bekommt 7 Kinder; eine Anverwandte Riffel’s 
wurde sogar erst 24 Jahre nach ihrer Verheiratung geboren! 
Kurz, die ganze Arbeit wimmelt von Fehlern; doch 
Haupt nennt diese Arbeit „fleißig und beweiskräftig“, F. Wolff 
„werthvoll“. Es geht nichts über eine gewisse Bescheidenheit in 
den Ansprüchen. Mir ist in der ganzen Literatur keine 
mangelhaftere und unwissenschaftlichere Arbeit be¬ 
kannt. Und das soll ein „beweisendes Material“ für 
die Erblichkeit bilden?!“ 

Hofrath Winternitz stützt sich nun, wie gesagt, auf 
die oben charakterisirte Statistik von Riffel und verficht 
energisch das Dominiren der Heredität. 

Mit einer anderen Zahl, die wir wohl nur als ein Un¬ 
gefähr anzusehen haben dürften, hat Winternitz den zufälligen 
Befund der ausgeheilten Tuberculose bei Obduction von 
Leichen an anderweitigen Affectionen Verstorbener als 50°/o 
der Gesammtmenge der Tuberculösen betragend angegeben 
und daran die Bemerkung geknüpft: Da solche Fälle erst 
durch den Obducenten als Tuberculösen erkannt werden, so 
entgehen bei Lebzeiten so und so viele Tausende von Lungen¬ 
kranken dem Bacillenfang; so viele Fälle seien bei Lebzeiten 
nicht diagnosticirl. Es ist gewiß richtig, daß die Diagnose 
der Tuberculose häufig dort, wo sie besteht, nicht gemacht 
wird (wohl auch umgekehrt); gewiß also auch häufig in 
Ehen dort, wo bereits der eine Theil tuberculös ist. Darum 
die ganz besonders günstigen Statistiken, darum aber auch 
der weitere Schluß, daß die Tuberculose eine noch viel größere 
Verbreitung und eine weit höhere Infectionsgefahr besitzt, 
als selbst wir, d. h. diejenigen, die an eine große Gefahr des 
Uebels glauben, mit unserem ganzen harten Pessimismus 
annehmen. Einen irrigen Schluß macht Winternitz, wenn 
er meint, sämmtliche bei der Obduction Vorgefundenen, aus¬ 
geheilten oder nahezu ausgeheilten Tuberculösen decke erst 
der Obducent auf; dieser kann ja nicht wissen, ob nicht ein 
oder mehrere Aerzte in verschiedenen Lebensstufen des be¬ 
treffenden Individuums die Diagnose auf einen tuberculösen 
Herd in der Lunge gestellt und der Umgebung gewisse Vor¬ 
sichtsmaßregeln ans Herz gelegt haben. Es sind aber diese 
oft zu findenden, abgekapselten oder verkalkten Herde für 
uns anders Urtheilende ein Anhaltspunkt für ein weiteres 
wichtiges Moment, das uns gleichfalls wieder ein Argument 
gegen die Denkmethode von Winternitz und auch von 
Benedikt liefert. 

Beide Herren Redner haben mit einigem Nachdruck 
betont, ihre Erfahrung von mehreren Decennien lehre sie mit 
aller Deutlichkeit, daß die Gefahr der Uebertragung der 
Tuberculose auf die gesunde Umgebung gar nicht so groß 
sei; nun, meine Herren, da wir die enorme Verbreitung der 
Tuberculose und dazu noch die Häufigkeit der unschädlich 
gebliebenen, d. h. nicht zum Tode führenden Infectionen oder 
sogenannte zufällige Befunde kennen und dazu noch ahnen 
müssen, wie oft die Diagnose stillschweigend gestellt, aber 
verheimlicht wird — Hofrath Winternitz kennt gewiß auch 

*) Professor Dr. G. Cobnet, Die Tuberculose. Specielle Patbologie und 
Therapie von Nothnaoel, XIV. Bd., III. Theil, Wien, Alfred Holder, 1899, 
pag. 278. 


Fälle dieser Art —, wie viele andererseits tuberculös erkranken 
und kaum der ärztlichen Untersuchung und Diagnosenstellung 
zugänglich werden, so müssen wir ja dazu gedrängt werden, 
die Gefahr der Infection als enorm groß hinzustellen. Wenn 
wir schon ein Beruhigungsmittel für die große Oeffentlichkeit 
auftreiben müssen, so liegt ein solches in Wahrheit darin, 
daß bei dieser eminent hohen Gefahr die Widerstandsfähig¬ 
keit, die Seuchenfestigkeit bei einem beträchtlichen Theile 
der Bevölkerung glücklicherweise eine genügend große ist, 
um den eindringenden Keimen widerstehen, dieselben, ohne 
Schaden zu erleiden, wieder eliminiren zu können. Wäre eine 
solche bedeutende, energische Widerstandsfähigkeit nicht vor¬ 
handen, die Verbreitung der Tuberculose müßte geradezu bis 
auf Zahlen anwachsen, die kaum einen nicht Tuberculösen 
auf 9 Kranke zählen ließen. 

Um nunmehr den letzten Schluß aus den obigen prin- 
cipiellen Einwendungen gegen die Bedenken von Winternitz 
gegenüber den von Hofrath Prof. Weichselbaüm auseinander¬ 
gesetzten Maßnahmen der Tuberculoseprophylaxe zu ziehen, 
sind wir genöthigt, uns dahin auszusprechen: Nach allem, 
was wir derzeit auf Grund eingehendster experimenteller, 
hygienischer und klinischer Studien wissen, haben wir der 
Infectionsgefahr der Tuberculose eine sehr hohe Bedeutung 
zuzuschreiben, der Prophylaxe und den minutiösesten Vor¬ 
schriften zur Bethätigung einer solchen das volle Augenmerk 
zuzuwenden. Wir werden somit nicht anstehen, die hier ge¬ 
äußerten, ganz conträren Meinungen von Winternitz, mit 
denen er sich bloß auf seine Erfahrung stützt, unbedingt 
nicht zu acceptiren und seine Nullitätsbeschwerdefi hinsichtlich 
der Prophylaxe rundweg abzuweisen. 

Herr Hofrath Winternitz hat nun auch zum Schlüsse 
seiner Erörterungen ganz besonderen Werth für die Ein¬ 
dämmung der Tuberculose als Volkskrankheit, auf social¬ 
hygienische und materielle Verbesserungen für die breitesten 
.Volksschichten gelegt, genau so übrigens, wie wir Alle. Bessere 
Volkswohnungen, Hebung der materiellen Verhältnisse, bessere 
Ernährung, gesunde Luft, Volksbäder etc. Insolange un3 aber 
die Mittel und Wege nicht angegeben werden, wie man nach 
diesem allgemein ausgesprochenen Recepte die gesammte 
sociale Frage sozusagen mit Blitzeseile, mit einem Zauber¬ 
schlage löst, insolange muß diese Art der Prophylaxe der 
Tuberculose reinste Utopie bleiben. Herr Hofrath Winternitz 
muß denn auch darein willigen, daß wir indessen trotz aller 
seiner Bedenken, bis die Lösung der socialen Frage zur That- 
sache geworden sein sollte, an dem zielbewußten und unab¬ 
lässigen Ausbau der allgemeinen und der individuellen Pro¬ 
phylaxe rüstig fortarbeiten, dessen wohl bewußt, daß wir 
zwar nicht alle Bacillen „abfangen“ werden, daß wir aber, 
wie es sich jetzt schon zeigt, eine Herabdrückung der Tuber- 
culosefrequenz sicher erwarten dürfen. Es ist schließlich ganz 
ausdrücklich zu erwähnen, um einem irgendwie möglichen 
Mißverständnisse vorzubeugen: Herr Hofrath Winternitz ist 
gewiß nicht allein derjenige, der das Moment der Bekämpfung 
der Disposition der Tuberculose, der Erhöhung der Seuchen¬ 
festigkeit gegenüber den prophylaktischen Maßnahmen in den 
Vordergrund stellt; wir würden ihm vollends Alle darin bei¬ 
stimmen, Erhöhung der Widerstandskraft durch Besserung 
sämmtlicher Lebensbedingungen der niederen Volksclassen 
als das erste Postulat für ein Staatswesen, als die Vor¬ 
bedingung der Eindämmung der Tuberculose und aller Krank¬ 
heiten überhaupt hinzustellen. Allein, diese Lösung der Frage 
kostet so viel Geld — weit mehr als Hunderte von Sanatorien 
und Volksheilstätten —, daß es kein Staatswesen, das reichste 
nicht, selbst bei vollster Bereitwilligkeit aufbringen kann. 
Denn blicken wir in die Arbeiter- und Armenviertel der 
reichsten, durch Wohlthätigkeitsinstitute, durch staatliche 
und private Hilfe mächt'g unterstützte Städte, so finden 
wir Elend, Siechthum und Sterblichkeit nicht im aller¬ 
mindesten geringer. Sociale Noth und Schwindsucht in deren 
stetem Gefolge scheinen eben doch trotz aller Bemühungen, 

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trotz unbegrenzter Opfer der Staatsverwaltungen ebensowenig 
ans der Welt zu schaffen zu sein, wie die ganze sociale 
Frage, deren Theil jene sind. Somit bleibt es für uns vor¬ 
läufig noch immer dabei: wo gegen das Hauptübel gewiß 
ganz vergeblich gestritten wird, dort fahren wir in der 
energischen Bekämpfung des kleineren fort, das derzeit bereits 
einiges Terrain von seinem mächtigen Gebiet eingebüßt zu 
haben scheint. Winternitz bewegt sich da auf sicherlich 
höchst ersehnenswerthem, allein leider derzeit noch ganz 
irrealem Boden, wir aber bleiben vorläufig nur auf dem 
des Realen. (Schluß folgt.) 


Tubereulosefragen. 

Von Prof. Dr. Moriz Benedikt in Wien. 

(Schluß.) 

V. Die Verhütung der Schwindsucht. 

Wir können jetzt zur Besprechung der Verhütungs¬ 
maßregeln der Schwindsucht übergehen. 

Von jenen zur Verhütung der Uebertragung von Seite 
perlsüchtiger Rinder sehe ich hier ab. 

Auf die Frage, ob die Tuberkulinprobe imstande ist, 
früh- und rechtzeitig die Perlsucht bei den Rindern zu er¬ 
kennen, einzugehen, bin ich selbstverständlich nicht competent 
und ebensowenig, ob diese Probe beim Menschen von Werth 
oder statthaft sei. 

Die nächste Verhütungsaufgabe bezieht sich auf die Un¬ 
schädlichmachung der giftigen Ausscheidungen und Aus- 
athmungsstoffe der Kranken, und zwar der Sputa, der Schweiße 
und der in der Ausathmungsluft enthaltenen Giftstoffe. 

Auf letztere wirken wohl am besten ausgiebiger Luft¬ 
strom und Besonnung, die überhaupt die Todfeinde des tuber- 
culösen Virus sind. 

Weiters peinlichste Reinlichkeit des Körpers der Kranken 
und der noch Gesunden. 

Wir verhüten dadurch nicht blos die Ansteckung Gesunder, 
sondern die ewig sich erneuernde Selbstansteckung der 
Kranken, die so viel als möglich in frischer, reiner Luft sein 
sollen. 

Hier kommt die Aufsammlung, die Abfuhr und die Ver¬ 
nichtung der Sputa zunächst in Frage. Wir werden darauf 
bei Besprechung der Reform des Curortewesens und der Heil¬ 
stätten ausführlich zurückkommen. 

Die Schweiße sollen durch vorsorgliche Waschungen mit 
feuchten Lappen — etwa wie üblich mit verdünnter Essig¬ 
säure — entfernt werden. Diese Lappen müssen in einem ge¬ 
schlossenen Gefäße bewahrt und der Heißluft ausgesetzt werden. 

Zu den Verhütungsmaßregeln gehört auch die Entfernung 
gemeingefährlicher Kranker aus ihrer Umgebung, besonders 
bei ungünstigen Wohnungs- und sonstigen socialen Verhältnissen. 

Diese zwangsweise Entfernung muß, wie bei Irren und 
bei schweren Ansteckungsformen, gesetzlich möglich sein. Die¬ 
selbe wird vorzugsweise bei Armen in Frage kommen. Damit 
sie durchführbar sei, muß gesetzlich bestimmt werden, daß 
die Angehörigen, die auf den Arbeitsertrag des Kranken an¬ 
gewiesen sind, entsprechend entschädigt werden. Wenn die 
Gesellschaft den Werth zu keulender Thiere ersetzt, so ist 
sie umsomehr den Familien gegenüber verpflichtet. 6 ) 

Die hier angeführten Verhütungsmaßregeln gelten auch 
der Sanirung der früher genannten Geburtsstätten der Schwind¬ 
sucht. Aber erschreckt stehen wir vor der Aufgabe dieser 
Sanirung. Wir stehen hier Aufgaben gegenüber, für die das 
Wissen der Aerzte maßgebend ist, aber deren Macht wenig 
ins Gewicht fällt. 

Welche große sociale Umwälzungen und sociale Leistungen 
erfordert allein die Sanirung der Volks Wohnungen, 

6 ) Zu den Verhütungsmaßregeln gehören auch jene, welche vor Vererbung 
schützen sollen. Auf diese kommen wir noch zurück. 


die noch Noth und Elend beherbergen. Hier muß der Menschen¬ 
freund vor Allem den Ruf der allgemeinen Entwaffnung er¬ 
heben, um die kolossalen Summen des Militäraufwands für die 
Regenerirung breiter Volksschichten in Anspruch zu nehmen. 
Wie ohnmächtig sind aber wir Aerzte, um den Chauvinismus 
und Imperialismus der Völker zu bekämpfen, welche verhindern, 
daß die minder kostspielige menschenfreundliche Liebesthätig- 
keit den ungleich kostspieligeren Haß und die ungleich kost¬ 
spieligere Herrschsucht verdränge. 

Unsere Thätigkeit hiebei wird zum entmuthigenden 
Fl ick werke. 

Die nächste Aufgabe gilt der Sanirung der Cur- 
orte. Zu diesem Zwecke ist vor allem nöthig: 

1. Daß die Aufnahme Schwindsüchtiger in Privat¬ 
wohnungen an eine behördliche Concession gebunden sei, 
der eine genaue Untersuchung vorausgehen muß, ob Raum 
und Einrichtung geeignet sind, und diese Gestattung muß 
ferner an bestimmtes hygienisches Verhalten gebunden sein, 
wovon noch weiter die Rede sein wird. 

2. Jeder Curort für Tuberculose muß eine Hei߬ 
waschanstalt besitzen, in der die Leib- und die Bettwäsche, 
die Teppiche, Vorhänge etc. der die Ansteckungskeime tödtenden 
Hitze ausgesetzt werden müssen. 

Ueberbaupt soll überall dafür gesorgt werden, daß bei 
der Reinigung die Wäsche der Bevölkerung, nicht nur der 
Curorte, der Heißluft ausgesetzt werde, und die größeren 
Gemeinden müssen öffentliche Heißwaschanstalten 
errichten, in denen — auf eine Anweisung von 
Armenvätern und Armenärzten — die Wäsche 
der Aermsten unentgeltlich gereinigt wird. Das 
Plätten etc. wird dann den Eigenthümern überlassen. Dabei 
wird überhaupt eine Reorganisirung des Wäschergewerbes 
nöthig sein, da die heutige Form zahllose Gefahren in sich 
birgt. 

3. Die Wohnungseinrichtung muß so beschaffen sein, daß 
die ansteckenden Keime so wenig als möglich haften bleiben 
können. Die Wände z. B. sollen mit Oelanstrich oder Wasser¬ 
glas überzogen werden, der Fußboden mit Linoleum bedeckt 
sein. 6 ) Die Bettstellen und Möbel sollen von Eisen sein, um 
im Nothfalle einer Dampfhitze ausgesetzt werden zu können. 

4. Jeder Wiederbenützung eines Gelasses muß eine 
gründliche Desinfeetion und vor Allem mehrtägige Lüftung 
vorausgehen. 

5. Es müssen natürlich alle Curbehelfe im Curort vor¬ 
handen sein. 

6. Jeder Curort steht unter strenger staatlicher Aufsicht. 
Dieselbe wird von einem eigenen ärztlichen Beamten besorgt. 
Jedenfalls muß einem als Sanitätscommissär amtirenden Arzte 
die Praxis bei den Curgästen untersagt sein, um seine Unab¬ 
hängigkeit von localen Einflüssen zu sichern. 

Die ansässigen Autoritäten, Gemeindeärzte und die Cur- 
ärzte, sind zur Controle nicht geeignet, weil sie leicht mit 
den Interessen der Bevölkerung in Collision gerathen und daher 
zu Connivenzen zu leicht gezwungen sind. 

7. Die behandelnden Aerzte sind verpflichtet, bei be¬ 
sonders gefährlichen Kranken bei deren Abreise oder nach 
ihrem Tode eine „vertrauliche“ Anzeige zu machen, um die 
Amtsperson auf besondere Ueberwachung der Reinigung auf¬ 
merksam zu machen. Ebenso ist es Aufgabe der in einem 
Hause oder in einer Wohnung behandelnden Aerzte, die An¬ 
zeige zu machen, wenn bereits die Zeichen einer dauernden 
Infection von Wohnräumen vorhanden sind. 

Eine Vernachlässigung dieser Anzeigepflicht soll unter 
bestimmte Strafparagraphe fallen. 

8. Ueberhaupt wird es gut sein, das ganze Wohnungs¬ 
und Hotel wesen in Curorten dahin zu reformiren, daß ein 
System kleiner und kleinster Sanatorien ein- 


6 ) Wohl das geeignetste Material für einen hygienischen Fußboden ist 
Asbestcement, der z. B. im Honv6dspitale in Budapest in Gebrauch ist. 


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geführt wird, das zum großen Theile der Privatunternehmung 
unter staatlicher Aufsicht überlassen werden kann. 

Auf andere nothwendige Verhütungsmaßregeln in Cur- 
orten kommen wir bei Besprechung der Heilstätten zurück. 

Ich will hier auf einige Mißgriffe bei Benützung der 
Curorte aufmerksam machen. 

Viele Kranke gehen mit ungenügenden Mitteln in die 
Curorte. 

Da pferchen sie sich mit anderen Kranken in gar oft 
bereits verpesteten Wohnungen zusammen, ernähren sich un¬ 
vollkommen, kehren oft verschlimmert, oft gar nicht mehr heim. 

Dieser Uebelstand schreit förmlich nach Sanatorien, be¬ 
sonders in den Curorten. 

Ein weiterer Mißgriff ist es, schwere, fiebernde Kranke 
besonders selbst zur Winterszeit in entfernte Curorte zu 
senden, um dort oder auf dem Wege zu sterben. Wenn 
man es auch dem Kranken nicht sagen darf: „Bleibe zu 
Hause und sterbe bequem il , so kann man doch die bis zu 
letzten Athemzuge euphorischen Kranken vertrösten, bis der 
Zustand wieder besser werde. Widersinnig ist es auch, im 
Winter oder gar im Herbste Kranke in einen südlichen Cur- 
ort auf wenige Wochen zu schicken, wenn sie dann mitten 
in der rauhen Jahreszeit wieder in ihre ungünstigen Verhält¬ 
nisse zurückkehren müssen. 

Es möge hier weiters auf zwei Incorrectheiten auf¬ 
merksam gemacht werden. Die eine wird besonders in Sanatorien, 
die von Philanthropen erhalten werden, begangen. Man nimmt 
schwerere Kranke nicht auf, um eine bessere Statistik zu haben. 
Die Sanatorien sind aber wegen der möglichst besten Hilfe 
und nicht wegen der günstigen Statistik da. 

Nahezu verbrecherisch, jedenfalls sehr sträflich, ist aber 
ein anderer Mißbrauch, der in Curorten getrieben wird, indem 
man die Sterbenden fortschickt, die dann im Coupe oder auf 
einer Zwischenstation sterben. Die Ausrede, daß der Tod und 
das Begräbniß die anderen Kranken beunruhige und beängstige, 
ist nicht stichhältig. Wir kennen ja alle Sanatorien, in denen 
viel operirt wird und in denen viel gestorben wird. Es läßt 
sich in Curorten ebensogut wie in Sanatorien die Sache so 
veranstalten, daß die Ueberlebenden nichts erfahren. „Sie hätten 
eine Reise angetreten“, kann man auch von den Reisenden ins 
Jenseits sagen. 

Was geschehen muß, um inficirte Spitäler und 
Spitalsräume, ferner derartige Kasernen und Ge¬ 
fängnisse unschädlich zu machen, braucht wohl nicht er¬ 
örtert zu werden. 

Hier kommt ein schwerwiegendes, sittliches Moment in 
Betracht. Die Betheiligten müssen den Muth der Klarlegung 
haben, und dieser Muth darf nicht durch officielle Gewalt¬ 
tätigkeit gebeugt werden. 

Verlogene Beschwichtigung und verlogene Ableugnung 
müssen aus dem öffentlichen Leben verbannt werden. 

Die Gefahren der Ansteckung in großen und kleinen 
Arbeitswerkstätten sind wenigstens in der Theorie durch die 
sanitären Gewerbe- und Fabriksgesetze bedeutend vermindert; 
man braucht nur dafür zu sorgen, daß die Gesetze auch 
gehandhabt werden. Dasselbe gilt von Schulen und der Schul¬ 
hygiene. 

VI. Behandlung der Schwindsucht. 

Wir kommen jetzt zur Frage der Behandlung. Hier 
spielen die früher erwähnten Maßnahmen, welche die fort¬ 
während sich erneuernde Selbstansteckung verhüten, die erste 
Rolle. Alle Verfahren weiters, welche die Ernährung bessern — 
und dazu gehört auch die Verabreichung von Nahrungsmitteln 
an Hungernde —, ferner alle jene, welche den allgemeinen 
Kräftezustand und die Widerstandskraft der Gewebe heben, 
sind für die Behandlung der Schwindsucht wichtig. Abhärtung 
durch rechtzeitig angewendete Hydrotherapie und Kräftigung 
durch geeigneten Sport sind nie aus dem Auge zu verlieren. 
Gesunde Luft mit möglichst vielem Aufenthalte im Freien 


und ausgiebige Besonnung tödten und entfernen die Keime 
im Milieu und im Körper. 7 ) 

Für alle Kranke, die nicht in privater Pflege dasjenige 
finden können, was sie brauchen, ist die Heilstätten¬ 
behandlung eine Grundbedingung für die Genesung. 

Aus allen bisher erwähnten Thatsachen geht aber als 
erste Regel hervor, daß wir als Heilstätten keine 
Paläste und keine Krankenkasernen erbauen 
sollen. Diese werden ebenfalls mit der Zeit Brutstätten 
für das tuberculöse Gift werden. Es soll nicht geleugnet 
werden, daß man bei jeder Neuanlage wirksame hygienische 
Anordnungen treffen kann. Sicher ist, daß nur bei äußerster, 
sozusagen verschwenderischer Vorsicht ein Tuberculosenheim 
durch lange Zeit intact erhalten werden kann. Ein Privat¬ 
sanatorium, z. B. für Operationen, das eine splendide Clientei 
und einen begabten Leiter hat, der sich bewußt ist, daß die 
Anstalt nur so lange blühen kann, als das Haus nicht 
inficirt ist, oder eine Klinik mit einem reichlichen Stabe 
von zielbewußten Aerzten können lange seuchenfrei erhalten 
werden. In großen, besonders öffentlichen Krankenheimen wird 
dies nicht leicht gelingen. Bei der Tuberculöse spielt übrigens 
die Lüftung und die Besonnung eine große Rolle, und je 
größer das Haus, desto schwerer kann die Reinhaltung der 
Luft und eine ausgiebige Durchsonnung erzielt werden. 

Daraus folgt, daß die Sanatorien für Tuberculöse aus 
kleinen Pavillons bestehen müssen, und daß auch in speciellen 
Curorten die Anlage solcher Pavillons angestrebt werden 
müsse. Für alle Vermögensclassen soll die Gelegenheit 
geschaffen werden, in solchen Pavillonsanatorien unter- 
gebracht zu werden. Sehr wohlhabende Kranke können sich 
begreiflicherweise alle nöthigen Bedingungen und Behelfe 
selbst verschaffen. Die Sanatorien sollen nicht monumental 
gebaut werden, so daß sie nach einer Reihe von Jahren ohne 
großen Verlust auch abgebrochen und beseitigt werden können, 
sobald sie als inficirt erkannt werden. Ein besonderes Gewicht 
bei Errichtung von Heilstätten muß darauf gelegt werden, 
daß die Räume für den Tagesaufenthalt vom 
Schlafraume getrennt werden, und daß besonders für 
schwerere Kranke immer zwei Gelasse zur Verfügung stehen, 
die bei Tag und Nacht abwechselnd leer bleiben und gründ¬ 
licher gelüftet, besonnt und gereinigt werden können. 

Als ideal scheint mir die Anlage derart, daß die Schlaf¬ 
räume gegen Osten, die Tagesräume gegen Westen orientirt 
sind, um möglichst viel besonnt zu sein. Dazwischen ein mit 
ventilirbarem Glasdache versehener Corridor, der die Mittags¬ 
sonne aufsaugt. Das Verlangen von Südzimmern scheint mir 
aus dem Mißverständnisse der Nordländer, die Süden und 
Wärme verwechseln, hervorgegangen. 

Wo eine öffentliche Colonie am geeigneten Orte ge¬ 
gründet wird, sollen die technischen Räume, darunter auch 
die technisch-therapeutischen, wie Bäder, Inhalationen etc., von 
den Wohnräumen getrennt werden. Wo eine Anhäufung von 
Kranken stattfindet, sollen auch die Wiesen- und Garten¬ 
plätze und Spazierwege nicht vernachlässigt werden, weil 
wohl kein Zweifel bestehen kann, daß durch langjährige 
Verunreinigung dieser Stellen ein äußerst giftiges Virus 
entstehen kann. 

Wichtig in dieser Beziehung ist eine amerikanische 
Beobachtung. Auf der Wiese eines Militärinvalidenheims, 
das vorwaltend Schwindsüchtige beherbergte, tummelten sich 
seit Jahren die Kranken und spuckten dort natürlich viel. 
Als gestattet wurde, daß dort eine Rinderherde grase, wurde 
sie perlsüchtig. 

Weil die Sputa natürlich dort zu einer besonderen 
Gefahr werden, wo Kranke sich häufen, so sei hier die Frage 
der Unschädlichmachung derselben und ihre Abfuhr aus¬ 
führlich besprochen, vor Allem die der Spucknäpfe, und 

7 ) Mir scheint nach meinen freilich noch nicht genug ausgiebigen Er¬ 
fahrungen die Arsonvali^ation ein sehr wichtiges Mittel zur Abtöltung der 
Krankheitskeime im Körper. 

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wie durch dieselben die Gefahren der Ansteckung vermieden 
werden sollen. 

Es ist aber dabei wieder zu bemerken, daß wir hier 
mit voller Ehrlichkeit Vorgehen müssen. Wir sind in der 
Zeit der sogenannten Antisepsis im Irrthume gewesen, daß 
wir mit schwachen Lösungen, z. B. von Carbolsäure und 
Sublimat, die Ansteckungskeime tödten können; heute sind 
wir zur Asepsis gelangt. 

Wir machen vielleicht Manches, was überflüssig ist; 
wir wissen aber, daß wir noch nicht zu einem Verfahren, 
das volle Sicherheit bietet, angelangt sind. 

Jede Desinfection soll eine absolut sichere sein, und es 
soll verhütet werden, daß sich Menschen beim Transporte 
der Sputa verunreinigen. Die Abtödtung der Keime soll 
gleich in den Spucknäpfen geschehen, und dazu, glaube ich, 
sind Aetzalkalien und vielleicht am besten Aetzkalk am ge¬ 
eignetsten. Aetzkalkpulver ist vielleicht am besten, wenn ein 
leichter Wasserzufluß möglich ist, weil die entstehende Hitze 
mitwirkt. 

Natürlich müssen solche Gefäße derart construirt sein, 
daß beim Hineinspucken und beim Transport keine Beschädi¬ 
gung der Kranken und Diener stattfinden kann, und es muß 
deshalb auch auf das geeignete Material Rücksicht genommen 
werden. 

Das Material solcher Spucknäpfe muß natürlich chemisch 
beständig sein und einen gewissen Hitzegrad leicht vertragen. 
Das Gefäß muß durch einen trichterförmigen Deckel ge¬ 
schlossen werden, aus dem durch Einguß und besonders 
durch eine Wasserbrause das Sputum leicht in das eigentliche 
Gefäß hineingespült wird. Zweckmäßig ist es auch, diese 
Gefäße so zu befestigen, daß sie nach der Körpergröße der 
Kranken leicht gehoben und gesenkt werden können. 

Es ist natürlich nicht bloß nothwendig, in den Kranken¬ 
anstalten und deren Umgebung solche Gefäße anzubringen, 
sondern auch an allen Orten, an denen viele Menschen Zu¬ 
sammenkommen, unter denen sich auch voraussichtlich Phthi¬ 
siker befinden, also an allen Versammlungsorten, in Kirchen, 
Schulen, Gasthäusern, Vergnügungsorten etc. Das Publicum 
soll zur ausschließlichen Benützung dieser Gefäße erzogen 
werden und im Nothfalle selbst durch Strafmaßregeln. 

Ein so erzogenes Publicum wird auch dann auf öffent¬ 
lichen Plätzen und Straßen derartig angebrachte Gefäße 
benützen, was vielmehr aus ästhetischen, als aus Heilrücksichten 
zweckmäßig ist. Denn daß die Sputa auf öffentlichen Straßen 
und Plätzen gefährlich sein sollen, ist wohl eine Ausgeburt 
wissenschaftlicher Phantasie. Nicht nur Schwindsüchtige, 
sondern auch schlichte Raucher, Leute mit Rachenkatarrhen 
und einfachen Katarrhen der Luft- und Verdauungswege 
spucken aus und Strafmaßregeln gegen das Spucken auf 
öffentlichen Plätzen und Straßen sind daher auch aus diesem 
Grunde schon an der Grenze der Lächerlichkeit. Soll etwa 
der Polizist, der eine Strafanzeige macht, unter seinem 
„Amtseide“ bestätigen, daß das Sputum KocH’sche Zellen 
enthalten hat? 

Daß in Schwindsucht-Heilstätten reichliche Bade- und 
Wasch Vorrichtungen für die Reinhaltung des ganzen Körpers 
nöthig seien, möge hier wieder betont werden, weil ja die 
Schweiße als deletär bezeichnet werden müssen. 

Aus dem Umstande, daß auch in der ausgeathmeten 
Luft suspendirte Stoffe als giftig zu bezeichnen sind, geht 
hervor, daß die Anhäufung von Kranken in den Kranken¬ 
zimmern und auch in den Aufenthaltsorten während des 
Tages gemieden werden solle. 

Die klimatischen Bedingungen für die Anlagen von 
Heilstätten brauchen hier nicht erörtert zu werden. Nebel-, 
wind- und staubfreie Lagen in mittelhohen Waldgegenden, oder 
im Hochgebirge oder an der See haben jede ihre Berechti¬ 
gung und ihre Vorzüge. 

Für die rauhe Jahreszeit sind natürlich solche Lagen 
vorzuziehen, die für den Nordländer eine Frühjahrs- oder 


Sommersaison bilden. Daß besonders zur rechten Zeit wetter¬ 
fest gemachte Kranke in „kalten“ Regionen im Winter bleiben 
können, zeigt die Erfahrung. In südlichen Curorten, wo 
während des Tages starke Temperaturscontraste auftreten, 
schädigen sich die Kranken aus Unachtsamkeit häufiger als 
in kalten Gegenden. 

Ich will hier die Aufmerksamkeit auf einen Umstand 
lenken, der von tiefster Bedeutung ist. 

Die auf ihre Arbeitsfähigkeit angewiesenen Kranken 
sollen aus den Heilstätten nicht entlassen werden, 
bevor sie arbeitsfähig sind, und die auf die Arbeits¬ 
fähigkeit der Kranken angewiesenen Familienmitglieder müssen 
so lange unterstützt werden, bis die Arbeitsfähigkeit der 
Kranken hergestellt ist. 8 ) 

Entläßt man die Kranken zu früh, so riskirt man rasche 
Recidive, oder die Herabgekommenen verfallen der Bettelei, 
der Vagabundage, dem Alkoholismus und seinen Folgen 
und sie fallen in viel schwererer Form der Gesellschaft 
zur Last. 

Eine andere wichtige Seite der Heimstättenfrage ist 
die, wer sie zu errichten hat. 

Der Philanthropie und der Thätigkeit der Wohlthätig- 
keitsvereine konnte man die Anregung und die ersten Schritte 
überlassen. Die Verpflichtung zu ihrer Errichtung muß aber 
auf die staatlichen Factoren gewälzt werden. Die Heim¬ 
stättenverpflichtung ist eine der Spitals- und Irrenhäuser¬ 
verpflichtung parallele. 

Die Philanthropie arbeitet mit unzureichenden Mitteln; 
sie geht zudem gewöhnlich mit den vorhandenen einseitig 
verschwenderisch um und täuscht unter selbstbewußter Lob¬ 
preisung ihrer Leistungen über die Größe des wahren Be¬ 
dürfnisses. 

Es muß hier aber betont werden, daß auch für die 
private Verpflegung armer Kranker gesorgt werden 
kanD, indem man sie an geeigneten Orten, in geeigneten 
Familien und unter geeigneter ärztlicher Aufsicht, der auch 
die hygienische Vorsorge und Aufsicht an vertraut werden 
muß, unterbringt. Es kann geradezu die Institution der 
Pflegefamilien, wie in der Irrenpflege und im Findel- 
wesen, geschaffen und cultivirt werden. 

Aus einer Colonie solcher Pflegefamilien kann sich 
immerhin ein günstiger Curort entwickeln. 

Wir sind und werden noch lange in Verlegenheit sein, 
was wir mit unseren Kranken anfangen sollen, so lange wir 
vor uns inficirte alte Spitäler haben, ferners nicht sanirte 
Curorte, in denen dazu besonders zur Winterszeit oft die 
Influenza wüthet, während besondere Heilstätten fehlen oder 
in unzureichender Menge vorhanden sind. 

Die Zerstreuung in geeigneter Familienpflege auf dem 
Lande dürfte noch am raschesten zu organisiren sein. 

Wir wollen auf eine andere, heute schon zu Gebote 
stehende Hilfsquelle aufmerksam machen. 

Es gibt heute schon Sanatorien genug, die für die Pflege 
von Tuberculösen herangezogen werden können. 

Es sind dies die sogenannten Kaltwasserheilanstalten, 
die im Winter meist geschlossen, also unbenützt sind. Da 
ihre Anlage meist mit Rücksicht auf Staub-, Nebel- und 
Windfreiheit gewählt wird, so ist auch ihre Benützung im 
Winter angezeigt. Die Sanatorien werden für diesen Zweck 
nach den an den verschiedensten Stellen angedeuteten Regeln 
eingerichtet werden müssen. Sie können gesetzlich auch jetzt 
ohne Anstand Schwindsüchtige aufnehmen. Sie werden aber 
gut thun, zu ihrer eigenen Sicherheit um eine specielle Con- 
cession und um die Controle der Behörde sich zu bewerben, um 
nicht bei den anderen Kranken Angst zu erregen. Solche gut 
eingerichtete und gut geleitete Anstalten können sich seuchen¬ 
frei erhalten, besonders wenn sie die Schwindsüchtigen in 


8 ) Ob es sich als nothwendig erweisen wird , eigene Siechenhäuser für 
Schwindsüchtige zu errichten, wird sich zeigen. 


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eigenen Abtheilungen unterbringen. Besonders auf die Existenz 
einer Heißwaschanstalt wird gesehen werden müssen. 

Außerdem gibt es Hotels und Pensionen in Orten, die 
im Winter sonnenreieh und z. B. in bester Gebirgsluft ge¬ 
legen sind, die weiters unter ärztlicher Aufsicht stehen, im 
Winter in allen Außen- und Gesellschaftsräumen geheizt sind 
und meist mit hydrotherapeutischen und für Therapie über¬ 
haupt geeigneten Räumen versehen sind, ohne für die Tuber- 
culösen benützt zu werden. Solche Aufenthalte sind freilich 
nur Bemittelten zugänglich. 

Orte, wie Salzburg, Gmunden und Ischl z. B. in Oester¬ 
reich, sind gewiß geeignet, um in gut eingerichteten Häusern 
Schwindsüchtigen große Dienste zu leisten. 

Daß man in der Höhe, im Gebirge überhaupt auch 
während des Winters Schwindsüchtige unterbringen kann, 
ist zweifellos, besonders solche Kranke, welche man durch 
frühzeitige Anwendung von hydrotherapeutischen Proceduren 
wetterfest gemacht hat. Solche Kranke können auch im Winter, 
auch in kalten Gegenden die frische Luft im Freien genießen, 
abgesehen davon, daß die Schlaf- und Wohnräume energisch 
luftrein erhalten werden können. 

VII. Gegen die Vererbung. Anzeigepflicht. 

Die Zunahme physisch, geistig und moralisch Degene- 
rirter hat in neuer Zeit vielfach die Frage nach Maßregeln 
aufgeworfen, wie man die Vererbung hindern könne. Die 
Vereinigten Staaten von Amerika sind in dieser Beziehung 
am energischesten vorgegängen. Dies darf uns nicht ver¬ 
wundern. Der senile Zug. der durch viele europäische Ver¬ 
hältnisse geht, fehlt in dem jugendstarken Reiche, in dem 
Initiativ-Individualitäten leichter zur Geltung kommen. Auch 
die Vielgestaltung der „Staaten“-Gesetzgebung bringt es mit 
sich, daß leichter originelle, jugendfrische Gesetzgebung auf 
dem Boden gereifter Wissenschaft und vorurtheilsfreier Ein¬ 
sicht in die factischen Verhältnisse zustande kommt. Am 
ausgiebigsten bekämpft die Gesetzgebung in Michigan die 
Gefahren der Vererbung. Sie bestimmt, daß alle Geistes¬ 
kranken, Epileptiker und dreimal verurtheilten Verbrecher vor 
ihrem Austritte aus dem Spitale oder Gefängniß castrirt 
werden müssen. Außerdem haben manche Staaten Heirats¬ 
verbote für leicht erbliche und ansteckende Kranke gesetzlich 
bestimmt und in Indiana gilt das Heiratsverbot auch für 
Tuberculose. 

Eine Kritik dieser letzteren gesetzlichen Bestimmung 
möchte ich nicht wie die der anderen bis auf den internatio¬ 
nalen Congreß in Madrid verschieben, sondern sie hier üben. 
Welche Tuberculose sind vernünftigerweise unter einem 
solchen Gesetze zu fassen? Etwa Jeder, der eine Spitzen Ver¬ 
dichtung hat, bei dem im Sputum Koca’sche Zellen nach¬ 
gewiesen sind und die einmal an Hämoptoe gelitten haben? 
Alle Welt ist darüber einig, daß die Tuberculose wenigstens 
sehr häufig heilbar sei, und jeder Arzt kennt Väter und 
Mütter, die einmal im Leben selbst bedrohlich an Schwind¬ 
sucht erkrankt waren und dennoch eine gesunde Nachkommen¬ 
schaft haben. Alle Fälle von abgelaufener Tuberculose sind 
daher selbstverständlich von jeder Zwangs- und Prohibitiv- 
maßregel auszunehmen. 

Eine Verhinderung der Ehe hat nur einen Sinn bei 
florider Schwindsucht. 

Die Ehehindernißgesetze werden auch bei solchen Kranken 
nur bewirken, daß in den unteren Schichten der Bevölkerung 
die Concubinate zunehmen, und die männlichen und weiblichen 
Goldfische werden das Gesetz leicht umgehen können. 9 ) 

6 ) Wer sich bei uns für Eheschließungen in den ärmeren Volksclassen 
interessirt, kann oft Gelegenheit finden, in einer Kirche eine Menge gleich¬ 
zeitiger Trauungen zu beobachten, bei denen die Mehrzahl der Bräute sich 
in der letzten Epoche der Schwangerschaft befinden. Soll man den männlichen 
Missethätern in diesen Fällen, wenn sie tuberculös sind, oder den kranken 
Mutterbräuten das Eingehen in die Ehe unmöglich machen. Wenn der Um¬ 
stand der Schwangerschaft aber als Ausnahme vom Gesetze anerkannt wird, 
dann werden sich die Leute die Ausnahme verschaffen. 


Für die außereheliche Zeugung sind aber diese Gesetze 
wirkungslos. Ganz ungeheuerliche Verhältnisse würden sich 
aber herausbilden, wenn es hygienischen Puristen gelingen 
sollte, auch für Tuberculose die Castration analog der Gesetz¬ 
gebung in Michigan durchzusetzen. Bei der herrschenden 
tobsüchtigen Operationswut.h unserer Tage würde die Mensch¬ 
heit decimirt werden. Nicht einmal schwer belastete Indi¬ 
viduen rechtfertigen die äußersten Maßregeln, weil die 
Gesundung nicht ausgeschlossen ist und die Vererbung keine 
absolut fatale ist. Uebereiltes Schicksalspielen führt leicht 
zu Schicksalstragödien für die Gesellschaft. 

Am meisten nützlich ist es, wenn, wie in Italien, in 
die Massen die Ueberzeugung hineingetragen wird, daß das 
geschlechtliche Zusammenleben mit Schwindsüchtigen die Ge¬ 
sundheit gefährdet und die Gefahr einer kranken Nachkommen¬ 
schaft sehr groß ist. 

Ich will nun für den speciellen Fall schon erwähnen, 
daß es angezeigt ist, daß gesetzlich bestimmt werde, daß 
jede Verlobung jedem Theile, wie bei Lebensversicherungen, 
das Recht verleiht, zu verlangen, daß der andere Theil ein 
Gesundheitszeugniß beibringe, und zwar auch durch Aerzte, 
die das Vertrauen des nachforschenden Theiles genießen. 
Selbstverständlich müssen für diesen Fall die Aerzte ge¬ 
setzlich von der Wahrung des Berufsgeheimnisses entbunden 
werden. 

Dies führt uns dazu, überhaupt die von mancher Seite 
vorgeschlagene allgemeine ärztliche Anzeigepflicht 
bei Schwindsucht zu- erörtern. Diese gesetzliche Verpflichtung 
wäre eine der ärgsten Mißgriffe, die je von ärztlicher Seite 
ausging. Da es unwahr ist, daß im Allgemeinen auch unter 
günstigen hygienischen Verhältnissen der Umgang mit Schwind¬ 
süchtigen und ihre Pflege gefährlich ist, so würde leicht die 
Anzeigepflicht verhängnißvoll werden. 

Man denke, welche Gefahr es überhaupt nach sich zieht, 
wenn man im Publicum eine unnöthige Panik verursacht. 
Ich habe es unmittelbar nach der KocH’schen Entdeckung 
und den daraus gezogenen voreiligen Schlüssen erlebt, wie 
viele schlimme Consequenzen daraus hervorgingen. 

Man bedenke doch, daß die Anzeigepflicht nur einen 
Sinn hätte, wenn die Behörde zur Isolirung der Kranken 
schritte. Wenn wir schon bei jeder Spitzendämpfung mit 
Knisterrasseln oder bronchialem Athmen und mit Auswurf 
von KocH’schen Zellen die Anzeige erstatten müßten, würden 
zahllose Erzieher und Erzieherinnen , überhaupt alle Be¬ 
diensteten in den Familien, in den Comptoirs und Werkstätten 
brotlos, trotzdem der Ausspruch, daß der Umgang mit ihnen 
gefährlich sei, nur zum kleinen Theile richtig ist. Nicht 
Anzeigepflicht, sondern Anzeigerecht soll den Aerzten 
gewahrt werden. Ein solches soll nur in besonders gefähr¬ 
lichen Fällen geübt werden. So z. B. kann eine hochgradig 
tuberculose Volksschullehrerin gefährlich werden , wenn 
scrophulöse, anämische, katarrhalisch afficirte Kinder in der 
Schule sind. Dabei müßte aber die Gesellschaft den vollen 
Arbeitsertrag ersetzen, wenn wir nicht größtes Elend schaffen 
wollen. 

Man sieht, daß der Gesetzgebung in der Tuberculosen- 
frage ein weiter Spielraum gegeben ist, und ein Tuberculosen- 
gesetz, das sich mit der Pflicht zur Anlegung von Heilstätten 
und dem dabei zu beobachtenden Vorgang befaßt, das die 
Sanirung und Ueberwachung der Curorte, die Entfernung des 
Gemeingefährlichen aus ihrem Kreise u. s. w. bezweckt, zum 
Segen werden kann. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 12. 


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Referate. 

Linossie (Vichy): Die Ernährung bei Hyperchlorhydrie. 

Bei allen Formen von Hyperchlorhydrie, ob dieselbe nun in 
einer abnormen Erregbarkeit der Magennerven oder einer Gastritis, 
einer Pylorusstenose oder einer sonstigen Magenaffection ihre Ur¬ 
sache hat, besteht die stricte Indication, durch eine geeignete Er¬ 
nährung die Ausscheidung der Salzsäure möglichst zu vermindern. 
Die Frage, ob man in derartigen Fällen vorzugsweise stickstoff¬ 
haltige Nahrungsmittel oder Kohlehydrate verordnen solle, ist 
nicht ganz leicht zu entscheiden. Denn bei eiweißreicher Nahrung, 
besonders auch Fleischgenuß, ist die IIC1 Ausscheidung wesentlich 
stärker als bei Zuführung von Kohlehydraten, andererseits wird 
gerade durch die Albuminate ein großer Theil der secernirten freien 
Salzsäure gebunden und die so entstandenen HCl-Eiweißverbindungen 
reizen die Magenwand sehr viel weniger als die freie Salzsäure. 
Pflanzliche Nahrungsmittel wieder werden bei Hyperchlorhydrie sehr 
schlecht verdaut, und in den Stühlen der Kranken findet man große 
Mengen unveränderter Stärke. Es erscheint daher irrationell, den 
Patienten Kohlehydrate zuzuführeu, die sie nicht ausnutzen können 
und die beim längeren Verweilen im Magen dies Organ reizen 
müssen. Verf. empfiehlt deshalb folgendes Vorgehen („Therap. 
Monatsh.“, 1902, Nr. 2): 

Handelt es sich um Fälle, in denen man der Entwickelung 
der Hyperchlorhydrie zuvorkommen will oder w r o das bereits be¬ 
stehende Uebel nur geringe Beschwerden verursacht, oder um die 
Intervalle in den Anfällen intermittirender Hyperchlorhydrie, so ver¬ 
ordne man eine stickstoffarme, also im Wesentlichen vegetabilische 
Nahrung. In allen Fällen dagegen mit starken Schmerzen und heftigen 
Beschwerden ist eine eiweißreiche Nahrung am Platze. Sie wird sehr 
gut ausgenutzt und vermindert dadurch, daß sie die freie Salzsäure 
bindet, fast augenblicklich die Beschwerden der Kranken. Natürlich 
müssen dabei diejenigen Nahrungsmittel bevorzugt werden, die die 
HCl-Secretion am wenigsten steigern. Am beträchtlichsten ist sic 
bei Fleischnahrung, man verbietet deshalb Fleisch am besten ganz. 
Geringer ist sie schon bei Genuß von Eiern, am schwächsten aber 
bei Milch. Letztere kommt deshalb hier in erster Reihe in Betracht, 
zumal sie dank der feinen Vertheilung des Caseins am besten die 
freie Salzsäure bindet und demgemäß die Beschwerden, die von der 
Superacidität abhängen, am wirksamsten lindert. Wegen dieser 
vorzüglichen Eigenschaft wäre die Milch bei allen alten Formen 
von Hyperchlorhydrie am Platze, wenn es nicht Fälle gäbe, in 
denen sie nicht vertragen wird. Gerade in manchen schweren Formen 
von Hyperchlorhydrie mit Stase kann sie zu Fermentation Veran¬ 
lassung geben und hier scheint ihr rohes Fleisch überlegen zu sein. 
— Endlich sind auch Fette bei Hyperchlorhydrie indicirt. Denn 
wie neuere Untersuchungen (Ewald, Boas, Penzold, Pawlow etc.) 
gezeigt haben, wird durch sie die Magensaftsecretion, namentlich 
aber die Totalacidität und die freie HCl vermindert. Dazu kommt, 
daß die Fette von den Patienten vorzüglich ausgenutzt werden und 
keine Verdauungsbeschwerden hervorrufen ; man verordnet sie am 
besten in Form von Butter oder Sahne. G. 


Aus der ehlriir gischen Klinik zu Marburg (G ehein t- 

rath Küster). 

Enderlen und Justi : Ueber die Heilung von Wunden 
der Gallenblase und die Deckung von Defecten 
der Gallenblase durch transplantirtes Netz. 

Nachdem Enderlen früher über Deckung von Defecten der 
Blase und des Magens durch transplantirtes Netz berichtet hatte, 
dehnte er gemeinsam mit Justi („Deutsche Zeitschrift für Chirurgie“, 
Bd. 61, Heft 3 u. 4) die Versuche auf die Gallenblase aus. Aus 
ihren Versuchen an Kaninchen und Hunden schließen sie, daß 
Wunden der Gallenblase mit vollständigem Ersätze der Schleimhaut 
heilen ; reichliche Abstoßung und verhinderter Abfluß der nekrotischen 
Massen verzögern die Heilung. Das neugebildete Epithel zeigt in 
der ersten Zeit niedere Formen, welche später in die hohen Cylinder- 
epithelzellen übergehen. Die Regeneration der Muscularis ist wenig 


ausgedehnt. Ein Fortwuchern des Epithels längs den Seidenfäden 
in die Tiefe findet nur in sehr seltenen Fällen statt. 

Was die Transplantationsversuche ergaben, sagen folgende 
Sätze: Das transplantirte Netz ist vollkommen geeignet, Defecte 
der Gallenblasenwandung zu ersetzen. In dem transplantirten Netze 
kommt es zu Bindegewebswucherung und später zu Schrumpfung. 
Auf dem transplantirten Netze bildet sich sehr bald ein Epithel¬ 
überzug , der sich mit der darunter liegenden, neugebildeten 
Schleimhaut in Falten erhebt. Der ursprüngliche Defect verkleinert 
sich infolge der Schrumpfung des Netzes und der Contraction der 
Muscularis. Praktisch kommt die Transplantation des Netzes selten 
in Frage. Die aufgeschnittene und auf die Leber ausgebreitete 
Gallenblase des Hundes wird wieder unter Mitwirkung der an¬ 
liegenden Leberlappen zu einem Hohlraume geschlossen. R. L. 

Achilles Nordmann (Basel): Ueber einen positiven chemi¬ 
schen Befund bei Unverträglichkeit der Mutter¬ 
milch. 

Die meisten Autoren stehen auf dem Standpunkt, daß für 
die Verträglichkeit der Muttermilch nur ihre Quantität, sowie die 
Gesundheit der Stillenden ausschlaggebend sei. 

Bei einer II-para, welche ihr erstes Kind mit bestem Erfolge 
gestillt hatte, zeigte das zweite Kind nach jedesmaligem Trinken 
eine durch Kolik , Diarrhoe und verminderte Gewichtszunahme 
charakterisirte Ernährungsstörung, während bei zeitweisem und 
später völligem Absetzen von der Brust der Ernährungs- und Aus- 
scheidungsproceß in normaler Weise vor sich ging. („Monatsschr. 
f. Geburtsh. u. Gynäk.“, Februar 1902.) Der Gesundheitszustand 
der Mutter und die mikroskopische Untersuchung der Milch er¬ 
gaben normale Verhältnisse. Bei der chemischen Analyse erwies 
sich jedoch die Fähigkeit der ungekochten Frauenmilch, Wasser¬ 
stoffsuperoxyd in Wasser und freien Sauerstoff zu zerlegen — 
die sog. STORCH’sche Reaction — als fehlend. Beim Mangel eines 
jeden anderen Anhaltspunktes muß man also schließen, daß das 
Fehlen dieser Reaction , welche auf einen noch wenig gekannten 
„activen“ Bestandtheil der Frauenmilch zurückzuführen ist, für die 
Ernährungsstörung des Säuglings verantwortlich zu machen sein 
dürfte. Die klinische Beobachtung des Falles lehrte hiebei, daß 
sich der Mangel des „Fermentes“ erst im Darm fühlbar machte, 
für die Magenverdauung aber ohne Einfluß war. Fischer. 


Milbradt (Bernau): Eine Oberarmfractur durch Muskel¬ 
zug. 

Die durch Muskelzug entstandenen Fracturen des Oberarms 
sind namentlich durch Wurf- und Schleuderbewegungen verursacht. 
Der Humerus ist dann in der Regel dicht unter dem Deltoides- 
Ansatz fracturirt. M. hat („Berl. klin. Wsclir.“, 1902, Nr. 7) einen 
auf eigenartige Weise zustande gekommenen einschlägigen Fall 
beobachtet. Die Verletzung entstand während einer Kraftprobe, die 
so angestellt wurde, daß der Verletzte und sein Gegner an der 
Querseite eines Tisches Platz nahmen, die rechten Ellbogen fest 
und dicht aneinander auf den Tisch setzten nnd die Hände dann 
in der Weise verschränkten, daß die Daumen sich verhakten. 

Nach der so eingenommenen Kampfstellung versuchte der 
Förster im ersten Gange den Arm seines Gegners herabzudrücken, 
jedoch vergeblich. Im zweiten Gange sollte nun der Arm des 
Försters herabgedrückt werden. Der Förster spannte seine Muskel¬ 
kräfte aufs äußerste an , um seinem Gegner das Gleichgewicht zu 
halten Plötzlich knackte es, und unwillkürlich ließen die Kämpfer 
von weiterem Ringen ab. Der Förster war sofort außer Stande, 
seinen Arm zu gebrauchen. Jeder Versuch einer Bewegung ver¬ 
ursachte ihm große Schmerzen. Der beigezogene Arzt constatirte 
eine Fraetur dos rechten Oberarms handbreit über dem Ellbogen¬ 
gelenk. Es bestand eine Dislocation mit nach vorn spitzem Winkel, 
die sich sehr leicht durch Zug ausgleichen ließ. Die Fraetur heilte 
in der üblichen Zeit unter einer Gypsschiene. Der Arm ist zur 
Zeit wieder vollkommen gebrauchsfähig. G. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 12. 


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BoRCHARD(Posen): Ueber luetische Gelenkserkrankungen. 

Die Existenz luetischer Gelenkerkrankungen ist zweifellos ; 
primär werden die Gelenke sowohl im acuten Stadium beim Aus¬ 
bruch des Exanthems, als in der tertiären Periode ergriffen, auch 
congenital-secundär nur bei den Ostitiden und Periostitiden. Acut 
tritt die Erkrankung zumeist im secundären Stadium der Lues auf 
und bleibt meist in einem größeren Gelenke monoarticulär, es kommt 
dabei nur zu einem Hydrarthros ohne Eiterang uud ohne heftige 
Schmerzen und unter grauer Salbe heilt der Proceß rasch ab. Für 
die chronische Form der primären syphilitischen Gelenkserkrankung 
ist die Gummabildung in der Synovialis oder im parasynovialen 
Gewebe oder im Gelenkknorpel charakteristisch. Ein derartiges, 
durch Arthrectomie gewonnenes Präparat beschreibt Borchard 
(„Deutsche Ztschr. f. Chirurgie“, Bd. 61, H. 1/2); es stammt von 
einer 29jährigen Frau, die sich in der XI. Gravidität befand, uud 
deren Kinder bis auf das erste theils abortirt waren, theils todt- 
geboren waren, theils kurze Zeit lebten. An der Innenseite des 
oberen Ansatzes der Kniegeleukkapsel ragte ein reichlich taubenei¬ 
großer Gummaknoten in das Gelenk hinein, während mikro¬ 
skopisch Gummata in den die Synovialis auskleidenden Zotten zu 
finden waren. Die ganze Erkrankung war als eine primärsynoviale 
aufzufassen. Der acute Ilydrops syphiliticus gehört der secundären 
Periode an, während die tertiäre Periode solche Gummata oder chro¬ 
nischen Hydrops mit allen Folgen (Erschlaffung der Gelenkkapsel, 
seitliche Beweglichkeit im Knie, Verdickung der Kapsel) erzeugt. 
Therapie aller Formen ist natürlich zunächst die antiluetische ; wo 
sie nicht zum Ziele führt, die übliche operative der Gelenkleiden. 
Oft ist das functioneile Resultat der operirten Fälle besser als das 
der antiluetisch behandelten. R. L. 


R. Sievers (Heisingfors): Zur Kenntniß der Embolie der 
Arteria meeeraica superior. 

Eine Frau von 56 Jahren mit Aneurysma in der abwärts¬ 
gehenden Aorta erkrankt plötzlich unter heftigen Schmerzen und 
starker Kräfteabnahme. Der Bauch wird ein wenig aufgetrieben, 
eine gelinde diffuse Empfindlichkeit über demselben läßt sich con- 
statiren, Uebligkeit und einiges leichtes Erbrechen finden statt mit 
schmerzhaften Tenesmen ohne Abgang von Fäces oder Blut. Nach 
29 Stunden erfolgt der Tod. — In der oberen Gekröseader, un¬ 
mittelbar nach ihrem Austritt aus der Bauchaorta, wird ein Embolus 
von 6 Cm. Länge gefunden. Die Därme sind einen Meter abwärts 
Vom Pylorus bis zu 70 Cm. unterhalb der Valvula Bauhini gleich¬ 
mäßig roth, succulent, nicht sonderlich stark meteoristisch auf¬ 
getrieben, mit einem braunröthlichen flüssigen Inhalt. Völlig normal 
und mit einem Inhalt von gewöhnlicher Beschaffenheit sind Magen, 
Duodenum, der Obertheil von Jejunum und Colon descendens; in 
diesem finden sich feste normalfarbige Excremente. („Berliner klin. 
Wochenschr.“, 1902, Nr. 9.) 

Vergegenwärtigt man sich alle Verzweigungen des oberen 
Gekrösendes im Hinblick auf den Umfang der Darmveränderungen 
bei vorliegendem Fall, so erwies es sich, daß der weiturafassendc 
Theil des Darmcanals, den jene Ader mit Blut versieht, angegriffen 
wurde. Verändert waren mithin der größere Theil des Jejunum, 
das ganze Ileum, Cöcum, das aufsteigende und quergehende Colon 
oder alle die Theile, welche durch die Nebenzweige der genannten 
Arterie, die Jejunales et Ilei, Ileoeolicae, Colica dextra und Colica 
media, mit Blut gespeist werden. Gesund blieben nur Duodenum, 
der Obertheil des Jejunum bis zu einem Meter unterhalb des 
Pylorus und Colon descendens von 70 Cm. ab unterhalb der Valvula 
Bauhini. Die Veränderungen sind diejenigen, welche beim Infarct 
sogenannter Endarterien einzutreffen pflegen. Die obere Gekrösader 
ist aber bekanntlich keine Endarterie in diesem Sinne. Mittels der 
Colica media verbindet sie sich nämlich abwärts beim Uebergang 
vom Colon transversum in das Colon descendens mit der Colica 
sinistra aus der unteren Gekröseader. Aufwärts verbindet sich die 
obere Gekröseader mittels des Nebenzweiges der Duodenalis mit der 
Gastroduodenalis aus der Arteria coeliaca. Die obere Gekröseader, 
obwohl anatomisch keine Endarterie, kann jedoch functioneil als 


solche angesehen werden. Es ist nämlich ausgeschlossen, daß das 
lange infareirtc Darmstück, d. h. nahezu der ganze Darmcanal, 
plötzlich durch die genannten Anastoraosen mit Blut gespeist werden 
könnte. B. 


Aus der kaiserlichen chirurgischen Vnirersitäts- 
kfinik zu Kyoto (Japan). 

H. Ito und Omi : Klinische und experimentelle Beiträge 
zur chirurgischen Behandlung des Ascites. 

Nachdem sich schon viele Autoren gemüht hatten, den Ascites 
chirurgisch zu behandeln, so daß dem gestauten Blute ira Pfort¬ 
adersysteme irgend welche neue Bahnen geschaffen wurden, haben 
Ito und Omi diese Frage aufgegriffen („Deutsche Zeitschr. f. Chi¬ 
rurgie“, Bd. 62, H. 1/2). Fünf nach Talma-Drumond operirte 
Fälle ergaben ein schlechtes Resultat, da vier tödtlich endeten. 
Aus den so gewonnenen klinischen Erfahrungen und vielen Experi¬ 
menten an Hunden aber glauben Ito und Omi schließen zu dürfen, 
daß man bei chirurgischer Behandlung des Ascites nach einer 
möglichst breiten Verwachsung der Baucheingeweide unter einander 
und mit der Bauchhaut streben muß. Die Omentofixation bilde nur 
einen Theil vom Ganzen, gleichviel, ob man das Netz intraperitoneal 
oder extraperitoneal annäht. Eine ausgiebige lockere Tamponade 
der ganzen Bauchhöhle mittelst eines sehr langen sterilen Gaze¬ 
streifens für 24 Stunden würde für diese Absicht sehr empfehlens- 
werth scheinen, und vielleicht würde solcher Art die Talma-Dru- 
MOND’sche Operation doch noch eine Zukunft haben. R. L. 


DeJong (Leyden): Experiences comparatives sur l’action 
pathogene pour les animaux, notamment pour 
ceux de l’espöce bovine, des bacilles tuberculeux 
procurant du boeuf et de l'homme. 

Seit Robert Koch in seinem viel besprochenen Vortrage in 
London im Vorjahre den Aufsehen erregenden Satz ausgesprochen, 
daß er auf Grund seiner Versuche die Menschen- und Rindertuber- 
culose für verschieden halten müsse, steht diese Frage im Vorder¬ 
grund des Interesses und jeder experimentelle Beitrag zu ihrer 
Lösung ist sehr willkommen. In der vorliegenden Arbeit („Semaine 
medicale“, 1902, Nr. 3) berichtet nun Verf. über Versuche, die 
er mit einem Stamm von Rindertubereulose und fünf Stämmen von 
Menschentuberculose anstellte, indem er sie intravenös, mehrmals 
auch intraperitoneal an verschiedene große Tbiere verimpfte; zur 
Verwendung gelangten Ziegen, Schafe, Ochsen, Affen, Hunde, ein 
Pferd, Kaninchen und Meerschweinchen. Bei diesen Versuchen, die 
noch vor dem erwähnten Vortrage Koch’s beinahe vollständig ab¬ 
geschlossen waren, ergab sich, daß sämmtliche Ziegen, 
Schafe und Rinder an Tuberculose erkrankten, 
gleichgiltig ob Rinder- oder Menschentuberculose 
verimpft wurde, daß jedoch die Bacillen der Rindertubercu- 
lose für das Rind viel virulenter sind als die der Menschen¬ 
tuberculose. Die Versuche de Jong’s stehen somit in directem 
Widerspruch mit denen Koch’s, der auf Grund seiner Ergeb¬ 
nisse weittragende Schlußfolgerungen ziehen zu können glaubte. 
Im Gegensätze zu Koch kommt daher Verf. gestützt auf seine Ver¬ 
suche, die hier nur im Wesentlichen wiedergegeben wurden, zu 
dem Schlüsse, daß die Rindertuberculose in Bezug auf die Hygiene 
des Menschen mehr Aufmerksamkeit verdient, als man ihr bisher 
geschenkt hat. Dr. S—. 


Kleine Mittheilungen. 

— Für die palliative Behandlung inoperabler Gebärmutter¬ 
krebse hat Torggler gute Resultate mit der Anwendung von 
Wasserstoffsuperoxyd und Formalin erzielt („Berl. klin. Wschr.“, 
1901, Nr. 51). Die H., O a -Lösung bewirkt eine sehr rasche Reini¬ 
gung des jauchenden und gangränescirenden Carcinoms unter gleich¬ 
zeitiger, stark desodorirender Wirkung. Im Augenblick, in welchem 
das H 2 0 2 mit der wunden Fläche in Berührung kommt, entsteht 


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eine starke Schaumbildung durch Sauerstoffentwickelung. Sein Ver¬ 
fahren ist folgendes: Im Speculum wird das Carcinom eingestellt, 
mit Tupfern möglichst gereinigt, sodann die Wundfläche mit von 
zwölfgewichtsprocentiger H 2 0.,-Lösung getränkter Jodoformgaze 
tamponirt; darauf kommt noch ein trockener Tampon. Die Tampons 
bleiben 2—4 Tage liegen. Schon jedesmal nach dem ersten Tampon¬ 
wechsel beobachtete Verf. ein völliges Schwinden des penetrantesten 
Geruches, Nachlassen der copiösen Secretion, granulirende Stellen 
statt des jauchigen Gewebszerfalls. Bei jeder neuen Application 
ißt die Schaumentwickelung geringer und gibt so einen Maßstab 
für die fortschreitende Reinigung der Wundflächen. Nachdem die 
ulcerirten Partien sich gereinigt, schließt er fast immer eine 
Palliativoperation (Ausschaben, Blutstillung mit dem Paquelin) an; 
Ausstopfen des Wundtrichters mit einem mehrere Tage lang liegen 
bleibenden Fächertampon. Zur weiteren Trockenhaltung, Verkleine¬ 
rung der Wundhöhle und Herbeiführung der Vernarbung wendet 
er mit gutem Erfolge Formalin an. Nach Entfernung des Fächer¬ 
tampons wird in den Krater für 5 —10 Minuten ein in 4°/o Formalin¬ 
lösung getauchter Wattetarapon für die erstenmale eingelegt; später 
wird 10 oder 4O°/ 0 iges Formalin verwendet. Durch Abtupfen ist einer 
Verätzung der gesunden Vaginalschleimhaut oder des Introitus 
vorzubeugen. In 6 — 10 Tagen Abstoßung des Formalinschorfes. 
Nach der zweiten oder dritten Application tritt schon eine Mumi- 
fication des Gewebes ein, die Wundhöhle verkleinert sich, das 
Secret verschwindet. Nur in einigen Fällen wurden nach Ver¬ 
wendung unverdünnten Formalins leichte Schmerzen beobachtet. 

— Aus den dermato-therapolitischen Notizen von Sellei 
(„Klin.-ther. Wschr.“, 1901, Nr. 51) entnehmen wir: Ad der 
Budapester dermatologischen Universitätsklinik wird in Fällen von 
Blennorrhoea meistens Protargol verschrieben. Man gibt den Patienten 
% und V 2 %ige Lösungen zur Einspritzung; nach Ablauf der acuten 
Entzündungsprocesse werden Einspritzungen mit dem Ultzmann- 
schen Tropfapparate applicirt. Die Lösungen werden in folgenden 
Concentrationen verwendet: Zuerst l°/ 0 4—5mal nacheinander, 
dann ebenso oft 2%, späterhin 3°/ 0 Lösung, später gebraucht 
man 5, 10, schließlich 15% Lösungen. Die erzielten Resultate waren 
befriedigend. Außer dem Protargol werden in einigen chronischen 
Fällen auch Cuprum sulfuricum, desgleichen die anderen üblichen 
Behandlungsmethoden verwendet. 

— Einen Fall von plastischer Restitution der Nasenspitze 
beschreibt Herzen („Aerztl. Sachverst.-Ztg.“, 1901). Der 39jähr. 
Patientin wurde von einem betrunkenen Manne die Nase abgebissen. 
Nach dem Krankenhause kam die Patientin er6t nach 3 Tagen, 
als die Nasenspitze bereits in Fäulniß übergegangen war. Es waren 
abgebissen: die Nasenflügel in einer Ausdehnung von 1'5 Cm. von 
der Basis und ein über 2 Cm. großes Stück des Septums. Die 
Wunde an den Nasenflügeln und am Septum war verheilt. An der 
Verbindungsstelle der Nasenflügel mit dem Nasenrücken bestanden 
jedoch noch reichliche Granulationen, die ein rothes Gewächs von 
der Größe einer Himbeere bildeten. H. führte nun folgende Ope¬ 
ration aus: Von der Haut der Stümpfe der Nasenflügel schnitt er 
je einen kleinen Lappen aus, die in ihrem oberen Theile schmäler, 
im unteren breiter (0 3—0'5 Cm.) waren, und wendete die beiden 
Lappen der Mittellinie zu. Hierauf löste er durch eine an der 
Spitze des Stumpfes der Nasenscheidewand geführte longitudinale 
Incision beiderseits die vernarbte Schleimhaut von Verwachsungen 
und schob die erstere etwas nach hinten und fixirte sie hier mittels 
2—3 Nähten. Jeder der nach innen gewendeten Lappen wurde an 
dem entsprechenden freien Rande der Schleimhaut des Septums 
fixirt, wodurch vollständige Restitution der Nasenhöhle erreicht 
wurde. Hierauf wurde der rechten Wange ein Hautlappen von 
entsprechender Größe entnommen, dessen Basia an der rechten 
Seite des Knochengerüstes der Nase zu liegen kam, und der 
an die bei der vorangehenden Operation angefrischte Oberfläche 
transplantirt und sorgfältig an die Ränder des Defects genäht 
wurde. Die Wunde der Wange wurde mittels Naht geschlossen. 
Die Spitze des Ilautlappens wurde an die Ueberreste der Basis 
der Nasenscheidewaud genäht und in das Nasenloch ein Drain 
eingeführt. Am 8. Tage nach der Operation wurden säinmtliche 
Nähte entfernt. Ueberall trat Heilung per primam ein. Sämmtliche 


Lappen waren gut verwachsen; nur derjenige schmale Theil des 
Hautlappens, der dicht unter der Nasenspitze das Hautseptum 
bilden sollte, wurde nekrotisch. Nach 34 Tagen wurde die Patientin 
als geheilt entlassen. Die Länge der.Nase betrug 5 Cm., von denen 
2'1 Cm. auf den implantirten Lappen kamen. 

— Ueber Hedonal berichtet v. Rad (Aerztl. Verein zu 
Nürnberg, 1901, 18. Juli) an der Hand von Versuchen mit diesem 
Schlafmittel, die an 40 Patienten angestellt wurden. Ueberein- 
stimmend mit den bisher veröffentlichten Berichten wurden die 
besten Resultate erzielt bei Fällen von uncomplicirter nervöser 
Schlaflosigkeit. Wechselnd war der Erfolg bei melancholischen 
Kranken und Alkoholikern. Völlig versagt hat das Mittel auch in 
höheren Dosen bei psychischen Aufregungszuständen. Die durch¬ 
schnittlich angewandte Dosis betrug 1'5 Grm. Unangenehme Neben¬ 
wirkungen wurden auch bei länger fortgesetzter Darreichung des 
Mittels nicht beobachtet. 

— Die therapeutische Wirkung der intravenösen Injection 
von metallischem Jod erörtert Spolverini („Klin.-therap. Wschr.“, 
1902, Nr. 1). Dasselbe bewährt sich als vorzügliches Heilmittel 
bei Tuberculose der Kinder, bei chronischem Rheumatismus und 
bei Lues. Bei Tuberculose genügen Dosen von 5 Ctgrm. jeden 
3. Tag, bei den übrigen Erkrankungen sind größere Dosen noth- 
wendig. Sie sind vollkommen gefahrlos und rufen selbst bei Kindern 
niemals bemerkenswerthe Störungen hervor. An tuberculöser Peri¬ 
tonitis und Lymphadenitis leidende Kinder wurden nach 8 bis 
11 Injectionen ä 5 Ctgrm. geheilt. „Es ist wohl nichts wünschens- 
werther, als daß die Angaben von S. von anderer Stelle Bestätigung 
fänden.“ Auch der chronische Gelenksrheumatismus wurde nach 
Jodinjectionen ä 21 Ctgrm. dauernd geheilt. Bei syphilitischen Affec- 
tionen genügen 7 Injectionen. 'Die größte Dosis betrug 5 Ctgrm. 
bei Kindern, 28 Ctgrm. bei Erwachsenen. Nur bei letzterer spürten 
die Kranken ein leichtes Brennen, welches nach 15—20 Secunden 
verschwand ; niemals trat Jodismus, niemals Alteration der Nieren 
oder des Blutes auf. Im Urin läßt sich das Jod bis zum 3. Tage 
nach der Injection nachweisen. Die einzige Veränderung, die sich 
in den Venen nachweisen ließ, war eine 10—12 Cm. lange Indu¬ 
ration, die ein paar Tage nach der Injection auftrat und schmerzlos 
war. Die genauen Untersuchungen ergaben eine kleinzellige Infil¬ 
tration der Media und Adventitia, Intactheit des Endothels und 
Fehlen jeglicher Thrombenbildung. Die Induration kann, namentlich 
bei Kindern, nach 25—30 Tagen verschwinden, bei Erwachsenen 
persistirt sie häufig und organisirt sich. Verf. empfiehlt das Ver¬ 
fahren wegen der günstigen Heilerfolge und der Ungefährlichkeit 
und Leichtigkeit der Anwendung desselben. Zu den Injectionen 
wurde folgende Lösung angewendet: 


Rp. Jod. pnr. 1*50 

Kal. jod.. 5’0 

Aq. dest. steril..100 0 


— Einen Beitrag zur Wirkung der Albumosenpräparate 

bringt Rölig („Deutsche Praxis“, Zeitschr. f. prakt. Aerzte, Nürn¬ 
berg 1902, Nr. 1). Als beste und rationellste Art der Darreichung 
von Somatose hat R. gefunden, den ganzen Tagesbedarf in einem 
Glas Wasser durch einfaches Aufschütten des Pulvers (4—5 Kaffee¬ 
löffel voll), ohne umzurühren, lösen und diese concentrirte Lösung 
in kleinen Portionen als Zusatz zu den verschiedenen Mahlzeiten 
verwenden zu lassen. Abgesehen von wenigen Fällen, ließ Verf. 
das Präparat nur als eiweißreiche, kräftige Beikost zu anderer, 
dem jeweiligen Zustande des Patienten angepaßter Nahrung zu¬ 
setzen. Der Erfolg darf hier nicht gleich nach einigen Tagen 
erwartet werden. 

— Das Glykogen empfiehlt b8i consumirenden Krankheiten 

Rörig („Aerztl. Rundschau“, 1900). Er verabfolgt das Mittel bei 
Tuberculose, inoperablen Carcinomen, schwerem Puerperalfieber etc., 
mit dem angeblichen Erfolge, daß der Appetit rasch eine starke 
Anregung erfährt und Hand in Hand damit der Allgemeinzustand 
sich hebt. Außerdem schreibt R. dem Mittel bei der Phthisis 
pulmon. aber auch einen directen Einfluß auf den ZerstÖrungs- 
proceß in den Lungen zu, indem er seitens des Medicamentes eine 
den Vernarbungsproceß günstig beeinflussende Wirkung annimmt. 
Beim Typhus soll dem Eintreten der Herzschwäche mit Erfolg 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 12. 


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begegnet werden können, im Verlauf von Puerperalfiebern hat sich 
nach R. das Glykogen als ein Antisepticum ausgezeichneten Ranges 
bewährt. R. verwendet folgende Receptformeln : 


Rp. Glycogeni. 0'2 

Aq. destill.10 0 

D. S. täglich einmal 2 Spritzen zu injiciren 

(weite Canüle). 

Rp. Glycugeni. 3'0 

Aq. destill.60'0 

D. S. Auf einmal zu injiciren, bei schweren 

septischen Fiebern und Phthisis consum- 

ptiva. 

Rp. Glycogeni. 2'0 

Ammon, carbon. 0'5 

Aq. fontis.50'0 

D. S. Zum Klysma. 

Rp. Glycogeni. 5'0 

Ammon, carbon. 3'0 

Sacchar. solubilis. 0'9 

Past. Cacao pur. 80 

M. lege artis ut fiant pastilli Nr. X. 

S. Täglich 2 Pastillen zu nehmen. 

Rp. Glycogeni, 

Creosot. valerian.aa. 0'3 

D. ad capsul. gelatin. 


S. Morgens und Abends eine Kapsel zu nehmen. 

— Ueber SalOChinin berichtet Tauszk („Klin.-ther. Wschr.“, 
1902, Nr. 1), der Gelegenheit hatte, das Salochinin in Fällen von 
Neuralgia supraorbitalis, Influenza, Ischias, Tabes dorsalis (gegen 
die lancinirenden Schmerzen), Tonsillitis follicularis, Muskelrheu¬ 
matismus, Polyarthritis acuta febrilis, Polyarthritis chron., Typhus 
abdominalis anzuwenden; es hat sich fast ausnahmslos als anti¬ 
neuralgisches Mittel bewährt. Die Patienten vertragen es gut. Die 
einfache Dosis war 0'5—1*0, das Maximum der Tagesdose 3 Grm. 
Ohrensausen, Schwindel und andere unangenehme Nebenwirkungen 
konnte T. nie beobachten. Das Salochinin vereint in sich bezüglich 
seiner Wirkungsweise die Eigenschaften des Chinins mit jenen des 
Salicyls. Besonders die analgetische Wirkung ist sehr bedeutend. 

Literarische Anzeigen. 

Die chronische Stuhlverstopfung in der Theorie und 
Präzis. Von Prof. Dr. Wilhelm Ebstein. Stuttgart 1901, 
Ferdinand Enke. 

„Die habituelle Darmträgheit und ihre so häufige Folge, die 
chronische Stuhl Verstopfung, und die mit beiden vergesellschafteten 
großen und kleinen Leiden, zählen unbestritten unter die lästigsten 
und häufigsten Plagen des Menschengeschlechtes.“ Diese Worte des 
großen Klinikers E. kann jeder Arzt beim Eintritte in die Praxis 
und auch später oftmals nicht genug beherzigen. Die Ausführungen 
des erfahrenen Therapeuten tragen den Anforderungen der Theorie 
und der Praxis vollkommen Rechnung und weisen zudem auf eine 
geradezu erstaunliche Literaturkenntniß hin. Der Inhalt gliedert 
sich in 10 Capitel: Definition und klinische Terminologie, Aetio- 
logie, Klinisches und Anatomisches, Ursachen der chronischen Stuhl¬ 
verstopfung, Dauer, Verlauf und Ausgang, Diagnose, Prognose, 


Feuilleton. 

Budapester Briefe. 

(Orig.-Corresp. der „Wiener Mediz. Presse“.) 

II. 

In den Spalten dieser vielgelesenen Zeitschrift ist es schon 
in allen Tonarten hervorgehoben worden, daß in Ungarn, dessen 
sanitäre Verhältnisse unter aller Kritik sind , ein nicht unbedeu¬ 
tender Theil der Aerzteschaft einen harten Kampf um die Existenz¬ 
möglichkeit zu bestehen hat. Eine ganze Reihe mißlicher Umstände 
beeinträchtigt auch nur die Möglichkeit eines anständigen, standes¬ 
gemäßen Fortkommens. Neben der allgemeinen Ignoranz, die an¬ 
gesichts einer Erkrankung entweder einen abergläubischen Mysti- 
cismus oder einen unbesiegbaren Fatalismus zur Reife bringt, und 
neben der in allen Kreisen herrschenden Indolenz, derenthalben 


Behandlung, Casuistik, physiologische Wirkungen der Oelklysinen. 
Ein treffliches alphabetisches Sachregister beschließt das Werkchen, 
das jedem praktischen Arzte wärmstens empfohlen sei. B. 

Einführung in die erste Hilfe bei Unfällen. Für Sama- 
ritercurse und zur Selbstbelehrung gemeinverständlich dargestellt 
von Dr. Ignaz Spiegel, Arzt der Wiener freiwilligen Rettungs¬ 
gesellschaft. Zweite, umgearbeiteto und vermehrte Auflage. 
Wien 1901, Moriz Perl es. 

Das vorliegende Büchlein dürfte unter den zum Unterrichte 
in der ersten Hilfeleistung bestimmten Anleitungen die erste Stelle 
einnehmen. In klarer, durch zahlreiche Abildungen unterstützter 
Schreibweise führt es dem Leser die bei Unfällen nothwendigen Ma߬ 
nahmen vor, bespricht die verschiedenen Arten der Verbände und 
gibt eine sein* instructive Darstellung des Krankentransportes. Bei 
der Schulung des Personals großer Betriebe leistet das Werkchen, 
wie Ref. aus eigener Erfahrung hervorheben kann, ganz vorzüg¬ 
liche Dienste. F. Winkler. 

Die erste Hilfe bei plötzlichen Unglücksfällen. Tabel¬ 
larisch und alphabetisch dargestellt von Dr. J. Lamberg, In- 
spectionsarzt der Wiener freiwilligen Rettungsgesellschaft. 
Wien 1901, Selbstverlag. 

Aus langjähriger Erfahrung hervorgegangen, bieten die vor¬ 
liegenden Tabellen dem in Samariterschulen Lehrenden sowie dem 
Lernenden viel Anregung und reichen Nutzen. Von großem didak¬ 
tischen Talente zeigend, sind die Tabellen berufen, in allen Schulen, 
in welchen erste Hilfe vorgetragen wird, verbreitet zu sein und 
als Grundlage des Unterrichts, sowie zur Wiederholung des Ge¬ 
lernten zu dienen. Eine Reihe vorzüglicher Abbildungen unter¬ 
stützt das in den Tabellen Zusammengestellte in vorzüglicher Weise. 

* * 

* 

Berichte und Erfahrungen auf dem Gebiete der Gy¬ 
näkologie und Geburtshilfe. Von Dr. A. Debrunner in 

Frauenfeld. Frauenfeld 1901, J. Huber. 

Das vorliegende Buch, welches einen Bericht über die zwölf¬ 
jährige Thätigkeit des Verf. als Leiter einer gynäkologischen 
Privatklinik gibt, wird, wie der Autor im Vorwort selbst ver- 
muthet, „keine Wellen in der gynäkologischen Literatur schlagen“. 
Wenn er aber zur Entschuldigung anführt, daß die Arbeit ihm 
selbst Freude gemacht hat, so können wir ihn aufrichtig ver¬ 
sichern, daß sie diese Freude auch manchen Anderen bereiten wird, 
die aus dem Buche ersehen werden, was man mit strenger Aseptik, 
geschulter operativer Technik, klinischem Wissen und redlichem 
Bemühen auch in kleineren Anstalten zu leisten imstande ist. Auch 
der Umstand, daß manches seltene casuistische Materiale auf diese 
Weise vor der Vergessenheit gerettet wird, rechtfertigt sicherlich 
die vorliegende Publication. Warme Anerkennung verdient auch 
die Bescheidenheit und Aufrichtigkeit des Autors, wo es sich um 
Irrth ümer und Mängel handelt (extraperitoneale Stielversorgung 
bei Myomektomie!). Fischer. 


der Werth der Menschenmaterie nicht zum allgemeinen Bewußtsein 
gelangen kann, sind es die wirthschaftlichen und socialen Verhält¬ 
nisse, die die materielle Lage der Aerzteschaft störend beeinflussen. 
Dazu gesellt sich noch der traurige Umstand, daß die ärztliche 
Hilfe seitens unzähliger Unternehmungen unter dem Deckmantel 
der Humanität monopolisirt und zum Schaden der Aerzte ausge¬ 
beutet wird. Namentlich letzteres Uebel war stets für die Aerzte¬ 
schaft der Hauptstadt ein Stein des Anstoßes, den aus dem Wege 
zu räumen, man sich jetzt ernstlich rüstet, indem man die Kranken¬ 
unterstützungsvereine nach Gebühr maßregeln will. Es ist nur ein 
kleiner, ganz unbedeutender Schritt, den die hiesige Aerzteschaft 
im Kampfe ums Dasein thut. Es ist nur ein Geplänkel, das dem 
großen Krieg im Interesse der Existenz der Aerzteschaft voran- 
geht. Es ist nur ein Act der Nothwehr, damit die Aerztewelt einer 
Großstadt nicht dem Proletarierthum in die Arme falle. Es ist aber 
durchaus kein Versuch, der dahin abzielt, daß die ärztliche Be¬ 
handlung vertheuert werde, es ist vielmehr das berechtigte Be- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 12. 


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streben, die Arbeit der Aerzte nach Gebühr entlohnt zu sehen. 
Es handelt sich einzig und allein nur darum, daß die Großunter¬ 
nehmungen der Aerztearbeit, die berüchtigten Krankenunterstützungs¬ 
vereine, weder das Publicum, noch die Aerzte ausnützen und daß 
die Geschäftsgebahrung dieser Großlieferanten die Aerztewelt nicht 
der Noth preisgebe. Diese neue Bewegung ist eine über jeden 
Tadel erhabene Aeußerung der Solidarität, die das Lebensinteresse 
der in eine ganz unverdiente Nothlage gestürzten Aerzteschaft ist. 
Und deshalb begrüßt auch die öffentliche Meinung mit Freuden 
das Streben der Aerzte, das Krankenunterstützungswesen in neue 
Bahnen zu lenken, und wird auch hoffentlich an ihrer Seite sein, 
bis diese gute Sache zum Siege gelangt sein wird. 

Ein nach jeder Richtung hin schönes und anerkennenswerthes 
Ziel strebt die öffentliche Meinung Ungarns an. In dem ungarischen 
Tieflande, wo die Tuberculose nahezu 50.000 Opfer hiurafft, sollen 
mehrere Tuberculosenheime für Minderbemittelte errichtet werden. 
Die durch eine lebhafte Agitation aufgerüttelte Gesellschaft setzt 
alle Hebel in Bewegung, um das nothwendige Capital aufzubringen. 
Sammlungen werden veranstaltet, Subventionen werden den Com- 
munen abgezwungen, Bälle und Concerto werden arrangirt und 
sogar Communalzuschläge werden ausgeworfen, um die Errichtung 
von Sanatorien zu ermöglichen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß 
es gelingen wird, ein kleines Stammcapital zusammenzubringen. 
Doch welche untergeordnete Bedeutung haben inmitten der großen 
Verheerungen, die die Tuberculose im Lande anrichtet, jene paar 
Tausend Kronen, die in je einer Provinzstadt zum Besten der Tuber¬ 
culosenheime im Schweiße des Angesichtes erlangt werden ? Oder 
kann es zum Ziele führen, wenn Hunderttausende durch Selbst¬ 
besteuerung ihrem Fonds zugeführt werden? Es ist offenkundig, 
daß diese beschränkten materiellen Quellen recht bald versiegen 
werden, noch ehe ein Pavillönchen den minderbemittelten Patienten 
zur Verfügung stehen wird. Solche Hilfsquellen sind nur fromme 
Meilenzeiger der Wohlfahrtsbestrebungen der Gesellschaft und könnten 
im besten Falle erst nach einem Jahrhundert zum Ziele führen. 
Hier muß der Staat, der auf sanitärem Gebiete Jahrzehnte lang 
Sünde auf Sünde häuft, thatkräftigst eingreifen. Die finanzielle Lösung 
dieser Frage dürfte dem Staate viel leichter fallen als der durch 
die wirthschaftlithe Nothlage hartbedrängten Gesellschaft. Leider 
zeigt weder die Regierung, noch der Reichstag die geringste Lust 
dazu, der Gesellschaft zur Verwirklichung ihrer Bestrebungen hilf¬ 
reiche Hand zu bieten. Oeffentlicher Sanitätsdienst, Wohlfahrtspflege 
und die Sanirung der Aerztefrage bleiben, wie es scheint, einer 
späteren Renaissanceepoche des ungarischen Staates Vorbehalten. 

Universitätsprofessor Hofrath Dr. Wilhelm Tadffer, der be¬ 
kanntlich mit der Regelung des Hebammenwesens betraut worden 
ist, erstattete dem Ministerium für innere Angelegenheiten über 
seine bisherige Thätigkeit einen umfassenden Bericht. Wir wollen 
demselben folgende interessante Daten entnehmen : In den nördlichen 
Comitaten, wo die Verhältnisse sehr ungünstig waren, ist die Rege¬ 
lung des Hebammenwesens in vollstem Gange. Es wurden zehn 
Hebammeuschulen II. Classe zur Ausbildung der sogenannten 
Zettelhebammen errichtet, zur Ausbildung diplomirter Hebammen 
wurden 109 Stipendien gestiftet, um Gemeinden mit einer Bevölke¬ 
rung von mehr als 1000 Köpfen versehen zu können. Die Nutz¬ 
nießer dieser Subvention haben fünf Jahre in jener Gemeinde, für 
welche sie ausgebildet worden sind, zu prakticären. Dem Berichte 
sind zahlreiche statistische Tabellen beigegeben. 

In einer soeben erschienenen Broschüre heleuclitet Dr. Emerich 
Hofbauer das Geschäftsgebahren des „Zion“-Krankenunterstützungs- 
vereines und kommt zu folgendem Resultat: Der Verein hat für 
13.000 Mitglieder, die rund eine halbe Million Kronen an Mit¬ 
gliedergebühren entrichten, 39 Aerzte angestellt, denen 3*125% 
des Einkommens zufallen. An Krankengeldern , Medicamenten, 
Leichenbestattungsprämien wurden 18*75°/ 0 ausgezahlt, so daß 
etwa 80% auf sogenannte „Verwaltungskosten“ entfallen. Diese 
sogenannten authentischen Daten führen eine sehr beredte Sprache 
und dürften viel dazu beitragen, daß die Bewegung gegen die 
Vereine von der ganzen Aerzteschaft Mann für Mann unterstützt 
werden wird. Bl. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Aus den Abteilungen 

der 

73. Versammlung Deutscher Naturforscher und 

Aerzte. 

Hamburg, 22.-28. September 1901. 

(Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) 

XXI. 

Abtheilung für Geburtshilfe und Gynäkologie. 

Otto Küstner: Oie blutige Reinversion des Uterus durch 
Spaltung der hinteren Wand nach Eröffnung des hinteren 
Douglas. 

Seit seiner ersten Veröffentlichung 1893 hat K. seine 
Methode der blutigen Reinversion durch Spaltung der hinteren 
Uteruswand nach Aufschneiden des hinteren Douglas in weiteren 
2 Fällen angewandt. 

Der 2. Fall (veröffentlicht durch Dr. Bertholdt, „Allg. med. 
Centralzeituug“, 1899, Nr. 21) betraf eine „onkogenetische“ In¬ 
version, bedingt durch ein Myom. Erst Enucleation des Myoms, 
später blutige Reinversion, welche erst nach Spaltung der ganzen 
hinteren Uteruswand gelang; in derselben Sitzung Laparotomie, 
Ventrifixur und Vernähung sowohl der Uterus- als der hinteren 
Laquearwunde vom Abdomen aus. 

Im 3. Falle handelte es sich um 1% Jahre lang bestehende 
puerperale Inversion. Operation wie im ersten Falle, nur daß die 
Douglaswunde sagittal geschnitten war und die Reinversion weniger 
durch Druck auf den invertirten Uteruskörper, als durch Zug mittels 
der von der Douglaswunde in die Uteruswunde eingesetzten Haken¬ 
zange bewerkstelligt wurde. Alle 3 Fälle sind reactionslos genesen. 

Nach seinen Erfahrungen und nach Würdigung der zahlreichen, 
seit seiner ersten Veröffentlichung erfolgten Publicationen und der 
bezüglichen Modificationen und Vorschläge muß K. sein Verfahren 
für das brauchbarste halten. 

Die Punkte, welche von Bedeutung sind, lauten: 

1. daß die Operation von der Scheide aus, und zwar 

2. nach Eröffnung des hinteren Douglas gemacht wird, daß 

3. dementsprechend die hintere Uteruswand gespalten wird. 

Zu 1. ist zu sagen, daß überhaupt gar keine Verhältnisse 

denkbar sind, welche das Betreten des abdominalen Weges zweck¬ 
mäßiger erscheinen lassen. 

Das Operationsterrain liegt der Vulva näher als einer noch 
so günstig angelegten Laparotomiewunde; auch sonst kommen der 
vaginalen Inversionsoperation alle Vortheile zu, welche die vaginale 
Operation vor der abdominalen überhaupt hat. Everke, welcher 
vor 3 Jahren noch einmal, und zwar mit Erfolg, vom Abdomen 
aus operirte, gelang die Rei'nversion erst, nachdem er die hintere 
Uteruswand und das hintere Scheidengewölbe gespalten hatte, und 
dann wurde der Hauptact der Operation, die eigentliche Reinversion, 
von der Scheide aus ausgeführt — beides hätte er bei Befolgung 
des Verfahrens von K. bequemer haben können. 

Zu 2. und 3. Die von Kehrer und Pole vorgeschlagene 
Spaltung der vorderen Wand ist weniger zweckmäßig als die der 
hinteren, weil, wenn die Spaltung auf die ganze Wand ausgedehnt 
werden muß, und wenn, was principiell zweckmäßig, das ent¬ 
sprechende Scheidengewölbe weit geöffnet werden muß, die Ab¬ 
trennung der Blase eine weitere Complication darstellt. 

Principiell ist es auch wegen der Ermöglichung einer recht 
exacten Naht und wegen der Erreichung möglichst sauberer Wund¬ 
verhältnisse zweckmäßig, die Verwundung nicht auf den Uterus zu 
beschränken, überhaupt die Verwundung nicht zu knapp zu ge¬ 
stalten. Man kann sonst Heilungscomplicationen erleben, wie sie 
Kehrer in seinem Falle sah. 

Einen anerkennenswerthen Fortschritt erblickt K. in der 
Westermark BoRELiNS’schen Modification. Dadurch, daß Wester- 
mark-Borelins den Spaltschnitt in der hinteren Uteruswand mit 
dem Schnitt im hinteren Laquear vereinigen, ist es ihnen möglich, 
die ReYnversion noch in der Vagina vorzunehmen und als 2. Act 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 12. 


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erst die Reposition des in ntrirter Retroversion in der Scheide 
liegenden Uterns vorzunehmeu. 

Für künftige Fälle empfiehlt K., zunächst den hinteren Douglas 
zu öffnen und nur einen Theil der hinteren Uteruswand zu spalten, 
die Reinversion jedoch wie in Fall III im Wesentlichen durch Zug 
mittelst durch die Douglaswunde geführter und in die Uteruswunde 
eingesetzter Hakenzangen zu bewerkstelligen. 

Ferner empfiehlt K., die unblutigen Reinversionsversuche nicht 
zu lauge auszudehnen, sondern bald zur Operation zu schreiten. 

Die Operation muß immer gelingen; wenn Salin und Joseph¬ 
sohn nicht reussirten, so liegt es bei letzterem sicher daran, daß 
er den Schnitt in den Uterus zu klein gemacht hat, bei ersterem 
vielleicht ebendarin. 

Die onkogenetischen Inversionen sind erst nach ganz exacter 
mikroskopischer Diagnose des die Inversion veranlassenden Tumors 
eventuell conservirend zu behandeln, weil gelegentlich auch Sarkome 
angetroffen worden sind. Bei diesen Inversionen ist die Totalexstir¬ 
pation um so leichter zu verschmerzen, als sie meist bei älteren 
Frauen beobachtet werden. 

Kantorowicz (Hannover): Oie Alkoholtherapie der puerperalen 
Sepsis. 

Die Anschauung der Gynäkologen und praktischen Aerzte, 
daß die beste Therapie der puerperalen Sepsis die Behandlung mit 
großen Dosen Alkohol sei, bedarf dringend der Revision. Sie 
stützen sich dabei hauptsächlich auf die Arbeiten RüNGe’s und 
Martin’s. Rünge und sein Schüler Lorenz empfehlen auf Grund 
klinischer Beobachtung neben Localtherapie große Dosen Alkohol 
und laue Bäder. Bei einer genaueren kritischen Würdigung der 
von ihnen ausführlich geschilderten 33 Fälle wird man jedoch 
nichts finden können, was klar und deutlich für den therapeutischen 
Werth des Alkohols spricht. 


Aus französischen Gesellschaften. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Med. Presse“.) 

Soci6t6 de Biologie. 

Chauveau: Veränderungen des respiratorischen Gasaustausches 
und der Zusammensetzung des Blutes bei Ballonaufstiegen. 

Bei einem Ballonaufstieg constatirten Tissot und Hallion, 
daß ihre respiratorischen Coefficienten sowohl während des Steigens 
als auch des Fallens des Ballons (der bis 3450 Meter stieg) deut¬ 
lich dieselben blieben. Sie bemerkten, daß das respiratorische Er¬ 
forderniß ein größeres wird, je höher man steigt, und daß mit 
dieser Vergrößerung des Erfordernisses die Activität des Austausches 
sich ebenfalls vergrößert. 

Andererseits zeigten Proben des Blutes eines Hundes, die in 
verschiedenen Höhen derselben Auffahrt entnommen wurden, daß 
sich während des Höhersteigens der Gehalt an Kohlensäure ver¬ 
mehrt, der Sanerstoffgehalt nur wenig steigt, der Stickstoffgehalt 
aber merklich abnimmt. 

Jolly sah ein Ansteigen der Zahl der rothen Blutkörperchen anf 
5,383 000 (in der Höhe von 4450 Meter) bei einem Manne, der sonst 4,760.000 
hatte. Der Hämoglobingehalt war dementsprechend niedriger. Hingegen sah er 
keine Veränderung der Zahl and der Arten der Leukocyten. 

Henry constatirte bei zwei im Ballon mitgenommenen Hunden deut¬ 
liche Vermehrung der rothen Blutkörperchen. Bei einem dritten Hunde, dem 
einige Wochen vorher die Milz entfernt worden war, fand sich eine nur unbe¬ 
deutende Vermehrung der rothen Blutkörperchen. 

Lesne und Ravaut: Die Beziehungen zwischen der durch ex¬ 
perimentelle Hämatolyse entstehenden Hämoglobinurie sowie 
der Cholurie und Urobilinurie. 

Durch intravenöse Injection von destillirtem Wasser oder 
durch intraperitoneale Injection defibrinirten Blutes entstand beim 
Kaninchen entweder Urobilin- oder Cholurie; die Urobilinurie trat 
stets früher auf. Große Dosen von destillirtem Wasser brachten 
überdies als erstes Stadium eine Hämoglobinurie. 

Beim Hunde waren die Resultate die gleichen ; überdies pro- 
ducirten bei ihm Injectionen von Toluylendiamin alle drei Er¬ 
scheinungen. 


Das Serum eines Kaninchens, das intraperitoneale Injectionen 
von defibrinirtem Hundeblut erhalten hatte, erwies sich als specifisch 
globulicid. Dieses Serum brachte, trotzdem es auch in großen Dosen 
subcutan angewendet wurde, immer nur Hämoglobinurie hervor; 
bei intraperitonealer Anwendung verursachte es außerdem 
noch Urobilin- und Cholurie. 

Bei Injection von normalem Serum ändert sich der Blutfarb¬ 
stoff in keinerlei Weise. 

Die Cholurie war bei allen Versuchen von einer Albuminurie 
begleitet, die entsprechend den eingespritzten Dosen der globuliciden 
Substanz von längerer oder kürzerer Dauer war. 

Gouget: Veränderungen der Leber durch Ansammlung von 
Harnstoff. 

Hanot und Gaume beobachten in manchen Fällen von Urämie 
eine hyaline Veränderung der Leberzellen, und Popos fand bei 
Thieren, denen beide Nieren exstirpirt oder beide Ureteren unter¬ 
bunden worden waren, dieselbe Erscheinung. 

Gouget fand bei Kaninchen, denen Urin in steigender Dosis 
eingespritzt worden war, dieselben Läsionen, ebenso bei Thieren, 
die wiederholt Iojectionen von Harnstoff in großen Dosen erhalten 
hatten. Die Leber war blaß, hart, an Volumen größer; die Zellen 
der Leber hatten im Ganzen und Großen ihre Gestalt, Größe und 
Anordnung erhalten, aber ihre Tinctionsfähigkeit — mit Aus¬ 
nahme des Kernes — verloren. Bei einem der Versuchstiere fand 
sich kein Glycogen, was Bussi bei urämisch gemachten Thieren 
bereits constatirt hatte. 

Die Ansammlung von Harnstoff ist demnach zumindest ein 
Factor der Veränderungen der Leber bei Urämie. 

Roger und Garnier: Experimenteller Zwergwuchs. 

Die Hauptursache, wenn nicht die einzige Ursache des Zwerg¬ 
wuchses ist eine Ernährungsstörung der Schilddrüse. R. und G. 
nahmen zwei Hunde, die von einem Wurfe stammten, und deren 
jeder 2160 Grm. wog. Dem einen wurde Naphtol in die Schild¬ 
drüsengefäße injicirt, so daß dieselbe sclerosirte. Nach 14 Tagen 
wog das Controlthier 3300, das Versuchsthier 2100 Grm. Das Ver¬ 
suchsthier ist weniger lebhaft als das andere, hat kurzes, schütteres, 
steifes und brüchiges Haar im Gegensätze zu dem langen, reich¬ 
lichen, gewellten, weichen Haare des Controlthieres. 


Notizen. 

Wien, 22. März 1902. 

(K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien.) In der 
gestrigen Sitzung, der diesjährigen Hauptversammlung, hielt nach 
Erledigung des Geschäftsberichtes Dr. Ernst Freund einen an 
überaus fesselnden Vergleichen und anziehenden Beispielen reichen 
Vortrag über die neueren Leistungen und Bestrebungen 
in der Stoffwechselpathologie. Vortr. stellte zunächst 
den derzeitigen Stand der Stoffwechsellehre des normalen Orga¬ 
nismus dar, um, hievon ausgehend, die mannigfachen Einblicke zu 
erörtern, welche moderne Chemie und Physik in die Lebensvor¬ 
gänge unseres Körpers, auch unter pathologischen Verhältnissen, 
gewähren. Die Physiologie der Harnsäurebildung, die chemischen 
und physikalischen Vorgänge beim Diabetes, die Pathogenese des 
Fiebers, die Fettsucht, sowie andere Störungen des Körperbaus¬ 
haltes fanden in den Ausführungen F.’s eine zusammenhängende 
Darstellung und Zurückführung auf zum Theile allgemeinere als 
die bisherigen Principien. Schließlich entwarf Vortr. ein Programm 
der zukünftigen Arbeiten auf dem von ihm beleuchteten Gebiete. 

(Oesterreichischer Balneologen-Congreß.) Die 
dritte wissenschaftliche Versammlung des Centralverbandes der 
Baineologen Oesterreichs ist am gestrigen Tage in Wien eröffnet 
worden. Der Präsident de3 Congresses, Hofrath Winternitz, er- 
öffnete denselben mit einer die Entwickelung der Balneologie 
würdigenden Ansprache und der Begrüßung der erschienenen Ver¬ 
treter des Ministeriums des Innern (Sectionschef R. v. Kusy) , der 
Statthalterei (Statthaltereirath Dr. Netolitzky), der k. k. Gesell¬ 
schaft der Aerzte (Hofrath Prof. Exner) und der Gesellschaft für 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 12. 


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innere Medicin (Hofrath Prof. Nothnagel). Sectionschef R. v. Kusy 
begrüßte den Congreß namens der Regierung in herzlichen Worten, 
worauf Dr. A. Löw als Obmann des Wohlfahrts-Comites für die ge¬ 
plante Hilfsaction zu Gunsten der Witwen und Waisen österreichischer 
Aerzte den Stand der Action roittheilte und die Unterstützung der 
Curorte und ärztlichen Institute erbat. — Die wissenschaftliche 
Arbeit wurde durch die Referate der Doc. Dr. Kolisch und Strasser 
über „Therapie des Diabetes“ eingeleitet, welchen eine lebhafte 
Discussion folgte. Wir werden über den Verlauf des gut besuchten 
Congresses berichten. 

(Adolf Jarisch f.) Wenige Tage sind verflossen, seitdem 
Kaposi’s Ueberreste der Erde übergeben wurden, und schon erhalten 
wir neue Trauerkunde; ein zweiter hervorragender Jünger der 
Schule Hebra , der a. o. Professor der Dermatologie in Graz, 
Adolf Jarisch, ist, 52 Jahre alt, an Typhus gestorben. Am 
15. Februar 1850 zu Wien geboren, 1873 promovirt, 1876—1881 
Assistent der Wiener dermatologischen Klinik, habilitirte sich 
Jarisch 1880, fungirte 1888—1892 als Extraordinarius der Der¬ 
matologie und Syphilidologie an der Universität Innsbruck, seit 
1892 in gleicher Eigenschaft in Graz. Jarisch, der sich wegen 
seines schlichten, offenen Charakters allgemeinen Ansehens erfreute, 
bat neben zahlreichen monographischen Arbeiten zumeist histo¬ 
logischen und dermatologischen Inhaltes ein ausgezeichnetes Lehr¬ 
buch der Hautkrankheiten (in Nothnagel’s specieller Pathologie 
und Therapie) geschrieben und sowohl als Lehrer wie als Arzt 
hingebend und erfolgreich gewirkt. Jarjsch hat in letzter Zeit 
allgemein als Nachfolger Kaposi’s gegolten. 

(Oberster Sanitätsrath.) In der Sitzung vom 15. März 
1902 gelangten nach Mittheilungen über Auftreten und Verbreitung 
der Pest und der Cholera im Auslande nachstehende Berathungs- 
gegenstände zur Verhandlung: Gutachtliche Aeußerung über die 
Modalitäten der Einrichtung der bakteriologischen Untersuchungs¬ 
station im Seelazarethe zu St. Bartolomeo bei Triest. Besetzungs¬ 
vorschläge für mehrere erledigte Oberbezirksarztens-Stellen, und zwar 
für je eine in Oberösterreich und Mähren und zwei in Galizien. 
Referat betreffend Maßnahmen zur Hintanhaltung von Mißbräuchen 
bei Benützung von Kranken zu wissenschaftlichen Versuchen und 
Studien in Anstalten. Die Berathungen über diesen Gegenstand 
werden in weiteren Sitzungen fortgesetzt werden. 

(Universitätsnachrichten.) Privatdocent Dr. Arthur 
Schattenfrdh ist zum a. o. Professor der Hygiene an der Wiener 
Universität ernannt worden; die Privatdoeenten an derselben Uni¬ 
versität Dr. Sigmund Freud, Dr. Julius Mannaberg und Dr. Emil 
Fronz haben den Titel eines a. o. Universitäts-Professors er¬ 
halten. — Der Berliner Privatdocent und Tit.-Prof. Dr. H. Oppen¬ 
heim ist aus der medicinischen Facultät ausgetreten, weil der vor 
ungefähr einem Jahre erfolgte Vorschlag seiner Ernennung zum 
Extraordinarius bisher von Seite des Ministeriums nicht bestätigt 
worden ist. — An die neuerrichtete Lehrkanzel für pharmaceutische 
Chemie in Berlin ist Prof. Dr. Beckmann aus Leipzig berufen 
worden. — Als Nachfolger Julius Wolff’s ist Prof. Albert Hoffa 
nach Berlin berufen worden; derselbe hat den Ruf angenommen. 

(L EYden- Fei er.) Am 20. April 1902 feiert der Geheime 
Medicinalrath Prof. Dr. Ernst v. Leyden seinen 70. Geburtstag. 
Am Ende des vergangenen Jahres blickte der Jubilar auf eine 
25jährige Lehrtätigkeit als ordentlicher Professor an der Berliner 
Universität zurück, und demnächst wird er den Tag seines 50jährigen 
Doctorjubiläums begehen können. Behufs Veranstaltung einer Ehrung 
v. Leyden’s hat sich ein Festcomit6 gebildet, welches, der Anregung 
weiter Kreise folgend, für zweckmäßig erachtet, die drei Festtage 
in einer einzigen Feier zu vereinigen; es ist der Beschluß gefaßt 
worden, daß am Sonntag den 20. April, 12 Uhr Vormittags, in 
der Philharmonie zu Berlin ein Festact stattfinden soll, an welchem 
alle dem Jubilar nahestehenden Persönlichkeiten (Damen und Herren), 
Vereine etc. ihre Glückwünsche darbringen mögen. Am Abend des¬ 
selben Tages um 7 Uhr, gleichfalls in der Philharmonie, wird ein 
Festbankett (für Damen und Herren) stattfinden. Die Zusendung 
der Eintrittskarten zu dem Festacte geschieht nach Meldung, jene 
der Dinerbillets (ä Couvert 15 Mk.) nach Einzahlung des Betrages. 


Die Anmeldungen werden möglichst umgehend an Herrn Doc. Dr. 
Jacob, Berlin NW., Reichstagsufer 1, erbeten, da sowohl für den 
Festact als für das Festdiner nur eine bestimmte Anzahl von 
Plätzen zur Verfügung steht. 

(Mährische Aerztekammer.) Unter den Einläufen der 
Sitzung vom 25. v. M. der genannten Kammer befand sich u. a. 
die Abschrift des Urtheils eines Bezirksgerichtes, womit ein Zahn¬ 
techniker, obwohl nachgewiesen war, daß er zahnärztliche Ver¬ 
richtungen , welche den Zahntechnikern verboten sind, gegen Be¬ 
zahlung ausführte, von der Anklage wegen Uebertretung frei¬ 
gesprochen und vom Kostenersatze losgezählt wurde, weil im Sinne 
dieses Paragraphen nicht die Curpfuscherei als solche, sondern nur 
unter der Voraussetzung der Gewerbsmäßigkeit, also dann, wenn 
die unbefugte ärztliche Behandlung in der Absicht geübt wird, 
daraus eine — wenn auch nicht regelmäßig oder dauernd fließende 

— Einkommensquelle zu machen, strafbar sei, hier aber nur von 
vereinzelten Handlungen die Rede sein kann, welche nicht als 
Glieder in einer geschlossenen Kette vieler gleichartiger Verrich¬ 
tungen, wie es beim Begriffe Gewerbsmäßigkeit nothwendig wäre, 
erscheinen. 

(Instructionscurs für Amtsärzte.) Der diesjährige 
Instructionscurs wird voraussichtlich im April d. J. in Wien ab¬ 
gehalten werden. 

(Congresse.) Der IV. internationale Congreß für 
Gynäkologie und Geburtshilfe wird vom 15.—21. Sep¬ 
tember 1902 in R o m stattfinden. An der Spitze des Organisations- 
comites stehen E. Pasqtiali (Rom) und E. Pestalozza (Florenz). 
Die Tagesordnung enthält folgende wissenschaftliche Fragen: 

1. Ueber die medicinischen Indicationen zur Einleitung der Geburt. 

2. Die Hysterektomie in der Behandlung des Wochenbettfiebers. 

3. Die operative Behandlung des Gebärmutterkrebses. 4. Die Tuber- 
culose der weiblichen Geschlechtstheile. — Der internationale 
Congreß für Hydrologie, Klimatologie und Geologie 
wird im October d. J. zu Grenoble tagen. Analyse der Mineral¬ 
wässer, klimatologische Bedingungen zur Errichtung von Sanatorien 
und andere Themata aus dem klimatologischen und geologi¬ 
schen Gebiete kommen neben medicinisch-balneologischen zur Be¬ 
sprechung. — Die 9. Versammlung süddeutscher Laryngologen 
findet am 19. Mai zu Heidelberg statt. 

(Krebsforschung in Deutschland.) Aus den bis¬ 
herigen Forschungsresultaten des deutschen Comitös für Krebs¬ 
forschung, die ein Material von mehr als 1200 Krankheitsbildern 
umfassen, geht hervor, daß der Krebs nicht erblich ist, aber an¬ 
steckend; es gibt einige Häuser, in denen immer wieder Krebs¬ 
kranke Vorkommen. Durch Pflanzen ist der Ansteckungsstoff nicht 
übertragbar, dagegen wohl durch Thiere, die sehr oft krebskrank 
sind, wie z. B. Hunde und Katzen, weniger, fast gar nicht Pferde 
und Rinder. 

(Hygienisches.) Ein dem Congresse zu Washington vor¬ 
gelegter Gesetzentwurf beschäftigt sich mit der Frage der Opium¬ 
einfuhr. Die Importeure sollen gehalten werden, eidesstattliche Er¬ 
klärungen abzugeben, daß das von ihnen eingeführte Opium aus¬ 
schließlich für medicinische Zwecke bestimmt sei. Zuwiderhandlungen 
sind mit Geldstrafen bis zu 1000 Dollars oder Gefängniß bis zu 
5 Jahren bedroht. 

(Statistik.) Vom 9. bis inclusive 15. März 1902 worden in den 
Civilspitälern Wiens 7570 Personen behandelt. Hievon wurden 1558 
entlassen; 156 sind gestorben (9'1% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 83, egypt. 
Augenentzündung —, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 1, Dysen¬ 
terie —, Blattern —, Varicellen 134, Scharlach 82, Masern 372, Keuchhusten 84, 
Rothlauf 34, Wochenbettfieber 4, Rötheln 19, Mumps 15, Influenza —, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 

— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 720 Personen gestorben 
(+57 gegen die Vorwoche). 

Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 

Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
Postversendung. Die Preise der Einb&nddeoken sind folgende: für die „Med. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
„Therapie der Gegenwart“: K 1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Post Versendung. 


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XLIII. Jahrgang. 


Wien, den 30. März 1902. 


Nr. 13. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
3 bis 3 Bogen Groß-Quart-Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik', letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse" 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
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Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
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werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
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sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien,!., Maximilianstr. 4. 


Medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Organ für praktische Aerzte. 

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Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


Redactlon: Telephon Nr. 13.849. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Administration: Telephon Nr. 9104. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Ueber Psychosen hei Neurasthenikern. Von Prof. Dr. Emil Redlich. — Ein Fall von Hautaktinomykosis. 

Von Dr. J. Kuceba in Brannowitz. — Beiträge zur Tuberculosefrage. Von Dr. Ferdinand Kornfeld in Wien. — Referate. F. A. Hoffmann 
(Leipzig): Ueber hypophreDische Schmerzen nnd Neurose des Plexus coeliacus. — Karl Schwarz (Agram): Erfahrungen über 100 medulläre 

Tropacocain-Analgesien. — Tschlenow (Moskau): Pityriasis rubra (Hebra). — Hans Koeppe (Gießen): Physikalisch-chemische Untersuchung der 
Szinye-Lipoezer Salvator-Mineralquelle. — F. de Quervain (Chaux-de-Fonds): Ueber subcutane intraperitoneale Nierenverletzung. — Wiemuth: Die 
habituellen Verrenkungen der Kniescheibe. — Arnsperger (Heidelberg): Zur Lehre von der Hyperkeratosis lacunaris pharyngis. — Steinhaus und 
Oderfeld (Warschau): Zur Casuistik der Knochenmetastasen von normalem Schilddrüsengewebe. — Windscheid (Leipzig): Die Beziehungen der 

Arteriosklerose zu Erkrankungen des Gehirns. — Rys (Prag): Ueber die Heilbehandlung der Lungentuberculose. — Kleine Mittheilungen. Be¬ 

einflussung geistiger Leistungen durch Hungern. — Roborin. — Subcutane Gelatineinjectionen bei Melaena neonatorum. — Verhütung der See¬ 
krankheit durch Orexinum tannicum. — Keimgehalt aseptischer Wunden. — Aetiologie lind Therapie des Pruritis vulvae. -- Literarische An¬ 
zeigen. Die Altersveränderungen und ihre Behandlung. Von Dr. Friedrich Friedmann. — Ueber die Grundlagen, Hilfsmittel und Erfolge der 
modernen Wundbehandlung. Von Dr. Ernst Graser, Professor in Erlangen. — Feuilleton. Berliner Briefe. (Orig.-Corresp.) III. Verhandlungen 
ärztlicher Vereine. Aus den Abtheilungen der 73. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte. Hamburg, 22.—28. September 1901. 
(Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) XXII. — Gesellschaft für innere Medicin in Wien. (Orig.-Ber.) Aus 

medicinischen Gesellschaften Deutschlands. (Orig.-Ber.) — Notizen. — Neue Literatur. — Eingesendet. — Offene Correspondenz der Redaction 
und Administration. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe dev Quelle „ Wiener Medizinische Presse“ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Ueber Psychosen bei Neurasthenikern. 

Von Professor Dr. Emil Redlich.*) 

Wenn ich in Folgendem meine Ansichten über die bei 
Neurasthenikern auftretenden Psychosen äußern will, so bin 
ich mir wohl bewußt, nicht ganz über die zur Behandlung 
eines so schwierigen Themas nothwendige Competenz za ver¬ 
fügen. Dazu gehört mehr Erfahrung, als ich sie besitze, vor 
Allem aber jahrelanger intimer Umgang mit den Kranken, 
um ein wirklich abschließendes Urtheil darüber zu gewinnen, 
was aus den Kranken wird, welches ihr Schicksal nach der 
Entlassung aus der ärztlichen Behandlung ist. Daher bean¬ 
spruchen denn meine Ausführungen auch nicht, ein abschließen¬ 
des Urtheil über das von mir gewählte Thema zu liefern, als 
vielmehr die Anregung zu einer Discussion zu geben, er¬ 
fahrenere Fachgenossen zur Meinungsäußerung zu veranlassen. 

Es ist eine ständige Furcht vieler Neurastheniker, 
geisteskrank zu werden, und mehr denn einen hat diese Be¬ 
fürchtung zum Selbstmord getrieben. Das legt die Frage nahe: 
ist diese Sorge eine begründete? Wie oft verfallen Neurastheniker 
in Geisteskrankheiten und welcher Art sind die bei ihnen auf¬ 
tretenden Geistesstörungen, haben dieselben ein specifisches 
Gepräge, oder lassen sie sich unter die uns sonst geläufigen 
Bilder einreihen? 

Hier wie anderwärts -— es sei nur an die forensischen 
Grenzfälle erinnert — ist es unter Umständen recht schwierig, 


*) Nach einem in der wissenschaftlichen Versammlung des Wiener med. 
Doctoren-Collegiums am 17. Februar 1902 gehaltenen Vortrage. 


die Grenze zwischen geistiger Gesundheit und Kranaheit zu 
ziehen; oft genug ist es eine wissenschaftlich gar nicht zu 
lösende Frage, ob eine unzweifelhaft vorhandene Abweichung 
vom normalen Thun und Denken als Krankheit, als 
psychotisch aufzufassen und zu bezeichnen ist. Persönliche 
Anschauung oder Anlehnung an anerkannte Autoritäten und 
Lehrmeinungen, oder die Bedürfnisse der an feste Normen 
gebundenen Jurisdiction führen da oft genug zu einer 
Decidirtheit der Aussage, die bei den wenig scharfen Grenzen 
der einzelnen Zustände naturwissenschaftlich wenig Berech¬ 
tigung hat. 

In ganz besonderem Maße gilt das Gesagte von der 
Neurasthenie; gehören doch dem gewöhnlichen Bilde derselben 
eine ganze Reihe psychischer Störungen, d. h. Störungen der 
Geistesthätigkeit an sich an. Das Laienpublicum mit der ihm 
eigenthümlichen, naiven. durch Sachkenntniß ungetrübten 
Bestimmtheit bezeichnet denn auch manchen Neurastheniker 
als geisteskrank, „als Narren“, dem wir noch unbedenklich 
das Prädicat der Neurose zuerkennen. Sollen wir aber wissen¬ 
schaftlich die Grenze feststellen, wann ein Neurastheniker 
noch als solcher gelten kann und wann wir bei demselben eine 
Geisteskrankheit zu statuiren haben, dann sind wir oft genug 
in recht arger Verlegenheit. 

Zum Theil müssen uns da äußerliche Merkmale helfen; 
ich will mich in meinen Ausführungen hauptsächlich, auf Er¬ 
fahrungen stützen, die ich bei Neurasthenikern, die in Irren¬ 
anstalten internirt waren, gesammelt habe. Der Umstand, daß 
ein Neurastheniker in eine Irrenanstalt abgeliefert wird, kann 
zunächst als Zeichen dafür genommen werden, daß die 
psychischen Störungen besonders intensive Grade erreicht 
haben. . 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 13 


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Ich kann mich da auch auf Wernicke 1 ) berufen, der 
z. B. den Unterschied zwischen hypochondrischer Geistes¬ 
krankheit und hypochondrischer Neurose in dem Umstande 
findet, welchen Einfluß die hypochondrischen Gefühle auf das 
Handeln des Kranken nehmen. Wernicke meint da, daß 
Kranke, die aus Furcht, einen Selbstmord zu begehen, selbst 
Irrenanstalten aufsuchen oder solche mit Nahrungsverweigerung 
auch ohne phantastische Deutung ihrer Sensationen als Geistes¬ 
kranke anzusehen seien. Die Willkürlichkeit, die in unserem 
Vorgehen liegen mag, wird ja durch unsere weiteren Aus¬ 
einandersetzungen gewiß die nöthige Correctur erfahren. 

Zunächst wird sich uns die Frage aufdrängen: Gibt 
es eine neurasthenische Geistesstörung mit ganz 
bestimmten Kriterien, etwa in dem Sinne, wie 
es eine epileptische Geistesstörung oder, besser 
gesagt, epil eptische Geistesstörungen oder alko¬ 
holische Psychosen gibt? Die Frage scheint von vorne- 
herein entschieden, ja sogar unnöthig; weisen doch nahezu 
alle gangbaren Lehrbücher der Psychiatrie ein eigenes Capitel 
über die neurasthenische Geistesstörung auf. Trotzdem bedarf 
dieser Punkt noch einer eingehenden Erörterung. Sieht man 
nämlich zu, was als neurasthenische Geistesstörung beschrieben 
wird, dann handelt es sich um die gewöhnlichen psychischen 
Symptome der Neurasthenie, wie sie uns jede Darstellung der 
Neurasthenie als zum gewöhnlichen Symptomenbilde derselben 
gehörig aufweist. Aber psychische Symptome sind nicht 
identisch mit Geistesstörung. 

So zählen denn die Lehrbücher als Symptome der 
neurasthenischen Geistesstörung den Kopfschmerz, respective 
neurasthenischen Kopfdruck, die erhöhte Reizbarkeit, die Un¬ 
fähigkeit, geistige Arbeit zu verrichten oder überhaupt der 
Beschäftigung nachzugehen, die daraus resultirende Ver 
Stimmung, endlich die bei der Neurasthenie nicht seltenen 
Zwangsvorstellungen und Phobien. 

Etwas genauer wollen wir uns mit Krafft-Ebing’s 
Standpunkt, speciell mit einer von ihm aufgestellten Psychose, 
dem transitorischen, neurasthenischen Irresein 
beschäftigen. Die hieher gehörigen Zustände entstehen bei erwor¬ 
bener Neurasthenie durch Erschöpfung, schlaflose Nächte u. s. w. 
Symptomatisch ist charakteristisch eine schwere Bewußtseins¬ 
störung bis zurBewußtlosigkeit mit entsprechenden Erinnerungs- 
defecten. Störungen der sensorischen Functionen, Illusionen 
und Hallucinationen, Angst und einzelne delirante Vorstellungen 
kommen in diesen bis zum Stupor sich steigernden Zuständen 
dazu und führen zu traumhaft verkannten Situationen und 
Handlungen; besonders häufig soll das Delirium der Standes¬ 
erhöhung sein. Diese Zustände, die ganz acut einsetzen, haben 
eine Dauer von Stunden bis zu vielen Tagen. 

Weiteres Material findet sich in einem Aufsatze aus 
dem Jahre 1896, sowie in den gesammelten Abhandlungen. 2 ) 

Mayer 3 ), der mehrere Fälle von Halbtraumzustand be¬ 
schrieben hat, gibt an. daß 4 seiner Fälle Erscheinungen von 
Neurasthenie vorher dargeboten hatten, und bringt sie mit 
Krafft-Ebing’s transitorischem, neurasthenischem Irresein in 
Parallele. Sonst bietet die Literatur wenig an weiterem 
Material. Ich kann aus eigener Erfahrung über diese Zustände 
nichts aussagen, muß mich vielmehr an die Schilderung und 
Krankengeschichten von Krafft-Ebing halten. Zunächst ist zu 
betonen, daß nicht in allen Fällen, wenigstens aus den ver¬ 
öffentlichten Krankengeschichten, die neurasthenische Grund¬ 
lage mit Sicherheit hervorging, in dem Sinne, daß vor und 
nach Ausbruch der Psychose unzweifelhaft neurasthenische 
Erscheinungen nachweisbar gewesen wären (s. u.Moebius, Neur. 
Beiträge, 2. Heft, pag. 68). Sicher ist das eine: Es handelt 
sich um auf dem Boden der Erschöpfung, und zwar meist der 
acuten Erschöpfung, Ueberanstrengung, Unterernährung u. s. w. 
erwachsende Zustände, also um Erschöpfungspsychosen. 

’) Wernicke, Grundriß der Psychiatrie, Leipzig 1900. 

2 ) Krafft-Ebing, Ueber Vesania transitoria bei Neurasthenischei^ „Wiener 
Med. Presse“, 1896, u. Ges. Abhandlungen, 1. u. 3. Heft, Leipzig 1897 u. 1898. 

3 ) Mayer, 16 Fälle von Halbtraumzustand. „Jahrb. f. Psych.“, Bd. 11. 


Wenn nun dabei zugleich gewisse, sonst bei der Neurasthenie 
vorfindliche Symptome, wie z. B. Kopfdruck, Schlaflosigkeit 
u. s. w. sich vorfinden, hat das bei der erwähnten Aetiologie 
nichts Verwunderliches. Ich muß auch gestehen, daß Epilepsie bei 
einer Reihe von Fällen nicht mit der Sicherheit auszuschließen 
ist, wie dies Krafft-Ebing thut, zumal einzelne der Fälle 
Recidiven zeigten. In 2 Fällen (Gesammelte Abhandlungen, 
I. Heft, I. Aufsatz aus dem Jahre 1883) sind sogar epileptoide 
Zufälle angegeben. Für die meisten der von Krafft-Ebing 
beschriebenen Fälle fehlen Angaben über das spätere Ver¬ 
halten der Kranken, so daß Zweifel noch in anderer Richtung 
auftauchen könnten. Mit einem Worte, die von Krafft-Ebing 
beschriebenen Fälle weisen mancherlei Züge in Aetiologie und 
Symptomatologie auf, die eine gewisse Beziehung zur 
Neurasthenie nicht ab weisen lassen, aber vorläufig können 
wir in der transitorischen, neurasthenischen 
Psychose eine genügend scharf abgegrenzte, 
wohlfundirte, nosologische Species noch nicht 
erblicken. 

In letzter Zeit hat Ganser 4 ) auf Grund von 4 Beobach¬ 
tungen ein eigenthümliches Krankheitsbild beschrieben, das er 
als neurasthenische Geistesstörung im engeren 
Sinne aufgefaßt wissen will. Das beherrschende Symptom 
ist ein starkes Krankheitsgefühl, ein Gefühl der Schwäche 
und Energielosigkeit, das die Kranken schließlich zwingt, von 
jeder Bewegung abzustehen, so daß sie dadurch dem Bilde der 
Akinesia algera sich nähern. Von weiteren Symptomen er¬ 
wähnt Ganser Schmerzen, Empfindlichkeit gegen Geräusche, 
Schlafstörungen, Störungen der Herz- und Darmthätigkeit, 
allmalig zunehmende Herabsetzung der psychischen Leistungs¬ 
fähigkeit, Ermüdbarkeit. Nach Monate langer Dauer tritt 
Besserung und Genesung ein. Aetiologisch sind Ueberanstren- 
gung mit gemüthlicher Depression anzuschuldigen. Während 
nun Ganser mit Recht meint, daß das, was gewöhnlich als 
neurasthenische Geistesstörung bezeichnet wird, nichts Anderes 
sei als die gewöhnliche Neurasthenie, höchstens mit besonderer 
Steigerung der psychischen Symptome, übersieht er, daß der¬ 
selbe Einwand auch gegenüber der von ihm aufgestellten 
neurasthenischen Geistesstörung am Platze ist. Er selbst be¬ 
zeichnet sein Symptomenbild als Neurasthenie mit aufs äußerste 
gesteigerten Symptomen, als höchsten Grad der Erschöpfung. 
Daraus erklärt sich auch der hohe Grad der Schädigung der 
psychischen Functionen. Das genügt aber meines Erachtens 
nicht, das von Ganser gezeichnete Krankheitsbild als 
Psychose zu kennzeichnen; jedem erfahrenen Neurologen 
dürften ähnliche Fälle, wie sie Ganser schildert, begegnet 
sein. Da es sich aber bloß um ein Darniederliegen der geistigen 
Functionen handelt, kein wirklicher Ausfall derselben wie 
beim Blödsinn oder Schwachsinn besteht, keinerlei Wahnideen, 
keinerlei Hallucinationen auftreten, nirgends krankhafte Ideen 
einen das Thun und Handeln des Kranken vollständig be¬ 
herrschenden Charakter gewinnen, können wir meines Er¬ 
achtens von einer Psychose im engeren Sinne nicht sprechen. 
Es handelt sich also wirklich nur um eine Neurasthenie mit 
aufs äußerste gesteigerten Symptomen, nicht aber um eine 
neurasthenische Psychose. 

Noch eine, angeblich neurasthenische Psychose ist in 
den letzten Jahren mehrfach beschrieben worden, nämlich eine 
periodische, respective circuläre und alternirende 
Form der Neurasthenie, die schon durch ihre Bezeich¬ 
nung an die periodischen, respective circularen Psychosen 
erinnern soll. 

Sollier 5 ) hat als Erster diese angebliche Form der 
Neurasthenie beschrieben; in der letzten Zeit hat Dunin 6 ) der¬ 
selben eine ausführliche Besprechung gewidmet. 

4 ) Ganser, Die neurasthenische Geistesstörung. Festschrift des Stadt¬ 
krankenhauses Dresden 1899. 

6 ) Sollier , Sur une forme circulaire de la neurasthänie. „Rev. de 

M6d.“, 1893. 

6 ) Dunin, Ueber periodische, circuläre und alternirende Neurasthenie. 
„Deutsche Zeitschr. f. Nerv.“, Bd. 13. 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 13. 


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Die Schilderung, die diese Autoren von der periodischen 
und circularen Neurasthenie geben, enthält nichts, was diese 
Fälle von einer gewöhnlichen periodischen oder circularen 
Psychose, speciell den leichteren Formen derselben, unter¬ 
scheiden würde, höchstens daß in manchen dieser Fälle die 
besonders kurze Dauer der einzelnen Phasen eine bei den 
periodischen Psychosen ungewöhnliche, wenn auch nicht un¬ 
erhörte Erscheinung darstellt. Vor allem aber vermisse ich 
jene Momente, die die Bezeichnung der Fälle als Neurasthenie 
gerechtfertigt erscheinen lassen würden. Wenn sich in der 
depressiven Phase dieser Fälle Müdigkeitsgefühl, Unfähigkeit 
zur Arbeit u. a. findet, so ist dies ein gewöhnliches Merkmal 
der depressiven Phasen der periodischen Psychosen. Ganz und 
gar nicht aber paßt es in den uns geläufigen Begriff der 
Neurasthenie, hier Phasen der Exaltation mit gesteigerter 
Leistungsfähigkeit, mit erhöhtem Bethätigungsdrange, Euphorie 
u. s. w. zu finden. Zum Begriffe der Neurasthenie gehört un¬ 
trennbar abnorm herabgesetzte, verminderte Leistungsfähigkeit, 
depressive Stimmung u. s. w. 

Insoferne es sich bei diesen Formen nicht um die uns 
bekannten kleinen Remissionen im Verlaufe der Neurasthenie 
handelt, muß ich trotz Dunin’s Einsprache annehmen, daß die 
von den Autoren beschriebenen Fälle den eigentlichen periodischen 
oder circularen Psychosen zugehören; will ja doch Sollieb 
sogar beobachtet haben, daß nach längerem Verlaufe die 
intellectuelle und moralische Kraft der Kranken geschädigt wird. 

Ich freue mich constatiren zu können, daß College Pilcz 7 8 ), 
der eben eine ausführliche Arbeit über die periodischen 
Psychosen fertiggestellt hat, auf Grund seiner sorgfältigen 
Literaturstudien zur gleichen Ansicht über diese angebliche 
periodische, respective circulare Neurasthenie gekommen ist; 
auch Scheiber s ) und Wkygakdt haben sich in allerletzter Zeit 
ähnlich ausgesprochen. 

Das Facit unserer bisherigen Untersuchungen 9 ) ist somit, 
daß es eine wohl charakterisirte, specifische 
Form einer neurasthenischen Psychose mit 
irgendwie constanten Symptomen und typischem 
Verlaufe nicht gibt. 

Wohl aber gibt es eine Reihe psychotischer Symptome 
und ausgeprägte Psychosen bei Neurasthenikern und, wie wir 
schon hier vorwegnehmen können, im ätiologischen Zusammen¬ 
hänge mit der Neurasthenie. 

Eine ganze Reihe von Autoren haben sich über diese 
nahen Beziehungen der Neurasthenie zu gewissen Geistes¬ 
störungen geäußert. 

Abgesehen von den Lehrbüchern der Psychiatrie und 
jenen Autoren, die specielle Fragen behandeln, auf welche 
wir ja noch zu sprechen kommen, seien hier vorläufig nur 
Beard 10 ), Ziemssen 11 ), Levillain 12 ), Mokselli 13 ), Punton 14 ), 
Dkventer 15 ) u. A. genannt. 

Zunächst können gewisse Symptome der Neurasthenie 
eine solche Steigerung und Entwickelung erfahren, daß sie die 
Bedeutung von psychotischen Symptomen gewinnen, respective 
der Zustand als Psjmhose zu bezeichnen ist. Ziehen wir zuerst 
die gewöhnliche Neurasthenie heran, so gehört zum Bilde der¬ 
selben, speciell der sogenannten Cerebrasthenie, ein in der 
Regel übertrieben gesteigertes Krankheitsbewußt¬ 
sein und traurigeVerstimmung. Beide diese Symptome 

7 ) Pilcz, Die periodischen Geistesstörungen. Jena 1901- 

8 ) Scheiber, Ein Fall von 7 Jahre lang dauerndem circularen Irresein. 
„Arch. f. Psych.“, Bd. 34. 

u ) Erst nach Fertigstellung dieses Aufsatzes erschien die Arbeit von 
A. Pick, Zur Psychopathologie der Neurasthenie, „Arch. f. Psych.“, Bd. 35, auf 
die ich hier nicht mehr Rücksicht nehmen konnte. 

10 ) Beard, Die Nervenschwäche, Leipzig 1881. 

”) Ziemssen, Die Neurasthenie und ihre Behandlung. „Sammlung klin. 
Vorträge“, Leipzig 1887. 

ia ) Levillain, La Neurasthenie, Paris 1891. 

lfl ) Mobselli, ref. „Neur. Centralbl.“, 1895. 

,4 ) Punton, Die Beziehungen der Neurasthenie zu Geistesstörungen, ref. 
„Jahresber. über die Fortschritte der Neurol.“, Bd. II, pag. 1139. 

* 5 ) Deventer ref. „Neurol. Centralbl.“, 1897. 


können in weiterer Ausgestaltung solche Formen annehmen, 
daß wir ohne Bedenken vom Bestehen einer wirklichen 
Psychose sprechen können. 

Bei einer Steigerung des Krankheitsbewußtseins wird 
der Kranke durch die Gedanken an sein Leiden schließlich 
vollständig occupirt, sein Interessenkreis beschränkt sich so 
sehr auf sein Leiden, daß daneben alles Andere verschwindet, 
die socialen, ethischen Beziehungen und Verpflichtungen ganz 
in den Hintergrund treten, um Meynert’.s Ausdrucksweise 
heranzuziehen, das secundäre Ich wird vom primären Ich 
gänzlich überwuchert. Jedes Krankheitssymptom wird dann 
sorgfältigst studirt, der krankhaft gesteigerten Selbstbeobach¬ 
tung bieten sich immer neue Zeichen dar; die Anschauungen 
des Kranken über sein Leiden und dessen Aussicht werden 
immer trüber und pessimistischer; aus dem schweren Leiden 
wird ein unheilbares; mögliche, vorkommende Krankheiten 
werden durch die Annahme unbekannter, phantastischer, vom 
Kranken erfundener Krankheiten abgelöst. Darüber vernach¬ 
lässigt der Kranke seinen Beruf, seine Familie, er geht, wenn 
wir so sagen dürfen, vollständig auf in der Pflege und Aus¬ 
gestaltung seiner Krankheit. Mit einem Worte, aus dem 
Neurastheniker ist ein Hypochonder im psychiatrischen 
Sinne geworden. 

Bevor wir weitergehen, wird es nützlich sein, wenn wir 
uns ein wenig über den Begriff der Hypochondrie auseinander¬ 
setzen, zumal durch einige neuere Arbeiten diese Frage wieder 
in Fluß gerathen ist. Ein, wenn auch durchaus nicht voll¬ 
ständiger Ueberblick über die neuere Literatur zeigt, daß in 
Bezug auf die Hypochondrie die denkbar größte Confusion 
herrscht. Speciell gilt dies von der Frage, ob wir neben einer 
Reihe gut charakterisirtor Neurosen und Psychosen, in deren 
Symptomenbild als hypochondrisch zu bezeichnende Vor¬ 
stellungen eine große Rolle spielen, noch eine specielle, als 
Hypochondrie zu bezeichnende Krankkeitsform anzunehmen 
haben. Beide Ansichten finden ihre Vertreter. Auf der einen 
Seite haben wir hervorragende Psychiater, die eine eigent¬ 
liche Hypochondrie leugnen und die als solche aufgefaßten 
Krankheitsfälle der Neurasthenie zuweisen, respective die¬ 
selben als Steigerung des neurasthenischen Zustandes auf¬ 
fassen, und wieder andere, die Neurasthenie und Hypochondrie 
streng von einander geschieden wissen wollen. 

Begriff und Name der Hypochondrie stammen, wenn ich 
so sagen darf, aus der prähistorischen Zeit der Psychiatrie, 
aus einer Zeit, wo äußerliche Zeichen, auffallende Krankheits¬ 
ideen für die Benennung und Abgrenzung von Krankheiten 
ausschlaggebend waren, ohne daß das Gesaramtbild, der Ver¬ 
lauf, die Aetiologie u. s. w. Berücksichtigung gefunden hätten, 
und ich will es vorweg sagen, die Durchsicht der Literatur 
mit ihren unlösbaren Widersprüchen macht auf mich den 
Eindruck, als handle es sich bei der Hypocbbndrie um einen 
stehengebliebenen Posten aus dieser Zeit, der nun um jeden 
Preis gerettet werden soll. Eine ausführliche geschichtliche 
Darstellung der Hypochondrie liegt weit ab vom Zwecke 
meiner diesmaligen Auseinandersetzungen. Wie viele der 
psychiatrischen Nomenclatur angehörige Begriffe, hat auch 
die Hypochondrie im Laufe der Zeiten eine völlige Wandlung 
erfahren. Doch wollen wir das Historische ganz beiseite 
lassen und nur in Betracht ziehen: welche Auffassung hat 
die Hypochondrie bei den neueren Autoren gefunden? 

Gleichsam einen Wendepunkt in der Frage bildet 
jene Zeit, wo das von Beard abgegrenzte Krankheitsbild 
der Neurasthenie Gemeingut der Aerzte geworden war. 
Die treffendste Illustration für die Rückwirkung dieses 
Krankheitsbegriffes auf die Auffassung und Abgrenzung der 
Hypochondrie liefern uns die beiden Darstellungen, die Jolly 
von der Hypochondrie gegeben hat, die eine im Jahr« 1878 
in Ziemssen’s Handbuch, die andere im Jahre 1899 in 
Ebstein-Schwalbe’s Handbuch der praktischen Medicin. In 
seiner ersten Arbeit gibt Jolly eine Darstellung der Hypo- 


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cbondrie, die vielfache Anlehnung an die früheren Autoren 
aufweist. 

Hier definirt er die Hypochondrie als jene traurige Ver¬ 
stimmung, in welcher die Aufmerksamkeit des Kranken an¬ 
haltend oder vorwiegend auf Zustände des eigenen Körpers 
oder Geistes gerichtet ist, eine Definition, die Hitzig 10 ) später 
dahin modificirte, daß es eine auf nur krankhafter Veränderung 
der Selbstempfindung beruhende Form der traurigen Verstim¬ 
mung ist. Aber auch diese Erweiterung kann nicht als ganz 
zureichend erklärt werden, indem nicht nur die Selbst¬ 
empfindung krankhaft verändert ist, sondern vor Allem auch 
die weitere psychische Verwerthung und Verarbeitung dieser 
krankhaften Empfindungen pathologisch ist. 

Schon in dieser ersten Arbeit erwähnt aber Jolly, daß 
Ueberreizung oder reizbare Schwäche des Nervensystems für 
einen großen Theil der Fälle von Hypochondrie das eigent¬ 
liche Substrat bilde. 

Auch im symptomatologischen Bilde, das Jolly gibt, 
spielen Symptome, die wir jetzt der Neurasthenie zuzählen oder 
wenigstens bei dieser häufig finden, z. B. Zwangsvorstellungen, 
Platzschwindel u. s. w., eine gewisse Rolle. 

Noch entschiedener ist Jolly’s Standpunkt in seiner 
zweiten Arbeit. Hier heißt es: Fast ohne Ausnahme 
entwickelt sich der hypochondrische Zustand 
auf neurasthenischer Grundlage; gerade die durch 
Neurasthenie bedingten Veränderungen der Selbstempfindung 
sind es, welche der Ausgangspunkt für die hypochondrischen 
Beängstigungen, Befürchtungen und Vorstellungen werden. 
Die Neurasthenie bildet also, meint Jolly, die Materia 
der Hypochondrie im Sinne der alten Autoren. 

Eine ganze Reihe hervorragender Autoren steht auf dem¬ 
selben Standpunkte wie Jolly. Ich nenne den classischen 
Autor der Neurasthenie Beard (l.c.), der die wahre Hypo¬ 
chondrie Patophobie heißt, Kraepelin 17 ), Moebius 18 ), Hitzig 
( 1. c.), Tuczek 15 >), Ziehen 20 ), Merklin 21 ), Sollier (1. c) findet den 
einzigen Unterschied zwischen Neurasthenie und Hypochondrie 
in der Interpretation , die der Kranke seinen Erscheinungen 
gibt. „An dem Tage, wo der Neurastheniker annimmt, daß die 
Schmerzen. der Ausdruck einer schweren organischen Affection 
sind, ist er ein Hypochonder geworden.“ 

Dabei ist es eigentlich als selbstverständlich zu be¬ 
zeichnen, daß die genannten Autoren daneben noch eine Reihe 
psychotischer Zustände ganz anderer Bedeutung nennen, bei 
denen hypochondrische Ideen geäußert werden, so daß diese 
Autoren übereinstimmend erklären, daß der Ausdruck Hypo¬ 
chondrie, lesp. hypochondrische Ideen, ein vieldeutiger sei; 
aber eine eigentliche Krankheit Hypochondrie 
wollen diese Autoren nicht gelten lassen. 

Doch, wie gesagt, eine ganze Reihe namhafter Autoren 
ist für die Beibehaltung der Krankheitsspecies Hypochondrie 
und deren Abgrenzung gegenüber der Neurasthenie eingetreten. 

Ich nenne z. B. Althaus 22 ), Binswanger 23 ), Böttiger 24 ), 
Friedmann 25 ), Ganser (l.c.), Gugl 20 ), Krafft-Ebing 27 ), 


18 ) Hitzig, Ueber den Querulantenwahnsinn, Leipzig 1895 
,7 ) Kraepelin, Lehrbuch der Psychiatrie, 6. Aufl. 1899, und Einführung 
in die psychiatrische Klinik. 

18 ) Moebiis, Neurol. Beiträge, 2. Heft, pig 71. 

19 ) Tuczek, Zur Lehre von der Hypochondrie. „Zeitschr. f. Psycb.“, Bd. 39, 
pag.653. 

20 ) Ziehen, Hypochondrie in Eulenburq's Real-Encyclopädic, u. Psychiatrie, 
Berlin 1894. 

Äl ) Merklin, Ueber Hypochondrie. „St. Petersb. med. Woclienschr.“, 1892. 
i! ) Altiiaüs, Hypochondrie u. Nosophobie, Frankfurt 1896. 

23 1 Binswanger, Die Pathologie und Therapie der Neurasthenie, Jena 1896. 
*'*> Böttiger, Ueber die Hypochondrie. „Arch. f. Psycli.“, Bd. 31. 

21 ) Friedmann, Ueber den Wahn. Wiesbaden 1894, und Zur Kenntniß u. 
zum Verständniß milder und kurz verlaufender Wahnformen. „Neurol. Central- 

blatt“, 1898. 

89 ) Gugl u. Sticiil, Neuropatholog. Studien, Stuttgart 1892. 

*‘) Krafft En*,o, Lehrbuch der Psychiatrie, und Nervoiität und ncura- 
sihenische Zns:ändo in Nothnaokl’h Handbuch, 


Levillain (1. c.), Löwenfeld 28 ), Mendel 29 ), Schüle 30 ), Sommer 31 ), 
Wernicke (1. c.), die freilich nicht alle einen gleich schroffen 
Standpunkt einnehmen, sondern vielfach eine gewisse ver¬ 
mittelnde Stellung vertreten, indem sie, wie z. B. Schöle, 
Binswanger, Böttiger, Löwenfeld, Sänger 32 ), Wollenberg 32 ) 
u. A. zugeben, daß die Neurasthenie zur Hypochondrie sich 
entwickeln kann, daß die Uebergänge fließende sind u. s. w. 

Es würde zu weit führen, wollte ich jeden der Autoren 
mit den von ihm ins Treffen geführten Argumenten einzeln 
hier anführen und eine Widerlegung derselben versuchen. Es 
genügt, darauf hinzuweisen, daß sich bei den verschiedenen 
Autoren die allergrößten Differenzen finden. Oft genug wird 
dasselbe Argument von verschiedenen Autoren differential¬ 
diagnostisch bald für, bald gegen die Hypochondrie heran¬ 
gezogen. Ja selbst bei demselben Autor ergeben sich mitunter 
an verschiedenen Stellen seiner Arbeiten unlösbare Wider¬ 
sprüche. Daher sollen einige Stichproben in dieser Hinsicht 
genügen. Schon in der Abschätzung der Häufigkeit der Hypo¬ 
chondrie finden sich die allergrößten Differenzen; während für 
den einen die Hypochondrie eine seltene Erkrankung ist, 
meinen wieder andere, daß die Hypochondrie recht häufig sei, 
z. B. Mendel, Krafft-Ebing u. A. Das hängt offenbar mit der 
mehr minder weiten Begriffsbestimmung der Hypochondrie zu¬ 
sammen. 

So sehen wir, daß eine Zahl von Autoren acute und chro¬ 
nische Fälle unterscheidet, andere wieder nur die chronisch¬ 
progressiven Formen als eigentliche Hypochondrie gelten lassen 
wollen. Für letztere Autoren ist natürlich die Hypochondrie, 
die dann vielfach unter die degenerativen Formen der Geistes¬ 
störungen gerechnet wird, ein unheilbares Leiden, während 
die Mehrzahl der Autoren heilbare, ja rasch in Genesung 
übergehende Fälle und Formen mit ungünstiger Prognose 
unterscheidet. 

Wenig mehr als einen Streit über Worte sehen wir darin, 
wenn manche Autoren, z. B. Althaus u. A., beider Neurasthenie 
bloß Nosophobie anerkennen, d. h. Furcht vor der Krankheit, 
während der Hypochonder von dem Vorhandensein schwerer 
Krankheit überzeugt sei. Es ist wohl nicht schwer, unzweifel¬ 
hafte Neurastheniker zu finden, die schwer krank zu sein 
glauben. Aber auch der Inhalt der Befürchtungen und der 
Ideen ist unseres Erachtens kein genügend charakteristisches 
Merkmal für die Hypochondrie gegenüber der Neurasthenie, 
in dem Sinne etwa, daß phantastische, unmögliche, monströse 
Ideen bezüglich befürchteter Krankheiten sich stets bei der 
Hypochondrie finden würden. Die Mehrzahl der Verfechter 
der Hypochondrie gibt zu, daß bei wirklichen Hypochondern 
die Ideen sich ganz wohl im Bereiche des Möglichen bewegen 
können. 

Eine Hauptrolle in der Differentialdiagnose spielen bei 
den verschiedenen Autoren Ansichten über die Entstehung 
und den Ausgangspunkt der Krankheitsideen. Während den 
krankhaften Befürchtungen des Neurasthenikers stets körper¬ 
liche Zustände, peripher ausgelöste Empfindungen zugrunde 
liegen sollen, sei es bei der Hypochondrie anders. Hier handle 
es sieh, wie Krafft-Ebing sich ausdrückt, um primäre Krank¬ 
heitsschöpfungen der Phantasie, Primordialdelirien; die 
abnormen Sensationen seien auf dem Wege der Vorstellungen 
in die Leiblichkeit projicirte Vorgänge (in seinem Lehrbuche 
der Psychiatiie hatte Krafft-Ebing freilich angegeben, daß 
der Hypochondrie immer eine körperliche Erkrankung zu¬ 
grunde liege). 


2S ) Löwenfeld, Pathologie und Therapie der Neurasthenie und Hysterie, 
Wiesbaden 1894, und „Die moderne Behandlung der Nervenschwäche“, Wies¬ 
baden 1895. 

29 ) Mendel, Die Hypochondrie beim weiblichen Geschlecht. „Deutsche 
med. Wochenschr.“, 1889. 

#t ) Schüle, Psychiatrie, Leipzig 1886. 

3l ) Sommer, Diagnostik der Geisteskrankheiten. II. Aufl. 

82 ) Siehe die Discnssion zu dem Vortrage von Böttiger, ref. „Nenr. 

Otntral .l.“, 1898, pag. 761. 


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Binswanger wiederum meint, daß bei der Neurasthenie 
eine psychische Hyperalgesie besteht, die den Ausgangspunkt 
für die Krankheitsbefürchtungen darstellt, während das hypo¬ 
chondrische Schmerzgefühl durch ideagene Entstehung der 
Schmerzen sich davon unterscheidet. Es entstehen so illusio¬ 
näre, ja sogar hallucinirte Schmerzen. 

Hier müssen wir ein wenig innehalten. Erinnern wir uns 
zunächst an die Unterscheidung der alten Autoren einer 
Hypochondria cum et sine materia, d. h. Hypochondrie 
mit nachweisbarem und nicht nachweisbarem krankhaften 
Substrat der Empfindungen, und „nicht nachweisbar“ 
ist noch lange nicht immer „nicht vorhanden“. Weiters, die 
Empfindungen des Neurasthenikers sind durchaus nicht immer 
besonders intensiv; oft genug dürften es gewöhnliche Em¬ 
pfindungen sein, die, noch in das Bereich des Normalen fallend, 
nur infolge der krankhaft gesteigerten Empfindlichkeit, der 
besonderen Aufmerksamkeit des Kranken auf seinen körper¬ 
lichen Zustand, seinen krankhaften Befürchtungen u. s. w. als 
etwas Abnormes, Krankhaftes empfunden werden und zu weit¬ 
gehenden Schlußfolgerungen Anlaß geben. Umgekehrt liegen 
oft genug den hypochondrischen Ideen unzweifelhaft psychischer 
Krankheiten, z. B. der Paranoia, Melancholie, somatische Stö¬ 
rungen nach der einen oder anderen Richtung zugrunde; sie 
sind dann der Ausgangspunkt für die weitergehenden Befürch¬ 
tungen , resp. Wahnideen körperlicher Beeinflussung u. s. w. 
Vor Allem aber ist zu betonen, daß bei dem Umstande, als 
es sich hier zum allergrößten Theile um Störungen handelt, 
die einem objectiven Nachweise überhaupt nicht zugänglich 
sind, eine Entscheidung darüber, ob die Empfindungen und 
Befürchtungen des Kranken durch periphere krankhafte Vor¬ 
gänge ausgelöst oder psychisch, ideagen bedingt sind, nicht 
leicht durchzuführen ist. Der Ausspruch der Autoren, daß 
bei der Hypochondrie die Schmerzen des Kranken ideagenen 
Ursprungs sind, erscheint darum als recht doctrinär. Es er¬ 
innert die ganze Sachlage an den lange geführten Streit um 
den Ausgangspunkt der Hallucinationen, deren Unterscheidung 
in Apperceptions- und Pereeptionshallucinationen und ihre 
Abgrenzung gegenüber den Illusionen und dem in dieser Frage 
herrschenden Doctrinarismus. 

Ganz übergehen können wir Anderes, was zur Differential¬ 
diagnose der Hypochondrie gegenüber der Neurasthenie an¬ 
geführt wurde, wie z. B. daß der Neurastheniker tröstendem 
Zuspruche zugänglich ist, der Hypochonder nicht und Aehn- 
liches. Solche Unterscheidungsmerkmale dürften nicht weit 
führen. (Schluß folgt.) 

Eiu Fall von Hautaktinomykosis. 

Von Dr. J. Kuöera in Brannowitz. 

Die literarischen Arbeiten über aktinomykotische Er¬ 
krankungen des Menschen datiren erst aus der neuesten Zeit. 
Abgesehen von sporadischen, mehr nur gelegentlich registrirten 
Fällen war I. Israel der erste, der im Jahre 1885 diese Frage 
ex professo behandelte. Allein schon im Jahre 1892 hat 
Illich auf der Klinik Albert einschließlich von 54 Fällen 
eigener Beobachtung eine Statistik von 421 Fällen zusammen¬ 
gestellt ; hieraus ist zu entnehmen, daß die Erkrankung selbst 
keineswegs zu den Seltenheiten gehört. Auf dem VII. Piro- 
GOFF’schen Congresse russischer Aerzte (zu Kazanj im J. 1899 
abgehalten) hat Dr. Tichov über 158 aus der russischen 
Literatur zusammengestellte Fälle aktinomykotischer Er¬ 
krankungen am Menschen berichtet, und in der daran ange¬ 
knüpften Discussion wurden weitere Fälle derselben Erkrankung 
angeführt, und zwar: Von Prof. V. J. Rasumowsky 6 Fälle, 
von Dr. F. K. Illinsky und F. B. Krasnobajeff je 3, von 
Dr. A. B. Arapoff, S. B. Fedoroff und Titoff je ein Fall, 
so daß im Ganzen 173 Fälle aus der russischen Literatur be¬ 
kannt geworden sind. Diese Zusammenstellung verdient na¬ 
mentlich deshalb besonders hervorgeboben zu werden, weil 


darunter kein einziger Fall von Hautaktinomy¬ 
kosis vorkommt, obwohl unter den von Illich zusammen¬ 
gestellten Fällen 11, das ist 2 - 8 n /„ auf der Haut localisirt 
waren. 

Ueber einen ganz einwandfreien Fall von Hautaktino¬ 
mykosis hat Dr. Wenzel Kopfstein im „Cas. lek. (Osk.“ Nr. 29 
vom 21. Juli 1901 berichtet und dabei auch die allgemein an¬ 
genommene Definition von „Hautaktinomykosis“ dahinpräcisirt, 
daß hierunter nur jene Fälle zu verstehen seien, in denen 
die Infection des Organismus durch Einpflanzung des aktino- 
mykotischen Pilzes in eine Hautwunde zustande gekommen ist. 

Kommt das auf solche Art erkrankte Individuum recht¬ 
zeitig in zweckmäßige Behandlung, dann bleibt der Proceß 
auf die Haut und das Unterhautzellgewebe beschränkt; 
anderenfalls aber bei Vernachlässigung kann die Krankheit 
in tiefer gelegene Organe eindringen, wodurch ihre Lebens¬ 
gefährlichkeit sowie auch ibre Resistenz gegenüber therapeu¬ 
tischen Maßnahmen sich steigert. 

Zieht man in Betracht, daß der Strahlenpilz (Aktino- 
myces) auf den Getreidepflanzen domicilirt und mit Vorliebe 
die Grannen der Gerste und des Hafers zu seinem Sitze wählt, 
daß die Sporen aller Wahrscheinlichkeit nach zugleich mit 
dem Korne der Mutterpflanze ieif und fortpflanzungsfähig 
werden, — daß ferner die Landarbeiter sowohl zur Zeit der 
Ernte, als auch sonst bei genügend warmer Temperatur nicht 
nur das reife Getreide, sondern auch das Stroh und sonstige 
Producte desselben beinahe ausschließlich mit nackten Armen 
umgreifen ; •— daß auch die Haut auf den Händen und Armen 
der Landarbeiter, welche auf die beschriebene Art mit den 
Trägern der Krankheitskeime von Aktinomykosis in unmittel¬ 
baren und äußerst häufigen Contact kommt, fast beständig 
kleine Aufschürfungen und sonstige Continuitätstreunungen 
aufweist — so muß es sehr auffallend erscheinen, daß von 
den doch ziemlich zahlreichen aktinomykotischen Erkrankungen 
der Menschen so seltene Fälle durch Inoculation des Krank¬ 
heitserregers in die Haut zustande kommen. Insbesondere auf¬ 
fallend ist gerade in dieser Beziehung die oben berangezogene 
Zusammenstellung aus der russischen Literatur. 

Meines unmaßgeblichen Erachtens ist die verhältnißmäßige 
Seltenheit der ärztlich diagnosticirten Hautaktinomykosis da¬ 
durch zu erklären, daß gerade jene Bevölkerungsclassen, welche 
der Gefahr einer Inoculation des Strahlenpilzes in ihre ver¬ 
letzte Körperhaut beruflich am meisten ausgesetzt sind, eine 
gewisse Art von Indolenz gegenüber Gesundheitsstörungen 
leichteren Grades zur Schau tragen und insbesondere den 
wissenschaftlich gebildeten Aerzten nur im äußersten Noth- 
falle sich anvertrauen; diese gerade bei der russischen Land¬ 
bevölkerung in womöglich noch gesteigertem Maße herrschen¬ 
den Zustände bewirken nun, daß viele, ja beinahe alle 
Fälle ursprünglich reiner Hautaktinomykosis vernachlässigt 
werden, wodurch die Krankheitserreger Zeit und Gelegenheit 
finden, in die tiefer gelegenen Organe vorzudringen und 
dortselbst sich einzunisten. Die Kranken gelangen erst dann 
in ärztliche Beobachtung, weun das ursprüngliche Bild der 
reinen Hautaktinomykosis zur Unkenntlichkeit verändert ist. 

Ob diese meine Auffassung richtig ist, vermag ich nicht 
zu entscheiden; weitere genaue Beobachtungen, namentlich 
genaue anamnestische Erhebungen über die ersten Piiasen 
der Erkrankung, nicht minder auch fortgesetzte Studien 
über den ganzen Entwickelungsverlauf des Strahlenpilzes sind 
imstande, hierüber genaue Aufklärung zu geben. 

Der in meiner Praxis zur Beobachtung gekommene Fall 
weist folgende Krankengeschichte auf: 

J. D., 28 Jahre alt, verheiratet, Ochsenknecht in der Zucker¬ 
fabrik, in ambulatorische Behandlung am 10. Februar 1901 auf¬ 
genommen. 

Mittlere starke Statur, Knochen und Musculatur kräftig; 
Athmungsorgane, Gefäßsystem und Verdauungsorganc normal, Lues 
ausgeschlossen (seit 4 Jahren verheiratet, hat 3 Kin ler im Alter 

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von 3 Jahren bis 2 Monaten) ; mäßiger Potus zugestanden ; die sicht¬ 
baren Schleimhäute und allgemeine Hautdecke normal gefärbt. An 
der linken Halsseite etwa zwei Querfingerbreit unterhalb des Kiefer¬ 
winkels beginnend und nach unten sich ausdehnend sitzt ein flacher 
Tumor mit annähernd ovalem Contour, etwa 5 Cm. (in der Horizon¬ 
talen) lang, 4 Cm. breit (hoch), dessen größter Theil die den linken 
Kopfnicker deckende Haut durchsetzt. Der Tumor erhebt sich wenig 
über das Niveau der Umgebung, ist an seiner Oberfläche grobhügelig, 
sein Rand vielfach gebuchtet und rundlich gezackt; die um¬ 
gebende Haut bis nahe an den Tumor ganz normal, auf dem Tumor 
selbst dunkelroth, bedeutend wärmer; subjective Schmerzempfin¬ 
dung geringfügig. Die Localisation des Tumors ist präcise auf 
die Haut beschränkt und läßt sich derselbe über den tiefer ge¬ 
legenen Organen leicht und ausgiebig nach allen Richtungen ver¬ 
schieben. Die Consistenz ist fest, bretthart; beim Zusammendrücken 
und energischen Angreifen des Tumors klagt der Pat. über großen 
Schmerz. Aetiologisch gibt Pat. an, daß er vor 2 bis 3 Wochen 
beim Rasiren sich die Haut mit dem Rasirmesser geritzt habe, die 
Wunde sei aber nicht wie sonst eingetrocknet und verheilt, son¬ 
dern habe sich in die Breite ausgedehnt, bis daraus der beschriebene 
Tumor entstanden sei. Die ursprüngliche Hautwunde ließ sich in 
dem Tumor nicht mehr wahrnehmen. 

Da eine bestimmte Diagnose nicht gestellt werden konnte, 
wurde zunächst Unguent. plumbi acet. verordnet, wodurch nach drei 
Tagen die Bildung multipler Absceßchen erzielt wurde; dieselben 
saßen je in der Mitte fast aller Knoten, aus welchen der Tumor 
zusammengesetzt schien, und der durch Eröffnung derselben ge¬ 
wonnene Eiter zeigte bei mikroskopischer Untersuchung zahlreiche 
Fäden, aber nur sehr sporadische Aktinomycesdrüsen. Die Locali¬ 
sation des Processes in der Haut blieb stationär. Nachdem der 
Versuch, durch Scarification und Ichthyolbehandlung Heilung zu 
erzielen, nach mehr als 14 Tagen keinen Erfolg zeigte, entschloß 
ich mich, Jodkali in das Parenchym des Tumors zu injiciren, und 
verfuhr dabei folgender Art: 

Möglichst nahe der Basis des vorher sorgsam abgewaschenen 
Tumors wurde die Nadel einer PKAVAZ’soheu Spritze beinahe ganz 
eingestochen und sodann unter allmäligem Hervorziehen der Nadel 
bei mäßiger Druckanwendung 2 Ccm. von der Lösung: Acidi salicyl. 
0'06, Kali jodat. 4’0, Aqu. destill. 20 - 0 injicirt, der Tumor sodann 
mit einer von Ichthyolvasogen durchtränkten und einer zweiten, 
trockenen Wattaschicht bedeckt, unter BiLLROTH-Battist verbunden 
und dieser Verband vier Tage liegen gelassen. Nach vier Tagen 
wurde der Verband abgenommen, die Oberfläche des Tumors ge¬ 
reinigt und abermals in die nächste Nachbarpartie dieselbe Injection 
wie vorher vorgenommen; im Ganzen wurde sechsmal injicirt und 
schließlich Heilung erzielt; diejenige Partie des Tumors, in welche zu¬ 
letzt injicirt worden war, zeigte schon beim nächsten Verbandwechsel, 
also nach vier Tagen, eine deutliche Besserung; die in dem Be¬ 
reiche derselben gelegenen Knoten reinigten sich durch Eiterung, 
neue Knotenbildung unterblieb und nach Verlauf von 12—14 Tagen 
war die durch die Injection behandelte Partie zu normaler Haut 
zurückgebildet. 

Per os wurde weder Kali jodat., noch sonst etwas ordinirt; 
im Ganzen wurden in 12 Ccm. Lösung 2'4 Grm. Kali jodat. injicirt. 
Diese Behandlung dauerte vier Wochen; die ganze Krank¬ 
heitsdauer (seit der muthraaßlichen Infection) etwa 10 Wochen. 
Der Patient war während meiner Behandlung nicht bettlägerig, 
sondern ging seiner Dienstbeschäftigung ungestört nach, abgesehen 
von der zur ambulatorischen Behandlung erforderlichen Zeit. Die In- 
jectionen selbst, insbesondere das Durchtränken des Tumors mit 
dem Injectum, waren für den Pat. sehr schmerzhaft und des¬ 
halb mußten dieselben in mehreren Sitzungen vorgenommen werden; 
hingegen wirkte das Auflegen der von Ichthyolvasogen durch¬ 
tränkten Wattaschicht schmerzstillend und abkühlend. Die Heilung 
ist eine vollkommene, es besteht keine Narbenzerrung und bis heute, 
nach Verlauf von fa6t einem Jahre, ist keine Recidive eingetreten. 

In ätiologischer Beziehung verdient noch erwähnt zu 
werden, daß Patient auch die Fütterung des ihm zugewiese¬ 
nen Ochsengespannes besorgt, wobei er das erforderliche Heu 
und Stroh von dem Magazine in seinen Armen holt und den 


Ochsen einlegt; von dem Gespanne des Patienten ist 
ein Ochs gleichfalls an Aktinomykosis (des lin¬ 
ken Unterkieferknochens) erkrankt. 

Die beschriebene Behandlungsmethode habe ich aus 
Rücksicht auf den Patienten gewählt. Eine Exstirpation 
des Tumors hielt ich nicht für angezeigt, einmal wegen der 
Schwierigkeit der Deckung des durch dieselbe nothwendig zu 
setzenden und bedeutenden Hautdefectes, aber auch deshalb, 
weil diese Behandlungsmethode den Kranken unbedingt für 
einige Zeit ans Bett gefesselt und so zur Arbeits- und Er¬ 
werbslosigkeit gezwungen hätte, was für ihn und seine Fa¬ 
milie trotz der in Aussicht stehenden Krankencassenunter- 
stützung immerhin mit bedeutendem materiellen Nachtheile 
verbunden gewesen wäre. 

Literatur: H. Tillmann’s Lehrbuch der aligem. Chirurgie, VI. Aufl., 
pag. 387 1- ff- — Albert, Lehrb. der spec. Chirurgie, V. AuH., I. Bd., pag. 202- 
— Ca9opis lek. cesk., 1900, pag. 724 (Kopfstein’s Bericht über einen Fall 
von Hautaktinomykose), pag 460 (Referat über den VII. Pi«oooFF’schen Aerzte- 
Congreß), dann pag. 272-454 und 1010 (Referate aus Zeitschriften und Aerzte- 
versamralungen). 


Beiträge zur Tuberculosefrage. 

Von Dr. Ferdinand Kornfeld in Wien. *) 

(Schluß.) 

Wie gesagt, bei allem Respect vor einer gewissen Ueber- 
zeugungskraft und dem nicht zu unterschätzenden Werthe 
der sogenannten Erfahrung, müssen wir in so wichtigen Fragen, 
wie es die Tuberculose ist, eben ganz andere Momente neben 
der Erfahrung in Rechnung ziehen und deren Gewicht vor¬ 
erst in die Wagschale legen, wenn wir zu endgiltigen und 
ausschlaggebenden Resultaten gelangen wollen. Erfahrung 
ist ein subjectiv gefärbtes, ein imponderables Moment, das 
uns sehr leicht Täuschungen bereitet; in der großen Tuber¬ 
culosefrage insbesondere dann, wenn die Erfahrungen des 
Einzelnen an einem besonderen, dem Durchschnitte ferne 
liegenden, durch äußere Umstände bestimmten Material 
gesammelt wurden. Erst wenn sich die Erfahrung ziffer¬ 
mäßig darstellt, erst dann können wir aus einer ganzen 
großen Reihe derartiger Ergebnisse der Erfahrungen ver¬ 
schiedener Beobachter Schlüsse bezüglich der Hauptmomente 
und einer ganzen Anzahl von Detailumständen eines so be¬ 
deutsamen socialen und pathologischen Factors ziehen, wie 
es die Tuberculose ist. 

Es ist bekannt, daß man zunächst auf dem Wege 
der Sammelforschung, das heißt durch Aussendung 
von Zählblättern an die Aerzte, in zahlreichen Culturstaaten 
danach trachtet, die schwebenden Fragen zu entscheiden. 
Cornet gibt (1. c. pag. 198 ff.) eine Uebersicht über die sehr 
preeären Ergebnisse solcher Sammelforschungen aus früheren 
Jahren, deren Zahlen wegen der spärlich eingelaufenen Ant¬ 
worten seitens der Aerzte zu klein sind, um daraufhin die 
Frage nach der relativen Wichtigkeit, sowohl der Heredit ät, 
als der Contagiosität zu entscheiden. Nur an einem hin¬ 
länglich großen Zahlenmaterial soll dies geschehen, 
d. h. nach einem Berichte möglichst vieler Aerzte über sämmt- 
liche Fälle, welche sie überhaupt oder innerhalb einer be¬ 
stimmten Zeit behandelten — so sagt Cornet mit vollem 
Rechte —, nicht aber, wie es bisher tatsächlich geschah, so 
daß man wichtige, ausschlaggebende, sogenannte Paradefälle 
in diesem oder jenem Sinne beibrachte. Immerhin schreibt 
der genannte Forscher nach seinen eigenen, auf Tausenden 
von Fällen begründeten Untersuchungen, der Ansteckung 
(Contagion) eine außerordentlich wichtige Rolle 
für die Verbreitung der Tuberculose zu, im vollen 
Gegensätze zu der Meinung von Winternitz u. A. Aus den 
bisher wegen der Mangelhaftigkeit der Erhebungen leider nur 
kläglich ausgefallenen Ergebnissen der oben erwähnten, höchst 
beschränkten Sammelforschungen, die zu einem positiven 
Resultate nicht führen konnten, darf keineswegs der Schluß 
gezogen werden, man könne auf diesem Wege zu brauch- 


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barem Zahlenmateriale überhaupt nicht gelangen, auf welchem 
die Grundzüge allgemeiner Bestimmungen und Maßnahmen 
gegen die Tuberculose aufzubauen wären. Im Gegentheile; 
wir müssen mit allen uns zu Gebote stehenden 
Mitteln danach streben, insbesondere auch bei 
uns in Oesterreich, wo die Tuberculose speciell 
in der Reichshauptstadt, aber auch in vielen 
anderen größeren Städten, von denen bloßKlagen- 
furt, Laibach, Budapest, Troppau namentlich 
angeführt seien, jährlich viele Hunderte dahin¬ 
rafft, auf dem Wege einer gut fundirten Sammel¬ 
forschung zu einer brauchbaren Statistik zu 
gelangen. Diese ist unseres Erachtens nach eine der 
wichtigsten. wenn nicht die allerwichtigste Vorbedingung 
für eine klarere Erkenntniß der Hauptmomente der Aus¬ 
breitung und der Bekämpfung der Tuberculose. Nach solchen 
Resultaten gemeinsamer und auf vielfache Ueberprüfung hin 
approbirter großer Rechnungstabellen werden wir zu einem 
maßgebenden, übersichtlichen Urtheil gelangen, nicht aber 
durch die Erfahrungen Einzelner, die ja so oft in gerade ent¬ 
gegengesetztem Sinne zueinander sprechen können. Wir dürfen 
uns keineswegs abschrecken lassen, auf dem einmal betretenen 
Wege neuerdings fortzufahren ; wenn auch die Antworten bisher 
nur kleine Zahlen lieferten, so steht gerade jetzt, wo das 
Interesse der großen Oeffentlichkeit, unter dem Eindrücke der 
Arbeiten und der Thätigkeit der Reichs-Tuberculosecom- 
missionen und der Tuberculosecongresse, ein wesentlich, viel¬ 
leicht allzusehr gesteigertes geworden ist, zu erwarten, daß 
die Antworten bei neuerlichen Umfragen an die Aerzte, die 
Behörden, die Krankencassen etc. — einer Anzeigepflicht bedarf 
e3 hiezu nicht — reichlicher einlaufen und das dadurch zu 
gewinnende Zahlenmaterial ein weitaus umfangreicheres sein 
werde. Aus diesem werden sich dann ganz gewiß brauchbare 
Werthe und wahre Schlüsse auf die ganze große Frage ab¬ 
leiten lassen. 

Wir müssen heute bereits ein besonderes Gewicht 
auf die Beweiskraft richtig verwertheter Zahlen legen, 
wenn wir die bedeutungsvollen Arbeiten Cornkt’s und die in 
denselben enthaltenen Schlußfolgerungen in ihrem gesammten 
Connex gründlich studiren; in denselben ist ein so wichtiges 
Material niedergelegt, welches von ganz besonderem Werthe 
erscheint in dem Augenblicke, wo wir aus gegnerischem 
Munde so viele, mit aller Energie verfochtene Bedenken 
gegen alles, was die Tuberculose und die Infectiosität der¬ 
selben als imminente Gefahren darstellt, laut werden hören. 

Cornet betont zunächst, daß man ein richtiges Bild 
von der Bedeutung der Tuberculosemortalität einzig und 
allein dann gewinnt, wenn man die an Tuberculose Gestorbenen 
verschiedener Bevölkerungsgruppen, Altersclassen oder Jahre 
auf die unter sich gleiche Anzahl zugehöriger Lebender 
(etwa 10.000) berechnet. Als falsch bezeichnet er, wenn 
man aus dem Umstande, daß ein Siebentel, resp. ein 
Drittel der Menschheit an Tuberculose stirbt, 
ilen Schluß ziehen will, es sei auch eine gleiche Anzahl der 
Lebenden tuberculös. Richtig ist, daß ein Siebentel 
aller Menschen an Tuberculose stirbt, wie aus den Statistiken 
vieler Länder hervorgeht; richtig ist ferner, daß sich in 
etwa einem Drittel aller obducirten Leichen tuberculose 
Herde gefunden haben. Die in der Anatomie zur Obduction 
gelangenden Leichen kommen aber sicherlich zum allergrößten 
Theile aus den ärmsten Bevölkerungsschichten, und 
bei diesen ist die Häufigkeit der Tuberculose eine weit 
größere, als bei der gesammten Bevölkerung im Durch¬ 
schnitte. Darum ist es falsch, aus diesem Leichenmaterial 
auf die Gesammtbevölkerung zu schließen, wie es 
Winternitz thut. Cornet fand für Preußen, daß in der Ge¬ 
sammtbevölkerung im Zeiträume 1880—1884 nicht einmal 
ein Achtel an Tuberculose starb, in den Heilanstalten, welche 
die Hauptbezugsquelle der Anatomien sind, ein Viertel der 
Todesfälle auf Rechnung dieser Krankheit kam. 


Die Infection durch die Ehe fand Cornet, gleich¬ 
falls im vollen Gegensätze zu Winternitz, „in vielen Hunderten 
von geradezu classischen Fällen“ durch Contagion erwiesen 
und berechnete sie nicht auf 10, sondern auf 23%. Dagegen 
weist er deutlich nach, daß der hereditären Disposition 
ein maßgebender Einfluß auf die Entwickelung 
und Verbreitung der Tub erculose nicht zukommt, 
abermals im vollsten Gegensätze zu Winternitz. 

Es würde zu weit führen und ist gewiß hier nicht der 
geeignete Platz, die große Zahl der Irrthümer, zu denen Hof¬ 
rath Winternitz seine eigene persönliche Erfahrung verleitet 
hat, näher zu kennzeichnen und auf ihre letzten Ursachen 
zurückzu führen. Es genügt der Hinweis, daß sich aus den 
obigen, spärlichen Belegen ergibt, wie sehr sie in absolutem 
Gegensätze zu den modernen, durch Forschung und Statistik 
belegten Thatsachen stehen. Gewiß ist, daß ein so einseitiger 
Standpunkt für diese wichtige Frage außer Betracht bleiben 
muß und daß er der jungen Generation keineswegs als Lehre 
gelten darf. 

Seinen Bedenken gegenüber muß aber mit allem Nachdrucke 
betont werden, daß seit der Einführung und der immer 
mehrzunehmendenEinbürgerungprophylaktischer 
Maßnahmen die Mortalität an Tuberculose be¬ 
ständig im Sinken begriffen ist. Für Preußen be¬ 
rechnet Cornet dieses Sinken der Tuberculosefrequenz um ein 
Drittel der früheren Zahlen. Daraus ergibt sich aber, sagt 
Cornet, daß der Erfolg der bisherigen antibaciHären Prophylaxe 
den Einzelnen und dem Staate die unabweisliche Pflicht auf¬ 
erlegt, weitere Maßnahmen der Prophylaxe zu treffen und 
darin nicht zu erlahmen. 

Ich habe mich gemäß meinen Auseinandersetzungen 
bemüht, im Laufe der letzten Jahre an der Hand der werth¬ 
vollen Literatur in die ganze Frage der Uebertragung und 
der Prophylaxe der Tuberculose Einblick und daraus die 
Kenntniß des unumstößlich Wahren zu gewinnen. 

Ich darf mich daher zu dem Ausspruche berechtigt halten, 
daß ich, der Mahnung des Herrn Hofrathes Prof. 
Weichsel bäum getreu, die Gefahr der Tuber¬ 
culose von keiner Seite unterschätzt sehen 
möchte, am allerwenigsten von jener, welche sich auf 
decennienlange, ausgedehnte, praktische Erfahrung berufen 
kann. 

Zu den Ausführungen Prof. Benedikt’s, welche ja zweifel¬ 
los gemäß der interessanten Eigenart des ungewöhnlich ge¬ 
wandten Redners auch diesmal in historischer, etymologischer 
und mathematisch-denkmethodischer Beziehung in hohem Grade 
beachtenswerth gewesen sind, will ich nur kurz einiges er¬ 
wähnen. Die Vorschläge und Bedenken bezüglich Anzeigepflicht 
und -Recht, die Bemerkungen über Curorte und Heilstätten 
für tuberculose Kranke sind der Beachtung durchaus werth 
und verdienen eingehendste Berathung zum Zwecke behörd¬ 
licher Verfügungen. Die Curorte nannte Benedikt, im auf¬ 
fälligsten Contraste zu Winternitz, ebenso Brutstätten der 
Tuberculose, wie er die Kasernen, die Irrenhäuser, die Gefäng¬ 
nisse und die großen Spitäler als Seuchenherde bezeichnete; 
leider unterließ es der Redner, für diese, in ihren principiellen 
Thatsachen sicher allgemein bekannten Umstände Zahlen, 
u. zw. große Reihen von Zahlen, namhaft zu machen. Gewiß 
wäre es interessant genug gewesen, die eine Thatsache allein 
nachdrücklich und mit Zahlen belegt, hervorgehoben zu sehen, 
wie häufig die directe Uebertragung der Tuberculose durch 
Contagion auf dienendes Spitalspersonal und Spitalsärzte vor¬ 
kommt, ein Moment, das Fraentzel, Gerhardt, Grasnick und 
viele Andere genügend betont haben, und das beweist, daß 
trotz gegentheiliger Behauptungen, in der Mehrzahl der 
Spitäler die Maßnahmen zum Schutze vor der Contagion der 
Tuberculose noch höchst unzulängliche sind, daß keineswegs 
Alles geschieht, was zur Prophylaxe erforderlich ist. — Denk¬ 
methodisch war die uns von Benedikt an die Tafel geschriebene 
Formel der Tuberculose möglicherweise höchst interessant, 

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Wiener Medizinische Presse. — Nr. 13. 


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für die Mehrzahl von uns aber leider nicht verständlich, weil 
sie nur in Zeichen und in keiner einzigen Zahl spricht. Daß 
man dadei die Bacillen in dieser Formel mit 0, als occasionelles 
Moment bezeichnet findet, muß doch sehr in Erstaunen setzen. 
So belanglos sind die Bacillen keineswegs und so einfach, so 
bequem und beruhigend steht die Sache nicht. Ohne eine 
gewisse Disposition gewiß keine Tuberculose; gewiß aber auch 
ohne Bacillen nicht, die nie und nimmer ein rein accidentelles 
Moment darzustellen verurtheilt werden dürfen. 

Bezüglich der Heilstättenfrage, über die sich 
"Winternitz natürlich gemäß seiner pontificalen Prophezeiung, 
daß wir gegenüber der Tuberculose auch in Zukunft niemals 
etwas erreichen werden, absolut ablehnend ausspricht, sei es 
mir gestattet, einige Momente in Erwägung zu ziehen. Es 
gibt auch derzeit noch eine ganze Anzahl von Aerzten, welche 
gegen die ganze Heilstättenbewegung gewisse Bedenken 
hegen, nicht aus den aprioristischen Motiven von Wintern itz, 
sondern von der Ueberlegung ausgehend, es sei vielleicht das 
Zusammenbringen vieler Tuberculöser an einem Orte, sowohl 
für die Kranken, wie für ihre unmittelbare Umgebung, d. h. 
Pflege-, Bedienungs- und ärztliches Personal, ferner auch für 
die Bevölkerung des betreffenden Landbezirkes nicht von Vor¬ 
theil. Ganz sicher ist es dagegen zu früh, wenn man heute, 
nach wenigen Jahren bereits, ziffermäßig, oder sogar in 
Procenten Erfolge aus der Heilstättenbehandlung berauslesen 
möchte. Mit dem idealen Postulate, die großen allgemeinen 
Krankenhäuser gänzlich von Tuberculösen zu räumen, könnten 
wir nach der Einsicht aller Sachkundigen gewiß viel Gutes 
erreichen; denn damit würden wir die Infectionsgefahr für 
Pflegepersonal und nicht tuberculös erkrankte Patienten 
wesentlich eindämmen, die derzeit größer ist, als man glauben 
würde. Wenn man die Lungenkranken in gut angelegt^, 
pavillonartig erbaute, landschaftlich und hygienisch günstig 
situirte Heilstätten bringt, dann schafft man für alle Theile 
vortheilhaftere Bedingungen. Ob die Heilstätten nicht Seuchen¬ 
herde für die Nachbarschaft seien, muß zwar wohl beachtet 
und genauestens ziffermäßig in der Statistik in Hinkunft 
studirt werden; hoffentlich wird aber dieses ernste Bedenken 
vieler Collegen durch die Thatsachen zerstreut werden. 

Es geht gewiß nicht an, aus den bisherigen, wenige 
Jahre umspannenden Beobachtungen über die Erfolge der 
Heilstättenbehandlung der Tuberculose eine Statistik zu 
machen, wie es bereits von einzelnen Autoren geschieht; 
namentlich wenn man bedenkt, daß das in die Heilstätten 
aufgenommene Krankenmaterial ein ganz eigenartiges und 
gewiß sehr oft in mancherlei Hinsicht nicht correct aus¬ 
gewähltes ist. Zumeist gilt das Princip, ob mit Recht, bleibe 
dahingestellt, nur Tuberculose im Anfangsstadium auf¬ 
zunehmen ; da sind die Kranken bekanntlich am wenigsten 
oder gar nicht gefährlich für ihre Umgebung, weil sie zumeist 
gar kein Sputum, oder höchst spärliche Bacillen in demselben 
haben. Gewiß unterlaufen aber bei dem Suchen nach dem 
Anfangsstadium diagnostische Irrthümer; es werden nicht 
Tuberculose aufgenommen und diese bilden dann in zweierlei 
Richtung wichtige rechnungsmäßige Factoren: sie sind die 
Paradefälle, welche die Statistik, percentuariseh sogar, ver¬ 
bessern, oder sie werden zu unschuldigen Opfern, indem sie 
in der Heilstätte tuberculös werden, was ihnen möglicher Weise 
nicht zugestoßen wäre, wenn man sie lieber gar nicht auf¬ 
genommen hätte. Darum wird man bei der Auswahl der Auf¬ 
nahmewerber mit der allergrößten Vorsicht und Ueberlegung 
zu Werke gehen müssen. Es bleibt diesbezüglich auch noch 
zu bedenken, daß viele arme Kranke, ihren ungünstigen, 
häuslichen Verhältnissen entnommen, bei der vorzüglichen Er¬ 
nährung, der Befreiung von Erwerbssorgen etc. und bei drei- 
bis sechsmonatlichem Aufenthalte unter den besten hygienischen 
Bedingungen glänzend gedeihen, um dann gewiß, in ihre ur¬ 
sprünglichen Verhältnisse zurückversetzt, umso rapider zu¬ 
grunde zu gehen; analoge Umstände wie jene, die sich bei 
dem Fortschicken Lungenkranker in den Frühstadien nach 


entfernten Winterstationen (Nizza, Malta, Heluan etc.) geltend 
machen und bei denen so viele Kranke unter Heimweh, unter 
unbehaglichen Wohnungs- und Ernährungsbedingungen rasch 
herabkommen, gewiß viel rascher als bei häuslicher Pflege in 
gewohntem Kreise. 

Es dürfte kaum einer Frage unterliegen, daß zweier¬ 
lei Heilstätten errichtet werden sollten: solche für die 
Anfangsstadien, namentlich aber auch solche für die vorge¬ 
schrittensten Fälle. Denn gerade solche Kranke aus den 
unbemittelten Classen sollen ganz entschieden aus ihrer 
Umgebung entfernt werden, für die sie eine enorme Gefahr 
der Infection bilden. 

Bezüglich all dieser Thatsachen der Tuberculoseprophylaxe, 
der Infectionsmöglichkeit, der Statistik der Heilstättenfrage 
und auch in der Polemik gegen die bedauerlichen Irrthümer 
von anderen Seiten mußte ich mich im Rahmen einer Discussion 
so kurz als möglich fassen; es konnte dies nur bis zu einem 
gewissen Grade der Fall sein, wollte ich allen Mißdeutungen 
begegnen. Ich hoffe, gelegentlich noch mit anderem Material 
die Tuberculosefrage beleuchten zu können. 

Zum Schlüsse sei es mir noch gestattet, zu erwäh¬ 
nen, daß ich, meine Bemühungen um die Asbestver- 
werthung im Dienste der Tuberculoseprophylaxe 
fortsetzend, Verbesserungen zu erzielen in der Lage war, 
welche bei Herstellung von Boden-, Wandbekleidungen und 
bei Anfertigung von Utensilien zur Krankenpflege (Spuck¬ 
schalen, Leibschüsseln u. v. a) aus Asbestcement einige 
Gewähr für bi auchbare und billige Objecte bieten. Keineswegs 
bin ich mir dessen unbewußt, mit meinen Vorschlägen nur 
einen kleinen, aber doch nicht unwichtigen Beitrag zu liefern ; 
allein bei der Bekämpfung der Tuberculose soll ja, nach den 
glücklicherweise immer allgemeiner zum Durchbruche ge¬ 
langenden Grundsätzen, nichts gering geachtet werden. Jeder 
Zollbreit, jedes Zehntelprocent, das wir der verheerenden 
Krankheit an Opfern abringen, ist ein werthvoller Besitz, ein 
Factor von socialer, ökonomischer, und nicht zuletzt von wissen¬ 
schaftlicher und philanthropischer Bedeutung. 


Referate. 

F. A. Hoffmann (Leipzig): Ueber hypophreniache Schmer¬ 
zen und Neurose des Plexus coeliacus. 

Hypophrenische Schmerzen gehen von den zunächst unter 
dem Zwerchfell liegenden Organen und Gebilden aus. Sie zeichnen 
sich durch ihre Mannigfaltigkeit, durch die Schwierigkeit der 
Deutung und durch ihre große praktische Wichtigkeit aus. Man 
kann sie in Druckschmerzen und in spontane Schmerzen eintheilen. 
Die Druckschmerzen sind zweifellos von größerer Zuverlässigkeit. 
Die gewöhnlichen Druckpunkte, unter dem Processus xyphoides, 
hinten, auf und neben der Wirbelsäule, die Gallenblase, die Niere, 
der Ileocöcalpunkt, kommen ganz gewöhnlich mit spontanem Schmerz 
verbunden vor („Münch, med. Wschr.“, 1902, Nr. 7). Die größte 
praktische Bedeutung kommt den spontanen Schmerzen zu ; sie 
sind umschrieben, kolikartig und ausstrahlend, nicht selten finden 
sich mehrere zusammen. Am seltensten finden sich die ausstrahlen¬ 
den bei der Milz, dann folgt Magen, Pankreas, und am häu¬ 
figsten sind sie bei der Leber. Im allgemeinen gilt die Regel, 
daß Erkrankungen, welche die Schleimhäute allein reizen oder im 
Iünern der Parenchyme sitzen,-zu gar keinen Schmerzen führen; 
wird die Muscularis betroffen, dann werden kolikartige Schmerzen 
ausgelöst, wird das Peritoneum gereizt, dann entstehen die localen 
Schmerzen. Auf Neurosen kaün diese Regel natürlich nicht ohne 
Weiteres Anwendung finden, da bei diesen die Reactionsfähigkeit 
des Nervensystems wesentlich erhöht ist. Hier haben auch oft die 
Irradiationen eine ganz gesetzlose Verbreitung. 

Man findet, daß Leber-, Magen-, Milz- und Pankreaserkran¬ 
kungen durch entschiedene Neigung zu Ausstrahlungen nach oben 
charakterisirt sind, während die der Aorta, der Nebennieren und 


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des Ganglion solare nach unten sich erstrecken. Diese Grenze ist 
auf der Vorderseite ganz gesetzmäßig, auf dem Rücken dagegen 
können die zuerst angeführten Organe zu Ausstrahlungen von 
Schmerz in die Wirbelsäule der Sacralgegend und in die Glutäal- 
gegend Veranlassung geben. Ihre regelmäßigen und charakteristischen 
Schmerzen gehen aber auch hier nach oben, die der Leber ins rechte 
Schulterblatt und die rechte Schulter, die des Magens in die Wirbel¬ 
säule unterhalb und zwischen den Schulterblättern, die des Pankreas 
in das linke Schulterblatt und die der Milz ebendahin und in die 
linke Schulter. 

Bei subphrenischen Abscessen sind Ausstrahlungen in die 
Schultern nicht selten. Im ganzen beherrschen hier die localen 
Schmerzen die Situation. Das Wichtigste dabei ist, daß der Absceß, 
der zwischen Zwerchfell und Leber liegt, offenbar an sich keinen 
Schulterschmerz bereitet, sondern nur, wenn er von der Leber aus¬ 
geht. Geht er z. B. vom Processus vermiformis aus, so ist eine 
solche Irradiation nicht beobachtet. Sitzt aber der Absceß verborgen 
in der Leber, so daß er nirgends die Oberfläche erreicht, so macht 
er wieder keinen Schmerz, und ebenso verhalten sich Krebsknoten 
im Lebergewebe oder Echinococcussäcke. 

Unter den subdiaphragmatischen Schmerzen gibt es vielleicht 
auch solche, welche einer Neurose des Plexus coeliacus angehören. 
Sie sitzen im Oberbaucli und strahlen nach unten, gewöhnlich nicht 
in die Genitalien, nach hinten in die Glutäen und in die Sacral¬ 
gegend, und nicht nach oben aus. Diese Schmerzen, mit Schafkoth 
und Poiyurie vereinigt, hält H. für charakteristische Zeichen einer 
Neurose des Plexus coeliacus. B. 

Karl Schwarz (Agram): Erfahrungen über 100 medulläre 
Tropacocain-Analgesien. 

Die BiER’sche Analgesie durch Injection von Cocain in deu 
Subarachnoidalraum von der Lendengegend aus hat den Nachtheil 
sehr unangenehmer Nebenwirkungen (Schüttelfrost, hohes Fieber, 
Collaps , starke Kopfschmerzen); es sind sogar Todesfälle be¬ 
schrieben worden. Ersetzt man das Cocain durch das Eucain, so 
sind die Nebenwirkungen ebenso stark; in jüngster Zeit wendet 
Bier das Eucain B an und legt dabei dem Patienten eine Stauungs¬ 
binde um den Hals, die er noch 2 Stunden nach der Operation 
liegen läßt; dadurch soll der Liquor cerebrospinalis vom Gehirn 
abgehalten und die schädliche Wirkung des Giftes auf das Gehirn 
eingeschränkt werden. Verf. selbst hat seit längerer Zeit das Cocain 
durch Tropacocain ersetzt („Münch, med. Wschr.“, 1902, Nr. 4), 
da die Nacherscheinungen dann milderer Art sind. Allerdings ist 
beim Tropacocain die Ausdehnung des analgetischen Bezirks ge¬ 
ringer als bei Anwendung des Cocains. Als Dosis nahm Verf. 
0*05 Grm. Tropacocain in 1 Ccm. Wasser aufgelöst. In 2 Fällen 
nahm Verf. 0'05 Grm. Tropacocain in 4, resp. 12 Ccm. Wasser; 
hiedurch wurde eine erhebliche Ausdehnung des analgetischen Be¬ 
zirks nach oben erzielt, aber die Nebenwirkungen, besonders in 
dem zweiten Falle, waren sehr heftig und unangenehm. Für Ope¬ 
rationen am Anus, unteren Abschnitt des Rectum, männlichen und 
weiblichen äußeren Genitalien, Vagina, Damm, Füßen, Unterschen¬ 
keln und unteren Abschnitten der Oberschenkel nimmt S. 0 05 Grm., 
für die höheren Abschnitte der Oberschenkel und höheren Partien 
überhaupt 006 Grm. als Maximaldose, bei jüngeren Individuen 
(bis zu 17 Jahren) auch 0’04 Grm. In der Regel reicht die Anal¬ 
gesie nach 0‘06 Grm. bis zur Nabelhöhe, bisweilen bis zum Rippen¬ 
bogen, in den angrenzenden höheren Partien herrscht nur eine 
mehr oder wenige deutliche Schmerzherabsetzung. Größere Laparo¬ 
tomien schließt Verf. von der medullären Narkose aus. Für Bruch¬ 
operationen verwendet Verf. durchwegs diese Methode. An den 
unteren Extremitäten, Genitalien, Damm und After dauert die 
Analgesie 1—2 Stunden. Verf. hat u. a. folgende Operationen nach 
dieser Methode ausgeführt; Colporraphien und Dammplastik, Ale- 
XANDER-ADAM’sche Operation, vaginale Exstirpation eines sub- 
mucösen Uterusmyoms, Araputatio penis carcinomat., Sectio alta 
wegen Blasenstein, Urethrotomia ext. wegen Stricturen, Excisionen 
von Hämorrhoiden, Radialoperationen von Leistenhernien nach 
Bassini, Herniotomien incarcerirter Hernien, meist mit nachfolgender 


Radicaloperation, Gastroenterostomie, Rippenresection, Amputatio 
mammae mit Ausräumung der Achselhöhle. — Die Nebenerschei¬ 
nungen bestehen 15—20 Minuten nach der Injection in Blässe, 
Brechreiz, Erbrechen, häufig Pulsverlangsamung nach der Operation, 
ferner häufig in Lähmung des Sphincter aui; Kopfschmerzen treten 
gar nicht oder nur in mäßigem Grade auf. Das jüngste Individuum, 
das dem Verfahren unterzogen wurde, war 12, das älteste 78 Jahre 
alt. — Die Injection wird am Sitzenden, stark vornüber Gebeugten 
in der Regel zwischen 4. und 5. Lendenwirbel mit einer 9 Cm. 
langen, dünnen, an der Spitze kurz abgeschrägten Hohlnadel aus¬ 
geführt. Sowie der Liquor cerebrospinalis abzutropfen beginnt, 
spritze man die Tropacocaiulösuug ein; es ist unnöthig, erst ein 
gewisses Quantum des Liquor cerebrospinalis abfließen zu lassen. 
Es ist auch gleichgiltig, ob man langsam oder rasch einspritzt. 
Nach der Operation sollen die Patienten jedenfalls einige Tage 
das Bett hüten. G. 

Tschlenow (Moskau): Pityriasis rubra (Hebra). 

Aus den in der dermatologischen Klinik der kaiserlichen 
Universität zu Moskau vom Verf. angestellten Untersuchungen er¬ 
gibt sich Folgendes („Russki Journal Koschnich y Veneritscheskich 
Bolesnej“, 1901, H. 11 u. 12): Die Feststellung einer Gruppe 
„Pityriasis rubra (Brocq)“ oder einer Gruppe „desquamirender 
Erythrodermien (Besnier)“ im Sinne der französischen Schule er¬ 
scheint in wissenschaftlicher Beziehung durchaus unbegründet. Pity¬ 
riasis rubra Hebrae stellt eine scharf und streng charakterisirte 
klinische Form dar. Die Dermatitis exfoliativa (subacuta) Wilson- 
Brocq stellt gleichfalls eine vollkommen selbständige klinische Form 
dar, wenn sie auch im Allgemeinen noch sehr wenig erforscht ist; das 
Vorkommen von chronischer Dermatitis exfoliativa ist vorläufig als 
nicht erwiesen za betrachten. Erythe ne scarlatiniforme recidivant 
stellt eine Erkrankung dar, die augenscheinlich in vielen Fällen 
mit den sogenannten medicamentösen Exanthemen identisch ist und 
jedenfalls eine weitere Forschung erheischt. Das klinische Bild 
der Pityriasis rubra Hebrae stellt gegenwärtig einige Veränderungen 
und Ergänzungen im Vergleich mit der ursprünglichen Schilderung 
IIebra’s dar; in seinen Cardinalsymptomen entspricht es aber voll 
und ganz der ursprünglichen Beschreibung. Die histologischen Ver¬ 
änderungen, die bei Pityriasis rubra gefunden werden, bestehen 
hauptsächlich in ursprünglicher Afiection der Epidermis mit secun- 
dären entzündlichen Veränderungen der Cutis , die bei längerem 
Bestehen zu vollständiger Atrophie der Haut führen. Was die Patho¬ 
genese der Pityriasis rubra betrifft, so kann keine einzige der 
Theorien, die dieselbe aufzuklären suchen, als erwiesen erachtet 
werden ; die wahrscheinlichste ist vielleicht die Theorie der toxischen 
Entstehung der Pityriasis rubra, aber auch diese Theorie ist vor¬ 
läufig nur Hypothese, deren Bestätigung eine Sache der Zukunft 
ist. Die Prognose der Pityriasis rubra Hebrae ist im Allgemeinen 
sehr ungünstig, immerhin aber günstiger als Hebra ursprünglich 
annahm. Die Behandlung der Pityriasis rubra Hebrae kann beute- 
zutage in Anbetracht des Dunkels, das in der Frage der Patho¬ 
genese derselben herrscht, nur eine palliative und muß in den 
meisten Fällen vollständig erfolglos sein. L—y. 

Hans Koeppe (Gießen): Physikalisch-chemische Unter¬ 
suchung der Szinye-Lipoczer Salvator-Mineral¬ 
quelle. 

Die Wasserentnahme geschah mit Hilfe des OELHOEER’schen 
pneumatischen Wasserhebeapparates, weil das Mineralwasser dabei 
mit Luft gar nicht in Berührung kommt. 

Der Vergleich der Zahlwerthe der physikalisch-chemischen 
Analyse mit denen der chemischen Analyse ergibt: 

Aus der physikalisch-chemischen Bestimmung der Gefrier¬ 
punktserniedrigung fand K. einen Gehalt von 0124(3) Molen pro 
Liter. Die chemische Analyse ergab unter Annahme vollständiger 
Dissociation der Salze einen möglichen Gehalt von 0 1245 Molen 
pro Liter. Mit Hilfe der Gefriermethode konnte auf etwa 2 - 378 Grm. 
freie Kohlensäure geschlossen werden, die chemische Analyse ergab 
2‘402 Grm. Ueber den therapeutischen Werth Salvator’s läßt sich 


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Nr. 13. 


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daher Folgendes sagen : Das Salvatorwasser ist infolge seines 
anfangs leicht saueren Charakters angenehm zu trinken, sagt dem 
Geschmacke sehr zu, ohne daß dabei dem Organismus Säure zu¬ 
geführt wird, denn mit dem Entweichen der freien Kohlensäure 
verschwinden die H-Ionen, welche den Säurecharakter geben; eine 
Säureintoxication im klinischen Sinne kann nicht zustande kommen. 
Andererseits ist mit der Zufuhr von Salvatorwasser die Möglich¬ 
keit gegeben, eine Alkalescenzerhöhung der Körpersäfte herbeizu¬ 
führen, ohne daß von vorneherein freies Alkali zugeführt wird, 
denn dieses entsteht erst in der oben angegebenen Weise. L. 


F. de Quervain (Chaux-de-Fonds): Ueber subcutane intra¬ 
peritoneale Nierenverletzung. 

Aus eigener Beobachtung zweier Fälle von subcutaner, intra¬ 
peritonealer Nierenverletzung und aus im Anschlüsse daran angestellten 
Thierexperimenten zieht Quervain („Deutsche Zeitschr. f. Chirurgie“, 
Bd. 62, H. 1/2) folgende Schlüsse: Die Differentialdiagnose bietet 
sowohl hinsichtlich der extraperitonealen Nierenruptur, als auch gegen¬ 
über Mitverletzung anderer Bauchorgane große Schwierigkeiten, so 
daß oft nur eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose möglich ist. Prognostisch 
erhöht die Bauchfellverletzung die Blutungsgefahr; doch kommt 
sowohl dieser Umstand, als die Gefahr einer Peritonitis durch 
hämatogene oder aufsteigende Infection hauptsächlich für die 
schweren Zertrümmerungen in Betracht, Verletzungen, welche meist 
auch vor Beginn einer Peritonitis bereits zum Tode führen. Für 
leichtere Formen ist die Gefahr einer Blutung und, Dank der rasch 
sich ausbildenden Verwachsungen, die einer Peritonitis gering. Ge¬ 
rade weil solche leichtere Fälle Vorkommen, ist eine expectative 
Therapie gerechtfertigt, so lange nicht Mitbetheiligung eines anderen 
Bauchorgans an der Verletzung wahrscheinlich ist. In schweren 
Fällen freilich ist rascheste Operation angezeigt, ebenso bei Er¬ 
scheinungen, die auf Verletzungen sonstiger Bauchorgane schließen 
lassen. Im Falle der Operation soll man mit einem Lumbalschnitt 
nach Küster und König beginnen, um diesen eventuell nach vorn 
fortzuführen; bei unsicherer Diagnose ist die Laparotomie ange¬ 
zeigt, der man einen queren seitlichen Schnitt anfügen kann. Ne¬ 
phrektomie ist, wenn irgend möglich, zu vermeiden. R. L. 

Wiemuth : Die habituellen Verrenkungen der Knie¬ 
scheibe. 

Die habituelle Luxation der Kniescheibe besteht darin, daß 
die Patella bei jeder Bewegung spontan nach außen luxirt wird, 
bei jeder Streckung aber sich spontan reponirt, oder darin, daß sie bei 
jeder Streckung lnxirt wird und bei jeder Bewegung in die Trochlea 
zurückgleitet. Daß dieser Mechanismus bei keiner anderen habituellen 
Luxation sich wieder findet, und daß nicht selten gar keine wesent¬ 
lichen Functionsstörungen damit verbunden sind, beruht darauf, 
daß die Patella gar nicht zum Kniegelenk gehört, sondern ent¬ 
wickelungsgeschichtlich als Sesambein der Sehne des Quadriceps zu 
betrachten ist. Entweder ist die habituelle Luxation angeboren oder 
viel seltener erworben aus einer traumatischen oder pathologischen 
Luxation (Fall Hoffa, 1899). 

Wiemuth („Deutsche Zeitschrift ftir Chirurgie“, Bd. 61, 
Heft 1 u. 2) bringt nebst zwei eigenen Fällen eine Zusammenstellung 
der literarisch bearbeiteten; im zweiten eigenen Falle war die Knie¬ 
scheibe eines 22jährigen Soldaten etwa 25mal schon luxirt beim 
Reiten, Springen, Schwimmen, Tanzen u. s. w., im zweiten Falle war 
die Anomalie doppelseitig. 

Die Torsion um die transversale Axe, an sich ungemein selten, 
ist habituell nur zweimal beobachtet worden. Bei Torsion um die 
senkrechte Axe findet in habituellen Fällen fast stets Verschiebung 
nach außen statt. Solcher Fälle stellt Wiemuth 66 zusammen, von 
denen er 32 als congenitale bezeichnet, 14 als Folgen von Traumen 
und 20 als Folge pathologischer Veränderungen (Genu valgum, Er¬ 
schlaffung der Gelenkkapsel, Rachitis etc.) betrachtet. Für das 
congenitale Vorkommen sprechen außer der einwandsfreien Beob¬ 
achtung unmittelbar post partum Doppelseitigkeit, symmetrische 
Entwickelungsstörung an den äußeren Condylen oder Fehlen der¬ 
selben , gleichzeitiges Vorhandensein anderer Entwickelungsfehler 


(angeborene Hüftgelenksverrenkung, Klumpfuß, Spitzfuß etc.), endlich 
die unzweifelhafte Heredität (wiederholt durch drei Generationen 
verfolgt!). Die häufigste Ursache der angeborenen Formen scheint 
in der fehlerhaften Bildung der Condylen zu suchen zu sein. Dagegen 
ist bei den erworbenen Formen der Bandapparat und die Musculatur 
von ätiologischer Wichtigkeit. 

Die Beschwerden pflegen um so geringfügiger zu werden, je 
häufiger die Luxation eintritt. Es gibt alle Grade von unangenehmer 
Empfindung bis zu absoluter Gehunfähigkeit. Besonders beschwerlich 
ist Gehen auf schiefen Ebenen und Treppensteigen. 

Die Diagnose ist aus den prägnanten Bewegungen der Knie¬ 
scheibe leicht zu stellen; die Ursache festzustellen, gelingt bei 
genauer Untersuchung der Condylen, der Bänder und der Muskeln. 

Die Prognose ist insofern schlecht, als noch nie Spontanheilung 
gesehen wurde, wohl aber successive Verschlimmerung. 

Die Behandlung mittels Schienen, Kniekappen u. s. w. ist 
unzulänglich, eher ist von Massage einiger Erfolg zu erwarten. 
Von Operatiousmethoden versprechen Erfolg die, welche Verkürzung 
der Gelenkbänder und der Kapsel an der Innenseite zum Ziele 
haben (Le Dentu). R. L. 

Arnsperger (Heidelberg): Zur Lehre von der Hyperkera- 
tosis lacunaris pharyngis. 

A. beschreibt einen einschlägigen Krankheitsfall („Münch, 
raed. Wschr.“, 1902, Nr. 9). Es handelte sich um ein 17jähriges 
Mädchen, das mit der Diagnose Angina follicularis zugewachsen 
war. Man fand: Tonsillen beiderseits geröthet, nicht erheblich ver¬ 
größert. Auf denselben zahlreiche weiße und gelblichweiße Pfröpfe, 
welche zum Theil größer sind als die gewöhnlichen lacunären 
Pfröpfe. Die größten Pfröpfe sind die gelblichen, sie sind besonders 
dadurch ausgezeichnet, daß sie etwas über das Niveau der Ton¬ 
sillen hinauszuragen scheinen. Auch an der hinteren Racheuwand 
sitzen vereinzelte weiße und wcißgelbliche Pfröpfe. Die weißen Pfröpfe 
der Tonsillen lassen sich leicht mit der Pincette entfernen, während 
die Pfröpfe der hinteren Rachenwand, und noch in vermehrtem Maße 
die größeren Pfröpfe der Tonsillen fest an ihrer Unterlage haften. 
Beim Fassen der vorstehenden Pfröpfe fühlt man, daß es harte 
Körper sind, welche nur durch starken Druck sich zerdrücken 
lassen. Das Herausziehen aus der Tonsille erforderte auch mehr 
Kraft, als man erwarten konnte. Das Gebilde, welches derartig 
gewonnen wurde, war ein harter, dornartiger Stachel. Es bestand 
aus abgestoßenen, zum Theile kernlosen, geschichteten, in Ver¬ 
hornung begriffenen Epithelien. Die Behandlung bestand darin, daß 
die Pfröpfe unter Cocainisirung ausgeräumt wurden. Der Erfolg 
war ein nachhaltiger. L. 

Steinhaus und Oderfeld (Warschau): Zur Casuistik der 
Knochenmetastasen von normalem Schilddrüsen¬ 
gewebe. 

Verf. berichten („Centralbl. für allgemeine Pathologie und 
pathologische Anatomie“, Bd. 12, Nr. 5) über eine 58jährige Frau, 
die seit drei Monaten eine Geschwulst an der Stirne hatte; dieselbe 
war anfangs klein, in der letzten Zeit aber stark gewachsen und 
verursachte in den letzten Wochen starke Kopfschmerzen. Es wurde 
die Diagnose auf Sarkom des Stirnbeines gestellt und die Exstir¬ 
pation der Geschwulst vorgenommen, wobei mit dem Trepan ein 
Loch in den Knochen gebohrt werden mußte. Bei der mikrosko¬ 
pischen Untersuchung der entfernten Geschwulst zeigte sich nun, 
daß es sich nicht um ein Sarkom handelte, sondern daß der 
Tumor von normalem Schilddrüsengewebe gebildet wurde. Die histo¬ 
logische Beschreibung ist allerdings nur sehr kurz, Abbildungen 
sind der Arbeit nicht beigegeben. Bei der klinischen Untersuchung 
konnte weder in der Schilddrüse, noch an jenen Stellen, wo sonst 
häufig Nebenschilddrüsen gefunden werden, eine Geschwulst nach¬ 
gewiesen werden. Daß der Tumor an der Stirne eine accessorische, 
hypertrophische Schilddrüse war, glauben die Verf. bestimmt 
ausschließen zu können und fassen denselben daher als Metastase 
normalen Schilddrüsengewebes auf. Sowohl für ihren Fall als für 
den Riedel’s glauben sie, daß Parlikel normalen Schilddrüsen- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 13. 


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gewebes durch das Blut in den Knochen gelangten, sich hier an¬ 
siedelten und zu einem großen Knoten anwuchsen. Die besonders 
starke Lebensfähigkeit der Schilddrüse, die sich aus Transplanta¬ 
tionsversuchen ergibt, würde nach Annahme der Verf. für diese 
Vermuthung sprechen. Dr. S—. 

Windscheid (Leipzig): Die Beziehungen der Arterio¬ 
sklerose zu Erkrankungen des Gehirns. 

Die Erscheinungen der Arteriosklerosis cerebri zeigen sich 
zunächst in einer gewissen geistigen Ermüdung und Erschöpfung. 
Derartige Leute hören oft fast plötzlich auf, Neues zu leisten 
(„Münch, med. Wschr.“, 1902, Nr. 9). Es handelt sich nämlich 
weniger um eine Störung der geistigen Leistungsfähigkeit über¬ 
haupt, als um eine Störung der Conceptionsfähigkeit für neue Ge¬ 
danken. Dazu kommen Kopfschmerzen, Schwindel und Gedächtniß- 
schwäche. Der Kopfschmerz ist in der Form des Kopfdruckes vor¬ 
handen und sitzt meistens auf der Stirne, er pflegt den Patienten 
fast den ganzen Tag zu belästigen, ist schon Morgens beim Er¬ 
wachen vorhanden und geht mit ihm wieder zu Bett.. Vermehrt 
wird er durch Bücken, durch Anstrengung der Bauchpresse, durch 
ungewohnte körperliche Anstrengungen. Der Schwindel ist gewöhnlich 
nur im leichteren Grade vorhanden, die Kranken klagen über ein 
Gefühl des Schwankens im Raume, eine Unsicherheit im Gehen. 
Höhere Grade treten niemals auf. Die Gedächtnißschwäche zeigt 
sich in der gewöhnlichen Weise, ist in beruflichen Dingen sehr 
störend. Auffallend ist die Intoleranz gegen Alkohol. Alle Momente, 
welche den Blutdruck im Sehädelinnern erhöhen, bewirken eine 
Erhöhung der Beschwerden. B. 

Rys (Prag): Ueber die Hetolbehandlung der Lungen- 
tuberculose. 

Verf. behandelte 60 Fälle von Lungentuberculose mit intra¬ 
venösen Hetolinjectionen und hebt den guten Erfolg ganz beson¬ 
ders hervor („Lek. rozhledy“, Bd. IX, H. 9). Sogar auch bei auf¬ 
tretender Hämoptoe setzte Rys die Injectionen fort und sah keinen 
Schaden daraus für den Pat. entstehen, was also gegen die Er 
Nahrungen Landerer’s, daß bei Blutsturz die Injectionen contra- 
indicirt seien, spricht. Doch ist die Zahl der Hämoptoefälle R.’s 
zu gering, als daß daraus ein definitiver Schluß gezogen werden 
könnte. In Fällen anfangender Phthise war der Erfolg ein eclatanter, 
aber auch in Fällen vorgeschrittener Tuberculose konnte eine Besse¬ 
rung nicht abgeleugnet werden. Gallopirende Schwindsucht und 
die Pneumonia caseosa eignen sich zu dieser Behandlung unbedingt 
nicht. Alle mit Hetol behandelten Fälle gaben dieselbe Reaction. 
Die Patienten bekommen zuerst Bruststechen, fühlen sich aber wohl 
und leicht, der frühere Druck auf der Brust weicht, die Farbe und 
die Consistenz des Speichels ändern sich. Die Euphorie stellt sich 
bald ein, schon nach der 5. Injection, das Bruststechen, das durch 
die reactive Entzündung erklärt wird, stellt sich erst etwas später 
ein , UDd das Sputum ändert sich am Ende der Behandlung 5 das 
dicke, eiterige wird zum schleimigen. Stock. 


Kleine Mittheilungen. 

-— Ueber die Beeinflussung geistiger Leistungen durch 
Hungern hat Weygandt Untersuchungen angestellt („Kraepelin’s 
psych. Arb. u , Bd. 4, pag. 45). Die Auffassungsfähigkeit wird vom 
Hunger nicht beeinflußt, aber der begriffliche Zusammenhang des 
associativen Denkens gelockert; die inneren Associationen nehmen 
ab, mächtig zu dagegen die Associationen auf Grund sprachlicher 
Uebung; Klangassociationen treten auf. Das Addiren wird mäßig 
deutlich und fortschreitend, die Gedächtnißarbeit des Auswendig¬ 
lernens weniger verlangsamt; diese Störung betrifft aber nur den 
Merkvorgang, nicht die Sprechgeschwindigkeit. Die Wahlreactionen 
zeigen eine geringe Verlängerung, die Menge der Fehlreactionen 
wird stellenweise etwas vermehrt. Die Wirkung der Uebung und 


die geistige Ermüdbarkeit zeigten sich gegen die Norm nicht 
verändert. Die Ablenkbarkeit dagegen und noch mehr wohl die 
gemüthliche Erregbarkeit waren im Hungerzustande in geringem 
Grade erhöht. Kam zu der Nahrungs- noch Flüssigkeitsenthaltung, 
so erschien der begriffliche Zusammenhang der Associationen noch 
mehr gelockert als bei bloßer Nahrungsenthaltung; andere Unter¬ 
schiede beider Zustände waren aber nicht deutlich zu erkennen. 
Die psychischen Veränderungen, die durch das Hungern hervor¬ 
gerufen sind, gleichen sich nach dem Aufhören desselben nicht 
plötzlich, sondern erst allmälig wieder aus; nach zweitägigem 
Hungern waren sie noch 48 Stunden lang nachweisbar. Die Art 
der Hungerwirkung erinnert an die elective Wirkung mancher 
chemischen Mittel (Alkohol, Trional), an einige Geistesstörungen, 
die mit Stoffwechselanomalien einhergehen; am ähnlichsten ist sie 
den psychischen Veränderungen nach körperlichen Anstrengungen, 
ohne doch denselben völlig zu gleichen. Die psychischen Erschei¬ 
nungen der sogenannten Erschöpfungspsychosen entsprechen jedoch 
nicht den Veränderungen, die durch einfache Nahrungsentziehung 
erzeugt werden. 

— In mehr als 30 Fällen hat Günther das Roborin ange¬ 
wandt und lobt seine Erfolge damit. Roborin wird aus Blut her¬ 
gestellt, welches zu Calciumalbuminaten verarbeitet wird, und 
kommt in den Handel als dunkelgraugrünes Pulver, welches rein 
oder mit den gleichen Mengen Cacao gemischt verabreicht werden 
kann oder in Tablettenform ä 0*25 oder 0*5. Mail gibt von Roborin 
dreimal täglich einen halben Theelöffel voll, das Medicament wird 
mit Wasser heruntergespült, da es in Wasser unlöslich ist. Kinder 
bekommen das Pulver eventuell in Gelee, Obstmus oder breiartigen 
Speisen, und zwar dreimal täglich einen Viertel-Theelöffel. 100 Grm. 
kosten 2 Mk., so daß die Tagesdosis auf 3—8 Pfg. zu stehen 
kommt. Roborin ist bei Chlorose, secundären Anämien, bei Recon- 
valescenteu nach acuten iDfectionskrankheiten, nach Blutverlusten 
gut verwendbar. Das Präparat liebt den Appetit und dient zugleich 
als Nährpräparat wie als Eisenmittel. Auch bei Rachitis und 
Scrophulose ist es wegen seines hohen Kalk-, Eisen- und Eiwei߬ 
gehaltes gut verwendbar. Seine Vorzüge bestehen in folgendem: 
Gute Haltbarkeit, Geruch- und Geschmacklosigkeit, hoher Gehalt 
an Eiweiß, Eisen und Kalksalzen. Das Medicament wird gut ver¬ 
tragen , wirkt appetitanregend und ist, wie oben erwähnt, billig. 
In ähnlicher Weise äußert sich Lebbi.v („Med. Woche“, 1901, 
Nr. 16). Roborin enthält circa 80% Eiweiß. Nach Stoffwechsel¬ 
versuchen wird es in durchaus guter Weise ausgenutzt, selbst in 
Dosen von 100 Grm., d. h. dem Hundert- bis Zweihundertfachen 
der Einzeldosis (man gibt Roborin 0*5—3*0 pro dosi mehrmals 
täglich). 

— Ueber subcutane Gelatineinjectionen bei Melaena neo¬ 
natorum -berichtet Holtschmidt („Münch, med. Wschr.“, 1902, 
Nr. 1 ), der in 5 Fällen von Melaena neonatorum durch Gelatine¬ 
injectionen die Blutung zum Stillstand gebracht hat. Die Injectionen 
wurden vorzüglich vertragen; irgend welche Nebenerscheinungen 
wurden nicht beobachtet, im Gegensatz zu den Behauptungen 
mancher Autoren, daß die Gelatine zuweilen schlecht resorbirt 
würde, daß sie Schmerzhaftigkeit, Abscesse, Fieber, Schüttelfröste, 
ja bisweilen den Tod veranlasse. Die Resorption erfolgte stets 
schnell und reactionslos; die Kinder waren nach der Injection 
vollkommen ruhig und schliefen; besondere Temperaturerhöhung 
oder gar Krämpfe traten nicht auf, die Nahrungsaufnahme war 
ungestört, bis auf einen Fall. In diesem letzteren mußte aber 
die durch den starken Blutverlust hervorgerufene Entkräftung und 
nicht die Gelatineinjection als solche verantwortlich gemacht werden. 
In vielen Fällen wird eine einmalige Injection von 15 Ccm. aus¬ 
reichen; in schweren Fällen jedoch dürfte der Versuch empfohlen 
werden, diese Injection an demselben Tage mehrmals zu wieder¬ 
holen, bis die Blutung steht. 

— Die Verhütung der Seekrankheit durch Orexinum tannicum 

erörtert C. v. WiLD („Arch. f. Schiffs- und Tropenhygiene“, Bd. VI, 
1902). Aus den Beobachtungen W.’s geht hervor, daß Menschen, 
die vorher seekrank gewesen waren, wenn sie das Orexin. tannic. 
genommen hatten, von der Seekrankheit verschont blieben und an 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 13. 


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anangenehmen Folgen nicht zu leiden hatten, daß die Seekrankheit 
nicht verhütet wurde in Fällen , in denen das Orexin genommen, 
die übrige Vorschrift aber nicht beachtet war, daß in einem Falle 
zwar die Seekrankheit verhütet wurde, aber — wahrscheinlich 
infolge ungenügender Mahlzeit vor Antritt der Fahrt — eine un¬ 
angenehme Folge in Gestalt von Uebelkeit am nächsten Tage 
eintrat. Die Vorschrift lautet: Orexin. tannic. 0\5 mit % Liter Flüssig¬ 
keit (Milch, Thee, Fleischbrühe) 3 Stunden vor Antritt der Fahrt, 
nach 2 Stunden eine reichliche Mahlzeit zu nehmen. 

— Den Keimgehalt aseptischer Wunden haben schenk und 
Leichtenstern untersucht („Zeitschr. f. Heilkunde“, 1901, Nr. 6). 
Sie legten Seidenfäden in aseptische genähte Wunden und entfernten 
dieselben zu bestimmten Zeiten unter Vermeidung irgend welcher 
Berührung mit der Haut. Das in der Wunde befindliche Stück wurde 
in Nährböden gebracht und bakteriologisch untersucht. Ferner 
haben sie vor aseptischen Operationen Hautstückchen und Fett¬ 
klümpchen excidirt und auf ihren Keimgehalt geprüft. Die Er¬ 
gebnisse sind folgende: Die Wundsecrete werden nur selten wirklich 
steril befunden. In 34% der Fälle waren die Hautstückchen nicht 
steril, sie enthielten in allen bis auf einen Fall einen nicht patho¬ 
genen Staphylococcus albus. Die Fettklümpchen waren in allen 
Fällen bakterienhaltig. Es ergibt sich also, daß auch die Haut des 
Operationsterrains nicht in allen Fällen keimfrei gemacht werden 
kann, und daß jede frische aseptische Wunde Keime enthält, die 
vorwiegend aus der Haut des Operationsterraius dahin gelangen. 

— Zur Aetiologie und Therapie des Pruritus vulvae be¬ 
richtet L. Seeligmann („Deutsche med. Wschr.“, 1902, Nr. 9). 
Das Medicament, mit dem S. seit circa 10 Jahren seine Fälle von 
Pruritus vulvae behandelt, ist das Guajakolvasogen. In bakterio¬ 
logischen Untersuchungen hat er frische Culturen des gezüchteten 
Diplococcus mit Guajacolvasogen beschickt und durch diese Cultur- 
versuche die prompte Wirkung dieses Mittels bestätigt gefunden. 
Zu den bakteriologischen Untersuchungen wurden alle möglichen 
Fälle von Pruritus herangezogeu, mit Vorliebe solche, bei denen 
eine endogene oder exogene sichtbare Ursache im Sinne San- 
ger’s nicht oder nicht mehr vorhanden war, bei denen aber 
der Pruritus in heftiger Weise noch bestand. In allen Fällen war 
der unten beschriebene Diplococcus, fast in Reincultur, sofort zu 
züchten. Derselbe ähnelt in seiner Form und seinem Aussehen 
(Semmelform) dem Gonococcus, unterscheidet sich aber von ihm 
1. durch seine Färbbarkeit nach Gram und 2. durch sein cultu 
relles Verhalten. Bei seinen Impfungen hat 8. mit steriler Oese 
das Material direct von den juckenden Stellen entnommen und 
auf die Nährböden übertragen. Die Wirkung des fast stets mit 
Erfolg angewendeten Guajacolvasogens wurde insofern auch bakterio¬ 
logisch untersucht, als Verf. eine größere Versuchsreihe frischer 
Culturen mit Guajacolvasogen in 10—I5%iger und 20%iger 
Lösung beschickte, sie je 5 und 10 Minuten, 1 Stunde und 24 Stunden 
der Wirkung dieses Medicamentes aussetzte. Die 10%ige Lösung 
des Guajacolvasogens genügte schon nach 5 Minuten, die Cultur 
völlig abzutödten. Bei Fällen, bei denen Guajacolvasogen zur 
Heilung angewandt worden war, konnten nach der Heilung die 
Diplokokken nicht mehr nacbgewiesen werden. 

Feuilleton. 

Berliner Briefe. 

(Orig.-Corresp. der „Wiener Med. Presse“.) 

III. 

Wir leben in einem Jubeljahre der medicinischen Koryphäenkreise 
unserer Stadt und unserer Hochschule. Der vorjährigen Virchow- 
Feier war die v. Bergmann’s gefolgt; jüngst gab der 70. Geburts¬ 
tag Franz König’s, des gefeierten Chirurgen, Anlaß zu festlichen 
Kundgebungen uud im nächsen Monate steht auch aus gleichem 
Anlaß eine Feier für Ernst v. Leyden bevor. Wie sehr König 
von den Universitätsgenossen, von den Aerzten, welche seinem 
Lehrbuch so viel verdanken, und von seinen Schülern geschätzt 
wird, zeigte sich am Ehrentage des Jubilars im vollsten Maße. 


Literarische Anzeigen. 

Die Altersveränderungen und ihre Behandlung. Von 

Dr. Friedrich Friedmann. Wien 1902, Urban & Schwarzen¬ 
berg. 

Der Verfasser des vorliegenden Buches hat vor 3 Jahren in 
diesen Blättern eine sehr interessante Arbeit über die Altersinvo¬ 
lution und ihre Therapie veröffentlicht; gleichsam aus diesem Auf¬ 
sätze hervorgegangen, stellt sich nun sein Buch als ein Grundriß 
der Lehre von der Altersinvolution in ihren Beziehungen zur 
Physiologie, Pathologie und Therapie dar. Man muß dem Verfasser 
die Anerkennung zollen, daß er ein weit verstreutes Material mit 
gutem Geschicke geordnet und übersichtlich dargestellt hat, und 
es kommt ihm das Verdienst zu, gezeigt zu haben, wie lückenhaft 
allerorts unsere Kenntnisse siud und wie viel es hier noch zu 
thun gibt. Einzelne Capitel sind ganz vorzüglich gelungen, besonders 
das siebente Capitel, das die Folgen der Altersinvolution darstellt, 
sowie der Abschnitt über die allgemeine Therapie der Alters¬ 
involution. Dagegen sind wohl die Abschnitte über die Involution 
des Circulationsapparates und über die Involution der Haut nicht 
durchaus lückenlos; eine entsprechende Berücksichtigung der Arbeiten 
v. Basch’s, die in dessen Buche über die Herzkrankheiten bei 
Arteriosklerose niedergelegt sind, wird für die nächste Auflage 
neue Gesichtspunkte liefern. Aber auch hinsichtlich dieser beiden 
Abschnitte sei gerne zugegeben, daß sie ein klares Bild von dem 
Stande unserer Kenntnisse liefern, und daß auch ihnen die Merk¬ 
male des ganzen Buches: leichte Lesbarkeit und interessante Dar¬ 
stellungsweise, zukommen. Der junge Autor kann mit seinem Werke 
sehr zufrieden sein. * * * * 


Ueber die Grundlagen, Hilfsmittel und Erfolge der 
modernen Wundbehandlung. Von Dr. Ernst Graser, 

Professor in Erlangen. Erlangen und Leipzig, A. Deichert- 
sche Verlagsbuchhandlung Nachf., 1901. 

Verf. bespricht rückblickend die Entwickelung der antiseptischen 
Wundbehandlung von Lister bis zur aseptischen und zeigt, welche 
Aenderung in den Ansichten über die Keimlosigkeit chirurgischer 
Wunden auf Grund der modernen bakteriologischen Forschung ein¬ 
getreten ist. Während wir früher unter aseptischen Cautelen ge¬ 
setzte Wunden für keimfrei hielten, sind wir zur Einsicht gekommen, 
daß auch diese Wunden einen nicht unbedeutenden Keimgehalt auf¬ 
weisen, welcher aber meistentheils die Heilung per primam nicht 
hindert. Man muß daher annehmen, daß im lebenden Körper Schutz¬ 
kräfte vorhanden sind, welche es dem Organismus ermöglichen, die 
Bakterien unschädlich zu machen. Um diese Schutzkräfte nicht zu 
zerstören, empfiehlt Verf., bei den Operationen das Gewebe nicht 
zu stark zu quetschen, sondern möglichst zart zu operiren. Ein 
zweiter Punkt zur Herstellung möglichst günstiger Bedingungen für 
eine ungestörte Heiluug ist die Vermeidung jeder Stauung von 
Wundsecreten, daher genaueste Blutstillung und Drainage größerer 
Wundräume. Erdheim. 


Sein Specialcollege v. Bergmann hatte in seinem Hause — zur 
Vorfeier — ein Festmahl veranstaltet, welchem der Cultusminister, 
die Ordinarien der Facultät und der Generalstabsarzt der Armee 
beiwohnten. Am Festtage selbst folgte eine Abordnung, eine Ehren¬ 
spende und eine Festgabe der andern. Die früheren Assistenten und 
Schüler, geführt von Prof. Rosenbach in Göttingeu, überreichten 
den 66. Band des „Archives für klinische Chirurgie“, mit wissen¬ 
schaftlichen Beiträgen und einem Bildnisse des Gefeierten. Göttingen 
und Marburg, Aerzte und „Alte Herren“ seines Corps, Medicinal- 
behörden und Generalärzte, Vertreter der Chirurgie zahlreicher 
Universitäten und Redactionen medicinischer Fachblätter, chirur¬ 
gische und medicinische Gesellschaften — schließlich auch die 
jetzigen Schüler —, es war ein buntes, bewegtes Bild. König ließ 
alle Huldigungen bescheiden über sich ergehen und verlor keinen 
Augenblick die ritterlich-joviale, dabei feste, kernige Haltung. Auch 
im Operationssaale hatte er für die Gratulanten kurze, treffende 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 13. 


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Worte des Dankes, die ohne weiteres in die Kranken Vorstellungen 
überleiteten: „Nun erfreuen Sie mich zu meinem Geburtstage durch 
eine richtige Diagnose“, sagte er zu dem ersten der aufgerufenen 
Praktikanten, und sofort ging es wieder an die Arbeit. 

Doch nicht immer geht alles in rosiger Feststimmung einher; 
es gibt auch Verstimmungen, und zu diesen gehört eine kleine 
Differenz zwischen Facultät und Cultusministerium. Erstere fühlt 
sich darüber beschwert, daß der Minister, ohne die Facultät zu 
befragen, die Augenklinik an der Charite mit einem neuernannten 
Extraordinarius besetzt und diesem die Befugniß der Ausstellung 
von Praktikantenscheinen ertheilt hat. Das Ministerium blieb gegen¬ 
über dieser nervösen Empfindlichkeit ziemlich kühl, erklärte, es 
hätte schon wiederholt io ähnlichen Fällen, gerade im Interesse 
des klinischen Unterrichtes, selbständig Vorgehen müssen, da die 
Facultät in diesen Fällen nicht die Initiative ergriffen habe und es 
würde sich auch in Zukunft die Berechtigung hiezu nicht nehmen 
lassen können. Kurz — es wird wohl auch ferner bei Neubesetzungen, 
Reorganisationen, Neueinrichtungen u. s. w. die Unterrichtsverwal- 
tung, wo sie es für ersprießlich hält, energisch handeln, ohne erst 
Anträge seitens der Facultät abzuwarten. Sie ist der Ueberzeugung, 
damit gerade dem Prosperiren der Universität zu dienen, daß sie 
ohne Zögern Erweiterungen des Unterrichtswesens vornimmt, wo 
sie ein Bedfirfniß dafür gewahrt. — Die Pille ist zwar etwas bitter, 
aber das Ministerium weiß sie mit einem angenehm schmeckenden 
Ueberzug zu versehen und schön zu vergolden, und so wird sie 
wohl ohne zu großes Widerstreben geschluckt werden. Es ist auch 
nicht zu leugnen, daß Excellenz Dr. Stodt, die Vortragenden Räthe 
und Decernenten in jeder Hinsicht den Vertretern der Wissenschaft 
liebenswürdig entgegenkommen und auf ein persönlich angenehmes Ver- 
hältniß bedacht sind. Wo sich irgend die Gelegenheit bietet, 
documentiren sie ihre Werthschätzung für die Heilkunde und ihre 
Vertreter. Ja, die Regierung erstreckt sie auch über die akademi¬ 
schen Kreise hinaus auf die praktisch oder literarisch in den 
Vordergrund tretenden Aerzte. Die Verleihungen des'„Professor- 
Titels“ an nicht zur Universität gehörige Aerzte mehren sich von 
Jahr zu Jahr, eine Neuerung, die iu den meisten Fällen allgemeine 
Zustimmung findet, wenn sie auch im Einzelnen manchmal recht 
scharf kritisirt wird. 

Eine originelle Affaire war die Zurückweisung des Prädicats 
„Sanitätsrath“ seitens eines Arztes, der sich weigerte, die 
Gebühren für eine von ihm nicht erbetene Titulatur zu zahlen. 
Die Sache war recht unliebsam ; aber mit großem Geschick nahm 
ihr die Regierung das Peinliche, indem sie diese Weigerung als 
ganz berechtigt sanctionirte und fortan die Aufhebung solcher Ge¬ 
bühren decretirte. Das war ein sehr vernünftiger, tactvoller Schritt. 
Nun aber sammeln sich die bisherigen Sanitätsräthe zu einem ge¬ 
meinsamen Vorgehen. Sie wünschen, daß der betreffende Regierungs¬ 
beschluß auch rückwirkende Kraft erhalte, mit dürren Worten, 
daß ihnen die Gebühren, die sie seinerzeit für den „Charakter“ 
zahlen mußten, zurückerstattet werden. Mir scheint dieser Wunsch 
recht aussichtslos zu sein; denn Verordnungen dieser Art werden 
nur für die Zukunft gegeben, und es ist, wenn die Regierung auf 
solche Wünsche nicht eingelit, kaum anzunehmen, daß die bisherigen 
Träger solcher Titel aus „Principsache“ der liebgewordenen Ge¬ 
wohnheit entsagen werden. 

Drei „Fälle“ sehr verschiedener Art haben in den letzten 
Wochen die Berliner Aerztewelt stark bewegt. Zunächst der „Fall 
Sch w en inge r“. Es ist bekannt, daß dieser Arzt, der, wie man 
anerkennen muß. nicht ohne Begabung ist, durch seine Richtung 
und durch die Art seines Auftretens sich niemals die Sympathien 
der Fachgenossen erworben hat. Sein mächtiger Gönner, Fürst 
Bismarck, dessen Leibarzt er war, setzte es durch, daß Schweninger, 
selbst gegen den Willen des Cultusmiuisters und der Facultät, 
außerordentlicher Professor und Director einer Chariteabtheilung 
wurde, daß er Titel und Orden erhielt und daß seine „Methode“ 
in den Kreisen der Aristokratie viele Anhänger fand. Seit der Alt¬ 
reichskanzler die Augen geschlossen, ist auch Schweninger’s Stern 
im Erblassen. Aber ein hartnäckiger Charakter läßt sich nicht so 
leicht bei Seite schieben. J’y suis, j’y reste, ist seine Parole. Und 
so gelang es ihm, leitender Arzt eines großen, mit vielen Kosten 


neu erbauten Krankenhauses bei Berlin zu werden. Bald aber 
blieben infolge seiner Schroffheiten Conflicte mit Pflegerinnen und 
Aerzten nicht aus. Schleich, der Leiter der chirurgischen Abthei¬ 
lung, legte nach kurzer Zeit sein Amt nieder, ärztliches und Warte¬ 
personal schied aus und die Aerzte der Umgebung weigerten sich, 
da Schweninger auch die ihm fremde Chirurgie mit übernahm 
uüd sich verschiedene sonstige Mißstände beransstellten, ferner noch 
diesem Krankenhause Patienten anzuvertrauen. Es kam nun sowohl 
imCuratorium des Hospitals als auch in ärztlichen Versammlungen zu 
starken Auseinandersetzungen, während Schweninger in einer Art Ver- 
theidigungsschrift seine ärztlichen Gesichtspunkte darlegte. Seine 
Stellung ist jetzt womöglich noch isolirter geworden, als sie bisher 
war. Und als er jüngst in einem Curpfuscherproceß als zugezogener 
Sachverständiger in seinem Gutachten für die Curpfuscherei ein¬ 
trat, mußte er sich von den anderen Aerzten bittere Wahrheiten 
sagen lassen. 

Der zweite ist der „Fall Schaffer“. Hier handelte es 
sich um eine Art Principienfrage, nämlich darum, ob ein Arzt gegen 
die Standesanschauungen und den Ehrencodex handelt, wenn er 
an einer Krankencasse zugleich mit einer im Auslände promovirten 
Aerztin thätig ist. Das Ehrengericht bezeichnete dieses Zusammen¬ 
wirken als nicht gegen die Würde des ärztlichen Standes verstoßend 
und sprach den Dr. Schaffer frei. Im Urtheil war hervorgehoben, 
daß, da die Approbation eines Arztes im Auslande kein Hinderniß 
sei, mit ihm zusammen zu wirken, doch auch das Frl. Dr. Springer, 
die ihre Prüfungen rite abgelegt hat, als Arzt zu betrachten und 
zu behandeln sei. Man müsse sie als voll berechtigt anerkennen. 
Sie aber quasi als „Curpfuscherin“ hinzustellen, sei man in keiner 
Weise befugt. 

Der „Fall Dührssen“ ist durch die politische Presse 
schon in weiten Kreisen bekannt geworden. Es sei deshalb an 
dieser Stelle nur gesagt, daß Prof. Dührssen’s Freisprechung zwar 
als gerecht und erfreulich zu bezeichnen ist, daß man aber doch 
vom ärztlichen Standpunkte aus gewisse Bedenken bezüglich der 
Vorgeschichte dieses Processes nicht unterdrücken kann. Dührssen 
hat die Vagina- und Ventrofixation des retroflectirten Uterus 
zu einer Art Specialität erhoben und übt diese von ihm ausge¬ 
bildete Operation mit Vorliebe und großem Geschick, zumal behufs 
Beseitigung der Sterilität. Daß letztere aber auch sehr viele andere 
Ursachen haben kann und deshalb ein schematisches Operiren in 
der angedeuteten Weise weder immer indicirt, noch immer erfolg¬ 
reich sein kann, auch der Wunsch nach Descendenz kaum eine so 
eingreifende Operation rechtfertigt, da ferner in diesem Falle die 
Frau schon Mitte der Vierzig war nnd vom Operateur selbst vor der 
Operation nicht untersucht wordeu war, so resultirten aus alledem 
unangenehme Consequenzen. Es zeigte sich, daß während der Opera¬ 
tion, infolge dann erst diagnosticirter Verwachsungen das Verfahren 
geändert und „behufs Lebensrettung“ eine nicht vorgesehene, aller¬ 
dings glücklich verlaufene Operation ausgeführt werden mußte. 
Freilich war in diesem kritischen Augenblicke nicht Zeit zur Einho¬ 
lung der Genehmigung, die wahrscheinlich der Ehemann verweigert 
hätte, da gerade diese Operation seine Hoffnung auf Nachkommen 
vernichtete, und so erfolgte die Freisprechung des begabten und 
geschätzten Chirurgen. Immerhin wird der Proceß Vielen eine 
Lehre sein. 

Zum Schlüsse noch ein erfreuliches Bild. Die vorjährige ärzt¬ 
liche Studienreise nach den Nordseebädern hat den Teilnehmern 
so gefallen, daß das Comite auch für dieses Jahr, und zwar für die 
ersten Tage des September, eine solche geplant hat. Sie wird vor¬ 
wiegend Oesterreich gelten, in Dresden ihren Ausgang nehmen, 
Königsbrunn, Bilin, Teplitz, Gießhübl, Franzensbad, Marieubad etc. 
berühren und vor dem Naturforschertag in Karlsbad enden. Auch 
diesmal wird das Miscetnr utile dulci dieser feucht-fröhlichen, 
heiteren und instructiven Studienreise den Stempel aufdrücken und 
gewiß viele deutsche Aerzte zum erstenmale mit den böhmischen 
Bädern genauer bekannt machen. Also „Glück auf!“ zur Aerztefahrt! 

CVD 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 13. 


620 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 


Aus den Abtheilungen 

der 

73. Versammlung Deutscher Naturforscher und 

Aerzte. 

Hamburg, 22.-28. September 1901. 

(Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) 

XXII. 

Abtheilung für Kinderheilkunde. 

Salge: Ueber Buttermilch als Säuglingsnahrung. 

Der Vortragende theilt die Erfahrungen mit, welche mit der 
„Buttermilch“ auf der Säuglingsstation der königlichen Charite in 
Berlin gemacht wurden. Nach diesen Erfahrungen hält S. die 
Buttermilch 1. für gut geeignet als erste Nahrung nach acuten 
Verdauungsstörungen leichter und schwerer Art für Säuglinge jeden 
Alters, 2. verdient diese Nahrung bei Atrophie versucht zu werden, 
und 3. leistet sie Gutes als Beigabe zur natürlichen Nahrung beim 
sogenannten Allaitcment mixte, hier besonders in einer Combination 
mit Malzsuppe. 

Die Buttermilch, wie sie in der Charitö verwendet wird, wird 
aus saurem Kahm gewonnen und enthält durchschnittlich 0'5— 1*0% 
Fett, 2’5 — 2*7% Eiweiß und 2'8 — 3% Zucker, die Acidität be¬ 
trägt 7. Der Nährwerth beträgt in Calorien ausgedrückt (nach 
directer Verbrennung durch Rüben) 714 Cal., ist demnach ein 
ziemlich hoher, so daß schon mittlere Quantitäten genügen, um den 
Energiebedarf eines Säuglings zu decken, Ein wichtiges Postulat 
ist, daß die Buttermilch frisch ist; sie darf bis zum Verbrauch nicht 
älter als höchstens 24 Stunden nach dem Buttern sein. Die Fäces 
der Säuglinge nach Buttermilchgenuß sind fast vollkommen normal, 
viel Buttersäurebactcrien enthaltend. Die Nahrung wird so zubereitet, 
daß zur Buttermilch noch 75 Grm. Mehl und 60 Grm. Rohrzucker 
zugesetzt werden und das Gemisch dann langsam bis zum 3maligen 
Aufwallen erhitzt wird. 

Durch allerdings noch nicht abgeschlossene Resorptionsversuche 
hat sich ergeben, daß das Fett der Buttermilch bis auf 93°/ 0 und 
das Eiweiß bis auf 89°/ 0 vom Säugling ausgenutzt wird. Ein großer 
Vorzug der Buttermilch besteht in ihrer Billigkeit, 1 Liter stellt 
sich auf 15 Pfennig. Bisher wurden in der Säuglingsabtheilung 
119 Fälle mit Buttermilch behandelt, 85 mit gutem Erfolg. 

Schloßmann (Dresden) hat seit März a,. c. eine große Anzahl von 
Säuglingen (140—150) nach der Angabe von Teixeira df. mattos mit Butter¬ 
milch hehandelt, seine Befunde entsprechen denen von Salge in allen Punkten. 
Wenn Gewichtszunahmen nach anfänglicher Zunahme später ansblieben, so hat 
S. noch Sahne zur Buttermilch zugesetzt und weit bessere Resultate erhalten, 
wohlbemerkt, die Sahne nur bei gesunden, respective genesenen Kindern. Auch 
die Resultate beim Allaitement mixte sind glänzend. S. kennt keine künstliche 
Nahrung, die in so vielen Fällen, und zwar auch bei schwerkranken Kindern, 
so gute Erfolge gibt. 

Gernsheim (Woims) drückt seine Verwunderung darüber aus, daß 
Kinder, die erheblich krank sind, so große Mengen von Nähreinheiten, in ein¬ 
zelnen Fällen sicher mehr als 200 Cal. pro Kilo Körpergewicht vertrugen, 
ohne Schaden zu nehmen, und daß Kinder von 3 Wochtn die großen Mengen 
von Stärke, ohne Dyspepsien zu bekommen, zu sich nehmen. Es wäre interessant 
zu erfahren, wie sich in diesen Fällen die Reaction und der Stärkegehalt 
der Stühle verhielten. 

Pfaundler (Graz): Bei den glänzenden Erfolgen, die mit der Butter¬ 
milch zu verzeichnen sind, wäre es wichtig zu wissen, welcher Factor in der¬ 
selben die günstigen Ernährungsresultate zu bewirken vermag. Der geringe 
Fettgehalt scheint es nicht zu machen, da Schlossmann über glänzenden Erfolg 
bei Sahnezusatz verfügt, der hohe Säuregehalt scheint es auch nicht zu sein, 
da Salge in einzelnen Fällen alkalische Malzsüppen zusetzt. Hingegen ist 
durchaus neu die Verabreichung einer bacteriell zersetzten und einer trotz 
der stattgehabten Erhitzung noch eine bestimmte und eigenartige Vegetation 
enthaltenden Nahrung. Pf. wird durch dieses Unternehmen an Versuche erinnert, 
welche Eschebich seit langem an seiner Klinik ausführt. Dort werden Säug¬ 
lingen, deren fötid riechende, schmierige und mißfarbige Stühle eine abnorme 
Fäulniß im Darme vermuthen lassen, 24stündige Bouillonculturen von Bact. 
lactis aerogenes in die Mahlzeiten gegeben, in der Absicht, damit die Ent¬ 
wickelung einer den Fäulnißerregern antagonistisch wirkenden Flora im Darme 
zu begünstigen. In einigen Fällen waren die Resultate hiemit gute. Da nun 
unter den Erregern der spontanen Milchsäure das B. lact. aerogenes eine 
große Rolle spielt, so kann vielleicht das Ergebniß der Versuche Escherich’s 
mit den durch Buttermilchverabreichung erzielten günstigen Stuhlbefunden und 
Verdauungsverhältnissen in Beziehung stehen. 


Teixeira de Mattos (Rotterdam) weist auf seine im Jahrbuch für 
Kinderheilkunde demnächst erscheinende ausführliche Arbeit über den behan¬ 
delten Gegenstand hin. Nur hält er es für betonenswerth, daß es sich bei der 
Buttermilch um eine Methode der Säuglingsernährung handelt, die sich stützen 
darf auf die Empirie eines ganzen Volkes (holländischen) und aller seiner 
Aerzte, was weit mehr besagen will als die Erfahrung eines einzelnen. Dazu 
kommt der geringe Preis der Nahrung und die außerordentlichen Erfolge, die 
auch bleibende sind. 

Heubner (Berlin) warnt davor, bei kranken Kindern die Buttermilch 
mit Sahne zu geben. Heubner's Erfahrungen stimmen darin ganz mit der 
Breslauer Schule überein, daß magendarmkranken Kindern fettreiche Nahrung 
nicht bekommt. Bei allen Paradoxen, die dieser Nahrung anzuhaften scheinen, 
entspricht sie jedenfalls der Anforderung, auf die nach Heubner’s Meinung 
zur Zeit das Hauptgewicht gelegt werden muß, verhältnißmäßig großer Energie¬ 
gehalt bei kleinem Volumen und gute Bekömmlichkeit. Dies letztere Moment 
ist es, worüber nichts anderes entscheidet als das empirische Verfahren, völlig 
unbeeinflußt von der Theorie. 

Soltmann (Breslau): Vor den theoretischen Erwägungen ist zu warnen- 
Der empirische Standpunkt ist vorläufig in vorliegender Frage sehr wichtig, 
denn wir wissen nicht die Indicationen für oder gegen Fett, Casein, Zucker u. s. w. 
in der Milch. S. hat gleichfalls brillante Erfolge mit Buttermilch, andererseits 
mit Magermilch, Molken (saurer oder Alaunmolken) gehabt, ohne daß er für 
den einen oder den anderen Fall eine bestimmte Indication angeben kann. 
Zweifellos sind wir in fortschreitender Bewegung, indem wir künstliche Nähr¬ 
mittel perhorresciren, dagegen ausschließlich Milch in den verschiedensten 
Präparationen anwenden. Buttermilchversuche sind aber nur mit frischer, nicht 
gekaufter, sondern selbst dargestellter Buttermilch anzustellen. 

Schlesinger (Breslau) macht darauf aufmerksam, daß alle Vortheile 
der Buttermilch bei der Vollmilch vorhanden sind und mit letzterer mindestens 
die gleichen Resultate erzielt werden können als mit der Buttermilch. 

Falkenheim (Königsberg) weiBt auf die feine Vertheilung des Caseins 
in der Buttermilch als ein bisher nicht erwähntes Moment hin, welches für 
die gute Bekömmlichkeit der Buttermilch von hervorragender Bedeutung ist, 
und betont die großen Gefahren der gewöhnlichen käuflichen Buttermilch. 

Salge: Der Zusatz von Fett zur Buttermilch ist bei kranken Kindern 
zu vermeiden. Stärke läßt sich in den Stühlen nicht nachweisen; ob die 
Bakterienflora für die Erfolge ausschlaggebend ist, bleibt zu untersuchen. Die 
Eiweißvertheilung ist sehr fein. Mit Vollmilch hat S. ganz andere Erfahrungen 
wie Schlesinger gemacht, und er kann dieselbe bei atrophischen Kindern 
absolut nicht empfehlen. 

Basch: Innervation der Milchdrüse. 

Seitdem Goltz und Ewald beobachtet haben, daß eine Hündin 
mit verkürztem Rückenmark (Brust- und Lendenabschnitt) nicht nur 
lebende Jungen zur Welt brachte, sondern auch die Jungen säugte, 
hat sich die Forderung ergeben, die Innervation der Brustdrüse 
nicht ausschließlich in den Bahnen der spinalen Nerven zu suchen, 
sondern auch jenen Antheil zu ermitteln, den das sympathische 
Nervensystem an der Erregung der Brustdrüse haben kann. 

B. untersuchte nun die Veränderungen, die an der Milchdrüse 
eintreten, nach Unterbrechung des Sympathicus (Exstirpation des 
Gangl. coeliac.) nach Ausschneidung peripherer Nerven (N. thorac. 
long., N. 6permat. ext.) und nach Combination beider Eingriffe. Für 
die Erhebung der quantitativen Veränderung der Milchabsonderung 
verwendete Basch die Methode der Wägung der Jungen, für die 
Feststellung der qualitativen Veränderungen die mikroskopische 
Untersuchung der Milch. Es zeigte sieh nun, daß nach den ver¬ 
schiedenen Eingriffen am Nervensysteme die abgesonderte Milch¬ 
menge nicht vermindert war. Hingegen trat als Zeichen einer ein¬ 
getretenen Innervationsschwankung in den entsprechenden Milch¬ 
drüsen Colostrum auf in verschiedener Stärke und Dauer neben 
Veränderung der Fetttröpfchen, während die Milch der Vergleichs¬ 
drüsen unverändert blieb. Das Colostrum ist hienach aufzufassen 
als Ausdruck einer unvollkommenen Thätigkeit der Milchdrüse, einer 
Innervationsstörung derselben, und unter diesem Gesichtspunkte läßt 
sich dann einheitlich die Abscheidung von Colostrum bei den ver¬ 
schiedenen Anlässen auffassen. Versuche am Gefäßsystem der Milch¬ 
drüse zeigten, daß auch durch Abklemmen der Venen Colostrum- 
abscheidung ausgelöst werden kann, während die Unterbindung der 
Arterie keinen hemmenden Einfluß auf die Abscheidung ausübt. 

B. kommt zu dem Schlüsse, daß die Milchdrüse in gemischter 
Weise vom peripheren und vom sympathischen Systeme innervirt 
wird, und daß von vornherein an der Milchdrüse eine vielseitige, 
eine Art Luxusversorgung besteht, die es mit sich bringt, daß auch 
bei Ausschaltung eines großen Theiles des nervösen Apparates die 
Thätigkeit der Milchdrüse weitergeht und so der Eindruck entsteht, 
als ob die Thätigkeit derselben jedem Nerveneinflusse entrückt wäre, 


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während die betreffenden Veränderungen der Milch eben qualitative 
sind und hauptsächlich deren morphologische Beschaffenheit betreffen. 

Soltmann (Leipzig) erinnert an die bereits über den Gegenstand vor¬ 
handenen Experimente von Bartsch und Heidenhain und vermißt ein Eingehen 
des Vortragenden in die Colostrumabsonderung. 

Basch: Die Versuche von Bartsch und Heidenhain spielen nur eine 
kleine Rolle für die Frage der Innervation der Milchdrüse. Die Colostrum¬ 
absonderung ist nicht allein ein Zeichen von Stauung in der Brustdrüse, 
sondern dafür, daß die Milchdrüse nicht richtig functionirt, die Innervation 
derselben „entgleist“ ist, somit auch praktisch verwerthbar in der Ammenfrage. 

v. Starck: Ueber Scorbutus infantum. 

v. St. empfiehlt die Bezeichnung Scorbutus infantum statt 
BARLOw’sche Krankheit, da es aus praktischen Gründen wünschens¬ 
wert!) ist, das Kraokheitsbild einer bestimmten Gruppe anzugliedern 
und die BABLOw’sche Krankheit dem Skorbut jedenfalls am nächsten 
steht. Genauere Kenntnisse des Wesens des Skorbut überhaupt 
haben uns die letzten Jahre nicht gebracht, dagegen hat sich die 
Auffassung, daß es sich bei dem infant. Skorbut um eine Ernährungs¬ 
krankheit handle, und auch die Aufforderung, bei künstlich ge¬ 
nährten Kindern auf den Eintritt stärkerer Anämie zu achten und 
eine rechtzeitige Aenderung der Ernährung vorzunehmen, als berech¬ 
tigt und fruchtbringend erwiesen. 

Wenigstens hat eine Umfrage bei den Aerzten in Schleswig- 
Holstein über das Vorkommen des infant. Skorbut während der letzten 
3 Jahre eine deutliche Abnahme gegen früher ergeben. Von 
300 Aerzten, welche die Anfrage beantworteten, hatten nur 14 im 
Ganzen 77 Fälle beobachtet. Die Ernährung war in allen Fällen 
künstlich gewesen (4mal mit GÄRTNEß’scher Fettmilch, lmal mit 
Voltmer’s Muttermilch, 4mal mit Soxhlet-Milch, lmal mit anderweitig 
sterilisirter Milch, 4mal ausschließlich mit Haferschleim, 2mal mit 
Haferschleim und Milch, 2mal mit Griessuppe, 2mal mit Kinder¬ 
mehl respective Rahmgemenge, 7mal mit gewöhnlich gekochter 
Kuhmilch). 

Die Gründe für die Annahme des infant. Skorbut sind darin zu 
sehen, daß die Kenutniß der Krankheit und die Mittel der Behand¬ 
lung allgemeiner bekannt geworden sind, sodann in dem verminderten 
Gebrauch sterilisirter Dauermilch und in der Verbesserung der 
Milchbeschaffenheit. 

Ander Discussion betheiligen sich Soltmann, Cahen-Brach, Siegert, 
Falkenheim, Levy, Thomas, Selter, Teixeira de Mattos, Hecker, ohne 
daß durch die Aussprache die Pathogenese, respective die Aetiologie der Er¬ 
krankung wesentlich gefördert worden wäre. Hervorzuheben ist Soi.tmann’s 
Standpunkt, daß der infantile Skorbut entschieden zu trennen sei von dem 
Morbus Barlowii und daß letzterer Name am besten 'beibehalten werde für ein 
so wohl charakterisirtes Krankheitsbild bis zu dem Moment, wo man vielleicht 
durch weitere Blutuntersuchungen genau wisse, um was es sich hiebei handle. 
S. weist auf das Auftreten von Skorbut nach Infectionskrankheiten hin (Hütten¬ 
brenner) und erwähnt die Beobachtung Kühne’s einer directen Uebertragung. 
S. selbst hat 1880 bereits eine kleine Skorbutepidemie nach Masern gesehen 
und beschrieben. 

Siegert (Straßburg) zieht die Möglichkeit gewisser localer Verhältnisse 
für die Entstehung der Erkrankung in Betracht, da es auffallend ist, daß in 
einzelnen Gegenden viel Morbus Barlowii (Dresden, Kiel), in anderen sehr 
wenig (Elsaß-Lothringen oder Schweiz) beobachtet werde. 

Auch Selter (Worms) betont die Witterungsverhältnisse (große und 
langdauernde Kälte) als eventuelles ätiologisches Moment. Eine Einigung, ob un¬ 
zweckmäßige Nahrung (Somatose, Cahen-Brach, zu lange sterilisirte Milch, 
Thomas) oder eine gewisse Monotonie derselben (Hecker) die Ursache des 
Morbus Barlowii abgebe, konnte nicht erzielt werden, da die überwiegende 
Meinung (Siegert, Falkenheim u. A.) sich nicht für dies Moment entscheiden 
konnte. Therapeutisch wurde von einigen die prompte Heilung durch Citronen- 
säure u. a. erwähnt (Teixeira de Mattos, v. Starck), von anderen mehr oder 
weniger bestritten (Soltmann). 

Y. Stärck betont in seinem Schlußwort, daß er die Bezeichnung „infan¬ 
tiler Skorbut“ mehr aus praktischen Gründen gewählt habe, um dem praktischen 
Arzte einen Fingerzeig zu geben, wohin er diese Erkrankung zu rubriciren 
habe. Auch im Auslande werde dieser Ausdruck allgemein gebraucht. Den Zu¬ 
sammenhang mit Rachitis halte er gleichfalls für sehr lose im Einverständniß 
mit Barlow und allen, die sich darüber geäußert. Die unzweckmäßige, eventuell 
sterilisirte Milch beschuldige er nicht mehr so wie früher, in der Monotonie 
liege aber vielleicht ein disponirendes Moment für die Entstehung. Redner tritt 
daher für die Diätänderung als therapeutischen Factor ein. 


Gesellschaft für innere Mediein in Wien. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Med. Presse“.) 

Sitzung vom 20- März 1902. 

EPSTEIN stellt einen Fall von organischer und func- 
tioneller Nervenerkrankung vor, welcher eine 56jähr. Frau 
mit Arteriosklerose und linksseitiger Wanderniere betrifft. Pat. be¬ 
kam im Schlafe eine Lähmung des rechten Facialis und Hypo- 
glossus und eine Parese der rechten oberen Extremität; nach 
einigen Tagen verschwand die Lähmung fast vollständig, dafür 
traten in der rechten Hand ein frequenter, feinwelliger Tremor 
auf, ferner rechtsseitige Hemianästhesie mit Ausnahme eines kleinen 
Bezirkes am Oberarm , linksseitige Ageusie, Anosmie und hoch¬ 
gradige Gesichtsfeldeinschränkung. Die Paralyse des Facialis und 
Hypoglossus, sowie die Hemiparese waren wohl organischen Ur¬ 
sprunges, den übrigen Erscheinungen lag Hysterie zugrunde, da 
eie durch die Anwendung eines starken Hufeisenmagneten fast ganz 
verschwanden. 

M. WEINBERGER führt einen älteren Mann mit multiplen 
Knochensarkomen vor, welche sich seit 7 Monaten entwickelt 
haben. Ein Tumor sitzt in der rechten Schultergegend, das Akro- 
mion und einen Theil der Scapula ersetzend, zwei andere vorne 
an den Rippen, deren Continuität sie unterbrechen. Die Geschwülste 
waren früher sehr schmerzhaft, sie pulsiren und sind weich, der 
Tumor an der Schulter zeigt stellenweise Einlagerung von Knochen¬ 
plättchen an der Oberfläche. Die Haut über den Geschwülsten ist 
normal. Im Harne finden sich keine Albumosen, der Blutbefund 
ist normal. Es handelt sich um gefäßreiche Knochensarkome, deren 
näherer Ausgangspunkt nicht zu eruiren ist; ebenso ist ein primärer 
Tumor in keinem Organ nachweisbar, so daß sie vielleicht primärer 
Natur sind. Unter Arsentherapie ist die Schmerzhaftigkeit der Ge¬ 
schwülste geschwunden und ihr Wachsthum hat sistirt. 

KARL STERNBERG demonstrirt ein Präparat von Conglo- 
merattuberkel des rechten Vorhofes, welches von einer 
51jährigen Frau stammt, die vor 2 Jahren an linksseitiger Pleu¬ 
ritis und Lungenspitzeninfiltration litt. Seit 2 Monaten hatte sie 
Nachtschweiße, Husten mit spärlichem Aaswurfe, Athembeschwerden, 
Herzklopfen und Kopfschmerzen ; vor einem Monate constatirte man 
bei ihr Cyanose, Schrumpfung der linken Tboraxhälfte, mehrere 
eingezogene Narben an der linken Brustseite, systolische Einziehun¬ 
gen an der Herzspitze, Verbreiterung der Herzdämpfung und ein 
systolisches Geräusch an der Spitze. Von da an nahm die Cyanose 
zu und es stellte sich hohes Fieber ein. Die Obduction ergab 
folgenden Befund: Miliartuberculose, linke Lunge mit der Thorax 
wand und dem Herzbeutel verwachsen, an der hinteren seitlichen 
Wand des rechten Vorhofes eine höckerige, walnußgroße, unter 
dem Endocard rothgelb durchscheinende Geschwulst, welche mit 
dem hinterem Antheile an der Umrandung des Ostium venosum 
mit dem Ansätze des linken Segels der Tricuspidalklappe ver¬ 
wachsen war. Vor dieser Stelle findet sich eine hanfkorngroße 
Lücke im Endocard, welche in eine mit röthlichen Granulationen 
ausgekleidete Höhle führt. Es handelt sich um einen aus mehreren 
Knoten zusammengesetzten Tuberkel, welcher in den rechten Vor¬ 
hof durchgebrochen war und so Miliartuberculose verursacht hatte. 

HUGO Goldmann (Brennberg) hält einen Vortrag über Maras¬ 
mus montanus. 

(Erscheint ausführlich.) 

Mannaberg frägt, ob bei den Bergleuten eine hereditäre Uebertragung 
der Angewöhnung an die geänderten Lebensverhältnisse zu beobachten ist, wie 
sich die Bergleute gegenüber Infectionskrankheiten verhalten, und ob sich bezüg¬ 
lich der Lebensdauer der Bergleute statistische Daten vorflnden. 

Goldmann erwidert, daß die Kinder sehr kräftig sind; epidemische 
Krankheiten kommen fast gar nicht zur Beobachtung und TuberculÖ 3 e machen 
nicht viel über 1% der arbeitenden Bevölkerung aus. Die Lebensdauer der 
Bergleute ist eine sehr lange. 

V. Schrötter meint, daß das Studium der durch Generationen in Berg¬ 
werken beschäftigten Bevölkerung interessante Aufschlüsse über die Frage der 
Vererbung einer gewissen Widerstandskraft gegen die ungünstigen Verhält¬ 
nisse des Bergwerksbetriebes ergeben müsste, und regt zur Forschung bezüglich 
einiger detaillirter Fragen an. 

Heinr. Weiß frägt ebenfalls um statistische Daten bezüglich der Ver¬ 
erbung und der Mortalität. 


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Nothnagel regt zur systematischen Untersuchung der Bergleute be¬ 
züglich Blutbefund und Athmung an. 

V. Basch möchte die Widerstandskraft der Bergleute gegen die üblen 
Einflüsse in der Grube durch eine Art von Anpassung im Sinne Darwin’s 
erklären. 

Zappert wäre geneigt, viele Fälle von Marasmus montanus auf Anky- 
lostomiasis zu beziehen. 

Goldmann erwidert, daß die klinischen Symptome nicht immer für 
diese Krankheit sprechen, welche bereits nach Assanirung der Grube selten 
geworden ist. 

Aus 

medicinischen Gesellschaften Deutschlands. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Biologische Abtheilung des ärztlichen Tereins Hamburg- 
Saenger: Ueber das intermittirende Hinken. 

Vortr. tlieilt 3 Fälle von Claudication intermittente (Charcot) 
mit, bei denen durch Roentgenphotographien deutliche Kalkablage¬ 
rungen in den Gefäßen der unteren Extremitäten nachgewiesen 
werden konnten. Stellenweise war aus der ringförmigen Anordnung 
der verkalkten Stelle ersichtlich, daß es sich in diesen Fällen nicht 
um Arteriosklerose, sondern um eine richtige Arterienverkalkung 
handelte. Bei der Arteriosklerose handelt es sich um eine Erkran¬ 
kung der Intima, bei der Arterienverkalkung um eine Erkrankung 
der Media der Gefäße. Während bei letzterer die Verkalkung früh¬ 
zeitig auftritt, ist bei ersterer dieselbe der Endausgang des arterio¬ 
sklerotischen Processes. Das wesentlich Läufigere Befallensein des 
männlichen Geschlechts vom intermittirenden Hinken, das Lebens¬ 
alter (50—60 Jahre) spricht sehr dafür, daß in den meisten Fällen 
Arterienverkalkung vorliegt. Arteriosklerose kommt in Hamburg 
namentlich bei Arbeitern viel früher vor. Aetiologisch fand S. in 
seinen Fällen das Moment der Ueberanstrengung der Beine im Beruf 
sehr beivoitretend und spricht sich gegen die BRissAUü’sche 
und neuerdiDgs von Oppenheim vertretene Ansicht von einem Zu¬ 
sammenhang des intermittirenden Hinkens mit der neuropathischen 
Diathese aus. Der Schmerz dürfte in ähnlicher Weise zustande 
kommen wie bei der durch Verkalkung der Kranzarterien bedingten 
Angina pectoris. Durch weitere genaue Untersuchungen muß fest¬ 
gestellt werden, bei welcher Localisation des verkalkenden Processes 
der Symptomencomplex des intermittirenden Hinkens zustande kommt. 
Daß derselbe auch durch eine arteriosklerotische oder syphilitische 
Intimacrkrankung verursacht werden kann, ist selbstverständlich, 
und in solchen Fällen ist die Therapie (Jod u. s. w.) wirksam. In 
seltenen Fällen scheint ein ähnlicher Symptomencomplex durch 
angiospastische Zustände der Arterien ohne Wandveränderung vorzu¬ 
kommen. Die auf Arterienverkalkung beruhende Claudication inter¬ 
mittente ist, wieCHABCOT schon hervorgehoben hat, nicht besserungs¬ 
fähig und führt meist schließlich zu Gangrän. 

Medicinische Gesellschaft zu Magdeburg. 

Brennecke: Ueber die Menstruation. 

Die Menstruation ist aufzufassen als eine den ganzen Organis¬ 
mus des gesclilechtsreifen Weibes periodisch ergreifende Erregung 
des Gefäßsystems, auf deren Höhe es normaler Weise zur men¬ 
struellen Gebärmutterblutung und damit zum jähen Abfall der 
Gefäßerregung kommt. Hand in Hand mit dieser Gefäßerregung 
vollzieht sich eine Steigerung der Energie aller Functionen des 
weiblichen Organismus, die etwa 10 Tage vor dem Eintritt der 
menstruellen Blutung beginnt und mit jähem Abfall unmittelbar vor 
oder bei Beginn der Blutung endet. Interessant und für die Deutung 
dieser Beobachtungen wichtig ist die Thatsache, daß bei Kindern 
bis zum 13. Lebensjahre und bei Frauen über 58 Jahren sich 
periodische Schwankungen der Körperfunctionen nicht nachweisen 
ließen. Gewisse Vorgänge im Leben aller Organismen — so auch 
die Menstruation — lassen sich zu Reihen gruppiren, die einer 
23- resp. 28tägigen Dauer entsprechen. Bei der Menstruation dürfte 
es sieh nicht nur um eine Hyperämie der Beckenorgane, sondern 
um eine Erregung des ganzen Gefäßsystems des weiblichen Orga¬ 
nismus handeln. Die so häufige Schwellung der Brüste, der Schild¬ 
drüse, die Veränderungen der Stimmbänder, des Blutdrucks und 


der Pulsfrequenz, die oft eintretende Neigung zu Diarrhöen, Uebel- 
keit und Erbrechen, die Veränderungen der Harnsecretion vor und 
während der Periode, die mannigfachen Störungen und menstrualen 
Beeinflussungen der Hautthätigkeit, die an Auge und Nase men- 
struirender Frauen regelmäßig zu beobachtenden Vorgänge, die 
gelegentlich auftretenden vicariirenden Nasen-, Lungen- und Magen¬ 
blutungen, die so häufig einsetzenden psychischen Alterationen — 
das Alles beweist zur Genüge, wie lebhaft der ganze Organismus 
des Weibes unter dem Einfluß der bei der Menstruation wirkenden 
Reize steht. Daß die Causa movens all dieser gewaltigen men¬ 
strualen Vorgänge im Ovarium zu suchen ist, wurde zum erstenmale 
vor 70 Jahren von Negrier als Vermuthung, im Jahre 1865 aber 
von Biscboff und Pflüger klar und bestimmt ausgesprochen. Der 
Reiz geht von dem im Ovarium reifenden Ovulum aus. Dafür spricht 
die Thatsache, daß bei Kindern und älteren Frauen, bei congeni¬ 
taler Verkümmerung und nach operativer Entfernung der Ovarien, 
kurz immer, wenn es an einem functionsfähigen ovulirenden Eier¬ 
stock fehlt, stets und allemal die Menstruation und alle mit ihr 
in Beziehung stehenden schon erörterten Erregungen und Schwan¬ 
kungen der vitalen Energie vermißt werden. Während die Ovula 
sich anschicken, die Ovarien zu verlassen, bereitet der Uterus das 
Bett, welches dieselben beherbergen soll. Die Menstruation kann 
auch ohne Follikelberstung (Ovulation) erfolgen. Es ist also nicht 
die Follikelberstung, wohl aber die Follikelreifung die Ursache der 
menstruellen Congestion. Durch den Druck der wachsenden Follikel 
wird auf die Ovarialnerven ein constanter Reiz ausgeübt. Die 
Summe dieser Reize, welche nach Ablauf einer gewissen Zeit 
immer eine bestimmte Größe erreichen, löst schließlich eine gewaltige 
Congestion nach den Genitalien [aus, unter deren Einfluß einerseits 
die Blutung der Uterusschleimhaut, andererseits, und zwar meist 
gleichzeitig mit dieser Blutung, die Berstung der Follikel erfolgt. 

Ob das nervöse Centrum, welches die von den wachsenden 
Follikeln ausgehenden Reize aufnimmt, accumulirt und schließlich 
an die sympathischen Nervengeflechte der Gefäße weitergibt, in den 
Ganglienzellen des Ovariums selbst zu sncheD ist, ist noch unent¬ 
schieden, doch wahrscheinlich. Unwahrscheinlich aber ist es, daß 
die von den reifenden Follikeln ausgehenden Reize rein mechanischer 
Art sind. Der functionirende Eierstock liefert wahrscheinlich ge¬ 
wisse chemische Substanzen an das Blut und wirkt so im Haus¬ 
halt des Organismus anch chemotaktisch. Dafür scheint unter An¬ 
derem das Fettwerden der Fraaen im Klimakterium und nach der 
Castration, sowie die erhebliche Abnahme der Phosphorsäureaus¬ 
scheidung und die vielleicht darauf basirende Heilung der Osteo- 
malacie durch Castration zu sprechen. 

Als Gesammtergebniß aller bisherigen Beobachtungen und 
Raisonnements lassen sich folgende Schlußsätze aufstellen: Die 
Thätigkeit der weiblichen Generationsorgane vollzieht sich periodisch. 
An dieser Periodicität nehmen die gesammten Lebensprocesse des 
weiblichen Organismus theil, welche in wellenförmiger Bewegung 
begriffen, in der jeweiligen Steigerung die Vorbereitung für die 
Entstehung eine3 kindlichen Organismus erkennen lassen. 

In gleich regelmäßigen (auch bei scheinbarer Unregelmäßig¬ 
keit sich zu einem 23- oder 28tägigen Turnus gruppirenden) Phasen 
reift ein Ei heran. Unter dem Einfluß der Eireifung und abhängig 
davon entwickelt sich im Uterus die zur Aufnahme und Ernährung 
des Eies bestimmte antimenstruelle Schleimhaut. Die Berstung des 
Follikels und Loslösung des Eies findet, durch histologische Wachs¬ 
thumsvorgänge langsam vorbereitet, anf der Höhe der Wellen¬ 
bewegung im Organismus noch vor 'Eintritt der menstruellen 
Blutung statt. Das austretende Ei wird sofort, schon auf dem 
Ovarium oder am Infnndibulum tnbae, befruchtet und von diesem 
Momentan, noch während der etwa 3—5 Tage dauernden Wanderung 
des Eies, beginnt die Weiterentwickelung und Umwandlung der 
Uterusschleimhaut zur Decidna. Die Menstruation bleibt aus, es ist 
Schwangerschaft eingetreten. Tritt keine Befruchtung ein — geht 
das reife Ei extra- oder intrafolliculär zugrunde —, so geht auch 
die zu seiner Aufnahme antimenstruell entwickelte Uterusschleimhaut 
zugrunde; es findet keine Fortentwickelung und Umbildung znr 
Decidua statt; es kommt znr menstruellen Blutnng, Abschwellung 
nnd Rückbildung der Schleimhaut. Der Körper des Weibes traf 


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alle Vorbereitungen zur Fortpflanzung, er lieferte das reife Ei, be¬ 
reitete ihm den Boden im Uterus zur Entwickelung und speicherte 
für den Aufbau Stoffe auf. Da keine Befruchtung eintrat, wird 
mit der menstruellen Blutung abgertistet und im Haushalt des Or¬ 
ganismus das Gleichgewicht wieder hergestellt, um binnen Kurzem 
das gleiche Spiel von Neuem beginnen zu lassen. 

Die periodische Schwellung des Endometrium ist eine Func¬ 
tion der Eireifung, die Deciduabildung ist eine Function der Ei¬ 
befruchtung. 

Notizen. 

Wien, 29. März 1902. 

(Neue medicinische Rigorosenordnung.) Behufs 
Revision der neuen medicinischen Studien- und Prüfungsordnung 
hat im Unterrichtsministerium eine Enquete stattgefunden, welcher 
Delegirte aller österreichischen medicinischen Facultäten beigezogen 
waren. Wie offieiös verlautbart wird, ist zunächst eine Berathung 
über Aenderungen der Bestimmungen bezüglich des ersten Rigo- 
rosums erfolgt, die in folgenden Vorschlägen gipfelte: 

Drei von den sechs Gegenständen des ersten Rigorosums können 
schon am Schlüsse des vierten Studienseraesters geprüft werden, nämlich : 
Allgemeine Biologie, Physik und Histologie oder statt dieser Chemie. 
Die drei übrigen Gegenstände sind im folgenden Semester, und zwar 
soweit thunlich, am Anfänge desselben zu prüfen. Bei allen in diesem 
fünften Semester abzulegenden Prüfungen soll in der Regel das Intervall 
zwischen denselben 2 Wochen betragen. Mit diesem Rigorosum schließt 
der erste Studienabschnitt, der aber von jedem Studirenden, der es 
wünscht, auf mehr als vier Semester ausgedehnt werden kann. Ferner 
wird die Bestimmung, nach welcher ein in mehreren Gegenständen eines 
Rigorosums reprobiiter Candidat dieses ganze Rigorosum zu wiederholen 
hat, fallen gelassen, und die Wiederholung auf die Gegenstände beschränkt, 
in denen er nicht entsprochen hat. Hiebei kann ihm aber bei nochmaliger 
Wiederholung aufgetragen werden, gewisse Collegien nochmals zu frequen- 
tiren. 

Diese Aenderungen dürften schon in den nächsten Tagen im 
Verordnungswege herabgelangen, und im Laufe des Sommersemesters 
wird, wie verlautet, die Revision der Bestimmungen bezüglich des 
zweiten und dritten Rigorosums fortgesetzt werden. 

(Die Forder ungen der Cassenärzte.) Kürzlich hat 
eine Vollversammlung des „Vereines der Cassenärzte Wiens“ statt¬ 
gefunden, welcher in Vertretung der Wiener Aerztekammer Prä¬ 
sident Dr. Heim, namens der „Organisation“ der Vorsitzende 
Dr. Schum und dessen Stellvertreter Dr. Ignaz Weis , ferner Dele¬ 
girte des „Verbandes der Genossenschaftskrankencasser. Wiens“ 
beiwohnten, welchem die überwiegende Mehrzahl der Vereiusmit- 
glieder angehört, ln einem außerordentlich klaren, auf Grundlage 
officieller statistischer Daten abgefaßten Referate wies Dr. Ellmann 
nach, daß die Aerzte des „Verbandes“ die schlechtestbezahlten 
Cassenärzte Oesterreichs sind, daß die Möglichkeit besserer Ent¬ 
lohnung und Berücksichtigung ihrer sonstigen berechtigten Wünsche 
gegeben sei, zumal die Beittäge der Einzelncassen gerade ad hoc 
eine Steigerung erfahren haben. Ein vom Schriftführer Dr. Popper 
auf Grund dieses Referates vorgelegtes Memorandum an die Ver¬ 
bandsleitung wurde einstimmig angenommen. — Wir wünschen den 
Cassenärzten vollen Erfolg ihrer Action. Einen Erfolg haben sie 
bereits errungen. Er docuraentirt sich in den sympathischen, die 
Bestrebungen der pauschalirten Cassenärzte unterstützenden Ver¬ 
sicherungen der Vertreter der Kammer und der „Organisation“, 
welche die Erklärung abgaben, daß die Cassenärzte in ihrem Lohn¬ 
kampfe nicht allein stehen. 

(Personalien.) Die Bezirksärzte Dr. Andreas Keppa und 
Dr. Adolf Kutschera Ritter v. Aichbergen sind zu Oberbezirks¬ 
ärzten in Steiermark, Dr. Franz Hold zum Oberbezirksarzte in 
Oberösterreich, Dr. Anton Schubert zum Oberbezirksarzte in Mähren, 
die Bezirksärzte Dr. Ladislaus Czyzewicz und Dr. Miecislaus 
Marynowski zu Oberbezirksärzten in Galizien ernannt worden. 

(Niederösterreichischer Landes - Sanitätsrath.) 
In der Sitzung vom 17. d. M. wurden folgende Referate erstattet: 
Ueber das Statut einer Privatheilanstalt in Wien. Ueber die Er¬ 
richtung einer chirurgischen Abtheilung in einer Privatheilanstalt 
außerhalb Wiens. Vorläufige Mittheilung über die Constatirung der 
Verhältnisse beim Pottschacher Schöpfwerke. 


(Internisten-Congreß.) Vom 15. —18. April wird 
zu Wiesbaden unter dem Vorsitze Naunyn’s (Straßburg) der 
20. Congreß für innere Medicin tagen. Die Sitzungen finden 
im weißen Saale des Curhauses statt. Als schon länger vorbereitete 
Verhandlungsgegenstände, für welche Autoritäten ersten Ranges 
die Referate übernommen haben und welche bedeutendes actuelles 
Interesse haben, stehen auf dem Programme: Diagnose und Therapie 
des Magengeschwüres, Referenten: Ewald (Berlin) und 
Fleiner (Heidelberg); Lichttherapie, Ref.: Bie (Kopenhagen). 
Zu Beginn der Vormittagssitzung des 16. April findet als Vorfeier 
des 70. Geburtstages v. Leyden’s eine Feier statt. — Einzel¬ 
vorträge sind in großer Zahl angemeldet. 

(De. Adolf Hoffmakn.) Am 28. d. M. vollendete der 
praktische Arzt Dr. Adolf Hoffmann in Wien sein 80. Lebens¬ 
jahr. In voller geistiger und körperlicher Frische beging der 
greise Arzt, beglückwünscht von zahlreichen Freunden und Colle- 
gen, so wie vom Präsidium der Gesellschaft der Aerzte , welcher 
er seit 50 Jahren angehört, den Geburtstag. 

(Die obligatorische Spitalspraxis in Ungarn.) 
Aus Budapest wird uns geschrieben: Das ungarische Unterrichts¬ 
ministerium hat in Bezug auf das obligatorische Spitalsjahr folgende 
Verordnung erlassen: Das zur Erlangung des Doctordiploms liöthige 
Spitalsjahr kann nur in einem hiezu berechtigten Civilspitale ab¬ 
gedient werden. Vier Monate dieses Jahre3 entfallen auf innere 
Krankheiten, zwei auf die chirurgische, zwei auf die geburtshilf¬ 
liche Abtheilung; der Rest der Zeit kann nach den Ermessen des 
Studirenden auf einer beliebigen Abtheilung oder in einer öffentlichen 
Anstalt für Geisteskrankheiten geleistet werden. Auf je 25 bett¬ 
lägerige Kranke soll durchschnittlich ein hospitirender Arzt ent¬ 
fallen. Allmonatlich wird demselben vom Spitalsdirector und dem 
Oberarzte die Dienstführung bestätigt. Auf Grund der erfolgten 
Bestätigung des absolvirten Spitalsjahres wird vom Decan der 
Facultät das Diplom ausgefolgt. Die in militärischen Sanitätsanstalten 
zugebrachte Zeit wird in die einjährige Spitalspraxis eingerechnet. 

(Professor v. Behring) beabsichtigt — wie verlautet 
— den Betrag des ihm zugefallenen Nobelpreises (168.000 Mark) 
dem preußischen Staate zur dauernden Sicherung des von ihm be¬ 
gründeten Institutes für experimentelle Therapie an der Marburger 
Universität zu stiften, damit die von ihm begonnenen Scrum- 
forschungcn in größerem Maßstabe fortgesetzt werden können. 

(Die Carcinomfrage in Südaustralien.) Die austra¬ 
lische Regierung hat, der Zunahme der Zahl der Carcinomkranken 
Rechuung tragend, sich entschlossen, in Adelaide ein Krankenhaus 
für Krebskranke zu bauen. 

(Die internationale Vereinigung der medicini- 
schen Fachpresse), die — wie wir bereits mittheilten — am 
7. April zu Monaco eine DelegirteuVersammlung veranstaltet, wird 
daselbst zunächst die Redaction des Statutenentwurfes erledigen. Es 
liegen dazu drei Vorschläge seitens der französischen, deutschen 
und englischen Vereinigung vor; Delegirte der letzteren sind: 
Wakley (Lancct), Dawson Williams (British med. Journal), Gubb 
(Med. Press and Circular), Creasy (Clinical Journal). Vertreter der 
deutschen Vereinigung sind: Posner, Eulenburg (Berlin), Spatz 
(München), Adler (Wien). Das Bureau bilden: Fürst Albert von 
Monaco (Ehrenpräsident), Cornil (Präsident), Charles Richet, 
Laborde, Lucas Championniere Vicepräsidenten, Blondel (General- 
secretär), Marcel Baudouin (Schatzmeister). — Zur Berathung 
liegt ein Bericht über den Schutz des literarischen Eigenthums und 
ein Vorschlag betreffs Gründung eines permanenten Bureaus vor. 

(Die zweite internationale Conferenz für die 
Prophylaxe derSyphilis und der venerischen Krank¬ 
heiten) findet vom 1. bis 6. September d. J. in Brüssel statt. 
Zur Besprechung kommen folgende Fragen: 1. Welche allgemein¬ 
prophylaktischen Maßnahmen in Form von gesetzlichen Maßnahmen 
sind zu ergreifen in Bezug auf die Prostitution und außerhalb der¬ 
selben? 2. Erscheint es geeignet, die Uebertragung einer venerischen 
Krankheit nicht nur strafrechtlich, sondern auch civilrechtlich zu 
verfolgen, beziehungsweise zu bestrafen? 3. Welche Mittel kann 
man an wenden, um die noth wendigen Kenntnisse unter dem Publicum 
im allgemeinen und besonders unter der Jugend betreffs der 


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627 


1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 13. 


628 


individuellen und allgemeinen Gefahr der venerischen Krankheiten 
und über die directen und indirecten Ansteckungsweisen derselben 
zu verbreiten ? 4. Auf welche Weise kann man am leichtesten die 
individuelle Prophylaxe durch Einrichtung von Heil-, Behandlungs¬ 
und Pflegestätten, und zwar für Personen beiderlei Geschlechts, in die 
richtigen Wege leiten? 5. Welches sind die gleichmäßigen Grundlagen, 
auf welchen eine für alle Länder brauchbare Statistik der venerischen 
Krankheiten ermöglicht würde? Auch Mittheilungen, welche nicht 
in unmittelbarem Zusammenhang mit dem vom Comite aufgestellten 
Programm stehen, können unter Umständen zum Vortrage gebracht 
und zur Discussion gestellt werden. Anfragen sind an Geh. Med.- 
Rath Prof. Dr. Neisser in Breslau zu richten. 

(W ohlfahrtsverein für Hinterbliebene derAerzte 
Wiens.) Am 8. d. M. hat die III. ordentliche Generalversammlung 
dieses Vereines unter lebhafter Betheiligung seiner Mitglieder statt¬ 
gefunden. Dem zur Ausgabe gelangten Jahresberichte entnehmen 
wir, daß der Verein derzeit 3 Stifter, 11 Gründer, 17 unterstützende 
und 680 wirkliche Mitglieder zählt und während seines nunmehr 
zweijährigen Bestandes an die Hinterbliebenen von 11 Mitgliedern 
den ansehnlichen Betrag von K 13.848 ausbezahlt hat. Wenn man 
bedenkt, wie äußerst gering und kaum fühlbar die materiellen 
Leistungen des Einzelnen (Mitgliedsbeitrag K 2. — per Todesfall) 
im Verhältnisse zu der Anwartschaft für die Hinterbliebenen sind, 
dann ist es geradezu bedauerlich, daß noch immer nicht die ganze 
Aerzteschaft Wiens diesem in socialer und ethischer Beziehung 
so eminent wichtigen Vereine angehört. Die dem Vereine noch 
ferne stehenden Aerzte Wiens sollten daher recht bald in ihrem 
eigenen Interesse und im Interesse Aller ihren Beitritt anmelden. 
Sitz des Vereines- II., Asperngasse Nr. 5. 

(Preisschrift.) Den Preis der „Philadelphia Academy of 
Surgery“ im Betrage von 1000 Dollars für eine chirurgische Original¬ 
arbeit hat Dr. Robert Dawbarn aus New-York erhalten für eine 
Arbeit „Uber die Behandlung gewisser maligner Tumoren durch 
Excision beider Carotides externae“. Der Autor hat 
diese Operation bisher 40mal ausgeführt. 

(Statistik.) Vom 16. bis inclusive 22. März 1902 wurden in den 
C i vi lspitälern Wiens 7567 Personen behandelt. Hievon wurden 1649 
entlassen; 188 sind gestorben (10'2% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 83, egypt. 
Augenentzündung 2, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 1, Dysen¬ 
terie —, Blattern —, Varicellen 132, Scharlach 106, Masern 371, Keuchhusten 94, 
Rothlauf 38, Wochenbettfieber 3, Rötheln 26, Mumps 15, Influenza —, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 703 Personen gestorben 
(+ 17 gegen die Vorwoche). 

Das von H. Nanning, Apotheker in Haag (Holland), dargestellte 
Fluidextract, Extractum Chinae „Nanning ‘ zeigt einen hohen constanten 
Alkaloidgebalt von 5%- sämmtliche Bitterstoffe der Rinde, sowie die China¬ 
gerbsäure in unverändertem, gelöstem Zustande. Es vereinigt in sich die Wir¬ 
kungen des Chinins mit deneD der Amara. Was die letztere Wirkung anbe¬ 
langt, hat Dr. James Silbebstein, Assistent der Klinik von Hofrath Professor 
Neumann, Wien („Aerztl. Central-Ztg.“ 1901, Nr. 50), das Präparat in Fällen 
von Appetitlosigkeit aus verschiedenen Ursachen verwendet und hat besonders 
günstige Erfolge bei chronischem Mageekatarrh der Alkoholiker gefunden. 
Vom Extracte wurden g* wohnlich auf dem nüchternen Magen 20 Tropfen 
genommen. Nach wenigen Tagen stellte sich der Appetit ein; die Schleim- 
hautsecretion des Magens wurde geringer und damit schwand auch das lästige 
Symptom des Vomitus matutinus. 

Bei Appetitlosigkeit von Reconvalescenten, sowie bei chronischer Tuber- 
culose hat sich das Mittel ebenfalls sehr gut bewährt. Es kann hier in Milch, 
Wein, Leberthran gegeben werden und wurde dann ausnahmslos gut vertragen. 
Wenn es auch auf das Grundleiden keine specifi-che Wirkung ausübt, so 
unterstützt es doch den Patienten durch die Hebung des Appetits und Körper¬ 
gewichtes im Kampfe gegen die Infection. Mit dieser Tendenz kann es bei 
allen nicht mit hohem Fieber einhergehenden Erkrankungen, bei denen der 
Appetit und die Ernährung gesunken ist, angewendet werden. 

Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 

Mit dieser Nummer versenden wir einen Prospect der 

Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co., Elberfeld, über 
„Salophen“. Wir empfehlen denselben der geneigten Beachtung 
unsrer Leser. 


Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
Postversendnng. Die Preise der Einb&nddeoken sind folgende: für die „Med. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
,,Therapie der Gegenwart“: K 1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Postversendung. 

Die Rubrik: „Erledigungen , ärztliche Stellen“ etc . 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 

MC Wir empfehlen diese Rubrik der speclellen Beachtung unserer 
geehrten Leser; in derselben werden öfters — neben der Publication von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auch für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein können, welche an eine 
Aenderung des Domicils oder ihrer Verhältnisse nicht gedacht haben. *91 


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XLIII. Jahrgang. 


Wien, den 6. April 1902. 


Nr. 14. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogei Groß-Qnart-Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Miliiihärztliche Zeitung“ nnd 
die „Wiener Klinik , letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsxnfträgo sind an 
die Administration der „Wiener Mediz,ruschen Presse“ 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die ßednction bestimmte Zuschriften sind zu adrcssireu an 
Heim Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisierplatz 2. 

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Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jiibrl. 20 Mrk,., 
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separat: Inland: jälirl. 8 A'; Ausland: S Mrk. — Inserate 
werden, für die 2 spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Kaum 
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allen Buchbändlern nnd Postämtern, im In lande durch Ein 
Sendung des Betrages per Postanweisung- an die Adrainistr. 
der „ W iener Mediz. Presse“ in Wien, I, Maximilianstr. 4. 



Begründet 1860. 


Organ für praktische Aerzte. 

—-- .058 - 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


Redaclion: Telephon Nr. 13.849. 


Redigirt von 

ö 

Dr. Anto n B u m. 


Administration: Telephon Nr. 9104. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Die physikalische und medicamentöse Therapie des Diabetes mellilus. Von Docent Dr. Alois Strasser. — 
Ueher Psychosen hei Neurasthenikern. Von Prof. Dr. Emil Redlich. — Referate. Sneguireff (Moskau): Ein Fall von partieller Re-ection dev Milz 
unter Anwendung des Wasserdampfes als Blutstillungsmittel. — Rasumosky (Kassau): Eine neue coiiservalive Operation am Hoden, ^— Mircot.i 
(Genna): Ueher die Sero-Anlifoxicität des Alkohols bei der Tuberculose und Uber die eventuelle Anwendung des Alkohols in der Therapie der 
Tuberculose. — H. Dreser (Berlin): Ueher geschmackfreie Chininderivate. — Kionka (Jena): Die Giftwirkungen des als „Präscrvesalz“ zur Fleisch- 
. conservirung verwandten sehweHigsauren Natrons. — Saexger (Magdeburg): Zar Aetiologie der Lungentuberculose. — Bertareli.i und Calamida: 
Ueher die ätiologische Bedeutung der Blaslomyceten iu den Tonsillen. — Dieudonne (Würzbnrg): Zur Bakteriologie, der Typhuspnenmonien. — 
Löwit (Innsbruck): Die parasitäre Natnr der Leukämie. — Kleine Mittheilungen. Entgiftung des Cocains im Thierkörper. — Stypticin. 
Behandlung der Prostatahypertrophie. — Bromipin Merck. — Behandlung der Fistula gaslrocolicä. — Die Anwendung großer Gaben von Jod¬ 
präparaten. — Hautjucken. — Verfahren für perimetrische Buckelmessung. — Agnrin. — Die Injection künstlichen Serums. — Literarische 
Anzeigen. Lehrbuch <Lr Arzneimittellehre und Arzneiverordnungslehre. Von Prof. Dr. H. v. Tappeiner. — Die Samenblason des Menschen mit 
besonderer Berücksichtigung ihrer Topographie, Gefäßversorgung und ihres feineren Baues. Von Dr. Max Frankel (Berlin). — Verhandlungen 
ältlicher Vereine. Aus den Abtheilungen der 73. Versammlung Deutscher Naturforscher .und Aerzte. Hamburg, 22.—28. September 1901. 
(Coll.-Rer. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) XKIIL — Standcsfragen. Die Verelcndnng des ärztlichen Standes in ihren 
~ Bezfehungen zu den Krankencassen und der freien Arztwahl. Von Dr. Fritz Hartwig in Wien. I. Die Nachtheile des heutigen Zwangsarztsystems 

ifi -, 0 %. der KraiLkencässen für :dcn ärztlichen ^nd. x-: Notizen*,*— Nene-Literatur. -*• Eiugesendet. — Offere Correspondenz der Rodaction und 

f-ty Administ^ätioh.-— Aefztliche Steilem — Ät^Ieigen. 5 

\ - - | : - —- .. . - ■ it . ...... ■ ■ ■ ■■■ --SSB 

Nachdruck von Artikeln, dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „Wiener Medizinische Presse 11 gestaltet. 


J' . . 

Originalien und klinische Vorlesungen. 

Die physikalische und medicamentöse Therapie 
des Diabetes mellitus 

Von Docent Dr. Alois Strasser. *) 

M. H.! Der jetzige Stand der Therapie des Diabetes mellitus 
ist durch den Kampf gegen die diabetische Ernährungsstörung 
gekennzeichnet; wer nach sorgfältiger Beobachtung seines 
an Diabetes leidenden Patienten die entsprechende Diätformel 
gefunden hat, der hat den wesentlichsten Tlieil der Therapie 
erledigt. — Da mein geehrter Vorredner nun die Bedeutung 
und Anordnung der diätetischen Maßnahmen eingehend er¬ 
örtert hat, so könnten Sie die Frage aufwerfen, ob ich wohl 
noch wichtige therapeutische Momente Vorbringen kann, nnd 
ob ein zweites, von der diätetischen Therapie nbseiis liegende 
Fragen behandelndes Referat noch seine Berechtigung hat. — 
Wäre ich nicht in der Lage, diese Frage entschiedenst zu 
bejahen, so hätte ich die ehrende Aufgabe, ein Referat nus- 
znarbeiten, nicht übernommen, und Sie werden sieh überzeugen, 
daß neben der diätetischen Therapie noch eine Anzahl thera¬ 
peutischer Methoden Berücksichtigung verdient und ihr Nutzen 
umsomehr hervorgehoben werden soll, als sie von der großen 
Anzahl der praktischen Aerzte im Allgemeinem, vernachlässigt 
wird. — Ich meine die physikalische nnd die m.edi- 
camentöse Therapie des Diabetes. 


*) Referat, gehalten in der III. wLsenächafiliclien Versammlung des 
Centrulvefbandes der Balneologon Österreichs am 21. Mäiz '902, 


Die Anforderungen an die Therapie des Diabetes sind 
Jroß und vielseitig, und entsprechend der Vielgestaltigkeit der 
Krankheit nahezu in jedem Einzelfalle andere. Die Grlykosurie 
und die diabetische Ernährungsstörung ganz vorne an, daneben 
der Zustand der Haut und der Nieren, nervöse Erkrankungen 
(Neuralgie, Neuritis, Ausfallserscheinungen), Magendarmstörun¬ 
gen und endlich die Tuberculose der Diabetiker sind Angriffs¬ 
punkte der physikalischen und medicaraentösen Therapie, und 
ich will versuchen, ihre Leistungsfähigkeit in das gehörige 
Licht zu setzen. 

Ich beginne mit der Hydrotherapie. Es liegt sehr nahe 
anzunehmen, daß eine hydrotherapeutische Behand¬ 
lung gegen einen. Ausfall inderprotoplasmati- 
schenEnergie dos Organismus, s e i e s i n d e r R i c h- 
tnng der Zuck erVerbrennung, sei es in dem 
Widerstand gegen abnorm gesteigerten Zerfall, 
mit Erfolgetnge 1 e it e t we rd e n ka nn, und tbatdichlich 
ist es so, daß ein Diabetiker von einer solchen Behandlung 
mannigfachen Nutzen haben kann; doch bedarf dieser generali- 
sirende Ausspruch in mehrfacher Richtung eine den verschie¬ 
denen Verhältnissen angepaßte präcDc Formulirung. 

Sprechen wir erstens von der Grlykosurie. — Ich erkläre, 
daß eine diabetische Grlykosurie in vielen Fällen, je loch kaum 
jemals in vorhinein genau bestimmbarer Weise, durch hydro¬ 
therapeutische Proceduren günstig beeinflußt werden kaum — 
In leichten .Fällen, insbesondere bei dem Diabetes der Fett¬ 
leibigen , ist dieser günstige Einfluß sehr häufig und auch 
unserem Verständnis näher gerückt, wenn wir brdenken, daß 
die bei Fettleibigen so in die Augen springende Verlangsamung 
des Stoffwechsels, welche sich bei lipogenem Diabetes änclt 
auf die . Verbrennung der Kohlenhydrate erstreckt, der 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 14 


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energischen oxydationssteigernden Wirkung der Hydrotherapie 
weichen kann. 

Bei mittelschweren und schweren Fällen von constanter 
Glykosurie ist die Wirkung durchaus unbestimmt. 

Es ist von vorneherein anzunehmen, daß eine Hydro¬ 
therapie bei echtem Pankreasdiabete3 ganz wirkungslos bleiben 
wird, während ein nervöser sowie ein Stoffwechseldiabetes 
(eine allgemeine Erkrankung des Protoplasmas) auf Steigerung 
der Zellenenergie durch Hydrotherapie unter Umständen ganz 
gut reagiren kann. 

Ob die Function der Zuckerbildung oder Zuckerabspal¬ 
tung gewisser Organe unter dem Einflüsse einer Reiztherapie 
nicht gesteigert werden könnte, ist mir ganz unbekannt; ich 
muß mich begnügen, zu constatiren, daß ich in einer großen 
Reihe von selbst schweren Fällen von Diabetes 
auch bei eingreifender hydrotherapeutischer 
Behandlung nicht gesehen habe, daß die Glyko¬ 
surie eine als Wirkung der Curen aufzufassende 
Steigerung erfahren hätte. 

Ebenso muß ich die eminent wichtige Beobachtung mit¬ 
theilen , daß die Toleranz der Diabetiker gegen 
Kohlehydrate während (durch) einer Wassercur 
sich zu heben scheint, eine Beobachtung, welche in 
dieser Richtung der Hydrotherapie wenigstens die Bedeutung 
einer die Diätverordnungen unterstützenden Therapie sichert. 
In einer Publication der allerjüngsten Zeit bestätigt Baum 
diese Angabe in dem überzeugenden Tone des gewissenhaften 
Praktikers. 

Ueber die Wirkung der Hydrotherapie gegen den p atho- 
logischen Eiweißzerfall, resp. gegen die schwere Er¬ 
nährungsstörung ist Folgendes zu sagen: 

Der pathologische Eiweißzerfall hat bei Diabetes zwei¬ 
erlei Ursachen und erscheint in zwei Formen. 

Die erste Form des Eiweißzerfalles entsteht durch das 
Bestreben des Organismus, die durch Ausfall der Kohl ehyd rat - 
verbrennung mangelnden Calorien zu decken, und es wird theil- 
weise von der Resorptionscapacität der Verdauungsorgane ab¬ 
hängig sein, ob das Gleichgewicht zwischen Eiweißaufnahme 
und Verbrauch aufrecht zu erhalten ist oder nicht. 

Die zweite Form ist der unbedingt pathologische, toxo- 
gene Eiweißzerfall, welcher entweder als Folgezustand der 
ersten Form auftreten kann oder aber seinen Grund in dem 
Wesen der Erkrankung selbst hat und von allem Anfänge 
mächtig in den Vordergrund treten kann. 

Wenn auch scharfe Grenzen diesbezüglich in der Praxis 
nicht gezogen werden können, so ist zur Beurtheilung der 
Leistungen einer therapeutischen Methode diese Eintheilung 
wohl acceptabel. 

Für die erste Form leistet die Hydrotherapie entschieden 
Gutes; sie erhöht, wie vorhin schon gesagt, wenn auch nur 
vorübergehend, die Toleranz für Kohlehydrate (welche doch 
Schutzmittel für den Eiweißbestand vorstellen), sie steigert 
die Resorption der N-haltigen Nahrung und kommt so 
dem Bestreben des Organismus, sein Nabrungsgleichgewioht 
ohne Verlust an fixem Körperbestande aufrecht zu erhalten, 
durch Anspannung und Aneiferung aller Reservekräfte zu 
Hilfe. 

In welcher Weise dieser Umstand mit den speciellen 
Forderungen der diätetischen Therapie bezüglich der größeren 
oder geringeren Eiweißzufuhr in Einklang zu bringen ist, 
das muß sich wohl jeder nach seiner Ansicht in der Ernäh¬ 
rungsfrage selbst zurecht legen. 

Bei der zweiten Form des Eiweißzerfalles sind wir 
bezüglich der Wirkung mehr auf Speeulation angewiesen. 
Es ist weder experimentell noch empirisch festgestellt, ob 
eine thermisch - mechanische Behandlungsmethode den ori¬ 
ginär diabetischen Eiweißzerfall direct beeinflussen kann oder 
nicht, nur als Analogie wäre anzuführen, daß kühle Bäder 
bei schweren fieberhaften Krankheiten den gesteigerten Eiwei߬ 
zerfall hemmen (Tripier und Bouveret) , was man nicht der 


temperaturherabsetzenden. vielmehr einer specifischen, gegen 
die Fieberursache gerichteten Wirkung der Bäder zuschreiben 
kann. 

Der exquisit toxogene, durch abnorme Säurebildung veran- 
laßte Eiweißzerfall wird in ganz unbestimmter Weise beeinflußt. 
Wenn ich auch hervorheben kann, daß ich oft eine vorhandene 
Acetonurie bei hydrotherapeutischer Behandlung verschwinden 
sah und damit der toxische Circulus durchbrochen erscheinen 
würde, muß doch erklärt werden, daß eine rapide Abmagerung 
bei malignen Diabetesformen auch durch Hydrotherapie 
nicht aufgehalten werden kann, wenngleich sicher ist, daß 
auch schwere Diabetiker in hydrotherapeutischer Behandlung 
ihr Körpergewicht meist gut erhalten und selbst zunehmen. 
Allenfalls ergibt sich aus der Natur der Sache, daß man 
in der Auswahl der Proceduren einem derartig gesteigerten 
Zerfall weitestgehende Rechnung tragen wird, in welcher 
Weise, darauf komme ich noch zurück. 

Allgemein ohne Widerspruch anerkannt ist die allge¬ 
meine, die Muskelkraft steigernde, den Tonus 
und die Turgescenz der Gewebe erhöhende Wir¬ 
kung der Hydrotherapie, eine Wirkung, welche im Detail 
nicht präcisirbar ist, deren Nutzen und Bedeutung aber in der 
Therapie einer schweren, allgemein depascirenden Erkrankung 
nicht betont werden muß. 

Der nächste Angriffspunkt der Hydrothe¬ 
rapie ist die äußere Haut. Man kann hier von dieser 
Therapie umsomehr Erfolg hoffen, als die Haut nicht nur 
Quelle großer Unbequemlichkeiten und Qualen werden, sondern 
durch mangelhafte Function rückwirkend andere Organe schä¬ 
digen kann. 

Bei leichten und fettleibigen Diabetikern treffen wir die 
succulente, leicht schwitzende Haut, die Mehrzahl der schwere 
ren Diabetiker zeigt jedoch trockene, tabescente Haut, welche 
in der Hautathmung und in der Perspiration (Wasserabgäbe) 
weitaus Geringeres leistet, als von ihr erfordert wird. 

Wenn auch bisher ganz unbekannt ist, ob und welchen 
directen Einfluß eine pathologisch veränderte Hautfunction 
auf den Diabetes als solchen hat, verdient die Behandlung 
der Haut aus rein praktischem Interesse eine Würdigung 

Ein paralleler Gang dieser Hauterkrankungen mit dem 
jeweiligen Zuckergehalte des Blutes ist bekannt und ebenso 
die Thatsac he, daß geeignete diätetische Maßnahmen, welche 
die Glykosurie zum Verschwinden bringen, meist auch die 
Hautkrankheiten bessern. — Meist, jedoch nicht immer, und 
gerade in den hartnäckigsten Fällen ist die stickstoffreiche 
Nahrung auf eine Furunculose oder auf Pruritus von schlechter 
Wirkung, und ich muß hervorheben, daß hier die Hydrothe¬ 
rapie Ersprießliches leistet, indem bestehende Ekzeme etc. sehr 
häufig zum Schwinden kommen und überhaupt die Neigung 
zu Hautkrankheiten wesentlich vermindert wird. Auch diese 
Wirkung der Bäder, resp. der Hydrotherapie, auf die Haut¬ 
ernährung ist eine unbezweifelte und von mancher Seite sogar 
die einzige unbeschränkt anerkannte. 

Es scheint ferner nothwendig hervorzuheben, daß bei 
der bekannten Wechselbeziehung zwischen Haut und 
Nierenthätigkeit eine Reparatur in der gesammten Haut- 
function auch der Niere zugute kommen wird. — Ich sehe 
in der guten Perspiration von der Haut entschieden 
eine Entlastung der Niere und habe diesen Eindruck 
durch Beobachtung einer großen Anzahl von Diabetikern ge¬ 
wonnen, indem ich neben Besserung der Hautqualität eine 
Besserung der Nierensymptome gesehen habe. Die Nieren- 
epithelien erholen sich wohl auch, wenn der Gesammtzustand 
sich bessert und werden dabei functionstüchtiger; doch ist 
es für mich eine kaum abweisbare Anschauung, daß die Her¬ 
stellung eines normalen Wechselverhältnisses zwischen Haut 
und Niere auf letztere den hauptsächlichsten Einfluß ausübt. 

Eine Anzahl von anderen Symptomen führt die Diabeti¬ 
ker meist in Wasserheilanstalten, und zwar rheumatoide 
Affectionen, Neuralgien und Neuritiden, welche trotz 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 14 


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der Grundkrankheit ausgezeichnete Aussichten auf Besserung 
bieten, weiters werden ebenso günstig oder noch günstiger 
beeinflußt psychische und moralische Störungen, so¬ 
wie nervöse Störungen, wie herabgesetzte Potenz, 
Fehlen der Patellarreflexe und Augenmuskel¬ 
schwäche. 

Auch bei nervösen Erkrankungen, insbesondere bei 
Neuralgien, kann die diätetische Regelung ja mitunter auch 
allein zum Ziele führen; in diesen Fällen findet die diätetische 
Behandlung an der Hydrotherapie eine mächtige Stütze; aber 
auch wenn die diätetischen Maßnahmen die Glykosurie nicht 
wesentlich beeinflussen, verspricht eine entsprechende Cur noch 
immer bedeutende Resultate. 

Die Abhärtung eines Diabetikers, der An¬ 
deutungen einer Lungenerkrankung zeigt, gehört 
auch zur dankbarsten Aufgabe einer hydrotherapeutischen 
Behandlung. 

Ueber die Methodik können die Meinungen vielfach 
auseinacdergehen, aber jede muß die Generalrichtung beob¬ 
achten, nämlich: daß das Maß der Erregung und die 
Schwere der Eingriffe überhaupt umsomehr ein¬ 
geschränkt werden muß. je schwerer sich derDia- 
betes darstellt. 

Junge, kräftige, insbesondere fettleibige Diabetiker kön¬ 
nen mit energischen erregenden Proceduren behandelt werden, 
ja selbst Schwitzcuren mit nachfolgenden Douchen und auch 
flüchtige Eintauchungen in ganz kalte (8—10° C.) Vollbäder 
werden von diesen Kranken nicht nur gut vertragen, sie 
lassen, wie vorhin erwähnt, selbst in Bezug auf die Glyko¬ 
surie Günstiges erwarten. Ich glaube nicht, daß man bei 
lipogenem Diabetes (insbesondere bei jugendlichen Individuen) 
viel riskirt, wenn man die Kranken schwitzen läßt, aber doch 
muß man daran denken, daß aus einem leichten Fall von Dia¬ 
betes ein schwerer werden, und daß eine Zeit kommen kann, 
in der man eine Fettreserve des Diabetikers schützen und nicht 
angreifen soll. 

Es ist daher selbstverständlich. daß der Charakter des 
Diabetes während einer längeren Behandlungszeit durch ent¬ 
sprechende Untersuchungen wiederholt bestimmt werden muß. 

Für mittelschwere und schwere Diabetiker passen starke 
Schwitzproceduren und sehr kalte, energische, erregende Pro¬ 
ceduren nicht. Auch ein schwerer Diabetiker verträgt kurze 
Dampf kästen (6—7 Minuten) mit darauffolgendem Bade 
(Douche, Abreibung), und die Haut, Neuralgien und andere 
Symptome werden durch diese Procedur gut beeinflußt (auch 
wenn die Glykosurie gleichbleibt); lange Dampfkasten (über 
7—8 Minuten) sind nicht anzurathen. 

Weniger angreifende Proceduren können auch bei schwe¬ 
ren Fällen durchaus gefahrlos applicirt werden und werden 
auch in diesem Sinne von allen hervorragenden Diabetes¬ 
forschern (v. Noorden, Naunyn, Külz Rümpf etc.) empfohlen. 

Für nahezu alle Fälle paßt die bei uns vorzüglich ge¬ 
übte Behandlung mit feuchten Einpackungen (1—l 1 /.. Stunden) 
mit nachfolgenden kühlen Bädern (28—20° C.). Douchen oder 
Abreibungen. Diese Combination entspricht einer etwas oxy- 
direnden Tendenz der Behandlung, ohne daß man selbst bei 
Fällen schwerster Art Gefahr laufen würde, den Kranken 
übermäßig zu reizen; die Einpackung reparirt die tabescente 
Haut am raschesten, sie beruhigt am ehesten psychische Er¬ 
regungszustände, sie wirkt am besten bei rheumatoiden Be¬ 
schwerden. Neuralgien und Neuritiden; sie erfrischt und 
tonisirt mit den nachfolgenden erregenden Proceduren den 
Patienten in wünschenswerther Weise. Auch ist die Ein¬ 
packung ein bewährtes Mittel, um den Blutdruck herabzu¬ 
setzen, und entspricht damit der therapeutischen Forderung 
einer Anzahl von Beobachtern (Laache, Glax), die der An¬ 
sicht zuneigen, daß die erhöhte Arterienspannung auf Grund 
von Innervationsstörungen oder Erkrankungen der Gefä߬ 
wände für alle schweren Fälle von Diabetes charakteri¬ 
stisch sei. 


Aus dieser Anschauung würde sich mit Nothwendigkeit 
als natürlichste Folgerung ein Verbot erregender Proceduren 
bei Diabetes ergeben, wie auch Glax in diesem Sinne Stellung 
nimmt. Die arteriosklerotische Organerkrankung (Pankreas) 
kann aber als diabetogener Factor nur für eine sehr be¬ 
schränkte Anzahl von Fällen acceptirt werden; und abgesehen 
hievon spricht die empirische Beobachtung nicht für die Auf¬ 
fassung von Glax; nur die excessiv erregenden Curen wird 
man aus den von mir zur Genüge hervorgehobenen Gründen 
vermeiden. 

Auch Kisch äußert sich über hydrotherapeutische Pro¬ 
ceduren bei Diabetes ablehnend, doch ist nicht zu ersehen, 
aus welchem Grunde diese generalisirende Ablehnung erfolgt. 

Einzelne Symptome, wie Neuralgien (Ischias) und ner¬ 
vöse Depressions-. resp. Ausfallserscheinungen erfordern die 
ihrer Natur entsprechende hydrotherapeutische Behandlung, und 
kaum je wird es Vorkommen, außer in extremsten Stadien der 
Krankheit, daß die Schwere des Processes die Vornahme 
localer Proceduren verbieten würde. Hohe Wärmegrade werden 
z. B. auch bei Ischias der Diabetiker schrankenlos applicirt 
werden können; ebenso z. B. auch Psychrophorbehandlung bei 
sexualen Depressionszuständen, obwohl es einleuchtend ist, 
daß so partielle Ausfallserscheinungen mit Besserung des 
allgemeinen Kräftezustandes auch fortschreitende Besserung 
zeigen. 

Ich halte es für kaum nothwendig, zu erwähnen, daß 
die Tuberculose beim Diabetiker die gegen diese Krankheit 
übliche Therapie erfordert und mit relativ vielversprechendem 
Erfolge angegangen werden kann. 

Es ist von Interesse, einen von le Gendre angegebenen 
Plan für die Behandlung der Diabetiker mitzutheilen. Er em¬ 
pfiehlt: Morgens und Abends Abreibung des ganzen Körpers mit 
einem in Alkohol getauchten Roßhaar-oder Flanellhandschuh; 
jeden 2. bis 3. Tag ein laues oder kühles Bad von 1.0—20 Mi¬ 
nuten mit einem Zusatz von Soda, See- oder Glaubersalz 
und für mittelschwere Fälle vierteljährlich eine kalte Douche- 
behandlung in der Dauer von 20 Tagen. Im Sommer Thermal- 
curen, warme Douchen und Massage. 

Es schadet sicher nicht, wenn solche an sich sehr gute 
Schemen den Aerzten vorgelegt werden; doch liegt es in der 
Natur der Sache, daß man weitgehende stricte Verordnungen 
nicht acceptiren kann. 

Die übrigen baineotherapeutischen Methoden, d. i. Bäder, 
indifferente lauwarme Bäder mit Soole (Glax), 
Salz, Leim (Ewald) werden vielfach gebraucht; die Ten¬ 
denz ihrer Anwendung beschränkt sich meist auf die Besse¬ 
rung der Hautbeschaflenheit; es kann jedoch sehr gut möglich 
sein, daß z. B. Soolbäder auch den Stoffwechsel der Diabetiker 
günstig beeinflussen. 

Die Wirkung verschiedener klimatischer Facto re n 
auf die Glykosurie als solche ist nicht studirt, und es ist 
wahrscheinlich, daß bei Bestimmung der aufzusuchenden Kli- 
mate meist der Allgemeinzustand, der Stand des Nerven¬ 
systems, der Circulationsapparate und etwa eine complicirende 
Lungenerkrankung maßgebend sein werden, sowie die Möglich¬ 
keit, mit dem Aufenthalte in verschiedenen Klimaten entspre¬ 
chende Bewegungscuren zu verbinden. 

Ich möchte die Ansicht von Glax hervorheben, der den 
Aufenthalt im Hochgebirge für Diabetiker für ungeeignet 
hält, sobald anatomische Veränderungen des Herzens und der 
Gefäße nachweisbar sind. 

Es ist durchaus nicht unmöglich, daß die Untersuchungen 
über den Einfluß klimatischer Factoren und haupt¬ 
sächlich des Lichtes auf Blut, Circulation, Stoffwechsel, 
Athmung etc. auch für die klimatische Therapie des Diabetes 
Anhaltspunkte bieten werden. 

Die Verwendung der Muskelübungen in der Therapie 
des Diabetes hat seine eigene Geschichte. Da Rollo mit seiner 
großen Autorität auf diesem Gebiete völliger Herrscher war, 
so hielt man am Anfänge des vorigen Jahrhunderts vielfach 


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zu seiner Ansicht: der Diabetiker muß zu Hause in einem und 
demselben Zimmer ruhend bleiben und nur, wenn nach ani¬ 
maler Diät der Zucker ganz verschwunden ist und „ein Ueber- 
gang in Scorbut“ drohte, sollte gründliche Körperbewegung 
im Freien gemacht werden. 

Nach Entdeckung des Zuckers und Glykogens im Muskel 
und nach Kenntniß des Stoffwechsels bei Muskelbewegung (Külz 
1874) kam die (von Bouchardat übrigens schon 1841 wieder 
empfohlene) Muskelarbeit wieder zu vollen Ehren. Jetzt kann 
nach Trousseau. Külz, Mering, Finkler und Zimmer bestimmt 
gesagt werden, daß Muskelarbeit die Glykosurie 
meist sehr günstig beeinflußt; jedoch nur 
kräftige, eingreifende Muskelarbeit, nicht etwa 
ein bequemer Spaziergang. 

Speciell Mering hält dafür, daß selbst bei schweren Dia¬ 
betikern der Zucker durch Muskelaction oft ganz zum Ver¬ 
schwinden gebracht werden, und daß längere Zeit ge¬ 
übte Muskelanstrengung die Toleranz für Kohle¬ 
hydrate bedeutend heben könne. 

Külz und Zimmer betonen dagegen, daß in manchen 
Fällen sich kein Erfolg zeigte, ja daß auf einzelne Dia¬ 
betiker die Muskelanstrengung durchaus ungünstig ge¬ 
wirkt habe. 

Der Werth der Muskelanstrengung für die Glykosurie 
basirt in der Idee der gesteigerten Verbrennung des Zuckers 
im arbeitenden Muskel, wodurch der Brennwerth dem Organis¬ 
mus zu Gute kommen muß. Die Verwerthung eingeführter 
Kohlehydrate in dieser Weise kann jedoch nur kurze Zeit 
nach Einführung derselben stattfinden; daher soll die Muskel¬ 
arbeit auch zu dieser Zeit geübt werden, aber wenn möglich 
durch circa 2 Stunden (Külz, Mering), denn es ist für den 
Diabetiker durchaus nicht gleichgiltig. ob er den Zucker 
durch den Harn abgibt oder ihn in seiner Musculatur ver¬ 
brennt (Mering). 

In der Praxis wird es wohl auf strengste Indivi- 
dualisirung ankommen, welche Summe von Muskelarbeit in 
einem concreten Falle gestattet werden kann. Die Controle be¬ 
steht vorerst in der Beobachtung der subjectiven Leistungs¬ 
fähigkeit, dann in dem Gange der Glykosurie, im Verhalten 
des Körpergewichtes und in der Beobachtung eventueller 
Säuerung (Acetessigsäure, Ammoniak). 

Schwere Diabetiker können und sollen schwere Muskel¬ 
arbeit nicht leisten; leichtere Kranke je nach ihrer Muskel¬ 
kraft (nicht nach dem Körper volumen, v. Noorden) viel mehr; 
doch zu einer Erschöpfung soll es niemals kommen, umso¬ 
weniger, als schon manchmal tödtliche Herzschwäche oder 
plötzlich eintretendes Koma als Folgezustände einer solchen 
beobachtet worden sind (Frerichs, v. Noorden). 

Die In- und Extensität der Muskelarbeit muß allmälig 
und systematisch ansteigen (Stockvis). 

Heber die Art der Muskelarbeit, welche angeordnet wer¬ 
den soll, wird wohl kein Zweifel sein. Uebungen in mechano- 
therapeutischen Anstalten sind gewiß außerordentlich gut 
und in Städten zu Winterszeiten allenfalls zu berücksichtigen, 
aber gewöhnlichere Arbeit im Freien, Märsche, Bergsteigen 
(soweit das Herz dies nicht verbietet), selbst Reiten (das in 
alten Zeiten mit Rücksicht auf die Nieren verboten war) sind 
entschieden viel besser. Auch ist in der großen Mehrzahl der 
Fälle, mit Ausnahme derjenigen, in welchen schwerere Ver¬ 
änderungen des Gefäßsystems vorliegen, eine feine Dosi- 
rung nicht nothwendig; es genügt vielmehr eine 
empirisch grobe Einstellung der Leistungs¬ 
fähigkeit. 

Die allgemeine Körpermassage (Muskelknetung) ist 
von Zimmer und Finkler als auf die Glykosurie ausgezeichnet 
wirkend anerkannt worden, sogar neben sehr laxen Diätvor¬ 
schriften (Genuß von Brot und Bier), und wird als Er¬ 
gänzung, resp. als Substitution anderer Arten von Muskel¬ 
übung in entsprechenden Fällen gewiß mit großem Nutzen 
verwendbar sein. 


Die Muskelarbeit (insbesondere Bewegung im Freien 
und selbst die Massage und Gymnastik) wirken auf die Psyche 
besonders gut, ein dadurch bewirktes Gefühl der Frische 
(falls keine Uebertreibung statthat) und des erhöhten Selbst¬ 
gefühls verfehlt die Wirkung auf das gesammte Nerven¬ 
system nicht, eine Thatsache, welche von allen Diabetesforschern 
gewürdigt wird. (Schluß folgt.) 


(Jeher Psychosen bei Neurasthenikern. 

Von Professor Dr. Emil Redlich. 

(Schluß.) 

Wir wollen uns aber nunmehr objectiv fragen: „Gibt es 
eine wohlcharakterisirte, nach Symptemenbild, Verlauf und 
Prognose gut abgegrenzte Krankheit Hypochondrie?“ und 
wollen zu dem Zwecke unter dem uns zur Verfügung stehenden 
Material ein wenig Umschau halten. 

Vorweg wird natürlich zu erwähnen sein, daß hypo¬ 
chondrische Ideen bei einer ganzen Reihe von Psychosen 
einen nicht unbedeutenden Platz im Symptomenbilde ein¬ 
nehmen , nach Tuczek (1. c.) am häufigsten bei solchen Indi¬ 
viduen , bei denen die egoistischen Vorstellungen gegen¬ 
über den altruistischen stark in den Vordergrund treten; 
so bei gewissen Formen von Melancholie, z. B. der senilen 
Melancholie, bei der Paralyse, oft mit ganz monströsem 
Charakter der hypochondrischen Wahnideen, dann bei ge¬ 
wissen Schwachsinnformen u. s. w. Eine wichtige Rolle 
spielen hypochondrische Wahnideen bei vielen Fällen von 
typischer Paranoia, wo sie oft den Ausgangspunkt für die 
Bildung und Ausgestaltung des Beeinträchtigungs- und Ver¬ 
folgungswahnes bilden. Häufig sind auch, worauf neuerdings 
Sommer wieder hingewiesen hat, hypochondrische Ideen bei 
der Hysterie. In oft zwangsmäßigerWeise werden hier die 
Kranken vollständig von den Befürchtungen bezüglich ihrer 
Gesundheit beherrscht; manchmal concentriren sich dabei die 
Befürchtungen der Kranken auf ein bestimmtes Organ, das 
die Quelle abnormer Sensationen ist, während in anderen 
Fällen mehr eine allgemeine Nosophobie vorherrscht. 

Doch bilden nicht diese Kranken mit ausgesprochenen 
anderweitigen Geistesstörungen den Gegenstand unserer Er¬ 
örterungen , sondern solche, wo hypochondrische Ideen im 
Mittelpunkte des ganzen Bildes stehen, gleichsam das einzige 
psychotische Moment darstellend. Auch hier sind die Ueber- 
gänge fließend von solchen Individuen, die, noch in das Be¬ 
reich des psychisch Normalen fallend, in übertriebener Weise 
um ihre Gesundheit besorgt sind, zu solchen, bei denen die 
Sorge um die Gesundheit, die Beschäftigung mit wahren 
oder eingebildeten Krankheiten die Psyche vollständig be¬ 
herrscht, die Kranken ihren Beruf, ihre Familie vollständig 
vernachlässigen, schwer verstimmt sind u. s. w. Dann haben 
wir es mit dem zu thun, was man als Hypochondrie im 
psychiatrischen Sinne zu bezeichnen hat. Es können dabei, 
wie schon erwähnt, die Ideen der Kranken sich ganz wohl 
im Bereiche des Möglichen halten ; sie müssen dann manchmal 
erst durch genaue Untersuchung auf ihre Stichhältigkeit ge¬ 
prüft werden. Belanglos für das Wesen der Sache ist es 
natürlich, auf welches Organ sich die hypochondrischen Ideen 
beziehen; oft genug wechseln übrigens in dieser Hinsicht die 
Kranken in ihren Befürchtungen, respective es sind mehrere 
Organe und Körpertheile zu gleicher Zeit der Gegenstand 
der hypochondrischen Ideen. In anderen Fällen wieder ver- 
rathen die Ideen des Kranken von vorneherein den psycho¬ 
tischen Ursprung, sie sind dann als hypochondrische Wahn¬ 
ideen zu bezeichnen. So, wenn z. B. einer meiner Kranken aus 
dem Umstande, daß er seit langer Zeit keinen Coitus aus¬ 
geübt hatte, was er als Quelle seiner Erkrankung auffaßte, 
schloß und fest behauptete, daß sein ganzer Körper mit 
retinirtem Samen erfüllt sei; eine andere Kranke, die ge¬ 
wisse Herzbeschwerden hatte, behauptete, sie habe ihren Herz- 


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muskel ausgespuckt, eine andere wieder meinte, der Kehlkopf 
sei verlagert, die Speiseröhre trete beim Schlucken heraus u.s.w. 

Bei den von mir beobachteten Kranken handelte es sich 
in der weitaus größeren Zahl der Fälle um Männer in den 
Dreißiger- und Vierzigerjahren; auch bei Frauen, n. zw. auch 
nicht hysterischen, habe ich typische Fälle beobachtet; Mendel 
hat Hypochondrie gerade bei Frauen recht häufig gesehen, u. zw. 
besonders schwere Formen. Alle diese Kranken waren seit 
Jahren im landläufigen Sinne Neurastheniker mit den ge¬ 
wöhnlichen Symptomen derselben, wenngleich bei manchen 
derselben die Symptome nicht gerade eine besondere Intensi¬ 
tät zeigten. Bei vielen war auch schon früher eine über¬ 
triebene Sorge um das körperliche Befinden, eine gewisse 
Aengstlichkeit in dieser Hinsicht vorhanden; aber erst aus 
bestimmten Ursachen physischer oder psychischer Art war 
die eigentliche Geistesstörung ausgebrochen. Ich muß also für 
diese Fälle eine neurasthenische Basis der Erkrankung fest¬ 
kalten ; es sind darunter, wie erwähnt, auch Fälle, die schon 
wegen ihrer phantastischen Ideen unzweifelhaft als wirkliche 
Hypochonder zu bezeichnen waren. 

Charakteristisch für diese Kranken ist die Hartnäckig¬ 
keit, mit der sie an ihren Ideen festhalten, auf die sie, trotz¬ 
dem sie oft genug momentan von der Nichtigkeit ihrer An¬ 
nahmen zu überzeugen waren, immer wieder zurückkommen. 
Dabei ist der ganze Gedankenkreis der Kranken eingeengt, 
ihre Klagen von ermüdender Eintönigkeit. Recht auffällig ist 
auch oft, wie sehr die Kranken bezüglich ihres Gesund¬ 
heitszustandes offenkundige, leicht nachweisbare Unwahrheiten 
behaupten, was mit ihrer sonstigen Besonnenheit, ihrer Orien- 
tirtbeit über andere Dinge einen auffälligen Contrast bildet. 
Es steckt in ihren Ideen, in ihren Behauptungen und Be¬ 
weisführungen eine eigentkümliche Paralogik. Die3 Alles 
bietet eine gewisse Analogie zu dem, was wir bei der Para¬ 
noia sehen; auch mit dem Querulantenwahn besteht in dieser 
Richtung, wie Friedmann hervorhebt, eine gewisse Aeknlich- 
keit. Und doch fehlt, selbst in jenen Fällen, die nicht in 
Heilung ubergehen, ja selbst solchen, welche eine weitere 
Verschlimmerung zeigen, die der Paranoia zukommende, für 
sie charakteristische Progression im Sinne einer Weiterführung 
und Ausbildung der Wahnideen. Der Kranke kommt selbst in 
den schwersten, zu psychischen Schwächezuständen führenden 
Fällen nicht über das Gesagte hinaus; nie bilden sich Ve^- 
folgungsideen, Größenwahn u. s. w. aus. Darum erscheint es 
mir nicht zweckmäßig, die eben behandelten Fälle der Para¬ 
noia zuzutheilen, etwa von einer abortiven Paranoia zu 
reden. Ich kann darum auch nicht gelten lassen, daß die 
Hypochondrie in wirkliche Paranoia übergehen kann. Wahr 
ist vielmehr, daß manche Fälle von Paranoia ein hypochon¬ 
drisches Yorstadium haben, das dem eben geschilderten Bilde 
mehr minder vollkommen entspricht, das aber eben nur den 
Beginn der kommenden schweren Geistesstörung darstellt. 
Deswegen, weil viele Fälle von Paralyse im ersten Beginne 
ein rein neurasthenisches Vorstadium haben, werden wir nicht 
schließen dürfen, daß die Neurasthenie in Paralyse übergehen 
kann. Wir werden vielmehr in solchen Fällen anzunehmen 
haben, daß die der Paralyse zugrunde liegende Schädigung 
des Gehirns in ihren ersten Stadien eine solche Functions¬ 
störung bedingt, wie sie sich aus anderen Gründen und unter 
anderen Voraussetzungen als das kundgibt, was wir gemeinig¬ 
lich Neurasthenie heißen. 

Wir halten uns demnach zu jenen Autoren, die in 
dem, was als Hypochondrie bezeichnet wird, eine 
Weit er ent Wickelung und Steigerung der Neu¬ 
rasthenie sehen. Die Neurasthenie, respective die ihr zu¬ 
kommenden Störungen der Empfindung und der Stimmung 
bilden demnach die Materia der Hypochondrie im Sinne der 
alten Autoren (Jolly). Die Uebergänge sind fließend; Hypo¬ 
chondrie ist eben keine Krankheitsspecies, sondern hat nur 
eine symptomatologische Bedeutung. Manche Autoren, z. B. 
Böttiger, glauben den unzweifelhaften Beziehungen der Hypo¬ 


chondrie zur Neurasthenie durch die Annahme Rechnung zu 
tragen, daß in den herangezogenen Fällen die Neurasthenie 
mit einer Hypochondrie sich complicire. Bei den vagen Be¬ 
griffen, mit denen wir hier operiren, bei dem Umstande, daß 
der Ausdruck Neurasthenie doch eigentlich eine mehr conven¬ 
tioneile Bedeutung hat, scheint mir die erwähnte Annahme 
eine neue Schwierigkeit zu sein ; ich halte es daher für ein¬ 
facher, die Hypochondrie im beschriebenen Sinne als eine 
Steigerung der Neurasthenie anzusehen. Dadurch rangiren 
diese Fälle gewissermaßen unter die schweren Formen von 
Neurasthenie, die degenerative Neurasthenie, mit vorwiegender 
Betheiligung der psychischen Sphäre. In der Regel handelt 
es sich auch um hereditär, oft sogar schwer belastete, seit 
ihrer Jugend nervöse Individuen. Unter Umständen können 
aber erst während des späteren Lebens einwirkende Schäd¬ 
lichkeiten, falls sie intensiv genug sind, zu diesen schweren 
Formen von Neurasthenie führen. 

So habe ich einen hieher gehörigen Fall bei einem 
hereditär nicht belasteten, früher gesunden Eisenbahnbeamten 
gesehen, bei dem unzweifelhaft die wirklich als unerhört zu 
bezeichnende Ueberanstrengung im Dienste — bei dieser Kate¬ 
gorie von Beamten leider nicht allzu selten vorkommend — 
zur Erkrankung geführt hatte. 

Mit den degenerativen Formen der Neurasthenie, richtiger 
mit gewissen, bei solchen Fällen gelegentlich vorkoramenden 
Symptomen, den Zwangsvorstellungen, hat die Hypochondrie, 
abgesehen davon, daß sich beide combiniren können (s. darüber 
auch Ziehen), einige Aehnlichkeit, vor allem in dem zwangs¬ 
mäßigen Festhalten gewisser Gedankenkreise, in dem labilen 
psychischen Gleichgewichte des Kranken, so daß äußere Er¬ 
eignisse , die Lectüre einer Zeitungsnotiz, der Tod eines 
Bekannten, plötzlich auftretende Sensationen u. s. w. sich in 
der Seele des Kranken gleichsam festhaften. Der Kranke be¬ 
schäftigt sich fortab unablässig, zwangsmäßig mit diesen Vor¬ 
kommnissen, bringt dieselben mit sich in nahe Beziehung, 
gleichwie auch bei Kranken mit Zwangsvorstellungen bei vor¬ 
handener Disposition Aehnliches den Anstoß für den eigent¬ 
lichen Ausbruch der Krankheit bilden kann. 

Mit Rücksicht auf meine Erfahrungen muß ich mich 
auch jenen Autoren anschließen, die einen acuten Beginn 
der Hypochondrie gelten lassen und die Prognose nicht 
ungünstig stellen. Bei vielen meiner Kranken ist, trotzdem 
die Erscheinungen mitunter recht schwere waren manche 
davon hypochondrische Ideen ganz monströser Art äußerten, 
die Psychose mitunter in relativ kurzer Zeit abgeheilt, und 
die Kranken konnten, wie nachträgliche Erkundigungen er¬ 
gaben, auch weiterhin ihrem Berufe nachgehen ; Neurastheniker 
sind sie freilich meist geblieben. In anderen Fällen wieder 
dauerte der Zustand viele Monate an, wobei ich, wie die 
Mehrzahl der Autoren, einen exquisit remittirend-intermittiren- 
den Verlauf constatiren konnte. Auch mit der Häufigkeit von 
Recidiven ist zu rechnen. Bei anderen Kranken hat sich ein 
mehr stationärer Zustand ausgebildet, der Affect ist etwas in 
den Hintergrund getreten, es hat sich sozusagen ein secundärer 
psychischer Schwächezustand ausgebildet, der übrigens viel¬ 
leicht doch in dem einen oder anderen Falle nachträglich 
wieder zurücktrat; nur fehlen mir über diese Kranken, die 
sich der weiteren Beobachtung entzogen, spätere Nachrichten. 
Einzelne der Fälle haben durch Selbstmord geendet — Taedium 
vitae und Neigung zum Selbstmord ist sehr oft vorhanden —, 
andere wieder gingen an intercurrenten Krankheiten zugrunde. 
In solchen Fällen mit schweren Organerkrankungen können, 
wie dies Mendel hervorhebt, die hypochondrischen Ideen des 
Kranken andere als die wirklich erkrankten Organe betreffen, 
während vielleicht in manchen der Fälle der Ausgang dem 
Kranken Recht geben mag. 

Kurz sei auch erwähnt, daß in einzelnen der Fälle die 
Verstimmung im Sinne einer Melancholie sich weiter ent¬ 
wickelte, Selbstanklagen, Versündigungsideen auftraten, wie 
dies auch Tuczek, Böttiger u. A. beobachtet haben. 

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Ich muß es mir versagen, genauer auf die Differential¬ 
diagnose der Hypochondrie einzugehen ; es genügt, hier insbe¬ 
sondere auf die Anfangsstadien der progressiven Paralyse 
hinzuweisen, die schon darum besonders beachtet werden muß, 
weil sie gleichfalls vorwiegend bei Männern in den Dreißiger- bis 
Vierzigerjahren auftritt und bei ihr im Initialstudium neu- 
rasthenische Symptome und hypochondrische Ideen, oft solche be¬ 
sonders auffälliger Art, recht häufig sind. Während nun bei 
Fällen, wo die somatischen Erscheinungen der Paralyse und 
nachweisbare Intelligenzstörungen bereits vorhanden sind, die 
Differentialdiagnose eine leichte ist, kann in ganz initialen 
Fällen die Entscheidung sehr schwer werden und muß unter 
Umständen in suspenso bleiben. 

Wir haben schon oben davon gesprochen, daß noch ein 
zweites Symptom, das dem gewöhnlichen Symptomenbilde der 
Neurasthenie angehört, eine solche Steigerung und Umbildung 
erfahren kann, daß es Anlaß zur Entwickelung einer wirk¬ 
lichen Psychose geben kann, und das ist die Verstimmung. 
Präciser ausgedrückt, handelt es sich um die Entwickelung 
einer Melancholie bei Neurasthenikern. Beim Neurastheniker 
ist die traurige Verstimmung in der Regel eine Folge der 
Herabsetzung seiner Leistungsfähigkeit, der Befürchtungen 
bezüglich der Schwere der Krankheit und der zu erwartenden 
Folgeerscheinungen oder der materiellen Schädigung durch 
die Krankheit. Bei einer solchen Melancholie aber beherrscht 
die Verstimmung ganz das Krankheitsbild und wird immer 
intensiver, während die neurasthenischen Beschwerden in 
gleicher Intensität fortbestehen oder auch auf der Höhe der 
Erkrankung etwas in den Hintergrund treten können. Dagegen 
äußert der Kranke meist bald Selbstanklagen, beschuldigt 
sich z. B., an seiner Krankheit selbst Schuld zu tragen; er 
habe sich zu sehr gehen lassen, oder aber er habe seine 
Krankheit im Anfänge nicht richtig behandelt, habe sich ver¬ 
nachlässigt u. s. w. Der Kranke sieht nun alles in dep 
schwärzesten Farben; er ruinire durch seine Erkrankung 
seine ganze Familie, bringe sie ins Unglück, er sei ein 
unwürdiger, unfähiger Mensch. Es können diese Ideen noch 
eine weitere Steigerung erfahren, so z. B. wenn der Kranke 
fürchtet, eingesperrt zu werden; er sei ein Verbrecher, werde 
hingerichtet, von Thieren zerrissen werden; auch Beachtungs¬ 
ideen, die im Sinne des Kleinheitswahnes ausgedeutet werden, 
können Vorkommen; der Kranke glaubt dann der Gegenstand 
der allgemeinen Verachtung oder des Spottes zu sein. Die 
der Melancholie zukommende Hemmung der Denkthätigkeit, 
die Einengung des Gedankenkreises, das Gefühl geistiger 
Unzulänglichkeit oder Abschwächung ist gewöhnlich vor¬ 
handen, während die psychomotorische Hemmung weniger aus¬ 
gesprochen ist. Vielmehr handelt es sich häufiger um die so¬ 
genannten agitirten Formen der Melancholie. Schon die im 
Kranken herrschende Unruhe, schwere Angstzustände, manchmal 
paroxysmenartig auftretend, überwinden die sonst bei der 
Melancholie gewöhnliche Hemmung der Motilität, treiben den 
Kranken ruhelos herum u. s. w. 

Die Entwicklung melancholischer Zustände bei der 
Neurasthenie ist nach den übereinstimmenden Angaben der 
Autoren nicht gerade selten, wie denn überhaupt in dieser 
Frage eine erfreuliche Uebereinstimmung unter den Autoren 
herrscht; ich nenne z. B. Beard, Krafft-Ebing, Binswangeb, 
Ziehen, Gügl und Stichl, Löwenfeld u. A.; Marcus 33 ) und 
Friedmann 84 ) haben der Melancholie bei Neurasthenikern 
speeielle Ausführungen gewidmet. 

Der Zusammenhang der Melancholie mit der Neurasthenie 
ist in solchen Fällen, wie dies mehrfach betont wurde und 
wie auch ich bestätigen kann, dadurch gegeben, daß bei den 
betreffenden Individuen lange vor Entwickelung der Melancholie 


83 ) Mahcus, Ueber einige Besonderheiten in Erscheinung und Verlauf der 
Melancholie hei Neurasthenikern. „Zeitschr. f. Psych.“, Bd. 46, 1890. 

34 ) Friedmann, Ueber die neurasthenische Melancholie, „Deutsche med. 
Wochensckr.“, 1893. 


und meist auch nach Abklingen derselben deutliche, unzweifel¬ 
haft neurasthenische Beschwerden bestehen. 

Einer meiner Fälle z. B. war seit Jahren ein typischer 
Neurastheniker, ein anderer Neurastheniker, Pedant, zu Zwangs¬ 
vorstellungen und Zwangshandlungen disponirt u. s. w. 

Ueberhaupt handelt es sich hier mehr um die Formen 
der constitutioneilen Neurasthenie, nahezu stets um Individuen 
mit schwerer hereditärer Belastung, bei denen, manchmal durch 
äußere Anlässe (Kummer, Sorgen u. s. w.) oder durch acute 
Erkrankungen ausgelöst, sich die Melancholie entwickelte. 
Wir können dabei nicht eigentlich von einer neurasthenischen 
Melancholie sprechen, in dem Sinne etwa, als wäre die Melan¬ 
cholie eine Theilerscheinung der Neurasthenie; wohl aber bildet 
die Neurasthenie ein ätiologisches Moment, den Boden für die 
Entwickelung der Melancholie. Uebrigens zeigen die Symptome, 
vor allem die Verstimmung, fließende Uebergänge von der 
einen zu der anderen Krankheit, so daß der Zusammenhang 
beider ein unzweifelhafter ist. Daß auch bei den Fällen 
von Neurasthenie, die sich zur Hypochondrie entwickeln, 
nicht gerade selten melancholische Züge sich finden, selbst 
lypische Melancholie sich ausbilden kann, ist schon oben er¬ 
wähnt worden und soll hier nochmals betont werden. Ueber- 
hnupt finde ich bei der Melancholie auf neurasthenischer 
Basis, gleichwie Binswanger, das hypochondrische Element, 
selbst hypochondrische Wahnideen, sehr ausgesprochen; man 
kann dabei oft direct von einer hypochondrischen Melancholie 
sprechen. 

Daß manchmal auch Zwangsvorstellungen eine Rolle 
spielen und in den Kreis der Selbstanklagen des Kranken 
einbezogen werden, kann nicht Wunder nehmen, da wir es ja 
mit Neurasthenie, u. zw. vorwiegend degenerativen Formen der 
Neurasthenie zu thun haben. Ich kann aber nicht, wie dies 
Marcus will, zugeben, daß dieselben regelmäßig bei der Melan¬ 
cholie der Neurastheniker vorhanden wären. 

Die von mir beobachteten Fälle betreffen nahezu aus¬ 
schließlich Männer von der Mitte der Zwanzigerjahre bis in die 
Vierzigerjahre; die Autoren erwähnen aber auch Fälle bei 
Frauen, andererseits Fälle jenseits der Fünfzigerjahre. Hier 
wieder kann die Abgrenzung gegenüber der senilen Melan¬ 
cholie, mit der die Melancholie der Neurasthenie symptomato- 
logisch in gewisser Beziehung (häufiges Vorkommen hypo¬ 
chondrischer Ideen) Aehnlichkeit hat, unter Umständen etwas 
schwieriger sein. 

Die Melancholie der Neurastheniker ist prognostisch nicht 
ungünstig; viele Fälle gehen in Heilung über, freilich nur 
selten nach kurzer Zeit; meist ist der Verlauf vielmehr 
ein schleppender, häufig deutlich remittirend, auch Recidive 
sind nicht selten. Eine große Gefahr bildet das Taedium vitae; 
die Neigung dieser Kranken, einen Selbstmord zu begehen, ist 
eine sehr große. Viele dieser Kranken enden auch wirklich durch 
Selbstmord. Daher kann ich Friedmann nicht zustimmen, wenn 
er für diese Kranken die Behandlung in offenen Anstalten 
vorzieht. Bei irgendwie ausgesprochener Selbstmordneigung 
müssen die Kranken unbedingt in geschlossene Anstalten ge¬ 
bracht werden, wo die entsprechende Behandlung einzuleiten 
ist. Eine große Rolle spielt hier die Opiummedication, selbst 
in großen Dosen, die vor allem im Taedium vitae der Kranken 
eine besondere Indication hat, vielleicht schon deswegen, weil 
das Opium die Energie der Kranken herabsetzt. 

Einen Uebergang der Neurasthenie in Paralyse, wofür 
neuerdings Schaffer 30 ) wieder eingetreten ist, kann ich nicht 
gelten lassen; ich habe mich diesbezüglich schon oben geäußert. 
Auch glaube ich nicht, daß aus der Neurasthenie sich Paranoia 
(s. Krafft-Ebing’s Paranoia neurasthenica) entwickeln kann. 
Wo eine Paranoia bei vorausgegangenen neurasthenischen 
Beschwerden manifest wird, handelt es sich eben um ein 
neurasthenisches Vorstadium der Paranoia; wir haben schon 


38 ) Schaffer, Anatomisch-klinische Vorträge aus dem Gebiete der Nerven- 
paihologie. Jena 1901. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 14. 


654 


oben davon gesprochen, daß manchen Klagen, manchen Wahn¬ 
ideen der Paranoiker wirkliche Beschwerden, ähnlich wie bei 
der Neurasthenie, zugrunde liegen. 

Dagegen wollen wir uns zum Schluß gewissen psychischen 
Störungen zuwenden, die zwar nicht eigentlich zum Bilde der 
Neurasthenie als solcher gehören, aber doch oft genug bei 
Neurasthenikern sich finden, und die unter Umständen Anlaß 
und Ausgangspunkt wirklicher Psychosen werden können, das 
sind die Zwangsvorstellungen. Auch hier müssen wir 
es uns versagen, die Pathologie der Zwangsvorstellungen, die 
gerade in der letzten Zeit vielfach Gegenstand der Erörterungen 
geworden ist (s. unter Anderem die Vorträge von Hoche 30 ) 
auf der süddeutschen Neurologenversammlung vom Jahre 1901, 
die Vorträge auf dem letzten Pariser internationalem Congresse, 
die Discussion über den Vortrag von Juliusburger 37 ) in der 
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie, sowie den Aufsatz von 
Friedmann 38 ) aus der allerletzten Zeit, auch nur in den aller¬ 
gröbsten Umrissen zu streifen. Die Meinung ist heute ziemlich 
allgemein vorherrschend, daß die Zwangsvorstellungen auf erb¬ 
licher, degenerativer Basis erwachsen und darum oft genug 
bei Neurasthenikern sich finden. Nach der WESTPHAL’schen 
Definition der Zwangsvorstellungen unterscheiden sich die 
Zwangsvorstellungen dadurch von Wahnideen, daß das be¬ 
fallene Individuum dieselben als abnorm, fremdartig 
anerkennt und denselben mit seinem gesunden 
Bewußtsein gegenübersteht. Trotz der Tendenz mancher 
Autoren, den Begriff der Zwangsvorstellungen zu erweitern 
und damit gewisse Uebergänge zu den Wahnideen zu schaffen, 
hält die Mehrzahl der Autoren, z. B. Hitzig (1. c.), Mendel, 
Jolly 39 ), Hoche, Hecker 40 ) u. A., an der WESTPHAi/scben 
Definition fest. Es folgt daraus, daß Kranke mit Zwangs¬ 
vorstellungen, trotzdem die Störungen sich ausschließlich auf 
psychischem Gebiete abspielen, doch nicht unter die Geistes¬ 
kranken rangiren. Dieser Anschauung wollen auch wir uns 
anschließen, ohne uns hier in eine weitläufige Erörterung der 
strittigen Punkte einzulassen. 

Andererseits ist es allgemein seit Wille 41 ) anerkannt, 
daß gewisse Uebergänge von Zwangsvorstellungen zu Psychosen 
gegeben sind, vor Allem, daß aus Zwangsvorstellungen sich 
wirkliche Geistesstörungen entwickeln können. Unter Umständen 
kann die Verstimmung der Kranken über das Vorhandensein 
der Zwangsvorstellungen und die dadurch bedingte Störung der 
psychischen Thätigkeit so hohe Grade erreichen, daß die 
Kranken hart an die Grenze wirklicher Geistesstörung kommen. 
Oft genug werden ja solche Kranke infolge dieser Depression 
zum Selbstmord getrieben. Es kann aber auch unter Umständen 
zur Entwickelung von wirklichen melancholischen Zuständen 
kommen, insbesondere wenn der Inhalt der Zwangsvorstellungen 
für den Kranken ein direct peinlicher ist, so z. B. wenn ein 
religiös veranlagtes Individuum von gotteslästerlichen Zwangs¬ 
vorstellungenbeherrscht wird, diedurch eigenthümlicheContrast- 
wirkung gerade dann die Kranken überfallen, wenn sie im 
Gebete Trost suchen, Cultushandlungen beiwohnen, oder wenn 
eine Mutter von der Zwangsvorstellung beherrscht wird, sie 
könnte ihre Kinder tödten, wenn Zwangsimpulse dazukommen. 
Die Kranken ergehen sich dann in schweren Selbstanklagen, 
daß sie selbst Schuld tragen an diesen Ideen, daß sie so ver¬ 
worfen seieD, solche abscheuliche Gedanken zu hegen, daß sie 
von Gott verlassen, vom Teufel besessen seien u. s. w. Es 
kann die Besonnenheit des Kranken soweit verloren gehen, 
daß er sich direct beschuldigt, die betreffende gefürchtete 
Handlung wirklich begangen zu haben, bestätigende Hallu- 

3ä ) Hoche, ref. „Neurol. Centralbl.“, 1899. 

al ) J uliusburger ref. „Neurol. Centralbl.“, 1901. 

38 ) Friedmann, UeberdieGrundlagen der Zwangsvorstellungen. „Psychiatr. 
Wochenschr.“, 1901. 

39 ) S. „Neurol. Centralbl.“, 1901. 

<0 ) Hecker, Ueber die Bedeutung des Angstaffectes in der Neurasthenie. 
„Zeitschr. f. Psych.“, Bd. 52. 

4l ) Wille, Zur Lehre von den Zwangsvorstellungen. „Arch. f. Psvch.“, 

Bd. 12. 


cinationen können hinzutreten u. s. w. Sommer (1. c.) will zwar 
diese depressive Stimmung als Reaction auf Zwangsvorstellun¬ 
gen peinlichen Inhalts von der Melancholie getrennt wissen, 
jedoch sind die Uebergänge fließend. 

Als Beispiel gebe ich einen Fall eigener Beobachtung, 
bei dem freilich gerade das neui asthenische Element wenig 
ausgesprochen ist. 

Es handelte sich um eine 38jährige verheiratete Frau, die 
hereditär schwer belastet war, iudem ihr Vater (Potator) an Apoplexie 
starb, 2 Geschwister epileptisch sind, ein Cousin melancholisch. 
Patientin seit jeher excentrisch, hochmüthiger Art, dabei Neigung 
zu depressiven Affecten, pedantisch mit Neigung zu Zwangs¬ 
vorstellungen. Vor einem Jahre las sie in der Zeitung Notizen über 
einen Aufsehen erregenden Kindesmord, hatte seitdem die Zwangs¬ 
vorstellung, sie könnte ihre Kinder umbringen, konnte darum kein 
Messer mehr ansehen, bekam Angst, sie könnte einen Selbstmord 
begehen, fürchtete sich zu kochen, aus Angst, Gift in die Speisen 
zu thun. Später beschuldigte sie sich, vor Jahren einen Abortus 
provocirt zu haben; die Selbstanklagen verdichteten sich immer 
mehr, sie verlangte ins Landesgericht gebracht zu werden, weil sie 
ihre Kinder, ihre Schwester umgebracht habe, sie werde deswegen 
hingerichtet werden, sie sei vom Teufel besessen, komme in die 
Hölle. In ungebessertem Zustande wurde Patientin in ihre heimat¬ 
liche Irrenanstalt gebracht. Weitere Nachrichten fehlen. 

Hier sei auch ein Fall erwähnt, der anscheinend eine 
periodische Melancholie bei einer Kianken betraf, die in der 
Zwischenzeit normal, höchstens leicht nervös war, in Intervallen \ 
von mehreren Jahren an depressiven Phasen litt, in denen 
sie zwangsmäßig von einer Idee, einer Befürchtung befallen 
wurde, von deren Unsinnigkeit die Kranke zwar überzeugt 
war, die sie aber ununterbrochen quälte, die sie immer wieder 
vorbraebte, wohl auch in der Absicht, sich widerlegt zu sehen. 

Die Kranke war dabei schwer verstimmt, zu Selbstmord 
geneigt, ohne daß sie aber zu wirklichen Selbstanklagen vor¬ 
geschritten wäre, ohne daß sich weitere melancholische Sym¬ 
ptome hinzugesellt hätten. 

Die hereditär schwer belastete Kranke erkrankte das erste¬ 
mal vor 25 Jahren; die Kranke las damals in der Zeitung, eine 
Geisteskranke hätte ihrem Manne den Kopf abgeschnitten, worauf 
sie zwangsmäßig von der Befürchtung beherrscht wurde, sie könnte 
ihren Mann tödten. Die Krankheit dauerte damals 8 Monate. Vor 
10 Jahren erkrankte die Patientin neuerlich. Während ihrer ersten 
Erkrankung hatte sie Cyankalium, das sie sich verschafft hatte, 
in die Donau geworfen, um nicht einen Selbstmord zu begehen ; 
nunmehr beherrschte sie die Zwangsvorstellung, sie könnte dadurch 
Leute vergiftet haben. Durch 1 volles Jahr konnte Patientin diese 
Idee nicht los werden. Vor zwei Jahren neuerliche Erkrankung mit 
derselben Idee. Die diesmalige, letzte Erkrankung schloß an den Tod 
des Mannes an. Die Kranke war jetzt von der Idee gepeinigt, „sie 
könnte dadurch, daß sie der Reinlichkeit wegen die Schuhe ihres 
Mannes beim Betreten der Wohnung mit einem nassen Tuche 
reinigte, eine Erkältung desselben herbeigeführt und dadurch seinen 
Tod verursacht haben“. Obwohl sich Patientin darüber klar war, 
daß ihr Vorgehen ganz belanglos gewesen sei (der Mann starb an 
einer Apoplexie), konnte sie die sie tief verstimmende Idee nicht 
überwinden ; nur ganz gelegentlich kam die Befürchtung, deswegen 
eingesperrt zu werden. Nach vielmonatlicher Dauer der Erkrankung 
wurde Patientin wieder geistig frei. 

Der Fall (einen ähnlichen erwähnt Sommer) ist wohl zu 
der Gruppe der periodischen Melancholien zu rechnen, hat 
aber unzweifelhafte Beziehungen zu den Zwangsvorstellungen, 
zumal wenn wir uns erinnern, daß auch bei den Zwangs¬ 
vorstellungen der Verlauf der Erkrankung bei schwer disponirten 
Individuen ein remittirender, respective intermittirender sein 
kann, daß jahrelange freie Perioden vorhanden sein können, 
die durch Phasen der Erkrankung, manchmal ausgelöst durch 
äußere Ereignisse, unterbrochen werden. Wille, Krafft- 
Ebing u. A. haben auf diesen periodenweisen Verlauf der 
Zwangsvorstellungen hingewiesen. Andererseits kommen bei 
den periodischen Psychosen (so z. B. Kraepelin, Einführung 

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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 14. 


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in die psychiatrische Klinik) in den depressiven Phasen 
Zwangsvorstellungen, Zwangsimpulse vor. 

Mehrfach, z. ß. von Wille (1. c.), Mercklin 42 ), Tuczeck 43 ), 
Heilbronner 44 ), Sommer (1. c.), Juliusburger (1. c.) u. A. ist 
der Uebergang von Zwangsvorstellungen in Paranoia, respective 
abortive Paranoia oder andere chronische Geistesstörungen be¬ 
schrieben worden. Eine gewisse Schwierigkeit ist wohl dadurch 
gegeben, daß in manchen Fällen unzweifelhafter Paranoia 
besonders im Anfangsstadium manche, z. B. dem Beziehungs¬ 
wahn angehörige Ideen zwangsartigen Charakter gewinnen 
können, wie ja auch bei anderen Psychosen einzelne Ideen 
den Kranken zwangsmäßig beherrschen können. Doch handelt 
es sich hei dem eben erwähnten Vorkommen nur um eine 
symptomatische Aehnlichkeit, während nach den genannten 
Autoren dadurch, daß die Krankheitseinsicht der Kranken 
verloren geht, Beziehungswahn, Ideen der äußeren Beein¬ 
flussung, Besessenheitswahn (Tuczeck u. A.) sich entwickelt, 
Hallucinationen auftreten, ein directer Uebergang von Zwangs¬ 
vorstellungen zur Paranoia gegeben ist. 

Nach den in der Literatur beschriebenen Fällen habe ich 
im Allgemeinen den Eindruck, daß es sich bei diesen Fällen 
weniger um typische Paranoia, als vielmehr um gewisse, höchst 
complicirte, einer Rubricirung nicht leicht zugängliche Formen 
von Psychosen handelt, die manchmal auch nicht stetig 
progressiv sind, sondern stationäre Formen, allerdings mit 
einer gewissen psychischen Abschwächung annehmen können. 
Man wird vielleicht auch gut thun, nicht einen directen 
Uebergang einer Zwangsvorstellungskrankheit in eine Paranoia 
anzunehmen, sondern vielmehr sich vorzustellen haben, daß auf 
gemeinsamem Boden die Zwangsvorstellungen und die Paranoia 
erwachsen sind, die Zwangsvorstellungen vielleicht den Agent 
provocateur für den Ausbruch der schweren Geistesstörung 
gegeben haben. Wille u. A. berichten außerdem, daß bei 
Fällen von Zwangsvorstellungen, die nicht in Heilung über¬ 
gehen, eine gewisse geistige Abschwächung sich einstellen 
kann, wodurch sich die Fälle chronischen Geistesstörungen 
nähern. 

Mit einem Worte sei noch erwähnt, daß Neurastheniker 
vermöge ihrer Belastung, der degenerativen Basis ihrer Krank¬ 
heit, bei den unangenehmen Sensationen, über die sie zu klagen 
haben, und vor Allem infolge ihrer eigenthümlichen geistigen 
Beschaffenheit, ihrer lebhaften Reaction auf alle unangenehmen 
Eindrücke, ihres Unvermögens, solche zu überwinden, zum 
Mißbrauch narkotischer Mittel, Schlafmittel u. s. w. neigen, 
d. h. aus Neurasthenikern werden nicht allzu selten Morphi¬ 
nisten , Cocainisten, Paraldehysten u. s. w.; daß dies auch 
unter Umständen zu wirklichen Geistesstörungen führen kann, 
ist selbstverständlich. 

Einige Worte wollen wir der Prognose der bei der 
Neurasthenie vorkommenden Geistesstörungen widmen. Be¬ 
züglich de^' Hypochondrie habe ich mich schon oben geäußert 
und betont, daß selbst schwere Fälle nicht selten in Heilung 
übergehen. Auch die bei Neurasthenie sich entwickelnde 
Melancholie gibt im Großen und Ganzen eine günstige Pro¬ 
gnose, wie ja überhaupt die Melancholie zu den prognostisch 
günstigen Erkrankungen gehört. Freilich muß man sich meist 
auf einen monatelangen Verlauf gefaßt machen; dabei ist 
der Verlauf nicht selten ein remittirender, so daß selbst nach 
eingetretener deutlicher Besserung wieder starke Accentuirung 
der Erscheinungen sich geltend machen kann. Auch Recidiven 
sind nicht selten. Daß bei beiden genannten Erkrankungen 
die Gefahr eines Selbstmordes eine große ist, ist schon ge¬ 
nügend hervorgehoben worden. Bei den Zwangsvorstellungen, 
resp. den an sie anschließenden seltenen Fällen wirklicher 
Geistesstörungen, ist die Prognose keine ganz reine. Die 

4i ) Mercklin , Ueber die Beziehungen der Zwangsvorstellungen zur 
Paranoia. „Zeitschr. f. Psych.“, Bd. 47. 

4S ) Tuczek, Ueber Zwangsvorstellungen. „ßerl. klin. Wochenscbr.“, 1899. 

44 ) Heilbronner, Ueber progressive Zwangs vorstell ungspsychosen. „Monat¬ 
schrift f. Psych.“, Bd. 5. 


Fälle nehmen oft einen sehr schleppenden Verlauf; in manchen 
Fällen folgen stationäre, dauernde Schädigungen des psychi¬ 
schen Gleichgewichtes, während in anderen Fällen Heilung 
eintritt, die aber freilich nicht immer eine dauernde ist. 

Bevor wir in eine Besprechung der Behandlung der 
geschilderten Krankheitsformen eingehen, die sich nur wenig 
von der der Neurasthenie unterscheidet, ist es vielleicht 
nützlich, wenn wir einige kurze Bemerkungen über die allge¬ 
meine Auffassung der Neurasthenie vorausschicken. Dem 
allgemeinen Enthusiasmus über die Aufstellung der Neur¬ 
asthenie als Krankheitsbild durch Beard ist heute eine gewisse 
Reaction gefolgt. Man ist sich darüber klar geworden, daß 
der Ausdruck Neurasthenie einen großen Topf darstellt, in 
dem viel Disparates von verschiedener pathologischer und 
prognostischer Bedeutung zusammengeworfen wird. Ja, manche 
Autoren gehen soweit, hierin eine gewisse Gefahr zu sehen, 
indem das Wort Neurasthenie nur zu leicht zu einer schemati- 
sirenden Auffassung und Darstellung der complicirten, hier 
in Betracht kommenden Krankheitsbilder verleitet. Das ist 
gewiß richtig, ebenso wie es richtig ist, daß heute mit dem 
Ausdrucke Nervosität Unfug getrieben wird. Und doch ist 
meines Erachtens ohne die Neurasthenie nicht auszukommen, 
und wäre der Begriff nicht vorhanden, er müßte erfunden 
werden. Nur muß man sich klar sein über die vage Begriffs¬ 
bestimmung, die dieses Wort für uns bedeutet. 

Die Mehrzahl der Symptome der Neurasthenie liegt 
auf psychischem Gebiete und hat psychische Genese; das 
schließt natürlich keine der gangbaren Hypothesen über die 
Ursachen der Neurasthenie aus. Für uns wollen wir hier nur 
das eine aus diesen Erwägungen ableiten, daß der Schwerpunkt 
der Behandlung der Neurasthenie auch auf psychischem Gebiete 
liegt, Psychotherapie im allgemeinen Sinne sein muß. 

Daraus folgt, daß nur der Psychiater, oder sagen wir 
richtiger, der psychologisch geschulte Arzt, der gewohnt ist 
und gelernt hat, psychische Persönlichkeiten im Ganzen ?u 
erfassen und ihre Reaction auf Eingriffe vorauszusehen und 
abzuschätzen, geeignet ist, Neurastheniker zu behandeln. 

Dabei soll selbstverständlich alles, was uns sonst die 
Therapie an verläßlichen Behelfen liefert, medicamentöse, 
physikalische, diätetische Methoden u. s. w., nicht vernach¬ 
lässigt werden, aber es steht erst in zweiter Linie und darf 
niemals übertrieben werden. Polypragmosyne schadet auch hier. 

Es ist merkwürdig und doch eigentlich selbstverständlich, 
daß die psychische Behandlung, die Psychotherapie auf dem 
Gebiete der eigentlichen Geisteskrankheiten eine viel geringere 
Rolle spielt, ja zum Theile ganz ausgeschlossen ist, während 
sie gerade bei diesen Grenzformen der psychischen Krank¬ 
heiten, der Neurasthenie, Hysterie u. s. w. ihre Hauptdomäne 
findet. Bei den schweren Geistesstörungen, wo die normalen, 
psychischen Beziehungen verloren gegangen sind, die normale 
psychische Motivirung aufgehört hat, alles oder das meiste 
aus krankhaft verschobenen Gesichtspunkten betrachtet wird, 
hat auch die psychische Behandlung, die an die normale 
Persönlichkeit anknüpfen muß — und nur diese ist zulässig 
und nicht etwa ein Eingehen auf Wahnideen — ihre Wirk¬ 
samkeit verloren. 

Die psychische Behandlung des Neurasthenikers stellt 
also den Angelpunkt der Therapie dar. Aber vorweg sei es 
bemerkt, die hypnotische Behandlung ist unseres Er¬ 
achtens hier nicht nur nicht angezeigt, wir halten sie sogar 
für einen principiellen Fehler. Das, was dem Neurastheniker 
fehlt, das ist die Energie und das Selbstvertrauen, die Kraft, 
aus Eigenem der ihn bedrückenden Empfindungen und Ge¬ 
danken Herr zu werden. Es hieße nur, dem Kranken den 
letzten Rest seiner Selbständigkeit nehmen, ihn gleichsam in 
dauernde Abhängigkeit versetzen, wenn man es versuchte, 
durch hypnotische Behandlung, also quasi durch einen Deus 
ex machina, ihn von seinen unangenehmen Sensationen, resp. 
was noch wichtiger ist, von der Beschäftigung und den 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 14. 


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Gedanken mit denselben zu befreien. Dazu kommt noch, daß 
die meisten Neurastheniker nach den Angaben erfahrener 
Hypnotiseure recht schwer zu hypnotisiren sind. 

Die Hauptaufgabe des Arztes bei der Behandlung des 
Neurasthenikers ist vielmehr die Hebung seiner Energie; der 
Arzt ist gleichsam die Krücke, an der der Kranke selbst 
wieder gehen lernen muß. Dazu ist freilich eines vor Allem 
nöthig, und das ist das Vertrauen des Kranken zum Arzte. 

Nichts ist gefehlter, als wenn der Kranke seine Aerzte 
wechselt, von einem Arzte zum anderen läuft, und leider 
thun gerade das die Neurastheniker so gerne. Geradezu ein 
Nonsens aber ist es, wenn solche Kranke recht viele Aerzte 
zu gleicher Zeit zu sich rufen, in der Meinung, sie 
dadurch zu recht genauer Ueberlegung ihres Zustandes anzu¬ 
eifern. Diese Massenconsilien aller möglichen Specialisten, 
rathlos steht der Kranke da inmitten der Brandung medi- 
cinischer Wissenschaften, der psychische Contact zwischen 
Arzt und Kranken hat aufgehört und damit die Möglichkeit 
einer psychischen Beeinflussung seines Zustandes. 

Am günstigsten liegen die Verhältnisse, wenn solche 
Kranke eine Anstalt aufsuchen, und für schwere Fälle von 
Neurasthenie, vor Allem für solche, wo sich wirkliche Geistes¬ 
störungen eingestellt haben, ist das unbedingt nothwendig. 
Dann ist dem Arzte Gelegenheit geboten, sich ein Bild von 
der ganzen Persönlichkeit des Kranken zu bilden, einen Plan 
der Behandlung zu entwerfen und durchzuführen. 

Immer wieder wird es nothwendig sein, die Klagen des 
Kranken zu prüfen, ihn aufzurichten. Alle seine Beschwerden 
und Befürchtungen müssen untersucht und mit dem ent¬ 
sprechenden Ernste auf das richtige Maß zurückgeführt werden. 
Hier ist ein großer Unterschied gegeben gegenüber, den 
Verhältnissen bei Hysterischen. Für diese kann ein zuviel 
an ärztlicher Fürsorge nur schaden; die Kranken sonnen sich 
dann gleicherm im Mittelpunkte des ärztlichen Interesses. 
Viele Hysterische treiben ja mit ihrer Krankheit einen förm¬ 
lichen Cultus; man hat manchmal die Empfindung, als wäre 
es ihnen mehr um die Erhaltung, als um die Heilung 
ihrer Krankheit zu thun. Die Hysterie ist eben nicht nur 
psychischer Genese, sondern zum Theile auch — das 
gilt freilich nicht für alle Fälle — eine Charakteranomalie. 
Anders bei den Neurasthenikern. Diese wollen wirklich ge¬ 
sund werden, unr bei manchen Fällen von Hypochondrie 
zeigen die Kranken ein förmlich obstinates Wesen gegenüber 
allen therapeutischen Maßnahmen. 

Ohne uns in allzuviel Details einzulassen sei nur von 
weiteren Maßnahmen erwähnt, daß sich für die schweren 
Fälle, insbesondere in den Anfangsstadien, Ruhe, körperliche, 
wie geistige Ruhe, empfiehlt. Für die melancholischen Zu¬ 
stände ist direct die dauernde Bettruhe angezeigt, die ja an 
sich eine sehr beruhigende Wirkung hat; daneben üben laue, 
prolongirte Bäder, selbst mehrmals des Tages wiederholt, 
einen guten Einfluß. Stets muß unser Augenmerk auf die 
Hebung des Körpergewichtes bedacht sein; auch eine milde 
Mastcur, etwa unterstützt durch allgemeine Massage, kann 
am Platze sein. Von weiteren Symptomen erfordert meist die 
Schlaflosigkeit — beinahe bei allen diesen Kranken ist der 
Schlaf sehr schlecht — eine specielle Behandlung; man wird, 
wenigstens anfänglich, ohne eines der gebräuchlichen Schlaf¬ 
mittel nicht auskommen: später werden dieselben entbehrt 
werden können. Man wird dann mit Brom, das auch gegen die 
gewisse innere Unruhe der Kranken gute Dienste leistet, sein 
Auslangen finden. Nahezu ebenso regelmäßig besteht Stuhl¬ 
verstopfung, die eine entsprechende Behandlung erfordert. 
Ueber die Indicationen der Opiuratherapie bei den melan¬ 
cholischen Zuständen habe ich schon oben gesprochen. Manche 
andere Maßnahmen und Medicamente, die wir in Anwendung 
ziehen und die hier nicht namentlich angeführt werden 
sollen, haben einen mehr suggestiven Einfluß, wie denn 
Suggestion, freilich aber nicht hypnotische Suggestion, bei der 
Behandlung solcher Kranken eine große Rolle spielt. In dem 


Maße , als sich das Befinden der Kranken bessert, sind die¬ 
selben zur Bewegung anzuhalten, am besten recht viel Be¬ 
wegung im Freien, die man mit Vortheil mit einer nützlichen 
Beschäftigung verbindet; am meisten empfiehlt sich, soweit 
das möglich ist, Gartenarbeit, dann auch im Sinne von 
Moebids u. A. Arbeit in Werkstätten u. s. w. Niemals aber 
darf die Arbeit bis zur wirklichen Ermüdung oder gar Er¬ 
schöpfung des Kranken getrieben werden. Recht nützlich sind 
auch Sportübungen, soweit sie vom medicinischen Standpunkte 
aus Berechtigung haben, also Sport im Freien, Radfahren, 
aber mit Maß und auf guten Straßen, die englischen Rasen¬ 
oder Kegelspiele, Rudern, Turnen, selbst leichte Touristik. 

Alles, was nicht nur den Körper des Kranken kräftigt, 
sondern auch seinen Geist anregt, sein Interesse erweckt, ist 
angezeigt. Sobald es möglich ist, muß auch der Kranke be¬ 
ginnen, sich geistig zu beschäftigen, da es sich ja meist um 
Kranke aus geistig arbeitenden Berufen handelt. Man beginnt 
mit den allereinfachsten Dingen; für den Anfang kann schon 
die Lectüre eines Zeitungsblattes eine große Leistung sein. 
Dem schließt man andere leichte Beschäftigungen an, selbst 
solche mehr mechanischer Natur, z. B. Abschreiben ; man kann 
dann fortschreiten zu etwas schwererer Lectüre, zum Ueber- 
setzen aus fremden Sprachen u. s. w. Alles das sei nur er¬ 
wähnt, denn die Durchführung muß sich strenge von jeder 
Schablone fernhalten und stets die Individualität des 
Kranken im Auge behalten; bei jeder dieser Vorschriften 
handelt es sich immer zunächst um einen Versuch , der ent¬ 
sprechend dem jeweiligen Befinden des Kranken modificirt 
werden muß. Daneben werden wir, wie nur mit einem Wort 
erwähnt sei, mit großem Vortheile hydriatische Proceduren, 
Gymnastik, Elektricität u. s. w. in Anwendung bringen. 

Noch eine wichtige Aufgabe hat meines Erachtens die 
psychische Behandlung des Kranken vor seiner Entlassung 
zu erfüllen. Der Kranke muß, sobald als dies nur irgend 
möglich ist, lernen, sich als gesund zu betrachten. Je weniger 
er auf seinen Zustand achtet, je weniger er sich mit sich 
selbst beschäftigt, umso besser für ihn; umso leichter wird 
es ihm auch möglich sein, die Gesundheit zu erhalten. Denn 
auch der Gesunde hat oft genug unangenehme Sensationen, 
Empfindungen und Stimmungen. Aber er weiß davon zu ab- 
strahiren und durch seine Beschäftigung, durch seine ethischen 
Beziehungen, durch das Interesse für Kunst und Wissenschaft 
u. s. w. die Integrität seiner psychischen Persönlichkeit zu 
erhalten. Dazu den Neurastheniker zu erziehen, erscheint mir 
als das Endziel unserer Therapie. 


Referate. 

Sneguireff (Moskau): Ein Fall von partieller Reaection 
der Milz unter Anwendung des Wasser dampfe s 
als Blutstillungsmittel. 

Nachdem Verf. den Wassordampf zur Blutstillung an Thieren 
mit Erfolg verwendet hatte, entschloß er sich, anläßlich einer 
partiellen Milzresection das Verfahren zu benützen. Er construirte 
einen eigenen Ansatz für den Dampfentwickelungsapparat, welcher 
einerseits dem Blute und dem Dampfüberschusse den Abfluß gestattete, 
andererseits den hohen Druck des Dampfstrahles verminderte. Bei 
der Operation wurde folgendermaßen verfahren: Nachdem die MHz 
aus der Bauchhöhle herausgewälzt und die Umgebung mit Tüchern 
vor Verbrühung geschützt worden, wurde jedesmal vom Milzgewebe 
nur soviel durchtrennt, daß die Fläche dem Ansatzstücke entsprach ; 
in diesem Falle war die Blutstillung eine augenblickliche. Sogar 
die Blutung aus zwei großen Arterien vom Lumen der Art. 
radialis konnte auf diese Weise rascli gestillt werden. Im Cen¬ 
trum der Geschwulst ging die Blutstillung nicht so prompt von¬ 
statten, so daß Verf- hier ein röhrenförmiges Ansatzstück, welches 
kräftiger wirkte als das frühere, benützen mußte. Verf. räth 
(„Langenbeck’s Archiv“ , Bd. 65, II. 2), bei größeren arteriellen 


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Gefäßen den Dampfstrahl schräg auf das Gefäß zu richten, da 
nach seinen Experimenten auf diese Weise die Blutung am raschesten 
gestillt wird. Der Versuch, die Blutung durch Unterbindung zu 
stillen, mißlang, da die Ligaturen das Milzgewebe wie Butter durch¬ 
schnitten. 

Die Blutstillung mittelst Dampf gelang vollständig; das 
exstirpirtc Stück der Milz maß 6‘5 X 3 Cm. und erwies sich als 
ein cavernöses Angiom. Die Pat. wurde geheilt entlassen. 

Erdheim. 

Rasumosky (Kasan): Eine neue conservative Operation 
am Hoden. 

Um bei operativen Eingriffen, die infolge beginnender Tuber¬ 
eulose des Nebenhodens nothwendig werden, einerseits die innere 
Secretion des Hodens, andererseits aber auch die Geschlechtsfunc¬ 
tion zu erhalten, hat Verf. zwei Operationsmethoden ausgedacht 
und in einigen Fällen bereits in Anwendung gebracht. Versuche, 
die von anderer Seite an Thieren ausgeführt wurden, haben er¬ 
wiesen, daß die Vorstellung von der Erhaltung der Continuität der 
Secretionswege eine richtige war. 

Die erste vom Verf. ausgeführie Operationsmethode, deren 
genaue Technik in der Originalarbeit („Langenbeck’s Archiv“, 
Bd. 65, H. 3) nachgelesen werden muß, besteht in Bildung einer 
Anastomose zwischen dem Rete testis (oder dem Anfänge der Coni 
vasculosi) und dem Vas deferens nach totaler Entfernung der Epi¬ 
didymis; für diejenigen Fälle von Tubereulose, die nur die Resection 
der unteren Hälfte des Nebenhodens erheischen, schlägt Verf. eine 
Anastomose zwischen dem Vas epididymitidis und dem Va3 deferens vor. 

Der Operationstypus für beide Methoden ist der, daß Verf. 
das Vas deferens spaltet und das Endstück in die Substanz des 
Hodens oder Nebenhodens versenkt, daselbst durch Nähte fixirt, auf 
diese Weise die Epithelflächen der Samenwege in innige Berührung 
bringt und daher für die Bildung einer Anastomose günstige Be¬ 
dingungen schafft. 

Nach jeder Operationsmethode wurden je zwei Fälle operirt; 
in allen 4 Fällen trat Heilung ein, der Hoden fühlte sich weich 
und nicht verkleinert an und war anscheinend functionstüchtig. 

Erdheim. 


Mircoli (Genua): Ueber die Sero-Antitoxicität des Al¬ 
kohols bei der Tuberculose und über die even¬ 
tuelle Anwendung des Alkohols in der Therapie 
der Tuberculose. 

M. gelangt auf Grund seiner Untersuchungen zu folgenden 
Schlüssen („Münch, med. Wschr.“, 1902, Nr. 9): 

Der Alkohol verleiht, wenigstens unter gewissen Umständen, 
in derselben Weise, wie es allerdings in rascher Weise und in 
einem intensiveren und allgemeineren Grade das MARAGLiANO’sche 
Serum thut, dem Organismus das Vermögen, die Tuberkeltoxine zu 
neutralisiren. Dieser Befund bestärkt und erweitert die Angaben 
von Büchner über den Gebrauch des Alkohols bei der Tuberculose. 
Die antitoxische Wirkung des Alkohols gesellt sich zur Sklerosis 
und beide Factoren wirken hinderlich der Ausbreitung derKrank- 
keit entgegen. Die Resultate der statistischen Erhebungen über 
das Verhältniß zwischen Tuberculösen und Alkoholisten an der 
Klinik berechtigen zu weiteren Untersuchungen; es müssen aber 
zu diesem Zwecke nur geeignete Fälle herangezogen werden und 
es müssen namentlich die Fälle von reiner Tuberculose von den¬ 
jenigen der Pyotuberculose geschieden werden. Alles weist darauf 
hin, daß ein reichlicher, aber doch nicht excessiver, bis zur 
Vergiftung des Organismus getriebener Gebrauch des Alkohols bei 
der Tuberculose wohlthuend wirke. M. möchte deshalb rücksicht¬ 
lich der Behandlung tuberculöser Kranker empfehlen, dieselben 
nicht, in übertriebener Weise schonend zu behandeln und dieselben 
nicht unnöthigen Entbehrungen auszusetzen. Eine derartige Behand¬ 
lung ist schädlich, weil der Mechanismus bei der Heilung der Tu¬ 
berculose in Bildung von Antitoxinen besteht, welehe den Organismus 
von der Vergiftung retten und dessen Heilung durch anatomische 
Veränderungen der spontan reagireuden Gewebe bewirken. Allein 


der Organismus bedarf zu diesem Zwecke einer freien, nicht ein¬ 
geschränkten Lebensweise und feiner Reizmittel. 

Zu diesen letzteren gehört auch der Alkohol, welchen Mara- 
gliano in Form von Cognac mit Milch zu geben anräth. G. 

H. Dreser (Berlin): Ueber geschmackfreie Chinin- 
derivate. 

Die Ansprüche, welche die Therapie an geschmacklose Chinin¬ 
präparate stellen muß, und die Ergebnisse aus diesen vergleichenden 
pharmakologischen Untersuchungen sind etwa folgendermaßen zu 
formuliren. („Deutsche Aerzte-Ztg.“, 1902, Nr. 5.) 

Die Löslichkeit in reinem Wasser muß so gering sein, daß 
sie noch unterhalb der Empfindungsschwelle für bitter liegt; das 
officinelle Chininum tann. erfüllt diese Forderung keineswegs; sie 
wird am vollkommensten vom Salochinin erfüllt, nächstdem vom 
Euchinin und Aristochin, während die freie Chininbase bereits zu 
löslich ist, um als geschmackloses Chininpräparat zu dienen. 

Der Aufsaugung des Chininpiäparates im Magendarmcanal 
muß dessen Lösung im sauren Magensaft vorausgehen. Die Chancen 
für prompte Lösung gestalten sich am günstigsten für die freie 
Chininbase; setzt man diese gleich 100%, 80 i 8t sie für Euchinin 95°/ 0 , 
für Aristochin 88°/ 0 , für Salochinin 54%, für Chinin als Tannat 
nur 9'9%. Fehlt die Säure im Magensaft, so sind die Chancen der 
Resorption für alle prekär. Bei der allmäligen Neutralisation des 
sauren Mageninhaltes während der Passage durch den Dünndarm 
soll ein geschmackfreies Chininpräparat, das bereits in der Salz¬ 
säure des Magensaftes gelöst war, nicht wieder ausfallen; eine 
Forderung, die Chinin, Euchinin und Aristochin ausgezeichnet er¬ 
füllen ; dagegen fällt von gelöstem Salochinin ein erheblicher Theil 
aus, das Filtrat von der Fällung enthält aber immer noch eine 
gewisse Menge Base gelöst, die für die Resorption noch in Betracht 
kommt. Bei dom Chinintannat ist die Wiederfällung des in Magen¬ 
salzsäure gelöst Gewesenen so vollständig, daß im Filtrate von der 
Fällung kaum etwas Nennenswerthes mit Jodjodkalium nachzuweisen 
ist. Also auch hier ist wie bei der Lösung im Magensaft das 
officinelle Präparat wieder das schlechteste. 

Die prompte therapeutische Wirksamkeit läßt sich am besten 
durch die in den ersten 24 Stunden im Harn zur Ausscheidung 
gelangende Chininmenge vergleichen. In den noch zu vermehren¬ 
den Versuchen D.’s erwies sich das officinelle Chinintannat jeden¬ 
falls als dasjenige, welches am allerschlechtesten resorbirt wird; 
das Salochinin und die freie Chininbase waren zwar schon erheblich 
besser; am besten von den geschmacklosen waren das Euchinin 
und das Aristochin. Dem in Oblaten gegebenen salzsauren Chinin 
standen aber alle nach. Man wird daher die Dosen etwas größer 
als die des salzsauren Chinins wählen müssen. Die locale Belästigung 
der Magen- und Darmschleimliaut theilen das Euchinin und Salo¬ 
chinin, wenn sie erst gelöst sind, mit dem Chinin; frei davon er¬ 
wies sich das Aristochin. Das officinelle Chinintannat weist hier 
den Vorzug auf, daß es wegen seiner schlechten Löslichkeit über¬ 
haupt nicht viel Schaden anrichten kann. Die Protozoen tödtende 
Wirkung ist beim Salochinin und Aristochin, auf gleiche Chinin¬ 
mengen berechnet, doppelt so intensiv wie beim Chinin. Die all¬ 
gemeine Giftigkeit des Chininmolecüls bei Kalt- und Warmblütern 
ist am ausgesprochensten in Form des Aristochins vermindert. 
Nach allem hat sich das „geschmacklose“ Präparat des amtlichen 
Arzneibuches entschieden als das minderwerthigste erwiesen, soweit 
cs auf Wirkungen nach der Resorption ankomrat, denn von ihm 
kann am wenigsten resorbirt werden. Zur richtigen Würdigung des 
Chinintannates ziehe man in Betracht, daß bei Alkaloidvergiftungen 
die Gerbsäure als Antidot gereicht wird zur Erzeugung möglichst 
schwerlöslicher und möglichst schlecht resorbirbarer Verbindungen, 
sowie daß man bei dem Pelletierin, dem Alkaloid der Granatwurzel¬ 
rinde, ebenfalls das Tannat benutzt, damit die Giftwirkung nur 
den Bandwurm im Darm treffen, der Wirth aber davon verschont 
bleiben soll. Soweit die Alkaloidtannate wirklich schwer löslich sind, 
haben sie in der übrigen Medicin den Zweck, das Alkaloid möglichst 
lange im Darm zurückzuhalten; nur das ärztlich verordnete Chinin¬ 
tannat soll resorbirt werden. Da dies aber nicht in brauchbarem 


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Maße stattfindet, wäre für Chinintannat eine andere Indication viel 
zweckmäßiger, nämlich es gegen die Amöben der Dysenterie und 
ähnliche Protozoen als locales Darmantiparasiticum zu versuchen. 
Die an ein geschmackfreies Chininpräparat zu stellenden Anforde¬ 
rungen ist es außer Stande zu erfüllen. B. 

Kionka (Jena): Die Giftwirkungen des als „Präservesalz“ 
zur Fleischconservirung verwandten schweflig¬ 
sauren Natrons. 

Seit etwa 15 Jahren ist es bei den Fleischern Sitte geworden, 
dem Fleische, namentlich dem Hackfleisch , zum Zwecke der Con- 
servirung sogenanntes Präservesalz zuzusetzen. Die im Handel be¬ 
findlichen Präservesalze bestehen fast sämmtlich aus mehr oder 
weniger (mit Natriumsulfat) verunreinigtem schwefligsauren Natron, 
zuweilen mit einem Zusatz von Kochsalz. Das Präservesalz wird 
v on den Fabriken an die Fleischer in Packungen zu 1 Kgrm. ab¬ 
gegeben, welche außen einen Aufdruck, betreffend die Verwendung, 
besitzen. Es wird darin empfohlen , das Salz in einer Menge von 
1, bezw. 2 Grm. auf 1 Kgrm. Fleisch zuzusetzen. Weiter wird an¬ 
gegeben, daß Präservesalz das Fleisch vor dem Grauwerden schütze, 
dasselbe vor Zersetzung bewahre und dabei — in der angegebenen 
Weise verwandt — der Gesundheit nicht nachtheilig werde. Letzteres 
wird öfters noch durch das beigegebene Zeugniß eines vereidigten 
Sachverständigen und Chemikers bestätigt. Diese Angabe steht im 
Widerspruch mit den Erfahrungen der Toxikologie, welche schon 
längst die Giftwirkungen der schwefligsauren Salze kennt. 

Verf. hat nun zur Entscheidung dieser Frage an Hunden, 
welche die Uebertragung der Befunde auf den Menschen gestatten, 
Versuche angestellt und Folgendes gefunden („Deutsche med. Wschr.“, 
1902, Nr. 6): Das schwefligsaure Natron, bezw. das Präservesalz, 
ruft, auch wenn es nur in den üblichen Mengen als Conservirungs- 
mittel dem Fleische zugesetzt, wird, bei länger fortgesetztem Ge¬ 
nüsse bei Hunden schwere Blutgiftwirkungen hervor; es entstehen 
intravitale Gefäßverlegungen sowie Blutungen und entzündliche oder 
degenerative Processe, pathologische Veränderungen, welche als 
Folgen der erstgenannten Wirkung aufzufassen sind. Verf. konnte 
öfters auch krankhafte Veränderungen in Organen nach weisen, in 
denen bei früheren Versuchen nichts Pathologisches gefunden wurde, 
so bei vier Hunden Blutungen in der Leber und, was besonders 
zu beachten ist, bei drei Hunden subendocardiale Blutungen im 
Herzmuskel. 

Hervorgehoben mag noch werden, daß man beim Durchsehen 
der Präparate durchaus nicht den Eindruck gewinnt, als ob die 
Organveränderungen bei den Thieren, die nur 1 Grm. Präserve¬ 
salz : 1000 Grm. Fleisch erhielten, weniger schwer wären als bei 
den Hunden, welche die doppelte Sulfitmenge bekamen. B. 


Saenger (Magdeburg): Zur Aetiologie der Lungentuber- 
culoae. 

Verf. suchte experimentell die Frage zu lösen, ob „Tuberkel¬ 
bacillen enthaltende, feste oder flüssige Staubtheilchen oder auch 
isolirte Tuberkelbacillen, welche vom Einathmungsluftstrom erfaßt, 
sind, in diesem schwebend bis in die Lungenalveolen gelan¬ 
gen können“. Er fand nun, daß in der Einathmungsluft suspendirte 
Staubtheilchen nicht sehr weit in den Bronchialbaum eindringen, und 
hält es daher für unwahrscheinlich („Arch. f. pathol. Anat. u. 
Physiol. u. f. klin. Medicin“, Bd. 167, H. 1), daß durch in der 
Einathmungsluft schwebende Tuberkelbacillen eine tuberculöse Er¬ 
krankung der Lungen erzeugt wird. Damit soll allerdings nicht 
die ätiologische Bedeutung des Tuberkelbacillus für die Entstehung 
der Lungentuberculose geleugnet sein, da ja derselbe auch auf 
anderem Wege in die Lunge eindringen könne. So verweist Verf. 
diesbezüglich auf jene Arbeiten, welche die hämatogene Ausbreitung 
des Tuberkelbacillus vertreten, ohne daß er sich jedoch gerade 
für diese Anschauungen einsetzen möchte. Dr. S—. 


Bertarelli und Calamida: Ueber die ätiologische Be¬ 
deutung der Blastomyceten in den Tonsillen. 

Bekanntlich wurden im Laufe der letzten Jahre wiederholt 
Blastomyceten als Erreger verschiedener krankhafter Processe des 
Menschen und der Thiere angesprochen, die Entstehung der ver¬ 
schiedenartigsten malignen Geschwülste (Carcinome, Sarkome, Deci- 
duome etc.), ferner das Trachom, das Rhinosklerom, Endometritiden, 
gewisse Dermatosen etc. wurden auf Hefen zurückgeführt; es dürfte 
daher der an sich befremdende Befund de Simoni’s, daß die Hyper¬ 
trophie* der Tonsillen gleichfalls durch Blastomyceten erzeugt wurde, 
niemanden sonderlich verwundert, allerdings auch nicht überzeugt 
haben. Die Verff. unterzogen die Angaben des genannten Autors 
einer Nachprüfung und untersuchten 50 Mund- und Pharynxtonsillen 
(12 normale, 38 hypertrophische). Unter 44 Tonsillen, die sie 
bakteriologisch untersuchten, konnten sie nur iu 4 Fällen Blasto¬ 
myceten cultiviren. Aus ihren culturellen und histologischen Unter¬ 
suchungen („Centralbl. f. Bakteriologie, Parasitenkunde u. Infectious- 
krankheiten“, Bd. 30, H. 2) leiten sie die Schlußfolgerung ab, 
„daß der Befund von Blastomyceten in den Tonsillen ein acciden- 
teller und sowohl in den normalen als in den hypertrophischen 
Tonsillen möglich sei, und daß keines der in diesen Tonsillen vor¬ 
kommenden Fermente eine nennenswerthe pathogene Wirkung habe. 

Dr. S—. 


Dieudonne (Wurzburg): Zur Bakteriologie der Typhus¬ 
pneumonien. 

Bei einer unter dem Bilde einer Pneumonie verlaufenden 
Typhusinfection mit vollständigem Fehlen von Erscheinungen von 
Seite des Darmes fand Verf. im Sputum neben Diplokokken Ty¬ 
phusbacillen. Dieselben wurden auch noch lange Zeit in der Recon- 
valescenz (7 Wochen nach der Aufnahme in das Spital), nachdem 
Pat. sich schon mehrere Wochen vorher ganz wohl gefühlt hatte, 
im Sputum gefunden. Solche Fälle sind für die Weiterverbreitung 
des Typhus von großer Bedeutung; auch bilden diese Kranken 
ähnlich wie Pestpueumoniker eine große Gefahr für ihre Um¬ 
gebung, besonders auch deshalb, weil die Krankheit oft erst spät 
in ihrer wahren Natur erkannt wird. Auch in dem vorliegenden 
Falle wurde die bakteriologische Untersuchung des Sputums erst 
vorgenommen, als die stark hämorrhagische Beschaffenheit desselben 
Verdacht erregte („Centralbl. f. Bakteriologie, Parasitenkunde und 
Infectionskrankheiten“, Bd. 30, H. 13). Dr. S—. 


Löwit (Innsbruck): Die parasitäre Natur der Leukämie. 

Die vorliegende Arbeit („Centralbl. f. allgem. Pathologie u. 
pathol. Anatomie“, Bd. 12, H. 22) enthält ausschließlich eine Polemik 
gegen jene Einwände, die Türck gegen die Theorie LÖwit’s er¬ 
hoben hat. Löwit versucht dieselben zu widerlegen und beharrt auf 
seiner Deutung der Blutpräparate und Thierversuche, ohne wesent¬ 
lich neue Argumente hiefür vorzubringen. Die Streitfrage selbst ist 
ja allgemein bekannt und wurde auch an dieser Stelle bereits be¬ 
sprochen. Dr. S—. 


Kleine Mittheilungen. 

— Ueber Entgiftung des Cocains im Thierkörper liegen 
bemerkenswerthe Untersuchungen vor („Corr.-Bl. f. Schweizer 
Aerzte“, 1902, Nr. 4). Kohlhardt hat die seinerzeit von Czyhlarz 
und Donath mit Strychnin ausgeführten Versuche, deren Resultate 
nicht unbestritten blieben, wiederholt. Die oben genannten Verfasser 
fanden nämlich, daß das Strychnin, in eine abgeschnürte Extremität 
eines Thieres injicirt, nach einiger Zeit so weit entgiftet werden 
konnte, daß nach Lösung des Schlauches die Thiere am Leben 
bleiben, obwohl ihnen eine, die tödtliche Dosis bei weitem über¬ 
schreitende Menge des Giftes injicirt wurde. Verf. hat statt Strychnin 
Cocainlösungen genommen und fand, daß je länger das Cocain in 
der abgeschnürten Extremität bleibt, desto geringer die Ver¬ 
giftungserscheinungen ausfallen, so daß bei gehöriger Abschnürung 
und Lösung des Schlauches erst nach 3 / 4 —1 Stunde das Cocain 


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keine Störungen mehr verursacht, während die Controlthiere unter 
Erscheinungen von Cocainvergiftung eingehen. Die praktische 
Consequenz, die man bei chirurgischen Operationen aus diesen 
Versuchen zu ziehen berechtigt ist, ist die, daß man bei sorg¬ 
fältiger Abschnürung der Extremität mit der Dosirung des Cocains 
beim Menschen nicht besonders ängstlich zu sein braucht, wenn 
man den Constrictionsschlauch 45—60 Minuten lang liegen läßt. 

— Neue Mittheilungen über Stypticin publicirt Max Hirsch 
(„Pester med.cbir. Presse“, 1901, Nr. 49). Stypticin ist ein gelbes, 
krystallinisches, in Wasser leicht lösliches Pulver, das der, Formel 
C 12 H, 4 N0 4 C1 entspricht. Wegen seines bitteren Geschmackes 
wird es am besten in Form überzuckerter Tabletten gegeben, wie 
solche mit einem Gehalte von 0 05 Grm. im Handel sind. Die 
übliche Tagesdosis beträgt 5—6 Tabletten ä 0*05 Grm. Sind die 
Blutungen sehr stark, so empfehlen sich unter Umständen zur 
schnellen Bekämpfung derselben subcutane Injectionen, und zwar 
2 Ccm. einer 10%ig en Lösung in die Glutäalmusculatur. 

— Ueber eine neue Methode der Behandlung der Prostata- 
hypertrophie mittelst eines elektrocaustischen Incisors bei Vor¬ 
handensein eines Mittellappens berichtet IIugh II. Young („Monatsber. 
f. Urologie“, Bd. VI, H. 1). Springt der Mittellappen in die Blase 
vor, so entsteht bekanntlich die von Thompson beschriebene Yförmige 
Harnröhrenfigur. Bei einem vom Verfasser operirten Falle war der 
Erfolg ausgeblieben, weil der Incisor in den rechten Sulcus zwischen 
mittleren und rechten Prostatalappen hineingeglitten war, diesen 
vertiefend, wie man sich bei der später zum Zwecke der Enucleation 
des Mittellappens vorgenoramenen suprapubischen Eröffnung der 
Blase überzeugen konnte. Zur Vermeidung dieses Mißerfolges soll 
man deshalb statt der einen hinteren Incision oberhalb der Basis 
oder des Fortsatzes des mittleren Prostatatheils an jeder Seite 
des Mittellappens eine schräge Incision machen, und zwar so aus¬ 
giebig, daß zur Herbeiführung einer Atrophie eine genügende 
Blutmenge entleert wird. Nach dieser Methode wurden 2 Patienten 
mit bestem Erfolge operirt. 

— Ueber Bromipin Merck berichtet Otto Freiberg („Medico“, 
1901, Nr. 44). Bromipin Merck ist eine klare, ölige, 10 und 
^^V 3 %‘e e Flüssigkeit, die bei längerem Gebrauche gern genommen 
wird, ohne irgend welche schädliche Nebenwirkungen auszuüben. 
F. hat stets das 10°/ 0 ige Präparat verwendet, und zwar ließ er 
die ersten 3 Wochen täglich 4, von da ab 3 Theelöffel täglich 
nehmen. Eine derartige Bromipincur wurde je nach Bedarf wieder¬ 
holt. Bromipin Merck schränkt die epileptischen Anfälle zum 
mindesten an Zahl wie an Stärke ein, es wirkt bei nervösen 
Erregungszuständen sicher beruhigend und ist für scrophulöse 
und schwache Individuen ein vorzügliches Präparat, das selbst 
bei anhaltendem Gebrauche keine nachtheiligen Erscheinungen er¬ 
kennen läßt. 

— Mittheilungen zur Casuistik und Behandlung der Fistula 
gastrocolica machtLABHARDT(„Münch, med. Wschr.“, 1901, Nr. 42). 
Die Ursache des Leidens sind ulceröse Processe im Magen, die 
Beschwerden Abmagerung durch Einfließen der Iugesta in das 
Colon und Kothbrechen durch Einfließen von Darminhalt in den 
Magen. Als wichtiges diagnostisches Symptom ist ferner das Auf¬ 
treten von diarrhoischen Stühlen bei derartigen, meist zur Obsti¬ 
pation neigenden Kranken. 2 von den 4 mitgetheilten Fällen wurden 
operirt. Ein sehr heruntergekommener Mann wurde durch Aulegung 
einer WiTZEL’schen Jejunostomie erheblich gebessert, und bei einem 
anderen Patienten wurde durch Ausschaltung der betreffenden 
Coloupartie durch eine Colo-Colostomie ein weiterer Uebertritt von 
Darminhalt in den Magen verhindert. Die radicalste Behandlung, 
allerdings auch die eingreifendste Operation ist eine vollständige 
Ausschaltung des verwachsenen Colonabschnittes und Verbindung 
der beiden Darmenden durch Colo-Colostomie, eine Operation, welche 
von Garre bereits mit Glück ausgeführt wurde. Ist eine Operation 
nicht mehr ausführbar, so besteht die Behandlung in Magenaus¬ 
spülungen, Nährklystieren und Anwendung von Narkoticis. 

— Die Anwendung großer Gaben von Jodpräparaten in 
der Augenheilkunde empfiehlt Nobbe („Zeitschr. f. Augenheilk.“, 
1901, Sept.). Pagenstecher verordnet 25-0 Kal. jod. : 200*0 Aqu. 
und läßt davon anfangs 3, dann 4, schließlich 5 Eßlöffel voll nehmen. 


Außerdem verwendet er auch Jodnatrium 15 0, Bromnatrium 5*0 
auf Aqu. 200*0, täglich 3 Eßlöffel, steigend bis auf 6 Eßlöffel. Bei 
einem Fall von gummöser Neubildung, bei Sehnervenatrophie, bei 
Episkleritis und Skleritis, sowie bei Augenmuskellähmungen wurden 
mit dieser Therapie vorzügliche Erfolge erzielt. Wenn Lues als 
Ursache nachzuweisen war, wurde stets eine Schmier- und Schwitzcur 
der Behandlung mit Jodpräparaten vorausgeschickt oder gleichzeitig 
angewandt. Außer Jodkalium uud Jodnatriura empfiehlt N. auch 
das Jodrubidium, welches vor den beiden ersten Präparaten den 
Vorzug verdient, daß es die geringsten, in vielen Fällen gar keine 
Erscheinungen von Jodismus macht und seine Wirkung auf das 
Herz sehr gering ist. Die durch das Jodnatrium und noch mehr 
durch das Jodkalium hervorgerufene Pulsbeschleunigung macht 
dem Patienten meist nicht die geringsten Beschwerden und ver¬ 
schwindet äußerst schnell nach dem Aussetzen der Mittel. 

— Bei Hautjucken empfiehlt sich folgende Medication 


(„Centralbl. f. Therapie“, 1902, Nr. 2): 

Rp. Mentholi. lO'O 

Aeth. petrolei. 5'0 

Glycerini. 100 

Spir. vin. Gail.ail 2100 

D. S. Zum Einpinseln. 

Rp. Chloral. bydr., 

Acid. carbol. aa. 0‘5 

01. olivar. ad 500 

D. S. Zum Einreiben. 

Rp. Mentboli. 2 0 

Chloroform. 180 

Aeth. sulfur. 30 0 

D. S. Zum Aufsprühen. 

Rp. Ichthyoli. 10 0 

Aeth. salfur., 

Spir. vin.aa. 400 

D. S. Zum Einreiben. 

Rp. Epiearini. 5 0 

Aeth. sulfur. 25 0 

Spir. vin. Gail.ad 2000 

D. S. Zum Einreiben. 


— Ein Verfahren für perimetrische Buckelmessung gibt 
Deutschländer an („Centralbl. f. Chir.“, 1901, Nr. 43). Zu diesem 
Zwecke wird der Kranke flach auf einem ungepolsterten Tische auf 
den Bauch gelegt. Alsdann wird ein Gypsabguß des Rückens, ge¬ 
macht. Nach dem Erhärten wird die Gypsschale abgenommen und 
auf der Höhe der Convexität ein Loch gebohrt. Will mau fest¬ 
stellen, ob nach einiger Zeit am Skelet Veränderungen eingetreten 
sind, so wird der Gypsabdruck auf seiner Innenseite mittelst einer 
Flamme vollständig eingerußt. Der Patient kommt in dieselbe Lage 
und nun wird die Gypsschale ohne stärkeren Druck dem Kranken 
auf den Rücken gelegt. Durch das Loch auf der Höhe des Buckels 
führt man einen Blaustift oder einen anderen markirenden Gegen¬ 
stand ein. Wo eine Abflachung eingetreten ist, hat der Rücken 
des Kranken nach Abnahme der Gypsschale keine Schwarzfärbung 
angenommen. Da man durch den Blaustift einen festen Punkt 
markirt hat, so kann man im ganzen Umkreise durch Messung die 
Grenzen feststellen, bis zu denen eine Berührung stattgefunden 
hat, und es lassen sich ohne weiteres die gefundenen Zahlen in 
ein perimetrisches Schema, ähnlich dem bei den Ophthalmologen 
gebräuchlichen, eintrageu. Bei Zunahme des Buckels findet sich 
auf dessen Höhepunkt ein stärkerer Rußabdruck, während die 
Peripherie frei bleibt. 

— Aus klinischen Beobachtungen über Agurin von Michaelis 
(„Deutsche Aerzte-Ztg.“, 1901, Nr. 24) geht hervor: Bei gleicher 
diuretischer Wirksamkeit besitzt das Agurin vor dem Diuretin den 
Vorzug, daß es neben dem Theobromin keine ditferenten ßeätand- 
theile (keine Salicylsäure) enthält. Das im Agurin enthaltene 
Natrium aceticum ist ein Mittel, welches man seit langem bei den 
gleichen Indicationen anwendet, wie das Theobromin. In Form des 
Agurins wird das Theobromin glatt vertragen, auch dann, wenn 
das Diuretin schlecht vertragen wird. Es ist zunächst bei allen 
hydropischeu Erscheinungen indicirt, besonders bei Stauungs¬ 
erscheinungen infolge von Herzklappenfehlern. Seine Wirkung 
wird durch vorangegangene oder gleichzeitige Darreichung der 
Digitalis unterstützt. Sein Angi'iffspunkt ist, im Gegensatz zur 


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Digitalis, nicht das Herz, sondern die Niere. Ara promptesten 
wirkt es bei intacter Niere, doch reagirt auch mitunter eine leichte, 
besonders chronische, interstitielle Nephritis. Die Dosirung ist 
1 Grra., 3mal täglich beim Erwachsenen. 

— Die Injection künstlichen Serums empfehlen Uabot und 
Binnamour bei Diphtherie und anderen Infectionen zur Stellung 
der Prognose („Lyon med.“, 1901, Nr. 34). Wenn danach die 
Urinmenge steigt und weder Erbrechen, noch Diarrhoe auftritt, so 
kann man auch bei ungünstigem Allgemeinbefinden die Prognose 
günstig stellen. Steigt dagegen die Urinmenge nicht und treten 
Durchfälle und Erbrechen auf, so ist auch bei günstigem Allge¬ 
meinbefinden die Prognose schlecht. 


Literarische Anzeigen. 

Lehrbuch der Arzneimittellehre und Arzneiverord¬ 
nungslehre. Von Prof. Dr. H. v. Tappeiner. Vierte, neu 
bearbeitete Auflage. Leipzig 1901, F. C. W. Vogel. 

Die neue Auflage dieses vorzüglichen Lehrbuches zeichnen 
klare Anordnung des Stoffes, präcise Darstellung und Beschränkung 
auf das für den Studenten Wichtige in gleicher Weise aus. Dem 
therapeutischen Theile und der Arzneiverordnungslehre ist ein im 
Verhältnisse breiter Raum gewidmet, theoretische Auseinander¬ 
setzungen fehlen, dem Zwecke des Buches entsprechend, oder 
sie sind an passender Stelle auf wenige Sätze eingeschränkt. Die 
Eintheilung des Werkes trägt den Wirkungen der Medicamente 
Rechnung. Den Anfang machen die als Corrigentia und Constituentia 
gebrauchten Mittel, hierauf folgen die örtlich und die allgemein 
wirkenden, an vierter Stelle die nach beiden Richtungen Verwen¬ 
dung findenden Präparate. Schließlich folgen noch zwei Capitel 
über Organ- und Serumtherapie und über Nährpräparate. Dem 
Stoffe sind das Arzneibuch für das Deutsche Reich (IV. Ausgabe 
1900) und die österreichische Pharmakopoe (VII. Ausgabe ex 1900) 
zugrunde gelegt. N. 

Die Samenblasen des Menschen mit besonderer Berück¬ 
sichtigung ihrer Topographie, Gefäßversorgung und ihres 
feineren Baues. Von Dr. Max Fränkel (Berlin). Mit 4 lithogra- 
phirten Tafeln. Berlin 1901, Verlag von August Hirsch¬ 
wald. 

Diese im Institute Waldeyer’s durchgeführte, für Chirurgen, 
Urologen und Syphiliater sehr wichtige Arbeit ist als eine anato¬ 
mische Revision dieser Körpertheile anzusehen. Sie führt in über¬ 
sichtlicher Weise die topographischen Verhältnisse, die Blut- und 
Lympgefäßanordnung, die Histologie der Samenblasen und Ampullen 
und die physikalisch-mikroskopische Beschaffenheit der in diesen 
Hohlorganen anzutreffenden Flüssigkeit vor Augen. Viele Fragen 
auf diesem Gebiete harren noch ihrer exacten Beantwortung, viele 
sind noch controverser Natur. Einen Theil dieser Frageu beant¬ 
wortet zu haben ist ein Verdienst des Verf. Das Werkchen ist 
tadellos ausgestattet; die Tafeln sind sehr instructiv. 

Dr. Horovitz. 

Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Aus den Abteilungen 

der 

73. Versammlung Deutscher Naturforscher und 

Aerzte. 

Hamburg, 22.-28. September 1901. 

(Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) 

XXIII. 

Abtheilung für Chirurgie. 

SCHULTZE (Duisburg) berichtet über einen Fall von 
typischer Appendicitis in einem Bruchsack und zeigt 
einen orthopädischen Redressions tisch. 


Ringel (Hamburg) hat in letzter Zeit 2 Fälle von Perityphlitis im 
Bruchsack operirt. In einem Fall war in einer incarcerirten Hernie Coecum, 
Appendix und ein Theil des Dünndarms enthalten. Der Proceß war gangränös. 
Es war also keine eigentliche Appendicitis. Der zweite Fall war aber eine 
rechte Perityphlitis mit großer Eitermenge. Hier bestand, trotz lern der Eiter 
die ganze Bauchhöhle inticirt hatte, kein Fieber und keine Peritonitis. 

Scliultze (Duisburg): In seinem Fall war der Wurmfortsatz ganz normal. 

Graff (Bonn): Ueber die Spontanluxation des Hüftgelenks im 
Verlauf von acuten Infectionskrankheiten. 

Vortr. beleuchtet die Annahme der verschiedenen Autoren, 
die die Luxation durch Hydrops (Petit) , durch Abschleifung der 
Knorpelflächen (Roser) oder als sogenannte paralytische Luxation 
(Verneuil.) entstanden wissen wollen, und berichtet dann über 
einen Fall, wo die Luxation nach Typhus bei einem jungen Mädchen 
auftrat, und zwar auf beiden Seiten, auf der einen als Luxatio iliaca, 
auf der anderen als Luxatio ischiadica, und zeigt die Photographien. 
Versuche, die Lordose und Luxation durch Extension zu redressiren, 
scheiterten an der gewaltigen Muskelverkürzung, und Schede ent¬ 
schloß sich zur blutigen Reposition. Die Operation zeigte, daß keine 
Pfannen mehr vorhanden waren, sie waren durch starkes Binde¬ 
gewebe ausgefüllt und mußten erst künstlich wieder geschaffen 
werden. Auch die Schenkelköpfe waren stark verändert. Auf einer 
Seite bildete sich nach 6 Wochen ein Absceß und man fand in 
dem Eiter (1 */ 2 Jahre nach der Krankheit) lebensfähige Typhus¬ 
bacillen. 

In einem zweiten Fall von puerperaler Sepsis traten nach 
den ersten Gehversuchen Schmerzen im Hüftgelenk auf. Es wurde 
eine Coxitis angenommen und Gypsverband gemacht. Nach Abnahme 
des Verbandes stellte sich die Luxation heraus. Bei einem dritten 
Fall handelte es sich um eine Osteomyelitis der anderen Hälfte. In 
beiden Fällen waren Pfanne und Kopf wie bei Congenitalluxation 
stark deformirt. Besonders war ein Schwund des oberen Pfannen¬ 
daches auffallend. G. glaubt, daß durch ein entzündliches Exsudat 
ein Druckschwund des oberen Pfannenrandes eintritt und so eine 
Luxation zustande kommt. Es wäre noch die Möglichkeit einer 
congenitalen Anlage vorhanden, doch glaubt er nicht recht an 
diese Prädisposition. Quo ad therapiam wird man in frischen Fällen 
mit Streckverband nach unblutiger Reposition, in .alten wohl nur 
mit blutiger Reposition, Bildung einer neuen Pfanne, eventuell 
Resection auskommen. 

KÜMMEL (Hamburg) stellt einen Fall von UiRSCH- 
sPRUNG’scher Krankheit vor, eine im Kindesalter auftretende 
chronische Obstipation , die durch zu langes S romanum auftreten 
soll. Es handelte sich um einen kleinen Knaben, dessen Obstipation 
fast bis zum Ileus sich steigerte. Die Operation zeigte ein enorm 
ausgedehntes Colon descendens mit Wucherungen bedeckt, aber ohne 
irgend ein mechanisches Hinderniß. Die Bauchhöhle wurde ohne 
weiteren Eingriff geschlossen und es ist langsam Heilung eingetreten. 

In einem zweiten Fall war auch ein Error diagnosticus Ur¬ 
sache des operativen Eingriffs gewesen. Bei einem 10jährigen Mäd¬ 
chen war ein Riesentumor zu fühlen, Ileuserscheinungen. Die Lapa¬ 
rotomie zeigte eiu sackförmiges mit Kothmassen gefülltes Colon 
descendens. Die Operation war ohne Erfolg. Die Fäces klebten fest 
an der Schleimhaut des Darmes. 

Rehn (Frankfurt a. M.) hat auch in zwei Fällen hei der Operation 
nichts Anderes gefunden als die kolossal ausgedehnten Darmschlingen, und hat 
schließlich durch hohes Einlegen eines Darmrohres Heilung erzielt. 

BrÖSICKE (Berlin) demonstrirt eine Collection von 
Bänder- und Schleimbeutelmodellen, mit denen er zeigt, 
daß es eine ganze Anzahl von Schleimbeuteln mehr gibt, als man 
gewöhnlich anzunehmen pflegt. 

Kuhn (Cassel): I. Tetanus nach Gelatine-Injection. 

Bei einem Knaben, der als Bluter galt, wurden adenoide 
Wucherungen im Rachen entfernt. Als am Abend die Blutung nicht 
stand, wurde in der Apotheke sterilisirte Gelatine injicirt. Bald 
wurde die Einstichstelle gangränös, am anderen Morgen trat 
Trismus, am Nachmittag allgemeiner Tetanus auf, dem der Exitus 
folgte. Die Kaninchenversuche ergaben zweifellos, daß die Injections- 
stelle die Eintrittspforte des Tetanus war. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 14. 


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2. Zur Frage der Transplantation zeigt K. einen Tüll¬ 
stoff, den er schon im „Centralblatt“ beschrieben hat, der die Läpp¬ 
chen in ihrer Lage hält. 

Vogel (Eisleben) empfiehlt die Anwendung von Schleiertüll zum Fest¬ 
halten der Läppchen, der es ermöglicht, früher und unter weniger günstigen 
Umständen zu operiren. 

Heile (Breslau): Experimentelles zur Frage der Operations¬ 
handschuhe nebst Beiträgen zur Bedeutung der Luftinfection. 

Seine Versuche an Kaninchen resultirten zu Gunsten der 
Operationshandschuhe. Demonstration verbesserter Handschuhe. Seine 
ferneren Untersuchungen über den Keimgehalt der Luft ergaben, 
daß fast alle Keime erst durch die in den Operationssaal hinein¬ 
kommenden Zuschauer aufgewirbelt, respective hineingebracht werden. 
Bei eitrigen Operationen soll man prophylaktisch Gummihandschuhe 
anziehen. An seinen Händen konnte er noch 3 Tage nach vielfacher 
Desinfection Bacillus prodigiosus nachweisen. 

Jerusalem (Wien): Zur Aetiologie und Therapie des Erysipels. 

Bei dem Studium von 1000 Erysipelfällen, die J. in diesem 
Jahre im Wiener Franz Joseph-Spital beobachtet hat, ist ihm auf¬ 
gefallen, daß in 28 Fällen bei Frauen, die häufig Recidive bekamen, 
diese stets zugleich mit der Menstruation auftraten. Darauf hat er 
nun vielfach Untersuchungen gemacht, wo auch bei Amenorrhoe 
Gesichtserysipel auftrat, und fand in allen Fällen bei Besichtigung 
der Nasenhöhle den FLiESs’schen Genitalpunkt an der unteren 
Muschel und schloß daraus, daß auch hier das Erysipel im Zusammen¬ 
hang mit der Zeit der Menstruation stand. Aber auch bei Männern 
fand er den FLiESS’sehen Typus, wo er das recidivirende Erysipel 
nach 23 Tagen (der Fliess’ sehen hypothetischen Periode der Männer) 
auftreten sah. Die Behandlung bestand in Thermophor-Compressen, 
die besonders die Schmerzen schnell stillten und, wie er glaubt, 
beim Extremitäten-Erysipel Phlegmonenbildung verhüteten. 

Bade (Hannover): Ueberdas modellirende Redressement schwerer 
Scoliosen. 

B. gypst in den Verband eine Pelotte mit ein zum besseren 
Redressement des Buckels. Zur Nachbehandlung empfiehlt er das 
SCHEDE’sche Aluminiumcorset. 


Standesfragen. 

Die Verelendung des ärztlichen Standes in 
ihren Beziehungen zu den Krankencassen und 
der freien Arztwahl. 

Von Dr. Fritz Hartwig in Wien.*) 

I. 

Die Nachtheile des heutigen Zwangsarztsystems der 
Krankencassen für den ärztlichen Stand. 

Die Nothlage der praktischen Aerzte Oesterreichs, besonders 
die der Großstädte, wächst von Tag zu Tag in gleichem Maße, 
wie ihr Ansehen und ihre früher so geachtete Stellung in den 
Augen der Bevölkerung sinkt. Es gibt leider recht viele Gründe 
für diese Erscheinung: die Ueberproduction von Aerzten und als 
Folge hievon das Mißverhältniß zwischen Angebot und Nachfrage, 
die Auswüchse des Specialistenthums, der Mißbrauch der unentgelt¬ 
lichen Ambulatorien, das Ueberhandnehmen des Curpfuscherthums 
infolge der Nachsicht der Behörden, die Fortschritte der öffentlichen 
Hygiene und das damit Hand in Hand gehende Sinken der Frequenz 
der Infectionserkrankungen u. s. w. Mit den genannten Dingen 
soll dieser Artikel sich nicht beschäftigen ; schließlich sind die ange¬ 
führten Gründe in ihrer Mehrheit doch nicht die Hauptursache des 
rapiden Niederganges des ärztlichen Standes, sondern diese liegt 
vorwiegend in der Entwickelung des modernen Krankencassenwesens. 
Wenn wir in der Geschichte der Leiden des ärztlichen Standes 
zurückgehen, so finden wir den Beginn der heutigen Misere der 
praktischen Aerzte zusammenfallen mit der Gründung und dem 
stetigen Wachsthum der Krankencassen. Bis zu dieser Zeit war 

*) Referat, erstattet im ärztlich, n Verein der südlichen Bezirke Wiens. 


die materielle Lage des ärztlichen Standes relativ günstig, sein An¬ 
sehen in der Bevölkerung ungeschmälert. 

Wie Ruinen ragen aus dieser Zeit zu uns die Typen jener 
heute schon bejahrten praktischen Aerzte herüber, denen e3 aus¬ 
nahmslos gut ging, von denen es sogar einem großen Theil gelang, 
sich zur Sicherung ihrer alten Tage einen mehr oJer minder großen 
Sparpfennig zu erübrigen. 

Wie kläglich sieht es dagegen jetzt unter den praktischen 
Aerzten aus! Die vormals reiche Praxis der älteren Aerzte bröckelt 
seit Jahren langsam ab und dennoch sind die Jungen, die Anfänger 
trotz mehrjähriger Spitals- und specialistischer Ausbildung kaum 
imstande, sich ein kärgliches tägliches Brot zu erkämpfen. 

Der Grund dieser bedauernswerthen Erscheinung liegt in dem 
System der heutigen Krankencassen, resp. in dem Gesetz über die 
Errichtung derselben, das seinerzeit (1888) im Parlamente ohne 
Befragung und Einverstäudniß der praktischen Aerzte beschlossen 
wurde, trotzdem die praktischen Aerzte sowohl bei der Ein- als 
bei der Durchführung des Krankencassengesetzes die wichtigsten 
Factoren waren, ohne deren thätige und selbstlose Mitarbeit es nie 
möglich gewesen wäre, das Gesetz iu Kraft treten zu lassen. 

Zwei Umstände vornehmlich sind es, welche die jetzige Noth¬ 
lage unter den Aerzten hervorgerufen haben; der eine Umstand 
ist der, daß die Krankencassen sich centralisirt und zu großen 
Verbänden zusammengeschlossen haben, die als organisirte Arbeits¬ 
geber dem einzelnen Arzte gegenüberstehen. Die nächste Folge 
davon war ihre Uebermacht gegenüber den Aerzten; in demselben 
Maße, als die Zahl der praktischen Aerzte stieg, sanken die Be¬ 
zahlungen und die Bedingungen, unter denen Aerzte sich zu Cassen- 
ärzten creiren ließen; und als trauriger Auswuchs der wirtschaft¬ 
lichen Nothlage des Aerztestandes zeigte sich eine unter Aerzten 
unerhörte Erscheinung zum erstenmale, die Minuendolicitation. Und 
wie die Macht der Ca6sen wuchs, so wuchsen ungerechtfertigte 
Drang8alirungen, muthwillige Entlassungen von Cassenärzten, die 
als einzelne nirgends einen Schutz gegen den Uebermuth der 
Cassen fanden; Corruptions- und Protectionswesen unwürdigster 
Art bei Besetzung von Cassenarztstellen, die nicht dem Würdigsten, 
sondern dem Protectionskinde verliehen wurden, machten den Cassen- 
arzt vollends zu einem Paria. 

Aber noch ein zweiter, bisher zu wenig beachteter Umstand 
war es, der die Lage der Aerzte unerträglich gestaltete; es war 
die durch das Gesetz leider vorgesehene Schaffung von pauscha- 
lirten Cassenarztstellungen. 

Egoistisch und kurzsichtig, wie alle unsere Regierungen und 
Parlamente, war man seinerzeit zwar bedacht, sociale Reformen zu 
Gunsten der arbeitenden Classen in das öffentliche Leben einzu¬ 
führen ; da aber Niemand willens war, ein nennenswerthes Opfer 
für diese schönen Reformen zu bringen, so lud man diese Lasten 
einfach auf die Schultern des ärztlichen Standes ab, der ohne 
Standesvertretung, ohne Organisation und Wortführer, gespalten 
und zersplittert in unzählige kleine Fractionen, unfähig war, sich 
zu vertheidigen. 

Und so war es jedem einzelnen Arzte überlassen, sich mit 
den Cassen bezüglich seines Honorares und seiner Stellung so gut 
oder schlecht abzufinden, wie er wollte oder — konnte. 

Die finanziell anfangs schwach dotirten Cassen, die über¬ 
dies durch einen gesetzlich statuirten 20%igen Abzug ihres 
Einkommens zwecks Erhaltung und Stärkung ihrer Reservefondc 
belastet waren, machten sich die Sache ziemlich einfach, indem 
sie einerseits auf den bekannten Opfermuth, die Leichtgläubigkeit 
und geschäftliche Unerfahrenheit der praktischen Aerzte speculirten, 
anderseits sich der durch die Ueberproduction bis in das Maßlose 
gesteigerten Coucurrenz unter den Aerzten bedienten, um die cassen- 
ärztlichen Stellen mit Honoraren zu pauschalircn, gegen die die 
Bezahlung eines Dienstmannes eine goldene zu nennen wäre. 

Zur Erleichterung der Erlangung ärztlicher Hilfe für ihre 
Mitglieder theilten die Krankencassen das ihnen zugewiesene Ge¬ 
biet in Rayons, deren je einer einem Cassenarzt mit der Ver¬ 
pflichtung, darin zu wohnen, zugewiesen wurde. Dank der Spar¬ 
samkeit der Cassen waren diese Rayons in den Großstädten, be¬ 
sonders in Wien, bis auf den heutigen Tag zu groß, ihr Mitglieder- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 14 


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stand bis heute jederzeit zu hoch, als daß ein einziger Arzt trotz 
der höchsten Anspannung seiner Kräfte je imstande gewesen wäre, 
seinen Pflichten als Arzt dem ^tatsächlichen Bedürfniß gemäß 
nachzukommen, besonders da ihn die miserable Bezahlung seines 
Postens zwang, in der Privatpraxis seinen Haupterwerb zu suchen. 
Rayonsärzte der verschiedenen großen Krankencassen mit 6000 bis 
8000 Mitgliederstand, 1000—1500 jährlichem Krankenstand, einer 
täglichen Ambulanz von 50—80 Personen und 15—40 täglichen häus¬ 
lichen Visiten sind auch heute noch inWien keine allzugroße Seltenheit. 
Rechnet man hinzu die Ueberbtirdung der bedauernswerthen Cassen- 
ärzte mit Schreibarbeit, so kann sich jeder denken, wie präcäse 
und individualisirend eine derartige Arbeit sein kann. Die Nachtheile 
eines derartigen Systems für den Kranken, sowie für den einzelnen 
betroffenen Arzt zu erörtern, ist hier nicht unsere Sache; um¬ 
somehr interessiren uns die Nachtheile dieses Systems für den 
gesammten ärztlichen Stand. 

Der ärgste Nachtheil ist wohl der, daß durch das Zwangs¬ 
arztsystem die freie Concurrenz von vorneherein gewaltig beein¬ 
trächtigt wird. Vor Einführung der Krankencassen konnte sich 
ein junger Arzt in jedem ihm gefallenden Stadttheil niederlassen. 
Und hatte er anfangs auch nichts zu thun, der Zufall brachte ihm 
die Behandlung eines Dienstboten, eines Hausmeisters, eines kleinen 
Gewerbsmannes oder sonstigen minder bemittelten Patienten; so 
hatte er Gelegenheit, seine Kunst, sein Wissen, seine Geschicklich¬ 
keit zu zeigen und zu üben und fand meist bald den Weg in 
bessere und reichere Familien. Diesen Zufall hat das Krankencassen- 
wesen nahezu gänzlich ausgeschaltet; jeder versicherte Kranke 
untersteht zwangsweise der Behandlung seines Rayousarztes, bei 
Unglücksfällen holt man die Rettungsgesellschaft, in der höchsten 
Notli, wenn der Cassenarzt nicht zu haben ist, auch manchmal 
den praktischen Arzt, auf dessen Bezahlung man häufig gerne ver¬ 
gißt und der immer mit dieser einen Visite abgefertigt ist. 

Ein weiterer Nachtheil für die praktischen Aerzte ist der, 
daß durch die Besetzung erledigter oder neucreirter Cassenarzt- 
stellen immer wieder neue Concurrenz von außen in einen 
Rayon geworfen wird, der gewöhnlich schon bei normalen Verhält¬ 
nissen die in ihm wohnenden Aerzte kaum zu ernähren vermochte; 
denn es werden (besonders in Wien) solche Posten fast immer ohne 
öffentliche Ausschreibung, nicht etwa mit schon im Rayon ansässigen 
praktischen Aerzten besetzt, auch wenn diese allen geforderten Be¬ 
dingungen entsprechen, sondern mit neuen, meist jungen, soeben 
das Spital verlassenden Kräften, so daß die sogenannte „freie 
Concurrenz“ der praktischen Aerzte nicht dem freien Willen der 
Aerzte überlassen bleibt, sondern dem Gutdünken, der Laune und 
dem Eigennutz irgend eines Cassenmachthabers ausgeliefert ist. 

(Schluß folgt.) 


Notizen. 

Wien, 5. April 1902. 

(K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien.) In der 
gestrigen Sitzung stellte zunächst Reg.-A. Dr. Fein 2 Fälle vor, 
bei welchen er die Behandlung der Sattelnase durch 
Vaselininjectionen nach Gersuny mit vorzüglichem cos- 
metischen Effecte durchgeführt hat. In der Discussion bemerkte 
Doc. Dr. Matzenaüer, daß das cosmetische Resultat sich nach 
1 —2 Jahren zu verschlechtern pflege, Prof. Dr. Ehrmann meinte, 
daß dies nur dann der Fall sei, wenn die Injectionsmasse im 
Wirkungsbereiche der mimischen Muskeln deponirt werde, und 
Dr. Weil empfahl als zweckmäßige Injectionsmasse ein bei 40° 
schmelzendes Gemisch von weißer Vaseline und Hartparaffin. — 
Hierauf sprach Doc. Dr. Karl Ullmann über die Wirkungen 
constanter höherer Wärme auf verschiedene Krank- 
hcitsprocesse. Als Wärmeträger wurde Wasser benützt, welches 
in einem vom Vortr. construirten Hydrothermoregulator in constanter 
Temperatur erhalten wird. Der Apparat besteht aus einem Wasser¬ 
behälter, der durch eine selbstthätig regulirbare Gasheizung erwärmt 
wird und aus welchem das Wasser vermittelst eines kleinen Ileiß- 
luftmotors in verschieden geformte Wärmekörper (Thormotlcu) 


gelangt, die auf der erkrankten Stelle durch 2 — 3 Stunden liegen 
bleiben. Der Wärmegrad des die Thermoden durchfließenden 
Wassers kann bei der Application auf die äußere Haut bis 41‘5°, 
bei Schleimhäuten bis 45° betragen. Bisher hat sich die constante 
Wärmebehandlung bei Ulcus veuereum, lange dauernden Eiterungs¬ 
processen, gonorrhoischen Gclenkserkrankangen, Epididymitis und 
besonders bei inveterirten Fällen mit harter Infiltration bewährt. 
Die Wärme dringt bei dieser Applicationsform tief in die Gewebe 
ein. — In der Discussion bemerkte Prof. Dr. M. v. Zeissl , daß 
die Tiefenwirkung der Wärme durch die Untersuchungsmethode 
U.’s nicht erwiesen sei. 

(Wiener medicinische Facultät.) In dem soeben zur 
Ausgabe gelangten Lectionskatalog für das Sommersemester 
1902 werden an der medicinischen Facultät 304 Vorlesungen und 
Curse (gegen 286 im Sommersemester 1901) angekündigt, die von 
26 (28) ordentlichen, 46 (46) außerordentlichen Professoren und 
111 (103) Privatdocenten und Assistenten gelesen werden. Auf die 
einzelnen Disciplinen vertheilen sich die angekündigten Collegien 
wie folgt : 


D i s c i p 1 i n 

Vor¬ 

lesungen 

0. Prof. 

A. o. Prof. 

Privat¬ 
docenten u. 
Assistenten 

Geschichte d. Medicin . . . 

2 

_ 

_ 

2 

Anatomie. 

7 

2 

1 


Physiologie. 

13 

2 

- 3 

2 

Allg. Patliol. u. path. Anatomie 

18 

2 

4 

2 

Heilmittellehre. 

9 

1 

— 

2 

Interne Medicin. 

66 

4 

9 

36 

Chirurgie. 

40 

2 

5 

17 

Ohrenheilkunde. 

17 

1 

1 

6 

Augenheilkunde. 

30 

2 

4 

9 

Gynäkologie u. Pädiatrik . . 

39 

3 

8 

19 

Hautkrankheiten u. Syphilis . 

21 

2 

5 

5 

Psychiatrie. 

18 

2 

2 

6 

Staatsarzneikunde u. Hygiene 

13 

2 

2 

3 

Angewandte med. Chemie . . 

10 

1 

1 

2 

Veterinärkunde. 

1 

— 

1 

— 

Summe . . . 

| 

304 

26 

46 

111 


Nicht lesen werden : 5 außerordentliche Professoren und 3 Privat¬ 
docenten. — Der summarischen Uebersicht der im Wintersemester 
1901/1902 an der Wiener Universität inscribirten ordentlichen und 
außerordentlichen Hörer entnehmen wir, daß die Zahl der in diesem 
Semester inscribirteh Mediciner 2015 (1123 ordentliche Hörer, 
19 ordentliche Hörerinnen, 172 außerordentliche Hörer, 692 Fre¬ 
quentanten, 8 Hospitantinnen) betrug, was 26’4°/ 0 aller an der 
Wiener Universität Inscribirten gleichkommt. — Diese Ziffern be¬ 
deuten eine neuerliche Abnahme der Zahl der Studirenden der 
Medicin, und zwar bezüglich der ordentlichen Hörer um 55, der 
Frequentanten um 24, der Hospitantinnen um 17, während die 
Zahl der außerordentlichen Hörer um 38. die der ordentlichen 
Hörerinnen um 9 zugenommen hat. 

(Uni versi tätsnachric hten.) Durch kais. Verordnung 
vom 24. März ist genehmigt worden, daß allen in den letzten 
Jahren mit dem Hofrathstitel ausgezeichneten Hochschulprofessoren 
auch der Charakter von Hofräthen zuerkannt werde, und soll auch 
in Zukunft dieser Vorgang eingehalten werden. Damit werden die 
Hochschulprofessoren anderen Hofräthen gleichgestellt, und für die 
Witwen und Waisen der Professoren hat diese Aenderung den Vor- 
theil, daß sie in den charaktermäßigen Bezug der Pension nach 
der höheren Rangsclasse treten. — Der a. o. Prof. Dr. Karl Cho- 
dounsky ist zum o. Professor der Pharmakologie und Pharmako¬ 
gnosie an der böhmischen Universität in Prag ernannt worden. 

(Mährische Aerztekammer.) Die mährische Aerzte- 
kammer hat — wie wir dem „Oest.-Aerrztekammer-Bl.“ entnehmen — 
vor zwei Jahren einen Recurs an das Ministerium gerichtet, 
welcher sich um die Aufnahme einer Bestimmung in die Standes- 
ordnung hinsichtlich der Annahme pauschalirter Aerztestellen drehte ; 
derselbe ist nun abschlägig entschieden worden, nachdem kurz zu¬ 
vor in derselben Angelegenheit eine abschlägige Entscheidung an 
die Kärntner Kammer von Seite des Verwaltungsgerichtshofes er- 
flossen war. Letztere Kammer erklärt, dessenungeachtet an dem 
Principe der freien Aerztewahl festhalten zu wollen. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 14. 


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(Eine Compatibil itä ts frage.) In der steiermärkischen 
Aerztekammer erstattete am 18. v. M. der Präsident folgende Mit¬ 
theilung: Die steiermärkische Statthalterei hat die Anfrage eines 
Arztes, ob die Stelle eines k. k. Bezirksarztes mit der Stelle 
eines Gemeinde- und Bahnarztes vereinbar sei, dahin erledigt, daß 
dem Amtsärzte die provisorische Bekleidung der Stelle eines Ge¬ 
meindearztes gestattet wurde, weil die betreffende Gemeinde bisher 
einen ihren Ansprüchen entsprechenden Gemeindearzt im Wege der 
Concnrsansschreibung, welche auch künftighin zu erneuern sein 
wird, nicht erlangt hat. Da es für die Sanitätspflege zweifellos vor- 
theilhafter ist, wenn die Stelle eines Gemeindearztes provisorisch 
vom Bezirksarzte versehen wird, als wenn dieselbe unbesetzt wäre, 
ist die Statthalterei nicht in der Lage, im Gegenstände eine andere 
Verfügung zu treffen. Hinsichtlich der Verseilung des bahnärztlichen 
Dienstes ist eine Fflichtencollision aber nicht zu gewärtigen, weil 
sich dieser Dienst nur auf die ärztliche Behandlung des erkrankten 
Personales erstreckt und die Ausübung der Privatpraxis den Amts¬ 
ärzten gestattet ist. 

(Der II. internationale Congreß für Elektro¬ 
therapie und Radiographie) wird vom 1. bis6. September 1. J. 
zu Bern abgehalten werden. Folgende Fragen stehen zur Discus- 
sion auf der Tagesordnung: 1. Der gegenwärtige Stand der Elektro- 
diagnostik : Ci.uzet (Toulouse), Mann (Breslau). 2. Die chirurgische 
Elektrolyse : Guili.OZ (Nancy). 3. Die Radiographie und die Radio¬ 
skopie der inneren Organe : Beclere (Paris), Grdnmach (Berlin). 
5. Die von den X-Strahlen verursachten Unglücksfälle: Oödin 
(Paris). 5. Die Gefahren der industriellen Starkströme: Batteli (Genf). 

(Der Kranken verein der Aerzte Wiens) hielt jyn 
20. März 1. J. unter Vorsitz seines Obmanns Dr. Adolf KleIn 
soine IX. General-Versammlung ab, welche von zahlreichen Mit 
gliedern besucht war. Der finanzielle Bericht, welcher bei einem 
Stande von 432 Mitgliedern ein Vermögen von 94.991 Kronen 
63 Heller ausweist, trotzdem im Berichtsjahre 9336 Kronen an Kran¬ 
kengeldern und 1800 Kronen an Leichenkosten ausbezahlt worden 
sind, wurde von der Versammlung billigend zur Kenntniß genommen 
und dem Cassier das Absolutorium ertheilt. Die vorgenommene 
Neuwahl der Vereinsfunctionäre ergab eine Wiederwahl der ge¬ 
wesenen Leitung. Die aus dem sehr günstigen fiuanziellen Stande 
des Vereines resultirenden Wünsche vieler Mitglieder, bezüglich 
der Ein- und Auszahlungen günstigere Verhältnisse zu schaffen, 
fanden in mehreren Anträgen ihren Ansdruck, welche dem Aus 
schusse zum Studium empfohlen wurden. Gleichzeitig wurde jedoch 
der Beschluß gefaßt, daß bis längstens 15. Mai zur Berathung über 
diese Anträge eine außerordentliche Generalversammlung einbe¬ 
rufen werde. Schließlich wurde dem Vorstande und dem Ausschüsse 
der wohlverdiente Dank ausgesprochen. 

(Aus London) wird uns geschrieben: Das Royal College 
of Physicians in London hat gemeinsam mit dem Royal College 
of Surgeons den Plan eines Feldzuges gegen die Kreb skr an k- 
h e i t ausgearbeitet, zu dessen Ausführung 2 Millionen Mark noth- 
wendig sein werden. Da der König und der Prinz von Wales dem 
Unternehmen ihre Unterstützung zugesagt haben, werden sich die 
hohen Kosten der Verwirklichung wohl decken lassen. 

(Statistik.) Vom 23. bis inclusive 29. März 1902 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 7315 Personen behandelt. Hievon wurden 1714 
entlassen; 175 sind gestorben (9 3% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 76, egypt. 
Augenentzündung 2, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 2, Dysen¬ 
terie —, Blattern —, Varicellen 116, Scharlach 105, Masern 434, Keuchhusten 78, 
Rothlauf 42, Wochenbettfieber 3, Rötheln 32, Mumps 14, Influenza —, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebro3pin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 759 Personen gestorben 
(-+- 56 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Retz Dr. Matthäus 
Weisswasser, 73 Jahre alt; in Innichen der Inhaber des Wild¬ 
bades Innichen Dr. Johann Scheiber im 80. Lebensjahre; in Sze- 
gesfalu Dr. Bernhard Barna ; in Frankfurt a. M. der Psychiater 
Dr. Georg Langreuter; in Moskau der Neuropathologe Professor 
Dr. Alexei Koshewnikow, 65 Jahre alt; in St. Petersburg der 
Professor für Geburtshilfe, Frauen- und Kinderkrankheiten Doctor 
J. Lazauewitsch im 73. Lebensjahre. 


Wie uns aus Rohitsch-Sauerbrunn geschrieben wird, ist mit dem Ver" 
sandt der frischen „1902er Füllung der renommirten Styria und Tempel-Quelle' 
bereits begonnen worden. Die „Slyiia-Quelle“ eignet sich besonders als Heil¬ 
wasser bei allen Krankheiten des Magens: Catarrhus ventricnli, Ulcus ven- 
tricnli, Gastralgie, Gasfrektasie; des Darmes: Enteritis eatarrhalis, Ohstipation, 
Hämorrhoiden; der Leber: Icterus; der Niere: Morbus Brightii bei Gallen¬ 
steinen, Zuckerharnrubr (Diabetes mellitus), Blasenkatarrhen, Fettleibigkeit, 
liarnsaurer Diathese und Gicht, bei ka'arrhalischen Affectionen der Luftwege 
und bat sich seit Jahrzehnten auf das glänzendste bewährt. Von einem hervor¬ 
ragenden Vertreter dir internen Medicin Wiens wird die Styria-Quelle in 
jei en Fällen, wo es sich um nervöse Individuen handelt, selbst den Karlsbader 
Quellen vorgezoflen. Prof. Ehrendorfer in Innsbruck hat die „Styria-Quelle“ 
wiederholt mit gutem Erfolge bei „mit Blasenbeschwerden verbundenen Unter¬ 
leibserkrankungen der Frauen“ angewendet. 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Brann. 


Mit dieser Nummer versenden wir einen Separatabdruck 
aus der „Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäk.“, Bd. XV, H. 1, 

„Ueber eine neue Leibbinde und deren Wirkungsweise.“ Von 
Dr. Wilhelm Ostertag, Arzt in Barmen. Wir empfehlen den¬ 
selben der geneigten Beachtung unsrer Leser. 


Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
Postversendnng. Die Preise der Einbanddecken sind folgende: für die „MdI. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
„Therapie der Gegenwart“: AT1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Postversendung. 


Die Rubrik: „Erledigungen, ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 


MB* Wir empfehlen diese Rubrik der speciellen Beachtung unserer 
geehrten Leser; in derselben werden öfters — neben der Publication von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auch für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein können, welche an eine 
Aenderung des Domioils oder ihrer Verhältnisse nicht gedacht haben. -3MI 


Herr M. U. DF. R. Fischt, Privatdocent für Kinderheilkunde 
der deutschen medicinischen Faeultät der k. k. Karl Ferdinands- 
Universität zu Prag, schreibt den 25. November 1897 : 

„Die mit „Kufeke-Mehl u von mir augestellten Versuche sind 
sehr befriedigend ausgefallen. Ich habe dasselbe als Beikost in 
Form von Stippen und Brei, sowie als Zusatz zur Milch verwendet. 
Außerdem nahm ich Gelegenheit, einzelne Kinder wegen Dick- 
dar mkatarrh temporär mit wässerigen Abkochungen des Präpa¬ 
rates zu ernähren, ln allen Fällen war der Erfolg ein vollständig 
entsprechender, und hatte ich namentlich auch nicht so intensive 
Obstipationen zu verzeichnen, wie sic bei a n d e r e n Kinde r- 
m eh len eine unvermeidliche und schwer zu beseitigende Er¬ 
scheinung bilden.“ 

Waare zu Versuchszwecken steht den Herren Aerzten gratis 
franco zur Verfügung. 

R. Kufcke, Wien, I., Nibelungengasse 8. 



ÄPENTÄ 


Eigonthümerin der Quellen: „A l’ENTA' ACT 1 EN GES ELLSO H A FT, Budapest. 
Bel Apothekern, Drogisten ud IW ; neral*asser-Händlern, In ganzen und halben Fliec'ien. — 

Aualy?c lind fachmännische Berichte erhältlich in den Miueralwasserhanillni.gcn rt.c. 
(iiatispio'jon den Herren. Aerz en franco zur Verfügung. 


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Wien, den 13. April 1902. 


XLIH. Jahrgang. 


Nr. 15. 


Die „Wiener Medizinische Presse" erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik', letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
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Medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Redaction: Telephon Nr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

--OS8*- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 

Administration: Telephon Nr. 9104. 


INHALT: Originalien nnd klinische Vorlesnngen. Ophthalmologische Mittheilungen ans der Praxis. Von Dr. Maximilian Bondi, emer. I. Assistenten an 
der I. Universitäts-Augenklinik in Wien, derzeit Augenarzt in Jglau. — Die physikalische und medicamentöse Therapie des Diabetes mellitus. Von 
Docent Dr. Alois Strasser. — Referate. W. A. Frf.ünd (Berlin): Thoraxanomalien als Prädisposition zu Lungenphthise und -Emphysem. — 
Grioorjans : Alopecia areata als Trophoneurose der Haut. — Chabpentieb (Paris): Die Zahnfleischerkrankungen Schwangerer.— Gossner (Branden¬ 
burg): Purpura liaemorrhagica bei Genitaltuberculose. — J. A. ämann jnn. (München): Die abdominale Totalexstirpation bei completer Uterus- 
ruptur. — Speiser (Berlin): Ueber die Prognose der Nervennaht. — T. Hondo (Berlin): Zur Frage der Substitution des Chlors durch Brom. — 
H. Singer (Elberfeld): Ueber den Einfluß des Aspirins anf die Darmfäulniß. — Janowski (Warschau): Ueber den praktischen Werth der neueren 
Methoden der Blutuntersuchung. — Jassniger (Budapest): Der Pneumococcus Fkiedländer als Erreger der eitrigen Meningitis cerebrospinalis. — 
Nakanishi (Kyoto, Japan): Ueber den Bau der Bakterien. — Messineo und Calamida (Turin) : Ueber das Gift der Tänien. — Brion (Straßburg): 
Cholecystitis typhosa mit Typhusbacillen. — Kleine Hitthellnngen. Hyperemesis gravidarum. — Injection von Hydrargyrum salicylicum bei 
ulceröser Elephantiasis. — Eine interne Behandlung der adenoiden Vegetationen. — Quecksilberbehandlung von Tabeskranken. — Beruhigungs¬ 
mittel bei Schmerzen. — Locale Application des Heroinum hydrochloricum. — Behandlung der Gallensteinkolik mit kleineren, aber häufigen 
Jodkaliumdosen. — Eisen- und Nährmitteltherapie. — Behandlung der Leukoplakia lmcco-lingualis. — Literarische Anzeigen. Atlas der Geistes¬ 
krankheiten im Anschluß an Sommeh’s Diagnostik der Geisteskrankheiten von Dr. A. Alber. — Handbuch der physikalischen Therapie. Unter 
Mitwirkung zahlreicher Fachgenossen herausgegeben von Dr. A. Goldscheider, a. o. Professor in Berlin, und Dr. Paul Jacob, Privatdocent in Berlin. — 
Verhandlungen ärztlicher Vereine. 31. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. (Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der 
Deutschen med. Fachpresse“.) I. — Aus medicinischen Gesellschaften Deutschlands. (Orig.-Ber.) — K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 
(Orig.-Ber.) — Standesfragen. Die Verelendung des ärztlichen Standes in ihren Beziehungen zu den Krankencassen und der freien Arztwahl. 
Von Dr. Fritz Hartwig in Wien. I. Die Nachtheile des heutigen Zwangsarztsystems der Krankencassen für den ärztlichen Stand. — Notizen. — 
Neue Literatur. — Elrigeseüdet. —’ öffece Cörrespondenz der Redactiön und Administration. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. * 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse “ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 


Ophthalmologische Mittheilungen aus der 

Praxis. 


Von Dr. Maximilian Bondi, emer. I. Assistenten an der 
I. Universitäts-Augenklinik in Wien, derzeit Augenarzt in Iglau. 


In den folgenden Zeilen soll über zwei Erkrankungs¬ 
formen berichtet werden, welche beide, obgleich nur ver- 
hältnißmäßig selten vorkommend, dennoch für jeden Praktiker 
von Interesse sein dürften. Im ersten Falle handelt es sich 
um eine während der Lactation aufgetretene Erblindung 
mit Ausgang in Heilung, im zweiten Falle um eine acute 
Thränendrüsenentzündung. Während der erste Fall in pro¬ 
gnostischer Hinsicht von besonderer Wichtigkeit ist, tritt 
beim zweiten Falle die diagnostische Seite mehr in den 
Vordergrund. 


I. Lactationsneuritis. 

Erkrankungen des Sehorganes während der Lactations- 
periode wurden bereits lange Zeit vor Anwendung des Augen¬ 
spiegels beobachtet. So hat schon Carron du Villard in seinem 
im Jahre 1838 erschienenen Lehrbuche unter den Ursachen 
der Amaurose auch die Lactation angeführt. Die Ursache 
dieser „Amaurose“ konnte aber erst mit Hilfe des Augen¬ 
spiegels festgestellt werden. Seit dieser Zeit wissen wir, daß 
ein Theil der während der Lactation zur Beobachtung ge¬ 
langenden Erkrankungen des Sehorganes auf Erkrankungen 
des Sehnerven zurückzuführen sind. Die Erkrankung befällt so¬ 
wohl ein Auge als auch beide Augen. Bei sonst gesunden Frauen 


treten zuweilen während der Milchabsonderung Sehstörungen 
auf, welche von leichter Schwachsichtigkeit an bis zur völligen 
Erblindung alle Grade durchlaufen können. In den meisten 
Fällen wurde eine intraretineale Neuritis optica beobachtet, 
doch linden sich in der Literatur auch Fälle von retrobulbärer 
Neuritis angeführt. 

Es ist auffallend, daß bisher verhältnißmäßig wenig 
Fälle zur Veröffentlichung gelangten. Femmer hat in seiner 
1901 erschienenen Inaugural-Dissertation 14 Fälle aus der 
Literatur zusammengestellt, darunter 5 Fälle von Nettleship, 
4 Falle von Heinzel, ferner Fälle von Schanz, Rogmann, 
Axenfeld und Schmidt-Rimpler. Ich will nun durch Ver¬ 
öffentlichung eines neuen Falles von Lactationsneuritis einen 
weiteren Beitrag liefern, welcher das bereits so ziemlich fest¬ 
stehende Krankheitsbild der Lactationsneuritis bestätigt. 

Am 8. October v. J. wurde die 26jährige Cigarrenfabriks¬ 
arbeiterin A. P. von ihrem Vater in meine Sprechstunde gebracht, 
mit der Angabe, daß sie auf dem rechten Auge vollständig, auf 
dem linken Auge nahezu vollständig erblindet sei. Die erste Seh¬ 
störung machte sich ungefähr 4 Wochen vorher bemerkbar, und 
zwar trat allmäliger Verfall der Sehschärfe des linken Auges ein, 
ohne daß änßerlich Veränderungen am Auge wahrgenommen werden 
konnten. Ungefähr 14 Tage nach Erkrankung des linken Auges 
trat auch am rechten Auge eine stetig fortschreitende Abnahme 
des Sehvermögens ein, so daß zur Zeit die Sehschärfe des rechten 
Auges viel schlechter sei als die des ohnehin bereits geschwächten 
linken Auges. In den letzten 14 Tagen bestanden auch stärkere 
Kopfschmerzen, sowie Schmerzen in den Augenhöhlen; seit dieser 
Zeit ist Pat. vollkommen arbeitsunfähig. Pat. soll früher stets gut, 
sowohl in die Ferne, als auch in die Nähe gesehen haben, und 
früher auch nie augenkrank gewesen sein. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 15. 


C92 


Pat. hat zweimal geboren, das letztemal vor 7 Monaten ; 
der Gebartsverlauf, sowie das Wochenbett waren normal. Noch 
vor einer Woche stillte Pat. selbst ihr Kind; seit dem Absetzen 
des Kindes soll am linken Auge eine Besserung eingetreten sein. 
Lues negirt. Im Harn kein Eiweiß, kein Zucker. 

Status praesens: 

B. A., äußerlich vollkommen normale Verhältnisse. Die linke 
Pupille weiter als die rechte, doch beide prompt reagirend, sowohl 
direct als consensuell. Linse, Glaskörper klar, der Augenhinter¬ 
grund leicht sichtbar. 

Die rechte Papille stark geröthet, ihre medialen Grenzen 
vollkommen verwaschen, die lateralen noch ziemlich erkennbar. 
Die Papille ist im mäßigen Grade, doch deutlich — an der paral- 
lactischen Verschiebung erkennbar — geschwollen. Einzelne, stark 
erweiterte, bezw. neugebildete, kleine Gefäßchen in der Papille. 
An den großen Gefäßen weder in Bezug auf Caliber, noch in 
Bezug auf Verlauf eine Abnormität vorhanden. Der übrige Augen¬ 
hintergrund vollkommen normal, nirgends Blutungen oder Exsudate 
sichtbar. 

Die linke Papille zeigt ebenfalls, doch bereits geringere, ent¬ 
zündliche Veränderungen. 

BR = Fingerzählen auf ■/, Meter j keine Gläserbc8seruDg . 

SL — / 10 J 

Gesichtsfeld und Farbensinn konnten leider mangels Intelligenz 
der Pat. nicht aufgenommen werden, resp. sind die Befunde nicht 
verwerthbar. Auf Grund des Spiegelbefundes war die Diagnose 
einer beiderseitigen Sehnervenentzündung zu stellen. Ueber die 
Aetiologie dieser anscheinend schweren Sehnervenerkrankung wußte 
ich mir anfangs keine Antwort zu geben; die bestehenden Kopf¬ 
schmerzen, sowie die Papillitis hätten am ehesten noch für Tumor 
cerebri gesprochen, umsomehr, als Pat. auch über Schwindel klagte. 
In therapeutischer Hinsicht ließ ich die Pat. das bereits früher vom 
Collegen Dr. Bauer, welcher ebenfalls eine Sehnervenerkrankung 
diagnosticirte, verordnete Jodkalium weiter einnebraen, eine dunkle 
Brille tragen, und bestellte die Pat. für den übernächsten Tag. 
Während der Spiegelbefund keine merkliche Veränderung darbot, 
zeigte dennoch die Sehschärfe eine merkliche Besserung, und zwar 
war am 10. October: 

SR = Finger zählen auf V / 3 Meter. 

SL=Vio? 

Zwei Tage später, am 12. October war: 

SR = Finger zählen auf 3 Meter. 

8L = Vio- 

Diese auffallende und rasche Besserung der Sehschärfe ließ 
mich auf die Vermuthung kommen, daß die Neuritis im Zusammen¬ 
hänge mit der Lactation stehen könne. Ich erinnerte mich eines 
während meiner Assistentenzeit von H einzel veröffentlichten ähn¬ 
lichen Falles, den ich selbst zu sehen Gelegenheit hatte, in welchem 
ebenfalls eine rasche Besserung der Sehschärfe einfrat. Auch merkte 
die Pat. selbst, daß seit dem Aussetzen des Stillens des Kindes die 
Besserung eingetreten sei. Da der Ausgang solcher Lactationsneuri- 
tiden insofern stets ein günstiger ist, als dauernde Erblindung 
nicht zu beobachten ist, ja daß sogar wieder vollkommen normale 
Sehschärfe sich herstellen kann, konnte ich noch vor Ablauf 
der ersten Beobachtungswoche eine günstige Prognose mit größter 
Wahrscheinlichkeit stellen, welche auch, wie die Folge lehrte, 
gerechtfertigt war. Aus dem Decursus seien nur folgende Befunde 
mit Bezug auf die Sehschärfe mitgetheilt: 

Am 14. October SR = Finger auf 4 Meter. 

SL = »/io* 

Am 20. October SR = a /io ? 

SL = Vio • 

Am 23. Obtober SR = */io- 
SL = «/ 10 . 

Am 10. November, also 5 Wochen nach der ersten Unter¬ 
suchung, konnte ich die Pat. als geheilt entlassen, denn es war : 

^ J. 10 ’ | Liest kleinsten Druck fließend. 

SL 8 / 10 . j 


Der Augenhintergrund ergab einen nahezu vollkommen normalen 
Befund. Die Schwellung der Papille war verschwunden, desgleichen 
die Röthung; nur die medialeD Grenzen waren noch unscharf. 

Als ich die Pat. 2 Monate später wieder sah, war der letzte 
Befund unverändert. 

Diese verhältnißmäßig rasche Heilung, kaum 2 Monate 
nach Beginn der Erkrankung, kommt verhältnißmäßig nicht 
allzuhäufig vor, wenn auch der Endausgang, wie bereits 
erwähnt, in der Regel ein sehr günstiger ist. Nur in dem 
Falle von Schmidt-Rimpler konnte bereits nach Verlauf von 
6 Wochen S = 1 constatirt werden, sonst dauerte die Zunahme 
der Besserung der Sehschärfe durchschnittlich mehr als 
3 Monate. 

In der Mehrzahl der zur Veröffentlichung gelangten 
Fälle handelte es sich um Erkrankung beider Augen, und 
zwar in Form der Neuritis n. opt. Nur 4 Fälle einseitiger 
Neuritis sind veröffentlicht, und zwar von Nettleship (1 Fall), 
Schmidt-Rimpler, Heinzel (1 Fall), Axenfeld. Letzterer 
beobachtete die Sehnervenerkrankung in Form der retrobul¬ 
bären Neuritis, während in dem von mir, sowie von den 
meisten übrigen Autoren beobachteten Fällen sich eine leichte 
Papillitis vorfand. Die Sehstörung, welche oft mit gleich¬ 
zeitig bestehenden Kopfschmerzen und Schmerzen in den 
Augenhöhlen einherging, begann in einem Falle (Nf.ttleship) 
bereits eine Woche vor der Geburt, meist aber mehrere 
Wochen bis Monate nach Einsetzen der Milchabsonderung. 
Der Beginn der Sehstörung war meist plötzlich und führte 
in nahezu dem dritten Theile der bekannten Fälle (5) zu 
vollständiger Blindheit. In einem Falle Axenfeld’s erblindete 
in der 8. Woche der Lactation das linke Auge innerhalb von 
24 Stunden vollständig unter Erscheinungen allgemeinen Un¬ 
behagens, Schüttelfrost, Kopfweh. Hier zeigte das Ophthalmo¬ 
skop erst nach circa 5 Tagen deutliche Zeichen einer Neuritis 
retrobulbaris. Später erfolgte wesentliche Besserung, doch 
blieb noch circa 3 Wochen lang ein centrales Skotom. 

Nicht gleichen Schritt mit der Zunahme der Sehschärfe 
hielten die ophthalmoskopisch wahrnehmbaren Veränderungen 
am Sehnerven. In vielen Fällen stand die verhältnißmäßig 
gute Sehschärfe nicht im Einklänge mit dem Sehnervenbefunde, 
da leicht neuritische Atrophie auch mit fast normaler Seh¬ 
schärfe verbunden war (Heinzel). 

Was das Alter der erkrankten Frauen anbelangt, so stand 
die Mehrzahl derselben im Alter zwischen 25 und 35 Jahren, 
zumeist waren es gesunde und kräftig genährte Frauen. Die 
Mehrzahl derselben waren Mehrgebärende, bei welchen die 
früheren Wochenbetten fast immer ohne Sehstörungen ver¬ 
liefen. Nur Nettleship und Rogmann sahen bei zwei auf¬ 
einanderfolgenden Wochenbetten Sehstörungen auftreten. 

In einigen Fällen waren außer der Erkrankung des 
Sehnerven noch andere Erkrankungen gleichzeitig aufgetreten. 

So berichtete Rogmann über einen Fall, bei welchem 
2 Wochen nach einer normalen Geburt allgemeines Unwohlsein, 
Schüttelfrost, Kopfschmerzen, Schwindel und Erbrechen auf¬ 
traten. Während diese Erscheinungen zurückgingen, machte 
sich unterdessen eine Sehstörung bemerkbar. In der Folge 
trat rechtsseitige Facialisparese, linksseitige Abducensparese 
auf, dabei war die Sehschärfe auf 1 / 60 , bezw. 3 / 3 o gesunken. 
Ophthalmoskopisch ließ sich eine typische Neuritis optica 
mit einzelnen kleinen Blutungen nachweisen. Schanz beob¬ 
achtete eine schwere, ausgedehnte Polyneuritis, fast des ge- 
sammten Nervensystems, deren Auftreten zuerst im Sehnerven 
bemerkt wurde. Im Gegensätze zu allen bisher erwähnten 
Fällen zeigte dieser einen sehr schweren Verlauf mit tödt- 
lichem Ausgange. 

Was nun die Frage nach der Aetiologie der Lactations- 
neuritis anbelangt, so ist dieselbe bisher nicht beantwortet 
worden, respective sind so viele verschiedene Antworten er¬ 
folgt, daß daraus schon geschlossen werden darf, daß 
keine allgemein befriedigende bisher erfolgt ist. Während 
Nettleship geneigt ist, die Sehnervenerkrankung auf die 


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Wiener Medizinische Presse. — Nr. 15. 


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allgemeine Erschöpfung, die Anämie, zurückzufiihren, nimmt 
Heinzel eine Autointoxication an, und stellt die Lactations- 
neuritiden auf eine Stufe mit jenen, welche nach Nicotin¬ 
oder Alkoholgenuß, oder infolge Vergiftung mit Blei etc. 
beobachtet sind. Heinzel ist der Ansicht, daß sich während 
der Milchabsonderung Eiweißkörper bilden, welche die Grift- 
Wirkung ausüben; dabei stützt sich Heinzel auf Unter¬ 
suchungen Hegemann’s, welcher nachgewiesen hat, daß während 
der Lactation der Eiweißzerfall sehr rasch vor sich geht. 
Die weiteren Anschauungen bezüglich der Aetiologie, welche 
von Himly, Rogmann, Knies, Berger u. A. vorgebracht werden, 
will ich nicht in Betracht ziehen. 

Wenn nun zum Schlüsse das über diesen Fall, sowie 
über die anderen in der Literatur erwähnten Fälle Gesagte 
zusammengefaßt wird, so könnten folgende Sätze mit Bestimmt¬ 
heit ausgesprochen werden: 

1. Während der Lactationsperiode können 
Sehstörungen mitunter bis zu vollständiger Er¬ 
blindung auftreten. 

2. Die Ursache der Sehstörungen ist durch 
eine Entzündung des Sehnerven bedingt. 

3. Diese Lactationsneuritis gibt in der 
Regel eine sehr günstige Prognose. 

4. Therapie: Sofortiges Absetzen des Kindes, 
Hebung des Allgemeinbefindens. 

Literatur: Carbon dd Villabds, Traite pratique des maladies des 
yeux, pag. 505, Bruxelles 1838. — Nettleship, Transact. of the Ophth. Soc. 
of the united Kingdom. IV, 1884- — Nettleship, Ophth. hosp. Reports. XIII, 
pag. 97, 1891. — Cohn, Uterus und Auge, pag. 176—179, Wiesbaden 1890. — 
Heinzel, Beitr. z. Augenheilk. II, pag. 235, 1894- — Rogmann, Ann. d’ocu- 
lißtique. CXII, pag. 161, 1894. — Axenfeld, „Monatschr. f. Geburt-h. u. 
Gynäk.“, Heft 6,• 1895. — Heinzel, Beitr. zur Augenheilk. III, pag. 31, 
1895. — Schanz, „Deutsche med. Wochenschr.“, pag. 443, 1896. — Schmidt- 
Rimpleb, Die Erkrankungen des Anges im Zusammenhänge mit anderen Krank¬ 
heiten. Wien 1898. — Femmeb, Inaug.-Dissertation, Greifswald 1901. — Graefe- 
Sakmisch, Handbuch der Augenheilk., 28. Lieferung, Juni 1901, pag. 192—195- 

II. Ein Fall von acuter Thränendrüsenentzündung. 

Die Thränendrüse ist nur höchst selten Sitz einer selbst¬ 
ständigen Erkrankung. Außer den noch immer vereinzelten 
Mittheilungen über Neubildungen der Thränendrüse liegen 
verhältnißmäßig doch noch etwas reichlichere Berichte über 
die entzündlichen Affectionen der Thränendrüse vor, u. zw. 
sowohl über Fälle acuter, subacuter als auch chronischer 
Natur. 

Ich hatte in letzter Zeit Gelegenheit, einen Fall acuter, 
einseitiger Dakryoadenitis zu beobachten, welcher noch ins¬ 
besondere dadurch als ein äußerst seltener Fall gekennzeichnet 
werden dürfte, weil die Entzündung die accessorische Thränen¬ 
drüse, u. zw. in ziemlich beträchtlichem Grade, betraf, ein Um¬ 
stand, auf welchen wohl bisher, wenigstens in der mehr 
zugänglichen Literatur, nicht speciell hingewiesen wurde. 

Am 11. August 1901 kam der 4ljährige Glaser A. II. aus 
Triesch (Mähren) in die Sprechstunde. Aus der Krankengeschichte 
sei nur kurz Folgendes mitgetheilt: 

Bei dem sonst gesunden Pat. traten vor ungefähr einer Woche 
Schmerzen im rechten Auge auf, insbesondere in der Gegend des 
äußeren Lidwinkels und im äußeren Theile des rechten Oberlides. 
Es bestand Fremdkörpergefühl, vermehrte Secretion, Spannung im 
Ober- und im Unterlide. Da Pat. die Erkrankung für ein „Gersten¬ 
korn“ hielt, schenkte er derselben keine Beachtung. Nachdem die 
Erkrankung bereits 4 Tage gedauert hatte, suchte Pat. ärztliche 
Hilfe auf, doch die verordneten Augentropfen, sowie ein einmaliges 
Touchiren mit Lapis brachten keine Besserung. Der Zustand ver¬ 
schlimmerte sich vielmehr, so daß eine stärkere Entzündung und 
Schwellung der Augapfelbindehaut mit reichlicher Secretion auftrat. 
Gleichzeitig bestanden Schmerzen in der rechten Stirngegend; auch 
Appetitlosigkeit stellte sich ein. Der nochmals consultirte Arzt wies 
nun den Pat. an mich. 

Der Pat. war in den letzten Jahren stets gesund, nie augen¬ 
krank. Eine Ursache der gegenwärtigen Erkrankung weiß Pat. 
nicht anzugeben; möglicherweise konnte eine stärkere nervöse Auf- 


regang, welche Pat. vor 14 Tagen durchgemacht hatte, als ur¬ 
sächliches Moment beschuldigt werden. 

Status praesens 11. August: Als Pat. das Sprechzimmer betrat, 
glaubte ich im ersten Momente, es handle sich um einen Mumps, 
da die rechte Gesichtshälfte infolge Anschwellung und Röthung der 
Haut eine beträchtliche Entstellung darbot. Die genauere Unter¬ 
suchung ergab aber außer der Gesichtsschwellung folgenden Befund: 
Das rechte Oberlid diffus angeschwollen, am stärksten im äußersten 
Drittel, geröthet, heiß anzufühlen; das Unterlid ebenfalls, aber in 
geringerem Grade, angeschwollen. Durch den äußeren Theil des 
Oberlides ist nur undeutlich eine ziemlich derbe Geschwulst durch¬ 
zufühlen. Der Orbitalrand ist allenthalben druckempfindlich, am 
stärksten im äußeren und oberen Winkel. Die Cilien sind an der 
Basis durch reichliches Secret zu Büscheln verklebt; Lichtscheu ist 
nur in geringem Grade vorhanden, so daß der Pat., trotzdem er 
dem Fenster gegenüber sitzt, die Lidspalte verhältnißmäßig weit — 
der Schwellung des Lides entsprechend — offen hält. 

Aus der Lidspalte dringt ein länglicher, fleischrother Wulst 
hervor, welcher der unteren Hälfte der stark chemotischen Aug¬ 
apfelbindehaut entspricht. Doch auch die obere Hälfte der Augapfel¬ 
bindehaut, welche nach passiver Hebung des stark geschwollenen 
Oberlides zur Ansicht gebracht wird, ist ziemlich stark geröthet 
und geschwollen. 

Unterhalb des rechten Oberlides ragt im äußeren Augen¬ 
winkel eine der Thränendriisengegend entsprechende, mehr als 
erbsengroße Geschwulst von lappigem Baue hervor. Die Geschwulst, 
welche stark geröthet ist, hat annähernd kugelige bis längsovale 
Gestalt mit einem Längsdurchmesser von 8 Mm. Unterhalb dieser 
Geschwulst, leicht abgegrenzt von ihr, befindet sich eine kleinere, 
etwa 4 Mm. große, ebenfalls geröthete Geschwulst von kugeliger 
Form. Beide Geschwülstchen sind von ziemlich derber Consistenz. 

Die Hornhaut, sowie die übrigen Theile des Auges sind normal. 

Die Präauriculardrüse vielleicht ein wenig vergrößert, die 
Submaxillardrüse sicherlich nicht größer als normal. 


S R \ 
SLJ 


— 1, Augenhintergrund normal. 


Auf Grund dieses Status praesens war die Diagnose einer 
Dacryoadenitis acuta mit vorzüglicher Betheiligung der accesso- 
rischen Thränendrüse sichergestellt. Ich wollte den Pat. behufs 
genauerer Beobachtung des Ablaufes der Krankheit bestimmen, 
sich in das Iglauer allgemeine Krankenhaus aufnehmen zu lassen, 
doch willigte Pat. in diesen Vorschlag nicht ein, sondern kehrte 
in seinen Heimatsort zurück. Als Therapie empfahl ich Kataplasmen. 

Nach 10 Tagen stellte Pat. sich wieder vor, und zwar in 
vollständig geheiltem Zustande. Die Schmerzen, sowie die Schwel¬ 
lung der Lider sollen bereits wenige Tage nach Application der 
Kataplasmen nachgelassen haben. Gegenwärtig bot das Gesicht 
nichts mehr Entstellendes dar, das Oedem der Lider sowie der 
Augapfelbindehaut war vollständig verschwunden. Nur im äußeren 
Augenwinkel ergab die Palpation noch ein kleinerbsengroßes Ge¬ 
schwülstchen von derber Consistenz. Der Orbitalrand war — mit 
Ausnahme des äußeren Augenwinkels — sonst nirgends druck¬ 
empfindlich. Pat. war seit 5 Tagen vollkommen schmerzfrei. 

Wie aus der vorliegenden Krankengeschichte zu ersehen 
ist, trat bei einem sonst gesunden Manne — vielleicht als 
Folge einer stärkeren Aufregung — eine ziemlich heftige, 
rechtsseitige Entzündung der Thränendrüse, insbesondere der 
accessorisehen Thränendrüse auf. Durch die Betonung des 
letzteren Umstandes dürfte sich dieser Fall von den bisher 
veröffentlichten Fällen von Dakryoadenitis unterscheiden. Wie 
bereits eingangs erwähnt, konnte ich in der mir zur Verfü¬ 
gung stehenden, ziemlich reichhaltigen Literatur über Dakryo¬ 
adenitis nirgends auf die so starke Mitbetheiligung der acces- 
sorischen Thränendrüse hingewiesen finden, wenigstens fand 
ich von einem Descensus glandulae laerymalis keine Andeu¬ 
tung. Dagegen wurde auf die Entstellung des Gesichtes — 
ähnlich wie bei Mumps und wie sie auch dieser Fall darbot — 
bereits im Jahre 1879 von Hirschberg hingewiesen, weshalb 
Hirschberg auch von einem Mumps der Thränendrüse spricht. 
Auch Adler beschreibt einen „Mumps der Thränendrüse“. 


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Wiener Medizinische Presse. — Nr. 15. 


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Doch war in diesen Fällen die Dakryoadenitis mit Entzündung 
anderer Speicheldrüsen, so der Ohrspeicheldrüsen, der Gl. 
sublinguales, der Gl. buccales und der Gl. submaxillares ver¬ 
gesellschaftet. 

In einem Falle von Leukämie beobachtet Bäck außer 
den bekannten Netzhautveränderungen eine gleichzeitige 
Schwellung der Parotis und der Thränendrüse. 

Daß Dakryoadenitis nicht selten mit Entzündung anderer 
Speicheldrüsen auftritt, hat Fuchs zuerst hervorgehoben, 
und für solche Fälle den von Hirschbeug eingeführten Namen 
„Mumps der Thränendrüse“ reservirt. Es wird dadurch die 
verhältnißmäßig nur selten auftretende und — Ausnahmen 
abgerechnet — im Allgemeinen harmlos verlaufende Dakryo¬ 
adenitis mit der ebenfalls gewöhnlich harmlos verlaufenden 
Parotitis in Parallele gebracht. Da nun die Parotitis mit 
größter Wahrscheinlichkeit als eine primäre, meist epidemisch 
auftretende Infectionskrankheit anzusehen sein dürfte, konnten 
auch jene mit Parotitis verbundenen Fälle von acuter Dakryo¬ 
adenitis irifectiöser Natur sein. Thatsächlich wurde wiederholt 
das Auftreten von acuter Dakryoadenitis mit Infectionskrank- 
heiten in Zusammenhang gebracht. So hat Piquari innerhalb 
3 Jahren mehrere Fälle (angeblich 16) von Dakryoadenitis 
gesehen, welche im Anschlüsse an Influenza auftraten. Auch 
Galezowsky, welcher wiederholt Gelegenheit hatte, Fälle von 
acuter Dakryoadenitis zu untersuchen, führt eine Infection 
als Ursache an, desgleichen Scheffels in einem Falle beider¬ 
seitiger acuter, nicht eitriger Entzündung. Auf rheumatische 
Basis führt Valude eine doppelseitige Entzündung der 
Thränendrüse zurück, sowie Elschnig in seinem mitgetheilten 
Falle eine Erkältung als Ursache anzunehmen geneigt ist. 
Entzündungen tuberculöser und luetischer Natur wurden 
bereits wiederholt beschrieben. 

Erst neuerdings wurde von Anargyros ein Fall von 
Primäraffect der Thränendrüse, welcher in der II. Augenklinik 
in Wien zur Beobachtung gelangte, veröffentlicht. Schließlich 
ist noch anzuführen, daß Jocqs acute Dakryoadenitis nach 
plötzlichem Aussetzen der Lactation eintreten sah. 

In dem vorliegenden Falle fehlt jedes dieser angeführten 
ätiologischen Momente. Der Pat. war bis auf eine angebliche 
Influenza vor 11 Jahren sonst stets vollkommen gesund; auch 
für die Annahme einer Erkältung lag kein Grund vor. Nur 
ein Moment könnte Pat. anführen, und zwar heftige psychische 
Aufregung, welche er vor 14 Tagen durchgemacht hatte 
und infolge deren er wiederholt weinen mußte. Es mag dahin¬ 
gestellt bleiben, ob man diese Aufregung als Ursache der Er¬ 
krankung der Thränendrüse ansehen kann. 

Was den Verlauf, die Dauer und den Endausgang des 
Krankheitsprocesses anbelangt, so ist mit Bezug auf den ersten 
Punkt auch mitunter Fieber beobachtet worden. In Adler’s 
Falle, welcher circa 7—8 Wochen zur Genesung brauchte, 
zeigten sich in den ersten zwei Wochen leichte abendliche 
Fiebererscheinungen. Auch im Falle Elschnig’s war, allerdings 
nur zwei Tage lang, Temperatursteigerung zu beobachten, 
während Holmström recht bedeutende Fiebersteigerungen bei 
einem dreijährigen Knaben, der an beiderseitiger Dakryoadenitis 
plötzlich erkrankte, sah. In meinem Falle war, wenigstens als 
ich den Kranken untersuchte, keine Temperatursteigerung 
nachzuweisen. 

Auch darauf muß noch hingewiesen werden, daß es sich 
in der Mehrzahl der veröffentlichten Fälle um beiderseitige 
Dakryoadenitis handelte, sei es, daß die Erkrankung beider 
Thränendrüsen gleichzeitg, oder daß die Erkrankung der 
zweiten Thränendrüse einige Tage später aufgetreten ist. Ein¬ 
seitige Dakryoadenitis wie in diesem Falle ist verhältni߬ 
mäßig seltener beobachtet als beiderseitige. 

Die Dauer der Krankheit war in den meisten Fällen 
nur eine kurze, und zwar in den kürzesten Fällen 4 Tage, 
in den länger dauernden 2—3 Wochen. Der Endausgang war 
fast durchwegs ein günstiger. Ausgang in Abscedirung ist 
nur selten beobachtet worden, und zwar von Hutchinson, 


Schiess, Döring, doch handelte es sich gewöhnlich um Fälle 
tuberculöser Natur. Endlich wäre noch in Bezug auf das 
Alter der Pat. zu erwähnen, daß alle Altersstufen unter den 
beobachteten Fällen vertreten sind, und zwar betrifft der 
jüngste Fall einen dreijährigen Knaben (Holmström), der 
älteste Fall einen 77jährigen Mann (Galezowsky). Die über¬ 
wiegende Mehrzahl der Fälle gehörte dem männlichen Ge- 
schlechte an. In Bezug auf die Therapie dürften, abgesehen 
von der Bekämpfung ätiologischer Momente, local Kataplasmen 
zur Anwendung kommen; in Fällen von Abscedirung wäre 
Incision vorzunehmen. 

Literatnr: Hutchinson J., „Ophth. liosp. rep.“, VI, pag. 43, 1870. — 
Schiess, „Klin. Monatsbl. f.Angenhk.“, pag. 100, 1870- — Galezowsky, „Recueil 
d’ophth.“, pag. 54, 1872. — Galezowsky, „Recueil d’ophth.“, pag. 415, 1886. — 
Hirschberg, „Centralbl. f. Augenhk.“, pag. 137, März 1890. — Gordon Norrie, 
„Centralbl. f. Augenhk.“, Juli 1890. — Scheffels, „Centralbl. f. Augenhk.“, Mai 
1890. — Sgrosso, „Annali di Ottalmologia“, XIX, 2., pag. 159, 1890. — 
Seeligsohn, „Klin. Monatsbl. f. Augenhk.“, 1891. — Fuchs, „Beitr. z. Augenhk.“, 
III. Heft, 1891. — Elschnig, „Centralb. f. Augenhk.“, December 1891. — Dor, 
„Recueil d'ophth.“, pag. 507, 1893. — Pignatori, „Revue gen6rale d’ophth.“, 
pag. 11, 1894. — Adler, „Wiener Med. Presse“, 17. Februar, 1895. — Holm¬ 
ström, „Hj’giea“, pag. 51, 1895. — Bock E., Zur Kenntniß der gesunden und 
kranken Thränendrüse, J. Safaf, Wien 1896. — Döring, Ein Fall von acuter 
Dakryoadenitis. „Inaug.-Dissertation“, Greifswald 1897. — Lodato , Referat 
nach „Archives d’ophthalmologie“, tome XVIII, pag. 71 , 1898. — Bäck, 
„Zeitschr. f. Augenheilk.“ , I, pag. 234, 1899. — Roger, „Revue de med.“, 
Nr. 5, 1899. — Jocqs, „Die ophthalmologische Klinik“, IV, pag. 153, 
1900. — Anargyros, „Beitr. z. Augenheilk.“, 48. Heft, pag. 97, 1901. 

Die physikalische und medicamentöse Therapie 
des Diabetes mellitus. 

Von Docent Dr. Alois Strasser. 

(Schluß.) 

Ich übergehe nun zur medicamentösen Therapie 
des Diabetes. Diese vielgepriesene und vielgelästerte therapeu¬ 
tische Richtung hat zu Zeiten im Mittelpunkte des Interesses 
gestanden, und wenn auch immer wieder und nachdrücklich 
betont werden muß, daß die Einrichtung der Diät den Car¬ 
dinalpunkt der Diabetestherapie bildet, man wird der An¬ 
wendung von Medicamenten bei vielen besonders schweren 
Fällen im Laufe einer langen Behandlung kaum jemals ganz 
entrathen können. Es ist wahr, daß gerade in dieser Richtung 
der Forschung manche Gefahren drohen; es gelingt selten, von 
medicamentöser Einwirkung klare, eindeutige Schlüsse zu 
ziehen, und den massenhaft auftauchenden, oft schwärmerisch 
gelobten Medicamenten wenigstens im Publicum und in der 
Aerzteschaft, welche nicht in der Lage ist, solche Emanationen 
zu prüfen, ist Thür und Thor geöffnet. Die vielfachen Mi߬ 
erfolge hatten es zuwege gebracht, daß man sich in der Aerzte¬ 
schaft mit der medicamentosen Therapie (mit Ausnahme der 
Mineralwässer) jetzt so viel wie gar nicht beschäftigt; und 
doch ist bei genauer kritischer Durchsicht der einschlägigen 
Literatur manches Mittel vorhanden, welchem man, wenn auch 
nicht eine specifische, so doch unbedingt eine symptomatische, 
die diätetische Behandlung unterstützende Wirkung nicht ab¬ 
sprechen kann. 

Von allen Medicamenten finden die Mineralwässer, 
wie erwähnt, die einzig weit verbreitete Verwendung, und 
zwar hauptsächlich die alkalisch-sulfatischen Wässer 
(Karlsbad, Marienbad) und die einfachen alkalischen 
Wässer (Vichy, Neuenahr etc.). Es gilt als unumstö߬ 
liche praktische Erfahrung, daß Trinkeuren in 
den genannten Curorten auf den D i abetes mannig¬ 
fache günstigeWirkung ausüben. Sie vermindern 
bei njeht zu schweren Fällen die Glykosurie, ohne daß 
man gezwungen wäre, die strengsten diätetischen Maßnahmen 
anzuwenden; sie erhöhen die Toleranz gegen Kohle¬ 
hydrate für die Dauer der Cur und nicht selten darüber 
hinaus; sie vermindern den Durst, damit die Wasser¬ 
aufnahme und Ausschwemmung von Zucker; sie wirken auf 
complici rende Nieren- und Magen - Dar maffeetio- 


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nen günstig. Gewiß sind alle diese Effecte nicht nur auf das 
Trinken der Mineralwässer zurückzuführen ; die Diät, der Auf¬ 
enthalt ferne von erregender Beschäftigung und mehrere Com- 
ponenten fordern an dem Resultat ihren berechtigten Theil. 
Mit der wissenschaftlichen Begründung der Mineralwasser¬ 
therapie der Glykosurie sieht es dagegen kläglich aus. Sammt- 
liche Experimentalarbeiten mit den mühevollsten Stoffwechsel¬ 
untersuchungen haben in Bezug auf die Wirkung der Mineral¬ 
wässer auf die Glykosurie negative Ergebnisse zutage 
gefördert (Külz, Kratschmer, R[es, Naunyn, Merino), ja selbst 
Verschlechterungen der Glykosurie sind oft gesehen worden. 
Der einzige Lenne ist geneigt, auf Grund einzelner Arbeiten, 
welche eine Beschleunigung des Stoffwechsels durch alkalische 
Wässer beweisen, anzunehmen, daß die in den Wäaaern. zuge¬ 
führten Alkalien eine Erhöhung der vitalen Z«i$&$t$gkeit 
bewirken dürften. Ja Glax wies in einer großen Reihe von 
Fällen nach, daß methodisches Trinken heißen (56—60° C.) 
destillirten Wassers bei abgemagerten Diabetikern (also meist 
schweren) die Harn- und Zuckermengen herabsetzt und das 
Körpergewicht steigert, und seine Beobachtungen sind erst 
kürzlich von v. Noorden im Großen und Ganzen bestätigt 
worden. Glax glaubt daher, daß nur die hohe Temperatur 
des Mineralwassers den Effect hervorbringe, und daß die Ur¬ 
sache der Unwirksamkeit kalter oder abgekühlter Quellen, 
wie sie in vielen der oben genannten Experimentalunter¬ 
suchungen zur Verwendung kamen, eben in der niedrigen 
Temperatur zu suchen sei. Wohl bringt auch hier Glax die 
Sache mit seiner Theorie der erhöhten Gefäßspannung bei 
Diabetes in Zusammenhang. indem er die gefäßentspannende 
Wirkung des heißen Wassers in den Vordergrund stellt (einer 
Theorie, welche bisher wenig Anerkennung gefunden hat); 
aber die von ihm gefundeue Thatsache entbehrt der großen 
Bedeutung nicht. 

Naunyn sucht die Wirksamkeit der an der Quelle, ge¬ 
trunkenen heißen Mineralwässer nebst ihrer Temperatur (nach 
Glax) noch in ihrem Gehalt an Kohlensäure, welche die Re¬ 
sorption des Wassers beschleunigen soll; doch ist diese Ansicht 
nicht stichhältig und der Genuß von viel Kohlensäure vielen 
Diabetikern sogar subjectiv unangenehm. 

Für die leichten Fälle der Glykosurie wird eine gewisse 
specifische Wirkung der alkalischen Mineralwässer allenfalls 
zugegeben, wenn auch die Erklärung des Effectes aussteht. 
Die negativen Resultate der sogenannten exacten Forschung 
werden wohl an den empirisch gefundenen Thatsachen nichts 
ändern, und man wird resumiren können, daß die alkalischen 
Quellen bei leichten Fällen eine zuverlässige, bei mittel¬ 
schweren Fällen auch meist eine günstige Wirkung ausüben 
und die Toleranz gegen Kohlehydrate vorübergehend erhöhen; 
bei schweren Fällen lassen sie uns sehr häufig im Stich und 
können sogar ungünstig wirken, indem bei ihrem Gebrauche 
die Glykosurie oft steigt und selbst Schwächezustände auf- 
treten können. Allenfalls sollen auch schwerste Fälle von 
Glykosurie von einer Mineralwassercur nicht, absolut ausge¬ 
schlossen werden; aber ihre Schwere wird Modificationen, Er¬ 
leichterungen der Trinkeuren dringend erheischen. 

Ich erwähnte die vortreffliche Wirkung der alkalischen 
Wässer auf Niere und Verdauungsapparate, deren Zustand 
auf Auswahl und Modification der Trinkeuren von großer Be¬ 
deutung sein wird; auch dürfte bei der Auswahl der Curorte 
der ätiologische Factor der Grunderkrankung eine Rolle 
spielen. (Gichtische Grundlage: Karlsbad, Vichy, Homburg; 
Fettleibige: Marienbad, Karlsbad etc.) 

Eine Beobachtung sei mir gestattet hier vorzubringen. 
Ich sah zwei Fälle von mittelschwerem Diabetes, bei welchen 
nach 6 Monate fortgesetztem continuirlichen Genuß von täg¬ 
lich ca. 200 Grm. Karlsbader Mühlbrunnwasser eine Albumi¬ 
nurie erschien, respective sich in Wochen langsam steigerte und 
nach Aussetzen des Karlsbader Wassers in einigen Tagen bei 
sonst gleichen Umständen verschwand. Ich dachte an eine Er¬ 
schöpfung der Nierenepithelien durch den fortwährenden Durch¬ 


laß von Salzen und möchte die in zwei Fällen auffallend 
gleichmäßige Erscheinung nicht gerne als bloßen Zufall an- 
sehen. Ich erwarte aus Ihren Reihen hierüber auch eine even¬ 
teile Aeußerung. 

Neben den alkalischen Quellen kommen symptomatisch 
wohl auch andere Quellen zur Verwendung, so Eisen-, Arsen- 
und Kochsalzquellen. 

Alkalien und alkalische Erden wurden auch sonst bei 
Diabetes verwendet, und zwar theil weise als Ersatzmittel für 
den bei Diabetes thatsächlich vorkommenden großen Verlust 
an Ka, Na, Ca und Mg; eine Erscheinung, welcher französi¬ 
sche Autoren große Bedeutung beilegen und „Demineralisa- 
tion“ des Diabetikers nennen. 

. Auf die Glykosurie haben alle diese Verbindungen (kohlen¬ 
sauer und schwefelsaure Erden) kaum oder gar keinen Effect. 
Die Zufuhr von Kalk (Moraczewsky, Grube, Ortner) wird 
als für das Allgemeinbefinden und für das Körpergewicht 
günstig angesehen. 

Die Zufuhr von kohlensauren Alkalien hat mit Bezug auf 
die diabetische Acidose eine erhöhte Bedeutung. Bei ausge¬ 
brochenem Koma, welches wir nach der derzeitigen Auffassung 
als eine exquisite Säurevergiftung ansehen müssen (Stadelmann, 
Naunyn, Magnus-Lewy) , ist ein lebensrettender Effect der 
Alkalizufuhr auch bei intravenöser Infusion der Lösungen bisher 
nicht gesehen worden. Es wird mitunter eine vorübergehende 
Besserung des Sensoriums beobachtet, ein nachhaltiger Effect 
jedoch niemals. Dagegen frägt es sich, ob man nicht bei aus¬ 
gesprochener Acidosis schon mit großer Alkalizufuhr beginnen 
soll, noch ehe Erscheinungen von Koma da sind. Magnus-Lfavy 
tritt energisch dafür ein, und es ist schon einigemale gelun¬ 
gen, Kranke mit Andeutungen von Koma zu retten. Wenn 
man auch nicht selten Fälle von Koma sieht, ohne daß ß-Oxy- 
buttersäure hervorgetreten wäre (Münzer und Strasser), immer¬ 
hin verdient diese Alkalitherapie, die größte Aufmerksamkeit. 
(Stadelmann, Naunyn, Rumpf, v. Noorden etc.) 

Eine gewissermaßen causale Therapie des Diabetes würde die 
Quecksilbertherapie derjenigen Fälle sein, bei welchen 
man die Lues als ätiologischen Factor anzusehen geneigt ist. 
Wohl gibt es solche Fälle, und eine bei Lues cerebri oder 
Gumma vorhandene Glykosurie kann auch auf eine Schmier- 
cur verschwinden, aber die Theorie der Herkunft des 
Diabetes von Lues auch auf dem Umwege der Endarteriitis 
luetica und Degeneration drüsiger Organe (Schnee) steht auf 
schwachen Füßen, und wenn auch einmal ein Diabetes auf solcher 
Basis entstanden wäre, was ja gewiß vorkommt (Fleiner), .eine 
Schmiercur kann da nicht mehr helfen. Es steht einer Schmier- 
cur bei einem Diabetiker wegen recenter Lues oder luetischer 
Cerebralaffection nichts im Wege, die Glykosurie wird in den 
meisten Fällen davon nicht tangirt, kann jedoch ab und zu 
eine Verschlechterung zeigen und ein allgemeiner Verfall nach- 
folgen. 

In einem sei erwähnt, daß die Darreichung von Sub¬ 
limat, ob mit Rücksicht auf Lues oder eventuell gegen die 
etwaige bacteritische Natur des Diabetes gegeben (Alb. Meyer, 
Sheridan) , sehr wenig versprechend ist und am besten ver¬ 
mieden werden soll. 

Das Opium hat seit sehr langer Zeit seine Bedeutung 
bewahrt und gilt als dasjenige Medicament, welches besonders 
in schweren Fällen die Zuckerausscheidung am besten herab¬ 
zudrücken vermag und das Durstgefühl am besten beeinflußt. 
„Bemerkenswerth erscheint die Thatsache,“ sagt Mering, „daß 
es leichter gelingt, durch Opium in schweren Fällen den 
Fleischzucker, d. h. den aus Albuminaten stammenden Zucker 
herabzudrücken als in leichten Fällen den mit Amylaceen ein¬ 
geführten Zucker“, was wohl so zu verstehen ist, daß das 
Opium seine Hauptwirksamkeit erst dann gut 
entfaltet, wenn durch die entsprechende Diät 
der Harnzucker auf das jeweilig mögliche Mini¬ 
mum herab gedrückt wurde. Das Opium schützt 
also das Körpereiweiß, indem es die Zuckerab 

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Spaltung hindert. Leider ist die Opiumwirkung nicht 
nachhaltig und versagt bei längerem Gebrauche auch mitunter; 
doch bleibt es ein werthvolles Mittel, wenn man die letzten 
Spuren von Glykosurie rasch wegzubringen gezwungen ist. 
(v. Noorden bei Neuroretinitis etc.) Parallel mit dem gewiß 
sehr begründeten Lobe dieses Mittels gehen die Warnungen 
vor seiner längeren Darreichung, da der Zucker wohl ver¬ 
schwindet, jedoch der Gesammtorganismus herabgestimmt wird 
und auch unangenehme Darmcomplicationen erscheinen können. 

Das Morphium und insbesondere das Codein werden 
auch gelobt, das letztere Mittel sogar dem Opium vielfach 
(Pavy, Bobin) vorgezogen ; es verdient aber den Vorzug durch¬ 
aus nicht. 

Andere Narcotica, wie Chloralhydrat, Cannabis 
indica und Belladonna, wirken durchaus unverläßlich. 

Neben Opium verdienen die Salicylpräparate noch 
gewisse Würdigung, obwohl sie in der Wirksamkeit dem Opium 
nachstehen. Weniger das salicylsaure Natron, vielmehr das 
Salol und neuestens das Aspirin, werden von mehreren ver¬ 
läßlichen Autoren gelobt und bewirken neben entsprechenden 
Diätverordnungen mitunter Ersprießliches besonders dadurch, 
daß in Verbindung mit ihnen rascher, nachhalti¬ 
ger und ausgiebiger eine Toleranz für Kohle¬ 
hydrate erreichbar ist. 

Das salicylsaure Natron wirkt gut auf die Gly¬ 
kosurie; es bewirkt Körpergewichtszunahme und bewirkt ex¬ 
quisite Beschränkung der N-Ausfuhr (Ebstein, Müller, Für- 
bringeb, Müller und Warner, Ryba und Plumert, Williamson); 
mit denselben Wirkungen und für den Magen weniger gefähr¬ 
lich erscheinen das Salol (Nicolaier, Zaudy, Teschemacher) 
und das Aspirin (v. Noorden). 

Die Körpergewichtzunahmen zeigen, daß nicht etwa der 
Verlust des Appetits und Unterernährung die Verminderung 
der Zuckerauscheidung bewirkten. Die Mittel sind auch analog 
dem Opium als Eiweißschutzmittel zu betrachten. Glax sieht 
allerdings das Günstige der Wirkung der Salicylpräparate, 
wie auch des Opiums in der Herabsetzung des Gefäßtonus. 

Für die Darreichung von Salol und Aspirin haben sich 
kurze 4—ötägige Curen (mit je 4'0—5 - 0 Grm. pro die) als die 
besten erwiesen; die Wirkung ist nichts weniger als unfehlbar 
und steht der Opiumtherapie schon darin zurück, daß sich in 
keiner Weise im vorhinein präcisiren läßt, ob die Mittel wirken 
werden; sie sind oft in schweren Fällen gut und versagen in 
den leichtesten. Schwerere Albuminurien contraindiciren sie. 
Eine gewisse Gefahr in der Beurtheilung der Effecte der 
Saloldarreichung liegt darin, daß linksdrehende Substanzen 
im Harne erscheinen können und so bei polarimetrischer 
Untersuchung ein Theil des anwesenden Zuckers verdeckt wird. 

Das Phenol erwähne ich nur darum, weil die ge¬ 
ringen Literaturangaben über seine Wirksamkeit mit wenigen 
Ausnahmen sehr übereinstimmen (Ebstein und Müller, Popoff, 
Thorescü, Fürbringer); es vermindert die Zuckerausfuhr um 
Geringes, beschränkt die N-Ausfuhr und führt zu Gewichts¬ 
zunahmen. Fischer benützte sogar das Phenol zum Entzückern 
der Patienten behufs Vornahme von Operationen. Es fehlt üb¬ 
rigens auch da nicht an Publicationen über negativen Effect 
(Diehl, van Traa), und auch dieses Mittel konnte also das 
Vertrauen nicht längere Zeit festhalten; einen Versuch kann 
man damit dennoch machen. 

Vom Chinin als eminent oxydationshemmendem Mittel 
sollte man von vorneherein erwarten, daß es auf den N-Stoff- 
wechsel hemmend wirke; man ist aber in dieser Erwartung, 
sowie in einer nach einzelnen Beobachtern (Blumenthal) zu 
erwartenden Wirkung auf die Glykosurie getäuscht worden 
(Knauf, Kratschmer, Ebstein und Müller, Cantani, Für¬ 
bringer). 

Das Arsen, welches gelegentlich, insbesondere bei nervös 
herabgekommenen Diabetikern, in der für dieses Mittel be¬ 
kannten Weise die beste Verwendung finden kann, wurde als 
Mittel gegen die Glykosurie auch versucht, und zwar ur¬ 


sprünglich auf die wichtige Beobachtung von Salkowsky hin, 
daß bei Thieren, welche unter Arsenwirkung stehen, die 
Piqüre keine Glykosurie erzeuge. Bei Diabetikern ist nun 
der Einfluß auf die Glykosurie so ungleich, daß man füglich 
von einer Anwendung in dieser Richtung absehen kann (Külz, 
Pap, Fürbringer). Indessen findet anscheinend auch hier eine 
N-Sparung statt und Körpergewichtszunahmen sind bei Arsen- 
medication die Regel. Bei malignen subacuten Fällen fehlt 
jede Wirkung, wie Lecorchk sich ausdrückt, ist das Arsen 
nicht im Stande, den „Diab^te a marche suraigue“ zu modi- 
ficiren. Ab und zu treten auch Magendarmstörungen auf, und 
Külz glaubte die gelegentliche Verminderung der Glykosurie 
auf diese zurückführen zu müssen. Die nervösen Symptome 
werden durch Arsen doch so gut beeinflußt, daß seine sympto¬ 
matische Anwendung oft von großem Nutzen ist. 

Seit etwa 10—15 Jahren tauchen zeitweise verschiedene 
Präparate des Syzygium Jambulanum auf, ab und zu als 
gelobte Mittel zur Herabsetzung der Glykosurie (v. Noorden, 
Lewaschew). Ohne diese Mittel uneingeschränkt zu loben, hat 
v. Noorden über dieselben ein relativ günstiges Urtheil ge¬ 
fällt und spricht von einer dem Opium etwas ähnlichen 
Wirkung der Präparate. Ich selbst habe in einem Falle 
ziemlich befriedigenden Erfolg gesehen, in zwei Fällen von 
mittelschwerem Diabetes war das Mittel ganz erfolglos. Da eine 
schädliche Wirkung des Jambul ausgeschlossen ist, so kann 
man es wohl ab und zu versuchen (Noorden). 

Die Organotherapie hat selbstverständlich mit dem 
Augenblicke in der Diabetestherapie Platz genommen, in dem 
man eine diabetogene Organerkrankung mit Sicherheit erkannt 
hatte. Der Ersatz eines ausgefallenen Productes des erkrankten 
Pankreas wäre ja dem Verständniß nicht ferne gelegen, auch 
wenn der Antheil des gesunden Pankreas an der Zuckerspal¬ 
tung nicht ganz klargestellt ist. Leider mißlangen in der Praxis 
die Versuche (Sandmeyer, Rumpf) mit innerer Darreichung von 
frischem Pankreas, sowie mit innerem oder subcutanem Ge¬ 
brauch verschiedener Pankreasextracte; man hat einen Einfluß 
auf die Glykosurie bisher nicht conatatiren können. Es ent¬ 
spricht der Zeitrichtung, daß trotz dieser entmuthigenden Re¬ 
sultate die Hoffnung auf Gewinnung irgend einer für die 
Behandlung wichtigen Substanz aus dem Pankreas von den 
bedeutendsten Forschern nicht aufgegeben wird. Bei diabeti¬ 
scher Steatorrhoe wirkt übrigens Pankreasbrei recht gut. 

Die Versuche mit anderen Organen oder Organ- 
extracten (Opotherapie hepatique Carnot & Gilbert, 
Thyreoidea, Nebennieren), sind, wie nicht anders zu erwarten 
war, durchaus mißlungen; ebenso die durch theoretische An¬ 
schauungen besser unterstützten Versuche mit Fermenten. — 
Das aus Malzdiastase dargestellte „Glykolytische Fer¬ 
ment“ von Lepine, sowie die Verwendung des BöCHNER’schen 
Preßsaftes, der Hefe von Leo, sind erfolglos geblieben, es sei 
denn, daß doch ab und zu die Zuckerausscheidung dadurch 
herabgesetzt wird, daß die im Darm vorhandenen Kohlehydrate 
durch die Fermente zum' Vergähren gebracht werden (Min- 
kowsky). 

Eine große Reihe von Medicamenten, einige mit gelegent¬ 
lichem symptomatischen Erfolg (Antipyrin, Bromkalium), an¬ 
dere kritiklos und speculativ marktschreierisch angepriesene, 
muß ich übergehen, sie lohnen kaum der Mühe erwähnt zu 
werden; die letzteren sind von Noorden und von anderer 
Seite entsprechend scharf abgelehnt worden, und es ist nur 
zu wünschen, daß ihren Vätern weder Aerzte noch Laien 
jemals aufsitzen mögen (Glykosolvol *), Saccharosolvol, Anti- 
mellin, Djoeatin etc.). 

Als Ersatzmittel für den nicht verbrannten Zucker 
spielen in der Literatur zwei Körper eine Rolle, u. zw. Milch¬ 
säure und Glycerin. Milchsäure, das „Ei des Columbus“ 

') Glykosolvol wird von der Firma beschrieben als „ein Product der 
gegenseitigen chemischen Einwirkung der Oxypropionsäure auf chemisch reines 
Pepton und von tlieobrominsaurem Natron auf das Zymogen des Trypsins“ ! 
(Nookden bezeichnet dies mit Recht als „chemischen Unsinn ungeheuerlicher Art.“) 


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von Cantani, soll in Dosen von 5—10 Gramm in 300*0 Wasser 
und mit 5*0 Natrium bicarbon. einen Theil des Zuekers ersetzen, 
ei weiß- und fettsparend wirken u. s. f.; nur von Naunyn wird 
zugegeben, daß sie bei langer, strenger Fleischdiät vor 
Dyspepsien schützt, sonst wird das Mittel (Külz , Fre- 
richs) abgelehnt. Auch das Glycerin, welches von Schultzen 
mit der Begründung eingeführt wurde, daß bei normaler 
Fermentwirkung, welche dem Diabetiker abgeht, aus dem ein¬ 
geführten Zucker Milchsäure und Glycerin entstände, dieses 
letztere also ein leicht oxydables Spaltungsproduct darstellen 
würde, mußte abgelehnt werden (Külz, Seegen). Auch kommen 
bei Glyceringebrauch vielfach Verdauungsstörungen vor. 

Wenn ich noch erwähne, daß (von Saundby) bei An¬ 
deutungen von Koma scharfe Abführmittel gerathen werden, 
dann habe ich alles gesagt, was in der medicamentösen 
Therapie der Erwähnung werth ist. 

Zum Schlüsse möchte ich in einem kleinen Rückblicke 
zusammenfassen, in welcher Weise sich die Wirkungsart 
der von mir besprochenen therapeutischen Agentien zu den 
zwei großen Theorien über Herkunft der Glykosurie (ver¬ 
minderte Zuckerverbrennung — vermehrte Zuckerabspaltung) 
verhält. — Die Hydrotherapie sehen wir überwiegend als 
eine Reiztherapie an und ihr Einfluß auf eine Glykosurie er¬ 
laubt es zu glauben, daß die Zellen in ihrer Verbrennungs¬ 
energie gestärkt werden; dagegen habe ich schon früher an¬ 
gedeutet , daß eine Reiztherapie der Art der Hydrotherapie 
auch eine Kräftigung des Protoplasma in der Richtung mög¬ 
lich erscheinen läßt, daß es dem Zerfall erhöhten Widerstand 
leistet. — Daß die Muskelarbeit auch in schwereren Fällen 
eine Glykosurie zum Verschwinden bringen kann, drängt die 
Ideen in die Richtung der Theorie der verminderten Ver¬ 
brennung ; die Vermehrung des Zuckers durch Muskelarbeit 
bei schweren Fällen spricht dagegen für eine erhöhte Ab¬ 
spaltung aus functioneil erschöpftem Protoplasma. 

Bei Medicamenten ist es auffallend, daß die sogenannten 
„Excitants de la glycolyse“ (Lepjne) durchaus unwirksam 
sind und nur solche Mittel (selbst in schweren Fällen) von 
anerkannter Wirkung sind, welche den Abbau im Organismus 
energisch hemmen (Salol, vorwiegend das Opium). Es sind 
diese Betrachtungen darum von Interesse, weil gewissermaßen 
ex juvantibus auf das Entstehen der diabetischen Glykosurie 
geschlossen werden kann. — Die Medicamente unterstützen 
gewaltig die Theorie der vermehrten Zuckerabspaltung, die 
physikalischen Mittel etwas mehr, hingegen nicht unbedingt die 
andere, viel verbreitetere Theorie der verminderten Verbren¬ 
nung. — Für diese letztere ist der Typus im fettleibigen, 
gutartigen Diabetes gegeben; die schweren Formen dürften 
wohl mehr durch die erstere Theorie erklärt werden. 

Die Fälle sind also durchaus nicht einheitlich , und da 
es eine specifische Diabetestherapie nicht gibt und die Ein¬ 
richtung der Ernährung auch nur den größten symptomatischen 
Indicationen entspricht, so wird es gut sein, aus dem von mir 
vorgebrachten Materiale solche Maßnahmen herauszusuchen, 
welche die Lösung jener wichtigsten Aufgabe der Diabetes¬ 
therapie oft in dankenswerther Weise unterstützen. Nebensäch¬ 
lich ist nichts, was für den Kranken einen Nutzen erhoffen läßt. 


Referate. 

W. A. Freund (Berlin): Thoraxanomalien als Prädisposi¬ 
tion zu Lungenphthise und -Emphysem. 

Die respiratorische Fnnction der Lungen ist an die Thätig- 
keit des Brustkastens gebunden. Während der Inspiration erweitert 
sich die obere Apertur vorzugsweise im geraden Durchmesser und 
nach oben, die mittlere im geraden und queren, die untere im 
queren und schrägen („Berl. klin. Wschr.“, 1902, Nr. 1). Die ver¬ 
schiedene inspiratorische Ausdehnung der drei Aperturen läßt sich 
ungezwungen aus dem Bau der entsprechenden Rippen und speciell 


der Rippenknorpel erkennen. Stellt die inspiratorische Erweiterung 
des Thorax eine Ueberwindung von Widerstand dar, so wächst 
dieser Widerstand stetig von der unteren nach der oberen Brust¬ 
apertur. Ist hienach der Thorax in der Inspiration aus seiner 
Gleichgewichtslage gebracht, so wird in dieser Thätigkeit zugleich 
eine Federkraft geschaffen, welche von unten nach oben zunimmt, 
im ersten Rippenringe ihr höchstes Maß erreicht und beim Nach¬ 
laß der inspiratorischen Muskelthätigkeit frei geworden, das Thorax¬ 
gerüst in seine Gleichgewichtslage zurücktreibt. 

Die erste Rippe, speciell der erste Rippenknorpel ist nun in 
jeder Beziehung von den unteren, wahren Rippen verschieden. 
Während die letzteren mit breiter Basis am Rippenknochen sitzen 
und in allraäliger Verjüngung mit leichter Spiralwindung ziemlich 
zugespitzt sich gelenkig an das Brustbein ansetzen, sitzt der erste 
Rippenknorpel mit viel breiterer Basis gelenklos direct am Brust¬ 
bein, verläuft in gleichmäßiger Richtung, sich allmälig verjüngend 
und kürzer als die anderen Knorpel zum Rippenknochen, so daß 
er, zwischen zwei Knochen eingefügt, als ein in die Länge gezogener 
Nahtknorpel erscheint. 

Die inspiratorische Arbeit hat daher einen von unten nach 
oben steigenden Widerstand zu überwinden, die Hebung der unteren 
und mittleren Rippen geht mit einer Ausgleichung ihrer exspirato- 
rischen Spiralwindung einher, und der erste Rippenknorpel wird 
durch die Inspiration in einen Zustand höchster Federkraftspannung 
gebracht. Man erkennt somit in dem ersten Knorpel die Bedeutung 
einer wichtigen Federkraft bei der Function der ganzen Brustwand. 
Läßt auf der Höhe der Inspiration die inspiratorische Muskelaction 
nach, so schnellt vor allem der erste, am meisten gespannte Rippen¬ 
knorpel mit Federkraft in seine Gleichgewichtslage zurück, welche 
Bewegung durch das Brustbein allen Ripppen mitgetheilt wird, die 
auch an sich durch einen eigenen, wenn auch ungleich geringeren 
Spannungszustand und den des vorgewölbten Brustbeines zur Ab¬ 
wärtsbewegung geneigt sind. 

Eine normale respiratorische Thätigkeit ist daher an eine 
ganz bestimmte Beschaffenheit der Brustwandtheile geknüpft. Sollen 
die verschiedenen, in ihrer zeitlichen und natürlichen Reihenfolge 
ineinander greifenden Spannungen, wie sie zur Reepirationsbewe¬ 
gung nothwendig sind, nicht gestört, sollen die verschiedenartigen 
Bewegungen der Rippen in ihrer natürlichen Freiheit nicht be¬ 
schränkt werden, so müssen, was vor allem die Rippenknorpel 
anlangt, dieselben ihre bestimmte Länge, Gestalt, Stellung, Bieg¬ 
samkeit und Elasticität haben; es muß ein bestimmtes Verhältniß 
zwischen je zwei auf einander folgenden stattfinden, weil sich jede 
Veränderung eines Rippenringes sofort als Hemmung für seine Be¬ 
wegung und die der übrigen äußert. 

Zwei sehr verbreitete und in ihren Folgen sehr schwere 
Lungenleidcn haben in vielen — durchaus nicht in allen —- 
Fällen in einer krankhaften Beschaffenheit der Rippenknorpel ihre 
erste Ursache. Es ist erstens die idiopathische, insbesondere here¬ 
ditäre, meist chronisch verlaufende Tuberculose, die ihren Sitz zu¬ 
nächst in der Spitze der Lungen nimmt; und zweitens das idiopa¬ 
thische (substantive, Rokitansky) Emphysem , das seine Lieblings¬ 
und Anfangsstellen zunächst an den vorderen oberen Randpartien 
der Lungen aufschlägt. — Zum Zwecke der sicheren Constatirung 
dieser Thatsache hat F. zahllose Messungen vorgenommen, die seine 
Annahme vollkommen bestätigten. Bei beiderseitiger Verkürzung 
des ersten Rippenknorpels kommt es zu symmetrischer Stenose der 
oberen Apertur, der erste Intercostalraura wird enger, bei einseitiger 
Verkürzung entsteht eine asymmetrische Stenose. An den übrigen 
Theilen machen sich Compensationsvorgänge bemerkbar. Durch die 
Verkürzung des ersten Rippenknorpels wird die normaler Weise 
erforderliche inspiratorische Spiralstellung erschwert , umsomehr, 
als mit der Kürze eine sprödere Beschaffenheit des Rippenknorpels 
zustande kommt, die durch perichondritische Veränderungen ver¬ 
mehrt wird. Auch an der Athemmusculatur treten consecutive Ver¬ 
änderungen ein. In diesen Anomalien ist eine Disposition zur Spitzen- 
tubereulo>e zu sehen, die vielleicht auf operativem Wege (Durch¬ 
schneidung des ersten Rippenknorpels hart am Manubrium) zu be¬ 
seitigen wäre. B. 

2 * 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 15. 


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Grigorjans: Alopecia areata als Trophoneurose der 
Haut. 

Aus den vom Verf. angestellten Untersuchungen ergibt sich 
(„Russki Jouraal Koschnich i Veneritscheskich Bolesnej“, 1901, 
H. 11—12) : Das Vorkommen von trophoneurotischen Erscheinungen 
überhaupt, wie Trophoneurosen der Haut, unterliegt keinem Zweifel. 
Die Alopecia areata ist eine selbständige Krankheit mit charakte¬ 
ristischem klinischen Bilde. Die Ursache der Alopecia areata 
liegt in den Nerven. Der Einfluß der Nerven wird durch Störung 
des trophischen Einflusses derselben auf Haut und Haare erkannt. 
Die parasitäre Theorie der Alopecia areata ist eine Hypothese, nicht 
aber eine feststehende Thatsache. Das pathologisch-anatomische 
Bild der Krankheit bietet für Alopecia areata nichts Specifisches; es 
zeigt nur atrophischen Zustand der Haut und der Haare (und das nur 
bisweilen). Das Bestehen specieller Nerven, die trophische Impulse 
leiten, ist nicht erwiesen; dem Anscheine nach erfüllen diese 
Function die sensiblen Nerven. Im zweiten intervertebralen Plexus 
am Halse liegen trophische Centren für die Haut (vielleicht auch 
für die Muskeln etc.) des Halses (bei Thieren). L—y. 


Charpentier (Paris): Die Z&hnfleischerkrankungen 
Schwangerer. 

Verf. unterscheidet bei Schwangeren drei Arten von Zahn¬ 
stein („Wiener zahnärztl. Monatsschr.“, 1902, Nr. 2) : 

Den schwarzen, festen Zahnstein am Zahnhalse; den gelb¬ 
lichen, der den ganzen Zahn umgibt und nicht so hart ist wie 
der erste, den gelblich weißen, weichen Zahnbelag. 

Die ersten beiden Arten findet man im Allgemeinen im schlecht 
gepflegten Munde, die dritte Art fast bei allen Schwangeren. 
Vortr. legt daher großen Werth auf eine peinliche Zahreinigung bei 
Schwangeren; denn je mehr Zahnstein vorhanden ist, desto heftiger 
tritt die Entzündung auf. Bisweilen kann man bei Schwangeren als 
Ursache der Gingivitis mit bloßem Auge keinen Zahnstein erkennen, 
jedoch sprechen die Entzündungserscheinungen, der geröthete Zahu- 
fleischrand und anderes dafür, daß Spuren von Zahnbelag vorhanden 
sind. Die Zahnreinigung soll zuerst mit groben Instrumenten be¬ 
gonnen, daun mit sehr feinen Instrumenten, die man tief unter das 
Zahnfleisch bringen kann, fortgesetzt werden. Eine oberflächliche 
Abreibung der Zähne mittels mit Watte umwickelter und in Alkohol 
oder Aether sowie in feinen Bimsstein getauchter Spatel leistet zu¬ 
letzt gute Dienste. Durch diese Manipulation erreicht man in 
wenigen Tagen, daß das Zahnfleisch weniger roth aussieht, die 
Schmerzen und kleinen Zahnfleischblutungen nachlassen, resp. ver¬ 
schwinden. Specielle Mundwässer sind nicht nothwendig. Als Zahn¬ 
pulver empfiehlt Ch. : 

Rp. Calc. carbon. 

Magn. carbon.aa. 200 

Natr. bicarbon.150 

Salol.10 0 

01. menth. pip.gtt. XV. 

Carmin q. s. 

Schlechte Mundverhältnisse gewähren bei Schwangeren in- 
fectiösem Material sehr leicht Eingang ; da das Zahnfleisch während 
dieser Zeit wenig widerstandsfähig ist, so können unangenehme 
Complicationen entstehen. G. 


Gossner (Brandenburg): Purpura haemorrhagica bei Ge¬ 
nitaltuber culose. 

Während der Entwickelung einer traumatischen Hodentuber- 
culose zeigte sich bei einem 20jährigen Manne wiederholter Aus¬ 
bruch von Purpura haemorrhagica. Diese Neigung zur Ilautblutung 
hörte nach der Castration auf und bestand nicht vor der Hoden¬ 
erkrankung. Die früheren Lazarethbeobachtungen und der Umstand, 
daß ein so ausgesprochener Hautausschlag dem intelligenten Kranken 
nicht hätte entgehen können, sind ein hinreichender Beweis für 
den Zusammenhang der Erscheinungen. Demnach dürfte man, auch 
unter Berücksichtigung der früher angeführten ähnlichen Beob¬ 
achtungen, mit Sicherheit die Hautblutungen als Folgezustand der 
Genitaltuberculose ansehen, da die häufig untersuchten Lungen 
niemals einen krankhaften Befund ergeben hatteu. Wenn Roemisch, 


Cohn und Wiechel die hämorrhagische Diathese (Alteration der 
Gefäßwand) in Abhängigkeit bringen von der Resorption von Toxinen 
aus plötzlich zerfallenen tuberculösen Herden und deren Ausschei¬ 
dung aus dem Körper, so leuchtet ein, daß im Falle G.’s einerseits 
die mehrfach sich schnell entwickelnden und zerfallenden Herde 
dieselben Bedingungen boten und andererseits nach totaler Besei¬ 
tigung des tuberculösen Gewebes auch die Blutungen ihr Ende 
finden mußten. Verf. neigt der nämlichen Erklärung zu, möchte 
aber noch besonders betonen, daß bei den mehrfachen Purpura¬ 
ausbrüchen jedesmaliges Aufstehen des Patienten eine günstige Ge¬ 
legenheitsursache zu bieten schien, insofern dadurch vielleicht die 
Gefäßwandungen erheblicher belastet, bezw. alterirt wurden. Im 
Allgemeinen bildet derartige Neigung zu Blutungen bei Tuberculose 
ein ernstes Zeichen und pflegt wohl dem tödtlichen Ausgang vor¬ 
auszugehen, während sie sich bei diesem Kranken als ziemlicli 
harmlose Erscheinung präsentirte. Immerhin lehrt auch dieser Fall, 
daß das plötzliche Auftreten von Purpura haemorrhagica bei vor¬ 
handenen chronisch-entzündeten Organen dem Verdacht der tuber¬ 
culösen Natur Nahrung gibt. L. 

J. A. Amann jun. (München): Die abdominale Totalexstir¬ 
pation bei completer Uterusruptur. 

Für die Behandlung der Uterusruptur dürften folgende Ge¬ 
sichtspunkte maßgebend sein („Münch, raed. Wschr.“, 1902, Nr. 11). 

a) Acute Verblutungsgefahr: Handeln an Ort und Stelle. Bei 
ungünstigen äußeren Verhältnissen: Entbindung per vias naturales, 
Betastung des Risses. Compressivverband, Drainrohr in den Riß; 
event. Porrooperation mit extraperitonealer Stielbehandlung. Die 
Tamponade hat sich im Allgemeinen als unzweckmäßig erwiesen ; 
höchstens käme im speciellen Falle eine Sacktamponade nach Mi¬ 
kulicz in Betracht. 

Bei günstigen äußeren Verhältnissen, z. B. in der Klinik, 
primäre abdominale Cöliotomie : Entfernung des Kindes (Naht) oder 
abdominale Totalexstirpation. Weuu der Riß vorn oder hinten: 
Entbindung per vias naturales; vaginale Totalexstirpation. 

h) Mäßige oder keine Blutung: Wenn irgend schonend mög¬ 
lich, Transport in die Klinik (da nach Entbindung event. erst Ge¬ 
fahr eintreten kann). Dort Entbindung per vias naturales. Drainage 
mit Jodoformgaze, Docht oder Gummirohr. Beobachtung: Bei 
späterer Nachblutung bei seitlichem Riß: Abdominale Cöliotomie 
mit Totalex6tirpation; bei nur vorderem oder hinterem Riß: vagi¬ 
nale Totalexstirpation. Ist Transport unmöglich: Entbindung per 
vias naturales, Drainage; bei späterer Nachblutung Compressiv¬ 
verband wie oben. Im Nothfalle: Porro bezw. vaginale Totalexstir¬ 
pation. Die Naht käme nur bei ganz einfachen, nicht inficirten 
Rißwunden in Betracht. Die supravaginale Amputation mit intra¬ 
peritonealer Stielbehandlung wurde aus den oben angegebenen 
Gründen nicht empfohlen. Sie bedarf der gleichen Vorbedingungen, 
Assistenz etc., wie die abdominale Totalexstirpation; bei entspre¬ 
chender Schulung läßt sich letztere rascher als erstere ausführen. 
Je rascher nach erfolgter Ruptur der operative Eingriff gemacht 
werden kann, um so günstiger ist die Prognose desselben. Die 
besten Chancen für eine nicht operative Behandlung (Drainage) 
geben die incompleten Rupturen ohne besondere Blutung. N. 

Speiser (Berlin): Ueber die Prognose der Nervennaht. 

AlsErgebniß der vorwiegend compilatorischen Arbeit („Fort¬ 
schritte d. Medicin“, 1902, Nr. 5) ergibt sich Folgendes: 

Die Prognose der Nervennaht ist eine recht gute; bei kör¬ 
perlich kräftigen Personen und unter Berücksichtigung aller Cau- 
telen kann man sowohl bei primärer wie secundärer Naht fast 
stets einen Erfolg und in der Hälfte aller Fälle Herstellung 
voller Arbeitsfähigkeit erwarten. Der Erfolg tritt nicht schnell ein, 
sondern braucht zu seiner Entfaltung eine verhältnißmäßig lange 
Zeit. Deren Dauer hängt wesentlich ab von folgenden zwei Momenten : 
a) Sitz der Verletzung, b) Constitution des Patienten. Ein Erfolg 
bleibt aus bei weitgehenden Nebenverletzungen, meist bei unregel¬ 
mäßigem Wundheilungsverlauf und bei geschwächten Individuen, 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 15. 


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sowie bei zu starker Narbenbildung an der Nahtstelle oder um 
den genähten Nerven. 

Die Nervennaht sollte demnach im gegebenen Falle stets an¬ 
gelegt werden; eine Commission der belgischen medicinischen Ge¬ 
sellschaft hat dieser Anschauung schon einmal dahin Ausdruck ge¬ 
geben , daß das Unterlassen der Nervennaht auf eine Stufe 
zu stellen sei mit dem Unterlassen der Einrichtung einer Fractur. 

G. 

T. Hondo (Berlin): Zur Frage der Substitution des Chlors 
durch Brom. 

Bromsalze werden bei gemischter Kost rascher und intensiver 
eliminirt, und zwar werden wirksame Mengen in den ersten 10 Tagen 
nach dem Aussetzen zum größten Theile abgegeben, während die 
vollständige Elimination in minimalen Werthen noch Monate in 
Anspruch nimmt („Berl. klin. Wschr.“, 1902, Nr. 10). 

Wenn aber Bromsalze bei unzureichender Koehsalzzufuhr ge¬ 
geben werden, so erfolgt die Ausscheidung des Broms viel lang¬ 
samer und in geringerer Menge, um erst mit reichlicher Kochsalz¬ 
darreichung ausgiebiger und intensiver zu werden. Die Unter- 
chlorirungsdiät, wenn auch das Kochsalz auf ein Minimum, z. B. auf 
3 Grm. (sammt der Zuthat), eingeschränkt ist, übt auf den Stoff¬ 
wechsel keinen alterirenden Einfluß aus, vorausgesetzt, daß diese 
Unterchlorirung nicht zu lange dauert. 

Die Therapie kann aus diesen Thatsachen Nutzen ziehen, 
so bei Epilepsie u. s. w. Jedoch soll man dabei nicht aus den 
Augen lassen, dem Calorienbedürfniß durch reichliche Diät zu ent¬ 
sprechen, d. h. also, man wird das Brom zu einer ausgiobigen, aber 
kochsalzarmen Nahrung (Zuthat eventuell bis 3 Grm.) reichen 
und damit die Wechselbeziehungen zwischen Chlor und Brom hin¬ 
sichtlich Retention und Substitution therapeutisch ausnutzen können. 

B. 

H. Singer (Elberfeld): Ueber den Einfluß des Aspirins 
auf die Darmfäulniß. 

Die pharmakotherapeutischen Bestrebungen, welche eine Ein¬ 
schränkung der gesteigerten Darmfäulniß erreichen wollen, sind 
bisher nicht sehr ermuthigend und treten neben den physiolo¬ 
gischen Schutzmaßregeln des Organismus — der antiseptischen 
Kraft des Rhodanalkalis, der Magensalzsäure, der Galle, der leicht 
desinficirenden und abführenden Wirkung der aromatischen Fäul- 
nißproducte und insbesondere der regelmäßigen Defäcation — sehr 
in den Hintergrund. Die Unterstützung dieser natürlichen Verthei- 
digungsmaßregeln verspricht mehr Erfolg als die Einführung lös¬ 
licher oder unlöslicher Antiseptica, welche dem Darmschlauch gegen¬ 
über kaum nennenswerth in Betracht kommen. Die günstige Ein¬ 
wirkung der Salzsäure des Magens und der Säuremedication auf 
die Darmfäulniß bei Anacidität haben Käst und andere schon 
1889 betont. 

Es läßt sich nun nachweisen, daß auch die Förderung der 
Gallensecretion durch Cholagoga, z. B. die Galle selbst, bei sub- 
cutaner oder rectaler Application (aber nicht per os wegen der 
Schädigung der Magenverdauung) die Ausscheidung der Aether- 
schwefelsäure im Harn beim Hund erheblich herabsetzt. Dem Kli¬ 
niker ist fernerhin die Steigerung der Darmfäulniß, kenntlich am 
Stinken der Stühle, bei Abschluß der Gallensecretion schon lange 
bekannt. Das Aspirin, das Acetylderivat der Salicylsäure, ist wie 
ihr Ausgangsproduct eine der wenigen zuverlässigen Cholagogen, 
die uns von einer großen Reihe mit Unrecht empfohlener galleu- 
treibender Mittel übrig geblieben sind. Ferner wird Aspirin im 
Magen nur zu einem sehr geringen Theil gespalten und kann also 
noch im Anfangstheil des Dünndarms infolge der Abspaltung von Sa¬ 
licylsäure direct local antiseptisch wirken, gerade an einem Punkte, 
wo das die Fäulniß so außerordentlich begünstigende Pankreas- 
secret in den Darm gelangt. Die absolute Menge der Aetherschwefel- 
säuren wird weder nach Aspirin, noch nach Salicyl vermindert, 
eher scheint Neigung zu einem leichten Ansteigen der Werthe zu 
bestehen. Dagegen zeigt die Bestimmung des Harn-Indicans (nach 
Bouma) beim Hund, dem brauchbarsten Versuchsobject für Darm¬ 
fäulniß, unter der Aspirin-Medication deutliche Verminderung. Bei 


fleischfreier Kost bleibt die Indigoproduction sogar 4 Tage ganz 
fort und beginnt erst vom 5. Tage an in anfangs verminderter 
Menge. Auch von 2 Selbstversuchen ergibt der bei völlig fleisch¬ 
freiem Regime ausgeführte an dem der Darreichung von Aspirin 
(3 Grm.) folgenden Tage eine deutliche, schnell vorübergehende 
Herabsetzung des Indicans. Bei gemischter Kost ist ein solcher 
Effect nicht zu erkennen („Ztschr. f. klin. Med.“, Nr. 44, H. 1 u. 2). 

Es ist allerdings sehr schwierig, die klinische Brauchbarkeit 
eines Darmdesinficiens am gesunden Organismus, der so schon unter 
optimalen Verhältnissen arbeitet, festzustellen. Leichter kann die 
abnorm gesteigerte, als die physiologische, ohnehin fast minimale 
Darmfäulniß beeinflußt werden. In einem Fall von Magendarni- 
katarrh ging die Indican-Ausscheidung nach 3 Grm. Aspirin von 
44‘57 sofort auf 17'0 Indigo zurück. 

Die weitere Prüfung des Aspirins an geeignetem Kranken¬ 
material wäre daher zu wünschen. Allerdings darf man sich bei 
der Beurtheilung des Erfolges weniger nach dem symptomatischen 
Erfolg, der ja dem Aspirin als Antipyreticum und Analgeticum 
eigen ist, richten. Nur die quantitative Bestimmung der ausge¬ 
schiedenen Fäulnißproducte kann als genügender Beweis für darm- 
antiseptischc Wirksamkeit angesehen werden. N. 

Janowski (Warschau): Ueber den praktischen Werth der 
neueren Methoden der Blutuntersuchung. 

Die vorliegende Arbeit berichtet nicht über die Ergebnisse 
von Blutuntersuchungen im gewöhnlichen hämatologischen Sinne, 
sondern erstreckt sich auch auf die spectroskopische, bakteriologische 
und chemische Untersuchung des Blutes. Hiebei tlieilt Verf. ledig¬ 
lich das Resumö mit, nicht aber die einzelnen Untersuchungsergeb¬ 
nisse, was allerdings um so wünschenswerther gewesen wäre, als 
Verf. ein vernichtendes Urtheil über die modernen Bestrebungen 
in der angedeuteten Richtung fällt („Centralbl. f. allgem. Patho¬ 
logie u. pathol. Anatomie“, Bd. 12, H. 20). Nur der spectroskopi- , 
sehen Blutanalyse erkennt Verf. einen entscheidenden diagnostischen 
Werth zu, „durch die übrigen Methoden der Blutuntersuchung 
wird die Frage nicht nur nicht immer gelöst, sondern es kommt 
selbst zuweilen in klaren Fällen eine Reihe von Zweifeln auf“. 
Selbst die Verläßlichkeit der Blutuntersuchung bei Verdacht auf 
Malaria wird vom Verf. bestritten; seine Bedenken gegen den Werth 
der Untersuchung des Blutes auf das Vorhandensein von Recurrens- 
spirillen und Filaria sanguinis sowie gegen die bakteriologische 
Blutuntersuclmng und die Serodiagnostik des Typhus scheinen mehr 
theoretischen Erwägungen als eigenen Erfahrungen zu entspringen 
und sind in der vorgebrachten Form sicher nicht stichhältig. Auch 
die Kritik der histologischen Blutuntersuchungen fordert vielfach 
zum Widerspruch heraus, so die sicher unrichtige Bemerkung: 
„Wenn nämlich dabei (sc. „Untersuchung des frischen Blutes auf 
Leukocyten“) ca. 100.000—150.000 Leukocyten gefunden werden, 
so steht die Diagnose der Leukämie fest.“ Auf diesem Wege gelang 
Verf. zu dem Schlüsse: „Erwägen wir nun den Werth aller bisher 
in der Klinik und im Laboratorium für diagnostische Zwecke ver¬ 
wendeten Methoden, so müssen wir entschieden behaupten, daß die¬ 
selben unsere Hoffnungen unerfüllt gelassen haben. In einfachen 
Fällen, wo die Diagnose ohnedies über jeden Zweifel erhaben ist, 
liefern die sogenannten hämatologischen Daten, und zwar nicht 
immer, eine Reihe von Zahlen und Thatsachen, welche die Diagnose 
bestätigen. Wo wir jedoch von diesen Methoden die Diagnose er¬ 
warten, wo wir von den modernen hämatologischen Methoden die 
Lösung der Zweifel erwarten, dort finden wir keine Antwort, ja sehr 
oft wird die Situation noch verwickelter.“ Nachdem Verf. in kurzen 
Zügen eine mystische Theorie über das Vorhandensein verschiedener 
Fermente im Blute, das einen „Collector“ derselben darstellt, ent¬ 
wickelt hat, schließt er seine Abhandlung mit den Worten: „Auf 
die gegenwärtigen Methoden rechne ich wenig (obwohl ich die¬ 
selben nicht aufgegeben habe); sie liefern stets nur das, was bei 
gewisser Aufmerksamkeit von vorneherein für jeden Fall voraus¬ 
zusehen ist und was keinen praktischen Werth besitzt.“ — Dieser 
nihilistische Standpunkt des Verf. ist nach Ansicht des Ref. — 
und er glaubt hierin allgemeiner Zustimmung sicher zu sein — 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 15. 


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völlig unhaltbar; Verf. blieb auch eine nur halbwegs ausreichende 
Motivirung desselben schuldig. Hätte Verf. vor den Ausschreitungen 
der modernen Hämatologie im engeren Sinne gewarnt und die 
Grenzen gezeichnet, die ihr durch den heutigen Stand unseres 
Wissens gezogen sind, hätte er auf die Fehlerquellen der bakte¬ 
riologischen Blutuntersuchungen oder der Serodiagnostik in der 
Hand ungeübter Untersucher bei mangelhafter Technik hingewiesen, 
so wäre dies ein dankenswerthes Beginnen gewesen. Die vorliegende 
Arbeit hingegen vermag nur Verwirrung anzurichten; hoffen wir, 
daß jene, die sie lesen, ihren wahren Werth erkennen und sich 
nicht durch sie beirren lassen. Dr. S—. 

J assniger (Budapest): Der Pneumococcus Friedländer 
als Erreger der eitrigen Meningitis cerebro¬ 
spinalis. 

Verf. berichtet („Centralbl. f. Bakteriologie, Parasitenkunde 
und Infectionskrankheiten“, Bd. 30, Nr. l) über einen Fall von 
eitriger Cerebrospinalraeningitis, bei welchem als Erreger der Ba¬ 
cillus Friedländer nachgewiesen werden konnte; in der Literatur 
vermochte er nur sehr wenige gleiche Fälle zu finden. Bei der Section 
wurde als Ausgangspunkt eine Keilbeinhöhleneiterung gefunden, 
so daß Verf. annimmt, die Bakterien wären durch die Blutgefäße 
der knöchernen Wand der Keilbeinhöhle in den Sinus cavernosus 
gelangt, hätten dort eine Phlebitis erzeugt und wären dann längs 
der Nerven, speciell des Oculomotorius, auf die Dura gelangt und 
hätten so die weichen Hirnhäute inficirt. Dr. S—. 


Nakanishi (Kyoto, Japan): Ueber den Bau der Bakterien. 

Verf. stellt mit Hilfe seiner bekannten Methode, die es ermög¬ 
licht, Blut oder Bakterien in frischem Zustande, also ohne vorherge¬ 
hende Fixireng zu färben, eingehende und umfassende Untersuchungen 
über den Bau der Bakterien an. Dieselben führten („Centralblatt 
für Bakteriologie, Parasitenkunde und Infectionskrankheiten ü , 
Bd. 30, H. 3—6) zu interessanten Schlußfolgerungen, von denen 
nur die wichtigsten, die auch einen weiteren Leserkreis interessiren 
dürften, hier mitgetheilt seien: Alle Bakterien bestehen in ihrem 
jugendlichen Stadium, wenn sie unter günstigen Bedingungen ge¬ 
wachsen sind, aus kurzen, einkernigen Zellen (abgesehen von den 
Kommaformen), an denen man einen Kern, Protoplasma und Zell¬ 
membran unterscheiden kann. Die Zelltbeilung erfolgt bei den 
Bakterien im Wesentlichen, wie bei den Zellen höherer Thiere 
und Pflanzen, indem sie der vorhergehenden Kerntheilung folgt. 
Die Sporenbildung stellt eine intracellulare Einkapselung des Kernes 
und des verdichteten perinucleären Protoplasmas dar. Dr. S—. 

Messineo und Calamida (Turin): Ueber das Gift der Tänien. 

Die Verf. stellten aus Tänien einen wässerigen Extract dar, 
den sie Kaninchen, Meerschweinchen und Hunden injieirten, und 
beobachteten hiebei rasch (nach 24 Stunden) vorübergehende Ver¬ 
giftungserscheinungen bei den Versuchsthieren. Aus diesen Experi¬ 
menten schließen sie („Centralbl. f. Bakteriologie, Parasitenkunde 
und Infectionskrankheiten“, Bd. 30, H. 8 u. 9), daß „die pathogene 
Wirkung der Tänien vielmehr auf ein specielles Gift, als auf bloße 
mechanische Wirkung zu beziehen“ sei. Dieses in den Tänien vor¬ 
handene Gift wurde von Calamida chemisch genauer untersucht 
und auch seine Wirkung im Thierkörper bestimmt. Weitere Unter¬ 
suchungen sollen zeigen, „ob es direct von diesen Parasiten her¬ 
vorgebracht wird, oder das letzte Product ihres Stoffwechsels 
darstellt“. Dr. S—. 

Brion (Straßburg): Cholecystitis typhosa mit Typhus¬ 
bacillen. 

Während eines Typhusrecidivs trat 7 Tage ante mortem eine 
Cholecystitis auf; Verf. untersuchte („Centralbl. f. Bakteriologie, 
Parasitenkunde u. Infectionskrankheiten“, Bd. 30, H. 10) bei der 
27 Stunden nach dem Tode vorgenommenen Obduction den Gallen¬ 
blaseninhalt und fand hiebei einen Bacillus in Reincultur, den er cul- 
turell und durch Agglutinationsversuche als Typhusbacillus identi- 
ficiren konnte. Bei den bisher beschriebenen Fällen von Cholecystitis, 


in welchen der Typhusbacillus als Erreger derselben nachgewiesen 
wurde, vermißte Verf. die Angabe über die Anstellung von Agglu¬ 
tinationsversuchen , durch welche allein der sichere Nachweis 
für die Identität fraglicher Bacillen mit Typhusbacillen erbracht 
werden kann. Dr. S—. 


Kleine Mittheilungen. 

— Ueber Hyperemesis gravidarum berichtet Ludwig Pick 
(„Sammlung klin. Vortr. von Volkmann“, 1902, Nr. 325/32t>); 
Er bespricht in ausführlicher Abhandlung 22 Fälle von Hyper, 
gravidarum; er theilt seine Fälle in drei Kategorien, leichte, 
mittelschwere und schwere. Bei allen kam die an der Klinik 
streng durchgeführte Methode in Anwendung, die namentlich Ge¬ 
wicht legt auf Pflege in der Anstalt, auf den persönlichen Einfluß 
des Arztes, der seine Autorität, wenn nöthig, auch mit Strenge 
wahren muß, auf absolute Bettruhe in Rückenlage, strenge Milch¬ 
diät etc. Die Kategorie der leichten Fälle wurde in erster Linie 
nach diesen Principien behandelt; außerdem erhielten eine Reihe 
von Patientinnen auch Orexin in Dosen ä 0‘3 Grm. 2—3mal täglich 
in Oblaten verabreicht, und zwar mit sehr günstigem Erfolg. Dieses 
Mittel erscheint namentlich für die Privatpraxis empfehlenswerth. 

— Zur Injection von Hydrargyrum salicylicum bei ulceröser 
Elephantiasis der unteren Extremitäten verwendet man nach Durot 
(„Klin.-ther. Wschr.“, 1902J, Nr. 7) eine Lösung von 10 Grm. 
Hydrargyrum salicylicum in 100 Grm. Paraffinum liquidum, welche 
man mittelst gewöhnlicher PRAVAz’scher Spritze oder mittelst einer 
solchen mit Glasstempel, die leichter zu desinficiren ist, injicirt. 
Die Nadel der Spritze wird mit einem Ruck in die vorher gut 
mit Aether und Alkohol gereinigte Haut eingestochen, der 
Stempel langsam eingeschoben. Der Schmerz nach der Injection be¬ 
schränkt sich auf ein leichtes Stechen in der Glutäalgegend beim 
Aufsetzen. Bisweilen reagiren die Kranken auf die Resorption dos 
Mittels mit leichter Gliederschwere, Kopfschmerzen und Diarrhoe, 
in welchem Falle man einige Tropfen Laudanum verabreicht. Die 
größte Sorgfalt ist auf die Reinigung der Mundhöhle zu ver¬ 
wenden. Die Zähne müssen in vollkommen gutem Zustande sein, 
mindestens dreimal täglich, am besten mit der UNNA’schen Pasta, 
geputzt werden, die Gingiva ist mit Tinct. Myrrhae und Tinct. 
Ratanhiae aa. zu pinseln. Die Injectionen erweisen sich sowohl 
bei syphilitischen als carcinomatösen Tumoren und Geschwüren, 
namentlich bei veralteten callösen Geschwüren , von vorzüglicher 
Wirkung auf die Resorption und Vernarbung. Die Differential- 
diagnose der Natur der ulcerösen Elephantiasis, i. e. die Unter¬ 
scheidung ekzematöser, varicöser, syphilitischer oder lupöser 
Affection stößt bei Berücksichtigung der specifischen Symptome 
dieser Erkrankungen auf keine besonderen Schwierigkeiten. Bei 
allen diesen Processen wirken die Quecksilbersalze in gleicher Weise 
günstig auf die Resorption und Narbenbildung. 

— Eine interne Behandlung der adenoiden Vegetationen 
empfiehlt Lapayre („Klin.-ther. Wschr.“, 1902, Nr. 7). Sie besteht 
in innerlicher Verabreichung von Jod. Diese Behandlung ist zwar 
nicht neu, doch wurden bisnun immer zu kleine Dosen von Jod 
verabreicht. L. verwendet nur frische Jodtinctur, von der er einem 
Kinde von 3— 5 Jahren ungefähr 30—50 Tropfen täglich gibt, 
was ungefähr einer Dosis von O’IO metallischen Jods gleichkommt. 
Er beginnt mit je 6 Tropfen dreimal täglich in Zuckerwasser, Milch 
oder Malagawein und läßt jeden Tag um einen Tropfen steigen, 
so daß man nach einem Monate auf 48 Tropfen täglich gelangt. 
Man kann auf diese Weise bis zu 60 und 70 Tropfen täglich 
steigen. Sowie sich Erscheinungen von Jodismus zeigen, geht man 
allmälig wieder in derselben Weise zurück. Daä Mittel wird vom 
Magen sehr gut vertragen, manchesmal wird sogar der Appetit 
gesteigert. Uebrigens wird das Mittel sehr rasch ausgeschieden, so 
daß nach einer mehrwöchentlichen Behandlung, 50 Stunden nach 
dem Aussetzen des Jods, keine Spur mehr im Urin nachweisbar 
ist. Bei Erwachsenen kann man bis 100 und 200 Tropfen hinauf- 
geheu. Lucas-Championniere behauptet hiezu, daß er mit Jodkali, 
in kleinen Dosen durch längere Zeit verabreicht, ebenso gute Er¬ 
folge erzielt habe. Er überschreitet nie die Tagesdosis von 0'25 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 15. 


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und bei Kindern unter 10 Jahren eine solche von 012. Er ver¬ 
ordnet eine Lösung von 10 Grra. Jodkalium in 150 Grm. Wasser, 
von der er einmal täglich vor einer Mahlzeit einen Kaffeelöffel 
nehmen läßt. Diese Behandlung wird 2—3 Wochen fortgesetzt. 

— Die Quecksilberbehandlung von Tabeskranken selbst noch 
in späteren Stadien der Affeetion empfiehlt Bockhardt („Monatsh. 
f. prakt. Dermatol.“, 1902, Nr. l). Er wendet bei jeder Cur 
20—25 Einreibungen zu 2\5 bis höchstens 4 Grm. grauer Salbe 
täglich an, wobei er sorgfältig darauf achtet, daß das Körper¬ 
gewicht und der Allgemeinzustand des Kranken nicht leiden. In 
diesem Falle läßt er immer eine Pause in der Behandlung ein- 
treten. Außerdem werden lauwarme Bäder von 25—27° R. und 
10—15 Minuten Dauer 4—5mal wöchentlich verordnet. Der Kranke 


muß innerhalb 24 Stunden 12 Stunden im Bette verbringen, sitzt 
sonst womöglich im Freien und macht nur kleine Spaziergänge. 
Bei einigen Kranken wurden statt der Einreibungen Injectionen 
mit gutem Erfolge vorgenommen. 69 Kranke, unter denen 58 im 
Initialstadium und 11 im ataktischen Stadium sich befanden, 
machten drei und mehr Mercurialcuren durch. Bei 10 von ihnen 
macht die Tabes langsame Fortschritte, indem Coordination3- 
störungen hinzutreten; bei drei weiteren stellten sich trotz der 
Cur Magenkrisen und Blasenstörungen ein, während Coordinations- 
störungen ausblieben. Bei 33 Kranken trat auffallende Besserung 
ein, die lancinirenden Schmerzen verschwanden. Bei 12 Kranken 
wurde Stillstand der Krankheit erzielt. Bei den 11 ataktischen 


Kranken war die Mercurialcur weniger befriedigend. 

— Als Beruhigungsinittel bei Schmerzen werden verschrieben 
(„Centralbl. f. Ther.“, 1902, Nr. 3) i 


Rp. Pulv. archangelic. offic.100 

Acetanilidi. 10 


M. f. p. subtilissimu.->. Divide in dos. acq. Nr. X. 


D. S. 3mal täglich 1 Pulver zu nehmen. 

Rp. Pyramidoni.0'35 

Dionini.003 

M. f. p. Dtr. tal. dos. Nr. X. 

D. S. 3mal täglich 1 Pulver zu nehmen. 

Rp. Antipyrini ... . 10 

Coffein, natriosalicyl.0'25 


M. f. p. Dtr. tal. dos. Nr. X. 

D. S. 3stündlich 1 Pulver bis zum Aufhören 


des Schmerzes zu nehmen. 

Rp. Anemonini.0‘01 

Elaeosacch. foenic.0 09 

Sacchari.O'B 

M. f. p. Dtr. tal. dos. Nr. X. 

D. S. 3mal täglich 1 Pulver zu nehmen. 

Rp. Cocain, phenyl.0 01 

Antifebrini.0‘10 


M. f. p. Dtr. tal. dos. Nr. VI ad chart. japon. 
D. S. Bei nüchternem Magen 1 Pulver zu 


nehmen. 

Rp. Cannabini tannic.0'25 

Sacchari. . . . 0'5 

Glandul. lupuli.01 


M. f. p. Dtr. tal. dos. Nr. 5. 


D. S. Abends 1 Pulver in Bier zu nehmen. 


Rp. Chinin, bihydrobromic., 

Ferr. brom.aa. 0 1 

Pulv. et extr. rad. rhei q. sat. ut f. pilul. 
Nr. XXX. 

D. S. 3mal täglich 2 Pillen zu nehmen. 

Rp. Tinct. valerian., 

Aq. laurocerasi.aa. 200 

D. S. Bei Erregung 1 Kaffeelöffel voll zu nehmen. 


— Die locale Application des Heroinum hydrochloricum 

erörtert Albert Rosenberg. Die Wirkung, welche die locale An¬ 
wendung des Heroin im Larynx betrifft, ist eine zweifache: 1. eine 
hustenmildernde, 2. eine analgesirende. Wir wissen, daß gerade bei 
den am meisten von schweren Hustenattaquen gequälten Kehlkopf- 
tuberculösen dieser Husten nicht selten hervorgerufen wird durch 
die krankhafte Veränderung im Larynx, insbesondere bei stark 
granulirenden Ulcerationen („Heilkunde“, 1901, Nr. 2). Das auf 
die Schleimhaut applicirte Heroin setzt die Sensibilität herab, wie 
zahlreiche Versuche gelehrt haben. Wenn man aus einem Tropf¬ 
fläschchen einige Tropfen auf ein Wattebäuschchen fließen läßt und 
nun mit diesem die Schleimhaut der Nase, des Rachens oder des 
Kehlkopfes bestreicht, wobei oft noch nicht die Hälfte des aus¬ 


geträufelten Quantums verbraucht wird, so kann man durch Be¬ 
rührung mit der Sonde vor und nach der Einpinselung deutlich 
die Herabsetzung der Empfindlichkeit constatiron. Demnach leistet 
auch örtlich das Heroin einen guten Dienst gegen den Husten 
bei gewissen Fällen, ganz abgesehen von seiner internen Wirkung. 
Noch energischer ist die letztere bei der Dysphagie von Kranken 
mit Kehlkopftuberculose. 

— Ueber die Behandlung der Gallensteinkolik mit kleineren, 
aber häufigen Jodkaliumdosen berichtet F. Jaworski („Allg. Wr. 
Med. Ztg.“, 1902, Nr. 13). Verf. hat im Verlaufe von 5 Jahren 
30 Gallensteinkranke mit Jodkalium (4—6 : 200’0) behandelt. Die 
Patienten erhielten 2 Eßlöffel dieser Lösung und fühlten sich bei 
dieser Therapie sehr wohl. Die Schmerzhaftigkeit bei der Palpation 
und die Kolikanfälle ließen bald nach. Verf. verwendete das Jod¬ 
kalium in Fällen, welche mit heftigen, kurzdauernden Koliken und 
nachträglichem Gefühl von dumpfem Schmerz in der Lebergegend 
sowie Empfindlichkeit der Gallenblase einhergingen. Die Kranken 
erhielten kein anderes Medicament. Bei sehr heftigen Gallenstein¬ 
koliken darf man auf die langsame Wirkung des Jodkaliums nicht 
allzuviel setzen und muß zu Narkoticis greifen. 

— Den Werth und Zweck der Eisen- und Nährmittel¬ 
therapie erörtert M. Kacser („Klin.-ther. Wschr.“, 1902, Nr. 5). 
Bei Chlorotischen mit verminderter Verdauungsfähigkeit hat sich 
das Eiseneiweißpräparat Fersan vorzüglich bewährt. Das Fersan 
besitzt Vorzüge, welche dieses Mittel besonders empfehlen : Keine 
Dunkelfärbung des Stuhles durch Ferrosulfid, leichte Resorption 
und außerordentliche Anregung des Appetits. 

— Zur Behandlung der Leukoplakia bucco lingualis empfiehlt 
Bockhart („Monatsh. f. prakt. Dermatol.“, 1902, Nr. 4): Außer 
strengem Rauchverbot Einreibung der erkrankten Stellen der Zunge 
oder der Wangenschleimhaut mit Perubalsam, täglich oder in zwei 
Tagen einmal und häufige Ausspülungen des Mundes (6—12mal 
täglich) mit l / 2 —3°/ 0 iger Kochsalzlösung. B. hat in 5 Fällen voll¬ 
ständige Heilung innerhalb l / 4 — 2 Jahren, je nach der Intensität 
der Erkrankung, erzielt. Bei diesen Patienten traten auch nach 
Wiederaufnahme des Rauchens Recidive nicht ein. Auch bei Pat., 
welche sich nicht entschließen können, das Rauchen während der 
Behandlung aufzugeben, wird durch die Kochsalzspülungen die 
Entstehung von Rhagaden verhindert. Es empfiehlt sich, die Pat. 
stets ein Fläsehchen mit Kochsalzlösung bei sich tragen zu lassen, 
um häufige Mundspülungen zu ermöglichen. 


Literarische Anzeigen. 

Atlas der Geisteskrankheiten im Anschluß an Sommer’« 
Diagnostik der Geisteskrankheiten von Dr. A. Alber. Mit einem 
Vorwort von Prof. R. Sommer. Mit 110 Illustrationen. 126 S. 
Berlin und Wien 1902, Urban & Schwarzenberg. 

Der Atlas gibt sich als ein Erzeugniß der Gießener psy¬ 
chiatrischen Klinik und schließt sich eng einerseits an die „Dia¬ 
gnostik der Geisteskrankheiten“, andererseits an das „Lehrbuch der 
psychopathologischen Untersuchungsmethoden“ Prof. Sommer’s, des 
Leiters jener Klinik, an, gewissermaßen das hauptsächliche Interessen¬ 
gebiet dieses Forschers dadurch pädagogisch ausbauend, daß das 
Moment der Illustration in den Vordergrund gestellt wird. Das 
persönliche Verdienst des Verfassers ist dabei leicht zu übersehen ; 
es liegt in der Verläßlichkeit bei dem ungeheuren Umfange der 
zugrunde liegenden Arbeit und sei ausdrücklich hervorgehoben. Die 
110 Photographien stellen größtentheils Porträts dar, einige Bilder 
betreffen Schädel und Gehirn. Die Bilder sind, obwohl größtentheils 
stereoskopisch aufgenoramen, doch einfach, flächenhaft wieder¬ 
gegeben, die Reproductionen sind aber auch so zu einem großen 
Theile außerordentlich plastisch. Der Text ist kurz gefaßt, enthält 
das Wichtigste aus dem klinischen Bilde des illustrirten Falles, 
macht auf beachtenswerte Momente der Abbildungen aufmerksam 
und gibt die technischen Notizen. — Die Ausstattung ist gut und 
vornehm; sie ist bei einem derartigen Werke von besonderer 
Wichtigkeit und offenbar darnach eingerichtet. Infeld. 


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711 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 15. 


712 


Handbuch der physikalischen Therapie. Unter Mit¬ 
wirkung zahlreicher Fachgenossen herausgegeben von Dr. A. 
Goldscheider, a. o. Professor in Berlin , und Dr. Paul Jacob, 
Privatdoccnt in Berlin. Theil II, Band 1. Mit 55 Abbildungen. 
Leipzig 1902, G. Thieme. 

Der vorliegende Band des von uns wiederholt gewürdigten 
Handbuches der physikalischen Therapie eröffnet den speciellen 
Theil des groß angelegten Werkes und bespricht die physikalische 
Therapie der Hautkrankheiten (C. Kopp), des Muskelrheumatisnms 
(R. Friedländer) und der Muskelatrophie (L. Mann), der Gelenk¬ 
erkrankungen incl. Gicht (R. Friedländer) , der Rückgratsver- 
krümraungen (A. Hoffa) , der Infectionskrankheilen, und zwar 
Scharlach, Masern, Diphtherie (Kohts), Typhus abdominalis, Ery¬ 
sipel, Cholera indica, Malaria, Sepsis (Rumpf) , der Stoffwechsel¬ 
krankheiten, nämlich des Morbus Basedowii (Eichhorst), Diabetes 
mellitus, Fettsucht (Weintraud), Anämie, Chlorose und Scrophulose 
(Lazarus), der Erkrankungen des Respirationstractus (Friedrich, 
A. Fränkel, F. Egger und Renvers) und des Stotterns und 
Stammelns (Gutzmann). Diese reiche Fülle des Materials findet 
eine durchaus vorzügliche, klare und übersichtliche Bearbeitung 
seitens der genannten, in ihren Fächern hervorragenden Autoren. 

Daß in einem Werke von der Art des vorliegenden Wieder¬ 
holungen nicht vermieden werden können, wird Jedermann einleuchten, 
der die Schwierigkeiten kennt, welche aus der unentbehrlichen 
Arbeitsteilung unbeschadet ihrer sonstigen Vorzüge entspringen. 
Das Handbuch ist zweifellos berufen, eine klaffende Lücke unserer 
Literatur auszufüllen und der Kenntniß der physikalischen Heil¬ 
methoden die Wege zu ebnen. B. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

31. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für 

Chirurgie. 

(Oollectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) 

I. 

Bruns (Tübingen): Der erste Verband auf dem Schlachtfelde. 

Redner führt aus, daß die Einführung der kleinkalibrigen Ge¬ 
schosse eine kleine Umwälzung im ersten Verband auf dem Schlacht¬ 
felde herbeigeführt hat, da mau hauptsächlich der Frage, ob 
antiseptisch oder aseptisch, näher treten mußte. Wenn die früheren 
Kriege zur Evidenz erwiesen haben, daß jedes Geschoß inficirt war, 
so daß jede Wunde von vornherein gespalten, desinficirt und dann 
mit einem Listerverband bedeckt wurde — zwar kam im russisch¬ 
türkischen Kriege v. Bergmann nothgedrungen dazu, die zur Zeit 
berühmten Kniegelenk-Schußwunden einfach mit einem LiSTER’schen 
Verband ohne vorherige Desinfectiou zu bedecken , und es trat 
Heilung ohne Eiterung ein —, so steht man heute mit Recht 
auf dem Standpunkt, daß die Schußwunde mit dem heutigen Ge¬ 
schoß aseptisch ist, daß die Kleinheit der Hautwunde ihre 
aseptische und schnelle Heilung bedingt und daß man heute sein 
Hauptaugenmerk darauf richten muß, die secundäre Infection zu 
verhüten. Man bedeckt heute die Wunde sofort ohne jede weitere 
Manipulation mit aseptischem Verbandmaterial, unter welchem die 
Wunde mit einem trockenen Schorfe heilt. Schlecht ist die Be¬ 
deckung mit impermeablem Verband, der die Austrocknung der 
Wunde hindert. Das Bepudern der Wunden mit Jodoform- oder 
Salicylpuder hat manche Nachtheile. B. empfiehlt daher das Be¬ 
decken der Wunden mit Pasten aus Zinntuben und besonders em¬ 
pfiehlt er die Xeroformpaste, die sich in deu Tuben nicht zersetzt. 
Jeder Soldat soll ein Verbandpäckchen erhalten, wie es im deutschen 
Heere geschieht, die nach seinen Prüfungen noch nach 5- und 
lOjährigem Bestände vollkommen steril geblieben sind. Zur Befe¬ 
stigung des Verbandes empfiehlt B. statt der Binde, die leicht 
rutscht, das Kautsehukheftpflaster. Sämmtliche Wunden, einerlei 
ob Knochen und Gelenke getroffen sind, sollten mit einem einfachen 
Gazeheftpflasterverband geschlossen und eventuell mit einem sicheren 
Contentivverband versehen werden, denn der erste Verband und der 
erste Transport sind entscheidend für den Heilungsverlauf. 


Bertelsmann (Hamburg) berichtet über seine Beobachtungen in Mafe- 
king, deren günstiges Resultat er zum Theil auf das heiße afrikanische Klima, 
zum Theil darauf zurückführt, daß er jede Manipulation an der Wunde unter¬ 
lassen hat. 

V. Bergmann demonstrirt zwei Patienten mit Schußfracturen, an denen 
er auch im Frieden nicht mehr gethan hat, als im Kriege möglich gewesen 
wäre. Einen Schrotschuß in die Tibia, bei dem über 40 Schrotkugeln eingeheilt 
sind, trotzdem die Tibia in Splitter zerschlagen war (Demonstration der 
Roentgenbilder), einen Pistolenschuß in den Oberschenkel, der wie ein Dum-Dam- 
Geschoß wirkte, den Oberschenkel vollkommen zertrümmerte. Die Wunde war 
vorher sondPt und ausgewaschen. Am 5. Tage Anschwellung am Oberschenkel, 
Incision, Ausfluß einer Menge von fettiger, steriler Flüssigkeit. Dann Heilung 
mit Verkürzung von 4 Cm. 

Küttner (Hamburg) glaubt, daß das südafrikanische Klima keinen Ein¬ 
fluß auf den Heilungsverlauf hat, sondern daß nur 2 Punkte in Betracht 
kommen: das Geschoß selbst und die verbesserte Behandlung. Wunden durch 
große Granatsplitter, Bleigeschosse etc. sind alle vereitert, von den Mantel¬ 
geschossen sind nach seinen Protokollen nur 12% inficirt, und er schließt, daß 
die Enge des Wundcanals und die Kleinheit der Hautwunde maßgebend sind 
für den Heilungsverlauf. Die erste Hilfe soll möglichst schnell und möglichst 
schonend angewendet werden. Für die Knochen- und Gelenkschüsse bleibt die 
souveräne Immobilisirung der Gypsverband. Möglichst schnell soll der Ver¬ 
band die Wunde bedecken, weil die breiten Weichtheilwunden, die lange auf 
dem Scblachtfelde liegen, am ehesten besonders von Tetanus inficirt werden. 

Majewski spricht ebenfalls über die erste Behandlung der Wunden. 

Perthes (Leipzig) demonstrirt kleine Verbandpackete, die sich besondors 
für den Sanitätsdienst im Felde eignen. 

König (Berlin) kann sich mit der Pastenbehandlung der Wunde nicht 
einverstanden erklären; die Paste hindert die Austrocknung der Wunde. Zur 
Befestigung will K. der Binde nicht ganz entrathen. 

Trendelenburg (Leipzig): Demonstration eines Falles vonSchuß- 
verletzung des Herzens mit Einheilung der Kugel im Herzen. 

Der Patient schoß sich eine Kugel dicht neben der Mittellinie 
in die Brust. Er kam fast sterbend in die Klinik; da aber die 
Herzgegend nicht verbreitert war, der Puls schwach, aber zu 
fühlen war, wurde abgewartet; die Wunde schloß sich bald, der 
Patient wurde gesund. Die Roentgenaufnahmen und Leichenver¬ 
suche ergaben, daß die Kugel im rechten Ventrikel sich befand. 
Während der Puls während der Heilung sehr unregelmäßig wurde, 
beruhigte er sich später und T._ glaubte dafür folgendes Phänomen 
verantwortlich zu machen. Bei den Durchleuchtungen sah man, 
wie die Kugel im rechten Ventrikel wie eine Pille in der Schachtel 
fortwährend herumsprang, während sie später feststand; diese 
erstere Periode war die des unregelmäßigen Pulses, die zweite des 
wieder regelmäßig gewordenen. T. hat nun auch an Thierversuchen 
durch Einfuhren zweier aneinander gehefteter kleinen Kugeln durch die 
Vena jugularis in den rechten Ventrikel eine ähnliche Pulsunregel¬ 
mäßigkeit constatiren können. 

Hildebrand (Berlin): Die penetrirenden Bauchwunden der Man¬ 
telgeschosse und ihre Behandlung im Felde. 

H. führt aus, daß die Bauchschüsse eine Mortalität von 70% 
haben. Am größten ist sie bei Schüssen durch den Dünndarm, ge- 
geringer bei den Magen- und Colon transversum-Schüssen. Redner 
tritt dann der Frage der Laparotomie näher, der Bestimmung des 
Zeitpunktes des operativen Eingriffs, und kommt zu dem Schlüsse, 
daß dieser sobald als möglich stattzufinden hat, wenn die Diagnose 
einer Perforation als sicher angenommen wird. 

Nölker (Heidelberg): Die Behandlung der Fracturen mit primärer 
Knochennaht. 

Vortr. hat Studien darüber gemacht, wie weit man primär 
operativ bei Fracturen eingreifen soll, um die Knochennaht anzu¬ 
legen, wie man es schon allgemein bei den Fracturen der Pa¬ 
tella und des Olecranon macht. Seine Studien erstreckten sich auf 
4 Fracturen der Tibia und 2 des Humerus, und er kam zu dem 
Schluß, daß die primäre Naht nicht das in Bezug auf die Heilung 
erfüllt, was man von ihr erwarten möchte. Es vergingen oft Monate 
bis zur vollkommenen Consolidation. Was die Verbesserung der 
Resultate anlangt, so sind allerdings alle Möglichkeiten gegeben 
zur möglichst guten Coaptation, doch hat in zwei Fällen die Knochen¬ 
naht eine Verschiebung der Fragmente nicht verhindern können. 
Bei Schrägfracturen, Rotationsfracturen und denen der Gelenke, 
bei allen complieirten Fracturen kommt aber die Naht in Betracht, 
ebenso in den Fällen, wo an einer Extremität zwei Fracturen 
(Ober- und Unterschenkel, Ober- und Vorderarm) vorhanden sind. 


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713 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 15. 


714 


Ans 

medicinischen Gesellschaften Deutschlands. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Berliner medicinische Gesellschaft. 

Kossmann: Indication und Recht zur Tödtung des Fötus. 

Vortr. beschäftigt sich ganz besonders mit der juristischen 
Seite der Frage, welche für den Arzt insofern ungünstig liegt, als 
in den beiden in Frage kommenden Paragraphen 218 und 220 
von ärztlichen Eingriffen die Rede und daher der Auslegung 
freies Spiel gelassen ist. Die Commeutatoren haben sich in ver¬ 
schiedenem Sinne ausgesprochen. Das Kirchenrecht der Katholiken 
ist durch Edicte vom Jahre 1884, 1889 und 1895 festgelegt; 
darin ist jeder Eingriff zur Herbeiführung des künstlichen Aborts 
oder zur Tödtung des Fötus verboten, auch dann, wenn die Mutter 
nur dadurch gerettet werden könnte. Auch ist der Unterricht in der 
betreffenden Methode an katholischen Schulen untersagt. Die ethische, 
für den Arzt ausschlaggebende Seite der Frage betreffend, will 
K. vom künstlichen Abort nicht sprechen, da hier kein principieller 
Standpunkt aufgestellt werden kann, sondern von Fall zu Fall 
entschieden werden muß. Er sei aber jedenfalls nur dann erlaubt, 
wenn man überzeugt sei, daß das kindliche Leben auch ohne 
den Abort zugrunde gehe. Entschließt man sich zur Einleitung des 
künstlichen Aborts, so ist es jedenfalls zweckmäßig, zwei vertrauens¬ 
würdige Collegen zuzuziehen und über den ganzen Hergang ein 
Protokoll aufzunehmen. Die Tödtung des Kindes während der Ge¬ 
burt kommt nur im äußersten Nothfalle in Frage. In solchen Fällen 
muß man der Mutter die Möglichkeit der Erhaltung des Kindes 
durch den Kaiserschnitt nahelegen. Die Mutter muß wohl die heute- 
zutage relativ geringe Gefahr des Kaiserschnittes ebenso im Interesse 
des Kindes auf sich nehmen, wie der Vater in seinem Berufe oder 
im Kriege sein Leben aufs Spiel setzt. Lehnt die Mutter dies ab, 
dann soll der Arzt erklären, daß er die Behandlung niederlege. 
Es ist selbstverständlich, daß er jedoch dann bis zur Ankunft eines 
anderen Collegen bei der Kreißenden bleibt. 

Rosenheim: Die idiopathische Speiseröhrenerweiterung. 

Die Diagnose dieser Affection ist umso wichtiger, als sie nur 
im Anfänge einer Heilung zugänglich ist. Es werden meist jüngere 
Individuen befallen; dieselben bieten oft Zeichen nervöser Dispo¬ 
sition ; man darf aber die Krankheit nicht einfach als Neurasthenie 
oder Hysterie betrachten. Den Anfang des Leidens bilden Atonie 
des Oesophagus und Cardiospasmus, woran sich dann allmählich 
die inoperable Erweiterung anschließt. 

Als Ursache geben die Patienten an: Traumen gegen die 
Brust, heiße Bissen, Alkoholmißbrauch etc. Meist findet sich 
anfangs eine Störung der Magenfunction, und es kann sein, daß 
diese den Oesophagus ungünstig beeinflußt. Sehr häufig wird erst 
nur an ein Magenleiden gedacht. Allen Fällen gemeinsam sind 
Deglutitionsbeschwerden, Hasten , zumal im Liegen, krampfhafte 
Schmerzen ; zuweilen Athemnoth, Beklemmungen , Foetor ex ore, 
Aufstoßen, Uebelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit. Die Diagnose 
wird mit der Sonde gestellt, wenn sich schon, ehe diese die Cardia 
passirt haben kann, Speisereste entleeren und nach Eindringen in 
den Magen neuerdings Speisebrei mit den Zeichen der Magenver¬ 
dauung herausbefördert wird. In solchen Fällen ist die Sonde über¬ 
dies innerhalb des Oesophagus auffallend beweglich. 

Kommt man so nicht zum Ziel, so muß man zum Oesopha- 
goskop greifen. Eventuell kann man mit Roentgenstrahlen durch¬ 
leuchten; doch gibt dieses Verfahren selten besseren Aufschluß als 
die Sondirung. Die Differentialdiagnose zwischen Divertikel und 
Dilatation ist oft sehr schwierig; R. selbst hat noch kein Divertikel 
gesehen und hält die Dilatation für das häufigere Vorkommniß. 
Für die Therapie ist die Unterscheidung beider gleichgiltig. Die 
Behandlung ist rein symptomatisch: Ausspülungen morgens und 
abendliche Berieselung des Sackes; Kohlensäuredouchen; Spülungen 
mit Arg. nitr. 0'5—2 - 0 : 1000; eventuell locale Aetzung mit stärkerer 
Lösung im Oesophagoskop. Die Diät ist wohl auszusuchen; im 
Allgemeinen werden nicht sehr fein vertheilte Speisen besser ge¬ 
schluckt als breiige. Die Getränke werden bald warm, bald kalt 
bevorzugt. Der Cardiospasmus wird mit Sondirung behandelt, die 


aber in der Hand des Kranken schaden und selbst lebensgefährliche 
Perforationen herbeiführen kann. Manchmal empfiehlt sich lang¬ 
dauernde Rectalernährung, um den Oesophagus zu schonen. Für 
die Sondirung empfiehlt sich die ScHREiBER’sche Ballonsonde, bezw. 
eine von ihm modificirte, mit Wasser aufzublähende Sonde. 


Verein Freiburger Aerzte. 

Römer: Versuche mit Replantation von Zähnen. 

Die Replantation, die bereits im Mittelalter ausgeführt wurde, 
gelingt bekanntlich in vielen Fällen vorzüglich, so daß die Zähne 
wieder fest werden und viele Jahre functionstüchtig bleiben, in 
vielen Fällen aber nicht. Bei den mit Erfolg gekrönten Fällen 
findet eine wirkliche Verwachsung der replantirten Zahnwurzel 
mit der Alveole statt, indem sich die zerrissenen Bindegewebs¬ 
fasern, d. h. der Theil der Wurzelhaut, welcher an der Alveolar¬ 
wand hängen geblieben ist, und derjenige, der mit der Wurzel¬ 
haut herausgerissen wurde, wieder vereinigen und die Säftecircu- 
lation zwischen beiden Theilen sich wieder herstellt. Diese Art 
der Einheilung, wobei eine Restitutio ad integrum zustande kommt, 
kann man als Einhoilung per primam intentionem bezeichnen. Die 
Einwachsung kann aber auch secundär erfolgen im Anschluß an 
eine mehr oder weniger ausgebreitete Resorption, indem ein vom 
Alveolarperiost gegen die Resorptionslücken vordringendes, an 
Blutgefäßen und Zellen sehr reiches Gewebe neue Cement-, bezw. 
Knochensubstanz bildet und eine knöcherne Verwachsung der re¬ 
plantirten Zahnwurzel mit dem Kieferknochen herbeiführt. 

Aus seinen Experimenten und mikroskopischen Untersuchungen 
schließt R., daß die Erhaltung der Lebensfähigkeit der Periost¬ 
fetzen , welche an der extrahirten Zahnwurzel hängen geblieben 
sind, und der Cementkörperchen, die in den mit zahlreichen feinen 
Ausläufern versehenen Lücken der Ceraentschicht eingebettet liegen, 
in erster Linie erforderlich ist, um möglichst ausgedehnte Ein¬ 
heilung per primam intentionem zu erzielen, d. h., daß möglichst 
große Wandpartien der replantirten Zahnwurzel per primam ein¬ 
heilen und möglichst wenig Stellen der Resorption anheimfallen. 
Eine totale Einheilung per primam hat R. bisher nicht beobachten 
können und hält sie auch für unwahrscheinlich, weil bei der Re¬ 
plantation die Zahnwurzel niemals in allen Punkten der bei der 
Extraction mehr oder weniger verletzten Alveolarwand adaptirt 
werden kann. Die Erhaltung der Lebensfähigkeit der Zahnwurzel¬ 
umhüllung wird dadurch erreicht, daß man den Zahn möglichst 
bald nach Verlassen der Alveole replantirt oder die Zahnwurzel, 
wenn man mit derselben außerhalb des Mundes längere Proceduren 
vorzunehmen hat, durch warme, physiologische Kochsalzlösung 
lebensfähig erhält. 

K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 11. April 1902. 

G. V. TÖRÖK stellt ein 18jähr. Mädchen vor, bei dem unter 
der Haut, in der Gegend des linken Kniegelenkes, im 
Roentgenbilde 19 Nähnadeln zu finden sind. Die Kranke hatte 
angeblich die Gewohnheit, die Nadeln beim Nähen in die Kleider 
nahe beim Knie zu stecken. Es scheint sich um Selbstverletzungen 
einer Hysterica zu handeln. Operative Entfernung der Nadeln 
käme wohl nur dann in Betracht, wenn dieselben unmittelbar 
unter der Haut sitzen oder zu entzündlichen Veränderungen führen. 

E. SPIEGLER führt einen Mann mit multiplen eartilagi- 
nösen Exostosen vor, welche sich seit dem 7. Lebensjahre 
des Kranken an zahlreichen Knochen entwickelt haben und bis 
Kindsfaustgröße erreichen. Interessant ist das Vorkommen dieser 
Anomalie bei den Geschwistern und mütterlichen Verwandten des 
Kranken. 

S. EHRMANN demonstrirt einen Mann mit Hautatrophie 
am linken Beine und an der linken Hüfte. Die Haut ist daselbst 
geröthet, glatt, verdünnt und stellenweise abschuppend, die Subcutis 
von colossalen Venennetzen durchzogen. Am Unterschenkel finden 
sich der Sklerodermie ähnliche Veränderungen, der Panuiculus 
adiposus ist atrophisch. 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 15. 


716 


E. Lang bemerkt, daß das einseitige Vorkommen dieser Affection äußerst 
selten sei. 

J. Neumann möchte diesen Fall als idiopathische Hautatrophie an¬ 
sprechen. Bei dieser wird der Papillarkörper nach einem vorübergehenden 
Stadium von Hypertrophie in toto atrophisch, während bei der Sklerodermie 
eine Ton der Subcutis ausgehende Bindegewebsbildung vorliegt. 

J. Weinlechner hat einen Fall von hochgradiger Hautatrophie beob¬ 
achtet, welche zu Contracturen geführt hat. 

E. Lang bemerkt, daß Contracturen wohl bei Sklerodermie, aber nicht 
bei idiopathischer Hautatrophie Vorkommen. 

K. Kreibich weist darauf hin, daß Hautatrophie im Greisenalter zu 
Contracturen führen kann. 

S. Ehrniann hat bei idiopathischer Hautatrophie niemals Contracturen 
gesehen; bei dieser Form der Atrophie fehlt jede Sklerosirung des Cutis¬ 
gewebes, während dieselbe bei Sklerodermie hochgradig ist und selbst Sehnen 
und Knochen ergreift. 

L. SPITZER stellt einen Mann vor, welcher seit ungefähr 
3 Jahren an einer chronischen hyperplastischen Folli¬ 
culitis leidet. Der ganze Körper ist theils mit Narben, theils 
mit blaurothen weichen Knoten bedeckt; am Durchschnitte der 
letzteren findet man Follikel, deren Wand von Riesenzellen ent¬ 
haltendem Granulationsgewebe umgeben und stellenweise von dem¬ 
selben durchbrochen ist. 

L. HOFBAUER demonstrirt einen Mann, bei welchem ein links¬ 
seitiger Pneumothorax völlig symptomlos aufgetreten 
und nach ca. 20 Tagen spurlos wieder verschwunden ist. Fieber, 
Hustenreiz oder Athemnoth haben niemals bestanden; eine Lungen- 
afFection, welche zum Pneumothorax geführt haben konnte, war 
niemals nachzuweisen. 

J. Englisch : Zum Peniscarcinom. 

Vortr. erörtert die Frage des Peniscarcinoms auf Grund einer 
Zusammenstellung der in den Wiener k. k. Krankenanstalten in 
den Jahren 1892 —1898 beobachteten Fälle. Die Carcinome des 
Penis machen 1*78% aller verzeichneten Carcinorafälle aus; sie 
sind meist Epitheliome, seltener Medullarkrebse. In der Aetiologie 
derselben spielt unverkennbar das Trauma (Induration , Wunden, 
entzündliche Vorgänge, Narben) eine wichtige Rolle. In 29 ‘2°/ 0 der 
Fälle fand sich Phimose vor. Das Peniscarcinom tritt meist bei 
Personen höheren Alters (50—60 Jahren) auf, doch hat es Vortr. 
auch bei 2 Fällen unter 20 Jahren gefunden. Die Dauer desselben 
beträgt ungefähr 1 Jahr. Am häufigsten geht der Krebs von der 
Lamina externa des Präputium und von der Glans aus, am seltensten 
von der Penishaut. Die Carcinome der Glans greifen gewöhn¬ 
lich rapid um sich. Unter den Operationsverfahren nimmt die Am¬ 
putation mit dem Messer die erste Stelle ein, da sie überall anwend¬ 
bar ist, Modificationen gestattet und meist prima intentio garantirt. 
An der Pars pendula kann die Operation auch mit dem Ecraseur 
ausgeführt werden. Metastasen können in den Drüsen der Inguinal¬ 
gegend, der Darmbeingrube, an der Vorderfläche der Symphyse, 
an der Seite des Schenkelcanals, au der Basis des Penis und in 
der Umgebung des Plexus hypogastricus auftreten; die Untersuchung 
der Leistendrüsen allein ist daher nicht genügend. Die Recidiven 
erfolgen local (I — 20% der Fälle) oder in den Drüsen (4—12%). 
Eine möglichst frühzeitige Diagnose und rasches operatives Ein¬ 
greifen werden die Operationsresultate verbessern. 


Standesfragen. 

Die Verelendung des ärztlichen Standes in 
ihren Beziehungen zu den Krankencassen und 
der freien Arztwahl. 

Von Dr. Fritz Hartwig in Wien. 

I. 

Die Nachtheile des heutigen Zwangsarztsystems der 
Krankencassen für den ärztlichen Stand. 

(Schluß.) 

Aber noch viel schlimmere Consequenzen hat das Zwangsarzt¬ 
system für den gesammten Stand; es verringert die Achtung 
und das Ansehen. Einmal ist es wirklich nicht der Beruf 
des Arztes, sich im Krankendienste mit etwas anderem als mit 


der Untersuchung und Behandlung von Kranken abzugeben; die 
Anweisung oder Verweigerung des Krankengeldes aber ist eine 
Sache, die bloß die Krankencasse angeht, deren unangenehme 
Consequenzen, Haß und Feindseligkeit jedoch leider den Cassen- 
arzt treffen. Denn in den Augen der Cassenleitung liegt die Haupt¬ 
aufgabe des Cassenarztes nicht in der Behandlung von Kranken, 
sondern in der Feststellung ihrer Arbeitsfähigkeit. 

Was den Cassenarzt besonders charakterisirt, das ist seine 
Stellung zwischen Krankencassenleitung und Mitglied, deren Unzu¬ 
friedenheit sich leider Gottes immer auf das Bindeglied, den unglück¬ 
seligen Cassenarzt, ergießt. 

Die Cassen verlangen von ihren Aerzten strengste Beachtung 
ihrer Interessen gegenüber den Mitgliedern, also höchste Sparsam¬ 
keit mit den Krankengeldern, Medicamenten, kurz mit allem, was 
Geld kostet; außerdem verlangen sie stetig von ihm Herabminde¬ 
rung des Krankenstandes, größtmögliche Verkürzung der Zeit des 
Krankenstandes, wittern überall Simulation und zeigen bei jeder 
Schwankung des Krankenstandes nach oben das größte Mißtrauen 
gegen ihre angestellten Aerzte. 

Das erkrankte Mitglied verlangt vom Arzte stets das Gegen- 
theil von dem, was die Cassenleitung wünscht; also möglichst viel 
Krankengeld, viele, theure Medicamente, möglichste Rücksichtnahme 
auf seine Reconvalescenz. Und der arme Cassenarzt steht in der 
Mitte wie das Mehl zwischen den Steinen der Mühle; der mi߬ 
trauische Kranke consultirt fremde Aerzte hinter seinem Rücken 
und constatirt mit dem größten Vergnügen wirkliche und noch öfter 
scheinbare Widersprüche in den Aussagen beider; die Casse hetzt 
dem Arzte ihre Laiencontrolore und ihre Controlsärzte auf den 
Hals und scheut sich eventuell auch gar nicht, ihr nicht genehme 
Entscheidungen des Cassenarztes einfach umzustoßen. 

Wie sehr unter solchen Umständen das Ansehen dieser Kate¬ 
gorie von Aerzten leidet, ist bekannt; man zweifelt sogar an ihrem 
Wissen, an ihrer Ehrlichkeit; man bedauert und bemitleidet sie 
allerseits wegen der harten Arbeit, die sie für einen solchen Pappen¬ 
stiel von Bezahlung leisten müssen. Und siehe da, eine neue Sorte 
von Aerzten in den Augen des Publicums ist entstanden, deren 
Bezeichnung mißliebige Vergleiche mit den Berliner Fuhrleuten 
erweckt, eine Kategorie von „Aerzten zweiter Güte“. Das ist aber 
für den Gesammtstand nicht gleichgiltig; sinkt das Ansehen der 
einzelnen Mitglieder, so sinkt auch die geachtete sociale Stellung 
des ganzen Standes. 

Und das ist das Schlimmste an der ganzen Sache: der ge- 
sammte Stand muß büßen für die freiwilligen und unfreiwilligen 
Sünden der Cassenärzte, und diese sind wahrlich nicht klein. 

Die Hauptsünde des Cassenarztes besteht in der leichtsinnigen 
Uebernahme von Verpflichtungen, die unerfüllbar sind; das Folge¬ 
übel sind die daraus sich ergebenden Consequenzen. Eine der 
schlimmsten Consequenzen ist die durch die Ueberbürdung und 
schlechte Bezahlung bedingte schablonenhafte und fabriksmäßige 
Arbeit des Cassenarztes. Denn diese ist die Regel. 

Es muß zugegeben werden, daß es alle Cassenärzte am Be¬ 
ginn ihrer cassenärztlichen Thätigkeit mit Anspannung aller Kräfte 
und Hintansetzung ihrer Gesundheit versuchen, den eingegange¬ 
nen Verpflichtungen voll zu entsprechen, und daß einzelne, besonders 
idealistisch angelegte Naturen mit Hintansetzung des eigenen Geld¬ 
beutels dieses Kunststück vielleicht auch längere Zeit zu Wege 
bringen. Bei der Mehrzahl ist dies nicht der Fall, weil es einfach 
unmöglich ist. 

Die Leidensgeschichte des heutigen Krankencassenarztes ist 
immer dieselbe: Nach größerer oder geringerer Spitalsbildung denkt 
er daran, selbständig zu werden. Zufällig hört er von freien 
Stellungen bei irgend einer der großen Krankencassen. Er reicht ein 
Offert um eine solche Stelle ein und hat vielleicht wirklich das 
Glück (?), daß man mit ihm in Verhandlung wegen Uebernahme 
einer solchen Stelle tritt. Man bietet ihm seitens der Krankencassen¬ 
leitung 600—800 fl., oft auch weniger, ohne ihm über die 
Größe der ihm übertragenen Leistung genügende Aufschlüsse zu 
geben; er frägt vielleicht nach der Zahl der ihm zugewiesenen 
Cassenmitglieder; man antwortet ihm, deren genaue Zahl sei der 
Casse selbst nicht bekannt und fluctuirend; er frägt, wie groß 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 15. 


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seine Arbeit werden würde und erhält die stereotype Antwort, die¬ 
selbe sei von schwankendem Umfang, aber doch unschwer zu be¬ 
wältigen. Der etwas leichtgläubige, unerfahrene junge Mann, das 
Herz noch voll seiner Jugendideale, übernimmt hoffnungsvoll die 
angebotene Stellung, indem er sich einbildet, durch wenn auch 
noch so harte Arbeit sich später zu einer besseren Existenz durch¬ 
zuringen , macht rasch noch einige Schulden für eine kleine Ein¬ 
richtung und Wohnung und fängt an zu robotten. Ich will alle 
die schlimmen Erfahrungen, die Leiden und Demüthigungeu, die 
ein solcher CJnglücksmann in seiner neuen Stellung zu dulden hat, 
nicht des Näheren erörtern; aber nach 1—2 Jahren, wenn der 
Betreffende das Mißverhältniß zwischen Arbeit und Einkommen, 
seine beständige Geldnoth, seine gering geachtete Stellung unter 
dem Publicum und den Collegen, das zweifelhafte Renomme des 
Cassenarztes im Allgemeinen sieht, kurz, wenn er erkennt, daß 
er der Gefoppte ist, dann legt er angeekelt vor solch hunde¬ 
ähnlicher Existenz entweder seine Stelle nieder oder, und dies 
ist das häufigere, er arbeitet verdrossen und stumpfsinnig wie 
ein übel entlohnter Sclave weiter, weil er infolge seiner mi߬ 
lichen , durch seine Stellung bedingten, finanziellen Verhältnisse 
nicht anders kann. Und es kommt die erste Consequenz seines 
Leichtsinnes; er untersucht seine Patienten entweder möglichst 
rasch und flüchtig oder gar nicht, bemüht sich, so wenig cassen- 
ärztliche Besuche zu machen als irgend thunlich, überhaupt so 
wenig Zeit und Miihe als nur möglich an seine cassenärztliche 
Thätigkeit zu verlieren. Denn das geringe Einkommen von der 
Cassa, zu groß zum Sterben, zu klein zum Leben, verweist ihn 
auf den energischen Betrieb der Privatpraxis, und nun zeigen sich 
als böse Folgen dieser Handlungsweise die falschen Diagnosen, das 
Verkennen und Uebersehen von schweren Erkrankungen, die 
schablonenhafte Verschreibung von Medicaraenten, die Herzlosig¬ 
keit gegenüber seinen Cassenpatienten, die er nur als drückende 
Last empfindet, die Einbuße an Charakterstärke infolge der vielen 
Demüthigungen, die er bald von Seiten seiner Cassenpatienten, bald 
von Seiten der Cassenleitung erleidet, das infolge dessen hochgradig 
herabgesetzte Selbstbewußtsein und die Gewöhnung solchen schleuder¬ 
haften und inhumanen Vorgehens gegenüber seinen Kranken über¬ 
haupt. Und alle diese Fehler fallen zurück auf den ganzen Stand! 
Denn so urtheilslos die großen Massen sonst sind, so gutes Unter¬ 
scheidungsvermögen besitzen sie doch, wo es sich um ihren Geld¬ 
beutel und ihre Gesundheit handelt. Der Widerspruch, daß der 
Arzt einen tuberculösen Cassenpatienten einmal die Woche, einen 
Privatpatienten 3 — 4mal besucht, gibt zu denken. Der Widerspruch, 
daß der Arzt am Cassenpatienten die Medicamente spart, am 
Privatpatienten reichlich bemißt, reizt förmlich zur Revolte. 

Die feine Unterscheidung von Kranksein und Arbeitsfähigkeit 
resp. Arbeitsunfähigkeit, die der Cassenarzt bei seinen Cassen¬ 
patienten machen muß, die er aber bei seinen Privatpatienten nicht 
macht, erbittert seine Cassenpatienten und macht sie zu seinen ge¬ 
schworenen Feinden. Das Endresultat ist nicht bloß Haß und 
Verachtung des Arztes, der sich zu anderen Zwecken als zu denen 
seines Berufes, d. i. zu heilen und zu trösten, mißbrauchen 
lassen muß, sondern die Geringschätzung des ärztlichen Standes 
und seiner Kunst überhaupt, da das Publicum es nicht verstehen 
will und kann, daß der Cassenarzt unter dem Zwang der Ver¬ 
hältnisse minderwerthige Arbeit leisten muß, sondern weil es glaubt,* 
er könne eine andere Arbeit als eine minderwerthige gar nicht 
leisten. Und so kommt der arme Cassenarzt in Verruf und wird 
„von unverständigen Leuten als ein Arzt zweiter Güte angesehen“. 

Nach diesen Ausführungen ist es klar: Gegen die Schädigung 
des ärztlichen Standes durch das Zwangsarztsystem gibt es nur 
eine Hilfe : Verwischung zwischen privat- und casseuärztlicher Be¬ 
handlung, Verwischung der Grenzen zwischen Privat- und Cassen¬ 
arzt, mit anderen Worten: „Aufhebung des Zwangsarzt¬ 
systems.“ 


Notizen. 

Wien, 12. April 1902. 

(Reform des Krankencassenwesens.) In der Sitzung 
des Abgeordnetenhauses vom 7. d. M. beantwortete der Minister¬ 
präsident die Anfragen betreffend die gesetzliche Regelung des Ver¬ 
hältnisses der Aerztc zu den Krankencassen. Er erkannte rückhalt¬ 
los die Verdienste .an, welche sich der gesammte österreichische 
Aerztestand durch die Mitwirkung bei der Durchführung der obli¬ 
gatorischen Krankenversicherung der Arbeiter erworben hat, um¬ 
somehr, als sich diese Mitwirkung vermöge verschiedener Verhält¬ 
nisse zum Theile zu einer für die Aerzte opfervollen gestaltet bat 
und dabei Unzukömmlichkeiten zutage getreten sind, deren Besei¬ 
tigung oder Milderung vom Aerztestande nicht mit Unrecht gefordert 
wird. Gleichwohl — meinte der Minister — darf nicht verkannt 
werden, daß die gesetzliche Regelung der Aerztefrage in Beziehung 
zu den Krankencassen mannigfache Schwierigkeiten bereiten wird, 
weil hiebei auch auf die Interessen der übrigen Factoren, insbe¬ 
sondere auf die Erhaltung und Sicherung der Leistungsfähigkeit der 
Träger der Krankenversicherung, gebührend Bedacht zu nehmen 
sein wird. Aus diesem Gesichtspunkte wird der Versuch gemacht 
werden müssen, den Abschluß von allen billigen Anforderungen 
entsprechenden Verträgen zwischen den Aerzten und den Kranken¬ 
cassen über die Besorgung des ärztlichen Dienstes unter Mitwirkung 
der Aufsichtsbehörden über die Krankencassen, beziehungsweise der 
zuständigen autonomen Vertretungen des Aerztestandes gesetzlich 
anzubahnen. Die Einleitung einer bezüglichen Action mußte sich 
naturgemäß verzögern, weil sie zweckmäßig nur im Zusammenhänge 
mit der geplanten durchgreifenden Um- und Ausgestaltung der 
Arbeiterversicherung, für welche die Vorarbeiten bereits im Zuge 
sind, erfolgen kann. Es wird den Aerztekammern Gelegenheit ge¬ 
geben werden, vor Einbringung eines Gesetzentwurfes im Reichs- 
rathe sich zu den Grundzügen desselben zu äußern. 

(Hans Ernst August Büchner f.) In München ist 
am 5. d. M. nach langem, schwerem Leiden der Ordinarius der 
Hygiene und Director des hygienischen Institutes Prof. Dr. Hans 
Büchner im 52. Lebensjahre gestorben. In ihm verliert die Hygiene 
einen ihrer namhaftesten Vertreter, der, mit unermüdlicher Arbeits¬ 
kraft und reicher Begabung ausgestattet, ursprünglich activer 
Militärarzt war und schließlich der Nachfolger Pettenkofer’s 
wurde. Seine Publicationen sind zumeist bakteriologischer Natur 
gewesen. Wir nennen u. a.: „Ueber die Physiologie der niederen 
Pilze mit besonderer Berücksichtigung auf den Pilz des Milzbrandes“, 
„Untersuchungen über niedrige Pilze“, „Ueber die natürliche Wider¬ 
standsfähigkeit gegen Infectionserreger“. 

(Die neue Landesirrenanstalt) in Mauer-Oehling, 
welche in den nächsten Wochen eröffnet werden soll, wird zum 
erstenmale in Oesterreich das englische System der Pflegefamilien 
vertreten ; es werden nämlich minder gefährliche Irre Familien in 
Pflege gegeben und innerhalb derselben nach Vorschrift beaufsichtigt. 
Zu diesem Zwecke ist für jede Familie ein Häuschen mit Garten 
eingerichtet und zur Aufnahme von nicht mehr als zwei Irren 
bestimmt. Diese Häuschen bilden eine ansehnliche Colonie, die 
nach Bedarf erweitert werden kann. Die Anstalt in Mauer-Oehling 
wird die größte in Oesterreich sein. 

(Niederösterreichischer Landessanitätsrath.) In 
der Sitzung vom 7. April d. J. wurde über die zum Zwecke der 
Vornahme von Desinfectionen der Wohnungen Tubercu- 
loser vom Wiener Stadtphysicate beantragte Verpflichtung zur 
Anzeige der Aufnahme solcher Kranker in den Wiener Spitälern 
referirt. 

(Aus der ärztlichen Praxis.) Die oberösterreichische 
Aerztekammer hat kürzlich über Aufforderung des Landesgerichtes 
in Linz in einer bemerkenswerthen Angelegenheit ein Gutachten 
abgegeben : Ein zu einer magenkranken Frau gerufener Arzt er¬ 
fuhr von dieser, daß sie gleichzeitig wegen einer Fractur von dem 
„Beinrichter“ Stadelbauer behandelt werde. Da im Verlaufe der 
letzteren Affection Sepsis und Exitus letalis eintrat, wandte sich 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 15 


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das genannte Gericht mit der Anfrage an die Kammer, ob der 
Arzt seine Standesehre verletzt haben würde, wenn er den von 
Stadelbauer behandelten Fuß einer zweckentsprechenden Behandlung 
zugeführt hätte. Die Kammer gab ihr Gutachten dahin ab, daß 
für den Arzt keine Veranlassung vorlag, seine Behandlung aufzu¬ 
drängen, da kein Arzt dies thun werde. Ein gleichzeitiges Behan¬ 
deln mit dem Curpfuscher Stadelbauer wäre nach ärztlichen Begriffen 
zweifellos als standeswidrig zu bezeichnen. Es habe daher der Arzt 
nach Ansicht der Kammer in jeder Beziehung correct gehandelt. 

(Die Versammlung der Deutschen Otologischen 
Gesellschaft) wird am 16. und 17. Mai d. J. in Trier stattfinden. 
Als Referate sind in Aussicht genommen: Benzold (München) und 
Körner (Rostock): 1. Die Behandlung der acuten Mittelohrentzündung. 
Röpke (Solingen): 2. Die Unfallverletzungen des Gehörorganes und 
die procentuale Abschätzung der durch sie herbeigeführten Ein¬ 
buße an Erwerbsfähigkeit im Sinne des Unfallversicherungsgesetzes. 

(Die W ander Versammlung der südwestdeutschen 
Neurologen und Irrenärzte) findet heuer am 24. und 25. Mai 
in Baden-Baden statt. Geschäftsführer sind Kraepelin (Hei¬ 
delberg) nnd Fischer (Pforzheim). 

(Eine Coalition der Moskauer medicinischen 
Vereine) ist — wie uns aus Moskau berichtet wird — daselbst 
geplant. Dem vorliegenden Entwürfe entsprechend, wird der Ver¬ 
band der medicinischen Gesellschaften bei der Moskauer Universität 
bestehen und dem Ressort des Ministeriums der Volksanfklärung 
unterstellt sein. Die Geschäftsführung der Coalition wird einem 
besonderen Rathe, dem je zwei Vertreter von jeder Gesellschaft 
angehören werden , übertragen. Diese Vertreter werden auf drei 
Jahre von den betreffenden Gesellschaften gewählt. 

(Statistik.) Vom 30. März bis incl. 5. April 1902 wurden in den 
Civilspit&lern Wiens 7164 Personen behandelt. Hievon wurden 1319 
entlassen; 177 sind gestorben (11 8% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilhevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 56, egypt. 
Augenentzündung 2, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 4, Dysen¬ 
terie 1, Blattern—, Varieöl len 105, Scharlach 84, Masern 432, Keuchhusten 54, 
Rothlauf 46, Wochenbettfieber 4, Rötheln‘32, Mumps 24, Influenza—, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 776 Personen gestorben 
(-(- 17 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: in Prag der o. Professor 
der Augenheilkunde an der czechischen Facultät und kgl. böhm. 
Landes-Augenarzt Dr. Josef Schöbl , 65 Jahre alt; in Hamburg 
der Besitzer des Teplitz Schönauer mechanotherapeutischen Institutes 
Dr. David Honig im 59. Lebensjahre und Dr. M. Piza, 50 Jahre 
alt; in Gent der Professor der chirurgischen Pathologie Dr. Booquf. ; 
in San Francisco der Professor der Chirurgie Dr. L. Cooper- 
Lane; in Cairo der Professor der klinischen Medicin Dr. Seymour 
G. Toller. 

Docent Dr. Kolisch ordinirt Apnl—October in Karlsbad, Haus „Pome¬ 
ranzenbaum“. 


Eingesendet. 


Wir gestatten uns, den Herren Aerzten davon Miltheilung zu machen, 
daß nach dem Ableben des königl.-Ungar. Ministerialrathes Prof. Dr. Josef 
v. Fodob die wissenschaftliche Aufsicht über die Apenta-Quellen von dem 
bisherigen Director der chemischen Reichsanstalt, königl. Rath Dr. Leo 
Liebermann (Professor der Hygiene und Director des hygienischen Instituts 
an der königl. Universität, Budapest) ausgeübt wird. 

Der ärztlichen Facultät wird hiednreh Gewähr dafür geleistet, daß die 
Exploitirung der Apenta-Quellen fortgesetzt in einer für therapeutische Zwecke 
geeigneten Weise erfolgt. 

Apenta Actien-Gesellschaft. 

Budapest, 23. Februar 1902. 


Oesterreichische Gesellschaft für Gesundheitspflege. 

Voll -Versammlung Mittwoch den 16. April 1902, 7 Uhr Abends im 
Hörsaale des k. k. hygienischen Universitäts-Institutes , IX., Schwarzspanier¬ 
straße 17. 

Tagesordnung: 

1. Mittheilungen des Vorsitzenden. 

2. Prof. Dr. S. Eiirmann : Die neueren Wege der Syphilisprophylaxe. 


Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 

Sitzung Donnerstag den 17. April 1902, 7 Ubr Abends, im Hörsaale der 
Klinik Neusser. 

Vorsitz: Hofrath Prof. Dr. Neusser. 

Programm : 

I. Demonstrationen. 

II. Dr. Holzknecht: a) Zur Pathogenese der paraarticulären Ossificationen 
bei den neurotischen Arthropathien. 

b) Ueber Phrenicnslähmung. Das Präsidium. 


Neue Literatur. 

(Der Redaction zur Besprechung eingesandte Bücher.) 

J. Linke, Behandlung der BA&EDOw’schen Krankheit. Halle a. S. 1902, 
A. Kaemmerer & Co. — M. 1.—. 

F. Koenig , Die specielle Tuberculose der Knochen und Gelenke. II. Das 
Hüftgelenk. Berlin 1902, A. Hirschwald. 

Medicinalabtheilung des Ministeriums. Das Sanitätswesen des preußischen 
Staates 1895, 1896 nnd 1897. Berlin 1902, Richard Schoetz. 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 


Mit dieser Nummer versenden wir eine Beilage der 
chemischen Fabrik F. Hoffmann-La Roche & Cie. in Basel und 
Grenzach, über Thigenol „Roche“. Wir empfehlen dieselbe 
der geneigten Beachtung unsrer Leser. 

Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
Postversendnng. Die Preise der Einb&nddeoken sind folgende: für die „Med. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
„Therapie der Gegenwart“: ÜT1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Postversendnng. 

Die Rubrik: „Erledigungen, ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der »weiten Inseraten-Seite. 

HK" Wir empfehlen diese Rubrik der speciellen Beachtung unserer 
geehrten Leser; in derselben werden öfters — neben der Publication von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auch für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein können, welche an eine 
Aenderung des Domioils oder ihrer Verhältnisse nicht gedacht haben. “HS 



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Wien, den 20. April 1902. 


Nr. 16. 


XLIII. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart-Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik“, letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse" 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Bedaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 


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Abonnementcpreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
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Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
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vereines: Jährl. 24 Mrk. , halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 AT; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man ahonnirt im Auslande bei 
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sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien,!., Maximilianstr. 4. 


Medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 

° * Verlag von 

Begründet 1860. - .q« 8.- Urban & Schwarzenberg in Wien. 

Redigirt vo~ 

Redaction: Telephon Nr. 13.849. _ - . — Administration: Telephon Nr. 9104. 

Dr. Anton Bum. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Ueber die Syphilis des Magens und Darmes. Von Prof. Dr. M. r. Zeissl in Wien. — Aus der mähr. 

Landeskrankenanstalt in Brünn (Interne Abtheilung Primarius Dr. Mager). Beitrag zur Kenntniß der Pankreaskrankheiten. Von Dr. Hugo Schmiede 
(Marienbad). — Ueber einen Fall von acuter Ataxie bei Tabes. Von Dr. S. Josipowici in Berlin. — Referate. Albeck (Kopenhagen): Experimentelle 
und klinische Untersuchungen über die Todesursache bei Dünndarmstrangulation. — R. Sciiaeffer (Berlin): Der Alkohol als Händedesinfections- 
mittel. — Baracz (Lemberg): Ein Vorschlag zur operativen Behandlung der Ischias. — Hölscher (Mülheim): Zur Behandlung der Ischias. — 
Villard et Pinatelle (Lyon): Sur un cas d’enfoncement obstetrical de tout le frontal, avec fracture gueri par le relövement sanglant. — Lange 
(München): Ueber ungenügende Muskelspannung und ihre operative Behandlung. — Szaboky (Budapest): Ueber den Heilwerth des EpicariDS. — 
Nagano (Breslau): Physiologisch-chemische Studien über die Eigenschaften des Dünndarmsafies. — Rist (Paris): Neue Methoden nnd neue Ergeb¬ 
nisse im Gebiet der bakteriologischen Untersuchung gangränöser und fötider Eiterungen. — Bartel und Stenström (Hamra, Schweden): Beitrag 
zur Frage des Einflusses hoher Temperaturen auf Tuberkelbacillen in der Milch. — Kleine Mittheilungen. Zur Behandlung der Neuralgien 
nach Influenza. — Medicamentöse Therapie der Arteriosklerose. — Versuche mit Jodoien. — THiERScn’sche Transplantation. — Eine neue Leibbinde 
und deren Wirkungsweise. — Die Behandlung der Tuberculose mit Zimmtsäure (Hetol). — Indicationen zur Erneuerung der antisyphilitischen 
Behandlung. — Dormiol. — Literarische Anzeigen. Handbuch der praktischen Chirurgie. Bearbeitet und herausgegeben von Prof. E. v. Bergmann 
in Berlin, Prof. P. v. Bruns in Tübingen und Prof. J. v. Mikulicz in Breslau. — Die Syphilis und die venerischen Krankheiten. Ein kurz gefaßtes 
Lehrbuch zum Gebrauche für Studirende und praktische Aerzte. Von Dr. Ernest Finger, k. k. a. o. Professor der Dermatologie und Syphilidologie 
an der Universität in Wien. — Feuilleton. Pariser Brief. (Orig.-Corresp.) II. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. 31. Versammlung der 
Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. (Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) II. — Aus italienischen 
Gesellschaften. (Orig.-Ber.) — 2 0 Congreß für innere Medicin . Gehalten zu Wiesbaden 15. — 18- April 1902. (Collectiv-Ber. der „Freien Ver- 
^ ' "einlgung aer Oeutsciien'ifiea'.’Tactipfesse^ Gesellschaften. (Örig.-Ber.) — Standesfrägen. Die Verelendung des ärztlichen 

Standes in ihren Beziehungen zu den Krankencassen und der freien Arztwahl. Von Dr. Fritz Hartwig in Wien. II. — Notizen. — Neue 
Literatur. — Eingesendet. — Offene Correspondenz der Bedaction und Administration. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 

Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse“ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 


Ueber die Syphilis des Magens und Darmes. 

Von Prof. Dr. M. v. Zeissl in Wien. 

I. Die syphilitischen Erkrankungen des Magens. 

DieErkenntniß der Magensyphilis wurde namentlich 
durch Arbeiten von H. Chiari and seiner Schüler gefördert. 
Derselbe hatte die in Rede stehende Erkrankung schon in 
der 4. und 5. Auflage des von H. v. Zeissl und mir heraus- 
gegebenen Lehrbuches bearbeitet und außer in einer Publication 
in der „Prager med. Wochenschr.“, 1885, in der Festschrift 
für Virchow, 1891, diese Erkrankungen neuerlich eingehend 
gewürdigt. 

Vor Chiari’s gewissenhafter Kritik hielten nur die Fälle 
von Klebs, Cobnil und Ran vier, Weichselbaum und Birch- 
Hirschfeld Stand. Den von E. Wagner beschriebenen Fall 
sieht H. Chiari wegen des fehlenden mikroskopischen Befundes, 
so wahrscheinlich auch die syphilitische Wesenheit desselben 
ist, als nicht sichergestellt an. Die Resultate Chiari’s basiren 
auf 145 Fällen hereditärer und 98 Fällen acquirirter Syphilis, 
also zusammen 243 Fällen. Unter diesen fand er dreimal 
direct als syphilitisch zu bezeichnende Erkrankungen des 
Magens, und zwar je einmal gummöse Magensyphilis bei 
hereditärer, einmal bei acquirirter Syphilis. Einmal fand er 
bei hereditärer Lues eine diffuse, mit der größten Wahrschein¬ 
lichkeit als syphilitisch anzusprechende Infiltration der Mucosa 
und Submucosa des Magens. Bei den 240 übrigen Fällen 
wurden zwar auch 74mal Befunde im Magen erhoben, allein 


kein einziger konnte als Ausdruck einer eigentlichen syphi¬ 
litischer!' Magenerkrankung angesprochen werden, wenn auch 
in vielen der Fälle ein allerdings indirecter Zusammenhang 
mit der Syphilis bestand. 

Man kann also nach Chiari annehmen, daß die syphi¬ 
litischen Magenerkrankungen direct oder indirect der Syphilis 
ihre Entstehung verdanken. Die unmittelbar durch die Syphilis 
hervorgerufenen Erscheinungen sind große Seltenheiten und 
stellen nach Chiari einfache entzündliche Infiltrationen oder 
gummöse Processe dar. Die erstere Form wurde bisher nur 
bei hereditärer Syphilis beobachtet. Bei einem eine halbe 
Stunde nach der Geburt verstorbenen Kinde fand Chiahi 
zahlreiche, umschriebene, plattenförmige, gummöse Infiltrate 
im Dünndarm. Zugleich war die Mucosa und Submucosa des 
Magens hyperämisch, leukocytär infiltrirt, u. zw. genau so wie 
die zwischen den gummösen Infiltraten diffus entzündete 
Darmschleimhaut. Die gummöse Magensyphilis kann sowohl 
bei hereditärer, als bei acquirirter Syphilis Vorkommen. Die 
indirect mit der Syphilis zusammenhängenden Erkrankungen 
des Magens sind Circulationsstörungen, hervorgerufen durch 
syphilitische Erkrankungen anderer Organe (so namentlich der 
Leber) oder durch Blutungen (als Theilerscheinung einer durch 
Syphilis hervorgerufenen hämorrhagischen Diathese. Syphilis 
haemorrhagica), und werden relativ häufig angetroffen. 

Die gummösen Processe im Magen sind durch Gegenwart 
des gummösen Gewebes charakterisirt, das sich nach Chiari 
in der Submucosa zu entwickeln scheint und von dieser aus¬ 
gehend die übrigen Magenwandschichten ergreift. Durch Zer¬ 
fall solcher gummöser Herde in der Magenwand, respective 
durch Verdauung derselben durch den Magensaft, können nach 


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Chiari in der That syphilitisch-pep tische Ulcera und eventuell 
auch, wie das der Fall von Weichselbaum und der Fall von 
Cornil und Ranvier wahrscheinlich machen, Narben entstehen. 
Solche Narben sind, wie Chiari treffend hervorhebt, nur dann, 
wenn bei der Ulceration stellenweise noch das gummöse Gewebe 
nachzuweisen ist oder daneben andere, noch nicht exulcerirte 
Gummata sich linden, oder wenn die Narben neben unzweifel¬ 
haft gummösen Erkrankungsherden getroffen werden, mit 
Berechtigung auf die Syphilis zurückzufiihren. 

Dieulafoy, der einen unter den Symptomen eines Ulcus 
ventriculi verlaufenden Fall von Magensyphilis unter einer 
antiluetischen Cur ( Quecksilberjodidin jectionen) heilen sah, 
theilt die Magensyphilis in folgende Formen ein: hämorr¬ 
hagische Erosionen und Ecchymosen der Schleimhaut, gummöse 
Infiltrationen der Submucosa, gummöse Plaques, circumscripte 
Gummata und gummöse Exulcerationen mit restirenden Narben. 
Wie schon Chiari bemerkte, so fand auch Diedlafoy, daß der 
Magensaft eine ungünstige Einwirkung auf die gummösen 
Exulcerationen übt. Nach Dieulafoy’s Meinung kommen syphi¬ 
litische Magenerkrankungen häufiger vor, als angenommen 
wird und muß man daher bei den Symptomen des Ulcus 
ventriculi anamnestisch nach Syphilis forschen. Flexner be¬ 
obachtete in einem Falle ein perforirendes gummöses Geschwür 
des Magens. Weitere Fälle von Magensyphilis beschreiben 
Kleinschmidt bei hereditärer Syphilis, die gleichzeitig Magen, 
Leber und Darm betraf, Lener (mit Gummen in der Zunge), 
Dalgliesh (drei Fälle von Magensyphilis, von denen 1 Fall 
Erscheinungen des Ulcus ventriculi darbot und unter anti¬ 
luetischer Behandlung heilte), E. Frankel, Scheib, Einhorn, 
Jürgens, Buday, Bitten, Oberndorfer und Drozda. Fournier 
berichtet über zwei Fälle von Blutbrechen, die durch Verab¬ 
reichung von Jodkali geheilt wurden. Hiller beschreibt einen 
ähnlichen Fall. 

Die Fälle, in welchen die Diagnose auf Magensyphilis 
gestellt wurde und dann auf antiluetische Behandlung Heilung 
oder Besserung erfolgte, werden unser Bemühen zu einer 
Symptomatologie der Magensyphilis zu gelangen anspornen 
müssen. Als sicher erwiesen können aber nur die Fälle 
gelten, in denen die Obduction und der mikroskopische Befund 
die Diagnose sicherstellen. Leider fehlt in diesen Fällen, 
wie in dem Fränkel’s , der Decursus morbi, oder stand wie 
im Falle Scheib’s der Kranke so kurze Zeit in Beobachlung, 
daß unsere klinische Kenntniß durch diese Fälle wenig ge¬ 
fördert wird. 

Einhorn theilt die syphilitische Magenerkrankung in 
folgende Gruppen: 1. Magengeschwüre syphilitischen Ur¬ 
sprungs, 2. Syphilitische Magengeschwulst, 3. Syphilitische 
Pylorusstenose. Von diesen Formen will er je 2 Fälle dia- 
gnosticirt und geheilt haben. In einem Fall von Magen - 
geschwulst soll es nach Einhorn nach einiger Zeit zur 
Recidive gekommen sein, doch sah er den Patienten nach 
Feststellung derselben nicht mehr. Jürgens demonstrirte 
Präparate von Gastroenteritis gummosa follicularis, welche 
von einem 22 Jahre alten Mädchen stammten, bei welchem 
gleichzeitig Papeln ad anum, gummöse Affectionen des 
Herzens, der Lunge, der linken Niere und eine universelle 
interstitielle Encephalitis nacbgewiesen waren. In Buday’s 
Fall war 14 Tage vor der Spitalsaufnahme blutiger Stuhl 
constatirt und wegen Tumors in der Nabelgegend eine 
Laparotomie ausgeführt worden, nach welcher alsbald der 
Tod erfolgte. Die Obduction ergab Gummen der Mesenterial¬ 
lymphknoten, gummöse Geschwüre des Dünndarms und des 
Magens, des Zungengrundes, der Leber und der Nieren. Im 
Magen fanden sich zwei kreisrunde Geschwüre von 10-Pfennig- 
stückgröße nächst der großen Curvatur und ein bohnengroßes 
Geschwür in der Nähe des Pylorus. Bittner berichtet über 
3 Fälle hereditärer Syphilis. In einem Fall, der einen 
2»/« Stunden nach der Geburt verstorbenen Knaben betraf, 
fanden sich 7 plattenförmige Infiltrate der Submucosa, die 


aber durchwegs auch in die Mucosa und hie und da in die 
Muscularis Übergriffen. Außerdem bestanden Pneumonia alba, 
Pericholangitis syphilitica und gummöse Infiltrationen des 
Dünndarms. Der zweite Fall betraf einen 6monatlichen 
Fötus. Es fanden sich: Roseola syph. confluens, Epithelial¬ 
abhebungen auf der Zunge, Gummata in Leber und Lunge, 
gummöse Infiltrate des Dünndarms, Chondritis luetica und ein 
linsengroßes, plattenförmiges Infiltrat der Submucosa und 
Mucosa des Magens, das in der Mitte leicht exulcerirt war. 
Der 3. Fall betraf eine macerirte, weibliche, fast ausgetragene 
Frucht. Iu den Lungen und in der Leber bestanden zahl¬ 
reiche miliare Gummen, in Dünndarm und Magen bestanden 
von der Submucosa ausgehende, in Mucosa und Muscularis 
übergreifende plattentörmige, gummöse Infiltrate. In allen 
3 Fällen stellte die mikroskopische Untersuchung die Diagnose 
sicher. Scheib’s Fall betraf einen 51jährigen Mann, der 3 Monate 
vor dem Tod ein Trauma in der Magengegend erlitten hatte. 
2 Monate vor dem Tode beobachtete man Bluterbrechen und 
blutige Stühle. Auf der Klinik PRibram’s lag der Kranke 
nur 3 Tage mit der Diagnose: beiderseitige Lungentuberculose, 
rechtsseitige Pleuritis und Ulcus ventriculi nach Trauma (?). 
Die Section ergab: Zahlreiche Lungengummen, Gummen des 
Magens, welche zur Perforation und zu plastischer Anlöthung 
an Milz und Darm geführt hatten, Gummen im Duodenum, 
Jejunum, und an der tiefsten Stelle das Coecum. Die peri¬ 
bronchialen und retroperitonealen Lymphknoten waren wenig 
vergrößert, hingegen die des Dünndarmmesenterium bis wallnu߬ 
groß und derbelastisch. Die mikroskopische und bacteriologische 
Untersuchung schloß Tuberculose und Typhus aus und stellte 
Syphilis fest. Zum Exitus hatte die gummöse Magenaffection 
geführt. In Oberndorfer’s Fall litt das betroffene Kind seit 
den ersten Lebenstagen an Magendarmkatarrh. Zu Lebzeiten 
wurde Lebersyphilis und Variola syphilitica confluens dia- 
gnosticirt. Trotz antiluetischer Behandlung erfolgte der Tod. 
Die Section ergab: Gummen der Leber, 6—7 luetische Ge¬ 
schwüre im Magen, Dünn- und Dickdarm. Oberndorfer hebt 
die Wichtigkeit der Elastinfärbung auf Grundlage seiner 
Präparate hervor. Drozda fand neben Gummen des Pankreas 
und der Leber eine haselnußgroße, strahlige Narbe in der 
Schleimhaut des Magens. Aristoff berichtet über einen 
weiteren Fall von Chiari, einen Fall von Stolper (43jäbriger 
Mann, 4 Gummen des Magens) und untersuchte selbst 9 Fälle 
von hereditärer Syphilis in Bezug auf den Magen. Er fand 
2mal Gummata in der Submucosa, 3mal diffuse syphilitische 
Gastritis (gummöse Infiltration), lmal herdweise chronische 
Entzündung der Submucosa wahrscheinlich gummöser Natur, 
lmal Gummata an der Grenze der Mucosa und Submucosa, 
lmal diffuse Gastritis vielleicht syphilitischer Natur und 
1 mal geringe Entzündung der Submucosa vielleicht syphili¬ 
tischer Natur. In allen Fällen nahm Aristoff die mikro¬ 
skopische Untersuchung vor. Es bestanden gleichzeitig syphi¬ 
litische Erkrankungen anderer Organe, so des Dünndarmes, 
des Dickdarmes, der Leber und des Pankreas. Fränkel fand 
in seinem Falle 13 Geschwüre im Magen und 31 Geschwüre 
im Jejunum und Ileum, welche sich unter dem Mikroskop als 
syphilitische Geschwüre erwiesen. 

Die Diagnose auf syphilitische Magenerkrankungen 
wird immer nur eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose sein können. 
Anhaltspunkte für dieselben werden die Anamnese, die mit 
der Allgeraeinsyphilis gleichzeitig beginnende Magenaffection 
und der eventuelle Erfolg einer antiluetischen Cur geben. 

Ueber die in den Spätstadien der Syphilis von Jullien 
häufig gefundenen Magendilatationen, die er einerseits mit der 
innerlichen Behandlung der Syphilis, andererseits mit syphi¬ 
litischen Leberaffectionen in Verbindung zu bringen suchte, 
stehen mir keine Erfahrungen zu Gebote. 

Was die Magenblutungen bei Syphilitischen anlangt, so 
werden dieselben auch beobachtet bei Syphilis der Leber, des 
Pankreas und der Milz, also bei Eikrankungen von Organen, 
welche eine Stauung im Gebiete des Pfortaderkreislaufes 


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hervorrufen können. Die Haemateraesis kann also nicht als 
sicheres Merkzeichen der Magensyphilis hingestellt werden, 
sondern kann eventuell auch ohne Erkrankung der Magen¬ 
schleimhaut an Syphilis zustande kommen. 

(Schluß folgt.) 


Aus der mähr. Landeskrankenanstalt in Brünn 
(Interne Abtheilung Primarius I)r. Mayer). 

Beitrag zur Kenntniß der Pankreaskrankheiten. 

Von Dr. Hugo Schmiedl (Marienbad). 

So exact unsere derzeitigen Kenntnisse über die physio¬ 
logische Bedeutung des Pankreas sind, so lückenhaft ist die 
Klinik der Pankreaskrankheiten geblieben. Das, was wir an 
Erkenntniß über Pankreaspathologie gewonnen haben, ver¬ 
danken wir den Obductionsbefunden, dem Thierexperiment 
und auch der operativen Chirurgie — die innere Medicin hat 
die Sache am wenigsten gefördert. Es wird daher heutzutage 
vielleicht als Wagniß erscheinen , wenn ich einen Fall von 
Pankreaserkrankung veröffentliche, dessen Diagnose gar nicht 
durch die Obduction sichergestellt ist. Doch sind die Ver¬ 
hältnisse in meinem Falle so merkwürdig klar, die charakte¬ 
ristischen Ausfallssymptome der gestörten Pankreasfunction 
treten als so markante Symptome auf, ohne, wie gewöhnlich, 
durch Symptome von Seite der erkrankten Nachbarorgane 
verdeckt oder verschleiert zu sein, daß wir berechtigt sind, 
hier schon in vivo mit Sicherheit die Diagnose zu stellen — 
nach dem heutigen Stande der Pankreasdiagnostik, die ich 
vorerst kurz skizziren will. 

Aus der dem erkrankten Pankreas zuertheilten Sympto¬ 
matologie sind viele Symptome fallen gelassen worden; manche 
haben der Kritik nicht Stand halten können (verminderte 
Indicanausscheidung, Maltosurie, Pentosurie, Lipurie etc.), 
manche haben sich als nicht genug eindeutig erwiesen (z. B. 
Icterus, verschiedene dyspeptische Beschwerden und abdominale 
Symptome). Als eiserner Bestand sind uns nur die Symptome 
geblieben, die durch Ausfall der physiologisch festgestellten 
Pankreasfunctionen bedingt sind und daher charakteristische 
Ausfallssymptome genannt werden. Diese sind: 

1. Diabetes. Durch die glänzenden Thierexperimente 
von Minkowsky und Mering, sowie durch eine große Zahl 
von Obductionsbefunden, die die verschiedenartigsten Pankreas¬ 
krankheiten bei Diabetikern constatiren, sind die Beziehungen 
des Pankreas zum ZuckerstoffWechsel derart sicher fundirt, 
daß es heute außer Zweifel steht, daß Pankreaskrankbeiten 
eine der Ursachen des Diabetes sind. 

2. Steatorrhoe. Das Auftreten von Fettstühlen. Ob¬ 
wohl dieses Symptom nichts weniger als eindeutig ist, uns 
ja auch bei den Gallenkrankheiten und bei durch Darm- oder 
Lymphdrüsenerkrankung gestörter Fettresorption vorkommt, 
wird uns die physiologische Wichtigkeit des Pankreassecretes 
bei der Fettverdauung das Auftreten von Fettstühlen als 
sehr plausibel erscheinen lassen. Thatsächlich berichten auch 
zahlreiche Krankengeschichten von Pankreaskrankheiten über 
das Auftreten von Fettstühlen; ein so ausgezeichneter Stuhl¬ 
kenner, wie Friedrich Müller, will allerdings dafür als 
Ursache nur die gleichzeitig gestörte Gallen secretion gelten 
lassen. 

3. Azotorrhoe, mangelhafte Eiweißverdauung, klinisch 
in Erscheinung tretend als massenhaftes Auftreten von un¬ 
verdauten Muskelschollen im Stuhle, das sich bis zum Abgänge 
makroskopisch leicht erkennbarer unverdauter Fleischbrocken 
steigern kann. Da wir dieses Symptom auch bei vermehrter 
Dünndarmperistaltik finden, empfiehlt Boas, wenn daraus 
diagnostische Schlüsse auf Pankreasaffection gezogen werden 
sollen, gleichzeitig durch Opiummedication die Peristaltik zu 
arretiren. Dazu kommt 

4. eine palpable Resistenz oder ein Tumor in der 
Pankreasgegend. Kein einziges dieser Symptome hat eine 


absolute Beweiskraft; in ihrer Coincidenz bilden sie — wie 
Oser hervorhebt — ein Krankheitsbild von so ausgeprägtem 
Charakter, daß man daraus die Diagnose einer Pankreas- 
affection mit Sicherheit stellen kann. 

Warum werden nun Pankreaskrankheiten so selten erkannt, 
trotzdem sie gewiß nicht selten Vorkommen ? (Es ist ja auch 
gar nicht einzusehen, warum das bei der Verdauung aller¬ 
wichtigste Organ, das auch denselben Schädlichkeiten aus¬ 
gesetzt ist, weniger leicht erkranken soll als Magen, Darm 
und Leber.) Weil die charakteristischen Ausfallssymptome 
sich relativ selten bei Pankreaskrankheiten nachweisen lassen. 
Die Gründe dafür sind folgende (ich citire hier die Worte 
Oser’s aus seiner ausgezeichneten Monographie der Pankreas¬ 
krankheiten) : 

„1. Ist für jede die Verdauung betreffende physiologische 
Function des Pankreas ein collaterales Organ vorhanden, 
welches die durch das Fehlen der Pankreasfunction ent¬ 
standenen Lücken auszufüllen imstande ist. Für die Eiwei߬ 
verdauung tritt der Magen ein, für die Fettemulgirung die 
Galle und theilweise der Darmsaft, für die Amylolyse die 
Speicheldrüsen und das Secret gewisser Darmdrüsen. Selbst 
die Fettspaltung ist keine ausschließliche Function des Pan¬ 
kreas. In den unteren Partien des Darmes betheiligen sich 
auch Mikroorganismen daran, welche aber die freigewordene 
Fettsäure sogleich weiter in solche von niedrigerem Kohlen¬ 
stoffgehalte zersetzen. 

2. Von Wichtigkeit ist ein anatomischer Grund. Das 
Pankreas hat beim Menschen in der Regel zwei Ausführungs¬ 
gänge, und wenn auch einer derselben verlegt oder der diesem 
Gange entsprechende Drüsentheil functionsuntüchtig ist, über¬ 
nimmt der andere Gang die vicariirende Thätigkeit. Der 
Umstand, daß die Leber nur einen Ausführungsgang hat, 
erklärt die Constanz der Ausfallssymptome bei Verlegung 
dieses Ganges. 

3. Kann ein großer Theil der Drüse zerstört oder func¬ 
tionsunfähig sein, und der Rest genügt vollkommen für die 
geforderte Leistung, namentlich in Bezug auf die sogenannte 
innere Function. Es ist dies aber auch für die digestive 
Function denkbar, wenn wenigstens ein Ausführungsgang 
zur Verfügung steht. 

4. Die Pankreaserkrankungen sind häufig mit Erkran¬ 
kungen der Nachbarorgane combinirt; sie treten als Theil- 
erscheinungen von Erkrankungen des Magens, des Darmes, 
der Gallenwege, der Leber auf. Es werden durch diese 
mannigfachen Combinationen darum schwer entwirrbare Krank- 
heitsbilder geschaffen, weil die Erscheinungen, die von den 
Erkrankungen der Nachbarorgane herrühren, viel schärfer in 
Scene treten können, als die von dem erkrankten Pankreas 
selbst ausgehenden. 

Die angeführten Thatsachen erklären zur Genüge, warum 
die eigentlichen charakteristischen Symptome, soweit sie uns 
bisher bekannt sind, nur relativ selten in das Bereich unserer 
Erkenntniß gelangen, und warum in den meisten Fällen 
während des Lebens nur solche Symptome zutage treten, 
welche die Pankreaskrankbeiten mit einer großen Anzahl 
von Erkrankungen der Nachbarorgane gemeinsam haben.“ 

Nach dieser über den heutigen Stand der Pankreas- 
diagnostik orientirenden Einleitung will ich über den Fall 
selbst berichten. 

Frau E. A., 43 Jahre alt, überstand als Kind Lungenentzündung, 
vor 18 Jahren, vor 10 Jahren einen schweren Typhus. 4 Partus, der 
letzte vor 15 Jahren ein Abortus. Krankheitsbeginn vor 7 Jahren, 
angeblich nach einem Diätfehler; es traten Diarrhöen auf, täglich 
6—10 Stühle, bei Besserung 3 —4 flüssige Stühle. Dabei zeitweise 
Kolikschmerzen mit Entleerung von schaumigem, grünem Stuhl, 
zeitweise auch Blut im Stuhl, flüssig und geronnen (es bestanden 
auch Hämorrhoidalknoten). Gelbsucht trat nie auf. Damals wurden 
vom Arzte katarrhalische Darmgeschwüre diagnosticirt. Trotz Opium¬ 
behandlung und Verabreichung der verschiedensten Adstringentien 
wurde der Stuhl nicht fest und die Koliken mußten manchmal mit 


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Morphininjectionen behandelt werden. Dieser Zustand dauerte circa 
3 Jahre, führte aber nicht zu Abmagerung, sondern zu Gewichts¬ 
zunahme. 

Im Juni 1898 traten plötzlich sehr heftige Schmerzen im 
rechten Epigastrium auf, nach oben und unten ausstrahlend, mit 
großer Druckempfindlichkeit dieser Gegend, gleichzeitig entwickelte 
sich unter Schüttelfrost hohes Fieber bis zu 40°, und Icterus, 
dabei continuirliches Erbrechen einer grünen, gallig-bitteren Flüssig¬ 
keit. Es wurde ein Gallenblasenabsceß diagnosticirt, und schon 
waren die Vorbereitungen zur Operation getroffen, als plötzlich 
am 5. Tage der Erkrankung mit Erbrechen von circa 1 / 8 Liter 
reinen Eiters das Krankheitsbild sich änderte, indem das Fieber 
und Erbrechen aufhörte. Der Icterus und die Schmerzen im Epi¬ 
gastrium dauerten aber noch circa 8 Wochen an, so daß oft 
Morphiuminjectionen gemacht werden mußten, und erst nach dieser 
Zeit trat Besserung soweit ein, daß Pat. das'Bett verlassen konnte. 
Die Mittheilungen über diese intercurrente Erkrankung verdanke ich 
der Freundlichkeit des behandelnden Artztes Dr. Schulz, welcher 
auch den Eiter als solchen diagnosticirte. 

Ein halbes Jahr nachher (Februar 1899) traten Entzündungs¬ 
erscheinungen an den Morphiuminjectionsstellen auf, was zur Con- 
statirung von Zucker im Harn (5°/ 0 ) Veranlassung gab; damals 
bestand auch Polyphagie, Polydipsie, Hautjucken und Pruritus 
genitalis, welche Symptome sich angeblich ziemlich plötzlich ent¬ 
wickelt hatten. Eine Karlsbader Cur machte die Pat. zuckerfrei, 
mußte aber wegen schwerer Metrorrhagien (Uterusmyom) unter¬ 
brochen werden. Die Glykosurie war im weiteren Verlaufe vom 
diätetischen Verhalten abhängig; die Schmerzen im rechten Epi¬ 
gastrium waren gering, keine Abmagerung. Im Januar 1901 
Ischias, 6 Wochen dauernd. Jetzt fühlt sich Pat. wieder seit October 
1901 krank; die spontanen und Druckschmerzen im 4. Epigastrium 
sind wieder etwas stärker, gleichzeitig besteht Cystitis mit starkem 
Harnschneiden. Oft tritt Leibschneiden auf, und nach langem 
Kollern im 'Leib ' flüssige "Stühlentleerung. Dabei bestellt Schmerz'' 
bei der Defäcation und Tenesmus (Hämorrhoiden), die epigastralen 
Schmerzen sind von der Nahrungsaufnahme unabhängig; über 
vermehrten Hunger und Durst, sowie Jucken klagt die Kranke 
derzeit weniger. , 

Status praes. Pat. ist klein, Knochenbau gracil, sehr gut 
genährt. Körpergewicht 82 Kgrm. Haut etwas blaß, ebenso die sicht¬ 
baren Schleimhäute. Keine Hautfärbung. Skleren nicht gelb ver¬ 
färbt, Zunge feucht, roth. Temp. 36*7, Puls 80, Respir. 16. Horz- 
und Lungenbefund normal. Leberdämpfung beginnt an der 6. Rippe, 
überschreitet den Rippenbogen nicht. Milz percutorisch normal. 
Unterer Leberrand und Milzpol nicht palpabel. Starker Panniculus 
adiposus der Bauchdecken, im Hypogastrium einen Fettwulst 
bildend. Mäßiger Meteorisraus, kein Ascites. Bauch nirgends druck¬ 
empfindlich bis auf eine circumscripte Stelle im rechten Epi¬ 
gastrium , die sich genau in der Mitte zwischen Nabel und dem 
Endpunkte der rechten Mamillarlinie am Rippenbogen befindet. 
Daselbst wird schon geringes Drücken unangenehm empfunden, 
bei stärkerem Druck in die Tiefe schmerzhaftes Verziehen des 
Gesichtes. Dieser localisirten Druckempfindlichkeit entsprechend, 
tastet man in der Tiefe eine deutliche Resistenz. Am After 
mehrere große collabirte äußere Hämorrhoidalknoten, bei starkem 
Pressen drängen sich auch mit Schleimhaut überzogene Knoten 
vor, und der tonelirende Finger stößt jenseits des Sphincters auf 
einen Kranz von rundlichen und strangartigen Phlebektasien. 

Harn lichtgelb, trüb, Tagesinenge 1900 Ccm. Im Sediment 
Leukocyten und Pflasterepithelien. Kein Eiweiß, kein Gallenfarb¬ 
stoff, kein Urobilin, 4 , 5% Zucker, kein Aceton, keine Acetessigsäure. 

Stuhl aus einem geformten und flüssigen Bestandtheil be¬ 
stehend. Letzterer zeigt sich bei makroskopischer Betrachtung als 
stark mit unverändertem Blut vermischt und enthält auch schwarze 
Coagula. Der geformte Theil ist dunkelgrau, von salbenartiger 
Consistenz, in die Grundmasse sind kleine, gelbweiße Partikelchen 
eingesprengt. Stuhl auffallend übelriechend. Mikroskopischer Befund : 
Außer Bakterien, Kokkenhaufen und Detritus ungemein zahlreiche 
Reste quergestreifter Muskelfasern, zum Theile mit deutlich 
erhaltener Structur, zahlreiche Fettsäitrenadeln. Dagegen 


konnten makroskopisch größere Brocken unverdauten Fleisches im 
Stuhle nicht gefunden werden. Die Stuhluntersuchung auf Gallen- 
farbstolf (Sublimatprobe) ergab eine sehr geringe röthliche Ver¬ 
färbung. 

Behufs diagnostischer Verwerthung einzelner Symptome war 
es nun nöthig, die Constanz derselben nachzuweisen, da hier auf 
einmalige oder nur gelegentliche Befunde, namentlich bei der 
mikroskopischen Stuhluntersuchung, kein allzu großes Gewicht 
gelegt werden darf; es wurden daher während des fünfwöchentlichen 
Spitalsaufenthaltes der Patientin Stuhl und Harn bei gleichbleibender 
Kost täglich auf die genannten Veränderungen hin genau unter¬ 
sucht. Vollständig constant verhielt sich die mangelhafte Fleisch¬ 
verdauung; auch während einer einwöchentlichen Opiummedication 
zum Zwecke der Herabsetzung der Darmperistaltik verminderte 
sich die große Zahl der unverdauten Muskelschollen nicht im 
geringsten. 

Etwas schwankender war die Fettverdauung; ich konnte 
makroskopisch an dem Stuhle die verschiedensten Nuancen des 
Grau vom Silbergrau bis zum dunkelsten Grau beobachten, die 
normale braune Stuhlfarbe trat freilich nie auf. Auch der mikro¬ 
skopische Befund war veränderlich: schlechtestenfalls konnten in 
jedem Gesichtsfeld einige Fettsäurenadeln leicht gefunden werden, 
manchmal traten sie allerdings so zahlreich auf, daß die Gesichts¬ 
felder davon förmlich wie überschwemmt waren. Der Zuckergehalt 
des Harnes schwankte zwischen 3—die tägliche Harn¬ 
menge zwischen l 1 ^—2 Liter. Als Diät erhielt die Kranke zum 
Frühstück einen Milchkaffee, Vormittags 2 Eier, Mittags Bouillon, 
Braten mit Gurken, 1 / 2 Semmel, Nachmittags Milchkaffee, Abends 
Huhn, Butter, Fettkäse, 1 / 2 Semmel, Apfelsinen. Auf diätetischem 
Wege gelang es, die Patientin aglykosurisch zu machen, als sie 
wegen einer stärkeren Hämorrhoidalblutung täglich nur 2 Portionen 
Bouillon und 2 Portionen Milchkaffee erhielt; doch hielt die Agly- 
kosurie gerade nur solange an ? als diese reducirte Diät beobachtet 
wurde. “ Das ' subjektive ' Befinden war ‘immer /-ziemlich*^' gut, die, f 
spontanen und Druckschmerzen in der Pankreasgegend schwankten 
auch nur innerhalb enger Grenzen, vom leichten Wehgefühl bis 
zu mäßiger Schmerzhaftigkeit. 

Betrachten wir nun den Fall unter dem Gesichtswinkel 
der eingangs erörterten Diagnostik, so finden wir die vier 
in ihrer Coincidenz als charakteristisch angegebenen Symptome, 
Diabetes, Steatorrhoe, Azotorrhoe und Resistenz der Pankreas¬ 
gegend deutlich ausgesprochen; was aber noch mehr sagen 
will, wir finden außer diesen Symptomen keine anderen, die 
auf eine Erkrankung eines Nachbarorganes hindeuten, so daß 
der Schluß berechtigt ist, daß wir es hier mit einer isolirten 
Pankreaserkrankung zu thun haben. Da wir eingangs gesehen 
haben, daß das Erhaltenbleiben eines kleines Restes functions¬ 
tüchtigen Parenchyms genügt, um die Pankreasfunction im 
Stande zu erhalten, müssen wir auf einen Proceß schließen, 
dem das ganze Drüsenparenchym zum Opfer gefallen ist. 
Gerade diese beiden Momente, das Fehlen von Symptomen 
von Seite der Nachbarorgane und das deutliche Ausgesprochen - 
sein der Ausfallssymptome infolge Unterganges des ganzen 
Drüsenparenchyms bedingen die diagnostische Klarheit des 
Falles. 

Welche pathologisch-anatomische Diagnose können wir 
nun hier stellen ? Unter Berücksichtigung der anamnestischen 
Daten und des objectiven Befundes erscheint es am natür¬ 
lichsten, einen primären Pankreasabsceß mit Ausgang in 
Atrophie oder in chronisch-indurative Pankreatitis anzu¬ 
nehmen. Primäre Pankreasabscesse, nach Virchow durch 
Fortleitung der Entzündung von den Drüsenausführungs¬ 
gängen, beruhen auf Infection vom Darme her, wozu der 
vorbestehende Darmkatarrh wohl Gelegenheit genug geboten 
hat. Die im Juni 1899 aufgetretene, mit dem Erbrechen von 
Eiter endende acute Erkrankung stimmt vollständig mit dem 
klinischen Bilde des Pankreasabscesses (mit Durchbruch in 
den Magen) überein, und der damals bestehende Icterus läßt 
sich einfach aus der Compression des den Pankreaskopf durch¬ 
bohrenden Ductus choledochus erklären. Die diagnostische 


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Aufklärung über diese acute Erkrankung konnte allerdings 
erst das spätere Auftreten der Ausfallserscheinungen bringen, 
die beweisen, daß das Pankreas, und gerade nur das Pankreas 
bei dieser Abscedirung zugrunde ging. 

Der naheliegenden Versuchung, den Eall organothera- 
peutisch zu behandeln, konnte ich nicht widerstehen, leider 
ohne Erfolg; während einer zehntägigen Verabreichung von 
Pankreatin, 10 pro die in 3 Dosen, konnte nicht die geringste 
Veränderung in Bezug auf Zuckergehalt des Harnes, sowie 
auf Ausnutzung von Fleisch und Fett constatirt werden. 


Ueber einen Fall von acuter Ataxie bei Tabes. 

Von Dr. S. Josipowici in Berlin. 

Das Charakteristische der Tabes ist der chronische Ver¬ 
lauf derselben. Die Erscheinungen, welche die Tabes zu be¬ 
gleiten pflegen, nehmen allmälig ihre Entwickelung, indem 
sie zwar nicht in einer bestimmten Reihenfolge entstehen, 
dagegen nicht selten einen gewissen typischen Verlauf inne¬ 
halten. 

Allmälig treten die sogenannten „gastrischen Krisen“ 
in Erscheinung; Erbrechen, Schmerzen in der Magengegend, 
Uebelkeit etc. wechseln immer miteinander ab bis zur hoch¬ 
gradigen Abmagerung der Pat. Inzwischen haben die letzteren 
ein knebelndes Gefühl bald in den Extremitäten oder an 
anderen Stellen des Körpers verspürt, welches zu verschie¬ 
denen Zeitperioden auftreten kann. 

Die Augenerscheinungen äußern sich in Flimmern vor 
den Augen und können sich in einzelnen Fällen bis zum 
Doppeltsehen und auch vollständiger Amaurose steigern. 

Das Wichtigste für uns und für den Pat. am meisten 
lästig werdende Symptom ist die Ataxie der unteren und 
nicht selten auch der oberen Extremitäten. Im ersten Stadium 
der Erkrankung verspüren die Pat. eine Art von Schwäche 
und Mattigkeit in den Beinen, wodurch sie sehr leicht er¬ 
müden müssen. Alle Bewegungen bekommen allmählich einen 
eigenthümlich unsicheren, stoßweisen Charakter, sie sind 
schlecht beherrscht und maßlos, wodurch sie ihren Zweck 
leicht verfehlen und sich gegenseitig stören. Untersuchen wir 
einen solchen Kranken, wenn er im Bett liegt, indem wir 
ihn die Beine bewegen, erheben und flectiren lassen, so sind 
alle Bewegungen schlecht geordnet, stoßweise und excessiv. 
Die ruhige, sichere, maßvolle Bewegung ist verloren ge¬ 
gangen; der Kranke schleudert die Beine in groben Stößen 
nach oben, nach der Seite, die intendirte Bewegung wird 
durch intercurrirende Schwankungen nach den Seiten gestört, 
in hohen Graden des Leidens bewegt sich das erhobene Bein 
in weitgreifenden Umschweifen nach oben. Sehr charakteri¬ 
stisch und wichtig ist der Gang der Ataktischen. Im 
weiteren Fortschritt wird das Werfen der Beine deutlich, diese 
werden nicht nur noch excessiver erhoben, sondern machen 
seitliche Schwankungen, so daß der Gang vollständig un¬ 
sicher wird. Endlich kann das sogenannte paraplectische 
Stadium der Tabes eintreten, welches die Pat. an das Bett 
fesselt und sie späterhin außer Möglichkeit versetzt, etwas 
selbständig zu unternehmen. 

Die Ataxie der oberen Extremitäten ist fast nie so 
evident und hochgradig wie die der unteren. 

Die Reflexerregbarkeit pflegt mit dem Zustande der 
Sensibilität gleichen Schritt zu halten. Sie erscheint öfters 
erhöht, wenn gleichzeitig Hyperästhesie besteht, öfters deut¬ 
lich herabgesetzt, wenn die Anästhesie vorherrscht. Blasen- 
und Mastdarmstörungen gehören meistens zu den Späterschei¬ 
nungen der Tabes dorsalis. 

Der von mir übernommene Fall aus dem städtischen 
Krankenhause „Moabit“, den ich Herrn Prof. Dr. Goldscheider 
verdanke, unterscheidet sich bezüglich seines Verlaufes von 
den typisch verlaufenden Fällen insofern, als bei ihm die 
Erscheinungen und speciell die Ataxie in auffallend 


acuter Weise aufgetreten sind. Ich werde noch späterhin 
Gelegenheit haben, die Auffassung als acute. Ataxie bei 
Tabes zu begründen, will jedoch zunächst die Anamnese und 
den Status praesens unseres Pat. mittheilen. 

Anamnesis. — Pat. ist erblich nicht belastet. Außer 
Kinderkrankheiten machte er mit 18 Jahren eine Gonorrhoe durch, 
mit 22 Jahren Schanker und Feigwarzen (Schmiercur 4 Wochen). 
Potus conceditur. Pat. ist 36 Jahre alt, Steinsetzer, verheiratet; 
seine Frau weiß nicht von Aborten zu erzählen; sie hatte ein Kind, 
welches im Alter von 1 Jahr gestorben ist. 

Im Februar 1900 wurde Pat. plötzlich von heftigen Schmerzen 
in der Magengegend, verbunden mit ziemlich starkem Erbrechen 
befallen; abwechselnd war auch öfters sich einstellende Vorstopfung 
vorhanden, welche aber nach 3 Wochen langer Dauer nachließ. 
Dieselben Erscheinungen traten im März wieder auf, und zwar nach 
Angabe des Pat. viel intensiver als im Februar. 

Seither fühlte sich Pat. ab und zu schwach und ermüdete 
öfters beim Gehen. Reißende Schmerzen machten sich hauptsächlich 
im Kreuz, in den Beinen und in den Fingerspitzen vorwiegend 
Frühmorgens beim Erwachen und während der Ruhelage im Bett 
bemerkbar, die dem Pat. immer lästiger wurden. Ein kriebelndes 
Gefühl wie auch lancinirende Schmerzen behauptet Pat. auf ge- 
genaues Befragen nie verspürt zu haben. Durch öftere Anwendung 
von Schwitzbädern will Pat. seine Schmerzen verloren haben. Dieser 
Zustand hielt bis Anfang Juli an. 

Zu dieser Zeit (nach Angabe des Pat. eines Montags), als 
er Morgens nach dem Erwachen aufstehen wollte, fühlte er sich 
plötzlich sehr schwach, knickte beim Gehen um und verspürte zu 
gleicher Zeit Knebeln und Reißen im Kreuz und den Extremitäten. 
Er konnte nur unter Zuhilfenahme des Stockes zum Arzt gehen, 
der ihn veranlaßte, das Krankenhaus aufzusuchen. 

Am Samstag, den 7. Juli, d. h. 2 Tage vor der jetzigen Er¬ 
krankung, will Pat. bei einer Unterhaltung noch sehr gut getanzt 
haben, wobei er sich verhältnißmäßig wohl und heiter fühlte, ja er 
konnte sogar an diesem Tage sehr gut schreiben, was aus den 
noch vorhandenen Handschriften ersichtlich ist. 

Am Sonntag besuchte Pat. eine Versammlung, ohne über etwas 
zu klagen; er war an diesem Tage bei sehr heiterer Stimmung 
und trank ziemlich viel Wein und Bier. Am nächsten Tage traten 
die obenerwähnten Erscheinungen plötzlich auf. Pat. wollte wegen 
seines Ausbleibens sich bei seinem Chef schriftlich entschuldigen, 
mußte aber davon Abstand nehmen, da ihm die Hände den Dienst 
versagten. 

Kein Doppeltsehen und keine Störungen beim Urinlassen, hin¬ 
gegen will Pat. Gedächtnißschwäche, profuse Schweiße in der 
Nacht, wie auch Verlangsamung der Sprache schon seit März an 
sich beobachtet haben. 

Die Potenz ist bei ihm schon seit längerer Zeit nicht mehr 
vorhanden, jedoch soll er öfters Pollutionen gehabt haben. 

Status praesens. Pat., ein mittelgroßer, stark knochig ge¬ 
bauter Mann mit gut erhaltenem Panniculus adiposus, Haut von 
normaler Farbe, Gesichtsfarbe etwas erblaßt, Zunge ziemlich belegt. 
Leichter Tremor der Hände und Zunge. 

Hochgradige Ataxie der Arme und Beine. Im 
Liegen wird Pat. aufgefordert, das Bein nach außen zu führen, 
wobei dasselbe schlaff hinfällt; ebenso tastet er bei der Aufforderung, 
die rechte Hacke auf das linke Knie zu bringen, mit derselben hin 
und her, ohne die Patella zu erreichen. Im Stehen kann Pat. mit 
zusammengestellten Füßen das Gleichgewicht nicht beibehalten. Er 
ist ohne Stütze gar nicht imstande, einen Schritt zurückzulegen; 
selbst wenn er gestützt wird, wirft er die Beine nach vorne, macht 
auch seitliche Schwankungen, so daß der Gang völlig unsicher er¬ 
scheint. Pat. geht breitbeinig, tritt die Knie stark nach hinten 
durch und hält sie steif, besonders aber folgt er nunmehr seinem 
Gang sorgfältig mit den Augen und wendet beim Gehen keinen 
Blick von den Bewegungen seiner Beine ab; ferner kreuzt er die 
letzteren während des Gehens, und bei complicirteren Bewegungen, 
beispielsweise beim Umkehren, verliert er das Gleichgewicht. Selbst 
das Stehen ist seit kurzer Zeit unmöglich geworden. Die grobe 
Muskelkraft ist nicht erheblich abgeschwächt. 

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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 16. 


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Dasselbe Unvermögen besteht in den oberen Extremitäten. Es 
ist ihm nicht möglich, die Spitze der Zeigefinger nach der Nasen¬ 
spitze zu führen, ferner die beiden Zeigefingerspitzen aneinander 
zu bringen und mit der Spitze des Zeigefingers nach dem Loche 
meines Stethoskopes zu fassen. Die Fähigkeit, einen bestimmten Ge¬ 
genstand mit Präcision anzufassen, ist geschwunden. Die Handschrift 
ist vollständig unsicher; er kann kaum die Feder halten, die 
Schriftzüge sind ausfahrend-eckig. Der Kranke ist ferner in Gefahr, 
den Inhalt des Löffels zu verschütten und auch den gefaßten Ge¬ 
genstand fallen zu lassen. 

Das Vermögen, die Lage der Glieder anzugeben, ist bei 
unserem Pat. hochgradig herabgesetzt. Wird Pat. aufgefordert, bei 
geschlossenen Augen mit seinem Finger die Richtung anzugeben, 
nach welcher sich die große Zehe bewegt, so ist die angege¬ 
bene Richtung eine ganz andere, als die in Wirklichkeit be¬ 
stehende, und ebenso zeigt Pat. bei der Aufforderung, die Richtung 
anzugeben, nach welcher sein Bein gebeugt wird, daß er diesbe¬ 
züglich absolut nicht orientirt ist. Der Gelenkssinn ist hochgradig 
herabgesetzt. 

Das Tastvermögen ist bei unserem Pat. ebenfalls herabgesetzt, 
denn er scheint den Unterschied des Glatten von dem Rauhen, 
ferner die Consistenz und Beschaffenheit des ihm vorgelegten Ge¬ 
genstandes nicht wahrnehmen zu können. 

Der Patellarsehnenreflex ist vollkommen erloschen, Cremaster- 
und Bauchreflexe herabgesetzt. 

Von den visceralen Reflexen sind die der Blase und des 
Mastdarmes normal. 

Die Sprache des Pat. ist etwas undeutlich und erschwert, 
was er auf die schwere Beweglichkeit des Unterkiefers zurückführt. 
Husten, der schon seit einigen Tagen besteht, ist noch vorhanden, 
bisweilen Anfälle von Athemnoth; sonst sind Veränderungen von 
Seiten der Brustorgane nicht nachzuweisen. ...... 

Pat. ist etwas schwerhörig, was ihm schon seit einigen Wochen 
aufgefallen ist. Sonstige Veränderungen von Seiten der anderen 
Gehirnnerven sind nicht nachweisbar. 

Status während der Beobachtung. Pat. klagt über 
plötzlich aufgetretene Schmerzen in der Magengegend, welche nach 
der Brust zu ausstrahlen. Mit diesen Schmerzen tritt zu gleicher 
Zeit Neigung zum Erbrechen auf, oft ohne etwas zutage zu fördern. 
Das Erbrochene sieht in den meisten Fällen grün gefärbt aus, 
nicht selten aber ist dasselbe blutig tingirt. Uebelkeit und Aufstoßen 
begleiten die oben erwähnten Erscheinungen, nach welchen Pat. sehr 
ermüdet auf das Kissen zurückfällt. 

Diese Krisen hielten während des Aufenthaltes im Krankon- 
hause 10 Tage an, wobei Pat. völlig appetitlos war und circa 
25 Pfund an Körpergewicht abgenommen hat. Nach Ablauf dieser 
Krisen sah ich Pat. sehr munter, er gab auch an, sich eines sehr 
guten Appetites zu erfreuen etc. 

In Bezug auf das Doppeltsehen, welches sich einige Tage 
nach der Aufnahme ins Krankenhaus einstellte, gibt Pat. genau an, 
daß die ihm gegenüberliegenden Tafeln, worauf die Namen der 
anderen Pat. verzeichnet sind, sehr häufig doppelt erscheinen, er 
will ferner oft beim Lesen jeden Buchstaben zweifach sehen, ja, er 
wollte sogar einmal im Glauben, daß er 2 Löffel in der Hand 
habe, einen davon dem Wärter als überflüssig zurückgeben, über¬ 
zeugte sich aber schließlich, daß er doch nur einen Löffel habe. 

Die Untersuchung der Augen ergibt Folgendes: Pupillen 
ungleich; die rechte Pupille über mittelweit, die linke dagegen 
mittelweit, ferner ist eine vollständige Starre der rechten Pupille 
vorhanden, links eine sehr geringe Reaction auf Lichtreiz. Die 
Untersuchung des Augenhintergrundes ergibt eine geringe Atrophie 
des Nervus opticus, sonst keine organischen Veränderungen. 
Schwindel UDd Flimmern vor den Augen erst seit kurzer Zeit be¬ 
stehend; die Accommodation des Auges ist normal, dem Alter ent¬ 
sprechend. 

Am meisten gequält wird Pat. von den blitzartig auftretenden 
bohrenden und reißenden Schmerzen in den Beinen, und zwar im 
Oberschenkel, Kniegelenk, Fuß und Kreuz, welche einige Minuten 
lang andauern und bisweilen eine enorme Heftigkeit erreichen. In 
den oberen Extremitäten fühlt Pat. ein feines, schmerzhaftes Ziehen 


in den Fingerspitzen und ein dumpfes Drücken und Reißen in den 
Muskeln und Gelenken. 

Pat. hat öfters die Empfindung, als ob ein Reifen fest und 
drückend um seinen Thorax gelegt ist und ihn einschnürt. Er will 
dieses Gürtelgefühl bald höher am Thorax, bald in der Nabel¬ 
oder Blasengegend empfinden. 

Parästhesien verschiedener Art in den Armen, Füßen und 
Kniegelenken, speciell auf der rechten Seite, machen sich sehr oft 
bei ihm bemerkbar, in den Händen will er oft das Gefühl des Ab¬ 
gestorbenseins, Taubheitsgefühl gespürt haben. Anästhesie des linken 
Unterschenkels. 

Außer abnormem Kältegefühl in den unteren Extremitäten, 
wofür Pat. einen warmen Sandsack um die Beine bekommt, sind 
Störungen von Seiten der Temperaturempfindung nicht nach¬ 
weisbar. 

Incontinentia urinae vorhanden. Pat. muß immer einen 
Recipienten tragen, auch unwillkürlicher Abgang von Fäces soll 
bei ihm 2mal erfolgt sein. 

Urticaria factitia. 

Pat. ist sonst bei vollem Bewußtsein, gibt auf Fragen etwas 
undeutliche, aber logische Antworten, er will aber in seinem Ge- 
dächtnißvermögen ziemlich viel gelitten haben. Er ist seit dem 
Ablauf seiner gastrischen Krisen bei ziemlich gutem Humor und 
trägt sich mit der Hoffnung seiner baldigen vollständigen Genesung. 
Allgemeinbefinden, wie Schlaf, Appetit etc., hat sich in der letzten 
Zeit im Verhältniß zu früher wesentlich gebessert. Urin und Stuhl¬ 
gang ohne pathologischen Befund. (Schluß folgt.) 


Referate. 


Albeck (Kopenhagen): Experimentelle und klinische 
Untersuchungen über die Tödesursäöhe bei 
Dünndarmstrangulation. 

Ueber die Todesursache bei Strangulation des Darmes sind 
in der letzten Zeit mehrere Theorien aufgestellt worden; während 
die Einen den Tod durch eine Peritonitis infolge Gangrän der 
Darmwand und Durchwanderung der Bakterien zu erklären ver¬ 
suchten, nahmen Andere Shock infolge einer Reflexwirkung von 
den gereizten Darmnerven aus als Todesursache an, Andere wieder 
glaubten an eine Vergiftung aus dem Inhalte des Darmes. 

Um diese Frage zu beantworten, stellte Verf. zahlreiche 
Thierexperimente an, aus welchen er folgende Schlüsse zieht 
(„Langenbeck’s Arch.“, Bd. 65, H. 3): Der Tod derThiere mit Dünn¬ 
darmstrangulationen tritt oft ohne Peritonitis ein, wahrscheinlich 
durch eine Vergiftung vom Darme aus, und es ist wahrscheinlich, 
daß dasselbe auch beim Menschen stattfindet, weil die Krankheits¬ 
bilder der Menschen und der Thiere sehr große Aehnlichkeiten 
darbieten. Diese Behauptung wird durch die pathologisch-anatomischen 
Untersuchungen gestützt, indem man in einem Theile der Fälle 
innerer Dünndarmstrangulationen keine Peritonitis findet. 

Die weiteren Untersuchungen über die Natur des Giftes er¬ 
gaben, daß dasselbe im Wasser auflösbar ist, dem Kochen wider¬ 
steht und das Chamberland-Filter passireu kann, sich also den 
putriden Giften anschließt. Was nun die Bildungsstätte des Giftes 
anbetrifft, so deuten die Untersuchungen darauf hin, daß das Gift 
nicht nur in dem zuführenden Darm, sondern zugleich in der 
strangulirten Darmschlinge gebildet wird und von hier entweder 
durch die zum Theil comprimirten Gefäße oder auch nach Durch¬ 
wanderung der Darmwand vom Peritoneum resorbirt wird. 

Erdheim. 


R. Schaeffer (Berlin): Der Alkohol als Händedesinfec- 
tionsmittel. 

Aus den Untersuchungen Sch.’s geht Folgendes hervor („Berliner 
klin. Wochenschr.“, 1902, Nr. 10): Die Heißwasser-Alkohol-Methode 
gibt die bei weitem besten Erfolge; ihr am nächsten kommt die 
MiKULicz’sche Seifenspirit.usmethode; die Antiseptica sind ausnahms¬ 
los nicht imstande, eine befriedigende Keimarmuth der Hände zu 

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erzeugen. Unter diesen Antisepticis nimmt das Lysoform und das 
Chinosol die tiefste Stelle ein. Die Waschung mit SCHLEiCH’scher 
Marmorseife gibt genau so uugenügende Resultate, wie die einfache 
Heißwasser-Seifenwaschung. 

Selbstverständlich ist mit diesen Untersuchungen die Frage 
der Händedesinfection keineswegs gelöst. Es ist zweifellos, daß es 
viel mehr als auf die Quantität, auf die Qualität und die Virulenz 
der an den Händen zurückbleibenden Keime ankommt. So lange wir 
aber, wie bis jetzt, noch kein Mittel haben, die Virulenz dieser 
Keime (und zwar ihre Virulenz auf den menschlichen Körper, auf 
die es allein ankommt) experimentell zu erweisen, bleibt uns nichts 
anderes übrig, als ihre Zahl zum Maßstab unserer Beurtheilung zu 
machen. Die Annahme aber, daß eine stark mit Keimen durchsetzte 
Hand ceteris paribus auch mehr pathogene, mehr virulente Bakterien 
enthalten wird, als eine fast völlig keimfreie Hand, entspricht 
durchaus den Grundsätzen der hygienischen Wissenschaft. G. 

Baracz (Lemberg): Ein Vorschlag zur operativen Be¬ 
handlung der Ischias. 

Beobachtungen an einem Falle von Ischias und die Ergebpisse 
von Experimenten an Cadavern bewogen B. zur Annahme, daß die 
Ursache der Schmerzen in gewissen Fällen von Ischias (besonders 
wo entzündliche Processe des kleinen Beckens oder ein Trauma 
der Gesäßgegend vorausgegangen sind) in abnormen Verwachsungen 
oberhalb der Austrittsstelle desselben aus der Incisura ischiadica 
major und an der Incisur selbst zu suchen ist. 

Dementsprechend macht B. den Vorschlag („Centralbl. f. 
Chir.“, 1902, 9), in gewissen Fällen hartnäckiger Ischias den 
Nerven, anstatt ihn an der Glutealfalte zu dehnen, beim Austritt 
aus der Incisura ischiadica bloßzulegen und stumpf von seinen 
normalen Verwachsungen oberhalb der Incisur mit dem Finger 
zu lösen. Erdheim. 

Hölscher (Mülheim): Zur Behandlung der Ischias. 

,.ßeit_ 10 Jahgen behandelt, Verf. die schweren Fälle von 
Ischias, die mit ihren immer wiederkehrenden Reddiven jeder 
internen und mechanischen Therapie trotzen, durch breite Freilegung 
des Nerven nach seinem Austritt aus der Incisura ischiadica und 
mehrtägiges Auflegen eines Gazetampons, der in 5%'g e Carbol- 
säure getränkt ist. Der Erfolg war durchaus prompt und von 
Dauer. Unter 15 Fällen trat in zwei Fällen Recidive nach 2 resp. 
3 Jahren auf. 

Verf. empfiehlt, die Operation in Narkose auszuführen („Cen¬ 
tralbl. f. Chir.“, 1902, Nr. 2), einen langen Schnitt zu machen und 
den Nerven auf ca. 6 Cm. bloßzulegen. Der Carbolsäuretaropon 
bleibt 3 Tage liegen. Die Wirkung auf die Ischiasschmerzen war 
eine überraschende; schon nach dem Erwachen aus der Narkose 
konnten die Pat. das Bein schmerzlos bewegen, später traten ein 
Gefühl von Taubsein in der Wade und brennende Schmerzen in 
der Wunde auf, welche in den ersten zwei Nächten Morphininjec- 
tionen erforderlich machten; die Schmerzen hörten dann bald auf. 

Erdheim. 

Villard et Pinatelle (Lyon): Sur un c&s d’enfoncement 
obstetrical de tout le frontal, avec fracture gueri 
par le relevement sanglant. 

In der Regel bleiben die Neugeborenen mit Knochenimpres¬ 
sionen und Knochenbrüchen, die meist Folge schwerer geburtshilf¬ 
licher Eingriffe sind, ohne jede weitere Behandlung. Ein großer 
Theil derselben geht bald zugrunde; bei anderen bleiben physische 
oder psychische Störungen zurück. In einem Fall ihrer Beobachtung 
haben Villard und Pinatelle („Annal. d. gyn.“ Mars 1902) die 
blutige Reposition der Knochenimpression und subperiostalen Fractur 
mit bestem Erfolg vorgenommen. Bei Durchsicht der Literatur fanden 
sie nur vier ähnliche Mittheilungen. Zur Reposition verwendeten 
sie ein spatelähnliches Elevatorium, mit dem keine weiteren Ver¬ 
letzungen angerichtet werden können. Die von manchen Autoren 
empfohlene Massage der Impression und ihrer Umgebung kann nur 
bei leichten Veränderungen Resultate geben. Indicirt ist die blutige 
Operation in allen Fällen tieferer Knochenimpressionen, auch wenn 


momentan keine allgemeinen oder localen Gehirnsymptome bestehen, 
weil 1. mehr als die Hälfte solcher Kinder unbehandelt stirbt ; 
2. die Ueberlebenden sehr oft körperliche oder geistige Defecte 
zeigen; 3. die Operation die Hirncompression behebt und die 
Drainage von intracraniellen Blutnngsherden gestattet; 4. sie, wenn 
aseptisch ausgeführt, ungefährlich ist. Fischer. 

Lange (München): Ueber ungenügende Muskelupannung 
und ihre operative Behandlung. 

Die volle Functionsfähigkeit eines Muskels ist gebunden an 
das Erhaltensein des normalen Querschnittes und einer genügenden 
Spannung, mit welcher er zwischen seinen Knochenansätzen ange¬ 
heftet ist. In einzelnen Fällen besteht trotz vollständig entsprechender 
Muskelmasse eine bedeutende Muskelinsufficienz, die nur auf ver-. 
minderte Spannung zurückzuführen ist. Diese Spannungsverminderung 
ist verursacht einerseits durch Verlängerung der Sehnen, entstanden 
durch Verletzungen derselben, oder durch die dauernde Entfernung 
der Ansatzpunkte des Muskels von einander, wie bei gewissen De¬ 
formitäten. So werden z. B. die Peronei beim Klumpfuß, der Tibialis 
anticus beim Plattfuß, die Dorsalflectoren beim Spitzfuß relativ 
zu lang und dadurch zu einer Hauptquelle von Recidiven bei der 
Correction dieser Anomalien. Andererseits dadurch, daß die Ansatz¬ 
punkte der Muskeln sich nähern, während die Muskellänge unver¬ 
ändert bleibt (Glutaei bei der congenitalen Hüftverrenkung). Die 
Therapie kann nur in einer operativen Verkürzung der zu lang 
gewordenen Sehne bestehen. Lange empfiehlt nun („Münch, med. 
Wschr.“, 1902, Nr. 13) statt der gewöhnlich geübten Resection 
oder einfachen Durchtrennung mit Uebereinandernähen der beiden 
Enden die Sehne in einer Länge von 3—6 Cm. mit einem starken 
Seidenfaden zu durchflechten, sie je nach dem gewünschten Grade 
der Spannung in engere oder weitere Falten darüber zusammen¬ 
zuschieben und dann den Faden fest zu knüpfen. Drei beigefügte 
Krankengeschichten illustriren die Natürlichkeit dieser Methode zur 
Verkürzung von zu langen Muskeln bei Folgezuständen von Sehnen¬ 
verletzungen und Deformitäten. . Grünbaum. 


Szaboky (Budapest): Ueber den Heilwerth des Epicarins. 

Sz. hat das Epicarin in 115 Fällen erprobt, zumeist in 10°/ 0 iger 
oder 20%iger Salbenforra, in selteneren Fällen in 10- oder 20%iger 
alkoholischer Lösungsform, und nur bei einigen Fällen von nässen¬ 
dem Eczem en plaques verwendete er 3—5%ige Epicarinpaste. 

Durch die Anwendung von Epicarinspiritus wird die Haut 
trocken und rauh , was sich für den Patienten unangenehm fühl¬ 
bar macht; auch die Wirkung läßt viel länger auf sich warten. 
Die Wirkung des Epicarins in Salbenform auf die Haut zeichnet 
sich vor allem dadurch aus, daß dieselbe viel weicher und feiner 
gemacht und nicht gereizt wird. 

Verf. hat das Mittel in GO Fällen von Scabies erprobt („Heil¬ 
kunde“, 1901, Nr. 12), und zwar in 11 Fällen den 10°/ 0 igen 
Epicarinspiritus, in 49 hingegen die 10°/ 0 ige Salbe. Der Patient 
erhielt in allen Fällen regelmäßig vorher ein Bad, reine Bettwäsche 
und ebenso Unterwäsche. Die Dauer der Einreibung währte 10 
Minuten. 

Das Epicarin ist bei Pityriasis rosea wirkungslos gewesen; 
bei Pityriasis versicolor kann das Mittel mit der Wirkungsweise 
der Schwefel-, Salicyl- und Pyrogallussalbe nicht concurriren ; 
trotzdem beim Erythrasma von dem 20%igen Spiritus gute Er¬ 
folge gesehen wurden, steht die Wirkung dieses Mittels der Wirkung 
der Jodtinctur und dem Paraform-Collodium nach: bei Pruritus 
universalis und Pruritus senilis kann es als momentan juckstillendes 
Mittel ganz gute Dienste leisten, aber nicht von dauerndem the¬ 
rapeutischen Effecte sein; auf die nässenden Formen der parasi¬ 
tären Ekzeme war die 5—10%ige Paste von heilender Wirkung, 
aber bei den trockenen, chronischen Formen war damit nichts aus¬ 
zurichten. Bei Prurigo hat Verf. sehr gute Erfolge erzielt; das 
Jucken hörte innerhalb 1—2 Tagen auf, der Ausschlag verschwand 
in kurzer Zeit, die Haut wurde weich und glatt; trotzdem das 
Mittel lange Zeit hindurch auf große Flächen eiuwirkte, traten 
nur äußerst selten Reizerscheinungen auf, welche der LASSAR’schen 

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Paste gegenüber nicht allzulange standhielten; ebensowenig waren 
Nierenreizungen zn constatiren. Am zweckmäßigsten wurde hier 
die 10%ige Epicarinsalbe angewendet. Bei Scabies und bei den 
durch Epizoen hervorgerufenen Hautaffectionen war die Wirkung 
prompt, das Jucken war nach 1 — 2raaliger Einreibung gestillt, 
die Hautaffectionen sind unter Abschuppung sehr rasch verschwunden. 
Reizerscheinungen traten bei den durch Epizoen hervorgerufenen 
Hautaffectionen niemals, bei Scabies nur in 13% der Fälle auf, 
und diese waren entweder bloß geringfügige oder sie äußerten 
sich in der Verstärkung der Dermatitis. Nach Aussetzen des Mittels 
und Heranziehung der LASSAR’schen Paste und des 10%igen Bor¬ 
vaselins genasen die Patienten rasch. 

Das Mittel verunreinigt die Wäsche nicht, ist geruchlos und 
nicht giftig. Man kann daher sagen, daß der dermatologische Ileil- 
schatz mit dem Epicarin durch ein vorzügliches Mittel bereichert 
worden ist. B. 

Nagano (Breslau): Physiologisch-chemische Studien über 
die Eigenschaften des Dünndarmsaftes. 

Verf. hat an einem Kranken der v. MiKULicz’schen Klinik, 
bei welchem zum Zwecke späterer Plastik einer angeborenen Blasen¬ 
spalte ein Stück Dünndarm ausgeschaltet und in die Bauchwand 
eingepflanzt worden war, physiologisch-chemische Studien über 
die Eigenschaften des Dünndarmsaftes vorgenommen. („Mitth. aus 
den Grenzgebieten der Medicin und Chirurgie“, 1902, Bd. 9, H. 3.) 
Die Secretion zeigte eine tägliche Periode, deren Maximum nach dem 
Mittagessen lag. DasSecret wirkt auf Eiweiß (Fibrinflocken) und Fette 
sowie auf Milchzucker gar nicht ein, und nur in ganz geringem Maße 
auf Stärke, Maltose und Rohrzucker, verhält sich also wie der 
Darmsaft des Hundes. Jodkalium sowie Kochsalz wurden schnell 
resorbirt, desgleichen Lösungen von Maltose, Rohrzucker und in 
geringerem Maße auch von Milchzucker, obwohl sie keiner fermen¬ 
tativen Spaltung unterlegen hatten. 

An dem nämlichen Krankon konnte v. Mieczkowski sich 
davon überzeugen, daß dem reinen menschlichen DUnndarmsaft für 
die Bakterienarten: Cholera, Typhus, Staphylococcus aureus, Pyo- 
cyaneus keine baktericide Wirkung zukommt, daß er sogar einen 
guten Nährboden für sie darstellt. Ferner untersuchte Verf., ob 
sich am Ende des Dünndarms von einem per os eingeführten An- 
tisepticum ein in Desinfectionsversuchen noch so wirksamer Rest 
nachweisen lasse, daß derselbe auf den Inhalt eine desinficirende 
Wirkung ausüben könnte? Es stellte sich heraus, daß unter den 
versuchten Mitteln zur Desinfection des Darmes das Menthol am 
unteren Ende des Dünndarmes noch in einer Concentration erschien, 
daß es daselbst noch eine gewisse desinficirende oder wenigstens 
entwickelungshemmende Wirkung hervorzurufen vermochte. Die Ver¬ 
suche mit Itrol und Wismuth fielen negativ aus. Bei einem einzigen 
Versuch mit Tannopin ergab sich ein positives Resultat. Die Speisen 
brauchten im Durchschnitt 4% Stunden, um vom Mund bis zum 
Coecum zu gelangen. G. 


Rist (Paris): Neue Methoden und neue Ergebnisse im 
Gebiet der bakteriologischen Untersuchung gan¬ 
gränöser und fötider Eiterungen. 

Auf Grund systematischer Untersuchungen fötider und gan¬ 
gränöser Processe, die im Laboratorium der Pariser Kinderklinik 
des Prof. Grancher von mehreren Forschern unternommen wurden, 
berichtet Verf. zusammenfassend über die Ergebnisse derselben („Cen- 
tralbl. f. Bakteriologie, Parasitenkunde u. Infectionskrankheiten“, 
Bd. 30, H. 7) und kommt zu dem Schlüsse, daß in keinem Falle einer 
fötiden Eiterung anaerobe Bakterien fehlten, während in manchen 
Fällen aerobe Bakterien überhaupt nicht vorhanden waren, weshalb 
die Anaeroben als die Erreger der Gangrän und der fötiden Eite¬ 
rungen angesprochen werden dürfen. Einigen Anaeroben kommt aber 
auch eine andere Bedeutung zu (vgl. B. tetani), ja bisweilen spielen 
sie sogar physiologischer Weise eine Rolle, indem nämlich nach 
Tissier im Darmcanale des Säuglings eine nicht pathogene, anaerobe 
Art constant vorkommt. (Diesbezüglich möchte Röf. auf den Befund 


Hitschmann’s und Lindenthal’s hinweisen, die in früheren Arbeiten 
das Vorkommen des anaeroben Bacillus der Gasphlegmone im nor¬ 
malen Darm constatirten.) Dr. S—. 


BARTEL und StENSTRÖM (Hamra, Schweden): Beitrag zur 
Frage des Einflusses hoher Temperaturen auf 
Tuberkelbacillen in der Milch. 

Die in der Literatur vorliegenden Angaben über den Wärme¬ 
grad und die Zeitdauer, die nothwendig ist, um in der Milch vor¬ 
handene Tuberkelbacillen abzutödten, variiren stark von einander, 
weshalb die Verff. diese Frage noch einmal experimentell zu lösen 
versuchten. Hiebei fanden sie („Centralbl. f. Bakteriologie, Para¬ 
sitenkunde und Infectionskrankheiten“, Bd. 30, H. 11), daß die 
Höhe der Temperatur und die Einwirkungsdauer von der Reaction 
der Milch abhängig sind. In frischer Milch, die also ihre Reaction 
noch wenig verändert hat, genügen niedrigere Temperaturen und 
kürzere Einwirkungsdauer zur Vernichtung der Tuberkelbacillen als 
bei stark alkalischer Milch. Während bei letzterer Erhitzen auf 
80° durch 5 Minuten wirkungslos blieb, genügte bei wenig ver¬ 
änderter Milch ein momentanes Erhitzen auf 80°. Dr. S—. 


Kleine Mittheilungen. 

— Zur Behandlung der Neuralgien nach Influenza empfiehlt 
Charles J. Aldrich („Corr.-Bl. f. Schw. Aerzte“, 1902, Nr. 6) 
als zweckmäßigste Behandlung die combinirte Behandlung mit 
Ricinusöl und Strychnin. Der Patient bekommt früh 2 Eßlöffel 
Ricinusöl (wenn vorher Opium verabreicht wurde, die doppelte 
Gabe von Ricinusöl) und 4mal täglich 20 Tropfen einer Strychnin- 
lösuug, von der jeder Tropfen 0‘0003 Strychnin, nitr. euthält. 
Diese Strychningabe wird täglich bei jeder Darreichung um einen 
Tropfen gesteigert, bis Zeichen einer Strychninintoxication eintreten, 
worauf das Medicament auszusetzen ist. Bettruhe und Massage 
unterstützen die Behandlung. Anfangs ist es nöthig, dem Strychnin 
Morphium beizumengen. 

— In der medicamentösen Therapie der Arteriosklerose 

nehmen seit jeher die Jodpräparate die erste Stelle ein. Auch Weiss 
empfiehlt („Heilkunde“, Februar 1902) auf Grund vielseitiger Er¬ 
fahrung die Darreichung der Jodverbindungen. Von den modernen 
Ersatzpräparaten für die Jodkalien hat W. besonders gute Erfolge 
vom Jodvasogen gesehen. Er empfiehlt, mit der Mediation des 
Jodvasogen langsam vorzugehen und beginnt mit dreimal täglich 
10 Tropfen. Man steigt jeden zweiten Tag um 5 Tropfen, bis der 
Pat. bei 3mal 30 Tropfen anlangt, worauf er langsam wieder auf 
3mal 10 Tropfen hinabgeht. Die Jodvasogenmedicatiou muß lange 
Zeit hindurch in dieser Weise fortgesetzt werden, ehe sich eine 
Wirkung zeigt. Ein Theil der Symptome der Arteriosklerose wird 
durch die Jodmedication deutlich in günstigem Sinne beeinflußt. 
Das Jodvasogen ruft nur selten leichte Nebenwirkungen, wie 
Schnupfen , hervor und ist daher in allen Fällen am Platze, wo 
die Indication für Jodmedication vorliegt, insbesondere wenn man 
die Darreichung der Jodalkalien vermeiden will. 

— Therapeutische Versuche mit Jodoien stellte Arth. Jordan 
(„Monatsh. f. prakt. Dermat.“, 33, 12) an. Das Jodoien, eine 
Verbindung von Jodol mit Eiweiß, stellt ein gelbliches, fein ver¬ 
teiltes, in Wasser, Alkohol etc. nicht lösliches, geruch- und ge¬ 
schmackloses Pulver dar. Es wird von der Firma Kalle & Co. 
in zwei Arten hergestellt, nämlich als Jodolenum internum, das 
9—10% molecular gebundenes Jod enthält und die Jodkalien 
ersetzen soll, und als Jodolenum externum mit 36% Gesammt- 
jodolen zur localen Anwendung an Stelle anderer Antiseptica. J. hat 
das Jodolenum internum bei tertiärer Lues und maligner Syphilis 
mit zufriedenstellendem Erfolge versucht, und zwar in Pulvern zu 
2 Grm., von denen täglich 6—10 verabreicht wurden. Erschei¬ 
nungen von Jodisraus kamen wohl vor, doch gingen sie meist 
rasch vorüber. Besonders günstig scheint das Mittel auf die Hebung 
des Allgemeinbefindens zu wirken. Im Urin trat Jod zuerst nach 
2—3 Stunden auf; länger als 24 Stunden ließ es sich in ihm 
nicht nachweisen. Das Jodolenum externum bewährte sich als 


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brauchbares antiseptisches Streupulver bei Ulcus molle, syphilitischen 
nässenden Papeln und Geschwüren. 

— Bedeutende Defecte der Haut an den Händen durch 
THIERSCH’sche Transplantation hat Delbet gedeckt („Berl. klin. 
Wschr.“, 1902, Nr. 7). Bei einem Ingenieur, welcher siph bei 
einer Explosion eine Verbrennung beider Hände zugezogen hatte, 
zeigte die Dorsalseite keine Neigung zur Ueberhäutung. Die Finger 
begannen sich dorsalwärts zu krümmen und die Schmerzen wurden 
unerträglich. Delbet deckte in einer Sitzung die wunden Stellen 
durch THIERSCH’sche Transplantationen. Alle Stücke heilten an, 
und nachdem Massage und Bewegungsübungen ausgeführt worden 
waren, bekam P. eine völlig gebrauchsfähige Hand, welche der 
runzligen Hand eines Greises ähnelt. Die Haut ist während des Ver¬ 
laufes eines Jahres fest und widerstandsfähig geblieben, und es 
sind keine Ulcerationen aufgetreten. 

— Ueber eine neue Leibbinde und deren Wirkungsweise 
berichtet Wilhelm Ostertag („Monatsschr. f. Geburtshilfe und 
Gynäkologie“, 1902, Bd. XV, H. 1). Die neue Binde besteht aus 
einem Mittelstück, das durch zwei Träger nach oben und durch 
zwei Schenkelriemen nach unten festgehalten wird. Das Mittelstück 
besteht aus einem hinteren starren Theil von Moleskin und aus 
einem vorderen elastischen Theil von kräftigem Tricot. Die Schnlter- 
träger werden gebildet durch zwei breite Streifen von baumwollenem 
Moleskin und die Schenkelriemen durch einen hohlen Schlauch von 
kräftigem Patentgummi. Bei der Construction dieser Binde ist 
somit eine möglichst genaue Anpassung an die normalen anatomi¬ 
schen und physiologischen Verhältnisse erzielt worden. Die hintere 
Platte des Mittelstücks aus festem Stoff entspricht der festen, wenig 
nachgiebigen Rückenmusculatur, der vordere elastische Tricottheil 
der elastischen und in ihren Größenverhältnissen äußerst variabeln 
Bauchmusculatur. Eine äußerst wichtige Rolle fällt bei der neuen 
Binde dem Schenkelriemen zu. Er besteht, wie bemerkt, aus einem 
hohlen Schlauch von Patentgumrai. Derselbe hat zusammen mit 
den Schulterträgern die Function, das Tricotgewcbe fest in dem 
verticalen Durchmesser ausgespannt zu erhalten. 

— Die Behandlung der Tuberculose mit Zimmtsäure (Hetol) 
erörtert Theodor Heüsser („Corr.-Bl. f. Schweizer Aerzte“, 1902, 
Nr. 1). Aus seinen Darlegungen geht Folgendes hervor: Die Hetol- 
behandlung ist innerhalb der Grenzen, die von Länderer ihrer 
Verwendung in der Praxis gezogen worden sind, und bei sach¬ 
verständiger Anwendung völlig gefahrlos und im Stande, eine 
uncomplicirte Tuberculose mit größerer Sicherheit zur Vernarbung 
und Heilung zu bringen, als irgend ein anderes der bisher empfohlenen 
Mittel gegen Tuberculose. Natürlich ist Hetol kein Specificnm gegen 
Tuberculose, aber es ist neben dem Klima und der hygienisch- 
diätetischen Methode, die heute jeder gebildete Phthiseotherapeut, 
nicht bloß die Anstalten, übt, das wirksamste Mittel, um die Heilung 
der Tuberculose zu fördern. 

— Ueber einige Indicationen zur Erneuerung der anti¬ 
syphilitischen Behandlung spricht Halpern („Berl. klin. Wschr.“, 
1901, Nr. 51). Von den Erscheinungen, welche den Beginn der 
Entwickelung der Syphilisrecidive in irgend welchem Organ mani- 
festiren, und welche dabei sicher als nicht syphilitische Erschei¬ 
nungen constatirt werden können, treten am häufigsten verschiedene 
Formen von Seborrhoe, Hyperhydrosis, Folliculitis, auch dieselben 
complicirende Ekzeme etc. hervor. Diese Thatsachen weisen darauf 
hin, daß das syphilitische Virus sich nicht völlig passiv in der 
Latenzperiode und mindestens in gewissen Momenten derselben ver¬ 
hält. Nicht weniger Licht wirft auf den syphilitischen Proceß in der 
Latenzperiode aas Leukoderma syphiliticum und andere Pigraent- 
erscheinungen an der Oberhaut. Wenn man von den Pigmentations- 
processen der Haut absieht, hat man in der Latenzperiode oft 
außer den in verschiedenen Geweben auftretenden Exsudations¬ 
processen, außer der unregelmäßigen Ernährung der Haut, noch 
einen anomalen Zustand gewisser Gebiete des Nervensystemes. Da 
die pathologischen, nicht syphilitischen Erscheinungen in der 
Latenzperiode, welche in irgend welchem Organe nicht im Zu¬ 
sammenhang mit der sich in einem anderen Organe entwickelnden 
Syphilis stehen, sondern durch andere Ursachen verursacht werden, 
oft die Entwickelung des syphilitischen Processes in demselben 


oder einem entfernten Organe begünstigen, so bildet die längere 
Dauer dieser nicht syphilitischen Erscheinungen, indem sie die 
Fähigkeit besitzt, die Schutzfähigkeit herabzusetzen, eine Indication 
für die antisyphilitische Behandlung, entweder noch während des 
Bestehens dieser Erscheinungen , oder in einem etwas späteren 
Momente, je nach den eventuellen anderen Indicationen, je nach 
der Pause in der specifischen Behandlung. 

— Ueber das Dorilliol hat Meltzer eine kritische Sammel¬ 
arbeit zusammengestellt. Aus derselben geht Folgendes hervor: 
Die besten Erfolge haben alle Autoren bei functionellen Neurosen, 
bei nervöser, auf Schwäche beruhender Asomnie beobachtet, selbst 
bei längerer durch Wochen und Monate fortgesetzter Darreichung. 
Die hypnotische Wirkung tritt bei einer mittleren Gabe im Allge¬ 
meinen nach %—*/2 Stunde, oft schon nach 10 Minuten ein. Doch 
kann man noch bis zu einer Stunde Eintritt von Schlaf erwarten. 
Der Schlaf dauert meist 5 — 8 Stunden. Die Länge des Schlafes 
war nicht immer proportional der Höhe der Gabe. Man pflegt 
0'5 — 1 Grm. bei leichterer nervöser Agrypnie, bei schwächlichen, 
siechen und kindlichen Personen zu geben; 1—2—3 Grm. bei 
schwererer oder bei durch Schmerzen und mäßig psychische Er¬ 
regung complicirter Schlaflosigkeit; bei starker psychischer Erregung, 
heftigen Schmerzen, schwerer Depression und Angstzuständen, falls 
man Schlaf erzielen will, eine hohe Gabe Dormiol, etwa 3 Grm., 
combinirt mit Sedativis. Herzkranken gibt man es rein in Gelatine- 


kapseln oder in wenig verdünnter Substanz. Empfohlen werden 
folgende Receptformeln : 

Rp. Sol. Dormiol 50%.20 0 

Aqu. dest.800 

Syrup. simpl.200 

M. D. S. Abends 1-2 Eßlöffel. 

Bei habitueller Schlaflosigkeit. 

Rp. Sol. Dormiol 50%. 4'0 

Aqu. dest.10 0 

Succ. Liquir. 2'0 

S. Vor dem Schlafengehen zu nehmen (Einzel- 

w doais), . 

Rp. Sol. Dormiol 50%.20 0 

Syrup. simpl.10 0 

M. S. Umschütteln 1—2 Theelöffel. 

Rp. Sol. Dormiol 50%. 20 0 

Morph, muriat.U l—OTS 

Syrup. simpl. 100 

Aqu. dest.; . . . 179 0 

j : M. S. Umschütteln 1—2 Eßlöffel. 

Rp, Dormiol. 0'5 


D. in caps. gelat. Tal. dos. Nr. VI. 

S. Abends 2, 3—6 Kapseln, jede mit einem 
Schluck Wasser. 


Literarische Anzeigen. 

Handbuch der praktischen Chirurgie. Bearbeitet und 

herausgegeben von Prof. E. V. Bergmann in Berlin, Prof. P. 

V. Bruns in Tübingen und Prof. J. V. Mikulicz in Breslau. 

2. umgearbeitete Auflage. Stuttgart 1902, F. Enke. 

Von dem Handbuche der praktischen Chirurgie, dessen erste 
Ausgabe soeben erst vollendet wurde, sind bereits die beiden ersten 
Lieferungen der zweiten Auflage erschienen, welche dem soeben 
jubilirten Generalstabsärzte Prof. R. v. Leuthold gewidmet ist. Die 
Eintheilung des groß angelegten, in vier Bänden erscheinenden 
Werkes ist unverändert geblieben. Auch die Liste der Mitarbeiter, 
in welcher sieh Namen von bestem Klange finden, hat kaum eine 
Veränderung erfahren. 

Die uns vorliegenden beiden ersten Lieferungen enthalten die 
Verletzungen und Erkrankungen des Schädels und seines In¬ 
haltes von E. v. Bergmann und R. M. Krönlein , sowie die an¬ 
geborenen Mißbildungen, Verletzungen und Erkrankungen des 
Halses von Jordan, des Kehlkopfes und der L u ft r ö h r e von 
v. Bruns und Hofmeister. 

Wir werden auf das schöne, vom Verlage prächtig aus¬ 
gestattete Werk noch eingehend zurückkomraen. B. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 16. 


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Die Syphilis und die venerischen Krankheiten. Ein 

kurz gefaßtes Lehrbuch zum Gebrauche für Studirende und 
praktische Aerzte. Von Dl*. Ernest Finger, k. k. a. o. Professor 
der Dermatologie und Syphilidologie a. d. Universität in Wien. 
Leipzig und Wien 1901, Franz Deuticke. 

In fünfter, wesentlich vermehrter und verbesserter Auflage 
liegt das Buch vor uns; diese im Zeitraum von 15 Jahren erreichte 
Zahl der Auflagen spiegelt am getreuesten die Anerkennung wieder, 
die das Werk unter Aerzten und Studirenden gefunden, und sagt 
mehr, als die besten, empfehlendsten Worte sagen könnten. Wir 
können daher den gelegentlich früherer Auflagen hervorgehobenen 
Vorzügen wenig mehr beifügen. Die klare und prägnante Darstel¬ 
lung des ganzen Stoffes, die lichtvolle Schilderung der klinischen 
Symptome, die übersichtliche Anordnung des umfassenden Materials 
lassen die ganze reiche Erfahrung des Autors auf Schritt uud Tritt 
erkennen. Im therapeutischen Theil der Syphilis ist für eine ins¬ 
besondere dem Praktiker willkommene reiche Auswahl von Ordi¬ 
nationsformeln vorgesorgt, dabei auch der in den letzten Jahren 
neu eingeführten Methoden und Präparate gedacht, wir nennen das 
Mercuriol, den Mercolintschurz, das Jodipin, Jodal¬ 
ba cid etc. etc. Bezüglich der Anwendung des grauen Oels (Lang) 


muß aber darauf aufmerksam gemacht werden, daß die Dosirung 
um das Doppelte zu hoch angegeben ist; die vom Autor ange¬ 
gebenen Mengen entsprechen den bloß in den ersten Jahren von 
Lang empfohlenen, seither verlassenen Dosen (Ref.). In der All¬ 
gemeinbehandlung der Lues begründet der Autor seine Neigung 
zur chronisch-intermittirenden Behandlung und spricht ihr im Sinne 
Fournier’s und Neisser’s das Wort. 

In Bezug auf die venerisch-contagiöse Helkose 
sei bloß erwähnt, daß Finger neben den durch den Streptobacillus 
(Ducrey) erzeugten Geschwüren auch anderen Genitalgeschwüren 
die Natur des weichen Schanker zuerkenut, weil sie sich klinisch 
sowohl, als auch durch die Ueberimpfbarkeit diesem ganz analog 
verhalten, wenn sie auch durch andere Mikroorganismen (Strepto-, 
Staphylokokken, Colibacillus) erzeugt sind. 

Das Capitel „Blennorrhoe“ liest sich wie ein gedrängter Aus¬ 
zug des bekannten größeren Buches desselben Autors und umfaßt 
alles Wissenswerthe aus diesem Capitel. Wenn wir zum Schlüsse 
noch der eleganten und instructiven lithographischen Tafeln und 
der sonstigen angenehmen Ausstattung des Buches erwähnen, so findet 
dies als selbstverständlich bloß der Vollständigkeit halber hier Platz. 

D. 


Feuilleton. 


Pariser Brief. 

(Orig.-Corresp. der „Wiener Med. Presse“.) 


II. 


März 1902. 


Seit dem Rücktritte Jaccoud’s ist die vierte medicinische 
Klinik an der Pariser Facultät unter die Leitung Landouzy’s ge¬ 
treten. Landottzy war biaher ordentlicher Professor der Therapie 
und hat, als eine klinische Kanzel frei wurde, „permutirt“. Diese 
Perrautationen sind an der Pariser Facultät sehr gebräuchlich und 
namentlich für die Lehrkanzel der Geschichte der Medicin etwas 
so Usuelles, daß man ernstlich daran gedacht hat, den nächst zu 
ernennenden Ordinarius für dieses Fach nur mit der Bedingung 
zu ernennen, die gewählte Kanzel nicht gegen die nächste vacant 
werdende zu permutiren. Wie die meisten Professoren von Paris 
ist Landoüzy ein Meister im Vortrage. 

Auch vom Reize des lebendigen Vortrages abgesehen, ist 
seine Antrittsvorlesung als Typus für die Manier Landouzy’s, seinen 
Gegenstand zu behandeln, interessant genug, um den Lesern der 
„Wiener Med. Presse“, wenn auch nur im Auszuge, mitgetheilt zu 
werden. 

Die Regelung des Unterrichtes der Medicin — sagte Lan¬ 
doüzy — datirt für Paris vom Jahre 1795. Corvisart wurde als 
Professor für interne Medicin in die Charite eingesetzt und lehrte 
officiell Medicin, Pathologie und Tberapeutik. Neben ihm fungirte, 
doch ohne öffentliche Stellung, Lallement. Die politischen Wirren 
ließen die Facultät nicht unbeeinflußt, durch einige Zeit wurde nicht 
einmal Medicin unterrichtet, bis endlich im Jahre 1823 vier Kliniken 
in Paris inaugurirt wurden, die, wiederholt die Spitäler wechselnd, 
seit heuer vertheilt sind im Hötel-Dieu für Prof. Dieulafoy, 
St. Antoine für Prof. Hayem, seit einiger Zeit Beaujon für den neu¬ 
ernannten Decan Prof. Debove und endlich Laennec für den letzt¬ 
ernannten Prof. Landoüzy. 

Die unmittelbaren Vorgänger Landouzy’s waren seit 1867 
Behier, Laseque und Jaccoud, drei Meister in der Rhetorik. Den 
Aerzten, deren Studienjahre etwas weiter zurückliegen, sind noch 
in Erinnerung die Vorlesungen, die Laseque unmittelbar nach dem 
Siebzigerkriege in mehr oder weniger populärer Weise jeden Abend 
um 8 Uhr gegen die große französische Volksseuche, den Alkoholis¬ 
mus, hielt. Der gewaltige Redner, der Laseque war, konnte nur 
von Jaccoud übertroffen werden, der ihm im Jahre 1883 auf dem 
Lehrstuhle folgte. 

Trotz seiner unstreitig großen Verdienste um die Vulgarisirung 
fremder Errungenschaften auf dem Gebiete der Medicin ist Jaccoud 
doch nur eine französische Berühmtheit geblieben. In seinor Er¬ 


öffnungsvorlesung resumirt Landoüzy in einer Lobrede die Arbeit 
seines Vorgängers, und wir erfahren, daß diese ihren bedeutendsten 
Ausdruck gefunden hat in dem Handbuch der internen Patho¬ 
logie, ein Werk, das charakterisirt ist dadurch, daß es „den Im¬ 
port und Export des wissenschaftlichen Waarenmarktes für Frank¬ 
reich“ eröffnet hat. Später erschienen seine Vorlesungen über die 
„Heilbarkeit und die Behandlung der Lungentuberculose“ mit 
dem Hauptgedanken, daß die Entdeckung Villemin’s von der Ueber- 
tragbarkeit der Tnberculose an praktischer Bedeutung den Koch- 
schen Fund des Tuberkelbacillus übertrifft. Hatte schon Jaccoud 
seinen Schülern die Beziehungen zwischen der traditionellen Medicin 
und der modernen Klinik gezeigt, so will Landoüzy seine Schüler 
ebenfalls das Wissen und Metier,' die ihnen dienen,' die 'Kunst;"der 
sie dienen sollen, lehren. 

Wenn auch die heutige klinische Technik in ätiologischer, 
pathogenetischer und diagnostischer Hinsicht fast mit mathematischer 
Sicherheit Schlüsse ziehen kann, so darf man sich doch nicht hoch- 
müthig gegen seine Vorgänger erheben. Was die Semiotik der 
Krankheiten anlangt, haben uns unsere Vorgänger einen Schatz 
hinterlassen, dem wir hinzufügen, aber von dem wir nichts entbehren 
können. Und wenn wir auch glauben, über das Wie und Warum der 
Krankheiten mehr zu wissen, als die Adepten der traditionellen 
Medicin, so dürfen wir nicht vergessen, daß unsere humoralpatho¬ 
logischen Ansichten doch nur ein Schritt gegen die Ideen sind, die 
vor der Alleinherrschaft der anatomisch-pathologischen Doctrinen 
existirten. Constitution, Temperament, Diathese, auf- und absteigende 
Heredität leiten uns heute noch besser als wie die experimentelle 
Untersuchung der Toxine in der Erkenntniß des einzelnen Krank¬ 
heitsfalles. Nicht so sehr nach dem Krankheitserreger, als nach dem 
Zustande seiner Säfte und seiner Reaction bestimmen wir die Pro¬ 
gnose des Kranken. Der „Reactionscoefficient des ganzen Individuums 
und seiner Organe“ einzeln genommen beherrscht die Klinik, trotz 
aller Lichtstrahlen, die die Laboratoriumswissenschaft wirft. Duell 
zwischen der Action des pathogenen Elementes und der specifischen 
Reaction des Inficirten, das ist das Schauspiel, das der Kranke heute 
dem beobachtenden Auge des Arztes bietet. Diese vitalistische Auf¬ 
fassung der Krankheitsprocesse unterscheidet sich vom Vitalismus 
Stahl’s dadurch, daß er eine histophysiologische Basis hat. Dieser 
moderne Vitalismus und Humorismus hat pathologisch seine Be¬ 
rechtigung, wie er therapeutisch in seinen Schlußfolgerungen sich 
begründen und gleichzeitig benützen läßt. 

Der Humorismus und die von ihm abstammende Ovologie be- 
herrchen heute unser klinisches Wissen. Neben der alten organischen 
und physiologischen Semeiotik wird unser diagnostisches und pro¬ 
gnostisches Wissen in einer von unseren Vorgängern ungeahnten 
Weise unterstützt durch die jüngst entstandene Bakterioskopie — 
Oroskopie — Cytoskopie — Myoskopie. Die Erforschung der Säfte 
des kranken Organismus lassen uns in vielen Fällen mit fast 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 16. 


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mathematischer Sicherheit nicht nur die Natur der Erkrankang, 
sondern ihren Ablauf und ihr Verschwinden erkennen. Mehr noch, 
bevor die Krankheit sich als solche hat constituiren können, werden 
bald die verfeinerten humoralpathologischen Investigationen sie 
überraschen können. 

Und all dies Wissen wird nur seinen Werth finden durch 
die ständige Berührung mit dem Kranken am Spitalsbette; hier 
lernt man das Handwerk bis zur Meisterschaft. Für das therapeuti¬ 
sche Handeln lehrt der tägliche Verkehr mit den Kranken sich um 
das Wie und Warum der Erkrankung kümmern. Durchdrungen von 
ätiologischen und pathogenetischen Principien werden wir Oppor¬ 
tunisten in der Therapie, Apostel der Prophylaxe und der thera¬ 
peutischen Hygiene. Im Spitale kann man lernen, wie man, ohne 
auf eines der therapeutischen Mittel zu verzichten, in kluger 
Exspectation, nur durch Diätetik, durch einige physikalische Ma߬ 
nahmen und durch die Hypurgie seinen Kranken zur Gesundung 
helfen kann. 

Die Hypurgie, die Kunst, wie man die Kranken pflegt, ist 
von Wichtigkeit auch für die bedeutendsten Medicationen. Die 
zarten Aufmerksamkeiten, mit denen man die Kranken pflegt, ent¬ 
scheiden in vielen Fällen über das Endresultat. Man denke nur 
an die Complicationen, die man bei Pneumonie, Erysipel, Influenza 
durch Pflege der ersten Luftwege vermeiden kann. 

Was der Schüler vom Lehrer verlangt, ist praktische 
Ausbildung in der Diagnose und Therapie. Pflicht des Lehrers 
aber ist es, noch eine andere Ausbildung hinzuzufügen; die 
der allgemeinen öffentlichen Hygiene. Der Arzt, der in die 
Praxis geht, muß wissen, daß viele Krankheiten mit etwas 
weniger Sorglosigkeit und Unkenntniß von Seiten unserer Patienten 
zu vermeiden sind. Man darf sich nicht abhalten lassen, in dieser 
Richtung zu wirken, durch Rücksichten auf eine mögliche ärztliche 
Krise. Landouzy hält es für seine Pflicht, am Beginne seiner Lehr- 
thätigkeit diesen, Punkt zu berühren-. ... 

Die ärztliche Profession erfährt einen Umschwung. Die Haupt¬ 
arbeit der Zukunftsärzte wird die der Erzieher in öffentlicher 
Hygiene sein. Die Aerzte werden Gesundheitswächter sein ebenso 
und noch mehr als Krankheitsheiler. Sie werden ihre Clienten 
vor Ueberanstrengung jeder Art bewahren müssen, sie werden die 
Menschen eine für sie neue Wissenschaft, die, sich zu ernähren, 
lehren müssen, sie werden namentlich gegen die Tuberculose, den 
Alkoholismus, die Syphilis kämpfen müssen. Aber auch dio Rolle 
des Arztes in der Familie wird eine bedeutendere und ernstere 
werden. Der Arzt wird die entscheidende Stimme haben in der 
Neugründung und Erhaltung der Organismen. Die ganze hohe Auf¬ 
gabe der Puericultur wird ihm zufallen. 

Die Medicin, die heilt, die Medicin, die lindert und die tröstet, 
verlangt, daß man ihr mit Leidenschaft diene. Täglich an Wissen 
und Menschlichkeit wachsend, soll man an die Heilung der Mit¬ 
menschen gehen. Durch die Medicin wird die Krankheit seltener, 
das Leben süßer, das Greisenalter weniger beschwerlich, der Tod 
erträglicher werden. L. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

31. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für 

Chirurgie. 

(Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) 

II. 

Arbuthnot-Lane (London): Resultate der primären Knochennaht 
bei Fracturen. 

Ausgehend von seinen anatomischen Studien, die ihm zeigten, 
daß die Physiologie des Skeletts in den anatomischen Lehrbüchern 
falsch und oft den Chirurgen irreleitend beschrieben ist , daß 
sie individuell nicht selten so große Verschiedenheiten aufweist, 
daß es ihm nach eifrigen Studien möglich war, am Skelett den Be¬ 
ruf eines Kohlenträgers von dem eines Kohlentrimmers zu unter¬ 
scheiden, kommt Vortr. auf die Behandlung der Knochenbrüche 


bei den verschiedenen Individuen zu sprechen, deren Resultate ihm 
auf dem Sectionslisch oft so unbefriedigende schienen, daß er anfing, 
im Hospital die Patienten zu untersuchen, und zu dem Schluß kam, 
daß die Meinungen, welche die Chirurgen von ihrer Behandlung 
durch Manipulationen und Schienen hatten, lächerlich falsch waren. 
Seine Studien haben ihn davon überzeugt, daß es auch in der 
Narkose bei erschlaffter Musculatur nicht möglich ist, eine genaue 
Apposition dauernd herbeizuführen und festzuhalten und den Knochen 
zu seiner Norm zurückzuführen, da durch Hämatome im Muskel, 
durch Entzündungen und spätere Verkürzungen die gute Apposition 
sehr beeinflußt wird. Es gibt daher nach seiner Meinung bei den 
Schrägfracturen nur zwei Behandlungsmethoden, wenn man nicht 
operirt, d. i. genaue Apposition, ehe eine Blutung eingetreten ist, 
oder Abwarten, bis das Hämatom absorbirt und die Entzündung 
verschwunden ist. Da aber das erstere Verfahren kaum möglich 
sein wird, bei dem zweiten schon Verkürzungen eingetreten sein 
werden, so gibt es nur die dritte Möglichkeit der primären Knochen¬ 
naht, die öfter nöthig ist bei der unteren als bei der oberen Ex¬ 
tremität. Durch Anwendung sehr bedeutender Streckung am Bein 
und durch den Gebrauch von Hebeln und starken Knochenzangen 
war Vortr. imstande, genaue Apposition von den Bruchstücken der 
Tibia und Fibula herzustellen, selbst wenn die Menge der Blutung 
und die Entzündung eine bedeutende war. Der Kraftaufwand, der 
dazu nöthig war, war sogar beim Femur bedeutend geringer. 

So fand er denn bei seinem operativen Vorgehen, daß die in 
den Büchern über Knochenbrüche angegebenen Beschreibungen fast 
in jeder Einzelheit falsch waren. Knochen, die durch directe Ge¬ 
walt gebrochen waren, zeigten transverse oder mehr oder weniger 
schräge Oberflächen und waren häufig zersplittert. Diejenigen, 
welche durch indirecte Gewalt gebrochen waren, waren immer 
spiralförmig, jedes Bruchstück endete in einer langen, scharfen 
Knochenspitze und zeigte an der anderen Hälfte einen engen zu¬ 
rücktretenden Winkel, in welchen die Spitze des oberen Stückes 
äuf irgend eine Weise eingepaßt war. Hatte man die Tibia gut 
apponirt, so war es nicht nöthig, die Fibula ebenfalls freizulegen, 
sic begleitete dann die Wielerherstellung der Tibia. L. brauchte 
Silberdraht oder gewöhnliche Schrauben zur Fixation, faßte, um 
Infection zu vermeiden, die Wunden nicht mit dem Finger an. 
Sehr schwierig waren oft die Operationen an alten, mangelhaft 
eingerichteten Knochenbrüchen, wenn z. B. zwei Knochen (Tibia 
und Fibula, Radius und Ulna) in vier verschiedenen Richtungen 
erst durchgesägt werden mußten, ehe die Achsen der 4 Bruch¬ 
stücke zusammenhängend gemacht werden konnten. 

König (Altona) ist der Meinung, daß eine genaue Coaptation der Brueh- 
enden nicht immer nothwendig ist für eine gute Function. Anders ist es bei 
den Gelenkfracturen, bei denen frühzeitige Naht mit genauester Coaptation er¬ 
forderlich für eine gute Function und möglichst geringem Callus ist. Nur dann 
wird man bei der gewöhnlichen Fractur operativ eingreifen, wenn die Roent- 
genaufnahme eine gute Function bei der Lage der Knochen zu einander un¬ 
möglich oder unwahrscheinlich erscheinen läßt. Vortr. demonstrirt dann noch 
eine Patientin mit Torsionsfractur des Oberarmkopfes, an welcher er die 
operative Naht mit gutem Erfolge gemacht hat, einige Roentgenphotographien 
von primärer Knochennaht und einen Knaben mit Knochennaht bei Ellbogen¬ 
gelenk fractur. 

Trendelenburg (Leipzig) will die operative Behandlung der subcutanen 
Fracturen auch nur bei den Gelenkfracturen angewendet wissen. Bei den Fra- 
turen des Oberschenkelkopfes schiebt er eine große Schraube vom Trochanter 
aus durch den Kopf. 

Pfeil-Schneider hat vor 10 Jahren schon die Naht der Fracturen 
empfohlen und gibt seiner Genugthuung Ausdruck, daß der Widerstand, den 
er damals erfahren, anderer Anschauung Platz gemacht hat. Er empfiehlt nicht 
das Zusammenschrauben der Knochen, weil nach seinen Erfahrungen die 
Schrauben nicht einheilen. Bei 29 Knochennähten und 4maligem Zusammen- 
schrauben der Knochen hat er stets sehr langsame Consolidation eintreten 
sehen, sehr wenig Knochenneubildung, so daß in einem Fall bei einem Knaben 
eine neue Fractur der alten Stelle beim ersten Gehversuch eintrat. 

Körte (Berlin) glaubt nicht, daß man das Nahtverfahren als ein all¬ 
gemeines proclamiren kann. 

Henle (Breslau) berichtet über die Erfahrungen, die mit der primären 
Knochennaht in der Breslauer Klinik gemacht worden sind. Auch er kann 
bestätigen, daß die Consolidation auffällig lange dauert. Schultergelenkfracturen 
wurden letzthin regelmäßig so behandelt, daß der Arm aufgehängt und die 
Patienten angewiesen wurden, um die aufgehängte Extremität herum womöglich 
gleich am ersten Tage Bewegungen zu machen. Auch bei den übrigen Gelenk- 
fracturen wird es auf möglichst frühzeitige Bewegung ankommen, und man 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 16. 


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wird oft e : n gutes functionelles Resultat trotz mangelhafter anatomischer Re¬ 
stitution erzielen. Die Naht wird auf einige wenige Fälle beschränkt bleiben. 

Lanensteln (Hamburg) spricht über die Fracturen, bei denen die 
spitzen Fracturenden tief in die Musculatur sich eingestoßen haben; diese 
müssen genäht werden. Er empfiehlt die HAusMANN’schen Verschraubungen, 
die sich in ca. 60 Fällen gut bewährt haben. Auch er hat beobachtet, daß 
die Heilungsdauer bei der Naht resp. der Verschraubung lange dauert. 

Schede (Bonn) hat bei Hüftgelenkfractur (Femurhalsfractur) mit Ein¬ 
schlagen eines Elfenbeinzapfens durch Trochanter, Hals und Kopf gute Resul¬ 
tate erzielt, auch gewöhnliche Nägel hat er oft so angewandt. 

Schlange (Hannover) warnt vor allzugroßer primärer Nahtfreudigkeit 
bei Fracturen. Bei der Spiralfractur des Unterschenkels aber an der Grenze 
zwischen mittlerem und unterem Drittel, wo alle Repositionsmittel oft im 
Stiche lassen, ist er für die Knocbennaht mit Aluminiumbronzedraht. 

Bier (Greifswald) will auch nur in sehr seltenen Fällen die primäre 
Knochennaht angelegt wissen, dagegen möglichst frühzeitige Bewegung. 

Bardenheuer (Köln) hat bei seiner Extensionsmethode niemals schlechte 
Resultate in Bezug auf anatomische und functioneile Heilung erzielt. Er hat 
nie eine Pseudarthrose erlebt. 

Wollt glaubt, daß der Mangel an guten Resultaten, die die anderen 
Kliniker mit der Extension erzielt haben, darin zu suchen ist, daß die ange¬ 
legte Extension nicht die von Bardenheüer angegebene war; vor Allem darf 
in den Steigbügel bei der Extension kein breites Brettchen eingeschoben 
werden, sondern der Extensionsverband muß zugleich das untere Fracturende 
wie eine Schiene festhalten, ohne daß man zu fürchten braucht, daß ein Decu¬ 
bitus der Malleolen eintritt. 

Kocher (Bern): Bei den Diaphysenfracturen wird man sich im All¬ 
gemeinen mit fixirendem Verband begnügen, bei den Apophysenfracturen wird 
man wie bei der Fractur des Tuberculum majus häufig nähen, boi den Epi- 
physenfracturen wird man am allerbesten gleich nähen, besonders bei Kindern, 
sonst wird man häufig in die Lage kommen, trotz gut erscheinender Coapta- 
tion nach erfolgter Heilung wegen allzu schlechten functionellen Resultates 
doch noch operativ einzugreifen. K. demonstrirt dann noch ein Präparat 
einer knöchern geheilten intracapsulären Fractur des Oberschenkelkopfes, 
obgleich der Kopf ganz nach hinten gedreht war. Der Schenkelhals war nicht 
atrophirt. 

Schede (Bonn) berichtet über einen Fall, der das Gegentheil von dem 
beweisen soll, was Kocher demonstrirt bat. In seinem Falle war der Kopf 
zwar knöchern, aber rücklings auf dem Schenkelhals sitzend, knöchern auf¬ 
geheilt, so daß er gezwungen war, den Kopf abzutragen, um den Schenkelhals 
in die Pfanne zu bringen. Der Kopf war vollkommen vom Ligamentum teres 
getrennt. 

Honsel (Tübingen): Ueber die Tragfähigkeit von Amputations¬ 
stümpfen. 

Vortr. berichtet über die guten Resultate, die an der Tübinger 
Klinik mit dem Verfahren von Bruns erzielt wurden unter mög¬ 
lichst ausgedehnter Erhaltung des Periostes. Es wird ein größerer 
vorderer und ein kleinerer hinterer Lappen gebildet. Es hat bis 
jetzt kein Grund Vorgelegen, von diesem Verfahren trotz des vor¬ 
züglichen BiEa’schen Verfahrens abzuweichen. 

König (Berlin) weist auf das Capitel der Amputationsstümpfe in seinem 
Lehrbuche hin. Hautperiostlappen sind schon damals, als er sie beschrieben 
hat, nicht neu gewesen. 

Bunge (Königsberg) spricht der alten Methode das Wort. 

Bier (Kiel) ist überzeugt, daß man nach den verschiedensten Vor¬ 
gängen tragfähige Stümpfe erzielen wird, und doch ist er bis jetzt noch der 
Meinung, daß der osteoplastische Stumpf seine großen Vorzüge hat, doch hält 
er die Frage noch nicht für abgeschlossen. Die Hauptsache bei allen Stümpfen 
wird die frühzeitige Uebung sein. 

Kocher pflichtet ihm darin bei, daß die frühzeitige Probe auf die 
Tragfähigkeit erforderlich ist. 

Sultan (Göttingen).- Ueber die Einpflanzung von todten Knochen 
in indifferente Weichtheile, allein oder in Verbindung mit 
Periost. 

Nach seinen zahlreichen Versuchen, die Vortr. an Zeichnungen 
demonstrirt, ist er zu dem Schlüsse gekommen, daß lebendiger 
Knochen in indifferente Weichtheile am besten in Verbindung mit 
dem Periost eingepflanzt wird , todter Knochen nach Auskochung 
in Periost eingewickelt werden muß, um einzuheilen und nicht als 
Fremdkörper zu wirken. Das Periost muß hier natürlich in Ver¬ 
bindung mit seiner Ernährung bleiben. S. hat dann beobachtet, 
daß von diesem Periost aus allmälig eine Resorption des todten 
Knochens mit Ersatz durch Knochenneubildung stattfindet 


Aus italienischen Gesellschaften. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Mediz. Presse“.) 

Accademia medico-fisica fiorentina. 

Morpurgo: Neuere Studien über Osteomalacie. 

Vortr. berichtet zunächst über die erste Serie seiner Unter¬ 
suchungen über infectiöse Osteomalacie von Ratten; er hat an 
Ratten, die in einem Käfige gehalten wurden, eine Epidemie von 
Osteomalacie beobachtet. Bei den erkrankten Thieren fand sich ein 
Diplococcus, der, anderen Ratten gleicher Art injicirt, das nämliche 
Krankheitsbild zustande brachte. Die Veränderungen am Knochen¬ 
systeme treten erst sehr spät in die Erscheinung. Ein von jungen 
Gefäßen durchzogenes Gewebe überkleidet die innere Oberfläche der 
Knochen in Form von Papillen und bildet weiter rückend Lacunen 
und Canälchen; Osteoblasten bewirken an vielen Orten Knochen- 
destruction und neben retrograden Veränderungen ist stellenweise 
Neoformation zu beobachten. Die an den Versuchsthieren auf¬ 
tretenden Veränderungen ergreifen hauptsächlich die Wirbelsäule, 
das Thoraxskelett, Scapula, Tibia und Fibula und in Form der 
rareficirenden Ostitis alle langen Röhrenknochen. Auch die Becken¬ 
knochen erscheinen schließlich deformirt. Wurden die Versuchs- 
tliiere unmittelbar nach dem Wurfe inficirt, dann traten die Er¬ 
scheinungen in unzweifelhafter Weise im Anschlüsse an die Infection 
auf, bei älteren Thieren lag ein längeres zeitliches Intervall zwischen 
Infection und Manifestation der Erkrankung. Bei jungen Thieren 
traten auch epiphysäre Wucherungen auf, was mit Rücksicht auf 
die Pathogenese der Rachitis von Wichtigkeit scheint. 

Bottazzi und Pierratinc Beiträge zur Nierenfunction. 

Bottazzi und Piereatini haben an einer Anzahl von 
Nephritikern den gesummten Harnstickstoff bestimmt, ferner gleich¬ 
zeitig die Gefrierpunktserniedrigung im Harn und Blut. Im Blute 
fanden sie: Normale Zahlen von 0’5 Stickstoff und A = — 56% 
in runden Ziffern; die bei den Kranken gefundenen Ziffern waren 
stets höher als die Normalzahlen. Die Stickstofl&usscheidüng war 
bisweilen auf das Doppelte erhöht, die höchsten A — Werthe waren 
0'703—0’704, nur in einem Falle —0‘535. Die Werthe von A und 
N blieben bei dem nämlichen Kranken im Allgemeinen unverändert. 
N- und A-Werthe sind von einander ganz unabhängig. Im Harne 
waren die gleichen Befunde zu verzeichnen, geringe N-Abnahme 
und Herabsetzung des osmotischen Drucks. Werden die Werthe von 
A und N bei Nephritikern verglichen, dann beobachte man in 
der Regel Zunahme des ersteren, Abnahme des zweiten. 

R. Accademia medica di Roma. 

Durante: JACKSON’sche Epilepsie mit allgemeinen Krämpfen 
nach Trauma der Stirnregion. 

Vortr. schritt bei einem Individuum, das ein Trauma in der 
Stirngegend erlitten hatte und deutliche Folgeerscheinungen auf 
nervösem Gebiete bot, zur chirurgischen Intervention. Er fand eine 
tiefe, organische Läsion der fronto parietalen Region, insbesondere im 
Bereiche der beiden ersten Stirnwindungen. Das späte Auftreten 
der epileptischen Anfälle in diesem Falle erklärt Durante trotz 
des zeitlichen Intervalles zwischen Trauma und erstem Auftreten 
der Krämpfe als Folge des Trauma, welches Aenderungen der 
Hirnsubstanz, Zellnekrosen und Bindegewebswucherung in der Gegend 
der ROLANDo’schen Hirntheile bewirkte. Nach Exstirpation der be¬ 
troffenen Partie entfiel die Beeinflussung der psychomotorischen 
Region und die Anfälle blieben aus. 

Puccioni: Traumatische Opticusatrophie nach Basisfractur. 

Vortr. erinnert zunächst an einen Fall von Blindheit an 
einem Auge und Hemianopsie am anderen nach einem Trauma des 
oberen Augenhöhlenrandes und berichtet sodann die Kranken¬ 
geschichte eines Mannes, der einen Schlag auf den äußeren, oberen 
Augenhöhlenrand mit einem Regenschirme erlitten hatte. Vierzehn 
Tage nach dem Trauma war die Pupille erweitert, die Papille 
nervi optici beiderseits abgebJaßt. Neben den Erscheinungen von 
Opticusatrophie bemerkte Vortr. Ausfließen einer vollkommen 
durchsichtigen Flüssigkeit aus der Nase. 45 Tage nach der Ver¬ 
letzung starb der Verletzte nach unsäglichen Kopfschmerzen. Bei 
der Autopsie fand man purulente Meningitis und Basisfractur. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 16. 


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20. Congreß für innere Medicin. 

Gehalten zu Wiesbaden 15.—18. April 1902. 

(Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) 

I. 

Fleiner (Heidelberg): Ueber die Behandlung des Magengeschwürs. 

Vortr. gibt zunächst eine ausführliche historische Einleitung 
von (1er ältesten Zeit bis auf die Gegenwart, die namentlich an 
die Namen Hippokrates, Peter Frank, Friede. Hoffmann, Cru- 
veilhier, Bbinton, Trodsseau, Bamberger und Laube anknüpft. 
Ein specifisches Heilmittel für Ulcus ventr. gibt es nicht. Der Arzt 
soll nur günstige Bedingungen für die Spontanheilung desselben 
schaffen, alle Störungen des natürlichen Heilungsvorganges aus dem 
Wege schaffen. Dazu gehört die Leere des Magens, die kräftige 
Contraction der Musculatur zur Verkleinerung der Geschwürsfläche 
und die Anfüllung derselben mit frisch gebildeten Granulationen. 
Dazu gehören mindestens mehrere Wochen Zeit, und deshalb ist 
die erste Bedingung eine möglichst lange Ausdehnung der Ruhecur 
(4 Wochen und darüber). Die ersten Tage läßt man die Patienten 
zweckmäßig hungern und führt ihnen nur Flüssigkeit per rectum 
zu. Dann beginnt man mit Milchdiät, nach 4 Wochen weißes Fleisch, 
nach abermals 14 Tagen erst vorsichtige gemischte Kost. Auch 
später ist die Vermeidung von aller mechanisch und chemisch 
reizenden Nahrung noch durchaus nothwendig. Trinkeuren und 
Badecuren zur Nachbehandlung haben überhaupt keinen Zweck. 
Bei solch schematischer Behandlung heilen etwa 75°/o aller 
Fälle. Die Mißerfolge sind auf Fehler der Patienten , nament¬ 
lich in Lässigkeit in der Durchführung der Cur bestehend, zu¬ 
rückzuführen, zuweilen aber auch auf individuelle Eigenthiimlich- 
keiten, fibröser, geschwüriger Grund oder wallartige Ränder des 
Geschwürs, welche das ständige Zurückbleiben von Nahrungsresten 
auf demselben zur Folge haben, mangelhafte Contractionsfähigkeit 
der. Musculatur, Tiefstand des Magens, Gewohnheit des Luftschluckens 
u. dgl. m. Seit langem bekannt ist die Häufigkeit der Neigung 
zu Recidiven. Je älter das Ulcus, desto schwieriger die Heilung, 
ganz abgesehen von der sich ständig steigernden Gefahr der 
Blutungen uud der Perforation. 

Gegenwärtig erscheint folgende Behandlungsmethode als die 
rationellste: Ausspülung des Magens zur Entfernung der Nahrungs¬ 
reste, aber nur mit geringen Wassermengen und unter niedrigem 
Druck, wie auch die Nahrungsaufnahme quantitativ immer.beschränkt 
sein soll. Auf die gereinigte Geschwürsfläche kann man Höllenstein¬ 
lösung bringen, die schmerzstillend wirkt, die Hyperacidität herab¬ 
setzt und die Grauulationsbildung anregt. Kussmaul hat die Ver¬ 
wendung von Wismuth in größeren Dosen als Schutzdecke für das 
Ulcus empfohlen. Es muß nüchtern (10 Gr.) gegeben werden. So¬ 
fort ändert sich das Krankheitsbild. Die dyspeptischen Schmerzen 
und Beschwerden schwinden. Das Wismuth soll auch reizraildernd, 
desinficirend und granulationsanregend wirken. Bei der niemals an- 
zurathenden ambulanten Behandlung kann man morgens vorher 
einen alkalischen Brunnen zur Reinigung des Magens trinken lassen. 
Wismuth ist absolut ungiftig. Die Spontanheilung führt leider oft 
zu Narbenbildungen im Magen, die chirurgisches Eingreifen noth- 
wendig machen. Der Eintritt hochgradiger Pylorusstenose macht 
sich durch Verminderung der Diurese und Abmagerung leicht 
kenntlich, welche die Folge der verringerten Nahrungsresorption 
ist. Nur selten gleicht die compensatorische Hypertrophie der 
Musculatur die Motilitätsschwäche aus. Die spontane Heilungs¬ 
möglichkeit wird bei Pylorusgeschwüren aufgehoben, wenn sie 
Krämpfe in der Pylorusmusculatur auslösen; dann kommt es zu 
Stagnation, Gastrosucorrhoe, Erweiterung, die Contractionskraft der 
Musculatur geht verloren. In solchen Fällen hat F. dreimal eine 
Frühoperation machen lassen, zwei davon sind geheilt. Als Com- 
plication des Pylorusulcus hat F. 8mal Tetanie gesehen, 5 davon 
operirt, 3 geheilt. Nächst der Pylorusstenose geben die perigastriti- 
schen Adhäsionen Indicationen für den operativen Eingriff 
ab, sowie circumscripte Absceßbildungen, von einem Ulcus aus¬ 
gehend. Bei ersteren hat die Chirurgie bisher aber ebensowenig 
günstige Erfolge zu verzeichnen, wie bei den Versuchen zur Excision 


des Ulcus. Bei Perforation, deren Spontanheilung möglich erscheint, 
muß der chirurgische Eingriff trotz der ungünstigen Chancen gewagt 
werden. Das Magengeschwür an sich ist keine Indication, höchstens 
beim Sitz am Pylorus. Vortr. berichtet über die Erfahrungen in der 
Heidelberger chirurgischen Klinik, wo seine Kranken operirt worden 
sind. Es ergibt sich aus der im Detail wiedergegebenen Statistik, daß 
im Gegensatz zur Rescction und den übrigen eingreifenden Ope¬ 
rationsmethoden nur die Gastroenterostomie ausreichende Resultate 
liefert. Sie gibt auch eine günstige Basis für die nach erfolgter 
Heilung der Operationswunde in Angriff zu nehmende interne 
Behandlung des Ulcus. Denn dann wird es durch die Nahrung 
nicht mehr gereizt und die Musculatur kann sich wieder kräftig 
contrahircn. 


Aus französischen Gesellschaften. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Med. Presse“.) 

Academie des Sciences. 

Bertrand: Ueber die Umwandlung des Glycerins in Zucker 
durch Einwirkung von Hodenzellgewebe. 

Berthelot hat schon 1857 nachgewiesen, daß beim Mischen 
des Hodenzellgewebes verschiedener Thiere mit einer wässerigen 
Glycerinlösung ein der Glycose ähnlicher Zucker entsteht. 

Nach Bertrand sind Mikroben die Ursache dieser Erschei¬ 
nung. Von 32 Kölbchen, die mit sterilisirter wässeriger Glycerin¬ 
lösung gefüllt wurden, welcher nachher Hodenzellgewebe beige¬ 
mengt wurde, enthielten 25 nach Ablauf mehrerer Monate keine 
Spur von Zucker; 23 von diesen waren absolut steril. Die 7 zucker¬ 
haltigen Kölbchen enthielten Mikroben. Der sich bildende Zucker 
scheint Dioxyaceton zu sein. 

Die Mikroben stammen weder aus der Luft, noch aus dem 
Wasser; da bei der Abtragung der Hoden mit der peinlichsten 
Asepsis vorgegangen wurde, müssen wenigstens einige der be¬ 
nützten Testikel schon inficirt gewesen sein. 

Gaule: Vermehrung der rothen Blutkörperchen bei Aufstiegen 
mit dem Luftballon. 

Bei zwei Aufstiegen, einem bis zu 5300 und einem anderen 
bis zu 4200 Meter, ließ sich eine bedeutende Zunahme der Zahl 
der rothen Blutkörperchen constatiren : 7,040.000, 7,480.000, bei 
einer Frau 8,800.000. 

Es handelt sich hier nicht um eine Veränderung der Mischung 
von Blutkörperchen und Plasma, sondern um eine wirkliche Neu¬ 
bildung von Blutkörperchen, was durch die gleichzeitige Verminde¬ 
rung des Hämoglobingohaltes und durch das Vorhandensein in 
Theilung begriffener Elemente im Blute bewiesen wird. 


Academie de Mödecine. 

Arloing (Lyon): Uebertraflbarkeit der menschlichen Tubercu-» 
lose auf Thiere. 

A. erzielte bei 23 Thieren (Rind, Schaf, Ziege) Tuberculose 
durch Einimpfung von Tuberkelbacillen, die von verschiedenen 
menschlichen Secreten (Sputum, plenritische Exsudatflüssigkeit) 
stammten. Er glaubt, daß Koch und Schütz keine positiven Er¬ 
folge erzielten, weil sie sich Culturen von schwacher Virulenz oder 
zu geringer Dosen bedienten. 

A. kommt zu folgenden Schlüssen : 

1. Die Virulenz des Tuberkelbacillus ist nicht immer gleich, so 
daß es leicht Vorkommen kann, daß der vom Menschen stammende 
Bacillus auf Thiere weniger wirkt, als der Bacillus der Rinder- 
tuberculose. 

2. Man kann Reinculturen des menschlichen Tuberkelbacillus 
züchten, die imstande sind, Thiere tuberculös zu machen. 

3. Wenn man nicht übertragbare Bacillen findet, so muß das 
noch nicht eine ganz andere Tuberculose sein. 

4. Die Unicität der menschlichen Tuberculose und der Tuber¬ 
culose der Thiere mit den IvOCH’schen Bacillen ist unzweifelhaft. 

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5. Die Untersuchungen von Koch und Schütz berechtigen 
nicht zu dem Ausspruch , daß die Tuberculose des Menschen sich 
von der der Thiere unterschiede. 

6. Man muß die Vorsichtsmaßregeln betreffs des Fleisches und 
der Milch verdächtiger Thiere aufrechterhalten. 

Sociöte de Biologie. 

Tessier und Levi: Einfluß concentrirter Salzlösungen auf den 
arteriellen Blutdruck. 

Ans einer Reihe von Untersuchungen geht hervor, daß con- 
centrirte Salzlösungen, subcutan injicirt oder als Klysma gegeben, 
ein Sinken des arteriellen Blutdruckes hervorrufen. Dieses Sinken 
des Blutdruckes ist offenbar die Folge einer Einwirkung auf die 
peripheren Gefäße und steht mit der Concentration der in Anwen¬ 
dung gebrachten Lösung in geradem Verhältniß. Daraus erklärt 
sich auch der günstige Einfluß der Salzlösungen bei arterieller Span¬ 
nung in den Fällen von Arteriosklerose. 

Carriere: Das Verhalten des Blutes bei Keuchhusten und bei 
der Entzündung der tracheo-bronchialen Lymphdrüsen. 

Die Untersuchung des Blutes von 14 mit Keuchhusten behafteten 
Kindern ergab Folgendes : Im Beginn der Krankheit deutliche Leu- 
kocytose und Polynucleose; während der Krankheit selbst tritt die 
Leukocytose noch mehr in den Vordergrund; während der Recon- 
valescenz nimmt die Leukocytose ab, die Polynucleose weicht einer 
mäßigen Eosinophilie. Die Zahl der rothen Blutkörperchen nimmt 
vom Beginn der Krankheit an immer mehr und mehr ab, während 
der Reconvalescenz wird sie allmälig wieder normal. Dasselbe gilt 
vom Hämoglobingehalt des Blutes. 

Bei der Erkrankung der tracheo-bronchialen Lymphdrüsen 
übersteigt die Zahl der weißen Blutkörperchen nie 15.000, und 
diese leichte Vermehrung derselben erstreckt sich hauptsächlich 
auf die mononucleären Zellen. 

Widal, Sicard und Ravaut: Das Vorkommen eines Pigmentes 
im Liquor cerebrospinalis bei chronischem Icterus. 

In acht Fällen von chronischem Icterus fand sich eine deut¬ 
liche fluorescirende Verfärbung des Liquor cerebrospinalis. Diese 
Färbung war in Fällen von acutem Icterus nicht zu sehen. Die 
Farbe scheint nicht von den gewöhnlichen Gallenfarbstoffen herzu- 
stamraen, da sie weder durch die gewöhnlichen chemischen Ileactionen 
noch 8pectroskopisch nachzuweisen ist; die Färbung ist einzig und 
allein durch das menschliche Auge wahrnehmbar. 

Die Untersuchung auf zellige Elemente im Liquor cerebro¬ 
spinalis fiel bei diesen Fällen immer negativ aus, auch zeigten 
die Meningen keine Durchgängigkeit für Jodkali und Natrium 
salicylicum. 

Die betreffenden Kranken boten keine wie immer gearteten 
Nervenstörungen dar. 


Standesfragen. 

Pie Verelendung des ärztlichen Standes in 
ihren Beziehungen zu den Krankencassen und 
der freien Arztwahl. 

Von Dr. Fritz Hartwig in Wien. 

II. 

Die Vortheile der freien Arztwahl für den ärztlichen Stand. 

Wenn man zur Sanirung des ärztlichen Standes die Auf¬ 
hebung des Zwangsarztsystems bei den Krankencassen vorschlägt, 
erhebt sich sogleich die wichtige Frage: 

„Was ist an die Stelle des bisherigen Systems zu setzen?“ 
Die Antwort ergibt sich aus der Frage selbst: 

„Die freie Wahl des Arztes 1“ 

Was freie Arztwahl ist, ist hinlänglich bekannt; nichtfreie 
Arztwahl in unserem Sinne würde es sein, wenn wir darunter 
verständen, daß bei derselben jeder Kranke jeden beliebigen Arzt 
wählen und dieser Arzt rechnen könnte, was er wollte, und daß 
die Krankencassen Luft wären bis auf die Bezahlung. Ich halte es 


für das Beste, in dieser Beziehung sich den Vorschlägen des von 
den Aerztekammern ausgearbeiteten Memorandums anzuschließen, 
dessen gediegene Ausführungen allen, welche sich für ihren Stand 
interessiren, bekannt sind. Bevor wir uns mit der freien Arztwahl 
beschäftigen, wäre es wohl opportun, einige der wichtigsten Ein¬ 
wendungen , die die Gegner der freien Arztwahl Vorbringen, zu 
widerlegen. 

Die Gegner der freien Arztwahl wenden ein, daß es zur Be¬ 
hebung der im Vorausgehenden geschilderten Mißstände des Zwangs- 
arztsysteras nicht unumgänglich nothwendig sei, die freie Arztwahl 
einzuführen, sondern es genüge schon die Einführung einer besseren 
Bezahlung der Cassenärzte, einer gerechteren und zweckmäßigeren 
Auftheildng der Rayons und der Cassenmitglieder, die Einführung 
einer Pension und einer vernünftigen Dienstespragmatik für die 
Cassenärzte. 

Darauf ist zu erwidern: „Diese Neuerung kostet Geld, und 
zwar viel Geld. Es wäre ja ganz schön, wenn die Cassen auch 
nur mehr Geld ausgeben wollten.“ 

Aber das wollen ja die Cassen eben nicht, und eines ihrer 
gewichtigsten Argumente gegen die freie Arztwahl ist das ge¬ 
steigerte Budget für ärztliche Behandlung. Wenn die Cassen mehr 
Geld ausgeben wollten, so könnten sie hiefür doch gleich die freie 
Arztwahl haben, die auch im Interesse ihrer Mitglieder liegt. 
Weil sie aber das nicht wollen, drücken sie sich um die Geldfrage 
herum durch die Anstellung, respective Vermehrung der Pauschal¬ 
ärzte, und wir haben die feste Ueberzeugung, daß die Cassen einer 
eventuellen doppelten Zahl von Cassenärzten auch nur so viel werden 
zahlen wollen wie der einfachen, nämlich einen Pappenstiel. 

Mithin wird im Falle der Durchführung der von den Cassen¬ 
ärzten angestrebten Reform der einzelne Cassenarzt kaum mehr 
als die Hälfte seines früheren Pauschales beziehen. 

Die Ueberbürdung würde freilich damit zum größten Theile 
schwinden; aber die neuangestellten Cassenärzte werden als neue 
Concurrenz aus den Spitälern gerade in jene Bezirke geworfen, 
wo es den Aerzten ohnehin schon schlecht genug geht und wo die 
meisten von ihnen ohnehin fast nur auf das Einkommen der cassen- 
ärztlichen Praxis angewiesen sind. 

Solche Neuanstellungen bedeuten also: Verminderung des 
pauschalsten cassenärztlichen Einkommens, Verm iderung des 
Einkommens aus der Privatpraxis infolge Vermehrung der 
Concurrenz ; das wäre schon schlimm genug, wenn das die einzige 
Gefahr wäre, welche die Stellung der Cassenärzte bedroht. Aber 
cs droht zum Ueberfluß noch in der nächsten Nähe das Gesj enst 
der Familienversicherung der Krankencassenmitglieder auf Grund¬ 
lage des Zwangsarztsystemes, das den Cassenarzt des letzten Restes 
einer spärlichen Privatpraxis beraubt und ihm eine neue große 
Zahl von Concurrenten auf den Hals bringt. Folge : Neuer Zuzug 
von Aerzten, Aufhören fast jeder Privatpraxis und dabei das 
pauschalierte Einkommen zu klein, als daß der Cassenarzt davon 
leben könnte. 

Ziehen wir die Schlußfolgerung aus diesen Ausführungen: 

Die Aufrechterhaltung des Zwangsarztsystems in welcher 
Form immer nützt weder dem Patienten noch dem einzelnen Arzte, 
sei er Privat- oder Cassenarzt, noch dem ärztlichen Stande; im 
Gegentheil, der consequente Ausbau des Zwangsarztsystems bedeutet 
den Ruin des gesammten ärztlichen Standes. Uns Aerzten bleibt 
also keine andere Wahl als „die freie Arztwahl“. 

* * 

* 

Bei der freien Arztwahl haben wir mehrere Systeme zu unter¬ 
scheiden : 

1. Das der absolut freien Arztwahl; 

2. das der relativ freien Arztwahl. 

Das erstere (bedingungslose Freigabe der ärztlichen Behand¬ 
lung) kommt für uns Aerzte aus finanziellen Gründen vorderhand 
nicht in Betracht. 

Es kommt für uns nur in Betracht; Das System der relativ 
freien, das ist auf eine bestimmte Aerztegruppe concentrirten Arzt¬ 
wahl, wobei die Aerztegruppe aus freiwillig hiezu sich meldenden 
Aerzten besteht und dem Versicherten die Wahl unter diesen 


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Aerzten freibleibt, indem die Krankencasse einer ärztlichen Cor¬ 
poration (Aerztekammer, Aerzteverein, Verein der frei zu wählenden 
Cassenärzte) die gcsammte ärztliche Behandlung ihrer Mitglieder 
übergibt und durch einen Vertrag mit dieser Aerztecorporatiou 
sämmtliche Bedingungen vereinbart, nach denen bei der Behand¬ 
lung erkrankter Cassenmitglieder sowohl von Seiten der Aerzte, 
als auch von Seiten der Krankencasse vorgegangen werden muß. 
Cassenarzt in diesem weiteren Sinne kann jeder Arzt werden, 
der diesen Vertrag unterzeichnet und sich bei der ärztlichen Cen¬ 
tralstelle durch den Beitritt in die vertragschließende Corporation 
als Cassenarzt meldet, ohne daß es erst einer besonderen Anstel¬ 
lung durch den Cassenvorstand bedarf. Die Cassa verkehrt be¬ 
züglich des ärztlichen Dienstes mit den Vertrauensmännern der 
Aerzte und zahlt an die den Krankendienst versehende ärztliche 
Corporation den für die ärztliche Behandlung entfallenden Betrag, 
den die Aerzte unter sich je nach ihren Leistungen auftheilen. 

Die freie Arztwahl bietet für den ärztlichen Stand viele 
Vortheile: 

1. Verhütung der Ueberbürdung. Die Arbeit jedes einzelnen 
Arztes ist naturgemäß kleiner, wenn sie sich statt von 20—150 
auf 1000—2000 vertheilt. Die Befürchtung, daß einzelne Aerzte 
die ganze Praxis an sich reißen werden, ist bei der riesigen Zahl 
von versicherten Cassenmitgliedern eine grundlose, weil ein einzelner 
Arzt bei noch so großem Fleiß und Eifer denn doch nicht mehr 
leisten kann, als ihm seine Kräfte erlauben und eiue fabriksmäßige, 
schleuderhafte Arbeit unter dem System der freien Arztwahl sich 
selbst unmöglich macht. 

2. Eine bessere, standesgemäß»! Bezahlung der ärztlichen Ar¬ 
beit. Es ist ja von vorneherein verständlich, daß bessere Arbeit 
eben besser gezahlt werden muß. Derartige Bezahlung, wie sie bei¬ 
spielsweise in Wien Aerzten geboten (17*2 Heller für eine Ordination, 
34 Heller für eine Visite), wurde nur unter dem Zwaugsarztsystem 
dadurch möglich, daß man die Unwürdigkeit und Erbärmlich¬ 
keit desselben mit Hilfe des Pauschales zu verschleiern vermochte. 
Bei Einführung der freien Arztwahl werden die Cassen es nicht 
wagen dürfen, den Aerzten ein solches Honorar wie das oben an¬ 
geführte anzubieten, schon aus dem Grunde, weil den Cassenpatienten 
angesichts einer solchen Bezahlung doch gelinde Zweifel aufsteigen 
müßten über die Güte einer gegen solches Honorar gebotenen 
Leistung und weil sich auch keine Aerzte würden finden lassen, die 
sich nicht vor der Oeflentlichkeit schämen müßten, gegen eine der¬ 
artige Bezahlung ihre ärztlichen Dienstleistungen zu verkaufen. 

3. Hebung der socialen Stellung der Aerzte. 

4. Hebung des Vertrauens zur ärztlichen Kunst 

5. Aufrechterhaltung des freien Wettbewerbes , Ausschaltung 
der MonopolisiruDg ärztlicher Thätigkeit. 

6. Unabhängigkeit des Arztes von den Cassen und von deren 
einzelnen Mitgliedern. 

7. Die wichtigste Folge der freien Arztwahl wird die Einig¬ 
keit des A er ztes tan des sein. Unabhängig von der Laune des 
Patienten, unabhängig von der Gnade der Cassen, wird das un¬ 
würdige Wettkriechen um die pauschalirten Stellen aufhören. Die 
Unmöglichkeit, sich durch die Erlangung einer Pausehalirung von 
seiten der Cassen eine festere Position zu schaffen, als die nicht 
cassenärztlichen Collegen, macht alle Aerzte gleich, einig und stark 
gegenüber den Cassen. Wo es für Verrath keinen Lohn gibt, gibt 
es keinen Verräther; denn bei der freien Arztwahl haben alle Aerzte 
den Cassen gegenüber dieselben Interessen. — Die Besserung und 
Sicherung der materiellen Existenz weckt den Muth und die Zu¬ 
versicht im Lebenskämpfe, die erhöhte sociale Stellung im bürger¬ 
lichen Leben den Stolz und das Gefühl der Unabhängigkeit, das 
Bewußtsein des unverbrüchlichen Zusammenhaltes die Einigkeit. 
Denn mit der freien Arztwahl verschiebt sich die Position der 
praktischen Aerzte gegen die Krankencassen; aus Angestellten — 
ich wage es kaum zu sagen, aus Dienern — werden freie, unab¬ 
hängige Männer! Und das ist viel, ich möchte sagen, es ist der 
Hauptgewinn der freien Arztwahl. 

Die Erlangung der freien Arztwahl ist für den ärztlichen 
Stand eiue Lebensfrage. — Darum ist es aber vorderhand von ge¬ 


ringerer Wichtigkeit, unter welchen Bedingungen wir die freie 
Arztwahl erreichen. Die Hauptsache ist, daß wir sie erreichen! 

Haben wir sie einmal, dann wird es Zeit sein, bessere 
Bezahlung und bessere Bedingungen zu erzwingen; für den in sich 
geeinten ärztlichen Stand wird das ein Leichtes sein! Denn um eine 
Wiedereinführung des Zwaugsarztsystems, wenn das freie Arztwahl¬ 
system auch nur probeweise versucht wurde, braucht uns nicht 
zu bangen. Dafür werden schon die Mitglieder der Krankencassen 
selbst sorgen! 

Ueber die Taktik zur Erlangung der freien Arztwahl ist 
nicht viel zu sagen; wir haben nur zwei Gegner; der eine, die 
Krankencassenleitungen, ist nicht ernst zu nehmen, da dieselben 
gegen den festen Willen einer geeinten Aerzteschaft, das Zwangs¬ 
arztsystem nicht mehr zu dulden, ohnmächtig sind. Der gefähr¬ 
lichere Gegner ist in unserer Mitte, es sind die Cassenärzte. 

Das Hauptmoment ist also zu legen auf die vereinte Agitation 
aller Collegen in unserem Stande ; die Angst der Ivrankencassen- 
ärzte, den wichtigsten Th eil ihres Einkommens zu verlieren, ist ja 
eine auf den ersten Anblick ganz gerechtfertigte. 

Und doch haben dieselben, wenn sie sich die Sache reiflich 
überlegen, eigentlich wenig Grund zur Angst. Der Theil von 
ihnen, welcher über eine reichliche Privatpraxis verfügt, kann 
leicht das Nebeneinkommen, das ihm die Casse mit ihrem Fixum 
gewährt hat, verschmerzen. Der andere Theil, und das sind die 
Cassenärzte der peripheren Bezirke Wiens, der hauptsächlich von 
der Cassenclientel lebt, hat auch eigentlich keinen ernstlichen Grund 
zu Besorgnissen. Denn es ist klar, daß sie mindestens in der ersten 
Zeit nach der Einführung der freien Arztwahl den größten Zu¬ 
lauf haben werden; sie sind ja in den interessirten Kreisen am 
meisten bekannt. Für später wird es ihre Aufgabe sein, den Zulauf 
der Cassenmitglieder sich zu erhalten. Die wenigen Cassenärzte, die 
bei ihren Patienten so unbeliebt sind, daß nur der eiserne Zwang 
der Notli und der Cassenleitungen ihre Patienten veranlassen kann, 
sie aufzusuchen, werden leider als Opfer des sopialen Kampfes 
fallen; jeder Kampf kostet eben Opfer, und wenn der ärztliche 
Stand, um sich vor dem Ruin zu retten, keinen anderen Weg kennt 
als den genannten , so ist das zwar traurig, aber unausweichlich. 
Es wird aber gerade in dieser Beziehung eine Hauptaufgabe des 
geeinten Standes sein, durch passende Uebergangsbestimmungcn das 
Schicksal dieser Collegen so viel als möglich zu lindern. 

Derartige Uebergangsbestimmungen sind bereits im großen 
Wiener Comitö für freie Arztwahl erwogen und diesbezüglich 
auch geeignete Vorschläge schon gemacht worden. 

Und wie einerseits die Cassenärzte der peripheren Bezirke 
Wiens zunächst den größten Zulauf aus der freien Arztwahl haben 
werden, so ist anderseits ihre Befürchtung, daß die freie Arztwahl 
ihre Concurrenz vermehren würde, unbegründet. Es ist wohl nicht 
wahrscheinlich, daß gerade in den ärmsten Bezirken junge Collegen 
ohne andern Anhaltspunkt als die freie Arztwahl sich niederlassen 
werden. Hingegen wird die künstliche Aufzüchtung neuer Concurrenz 
durch die Cassen sicher unterbleiben. 

Ueber die Möglichkeit der Durchführung der freien Arztwahl 
bei uns zu sprechen, halte ich für überflüssig; was an so vielen 
Orten Deutschlands mit den günstigsten Erfolgen möglich war, muß 
auch in Wien möglich sein. Weder finanzielle, noch Bedenken 
anderer Art können den ärztlichen Stand abhalten, nach der freien 
Arztwahl zu streben. Und wenn die ganze Welt sich uns entgegen¬ 
stellte, in einer derartigen Frage wie die der freien Arztwahl, wo 
die Interessen der Patienten mit den unserigen identisch sind, ist 
der Sieg uns sicher, wenn wir nur einig sind. 

Notizen. 

Wien, 19. April 1902. 

(Ernst v. Leyden.) Deutschlands medicinische Kreise 
begehen morgen den 70. Geburtstag des Berliner Klinikers Ernst 
v. Leyden, des genialen Traube, des großen Frerichs würdigen 
Nachfolgers, dessen Schule u. A. Nothnagel, Klemperer, Gold¬ 
scheider, Renvers, A. Fraenkel entstammen. Auch Oesterreichs 
Aerzte huldigen an dem Tage, an welchem Leyden gleichzeitig 


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sein 50jähriges Doctorjubiläum und den 25jährigen Gedenktag 
seiner Berufung an die Berliner Hochschule feiert, dem ersten 
deutschen Kliniker, dessen Lebensarbeit fruchtbare wissenschaft¬ 
liche Forschung, zielbewußte Förderung ärztlicher Erziehung und 
Thätigkeit war und ist. Möge ihm beschieden sein, bis an die 
äußerste Grenze menschlicher Arbeitsfähigkeit zu wirken! 

(K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien.) In der 
gestrigen Sitzung stellte zunächst Hofr. Prof. Neumann einen 7jähr. 
Knaben vor, welcher die zum erstenmale beobachtete Combi- 
nation von Ichthyosis simplex mit Psoriasis vul¬ 
garis zeigt. — Reg.-R. Dir. Gersuny führte hierauf einen Mann 
vor, bei dem er eine ausgedehnte Resection des Ober¬ 
armknochens wegen Sarkom ausgeführt hat. Um den Unterarm 
functionsfähig zu erhalten, wurden Deltoides und Biceps vernäht, 
der mediale Tricepsrand an der Thoraxwand befestigt. Bei Bewe¬ 
gungen des Unterarmes stemmt sich der Huraerusstumpf gegen 
die Brustwand. — Doc. Dr. Hajek demonstrirte einen Patienten, 
bei welchem er einen Fremdkörper per vias naturales 
aus dem rechten Hauptbronchus entfernt hat. — 
Hofr. Prof. Weinlechner stellte eine 56jähr. zwerghafte Frau vor 
mit multiplen Fibrolipomen der Haut und einem faustgroßen 
Neurofibrom des rechten Plexus brachialis, ferner 
einen Knaben mit Hallux varus durch Narbenzug. W. 
beabsichtigt, die Resection des Grundgelenkes der Zehe vorzu¬ 
nehmen. — In der Discussion empfahl Prof. Dr. Freih. v. Eiselsberg 
die Excision der Narbe und Einnähen eines Hautlappens, Doc. Dr. 
Em. Ullmann Entfernung des Sesambeins der Zehe, eventuell mit 
Sehnenplastik. — Hierauf erfolgte die DiscuBsion über den in der 
vorigen Sitzung gehaltenen Vortrag von Prof. Dr. Englisch : 
„Ueber Pen isc arcin oro.“ Dr. Kapsamer meinte, daß bei 
prämonitorischen Harnbeschwerden zunächst Prostatahypertrophie 
ausgeschlossen werden müsse. Prof. Dr. Freih. v. Eiselsberg hob 
das häufige Vorkommen von Phimose bei Peniscarcinom und die 
Vortheile der Operation desselben mit dem Messer hervor. Prof. 
Dr. Englisch bezeichnete als Vorläufer des Feniscarcinoms locale 
Symptome (Brennen und Röthung am Orificium urethrae oder an 
der Glans, Entzündungen), eventuell mit Harnbeschwerden. Phimose 
fand sich bei 50% der Carcinomfälle vor. — Schließlich demon¬ 
strirte Prof. Dr. Englisch eine Anzahl eingesackter Blasen¬ 
steine. Er theilt dieselben in adhärente, eingelagerte, eingesackte 
und abgeschnürte Steine ein. 

(Oberster Sanitätsrath.) In der Sitzung vom 12. April d. J. 
gelangten folgende Berathungsgegcnsfände zur Verhandlung: Gut- 
ächtliche Aeußerung über die Qualification der Bewerber um die 
zur Besetzung gelangende Stelle eines k. k. Krankenhausdirectors 
in Wien. Referat über allgemeine Gesichtspunkte, welche bei Fest¬ 
stellung der Grundsätze eines Reichsgesetzes zur Bekämpfung der 
ansteckenden Krankheiten — mit Einschluß gesetzlicher Vorschriften 
über die Impfung — in Betracht kommen. 

(Hans von HebraI.) Nach langer, schwerer Krankheit 
ist am 13. d. M. der Primararzt des Wiedener Krankenhauses und 
Professor der Dermatologie an der Wiener Universität Hans Ritter 
v. Hebra im 55. Lebensjahre gestorben. Ein Sohn des berühmten 
Begründers der neueren Dermatologie, hat sich v. Hebra bald dieser 
Disciplin zugewandt und sich dieselbe an der Klinik seines 
Vaters, sowie an den Kliniken Deutschlands, Englands, Frankreichs 
und Italiens in eifrigem, zielbewußtem Studium völlig zueigen ge¬ 
macht. Er habilitirte sich im Jahre 1876 für Dermatologie und 
Syphilis; seit 1896 war er Extraordinarius dieses Faches und 
k. k. Primararzt. Hans v. Hebra hat seinerzeit auch im öffentlichen 
Leben, zumeist auf sanitärem Gebiete, verdienstlich gewirkt. Er 
publicirte zahlreiche dermatologische Arbeiten und ein „Lehrbuch 
der Hautkrankheiten“. 

(Personalien.) Der Dlstrictsarzt Dr. Michael Gedliczka 
in Lissa a. d. E. und der praktische Arzt Dr. Johann Heidrich in 
Götzendorf haben den Titel eines kaiserlichen Rathes erhalten. — 
Zum Director der n.-ö. Landesirrenanstalt in Kierling-Gugging ist 
Dr. Heinrich Schloss ernannt worden. 

(Habilitationen.) Dr. Alexander Margulies hat sich 
als Privatdoccnt für Psychiatrie an der medicinisehen Facultät der 


deutschen Universität in Prag, Dr. Emil Godlewski für descrip- 
tive Anatomie und Embryologie an der medicinisehen Facultät der 
Universität in Krakau habilitirt. 

(Militärärztliches.) Ob.-St.-A. I. CI. Dr. Georg Ludwig 
bat den Orden der eisernen Krone III. CI., die Regimentsärzte 
I. CI. Dr. Johann Burkl und Dr. Joseph Meder haben das goldene 
Verdienstkreuz mit der Krone erhalten. 

(Die Deleg irten- Conferenz der internationa1en 
Vereinigung der medicinisehen Fachpresse) ist am 
6. d. M. in Monaco eröffnet worden. Es sind im Ganzen 27 De- 
legirte erschienen: Für Oesterreich Adler, aus Deutschland Eulen- 
bijrg, Spatz, Posner und A. Martin, Frankreich ist durch Cornil, 
Richet, Laborde, Blondel, Baudouin, Albert Robin, Valude, 
Jaricot vertreten. Anwesend sind ferner: Maragliano, Rümmo, 
Ascoli, Ehlers, Dubois-Harenith, Smith u. A. Aus dem bisherigen 
Verlaufe der Verhandlungen kann entnommen werden, daß über 
die wichtigsten Punkte des Arbeitsprogramms in kurzer Frist voll¬ 
ständige Uebereinstimmung erzielt werden wird. 

(Eine Heilstätte für Geschlechtskranke) ist in 
Berlin — wie uns von dort geschrieben wird — von der Landes¬ 
versicherungsanstalt eröffnet worden. Ihr Zweck ist, geschlechts- 
kranke Versicherte einer gründlichen Heilbehandlung in einer 
geschlossenen Anstalt zu unterziehen, ihre völlige Gesundung 
herbeizuführen und dadurch die Kranken selbst vor dem möglichen 
Eintreten dauernder Erwerbsunfähigkeit zu bewahren und die 
Weiterverbreitung der Geschlechtskrankheit zu verhüten. Nur männ¬ 
liche Kranke finden Aufnahme. 

(Pfändbarkeit des Wartezimmers.) Zu dieser Frage 
veröffentlicht das „Oest. Aerztekammer-Blatt“ einen bemerkens- 
werthen Beleg. Ein durch schwere Schicksalsschläge heimgesuchter 
Arzt wurde Schulden halber beim Bezirksgerichte geklagt, welches 
dem Arzte jedoch eine standesgemäße Einrichtung beließ. Auf den 
Recurs einer Wiener Firma hin fällte das k. k. KreiBgericht ein 
Urtheil, nach welchem dem betreffendem Arzte Alles, bis auf ein 
Becken, einen Schreibtisch und eine Schreibtischgarnitur genommen 
wurde. Ein dagegen ergriffener Recurs wurde von Seite des Obersten 
Gerichtshofes günstig erledigt. 

(74. V ersammlung Deutscher Naturforscher und 
A erzte.) Die diesjährige Naturforscher-Versammlung findet — wie 
bereits gemeldet — vom 21.—29. September in Karlsbad statt. 
Die Organisation der Versammlung wird dieselbe sein wie im Vor¬ 
jahre mit der Ausnahme, daß der medicinisehen Hauptgruppe eine 
neue Abtheilung „Geschichte der Medicin“ eingefügt wurde. Es 
bestehen demnach gegenwärtig 28 Abtheilungen, u. zw. Mathematik 
und Astronomie, Physik, Ingenieurwissenschaften, Chemie, ange¬ 
wandte Chemie, Geophysik, Geographie, Mineralogie und Geologie, 
Botanik, Zoologie, Anthropologie, Anatomie und Physiologie, Patho¬ 
logie, Interne Medicin, Geschichte der Medicin, Chirurgie, Gynä¬ 
kologie, Pädiatrie, Neurologie, Ophthalmologie, Hals-, Nasen- und 
Ohrenkrankheiten, Dermatologie und Syphilidologie, Zahnheilkunde, 
Militärsanitätswesen, Gerichtliche Medicin, Hygiene, Thierheil¬ 
kunde, Pharmacie und Pharmakognosie. In zwei allgemeinen Sitzun¬ 
gen werden Themata von allgemeinem Interesse erörtert werden ; 
in der medicinisehen Hauptgruppe soll die physiologische Albuminurie 
von zwei Referenten behandelt werden. 

(Ein „Centralcomite für das Rettungswesen“ in 
Preußen) hat sich constituirt. Es ist dazu bestimmt, die Gewährung 
erster Hilfe bei Unfällen und plötzlichen Erkrankungen nach ein¬ 
heitlichen Grundsätzen zu regeln, welche sowohl die Interessen der 
Allgemeinheit wie die der Aerzteschaft berücksichtigen. Unter den 
Leitsätzen sei zumal einer hervorgehoben, nach welchem eine 
Weiterbehandlung der Patienten nach Leistung der ersten Hilfe 
von den Aufgaben des Rettungswesens ausgeschlossen sein soll; 
die Organisation des Rettungswesens wird mit Hilfe des Aorzte- 
standes, soweit dieser zur Mitarbeit bereit ist, erfolgen. 

(Statistik.) Vom 6. bis inclusive 12. April 1902 wurden in den 
Ci vilspitälern Wiens 7565 Personen behandelt. Hievon wurden 1539 
entlassen; 204 sind gestorben (11'7% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 73, egypt. 
Augenentziindung 2, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 3, Dysen- 


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769 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 16. 


770 


terie —, Blattern—, Varicellen 113, Scharlach 114, Masern 401, Keuchhusten 77, 
Rothlauf 57, Wochen bettfieber 8, Rötheln 50, Mumps 20, Influenza—, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 778 Personen gestorben 
(+ 2 gegen die Vorwoche). 


Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
Postversendung. Die Preise der Einbanddeoken sind folgende: für die „Med. 
Presse“ IT 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
„Therapie der Gegenwart“: ÜT1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Postversendung. 


RÖmerbad, an der gleichnamigen Südbahnstation gelegen, wird von jeher, 
weil es durch günstige Zugverbindung aus allen Richtungen leicht und schnell 
erreicht werden kann, mit Vorliebe von Curgästen aus Nah und Fern und 
auch als Uebergangsstation von denjenigen benützt, die den Winter im Süden 
zugebracht haben. Seine vorzüglichen klimatischen Verhältnisse und die heil¬ 
kräftigen Thermen von 36'2—37*/ a 0 C. haben diesem Curorte schon lange die 
Benennung des „Steirischen Gastein“ eingetragen. Die günstigen Erfolge seiner 
Bäder- und Trinkeuren, welche erforderlichenfalls durch Anwendung der 
Elektrotherapie, Massage und Heilgymnastik noch wesentlich gefördert werden, 
sichern dieser Heilquelle eine fort und fort steigende Frequenz und den 
alljährlich wiederkehrenden Besuch einer Reihe dankbarer Gäste und illustrer 
Persönlichkeiten. 

Jahr’s zus. Jod-Ferrat-Pastillen ersetzen in allen Fällen, wo der Ge¬ 
brauch von Leberthran und dessen Compositionen, Jod oder Eisen, angezeigt 
wäre, dieselben infolge ihrer wirksamen Bestandtheile. Sie zeichnen sich durch 
angenehmen Geschmack, stets g.'eichbleibende Dosirung und Gehalt an 
organischem Eisen gebunden an Jod, Dnotal und pbospborsaurem Calcium 
aus, sind leicht verdaulich und verursachen keinerlei Magen- und Darm¬ 
beschwerden. Jahr's zus. Jod-Ferrat-Pastillen wirken nicht nur appetit¬ 
anregend, sondern auch blut- und knochenbildend, schleimlösend und husten¬ 
stillend. Man verordnet Kindern 2 — 4, Erwachsenen 6—9 Stück täglich, wobei 
saure Speisen und Obst zu vermeiden sind. 

Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 

Sitzung Donnerstag den 24. April 1902, 7 Uhr Abends, im Hörsaale der 
Klinik Schkötteb. 

Vorsitz: Hofrath Prof. v. Schkötteb. 

Programm : 

I. Demonstrationen (augemeldet Hofrath Prof. v. Schkuitek , Assistent 
Dr. Sokqo). 

II. Prof. Dr. Alois Kkeidl : lieber den Puls der kleinsten Gefäße. 

Das Präsidium. 


Neue Literatur. 

(Der Redaction zur Besprechung eingesandte Bücher.) 

Schmidt u. Strasburger, Die Fäces des Menschen. II. Theil. Berlin 1902, 
A. Hirschwald. 

Lorenz, Praktischer Führer durch die gesammte Medicin. Lief. 1, Leipzig 
1902, Benno Konegen. — M. 2.—. 

Galatti Pemetrio , Das Intubationsgeschwür. Mit 12 Figuren. Wien 1901, 
Josef Safär. — K 3-30. 

Meissner P„ Mikroskopische Technik. Leipzig 1902, Georg T hie me. — 
M. 2.20. 

Joseph Max, Lehrbuch der Haut- und Geschlechtskrankheiten. Leipzig 1902, 
4- Aufl. — M. 7-—. 

Bloch Iwan, Psychopathia sexualis. I. Theil. Dresden 19(J2, II. R. Dohrn. — 
M. 7.-. 


Die Rubrik: „Erledigungen , ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 

Mt Wir empfehlen diese Rubrik der speclellen Beachtung unserer 
geehrten Leser; in derselben werden öfters — neben der Publioation von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auch für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein können, welche an eine 
Aenderung des Domicils oder ihrer Verhältnisse nicht gedacht haben. 


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Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 


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Wien, den 27. April 1902. 


Nr. 17. 


XLIII. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik“, letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich int durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse" 
In Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Deutsohmeisterplatz 2. 


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Abonnementnpreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Militärärztlicner Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
20 K, halbj. 10 K, viertel]. 5 ä - . Ahsland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk., halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 K\ Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2 spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Ranm 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein 
Sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien.l., Maximilianstr.4. 


medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Redaction: Telephon Hr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

■---« 0*8 -- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 
Administration: Telephon Hr. 9104. 


INHALT: Originalien nnd klinische Vorlesungen. Ueber „reflectorische Herzaffectionen“. Von Docent Dr. Ludwig Braun in Wien. — Ueber die Syphilis 
des Magens und Darmes. Von Prof. Dr. M. v. Zeissl in Wien. — Ueber einen Fall von acuter Ataxie bei Tabes. Von Dr. S. Josipowici in Berlin. — 
Verhandlungen ärztlicher Vereine. 20. Congreß für innere Mediän. Gehalten zu Wiesbaden 15.—18. April 1902. (Collectiv-Ber. der „Freien 
Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) II. — 31. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Gehalten zu Berlin, 2. bis 
5. April 1902. (Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) III. — Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 
(Orig.-Ber.) — Notizen. — Neue Literatur. — Eingesendet. — Offene Correspondenz der Redaction und Administration. — Aerztliche 
Stellen. — Anzeigen. 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe dev Quelle „ Wiener Medizinische Presse u gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

** Ueber „reflectorische Herzaffectionen“. 

Von Docent Dr. Ludwig Braun in Wien. *) 

Aua Untersuchungen der letzten Jahre haben wir die 
Wirkung der vom Gehirn und Rückenmark kommenden und 
zum Herzen tretenden Nerven auf dieses Organ näher kennen 
gelernt. Es sind Methoden zur Anwendung gelangt, die besser 
als frühere aus Veränderungen des Rythmus und der Bewe¬ 
gungsform der einzelnen Herzabtheilungen die Wirkungen 
der Nerven auf das Herz erkennen lassen. Früher war man 
darauf beschränkt, die pulsatorischen Schwankungen des Blut¬ 
druckes in den großen Gefäßen zu beobachten und zu regi- 
striren, um daraus die Folgen der nervösen Einflüsse festzu¬ 
stellen. So hatte man nur Folgen der Herzthätigkeit, nie 
diese selbst, vor Augen, so schöpfte man das Urtheil aus 
secundären und nicht aus primären Erscheinungen. 

Hier hat die Methode Gaskell’s Wandel gebracht und 
Einblick in Zusammenhänge geschaffen, die uns früher räthsel- 
haft bleiben mußten. Die frühere Methode, den Einfluß der 
Nerven auf das Herz zu erkennen, die darin bestand, daß man 
z. B. den Druck in der Carotis und seine Schwankungen 
graphisch registrirte, hat nothwendig Veränderungen an den 
Vorhöfen und an dem Ausgangspunkte der Herzbewegung, 
an den Venenmündungen, der Controle nicht zugänglich 
machen können. Gerade jene Abtheilungen de3 Herzens, welche 
der Ursprungsort und die Vermittler der Herzcontractionen 
sind, mußten damit nothwendig unberücksichtigt bleiben. 

Nun hat also zunächst Gaskell das „Suspensionsver¬ 
fahren“ in die Physiologie eingeführt. Bei demselben werden 
direct die Bewegungen der Muskel wände des Herzens registrirt. 
Dies geschieht in der Weise, daß man die Herzwand mit sehr 
feinen Häkchen oder kleinen Pincetten faßt und die Bewegung 
der betreffenden Stelle des Herzens durch sehr leichte Hebel 
vermittelst über Rollen laufender Fäden auf eine berußte, sich 


*) Vortrag, gehalten in der wissenschaftlichen Versammlung des Wiener 
med. Doctoren-Collegiums am 3. März 1902. 


bewegende Fläche überträgt. Natürlich kann man bei größeren 
Thieren, Kaninchen, Katzen, Hunden, auch mehrere solcher 
Häkchen oder Pincetten gleichzeitig an verschiedenen Stellen 
der Kammern oder Vorhöfe anheften, jedes dieser Häkchen mit 
einem Hebel verbinden und nun die Bewegungen verschiedeper 
Stellen der Herzwand gleichzeitig auf derselben berußten, an 
den Hebeln vorübergleitenden Fläche registriren. So gewinnt 
man einen genauen Einblick erstens in das zeitliche Verhält- 
niß der Bewegung verschiedener Herztheile und zweitens in 
den Umfang und die Aenderungen der Bewegung der be¬ 
treffenden Theile selbst. Es sind ja mannigfache Variationen 
denkbar. 

So ist es z. B. möglich, daß sich das zeitliche Verhält- 
niß zwischen den Bewegungen zweier Stellen der Herzwand 
ändert, daß Vorhofscontraction und Kammercontraction ein¬ 
ander nicht in normaler Weise folgen, daß zeitliche Differen¬ 
zen auftreten zwischen den Bewegungen der verschiedenen 
Antheile einer Kammer, oder daß die Bewegung bloß eines 
Antheiles schwächer oder stärker wird. Es ist ferner möglich, 
daß z. B. einmal ein Vorhofsschlag ausbleibt, eine Kammer¬ 
contraction peristaltisch statt an allen Theilen gleichzeitig ver¬ 
lauft, Vorgänge, über die einerseits die Registrirung des Blut 
drucks allein nichts aussagen kann und die andererseits so 
rasch verlaufen, daß Inspection allein sie nicht zu entziffern 
vermag. Die Methode der gleichzeitigen Schreibung aber klärt 
uns in vorher ungeahnter Weise über Veränderungen des 
Rythmus der Herzthätigkeit auf. 

Die Veränderungen, welche im Herzen unter dem Ein¬ 
flüsse der Herznerven hervorgerufen werden, betreffen alle 
seine physiologischen Grundeigenschaften. 

Dies sind — ich folge der Darstellung Engelmann’s — 
Frequenz, Reizbarkeit, Reizleitungsvermögen und Contrac- 
tilität des Herzens. Die Beeinflussung dieser Eigenschaften 
kann direct, primär, oder indirect, secundär, sein, sie kann 
in positivem und in negativem Sinne erfolgen, d. h. ver¬ 
stärkend oder abschwächend. Engelmann hat die verschiedenen 
Variationen der Herzthätigkeit verschieden benannt. 

Einflüsse, welche sich in Aenderungen des Tempos der 
Herzschläge, der Pulsfrequenz, der Periodendauer äußern, 


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nennt Engelmann chronotrop. Beschleunigung der Pulsfrequenz 1 
beruht auf positiv-cbronotropen Einflüssen. Primär-chronotrope 
Wirkungen nennt Engelmann jene, die auf einer directen, 
primären Beeinflussung der spontanen Reizerzeugung beruhen. 
Eine primär-chronotrope Aenderung ist z. B. das Auftreten 
von Extrasystolen, d. h. Contractionen des Ventrikels, deren 
Ausgangspunkt die übererregbare Ventrikelwand ist, und nicht, 
wie in der Norm, der höher gelegene Vorhof. Eine secundär- 
chronotrope Wirkung ist es hingegen, wenn der Ventrikel 
beim Goi/rz’schen Klopfversuch z. B. stillesteht, weil die Leitung 
des Reizes vom Vorhofe auf die Kammer unterbleibt, oder 
wenn die Vorkammern infolge Mangel an Contractilität stille¬ 
stehen, während Sinus und Kammer unverändert weiterschlagen. 

Ich erinnere daran, daß die Herzthätigkeit eine auto¬ 
matische ist. Dies will besagen , daß das Herz in sich selbst 
die Bedingungen seiner Thätigkeit hat. Ein automatisches 
Organ ist mit einem Perpetuum mobile nicht zu vergleichen 
(Tigerstedt). Es muß sich erst irgend etwas finden, was es 
in Thätigkeit versetzt. Die Automatie ist die Fähigkeit eines 
Körpertheiles, entweder durch Producte, welche bei dessen 
Lebensäußerungen entstehen, oder durch Producte, welche unter 
normalen Verhältnissen in anderen Körpertheilen gebildet und 
dem betreffenden Organe mit dem Blute durch das Nerven¬ 
system zugeführt werden, kurz durch Producte, welche bei 
dem normalen Stoffwechsel des Körpers entstehen, in Thätig¬ 
keit versetzt zu weiden. Die verschiedenen Abtheilungen 
des Herzens besitzen in einem höheren oder geringeren Grade 
die Fähigkeit der Automatie, doch pulsiren die meisten von 
ihoen in Uebereinstimmung mit dem Rythmus, den die mit 
der am meisten entwickelten Automatie begabte Abtheilung 
angibt. Diese den Leiter des automatischen Herzschlags bil¬ 
dende Abtheilung ist die Uebergangsstelle zwischen großen 
Venen und Vorhöfen ; von hier aus wird dem Herzen der Reiz 
für seine Contraction zugeführt. Dies ist auch die Stelle, an 
welcher ein die Herzthätigkeit ändernder Nerveneinfluß, 
des Vagus oder Accelerans, einsetzt, um von hier aus Bewe¬ 
gungsänderungen der Vorhöfe und der Kammern zu bewirken. 

Neben den bereits erörterten chronotropcn Einflüssen auf 
die Herzthätigkeit unterscheidet Exgelmann Aenderungen 
der Reizbarkeit, „bathmotrope“ Einflüsse (von ßxfly.6;, Schwelle). 
Reizbarkeit ist nichts Anderes als die Anspruchsfähigkeit für 
Reize, also jene Größe, welche nach dem niedrigsten zur Aus¬ 
lösung der Thätigkeit nothwendigen Reize gemessen wird. 

Je größer die Reizbarkeit ist, desto geringer muß der 
zur Auslösung der Contraction nothwendige Reiz sein und 
umgekehrt. Sowie die chronotropen Wirkungen der Nerven 
auf das Herz können auch die bathmotropen primär und se- 
cundär sein. Die secundären sind meist Folgen chronotroper 
Einflüsse, d. h. Aendeiungen der Frequenz haben oft auch 
Aenderungen der Reizbarkeit zur Folge. 

Eine dritte Gruppe von Nervenwirkungen auf das Herz 
betrifft das Reizleitungsvermögen. Encelmann nennt diese 
Wirkung dromotrop. Die Leitung des die Herzcontraction 
auslösenden Reizes vom Vorhofe auf den Ventrikel kann herab¬ 
gesetzt, beschleunigt, kann aufgehoben sein. Auch dromotrope 
Wii klingen können primär, sozusagen autochthon, oder secundär, 
von anderen Einflüssen abhängig sein. 

Die vierte Gruppe von Wirkungen schließlich sind die 
inotropen, welche die Contractilität, die Contractionskraft, des 
Herzens, betreffen. Auch sie können naturgemäß primär und se¬ 
cundär sein. 

Die functioneile Beeinflussung der verschiedenen Ab¬ 
theilungen des Herzens durch die Nerven in einer der eben näher 
bezeichneten Formen äußert sich u. a. auch darin, daß alle 
Arten von functioneilen Effecten , die chronotropen, die ino¬ 
tropen, die dromotropen und die bathmotropen, auch auf 
reflectorischem Wege hervorgerufen werden können. 

Die auffälligsten sind die chronotropen. Wir kennen 
dieselben z. B. aus dem GoLTz’schen Klopfversucho. Beklopfung 
der Bauchhaut bewirkt Verlangsamung oder Aufhören des 


Herzschlages. Solche chronotrope Wirkungen können von den 
verschiedensten Körperstellen aus ausgelöst werden, nament¬ 
lich leicht vom Magen und Darme. 

Aehnliches gilt von den inotropen Reflexen. Primär-ino- 
trop sind sie nach Engelmann an den Vorkammern am deut¬ 
lichsten; die mechanische Leistungsfähigkeit der Vorkammern 
nimmt so wie bei directer Vagusreizung ab. Bei Reizungszu¬ 
ständen der Eingeweide (Magen, Darm) fehlen z. B. negativ- 
inotrope Reflexe auf die Vorkammern nie, d. h. die Intensität 
der Vorhofscontraction wird wesentlich geringer. Auch bedeu¬ 
tende Aenderungen der Contractionskraft der Ventrikel, ne- 
gativ-inotrope Reflexe, Herabsetzungen der Leistungsfähigkeit 
der Herzkammern, kommen bei behinderter Blutzufuhr zum 
Ventrikel so wie bei directer Vagusreizung häufig vor. Das 
Gleiche oder Aehnliches gilt von allen anderen Arten directer 
oder reflectorisch hervorgerufener Nerveneinflüsse auf das 
Herz. Ich erörtere dieselben nicht, weil ich mit den bereits 
angeführten zur Darlegung der reflectorischen Herzaffectionen, 
auf die es mir dermalen ankommt, ausreiche. 

Nur Folgendes habe ich noch der physiologischen Ein¬ 
leitung beizufügen: 

Jüngst hat nämlich unter Leitung Munk’s Teodoro Muhm 
Untersuchungen angestellt über die Wirkung des Vagus und 
Accelerans auf das Säugethierherz. Gerade das Object der Unter¬ 
suchung macht uns Muhm’s Resultate besonders bemerkenswert!!. 
Die Untersuchungen wurden an Kaninchen vorgenommen. 
Diese Tbiere eignen sich für derartige Versuche in mancher 
Hinsicht ausgezeichnet, vor allem deshalb, weil man bei ihnen 
das Herz freilegen kann, ohne die Pleura eröffnen, also einen 
Pneumothorax anlegen zu müssen, dessen Wirkung bei anderen 
Versuchsthieren erst wieder durch die künstliche Athmung 
beseitigt werden muß. 

Mohm fand nun, daß bei Reizung des Vagus mit 
schwachen Strömen fast in allen Fällen außer an der Vor¬ 
kammer auch an der Kammer eine Wirkung auf- 
tritt. Diese Wirkung ist gewöhnlich eine negativ-inotrope, 
und dabei in den meisten Fällen am Vorhof deutlicher aus¬ 
geprägt, oder mit anderen Worten, die Contractionskraft von 
Ventrikel und Vorhof nimmt auf Vagusreizung ab. Muhm 
hat aber auch oft diesen negativ-inotropen Effect an der 
Kammer beobachtet, während er gleichzeitig an dem Vorhofe 
nur angedeutet schien, jedenfalls hier nicht gleiche Stärke 
erreichte oder gar diesen Herztheil überhaupt nicht 
beeinflußte. 

Der Vagus erstreckt demnach seine Wirkung auf den 
Vorhof und auf die Kammer; er kann zudem beide Herz¬ 
abtheilungen direct und gesondert, d. h. jede für sich, beein¬ 
flussen. 

Die chronotropen Einflüsse, welche an Vorhof und Kammer 
gewöhnlich neben der Abschwächung der Contractionen einher¬ 
gehen, sind zumeist secundärer Natur, Folgen der Beein¬ 
flussung des Sinusgebietes durch die Vagusreizung. 

Eine sehr häufige Erscheinung bei Vagusreizung mit 
schwachen Strömen ist die Unterbrechung der Leitung vom 
Vorhofe zum Ventrikel. Infolge eines solchen negativ-dro- 
motropen Effectes fallen Karamercontractionen aus, während 
die Vorkammer in unverändertem Tempo weiterschlägt. Der 
Vagus enthält also Fasern, welche die Frequenz ändern, aber 
nicht die Schlaggröße, und solche, welche die Schlaggröße 
ändern, aber nicht die Frequenz. — 

An der Hand dieser physiologischen Thatsachen wollen 
wir nunmehr versuchen, uns die Erscheinungen zurecht zu 
legen, die unter Umständen in reflectorischer Weise z. B. nach 
Affection des Magens oder des Darmes, am Herzen aufzu¬ 
treten pflegen und deren Erklärung ohne Zuhilfenahme jener 
physiologischen Thatsachen unüberwindlichen Schwierigkeiten 
unterliegt. 

Lassen Sie mich Ihnen zur Ermöglichung eines genau¬ 
eren Einblickes in diese Verhältnisse einen einschlägigen 
Krankheitsfall darlegen und analysiren. 


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Die 18jährige Näherin T. S. erkrankte vor kurzer Zeit 
unter den Erscheinungen heftiger Magenschmerzen und Er¬ 
brechens. Ich untersuche sie am Tage nach den ersten An¬ 
zeichen ihrer Erkrankung und erhebe folgenden Befund: 

Die Kranke liegt schwer athmend im Bette, klagt über 
Herzklopfen und sehr heftige Magenschmerzen. Ihre Zunge 
ist dick belegt, das Gesicht blaß, cyanotisch. Der Puls mäßig 
frequent, 75—90, sehr leicht unterdrückbar. Andeutung von 
Dikrotie. Körpertemperatur, in der Achselhöhle gemessen, 38’5. 
Lasse ich die Kranke sich einmal im Bette aufsetzen, dann steigt 
die Pulszahl mit einemmale auf 150 an. Die Untersuchung des 
Herzens ergibt: Kaum wahrnehmbaren Spitzenstoß ein wenig 
nach außen von der Mammillarlinie, systolische Einziehung im 

4. Intercostalraume neben dem Sternum, zwischen diesem 
und der Mammillarlinie der linken Seite; die Herzdämpfung 
beginnt für die Tastpercussion an der dritten Rippe, sie 
reicht nach links an derselben Rippe bis an die Mammillar¬ 
linie und geht von hier in schwach convexem Bogen bis einen 
Finger breit nach außen von der Mammillarlinie an der 

5. Rippe; nach rechts reicht sie bis über den rechten Sternal- 
rand. Bei der Auscultation finde ich eine Spaltung des ersten 
Tones, die an der Spitze am deutlichsten ist und durch 
Athmungsstillstand noch deutlicher wird. Bei tiefer Inspi¬ 
ration wird die Spaltung undeutlicher und bleibt der zweite 
Theil des gespaltenen Schallphänomens wesentlich unverändert. 
Wir sind gewohnt, eine solche Form von Spaltung des ersten 
Herztones auf das Auftreten eines von der Yorhofsaction 
abhängigen Tones zurückzuführen, die dadurch zustande 
kommt, daß bei erhöhter Arbeit des Vorhofes seine durch 
stärkeren Druck aus der Gleichgewichtslage gebrachte Wand 
in stärkere Schwingung versetzt und zum Tönen gebracht 
wird. Dazu kommt, daß durch die hier obwaltenden Bedin¬ 
gungen, die wir noch erörtern werden, das Intervall zwischen 
Vorhofs- und Kammerbewegung verlängert und die beiden 
Schallphänomene, das durch die Vorhofsbewegung und das 
durch die Kammercontraction erzeugte, die sonst so rasch 
nach einander erklingen, daß unser Ohr sie bloß als Eines 
zu erfassen vermag, auseinandergezogen und als zwei Schall¬ 
phänomene wahrgenommen werden. Der 1. Pulmonalton ist 
paukend, der 2. Pulmonalton sehr stark accentuirt, undeutlich 
gespalten, der 1. Aortenton leise, sonst unverändert, ebenso 
der 2. Aortenton. 

Ich habe schon erwähnt, daß einmaliges Aufsetzen im 
Bette eine bedeutende Beschleunigung der Herzthätigkeit 
herbeiführt. Die Magengegend der Kranken ist auf Druck 
sehr schmerzhaft und eä erscheint mir bemerkenswerth, anzu¬ 
führen, daß nicht nur tiefer Druck, sondern auch eine leise 
Berührung der Haut in der Magengegend, ja bloß das vor¬ 
sichtige Aufgreifen einer Hautfalte in der Magengegend, von 
heftigen Schraerzensäußerungen der Kranken begleitet sind. 
Die Kranke erhält bloß Milch und Suppe, ein Stomachicum, 
eine feuchtwarme Compresse auf die Magengegend. Vom 
dritten Tage an kehrt der Appetit langsam wieder, am 
vierten ist die Schmerzhaftigkeit der Magengegend ge¬ 
schwunden, der Herzbefund insoferne verändert, als die 
Spaltung an der Spitze minder deutlich, der 2. Pulmonalton 
weniger accentuirt und die Dämpfung nach rechts um Finger 
breite zurückgegangen ist. Am achten Tage fühlt sich die Kranke 
vollkommen wohl, der Herzbefund ist bei Körperruhe normal. 

Können wir die bei unserer Kranken erhobenen Er¬ 
scheinungen an der Hand unserer physiologischen Erfahrungen 
erklären? Ich glaube ja. 

Wir reihen sie unter die Gruppe der auf refleetorischem 
Wege zustande gekommenen Herzaffectionen. Aus den physio¬ 
logischen Vorbemerkungen haben wir die Thatsache kennen 
gelernt, daß directe oder reflectorische Reizung des Vagus 
mit schwachen Strömen eine negativ-inotrope Wirkung auf 
den Ventrikel ausüben kann. Der linke Ventrikel beant¬ 
wortet eine Vagusreizung geringeren Grades mit einer Herab¬ 
setzung seiner Contractionskraft, seiner Leistungsfähigkeit. 


Was ist die Folge davon? Die nächste Folge ist, da die 
Leistungsfähigkeit der linken Kammer abnimmt, eine Druck¬ 
steigerung im Vorhofe, die, wenn der Reizzustand andauert, 
sich alsbald durch den kleinen Kreislauf hindurch auch in 
der rechten Kammer bemerkbar macht. 

Die objective klinische Untersuchung bestätigt diesen 
Entwickelungsgang. Wir fanden Dilatation der linken 
Kammer und de3 linken Vorhofes, Spaltung des ersten Tones 
an der Spitze und am linken Herzrande, als Anzeichen ver¬ 
stärkter Vorhofsaction, Zunahme der Herzdämpfung nach 
rechts und eine unzweifelhafte Accentuation der beiden Pul¬ 
monaltöne, mit anderen Worten die Folgeerscheinungen einer 
Insufficienz des linken Ventrikels, die wiederum den negativ- 
inotropen Effect einer reflectorisehen Vagusreizung darstellt. 

Es kann übrigens — was für die Erklärung des dargelegten 
Krankheitsfalles wichtig erscheint — auch Vorkommen, daß das 
inotrope Vermögen des linken Ventrikels noch fehlt, während 
das des rechten bereits wiederhergestellt ist. Solche Dissoeia- 
tionen der Kammerfunction sind beim Experimente häufig. Ein 
Analogieschluß auf klinische Verhältnisse liegt nahe genug. 

So lange man in der Klinik den Einfluß des Vagus auf 
das Herz bloß in der Verlangsamung der Herzaction erkannte 
und von den anderen Wirkungen der Vagusreizung keine 
Kenntniß hatte, mußte eine Herzveränder an g gleich derjenigen, 
die ich eben beschrieb, so manches Räthselhafte an sich tragen. 
Erst die Analyse der Vaguswirkung und die Feststellung 
des inotropen Vaguseinflusses kann in jene dunklen Vorgänge 
Licht und Aufklärung bringen. 

Erkrankungen der verschiedensten Organe vermögen 
nun die Herzaction in nachweisbarer Weise zu beeinflussen. 
Derartige Herzstörungen finden sieh im Anschlüsse an Neur¬ 
algien, an schmerzhafte Processe in den Muskeln und Knochen 
und vor Allem bei Magen- und Darmerkrankungen vor. Viel¬ 
leicht ist auch manche Herzstörung bei der acuten Nephritis 
hierher zu rechnen. 

Nicht minder bekannt ist die Beeinflussung der Herz¬ 
thätigkeit durch Erkrankungen der Leber und der Genitalien. 
Daß namentlich bei den letztgenannten Affectionen auch dem 
Einflüsse psychischer Störungen Thüre und Thor geöffnet sind, 
kann keinem Zweifel unterliegen; doch ist es ebenso unzweifel¬ 
haft, daß wir trotzdem berechtigt sind, auch hier oftmals von 
in reflectoriscber Weise wirkenden Processen zu sprechen. 

Die Beeinflussung der Herzthätigkeit durch Magen¬ 
katarrhe und Dyspepsien bei Kindern ist Ihnen sicherlich 
besonders gut bekannt. Jeder von Ihnen hat schon oft nach 
Dyspepsien kindlicher Individuen hochgradige Tachykardie, 
häufig auch bradykardische Störungen, ja selbst deutliche 
Arythmie und Pulsinäqualitäten auftreten sehen. Sind Brady¬ 
kardie und Arythmie im Vordergründe der Affection, dann 
wird man sich sogar oft in die schwierige Lage versetzt sehen, 
die Differentialdiagnose zwischen einer einfachen Störung der 
Magenfunction und einer Meningitis stellen zu müssen. 

Die reflectorischen Beeinflussungen der Herzthätigkeit 
durch Störungen der Verdauung verlaufen oftmals entsprechend 
dem Falle, den ich Ihnen geschildert habe, der übrigens bloß 
den Anspruch erhebt, eine Krankheitstype, eine unter ver¬ 
schiedenen Verlaufsmöglichkeiten darzustellen. 

Daneben kommen Fälle vor, die sich durch lebhaften 
Wechsel von Tachykardie und Bradykardie auszeichnen, wie 
überhaupt derartige Herzen nur allzuhäufig Symptomen- 
complexe aufweisen, die wir an den sogenannten nervösen 
Herzen zu sehen gewohnt sind. Die Kranken beantworten 
jede Körperbewegung mit ausgesprochener Tachykardie, mit 
fliegendem Pulse, unter Umständen mit leichter Arythmie. 
Andere wieder haben durch die ganze Zeit ihrer Erkrankung 
unausgesetzt Puls Verlangsamung. Warum speciell im letzteren 
Falle die chronotrope Componente der Vaguswirkung zur 
Geltung gelangt, ein anderesmal wieder der inotrope Effect so 
sehr in den Vordergrund tritt, bleibt unserer Erkenntniß der¬ 
zeit noch verschlossen. 


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Fälle, wie der von mir ausführlich beschriebene, sind 
zumal dann, wenn sie mit verlangsamter Herzaction einher¬ 
gehen , oftmals von myokarditischen Affectionen, deren Aus- 
cultations- und Percussionsbefund unter Umständen der völlig 
gleiche sein kann, nur überaus schwer zu unterscheiden. Hier 
wie dort Bradykardie, Verbreiterung der Herzdämpfung nach 
rechts und links, hier wie dort gespaltener erster Ton an 
der Spitze und am Herzrande, sowie Accentuation der beiden 
Pulmonaltöne. Ein differentielles Moment war nach meiner 
Erfahrung, wenigstens in manchen dieser Fälle, die ausge¬ 
sprochene Nervosität der reflectorisch beeinflußten Herzen. 

Ich will, um Ihnen den letzteren Umstand greifbar zu 
gestalten, in knappen Zügen auf den Symptomencomplex des 
„nervösen Herzens“ eingehen, umsomehr, als sich derselbe 
dem Krankheitsbilde der reflectorischen Herzaffectionen ganz 
ungezwungen einfügt und sicherlich auch die Mehrzahl der 
reflectorisch beeinflußbaren Herzen als nervös zu bezeichnen ist. 

Als „nervöse“ Herzerkrankungen bezeichnen wir mit 
Krehl jene Anomalien der Herzthätigkeit, deren Ursache in 
fehlerhaften Einflüssen des Nervensystems begründet ist. 

Die Symptomencomplexe, die wir als allgemeine Ner¬ 
vosität, als Hysterie, als Neurasthenie bezeichnen, sind bei 
den betreffenden Individuen in der Regel auch von Erschei¬ 
nungen seitens des Herzens und der Gefäße begleitet. Sind 
bei den Neurasthenikern daneben neurasthenische Symptome, 
bei den Hysterischen Stigmata der Hysterie manifest, dann 
ist die Diagnose der nervösen Herzaffection leicht. Schwieriger 
gestaltet sich die Sachlage, wenn Erscheinungen der Hysterie 
an anderen Körperstellen fehlen, wenn die Herzaffection, wie 
es ja allerdings selten vorkommt, das einzige, zumindest das 
deutlichste Symptom der Gesammtaffection ist. 

Wir wissen aus den einleitenden Ausführungen, daß das 
Herz dem Einflüsse des Nervensystems in ausgesprochenstem 
Maße unterliegt, wir kennen den variablen, bis zu den höchsten 
Graden steigerungsfähigen Einfluß psychischer Reize auf das 
Herz und das vasomotorische Centrum. Die Labilität der 
Affecte der Hysterischen und die Thatsache, daß die kleinsten 
Anlässe eine völlige Umwälzung aller Gefühlstöne hervorzu¬ 
rufen vermögen, mit einem Worte der auffällige Gegensätze 
zwischen Ursache und Wirkung im Verhältnisse zum Gesunden, 
macht sich nun beim Hysterischen auch in der Sphäre der 
reflectorischen Erregbarkeit des Herzens geltend. Die übrigen 
nervösen Allgemeinerkrankungen verhalten sich bis auf die 
ihrer Eigenart entsprechenden Erscheinungen analog. Auch 
bei ihnen tritt die hohe Anspruchsfähigkeit des Nerven¬ 
systems und die Leichtigkeit, mit der Herzreflexe auslösbar 
sind, in den Vordergrund der Erscheinungen. 

Die verschiedenen nervösen Einflüsse, die auch bei „nicht 
Nervösen“ die Herzthätigkeit, allerdings in relativ weit 
geringerem Maße, zu beeinflussen imstande sind, erzeugen nun 
die mannigfachen Symptome der nervösen Herzaffection. 

Im Vordergründe der Erscheinungen steht das subjective 
Gefühl des Herzklopfens. Die Kranken klagen unausgesetzt 
darüber, während man bei der objectiven Untersuchung oft 
überhaupt nichts, keinerlei Art von Veränderung nachzuweisen 
vermag. Denn nicht der Reiz, den schon die normale Herz¬ 
bewegung auf manche sensible Nervenendigung ausüben mag, 
der aber beim Gesunden die Schwelle des Bewußtseins nicht 
überschreitet und nicht objectiv nachweisbaren Ausdruck 
gewinnt, ist gesteigert, vielmehr die Reizbarkeit der betreffen¬ 
den Individuen; ihre Reizschwelle steht tiefer. 

In anderen Fällen entsprechen auch objective Befunde 
der subjectiven Empfindung des Herzklopfens. Körperbewe¬ 
gungen, noch mehr aber psychische Alterationen vermögen 
die Herzaction in ganz außerordentlichem Maße, viel mehr als 
beim Gesunden, zu beschleunigen. Während jedoch der Klappen¬ 
kranke durch Körperbewegung bekanntlich leicht dyspnoisch 
wird, ist dies beim Herznervösen in der Regel nicht der Fall. 

Ja, der Mangel der Beachtung ihrer Herzempfindung 
läßt solche Kranke nach angestrengten Körperbewegungen 


sogar daran vergessen — sit venia verbo —, über Herz¬ 
klopfen zu klagen. 

Die Steigerung der Herzbewegung, die Vermehrung der 
Zahl der Herzschläge, kann nach psychischen Emotionen 
manchmal einen paroxysmalen Charakter annehmen. Derartige 
Anfälle von Herzklopfen, von Herzjagen, kehren dann, oft 
auch ohne direct nachweisbare Veranlassung, häufig wieder. 
In einzelnen Fällen Romberg’s kennzeichneten sie sich durch 
ihre Wiederkehr zu bestimmten Tageszeiten. 

Das Gefühl des Herzklopfens ist bisweilen mit überaus 
lästigen Gefühlen der Herzangst verbunden. Nicht die so 
häufig zu beobachtende Thatsache ist damit gemeint, daß 
solche Kranke ewig in der Angst leben, herzkrank zu sein 
oder zu werden, sondern ein zeitlich an die Erscheinung der 
Herzpalpationen gebundenes, überaus unangenehmes Gefühl 
der Vernichtung, das unter Umständen dem Bilde der Neur- 
algia cordis, der Angina pectoris, vollkommen gleichen kann. 
In solchen Fällen ist es oft sehr schwer, die Differential¬ 
diagnose gegenüber wirklichen Attaquen von Stenokardie zu 
stellen, zumal da, wo es sich um ältere Individuen mit Arterio¬ 
sklerose handelt. Krehl hebt die lange, oft über Stunden 
sich erstreckende Dauer, die Verbindung rein anginöser Sym¬ 
ptome mit solchen allgemeiner Nervosität, eventuelle Halluci- 
nationen, die Abhängigkeit der Symptome von psychischen 
Alterationen hervor, Merkmale, die gelegentlich für die Dia¬ 
gnose werthvoll sind, die jedoch ein anderesmal auch bei 
wahrer Angina pectoris zur Beobachtung kommen können. 

Am wichtigsten erscheint differential diagnostisch die 
Thatsache, daß die Anfälle von Angina vera nach stärkeren 
Muskelanstrengungen und sehr häufig auch des Nachts, im 
Schlafe, zum Theile also unter Verhältnissen des für das 
betreffende Individuum niedrigsten Blutdruckes zustande 
kommen, während die Anfälle von nervöser Angina durch 
psychische Momente hervorgerufen werden. 

Nervöse Herzaffectionen sind '/in der Regel auch mit 
Schmerzen und unangenehmen Sensationen in der Herzgegend 
verbunden. Die diesbezüglichen Klagen der Kranken sind sehr 
mannigfaltig und oftmals gerade durch ihre Merkwürdigkeit 
charakteristisch und erkennbar. 

Eigentliche Dyspnoe kommt bei Kranken dieser Art 
höchst selten vor. Viele der von den Autoren beschriebenen 
Fälle dieser Art beruhen wohl auf irrthümlicher Beobachtung. 
Nervös Herzkranke athmen oft sehr rasch, keuchend und seicht, 
sie klagen über Unvermögen, tief Athem zu holen; gemüthliche 
Aufregungen steigern solche Zustände in hohem Maße, körper¬ 
liche Anstrengungen lassen sie unbeeinflußt. Die Abhängigkeit 
der Athembesch werden von Lage Veränderungen, z. B. von der 
horizontalen Rückenlage, wie bei dyspnoischen Zuständen fehlt 
bei diesen Pseudodyspnoen, wie man sie nennen könnte. 
Ich erinnere mich an ein 14jähriges hysterisches Mädchen, 
das pseudodyspnoische Zustände aufwies, wenn ich sie auf¬ 
forderte, im Bette aufzusitzen, während sie, auf dem Rücken 
liegend, ruhig Athem schöpfte. Daß in diesen Fällen Cyanose, 
Oedeme und die übrigen Erscheinungen der behinderten 
Circulation vollkommen fehlen, muß ich wohl nicht hinzu¬ 
fügen. Bei der Kranken, von der ich eben sprach, äußerte sich 
die Pseudodyspnoe in ganz ungleichmäßigen, krampfartigen 
Exspirationsbewegungen, die den Eindruck des Gemachten, 
Gewollten unzweifelhaft an sich tragen. 

Veränderungen des Rythmus der Herzthätigkeit sind 
bei den nervös Herzkranken sehr häufig. Am häufigsten sind 
Beschleunigungen der Herzthätigkeit bis zu sehr hohen Graden. 
Besonders häufig ist die Labilität des Herzrythmus. Lage¬ 
veränderungen, Aufsitzen im Bette, vor allem aber psychische 
Einflüsse schnellen den Puls in hohem Maße, bis auf das 
Doppelte der ursprünglichen Zahl, in die Höhe. Die Herzen 
solcher Individuen erinnern in dieser Hinsicht an das labile 
Herz mancher Typhusreconvalescenten, das auf gleiche äußere 
Einflüsse in gleicher Weise reagirt. 


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Wohl mit Recht hebt Krehl hervor, daß bei nervösen 
Individuen Bradykardie sehr selten ist. Ich habe jedoch in 
der letzten Zeit zwei Fälle gesehen, die wahrscheinlich in 
diese Kategorie hineingehören. Auch sie kennzeichneten sich 
durch das Emporschnellen der Pulszahl bei den geringfügigsten 
Bewegungen, was bei den durch Vagusaffectiouen oder durch 
in der Herzsubstanz gelegene Veränderungen bedingten Brady¬ 
kardien sicherlich die Ausnahme ist. Nervöse Individuen 
reagiren übrigens in dieser Hinsicht anscheinend auch dann 
viel intensiver, wenn sie, z. B. im Anschlüsse an einen Ge¬ 
lenkrheumatismus, anatomische Veränderungen des Herzens 
davongetragen haben. 

Die Störungen der Herzrytbmik, der Periodicität der 
Schlagfolge bei nervös Herzleidenden bestehen größtentheils 
nur darin, daß die geringen Unregelmäßigkeiten, die auch 
beim Gesunden, bei diesem allerdings kaum merklich und nur 
bei genauester Untersuchung nachweisbar, Vorkommen, stärker 
hervortreten. Der Puls solcher Individuen weist Inäqualitäten 
auf, ferner Irregularitäten, insoferne als die Intervalle zwischen 
einzelnen Pulsschlägen kürzer oder länger werden, oder 
zwischen eine Reihe von Herzschlägen eines bestimmten 
Rythmus Gruppen rascherer oder langsamerer Schläge ein¬ 
getragen sind. Arythmien höheren Grades, wenn man so sagen 
darf, nämlich z. B. Extrasystolen oder wirkliche Intermittenzen, 
d. h. völliges Ausfallen einzelner Herzschläge, wahre frustrane 
Herzcontractionen, kommen bei diesen Individuen wohl niemals 
vor. Die Arythmie und Inäqualität besteht eben nur in 
stärkerer Betonung von Zuständen, die schon der Gesunde 
bei sehr genauer Untersuchung aufweist. Wenn im Gegensätze 
zu dem eben Gesagten ein so erfahrener Autor wie Krehl 
angibt, daß auch bei reiner Nervosität schwerere Arythmien 
Vorkommen, ohne daß gleichzeitig eine Combination mit ent¬ 
sprechenden Erkrankungen des Muskels vorliegt, dann fällt 
natürlich dieses Urtheii überaus ins Gewicht. Krehl gibt 
übrigens auch an, daß er Schwankungen . in der Größe des 
Pulses als rein neurasthenische Erscheinung niemals gesehen 
habe, ohne daß man sie, wie z. B. bei der acuten Myokarditis, 
auf Schwankungen des Rythmus zurückführen könnte. Inso¬ 
ferne die reflectorischen Affectionen, von denen ich früher 
sprach, gleichfalls als nervöse Affectionen zu bezeichnen sind, 
muß ich mich auch mit diesem Ausspruche Krehl’s in Wider¬ 
spruch setzen. 

Für nervöse Individuen ist cs immerhin charakteristisch, 
daß auch die letzterörterten Veränderungen, die Inäqualitäten 
und Arythmien, oftmals anfallsweise auftreten und spurlos 
wieder verschwinden können. 

Daß auch Schwankungen und Veränderungen de3 Herz¬ 
volums und der Herztöne in den einschlägigen Fällen möglich 
sind, darf unsnachden einleitenden physiologischen Bemerkungen 
nicht mehr Wunder nehmen. Reizung de3 Vagus, vor allem 
seiner inotropen Componente, kommt auch hiefür in Betracht. 
Die Physiologie kennt übrigens auch aus anderen ihrer Gebiete 
die Thatsache, daß auf gewisse Einflüsse hin nur gewisse 
Nerven und, was für unseren Fall besonders wichtig ist, ge¬ 
wisse Fasern eines und desselben Nerven erkranken und 
klinische Symptome liefern können. — 

Ich möchte Ihnen nun noch aus der neuesten Literatur 
ein höchst interessantes Beispiel der ehronotropen Beeinflu߬ 
barkeit der Herzthätigkeit durch Nerveneinfluß anführen. Es 
ist von Wallenberg („Neurol. Centralbl.“, 1901, Nr. 19) 
beobachtet und genau beschrieben worden. 

Ein 31 jähriger Schutzmann erhält während der Ver¬ 
haftung eines Ruhestörers von dessen Genossen drei Messer¬ 
stiche in den Rücken. Kurze Zeit darauf tritt ein „Beklemmungs¬ 
anfall“ ein. Die Untersuchung zeigt eine 1 Cm. lange Rißwunde 
mit stark gequetschten Rändern am lateralsten Theile der 
linken Spina scapulae, eine zweite 2 Cm. lange Wunde am 
Innenrande der Spina scapulae, eine dritte zwischen beiden 
2 ’8 Cm. von dem Dorsalfortsatze des zweiten Brustwirbels 
entfernt, mit einer 3—4 Mm. langen Querspalte an ihrem 


unteren Ende. Ich übergehe die Folgen der beiden äußeren 
Wunden, die in verschiedenen Muskellähmungen bestanden. 

Die Form der neben der Wirbelsäule gelegenen Wunde 
sprach dafür, daß das Messer in der Richtung von oben hinten 
nach unten vorne in den 3. Intercostalraum nahe dem Processus 
transversus des 3. Brustwirbels eingedrungen sei. EineRoentgen- 
anfnahme bestätigte diese Vermuthung. Auffällig war nun bei 
dem Kranken eine heftige Dyspnoe, die Empfindung, als 
stünde das Herz still, ein in die Herzgegend verlegtes inten¬ 
sives Angstgefühl. Daneben keinerlei objective Symptome von 
Seiten der Lunge. Als besonders auffallende3 Symptom bestand 
eine erhebliche Verlangsamung der Pulsfrequenz; die Pulszahl 
sank in der nächsten Zeit wiederholt bis auf 42 pro Minute, 
selbst bei einer Temperatur von 33 - 5. Nur einmal schnellte 
die Frequenz auf 96 in die Höhe. Als der Patient nach 
1 '/•> Wochen aufstehen konnte, war die Zahl der Pulse im 
Stehen größer als im Liegen, anfangs 56, später bis 72 im 
Stehen, 42 beziehungsweise 56 im Liegen. Wallenberg nimmt 
einen Zusammenhang der Bradykardie mit dem Trauma an, 
weil die Pulsfrequenz im Verlaufe von zwei Monaten allmälig 
wieder normal wurde. 

Bekanntlich geben die Thoracalnerven, vom 2. abwärts, 
unmittelbar peripher vom Ganglion spinale, Aeste zum Sym- 
pathicus ab, die nach Unterbrechung oder Durchquerung der 
Ganglien des Grenzstranges zu den Plexus und Ganglien 
der Brust und Baucheingeweide gelangen. Die zum Plexus 
aorticus und cardiacus gehenden Zweige können vielleicht als 
Analoga der bei verschiedenen Säugerarten beschriebenen Nn. 
accelerantes angesehen werden, deren Reizung bekanntlich eine 
die Vagusbradykardie überdauernde Pulsbeschleunigung zur 
Folge hat. Möglicherweise ist es in diesem Falle infolge 
einer Verletzung der Visceraläste des 3. Dorsalnerven zum 
Uebergewicht der Vagusreizung, d. h. der Pulsverlangsamung 
über die Acceleranswirkung, gekommen. Die Folgen der Ver¬ 
letzung sind durch Wiedervereinigung der durchschnittenen 
Nervenenden, vielleicht durch vicariirendes Eingreifen anderer 
Nervenbahnen. ausgeglichen worden. Die Dyspnoe läßt sich 
am ehesten auf eine Durchschneidung der Aeste zum Plexus 
pulmonalis zurückführen. 

Mit der Reproduction dieses Falles wollte ich Ihnen 
ein Beispiel dafür erbringen, daß uns auch anatomische 
Grundlagen für Reflexe zu Gebote stehen, die dem Herzen 
auf dem Wege des Accelerans zugeführt werden. Vielleicht 
liegt hierin auch eine Erklärung für die schwieriger erfa߬ 
bare Thatsache, daß bei nervösen Individuen Anfälle von 
Bradykardie oder durch längere Zeit fortgesetzt, verlangsamte 
Herzthätigkeit Vorkommen können, zumal dann, wenn wir 
die Ergebnisse von Versuchen Hunt’s in Betracht ziehen, aus 
denen hervorgeht, daß nach oftmals wiederholter Accelerans- 
reizung Verlangsamung der Herzschläge zustande kommt. Man 
kann sich nach dem Gesagten auch vorstellen, daß locale 
Erkrankungen des Vagus oder seiner centralen Kerne ver¬ 
schiedenartige Einflüsse auf das Herz und seine Abschnitte 
zu äußern vermögen. Auch der trophische Einfluß des Vagus 
auf bestimmte Herztbeile läßt uns das Auftreten von Arythmie 
nach Vagusaffectionen begreiflich erscheinen. 

Die reflectorischen Herzaffectionen, um schließlich wieder 
zu diesen zurückzukehren, verhalten sich in Bezug auf ihre 
Symptomatologie in mannigfacher Hinsicht, den nervösen gleich. 
Auch diese Herzen kennzeichnet also ein hoher Grad der Labilität 
in Bezug auf Frequenz, Schlagvolum und Muskeltonus; auch im 
Vordergründe der Krankheitssymptome, welche diese Herzen 
bieten, steht Tachykardie, seltener Bradykardie, Pulsus irre- 
gularis und inaequalis. Das Krankheitsbild, das ich oben be¬ 
schrieb, repräsentirt eine Type der Genese und des Verlaufes 
der reflectorischen Affectionen. Daß der inotrope Vaguseffect 
nicht jedesmal hervortritt, muß wohl nicht erst hervorge¬ 
hoben werden. Möglicherweise spielt der Grad der Intoxication 
vom Verdaunngstracte aus eine wichtige Rolle dabei und 
kommt der inotrope Effect entweder nur bei stärkeren Intoxica- 

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Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 17. 


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tionen oder nur bei prädisponirten, nervösen Individuen zur Gel¬ 
tung, wie ja überhaupt „Nervosität für die Ausbildung dieser 
Zustände ein wichtiges Mittelglied ist“. 

Erwähnenswert!) scheint mir auch der Umstand, daß 
schwere degenerative Zustände des Verdaungstractes, Oeso- 
phagus-Carcinome, Neoplasmen des Magens und Darms, nur 
höchst selten refiectorische Herzaffectionen im Sinne der 
von mir erörterten herbeizuführen pflegen. Die schwere Er¬ 
krankung verlöscht gewissermaßen die Erscheinungen der Ner¬ 
vosität und durchkreuzt den Weg, den der Reflex zum Herzen 
zu nehmen hat. Dies hob zuerst Potain hervor und betonte 
den Umstand, daß Dyspepsien, kolikartige subdiaphragmatische 
Processe und katarrhalische Darmprocesse hingegen häufig die 
Ausgangspunkte der reflectorischen Herzaffectionen sind. 

Krehl beschreibt im Gefolge von Magendarmstörungen 
auch Zustände, welche denen der Angina pectoris mehr oder 
weniger ähnlich sind. Man beobachtet nach ihm im Gefolge 
von Unterleibserkrankungen die Combination aller möglichen 
sensiblen und motorischen Herzstörungen. In manchen dieser 
Affectionen resultiren Bilder, welche der wahren Stenokardie 
überaus ähneln und die selbst mit den ungeheuren Schmerzen 
der Herzneuralgie verbunden zu sein scheinen. Differential- 
diagnostisch kommt die Möglichkeit des Ausschließens einer 
wahren Myokarditis und von Arteriosklerose in Betracht. Potain 
und Hucbard beschrieben für diese Form der Angina pectoris 
Erscheinungen am Herzen, die im Grunde genommen mit dem 
Krankheitsbilde übereinstimmen, das ich früher dargelegt 
habe. Auch die Anfälle von Angina cordis dyspeptica sind von 
Körperbewegungen unabhängig, im hohen Grade hingegen 
psychischen Einflüssen unterworfen und durch diese produ- 
cirbar. Eine wahre Angina pectoris mit ihrem vernichtenden 
Schmerzgefühle nach Dyspepsie ohne begleitende anatomische, 
vor Allem arteriosklerotische Herzveränderung dürfte übrigens 
zu den allergrößten Seltenheiten gehören. Wenn bei einem 
nervösen Arteriosklerotiker eine Dyspepsie anginöse Zustände 
hervorruft, dann darf man wohl nicht immer die Dyspepsie 
allein dafür verantwortlich machen. Wir müssen Krehl bei¬ 
stimmen, der für die Beurtheilung solcher Zustände Zurück¬ 
haltung und Vorsicht empfiehlt. 

Die Therapie der reflectorischen Herzaffectionen ist 
eine causale. Die Darreichung von Herzpräparaten ist natur¬ 
gemäß zumeist überflüssig. Daß in der Mehrzahl derhieher ge¬ 
hörigen Fälle neben der Verschreibung von Stomachicis vor 
Allem der Umstand in Betracht kommt, die Kranken davon 
zu überzeugen, daß ihr Herz gesund sei, geht aus dem Ge¬ 
sagten unzweifelhaft hervor. Für jene Fälle, die wir im 
Sinne einer reflectorischen Erregung von Vagusfasern aufzu¬ 
fassen haben, werden nach Maßgabe der Erscheinungen Se¬ 
dativa, unter Umständen wohl auch Herzpräparate geeig¬ 
net sein. 


lieber die Syphilis des Magens und Darmes. 

Von Prof. Dr. M. V. Zeissl in Wien. 

(Schluß.) 

II. Die syphilitischen Erkrankungen des Darmes. 

a) Duodenum, Jejunum, Ileum und Colon. 

Die Erkrankungen dieser Darmabschnitte kommen be¬ 
sonders häufig infolge ererbter Syphilis vor, während die 
acquirirte mit besonderer Vorliebe das Rectum und die Flexur 
ergreift. Doch sind auch Fälle acquirirter Syphilis, die Er¬ 
krankungen des Dünn- und Dickdarmes bis zur Flexur kerbei- 
f'ührten, durch Meschede, Klebs, Oser, Normann, Birch- 
Hirschfeld, Hohen, Rieder, Riedel, E. Frankel, E. Hahn 
u. A. bekannt geworden. 

Die klinischen Symptome können in hartnäckigen, 
oft blutigen Diarrhöen mit Magenschmerzen und Schmerzen 
im Abdomen und Erbrechen bestehen. Im weiteren Verlaufe 


kann es zur Perforation mit Verlöthung von Darmschlingen 
oder zur Perforationsperitonitis kommen. Zuweilen verläuft 
die Darmlues unter dem Bilde einer fieberhaften Erkrankung. 
Nach Abheilung einzelner Geschwüre kann e3 durch Narben¬ 
bildung zur Stricturirung und zu Stenosenerscheinungen 
kommen (Hahn, Riedel), während die syphilitische Ver¬ 
schwärung an anderen Stellen gleichzeitig weiterschreiten 
kann. In einem Falle von Spätlues sah ich häufige Kolik¬ 
anfälle auf eine antiluetische Behandlung, welche wegen einer 
Periostitis luetica eingeleitet wurde, dauernd cessiren. Anato¬ 
mische Veränderungen waren in vivo nicht nachzuweisen. 
Eine Obduction des neun Jahre später an Gehirnlue3 Ver¬ 
storbenen wurde nicht vorgenommen. Die Diagnose am 
Lebenden, sowie der Befund an der Leiche wird nur dann 
eine durch Lues bedingte Erkrankung feststellen können, 
wenn im klinischen Bilde anderweitige Symptome von Lues 
und Erfolg antiluetischer Cur, im pathologischen Befund die 
makroskopische und mikroskopische Untersuchung die luetische 
Wesenheit erhärten. 

Bei den Obductionen fiel schon in einzelnen Fällen die 
große Anzahl der im Dünndarm vorkommenden syphilitischen, 
später meist zerfallenden Infiltrationen auf. So zählten z. B. 
Meschede 54, E. Frankel 31 umfangreiche Geschwüre im 
Dünndarm. Oser fand bei einem Erwachsenen im ganzen 
Dünndarm bis zur BAUHiN’schen Klappe die aggregirten Follikel 
infiltrirt. Frankel (1. c. S. 518) schildert den Befund nach 
Rieder in folgender Weise: „In allen Fällen waren bestimmte 
Stellen des Dünndarms befallen, vor allem das Jejunum, 
während das Ileum, wenn es überhaupt in Mitleidenschaft 
gezogen wird, gerade in seinen untersten Partien, welche bei 
Tuberculose und Typhus mit Vorliebe ergriffen werden, frei 
blieb. Regelmäßig ist die Zahl der Geschwüre eine beträcht¬ 
liche. Sie sitzen häufig in Gruppen und haben Neigung, den 
ganzen Umfang der Dünndarmwand zu umfassen, also Gürtel¬ 
form anzunehmen. Sie imponiren als beet- oder plattenärtige 1 
Einlagerungen. Alle Ulcerationen haben den gleichen Charakter. 
Es handelt sich eigentlich nicht um echte Geschwüre, sondern 
es kommt ebenso wie in der Magenwand, in der Darmwand 
zur zelligen Neubildung. Die dieselbe constituirenden Elemente 
zeigen Neigung zur Nekrose.“ 

Klebs macht darauf aufmerksam, daß die Geschwüre im 
Dünn- und Dickdarm sich deutlich gegenüberstanden, so daß 
man an eine Contactinfection denken musste. 

J. Esser sah eine Enteritis syphilitica unter dem Bild 
einer Melaena verlaufen. Als Quelle der Blutung fanden sich 
zum Theil ulcerirte Verdickungen im Darm. 

Anatomisch unterscheidet man eine diffuse, entzündliche 
Infiltration und eine circumscripte gummöse Enteritis. Schon 
daraus erhellt, wie auch schon Chiari betont, die Aehnlichkeit 
des anatomischen Verhaltens der syphilitischen Processe im 
Magen- und im Dünndarm. Mraöek schildert auf Grundlage 
seiner Untersuchungen an 6 hereditär-syphilitischen Kindern 
das makroskopische und mikroskopische Verhalten auf folgende 
Weise: Die gummöse Infiltration findet sich fast ausnahmslos 
im Dünndarm allein, u. zw. in den oberen Abschnitten des 
Jejunum, seltener nebenher auch, wie schon erwähnt, im 
Magen oder im Dickdarm. 

Man kann 2 Formen anfstellen, von denen die eine sich 
durch die Localisation um die Plaques und ihre Form, die der 
Infiltration, von der anderen in regellos zerstreuten Knötchen und 
Knoten auftretenden unterscheidet. Zwischen beiden finden sich 
aber Uebergänge. Bei der 1. Form erscheinen die geringeren Ver¬ 
änderungen als Infiltrate der Schleimhaut, durch größere Starrheit 
und leicht gelbliche Verfärbung von der normalen Umgebung ver¬ 
schieden; dabei kann die Schleimhaut über den Infiltraten ihre 
normale, sammetartige Beschaffenheit behalten haben oder glatter 
erscheinen. Bei stärkerer Infiltration bilden die infiltrirten Stellen, 
welche sich an die PEYER’schen Plaques halten, so wie diese meist 
länglich ovale Felder, welche kleine grubige Vertiefungen zeigen, 
oft sogar eine sie nach innen von ihrem Rande umgrenzende 


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Furche. Durch diese Grübchen gewinnen die Plaques ein reticulirtes 
Aussehen und treten sehr scharf hervor. Diese Grübchen rühren 
nicht von einer Dehiscenz der Follikel her, sondern werden dadurch 
hervorgebracht, daß die Infiltrate an den Stellen der Follikel geringer 
sind, als in dem umgebenden Gewebe. Die mächtigen Infiltrate er¬ 
scheinen als oberflächlich glatte oder nur eine Andeutung von 
Zotten aufweisende starre gelblichweiße Stellen von Linsengröße 
und darüber, welche sich schildförmig von der weicheren Umgebung 
abheben, mit gelblicher Färbung durch die Außenschichten des 
Darmes durcbschimmern und über welchen das Peritoneum injicirt, 
getrübt, pseudomembranös verdickt ist. Innerhalb dieser starren 
Infiltrate treten Substanzverluste auf, die allmälig abfallende, wie 
unterminirte starre Ränder und eine speckig belegte Basis zeigen, 
welche von der infiltrirten Submucösa gebildet wird. 

Die 2. Form ist durch das Auftreten von miliaren bis linsen¬ 
großen Knötchen charakterisirt, die regellos über die Darmfläche 
zerstreut sind und vorzüglich in den tieferen Schichten der Sub- 
mucosa, nicht selten zwischen den Muskelschichten sitzen und bis 
auf die pseudomembranös verdickte Serosa reichen; die Schleimhaut 
über denselben ist geröthet, über den größeren fixirt, sieht meist wie 
geglättet, niemals reticulirt aus. Auch an solchen Knoten kommt es zur 
Bildung von Substanzverlusten, die den früher geschilderten gleichen. 

Beide Formen beruhen auf kleinzelligen Infiltrationen der 
Darmschichten, die bei der 1. Form an den Follicularapparat sich 
halten, bei der zweiten in regellosen runden Herden ausgebreitet 
sind. Der Ausgangspunkt dieser Zellenwucherung sind die Gefäße, 
zunächst und überwiegend die feineren arteriellen Gefäße, in unter¬ 
geordneterem Grade die Venen und Lymphgefäße,* die Capillaren 
bleiben frei. In dieser Gefäßveränderung ist aber zugleich die 
Ursache des Zerfalles der Infiltrate und Knoten gegeben; denn 
dieser findet unter dem Bilde der anämischen Nekrose statt, also 
dort, wo die Gefäße vollständig untergegangen sind. 

Die syphilitischen Aflectionen des Darmes führen aber weiter¬ 
hin noch zu Veränderungen in der Breite des Lumens, indem sich 
die erkrankten Partien ausbuchten. In manchen Fällen .führen die 
diffusen Infiltrationen zur Verdickung der Darrnwand. 

Immer betheiligen sich die mesenterischen Drüsen an dem 
Processe durch Schwellung, Infiltration und Verdichtung.“ 

Während Baumgarten gegenüber Mraöek nicht glaubt, daß 
die Vorgänge in den Arterien die ersten Erscheinungen des syphi¬ 
litischen Processes im Darm sind, macht E. Fränkel auf die 
Häufigkeit der Betheiligung der venösen und arteriellen Gefäße in 
der Submucösa aufmerksam und betont das herdweise Auftreten 
der Gefäßerkrankung. 

b) Rectum. Ebenso wie an anderen Schleimhautstellen 
können sich auch an der Schleimhaut des Mastdarmes der 
syphilitische Primäraffeet, das syphilitische Erythem, die 
syphilitischen Schleimhautpapeln und die Gummata entwickeln. 

Im Jahre 1878 diagnosticirte v. Dumreicher an einem 
26 Jahre alten Manne ein das Rectum unmittelbar oberhalb 
des Sphincter internus verengendes Infiltrat im Mastdarme 
als syphilitischen Primäraffeet. Sklerosen im Mastdarm 
wurden von Lang u. A. beobachtet. 

Das Erythem der Mastdarraschleimhaut bietet keine 
besonderen diagnostischen Merkmale. Es kommt selten selb¬ 
ständig vor und ist meistens eine Begleiterscheinung ander¬ 
weitiger luetischer Veränderungen. 

Während an der Analportion des Mastdarmes und an 
den Perinealfalten zerfallende und wuchernde Schleim¬ 
hautpapeln sehr häufig Vorkommen, findet man sie an 
der Mastdarmschleimhaut selbst seltener. Ich konnte bisher 
nur einmal Papeln der Mastdarmschleimhaift oberhalb des 
Sphincters constatiren. Hingegen sahen Johnson, Bären¬ 
sprung, Desault, Bayol, Vidal und Benoit. A. Muron, 
Malassez, Neumann, E. Lang und Andere öfter Papeln 
an der Mastdarmschleimhaut. Lang untersuchte diesbezüg¬ 
lich systematisch 45 Männer und 65 Weiber und fand bei 
3 Männern und 13 Weibern meist an der hinteren Mast¬ 
darmwand gelagerte Papeln. In 3 Fällen nahmen sie die 
ganze Circumferenz des Darmes ein. Trotzdem in fast allen 


Fällen die Papeln exulcerirt waren, bestand nur in einem Falle 
Tenesmus mit sichtlichem Ausfluß. Die Plaques reichten einige- 
male hoch hinauf und hingen mit den Papeln in der Um¬ 
gebung des Mastdarmes meist nicht zusammen, einigemale traf 
sie Lang für sich allein im Rectum an. Wie Lang erwähnt, 
sollen nach Desault, Cayol, Vidal und Benoit zu großem 
Umfange gediehene Mastdarmpapeln ähnliche Beschwerden wie 
bei krebsiger Mastdarmstrictur bedingen. Muron und Malassez 
betrachten die nach Verheilung von Papeln zurückbleibenden 
Narben als Ursache der syphilitischen Strictur. Ehrmann er¬ 
wähnt, daß die zerfallenden Schleimhautpapeln im Mastdarm 
das submucöse Bindegewebe in Mitleidenschaft ziehen, was in 
einer kleinzelligen Infiltration und Starrheit desselben zum 
Ausdruck kommt. Es kann deshalb beim Durchtritt harter 
Kothmassen das Mastdarmrohr nicht mehr gedehnt werden, 
so daß Rhagaden entstehen. 

Die auf der Analmiindung und an der Analschleimhaut 
vorkommenden Papeln werden wegen der häufigen Maceration 
oft hypertrophisch und neigen zum Zerfall. Durch die starke 
Maceration, welcher sie an diesem Standorte ausgesetzt sind, 
entwickeln sich häufig Papillome (spitze Warzen) auf ihnen. 
Die Defäcation wird manchmal beträchtlich erschwert, mit¬ 
unter schmerzhaft und es kann während derselben zu Blutungen 
kommen. Durch Zerfall der Papeln und der Wucherungs¬ 
papillome entwickeln sich mißfärbige Geschwüre, welche mit 
Krebsgeschwüren verwechselt werden können. Meiner Meinung 
nach ist der Zerfall der Papeln im Mastdarm in der Regel 
ein zu oberflächlicher, um eine beträchtliche Stricturirung 
des Rectums zustande zu bringen. 

Gummen des Mast d armes: Intensiver als die durch 
die Papeln erzeugten Störungen sind die, welche das Gumma 
des Mastdarms hervorruft. Dasselbe kann in der Form der 
gummösen Infiltration und des circumscripten 
Gumma auftreten. 

Die gummöse Infiltration ergreift das submucöse 
Gewebe des Mastdarraes und gibt sich dadurch zu erkennen, 
daß einzelne infiltrirte Längsfalten über die anderen hervor¬ 
ragen. Durch den Zerfall der Infiltrate entstehen entweder 
auf der Höhe der Falte oder in den Rinnen zwischen zwei 
Falten schmutzige, schmale, spaltförmige Geschwüre, welche 
die ganze Tiefe der Schleimhaut einnehmen, so daß ihr Grund 
vom submucösen Bindegewebe oder von den Muskelfasern 
des Sphincter gebildet wird. Die Benarbung erfolgt durch 
Annäherung und Verwachsung der betreffenden zwei Falten 
oder durch Bildung von Narbengewebe nach vollständiger 
Zerstörung der Falte. Durch diese Vorgänge kann der Mast¬ 
darm so sehr verengt werden, daß er selbst für einen dünnen 
Katheter unwegsam wird. 

Um ähnliche Vorgänge wie bei der gummösen, diffusen 
Infiltration mit nachfolgender Schrumpfung dürfte es sich 
auch bei Fournier’s „Syphilome anorectale“ handeln. Fournier 
beschreibt dasselbe als ein die Anorectalwände einnehmendes 
Infiltrat, das durch seine Schrumpfung das Rectum in einen 
4 Cm. hohen Cylinder umwandelt, wobei seine Wand bis auf 
1 Cm. verdickt werden kann. Diese Verdickung betrifft nach 
Fournier hauptsächlich die Ampulle des Mastdarme3. 

Das circumscripte Gumma geht ebenfalls vom 
submucösen Gewebe oder vom periproctalen Bindegewebe aus. 
Es kann, ob nun das Gumma von der einen oder der anderen 
Gewebslage ausgeht, wenn die Behandlung nicht rechtzeitig 
eingreift, zum Zerfall kommen. Bei Ausgang vom submucösen 
Gewebe wird zunächst die Perforation gegen die Mastdarm¬ 
schleimhaut erfolgen, der alsbald auch Durchbruch gegen das 
periproctale Gewebe mit Uebergreifen des Zerfallsprocesses auf 
dieses folgt. Durch die Einbeziehung des periproctalen Ge¬ 
webes in den Eiterungsproceß kann es zur Fistelbildung um 
den Anus kommen, indem sich der periproctitische Herd in 
der Circumferenz desselben entleert. Doch kann auch der 
Durchbruch in die Vagina erfolgen und so zur Bildung einer 
Rectovaginalfistel Veranlassung gegeben sein. Geht das Gumma 

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vom periproctalen Gewebe aus, so kann es nach Zerfall sich gegen 
das Perineum entleeren und auch gegen die Mastdarmober¬ 
fläche durchbrechen , so daß sich der gleiche Befund ergibt 
wie bei einem weiterschreitenden submucösen Gumma. Nach 
der Benarbung des Geschwüres kann es zu hochgradiger 
Striiturirung kommen. Einen Fall beobachtete H. v. Zeissl an 
einem Manne, der mit zerfallender Orchitis syphilitica be¬ 
haftet war. Es fand sich ein walnußgroßes, vom rechten 
Cavum ischio-rcctale oberhalb des Sphincter externus aus¬ 
gehendes Gumma, welches zerfallend die Mastdarmwand bis 
auf die Schleimhaut durchbohrte. Bei einem Weibe, das ein 
klein-gummöses Syphilid an verschiedenen Stellen der allge¬ 
meinen Bedeckung trug, sah M. v. Zeissl ein vom submu¬ 
cösen Zellgewebe der vorderen Mastdarm wand ausgehendes 
Gumma, das durch Zerfall zur Bildung einer Rectovaginal- 
fistel führte. Nach Abheilung der durch das Gumma bedingten 
Geschwüre hatte sich eine enge und lange Mastdarmstrictur 
etablirt. Vor der Eingangsöffnung der Strictur lag die er¬ 
weiterte, für die Fingerspitze durchgängige Fistel. 

Diese Fälle, sowie die einschlägigen von Dittrich, 
Baerensprung, Huet, Leudet, Lancereaiix, Fournier, Klebs, 
Neumann, Hahn, Rieder und vielen Anderen beweisen zur Ge¬ 
nüge, daß Stricturen des Rectums infolge zerfallender Gum- 
mata entstehen können. 

Esmarch erwähnt als selbstverständlich, daß bei syphili¬ 
tischen Verschwärungen im Mastdarm die Lymphknoten des 
Mesorectum und Mesocolon stark geschwollen, infiltrirt und 
verhärtet sind, und erwähnt als einer sehr constant vorkom¬ 
menden Erscheinung eine beträchtliche entzündliche Infiltra¬ 
tion und Wucherung der Schließmusculatur, sowie namentlich 
des zwischen der Musculatur gelegenen Bindegewebes. Da¬ 
durch wird die ganze Portio analis geschwollen und ver¬ 
längert, und erscheint dem untersuchenden Finger als enges, 
unnachgiebiges, steifes und ziemlich langes Rohr, durch das 
die Kothmassen schwer entleert werden. * 

Rieder gibt eine zutreffende Erklärung, warum die Mast- 
darmstricturen infolge von Syphilis bei Weibern häufiger Vor¬ 
kommen als bei Männern. Auf Grundlage mikroskopischer Unter¬ 
suchungen hebt er die Häufigkeit der Venenerkrankung infolge 
von Syphilis gegenüber der Arterienerkrankung hervor und betont, 
daß die Venenerkrankung bisher zu wenig gewürdigt worden. Die 
Venen sind nach ihm wegen des Eindringens des syphilitischen 
Infiltrates in ihr Lumen für die Ausbreitung der Allgemeininfec- 
tion sehr wichtig. Bei der Rectalsyphilis spielt es nun eine 
großo Rolle, daß, wie Quenu und Hartmann erwähnen, bei den 
Weibern die untere Gruppe der Rectalvenen direct mit Aesten 
der Pudenda externa anastomosirt, die aus der hinteren Comraissur 
der Vulva auftauchen. „Bekanntlich“, fährt Rieder fort, „sitzen 
gerade an dieser Stelle bei Weibern nicht so selten Primäraffecte und 
auch Efflorescenzen des papulösen und gummösen Stadiums. Beim 
Weibe kommt also das syphilitische Gift von der Vulva aus in den 
venösen Kreislauf, und der Plexus vaginalis taucht unmittelbar in 
den Plexus haemorrhoidalis ein. Beim Weibe ist also der Weg 
zum Rectum nicht weiter und ebenso direct wie bis zur Inguinal- 
gegcnd, und das Virus kann auf seinem Wege in den Körper, 
ebenso wie an Stellen der Körperoberfläche schon in nächster Nähe 
am Rectum hängen bleiben. Es können nun syphilitische Exsudat¬ 
reste (Neumann), die von der Affection der Vaginalwand liegen 
blieben, zunächst perirectal liegen, dann aber durch Anastomosen 
weiter kriechen, entweder auf dem Blut- oder Lymphwege, oder 
auf beiden zugleich.“ „Erst wenn die Submucosa so weit verändert 
ist, daß die Mucosa nicht mehr ernährt wird und abstirbt, haben 
wir ein Geschwür, und erst wenn dieses eitert, kommt es zur 
Stagnation.“ „Während dieser Zeit sind aber,“ wie Rieder bemerkt, 
„Jahre seit der lnfection hingegaDgen, und wir betrachten die nun¬ 
mehr voll entwickelte Mastdarmerkrankung als tertiären Proceß, eben 
weil wir sie nicht früher sahen, oder richtiger nicht sehen konnten.“ 

Rieder sah den syphilitischen Proceß vom Präputium ent¬ 
lang einer Hautvene des Penis bis in die Inguinalgegend und die 
Vena epigastrica superficialis hinaufkriechen. Er meint nun, daß 


der luetische Proceß in der Vulva per contiguitatem unter Be¬ 
nutzung der Blutbahnen bis zum Rectum emporkriechen kann, 
während er beim Manne erst auf dem Umwege des Plexus vesi- 
calis und pudendalis zum Plexus haemorrhoidalis gelangt. Außer¬ 
dem kommen aber, wie Rieder mit Recht hervorhebt, zerfallende 
Gummata gar nicht so selten an der hinteren Commissur vor, und 
diese führen zur Rectovaginalfistel und Strictur. An allen von ihm 
untersuchten syphilitischen Stricturen und Mastdarmveränderungen, 
sowie an den gummösen Ulcerationen fand Rieder nicht nur eine 
hochgradige Endophlebitis, sondern die Präparate zeigten auch wie 
beim syphilitischen Proceß massige, in das Lumen der Venen hinein- 
wachsende Zellhaufen, kurzum, Rieder erhielt ein histologisches 
Bild von den Gummen der Vagina, das dem histologischen Bilde 
eines syphilitischen Primäraffectes zum Verwechseln ähnlich sah. 
Nach Rieder ist diejenige Strictur als durch Syphilis bedingt an¬ 
zusehen, „bei der vor Allem die Venen des Rectums, des perirec¬ 
talen Gewebes und auch des Beckenbindegewebes diffus und hoch¬ 
gradig erkrankt sind, ganz besonders wenn die Arterien gesund 
oder wenigstens so gering und vereinzelt befallen sind, daß dieser 
Befund gegenüber der Venenerkrankung zurücktritt“. Durch diese 
Angaben Rieder’s wird anatomisch die Ursache aufgedeckt, warum 
der Mastdarm beim Weibe häufiger durch Syphilis erkrankt als 
beim Manne; zugleich erscheint die Möglichkeit der mikroskopi¬ 
schen Diagnose gesichert. 

Die Diagnose wird durch den raschen Verlauf, da 
das Gumma sich rasch und schmerzlos entwickelt und sehr 
bald zerfällt, und im Beginne Blutungen aus dem Mastdarm 
meist fehlen, dem Carcinom gegenüber leicht zu stellen 
sein. Außerdem besteht bei beginnendem Carcinom Stricturi- 
rung und kommen beim Carcinom schon im Beginne seiner 
Entwickelung beim Stuhle Blutungen zur Beobachtung. Die 
Strictur schwindet, sobald das Carcinom verjaucht; beim 
Gumma kommt es zuerst zur Geschwürsbildung und JauchuDg 
und dann nach erfolgter Benarbung zur Stricturirung. Beim 
beginnenden Carcinom fängt dCr Krank«' schon an, schlecht 
auszusehen und verfällt rasch der Krebskachexie, wenn nicht 
rechtzeitig operirt wird; beim Gumma syphiliticum leidet die 
Gesammternährung erst nach lange bestehendem Zerfall. 

Was den Verlauf des Mastdarmgummas betriffc, ist 
noch Folgendes zu bemerken: 

Wird durch Zerfall eines Gumma bloß die oberflächliche 
Schichte des Sphincters ergriffen, während die tieferen func- 
tioniren, so entsteht ein krampfhaftes, während der Defäca- 
tion mit Schmerzen verbundenes Schließen des Sphincters. 
Sind aber die Muskelschichten an einer oder mehreren Stellen 
zerstört, so sind Offenbleiben des Sphincters, unwillkürliche 
Stuhlentleerungen und Vorfall der einen oder der anderen 
Mastdarmwand die Folgen. Die Ulceration kann endlich solche 
Dimensionen erreichen, daß das absteigende Colon perforirt 
wird, stärkere Darmblutungen erfolgen und endlich tödtliche 
Peritonitis hervorgerufen wird. 

Neumann schreibt: „Eine seltene Erscheinung ist, wie 
das Fortbestehen des Tenesmus nach erfolgter Heilung der 
Mastdarmsyphilis auch der unwillkürliche Abgang der Fäces.“ 
Er führt diese Erscheinung auf Myositis syphilitica der Mast¬ 
darmes zurück und fand die Muskelfasern zerstört und durch 
Bindegewebe ersetzt. 

Hat sich eine Mastdarmstrictur gebildet, so ist dieselbe 
vorsichtig zu erweitern. Ich sah bei zu forcirten Dilatations¬ 
versuchen derartige Kranke an Peritonitis zugrunde gehen. 
Erzielt die antiluetische Behandlung nicht in kurzer Zeit 
einen Stillstand des Processe3, so muß der Chirurg durch 
Colotomie, eventuell durch Exstirpation des geschwürigen 
oder stricturirten Darmstückes die Heilung herbeizuführen 
suchen. Wirken bei zerfallenem Gumma des Rectums die 
Schmiercur und das Jod in großen Dosen in 14 Tagen bis 
längstens 3 Wochen nicht sichtlich heilend, dann stelle man 
durch zu langes Zögern mit der Operation das Leben des 
Kranken nicht auf das Spiel. 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 17. 


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lieber einen Fall von acuter Ataxie bei Tabes. 

Von Dr. S. Josipowici in Berlin. 

(Schluß.) 

Ich möchte nun die Frage erörtern, ob wir berechtigt 
sind, den Fall als acute Tabes aufzufassen? 

Leyden behauptet, daß eine entschieden acute Entwicke¬ 
lung der charakteristischen Symptome, d. h. insbesondere der 
Ataxie, nach seinen Erfahrungen bei dieser Krankheit nicht 
vorkommt. Stets geht der Entwickelung der Ataxie ein län¬ 
geres Krankheitsstadium voraus, welches durch neuralgische 
Symptome gekennzeichnet ist. Diese werden freilich von dem 
Kranken öfters vernachlässigt, können geringfügig sein, so 
daß es den Anschein haben kann, als sei die Ataxie fast 
plötzlich aufgetreten. 

Diese Thatsache kann allerdings zugegeben werden; es 
können jedoch Ausnahmen auftreten, wie z. B. in obigem 
Falle, die uns in ganz überraschender Weise zur Aenderung 
eines bestimmten Gesetzes zwingen. Im Allgemeinen ist die 
acute Ataxie ein sehr seltenes Vorkommniß ; ich will deshalb 
versuchen, unsere Auffassung als solche durch Thatsachen zu 
begründen. 

Wir entnehmen der Anamnese, daß Pat. bereits im Fe¬ 
bruar, d. i. 5 Monate vor dem Ausbruch des jetzigen Leidens, 
Erscheinungen von Seiten des Magens aufwies. Der behan¬ 
delnde Arzt, mit dem ich mich zu diesem Behufe in Ver¬ 
bindung setzte, und welcher den Pat. seit längerer Zeit 
kennt, glaubt bestimmt sagen zu können, daß es sich damals 
um eine einfache acute Gastritis handelte, welche nach zwei- bis 
dreiwöchentlicher Behandlung vollständig schwand. Dieselben 
Erscheinungen wiederholten sich im März. Eine Berechtigung, 
diese Symptome als „gastrische Krisen“ aufzufassen, haben 
wir nicht. Selbst Pat. gibt auf Befragen an, daß die im Fe¬ 
bruar vorhanden gewesen^ „gastrischen“,Symptome durchaus 
keine Aehnlichkeit mit den jetzigen hatten; er verspürte da¬ 
mals ab und zu Milderung, der Appetit war meistens gut, 
das Erbrechen seltener, ungefähr jeden zweiten Tag einmal; 
der Kranke mußte aber doch über ärztliche Anordnung das Bett 
hüten. Nach zweiwöchentlicher Behandlung gingen die Erschei¬ 
nungen völlig zurück und Pat. konnte seiner Arbeit nach¬ 
gehen. 

Wir stellen gewöhnlich die Diagnose einer Krankheit 
je nach dem organischen oder physikalischen Befunde, den 
wir bei der Untersuchung feststellen können, und fügen das 
Prädicat acut oder chronisch hinzu, je nach den Be¬ 
lehrungen , die wir aus der Anamnese erhalten. Das acute 
Auftreten einer Erkrankung ist nur dann anzunehmen, wenn 
sämmtliche oder bloß ein Theil der Erscheinungen plötzlich 
zum Ausbruche kommen. In anderen Fällen kann ein Theil 
der Symptome sich nachträglich entwickeln, ohne daß wir 
den Begriff „acut“ aufgeben müssen. Ganz anders verhält 
sich die Sache in unserem Falle. 

Wollten wir daher den Fall als acute Tabes oder als 
acute Ataxie bei Tabes auffassen , so sind wir, glaube ich, 
auf die Aussagen des Pat. angewiesen, welche auch von 
Seiten des behandelnden Arztes, der den Pat. kurz vor dem 
Ausbruch der Erkrankung gesehen hat, bestätigt werden. 

Ich komme nun auf die Erscheinungen vom Februar 
zurück. Pat. gibt an, zu jener Zeit nicht diätetisch gelebt zu 
haben ; er aß zu unregelmäßigen Tageszeiten und trank ziem¬ 
lich viel Bier und Schnaps ; die dyspeptischen Erscheinungen 
schwanden nach regelrechter Behandlung. Das Reißen in den 
Gliedern, welches Pat. ebenfalls verspürt haben will, trat 
auch nach Anwendung von Schwitzbädern zurück. Lancini- 
rende Schmerzen sollen nach seiner Angabe nie vorhanden 
gewesen sein. Sonst will Pat. bis im Juli d. J. sich sehr 
wohl gefühlt haben. 

Die wirklichen „Crises gastriques“ scheinen aber erst 
während des Aufenthaltes im Krankenhause aufgetreten zu 


sein. Es ist aus dem Status praesens zu ersehen , daß Pat. 
einige Tage nach der Aufnahme ins Krankenhaus über plötz¬ 
lich auftretende Schmerzen in der Magengegend, verbunden 
mit Erbrechen, Uebelkeit u. s. w. klagte, die während zehn 
Tagen andauerten, ohne irgend welcher Behandlung zugäng¬ 
lich zu sein. Die größten Opium-, respective Morphiumdosen 
waren nicht imstande, unserem Pat. Erleichterung oder gar 
völliges Schwinden seiner Beschwerden zu verschaffen, bis 
nach Ablauf der Reizerscheinungen, welche mit dem oben er¬ 
wähnten Zeitpunkte ihr Ende nahmen. 

Was aber am meisten unsere Aufmerksamkeit erregen 
muß, ist die plötzlich in ganz acuter Weise aufge¬ 
tretene Ataxie sowohl der oberen, wie auch der 
unteren Extremitäten, ferner die Blasen- und 
Mastdarmbeschwerden. 

Wie aus der Anamnese hervorgeht, besuchte Pat. noch 
am Sonnabend, d. h. 2 Tage vor dem Ausbruch der Erkran¬ 
kung , ein Tanzlocal, wo er sich sehr wohl und munter 
fühlte, ja er konnte nach seiner genauen Angabe noch ohne 
Störungen Walzer tanzen. Ich werde mir daher erlauben, 
eine kurze Darstellung dieses Tanzes wiederzugeben, um dar¬ 
aus den damaligen Bewegungszustand unseres Pat. zu folgern. 
Er betont nämlich, an jenem Abend ziemlich viel getanzt zu 
haben, will aber nichts von dem gemerkt haben, was er 
2 Tage später verspürte. 

Die Ausführung des Walzers setzt vor allen Dingen 
die Fähigkeit voraus, in jedem Augenblick und in jeder 
Stellung das Gleichgewicht zu bewahren uod zu regeln; 
ferner beansprucht der Tanz (Walzer) eine perfect vorhandene 
Goordination der Bewegungen und die Beherrschung des 
Maßes derselben. 

Auf den Spitzen der Zehen, mit halb gehobenen Fersen 
und unter verschiedenen Drehbewegungen nach fast allen 
Richtungen, bewegt sich der Tänzer um einen gewissen Kreis, 
indem er die Augen stets auf die Umgebung gerichtet hält, 
um irgend welchen Anstoß zu vermeiden. 

Erfolgen Schwankungen entweder im Gleichgewichte 
oder in der Bewegung selbst, so fallt der betreffende Tänzer 
um; er kann überhaupt nicht riskiren, die weiteren Figuren 
auszuführen. 

In oben erwähntem Zustande befand sich unser Pat. 
noch am Sonnabend und Sonntag, d. h. zwei, bezw. einen Tag 
vor dem Ausbruche der Ataxie bis zum nächsten Tage (am 
Montag), wo die Erscheinungen plötzlich zutage traten, ohne 
daß Pat. früher etwas davon gemerkt haben will. 

An diesem Tage, als er nach dem Erwachen (Früh¬ 
morgens) aufstehen wollte, um sich anzukleiden, verspürte er, 
daß ihm die Hände und Beine den Dienst versagten und mußte 
dazu die Hilfe seiner Frau in Anspruch nehmen, die ihn zum 
Arzte begleitete, von wo aus er nach dem städtischen Kranken¬ 
hause Moabit geschickt wurde. 

Wie verhält es sich nun mit den oberen Ex¬ 
tremitäten? 

Die Erfahrungen Leyden’s, Goldscheider’s u. a. lehren, 
daß acute Schübe zu. den Seltenheiten gehören, überhaupt die 
Ataxie der oberen Extremitäten minder häufig ist. Gold- 
scheidkr berichtet übrigens über einen Fall („Berl. klin. 
Wschr.“, 1892), wo das paraplectische Stadium der Tabes — 
aber nur die unteren Extremitäten betreffend — ebenfalls 
plötzlich zum Ausbruch kam. 

Fälle letzterer Art hat das städtische Krankenhaus 
Moabit in der letzten Zeit ebenfalls aufzuweisen gehabt, und 
zwar betrug deren Zahl 7—8. 

Das Bemerkenswerthe unseres Falles als acute Tabes 
oder acute Ataxie bei Tabes tritt daher umso mehr in den 
Vordergrund, als sie auch die oberen Extremitäten betrifft. 

Zu gleicher Zeit, als ihm die Beine den Dienst versagten, 
wurde Pat. auch in den Armen von demselben Gefühl betroffen, es 
war ihm nämlich unmöglich, die kleinste Arbeit, wie den Kaffee 
einnehmen, sich Ankleiden, Zuknöpfen etc. etc., zu verrichten. Hin- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 17. 


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gegen konnte er am Sonnabend ohne jede Störung bis zum Abend 
arbeiten; er schrieb noch sehr gut, was ich aus seinem Notizbuche, 
in dem er an jenem Tage schrieb, entnehmen konnte. 

Am Montag versucht Pat. zu schreiben, um sich bei seinem 
Chef wegen seines Ausbleibens zu entschuldigen, es ist ihm aber 
unmöglich, dasselbe fertig zu bringen, da die Hände ihren Dienst 
versagen, und die Buchstaben sind nach seiner Angabe eckig-aus- 
fahrend, fast unlesbar. Ich bin trotz meiner größten Mühe leider 
nicht im Besitze einer Schriftprobe jenes Tages, da eine solche 
nicht mehr ausfindig gemacht werden konnte. Wohl aber besitzen 
wir eine Probe seiner Handschrift, die am 3. Tage nach der er¬ 
folgten Aufnahme ins Krankenhaus aufgenommen wurde, woraus 
man ersehen kann, daß die Buchstaben fast unlesbar, eckig und 
unregelmäßig sind. 

Bezüglich der Parästhesien, die Pat. schon vor dem Ausbruch 
der Erkrankung gehabt haben will, kann ich nichts Genaues mit¬ 
theilen, auch was den Patellarsehnenreflex anbetrifft. 

Der consultirte Arzt weiß ebenfalls nichts anzugeben; er hatte 
den Pat. zwar 3 oder 4 Wochen vor dem Beginn der Krankheit 
gesehen, will sich aber nicht veranlaßt gesehen haben, auf den 
Patellarsehnenreflex wie auch auf die anderen Symptome der Tabes 
zu achten, was er durch ein Schreiben, womit er den Pat. zur 
Aufnahme ins Krankenhaus empfiehlt, erläutert. 

Die Blasen-, respective Mastdarmbeschwerden sollen nach An¬ 
gabe des Pat. nach der Aufnahme ins Krankenhaus zum ersten¬ 
mal aufgetreten sein und sich in unwillkürlichem Abgänge von 
Urin und Fäces geäußert haben; letzteres erfolgte bloß zweimal. 

Sonst war Pat. während seines 13wöchentlichen Aufenthaltes 
im Krankenhause Moabit bei völlig klarem Bewußtsein, ziemlich 
gutem Humor, der mit fortschreitender Besserung zunahm. 

Die einschlägige Behandlung bestand in elektrischen Bädern, 
galvanischem Strom und Uebungstherapie nach Frenkel-Gold- 
SCHEIDER. 

Pat. wurde am Anfang jeden 3. Tag und nachher täglich 
längs des Rückenmarkes, wie auch in der Blasen- und Mastdarm¬ 
gegend, ferner in den Armen und Beinen elektrisirt. Die Uebungs* 
therapie war bei ihm erfolgreich. Bereits in der 8. Woche seiner 
Krankheit konnte Pat. bloß mit geringer Unterstützung durch einen 
Wärter einige Schritte machen; die früher den ganzen Körper be¬ 
herrschende Mattigkeit ließ ebenfalls etwas nach und Pat. fühlte 
sich bedeutend besser als zuvor. 

Auch der faradische Pinsel wurde bei ihm angewendet; ferner 
war man oft gezwungen, von Einspritzungen mit Narcoticis zur 
Bekämpfung der blitzartig auftretenden und oft lange dauernden 
Schmerzen Gebrauch zu machen etc. Parallel mit der Besserung in 
den unteren Extremitäten ging auch die der oberen vor sich. Pat. 
fing an, sich beim Essen selbst zu bedienen, was früher nur unter 
Inanspruchnahme des Wärters geschehen konnte. 

Der unwillkürliche Abgang von Fäces trat gänzlich außer 
Erscheinung; auch die Blasenbeschwerden ließen nach. 

Gegen Ende der 12. Woche sah ich Pat. sich an häuslichen 
Arbeiten bethätigen , wie den Boden ausfegen etc., was nach 
seiner Angabe ohne große Mühe von statten ging; einige Tage 
nachher wurde Pat. wesentlich gebessert entlassen, und zwar mit 
folgendem nachweisbaren Befunde: 

Ataxie in leichtem G rade noch vorhanden; keine 
Blasen- und Mas t da r m besc h w e r d e n; Parästhesien im 
Verhältniß zu früher erheblich abgeschwächt; Pa- 
tellarsehnenreflexe fehlend; das RoMBEKO’sche Phä¬ 
nomen nicht mehr vorhanden; Pupillen reagiren 
träge. 

In Anbetracht der oben erwähnten Auseinandersetzungen 
dürfte wohl noch kaum ein Zweifel sein, daß wir es in der 
That mit einem Fall von Tabes dorsalis zu thun haben, bei 
dem speciell die Ataxie und auch die anderen Erscheinungen 
plötzlich aufgetreten sind. 

Die Anamnese und der Status praesens unseres Pat. 
liefern den Beweis zur Genüge, daß an der Diagnose Tabes 
kaum zu zweifeln sei. Es dürfte uns nur ziemlich schwer 


fallen, zu entscheiden, was wohl den acuten Ausfall (Aus¬ 
bruch) der Ataxie veranlaßt haben mag, und wie sich dies 
wohl erklären ließe? 

Nach Leyden sind acute Ataxien nur dann möglich, 
wenn sie im Anschlüsse an acute andersartige Erkrankungen 
sich entwickeln. Solche acute Ataxien hat man hauptsächlich 
im Verlaufe und im Anschlüsse an acute Infectionskrank- 
heiten beobachtet, bei Diphtherie, Typhus, Dysenterie, Pocken, 
Masern, Erysipel, Pneumonie, Scarlatina und Intermittens. 
Man hat sie aber auch nach Intoxicat.ionen (Blei, Arsen, 
Alkohol), bei Kachexien, endlich auch nach Erkältung und 
spontan auftreten sehen; ihrer Localisation entsprechend, 
unterscheidet man mit Leyden und Goldscheider 2 Formen: 
a) die centrale (cerebrale) und b) die neuritische. 
Westphal und Otto haben die große Aehnlichkeit der Er¬ 
scheinungen der ersteren mit denjenigen der multiplen Skle¬ 
rose hervorgehoben, und diese Vermuthung wurde durch 
spätere Befunde (Ebstein) bestätigt. 

Die zweite Form, ihrer Aehnlichkeit mit der Tabes 
wegen auch als Pseudotabes oder Neurotabes peri 
plierioa beschrieben, ist charakteristisch durch acuten oder 
subacuten Beginn der oft alle, besonders häufig aber die 
Unterextremitäten ergreifenden Ataxie, durch die fast regel¬ 
mäßige Betheiligung der Sensibilität in allen ihren Qualitäten, 
in Form von Anästhesie, Hyperästhesie und Parästhesie, 
Fehlen des Kniephänomens, Freibleiben der Sprache, gelegent¬ 
liches Auftreten neurotischer Lähmungserscheinungen und 
psychischer Störungen (acute Verwirrtheiten); der Ausgang 
ist häufig ein günstiger in Heilung; in Fällen mit chroni¬ 
scher Tendenz kommt es oft zu Besserung. Pathologisch-ana¬ 
tomisch sind diese Fälle als durch peripherische Neuritis bei 
intactem centralen Nervensystem bedingt erwiesen. 

Der mir zugewiesene Fall bleibt differenziell-diagnostisch 
vollkommen einwandfrei. Die genaueste, öfters vorgenommene 
Untersuchung, ferner die weitere Beobachtung bestätigen vor 
allen Dingen die Diagnose. 

In Bezug auf die Aetiologie des Falles kommen aller¬ 
dings viele Momente in Betracht, und zwar der Alkoholismus, 
die Syphilis, welche Pat. vor 16 Jahren durchmachte, ferner 
eine sehr starke Erkältung, denn Pat. will beim Verlassen 
des Tanzsaales sehr verschwitzt gewesen sein: vielleicht 
kommen auch die Ueberanstrengungen, denen Pat. sich öfters 
aussetzen mußte, in Betracht. 

Die Antwort auf die Frage, welche der erwähnten Ur¬ 
sachen zu beschuldigen ist, überlasse ich erfahreneren Fach¬ 
genossen. 

Nach Leyden und Goldscheidek spielen Erkältungen 
und Ueberanstrengungen eine sehr wichtige Rolle bei der 
Entstehung der Tabes; auf diese bezieht sich auch unser Pat. 
sehr oft. 

Man kann auch, wie bereits oben erwähnt, die Erkältung 
beschuldigen, der sich unser Pat. ausgesetzt hatte, und zwar beim 
Verlassen des Saales etc.; ob aber die Erkältung einen derartig 
schnellen und progredienten Proceß in den Hintersträngen des 
Rückenmarkes hervorrufen kann, bedarf noch weiterer Er¬ 
fahrungen und Untersuchungen. Es ist nach menschlicher Be¬ 
rechnung, soweit die bisherigen Erfahrungen reichen, wohl 
kaum anzunehmen, daß Temperatureinflüsse gerade so wie 
Traumata Läsionen des Rückenmarkes hervorrufen können, 
deren Folge eine Ataxie oder andere schwere Spinalerschei¬ 
nungen wäre. 

Vielleicht haben die Syphilis und speciell der chronische 
Alkoholismus das Nervensystem unseres Pat. derart geschädigt, 
daß die Erkältung nicht mehr lange einzuwirken hatte , um 
den prägnanten Proceß der Tabes ins Leben zu rufen. 

Eulenburg berichtet über einige Fälle von Tabes dor¬ 
salis , von denen zwei eventuell für unseren Fall in Be¬ 
tracht gezogen werden könnten. 

In einem Falle soll die Tabes bei einem Manne im 
Anschlüsse an eine länger dauernde Eisenbahnfahrt im Winter 


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zur Entwickelung gelangt sein; in einem anderen Falle sei 
die Ataxie nach dem Erfrieren der Füße aufgetreten. 

Auch in der „Independance medicale“ (1899, Nr. 123) 
wird ein Fall acuter Ataxie bei einem Fleischer erwähnt, 
bei welchem keine Ursache ausfindig gemacht werden konnte. 
Der Kranke hatte keine Lues, keinen Alkoholismus, keine 
Infectionskrankheiten durchgemacht; sonstige Ursachen waren 
unbekannt. 

Sonst finden wir in der Literatur Fälle von trauma¬ 
tischer Tabes, wo die Erscheinungen ziemlich acut aufge¬ 
treten sind; solche Fälle sind von Klemperer veröffentlicht 
worden. Immerhin erscheint mir der veröffentlichte Fall zu 
den ganz besonders prägnanten zu zählen. 

Wegen Uebcrfiille des Congreß-Materiales mußte der refe- 
rirende Theilfür die nächste Nummer zurückgelegt werden. — Red. 

Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

20. Congreß für innere Medicin. 

Gehalten zu Wiesbaden 15.—18. April 1902. 

(Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) 

II. 

Ewald (Berlin): Ueber die Diagnose des Magengeschwüres. 

E. perhorrescirt die, Ansicht von van Yzeren, daß die Ursache 
des Magengeschwürs in einem Krampf des Pylorus gelegen sei, 
aus mehreren Gründen; vor allem, weil in der überwiegenden 
Mehrzahl der Ulcera keine Andeutang von Krämpfen vorhanden 
ist. Hier dürfte es sich um Verwechselung von Ursache und Folge 
handeln, denn wir wissen, daß die Hyperacidität auch dort, wo 
sie ohne Geschwürsbildung verläuft, zu gelegentlichem oder dauern¬ 
dem Spasmus des Pylorus führt. 

' Für die Diagnose bietet, die Statistik nur unzulängliche An¬ 
haltspunkte. Man weiß im betreffenden Falle nie, ob man es mit 
der Regel oder der Ausnahme zu thun hat. 

E. verfügt in den letzten 10 Jahren über 1080 Fälle eigener 
Beobachtung. 

Die Sonderung dieses Materials nach Geschlecht und Alter 
ergibt annähernd gleiche Verhältnisse, wie sie von anderen Autoren 
gefunden sind. Das Gleiche gilt von der Mortalität. Zur Sicher¬ 
stellung der Diagnose scheut sich E. nicht, den Magenschlauch ein¬ 
zuführen, hat aber im Allgemeinen in sonst sicheren Fällen davon 
Abstand genommen. Bei unstillbaren Blutungen ist aber die Ein¬ 
führung des Magenschlauches und die Berieselung des Magens mit 
Eiswasser sogar geboten. 

Auffallend häufig ist die Zahl der Fälle ohne gesteigerte 
Salzsäureabsonderung. Es fand sich Hyperacidität in 344%, nor¬ 
male Acidität in 56-8%, Subacidität in 9%. Auch fanden sich im 
Verlaufeines und desselben Falles starke Schwankungen der betreffen¬ 
den Werthe, so daß sie zwischen 28 und 44, 36 und 78, 38 und 
54, 29 und 71 u. s. f. gefunden wurden. Hier ist die Umwandlung 
des Ulcus im Krebs von unverkennbarem Einfluß. Milchsäure fehlte 
immer. Ebenso zumeist, aber nicht immer, die langen Bacillen. 

Blut findet sich häufig bei Ulcuskranken im ausgeheberten 
Mageninhalt, ohne daß es erbrochen wird und ohne daß der Magen¬ 
inhalt eine charakteristische Beschaffenheit zeigt. Doch kommt dies 
nicht beim Ulcus allein vor. 

Blutbrechen war unter 364 Fällen 203mal vorhanden (125 
Männer und 78 Frauen) = 54'5°/o- Der diagnostische Werth dieses 
Symptoms ist groß, doch müssen die zahlreichen Möglichkeiten 
einer Blutung aus anderen Ursachen genau berücksichtigt werden. 
E. weist besonders auf 3 Quellen des Irrthums hin, 

1. die menstruellen Blutungen, 

2. die Blutungen, resp. das Blutbrechen bei schweren septi¬ 
schen Processen, 

3. die sog. parenchymatösen Blutungen. 

Alle drei Formen werden eingehend erörtert und mit tref¬ 
fenden Beispielen aus der Erfahrung des Vortr. belegt. 


Die sog. hämorrhagischen Erosionen, denen der Vortr. einen 
längeren Excurs widmet, erkennt er nicht als ein selbständiges 
Krankheitsbild an. Auf Grund eigener Beobachtung und ausgedehnter 
Untersuchungen und Erfahrungen, besonders auch über die im 
ausgeheberten Mageninhalt oder im Spülwasser vorkommenden 
Schleimhautfetzchen, ist Vortr. der Ansicht, daß es sich hiebei 
zum Theil um irrelevante und glatt heilende Nebenbefunde oder 
aber um die Anfänge späterer echter Geschwüre handelt. 

Eine sichere Diagnose über den Sitz des Geschwüres läßt 
sich heute in den allermeisten Fällen noch ebensowenig stellen, wie 
vor 20 Jahren. Man ist meist auf Vermuthungen beschränkt. Am 
einfachsten scheint die Diagnose da zu liegen, wo wir einen Tumor 
am Pylorus finden und die übrigen Symptome für ein Ulcus sprechen. 
Hier kommen differentialdiagnostisch in erster Linie 

1. der Pylorusspasmus, 

2. die Muskelbypertrophie, resp. die narbige Verdickung, 

3. die carcinomatöse Neubildung in Betracht. 

Es ist unter Umständen ganz unmöglich, selbst bei genauer 
histologischer Untersuchung der verdickten Stelle, zu entscheiden, 
ob es sich um ein benignes oder atypisch-degenerirtes Gewebe 
handelt. Vortr. führt zwei Fälle aus seiner Erfahrung an, in 
welchen scheinbar gutartige Hypertrophie des Pylorus excidirt 
wurde (genaue histologische Untersuchung an zahlreichen Präpa¬ 
raten) und sich nach Jahren typische Carcinome entwickelten. Da¬ 
bei ist zu beachten, worauf Vortr. schon vor Jahren aufmerksam 
gemacht hat, daß sich mikroskopische Ausläufer der Krebsgeschwulst 
weit in der scheinbar gesunden Mucosa und Submucosa vorfinden, 
so daß dadurch die Sicherheit, alles Krankhafte zu excidiren, be¬ 
treffenden Falles sehr erschwert wird. 

Die Schmerzen treten beim Ulcus keineswegs immer typisch 
auf. Namentlich ist dies bei den älteren Geschwüren der Fall, so 
daß Verwechslungen mit Cardialgien Vorkommen und gelegentlich 
nicht zu vermeiden sind. Ausgenommen sind hievon die Gastralgien, 
die im Initialstadium der Phthise oder bei der Tabes im sog. prä¬ 
taktischen Stadium auftreten. Hier wird besonders auf die Hernien 
der Linea alba hingewiesen. Vortr. hat wiederholt Fehldiagnosen 
in dieser Beziehung erlebt. Die Beschwerden des angenommenen 
Ulcus konnten durch eine kleine Operation der vorliegenden Hernie 
leicht und dauernd beseitigt werden. 

Starke Abmagerung und kachektisches Aussehen kommt bei 
den Magengeschwüren verhältnißmäßig selten vor. Nur schwer ner¬ 
vöse und hysterische Personen einerseits und sehr starke, fettreiche 
andererseits, die aus Furcht vor Schmerzen ihre Nahrung möglichst 
eingeschränkt haben und infolge dessen stark abgemagert sind, 
können zu diagnostischen Bedenken Anlaß geben. Die Drüsen¬ 
schwellungen sind von geringem und unzuverlässigem Werth. Größeres 
Gewicht ist auf die Beschaffenheit der Zunge zu legen, die bei den 
meisten Ulcuskranken feucht, roth und wenig oder gar nicht be¬ 
legt zu sein pflegt. 

Große Schwierigkeiten können der Diagnose durch die Folge¬ 
erscheinungen eines abgelaufenen Ulcus erwachsen, welche diagno¬ 
stisch und therapeutisch schwer angreifbar sind. Hieher gehört in 
erster Linie der Sanduhrmagen. Neben dem bekannten Zeichen: 
Rückstände beim späten Aushebern und Eingießen von WasBer, 
Plätschergeräusch, Vorwölbung einer Seite, Verhalten bei Luftauf¬ 
blähungen hat sich dem Vortr. besonders auch der Gebrauch des 
Gastrodiaphans und das Einbringen einer aufblähbaren Gummiblase, 
die annähernd die Gestalt des Magens hat, bewährt. Beides kann 
man nur in den cardialen Theil des Magens einführen. Auf diese 
Weise kann man denselben leicht von dem pylorischen Theil ab¬ 
grenzen. Bei Einblasung von Luft in den leeren Magen wölbt sich 
dann die Pylorusseite oder der ganze Magen, nach Einbringung 
der Blase aber nur die Cardiaseite hervor und das Gleiche hat 
mutatis mutandis mit dem Lichtbild des Gastrodiaphans statt. 

Die Perforationen in die freie Bauchhöhle sind im Allgemeinen 
leicht zu erkennen, doch wird ein Fall aus des Vortr. Erfahrung 
angeführt, in welchem die Perforation des Processus vermiformis 
mit diffuser Peritonitis fälschlich für eine Magenperforation mit 
gleichzeitiger Magenblutung gehalten wurde. Eine drohende Per¬ 
foration vorher zu erkennen ist unmöglich, die Chance des opera- 


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tiven Eingriffs desto besser, je früher man operirt; doch können 
der Operation durch die Ausbreitung des Geschwürsgrundes, in 
dessen Mitte die Perforationsöffnung sitzt, unüberwindliche Schwie¬ 
rigkeiten erwachsen. 

Das Uebergreifen eines Geschwürs auf ein Nachbarorgan ist 
in vielen Fällen nicht zu erkennen, in andern durch charakteri¬ 
stische Symptome (Durchbruch in die Pleurahöhle, in den Herz¬ 
beutel, subphrenischer Absceß, Durchbruch in den Dickdarm u. s. f.) 
leicht nachweisbar. Solche Fälle können, wenn sie schleichend ver¬ 
laufen, jahrelang für functioneile Neurosen gehalten werden. Dies 
gilt ganz besonders auch von den alten perigastritischen Verwach¬ 
sungen. Hier kann nur die Anamnese, die auf ein früheres florides 
Magengeschwür hindeutet, die constant und an dieselbe Stelle ge 
hefteten circumscripten Schmerzen bei gesteigerter oder unveränderter 
Salzsäureabsonderung, regelmäßiges Erbrechen ohne Magenerweite¬ 
rung und die Erfolglosigkeit einer rationellen Therapie die Diagnose 
sicherstellen. Wiederholt sah Vortr. die Operation in solchen Fällen 
von vollständigem und dauerndem Erfolge begleitet. Früher hat man 
solche Zustände vorwiegend als Neurosen angesehen] und ebenso 
die Zustände der Hyperchlorhydrie und Gastrosuccorrhoe, jetzt 
wissen wir, daß eine erhebliche Zahl derselben durch ein Ulcus 
bedingt ist. ln zahlreichen Fällen, besonders junge chlorotische 
und anämische Personen betreffend, ist aber die Differentialdiagnose 
geradezu unmöglich. In solchen Fällen kommt man häufig durch 
den Erfolg einer typischen Ulcuscur zu einer richtigen Beurthei- 
lung. Dieselbe nützt bei den Neurosen entweder gar nicht oder nur 
vorübergehend durch Suggestion, und hat dauernde Erfolge zu 
verzeichnen, wo es sich um organische Läsionen handelt; hier kann 
es aber Vorkommen, daß man allen Grund hat, auf ein Ulcus 
oder eine perigastritische Verwachsung hin zu operiren und sich 
der Magen bei der Operation ohne nachweisbare Veränderung findet. 

Die Differentialdiagnose zwischen Ulcus ad Pylorum oder 
duodenale, gegen die entzündlichen Processo an oder in der Um¬ 
gebung der Gallenblase und der Gallengänge, Stein- oder Neubildungen 
in denselben etc. wird nur gestreift. Vortr. macht darauf aufmerk¬ 
sam , daß bei nicht dem Magen angehörigen Processen der Magen¬ 
saft in der Regel normale Verhältnisse zeigt. Diagnostisch werth¬ 
voll sind die reflectorischen Neuralgien, die bei mobil gewordenen, 
resp. eingeklemmten Gallensteinen, bei Zerrungen an der Blase 
oder in den Gängen in Form von Intercostalschmerzen, Schmerzen 
unter den Schulterblättern, besonders links, auch wohl typisch in- 
termittirenden, diffusen Schmerzen, mit Verdacht auf ein larvirtes 
Wechselfieber, Schwellungen der Leber oder eines Lappens der¬ 
selben auftreten. Häufig klärt erst das Messer der Chirurgen die 
Situation auf. 

Leo (Bonn) hält die Sondirung bei Ulcus nur für berechtigt bei nicht 
sicherer Diagnose, um eventuell die Hyperacidität festzustellen. Sonst ist sie 
unnöthig und hilft auch für die Behandlung nichts. Dagegen ist sie indicirt 
bei Stagnation des Mageninhaltes, aber nicht zur Ausheberung, sondern zur 
Ausspülung. Die technische Polypragmasie ist durchaus zu widerrathen. Der 
Geschwürsrand wird leicht gereizt. Das Arg. nitr. hat sich durchaus bewährt. 

Pariser (Homburg) betont gleichfalls die Gefahr der Sondirung, nament¬ 
lich infolge der Drucksteigerung. Die hämorrhagischen Erosionen sind eine 
Complication der Gastritis chron. exfolians und geben einen charakteristischen 
Symptomencomplex; so treten z. B. die blutigen Schleimhautfetzen ganz regel¬ 
mäßig bei* den Ausspülungen auf nüchternen Magen auf. Das Wismuth kann 
durch eine Mischung von Kreide und Talcum ersetzt werden; sie ist billiger 
und färbt die Fäces nicht. Den dorsalen Druckpunkt hält P. für ein constantes 
und wichtiges Symptom frischer Ulcerationen. Es ist z. B. öfter das einzige 
Zeichen von Exacerbationen, die zur Zeit der Menses auftreten. 

Minkowski (Köln) macht auf das Vorkommen von Magenblutungen bei 
Gallensteinleiden aufmerksam, ferner bei Durchbruch von Aortenaneurysmen 
in den Magen, bez. Oesophagus. Die Eiswasserspülungen bei Magenblutungen 
sind weniger gefährlich als der operative Eingriff. In den wenigen Fällen von 
Ulcus, wo die Sondirung nothwendig ist, braucht man dieselbe nicht zu scheuen. 
Nur Würgebewegungen sind zu vermeiden. Für die Wismuthapplication ist 
der Schlauch nicht nöthig, wie Fleineb angegeben hat. Auch kleinere Dosen 
reichen aus, zumal das Pulver meist sehr fest auf dem Geschwürsgrunde zu 
haften pflegt. Gegen die Schmerzen empfiehlt sich Atropin, gegen die Blutun¬ 
gen Gelatine per os in Form von Gel6e u. dgl. 

Sahli (Bern) stellt in Betreff der Indicationen der operativen Behand¬ 
lung folgende Leitsätze auf: Die interne Therapie steht zu ihren Gunsten und 
ist nicht einzuschränken, denn bisher ist nicht bewiesen, daß die Ulcera auch 
nach einer Operation heilen können. Die Gastroenterostomie ist indicirt bei 
anatomischen Stenosen des Pylorus, nicht bei functioneilen. Sie ist nicht em- 
pfehlenswerth zur Stillung der Magenblulungen. Die meisten derselben stehen 


auf diätetische Verordnung o 1er sie erfolgen so foudroyant, daß der Chirurg 
zu spät kommt. Ein früheres Eingreifen aber erscheint unberechtigt. Bei 
Stauungen des Mageninhalts sind Magenausspülungen indicirt und ausreichend 
wirksam. Nach der Gastroenterostomie werden die physikalischen Bedingungen 
für die Heilung des Ulcus nicht günstiger. Nur die Excision erscheint rationell, 
ist aber in schweren Fällen unthunlich, in leichten Fällen überflüssig. Die in¬ 
terne Therapie muß frühzeitig energisch eingeleitet werden, und zwar durch 
Bettruhe mit lang fortgesetzter ausschließlicher Milchdiät, die durch Chlor¬ 
entziehung günstig auf die Hyperacidität wirkt. Die Perforation ist operativ 
zu behandeln. 

Strauß (Berlin): Für die oft schwierige Differentialdiagnose zwischen 
Ulcus und Carcinom erscheinen zwei Hilfsmittel von Werth: die Digitalexplo¬ 
ration des Rectum auf Metastasen und die Untersuchung des Mediastinums auf 
Drüsen mittelst Roentgographie. Die Mageninhaltsuntersuchung gibt keine Ent¬ 
scheidung. Blut findet sich im Ausgeleerten häufig auch bei Apepsia gastrica. 
Viermal hat St. Coincidenz von Ulcus mit Hernia epigastr. beobachtet. Die 
Widersprüche betreffs des Salzsäuregehaltes im Magensaft bei Ulcus erklären 
sich durch regionäre Differenzen. Die Hypersecretion hat St. in zwei Fällen 
beobachtet, wo kein Ulcus vorhanden war. Die Hyperacidität ist jedenfalls 
stets als verdächtig auf Ulcus zu betrachten und deshalb so zu behandeln. 

v. Schrötter sen. (Wien) hält die von Ewald erwähnten vicariirenden 
menstruellen Magenblutungen für eine „Räubergeschichte“, er hat sie nie ge¬ 
sehen. Die supraclavicularen Lymphdrüsen sind, namentlich wenn die links¬ 
seitigen geschwellt sind, sehr verdächtig auf Carcinom, wenn auch nicht aus¬ 
schließlich für das intestinale ; mit der operativen Behandlung des Ulcns sei 
man zurückhaltend. 

Blal (Kissingen) betont, daß so feine Blutspuren, wie schon durch die 
Guajakprobe nachgewiesen werden, keine Schlußfolgerungen auf ein Ulcus ge¬ 
statten, bei dem die Blutung stärker zu sein pflegt. 

Ageron (Hamburg) bedauert, daß die Referenten von Motilitätsstörungen 
bei Ulcus gar nichts erwähnt haben. Bei Männern kommt es nur scheinbar 
seltener zu solchen Störungen, weil nervöse Erkrankungen bei ihnen dadurch 
oft vorgetäuscht werden. Den Pylorusspasmus hat A. auch als Frühsymptom 
von Myokarditis und Aortenaneurysmen beobachtet. 

Schultze (Bonn) gibt zu erwägen, daß zur Stillung der Magenblutung 
auch die Unterbindung der zuführenden Arterien in Betracht kommen kann. 
Die Tetanie bei Gastrektasie ist nicht immer ein malignes Symptom. 

Rumpel (Hamburg) meint auf Grund der von ihm beobachteten Erfolge 
mit der Gasteroenterostomie, daß Sahli sie zu Unrecht discreditirt habe. 
Strauss gegenüber bemerkt er, daß kleine Mediastinaltumoren mittelst Roentgen- 
licht nicht zu sehen sind. 

v. Mering (Halle) hat bei einem Studenten durch Selbstversuch fest¬ 
gestellt, daß Nährklystiere vom Mastdarm aufe sehr schlecht ausgenutzt werden, 
von. Eiweiß wurden 15%, von Fett nur 5%,/Unij von den Kohlehydraten 66% 
resorbirt. An Stelle der Milch und der Schmhnsüppen, die von manchen Ulcus- 
kranken nicht vertragen werden, empfiehlt Redner frischen, selbst bereiteten 
Labkäse, der namentlich nach Zuckeransatz sehr nahrhaft ist. 

Lenhartz (Hamburg) zieht der Milch die eiweißreichere Eierkost vor, 
die durch Säurebindung günstig wirkt. Von Wismuth gibt er nur kleinere 
Dosen. Operation ist nur bei Pylorusstenose unbedingt indicirt. 

Ewald hält an dem Vorkommen vicariirender Magenblutungen fest. 
Bezüglich der Nährklystiere bestehen individuelle Schwankungen in der Aus¬ 
nutzung, jedenfalls ist es stets eine Unterernährung. Die Frage der Operabilität 
ist stets nur nach dem Einzelfall zu entscheiden. 

Eieiner betont gleichfalls die Nothwendigkeit strenger Individualisirung 
in der Behandlung, auch in der Diät. Im Gebrauch der Sonde ist jedenfalls 
Vorsicht geboten. Die Tetanie ist in mehreren seiner Fälle durch die Gastro¬ 
enterostomie beseitigt worden. 


31. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für 

Chirurgie. 

Gehalten zu Berlin, 2.—5. April 1902. 


(Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) 


III. 

Gussenbauer (Wien): Histiogenese des Krebses. 


Redner führt aus, daß wir die ersten Anfänge des Krebses nicht 
kennen; die erste uns sichtbare Erscheinung ist schon ein gewordenes 
Drama. Ueber die sichtbaren Grenzen hinaus ist der Krebs fast 
immer schon vorgeschritten, so daß nicht selten bei später voll¬ 
kommen manifest werdendem Krebs der pathologisch-anatomische 
Befund vollkommen negativ ausfällt. An der Proliferation des 
Krebses nehmen die Endothelien der Gefäße, ihre Häute im Allge¬ 
meinen, das Perichondrium bei Krebs, der auf Knorpelgewebe über¬ 
greift, die Schleimhaut bei Lippenkrebs, das Perimysium, die 
Muskelfasern bei Muskelkrebs, das Perineurium, das Periost etc. 
theil. Die sogenannte kleinzellige Infiltration ist aus polymorphen 
Zellen zusammengesetzt. Nach dem Studium der klinischen Er¬ 
scheinungen ist G. Anhänger der parasitären Natur des Krebses, 
ihre Erscheinungen sind für ihn die jeder anderen Infectionskrank- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 17. 


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heit, wenngleich er einsieht, daß ein Beweis hiefür noch in keiner 
Hinsicht erbracht ißt. Es folgt die Demonstration der mikrosko¬ 
pischen Präparate. 

v. Kahlden (Freiburg): Die Frage der Carcinomrecidive. 

Kahlden steht auf dem Standpunkt, daß locale Carcinom¬ 
recidive nur entstehen können, wo Epithel bereits carcinomatös 
erkrankt ist oder sich carcinomatös verändert. Also dort, wo bei 
der Operation etwas von Carcinom zurückgeblieben ist. Ferner 
entsteht das Recidiv auf dem Lymphwege. Man findet häufig diese 
embolische Form des Recidivs, wenn man auch ganz im Gesunden 
operirt zu haben glaubt. Eine dritte Entstehungsart des Recidivs 
ist neuerer Zeit viel erörtert worden, das sogenannte Impfrecidiv. 
Die Propfung des Carcinoms auf das Peritoneum kann als eine 
Folge der Operation nicht als unmöglich hingestellt werden, doch 
können Verwechselungen mit embolischem und continuirlichem Car¬ 
cinom Vorkommen. Wir müssen auch daran denken, daß die bisher 
vorgenommenen absichtlichen Careinomirapfungen alle ohne Erfolg 
geblieben sind. Man soll daher ein Impfrecidiv nur dann annehmen, 
wenn jede Möglichkeit eines Lymphgefäßrecidivs, auch die rück¬ 
läufige Embolie, ausgeschlossen ist. Von vielen Carcinomen wissen 
wir, daß sie multicentrisch sein können. Diese Wucherungen sind 
nicht nur multicentrisch, sondern auch multi-temporal, d. h. zeitlich 
verschieden. Sehr häufig kann man dies an den Carcinomen der Ova¬ 
rien beobachten. Das Recidiv kann da sein, wenn man es auch nicht 
sieht, ja wenn das Epithel noch nicht carcinomatös, sondern erst 
anaplastisch verändert ist. Redner geht dann auf den Zeitpunkt 
des Recidivs ein. Das Lymphgefäßrecidiv des Mammacarcinoms 
wird relativ frühzeitig eintreten. Im Uebrigen wird die Schnelligkeit 
des Wachsthums des primären Tumors im Allgemeinen auch aus¬ 
schlaggebend für das Wachsthum des Recidivs sein. Lupus- und 
Narbenearcinome werden verhältnißmäßig spät von Recidiv gefolgt 
sein. Man hat auch regressive Metamorphose bei den Metastasen 
gefunden, Einkapselungen, die als eine gewisse dauernde oder vor¬ 
übergehende Selbstheilung angesehen werden können. 

Petersen (Heidelberg): lieber Carcinomrecidive und Carcinom- 
heilung. 

Das Auftreten eines Recidivs ist stets an Zellen gebunden, 
und zwar an Epithelzellen der primär befallenen Organe oder deren 
Nachfolger. Um die Frage zu lösen, ob diese Epithelien schon bei 
der Operation krank gewesen sind, muß man auseinanderhalten, 
ob das Carinom unicentrisch oder multicentrisch sich ausbreitet. 
Die localen oder directen Recidive werden stets aus bei der 
Operation zurückgelassenen Krebszellen entstehen und die weitaus 
häufigste Form des Recidivs bilden ; das regionäre Recidiv Thiersch’s 
oder indirecte Recidiv entsteht aus bereits vorher erkranktem Ge¬ 
webe in der Nähe, welches bei der Operation noch gesund schien. 
Mit diesem Recidiv werden wir z. B. bei dem Mammacarcinom, wo 
wir die ganze Mamma amputiren, nicht zu rechnen haben. Das 
unicentrische Carcinom liefert uns directe Recidive, das multicen¬ 
trische dagegen directe und indirecte Recidive. Das Impfrecidiv, 
besser Implantationsrecidiv genannt, ist sehr selten. Das Spätrecidiv 
ist selten ein directes, häufig ein indirectes. Das Intervall zwischen 
Operation und Recidiv läßt sich als Latenzperiode bezeichnen nur 
bei dem indirecten Recidiv, bei dem directen dagegen handelt es 
sich um das Weiterwuchern fertiger, zurückgelassener Krebsherde. 

Muß nun ein zurückgelassenes Krebsstückchen stets zum Recidiv 
führen? P. glaubt nein. Seine Beobachtungen haben ergeben, daß 
eine Ausheilung, ein Zugrundegehen des zurückgelassenen Carcinom- 
stückchens zustande kommen kann. Dieses wird durch Riesenzellen, 
die sich wie ein Wall um die Carcinomalveole herumlegen, zugrunde 
gerichtet und zeigt im mikroskopischen Schnitt eine regressive 
Metamorphose, wie sie der Tuberculose ähnlich sein kann. Es 
ist also der Organismus nicht so schutzlos dem Carcinom preis¬ 
gegeben, wie wir im Allgemeinen anzunehmen pflegen. Speciell 
die erten Metastasen eines Carcinoms zeigen Neigung zu solchen 
regressiven Processen. Der Boden in der Umgebung des Primär¬ 
tumors muß oft erst getränkt sein mit Epitheltoxinen, ehe die 
weiter nachfolgenden Carcinomzellen wirklich haften. Daraus er¬ 
klärt sich vielleic t die Seltenheit der Blutmetastasen beim Carcinom, 


trotzdem das Carcinom meist so früh in die Blutbahn eintritt. Wir 
müssen bei diesen Heilungsvorgängen die Wirksamkeit von Epithel- 
Cytolysinen annehmen, und es ist möglich, daß hieran die experi¬ 
mentelle Carcinomtherapie erfolgreich anknüpfen kann. Was nun 
die praktischen Folgen daraus anlangt, so soll man nicht etwa die 
Operation und das Aufsuchen der kleinsten Lymphdrüsen unter¬ 
lassen, sondern man muß den Primärtumor exstirpiren, da dadurch 
die Lebensbedingongen für die Metastasen schlechter werden. — 
Die Forschung soll nicht einseitig nach der Aetiologie und besonders 
nicht nach den Parasiten suchen, 
v. Mikulicz (Breslau): Behandlung der Darmcarcinome. 

Vortragender berichtet über 106 Fälle von malignen Tumoren 
des Darmes und über seine Operationsmethode bei zweizeitiger 
Operation, die vollkommen vollendet wird bis auf die Resection des 
Darmstückes, welche nach 2 Tagen vorgenommen wird. Diese zwei¬ 
zeitige Operation empfiehlt er wegen der relativen Gefahrlosigkeit 
und der größeren Leistungsfähigkeit angelegentlichst. 

Hochenegg (Wien): Behandlungsresultate bei Dickdarmcarcinom. 

An der Hand von Tabellen referirt H. über 282 Fälle von 
Davmcarcinom. Auch er hat die zweizeitige Methode häufig ange¬ 
wandt, besonders in einem Fall von Carcinom des Colon trans- 
versum, der jetzt seit 8 Jahren recidivfrei ist. Demonstration einer 
Reihe von Präparaten, an denen er die Vortheile seiner sacralen 
Methode zeigt. Von 174 Fällen von Mastdarmcarcinom hat er 
30 absolute Dauerheilungen, die nach Krönlein das 8. Jahr ohne 
Recidiv überstanden haben. Von diesen haben 10 vollkommene 
Continenz. Er verwahrt sich dagegen, daß die zweizeitige Methode, 
die er 3 Jahre vor dem Erscheinen des Handbuchs der Chirurgie 
ausführlich publicirt hat, in diesem als MiKULicz’sche Methode 
bezeichnet wird. Von 3 Fällen von Flexurencarcinom blieb 1 Fall 
6 Jahre lang geheilt und ging dann an einem nicht carcinomatösen 
Nierenleiden zugrunde. In einem zweiten Fall hatte sich das 
Carcinom augenscheinlich aus dem Divertikel entwickelt. — H. 
kommt dann noch einmal auf die Mastdarmcarcinome zu sprechen. 
Von 237 Rectumcarcinomen hat er 174 einer radicalen, 63 einer 
palliativen Behandlung unterzogen, durchwegs mit der sacralen 
Methode mit der geringsten bisher erreichten Mortalität. An den 
Präparaten zeigt er, daß er dabei nicht vor ausgedehnten Ope¬ 
rationen zurückgeschreckt ist. Redner vergleicht dann seine Ope¬ 
rationsresultate an der Hand von Tabellen mit denen anderer 
Chirurgen und kommt zu dem Schlüsse, daß nicht die wenig kühne 
Indicationsstellung oder die Auswahl der Fälle, sondern seine 
sacrale Methode die geringe Mortalitätsziffer bedinge. In der Nach¬ 
behandlung sorgt er streng dafür, daß der Koth nicht die frische 
Wunde beschmutzt, indem er ausgiebig drainirt. — Was die Dauer¬ 
heilungen anlangt, so steht Vortr. auf dem Standpunkt Kronlein’s 
und acceptirt sein kritisches Triennium. Danach hat er von seinen 
174 Radicaloperationen 120 Dauerheilungen. Mehr als 3 Jahre 
lebten recidivfrei 35 Fälle, von denen erlagen noch 5 den Spät- 
■ recidiven, so daß er heute 30 sichere Dauerheilungen hat, also 25 °/ 0 . 
Krönlein (Zürich): Der Verlauf des Magencarcinoms bei interner 
und bei operativer Behandlung. 

K. glaubt, daß die Stimmung der praktischen Aerzte, ein 
Magencarcinom dem Chirurgen zuzuführen, augenblicklich eine sehr 
pessimistische ist, und daß auch unter den Chirurgen selbst eine 
große Unsicherheit in der Beurtheilung der Heilung des Magen¬ 
carcinoms platzgegriffen hat. Er ist deshalb der Frage näher ge¬ 
treten, ob das Magencarcinom operativ dauernd zu heilen ist, ob 
unsere Operationen nur Palliativoperationen sind, ob sie nur das 
Leben etwas verlängern können oder auch das nicht einmal. An 
seinem Material von 264 Fällen, von denen 53 Inoperable waren, 
14 sich nicht operiren lassen wollten, weil sie die Garantie der Unge¬ 
fährlichkeit haben wollten, sind also 197 operirt worden. Darunter 
73 Probelaparotomien, 74 Gastroenterostomien, 50 Gastrectomien. 

Während er früher auf dem Standpunkt stand, Gastroentero¬ 
stomie nur bei Stenose des Pylorus zu machen, hat er die Indi- 
cation in letzter Zeit auf die Stagnationen ausgedehnt. Daher die 
relativ geringe Zahl seiner Gastroenterostomien. Im Durchschnitt 
wird durch die Gastroenterostomie nach seinen Erfahrungen das 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 17. 


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Leben um 3 Monate, durch die Gastrectomie als Recidivoperation 
um im Durchschnitt 14 Monate verlängert. Dagegen hat er auch 
13 Fälle von Heilung nach primärer Gastrectomie, deren ältester 
8 Jahre alt ist, so daß er glaubt, daß diese Operation doch das 
Leben bedeutend verlängert. 

Lengemann (Breslau): Ueber die Erkrankung der Lymphdriisen 
bei Magenkrebs. 

* An anatomischen Tafeln demonstrirt der Vortragende die den 
Magen am Pylorus und an der Cardia umgebenden Lymphdrüsen 
und zeigt, daß der Theil des Magens, der am meisten vom Carcinom 
befallen wird, keine Lymphdrüsen hat. Trotzdem haben seine 
Untersuchungen ergeben, daß fast immer die Lymphdrüsen bis auf 
eine Größe von 2 Mm. herab schon carcinomatös erkrankt waren. 
Es muß daher die ganze sichtbare Drüsenkette mitgenommen werden. 

Nöske (Leipzig): Zur Frage der Krebsparasiten. 

Vortragender bespricht zunächst die Oarcinorabeziehungen 
der sogenannten PLiMMER’schen Körperchen, die nach seinen Unter¬ 
suchungen als functionelle Aeußerungen des Protoplasmas aufzu¬ 
fassen sind und mit dem Carcinom nichts zu thun haben, ebenso¬ 
wenig glaubt er den übrigen bis in die neueste Zeit hinein ge¬ 
fundenen Parasiten eine Stellung zum Carcinom einräumen zu 
müssen; das Suchen nach solchen hält er für aussichtslos. An 
Tafeln zeigt er vergleichend die bisher von den verschiedenen 
Forschern gefundenen Parasiten, von denen er keinem ernstlich 
die Erregung des Krebses Zutrauen kann. Bei dem Suchen nach 
der Krebsursache soll man stets vom Mammacarcinom ausgehen. 
N. zeigt dann noch das Präparat einer Kohlhernie. 


Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Med. Presse“.) 

Sitzung vom 17. April 1902. 

JOS. SORGO demonstrirt ein Rückenmark mit multiplen 
Neurofibromen. Das Präparat stammt von einem Öljähr. Pat., 
welcher plötzlich ohne Antccedentien vor 4 Jahren an reißenden 
und stechenden Schmerzen iri der rechten Unterbauch- und Lenden¬ 
gegend erkrankte. Nach einem halben Jahre gesellten sich hinzu: 
circumffcriptes Oedem, Steifigkeit und Drnckschmerzhafiigkeit in der 
Kreuzbeingegend, Schwäche und Abmagerung der Beine, ataktisch- 
paretischer Gang, Verlust der Patellarreflexe und der Fußsohlen¬ 
reflexe, Fußclonys, Incontinentia urinae, rechts Herabsetzung der 
tactilen Sensibilität des Beines, der Scrotal- und Penishaut, sowie 
der Bauch- und Rückenhaut bis 2 Querfinger unterhalb des Nabels. 
Im Laufe der nächsten l J / 2 Jahre kamen vollständige schlaffe 
Lähmung der unteren Extremitäten, Anästhesie derselben und 
des Rumpfes bis 2 Querfinger über der Inguinalgegend hinzu. Die 
ursprlfngliche atrophische schlaffe Parese ging in eine spastische 
Lähmung mit Steigerung der Patellarreflexe, Fußclonus und Contrac¬ 
tu ren über. Pat. ging an einem colossalen Kreuzbeindecubitus 
unter septischen Erscheinungen zugrunde. Die klinische Diagnose 
lautete auf einen benignen Tumor des Rückenmarkes mit der 
oberen Grenze im unteren Dorsalmark. Die Obduction ergab mul¬ 
tiple, extramedulläre, aber subdurale Neurofibrome des Rücken¬ 
marks, von denen das größte (2'5 Cm. lang, 1'5 Cm. breit) im 
Bereiche der Lendenanschwellung in einer Vertiefung des Rücken¬ 
markes eingelagert war und am oberen Ende mit einem Wurzel¬ 
bündel der 12. hinteren Dorsalwurzel zusammenhing ; ein ähnlicher 
Tumor saß an der hinteren 9. Spinalwurzel, mehrere andere Ge¬ 
schwülste saßen an den Nervcnwurzeln des Lendentheiles der Me- 
dulla und an der Cauda equina. 

H. Schlesinger fragt, ob eine Veränderung an der Wirbelsäule con- 
statirt wurde, da solche Tumoren zu Druckusuren und zu Deformitäten der 
Wirbel führen können. 

Jos. Sorgo erwidert, daß die Wirbelsäule intact war. 

RUDOLF Kaufmann stellt einen 50jährigen Mann mit Aneu¬ 
rysmen der Carotis und der Aorta vor. Pat. leidet seit 2 Jahren 
an Athemnoth, vor einem Jahre entwickelte sich ein pulsirender, 
gegenwärtig fast faustgroßer Tumor an der rechten Halsseito, welcher 
den Kehlkopf verdrängt, mit der Carotis zusammenhängt, und über 
welchem ein systolisches Geräusch zu hören ist. Der Herzdäm¬ 


pfung ist eine einem Aneurysma des Arcus aortae an seinem Ueber- 
gangstheile in die Aorta descendens entsprechende Dämpfung aufge¬ 
setzt. Daneben bestehen: Lähmung des linken Recurrens, geringe 
Schlingbeschwerden. Hypertrophie des linken Ventrikels und In- 
sufficienz der Aortaklappen. 

G. Holzknecht : Zur Pathogenese der paraarticulären Ossifica- 
tionen bsi den neurotischen Arthropathien. 

Neurotische Arthropathien und in ihrem Gefolge auftretende 
paraarticuläre Ossificationen werden namentlich bei Tabes und 
Syringomyelie beobachtet. Beim Studium der Genese dieser Ossifi¬ 
cationen durch Roentgenuntersuchungen kam Vortr. zu dem Schlüsse, 
daß sie bei den neurotischen Arthropathien als functioneil begründete 
Verknöcherungen des in seiner Diensttauglichkeit trophisch ge¬ 
schädigten Bindegewebes aufzufassen sind. Dieselben entstehen 
frühzeitig im Gegensätze zu den Ossificationen in der Nähe trau¬ 
matisch afficirter Gelenke, bei welchen sie selten sind und erst 
spät auftreten. Das durch den neurotischen Proceß geschädigte 
Bindegewebe der Kapseln und Verstärkungsbänder erfährt durch 
die Ossification eine frühzeitige Verstärkung. Für einen Theil 
der Ossificationen läßt sich die Rolle, welche die functionelle 
Ueberlastung bei veränderten statischen Verhältnissen in der Genese 
derselben spielt, erklären, für andere Fälle ist bisher diese Er¬ 
klärung wegen der complicirten statischen Verhältnisse sehr schwierig. 
Unter den vom Vortr. demonstrirten Roentgenaufnahmen fanden 
sich: Verknöcherung des Lig. interosseum bei Klumpfuß und bei 
Fractur der Tibia, der Abductorengruppe bei tabischer Arthro¬ 
pathie des Hüftgelenkes mit Fractur des Collum femoris, der um 
das Kniegelenk befindlichen Muskeln bei tabischer Arthropathie 
des Kniegelenkes mit hochgradiger Destruction. Die Rolle des 
functionellen Momentes läßt sich nicht auf alle Arthropathien anderer 
Aetiologie anwenden. 

G. Holzknecht: Ueber Phrenicuslähmung. 

Doppelseitige Phrenicuslähmung wurde öfter beschrieben; ihre 
Ursachen sind centraler und peripherer Natur, in letzterer Hinsicht 
besonders die toxische (alkoholische) und , postinfectiöse Neuritis. 
Als ihre Symptome werden angegeben: Fehlen der Bauchpresse, 
hochgradige Athemnoth bei der geringsten Bewegung, wie tboracale 
tiefe Respiration mit paradoxen Respirationsbewegungen der Abdo¬ 
minalwand (inspiratorische Einziehung, exspiratorische Vorwölbung). 
Vortr. hat an einem 59jährigen Pat. die Symptome der einseitigen 
Phrenicuslähmung studirt. Derselbe litt seit 2 Jahren an Athemnoth, 
seit einem Jahre an stenocardischen Anfällen; objectiv fanden sich 
Aorteninsufficienz, Emphysem, Schall Verkürzung an der rechten 
Lungenspitze und Unverschieblichkeit des rechten Lungenrandes. 
Die Radiographie deckte einen Tumor im rechten vorderen Media¬ 
stinum und ungewöhnliche Respirationsverhältnisse auf: Während 
die linke Zwerchfellhälfte normale Respirationsbewegungen ausführte, 
ging die rechte Hälfte bei der Inspiration nach oben statt nach 
unten, und umgekehrt bei der Exspiration, ferner bewegte sich 
das Mediastinum, welches sonst bei der Respiration ruhig bleibt, bei 
der Inspiration nach links und ging bei der Exspiration wieder zurück. 
Diese abnormen Respirationsbewegungen erklären sich durch die 
Aspiration des Inhaltes der erkrankten Thoraxhälfte in die gesunde 
Seite bei der Inspiration , welch letztere in der gesunden Seite 
einen negativen Druck erzeugt, der nicht schnell genug durch das 
Zuströmen von Luft ausgeglichen wird. Der rechte untere Lungen¬ 
rand wird bei der Inspiration deutlich gehoben. Es wäre daran zu 
denken, ob nicht bei Strumen mit Athemnoth, aber ohne Compression 
der Trachea eine solche einseitige Phrenicuslähmung vorliegen könnte. 

E. Neusser hat einen Fall von einseitiger Phrenicuslähmung beobachtet, 
bei welcher die Lunge der kranken Seite bis zur 3. Rippe retrahirt war. 

G. Holzknecht bemerkt, daß in dem von ihm besprochenen Falle das 
Zwerchfell um 2—3 Querfinger auf der erkrankten Seite höher stand. 

S. Järay demonstrirt eine zerlegbare Sprungfeder¬ 
matratze. Bei derselben kann durch einen einfachen Handgriff 
das Obertheil (Polster) von der eigentlichen Sprungfedermatratze 
abgehoben werden, wodurch sich folgende hygienische Vortheile er¬ 
geben : Leichte Reinigung von Staub, Verhütung der Einnistung von 
Ungeziefer; außerdem sind Reparaturen an den inneren Bestand- 
theilen leicht auszuführen. 


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Notizen. 

Wien, 2(5. April 1902. 

(K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien.) In der 
gestrigen Sitzung demonstrirte zunächst Dr. Fuchsig Radiogramme 
zweier Fälle von Rißfractur des Calcaneus und ein durch 
Operation gewonnenes Präparat von Incarceration des Appendix. 
Die Ausführungen F.’s über Calcaneusbrtiche erscheinen in extenso in 
der „Wr. Med. Presse“. — Hierauf stellte Dr. Paul Clairmont ein 
Mädchen mit einer hühnereigroßen, in der Nähe des Deltoides- 
ansatzes sitzenden Exostose des rechten Humerus vor, 
welche wegen Schmerzhaftigkeit exstirpirt werden wird. — Schlie߬ 
lich hielt Prof. Dr. Englisch seinen Vortrag: „Ueber abgesackte 
BlasenBteine.“ Die echten abgesackten Steine — sagte Vortr. — 
finden sich in einer Ausstülpung des Blasenendes des Ureters, welche 
bei Verengerung oder Verwachsung der Uretermündung durch den 
Harndruck entsteht. Die Symptome derartiger Steine sind vorwiegend 
jene eines gewöhnlichen Blasensteiues. Der Nachweis gelingt durch 
Palpation, durch die Sonde, hauptsächlich aber durch die Cystoskopie. 
Der Stein kann nach Entzündung der Ureterausstülpung in die Blase, 
zwischen die Schichten der Blaseuwand und in das subperitoneale 
Gewebe gelangen. Die Therapie besteht in dem Auspressen des 
Steines in die Blase, bei Zugänglichkeit des Steines in Lithotripsie, 
bei Fehlschlagen dieser Methoden am besten in Ausführung der 
Sectio alta. Eine zweite Gattung der abgesackten Steine kommt 
in Divertikeln der Blase vor, am häufigsten oberhalb des Trigon um, 
in der Nähe der Uretermündungen. Die Symptome und die Behand¬ 
lung der Divertikelsteine sind dieselben wie bei den Steinen in der 
Uretermündung. In solchen Fällen soll niemals der Ureterkathe¬ 
terismus unterlassen werden. 

(Le yd en -Feier.) Aus Berlin sehreibt uns unser dortiger 
Correspondent: Am 20. d. M. fand im Saale der Philharmonie in 
Anwesenheit der Vertreter der Wissenschaft, sowie der staatlichen 
und städtischen Behörden die Feier des 70. Geburtstages Ernst 
v. Lkyden’s statt. Zahlreiche Universitäten und raedicinische Ge 
Seilschaften des In- und Auslandes hatten ihre Vertreter zu dieser 
Feier entsendet. Nachdem v. Waldeyer den Jubilar begrüßt hatte, 
hielt Nothnagel die Festrede. Er entwarf ein Bild vom Werde¬ 
gänge Leyden ’s, feierte diesen als Forscher, Lehrer, Arzt und 
Freund und schloß seine schwungvolle Rede mit einem begeisterten 
Wunsche für Leyden’s weiteres Wohlergehen. Generalstabsarzt 
der Armee v. Leuthold überbrachte die Glückwünsche des Sani¬ 
tätscorps und der Kaiser Wilhelms-Akademie, Heinrich Adler 
jene der „Freien Vereinigung der Deutschen medicinisehen Fach¬ 
presse“ ; sodann sprachen die Vertreter der verschiedenen Univer¬ 
sitäten ; v. Waldeyer, Hartwig und Gussekow für Berlin, Jaffe 
für Königsberg, Jolly für Straßburg, Quincke für Kiel, Noth 
nagel für Wien, Koränyi für Budapest, Jaksoh für Prag, Kraus 
für Graz, Runeberg für Helsingfors, Mitulescu für Bukarest, 
Podwyssocki für Odessa. Die Berliner königliche Charite, welcher 
v. Leyden seit nunmehr 42 Jahren angehört, überbrachte dem 
allverehrten Mitgliede ihre Glückwünsche durch den Mund des 
Generalarztes Schaper und des Geheimrathes Müller. Die 
Redner wiesen darauf hin, daß bis zum heutigen Tage mehr 
als 7000 Schüler zu v. Leyden’s Füßen gesessen haben. Das 
Comitß für Krebsforschung hat den Jubilar zu seinem Ehren¬ 
präsidenten ernannt. Nothnagel gratulirte auch im Namen der 
„k. k. Gesellschaft der Aerzte“ und der „Gesellschaft für innere 
Medicin“ in Wien. Zahlreiche Akademien, u. a. jene von Bologna, 
die „Sociötö thörapeutique de Paris“, die „Societe des Sciences 
naturelles de Cherbourg“, die „Societe royale de medecine publique 
de Bruxelles“ hatten Adressen übersandt. Schließlich erfolgte die 
Ueberreichung der Ehrengaben. Geheimrath Fraenkel überreichte 
im Namen der Charite, sowie eines Comites von Collegen, Schülern, 
Freunden und dankbaren Patienten dem Jubilar den aus 56.000 Mk. 
bestehenden Fonds der LEYDEN-Stiftung, deren Zinsen zu 
Zwecken wissenschaftlicher Forschung dienen sollen. Ferner über¬ 
gab er im Namen des Landesgerichts-Directors Gustav Kappel 
zum Andenken an dessen verstorbene Gattin die Summe von 


26.000 Mk. für die Kinderheilstätten an der Ostsee und im Namen 
des Herrn Wilhelm Riegel 100.000 Mk. für ein Findelhaus. Eine 
Festschrift der Freunde überreichte Ehrlich, eine Festschrift der 
46 früheren und jetzigen Assistenten Michaelis. Jacob über¬ 
reichte die von Siemering modellirte Marmorbüste, die im Audi¬ 
torium der 1. medicinisehen Klinik der Charitö aufgestellt werden 
soll. Der Abend versammelte sämmtliche Festgäste mit der 
Familie des Jubilars im Weißen Saale der Philharmonie zum Fest¬ 
bankett. 

(Aus der ärztlichen Praxis.) Ueber einen die Zeugniß- 
pflicht des Arztes betreffenden, sehr bemerkenswerthen Fall wird 
uns aus Budapest geschrieben: Eine Lebensversicherungs Gesellschaft 
hatte in einem behufs’ Au3bezahlung einer Versicherungssumme an¬ 
gestrengten Processe den Einwand geltend gemacht, es seien beim 
Eingehen der Versicherung wichtige Umstände in Bezug auf die 
Gesundheit des zu Versichernden verschwiegen worden. Es wurde 
daher an den Arzt des Versicherten das Ansuchen gestellt, diese 
Annahme durch seine Aussage zu bestätigen. Der Arzt verweigerte 
die Aussage mit Berufung darauf, daß er durch dieselbe das ärzt¬ 
liche Berufsgeheimniß verletzen würde. Der Vertreter der Gesell¬ 
schaft führte dem gegenüber aus, daß der Sinn des bezogenen Ge¬ 
setzes nicht der seiu könne, daß es dem Arzte überlassen bleibe, 
zu bestimmen, ob er seine Geheimhaltungspflicht verletzt habe oder 
nicht. Dies sei Aufgabe der Gerichte, welche von Fall zu Fall zu be- 
urtheilen haben, ob die Behandlung der betreffenden Krankheit dem 
Arzte von seinem Clienten als Geheimniß anvertraut wurde und 
ob selbst in diesem Falle der Arzt verpflichtet sei, das Geheimniß 
selbst als Zeuge vor Gericht zu wahren. Das Budapester Handels¬ 
gericht verwarf die Ausführungen der Gesellschaft, die königlich e 
Tafel aber ordnete das Zeugenverhör des behandeln¬ 
den Arztes an. 

(Bekämpfung des Alkoholmißbrauches durch die 
Schule.) Das Ministerium für Cultus und Unterricht hat die Lan 
desscbulbehörden aufgefordort, die Lehrerschaft der allgemeinen 
Volks- und Bürgerschulen, sowie der Lehrer- und Lehrerinnen¬ 
bildungsanstalten anzuweisen, daß glie Jugend bei jeder während 
des Unterrichtes sich bietenden Gelegenheit auf die Gefahren des 
fortgesetzten und übermäßigen Alkoholgcnusses aufmerksanft, gemacht 
werde, und darauf Einfluß zu nehmen, daß namentlich seitens der 
Docenten für Schulhygiene und Somatologie in den Lebrer- und 
Lehrcrinnenbildungsanstalten die Schädlichkeiten des Alkoholmi߬ 
brauches besonders hervorgehoben werden. Auch hat das genannte 
Ministerium angeordnet, daß bei der Wahl der Bücher für Schüler¬ 
bibliotheken die Anschaffung von Werken, welche die Bekämpfung 
des Alkoholisraus zum Ziele haben, besonders berücksichtigt, sowie 
solche Bücher, welche den Alkoholgenuß verherrlichen, ausgeschlossen 
werden, und daß auch bei der Auswahl der Bücher für die Lehrer¬ 
bibliotheken von denselben Gesichtspunkten vorgegangen werde. 
Schließlich wurden die Landesschulbehörden eingeladen,, zu be¬ 
richten, ob und in welcher Weise sich die Schule an dem Kampfe 
gegen den Alkoholismus betheiligen könnte. 

(Die erste Volksheilstätte für Lungenkranke 
in Böhmen) wird — wie wir dem „Correspon lenzbl. des Vereins 
deutscher Aerzte von Reichenberg und Umgebung“ entnehmen — 
durch den Entschluß eines hochherzigen Privatmannes angrenzend 
an das Bezirkskrankenhaus zu Tannwald errichtet werden. Mit dem 
Baue der Anstalt, die zunächst einen Belagraum von 24 Betten 
umfassen soll, wird voraussichtlich noch in diesem Jahre begonnen 
werden. 

(Ueber die Zunahme der K r e b s kr a n k h'e l i in 
Deutschland) entnehmen wir einem Vortrage Wulzdorff’s im 
Comite für Krebsforschung zu Berlin Folgendes: Die Krebskrank¬ 
heit ist in Deutschland nach dem Ausweise der amtlichen Todes¬ 
ursachenstatistik von 1892 —1898 in erheblicher Zunahme begriffen. 
Die Zahl der Krebstodesfälle hat im Allgemeinen erheblich' stärker 
zugenomraen als das Wachsthum der Bevölkerung. Die Annahme, 
daß an der Zunahme allein oder vorzugsweise das höhere Lebens¬ 
alter betheiligt ist, entspricht nicht den statistischen Ergebnissen. 
Die Krebskrankheit befällt gegenwärtig die Bevölkerung in 'einem 
durchschnittlich jüngeren Lebensalter als früher. Von der Krebs- 


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815 


1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 17. 


816 


krankheit werden Frauen häufiger als Männer befallen ; doch nimmt 
diese Gefahr für die Männer stärker zu als für die Frauen. 

(Der XII. ungarische balneologische Congreß) 
hat am 13. und 14. April d. J. stattgefunden. 

(Die IX. Versammlung süddeutscher Laryngo- 
logen) findet am 19. Mai zu Heidelberg unter dem Vorsitze 
von F. Fischenich statt. Das Programm lautet: Killian: Demonstra¬ 
tion von Unterrichtsmodellen und von Patienten mit nach eigener 
Methode radicaloperirter Stirnhöhle; v. Eicken: Ein aus dem linken 
Hauptbronchus entfernter Kragenknopf; Eulenstein : Fremdkörper 
im Ductus Stenon. ; Fischenich: a) Zur Frage der Verkäsung des 
Kieferhöhlenempyems, b) Verwendung von Quecksilberpräparaten 
bei gleichzeitigem Jodkaligebrauch ; Zöpfel : Pneumatotherapie ; 
Blumenfeld : Aetiologie und Therapie der Pharyngitis sicca; Drey- 
fuss : Rhinolaryngologie und Sprachheilkunde; L. Wolff : Zur Be¬ 
handlung der Ozaena; Avellis : Unterscheidungsmerkmale der 
reinem. Supraorbitalneuralgie und des entzündlichen Stirnhöhlen- 
empyem8. 

’(U nna’s dermatologische Preisaufgabe), Unter¬ 
suchung über die feinere Architektur der primären Hautcarcinome 
und insbesondere die bei ihnen obwaltenden verschiedenen Beziehun¬ 
gen zwischen Epithelwucherung und Bindegewebswiderstand“ wurde 
von dem ordinirenden Spitalarzte S. Beck und dem Privatdocenten 
und Adjuncten am pathologisch-anatomischen Institut Dr. C. Krom- 
pecher in Budapest gelöst. 

(Politisch-anthropologische Revue.) Unter diesem 
Titel erscheint bei der Thüringischen Verlagsanstalt eine Monats¬ 
schrift für das sociale und geistige Leben der Völker; sie wird 
von Ludwig Woltmann und Hans K. E. Buhmann herausgegeben. 
Das erste Heft enthält u. a. Aufsätze von Woltmann, Brahn, 
Reibmayr, Gumplowicz und IIellpach über den wissenschaftlichen 
Stand des Darwinismus, Gehirnforschung und Psychologie, Inzucht 
und politischen Charakter, die ältesten Herrschaftsformen, sociale 
Ursachen und Wirkungen der Nervosität. Die Namen der Autoren 
kennzeichnen das hohe geistige Niveau der neuen Zeitschrift. 

(Statistik.) Vom 13. bis inclusive 19. April 1902 wurden in den 
Ci vilspitälern Wiens 7640 Personen behandelt. Hievon wurden 1650 
entlassen; 172 sind gestorben (9'4% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden äu4 ‘ der Civil Bevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 77, egypt. 
Augenentzündung 2, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 5, Dysen¬ 
terie —, Blattern —, Varicellen 91, Scharlach 111, Masern 368, Keuchhusten 80, 
Rothlauf 46, Wochenbettfieber 7, Rötheln 25, Mumps 25, Influenza —, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand’—, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 803 Personen gestorben 
(+ 25 gegen die Vorwoche). 


Dr. v. Angerers Sublimatpastillen. Herr Apotheker Max Emmel. Besitzer 
der Adlojapotheke in München, ersucht uns unter Bezugnahme auf den Ge¬ 
richtssaalbericht der Nr. 150 der „Münchner Neuesten Nachrichten“ um Auf¬ 
nahme nachstehender Aeußerung: „1. Herr Apotheker Dr. Schillinger hat 
beeidet, daß er allein der Erfinder der Sublimatpastillen ist, und daß ihm 
Prof. Dr. Angerer keine Hilfe dazu geleistet hat. 2. Dr. Schilunger hat be¬ 
schworen, daß er diese Pastillen dem Dr. Angerer zu Ehren Angerer-Pastillen 
genannt hat. 3. Dr. Angerer hat erklärt, daß sein Name stets bei den von 
der Adlerapotheke fabricirten Pastillen zu verbleiben habe. Dr. Schilunger 
hat das Recht der Alleinfabrication der Angerer-Pastillen an Apotheker 
Höchstätter verkauft. 4. Apotheker Höchstätttek hat mit der Apotheke das 
Recht der Alleinfabrication der Augerer-Sublimatpastillen um hohen Freis an 
mich verkauft. 5. Dr. Angerer hat mir persönlich gegenüber selbst die Er¬ 
klärung abgegeben, daß der Name Angerer stets bei den von der Adlerapo¬ 
theke fabricirten Pastillen zu verbleiben habe. Ich kann dies jederzeit be¬ 
schwören und habe mich zum richterlichen Eid in dieser Richtung erboten. 
6. Ich wollte den Namen Angerer schützen lassen. Auf Ersuchen des Dr. 
Angerer habe ich diesem zu Liebe davon Abstand genommen, weil Dr. Angerer 
meinte, er könnte dadurch in den Verdacht kommen, pecuniär an der Sache 
betheiligt zu sein. Dem in dieser Sache in meiner Vertretung zu ihm ge¬ 
sandten Dr. Schilunger gegenüber hat Dr. Angerer seinen Wunsch geäußert, 
ich möchte mir den Namen nicht schützen lassen; dabei erklärte er, der 
Name Angerer bleibe stets bei den von der Adlerapotheke fabrizirten Pastillen. 
Dr. Schillinger schrieb mir darauf, diese Erklärung sei ein größerer Schutz 
als eine Schutzmarke. 7- Der Fabrikant Jülids Asthausen war bei mir Ge¬ 
hilfe, hat meinen Arbeiter Sinzker, der mit der Herstellung der Sublimat- 
pastilleif allein betraut war, an sich gezogen. Julius Asthausen hat behauptet, 
er sei der Erfinder der graduirten Sublimatpastillen und fing mit diesen 
graduirten Sublimatpastillen den Concurrenzkampf mit mir an. 8. Julius 
Asthausen stellte gegen mich eine Klage dabin, daß ich die Graduirung zu 
unterlassen habe. Die Klage wurde abgewiesen. Es wurde naebgewiesen, daß 


er die Graduirung nur nachgeahmt und nicht erfunden habe. 9. Julius Ast¬ 
hausen hat auch einen zweiten Proceß verloren. Er wurde auf meinen Antrag 
verurtheilt, den Musterschutz auf Graduirung in der Musterschutzrolle löschen 
zu lassen. 10- Julius Asthausen hat gegen mich Widerklage erhoben, daß 
ich nicht berechtigt sei, den Namen Angerer beizulegen. Diese Klage wurde 
abgewiesen. 11. Während das Landesgericht dem Antrag: den Proceß Ast¬ 
hausen bis zur Erledigung des Processes Angerer auszusetzen, nicht stattgab, 
hat das Oberlandesgericht auf Berufung Beschluß erlassen, daß der Proceß 
Asthausen bis zur Erledigung des Processes gegen Dr. Angerer ausgesetzt 
werde. 12. Asthausen hat einen weiteren Proceß verloren. Er hat am Ober- 
landesgericht Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gestellt dahin, 
daß ich nicht berechtigt sei, meinen Pastillen den Namen Angerer beizulegen. 
Auch diesen Proceß hat Asthausen verloren. Sein Antrag wurde abgewiesen 
und ihm sämmtliche Kosten überbürdet. Es ist unwahr, daß ich irgendwie 
Herrn Dr. Angeher persönlich beleidigt oder ihn gereizt hätte. Ich habe nur 
Das behauptet, was Dr. Schillinger auf Eid hin bekundet hat. 13. Es ist 
unwahr, daß ich seinen, Dr. Angerer's, Namen mißbraucht habe. Ich konnta. 
mit gutem Grunde annehmen, daß Herr Dr. Angerer damit einverstanden 
sei, daß ich den Oxycionadpastillen seinen Namen beilege. Als ich erfuhr, 
daß Dr. Angerer hiegegen Erinnerung vorzubringen habe, habe ich mich bei 
ihm entschuldigt und den Namen Angerer für die Oxycionadpastillen nicht 
mehr benützt. 14. Dr Angerer hat die Entschuldigung nicht angenommen', 
hat erklärt, dem Faß sei nunmehr der Boden ausgeschlagen und hat, wozu 
er nicht berechtigt war, dem Julius Asthausen für dessen Sublimatpastillen 
seinen, Dr. Angerer's Namen gegeben.“ 

Neue Literatur. 

(Der Redaction zur Besprechung eingesandte Bücher.) 

E. Marx , Diagnostik, Serumtherapie und Prophylaxe. Bibliothek v. Coleh. 
Berlin 1902, A. Hirschwald. 

M. Martens, Verletzungen und Verengerungen der Harnröhre. Bibliothek 
v. Coler. Berlin 1902, A. Hirschwald. 

K. Lenzmann, Die Tuberculose. Duisburg 1902, Johann Eurich. — M. 2.—. 
Ch. Bäuinler, Die Entwickelung der Medicin einst und jetzt. Tübingen und 
Leipzig 1902, J. C. B. Mohr. — M. 1.80. 

Marx, Krankenpflege. Paderborn 1902, F. Schöningh. 

Gastpar, Die Behandlung Geisteskranker. Stuttgart 1902, F. Enke. — M. 2 40. 
W. Ebstein , Vererbbare cellulare Stoffwechselkrankheiten. Stuttgart 1902, 
F. Enke. — M. 3.—. 

Enriqaez and Sicard, Les oxydations de l’organisme. Paris 1902, J. B. 
Bailliöre et fils. — Fr. 1.50. 


Verantwortlicher Redacteur: Dpcent Dr. Ludwig Braun. * r 

Die Rubrik: „Erledigungen , ärztliche Stellen“ etc . 
befindet sich auf der »weiten Inseraten-Seite. 



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Wien, den 4. Mai 1902. 


Nr. 18. 


XLIII. Jahrgang. _ 

Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart-Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik“, letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse“ 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Militärärztlicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
20 K, halbj. 10 K, viertel]. 5 K. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk., halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 K\ Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein- 
Sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien.I., Maximilianstr. 4. 


medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Organ für praktische Aerzte, 

■-*e$e.- 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


Redigirt von 

Hedactlon: Telephon Kr. 13.849. - , — Administration: Telephon Hr. 9104. 

Dr. Anton Bum. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Zur Bäderbehandlung der nervösen functioneilen Herzstörangen. Von Prof. Dr. E. Heinrich Kisch in 
Prag-Marienbad. — Der Heilapparat Franzensbad zur Behandlung Herzkranker. Von Dr. Steinsberg in Franzensbad. — Die Behandlung der Frauen¬ 
krankheiten in Franzensbad. Von Dr. Lazar Nenadowicz in Franzensbad. — Referate. 1. H. Senator (Berlin): Nierenkolik, Nierenblutung und 
Nephritis. 2. Israel (Berlin): Nierenkolik, Nierenblutung und Nephritis. — A. Käst (Breslau) : Ueber lymphagoge Stoffe im Blutserum Nierenkranker. — 
Kauewski (Berlin): Ueber Gallensteinileus. — F. Perdtz (Heidelberg): Ein Beitrag zur Behandlung schwerer Anämien gastro intestinalen Ursprungs. — 
Simerka (Prag): Ueber Pseudomeningitis. — Gamalle : Ueber einen Fall von Tollwuth beim Menschen nach heftigem Erschrecken mit einem 
Incubation8stadium von 10 Monaten. — Heveroch (Prag): Ueber Stereoagnosie. — M. Joseph und Piorkowski (Berlin): Beitrag zur Lehre von den 
Syphilisbacillen. — Hacker (Innsbruck): Zur Frage des zweckmäßigsten Veifalirens, um Fremdkörper vom unteren Theil der Speiseröhre vom 
Magen aus zu entfernen. — Rullmann (München): Ueber das Verhalten des im Erdboden eingesäten Typhusbacillus. — Friedbergeb (Königsberg) : 
Ueber die Bedeutung anorganischer Salze und einiger organischer krystalloider Substanzen für die Agglutination der Bakterien. — Kleine Mit« 
theilungen. Einfluß von Schwangerschaft und Entbindung auf den phthisischen Proceß. — Dr. Theinhardt's Hygiama. — Cardialgie. — Er¬ 
fahrungen über 100 medulläre Tropacocainanalgesien. — Pilulae Sanguinal - Krewel. — Pikrinsäure bei Gonorrhoe. — Jodipin und seine Ver- 
werthung. — Nutzwerth des Fleischextractes. — Literarische Anzeigen. Jahresbericht über die Fortschritte in der Lehre von den pathogenen 
Mikroorganismen, umfassend Bakterien, Pilze und Protozoen. Unter Mitwirkung von Fachgeno3sen bearbeitet und herausgegebeu von Professor 
Dr. P. v. Baumgarten und Prof. Dr. F. Tangl. — Transactions of the American Otological Society. Thirty-second annual meeting. — Ein Beitrag 
zur Lehre von der Aetiologie, Pathologie und Therapie der Diphtheritis conjunctivae. Von Dr. A. Vossius, o. ö. Prof. a. d. Universität Gießen. — 
Feuilleton. Lebensbilder ans halbvergangener Zeit. I. Dr. Pascal Josef von Ferro, der Begründer der Wasserheilmethode in Oesterreich. Von 
Dr. Maximiliah Stban6ky in Wien. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. 20. Congreß für innere Medicin. Gehaltan zu Wiesbaden 15. bis 
18- April 1902. (Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Düflhl'heu med. Fachpresse“.) III. — 31. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für 
Chirurgie. Gehalten zu Berlin,' 2. —5. April 1902. (Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) IV. — Notizen. — 
Neue Literatur. — Eingesendet. — Offene Correspondenz der Redaction und Administration. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 

Hiezu eine Beilage: „Allgemeine Militär ärz tliche Zeitung.“ 

Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse u gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 


Zur 

Bäderbeliandlung der nervösen functionellen 
Herzstörungen. 

Von Prof. Dr. E. Heinrich Kisch in Prag-Marienbad. *) 

Als nervöse functioneile Herzstörungen werden jene 
Alterationen der regulären Herzthätigkeit bezeichnet, welche 
in einer functionellen Störung der herzbeeinflussenden nervösen 
Apparate begründet sind, ohne daß irgend eine pathologische 
Veränderung des Herzens, seiner Klappen, wie der großen 
Gefäße objectiv naehzuweisen ist. Es ist in der jüngsten 
Zeit eine Reihe von ätiologischen Momenten hervorgehoben 
worden, wie Mißbrauch von Alkohol und Tabak, sexuelle 
Excesse, Digestionsstörungen, welche einen neurasthenischen 
Zustand herbeiführen, bei dem sich dann das Herz als das 
widerstandsunfähigste oder schwächste Organ erweist und in 
seiner normalen Function beeinträchtigt wird. In allen diesen 
Fällen reagirt das Herz auf geringere Reize, physische oder 
psychische, welche das gesunde Herz sonst nicht wesentlich 
beeinflussen, durch motorische und sensible Störungen mannig¬ 
facher Art und ruft eine Fülle von Beschwerden hervor, 
welche bei den betreffenden, ohnedies schon depotenzirten und 
herabgekommenen Individuen wohl zu Bedenken Anlaß geben 
können. 

Ich möchte Ihnen Aber heute zwei Typen von nervösen 
functionellen Herzstörungen vorführen, welche ich bei sonst 

*) Nach einem in der 23. öffentlichen Versammlung der Deutschen 
balneologischen Gesellschaft zu Stuttgart im März 1902 gehaltenen Vortrage. 


vollkommen gesunden Individuen des kräftigsten Alters 
und des blühendsten Aussehens in den letzten Jahren in 
gehäufter Zahl zu beobachten Gelegenheit hatte und die 
schon deshalb unser specielles Interesse in Anspruch nehmen 
dürfen, weil sie nicht seltene und günstige Objecte der Be¬ 
handlung in den Curorten zu bilden geeignet sind. 

Die erste Gruppe bot mir eine Anzahl activer 
Officiere, zumeist Männer in den Dreißiger-Jahren, von gutem 
Aussehen, kräftiger Körperconstitution, starker Muskelent¬ 
wickelung und bis vor Kurzem vollkommen ungestörtem Gesund¬ 
heitszustände. Sie gaben anamnestisch an, in einer verant¬ 
wortungsvollen Stellung außerordentlich stark psychisch 
angestrengt und intensiven, längere Zeit dauernden Auf¬ 
regungen ausgesetzt zu sein. Das Leiden befiel sie plötzlich 
in scheinbar bestem Wohlbefinden, allerdings zuweilen bei 
acuter Steigerung jener psychischen Anforderungen, wie 
beispielsweise vor den großen Manövern oder während der¬ 
selben. Ich betone den Ausdruck psychische Anforderung, 
weil gerade die betreffenden Patienten angaben, daß infolge 
ihrer Stellung ihre physische Arbeitsleistung keine über¬ 
mäßige ist; Abusus von Alkohol, Tabak oder sexueller Be- 
thätigung wird negirt. 

Der Erstbeginn dieses Leidens wird dahin angegeben, 
daß plötzlich ohne markanten Anlaß ein intensiver Anfall 
von Herzklopfen eintrat, welcher einige Minuten dauerte und 
sich mehreremale am Tage wiederholte. Seitdem treten diese 
Anfälle in unbestimmten Zeitabschnitten ein. Mit denselben 
ein belästigendes Gefühl von Druck in der Herzgegend, die 
Empfindung von Herzstillstand, Angstgefühl, das Gefühl de3 
Vergehens, Kopfschmerz, Schwäche der gesammten Körper- 
musculatur, Unsicherheit beim Gehen, Schwindel, ja sogar 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 18. 


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Ohnmacht. Dabei leidet gewöhnlich Appetit und Verdauung. 
Kein Wunder, daß das Selbstbewußtsein dieser Officiere schwer 
erschüttert und ihre psychische Depression zuweilen eine so 
bedeutende ist, daß sie bei geringen Anlässen die Thränen 
nicht zurückhalten können, sie fühlen sich nicht fähig, ihrem 
Berufe weiter zu obliegen. 

Gegensätzlich zu diesen subjectiven Beschwerden ergibt 
die objective Untersuchung des Herzens nichts Abnormes, 
meist sogar wahre Musterbefunde eines normalen Herzens 
in Bezug auf Percussion und Auscultation; an den unteren 
Extremitäten kein Oedem, auch im oberflächlichen Venen¬ 
gebiete kein Zeichen von Stauung, im Harn kein Albumen, 
in 2 Fällen größere Ausscheidung von Oxalsäure. Nahezu 
übereinstimmend ist in diesen Fällen ein schwacher, 
kleiner, leicht comprimirbarer beschleunigter Puls, welcher 
im sphygmischen Bilde die Zeichen geringer Gefäßspannung, 
zuweilen Intermittenz zeigt. 

Als der charakteristische Symptomencomplex dieser 
functioneilen Herzstörung ist also hervorzuheben, daß sie bei 
sonst vollkommen gesunden Männern des kräftigsten Mannes¬ 
alters plötzlich einsetzen, in unbestimmten Anfällen mit be¬ 
schleunigter Herzaction und gleichzeitiger Verminderung des 
Gefäßtonus auftreten und, wie ich gleich bemerken will, bei 
richtigen therapeutischen Maßnahmen zumeist schon nach 
einigen Monaten vollkommen beseitigt werden. 

Der sich von selbst aufdrängende Gedanke, daß es sich 
in diesen Fällen um Herzschwäche infolge von Uebermüdung 
des Herzmuskels handelt, wie dies bekanntlich von 0. Fraentzel 
und v. Leyden beschrieben worden ist, wird in Berück¬ 
sichtigung des Fehlens von allen Symptomen organischer 
Veränderungen am Herzen und an den Arterien, des Mangels 
an wirklichen Irregularitäten des Pulses, der Abwesenheit 
venöser Stauungserscheinungen, sowie der Angina pectoris 
für unsere Fälle zurückgewiesen werden müssen. In diesen 
handelt es sich vielmehr, wie wir sicher annehmen müssen, 
um eine infolge andauernder hochgradiger Anspannung der 
psychischen Thätigkeit entstandene, Functionsstörung des 
Herzens, welche aus einer Insulte des Herzhemmungscentrums 
wie des vasomotorischen Centrums hervorgegangen ist. 

Was den Verlauf dieser Herzstörungen betrifft, so erfolgt, 
wenigstens in den Fällen meiner Beobachtung, bei geeignetem 
Benehmen vollständige Heilung. Das erste Erforderniß hiezu 
ist, daß die Patienten einen längeren Urlaub nehmen, um 
frei von allen dienstlichen Verhältnissen und losgelöst von 
allen die Herzinnervation ungünstig beeinflussenden Momenten 
in einer neuen Umgebung zu leben, in welcher das Gesammt- 
nervensystem beruhigende und andererseits anregende Impulse 
empfängt. 

Als zweite Gruppe nervöser functioneller Herzstörungen 
stellte ich Ihnen eine Reihe von sonst ganz gesunden, weder 
anämischen, noch mit irgend einer nachweisbaren Erkrankung 
des Herzens oder der Gefäße behafteten jungen Mädchen hin. 
Bei diesen zeigt sich die sonst bisher ganz normale Herz- 
thätigkeit einige Zeit, Wochen, Monate vor dem ersten Ein¬ 
treten der Menses in stürmischer Weise gestört, welche 
Störung die erste Menstruation überdauert und kurze Zeit 
nach der regelmäßigen Wiederkehr derselben aufhört. Die 
mit belästigenden Gefühlen auftretenden Herzpalpitationen 
werden objektiv als eine Vermehrung der Zahl und Ver¬ 
stärkung der Kraft des Herzstoßes und Spitzenstoßes als 
Beschleunigung und Spannungssteigerang des Pulses wahr¬ 
genommen, während subjectiv Schmerz in der linken Inter- 
costalgegend, Gefühl von Kurzathmigkeit, Lufthunger, Prä- 
cordialangst angegeben wird. Diese Herzbeschwerden treten 
zuweilen täglich, zuweilen in Pausen von mehreren Tagen 
auf, ohne jeglichen erklärenden Anlaß, oder nach einem 
geringen Anlasse, dauern einige Minuten, auch stundenlang, 
kommen de3 Tages oder auch in der Nacht vor, während in 
der übrigen Zeit, zwischen den Anfällen, Herz und Arterien 
vollkommen regelmäßig functioniren. Die jungen Mädchen 


verlieren dabei ihr bisher munteres Wesen, werden still in 
sich gekehrt, leicht gereizt und hegen speciell die Besorgniß, 
mit einem schweren Herzleiden behaftet zu sein. 

Auch diese Herzbeschwerden bei den jungen gesunden 
Mädchen (die Fälle von Chlorose scheide ich als hieher nicht 
gehörig aus) müssen als nervöse betrachtet werden, deren 
Grund, wenn auch der reflectorische Zusammenhang mit den 
Entwickelungs vorgängen in den Ovarien und im Uterus 
zu berücksichtigen ist, doch zumeist in den Vorgängen der 
Psyche liegt, welche sich um diese Zeit in dem seelischen 
Organe abspielen. Das zur Jungfrau heran wachsende Mädchen, 
welches mit Staunen und Spannung die sichtbaren Verände¬ 
rungen an seinem Körper, die äußeren Zeichen der Pubertät 
zum Vorscheine kommen sieht, empfängt mächtige psychische 
Erregungen, welche einen entschiedenen Einfluß auf das ganze 
Nervensystem, wie auf jene complicirten Nervenapparate üben 
können, welche die Herzbewegung zu reguliren haben. Es 
werden ganz unvermittelte Impulse zu den das Herz ver¬ 
sorgenden Nerven geleitet, sei es, daß es hiedurch zu einer 
starken Erregung der beschleunigenden Herznervenfasern des 
Sympathicus oder zu einer Reizung der hemmenden Nerven¬ 
fasern des Vagus kommt, sei es, daß eine Hyperästhesie der 
sensiblen Nerven des Herzens das Gefühl solcher Herzpalpi¬ 
tationen vortäuscht. Um es kurz zu sagen, es handelt sich 
um nervöse, functioneile Herzstörungen bei sonst gesunden, 
jungen Mädchen, um die Zeit der Menarche prämenstruell 
auftretend und einige Zeit nach derselben anhaltend. 

Gewiß werden auch Sie Repräsentanten der beiden Ihnen 
hiemit vorgeführten Gruppen wohl aus Ihrer Praxis kennen 
und mir beipflichten, daß die balneologisehen Heilmittel hier 
ein ergiebiges Feld der Wirksamkeit finden, leicht begreiflich, 
weil gerade die Curorte ein günstiges Terrain bieten, um 
therapeutisches Wirken mit dem diätetischen und psychischen 
zu vereinen. Eine wichtige Rolle kommt den verschiedenen 
Arten von Bädern zu, welche die Herzfunction beeinflussen. 
Ihre Wirkung soll zunächst und zumeist eine beruhigende 
sein. Von den kohlensäurehaltigen Bädern, den natürlich 
warmen, wie künstlich erwärmten, wird man die mit schwachem 
Gehalte an kohlensaurem Gase und mäßige Temperaturgrade 
32 — 33° C. wählen und sie in nur kurzer Dauer, durch 5 bis 
8 Minuten anwenden. Wenn man kohlensäurehaltige Soolbäder 
und Salzbäder anwendet, soll der Gehalt des Badewassers 
an Salzen 1—1 l /, l % nicht übersteigen. Nur allmälig und sehr 
langsam vorschreitend darf eine Steigerung des Kohlensäure- 
und Salzgehaltes vorgenommen, die Badedauer ausgedehnt, 
der Uebergang von ruhigen zu bewegten Badeformen ange¬ 
bahnt werden, um die Reizwirkung dem Einzelfalle ent¬ 
sprechend zu dosiren. Beim Gebrauche der Akratothermen 
werden die indifferent warmen den wärmesteigernden Thermal¬ 
bädern vorzuziehen sein. Von hydriatischen Proceduren finden 
die auf das Gesammtnervensystem beruhigend einwirkenden 
Applicationen partieller feuchter Einpackungen, Leibumschläge, 
Wadenbinden. Verwendung; auch kann man mäßigere Tempe¬ 
raturgrade auf das Herz selbst local einwirken lassen, und 
wenn eine stärkere Reiz Wirkung erwünscht erscheint, zu 
kühlen Abreibungen mit nachfolgendem Frottiren übergehen. 
Milde allgemeine Massage mit passiven Bewegungen, zuweilen 
auch mit einigen leichten Widerstandsbewegungen verknüpft, 
wirken als Unterstützung der Bäder. Häufig werden Sym¬ 
ptome gestörter Magen- und Darmthätigkeit, sowie veränderter 
Gesammternährung des Körpers Trinkeuren mit den geeigneten 
Mineralwässern nach den Ihnen geläufigen Gesichtspunkten 
indicirt erscheinen lassen. 

Stets wird mit der methodischen Anwendung der Heil¬ 
quellen und Heilbäder, die nach gleichen Wirkungen hin¬ 
zielende Ernährungstherapie und psychische Therapie 
verbunden werden müssen, um den gesammten Stoffwechsel und 
die chemische Constitution der Nervenelemente in günstigere 
Verhältnisse zu leiten, die auf Selbstbeobachtung gerichteten 
Gedanken von dem eigenen Ich abzulenken. In diätetischer 


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Beziehung ist großes Gewicht auf eine consequente, öfter des 
Tages vorzunehmende Zufuhr von nicht zu großen Mengen 
sehr kräftigender, leicht verdaulicher Nahrung zu legen. Ich 
lasse solche Patienten alle 3 Stunden roborirende Mittel 
nehmen: Gute Milch, kräftige Fleischbrühe, frisch ausge¬ 
preßten Fleischsaft, Rindsbraten von Lendenstücken, Wildpret, 
Geflügel, Leimgallerte mit Bratenjus, Austern, Caviar, Spargel, 
Spinat, wobei auch Reizmittel, namentlich im Anfalle zu¬ 
weilen nicht zu entbehren sind, ein Glas alter Tokayer, 
kräftiger Portwein, etwas guter Cognac. Die psychische 
Beeinflussung von Seite des Arztes muß besonders die Ueber- 
zeugung der Kranken, an einem Herzfehler zu leiden, ernst 
bekämpfen. Sie hat weiters die Aufgabe, den Patienten, 
welcher oft die Empfindung hat, daß körperliche Bewegung 
die Herzanfälle leicht auslösen, systematisch in schonender 
Weise und stetiger Zunahme an verschiedene Bewegungs¬ 
formen zu gewöhnen. Von den bekannten Herzmitteln Digitalis, 
Strophantus, Convallaria majalis, Adonis vernalis gebe ich 
gewöhnlich nur sehr kleine Gaben mehrerer solcher Mittel 
miteinander und in Verbindung mit Eisenpräparaten combinirt. 

Geduld und Ausdauer des Arztes wird bei der Behand¬ 
lung der nervösen functioneilen Herzstörungen in hohem Maße 
in Anspruch genommen. Aber der Erfolg ist zumeist ein 
sehr befriedigender, und häufig genug werden Sie in zweifel¬ 
haften Fällen die Freude haben, ex juvantibus nachträglich 
die Diagnose zu festigen, daß es sich um einen vollkommen 
heilbaren, weil geheilten Fall handelt. 

Der Heilapparat Franzensbad zur Behandlung 
Herzkranker. 

Von Dr. Steinsberg in Franzensbad. *) 

Franzensbad hat in den letzten Jahren seine Indications- 
stellungen bedeutend erweitert, und es kommen nunmehr außer 
den mannigfachen Frauenleiden, für die unser Curort 
geradezu als typisch gilt, dank der vollen Ausnützung 
und Würdigung unseres mächtigen Heilschatzes, eine große 
Anzahl verschiedener anderer Krankheitsformen alljährlich 
in Behandlung. 

So wurden uns in letzter Zeit Magen- und Darm¬ 
kranke zugewiesen, die der anstrengenden Karlsbader Cur 
nicht gewachsen waren, und bei denen wir durch Darreichung 
unserer Heilquellen (hauptsächlich der Salzquelle) immer einen 
ausgezeichneten Erfolg erzielten. Auch die Behandlung der 
harnsauren Diathese und der durch diese bedingten 
Krankheitsformen fand in unserer lithionhaltigen Na¬ 
taliequelle einen bedeutenden Heilfactor. 

Für die große Reihe der Anämien sind unsere Quellen 
noch immer von maßgebender Bedeutung. 

Ganz besonders jedoch sind es die mannigfachen Herz¬ 
krankheiten, welche letzthin zur neuen Indication für unseren 
Curort geworden sind. Da meines Wissens bis nun außer den 
Hinweisen auf die Franzensbader Herztherapie von Lindner 
(in zwei Mittheilungen) und Fisch kein abgeschlossener 
Bericht über diesen Gegenstand veröffentlicht wurde, will 
ich in Kürze den uns für die Franzensbader Herztherapie 
zu Gebote stehenden Heilapparat besprechen. 

Ich will gleich eingangs anführen, daß unsere dies¬ 
bezüglichen Einrichtungen nach dem Nauheimer Vorbilde auf¬ 
gebaut sind. Es ist bekannt, daß bei der Behandlung der 
Herzkranken in diesem Curorte die Bädercuren ausschlag¬ 
gebend sind, und daß die im Badewasser enthaltene Kohlen¬ 
säure und die gelösten Salze (Chloride) durch den eigen- 
thümlichen, sensiblen Reiz, den sie auf den Körper auszuüben 


*) Vortrag, gehalten in der III. Wissenschaft!. Versammlung des Central¬ 
verbandes der Balneologen Oesterreichs zn Wien (März 1902). 


imstande sind, die Hauptrolle spielen. Diesen erregenden 
Factoren verdankt man in erster Reihe den mächtigen Einfluß 
auf den Organismus und mittelbar auf das bessere Functioniren 
des kranken Herzens. Der Umstand, daß diese (chemischen) 
Factoren auch in unseren Quellen enthalten sind — bezüglich 
der Kohlensäure, dieses allermächtigsten Reizfactors, sogar in 
etwas größerer Menge als in den Nauheimer Wässern (bis 
1576 Ccm. auf 1000 Grm. Wasser) — führte uns auf den Ge¬ 
danken, unsere Kohlensäurebäder auch bei Herzkranken zu 
versuchen, und zwar umsomehr, als einzelne casuistische 
Mittheilungen von Franzensbader Aerzten über die günstige 
Wirkung unserer „Stahl bä der“ auf den Circulationsapparat 
zu berichten wußten (Lindxer). Wir mußten jedoch schon 
von vorneherein die Bereitung unserer kohlensäurereichen 
Bäder bis zu einem gewissen Grade modificiren, oder, besser 
gesagt; eine ganze Reihe dieser auf das Herz und den Circu¬ 
lationsapparat specifisch wirkenden Bäder, und zwar genau 
abgestuft nach Kohlensäureinhalt und gelösten Salzen, schaffen. 

Von diesen letzteren sind in unseren Quellen etwa 6%o 
enthalten, eine Zahl, die unzureichend ist, wenn es sich einer¬ 
seits um eine stärkere Reactionswirkung dieses chemischen 
Reizes auf den Organismus handelt, andererseits aber — und 
dies gilt von den Chloriden —, wenn wir durch diese den 
Kohlensäureinhalt des Bades herabsetzen wollen. 

So leiten wir denn nach Maßgabe des Bedarfes dem 
kohlensauren Bade verschiedene Quantitäten von (Halleiner) 
Mutterlauge zu, was übrigens in denselben Fällen auch in 
Nauheim prakticirt wird. Auch die Erwärmungsmethode unserer 
Kohlensäurebäder mußte an die neuen Verhältnisse angepaßt 
werden. Bei Benützung eigens dazu construirter Apparate, 
denen das Quellwasser direct zufließt, und in welchen das¬ 
selbe bei Hindurchleitung von Wasserdampf im Sinne der 
Bädererwärmungsmethode nach Pfrieme, resp. der nach Schwarz 
schon dort mehr oder weniger vom Kohlensäureinhalt ver¬ 
liert, erhalten wir in der Badewanne ein schon von vorne¬ 
herein stricte dosirtes Bad. Nur die Mischung mit der 
eventuell hinzuzufügenden Mutterlauge erfolgt in der Wanne 
selbst. Diese Zubereitung des Badewassers außerhalb der 
Badewanne ist von großer Wichtigkeit, denn das Quellwasser 
tritt bis zum Augenblicke, in welchem es als fertiges Bade¬ 
wasser in die Wanne strömt, nirgends mit der atmosphä¬ 
rischen Luft in Berührung; andererseits gibt diese Bäder¬ 
zubereitung die sichere Gewähr, daß das jeweilige, nach 
demselben Typus zubereitete Bad durch die gleiche Procedur 
im Apparate immer gleichartig ausfällt. Diese Erwärmungs¬ 
methode haben wir für alle unten zu besprechenden Bäder¬ 
arten angenommen. Ich muß anführen, daß wir dort, wo wir 
eine noch intensivere Abschwächung der Wirkung des ursprüng¬ 
lichen Mineralwassers erzielen wollen, die Mischung desselben 
mit Süßwasser zu verschiedenen Theilen vornehmen. 

Mit Rücksicht auf das größere oder kleinere Mischungs- 
verhältniß der beiden erhalten wir eine Bäderreihe von den 
schwächsten bis zu den stärksten dieser Gruppe. In den 
weiteren Bäderarten, die wir nicht mehr mit Süßwasser 
diluiren, hängt die Stärke des Bades bezüglich des CO a -In- 
haltes nur mehr von der Art der Erwärmung (Pfrieme- 
Schwarz) ab, resp. vom Zusatz der Mutterlauge, endlich von 
der Anwendungsart: stehendes Bad oder Strombad. 

Ich will hier nur erwähnen, daß wir analog den Nau- 
beimer Bädern auch diese Kohlensäurebäder im internen 
Gebrauch mit Rücksicht auf die geläufige Bezeichnung Thermal-, 
resp. Thermalsoolbäder genannt haben. Nach diesen einleiten¬ 
den Bemerkungen wird die Nomenclatur und die Zweck¬ 
mäßigkeit der jetzt aufzuzählenden und in die Therapie für 
Herzkranke aufgenommenen Bäder in Franzensbad verständ¬ 
lich sein. 

Als schwächstes Bad gilt: 

1. Das einfache Soolbad mit Zusatz von 3% 
(30 Liter) Soole. 


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Weiters folgen: 

2. Thermalbad III mit Soole III. 

3. Thermalbad III mit Soole II. 

4. Thermalbad III mit Soole I. 

Thermalbad III (auch Nr. 3) bedeutet ein Bad, bestehend 
aus V 2 Mineralwasser und '/ 2 Süßwasser. Soole III bedeutet 
30 Liter Soole. 

Analog dazu sind: 

5. Thermalbad II mit Soole III. 

6. Thermalbad II mit Soole II. 

7. Thermalbad II mit Soole I. 

Thermalbad II enthält 2 / 3 Mineralwasser und 1 j 3 Sü߬ 
wasser. 

Des weiteren folgen: 

8. Thermalbad I mit Soole III. 

9. Thermalbad I mit Soole II. 

10. Thermalbad I mit Soole I. 

Im Thermalbad I sind s / 4 Mineralwasser und 1 / i Süßwasser 
enthalten. 

In weiterer Reihe folgen volle Mineralwasserbäder, und 
zwar: 

11. Thermalbad A mit Soolezusatz III, II, und I, 

Das sind Mineralbäder, welche nach einer der Pfriem- 

schen Methode (directes Einleiten von Wasserdampf in die 
Badeflüssigkeit) ähnlichen Bereitungsweise hergestellt werden. 

12. Thermalbad B mit Soole III, II und I stützt 
sich auf die ScHWAßz’sche Erwärmungsmethode, also indirecte 
Erwärmung des Badewassers und dadurch bewirkte geringere 
Verflüchtigung der Kohlensäure. 

Zur Potenzirung der Wirkung dieser Bäder dienen : 

13. Strombad A und 

Strombad B (ohne Soolezusatz), das sind constant 
zu- und abfließende Thermalbäder A, resp. B. 

Eine gewisse Modification bildet: 

14. das Wellenstrombad, in welchem das Zufluß- 
und Abflußrohr an derselben Seite der Badewanne sich befinden, 
so daß die constant stark ein- und rückströmende Bade¬ 
flüssigkeit eine bedeutende Wellenbewegung um den Körper 
des Badenden erzeugt. Obangeführte Bäder werden gewöhnlich 
in der Temperatur von 27—28° R. verabreicht. 

Im Maße, als man die Temperatur des Badewassers 
tiefer herabsetzt, wird das letztere kohlensäurereicher, so 
daß wir also auch durch dieses Vorgehen eine Abstufung 
der einzelnen Bäder derselben Gruppe bezüglich des C0 2 -Ge- 
haltes erreichen können. 

Wie nun aus all dem Angeführten zu ersehen ist, erfolgt 
die Zubereitung und Abstufung dieser Bäder mit einer 
minutiösen, mathematischen Accuratesse, so daß die jeweiligen 
Bädertypen immer gleichartig ausfallen werden. Charakte¬ 
ristisch dafür ist der Umstand, daß man bei einer gewissen 
Uebung schon mit bloßem Auge die einzelnen ßäderarten 
genau differenziren kann. In dem einen braust stärker oder 
schwächer die Kohlensäure, in dem anderen sind kaum 
einzelne Kohlensäurebläschen zu finden. 

Unsere bisherigen Erfahrungen in der Behandlung der 
Herzkranken mit diesen Bädern berechtigen uns zur An¬ 
nahme, daß dieselben in ihrer Reaction auf den Circulations- 
apparat und das Herz den Nauheimer Bädern gleichwerthig 
sind. Ebenso wie diese sind sie genau abstuf bar, was 
für die verschiedenen Formen der Behandlung der Herz¬ 
erkrankungen im Sinne der Individualisirung des Einzelfalles 
von ganz besonderer Wichtigkeit ist. 

Der günstige Einfluß der Franzensbader Thermalbäder 
offenbart sich analog den Bädern in Nauheim, da es sich ja 
um gleichartig construirte Bäderarten handelt, vor Allem in 
der günstigen Beeinflussung des Stoffwechsels und des Blut¬ 
kreislaufes. Dank der eigenthümlichen Einwirkung der ther¬ 
mischen und chemischen Reize auf die sensiblen Nervenendi¬ 
gungen der Haut, von wo aus der Erregungszustand längs 


der Nervenbahnen zu den grauen Vorderhörnern des Rücken¬ 
markes und mittelbar zu den Ganglien des sympathischen 
Nervengeflechtes hingeleitet wird, vermag der sensible Reiz 
auf diese Weise einen unmittelbar bahnenden Einfluß auf 
die Stoff- und Kraftbildung in gesammten vegetativen und 
animalen System auszuüben, andererseits durch Einwirkung 
auf den N. vagus (Erregung) die Herzfunctionen günstig zu 
beeinflussen. 

In innigem Zusammenhänge mit dem erhöhten Stoff¬ 
wechsel steht die raschere Ausscheidung physiologischer und 
auch pathologischer Producte aus dem Organismus, weiters 
ein erhöhter Anbau gesunden Gewebes im ganzen Körper, 
und nicht in letzter Reihe in der Muskelsubstanz des Herzens. 
Erst in zweiter Reihe ist das physikalische Moment, 
d. i. die directe Beeinflussung der Herzarbeit durch diese 
Bäder zur Erklärung heranzuziehen (Gräupner). 

Unsere Bäder wirken in ihren schwächeren Concen- 
trationen analog den Nauheimer Bädern im Sinne einer 
Arbeitserleichterung auf das im Verlaufe seiner Erkrankungen 
überangestrengte Herz, demgemäß also schonend und be¬ 
ruhigend auf dasselbe. Diese Einwirkung vollzieht sich, wie 
gesagt wurde, auf reflectorischem Wege durch Vagusreizung. 
Doch wird auch dadurch, daß die erwähnten chemischen 
(C0 2 ) und thermischen Reize eine Erweiterung der Haut- 
capillaren bewirken und das Blut aus dem Körperinnern 
leicht an die Körperoberfläche gelangt, die Herzarbeit be¬ 
deutend verringert. Auch bei dem Gebrauche unsere” Bäder 
können wir in der Regel ein Vollerwerden des Pulses und 
eine Verlangsamung desselben bei vorübergehend erhöhtem 
Blutdrucke constatiren. Der früher irreguläre und inäquale 
Puls kehrt nach einer Reihe von Bädern zur Norm zurück. 
Die Athmung vertieft sich, was eine bessere Oxydation des 
Blutes zur Folge hat. 

Unsere Thermalbäder zeigen also ihre günstige Beein¬ 
flussung auf Herzkranke einerseits durch die Anregung des 
ganzen Organismus zu regerer Function, andererseits wirken 
sie schonend auf das durch die langwährende Arbeits¬ 
leistung geschwächte Herz. Erst wenn es gelungen ist, im 
Sinne der Herzschonung, diesem so bedeutenden Organe 
neuen Kräftevorrath zuzuführen, ist es unsere zweite Auf¬ 
gabe, übend auf dasselbe einzuwirken, d. h. dasselbe in 
seinen Functionen zu kräftigen. 

Dieses Vorgehen findet bei der Bäder Verabreichung 
seinen Ausdruck in der Dosirung kühlerer (25—24° R.), über¬ 
haupt kohlensäurereicherer Bäder, die durch die bewirkte, 
länger andauernde Blutdruckerhöhung im Körper im Sinne 
der Herzübung wirken. Mit Rücksicht darauf, ob wir nun 
schonend oder übend auf das Herz einwirken wollen, werden 
wir zu schwächeren oder stärkeren Bädern greifen, die wir, 
dank unseren Apparaten, bezüglich de3 Kohlensäure- und 
Soolegehaltes beliebig dosiren können. Bei sehr geschwächten 
Kranken werden wir uns in der ersten Zeit der Behandlung 
auf die Erreichung einer allgemeinen Besserung des Krank¬ 
heitszustandes beschränken müssen, und erst wenn wir dies 
durch die Verabreichung kohlensäureschwacher Bäder erzielt 
haben (Schonung) und der Patient kräftiger geworden ist, 
werden wir zu stärkeren Bädern, also zur Herzübung über¬ 
gehen. Dort jedoch, wo die geschwächte Arbeit des Herz¬ 
muskels durch eine ungenügend ausgebildete Anpassungs¬ 
fähigkeit bedingt ist, was bei bewegungsträgen Individuen 
zutrifft, oder wo sich Herzschwäche im Verlaufe lang dauernder, 
künstlicher Reize, wie z. B. Nicotin, eingestellt hat, werden 
wir gleich vom Anfang an zur Herzübung übergehen; 
schwerlich jedoch werden wir bei Arteriosklerose oder der¬ 
gleichen so vorgehen können. 

Ob wir nun im Sinne der Herzschonung oder Herzübung 
vorgeben, liegt doch das Hauptgewicht bei der Behandlung 
mit unseren Kohlensäure-(Thermal)-Bädern nicht so sehr im 
physischen Momente, als vielmehr in der Beeinflussung der 
das vegetative Leben beherrschenden Centren und, was noch 


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wichtiger ist, in der günstigen Einwirkung auf den Nerven¬ 
apparat des Herzens und der Gefäße, wodurch der Herz¬ 
muskel nur diesen Arbeitsaufwand leistet, der zur Ueber- 
windung der äußeren Arbeit absolut notkwendig ist. 

Bei der Wahl der einzelnen Bäderarten müssen wir 
sehr vorsichtig und streng individualisirend vorgehen, und 
zwar bezüglich ihrer Dosirung nach Temperatur, Badedauer 
und Reihenfolge, da davon der ganze Curerfolg abhängt. 
Wir müssen oft die einzelnen Bädertypen abwechseln lassen 
und den Kranken überhaupt strenge controliren. Die Bade 
dauer eines Einzelbades beträgt in der Regel zwischen 5 und 
20 Minuten. Mit besonderer Vorsicht muß bei Verabreichung 
von Strombädern vorgegangen werden, insbesondere bei zarten 
Kranken. Verwerflich ist daher das zum Glück nicht oft 
vorkommende Selbstordiniren der Patienten, da nur von der 
stricten Regulirung und Dosirung des Hautreizes (Kohlen¬ 
säure, Soole, Temperatur) der ganze Heilerfolg abhängt. 

Meine oben angeführten Ausführungen über die Bäder¬ 
wirkung habe ich mit Zuhilfenahme der Nauheimer Erfah¬ 
rungen über diesen Gegenstand klargelegt. 

Ein weiteres Glied in der Reihe unseres Curapparates 
für Herzkranke bildet die bei diesen mit Vortheil angewendete 
schwedische Heilgymnastik. Wir verstehen darunter 
die Ausführung einfacher Bewegungen, wie Heben und Senken 
der Arme, Beugen und Strecken der unteren Extremitäten, 
Bewegungen des ganzen Oberkörpers etc., wobei der Kranke 
auf ein ausgiebiges Ein- und Ausathmen genau zu achten 
hat. Erfahrungsgemäß kann nur eine unter diesen Bedingungen 
stattfindende Gymnastik zur Kräftigung des Herzmuskels 
beitragen. Dieselbe darf nur in den Grenzen der Sufficienz 
der Athemkraft und der Dehnungsfähigkeit des Herzens aus¬ 
geführt werden, da wir es im entgegengesetzten Falle zu 
einer Ueberarbeitung des Herzmuskels bringen würden. Bei 
Verwendung der sogenannten (schwedischen) Widerstands¬ 
gymnastik, wobei der übende Kranke einen, sei es manuell 
oder durch entsprechende (Zander-)Apparate gesetzten Wider-, 
stand zu überwinden hat, müssen wir ganz besonders darauf 
Rücksicht nehmen. 

Contraindicirt ist diese Gymnastik in allen jenen Fällen, 
wo die Herzschwäche so bedeutend ist, daß sie kaum zur 
Bewältigung der inneren Arbeit ausreicht, wie dies in der 
Reconvalescenz nach langwierigen Krankheiten der Fall ist. 
Nicht anzuwenden ist sie weiters im Verlaufe frisch reeidi- 
virender Entzündungsprocesse an den Herzklappen und im 
Pericard, dann bei Arteriosklerose u. dgl. m. 

Mit besonderem Nutzen jedoch verwenden wir diese 
Gymnastik im Verlaufe compensirter Herzfehler und beim 
Fettherz. 

Einen Mitbehelf der Gymnastik bildet auch die OERTEL’sche 
Terraincur, bei welcher die Bewegungen streng dosirt, kräf¬ 
tigend und übend auf den Herzmuskel einzuwirken imstande 
sind. Die Arbeit, welche das Herz bei diesen Uebungen leisten 
muß, ist eine recht beträchtliche, und wir verwenden diese 
Cur nur in Fällen, wo wir an den sonst anatomisch gesunden 
Herzmuskel größere Arbeitsansprüche stellen dürfen (Fettherz, 
Herzneurosen etc.). 

Unter Rücksichtnahme, daß bei Herzkranken die Flüssig¬ 
keitszufuhr für gewöhnlich streng dosirt werden soll, können 
auch unsere Mineralwässer zur Therapie herangezogen werden. 
Insbesondere kämen die leicht abführenden in Betracht, also 
Salzquelle, Wiesenquelle und kalter Sprudel und als ein vor¬ 
zügliches Diureticum die Natalie- Quelle (Gintl). Daß auch 
unsere Terrain- und klimatischen Verhältnisse der Behand¬ 
lung von Herzkranken günstig sind, weiß jeder, der unseren 
ebenen und ruhigen, inmitten von herrlichen Parkanlagen 
gelegenen Curort kennen gelernt hat. 

Anschließend an diese Ausführungen will ich alle die 
Krankheitsformen anführen, die sich mit Aussicht auf Er¬ 
folg zur Behandlung mit unseren Kohlensäurethermalbädern 
eignen. 


In erster Linie sind es die reinen Herzmuskel¬ 
erkrankungen, wie sie im Gefolge von infectiösen Krank¬ 
heiten , wie Typhus, Influenza etc. auftreten, weiters die 
Herzerweiterungen im Verlaufe von Anämie und 
Chlorose. Ebenso günstig werden Herzklappenfehler 
im Anfangsstadium der Incompensation (leichte Dyspnoe, 
Knöchelödeme) beeinflußt. Die verhältnißmäßig beste Prognose 
gibt in dieser Gruppe die Mitralinsufficienz, weiters 
Aortainsufficienz auf arteriosklerotischer Basis. Viel 
ärger steht es mit den combinirten Klappenerkrankungen, 
bei denen man wohl kaum von Dauererfolgen sprechen kann. 
Verhältnißmäßig schöne Erfolge sehen wir bei beginnender 
Arteriosklerose und Verkalkungen der Coronararterien 
(Schwinden der Angina pectoris). Eine gute Prognose gibt das 
Fettherz. Herzneurosen können durch unsere Bäder ge¬ 
heilt werden, ebenso das Nicotin- und Alkoholherz, selbst¬ 
redend bei durchzuführender Abstinenz von diesen Giften. 
Von guter Einwirkung sind unsere Bäder bei den Herz¬ 
hypertrophien infolge Schrumpfniere (Steinschneider). 

Nur mit allergrößter Vorsicht wäre diese Bädercur bei 
weit vorgeschrittenen incompensirten Herzfehlern und hoch¬ 
gradiger Arteriosklerose vorzunehmen. 

Hiemit glaube ich einen, wenn auch nicht ganz er¬ 
schöpfenden, so doch die Hauptmomente unseres Heilapparates 
für Herzkranke streifenden Bericht gegeben zu haben, und 
glaube auch nachgewiesen zu haben, daß unsere diesbezüg¬ 
lichen Curbehelfe rationell aufgebaut sind, wofür der 
beste Beweis in vielen bis jetzt schon durchgeführten günstigen 
Curen bei Herzkranken liegt. 

Ohne selbstredend Nauheim die Verdienste, die es sich 
in der Behandlung dieser Kranken erworben hat, absprechen 
zu wollen, möchte ich doch heute nur darauf hinweisen, daß 
es auch in Oesterreich einen Curort gibt, in welchem 
Herzkranke mit ebenso gutem Erfolge behandelt 
werden können, und wo es nur einer, regeren Rücksicht¬ 
nahme und Anregung seitens der betreffenden ärztlichen 
Kreise bedarf, um denselben conform seinem Werthe zum 
Blühen und Gedeihen zu bringen. 

Die Behandlung der Frauenkrankheiten in 
Franzensbad. 

Von Dr. Lazar Nenadovicz in Franzenabad. *) 

Die Frauenkrankheiten werden in Franzensbad mit 
Mineralwässern und Moor behandelt. 

Der physiologischen Wirkung und der therapeutischen 
Bestimmung nach theile ich die Mineralwässer Franzensbads 
in fünf Gruppen ein: 

I. Gruppe: Die Salzquelle. Mit diesem Mineralwasser 
beginnen Alle die Cur. Auch weiterhin bleiben ihr die an 
Catarrhen der Athmungswege und der Verdauungsorgane 
Kranken, wie auch solche treu, welche ein mehr concentrirtes 
Wasser nicht vertragen. 

II. Gruppe: Die Franzensquelle und die Neu¬ 
quelle. Die Franzensquelle ist die Hauptquelle Franzens¬ 
bads. Sie enthält in 1000 Th eilen CI Na 1*202, Bittersalz 
3190, kohlensaures Natron 0 934, kohlensaures Eisen 0 030, 
freie C0 2 1462 Ccm., + 0 C. = 10*5°. Wegen des günstigen 
Verhältnisses der Bestandtheile wird diese Quelle als die 
beste Eisenquelle der Welt gepriesen. Prof. Frerichs schreibt: 
„Der leicht verdauliche Franzensbrunn erfüllt alles neben der 
Stahlquelle, was man von den Martialien bei Chlorose, Anä¬ 
mien nach schweren Blutverlusten und anderen schweren 
Krankheiten erwarten kann. Er wird leichter vertragen als 
manche andere starke Stahlquelle, weil er minder aufregend 
wirkt.“ 

*) Nach einem in der Gynäkol. Gesellschaft zu St. Petersburg gehaltenen 
Vortrage. 


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III. Gruppe: Die Wiesenquelle und der kalte 
Sprudel. Infolge von größerem Gehalte an Bittersalz wirken 
diese Quellen leicht abführend, zu welchem Zwecke sie auch 
gebraucht werden. 

IV. Gruppe: Die Stahl quelle. Im Verhältnisse zu 
anderen Salzen enthält diese Quelle die größte Menge Eisen 
und wirkt deshalb verstopfend. 

V. Gruppe: Die Nataliequelle. An kohlensauren Al¬ 
kalien und Erden (Lithion) reichste Quelle Franzensbads. In 
der Behandlung der harnsauren Diathese concurrirt diese 
Quelle mit dem besten Erfolg mit den Mineralwässern von 
Contrexeville. 

Die so verschiedenartig wirkenden Quellen ermöglichen 
es den Aerzten, die Verordnung derselben den verschiedensten 
Zuständen der Verdauungsorgane anzupassen. Alle gynäkolo¬ 
gischen Kranken trinken auch ein Mineralwasser. Im Allge¬ 
meinen verordnet man ihnen ein Mineralwasser in Anbetracht 
der Blutarmuth oder einer Störung der Verdauungsorgane. 

Ich muß jedoch betonen, daß die Trinkcur in directem 
Verhältnisse speciell zu unserer Aufgabe steht, die Frauen¬ 
krankheiten zu heilen. Prof. Kleinwächter findet, daß die 
Mineralwässer Franzensbads wohlthuend auf die Frauen¬ 
krankheiten wirken, u. zw. infolge der ableitenden Wirkung des 
Bittersalzes und infolge des durch dasselbe angeregten Stoff¬ 
wechsels. Noltschini hält das Verabreichen der alkalischen 
Mineralwässer von Essentucki (Kaukasus) für eine bedeutende 
Unterstützung in der Behandlung der Frauenkrankheiten, 
indem er sich die Wirkung in der Behebung der Blutstauung 
in der Leber und in den Nieren erklärt. Ich stelle die Be¬ 
hauptungen von Prof. Kleinwächter und Noltschini nicht in 
Abrede, will jedoch die allerdings ins Vergessen gerathene 
Wirkung des Eisens auf die Transsudate in Erinnerung 
bringen. Bereits im Jahre 1861 veröffentlichte Pokrovski 
seine diesbezüglichen Untersuchungen. Aus seinen Schlu߬ 
folgerungen führe ich nur Folgendes an: „Hydropische Trans¬ 
sudate in die Tela cellulosa subcutanea wurden beim Ge¬ 
brauch von Eisen sogar bei Insufficientia bicuspidalis resorbirt 
und kamen wieder zurück, sobald der Gebrauch des Eisens 
auf hörte.“ Diese Wirkung des Eisens erklärt er durch die 
Vermuthung des berühmten Botkin , daß „das Eisen auf die 
contractilen Elemente der feinsten Arterienäste wirkt, die un¬ 
streitig einen äußerst wichtigen Einfluß auf den capillaren 
Blutlauf und namentlich auf die Höhe des Tonus dieser Ver¬ 
ästelungen haben müssen; das Eisen muß somit die Bedin¬ 
gungen der Diffusion zwischen ihnen und den die Gewebe und 
Organe zusammenstellenden Elementen verändern.“ — Wir 
werden später sehen, daß es Autoren gibt, welche bei Be¬ 
handlung der Frauenkrankheiten den therapeutischen Effect 
von einer Erhöhung des Stoffwechsels, andere von einer Besse¬ 
rung der Blutbeschaffenheit, dritte von der Eindickung des 
Blutes (durch Schwitzen) erwarten. Damit ich den Rahmen 
der vorgenommenen Aufgabe nicht überschreite, verweise ich 
auf ein beliebiges Handbuch der Balneologie, wo man lesen 
kann, daß die Mineralwässer von der Art der Franzensbader 
den Stoffwechsel anregen , die Blutbeschaffenheit verbessern 
und das Blut eindicken (durch Diurese). 

Durch das Angeführte ist die große Bedeutung, welche 
ich in der Behandlung der Frauenkrankheiten der Franzens¬ 
bader Trinkcur beimesse, wohl zur Genüge klargelegt. 

Der zweite Heilfactor in Franzensbad sind die Bäder. 
In der Behandlung der Frauenkrankheiten spielen die größte 
Rolle die Moorbäder. Die Moorfeider Franzensbads breiten 
sich 6 Qkm. aus. Wenn man dazu nimmt, daß die Moor¬ 
schichte stellenweise auch die Dicke von 2 Meter übertrifft, 
so wird man verstehen , daß dieses Moorlager unerschöpflich 
ist. Franzensbad hat deshalb keinen Grund, mit Moor zu 
sparen. 

Der neuesten Analyse des Franzensbader Moors, ausge¬ 
führt durch Prof. Ludwig , entnehme ich folgende Angaben: 
In frischem Moor findet man keine Schwefelsäure, kein 


schwefelsaures Eisen, sondern nur Schwefeleisen; in dem ver¬ 
witterten Moor dagegen gibt e3 kein Schwefeleisen mehr, 
sondern viel Schwefelsäure und schwefelsaures Eisen. Diese 
Stoffe bilden die charakteristischen Bestandtheile des Franzens¬ 
bader Moors. Ein dünnes Moorbad enthält 10‘16% schwefel¬ 
saures Eisen und 2'/ 2 % freie Schwefelsäure. Der Moor ent¬ 
hält noch in Alkalien lösliche Huminsubstanzen, Ameisensäure 
und andere flüchtige organische Säuren, Ammoniak, Phosphor- 
und Titansäure und Chlor; zuletzt auch eine hell grünlich¬ 
braune, harzartige Masse, bestehend aus einem Gemenge von 
organischen Substanzen, die nur in Aether löslich sind. Dieser 
letztgenannten Masse schreibt Gelman in dem Schlamm von 
Odessa eine therapeutische Bedeutung (in der Art des Ichthyols) 
zu. Die Moorbäder werden gewöhnlich von 26—30° R. Wärme 
und in der Dauer von 15—25' verordnet; die Temperatur 
und die Dauer werden allmälig gesteigert. Das Reinigungs¬ 
bad gibt man gewöhnlich um 1—2° wärmer und in der 
Dauer von 5'. Die Moorbehandlung setzt sich 1. aus dem 
Moorbade, 2. aus der Abgießung mit Mineralwasser, 3. aus 
dem Reinigungsbade, 4. aus der Abtrocknung zusammen. 
Nach der Abtrocknung kleidet sich die Kranke und ruht eine 
kurze Weile aus, falls sie es will, in der Chaiselongue; 
nachher begibt sie sich in die Wohnung, wo sie circa 1 Stunde 
liegen soll — ausgekleidet oder nicht —, allerdings aber ohne 
zu schwitzen. 

Die Verordnung der Bäder ist eine empirische. Dieser 
Umstand darf zu einem Vorwurfe gegen die Franzensbader Aerzte 
keinen Anlaß geben; denn so erfolgt die Moorbehandlung 
auch in anderen Curorten der Welt, ja auch in Rußland, wo 
die Aerzte an dieser Frage viel gearbeitet haben. Daß es 
noch immer nicht gelungen ist, die Moorbehandlung wissen¬ 
schaftlich zu begründen, hat meiner Ansicht nach seinen Grund 
in folgenden Umständen: 1. Es ist nicht endgiltig erforscht 
worden, welche Bedeutung man in der Therapie den einzelnen 
Kräften des Moorbades (Temperatur, Masse, chemische Sub¬ 
stanzen, Elektricität u. s. w.) beimessen soll. 2. Es ist nicht 
endgiltig festgesetzt, welche Wirkung die Gesammtheit und 
welche jede einzelne dieser Kräfte auf gewisse physiologische 
Processe ausübt. 3. Ebensowenig ist es klargelegt, welche 
Bedeutung für den therapeutischen Erfolg die Beeinflussung 
dieses oder jenes physiologischen Processes hat. 4. Es ist auch 
unbekannt, welche Rolle die Individualität bei verschiedenen 
hydriatischen Heilproceduren einnimmt. 

(Fortsetzung folgt.) 


Referate. 

1. H. Senator (Berlin): Nierenkolik, Nierenblutung und 

Nephritis. 

2. Israel (Berlin): Nierenkolik, Nierenblutung und Ne¬ 

phritis. 

1. Nierenkolik und Nierenblutung haben im Laufe der Zeit ver¬ 
schiedene Deutung erfahren. In neuerer Zeit gewann die Anschauung 
Boden, daß es wirklich neuralgische Nierenschmerzen gebe und 
ebenso Nierenblutungen aus Nieren ohne anatomische Veränderung 
lediglich unter dem Einflüsse nervöser Störungen. Bei der ursprüng¬ 
lich zu diagnostischen Zwecken vorgenommenen Bloßlegung und 
Spaltung der Niere durch den Sectionsschnitt gelangte Israel in 
derartigen Fällen zu ganz unerwarteten Befunden und zu abweichenden 
Anschauungen in Bezug auf die Ursachen und die Behandlung der 
Nierenkolik und der Nierenblutung. Er meint, daß es sich in solchen 
Fällen, wenn keine andere Ursache aufzufinden ist, um acut con- 
gestive Schwellung und dadurch bedingte Spannung der Nieren¬ 
kapsel handle, welche durch Spaltung beseitigt werden. S. bekämpft 
nun einige Angaben Israel’s („Berl. klin. Wschr.“ 1902, Nr. 8). 
Die vorwiegend polemischen Erörterungen eignen sich nicht zur 
Wiedergabe im kurzen Referate. Seine Ausführungen zusammen¬ 
fassend, meint Verf., daß Entzündung der Niere als Ursache von 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 18. 


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Nephralgia liaematurica nicht bewiesen ist, daß die Spaltung der 
Niere kein Mittel dagegen ist und daß, wo die Bloßlegung mit oder 
ohne Spaltung geholfen hat, der Erfolg auf andere Umstände 
(Lösung von Verwachsungen, Anheftung der beweglichen Niere n. s.w.) 
zurückzuführen ist. Die diagnostische Bedeutung der Nierenspaltung 
wird dadurch nicht beeinträchtigt. — 

2. Erwiderung auf die Ausführungen von Senator. I. hat 
gefunden, daß bei der ganz überwiegenden Mehrzahl von Blutungen 
und Schmerzen, welche nicht auf eine der bereits bekannten Ur¬ 
sachen zurückgeführt werden konnten, entzündliche Processe der 
Niere vorhanden waren. Der Charakter dieser entzündlichen Pro¬ 
cesse war kein einheitlicher ; manchmal handelte es sich um ver¬ 
streute interstitielle Herde, manchmal um diffuse interstitielle oder 
parenchymatöse Nephriten, manchmal um Glomerulonephritis, 
manchmal um intensive Erkrankung nur eines an den Polenden 
gelegenen Abschnittes bei Intactheit der übrigen Niere. 

Die Coincidenz dieser Veränderungen mit den Erscheinungen 
von Blutungen und Schmerzanfällen mußte auf eine ätiologische 
Verknüpfung der anatomischen Befunde und der Symptome führen 
und das Gebiet der essentiellen Hämaturien und Nephralgien immer 
mehr einschränken. Als zufälliges Nebenproduct seiner Eingriffe 
hat I. gefunden, daß Blutungen und Koliken entzündlich veränderter 
Nieren durch Incision des Organs beseitigt werden können. Nur 
insoferne, als die wegen Schmerzen und Blutungen ausgeführten 
Nierenincisionen einen günstigen Einfluß auf andere nephritische 
Symptome, Albuminurie, Steigerung der Harnmenge, erkennen ließen, 
hat I. von einer günstigen Beeinflussung des nepbritischen Processes 
gesprochen („Deutsche med. Wschr.“, 1902, Nr. 9). Diese war 
niemals Zweck, sondern nur eine unerwartete Nebenfrucht der 
Operation. Wie diese heilende Wirkung der Incision bei Koliken 
und Blutungen zustandekommt, darüber ist zunächst nur eine theore¬ 
tische Vorstellung möglich. B. 


A. Käst (Breslau): Ueber lymphagoge Stoffe im Blut¬ 
serum Nierenkranker. 

Aus den Untersuchungen K.’s geht die Thatsache hervor, 
daß sich in dem Blute mancher ödematöser Nepliritiker Stoffe 
finden, nach deren Einführung in die Blutbahu eine Vermehrung 
der aus dem Ductus thoracicus ausströmenden Lymphe statthat. 
(„Festschrift für Küssmaul.“) 

Diese Erscheinung ist aufzufassen als Reizwirkung dieser 
Stoffe, sei es auf das Capillarendothel (Heidenhain), sei es auf 
andere bei der Lymphbildung betheiligte Factoren, bezw. Zellen. 
Die Reizwirkung ist zunächst nur für den gesunden Organismus 
der Thiere erwiesen. In welchen Fällen von Nierenleiden diese 
in ihrer chemischen Natur noch unbekannten Stoffe zu finden sind, 
ob sie insbesondere nur bei öderaatösen Nephritikern gefunden 
werden — wie es gerade in den obigen Untersuchungen der 
Fall war — könnte nur auf erheblich breiterer thatsächlicher 
Grundlage entschieden werden. B. 

Karewski (Berlin): Ueber G&llensteinileus. 

Fünf Krankengeschichten des Verf. spiegeln Geschichte und 
Entstehungsweise des Gallensteinileus in allen ihren Phasen und 
allen Ausgängen wider. („Deutsche med. Wschr.“, 1902, Nr. 10.) 
Wir sehen, daß Personen, die anscheinend früher niemals an Cho- 
lelithiasis gelitten oder solche vor so langer Zeit überstanden haben, 
daß die Erkrankung bereits in Vergessenheit gerathen ist, ebenso 
gut wie solche, die dauernd von Gallenkoliken geplagt werden, 
acut und unerwartet von Darmocclusion befallen werden können, 
als deren Ursache sich ein mehr oder minder großer Gallenstein, 
welcher in den Darm gerathen ist, enthüllt. Dieser kann offenbar 
wilhrend seiner Wanderung nach außen wiederholt eingeklemmt 
werden, so daß eine Zeit des wohl charakterisirten Ileus mit einer 
Periode vollen Wohlbefindens abwechselt. Er kann schließlich, ohne 
weiteren Schaden anzurichten , aus dem After entleert werden , er 
kann aber auch, ohne daß die Natur des Darmverschlusses in vivo 


eine Erklärung findet, zum Tode führen, so daß erst die Section 
den Sachverhalt aufklärt. Während der Passage durch den Tractus 
intestinalis kann zwar jede Schädigung der Darmwand fehlen, es 
können aber auch frühzeitig schwere peritonitische Erscheinungen 
auftreten, die als eine Folge ulceröser Schleimhautprocesse ange¬ 
sehen werden müssen, da Perforation der Darmwand den Tod an 
foudroyanter Peritonitis verursacht oder Absceßbildung oder Aus¬ 
gang in chronische adhäsive Peritonitis zustande kommt. In beiden 
Fällen gelangt der Stein in die Bauchhöhle und bleibt hier liegen, 
sofern nicht eine Auseiterung durch die Bauchwanu folgt. Alsdann 
kann sich ein Zustand chronischer Darmstenose mit recidivirenden 
Ileusanfällen ausbilden. B. 

F. Perutz (Heidelberg): Ein Beitrag zur Behandlung 
schwerer Anämien gastro-intestinalen Ursprungs. 

Verf. berichtet über einen einschlägigen Fall („Münch, med. 
Wschr.“, 1902, Nr. 3). Es handelte sich um einen 53jährigen Mann, 
welcher seit Jahren magen- und darmleidend war, auch einmal eine 
larvirte Malaria durchgeraacht hatte; er war schließlich sehr elend 
geworden, hatte seinen Dienst quittiren müssen und bot, als er im 
Juni 1900 in Behandlung trat, das Bild einer schweren Blut¬ 
erkrankung; Blässe, Hinfälligkeit, Anfälle von Herzschwäche, Herab¬ 
setzung des Iläraoglobingehaltes auf 50% bei beginnender Poikilo- 
cytose. Zunächst wurde durch die Behandlung Besserung erzielt, 
dieselbe hielt aber nur wenige Monate an. Als Pat. im April 1901 
von neuem in Behandlung trat, hatte sich sein Leiden erheblich 
verschlimmert. Der Hämoglobingehalt war auf 20°/o gesunken, das 
Blut bot das ausgeprägte Bild der Poikilocytose. Der hydrämische 
Zustand des Blutes im Verein mit der Herzschwäche führte zu 
lebensbedrohenden Transsudaten in den Körperhöhlen, Stauungsbron¬ 
chitis und ausgebreiteten Oedemen; am Herzen hörte man laute anä¬ 
mische Geräusche bei Verbreiterung seiner Grenzen, die Leber war 
vergrößert, im Urin nehen Spuren von Albumen Urobilin, reichliche 
Mengen von Indican. Verhältnißmäßig i^asch gingen alle diese Er¬ 
scheinungen im Laufe der Behandlung zurück und Pat. konnte im 
Juli gebessert entlassen werden; der Hämoglobingehalt war auf 
50% gestiegen. Nach einigen Monaten hatte sich das Befinden 
weiter gebessert; der Hämoglobingehalt war auf 80% gestiegen, 
es bestand keine Poikilocytose mehr. Die Herztöne waren rein, 
der Organbefund sonst normal, Urin frei von Albumen. Während 
der Behandlung beherrschten neben der allgemeinen Schwäche die 
Symptome von Seiten der Verdauungsorgane: Erbrechen, Uebclkeit, 
Appetitlosigkeit, Durchfall wechselnd mit Obstipation, das Bild. 
Die öfters vorgenommene Untersuchung des Mageninhaltes ergab 
jedesmal Fehlen der Salzsäure und des Pepsins, was auf atrophische 
Processe der Magenschleimhaut deutete; außerdem sprach die Be¬ 
schaffenheit der Stühle für Störungen im Darm. Es war deswegen 
von vorneherein wahrscheinlich, daß die schwere Anämie durch die 
Magendarmerkrankung bedingt war. Dementsprechend wurde fol¬ 
gende Behandlung gewählt: Regelmäßige Magen- und Darmspülungen, 
außerdem Salzbrunner Oberbrunnen und kleine Dosen Salzsäure in 
Wasser, daneben Eingießung einer Mischung von Hafergrütze mit 
Ei durch die Sonde. Durch die Darmspülungen wurde der Darm 
von den zersetzten Massen befreit, eine weitere Resorption schäd¬ 
licher Producte vermieden und eine bessere Ausnützung der einge¬ 
führten Nahrung angestrebt. Später war die Behandlung rein diäte¬ 
tisch, weißes Fleisch, Breie, leichte Mehlspeisen wurden gereicht, 
im Anfänge die Kohlehydrate bevorzugt, daneben Fett, als Rahm 
und Butter gereicht ; erst als der Widerwille gegen Fleisch nach¬ 
ließ, wurde es in größeren Quantitäten gegeben. Um den sehr dar¬ 
niederliegenden Appetit anzuregen, wurden pikante Delicatessen 
(Häring, Anchovis) in kleineren Mengen der Hauptmahlzeit voraus¬ 
geschickt ; auch Liebig’s Fleischextract, % Theelöffel in warmem 
Wasser verrührt und kurz vor dem Essen genommen, that gute 
Dienste. Ganz zuletzt wurden Roborantia verordnet. B. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 18. 


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SlMERKA (Prag): Ueber PBeudomeningitis. 

Die Meningitissymptome können nicht direct durch die 
pathologischen Veränderungen der Hirnhüllen erklärt werden, 
sondern durch die gleichzeitige Erkrankung des Gehirnes, indem 
am Anfänge erhöhte Reizbarkeit, später Schlaffheit und verschiedene 
locale Läsionen hervorgerufen werden. Deswegen muß auch die 
Intensität der meningealen Symptome mit der Intensität der Ver¬ 
änderungen an den Hirnhüllen nicht im Einklänge stehen und 
sie können theils bei bestimmten Veränderungen gering sein, thcils 
können Meningitissymptome hervorgernfen werden, ohne daß die 
Hüllen verändert wären. Aehnliche Fälle werden als „Pseudo¬ 
meningitis“ oder „Meningiome“ oder „Meningitis ohne Meningitis“ 
bezeichnet, Auf Grund eines Materiales von 5 Fällen glaubt Verf. 
(„Z. II. klin. Ick., Lek. präce a sdeleni II.“), daß diese Pseudo¬ 
meningitis durch toxische Producte verschiedener Bakterien ver¬ 
ursacht werde. Stock. 

Gamalle: Ueber einen Fall von Tollwuth beim Men¬ 
schen nach heftigem Erschrecken mit einem 
Incubationsstadium von 10 Monaten. 

In den gangbaren Lehrbüchern der speciellen Pathologie und 
Therapie wird als das längste Incubationsstadium bei Tollwuth 
die Zeit von 6 Monaten angegeben. Verf. berichtet nun („Wrat- 
schebnaja Gazeta“, 1901, Nr. 40) über einen von ihm beobachteten 
Fall, in dem das Incubationsstadium 10 Monate betragen hat. 
Dieser Fall ist zugleich wegen des Momentes, der die Veranlassung 
zum Ausbruch der Krankheit gab, außerordentlich interessant. 
Am 27. Juli 1900 wurde eine aus Vater und 2 Töchtern im Alter 
von 19, bezw. 13 Jahren bestehende Familie von einem an Toll¬ 
wuth erkrankten Hunde gebissen. Vom 2.—14. August machten 
die Gebissenen eine Pasteurcur im Pasteurinstitut zu Wilna durch. 
Die Cur hatte anscheinend günstigen Erfolg, denn es erkrankte 
bis zum 19. Mai 1. J. keiner der 3 Verletzten: alle waren voll¬ 
kommen gesund und gingen ihrer gewöhnlichen Beschäftigung 
nach. Am 19. Mai begab sich die ältere Tochter nach der circa 
3 Km. entfernt liegenden Stadt und schlug, um den Weg zu kürzen, 
einen Feldweg ein. Ungefähr 1 Km. von dem Städtchen stieß das 
Mädchen auf folgendes entsetzliche Bild: 4 Männer schlugen auf 
einen fünften ein, der blutüberströmt auf dem Boden lag. Das 
Mädchen erschrak fürchterlich und ergriff die Flucht in der 
Richtung zur Stadt. Als es sich im Laufen einmal umsah, bemerkte 
das Mädchen, daß die 4 Männer von ihrem Opfer gelassen hatten 
und ihm nachsetzten. Das Mädchen nahm nun all ihre Kraft 
zusammen und raste, aus Leibeskräften schreiend, wie wahnsinnig 
zur Stadt. Es glückte ihr, die Stadt zu erreichen, sie war aber, 
als sie ihr Ziel erreicht hatte, hochgradig erschöpft und schrecklich 
blaß. Am folgenden Tage bemerkte sie, daß ihr das Schlucken 
einigermaßen schwer falle; die Angehörigen führten dies darauf 
zurück, daß das verfolgte Mädchen stark schrie. Am nächst¬ 
folgenden Tage (am 21. Mai) war das Mädchen unruhig und auf¬ 
geregt, was von den Angehörigen gleichfalls auf den überstandenen 
Schreck zurückgeführt wurde. Innerhalb der nächsten 3 Tage 
entwickelte sich jedoch bei dem Mädchen das typische Bild der 
Hydrophobie: die Erschwerung des Schluckens ging in vollständige 
Aufhebung des Schluckvermögens über, die Unruhe in hochgradigste 
Aufregung; es kamen Delirien, Angst, Krämpfe und unaufhörliches 
Speien hinzu. Die Kranke versuchte immer aufzuspringen und 
fortznlaufen, so daß der Vater gezwungen war, sie festzuhalten. 
Verf. sah die Kranke am 27. Mai und fand das Bild der Toll¬ 
wuth in höchstem Grade entwickelt. An der Kranken war bereits 
Cyanose zu sehen, die als Zeichen der herannahenden Asphyxie, 
welche bei Tollwuth die nächste Todesursache abzugeben pflegt, 
gedeutet werden konnte. Verf. theilte dies den Angehörigen mit, 
und in der That verstarb die Kranke nach einigen Stunden im 
Collaps. 

Aus dem vorstehenden Falle ergibt sich mit absoluter Sicher¬ 
heit, daß das Gift der Tollwuth außerordentlich widerstandsfähig 
ist und im menschlichen Organismus 10 Monate verbleiben kann, 
ohne seine Virulenz cinzubüßen. Auch vor der Einführung der 


PASTEUR’schen Injectionen wurden Fälle von Hydrophobie mit 
einem Incubationsstadium von einigen Monaten veröffentlicht, ohne 
daß jedoch auf die Umstände hingewiesen wurde, welche die Er¬ 
krankung begünstigen. Der vorstehende Fall, sowie ein weiterer 
Fall aus der Praxis des Verf.’s (in diesem Falle handelt es sich 
um einen von einem an Tollwuth erkrankten Hunde gebissenen 
Knaben, der nach durchgeführter Pasteurcur 4 Monate nach der 
Verletzung gerade im Stadium der Reconvalescenz nach Scharlach 
an Tollwuth erkrankte), zeigen, daß das Gift der Tollwuth ebenso 
wie die übrigen organisirten Krankheitserreger ihre Wirkung ganz 
besonders dann zu entfalten vermögen, wenn der Organismus, in 
dem sie circuliren , durch irgendwelche Ursachen geschwächt ist. 
Die PASTEUR’schen Injectionen geben zweifellos günstige Resultate, 
indem sie die Production des Antitoxins fördern. Nun ist es aber die 
Frage, ob nicht die Virulenz des Giftes der Tollwuth die prophy¬ 
laktische Kraft der Impfungen überlebt, und ob cs nicht nöthig 
wäre, die Impfungen nach einem gewissen Zeitabschnitt zu wieder¬ 
holen, ganz besonders wenn das gebissene Individuum irgendwelchen 
ungünstigen Momenten, die den Organismus zu schwächen ver¬ 
mögen, ausgesetzt war. L—y. 


Heveroch (Prag): Ueber Stereoagnosie. 

Die Fähigkeit Gegenstände durch Betastung zu erkennen, 
wurde von Dercum als Stereoagnosis, die Unfähigkeit hiezu als 
Astereognosis oder besser Stereoagnosis bezeichnet. Es ist dies ein 
complicirter Seelenvorgang, der zu einem complicirten Erkenntniß 
führt. An der Herstellung dieser Erkenntniß betheiligen sich ver¬ 
schiedene Quantitäten der Haut- und Muskelempfindung. Verf. 
fand bei der Untersuchung eines Gehirntumors, daß der Pat. an 
Stereoagnosie bei sonst geringfügigen Sensibilitätsstörungen litt, und 
um sich zu überzeugen, ob die Stereoagnosie nur bei Hirnrinde¬ 
processen des centralen Hirngewindes vorhanden ist, prüfte er die 
Stereoagnosie bei verschiedenen Gehirn-, Rückenmarks- und peri¬ 
pheren Nervenerkrankungen und Psychosen und kam zu folgenden 
Schlußfolgerungen („Z II. klin. 16k., klin. präce a sd61eni II“) : 
1. Die Stereoagnosie ist keine ausschließliche Krankheit der Hirn¬ 
rindestörungen. 2. Die Stereoagnosie begleitet manchmal eine Läsion 
aller Empfindungsqualitäten, aber eher der Muskel- als Hautempfin¬ 
dungen. 3. Die Stereoagnosie kann auch bei ganz kleiner Motilität 
erhalten bleiben. 4. Bei der Stereoagnosie sind die Kranken auch 
im Anfassen der Gegenstände ungeschickt. 5. Bei progressiver 
Paralyse fand Verf. die Stereoagnosie zwar nicht, ist aber über¬ 
zeugt, daß sie gefunden werden könnte. Stock. 


M. Joseph und Piorkowski (Berlin): Beitrag zur Lehre von 
den Syphilisbacillen. 

Verff. gingen von der Thatsache aus, daß ein syphilitisch 
inficirter, scheinbar gesunder, symptomfreier Mann eine gesunde 
Frau zu inficiren vermag, wenn er sie befruchtet. Im Sperma 
scheint sich also das Syphilisvirus besonders lange virulent zu er¬ 
halten. Sie impften nun Sperma Syphilitischer auf normale sterile 
Placenta, und thatsächlich gingen thautröpfchenähnliche Colonien 
auf, die aus Stäbchen bestanden. („Berl klin. Wschr.“, 1902, 
Nr. 12 u. 13). Diese sind plump, zumeist an einem Ende kolbig 
verdickt, sehr häufig körnerartig degenerirt, 4—8 p. lang, 0'2 bis 
0‘3 p. dick, staketenförmig angeordnet. Dieser Befund konnte bisher 
in 22 Fällen (die Zeit von der Infection bis zur Untersuchung 
schwankte von 5 Wochen bis zu 2 Jahren) erhoben werden. Bei 
3 gesunden Männern wurden die Bacillen nicht gefunden. Ebenso 
wenig fanden sich dieselben in 4 Fällen vor, die dem Spätstadium 
der Syphilis angebörten (3 —10 Jahre post infectionem). 

Die Verff. bringen ihre jedenfalls interessanten Befunde mit 
aller nöthigen Reserve zur Kenntniß und fordern zur Nachprüfung 
derselben auf. Grosz. 


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Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 2 bis 
3 Bogen Groß-Quart-Format stark. Als regelmäßige Beilagen 
erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ nnd die „Wiener 
Klinik“, letztere, selbständig geleitet, allmonatlich im durch¬ 
schnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon-Format. — Abonne¬ 
ments- nnd Insertionsaufträge sind an die Administration der 
„Wiener Medizinischen Presse“ in Wien, I., Maximilian¬ 
straße Nr. 4, zu richten. Für die Redaction bestimmte Zuschriften 
sind zu adressiren an Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Deutsch¬ 
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ärztliche Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 20 K., 
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der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien, I., Maximilianstr. Nr. 4. 


Militär ärztliche Zeitung. 


Beilage zur „Wiener Medizinischen Presse“ 1902, Nr. 18. 


INHALT: Die Schußwunden und ihre Behandlung im Burenkrieg. Von Regimentsarzt Dr. Heinrich Freund, Chefarzt des Infanterie-Regiments Nr. 74. II. — 
Referate. Oberstabsarzt Düms (Leipzig): Epileptische Dämmerzustände bei Soldaten. — Stabsarzt Neuburger (Groß-Lichterfelde): Ein Fall von 
habitueller Luxation einer Beugesehne am Fuß nach Trauma. — Oberstabsarzt Hoffmann (Rostock): Zwei Fälle von Exercirknochen im linken 
Oberarm. — J. Kopriwa (Laibach): Die Typhusepidemie in der städtischen Artilleriekaserne in Laibach. — A. Hildebuandt : Beobachtungen über 
die Wirkungen des kleincalibrigen Geschosses aus dem Burenkrieg 18J9 — L9i)). — Literarische Anzeigen. Gesundheitspflege auf Kriegsschiffen. 

Von Dr. Arthur Plumert, k. k. Linienschiffsarzt. — Die Krankheiten im Feldzuge gegen Rußland (1812). Eine geschichtlich-medicinische Studie 
von Dr. Wilhelm Ebstein, Geh. Medicinalrath und o. ö. Professor der Medicin an der Universität in Göttingen. — Grundriß der Geschichte der 
Kriegschirurgie. Von Prof. Dr. Alb. Köhler, Oberstabsarzt. — Verhandlungen militärärztlicher Vereine. Wissenschaftlicher Verein der Militär¬ 
ärzte der Garnison Wien. (Orig.-Ber.) — Aus militärärztlichen Gesellschaften Deutschlands. (Orig.-Ber.) — Notizen. — Eingesendet. — Das Mai- 
Avancement. 


Die Schußwunden und ihre Behandlung im 
Burenkrieg. 

Von Regimentsarzt Dr. Heinrich Freund, Chefarzt des 
Infanterie-Regiments Nr. 74. 

II. 

Waren die Verletzungen von Gefäßen und Nerven mehr 
für den Fachchirurgen von Interesse, so zogen die Knochen¬ 
schußwunden schon wegen ihrer Häufigkeit die Hauptaufmerk¬ 
samkeit auf sich. Sie wurden beinahe in der Hälfte aller in 
Beobachtung und Behandlung gelangter Schußverletzungen 
constatirt. Ihr Charakter, im Frieden bereits genau studirt, 
ist von der Structur und Sprödigkeit des getrof¬ 
fenen Knochens, von der lebendigen Kraft und dem 
Einfallwinkel des Geschosses zunächst abhängig. 
Dementsprechend sind sie an den Diaphysen der Röhren¬ 
knochen anders als an deren spongiösen Gelenksenden (den 
Epiphysen) und an den platten und flachen Knochen. Schon 
Habart 9 ) hat festgestellt, daß an den Röhrenknochen meist 
Splitterbrüche Vorkommen, welche bei Nahschüssen aus¬ 
gedehnter sind und mit Zermalmung der Knochensplitter zu 
Knochengrus einhergehen; mit zunehmender Entfernung nehmen 
die Splitter an Größe zu, an Zahl ab. An den Epiphysen 
sind die Zerstörungen im allgemeinen geringer. Diese Er¬ 
fahrungen wurden im allgemeinen in Südafrika bestätigt und 
durch das zum erstenmal systematisch angewandteRoentgenisiren 
der Knochenschüsse erweitert. So stellte dadurch Küttner l0 ) fest, 
daß an den Diaphysen der Röhren¬ 
knochen Splitterbrüche die Regel 
waren, daß die Splitterungszone 
an den einzelnen Knochen in allen Distan¬ 
zen ziemlich gleiche Ausdehnung hatte. 

Diese Ausdehnung ist von der Festigkeit 
und Sprödigkeit der Knochen, 
von der Größe der Markräume ab¬ 
hängig, sie beträgt für den Oberschenkel 
12—14 Cm., das Schienbein 10 Cm., Hu¬ 
merus 9—10 Cm. Die Größe der Split¬ 
ter ist sehr wechselnd, bei Nahschüssen Fig. 4. 

kleiner als bei Fernsehüssen, der größte beobachtete Splitter 
war 13 5 Cm. lang (Fig. 21). Beim Fernschuß hängen 
diese Splitter meist mit der Beinhaut zusammen. Typisch 
für solche Fälle ist die Schmetterlingsfractur der 

p ) Hababt, Geschoßfrage der Gegenwart und ihre Wechselbeziehung zur 
Kriegschirurgie, 1890. 

10 ) Küttner, pag. 39. 


Diaphysen, d. h. es gehen von dem reconstruirten Schußcanal 
je 2 Bruchlinien nach oben und unten divergirend aus, so 
daß als Hauptsplitter 2 stumpfe A ausgesprengt werden, wie 
dies schematisch hier gezeichnet ist. Bei tiefen Rinnen¬ 
schüssen ist oft nur ein solcher Schmetterlingsflügel, wie man 
dies auf den herumgereichten Roentgenbildern sieht, entwickelt. 
Manchmal werden diese Splitter durch die Beinhaut noch fest 
zusammengehalten , so daß man dann nur tiefe, oft bis ins 
benachbarte Gelenk ziehende Fissuren am Roentgenbilde bemerkt. 
Auffallend war bei allen Knochenverletzungen das schon 
früher erwähnte St ec k en b lei b en von Geschossen und 
Geschoßth eilen, das auf den Photographien ersehen werden 
kann. Sehen wir doch z. B. in einer Figur schon in 180 Meter 
Entfernung ein Mausergeschoß den Oberschenkelknochen zer¬ 
schmetternd in den Weichtheilen desselben stecken bleiben. 

Neben den Splitterbrüchen kommen bei oberflächlichen 
Streifschüssen auch Schräg- und Querbrüche zustande, 
wie aus anderen Figuren zu ersehen ist, gewöhnlich sind sie 
jedoch von Splitterung begleitet. Doch auch oberflächliche 
Rinnenschüsse kommen bei Tangentialschüssen in den 
Diaphysen vor, wie ein Fall von Hildebrandt beweist. Er sagt: 

Ein Rillenschuß der Diaphyse des Humerus an der 
Grenze des oberen und mittleren Drittels konnte von mir 
gelegentlich einer zur Stillung einer Nachblutung vorgenom¬ 
menen Operation nachgewiesen werden. Die Rille war 2—3 Mm. 
tief, 4 Mm. weit. Es handelte sich um einen atypischen 
Schuß; ein Manteltheil des Geschosses wurde noch in den 
Weichtheilen aufgefunden. 

Neben den Rillenschüssen kamen auch sichere Fälle 
von Lochschüssen namentlich auf weitere Entfernung 
vor. Hieker gehört ein Fall von Hildebrandt, wo die Tibia 
bei einem Schuß aus angeblich 100 Meter Entfernung nicht 
fracturirt war, trotzdem das Projectil das Schienbein schräg 
durchsetzt haben mußte. Auch das Skiagramm zeigte keine 
Continuitätstrennung. n ) Meist sind aber auf den Roentgen- 
bildern die Schußcanäle in solchen Fällen, weil mit Knochen¬ 
grus erfüllt, nicht sichtbar. In den meisten Fällen scheint es 
sich übrigens um durch die Beinhaut zusammengehaltene 
Splitter zu handeln. 

Was die Schußfracturen der Epiphysen anlangt, 
so sind sie umso gutartiger je näher am Gelenk sie sitzen. 
Hier istderLoch-, respective der Rillenschuß die 
Regel, doch hängt dies sehr von der Beschaffenheit der ein¬ 
zelnen Knochen ab, indem am unteren Ende des Oberarm¬ 
knochens und der Tibia eben Splitterbrüche die Regel sind, 


*') Uildebrandt, pag. 55. 



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27 


Allgemeine Militärärztliche Zeitung. 


28 


während am unteren Oberschenkelende sogar bei Nahschüssen 
Lochschüsse beobachtet wurden. So einen Befund machte z. B. 
Stabsarzt Dr. Malhiolius anläßlich der Operation eines Skandi¬ 
naviers, der auf 25 Meter Entfernung durch die obere Tibia- 
epiphyse geschossen war. Infection machte die Operation nöthig, 
bei der sich ein röhrenförmiger Schußcanal ergab. 

Die günstigsten Verhältnisse zeigen Schußbrüche der 
platten Knochen. Oft werden solche Knochenverletzungen 
ganz übersehen, Loch- und Rinnenschüsse bilden bei 
ihnen die Regel, davon strahlen gewöhnlich Fissuren aus. 

Mit Knochenschüssen oft combinirt sind die Gelenks¬ 
verletzungen. Ihr Charakter ist abhängig von der gleich¬ 
zeitigen Knochenverletzung. Den günstigsten Charakter 
trugen Schüsse aus mittlerer und weiter Entfernung, nament¬ 
lich des Kniegelenks, welches Hildebrandt llmal eröffnet fand, 
ohne daß schwerere Erkrankungen auftraten. Auch Gelenk¬ 
schüsse ohne Knochenverletzung wurden beobachtet, sie sind 
in bestimmten Winkelstellungen der Gelenke möglich (Stroh- 
MEYER’scher Winkel). Ueber einen solchen Fall berichtet Flocke¬ 
mann (pag. 141), wo ein Engländer beim Reiten durch das 
Kniegelenk geschossen wurde. Außer einer Durchlöcherung der 
Patella und Erguß ins Kniegelenk keine Knochenverletzung. 
Nach 14 Tagen bereits war wieder active Beugung und 
Streckung gut ausführbar. 

ln solchen wie in den übrigen Fällen waren die Be¬ 
schwerden nicht sehr groß, sie richtete sich meist nach der 
Größe des Blutergusses ins Gelenk. Der Verlauf war meist 
günstig, so sah Hildebrandt unter 28 Gelenkschüssen 24 glatt 
heilen. 

Aber auch die Prognose der übrigen Knochen¬ 
verletzungen war im allgemeinen sehr günstig. 
Alle Kriegschirurgen, die frühere Feldzüge mitgemacht, waren 
erstaunt über die glatte Heilung der Knochenschüsse. Welcher 
Unterschied gegen das Jahr 1870/71, wo kaum ein Knochen¬ 
schuß ohne Eiterung heilte, kaum ein Kniegelenk oder Ober¬ 
schenkelschuß ohne Amputation davonkam. 12 ) In diesem Kriege 
gab es nur bei vernachlässigten Knochenschüssen 
Eiterung, wie bei denen aus dem Lager von Paardeberg, 
die 10 Tage ohne Verband im strömenden Regen lagen; selbst 
Oberschenkelschüsse heilten ohne Eiterung. Die Heilung ging 
in den meisten Fällen so rasch wie bei einfachen Brüchen, 
auch wenn größere Splitterung vorhanden war. 

Daran freilich ist weniger die jetzt geringere Knochen¬ 
splitterung , als die völlig geänderte Behandlung schuld, 
v. Bergmann hat der erste im russisch-türkischen 
Kriege die conservative Behandlung der Schu߬ 
wunden betrieben. Er hat der erste gelehrt, alle Schu߬ 
wunden als nicht inficirte, subcutane zu betrachten, die bei 
einfacher Fernhaltung von Verunreinigung ziemlich sicher 
heilen. Er hat damit eine jener raedicinischen 
Großthaten vollführt, die in jedem Kriege Tau¬ 
senden und Abertausenden das Leben rettet 13 ), 
indem er das Sondiren, Untersuchen, Operiren, kurz jene 
Vielgescbäftigkeit, die früher herrschte, verbannte. Dadurch ist 
zugleich eine kolossale Vereinfachung der Behandlung ein¬ 
getreten, welche bei Knochenschüssen nur darin besteht, erstens 
die Wunden gegen Infection zu schützen und zweitens 
das Glied ruhigzustellen. Und darum ist meist der 
erste Verband entscheidend für das fernere Schicksal des 
Verwundeten. Dafür war der Feldzug in Südafrika ein glän¬ 
zender Beweis, denn bei den deutschen Ambulanzen, wo diese 
Methode geübt wurde, heilten selbst complicirte Knochen¬ 
verletzungen glatt, anders bei den Engländern, wo im Anfang 
die alte Vielgeschäftigkeit herrschte. 

Wichtiger beinahe als die Knochenverletzung ist die sie 
begleitende Weichtheilwunde, indem bei großen Ein- 
und Ausschüssen in der angrenzenden Knochenzertrümme- 


12 ) Siete Bericht des deutschen Heeres. 

13 ) Küttnkr, pag. 39. 


rungshöhle sehr oft Infection mit consecutiver 
Eiterung eintritt. Bei solchen Wunden ist es, wo allein 
die frühere operative Behandlung, das sogenannte De bri¬ 
dement der Wunden, noch zu Recht besteht, indem durch 
Abschneiden der Weichtheilfetzen, durch Entnahme der losen 
Knochensplitter für Abfluß der Secrete gesorgt wird. 

Neben dem primären anti- oder aseptischen Verband 
war dann eine g ute Immob il isirung und ein schonen¬ 
der Transport die Hauptsache. Als einfachste Art der 
Ruhigstellung erwies sich der Gypsverband und der 
Schusterspahn verband mit Kleisterbinden (v. Esmarch), den 
die Schienenverbände nicht zu ersetzen vermögen, da man 
für jedes Glied eine eigene Schiene besitzen müßte. Für ver¬ 
schiedene Brüche, namentlich die des Oberschenkels, kommt 
auch der Streckverband unserer Friedenspraxis in Frage. 
Thatsächlich benützen auch die Engländer für die Fälle, in 
denen man sonst eine Gypshose vom Becken bis zum Sprung¬ 
gelenk anlegte, wenn die Zeit dazu mangelt, die Hodgens’ sehe 
Schiene, die Sie hier vor sich sehen. Sonst erfordert aber 
eine solche Behandlung meist ein gutes, sicheres Lager, welches 
in Kriegslazarethen meist nicht zu haben ist. 

Was die Heilungsdauer anlangt, war sie je nach 
der Art des getroffenen Knochens, nach der Ausdehnung der 
Splitterung verschieden. Jedenfalls ist es wohlangebracht, den 
Stützverband oft Monat e liegen zu lassen, da bei großer 
Dislocation die verheilten Stellen bei relativ geringer Gewalt¬ 
einwirkung wieder brechen. So sah K. nach 4 Monaten den 
in Figur 13 abgebildeten Bruch des Schienbeins durch Fall 
des Patienten wieder entstehen. 

Die Knochenverletzungen sind natürlich häufig 
complicirt durch Verletzung innerer edler Organe. Dies 
ist immer der Fall bei Schädelschüssen, die deshalb 
und wegen der complicirenden Gehirnverletzungen 
eine Ausnahmsstellung unter den Knochenschüssen einnehmen. 

Schädelschüsse waren bei den Engländern relativ 
häufig, weil die Buren in der Nähe nur auf den Kopf zielten; 
sie hatten auch die meisten Todten zur Folge. Bei Nah¬ 
schüssen, die uns aus der Friedenspraxis geläufig sind, 
sieht man meist große Ein- und Ausschüsse; unter der viel¬ 
fach zerrissenen Kopfschwarte scheppert die völlig zer¬ 
schmetterte Schädeldecke wie ein Sack mit zerbrochenen Nu߬ 
schalen. Wachst die Entfernung bis gegen 100 Meter, so sieht 
man meist zwar noch die Splitterung des Ein- und Aus¬ 
schusses in einander übergehen, diese Splitterungszonen sind 
aber bereits von einander zu unterscheiden; die Bruchlinien 
gehen von den Schußöffnungen radiär nach allen Rich¬ 
tungen, aber auch circulär wie ein Netzwerk, das den 
Spinnweben vergleichbar ist. Bei wachsender Entfernung 
trennen sich die Splitterungsbezirke und bilden dann in den 
großen Distanzen nur feine, radiär ausstrahlende Fissuren. 

Merkwürdig war im südafrikanischen Feldzug, wie viele 
Schädelschüsse noch in die Spitalsbehandlung kamen. Meist 
trat bei denselben schon auf dem Schlachtfeld Bewußtlosigkeit 
ein, doch berichtet Hildebrandt mehrere andere Fälle (pag. 45). 

So konnte ein auf weite Entfernung durch beide Schläfen 
geschossener Franzose das Geschütz noch weiter bedienen. 
Ein junger Bure vermochte trotz seines Streifschusses des 
Schädels noch weiter zu feuern, bis er unter beiderseitiger 
Lähmung der unteren Extremitäten zusammenbrach. Im Spital 
liegen diese Verwundeten meist apathisch da, machen unter 
sich, reagiren nur auf starkes Anrufen. Viele zeigen Puls¬ 
verlangsamung , manche zeitweise Krämpfe und Erbrechen, 
andere deliriren und toben, die wenigsten sind klar und be¬ 
sinnlich. 

Die Tangentialschüsse, die leichteste Form des 
Schädelschusses, haben gewöhnlich Splitterung des Knochens mit 
entsprechender Gehirnverletzung zur Folge; einen Ausnahms¬ 
fall erzählt Wieting (pag. 125), wo ein Schuß aus 150 Yard 
Entfernung über dem linken Ohrensatz auf 1 Cm. das Schädel¬ 
dach streifte und nur mehrtägiges Schädelbrummen verursachte. 


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Allgemeine Militärärztliche Zeitung. 


30 


Die Streifschüsse sind charakterisirt durch massenhafte 
Absprengung großer und kleiner Knochensplitter, unter der¬ 
selben findet man dann eine Zertrümmerungshöhle des Gehirns, 
in welcher diese Splitter liegen. Sie geben meist zur Infection 
und Eiterung des Gehirns Anlaß. So sah Hildebrandt in seinen 
13 Fällen von Schädelstreifschuß immer die Bildung 
von Gehirnabscessen eintreten. 

Die Knochenverletzung vermindert sich mit dem senk¬ 
rechteren Auftreffen des Geschosses und der wachsenden Ent¬ 
fernung ; doch sind dabei gewöhnlich wieder größere Hirn- 
theile durchsetzt, lebenswichtige Theile verletzt, weshalb sie 
doch seltener als Streifschüsse in Spitalsbehandlung treten. 

Die Prognose war insoferne besser, als man erwartete, 
da es sich nicht bewahrheitete, daß alle Schüsse aus weniger 
als 200 Meter Entfernung tödtlich seien, freilich gingen noch 
viele Schädelschüsse in den Feldspitälern an complicirender 
Infection zugrunde. 

Die Behandlung war im Anfang nicht einheitlich. 
Die englischen Chirurgen trepanirten, dem Vorschläge von 
Treves folgend, alle Schädelschüsse, die ihnen noch lebend in 
die Hände fielen, womöglich gleich am Schlachtfelde. Ihre 
Resultate waren schlecht, meist kam es zur Infection, nur 
wenige blieben trotz der Operation am Leben. Im allgemeinen 
kam man bald zur Erkenntniß, daß die Schädelwunden im 
Princip nicht anders zu behandeln sind als die complicirten 
Knochenschüsse. Eine Indication zum Eingreifen geben nur 
lebensgefährliche Zustände. Doch haben diese Operationen 
sowie jene bei drohender Infection und Gehirnabsceß nur in 
den geordneten Verhältnissen eines Feldspitals Aussicht auf 
Erfolg. Freilich ist der Transport dahin oft ein Todes- 
urtheil für solche Verwundete. Küttner erzählt: Ein Bure, 
der vollständig klar in scheinbar befriedigendem Zustande 
bei Paardeberg auf den Ambulanzwagen gehoben wurde, kam 
nach zwölfstiindigem Transporte sterbend in Jacobsdal an. 
Als wir den Verband abnahmen, fanden wir ihn vollständig 
angefüllt mit blutigem Gehirnbrei. Es ist also womöglich 
eine mehrtägige Ruhe in der Nähe des Schlachtfeldes und eine 
rationelle Behandlung unter günstigen hygienischen Verhält¬ 
nissen das Pium desiderium des Sehädelschusses. 

Noch trauriger als diese sind jedoch die V erletzun gen 
der Wirbelsäule und des Rückenmarks durch 
Schuß. Keine Verletzung repräsentirt mehr Jammer und 
Elend. Die Verletzten findet man meist hilflos, an der unteren 
Körperhälfte gelähmt, sie sind gewöhnlich verloren, aber der 
Tod tritt erst unter großen Schmerzen nach Wochen und 
Monaten ein. Alle 8 Fälle Küttner’ s und 4 Flockemann’s starben. 
Dabei ist es gleichgiltig, ob das Rückenmark selbst getroffen 
oder von splitternden Knochentheilen zerquetscht ist. Die 
Lähmungen sind meist unheilbar, Operationen unnütz, weil 
das Mark bereits dauernden Schaden genommen hat, wie eine 
Section von Flockemann beweist. 

Hoffnungsreicher als diese, die traurigsten Bilder der 
Kriegsverletzungen, waren die Brustschüsse. Sie nehmen 
in den meisten Fällen einen überraschend guten Verlauf. 
Schüsse natürlich, die das Herz oder die großen Blut¬ 
gefäße betrafen, endeten in den meisten Fällen tödtlich. 
Ich sage in den meisten Fällen, weil eine Zahl von Verletzungen 
beschrieben ist, wo nach der Lage des Einschusses das Herz 
verletzt sein mußte und die Getroffenen mit dem Leben davon¬ 
kamen. Daß Herz wunden heilen können, wissen wir übrigens 
aus der Frie<3enspraxis, und im Marburger pathologisch-ana¬ 
tomischen Museum ist ein Herz mit verheilter Schußwunde, 
welches zeigt, daß Herzwunden heilen können. . 

Prognostisch natürlich viel günstiger als die Herz¬ 
sind die Lungenschüsse. Alle Autoren waren überrascht, 
dieselben oft in 10—14 Tagen meist ohne Folgezustände 
heilen zu sehen. Freilich darf nicht vergessen werden, 
daß gewiß ein Theil von Brustschüsse% durch innere Ver¬ 
blutung am Schlachtfelde bleibt, was ja schon die Friedens¬ 
praxis lehrt und wovon wir selbst mehrere Beispiele kennen. 


Sie erinnern sich des Falles im Vorjahr, wo ein Soldat mit 
seinem Dienstgewehr ein Mädchen und ihren Begleiter anschoß; 
beide hatten Brustwunden und starben, bevor Hilfe herbeikam, 
an innerer Verblutung. 

Die Erscheinungen, welche die Lungenschüsse machen, 
sind meist gering, der Getroffene verspürt meist einen Stich 
in der Brust, gewöhnlich ohne hinzufallen. Die Getroffenen 
kamen auch meist ohne Hilfe, Blut auswerfend, auf den Verband¬ 
platz. Die Athemnoth, bei manchen nur gering, ist in der Regel 
(80% der Fälle) hochgradig, indem der Bluterguß im Brust¬ 
fellsack sich meist über die Hälfte des Brustraums erstreckt; 
Bluthusten tritt ungefähr in der Hälfte der Fälle ein, ist 
von sehr verschiedener Intensität, Pneumothorax fehlt meist, 
da die glatten Schußcanäle in den Lungen sich mit Blut aus¬ 
füllen. Hautemphysem im Ausschuß war relativ selten (7mal 
unter 38 Fällen, Hildebrandt); als Complicationen kamen kurz 
dauernde Lungenentzündungen und Blutinfiltration der Lunge 
und Empyeme bei vernachlässigten Brustwunden mit großen 
Ausschüssen vor. 

Sehr bedenklich sind Nachblutungen, welche oft tödtlich 
enden, Hildebrandt sah 3 solcher Fälle und Küttner erzählt 
einen Fall. 

Die Behandlung ist einfach conservativ. 

Wohl die größte Ueberraschung haben die 
Bauchschüsse gebracht. Vor dem Kriege wurde nämlich 
von den tüchtigsten Chirurgen die Frage discutirt, ob der 
Bauchschnitt (Laparotomie) nicht am Schlachtfelde oder in 
dessen Nähe als lebensrettend ausführbar sein werde. Für den¬ 
selben sprechen die Fälle der Friedensprnxis, da z. B. Prof. 
Wölfler vor mehreren Jahren einen Revolverschuß des Bauches, 
der 18 Durchbohrungen am Darm erzeugt hatte, glücklich 
operirte; andere Fälle freilich, wie der bekannte des Präsidenten 
Mac Kinley, verliefen weniger glücklich. Auch die Kriegs¬ 
statistiken , die den Bauchschuß als die gefährlichste aller 
Schußwunden kennzeichnen, sprachen für die Operation. Starben 
doch im Jahre 1870/71 69'4%, im nordamerikanischen Kriege 
88'5%. in Tonking 75% der expectativ behandelten Falle, 
und in Bosnien kam kein Fall von Bauchschuß ins Feldspital; 
dagegen sah Coley im Nordamerikanischen Kriege 43%, Lüche 
sogar 49% der Operirten genesen. Dies schien für die Lapa¬ 
rotomie bei frischen Fällen zu sprechen. Wer freilich den 
Apparat kennt, der für eine solche Operation in Bewegung 
gesetzt werden muß, wer weiß, mit welcher Sorgfalt alles 
gekocht und keimfrei gemacht werden muß, der kennt die 
Schwierigkeiten, die sich einer solchen Operation, wenn sie Aus¬ 
sicht auf Erfolg haben soll, am Verbandplatz entgegenstellen. 
Deshalb erhoben sich Stimmen hervorragender Chirurgen 
(Bardeleben und Beck) gegen die Ausführung der Operation 
am Verbandplatz, und Richter erklärt es direct als 
Verbrechen, 2 Stunden im Felde bei einem Bauch¬ 
schnitt mit höchst zweifelhaftem Ausgang zu 
verweilen, während man in derselben Zeit mit einfachen 
Maßregeln einer großen Anzahl von Verwundeten das Leben 
retten könnte. Die Praxis in Südafrika hat diesen Chirurgen 
Recht gegeben und Mac Cormac konnte schon vor dem Ent¬ 
sätze von Kimberley cum grano salis den Ausspruch thun: 
Ein durch den Bauch Geschossener stirbt in diesem Kriege, 
wenn man ihn operirt, und bleibt am Leben, wenn man ihn 
in Ruhe läßt. 14 ) 

Freilich waren die äußeren Umstände in Südafrika für 
die Operation recht ungünstig. Man mußte meist in dürftigen 
Hütten operiren, die hervorgezogenen Därme wurden sofort 
schwarz von Fliegen und die furchtbaren Sandstürme erfüllten 
die geöffnete Bauchhöhle mit Flugsand (Treves). So kam es, 
daß selbst die operationsfreudigen Engländer von der Operation 
abließen; da zeigte sich nun die merkwürdige That- 
sache, daß bei conservativer Behandlung die Hälfte und mehr 
aller solcher Verwundeter aufkam. Bei den Deutschen kamen 

,4 ) KOttnek, pag. 78. 

1* 


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Allgemeine Militärärztliche Zeitung. 


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von 37 solchen Verwundeten 21, also 56'7%, auf; bei den 
Engländern bis 60%. 

Die Ursache, warum die Bauchschüsse in vielen Fällen 
glatt heilen, liegt darin, daß die hydraulische Wirkung, welche 
zu großen Berstungen führt, nur an den gefüllten Därmen 
auftritt. 

Im Feldzug kommt der Soldat aber nüchtern zum Kampf, 
jedenfalls wird er ganz nüchtern bis zum entscheidenden An¬ 
griff, und seine Därme oft unfreiwillig leer. Da schlagen nun 
die Geschosse nur kleine lochförmige Defecte von unter Caliber- 
größe in die Darmwände. Diese werden aber durch Schleim- 
hautpfröpfe oft verschlossen. Dieser Verschluß, den Köttner 
bei Operationen direct beobachten konnte, hindert ebenso wie 
locale Verklebungen der Därme das Aussickern des Darm¬ 
inhaltes. Außerdem scheint das Kleincalibergeschoß öfter die 
Bauchhöhle zu durchqueren, ohne daß die Därme verletzt 
werden, wie an mehreren Fällen durch Section und Operation 
(Hildebrandt und Küttner) nachgewiesen wurde; Fälle, welche 
Habart noch als Curiosität bezeichnen konnte. 

Jedenfalls wird also im Zukunftskriege nach diesen Er¬ 
fahrungen die Laparotomie nur sehr vereinzelt vorge¬ 
nommen werden und dann nur unter den geordneten Verhält¬ 
nissen des Feldspitals bei später eintretender Peritonitis und 
eventuell bei inneren Blutungen auch am Verbandplatz, wenn 
soviel ärztliche Hände ohne Schaden für andere verfügbar 
sind. Im Allgemeinen wird die conservative The¬ 
rapie, in Buhe, Diät und Opium bestehend, die 
herrschende sein. Freilich ist es wichtig, solche Patienten 
möglichst wenig und schonend zu transportiren, 
damit durch Verklebungen und Schleimhautpfröpfe geschlossene 
Darm wunden nicht aufgerissen werden. Sah doch z. B. Treves 
alle Engländer mit Bauchschuß, die vom mühsam zu er¬ 
kletternden Spionskop heruntergebracht wurden, infolge des 
vielen Rüttelns sterben. 

* * 

* 

Fassen wir nun kurz diese Erfahrungen des südafrikani¬ 
schen Feldzuges zusammen, so ergibt sich: die Kleincaliber¬ 
geschosse machen einfachere Verwundungen als die 
früheren Hartbleigeschosse, und zwar kleinere Haut¬ 
öffnungen, einen glatten Schußcanal, vermeiden 
öfter wichtige Theile und bleiben seltener 
stecken. Dementsprechend vereinfacht sich auch die 
Behandlung; alles kommt auf den ersten Verband an. 
Derselbe ist deshalb nur von Aerzten anzulegen, weil 
das Hilfspersonal, zu wichtig thuender Vielgeschäftigkeit geneigt, 
an den Wunden manipulirt und dieselben inficirt. 

Sah doch Hildebrandt diese unverständige Geschäftig¬ 
keit so weit gehen, daß ein Ambulanzmann mit dem Taschen¬ 
messer vorgefallene Hirntheile abtrug. 

Operationen sind auf den Verbandplätzen sehr spär¬ 
lich geworden, vereinzelte Unterbindungen von Gefäßen, 
Tracheotomie, hie und da eine Trepanation, vielleicht 
sogar eine Laparotomie werden Vorkommen. Das 
Hauptfeld der operativen Thätigkeit wird bei den secun- 
dären Eiterungen in die Feldspitäler verlegt, sehr zum 
Nutzen der Verwundeten. 

Dadurch wird das ärztliche Personal entlastet und zu 
Verbänden Zeit gewinnen. Eine noch zu lösende Frage 
ist die des Transportes. Schädel-, Bauchschüsse, sowie Schuß- 
fracturen des Oberschenkelknochens sollen möglichst wenig 
transportirt werden. Für deren Unterbringung in der 
Nähe des Schlachtfeldes muß gesorgt werden. Dann werden 
verstümmelnde Operationen selten sein, die Zahl der Krüppel 
nach einem Zukunftsfeldzuge verschwindend klein, sehr zum 
Nutzen des Staates und seiner Soldaten, welche einen ehren¬ 
vollen Tod auf dem Schlachtfelde einem lebelangen Siechthum 
vorziehen. 


Referate. 

Oberstabsarzt Düms (Leipzig): Epileptische Dämmerzu¬ 
stände bei Soldaten. 

Der Krankheitsbegriff der Epilepsie im militärärztlichen Sinne 
ist wesentlich begrenzter als sonst, und zwar insofern, als bestim¬ 
mungsgemäß erst der epileptische Krampfanfall die Diagnose sicher¬ 
stellen soll. Zwar heißt es in der Heerordnung (Anl. 4 b, 15) ganz 
allgemein: nachgewiesene Epilepsie macht militärdienstuntauglich, 
und nach der Beilage II b, 15 der Dienstanweisung heben chronische 
Nervenleiden ernsterer Art, wobei die Fallsucht besonders erwähnt 
ist, die Feld- und Garnisondienstfähigkeit auf. Hienach könnte von 
wissenschaftlichem Standpunkte aus nichts entgegenstehen, unter 
die hier gegebene allgemeine Krankheitsbezeichnung Epilepsie auch 
jene Krankheitsformen zu subsumiren, in denen nur die eine 
Componente des epileptischen Insults, nämlich die Bewußtseins¬ 
störung, zum Ausdruck kommt. Das betrifft die sogenannten 
Dämmerzustände, die in dem straffen militärischen Milieu für den 
Befallenen nicht nur, sondern unter Umständen in noch höherem 
Maße für die Umgebung so verhängnißvoll werden können („Deutsche 
militärärztl. Zeilschr.“, 1902, H. 3). Der Militärarzt lernt die 
größte Anzahl der hieher gehörigen Fälle erst dann kennen, wenn 
dieselben bereits Veranlassung zu Collisionen mit den Strafgesetzen 
gegeben haben, oder wenn er sich gutachtlich über die Geistes¬ 
beschaffenheit eines angeklagten Epileptikers äußern soll. Manchmal 
fällt auch schon den Vorgesetzten das eigenthümliche Gebaren 
eines solchen Kranken auf; sie stehen vor einem Räthsel, weil 
der Betreffende in der anfallsfreien Zeit vielleicht ein besonders 
eifriger Soldat ist, vor Allem aber, weil das Zwecklose seiner 
verkehrten und straffälligen Handlungen so offen zutage tritt. 

Bei diesen Zuständen ist das Bewußtsein nicht aufgehoben; 
die hieraus resultirenden Handlungen verlaufen ohne Verbindung 
mit dem Bewußtseinsmaterial des normalen Menschen, sie sind 
losgelöst von der Aufsicht des Selbstbewnßtseins. Oft genug ist 
eine Aura in Gestalt gewisser Gefühle vorhanden. Von Wichtigkeit 
für die Beurtbeilung der Dämmerzustände ist die Feststellung 
etwaiger körperlicher Begleiterscheinungen. Eine Gefahr liegt unter 
den Verhältnissen des straffen Militärdienstes auch darin, daß der 
reizbare Charakter des Epileptikers durch Rügen leicht neue Nah¬ 
rung erhält. 

Kommt das Impulsive, das Brutale der epileptischen Ver¬ 
änderung zum Ausdruck, so kann es in den epileptischen Dämmer¬ 
zuständen zum Aeußersten kommen. Es werden daun in solchen 
Zuständen Verbrechen begangen, die scheinbar so wohl überlegt 
sind, daß es für den Nichtsachverständigen schwer ist, sie als 
Ausfluß einer Bewußtseinsstörung zu deuten. Die Dauer dieser 
Zustände schwankt zwischen Stunden, Tagen und kann selbst 
Wochen und noch länger dauern. Vieles, was in der ersten Zeit 
für diese Zustände charakteristisch ist, verblaßt oder verschwindet 
auch später ganz, so daß es unter Umständen von der größten 
Bedeutung sein kann, daß die sachverständige Beobachtung und 
Beurtheilung schon bei der ersten Untersuchung einsetzt. Sehr 
werthvoll in Bezug auf die Diagnose ist oftmals die Thatsache 
der partiellen Erinnerung, wenn es sich um den Verdacht der 
Simulation handelt. Es ist wesentlich leichter, eine totale Amnesie 
zu simuliren, als eine partielle, da der Simulant nie genau wissen 
wird, wo seine Erinnerung aufhören und wo sie beginnen soll. 
Bei öfteren Befragungen wird er sich unrettbar in Widersprüche 
verwickeln. L. 


Stabsarzt Neuburger (Groß-Lichterfeide): Ein Fall von habi¬ 
tueller Luxation einer Beugesehne am Fuß nach 
Trauma. 

Ein als Zweijährig Freiwilliger beim Garde Schützen-Bataillon 
eingestellter Schütze macht Juni 1901 beim Reckturnen die Uebung 
der Wende aus dem obersten Loch des Querbaums. Beim Ab¬ 
springen tritt er etwas fehl und empfindet einen durchdringenden 
Schmerz im vorderen Theil der linken Fußsohle, der so lebhaft 


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ist, daß er einige Augenblicke sich nicht von der Stelle rühren 
kann. Während er die Uebung ausführt, wurde gerade seine Turn¬ 
abtheilung nach einer anderen Stelle des Exercierplatzes gerufen, 
wo er sie alsbald einholt. Er meldet sich nicht krank, obwohl er 
nach seiner Angabe beständig ein schmerzhaftes Gefühl im linken 
Fuß empfindet, welches sich bei längerem Gehen und anstrengenden 
Märschen sehr steigert. Von einer besonders anstrengenden Uebung 
kommt er mit angeschwollenem Fuß in der Kaserne au. Am nächsten 
Morgen meldet er sich krank und wird wegen linksseitigen 
Schwellfußes lange Zeit behandelt. 

Nach 4 Monaten wird folgender Befund erhoben („Deutsche 
mil. Ztg. u , 1902, Nr. 4): Die bloße Betrachtung der Füße zeigt 
keine Abnormität. Auch der Gang ist ein ganz natürlicher; jedoch 
hört man jedesmal, wenn der linke Fuß vom Boden abgewickelt 
wird, ein lautes, klappendes Geräusch, als ob ein leichter Schlag 
mit einem Hammer auf eine Holzunterlage ausgeführt würde. Auf 
Holzfußboden ist dieses Klappen bis auf eine Entfernung von 
30 Meter deutlich vernehmbar. Betastet man mit Hilfe eines unter¬ 
gelegten Kissens die Fußsohle mit der Beugeseite des Zeigefingers, 
so fühlt man stets, wenn Pat. die Ferse anhebt und auf den unter¬ 
geschobenen Finger tritt, daß die zur zweiten Zehe führende Beuge¬ 
sehne über das Köpfchen des zweiten Mittelfußknochens nach der 
Seite der großen Zehe hinüberschnappt, beim Senken der Ferse 
wieder in die alte Lage zurückkebrt. Dieses Ueberspringen der 
Sehne ist die Ursache des eigenthümlichen, beim Umhergehen wahr¬ 
nehmbaren Geräusches. Der Fall bietet insbesondere dadurch Inter¬ 
esse, daß er das Bild der gewöhnlichen „Marschgeschwulst“ zeigte 
und daß nach Rückgang des Oedems die Betrachtung und Betastung 
des Fußes bei Bettlage des Mannes oder bei ruhigem Verhalten des¬ 
selben ohne voraufgegangene längere Inanspruchnahme des Fußes 
keinerlei objective nachweisbare Veränderungen zeigte. G. 

Oberstabsarzt Hoffmann (Rostock).- Zwei Fälle von Exercir- 
knochen im linken Oberarm. 

Unter Exercirknochen versteht man bekanntlich partielle Ver¬ 
knöcherungen, die meistens in der Musculatur des Oberarms auf- 
treten. Als häufigste Entstehungsursachen werden das feste Einsetzen 
des Gewehres beim Schießen und bei den Zielübungen, sowie Stöße 
beim Fechten mit dem Bajonettirgewehr angegeben. Die Zahl der 
Veröffentlichungen über diesen und den als Reitknochen bezeichneten 
ähnlichen Krankheitszustand ist bereits eine sehr große. Die patho¬ 
logisch-anatomische Untersuchung der exstirpirten Exercirknochen 
ergibt nicht immer dasselbe Resultat. In den meisten Fällen findet 
sich die knöcherne Geschwulst vollständig vom Muskel umschlossen 
und bietet das Bild der typischen Myositis ossificans. In anderen 
Fällen findet man die Geschwulst in fester Verbindung mit dem 
unterliegenden Knochen. Nach Virchow kommt es nicht so selten 
vor, daß die Geschwulst ursprünglich mit dem Knochen in Ver¬ 
bindung steht, sich später jedoch ablöst und dann nur im Muskel 
gefunden wird. In manchen Fällen ist die Verbindung der Geschwulst 
mit dem Knochen eine so innige, daß man geneigt sein könnte, 
dieselbe als eine periostale Exostose aufzufassen, zumal da die 
pathologisch-anatomische Untersuchung ein sicheres Urtheil über den 
Ausgangspunkt der Geschwulst meist nicht abgeben kann. Selbst 
wenn sich im Präparat Knorpelzellen finden, ist damit der Ausgang 
der Geschwulst vom Periost keineswegs erwiesen, da auch vom 
Muskelbindegewebe Knorpel und Knochen gebildet werden kann. 

H. hat („Deutsche militärärztl. Zeitschr.“, 1902, Nr. 4) zwei 
einschlägige Fälle beobachtet. Dieselben zeigten bei der Operation 
zum Theil eine innige Verwachsung mit dem Knochen, im histo¬ 
logischen Bilde wurden Knorpelzellen gefanden. Damit ist jedoch 
der Ausgang der Geschwulst vom Periost keineswegs bewiesen, da 
auch vom Muskelbindegewebe aus Knorpel und Knochen gebildet 
werden kann, wie eines der Präparate deutlich gezeigt hat. 

Die Entstehungsursache war in beiden Fällen ein Stoß mit 
dem Fechtgewehr. Die Therapie bestand in beiden Fällen in voll¬ 
ständiger Entfernung der Geschwulst. Der Erfolg der Operation 
war im ersten Fall ein ausgezeichneter mit völliger Wieder- 
herstelluug der Dienstfähigkeit. Beim zweiten Patienten, der sich 


übrigens als Bluter erwies, trat nach mehreren Wochen am unteren 
Drittel des Oberarms ein Recidiv ein, das eine zweite Operation 
nöthig machte, die trotz guter, reactionsloser Heilung voraussicht¬ 
lich zur Dienstentlassung des Mannes führen wird. N. 


J. Kopriwa (Laibach): Die Typhusepidemie in der städ¬ 
tischen Artilleriekaserne in Laibach. 

Die Verbreitung fand in folgender Weise statt („Liecnicki 
viestnik“, 1902, Nr. 2): Ein Mann kam vom Manöver schon inficirt 
und erkrankte bald an Typhus. Die Aborte der Kaserne entleeren 
sich in eine Senkgrube, welche defect und durchlässig geworden 
ist. Die austretende Jauche durchtränkte die 1’8 Meter davon ent¬ 
fernte Grundmauer des Gebäudes, in dessen Souterrain gerade an 
dieser Mauer sich die Speiseräumlichkeiten befanden. Nur die 
Mannschaft, deren Tische an dieser Mauer standen, erkrankte an 
Typhus. L. 

A. Hildebrandt: Beobachtungen über die Wirkungen 
des kleincalibrigen Geschosses aus dem Buren¬ 
krieg 1899—1900. 

Blieben die Projectile im Körper stecken, so verursachten sie 
nur selten Beschwerden, doch fand man entzündliches Exsudat in 
der Umgebung. Am häufigsten wurde das Steckenbleiben von 
Geschossen im Körper beobachtet bei Schüssen, welche die com¬ 
pacten Theilo der langen Röhrenknochen trafen, und zwar haupt¬ 
sächlich die stärksten Skelettheile. Das Steckenbleiben der Geschosse 
setzt einen Aufschläger voraus, wenn der Schuß nur durch Weich- 
theile und spongiöse Knochen gedrungen ist. Um Fernschüsse han¬ 
delte es sich seltener. Tuchfetzen gaben nur selten Anlaß zur Infec- 
tion. Die Größe der Hauteinschußöffnung ist von dem Winkel ab¬ 
hängig, unter dem das Geschoß auftrifft, von der Größe des Durch¬ 
messers, mit dem es durchtritt, und von der Beschaffenheit der 
Haut. Häufig wurden auch mehrere Einschußöffnungen beobachtet. 
Die Ausschußöffnung war im Allgemeinen größer als die Einschu߬ 
öffnung. Jene war oft rund, die Ränder aber nicht glatt. Bei Schu߬ 
verletzungen aus nächster Nähe war die Ausschußöffnung manchmal 
sehr klein, meistens aber recht groß. Dies gilt für Weichtheil- 
schüsse. Bei Verletzung der stärkeren Skelettlieile gestaltet sich 
das Verhältniß jedoch anders. Bei Extremitätenschüssen deuten 
große Ausschußöffnungen von 3’5 Om. und darüber im allgemeinen 
auf Verletzungen der compacten Theile der langen Röhrenknochen. 
Doch kommen größere Ausschüsse bei reinen Weichtheilschüssen 
selbst aus weiter Distanz vor. Mehrere Ausschußöffnungen wurden 
nur bei Knochenverletzungen beobachtet. Die Infectionsgefahr steht 
in directem Verhältniß zur Größe der Hautöffnungeu. („Langen- 
beck’s Archiv“, Bd. 65, H. 3.) Reine Weichtheilschüsse machten 
auffallend geringe Verletzungen. Bei Schüssen aus nächster Nähe 
mit ausgedehnten Zertrümmerungen kam es zu umfangreichen 
Eiterungen mit langwieriger Heilungsdauer. Schüsse mit sehr langen 
Schußcanälen heilten oft auffallend gut. Ausgedehnt war die 
Weichtheilverletzung bei Schußfracturen der langen Röhrenknochen. 
Die bedeutendste Zerstörung der Weiehtheile fand statt, wenn der 
Knochen in viele kleine Theile zerschmettert war, so bei Nah¬ 
schüssen. Die Zerstörung der Weiehtheile, welche durch die heraus¬ 
gerissenen Knochenpartikel bedingt ist, erfolgt nicht nur in der 
Richtung des Ausschusses, sondern auch in der des Einschusses. 

Die Wunden bluten im Allgemeinen wenig, selbst bei Ver¬ 
letzung von Gefäßen mittleren und größeren Kalibers; doch mögen 
derart Getroffene zum Theil auf dem Schlachtfeld sich verblutet 
haben. Höblenblutungen sind selbst aus kleineren Gefäßen gefähr¬ 
licher wie Extremitätenblutungen, z. B. aus der Femoralis. Sehr 
häufig wurden bei Geheilten Aneurysmen beobachtet, und zwar 
gerade au den größeren Gefäßen, so daß man erst aus diesen auf 
die schwere Verletzung und ihre Art Schlüsse ziehen konnte. Den 
Verblutungstod aus peripheren Arterien hält H. nicht für sehr 
selten. Spätblutungen sind bei dem meist reactionslosen Verlauf 
der Wundheilung selten. Der Schmerz der Verwundeten direct 
nach der Verletzung war meist gering, oft nicht der Schwere der 
Verletzung entsprechend. Hatte das Geschoß seinen Weg an größeren 


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Allgemeine Militärärztliche Zeitung. 


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sensiblen Nervenstämmen vorbei genommen, so wurde die Ver¬ 
letzung vom Getroffenen oft in die Peripherie verlegt. Bewußt¬ 
losigkeit nach dem Schuß zeigt im Allgemeinen eine Gehirnver¬ 
letzung an, doch trat sie auch bei Verletzung größerer Nervenstämme, 
namentlich bei Gesiclitsschüssen, auf. Nach Nervenverletzung kam 
es oft zu neuralgischen Beschwerden von recht langer Dauer, ferner 
zu infectiöser Neuritis, trophoneurotischen Störungen und neuro- 
paralytischen Entzündungen. Betreffs der Bauchschüsse glaubt 
H., daß Verletzungen der Eingeweide heilen können, ohne daß 
eine Laparotomie gemacht wird , da die Löcher im leeren Darm 
nur klein sind, übrigens die Darmschlingen auch ausweichen 
können. Schüsse durch die Niere verlaufen häufig ohne größere 
Blutung und mit gutem Ausgang, doch sind Volltreffer aus naher 
Distanz meist tödtlich. Bei Verletzungen der Blase kommt ihre 
Füllung hauptsächlich in Betracht. Streifschüsse der Urethra geben 
eine gute Prognose. N. 

Literarische Anzeigen. 

Gesundheitspflege auf Kriegsschiffen. Von Dr. Arthur 
Plumert, k. k. Linienschiffsarzt. 2. vermehrte Auflage. Wien 
und Berlin 1900, Urban & Schwarzenberg. 

Die 20 Abschnitte des ausgezeichneten Werkes, das so rasch 
in 2. Auflage erschienen ist, umfassen: Das Schiff als Wohnung, 
den ärztlichen Dienst auf Kriegsschiffen, die Berufskrankheiten 
der Seeleute auf solchen, das Rettungsverfahren bei Ertrunkenen, 
Erstickten etc., die Desinfection und Desodorisation auf Kriegs 
schiffen, die Quarantainevorschriften, den Einfluß der klimatischen 
Verhältnisse auf die Schiffsbesatzung, die Tropenkrankheiten, die 
geographische Pathologie, die Ernährung auf seegehenden Schiffen 
und die Nahrungsmittel, welche bei der Schiffsverpflegung in Be¬ 
tracht kommen, das Wasser, die Kleidung des Seemannes und 
endlich Arbeit und Ruhe auf Kriegsschiffen. P.’s Werk ist somit 
nicht bloß für Kriegsschiffe, sondern für Seefahrzeuge überhaupt 
von Bedeutung. Eine wesentliche Umarbeitung hat im Vergleiche 
zur ersten Auflage das Capitel über den Bau moderner Kriegs¬ 
schiffe und über die Zufuhr von Licht und Luft in denselben 
erfahren. Neu aufgenommen wurden die wichtigsten Capitel der 
Tropenhygiene, die neuesten Forschungen über das Entstehen und 
die Verbreitung fast aller lnfectiouskrankheiten und der den heißen 
Klimaten eigenen Infectionen, deren Abwehr und Heilung, sowie 
die Besprechung des Tauchertodes und der Taucherkrankheiten. 
Die Malariafrage hat Mannaberg bearbeitet. Das P.’sche Werk 
wird sicherlich die große Anerkennung und Verbreitung finden, 
die es vollauf verdient. G. 


Die Krankheiten im Feldzuge gegen Rußland (1812). 

Eine geschichtlich-medicinische Studie von Dr. Wilhelm Ebstein, 
Geh. Medicinalrath und o. ö. Professor der Medicin an der 
Universität in Göttingen. Mit einem in den Text gedruckten 
Kärtchen. Stuttgart 1902, Verlag von Ferdinand Enke, Gr. 8°. 
82 Seiten. Preis 2 Mark 40 Pfennige. 

Aus den auf uns übergekommenen Aufzeichnungen und Be¬ 
richten der Militärärzte der Napoleouisehen großen Armee 
Kerckhoff, Bodrgeois, Lemazürier, v. Scherer, Harnier und 
Larrey stellt uns Ebstein ein Bild zusammen über die Krank¬ 
heiten, Seuchen und Folgen der Witterungsunbilden, unter denen 
das französische Heer im Jahre 1812 im russischen Feldzug und 
namentlich auf dem Rückmärsche litt. Abgesehen von der Dysenterie, 
war es speciell der Typhus und, wie es zweifellos erscheint, der 
exanthematische, der viele Tausende dahinraffte. Von besonderem 
Interesse sind die mitgetheilten Aufzeichnungen über die durch die 
Kälte hervorgerufenen Krankheitserscheinungen. Sehr bedeutende 
Kälte — es kam solche von 26 bis 28* vor — rief, abgesehen 
von den directen Frostschäden, allgemeine Lähmungen hervor, die 
rasch zum Tode führten. Bei weniger intensiver Kälte dagegen 
stellte sich Geistesschwäche, sowie Stumpfsinn ein, und steigerte 
sich dieser Zustand selbst bis zum Wahnsinn. Nicht alle in 


dieser Weise Erkrankten gingen zugruude. Manche genasen wohl, 
doch bedurfte es hiezu einer längeren Zeit, selbst mehrerer Jahre, 
bis der „russische Simpel“ zur Gänze schwand. Diese Mittheilungen 
sind umso interessanter, als weder früher, noch später über solche 
krankhafte Zustände nach Einwirkung enorm niederer Temperatur 
berichtet wird. Viel weniger als über die Leiden der französischen 
Armee vermochte Ebstein über die Krankheiten und Seuchen, unter 
denen das russische Heer litt, zusammenzutragen. 

Die Lectüre dieses dem General-Feldmarschall Grafen 
Waldersee gewidmeten Schriftchens, dem ein Literaturverzeichniß 
beigefügt ist, ist eine ganz interessante, und vermag sie uns zu 
vergegenwärtigen, welchen enormen Leiden und Unbilden die armen 
Soldaten in dem erwähnten Kriege ausgesetzt waren. 

Kleinwächter. 

Grundriß der Geschichte der Kriegschirurgie. Von 
Prof. Dr. Alb. Köhler, Oberstabsarzt. Mit 21 Abb. im Text. 
Berlin 1901, Verlag von August Hirschwald. 

Das Compendium enthält die Entwickelung des Feldsanitäts¬ 
wesens und der Kriegschirurgie von der prähistorischen Zeit bis 
zur Jetztzeit. Im zweiten Theil schildert Verf. die Entwickelung 
der Wundbehandlung, Wundnaht, Anästhesie, sowie der wichtigen 
kriegschirurgischen Operationen. Das Buch, das den siebenten Band 
der zu Ehren v. Coler’s herausgegebenen Bibliothek bildet, ist mit 
dem Bildniß v. Coler’s geschmückt. dh—. 


Verhandlungen militärärztlicher Vereine. 

Wissenschaftlicher Verein der Militärärzte der 
Garnison Wien. 

(Orig.-Ber. d. „Wiener Med. Presse“.) 

St.-A. Dr. Zimmermann: Sectio alta und Blasensteine. 

Vortr. stellt einen 21jährigen Infanteristen vor, bei dem er 
einen hühuereigroßen Blasenstein durch Sectio alta entfernt hatte. 
Vortr. hat sich wegen der Größe des Concrementes, wegen dessen 
Härte und des ziemlich erheblichen Blasenkatarrhs entschlossen, 
in diesem Falle die Sectio alta vorzunehmen. Die Blasen wunde wurde 
durch fortlaufende Seidennaht geschlossen, diese Naht durch Knopf¬ 
nähte übernäht, der untere Wundwinkel offen gelassen und drainirt 
und der Harnabfluß durch sieben Tage mit Hilfe eines Verweil¬ 
katheters bewerkstelligt. Nach einer Woche wurde der drainirende 
Jodoformgazestreifen entfernt, der Kranke urinirto per vias naturales ; 
aus dem unteren Wundwinkel entleerten sich nur am 8. und 9. Tage 
nach der Operation wenige Tropfen Harn. Am 14. Tage verließ 
der Kranke das Bett und nach drei Wochen war er vollkommen 
geheilt. Vortr. tritt auf Grund seiner Erfahrung für die von ihm stets 
geübte einfache fortlaufende Blasennaht gegenüber der von anderer 
Seite empfohlenen, ziemlich complicirten und allem Anscheine nach 
nicht mehr Sicherheit verbürgenden Nahtmethode ein, empfiehlt für die 
ersten 5—7 Tage deu Verweilkatheter mit täglich wenigstens zwei¬ 
maliger vorsichtiger Blasenspülung, räth zur Verabfolgung von 
Sitzbädern nach Entfernung des Verweilkatheters und verwendet die 
DiTTEL’sche Heberdrainage nur dann, wenn es sich um schwere 
Schädigung der Blasenwand und jauchigen Blasenkatarrh handelt. 

RA. Dr. v. Frendl : Pityriasis lichenoides chronica. 

Diese seltene Hauterkrankung wurde von Juliusberg so 
benannt, nachdem schon im Jahre 1894 Jadassohn und Neisser 
diese Dermatose unter dem Namen „Lichenoides psoriasisartiges 
Exanthem“ und „Dermatitis psoriasiformis nodularis“ beschrieben 
hatten. Seither hat Kreibich fünf einschlägige Fälle beobachtet. 
F. erörtert das Wesen der Erkrankung — Stecknadelkopf- bis 
linsengroße, über die ganze Haut mit Ausnahme des Kopfes 
disseminirte, kaum merklich über das Hautniveau erhabene, mit 
cigarettenpapierdünnen, kleienartigen, silberweißen Schuppen bedeckte 
Efflorescenzen — und hebt ihr refraetäres Verhalten gegen alle 
therapeutischen Maßnahmen hervor. 


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Allgemeine Militärärztliche Zeitung. 


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Aus militärärztlichen Gesellschaften Deutsch¬ 
lands. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Med. Presse“.) 

Berliner militärärztliche Gesellschaft. 

G. Schmidt: Feldbestecke, Verbandmitteltaschen etc. im Manöver 
und im Kriege. 

Aseptisch zu verwendende Instrumente müssen ausgekocht 
werden können, die giftigen Arzneien sind unter Verschluß zu 
halten. Die als „Anhalt 1 ' herausgegebenen Bestecke bestehen außer 
der Instrumententasche aus zwei Lederbehältern. Die lose Aufhängung 
schützt nicht sicher vor Beschädigung. In den Niederlanden hat 
Regimentsarzt Wiersinghan Borski einen ärztlichen Tornister er¬ 
funden, der auch Gipsbinden, Schröpfkopf, Becher, Wasserflasche, 
Suspensorien, hölzerne Schienen, Leibbinden, Schwämme enthält 
und bequem zu tragen sein soll; doch wiegt er 8^ Pfund und 
ist als Tornister für den berittenen SanitätsofFicier nicht brauch¬ 
bar. Die Form der vorderen Patrontaschen bewährt sich wegen 
ihrer Größe und Unbequemlichkeit beim Reiten nicht. In der grie¬ 
chischen Armee tragen die Cavallerieofficiere eine weiße, die Artil¬ 
lerie-, Intendantur- und activen Sanitätsofficiere eine schwarzlackirte 
Kartusche, die auch im Lazareth beim Tagesdienst angelegt wird. 
Ist sie nur mit Instrumenten gefüllt, so ist sie schon ziemlich um¬ 
fangreich, gleitet fortwährend störend nach vorn und ist deshalb 
nicht empfehlenswerth. — Das ToBOLi/sche Satteltaschenbesteck 
besteht aus einem vernickelten Blechkasten, dessen abnehmbarer 
Deckel als Verbandschale benützt werden kann. Die Unterbringung 
in der Satteltasche sichert nicht unbedingt vor Beschädigung und 
nimmt den für Handbedarf bestimmten Raum weg; auch die Be¬ 
festigung am Pferde hat Nachtheile. Vortr. discutirt noch eine 
größere Anzahl von „Bestecken“. Bei der Verwendung der neuen 
Instrumentenbestecke gewöhnlicher Größe, die in einem verschlie߬ 
baren Lederfutteral durch einen Hüftledergurt über den Rock hinten 
getragen und auch am Rad befestigt werden können, entsteht 
ein etwas größeres Muster der „Feldsanitätstasche“, das noch eine 
zweite Reserveflasche aufweist, 15*5 X 13 5 X 5 Cm. mißt, ohne Be¬ 
steck 780 Grm., mit Besteck in Segeltuch-, bezw. in Neusilbertasche 
1100, bezw. 1265 Grm. wiegt und 28, bezw. 49, bezw. 56 Mark 
kostet. — Diese neue Feldsanitätstasche erfüllt folgende Anforde¬ 
rungen : Die Geräthe sind am eigenen Körper sicher untergebracht, 
können also nicht, wie in den Pack-, Satteldecken- und Rocktaschen 
beschädigt werden oder verloren gehen (z. B. beim Absatteln im 
Stall u. s. w.). Pack- und Satteldeckentaschen bleiben ihrer eigent¬ 
lichen Bestimmung erhalten. Diese Tasche ist auch zu Fuß, zu 
Rad, bei Schiffs- und Eisenbahnfahrt zu verwenden. Alle vorge¬ 
schriebenen Geräthe (bis auf das Hörrohr) nebst einigen Reserve¬ 
behältnissen und nothwendigen Gebrauchstücken (Salicyltalg u.s. w.) 
finden in einem einzigen Stück Platz. Die Tasche ist nicht zu 
schwer, nicht zu umfangreich, bequem erreichbar , leicht zu hand¬ 
haben, sehr gebrauchsbeständig und wettergeschützt. 

Straßburger militärärztliche Gesellschaft. 

Oberstabsarzt Maschold: Zur Bekämpfung des Typhus. 

Zwei Punkte kommen zunächst in Betracht: Die Krankheits¬ 
erkennung und die Erkennung der Verbreitungswege. Für die 
Krankheitserkennung sind die klinischen Erscheinungen und die 
Verwerthung der durch die bakteriologische Forschung gewonnenen 
Hilfsmittel wichtig. Der Zuverlässigkeit der Diagnose aus den 
klinischen Erscheinungen sind in einer Anzahl von Fällen enge 
Grenzen gezogen, weil die klinischen Erscheinungen unter sich Be- 
ziehungswerthe darstellen, von denen jeder für sich, und im einzelnen 
Krankheitsfalle gleichzeitig mehrere = 0 werden können. Noch 
zweifelhafter wird die Diagnose in den frühen Stadien der Krank¬ 
heit, in denen es überhaupt noch nicht zur Ausprägung bestimmter 
klinischer Erscheinungen gekommen ist, und wenn gleichzeitig noch 
eine andere Infectionskrankheit Verbreitung gewinnt, die einen Theil 
der klinischen Erscheinungen mit dem Typhus gemein hat. Dies 
gilt z. B. von der Influenza. 


Diese Unzulänglichkeit der klinischen Erscheinungen für die 
Diagnose ergibt sich aus dem Wesen der Erkrankung, welche zu- 
rückzuführen ist: 1. auf unmittelbare, örtliche Wirkungen der 
TyphusbaciUen und 2. auf allgemeine Wirkungen durch ihre in 
den Körper übergegangenen Gifte. Von der ersten unscheinbaren 
Ansiedelung im Darm bis zur allgemeinen Verbreitung ist ein langer 
Weg, der an jeder Stelle sein Ende erreichen kann. Die Unzu¬ 
länglichkeit der klinischen Erscheinungen fällt für die Typhus¬ 
bekämpfung, bei der es auf frühzeitigste Unschädlichkeitmachung 
jedes einzelnen Falles ankommt, schwer ins Gewicht. Diese Lücke 
wird zum größten Theile ausgefüllt durch die Verwerthung der 
Gröber- ViDAL’schen Blutprobe und der v. DRiGALSKi-CoNRAm’schen 
Methode zur Reinzüchtung der Typhusbacillen aus den Ausschei¬ 
dungen der Typhuskranken. Hünermann’s fast absolute Werth¬ 
bemessung der GRüBER-ViDAL’schen Methode geht zu weit; auch 
ist es nicht vortheilhaft, mit immer neu isolirtep Stämmen zu ar¬ 
beiten, wenn dieselben nicht nach allen Richtungen hin als echte 
Typhusstämme geprüft sind. 

Bei jeder Typhusepidemie kommt es darauf an, in jedem 
einzelnen Falle zu prüfen, ob sie auf eine gemeinsame Infections 
quelle zurückzuführen ist oder auf Uebertragung von Person zu 
Person. Hienach haben sich die prophylaktischen Maßregeln zu 
richten. 

Die DRiGALSKi-CoNRADi’sche Methode erleichtert den Nach¬ 
weis von Typhusbacillen in den Ausscheidungen von Typhuskranken, 
ist jedoch noch ausbaufähig; namentlich findet sich in der Ver¬ 
werthung der Agglutinationsprobe im GRUBER’schen Sinne mittelst 
hochwerthigem Ziegenimmunserums der Umstand nicht genügend 
gewürdigt, daß mit Hochtreibung der Immunwirkung des Serums auch 
der normale Agglutinationswerth manchen Typhusstämmen gegenüber 
in gewissem Grade, nämlich über die von Drigalski-Conradi ange¬ 
gebene Grenze von 1 :200 hinaus, wachsen kann. Wenn man diesen 
Umstand nicht berücksichtigt, so können leicht Täuschungen nach 
der positiven Seite hin entstehen. 


Niederrheinisehe militärärztliche Gesellschaft. 

Oberstabsarzt Löbker: Ueber Wesen und Nachweis der Simu¬ 
lation. 

Die Diagnose Simulation darf nur per exclusionem gestellt 
werden. An keinen Simulanten darf man mit irgend einer voraus¬ 
gefaßten Meinung herantreten. Man beurtheile nie ein einzelnes Organ, 
sondern stets den gesammten Menschen. Erst wenn wir dies be¬ 
folgt haben, können wir urtheilen. L. schickt jeden, der Simulation 
irgend verdächtigen Menschen zum Augenarzt; das ist gewisser¬ 
maßen eine Rutschbahn für den Mann, indem ihm dadurch suggerirt 
werde, er könne an den Augen Störungen haben. Lassen sich hier 
Widersprüche mit der Untersuchung feststellen, so ist die Ent¬ 
larvung des Simulanten leicht, da die Augenheilkunde sich der 
exacten, mathematischen Wissenschaft am meisten nähert. Erst 
nach dieser Untersuchung folgt die Untersuchung aller übrigen 
Organe. Zur Entlarvung der Simulanten benutze man die einfachsten 
Untersuchungsmethoden; je complicirter diese sind, um so größer 
sind die Irrthümer. Man denke sich z. B. einen Mann mit func- 
tionellen Störungen irgend welcher Art. Ist der Mann ein Neura¬ 
stheniker, dann muß das centrale und periphere Nervensystem 
untersucht werden, Temperatursinn u. s. w. Dabei müssen qualitativ 
verschiedene Angaben gemacht werden, nicht nur quantitativ, da 
es noch nicht beweisend ist, wenn ein Mensch an einer Stelle einen 
Druck verspürt, dann wieder nicht. Besteht Verdacht auf Simula¬ 
tion, so ist als ausgezeichnetes Mittel erprobt, dem Mann zu sagen: 
„Wenn ich Sie berührt habe, sagen Sie ja, wenn ich Sie nicht be¬ 
rührt habe, sagen Sie nein.“ Darauf fällt der Simulant fast immer 
herein. Als ein Mann angeblich blind war, holte L. mit der rechten 
Hand aus, als ob er hauen wollte, da sah der Mann ausgezeichnet. 
Man nehme die denkbar einfachsten Mittel, gehe mit der größten 
Geduld auf die Angaben des Mannes ein, die man erst dann als 
unwahr hiustelle, wenn der unzweifelhafte Beweis der Simulation 
erbracht ist, oder der Mann sich auf anderem Gebiete als Lügner 
erweist. Man schränke die Glaubwürdigkeit des Mannes ein, wenn 


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Allgemeine Militärärztliche Zeitung. 


40 


derselbe durch sein böswilliges Verhalten die Untersuchung er¬ 
schwert oder unmöglich macht. Die Simulation wächst mit der 
Mangelhaftigkeit des Untersuchers. 

Ein vorzügliches Entlarvungsmittel ist die Dunkelkammer. 
Der Simulant, der das ROMBERG’sche Phänomen Vortäuschen will, 
sucht sich stets seinen Platz auf dem Canapee aus, auf das er 
fallen will; bringt man ihn dann in die Dunkelkammer, und er 
fällt jetzt nicht, so ist er entlarvt. Bei Leuten, die sich operiren 
lassen wollen, muß man doppelt vorsichtig sein, da sich häufig 
dabei noch ein Krankheitsherd findet, der die Beschwerden objectiv 
begründet. Andererseits gibt es Leute, die operirt werden wollen 
und vom Arzt einen Revers verlangen, daß sie durch die Operation 
wieder gesund werden. Diese Leute werden nie gesund und mancher 
Arzt ist darauf schon hereingefallen. Man operire also nie ohne 
stricte Indicationsstellung. 


Notizen. 


Wien, 3. Mai 1902. 

(Das Maiavancement der Militärärzte), welches 
wir an anderer Stelle vollinhaltlich bringen, gehört zu den magersten, 
die dem Corps in den letzten Jahren beschiedeu waren. Es ist er¬ 
heblich schwächer als jenes vom Mai 1901, das wir seinerzeit als 
einen Rückschlag bezeichneten und steht tief unter jenem vom Novem¬ 
ber 1901, das wir als eine Errungenschaft der obersten Sanitäts¬ 
leitung priesen. Indem wir nachstehend die entsprechenden Ziffern 
vom Mai und November 1901 in Klammern beifügen, resultirt 
folgender Vergleich: Es wurden ernannt zu Generalstabsärzten: 
0 (2, 2), zu Oberstabsärzten I. Classe: 4 (8, 6), zu Oberstabsärzten 
II. Classe: 5 (15, 8), zu Stabsärzten: 6 (16, 10), zu Regiments¬ 
ärzten I. Classe: 16 (28, 17), zu Regimentsärzten II. Classe: 23 (28, 
19). In Summa wurden 54 Militärärzte befördert, gegen 97 im No- 
vomber und 62 im Mai 1901. Daß in den Beförderungsverhältnissen 
Schwankungen unvermeidlich sind, begreift Jedermann; ob es aber 
durchaus nothwendig war, eine so ausgiebige Schwankung in pejus 
zuzulassen und die Beförderungen in den höheren Stabschargen auf 
9 Fälle zu beschränken, darüber sind leise Zweifel gestattet, ja 
es sprechen gewisse Grunde dafür, daß es mit einiger Umsicht 
und „leidenschaftsloser Beharrlichkeit“ denn doch gelungen wäre, 
die alten Josefiner zum mindesten etwas ausgiebiger zu bedenken. — 
Die vollendete Thatsache nöthigt diejenigen, vor denen das Avance¬ 
ment diesmal unerwarteter Weise abgeschnitten hat, sich mit der 
fragwürdigen Vertröstung auf den November zu begnügen und den 
unwiederbringlichen Verlust eines halben Jahres, das im höheren 
Lebensalter schon schwer in die Wagschale fällt, so gut es geht 
zu verschmerzen. Möge ein gütiges Geschick die Harrenden vor 
den mancherlei Fußangeln bewahren, die zuweilen unverrauthet, 
knapp vor dem Ziele, den Strebenden zu Falle bringen. 

(Johann Habart f.) Am 19. April d. J. ist einer der 
verdienstvollsten und besten unter unseren Militärärzten in voller 
Schaffenskraft jäh dahingerafft worden. In Johann Habart verlor 
das österreichische militärärztliche Officierscorps eine markante 
Persönlichkeit, einen ehrenhaften Charakter, einen tüchtigen Chirurgen 
und eine wissenschaftliche Autorität. Als Leiter der chirurgischen 
Abtheilung im k. k. Garnisonsspitale Nr. 1 hat er an den Fort¬ 
schritten der modernen Chirurgie regen Antheil genommen und 
ward — die ungeheuere Entwickelung der operativen Technik auf 
sein specielles Gebiet übertragend — einer der hervorragendsten 
Kriegschirurgen der Gegenwart. Habart hat zahlreiche Arbeiten 
veröffentlicht. Seine Publication „Ueber die Anwendung des asepti¬ 
schen Verfahrens im Kriege“ wurde preisgekrönt. Er war eben 
daran gegangen, seine großen Erfahrungen über die Schußver¬ 
letzungen zusammenzufassen, da berührte ihn die Hand des Todes 
und beendigte ein Leben, das an Arbeitsamkeit und Energie nicht 
leicht seinesgleichen fand. 

(Auszeichnungen und Ernennungen.) Das Ritter¬ 
kreuz des Franz Joseph-Ordens haben erhalten: Die Oberstabsärzte 
II. CI. Dr. Eduard Neuber und Dr. Emil Della Torre , das 
goldene Verdienstkreuz mit der Krone: Die Regimentsärzte I. CI. 


Dr. Karl Turek, Dr. Severin Stanowski, Dr. Adolph Eckmann, 
Dr. Karl Elbogen, Dr. Anton MattdSka, Dr. Karl Sadler, 
Dr. Isidor Szuchiewicz, Dr. Eduard Bass, Dr. Emöd György, 
Dr. Franz Welzenberg, Dr. Johann Suk, Dr. Johann Vlöek, 
Dr. Edmumd Kopüiwa, Dr. Michael Kos. — Ob.-St.-A. I. CI. 
Dr. Dominik Linardic hat die IV. Classe des bulgarischen Alexander- 
Ordens erhalten. — Ob.-St.-A. I. CI. Dr. Friedrich Jakoby ist 
in den Ruhestand versetzt und ihm bei diesem Anlasse der Aus¬ 
druck der Allerhöchsten Zufriedenheit bekanntgegeben, St.-A. Dr. 
Gottlieb Arnstein zum Garnisonsspitale nach Sarajevo transferirt, 
Ob.-St.-A. II. CI. Dr. Franz Patzelt zum Commandanten des Garni- 
sonsspitales Nr. 17 in Budapest, Ob.-St.-A. II. CI. Dr. Arthur 
Tschudi zum Commandanten des Garnisonsspitales Nr. 22 in 
Hermannstadt und Ob.-St.-A. II. CI. Dr. Heinrich Kowalski zum 
Garnisons-Chefarzte in Zara ernannt worden. — Die Ob.-St.-Ae. 
I. CI. Dr. Joseph Hendl und Dr. Stephan Rucevic sind in den 
Ruhestand versetzt worden und haben aus diesem Anlasse den 
Generalstabsarztes-Charakter erhalten. 


Eingesendet. 

Unterstützungs verein für Witwen und Waisen der 
k. u. k. Militärärzte. 

Mittwoch den 14. Mai 1. J., um 5 Uhr Nachmittags findet 
im Lehrsaale Nr. 1 der ehemaligen Josefs-Akademie (IX., Währingerstraße 
Nr. 25) die diesjährige ordentliche Generalversammlung statt. 

Tagesordnung: 1. Verificirung des Protokolls der vorjährigen 
Generalversammlung. 2. Vorlage des Rechenschaftsberichtes für das Jahr 1901. 
3. Bericht der Revisoren. 4. Mittheilungen des Verwaltungs-Comitös. 5. Eventuelle 
Anträge von Vereinsmitgliedern. (Selbe müssen 14 Tage früher dem Verwal- 
tungs-Comite angezeigt werden.) 6. Wahl von Functionären in das VerwaltuDgs- 
Comit6 nach § 22, dann für das Schiedsgericht nach § 30 der Statuten und 
als Revisoren für das Jahr 1901 nach § 9 der Geschäftsordnung. 

Dam it die Generalversammlung nach §27 der Statuten 
beschlußfähig sei, werden die P. T. Herren Vereinsmitglieder ersucht, 
zuverläßlich erscheinen zu wollen. 

Wien, am 8. April 1902. 

Für das Verwaltungs-Comite. Der Präsident: 
Dr. Uriel, Gen.-St.-Arzt. 

Das Mai-Avancement. 

Ernanut wurden: 

I. Im militärärztlichen Officierscorps. 

zu Oberstabsärzten I. Classe: die OStAe. II. CI.: DDr. B. Ginn er, 
F. Patzelt, V. Svoboda, A. Tschudi; 

zu Oberstabsärzten II. Classe: die St Ae.: DDr. E. Kromp, A. Stare, 
C. Holy, F. Hölscher, W. Schüller; 

zu Stabsärzten : die RAe. I. CI.: DDr. E. Pick, W. Jun, A. Pausz, 
Th. Bohosiewicz, C. Elbogen, J. Frisch; 

zu Regimentsärzten I. Classe: die RAe. II. CI.: DDr. A. Hiemesch, 
J. Jampoler, L. Kertsch, A. Dufek, F. Karas, M. Koczyrkiewicz, 

F. König, L. R. Podsonski v. Szeliga, St. Karas, E. Stränßler, 
H. Kropf, E. Turnowsky, F. Tuma, E. Weinstein, 0. Pacold, 
L. Zahorsky; 

zu Regimentsärzten II. Classe: die OAe.: DDr. J. P a v e 1 ec, A. K u c e r a, 
E. Fischer, L. Lang, A. Müller, B. Fon, K. A x e n to w i cz, A. Jency, 
L. Schärf, E. Nestor, J. Müller, J. Balogh, L. Apel, C. Tutsehka, 
A. Palib, F. Capek, 0. Ludwig, A. Berka, A. Adler, M. Lauer, 
L. T hiering, J. Hula, R. Schubert. 

II. Im marineärztlichen Officierscorps. 

zum Marine-Oberstabsarzte I. Classe: der Marine-OStA. II. CI.: Dr. 
J. Krumpholz; 

zum Marine-Oberstabsarzt II. Classe: der Marine-StA.: Dr. A. Wolf; 
zum Marine-Stabsarzt: der Linienschiffsarzt: Dr. A. Pistel; 
zum Linienschiffsarzt: der Fregattenarzt Dr. E. Habicht; 
zu Fregattenärzten: die Corvettenärzte: Dr. S. R. v. Wierzbicki, 
Dr. L. Fürst und Dr. H. Bezdök; 

III. Im landwehrärztlichen Officierscorps. 

zu Stabsärzten: die RAe. I. CI.: Dr. E. Edler v. Kozlowski und 

G. Weil; 

zu Regimentsärzten I. Classe: die RAe. II. CI.: DDr. J. Placzek 
und J. Kos; 

zu Regimentsärzten II. Classe: die OAe.: DDr. L. Rein in ge r, 
C. Materna, S. Leinkram, V. Grünfeld, A. Molek und F. Rejka. 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 


Herausgeber, Eigenthümer und Verleger: Urban & Schwarzenberg, Wien, I., Maximilianstraüe 4. — Druck von Gottlieb Gistel 4 Cie., Wien, in., MUnagasse 6. 

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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 18. 


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Hacker (Innsbruck): Zur Fra^e des zweckmäßigsten 
Verfahrens, um Fremdkörper vom unteren Theil 
der Speiseröhre vom Magen aus zu entfernen. 

Behufs Extraction von Fremdkörpern, die ira unteren Theil 
des Oesophagus stecken, erscheint es oft nothwendig, den Magen zu 
eröffnen und von hier aus gewöhnlich unter gleichzeitigem Herunter¬ 
drücken des Fremdkörpers vermittelst einer Magensonde denselben 
entweder mit der Hand oder instrumentell in eine andere Lage zu 
bringen und dann durch den Magen zu extrahiren. Trotz der Er¬ 
öffnung des Magens ist aber die Sache nicht einfach, und die 
Schwierigkeiten, die sich dem Verfahren entgegenstellen, beruhen vor 
allem in der Entfernung der Magenöffnung von der Cardia. Die 
Cardia kann nämlich bei vorgezogenem Magen von einer kleinen 
Oeffnung aus mit dem Finger überhaupt nicht erreicht werden. 
Um dieser Schwierigkeit abzuhelfen, hat Wilms eine Methode an- 
gebeben, die darin besteht, daß der Finger fest in die Magenöffnnng 
eingebunden wird (damit kein Mageninhalt neben dem Finger her¬ 
auskommen kann), und daß die Magenwand eingesttilpt, also die 
Entfernung verkürzt wird. Aber auch bei diesem Verfahren, wie 
auch bei der Einführung der ganzen Hand in den breit eröffneten 
und vorgezogen gehaltenen Magen, kann, wie Verf. sich bei Ver¬ 
suchen an der Leiche überzeugte, durch Faltenbildung der Weg 
zur Cardia verlegt werden. Weiters ist es oft bei etwas höher über 
der Cardia steckenden oder fest eingekeilten Fremdkörpern nicht 
möglich, auch wenn man den Fremdkörper erreicht hat, denselben 
mit einem Finger zu befreien. 

Verf. spricht daher seine Ansicht dahin aus („Beitr. z. klin. 
Chir. u , Bd. 32, H. 2), daß das Verfahren des Fingereinbindens 
nach Wilms eine wesentliche Verbesserung des früheren, sehr un¬ 
sicheren Einstülpungsverfahrens bedeute, daß aber auch sehr häufig 
zu anderen Verfahren Zuflucht genommen werden müsse. Es stehen 
noch weiter zur Verfügung das Einführen von Instrumenten durch 
eine kleine Oeffnung des vorgezogenen Magens, das Verfahren der 
Handeinführung in den vorgezogenen, geöffneten Magen und schlie߬ 
lich das Verfahren der Handeiuführnng in den provisorisch heraus¬ 
genähten und eröffneten Magen. Erdheim. 

Rullmann (München): Ueber das Verhalten des im Erd¬ 
boden eingesäten Typhusbacillus. 

Die experimentellen Untersuchungen des Verf. sollten im 
Wesentlichen die Frage entscheiden, wie lange Typhusbacilleu in 
verschiedenen Erden lebensfähig bleiben. Bei entsprechender Ver¬ 
suchsanordnung fand er („Centralbl. f. Bakteriologie, Parasitenkunde 
u. Infectionskrankheiten“, Bd. 30, II. 8), daß sich die Typhusbacillen 
in einer Versuchsreihe im Verlaufe eines Monates überallhin ver¬ 
breitet hatten und unter Umständen noch lange Zeit nach der Ein¬ 
saat (9 und 13 Monate) nachweisbar waren. Ganz gleichförmig 
war die fast ein Jahr dauernde Haltbarkeit in den mit Fehlböden 
(hauptsächlich rother Flußsand) angelegten Culturen. Weitere 
Versuche sollen Aufschluß über das Verhalten der Typhusbacillen 
in steriler Erde, die mindestens ein Jahr steril geblieben sein 
muß, geben. Dr. S—. 

Friedberger (Königsberg): Ueber die Bedeutung anorga¬ 
nischer Salze und einiger organischer krystal- 
loider Substanzen für die Agglutination der 
Bakterien. 

In Nachprüfung und Erweiterung der Versuche von Joos 
fand Verf. („Centralbl. f. Bakteriologie, Parasitenkunde u. Infections¬ 
krankheiten“, Bd. 30, H. 8), daß Agglutination bei gänzlicher Ab¬ 
wesenheit krystalloider Substanzen in der Suspensionsflüssigkeit 
der Bakterien nicht zustande komme; unter diesen krystalloiden 
Substanzen sind die organischen Salze am wirksamsten. Die 
Schnelligkeit, mit welcher die Agglutination dialysirter Culturen 
eintritt, ist von dem Salzgehalt der Suspensionsflüssigkeit abhängig; 
die Wirkung der Salze bei der Agglutination ist keine chemische. 

Dr. S—. 


Kleine Mittheilungen. 

— Ueber den Einfluß von Schwangerschaft und Entbindung 
auf den phthisischen ProceB und den therapeutischen Werth der 
Einleitung des künstlichen Abortes spricht Kaminer („D. med. 
Wschr.“, 1901, Nr. 35). In Uebereinstimmung mit den allgemein 
gütigen Anschauungen konnte er bei 50 Beobachtungen einen 
ungünstigen Einfluß sowohl der Schwangerschaft wie der Geburt 
auf die Tuberculose constatiren. In 66% der Fälle stellte er 
nämlich eine Verschlechterung des Zustandes durch die Schwanger¬ 
schaft fest, während 61% im Anschluß an die Entbindung starben. 
Da die Einleitung des Abortes in vielen Fällen die Gefahren der 
Schwangerschaft für die Phthise vermindert (in 70% sah er Still¬ 
stand der Erkrankung), und dieser Eingriff auf den Organismus 
der kranken Frau durchaus nicht in seinen Folgen mit denen der 
Entbindung zu vergleichen ist, so leitet er daraus die Berechtigung 
(keinesfalls eine bindende Indication) ab, in den geeigneten Fällen 
den künstlichen Abort einzuleiten. Ausgeschlossen sind die pro¬ 
gressiven Fälle von Phthise, wo die Prognose mit oder ohne 
Schwangerschaft ungünstig ist. Es kommen vielmehr die Fälle in 
Betracht, wo die Möglichkeit einer Heilung oder einer lange an¬ 
haltenden Besserung zu erwarten ist, ferner besonders diejenigen, 
wo während der Schwangerschaft eine auffällige und nur durch 
dieselbe bedingte Verschlechterung des Lungenbefundes eintritt, 
falls nicht obige Contraindication entgegensteht. Weiterhin die 
Fälle, wo während der Schwangerschaft sich die ersten Symptome 
der Phthise zeigen ; schließlich , wenn sich Hämoptoe oder meta¬ 
statische Tuberculose einstellt. Andererseits hält er es für eine 
Aufgabe des Arztes, die tuberculöse Frau auf die ihr aus der 
Schwangerschaft erwachsenden Gefahren aufmerksam zu machen. 
Jedenfalls wäre es recht wünschenswerth, daß die Internen und 
Gynäkologen in diesen noch sehr strittigen Fragen eine Verständi¬ 
gung anzubahnen suchten. 

— Ueber Dr. THEINHARDT’S Hygiama schreibt Goldberg, 
der dasselbe in 13 Fällen von Neurasthenie angewendet hat. Die 
Patienten befanden sich im Alter von 15—20 Jahren, wurden 
kräftig genährt und erhielten hiebei täglich außerdem in 3 Dosen 
6 Löffel Hygiama. G. hat gerade dieses Nährpräparat gewählt, 
weil es von Klemperer wegen seines hohen Eiweißgehaltes an die 
erste Stelle in der Reihe der modernen Stärkungsmittel, welche 
gegenwärtig empfohlen werden, gesetzt worden ist. Aehnlich äußert 
sich auch Schlesinger („Die ärztl. Praxis“, 1902, Nr. 6). Thein- 
habdt’s Hygiama ist ein hellbraunes, feines Pulver, von ange¬ 
nehmem , mildem Geschmack und wird aus condensirter Milch 
hergestellt, der besonders präparirte Cerealien und etwas Cacao 
zugesetzt sind. Die mittlere Zusammensetzung ist: 20'4% Eiwei߬ 
stoffe (incl. Theobromin in geringer Menge), 10% Fett und 63’4% 
Kohlehydrate, von denen der größere Theil, etwa %, löslich ist. 
Die Ausnützung des Präparates ist eine gute. 

— Bei Cardialgie wird empfohlen („Centralbl. f. Therap.“, 

1901, Nr. 3): 

Rp. Antipyrini, 

Tinct. nuc. vom.aa. 8‘0 

Tinct. capsic. 2 0 

Tinct. gentian.120 0 

D. S. Bei Magenschmerzen 1 Kaffeelöffel voll 
zu nehmen. 

Rp. Bismuth. snlfocarbol.0’5 

Elaeosacch. chamomill.01 

M. f. p. Dtr. tal. dos. Nr. XV, ad chart. japon. 

D. S. Dreimal täglich 1 Pulver zu nehmen. 

Rp. Ammon, fluor. l’O 

Aq. destill.ad 300 0 

D. S. Nach jeder Mahlzeit 1 Eßlöffel voll zu 
nehmen. 

Rp. Erythroli.005 

Magnes. carbon.0'20 

M. f. p. Dtr. tal. dos. Nr. X. 

D. S. Nach jeder Mahlzeit 1 Pulver zu nehmen. 

— Seine Erfahrungen über 100 medulläre Tropacocain- 
analgesien veröffentlicht Karl Schwarz („Münch, med. Wschr.“, 

1902, Nr. 4). S. führte folgende Operationen uuter medullärer 
Tropacocainnarkose aus: 3 Resectionen, resp. Evidements im Bereich 
des Fußskelets, 1 Pirogoff, 7 Nekrotomien am Unterschenkel, 


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3 Aroput. cruris, 2 Kniegelenksresectionen, 3 Osteotomien nach 
Mac Ewen, 3 Nekrotomien am Oberschenkel, 2 Amputat. femor., 

1 Discissio phlegmonis femoris, 4 Spaltungen und Auskratzungen 
von tuberculösen Fisteln am Oberschenkel und Becken, 1 Ligatura 
arter. iliac. ext. wegen Aneurysma der Art. femoral., 1 Exstir¬ 
pation vereiterter inguinaler Lyrnphdrilsen, 1 Kolporaphia ant., 
Kolpoperineoraphia nach Alexander, 1 Kolporaphia ant. und Kolpo- 
perineoraphia, 1 Ventrifixatio uteri, 1 Spaltung eines parametritischen 
Abscesses, 1 vaginale Exstirpation eines submucösen Uterusmyoms, 
3 Kolpotomiae post, wegen eiteriger Adnexitidcn, 2 Thermokauteri- 
sationen mächtiger Kämme von Condyl. acura., 1 Exstirpation 
eines Care. lab. maior. carcin., 1 Araputatio penis carcin., 1 Epi- 
kystotomie wegen Harnblasensteins, 1 Urethrotomia ext. wegen Stric- 
tura urethrae, 1 Operalion einer Vesicovaginalfistel, 2 Spaltungen 
von Fissurae ani, 3 Excisionen von Hämorrhoiden, 1 Spaltung einer 
Fistula recti, 1 Dilatation einer Rectalstrictur, 24 Radicaloperationen 
einer einseitigen freien Leistenhernie nach Bassini, 2 Radical¬ 
operationen von freien Leistenhernien und Hydrokelen, 4 Radical¬ 
operationen von beiderseitigen freien Leistenhernien, 8 Herniotomien 
incarcerirter Hernien, meist mit nachfolgender Radicaloperation, 

2 Varikokelenoperationen, 2 Radicaloperationen einer Hydrokele 
nach Bergmann , 1 Spaltung eines Abscesses der Leistengegend, 
1 Gastroenterostomie, 1 Resectio costae, 1 Amputatio mammae mit 
Ausräumung der Achselhöhle, 1 Exstirpation von Lymphomata 
colli. Das Tropacocain ist sicherlich kein harmloses Mittel; in der 
von S. empfohlenen Dosirung jedoch bewirkt die Rachitropacoeaini- 
sation eine bis zur Nabelhöhe reichende complete Analgesie, die 
es erlaubt, die größten Operationen an der unteren Körperhälfte 
schmerzlos vorzunehmen, ohne daß die Patienten weiterhin an 
irgend welchen unangenehmen Folgeerscheinungen zu leiden hätten. 
Dies ist die Regel. In der Minderzahl der Fälle treten allerdings 
gewisse Nacherscheinungen auf, dieselben sind jedoch milder Art 
und keineswegs beunruhigend oder für den Patienten besonders 
qualvoll. Aehnlich lauten die Erfahrungen Neugebauer’s („Wr. 
klin. Wschr.“, 1901, Nr. 50, 51, 52). 

— Die Pilulae Sanguinal-Krewel empfiehlt Hirschfeld 
(„Allg. Med. Central Ztg.“, 1901, Nr. 64) auf Grund seiner Beob¬ 
achtungen bei Chlorosen, anämischen und Schwächezuslänaen, bei 
denen die Appetitlosigkeit stark in den Vordergrund tritt und 
einer Besserung der Stoffwechselvorgänge im Wege steht. Die 
Wirkung des Mittels äußerte sich in Steigerung des Appetits. In¬ 
folge der gesteigerten Eßlust kam es zur Besserung der Blut¬ 
beschaffenheit und zum Schwinden der subjectiven Beschwerden 
bei Chlorosen und secundären Anämien. Besonders wirksam erwiesen 
sich die Pillen bei Beschwerden auf neurasthenischer oder hyste¬ 
rischer Basis, wobei der Anämie in der Genese derselben eine 
unverkennbare Rolle zuzuerkennen war. Außer den Sanguinalpillen 
werden noch eine Reihe von Combinationen mit gewissen Arznei¬ 
stoffen hergestellt, für deren Anwendung bei manchen specifischcn 
Erkrankungen, welche mit anämischen Zuständen einhergehen, die 
entsprechenden lndicationen vorliegen. Diese Combinationen sind 
folgende: 1. Mit Kreosot 0‘05 und 010, mit Guajacol. carbon. 0'05 
und 0*10 zur Arzneitherapie bei Tuberculose und Scrophulose. 
2. Mit Extract. Rhei 0'05, für solche Fälle von Chlorose und 
Blutarmuth, welche mit Darmträgheit und Atonie der Verdauungs¬ 
organe einhergehen. 3. Mit Jod. pur. O'OOl (= ein Tropfen Tr. 
Jodi) bei den anämischen Formen der Fettleibigkeit, bei Scrophulose 
auf lymphatischer Basis und mit Drüsenschwellungen oder Bronchor- 
rhoe bei unstillbarem Erbrechen der Schwangeren. 4. Mit Chinin, 
hydrochlor. 0 05 für Schwächezustände nach sexuellen, Alkohol- 
und Sportexcessen, nach Infectionskrankheiten u. s. w. 5. Mit Arsen 
(0'0005), eine Combination, welche bei nervösen Zuständen auf 
anämischer Basis gute Erfolge ergibt. 

— Die Pikrinsäure bei Gonorrhoe hat Du Brun („Journ. 
des Prat.“, 1901, Nr. 24) bewährt gefunden. Er injicirte Lösungen 
von 1*0 : 200'0 in die Harnröhre. 

— Das Jodipin und seine Verwerthung bespricht nach 
eigenen und den bisher in der Literatur über dasselbe nieder¬ 
gelegten Erfahrungen Blanck („Med. Woche“, 1901, Nr. 49/50). 
Er präcisirt seinen Standpunkt dahin, daß er, wenn der 


Gebrauch von Jod indicirt erscheint, bei rasch zu erzielender 
Wirkung das Jodkali noch immer als bestes Mittel zuerst in An¬ 
wendung ziehen läßt; wird es aber schlecht vertragen, so gibt 
man es als Clysma oder das Jodipin (10%) innerlich. W T ird aber 
eine andauernde Wirkung erstrebt, so ist das Jodipin in subcutaner An¬ 
wendung das souveräne Mittel, ebenso wenn Jodkali und Jodnatron 
nicht vertragen werden. Wegen der Permanenz der Jodausscheidung 
nach Jodipininjectionen hat diese Methode aber auch als Prophy- 
lacticum bei der Lues Berechtigung, und ist durch dieselbe eine 
chronisch intermittirende Jodbehandlung nicht nur ermöglicht, sondern 
es dürfte letztere in Zukunft gewiß einen hervorragenden Platz in 
der Syphilistherapie mit Recht für sich in Anspruch nehmen. — 
In der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien hat Kreibich am 
17. Januar 1902 einen durch locale Injectionen von Jodipin voll¬ 
kommen geheilten Fall von Aktinomykose der Wangenhaut vor¬ 
gestellt und über gleiche Erfolge durch dasselbe Verfahren an 
anderen Fällen berichtet. 

— Ueber den Nutzwerth des Fleischextractes haben 
Frestzel und Toriyama Experimente angestellt („Arch. f. Phys. u , 
1901, pag. 499). Sie stellten zunächst fest, wie viel von ver¬ 
füttertem Fleischextract durch den Thierkörper unverbrannt hin¬ 
durchgeht. Zu diesem Zwecke bestimmten sie die Verbrennungs¬ 
wärme der eingeführten analysirten Nahrung, sammelten quantitativ 
Harn und Koth und stellten außer deren N-Gehalt auch deren 
Verbrennungswärme fest. In der einen viertägigen Versuchsreihe 
bestand die Nahrung nur aus Kartoffelstärke, Schmalz und Fleisch- 
asche, in der zweiten dreitägigen aus der gleichen Ration plus 
40 Grm. Fleischextractzulage. F. und T. fanden, daß von den 
85‘29 Cal., die mit dem eiweißfreien Fleischextract täglich zuge¬ 
führt wurden, nur 30‘98 Cal. mit dem Harn zur Ausscheidung 
gelangten, also 54‘31 Cal. — 63*6% der verfütterten Menge im 
Körper verblieben. Es scheint daher, daß — entgegen Rubner’s 
Anschauung — die eiweißfreien Extractivstoffe des Fleisches sich 
zu etwa % ihrer Menge am Stoffwechsel betheiligen und dem 
Körper Energie zu liefern imstande sind. 


Literarische Anzeigen. 

Jahresbericht über die Fortschritte in der Lehre 
von den pathogenen Mikroorganismen, umfassend 
Bacterien, Pilze und Protozoen. Unter Mitwirkung 

von Fachgenossen bearbeitet und herausgegeben von Prof. 
Dr. P. v. Baumgarten und Prof. Dr. F. Tangl. 14. Jahrgang, 
1898, 2. Hälfte, Braunschweig 1900, Harald Bruhn. 

Indem mit dem vorliegenden Bande der 14. Jahrgang der 
BAUMGARTEN’schen Jahresberichte vollständig erschienen ist, sind 
wir neuerdings in der Lage, mit Vergnügen constatiren zu können, 
daß auch dieser Jahrgang sich in gleicher Weise wie seine Vor¬ 
gänger durch Vollständigkeit, Gründlichkeit und Uebersichtlichkeit 
der Referate auszeichnet; sind doch eben dieser Eigenschaften 
wegen die Baumg arten 'sehen Jahresberichte schon seit langem 
die unentbehrlichsten Nachschlagebücher der Bacteriologen ge¬ 
worden. Umsomehr wird es allgemein bedauert, daß die Verspätung 
in dem Erscheinen der einzelnen Bände bereits zur Regel ge¬ 
worden ist, wenngleich sich niemand der Erkenntniß verschließt, 
daß die große Ausdehnuug dieses Unternehmens ein pünktliches 
Erscheinen — trotz aller Bemühungen der Herausgeber — sehr 
erschwert, ja vielleicht sogar unmöglich macht. Dr. S. 

Transactions of the American Otological Society, 

Thirty-second annual meeting. Pequot house, New Lon¬ 
don, Conn. July 18, 1899. Vol. VII, Part II. Published by 
the society: Mercury Publishing Company printers. New Bed- 
ford, Mass. 1899. 

Tüchtige Arbeit wird von unseren amerikanischen Special- 
collegen verrichtet. Das ist unter anderem auch aus dem vorlie¬ 
genden Berichte zu ersehen. Wir begegnen da ausgezeichneten 
Vorträgen von Blake, Randall, Dench, Mekernon, Burnett, 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 18. 


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Johnson, Pooley, Lewis, Green u. A., durchwegs Namen, die 
auch bei uns einen guten Klang haben. Zumeist wird der ope¬ 
rative Theil der Ohrenheilkunde einer eingehenden Erörterung 
unterzogen, aber auch anderen otologischen Fragen vollste Auf¬ 
merksamkeit zugewendet. 

Der Jahresbericht wird durch einen ehrenvollen Nekrolog 
auf den gewesenen Secretär der Gesellschaft Dr. J. J. B. Vermyne 
eingeleitet und schließt mit einem Literaturverzeichnisse, das die 
Autoren aller Culturländer berücksichtigt und ausführlicher gar 
nicht gedacht werden kann. Eitelberg. 

Ein Beitrag zur Lehre von der Aetiologie, Patho¬ 
logie und Therapie der Diphtheritis conjunctivae. 

Von Dr. A. Vossius, o. ö. Prof. a. d. Universität Gießen. 
Separat-Abdruck aus „Deutsche Praxis“, III. Jahrgang, Heft 22. 
München 1901, Seitz & Schauer. 

Durch die Einwirkung der Diphtheriebacillen kann das klinische 
Bild der tiefen, nekrotisirenden Diphtheritis conjunctivae, der ober¬ 
flächlichen Conjunctivitis crouposa und einer eitrigen blennorrlioischen 


Feuilleton. 

Lebensbilder aus halbvergangener Zeit. 

I. Dr. Pascal Josef von Ferro, der Begründer der Wasser¬ 
heilmethode in Oesterreich. 

Von Dr. Maximilian Stransky in Wien. 

Wir leben in einem hastenden eilenden Zeitalter, der Con- 
trast zwischen unseren Tagen und den kaum vergangenen wird 
stets größer und größer. Auf allen Gebieten des politischen und 
socialen Lebens, ja sogar auf dem der Kunst, Wissenschaft und 
Technik hat sich ein förmlicher Umsturz vollzogen, beispiellos ist die 
Entfesselung der geistigen Kräfte der Nationen. Aber trotz dieses 
schrankenlosen Fortschrittes macht sich überall im öffentlichen 
Leben eine gewisse Zurückhaltung geltend, eine gewisse conscrva- 
tive Auffassung hat Platz gegriffen. 

Man richtet den Blick wiederum gerne nach rückwärts, die 
gute alte Zeit kommt wieder zu Ehren, wir ahmen die Sitten und 
Gebräuche unserer Vorfahren nach und lernen die Bestrebungen 
unserer Väter wiederum schätzen, der Sinn für das historische Stu¬ 
dium ist wieder rege geworden. Und mit Recht! Denn nichts ist 
so sehr, wie jenes, im Stande, positive ersprießliche Thätigkeit und 
Bescheidenheit zu fördern, Hochmuth und Selbstüberschätzung zu 
verhindern. 

Auch uns Aerzten ist das Studium der Geschichte unserer 
Wissenschaft — bisher ein Stiefkind aller Lernenden — lieb ge¬ 
worden. Die alte Zeit kommt wieder zu Ansehen. Je weiter wir 
fortschreiten auf den Pfaden der Forschung, die heute dank der 
emsigen Arbeit fast eben sind, mit umsomehr Achtung und Ver¬ 
ehrung gedenken wir jener Männer, die uns diese Pfade erschlos¬ 
sen haben. 

Es gab einen Zeitabschnitt — und er ist nicht ferne — während 
dessen die Ansichten über Heilmethoden unserer Vorfahren fast mit¬ 
leidig belächelt wurden. Tempi passati 1 Heute, in der Blüthezeit 
der Bacteriologie, in einer Zeit, in der die Wissenschaft auf einer 
Höhe steht, die kaum mehr übertroffen werden kann, kehren wir 
langsam wiederum zu Heilmethoden zurück, die die Aerzte ver 
gangener Jahrhunderte übten, ja sogar Paracelsus und Galenus, 
selbst der mythische Hippokrates gelten uns oft nicht vergeblich 
als Fundgrube bei wissenschaftlichen Arbeiten ! 

Auch in anderer Hinsicht ist das Studium der Medicin ein 
interessantes. Mitunter finden wir in alten vergilbten Schriften, 
die längst vergessen sind, von Autoren, die heutzutage kaum je¬ 
mand mehr kennt, eine solche Summe positiver erfolgreicher Ar¬ 
beit, hoher Gelehrsamkeit und tiefen Wissens, daß wir diesen 
Männern hohe Verehrung zollen müssen. Ohne alle die mannig¬ 
fachen Behelfe der Jetztzeit mußten sie arbeiten und forschen, be- 


Bindehautentzündung hervorgerufen werden. Verschiedenheit in der 
Virulenz der Bacillen und der Disposition des betreffenden Indivi¬ 
duums werden dafür maßgebend sein, welch ein Krankheitsbild 
sich entwickelt. In jedem Fall kann ein solcher Patient die Quelle 
einer Infection für die Umgebung und einer Diphtheritisepideraie 
mit Erkrankung auch anderer Schleimhäute werden. 

Ganz dieselben klinischen Krankheitsbilder können auch durch 
Streptokokkeninfection verursacht werden. Auch diese Krankheits- 
processe der Bindehaut können für die Umgebung durch Infection 
gefährlich werden. 

In allen Fällen sind bakteriologische Untersuchungen noth- 
wendig, welche auch aus therapeutischen Rücksichten unerläßlich 
sind. Zur Einleitung einer geeigneten Prophylaxe wird man in 
jedem Falle für Isolirung des Kranken Sorge tragen müssen. Der 
Pat. selbst bedarf, wenn es sich um die durch Löffler’scIic 
Bacillen verursachte diphtheritische Bindehauterkrankung handelt, 
der Heilserumtherapie; man kann dieselbe aber auch ohne Gefahr 
für den Pat. in jedem Falle von diphtheritischer Conjunctivitis vor 
der Feststellung des Infectionskeimos durch die bakteriologische 
Untersuchung in Anwendung ziehen. ßONDl (Iglau). 


kündeten jedoch trotzdem einen großen Scharfblick und hinterließen 
uns, wie von einer Divination erfüllt, Werke, die uns Epigonen selbst 
heute — nach langen Jahren — geradezu ehrfurchtsvolle Bewun¬ 
derung vor ihrem Feuergeiste einflößen. Wir finden, daß schon 
in alten Zeiten, wie auch heute, oft hochwichtige Entdeckungen 
und Resultate eifriger Arbeit eines Menschenlebens unverdienter 
Weise nicht anerkannt wurden, daß Forscher, denen die Einfüh¬ 
rung hochwichtiger, in höchstem Maße heilbringender therapeutischer 
Methoden zu danken ist, nicht zur Bedeutung kamen, daß ihr 
Name vergessen ist, daß ihre Werke nie mehr genannt werden. 

Es hat zu allen Zeiten Männer gegeben, die, weil sie nicht 
zu akademischen Würden kamen, oder sich infolge ihrer Beschei¬ 
denheit nicht in anderer Weise bemerkbar machten, der Vergessen¬ 
heit anheirafielen, während andere, die Früchte ihres Schweißes an 
sich reißend, mühelos den Lorbeer der Berühmtheit sich usur- 
pirten. 

Einer dieser Gelehrten von hoher Bedeutung, der eine Zierde 
unseres Standes ist, dessen Andenken hochgeehrt sein sollte, dessen 
Name heute aber den wenigsten Aerzten bekannt ist, ist Dr. Pascal 
Josef von Ferro, ein Arzt, der der Begründer der Wasserheil¬ 
methode in Oesterreich ist, der die Behandlung mit kalten Bädern 
als erster in Wien und Oesterreich einführte, diese Behandlung 
nicht nur praktisch bethätigte, sondern auch wissenschaftlich be¬ 
gründete. 

Welchem unserer Collegen — außer etwa den Fachhisto¬ 
rikern — ist wohl diese Thatsache bekannt? Kein Lehrbuch der 
internen Medicin, ja kaum ein Lehrbuch der Wasserheilmethode 
kündet das Verdienst dieses wackeren Mannes. 

Dem Bauer Priessnitz wird die Initiative zur 
Einführung der Wasserheilmethode von Laien und 
Aerzten zu geschrieben, Ferr o’s Name ist unbekannt, 
trotzdem derselbe 19 Jahre vor der Geburt des Priess¬ 
nitz im Jahre 1780 in Wien eine Wasserheilanstalt 
errichten ließ, in derselben seine Patienten behan¬ 
delte und genau die Indicationen und Methoden seiner 
Behandlungsweise an gab. 

ln keinem der uns zugänglichen Handbücher der Wasser- 
heilkuudc ist diese wichtige Thatsache verzeichnet, daß Dr. von 
Ferro es war, der im Jahre 1780 zuerst die kalten Strombäder in 
Wien einführte. Diese unsere Hinweise auf Ferro’s Thätigkeit 
stammen aus der Chronik eines Vereines in Wien, den Zeitungs¬ 
berichten der damaligen Tage und der Familienchronik eines He rn 
von Ankerberg, eines dankbaren Patienten Dr. von Ferro’s der 
im Jahre 1824 in Wien starb. 

Dr. Pascal Ferro wurde 1749 in Bonn geboren, wid¬ 
mete sich in Wien den medicinischen Studien , nach deren Absol- 
virung er sich daselbst als Arzt niederließ. Er erlangte bald 
durch seine Jovialität und sein urbanes Benehmen , das mit einer 
ungewöhnlichen Tüchtigkeit in seinem Berufe gepaart war, eine große 


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Beliebtheit , die sich noch mehr steigerte, als er — als erster 
Arzt in Oesterreich — anfing, die in Deutschland und England 
so beliebte und verbreitete Methode der Behandlung mit kaltem 
Wasser anzuwenden. Es gehörte unter den ehemaligen Verhält¬ 
nissen wohl viel Muth dazu und auch eine eiserne CoDsequenz. Die 
Erfolge, die Hofmann und Hahn in Deutschland, insbesondere aber 
Dr. Wright und Currey in Liverpool bei der Wasserbehandlung 
der verschiedenen Krankheiten, insbesondere bei den Exanthemen, 
dann dem Typhus abdominalis und exanthematicus erlangt hatten, 
waren in Wien zwar nicht unbekannt, doch bürgerte sich die nach 
den Anschauungen der anderen Aerzte nicht rationelle Methode nur 
langsam ein. 

In einem Buche, das den Titel „Vom Gebrauche der kalten 
Bäder“ führt und bei Kurzbeck in Wien im Jahre 1780 verlegt 
wurde, legte Ferro alle seine seit 15 Jahren mit dieser Behand¬ 
lungsmethode gemachten Erfahrungen nieder. Das Buch hat als 
Titelbild die Reproduction der ersten Kaltbadeanstalt in der Donau 
in Wien und ist eine Fundgrube von historischem Wissen, physio¬ 
logischen Versuchen und Beobachtungen über die Pathologie der 
verschiedenen Krankheiten, nebst der therapeutischen Wirkung des 
kalten Wassers auf dieselben. Insbesondere interessant ist die 
Schilderung der Krankheit „Die Reizbarkeit der Nerven“ — heut¬ 
zutage Neurasthenie genannt — die ob der Schärfe der Beobach¬ 
tung und Deutung der verschiedenen Symptome auch heute unsere 
rückhaltlose Bewunderung verdient. 

In bescheidener Weise zählt Dr. Ferro alle jene Aerzte auf, 
die bereits vor ihm schon die Kaltwasserbehandlung anwendeten 
und schreibt schon dem Celsus das Verdienst zu, Krankheiten 
des Magens und der Leber mit Güssen behandelt zu haben. Sich 
selbst schreibt er nur die Priorität zu, diese Methode in Wien 
eingeführt zu haben. Er machte unter wissenschaftlicher Begrün¬ 
dung der Regierung im Jahre 1780 den Vorschlag, kalte Bäder 
zu errichten, die medicinische Facultät gab darüber „den vortheil- 
haftesten Bericht“. „Es ist“, so lautete es in diesem Berichte, 
„durch Erfahrung bestättiget, daß in sehr vielen kränklichen Um¬ 
ständen das kalte Bad größeren Nutzen schaffen und oft solche 
Kranke wiederherstellen kann, die lange Zeit andere Mittel frucht¬ 
los gebraucht hatten.“ 

In detaillirter Weise werden die Bädor und deren Einrich¬ 
tung und Construction beschrieben, die genau dieselbe ist, wie sie 
auch heute noch in den Badeanstalten zu finden ist. 

Fast alle Methoden, die die Hydrotherapeuten heute kennen 
und anwenden, wurden von Ferro angewendet, Güsse in allen 
Arten auf verschiedene Körpertheile, Douchen und Sturzbäder, 
das kurze Untertauchen und Abreiben, die Sitzbäder, wie in 
v. Ankerberg’s Chronik verzeichnet ist und auch in einem launigen 
humoristischen Gedichte in Versen besungen wurde. 

Ferro empfahl das kalte Wasser gegen fieberhafte Krankheiten, 
gegen Schwächezustände des Nervensystems, Stagnationen in den 
Därmen und der Leber, kurz er stellte Indicationen auf, wie ein 
Hydrotherapeut der neuesten Zeit. Auch die hygienischen Maßnahmen, 
die man beim Gebrauche der Bäder zu beachten habe, beschreibt 
er in einer Weise, die heute noch als vollkommen zweckentspre¬ 
chend anzusehen ist. 

Seine Wassercuren brachten Dr. Ferro die größten Erfolge 
und eine beispiellose Beliebtheit unter den Patienten. Ein schalk¬ 
hafter Kranker, dem Dr. Ferro mittels einer kräftigenden Was¬ 
sermethode zu einer durchgreifenden Regeneration seines geschwäch¬ 
ten Nervensystems, sohin indireet zu einem derben kleinen Stamm¬ 
halter verholfen hatte, widmete ihm im „Wiener Blättchen“ vom 
10. October 1784 folgende launige Danksagung: 

Lob und Danklied eines Ehemannes auf das Sturzbad und den 

Dr. Ferro. 

Zu deinem Lobe will ich singen, 

Du dreimal glücklich Bad, 

Das für Erschlaffte neue Schwingen, 

Für alle Krämpfe Heilung hat. 

Wohlthätig wärmst du starre Ehen, 

Du wundersame Medicin! 

Dir dank ich Schnellkraft und die Wehen 
Meiner lieben Wöchnerin ! 


Drum sei von mir und ihr gepriesen, 

Durch uns erfahr dein Lob die Stadt, 

Ein schreiend Kind hat uns bewiesen 
Was dein Gebrauch für Wirkung hat“ .... 

Ferro’s Buch machte förmlich Schule und seinem Beispiele 
folgten viele einheimische Aerzte, die uns werthvolle Publicationen 
hinterlassen haben, unter andern Johann und Peter Frank, 
Kolbany in Preßburg (Ueber den Nutzen des kalten Wassers beim 
Scharlach 1808), Fröhlich in Wien, Mylius in Kronstadt, Gia- 
nini in Mailand und Hildebrand in Wien, denen Ferro’s Buch 
ein mächtiger Anstoß zur Einführung der Wasserbehandlung und 
des wissenschaftlichen Studiums derselben war. Die Lehre drang 
von Wien aus in die Provinzen und machte den Boden geeignet 
für die Lehren des Priessnitz , der allerdings schneller zu einem 
berühmten Namen gelangte als Ferro. Diesem Arzte, der dieselben 
Curen bereits vierzig Jahre früher ausführte, lohnte mangels 
des Nimbus, der stets den laienhaften Heilkünstler umschwebt, die 
Nachwelt seine Verdienst in keiner Weise. 

Seine Zeitgenossen und die Regierung brachten ihm jedoch 
große Ehren entgegen. Im Jahre 1788 wurde er zum ersten Stadt- 
physicus und dirigirenden Arzte des Arrestantenspitals, 1793 zum 
Protomedicus, Regierungsrathe und Staatsrathe für medicinisch-poli- 
zeiliche Angelegenheiten, 1809 zum Vicedirector der medicinischen 
Studien ernannt, nachdem er inzwischen auch in den Adelstand 
erhoben worden war. 

In seinem amtlichen Wirkungskreise leistete Ferro geradezu 
Hervorragendes. Ihm gebührt auch das große Verdienst, wie Docent 
Dr. Neuburger ') in dankenswerter Weise den Aerzten als bisher wohl 
unbekannte Thatsache mittheilt, daß er als erster in Oester¬ 
reich am 30. April 1799 dielmpfung mit Kuhpocken- 
eiter vornahm, über deren Nutzen er auch später 
eine wissenschaftliche Abhandlung schrieb. 

„Welche Rolle diese That — denn eine solche war der 
Versuch in der damaligen Zeit, kaum drei Jahre nach der ersten 
öffentlichen Impfung Jbnner’s — in der medicinischen Geschichte 
Wiens spielt, bedarf keiner weiteren Darlegung, wenn inan ihre 
Bedeutung an den weittragenden Folgen ermißt, die uns noch heute 
zu Gute kommen. Und der Lohn? Ferro’s Name ist der 
Vergessenheit anheimgefallen, insoweit die Ge¬ 
schichte der Vacciuation in Betracht kommt“, sagt 
Docent Dr. Neuburger in der erwähnten Festschrift in treffender 
Weise. 

Auch andere Gebiete waren Ferro nicht fremd, er förderte 
die Lehre von der Pest, empfahl die Anwendung von reinem 
Sauerstoff bei Lungenkrankheiten und erwarb sich auch als Fach¬ 
schriftsteller einen geachteten Namen. Insbesondere viel Mühe ver¬ 
wendete er auf die Herausgabe der Sammlung der Sanitätsver¬ 
ordnungen in den Jahren 1797 —1806. 

Aus den bisherigen Angaben ist ersichtlich, in welch’ er¬ 
sprießlicher Weise Ferro sein Leben lang gewirkt hat und welch’ 
großes Unrecht darin liegt, daß sein Name so bald vergessen 
wurde und seino großen Verdienste der Oeffentlichkeit theils un¬ 
bekannt blieben, theils Anderen zugeschrieben wurden. 

Mögen diese Zeilen dazu beitragen, daß die jetzige Aerzte- 
generation seinen Namen mit Anerkennung nenne! Ein Mann, der 
die wissenschaftliche Wasserheilkunde in Oesterreich als erster 
lehrte und praktisch einführte, ein Mann, der den Muth hatte, an 
seinen eigenen Kindern als erster in Oesterreich die Impfung — 
eine damals so angefeindete Neuerung — vorzuoehmen , verdient 
wohl, daß sein Name im goldenen Buche der Geschichte der Aerzte 
gebührend verewigt werde. Als Dr. von Ferro im Jahre 1809 
starb, folgte ihm — wie die Zeitung der damaligen Zeit meldete — 
halb Wien zu seiner letzten Ruhestätte. 

Auf welchem Friedhofe in Wien seine irdischen IJeberreste 
ruhen, ist nicht eruirbar, auch ist unbekannt geblieben, ob ein 
steinern Denkmal seinen letzten Ruheplatz kündet. 

Uns Epigonen geziemt es jedoch, dem verdienten Arzte und 
Collegen den Lorbeer des Dankes und der Anerkennung auch 

Festschrift anläßlich des 500jährigen Bestandes der Acta facultatis 
medicae Vindobonensis. Wien 1899. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 18. 


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über das Grab hinaus zu reichen und in das Publicum die Lehre 
hinaus zu tragen, daß nicht dem Bauer Priessnitz , sondern 
dem Arzte Dr. von Ferro das Verdienst gebührt eine Heil¬ 
methode als erster in Oesterreich eingeführt zu haben, die der 
Menschheit großen Segen brachte, und daß er ferner durcli Vor¬ 
nahme der ersten Impfung in unserem Vaterlande den Weg er¬ 
schließen geholfen hat, durch den tausende und abertausende kost¬ 
bare Menschenleben seither erhalten wurden. 

Dem Bauer Priessnitz wurde im verflossenen Sommer ein 
Denkmal errichtet, der Arzt Ferro fand dieses Zeichen der Ver¬ 
ehrung nicht. Möge ihm in den Herzen der Aerzte ein Denkmal 
erstehen, aere perennius! 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

20. Congreß für innere Medicin. 

Gehalten zu Wiesbaden 15.—18. April 1902. 

(Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) 

III. 

v. Leyden (Berlin): Ueber den Parasitismus des Krebses. (Mit 
Demonstrationen.) 

Zunächst berichtet Vortr. kurz über den Abschluß der amt¬ 
lichen Krebsstatistik im Deutschen Reiche 1900, deren Ergebniß 
jetzt gedruckt vorliegt. Er gibt dann eine Uebersicht über den 
gegenwärtigen Stand der Krebstheorien. Der von den patholo¬ 
gischen Anatomen vertretenen histogenetisclien (cellulären) steht die 
parasitäre (biologische) gegenüber, die, an sich zwar alt, erst in 
neuerer Zeit mehr Beachtung findet. Hinsichtlich der ersteren be¬ 
spricht Vortr. kurz die bekannten Theorien von Virchow, Thiersch, 
Waldeyer, Cohnheim zur Erklärung des Zustandekommens der 
schrankenlosen Zellwucherung, welche den Krebs charakterisirt. Er 
geht dann kurz auf die beiden neuesten Theorien von v. Hanse¬ 
mann (Anaplasie der Zellen) und Ribbert (Dislocation und Ent¬ 
fesselung der Zellen) über, von denen er namentlich die des ersteren 
für unzureichend erklärt. Auch die Ein wände Ribbert’s gegen die 
Paraeitentheorie sind leicht zu widerlegen: Ad 1. daß immer nur dieselben 
, Zellen des Organismus den Parasiten enthalten, erklärt sich dadurch, 
daß nur ein Parasit, der innerhalb der Zellen gelegen ist, mit denen 
er sich fortpflanzen kann, bestehen bleibt. Ad 2. Statt die Zellen auf¬ 
zufressen, ruft der Parasit eine Wucherung hervor ganz in Analogie zu 
den Parasiten, welche bei Pflanzen ähnliche Zellgeschwülste erzeugen. L. 
berichtet ausführlich die Beobachtungen von Morvnin und Labaschin 
über die sog. Kohlhernie. Die Aehnlichkeit der dabei gebildeten 
Tumoren mit dem menschlichen Carcinom ißt von den Botanikern 
schon vor 20 Jahren erkannt worden. Dort ist die intracelluläre 
Amöbe als Ursache mit Sicherheit ermittelt, auch ihre Entwickelung 
genau festgestellt. Vortr. erörtert nun noch eine andere Reihe von 
Gründen, welche für die parasitäre Natur des Krebses sprechen: 
Es muß der dauernde Reiz eines Lebewesens angenommen werden, 
um das ständige Wachsthum und die Vermehrung der Krebszellen 
verständlich zu machen. Das klinische Krankheitsbild der Carcinome 
ähnelt oft dem der Infectionskrankheiten, ferner auch der gestei¬ 
gerte Eiweißumsatz, das vermehrte Auftreten von Indican und zu¬ 
weilen die Diazoreaction im Harn, schließlich auch die schwere 
Anämie und die Cachexie. Durch Thierversuche (Hanau u. A.) ist 
die Uebertragungsfähigkeit der Krebse von einem Thier auf ein 
anderes derselben Gattung erwiesen, auch Vortr. selbst hat neuer¬ 
dings Peniscarcinome bei Hunden mit Erfolg verimpft, einmal so¬ 
gar Metastasen erhalten. Für den Menschen ist die Ansteckungs¬ 
fähigkeit wahrscheinlich , aber nicht erwiesen. Dem Vortr. ist ein 
Fall mitgetheilt worden, in dem ein junger Arzt an Magencarcinom er¬ 
krankte, zwei Jahre nachdem er versehentlich ausgepreßten Carcinom- 
saft getrunken hatte. Vortr. gibt nun eine genaue morphologische 
Beschreibung der von ihm beobachteten parasitären Zelleinschlüsse, 
die er als die Erreger des Carcinoms erklärt. Die Körperchen 
ähneln Vogelaugen. Man muß frische Präparate untersuchen! Die 
unfruchtbare Skepsis der Anatomen muß diesen Thatsachen gegen¬ 


über weichen, die jeder sehen kann, der sehen will. Neuerdings 
hat L. in seinen Forschungen nun noch einen wesentlichen Fort¬ 
schritt erreicht durch den Nachweis von Sporangien (Sporulations- 
formen) der Parasiten, die in kleinen Haufen dicht bei einander in 
einer Kapsel liegen, welche von der Zellmembran gebildet wird. 
Diese Körperchen können mit Zelldegenerationen oder dergleichen 
nicht verwechselt werden. Sie können kaum anders gedeutet werden 
denn als Keime lebender Wesen. Diese Keimformen sind auch bei 
der Kohlhernie beobachtet worden. 

Nannyn (Straßburg) tlieilt einen Fall mit, in dem ein Arzt an Care, 
ventr. erkrankte, */ 4 Jahr nachdem er versehentlich den ausgeheberten Magen¬ 
inhalt eines Carcinomatösen getrunken hatte. 

Kaminer (Berlin): Ueber die Beziehungen zwischen Infection 
und der Glykogenreaction der Leukocyten. 

Die Reaction wird erzeugt durch Culturen und Toxine von 
Streptokokken, Staphylokokken, Pneumokokken, Milzbrandbacillen, 
FRIEDLÄNDER-Bacillen, Typhusbacillen, Bacterium coli, Bacillus 
pyocyaneus, durch Ricin, Abrin und Diphtherietoxoid. Die Reaction 
wird nicht erzeugt durch Tetanustoxin und Hühnercholerabacillen. 
Durch enorm hohe Immunisirung kann das sonst nach Diphtherie¬ 
toxin normale Auftreten von jodempfindlichen Leukocyten verhindert 
werden. Das normale Knochenmark enthält keine jodempfindlichen 
Zellen, dagegen sind solche im Knochenmark zu finden bei gleich¬ 
zeitiger Anwesenheit derselben im Blute. Von den verschiedenen 
Deutungen der mit Jod sich braun färbenden Substanz ist diejenige 
Ehrlich’s die wahrscheinlichste. 

Ehrlich (Frankfurt a. M.) erklärt die Thatsacbe, daß das Tetanustoxin 
die Reaction nickt gibt dadurch, daß bei demselben die Leukocyten überhaupt 
nicht an der Bildung der Antistoffe betlieiligt sind. Die Jodreaction ist wahr¬ 
scheinlich nur das Zeichen eines passageren Zustandes zur Lösung der in den 
Leukocyten enthaltenen Kohlehydrate. 

Hofbaner (Wien) betont, daß die Reaction klinisch differential-diagno¬ 
stisch zu verwerthen sei, da sie z. B. nie bei Typhus, Lues, Masern vorkommt, 
wohl aber bei anderen Infectionskrankheiten und Eiterungsprocessen Zwischen 
den Ergebnissen des Thierversuches und den Beobachtungen am Manschen 
besteht keine Uebereinstimmung. 

Minkowski (Köln) hält das Glykogen zweifellos für das Substrat der 
Reaction. 

Huber (Berlin) führt das Fehlen der Reaction bei Malaria darauf zu¬ 
rück, daß keine Toxine im Blute sind. Im Knochenmark von pernieiöser Anämie 
hat H. keine Jodphilie constatiren können. 

Fr. Müller (München): Bedeutung der Autolyse bei einigen 
krankhaften Zuständen. 

Die Einschmelzung von Gewebstheilen und Krankheitsproducten 
wie fibrinösen Exsudaten, blonden Infarcten u. dgl. kommt dadurch 
zustande, daß entweder Wanderzellen sich mit den Trümmern be¬ 
laden oder directe Resorption derselben durch die Lymph- und 
Blutgefäße erfolgt. Die Umwandlung der soliden Producte in ge¬ 
löste Form stellt also einen Verdauungsproceß dar. Solche autolytisclie 
Vorgänge lassen sich nun in vielen Organen experimentell nach- 
weisen (unter Zusatz von Toluol im Brutschrank); so werden z. B. 
in den hCpatisirten Lungen die Eiweißstoft’e zu Deuteroalbumosen 
umgewandelt, Basen und Säuren zu Leucin, Tyrosin u. dgl. abge¬ 
baut. Die Kernsubstanzen zerfallen in Nncleinbasen und Phosphor¬ 
säure. Auch Eiter-, Hirn- und Muskelsubstanz zeigen dieselbe ver¬ 
dauende Eigenschaft. Gesunde und von Blut durchströmte Gewebe 
widerstreben der Selbstverdauung. Die wichtigsten Träger dieses 
chemischen Vorganges sind die polynucleären Leukocyten. Zum 
Theil läßt er sich biologisch als ein fermentativer Proceß charak- 
terisiren. Die verdauende Wirkung der verschiedenen Bakterien¬ 
arten ist untereinander nicht gleich, sie bringt die autolytische 
Verflüssigung mancher Krankheitsproducte zustande, besonders sind 
die Fäulnißbakterien in dieser Hinsicht ausgezeichnet. Sie ist u. a. 
auch bei der Höhlenbildung in tuberculösen Lungen das wirksame 
Moment. Vortr. verbreitet sich noch des Weiteren über die dege- 
nerative Muskel- und Nervenatrophie durch Selbstverdauung. Hier 
sind aber die beweisenden Versuche noch nicht abgeschlossen. 
Jedenfalls kommt ein solcher Erweichungsproceß immer nur da zu¬ 
stande, wo die physiologische Function des Gewebes anfgehört hat. 
Erwiesen ist der fermentative Charakter der Autolyse bisher nur 
für die Leukocyten, die Leber und einige andere parenchymatöse 
Organe. Auch oxydative Processe verlaufen im Körper, die man 


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künstlich nachahmen kann. Schließlich kann auch unzureichende Er¬ 
nährung zum Ge,webszerfall führen. 

Beer (Straßburg) berichtet kurz die Ergebnisse einiger eigener Unter¬ 
suchungen über die Autolyse der Leber und des Eiters. 

Kraus (Graz) hält den vom Vorir. gebrauchten Ausdruck der fettigen 
Degeneration für derartige Vorgänge, wo keine Fettsäurebildung stattfindet, 
nicht für zweckmäßig. 

Weigert (Frankfurt a. M.) erinnert an einen fermentativen Proceß ent¬ 
gegengesetzter Art bei der Gerinnung des Fibrins im pathologischen Käsen dgl., 
die sog. Coagulationsnekrose. 

Mattlies (Jena) hebt hervor, daß er schon früher aus tuberculösen 
Drüsen Deuteroalbumose nnd Pepton dargestellt habe. 

v. Schrötter sen. (Wien): Ueber Actinomykose des Herzens. 

Die Diagnose war klinisch gestellt (früher schon einmal Akti- 
nomyces, Fistelbildung am Mediastinum, Herzarhythmie, Pericarditis, 
Herzschwäche, Stauungsödeme) und wurde durch die Section be¬ 
stätigt. Vortr. demonstrirt neben dem Präparat mikroskopische 
Schnitte von Serienschuitten durch das Herz: die Musculatur 
ist wenig afficirt, nur im interstitiellen Gewebe finden sich die 
Pilzanhäufungeu und kleinzelligen Infiltrationen, die stellenweise zu 
enormen Schwielenbildungen zwischen den Muskelfasern geführt 
haben, also genau wie bei anderen Infectionskrankheiten. Mit diesem 
Herzen hat der Kranke längere Zeit anstrengende Muskelarbeit 
ausgeführt. 

Gumprecht (Weimar): Oie Natur der sog. CHARCOT’schen Kry- 
stalle. 

Für die Bestimmung der Substanz, aus welcher die Charcot- 
schen Krystalle bestehen, kommen wesentlich 3 Haupteigenschaften 
dieser Krystalle in Betracht; die Lichtbrechung, die chemische und 
physikalische Löslichkeit. In erster Hinsicht sind die Krystalle 
doppelbreehend. In der zweiten Beziehung läßt sich eine ungemein 
hohe Löslichkeit feststellen; es genügen von den meisten Säuren 
oder Laugen bereits Zehntel-Normallösungen, um die Krystalle 
momentan verschwinden zu lassen. Von den physikalischen Agen- 
tien ist es die Wärme, und zwar etwas über 60°, welche die 
Krystalle wasserlöslich macht. Durch eine Reihe von Substanzen 
können diese Grundeigenschaften der Krystalle verändert werden ; 
das Prototyp dieser Substanzen ist das Sublimat in concentrirter 
Lösung. Sublimat nimmt ihnen die Doppelbrechung fast vollständig, 
es nimmt ihnen die Löslichkeit in Säuren und in Alkalien, und 
nimmt ihnen endlich die Löslichkeit durch Wärme. Aehnlich wie 
Sublimat wirken Gerbsäure, Pikrinsäure, Chromsäure. In zweiter 
Linie kommen noch andere charakteristische Eigenschaften in Be¬ 
tracht : die Krystalle sind fähig, Farbstoffe, namentlich saure, in 
sich aufzuspeichern, sie geben selbst gewisse Farbenreactionen 
und scheinen durch Eintrocknung etwas zusammenzuschrumpfen. Es 
ist hienach kein Zweifel, daß die CHARCOT’schen Krystalle des 
Knochenmarks aus Eiweiß bestehen. Es liegt der Gedanke nahe, 
daß in den Krystallen ein Reserveeiweiß zum Aufbau von Zellen 
vorliegt; Vortr. fand dementsprechend bei hochgradigen Cachexien 
öfters sehr spärliche Krystallbildung. Ein Umkrystallisiren ist bis¬ 
her auf keine Weise gelungen. Alle diese Angaben beziehen sich 
einstweilen auf CHARCOT’sche Krystalle aus Knochenmark ; Charcot- 
krystalle anderer Herkunft scheinen sich aber ebenso zu verhalten. 

Y. Poehl (Petersburg) betont die Uebereinstimmung der Charcot-Leydkn- 
schen, BöTTCHER’schen und Sperminkryatalle in dem Schmelzpunkt, was auf 
eine verwandte chemische Natur hinweise. 


31. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für 

Chirurgie. 

Gehalten zu Berlin, 2.—5. April 1902. 

(Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) 

IV. 

Doyen (Paris): Der Mikrococcus neoformans und die Behand¬ 
lung des Krebses. 

Im Februar 1902 hat D. der Acadömie de mödecine eine Mit¬ 
theilung gemacht, daß sich in den Krebsgeschwülsten und ganz 
besonders in den carcinomatösen Lymphdrüsen ein runder Mikro¬ 
organismus fände, der in Ketten von 6—8 Gliedern angeordnet ist. 


Dieser Mikroorganismus ist schwer zu cultiviren. Ist er aber 
auf einem besonderen Nährboden gezüchtet, so kann er auf andere 
Medien übertragen werden. Auf Agar-Agar gibt er einen graulichen, 
zähen Belag und verflüssigt die Gelatine langsam. Der Mikrococcus 
neoformans wird durch einen zwölfstündigen Aufenthalt in einer 
Temperatur von 55 — 60° sicher vernichtet. Man cultivirt ihn umso 
leichter, je weiter die Stelle, aus der man Culturmaterial entnimmt, 
von der primären Eruptionstelle entfernt ist; mit anderen Worten: 
das Centrura der Krebsgeschwulst ist außerordentlich häufig steril. 
Auf Schnitten den Mikrococcus neoformans darzustellen, ist schwierig; 
indessen ist es sicher, daß man ihn auf Schnitten nach Thionin- 
oder Safraninfärbung finden kann. Färbung nach Gram combinirt 
mit Carmintinction läßt eine kleine Zahl von Einzelkokkeu oder 
Diplokokken erkennen. Vortr. hat diesen Mikroorganismus in den aller¬ 
verschiedensten Tumoren aufgefundon, im Krebs der Brustdrüse 
und den afficirten Lymphdrüsen, im Krebs des Uterus, des Magens 
und in den Secundärknoten, im Carcinom des Ovariums, des Rectums 
und seinen Peritonealmetastasen, in dem proliferirenden Kystom der 
Mamma und des Ovariums, in rapid verlaufenden Strumen der 
Schilddrüse, im Pleuralymphosarkom, in Spindelzellsarkomen der 
Halslymphdrüsen, im Muskelsarkom und seinen Metastasen am Vor¬ 
derarm eines Kindes, schnellwachsenden Lipomen des Samen¬ 
stranges etc. 

In einer anderen Zahl von Geschwülsten hat D. keine Cul- 
turen gefunden. Bei allen diesen Tumoren gab es keine Recidive 
(„todte Geschwülste“). Hingegen hat sich ein Recidiv sehr rasch 
jedesmal dann entwickelt, wenn die Aussaat sehr ergiebig war. 

Die Impfung virulenter Culturen erzeugte bei einer Hündin 
2 eingekapselte Lipome. Beim Meerschweinchen zellige Wuche¬ 
rungen in der Mamma und Cylinderephithelwucherungen in der 
Leber. Im Hoden dringen die Mikroben in die Epithelzellen ein 
und werden von ihnen wie von Phagocyten zerstört. Diese Phago- 
cytose des Mikrococcus neoformans erscheint D. sehr beachtens- 
werth. Für ihn ist es übrigens nicht erwiesen, daß die sogenannten 
Krebsgeschwülste der Thiere identisch sind mit den Krebsgebilden 
bei Menschen. 

Die Pathogenese der menschlichen Geschwülste scheint ge¬ 
bunden zu sein an eine Reizung der normalen Körperelemente, die 
unter Theilung und Vermehrung den Kampf gegen das Eindringen 
des Mikrococcus neoformans aufnehmen. 

Wenn die phagocytäre Thätigkeit der proliferirenden Zellen 
überwiegt, so steht der Tumor im Wachsthum still. Jedoch kann 
er der Sitz eines latenten Mikrobenherdes bleiben. Unter diesen 
Umständen kann sich dann eventuell ein ursprünglich gutartiger 
Tumor in einen malignen verwandeln. Hat der Tumor malignen 
Charakter angenommen, so kann der primäre Eruptionsherd steril 
oder fast steril werden, und dann finden sich die pathogenen Keime 
in den Secundärknoten. Das Sarkom bleibt länger stationär als das 
Epitheliom, infolge der größeren Vitalität der Mesodermzellen. Da¬ 
her auch die schnellere Infection der Lymphdrüsen beim Krebs 
gegenüber dem Sarkom. 

Bevor Vortr. in unwiderleglicher Weise die Pathogenität des 
Mikrococcus neoformans behauptet konnte, hielt er es für nöthig 
auch noch einige neue therapeutische Thatsachen seiner An¬ 
schauung zugrunde zu legen. Die Injection von Toxinen des Mikro-, 
coccus neoformans, die durch Behandlung mit salzsaurem Chinin 
und Kakodyl abgeschwächt sind, ruft bei den Carcinomatösen eine 
beachtenswerthe Reaction hervor, die bei nicht zu schweren Fällen 
ein günstiges Resultat ergibt. In schweren Fällen ist es nothwendig, 
der eigentlichen Behandlung eine Injection einer bestimmten diffe¬ 
renten Flüssigkeit folgen zu lassen, die, von besonderer Activität, 
nach einiger Zeit eine bemerkenswerthe Veränderung der neuge¬ 
bildeten Gewebe hervorruft. Wenn die Wirkung dieser zweiten 
Flüssigkeit zu stark ist, injicirt er ein „Antitoxin“. Mehrere Tumoren 
sind nach und nach ohne Nekrose des neugebildeten Gewebes durch 
gesunde Substanz ersetzt worden. Die bisher erzielten Resultate 
sind ermuthigende und sollen unter der schärfsten wissenschaftlichen 
Controle fortgesetzt werden. D. wagt noch nicht die Behauptung, 
daß er den Erreger des Krebses und ein Mittel, Carcinom zu 
heilen, entdeckt hat. Er will nur bemerken, daß es ihm gelungen 


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ist, in mehr als 400 Fällen aus Tumorstücken eine Reincultur 
eines nenen Mikroben zu finden, der für Thiere pathogen ist, und 
daß er davon ausgehend eine neue Behandlungsweise illustrirt hat, 
deren Ergebnisse in inoperablen Fällen den bisherigen Methoden 
überlegen sind. 

Schüller (Berlin): Zur parasitären Entstehung von Krebs und 
Sarkom. 

Sch. weist auf seine aufgestellten mikroskopischen Präparate 
hin, welche die ihm vorgeworfene Verunreinigung durch Kork aus¬ 
schließen, da er seitdem Kork nicht wieder benutzt hat. Die von 
ihm gefundenen Körperchen hat er auch mitten im Gewebe gefunden. 
Auch im Urin hat er dieselben „Kapseln“ entdeckt. 

0. Israel (Berlin): Die Probleme der Krebsätiologie. 

Zum Nachweis der parasitären Aetiologie gehört zunächst der 
Nachweis der Infectionsfähigkeit des Carcinoms. In Bezug auf die 
FEiNBERG’sche Arbeit stimmt er mit Nötzel überein. Die Fein- 
BERG’sche Entdeckung ist bereits im Jahre 1892 genau bis auf die 
Anwendung der Farbstoffe von Olt gemacht worden. Die Unter¬ 
suchungen von SjÖbring hat er nachgemacht und nur den 
einen Nutzen davon gehabt, daß er auch die amöboide Bewegung 
der Gebilde Sjöbring’s gesehen hat. Diese kann man dadurch hervor- 
rufen, daß man Fett in alkalischem Medium mit einem dritten 
Stoff zusammeubringt. Die Bewegung dauert so lange wie die Al- 
kalescenz. Seine Meinung über die SJÖBRiNG’schen Funde hat er 
schon im vorigen Jahre abgegeben. Er hält an dem Satze fest, daß 
Neubildungen nur da slattfinden, wo Epithelzellen zugrunde gehen 
und zu einem Ersatz durch Vermehrung veranlaßt werden. An Tafeln 
macht er diese Entstehung der Neubildung klar. Diese ist gutartig, 
so lange das Epithel seine Grenze gegen das unterliegende Gewebe 
nicht überschreitet. Die Protozoen sind nur durch Mißverständnisse 
in die Forschung hineingekommen. 


Notizen. 


Wien, 3. Mai 1902. 

(Antrittsvorlesung.) Am 30. April hat der Nachfolger 
Widerhofer’s, Prof. Dr. Theodor Escherich, seine Vorlesungen 
an der Wiener Universität eröffnet. Vor einem Parterre von Collegen 
und zahlreichen Studirenden widmete der neuernannte Professor 
der Pädiatrie zunächst dem Andenken seines Vorgängers im Lehr¬ 
amte Worte der Ehrung, die wissenschaftlichen und ärztlichen 
Leistungen hervorhebend, deren Zeugen die unzulänglichen Räume 
dieses Krankenhauses waren. Die Nothwendigkeit eines Neubaues 
des Hauptgebäudes betonend, besprach Escherich die Methodik 
des klinischen und poliklinischen Unterrichtes der Kinderheilkunde. 
Dem systematischen akademischen Vortrage sollen Vorführungen 
von Krankheitsfällen und gruppenweise Demonstrationen durch 
die Assistenten folgen. — Mit großem Beifalle wurden die Aus¬ 
führungen Escberich’s aufgenommen, welchem in wohl abseh¬ 
barer Zeit eine Arbeitsstätte errichtet werden wird, würdig der 
Bedeutung des Faches, das er lehrt, würdig auch des Lehrers 
und Forschers, dessen Eintritt in den Verband unserer Faculfät 
die Aerzteschaft freudig begrüßt. 

(K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien.) In der 
gestrigen Sitzung demonstrirte zunächst Prim. Doc. Dr. Büdinger 
2 Fälle von Epitheliom des unteren Augenlides, in 
welchen er das Neoplasma exstirpirt, den entstandenen Defect 
durch Transplantation eines ungestielten Lappens aus der Ohr¬ 
muschel und Uebernähung des letzteren durch einen gestielten 
Lappen aus der Stirnhaut gedeckt hat. — Hierauf stellte Docent 
Dr. Alt einen Knaben vor, der nach Otitis media purulenta 
an Thrombose des Sinus und der rechten Jugularis 
int, schließlich an embolischer Lungengangrän erkrankt war. 
Sämmtliche Affectionen sind auf chirurgischem Wege zur Heilung 
gelangt. Prim. Doc. Dr. Knöpfelmacher referirte über einen ähn¬ 
lichen, ohne Operation geheilten Fall. — Sodann führte Doc. Dr. 
Kreibich eine Reihe von Hauterkrankungen vor, und zwar 1. zwei 
Fälle von Lymphorrhoe der Haut und der Mundschleim¬ 


haut, ein serpiginöses Cancroid des Vorderarmes, das seit 
4 Jahren besteht, nnd einen Fall von Pityriasis lichenoides 
chronica. Dem Vortr., der einen der Fälle von Lymphorrhoe 
auf Exstirpation der regionären Lymphdrüsen zurückgeführt hatte, 
entgegneten Ilofr. Prof. Dr. Exner und Prof. Dr. Ehrmann, daß 
demselben möglicherweise außerdem eine Erkrankung der betreffen¬ 
den Lymphgefäße zugrunde liegen könne; Hofr. Prof. Dr. Ned- 
mann betonte im Einklänge mit Kreibich die Seltenheit der als 
„Pityriasis lichenoides“ bezeichneten Affection. — Schließlich hielt 
Dr. Adolf Jolles seinen angekündigten Vortrag über neue 
Methoden der chemischen Harn- und Blutunter¬ 
suchung. Zur Vereinfachung der Eiweißbestimmung im Harne 
schlägt Vortr. vor, das Eiweiß durch Coagulation in schwach 
saurer Lösung abzuscheiden, chlorfrei zu waschen, mit Permanganat 
in schwefelsaurer Lösung zu oxydiren und in einem Azotometer 
den entwickelten Stickstoff zu messen. Durch Multiplication des 
Gewichtes des gemessenen Stickstoffes mit 7'86 erhält man die 
Eiweißmenge. Hierauf beschrieb J. eine neue Methode zur 
quantitativen Bestimmung der Eiweißkörper im 
Blute für klinische Zwecke. Sie gestattet, in 0*2 Ccm. Blut 
zu brauchbaren Resultaten zu gelangen. Die Methoie ist eine gas¬ 
volumetrische. Der volumetrisch gemessene Stickstoffgehalt wird 
mit 7*86 multiplicirt und man erhält so die Eiweißzahl. Die Be¬ 
stimmung erfolgt in dem „Hämoprotometer“. Verminderter Eiwei߬ 
gehalt fand sich z. B. in schweren Fällen von Diabetes mellitus, 
bei Lebercirrhose, katarrhalischem Icterus, Leukämie und Anämie; 
bei acuter Nephritis und einem Falle von Influenza war der 
Eiweißgehalt des Blutes erhöht. Schließlich berichtete J. über 
seine im Vereine mit Oppenheim vorgenommenen Blutuntersuchungen 
Luetischer an der NEUMANN’schen Klinik. 

(Wiener Aerztekammer.) In der am 29. April d. J. 
abgehaltenen Versammlung der Wiener Aerztekammer bildete der 
vom Aerztckammergesetz-Comitö und vom Kammervorstande vor¬ 
gelegte Entwurf eines Aerztekammergesetzes, welches 
auch eine Aerzte-Ordnung enthält, den ausschließlichen Gegenstand 
der Berathung. Dieser Entwurf soll vorerst dem von sämmtlichen 
Aerztekammern eingesetzten Comite der Präsidenten der mährischen, 
niederösterreichischen, ostgalizischen und Wiener Kammer vorgelegt 
werden, welches die Aufgabe hat, auf Grund der von den einzelnen 
Kammern vorgelegten Anträge auf Abänderung des bestehenden 
Aerztekammergesetzes einen Entwurf eines neuen Gesetzes aus¬ 
zuarbeiten , ihn juristisch begutachten zu lassen und dann allen 
Aerztekammern zur Vorberathung vor dem nächsten Kammertage 
zuzusenden. Da es sich demnach nicht um einen endgiltigen 
Beschluß über die Fassung des Gesetzentwurfes handelt, wurden in 
der Kammerversammlung nur jene principiellen Punkte des Ent¬ 
wurfes einer Berathung und Beschlußfassung unterzogen, in welchen 
derselbe vom derzeit geltenden Aerztekammergesetze abweicht. Es 
sind dies folgende Punkte: 1. Schaffung einer Aer zteo rd n ung, 
durch welche an Stelle der jetzt bestehenden gesetzlichen Bestim¬ 
mungen und Verordnungen die Erfordernisse zur Ausübung der 
ärztlichen Praxis und die Rechte und Pflichten der Aerzte in 
klarer und den Forderungen der Jetztzeit entsprechender Weise 
festgesetzt werden; 2. Ausdehnung der Kammerpflicht auf die im 
activen Dienste stehenden Militärärzte sowie die bei den 
landesfürstlichen politischen Behörden angestellten 
Aerzle, welche jedoch vom ehrenräthlichen Verfahren der Kammer 
ausgeschlossen sind; 3. Entsendung von Delegirten der Kammern 
in den Landessanitätsrath als ordentliche Mitglieder; 4. Bestim¬ 
mungen über die Niederlegung oder den Verlust eines Kammer¬ 
mandates unter gewissen Umständen; 5. Trennung der Functionen 
des Ehrenrathes von denen des Kammervorstandes; 6. Erweite¬ 
rung der Disciplinargewalt und Schaffung eines Ehren¬ 
gerichtshofes, welcher über Berufungen gegen Urtheile des 
Ehrenrathes entscheidet und als 1. Instanz in jenen Fällen fungirt, 
in welchen ein kammerangehöriger Arzt einer schweren Verletzung 
der Standesehre beschuldigt wird, welcher wegen dieses Delictes 
bereits dreimal bestraft worden ist. Nach längerer und eingehender 
Debatte wurde sämmtlichen Punkten im Principe zugestimmt. — 
Dem Vollzugsausschüsse der Wiener medicinischen Studentenschaft 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 18. 


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wurde behufs Versendung seiner Denkschrift „über die Stellung 
des jungen Arztes“ sammt einem erläuternden Beiblatte an die 
Abiturienten der Gymnasien eine Subvention von 100 Kronen 
bewilligt. 

(Uni v er sitätsn ach richten.) Prof. Dr. Adalbert Tobold 
in Berlin ist zum geheimen Medicinalrathe, die Privatdocenten 
Dr. A. Schlossmann und Dr. K. Wolf in Dresden sind zu 
a. o. Professoren, der a. o. Professor Dr. C. Fedeli in Pisa ist 
zum Ordinarius für medicinische Pathologie ernannt worden. — 
Am 18. April wurde vor der neuen Nervenklinik der Charitö in 
Berlin die Büste des großen Psychiaters Wilhelm Griesinger 
enthüllt. 

(Auszeichnung.) Dr. Kasimir Kruszynki in Szczawnica 
hat den Titel eines kaiserlichen Rathes erhalten. 

(Hydrotherapie.) Docent Dr. Julius Weiss hat im Ver¬ 
eine mit Dr. Ludwig Bram , gewesenem Curarzt im Bade Tüffer, 
Darkau etc., die ärztliche Leitung der neueingerichteten A b t h e i- 
lung fürWasserheilverfahren und Pistyaner Schlamm* 
euren im Georgsbade, Wien, IX., Clusiusgasse 12, übernommen. 

(Warnung vor dem Studium der Medicin.) Die 
Aerztekammer für Schlesien beabsichtigt, die Gymnasial-Abiturienten 
vor dem Medicinstudium zu warnen. Sie hat beschlossen, den Direc- 
tionen sämmtlicher Gymnasien in Schlesien die Denkschrift der 
Wiener medicinischen Studentenschaft mit einem Begleitschreiben zu 
übersenden, in welchem unter Hinweis auf die ungünstige Lage des 
ärztlichen Standes ersucht wird, Abiturienten vor dem medici¬ 
nischen Studium zu warnen. Ferner sollen den politischen Zeitungen 
Notizen in gleichem Sinne übermittelt und durch die geschäfts¬ 
führende Kammer die übrigen Aerztekammern zu einem gleichen 
Verfahren aufgefordert werden. 

(Aus Zürich) schreibt man uns: Der Große Rath des Can- 
tons Tessin hat in seiner jüngsten Tagung den von der Regierung 
eingebrachten Gesetzentwurf betreffend die Unentgeltlichkeit 
der Geburtshilfe angenommen. Nach diesem Gesetze sind nun¬ 
mehr die Hebammen durch die Gemeinden und den Staat zu bezahlen. 

(Congresse.) Unter Vorsitz des vom Centralcomite des 
internationalen medicinischen Congresses in Madrid 
für Oesterreich ernannten Präsidenten Hofrath Prof. Nothnagel 
fand im Monate März die constituirende Versammlung des öster¬ 
reichischen Comites für den genannten Congreß statt. Wie bei 
den früheren internationalen medicinischen Congressen gehören 
diesem Comitö an: die Vertreter der verschiedenen Disciplinen der 
Wiener medicinischen Facultät, Delegirte der medicinischen Facultäten 
in Prag, Graz, Innsbruck und Krakau, ferner Delegirte des Mini¬ 
steriums für Cultus und Unterricht, des Ministeriums des Innern, 
des Justiz- und des Kriegsministeriums, des Centralverbandes der 
Aerztekammern in Oesterreich und die Vertreter der medicinischen 
Fachpresse. Zum Secretär des österreichischen Comitös für Madrid 
wurde Hofrath Prof. Politzer (I. Gonzagagasse 19), zum Tresorier 
Prof. Dr. Chiari (I., Bellariastraße 12) gewählt. — In derselben 
Sitzung hat sich ebenfalls unter Vorsitz des Hofrathes Nothnagel das 
aus denselben Mitgliedern zusammengesetzte österreichische Comite 
für den im December 1902 in Cairo tag en den ägyptischen 
medicinischen Congreß constituirt, und wurden Hofrath Pro¬ 
fessor Winternitz (I., Wipplingerstraße 28) zum Secretär und 
Prof. v. Frankl-Hochwart (I., Volksgartenstraße 5) zum Tresorier 
gewählt. Schriftliche Anfragen und Anmeldungen für die genannten 
Congresse sind an die betreffenden Secretäre und Tresoriers zu 
richten. Den Mitgliedern des ägyptischen Congresses wurden fol¬ 
gende Preisermäßigungen gewährt: 35—50% auf den Schiffen 
der ägyptischen Schifffahrtsgesellschaft, 50% auf den ägyptischen 
Eisenbahnen, 25% in den Hotels von Cairo, 50% für die Cook’schen 
Excursionen nach Oberägypten. 

(Statistik.) Vom 20. bis inclusive 26. April 1902 wurden in den 
Ci vilspitälern Wiens 7583 Personen behandelt. Hievon wurden 1602 
entlassen; 177 sind gestorben (9‘9% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 78, egypt. 
Augenentzündnng 2, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 4, Dysen¬ 
terie—.Blattern—, Varicellen 89, Scharlach 95, Masern 427, Keuchhusten 61, 
ßothlauf 42, Wochenbettfieber 1, Rötheln 43, Mumps 11, Influenza—, follicul. 


Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 769 Personen gestorben 
(— 34 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Wien der Polizeibezirks¬ 
arzt Dr. Karl Fuchs, ein angesehener Arzt und geachteter College, 
54 Jahre alt; in Reichenberg Dr. Eduard Porsche im 74 Lebens¬ 
jahre ; in Budapest Dr. Moriz Jelinek, im Alter von 38 Jahren ; 
in Breslau der Professor der Zahnheilkunde Dr. J. Bruck, 61 Jahre 
alt; in Berlin Generaloberarzt a. D. Dr. Nicolai ; in Parma der Pro¬ 
fessor der pathologischen Anatomie Dr. G. Inzani. 


Durch die Schwefelbad-Tabletten von Dr. Sedlitzky kann man sich nun 
sehr bequem überall Schwefelbäder hersteilen, was* bis jetzt nicht möglich 
war. Diese Tabletten haben den besonderen Vorzug, daß die Schwefelwasser- 
stoffentwickclung erst im Bade selbst beginnt, und daß sie lange Zeit 
haltbar sind. 


Eine uns vorliegende, soeben veröffentlichte graphische Darstellung des 
Gehaltes der „Rohitscher, der Karlsbader und der Marienbader Quellen“ nach 
Prof. Bottler in Halle a. d. Saale erläutert in höchst übersichtlicher Form 
die verschiedenen wichtigen ßestandtheile dieser Quellen, und ergibt sich 
daraus ganz klar, daß die „Styria-Quelle von Rohitsch-Sauerbrunn“ die Karls¬ 
bader Quellen (Sprudel, Schloßbrunn) und die Marienbader Quellen (Kreuz¬ 
brunn, Waldquelle) hinsichtlich des Gehaltes an „purgirenden Salzen“ ganz 
bedeutend übertrifft. 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 

Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
Postversendung. Die Preise der Einbanddeoken sind folgende: für die „Med. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 

,,Therapie der Gegenwart“: -BT 1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Post Versendung. 

- --- ■ — - . — — — - - 

Die llubrik: „Erledigungen, ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 

S Wir empfehlen diese Rubrik der speeiellen Beachtung unserer 
rten Leser; in derselben werden öfters — neben der Publioation von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auch für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein können, welche an eine 
Aenderung des Domioils oder ihrer Verhältnisse nicht gedacht haben. ~aMI 

Herr Med. Univ. Dr. Max Stransky, Frauen- und Kinderarzt, 
Wien, V., Griesgasse 15, schreibt den 13. September 1897: 

„Ich erlaube mir Ihnen mitzutheilen, daß ich mit Ihrem 
Präparate vorzügliche Resultate gesehen habe. Als Zusatz zur 
Milch in Form der Suppe bildet dasselbe eine Nahrung, welche 
die Kinder sehr gerne nehmen, and bei der sie vorzüglich ge¬ 
deihen. Im Laufe des Sommers hatte ich oft Gelegenheit, Ihr 
Nährmehl als Suppe oder Milch bei der Sommerdiarrhoe der Säug¬ 
linge zu verordnen und fand, daß die Kinder dieselbe gerne nehmen 
und nach Ablauf der Krankheit nicht so abgemagert waren als 
sonst, wo man ihnen nur Eiweißlösung und russischen Thee etc. 
zu reichen pflegt. Ich halte Ihr Nährmittel für einen sehr werth¬ 
vollen Factor in der Kinderernährung und habe mit demselben 
bisher die besten Erfolge erzielt.“ 

Waare zu Versuchszwecken steht den Herren Aerzten gratis 
franco zur Verfügung. 

R. Kufeke, Wien, I., Nibelungengasse 8. 




APENTA 


Eigentümerin der Quellen: „APENTA“ ACTIEN-GESELLSOHAFT, Budapest. 
Bel Apothekern, Drogisten und Mlneralwaaaer-Händlern, In ganzen und halben Flatohtn. — 

Analyse und fachmännische Berichte erhältlich in den Mineralwasserhandlangen etc. 
Gratisproben den Herren Aerzten franco znr Verfügung. 


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Wien, den 11. Mai 1902. 


XLIII. Jahrgang. 


Nr. 19. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart-Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik“, letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse“ 
in Wien, I., MaximilianstraOe Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Deutsohmeisterplatz 2. 

Medizinische 


Wiener 


Abonnementspreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Militärärztlicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
20 A", halbj. io A’, viertel]. 5 K. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk. , halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 K\ Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Pf..**: 60 A berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien.I., Maximilianstr. 4. 


Presse. 


Begründet 1860. 


Hedactlon: Telephon Nr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

-.Q*g.- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 

Administration: Telephon Nr. 9104. 


HALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Aus der Abtheilung des Hofr. Prof. W. Winternitz an der allgemeinen Poliklinik in Wien. Reflexfleber 
bei ulcusartigen Magenkrankheiten. Von Doc. Dr. Alois Sthasser, Assistent der Abtheilung. — Ein Fall von Spätrecidiv nach einem Typhus. Von 
nm. Dr. Oscar Hoffner in Drohobycz. — Die Behandlung der Frauenkrankheiten in Franzensbad. Von Dr. Lazar Nenadovicz in Franzensbad. — 
Referate. Friedrich v. Sölder (Wien): Der Corneo-Mandihnlarreflex. — F. Wenzel (Bonn): Zur Behandlung der Phimose. — M. Muret (Lausanne): 
Beitrag zur Casuistik und Diagnostik der interstitiellen Gravidität. — Kühsei.: Beitrag zur Aetiologie und Pathogenese der Ekzeme. (Vorläufige 
Mittheilung.) — Hellendall (Straßburg): Die EnRLiCH’sche Diazoreaction in ihrer Bedeutung für chirurgische Krankheiten. — Orro Soltmann 
(Leipzig): Zur Lehre von der Pathogenität des Bacillus pyocyaneus. — Maixnek (Prag): Ueber die hämorrhagische Form der Lebercirrhose. — 
Haskovec: Weitere Beiträge zur Lehre über den Einfluß des Schilddrüsensaftes auf das centrale Nervensystem. — Karl Schaffer (Budapest): Die 
Topographie der paralytischen Rindendegeneration und deren Verhältniß zu Flechsig's Associationscentren. — Silberschmidt (Zürich): Ueber den 
Befund von spießförmigen Bacillen (Bac. fnsiforme Vincent) und von Spirillen in einem Oberschenkelabsceß beim Menschen. — Kleine Mit» 
n' d Behandlung der gonorrhoischen Gelenkentzündung. — Vial’s tonischer Wein, ein neues Diäteticum. — Heilwirkung deä Dionio. — 

tji n ^ er ^‘ ssura an *- — Thiol und seine Anwendung. — Der Albumengehalt der Nephritiker unter dem Einflüsse der Massage. — Zur 
Behandlung der Lungentuberculose mit Thiocol. — Dysuria gonorrhoica. -- Literarische Anzeigen. Atlas und Grundriß der Histologie und 
mikroskopischen Anatomie des Menschen. Von Privatdocent Dr. J. Sobotta in Würzburg. — Das Wirbelthierblut in mikrokrystallographischer Hin» 
sicht. Von Dr. H. U. Kobert. Mit einem Vorwort von Staatsrath Prof. Dr. R. Kobert. — Die Entstehung und Ursache der Taubstummheit. Vou 
. • *' RITZ Danzigkr Beuthen, O.-S. — Feuilleton. Die physikalischen Heilmethoden an den Hochschulen. (Zur Organisation des klinischen Unter¬ 
richts.) Von Dr. Julius Fodor, leitendem Arzt des Centralbades in Wien. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. 20. Congreß für innere Medicin. 
Gehalten zu Wiesbaden 15.—18- April 1902. (Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) IV. — Gesellschaft für 
innere Median in Wien. (Orig.-Ber.) — Aus italienischen Gesellschaften. (Orig.-Ber.) — Notizen. Warnung. — Nene Literatur. — * 

sendet. Offene Correspondenz der Redaction und Administration. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen: " ' ' 

Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse u gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 


Ans der Abtheilung des Hofr. Prof. W. Winternitz 
an der allgemeinen Poliklinik in Wien. 

Reflexlieber bei ulcusartigen Magenkrankheiten. 

Von DoC. Dr. Alois Strasser, Assistent der Abtheilung. 

Zu dem Symptomencomplexe von chronischen Magen¬ 
krankheiten gehören größere Fiebersteigerungen, so lange keine 
Complicationen vorliegen, in der Regel nicht; insbesondere 
möchte ich hervorheben, daß peptische und katarrhalische Ge¬ 
schwüre des Magens (uneomplicirt) nicht mit Fieberbewegungen 
einherzugehen pflegen. Aus diesem Grunde hatte der von 
Dr. Breuer j ) demonstrirte Fall ein ganz besonderes Interesse. 
Es handelte sich um eine Patientin, welche, nach einem 
starken psychischen Affect, unter Magenerscheinungen erkrankt, 
an einer viele Monate hindurch genau beobachteten vollständi¬ 
gen Achylie und schweren, im späteren Verlaufe rapid fort¬ 
schreitenden, phthisisch-tuberculösen Erscheinungen (Lungen- 
hthise, Tuberculose der Pleura und des Pericards, wie der 
ectionsbefund zeigte) kurze Zeit nach einer wegen schwerer 
motorischer Insufficienz vorgenommenen Gastroenterostomie 
zugrunde ging. Während des Krankheitsverlaufes hatte die 
Patientin durch lange Zeit räthselhafte Fiebersteigerungen, 
welche genau mit dem jeweiligen Füllungszustande des Magens 
zusammenfielen und sofort verschwanden, wenn der Magen aus¬ 
gewaschen wurde. Die Section zeigte nebst den oben erwähnten 
tuberculotischen Veränderungen ein tiefes tuherculöses Geschwür 

’) In der Sitzung der Gesellschaft für innere Medicin am 9. Januar 1902. 


an der großen Curvatur des Magens, und die Fiebererschei¬ 
nungen wurden von Breuer, wohl mit Recht, als toxische 
Anfälle aufgefaßt. Das Vorhandensein mancherlei abnormer 
Gährungsprocesse bei vollständiger Achylie macht die Er¬ 
scheinung plausibel. 

Dies ist ein recht seltener Fall eines ulcerösen Processes 
im Magen, bei welchem man auch ohne entzündliche Complica- 
tion für die Fieberbewegungen eine plausible Erklärung findet. 

Ganz anders verhält sich die Patientin, deren Kranken¬ 
geschichte ich mittheilen will. 

In einer Beobachtungszeit von circa 6 Jahren zeigen sich 
neben schweren Magenerscheinungen (vor 5 Jahren und jetzt 
wieder) eigenartige Fieberbewegungen, welche, selbst wenn man 
sie von allen möglichen Seiten beleuchtet, weder in ihrer Art, 
noch in ihrem Ursprung völlig aufgeklärt werden können. 

Die Patientin lag zuerst vom 2.—27. Februar 1896, dann 
vom 14. November 1896 bis 12. Januar 1897 auf der Abtheilung 
des Hofrathes Prof. Winternitz an der allgemeinen Poliklinik in 
Wien ; dann vom 18. Januar bis 30. April 1897 ; vom 14. Juni 
bis 8. Juli 1899 und vom 16. März bis 17. Mai 1901 an der 
Klinik des Hofr. Prof. v. Schrötter und ist seit 30. November 1901 
wieder an der Abtheilung Hofr. Winternitz an der allgemeinen 
Poliklinik. 

Aus den zu verschiedenen Zeiten aufgenommenen Anam¬ 
nesen sind die folgenden Momente hervorzuheben: Die Eltern 
der Patientin sind gestorben; der Vater an Herzlähmung, die 
Mutter angeblich an Lungenentzündung; von den Geschwistern ist 
eines lungenleidend, ein anderes starb an Lungen- oder Darm- 
tuberculose. Als Kind hat die Patientin Pertussis, Varicellen und 
Morbillen überstanden, war mehrere Jahre hindurch bis zu ihrem 
13. Lebensjahre mit Chorea behaftet, hatte in ihrem 15. Lebensjahre 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 19. 


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Lymphdrüseneiterungen am Halse, 2 Jahre später angeblich Lungen¬ 
entzündung, welche in völlige Heilung überging. Mit 17 Jahren die 
ersten Menses, welche seither kaum jemals durch längere Zeit regel¬ 
mäßig wiederkehrten. 

Magenerscheinungen sind ungefähr bis in das 16.—17. Lebens¬ 
jahr zurückzuverfolgen; deutlicher traten sie in dem 17. bis 
19. Lebensjahre hervor und hatten den Charakter von öfter wieder- 
kehreüden „Magenkrämpfen“, Schmerzen , welche im Epigastrium 
localisirt wurden und mit häufigem Erbrechen meist zur Zeit der 
Menses erschienen. Ueber die Natur der damaligen Magenkrämpfe 
weiß die Patientin nichts Näheres anzugeben; sie scheinen nicht 
genau an die Nahrungsaufnahme gebunden gewesen zu sein, das 
Erbrechen war damals angeblich niemals hämorrhagisch. Die Menses 
cessirten wiederholt für mehrere Monate und Pat. litt an Schmerzen 
in der Kreuz- und unteren Bauchgegend; diese letztere Erschei¬ 
nungen waren es, welche sie das erstemal zu uns ins Spital führten. 
Spätere Angabe: Periodisch Nachtschweiße; über Husten wurde 
nichts Besonderes erwähnt. 

Bei der ersten Aufnahme am 2. Februar 1896 sahen wir eine 
blasse, gracil gebaute Patientin mit scrophulösen Narben am Halse; 
am Herzen war nichts Abnormes zu finden ; an den Lungenspitzen 
beiderseits etwas Infiltration und Katarrh; das Abdomen besonders 
in der Gegend der Flexura S druckempfindlich, der Darm daselbst 
stark gefüllt; die Milzspitze deutlich palpabel; Gurren in der 
Gegend der Ileocöcalklappe. Der Magen nicht dilatirt; eine 
Druckempfindlichkeit in der Pylorusgegend ist in 
der Krankengeschichte von damals nicht hervor¬ 
gehoben. Druckempfindlichkeit längs der ganzen Wirbelsäule, 
von Reiten des Nervensystems keinerlei Abnormitäten. Genitalbefund 
vom 3. Februar 1896: Vagina eng, schmerzhaft, Portio eng, ge¬ 
spalten lacerirt, Uterus retroflectirt, sinistroponirt; Fluor. Parametrien 
frei. Kein Fieber. 

Die Patientin wurde hydrotherapeutisch behandelt, mit allge¬ 
meinen erregenden Proceduren-^ der Darm entleert; der Uterus 
ÄmfgS^eKteT]'' Pessar eingelegt. - ' V 

Am 20. und 21. Februar wurden zum erstenraale heftige 
Anfälle von Gastralgie beobachtet; dabei Erbrechen schleimiger 
Massen; fieberhafte Temperatursteigerung (Abends 387). Die 
Magengegend, insbesondere der pylorische Th eil 
äußerst druckempfindlich; im Erbrochenen kein Blut. 

Am 22. Februar Probefrühstück mit KNORR’sehem Hafer¬ 
mehl (die Analyse ging verloren); ich erinnere mich genau an 
den Befund; es fand sich eine verminderte Acidität 
und Mangel an freier Salzsäure. 

Die Anfälle wiederholten sich nicht mehr und die Patientin 
verließ am 27. Februar 1896 das Spital in recht gebessertem 
Zustande. 

Am 14. November kam sie wieder und gab an, daß sie 
nach ihrem Austritt aus dem Spital noch mehrere Wochen krank 
gewesen sei, Kreuzschmerzen, Seitenstechen, Fieber gehabt 
habe und einmal „Blut gehustet“ hätte. Ob dies keine Magen¬ 
blutung war, läßt sich wohl nicht entscheiden. Nach einem mehr¬ 
monatlichen Landaufenthalte erholte sie sich und war bis anfangs 
October wohl. Anschließend an den Verlust ihrer Mutter traten 
die Magenerscheinungen mit größerer Heftigkeit 
in den Vordergrund, Anfälle von Magenkrämpfen 
traten häufig auf, dauerten mitunter 2—3 Stunden 
und waren mit Erbrechen verbunden. Das Erbrochene 
soll niemals hämorrhagisch gewesen sein. Husten un¬ 
wesentlich. Der Lungenbefund war gegen Februar desselben Jahres 
kaum verändert, dagegen der Magen deutlich dilatirt 
(bis 2 Querfinger unter dem Nabel) sehr druckempfindlich. 
Die Dilatation des Magens war nicht manifest, 
sondern änderte sich ziemlich nach den einzelnen 
Anfällen, und zwar ließ sich genau verfolgen, daß nach Anfällen 
von heftiger Gastralgie 1—2 Tage lang deutliche Atonie , resp. 
Dilatation des Magens zu constatiren war. Fieber bestand nicht. 
Bei steigender Appetitlosigkeit und Häufung der Anfälle fing die 
Patientin am 1. December an zu fiebern und der ansteigende 
Charakter des Fiebers in den ersten 8 Tagen ließ dem Gedanken 


Raum, daß es sich um einen Abdominaltyphus im ansteigenden 
Stadium handeln könnte; wir hielten auch die Diagnose als eine 
entferntere Möglichkeit aufrecht, obwohl bei der Patientin 16 Tage 
lang keine charakteristischen Erscheinungen zur Beobachtung kamen. 
Am 6. Tage wurde Bäderbehandluug eingeleitet und die Patientin 
systematisch gebadet. Die Temperaturen, welche mitunter hohe 
Grade (41’3°) erreicht hatten, gingen auf jedes Bad zurück. 

Am 10. December beobachtete ich das erstemal ein eigen¬ 
tümliches Verhalten der Temperatur der Patientin. Die Patientin 
stieg mit einer Temperatur von dl’S 0 (Rectum) in ein Bad von 
25° C., wurde durch 6 Minuten energisch frottirt und zeigte beim 
Heraussteigen aus der Wanne eine Recturatemperatur von 36 - 8°, 
ohne Collaps, ohne Frösteln. Dieses Verhalten der Tempe¬ 
ratur war für uns ein starkes Argument gegen die Diagnose des 
Typhus, denn so kolossale Temperaturabfälle (4 - 5°) ohne Collaps 
können im ansteigenden Stadium des Abdominaltyphus als Effect 
eines kurzen Bades niemals auftreten. (Wohl im absteigenden 
Stadium, aber auch da kaum ohne Collaps oder starkes Frösteln.) 
2 Tage darauf fand ich die Patientin mit hochrothem Gesichte im 
Bette liegen, sie klagte über heftigen Magenkrampf, und als ich mit 
drei verläßlichen Thermometern die Recturatemperatur in einer Tiefe 
von ungefähr 8 Cm. maß, fand ich die horrende Höhe von 
43 - 3° C. Gleich hier muß ich betonen, daß ich nach dem Aussehen 
der Pat. eine so hohe Temperatur nicht vorausgesetzt hätte, sie schien 
dieselbe außerordentlich gut zu vertragen; der Bauch war sehr 
druckempfindlich, in der Pylorusgegend eine stärkere Resistenz. Ob 
dem Fieber ein Frost vorausgegangen ist, wurde nicht beobachtet, 
die Patientin erzählte von einem Frösteln, und ich selbst sah sie 
ohne Frost, als die hohe Temperatur schon erreicht war. Nach 
circa einer halben Stunde trat Erbrechen ein, leichter Schweißaus¬ 
bruch, und die Temperatur fiel innerhalb 2—3 Stunden auf 
38‘3° C. (Rectum), also genau um 5° C., ohne daß die Patientin 
collabirt wäre; noch an demselben Tage erreichte die Temperatur 
während Magen kranjpfes die Höhe von 41*8 und 41*7 und fiel 

nach .copiöftera Erbrechen auf* 39*1 0 zurück. Das Fieber hatte von 
diesem Tage an einen ganz unregelmäßigen Charakter. Wir sahen 
eine Continua von 12 — 13tägiger Dauer mit sehr hohen Exacerba¬ 
tionen , welche stets mit der Füllung des Magens zusammenfielen 
und von Erbrechen eingeleitet waren, unter leichtem Schweiß, ab¬ 
laufenden Abfall der Temperatur um 2—3° und auch mehr ohne 
Collaps. Der Magen zeigte seine wechselnde Größe, sowie früher an¬ 
gedeutet wurde, und die häufige Untersuchung des Erbrochenen er¬ 
gab stets Mangel an freier Salzsäure bei saurer Reaction ; 
einigemale geringe Quantitäten von frischem unverändertem Blut. 
Harnbefund war stets normal. 

Gegen den 20.—21. December fiel das Fieber und blieb bis 
zum 12. Januar 1897 in tieferen Grenzen als unregelmäßiges Fieber 
bestehen. Magenkrämpfe und Exacerbationen, Erbrechen, Schweiß 
und Abfall der Temperaturen fielen stets zusammen. 

Die Patientin verließ am 12. Januar unsere Abtheilung und 
verblieb wenige Tage zu Hause, wo sie sehr viel an Magen¬ 
krämpfen gelitten haben soll. 

Am 16. Januar, also schon nach 4 Tagen, wurde die Patientin 
mit angeblich sehr starker Magenblutung auf die Klinik des 
Ilofrathes v. Schrötter aufgenommen. Die Krankengeschichte ist 
leider in Verlust gerathen, aber aus den Aufzeichnungen im 
Zimmerprotokolle ersehe ich, daß die Diagnose einfach auf Ulcus 
ventriculi rotundum gestellt wnrde und die Patientin intern mit 
Eispillen und Cocain, weiters mit rectaler Ernährung behandelt 
wurde und nach langer Behandlung hier soweit geheilt ward, daß 
sie dann nach relativ kurzer Zeit selbst consistente Nahrung ohne 
Schaden vertrug. Ich finde im Protokolle noch die kurze Notiz: 
„Im Laufe des Aufenthaltes ziemlich lange andauernde Fieber¬ 
bewegung infolge der peritonealen Reizung durch das Ulcus ven¬ 
triculi.“ Nach 2 Jahren, am 14. Juni 1899, erscheint die Patientin 
wieder an der III. medicinischeu Klinik mit Magenbeschwerden, 
Druckschmerzhaftigkeit, besonders zwischen Nabel und Proc. xyphoi- 
deus. Sie gibt krampfhafte Schmerzen im Magen an, besonders 
beim Gehen. Nähere Details über diese Periode waren mir auch 
nicht zugänglich; auch diese Krankengeschichte fand sich nicht 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 19. 


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vor; im Zimmerprotokolle der Klinik ist von besonderen Fieber¬ 
bewegungen nichts verzeichnet und die Patientin wurde gebessert 
entlassen. 

Nach weiteren 2 Jahren, am 16. März 1901, wird die Patientin 
abermals auf die III. medicinische Klinik aufgenommen und macht 
dort eine typische Polyarthritis rheumatica durch, im Verlaufe 
welcher deutliche Endocarditis zu constatiren war. Der Anfang 
der Erkrankung dürfte in die erste Hälfte des Monates Januar 
gefallen sein; an der Klinik kam es zu schubweisem Fortschritt 
der Erkrankung, wobei einmal das Neuauftreten der Afi'ection in 
einer Schulter von einem Anstieg der Temperatur bis auf 40'7° C. 
begleitet war. An der Klinik wurde die Patientin mit verschiedenen 
Salicylpräparaten behandelt und setzte diese Medication nach ihrem 
Austritte aus der Klinik lange Zeit — bis circa anfangs October 
1901 — fort. Sie nahm täglich gegen verschiedenartige rheumatoide 
Schmerzen einigemale je ein Pulver von 0*50 Salipyrin. 

Während der Spitalsbehandlung trat schon einmal ein heftigerer 
Magenkrampf mit Erbrechen auf; derselbe wurde als acute Dyspepsie 


Erbrechen dagewesen (vom Arzte als solches charakterisirt worden) 
sein. Als Pat. auf die Abtheilung Hofrath Winternitz aufgenommen 
wurde, bot sie folgendes Bild. Blaß wie ehedem; Herz in normalen 
Grenzen, au der Spitze ein weiches systolisches Blasen, die Töne 
an den anderen Klappen rein, gut begrenzt, der zweite Pulmonalton 
schwach accentuirt. 

Die Lungenspitzen boten denselben Befund wie vor 5 Jahren; 
an der Spitze beiderseits leichte Verkürzung des Percussionsschalles, 
daselbst unbestimmtes Athmen mit sehr spärlichem Rasseln ; Aus¬ 
wurf war nicht vorhanden. Das Abdomen aufgetrieben, überall 
etwas druckempfindlich, ganz besonders in der Gegend des Pylorus 
und beider Ovarien. Der Magen ausgedehnt, die große Curvatur 
gut 1 Querfinger unterhalb der Nabellinie; lebhaftes Plätschern. 
In der Pylorusgegend stärkere quergelagcrte Resistenz, auf Druck 
sehr schmerzhaft. Das Cöeum und die Flexura S ziemlich gefüllt, 
weniger druekschmerzhaft. Die Leber nicht vergrößert, von normaler 
Consistenz (in anfallsfreier Zeit), nicht besonders druckempfindlich. 
Dagegen bestand Rachialgie in geringem Grade und eine besonders 



Curve I. Gang der Temperatur bei drei Anfällen an verschiedenen Tagen 


auf die Wirkung der gegebenen Salicylpräparate und der Digitalis 
zurückgeführt, und auf ein strenges diätetisches Regime gingen 
die Erscheinungen zurück. 

Während die rheumatoiden Erscheinungen zurücktraten, kamen 
die alten Magenbesehwerden mit allmülig zunehmender Heftigkeit 
in den Vordergrund. Bei unwesentlich gestörtem Appetit kamen 
wieder häufig nach der Nahrungsaufnahme krampfartige Schmerzen, 
welche, im Epigastrium anfangend, in die rechte Seite zogen, rund 
um die Leber herum und besonders im Rücken und im Kreuz 
besonders iieftig wurden, so zwar, daß die Patientin einmal auf 
der Gasse vom Schmerz überwältigt zusammenstürzte und damals 
angeblich bewußtlos auf das Polizeicommissariat transportirt wurde. 

Am nächstfolgenden Tage abermals ein eben so starker Anfall 
und nachher angeblich eine flüssige, schwarz gefärbte Stublentleerung. 

Der erste schwere Anfall fällt circa 2—3 Wochen vor der 
Aufnahme auf unsere Abtheilung, in die Zeit des Aufenthaltes in 
Linz. Am 3. Tage nach dem ersten Anfall soll an einem Tage, 
an welchem 4—5 Anfälle auftraten, ein geringes hämorrhagisches 


hochgradige Druckempfindlichkeit der Dornfortsätze des 
11. und 12. Brustwirbels. 

Die Wirbelsäule war auf Betastung nicht empfindlich. Der 
nervöse Status war im Ganzen normal, nur bestand eine starke 
Empfindlichkeit gegen Klopfen in der linken Scheitelbeingegend 
und eine etwas herabgesetzte Empfindlichkeit der Skleren und des 
Rachens. Sonst bestand eine geringe allgemeine Adynamie; die 
Sensibilität, Schmerzempfindung, Temperaturempfindung waren 
normal, und die feinsten Geruchs-, Geschmacksproben fielen normal 
aus; ebenso waren alle Haut- und Sehnenreflexe normal. Amenor¬ 
rhoe seit 4 Monaten. Harnbefund vom 5. December 1901: 
Speeifisches Gewicht 1020. Spuren von Albumen, Spuren von 
Zucker, sehr viel Indican , sonst normal. 

Gleich am 2. Tage des Spitalsaufenthaltes wurde der erste 
der Anfälle beobachtet, welche ich als ganz merkwürdig und 
theilweise räthselhaft hervorheben will. Die Patientin hatte Morgens 
eine Rectumteraperatur von 37 - 5° C., bekam stündlich eine kleine 
Schale abgekochte lauwarme Milch und Vormittags einen Stamm- 


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Umschlag mit Schlaucbapparat (in die Pylorusgegend), durch welchen 
Wasser von 50° C. cireulirt hat. Die Temperatur stieg Vormittags 
langsam an, erreichte um 4 Uhr Nachmittags schon 39 ‘ 0 ° C.; gegen 
V 2 7 Uhr Abends bekam die Patientin heftige Schmerzen, aus welcher 
Ursache der Iuspectionsarzt gerufen wurde. Er fand eine Ilectum- 
temperatur von 40'2° C., in seiner Gegenwart erbrach die Patientin 
eine große Menge kaum geronnener Milch, Schweißausbruch war 
zu bemerken und in 15 Minuten ergab die neuerliche Messung 
eine Rectumtemperatur von C.; dieselbe blieb noch bis 1 / 2 8 Uhr 

auf 36'8, stieg dann allmälig um 8 Uhr auf 37'7° und um 9 Uhr, 
nachdem Patientin neuerlich Milch zu sich nahm, wieder auf 39° C. 
Solche Anfälle wiederholten sich nun nahezu täglich und mitunter 
mehrmals täglich. Genau beobachtet wurde der Gang der Tempe¬ 
ratur am 4. December durch den Inspectionsarzt (Dr. Ruff). Die 
Rectumtemperatur ging folgenden Weg: um 12 Uhr 
Mittags 38 - 8° (Schmerzen mäßig), um 1 Uhr Nachmittags 
40'2° (Schmerzen steigend), um l'20Min. 42 - 8° C. (Puls 
144), Erbrechen, Schweiß, um 1 Uhr 30 Min. 37 - 3° (Puls 
84), um 3 Uhr Nachmittags 37’4, um 5Uhr 36‘8 (Curve la). 


wenigen (10) Minuten bis zur bedeutenden, oft enor¬ 
men Höhe. Auf der Höhe des Anfalles kam es zum 
Erbrechen, worauf Schweißausbruch erfolgte und 
ein Abfall der Rectumtemperatur binnen wenigen 
Minuten (10—15) bis zur Norm, ab und zu bis zu sub¬ 
normalen Graden. Niemals wurde selbst bei Tempe¬ 
raturabfällen von 5 Graden ein Collaps beobachtet. 
Das Erbrochene war von sehr wechselnder Quantität 
(von einigen Eßlöffeln bis zu 4 00—5 00 Ccm.), sehr 
häufig kam gegen Ende des Erbrochenen etwas Blut, 
hellroth unverändert, niemals Galle. Schleim war stets 
beim Erbrochenen, oft in größerer Menge, mitunter 
aber sehr wenig. 

Erbrechen ohne größere Schmerzen und Krampf 
war auch an der Tagesordnung, da blieben sowohl 
die hohen Temperatursteigerungen wie die großen 
Abfälle aus. 

Die Localis ation der Schmerzen war am An¬ 
fänge und am Ende der Anfälle, sowie nachher 



1. Nährklysma: ’/, Biter Milch; 2 Eidotter; 1 Esslöffel voll Mehl, etwas Salz, Rothwein ; 10 Tropfen Tct. opii simpl. 

2. Krampfanfall: Patientin krümmt und windet sich mit dem Ausdruck höchsten Schmerzes; auf der Höhe des Anfalles tetanische Spannung 
in verschiedenen Muskelgruppen, insbesondere der Extremitäten. — Diese tonischen Contracturen lassen unmittelbar nach erfolgtem Schwei߬ 
ausbruch sofort nach; Zeichen der Erschöpfung gering und sehr kurz dauernd ; in wenigen Minuten zeigt Patientin ein ziemlich normales Verhalten. 

Curve II. Gang der Temperatur nach viertelstündlich vorgenommenen Messungen (im Rectum). Im Verlaufe des Tages zwei Anfälle. 


Eine am 6. December vorgenommene genaue Verfolgung der 
Temperatur ist an der beigelegten Curve dargestellt. Die Patientin 
wurde viertelstündlich gemessen ; bekam bis Mittag viertelstündlich 
etwa 50 Ccm., dann je 30 Ccm. kalte Milch intern und am Uhr 
ein Nährklysma. Im Laufe des Tages wurden zwei Anfälle beob¬ 
achtet. Die Anmerkungen an der Tabelle registriren die sonstigen 
Erscheinungen genau (Curve II). 

Es würde zu weit führen, die vielen Anfälle einzeln zu 
beschreiben, ich will einfach resumiren und den durchschnittlichen 
Charakter der Anfälle präcise illustriren. Sobald der Magen 
mit Nahrung gefüllt wurde, stieg häufig die 
Temperatur langsam an (auch bei flüssiger Nahrung); oft 
konnte man schon in diesem Stadium des langsamen 
Anstieges leichtes Muskelzittern constatiren, jedoch 
war das nicht immer so; mit zunehmenden Schmerzen 
und lebhaftem Frost (Zittern) stieg die Rectumtempe¬ 
ratur dann unter starken (mitunter tetanischen) 
tonischen Krämpfen der ganzen Körpermusculatur 
(insbesondere der Musculatur der Extremitäten) in 


genau im Epigastrium und in der Pylorusgegend; 
während der Dauer der Anfälle überwogen die 
Schmerzen rund um die rechte Thoraxseite und ganz 
besonders im Rücken und im Kreuz. Die Pylorus¬ 
gegend war während der Anfälle stets besonders 
druckempfindlich, ebenso die Gegend des 10. bis 
12. Brustwirbels und das Kreuz. In der Pylorus¬ 
gegend konnte sehr oft eine quergelagerte wurst¬ 
förmige Resistenz getastet werden. Eine Bewußt¬ 
seinsstörung wurde während der A n f äl 1 e n i em a 1 s 
beobachtet. Die Muskelkrämpfe nahmen manchmal sehr hohe 
Grade an, die Patientin wand sich mit dem Ausdruck der höchsten 
Schmerzen ungefähr so, wie man es bei hochgradigen Gallenstein- 
kolikanfällen zu beobachten Gelegenheit hat. 

Wir versuchten nun auch, die Patientin vom 
Mastdarme aus zu ernähren, um so den Magen ganz 
ausz uscli alten, und es zeigte sich, daß man die Zahl 
und insbesondere die Intensität der Anfälle wesent¬ 
lich verringern konnte; ganz blieben dieselben jedoch nicht 


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aus, und sehr häufig kam kurz nach Application eines Nährklystiers 
ein kurzer Schmerzanfall und leichtes Erbrechen. Bemerkenswerth 
ist, daß die Patientin stets über Hunger klagte und das Verlangen, 
etwas in den Magen einzuführen, so stürmisch äußerte, daß wir 
ihr neben den Nährklysmen Eis und löffelweise in Eis gekühlte 
Milch gaben, im Ganzen jedoch kaum 250—300 Grm. im Laufe 
eines ganzen Tages. 

Eispillen selbst mit Cocain konnten dieses Gefühl des Hei߬ 
hungers nicht stillen, so daß wir wieder zur inneren Darreichung 
kleiner Quantitäten flüssiger Nahrung zurückkehrten und daneben 
1—2 Nährklysmen applicirten. 

Durch einige Tage schien es, als ob intensive Kälteappli- 
cation, auf die Wirbelsäule applicirt, die Anfälle günstig beeinflußt 
hätte; sehr häufig wurden wieder die Anfälle durch intensive 
Kälte-, noch häufiger durch große Wärmeapplication auf die Magen- 
(Pyloru8-)Gegend gemildert, überhaupt konnten dabei locale thermische 
Proceduren die Schmerzen noch in annehmbaren Grenzen halten, 
viel besser als interne Mittel. Sicher ist weiters, daß es 
uns möglich war, wenn die Patientin imstande war, 
das Herannahen eines Anfalles vorauszusagen, mit 
subcutanen Injectionen von Morphium (O'Ol—0‘02) 
denselben hintanzuhalten, ebenso wie ein Anfall auf der 
Höhe der Intensität auch durch Morphium in kurzer Zeit coupirt 
werden konnte. 

Das Verhalten der Haut während der Anfälle war das folgende: 
Ich erwähnte, daß die Patientin an einer Hyperhydrosis der Hände 
und Beine (Füße) leidet. Der rasche Anstieg der Temperatur ging 
stets mit Fro6t einher; die Haut war kühl, die Lippen und Nägel 
meist cyanotisch; und es zeigte sich oft am Anfänge des Schüttel¬ 
frostes ein geringer Ausbruch von kaltem Schweiß, der wohl ver¬ 
schieden war von dem viel reichlicheren Schweiß, welcher gegen 
Ende des Anfalles hervorzutreten pflegte. 

Das Erbrochene wurde wiederholt chemisch und mikroskopisch 
untersucht. In einer erbrochenen Älass» (hach Milchgenu#T war hie 
Reaction sauer; freie Salzsäure fehlte; Milchsäure war vorhanden; 
die Gesammtacidität war stark herabgesetzt = 0*111 °/ 0 HCl ent¬ 
sprechend ; die Fibrinflocke erschien in einer mit HCl versetzten 
Probe des Mageninhaltes nach */ 2 Stunde bei 37° C. deutlich 
angedaut. Kokken, lange Bacillen, keine Sarcine. In einer nach 
Probefrühstück entnommenen Probe war sehr verminderte Acidität, 
Mangel an freier Salzsäure; in einer vor 5 Tagen wieder nach 
Probefrühsttick (Semmel und Wasser) ausgeheberten Probe: schlechte 
Verdauung, Bodensatz entsprechend hoch ; wenig Schleim ; normale 

Farbe und Geruch: Gesammtacidität 44 Ccm. — Na OH, freie Salz¬ 
säure 0'3°/oo* Pepsin und Labferment sowie Labzymogen nicht ver¬ 
ringert. Mikroskopisch: Stärkekörner, Hefe in verschiedenen Größen; 
Kokken, keine langen Bacillen, keine Sarcine. 

Aus dem Bodensatz des Erbrochenen, sowie insbesondere aus 
den blutig tingirten Theilen wurden wiederholt Präparate gefärbt; 
es waren stets mehrere Arten von Kokken, lange Bacillen, niemals 
Tuberkelbacillen. 

Im Harne stets normaler Befund. (Eiweiß und Zuckerspuren 
zeigten sich, wie oben erwähnt, ein einzigesmal.) 

Der Zustand des Magens war wechselnd ; die bei der Auf¬ 
nahme constatirte Dilatation erwies sich nicht als manifest, sondern 
als eine periodisch von der Häufung der Anfälle abhängige, mehr 
minder große Ektasie, welche in ruhigeren Zeiten in Tagen so weit 
zurückgegangen ist, daß die Magengrenzen normale waren. Der 
Stuhl war meist angehalten, mittelst Irrigationen entleert, stellte 
er sich stets als normaler, ordentlich verdauter Stuhl dar; hämor¬ 
rhagisch war er bei uns niemals. 

Der Ernährungszustand der Patientin ist nach all diesen 
Störungen wohl ein schlechter 2 ), doch nicht derart schlecht, wie 
man es mit Recht erwarten könnte. In allerletzter Zeit (seit einer 
Woche) nimmt sie etwas consistentere Nahrung zu sich (Eierspeise, 
Chaudeau, auch weiches Fleisch vom Huhn) und hat wohl ihre 


2 ) Zar Zeit der Demonstration der Patientin in der Gesellschaft für 
innere Medicin in Wien. 


Krampfanfälle, erbricht aber meist nur geringe Massen, und da die 
Anfälle, falls sie stark sind, mit subcutanen Injectionen von Morphium 
coupirt werden, ist ihre Ernährung nun weniger schwierig, und 
findet sie sich selbst in ihrem jetzigen Zustande relativ leidlich 
wohl. Eine Brommedication wurde vor Wochen schon versucht, 
damals ohne Erfolg, vorgestern jedoch hatte die Patientin, nachdem 
ihr Morgens 4'0 Bromnatrium in einem Klysma verabreicht worden 
sind, den ganzen Tag über keinen Anfall von Magenkrampf, 
trotzdem sie Eierspeise und Milchspeisen genossen hat. 

Wichtig erscheint mir noch folgendes hervorzuheben: Während 
in den ersten Wochen der Behandlung die Temperatur in der 
anfallsfreien Zeit normal oder subfebril war, ist jetzt nahezu eine 
Continua zu beobachten, welche nur durch die Exacerbationen der 
hohen Anfallstemperaturen unterbrochen wird. 

(Schluß folgt.) 

Ein Fall von Spätrecidiv nach einem Typhus. 

Von Prim. Dr. Oscar Hoffner in Drohobycz. 

M. F., 14 Jahre alt, Schüler der I. Gymnasialclasse, will bis 
auf Masern und Scharlach, die er vor Jahren durchgemacht hat, 
bis zur gegenwärtigen Erkrankung immer gesund gewesen sein. 

Seit einigen Tagen klagt er über Kopfschmerzen, Uebelkeit, Unlust 
zur Arbeit, Gliederschmerzen, und da der Zustand sich nicht bessert, 
wurde ärztliche Hilfe in Anspruch genommen. 

Patient mäßig ernährt nnd gebaut, fiebernd, von beschleunigtem 
Pulse, Herz normal; nach einigen Tagen der Erkrankung entwickelt 
sich ein ausgebreiteter Lungenkatarrh; Bauch aufgetrieben, Milz ver¬ 
größert, Roseola war nicht zu sehen; Stuhl erfolgte in den ersten 
Tagen auf Application eines Hegars, nachher in der 2. Krankheits¬ 
woche flüssig erbsenfärbig. Der Fieber- und sonstige Verlauf ganz 
lyrisch fti£ eiuo^schweren AbdotniMftynhüs.' In 

woche erfolgten mehrere Tage auhaTOSae^Öarmblutunlen, die ünfhr \ 
Anwendung von Stypticis gestillt wurden. Nach circa 8wöchent- 
licher Krankheitsdauer tritt der Kranke in volle Reconvalesccnz, 
welche nach öwöchentlichem W oh 1 befin den' durch einen 
Diätfehler (Genuß von Datteln) durch ein Recidiv unterbrochen 
wird. Die Temperatur steigt wiederum an, früh 39*2, abends 40 0, 
und am 6. Tage der neuerlichen Erkrankung treten Darmblutungen 
auf, die 3 Tage anhalten und dann sistiren. Nach Verlauf von 
14 Tagen, vom Tage der neuerlichen Erkrankung gerechnet, tritt 
ein afebriler Zustand ein; der Kranke erholt sich langsam, aber 
zusehends. 

Der Fall ist deshalb erwähnenswerth, weil zwischen Recon- 
valescenz und Recidiv 5 Wochen Wohlbefindens verstrichen, und weil 
dies noch zu so später Zeit durch einen Diätfehler hervorgerufen 
wurde, sodann auch weil trotz zweimaliger heftiger Darmblutungen 
und nahezu 4monatlicher Krankheit der Patient mit dem Leben 
davonkam. 

Die Behandlung der Frauenkrankheiten in 
Franzensbad. 

Von Dr. Lazar Nenadovicz in Franzensbad. 

(Fortsetzung.) 

Ich will mich nicht allzuweit von der vorgezeichneten 
Aufgabe entfernen, muß jedoch, um das Gesagte zu illustriren, 
einige Beispiele anführen. Jakob und Pokrovski behaupten, 
in dem Moorbade gebe es nur eine wirkende Kraft — die 
Temperatur; und deshalb meint der erste den Moor durch 
Kleie, der zweite durch Thonerde ersetzen zu können. Ich 
rede nicht davon, daß es durch eine ganze Reihe von Unter¬ 
suchungen festgestellt wurde, daß Weichwasserbäder, Salz¬ 
bäder, Mutterlaugebäder und Moorbäder von einer und der¬ 
selben Temperatur doch verschieden wirken, sondern werde 
nur auf die Contradiction Pokrovski’s selbst hinweisen. Er 
vergleicht die Wirkung auf den Blutdruck der „natürlichen“ 

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und der „verdünnten“ Schlammbäder und sagt: in einem 
„natürlichen“ Bade gibt es weniger Salzlösungen und andere 
Bestandteile als in einem „verdünnten“ Bade; in letzterem 
strömen noch außerdem immer neue und neue Lösungen und 
neue Wärmequantitäten herbei. Wo er sie braucht, nimmt 
also auch er die chemischen Stoffe des Bades an. 

Die „auffallend stark resorbirende Wirkung“ des Moores 
schreibt Peters der Massagewirkung der Moormasse zu. Jakob 
verwirft dagegen die Bedeutung dieser Wirkung, indem er 
der Meinung ist, daß eine solch kleine Zugabe des Druckes 
zu dem beständig wirkenden, enormen atmosphärischen Drucke 
von keinem Belange sein kann. Pokrovski und nach ihm auch 
Abel fassen die Wirkung dieses Druckes von einem ganz 
anderen Standpunkte auf. Pokrovski verwirft zuerst auch 
den Begriff einer Massage, denn „in dem Moorbade ist der 
Mensch einem beständigen und nicht einem wechselnden Drucke 
ausgesetzt“; weiterhin stellt er den unmittelbaren Einfluß des 
Druckes auf den Blut- und Lymphlauf in Abrede, indem er 
den menschlichen Körper für eine Masse dickflüssiger Gemenge 
hält, in welcher die Verschiebung der Theile unmöglich ist, 
da man eine Flüssigkeit nicht zusammenpressen kann und da 
sich der Druck auf alle Theile derselben gleichmäßig fort¬ 
pflanzt. Dieser Druck übt jedoch eine mittelbare Wirkung 
auf den Blut- und Lymphlauf aus: „Indem die Moormasse 
die Gedärme gegen den Brustkorb verdrängt und den Brust¬ 
korb unmittelbar von außen preßt, vermindert sie den nega¬ 
tiven Druck und die Athmungsexcursionen. Infolge dessen 
tritt eine Stauung des Blutes im Venensystem, schweres 
Athmen und Sauerstoffmangel auf, was eine Beschleunigung 
der Herzthätigkeit bewirkt. Somit ruft der Druck der Moor¬ 
masse bei einigen einen Nachtheil, bei anderen hingegen eine 
unnütze Kräfteverschwendung hervor.“ Dessen ungeachtet 
finden wir bei ihm folgende Aeußerung: „Im Moorbade und 
nach demselben enthält das Arteriensystera mebi-''Blut als 
vor dem Bade.“ Seine Erörterungen widersprechen sich selbst, 
sie widersprechen auch den Angaben der Physik, der Physio¬ 
logie und der Beobachtung anderer Forscher, auf welche hin¬ 
zuweisen ich als überflüssig erachte. 

Ich verwerfe nicht die Massagewirkung des Moorbades 
in dem Sinne, wie es Peters versteht, will jedoch Ihre Auf¬ 
merksamkeit auf den anscheinend unbeachteten, jedoch wichtig¬ 
sten Einfluß der Moormasse auf den Blut- und Lymphlauf 
lenken. Zur Grundlage meiner Erörterung nehme ich folgende 
zwei Gesetze der Hydraulik an: 1. In allen Punkten einer 
horizontalen Fläche in der beliebigen Höhe der Flüssigkeit 
muß der Druck gleich sein. 2. In einer sich im Gleichgewichte 
befindenden schweren Flüssigkeit ist der Druck auf den 
flachen und horizontalen Boden des Gefäßes dem Gewichte 
eines flüssigen Cylinders gleich, dessen Basis der Boden des 
Gefäßes und dessen Höhe der Abstand des Bodens von der 
Oberfläche bilden. Wenn wir uns den Moor im Bade aus vielen 
horizontalen Flächen bestehend vorstellen, so wird auf jede 
solche Fläche eine desto kleinere Masse lasten , je näher die 
Fläche der Oberfläche liegt. Der Mensch nimmt im Bade eine 
solche Lage ein, daß das Becken am Boden und der obere 
Theil des Rumpfes außerhalb des Bades zu liegen kommt. 
Es ist klar, daß der Druck der Moormasse auf das Becken, 
und zwar auf das Diaphragma pelvis am größten sein wird, 
gegen den Brustkorb hinauf aber stufenweise abnimmt. Den 
ganzen Druck können wir graphisch in Form eines Keiles 
darstellen, dessen Basis das Diaphragma pelvis bildet, und 
dessen Spitze im Brustkörbe zu liegen kommt. Ein solcher 
Druck muß auf den Lauf der Lymphe und des venösen Blutes 
einen Einfluß üben und den normalen Lauf derselben unter¬ 
stützen. Auch hier ist nur ein wechselnder Druck nützlich 
und dieser wird durch die Athmung hervorgerufen. Beim 
Einathmen pflanzt sich der Druck des Diaphragma pectoris 
auf alle Wände der Bauchhöhle (auf den Constrictor communis) 
in gleichem Maße fort (ein Gesetz der Hydraulik). Das 
Diaphragma pelvis als eine im Verhältniß zu den Bauchwänden 


kleinere Fläche empfängt auch einen kleineren Theil dieses 
Druckes. (Auch ein Gesetz der Hydraulik.) Nun stellen wir 
uns vor, daß der Mensch, welcher sich in einem Moorbade 
unter dem oben beschriebenen Drucke befindet, eine Ein- 
athmung vollzieht. Was wird geschehen? Das Diaphragma 
pelvis befindet sich unter dem Einflüsse des größten äußeren 
Druckes und kann deshalb nicht in diesem Maße dem inneren 
Drucke nachgeben , wie in normalen Verhältnissen außerhalb 
des Bades. Die Bauchwände müssen um so viel mehr dem inneren 
Drucke nachgeben, um wie viel der äußere Druck auf sie 
kleiner ist als auf das Diaphragma pelvis. In dieser Weise 
entsteht durch die Einathmung ein innerer Druck, dessen 
Größe auch ein Keil mit der Basis am Diaphragma pelvis 
und mit der Spitze im Brustkörbe darstellt. Bei jeder Ein¬ 
athmung addiren sich der äußeren>und der innere Druck, in¬ 
dem sie in einer und derselben Richtung wirken. Die Organe 
des kleinen Beckens befinden sich folglich während der Ein¬ 
athmung unter dem größten Drucke, wobei der äußere und 
der innere Druck diese Organe sozusagen zwischen sich ein- 
klemmen und aus ihnen die Säfte (Lymphe und venöses Blut) 
auspressen. Nachdem nun dieser Druck gegen den Brustkorb 
hin abnimmt, ist es natürlich, daß die ausgepressten Säfte 
die Richtung ihres normalen Laufes einschlagen müssen. Die 
Athmung erzielt hier durch einen positiven Druck das, was 
sie sonst nur durch den negativen Druck (im Brustkörbe) 
bewirkt. Indem die Athmung periodisch wirkt, wird die 
Wirkung der Moormasse in eine wahre Massage umgewandelt. 
Es ist der Nutzen, den dieser Druck der Moormasse in der 
Behandlung der Frauenkrankheiten leistet, augenscheinlich. 
(Allerdings läßt sich die Wirkung der Moormasse auch in 
der Behandlung der Herzkrankheiten verwerthen.) 

Die Wirkung der chemischen Bestandtheile des Moores 
stellen Jakob und Pokrovski vollkommen in Abrede. Zu dem 
über düs Werk Pokrovski’s Gesagten will ich hier nur noch 
beifügen, daß uns die Reihenfolge der Verabfolgung der Bäder, 
mit denen er experimentirte, keinesfalls überzeugen kann, daß 
ein Schlamm- und Thonerdebad denselben therapeutischen 
Effect geben können. Die Mehrzahl der Forscher erkennt die 
chemischen Bestandtheile des Moores als Hautreize an, ver¬ 
wirft jedoch ihre specifische Bedeutung. Eine dritte Gruppe 
setzt sich noch für die specifische Wirkung einiger Stoffe ein. 
Die weitere Entwickelung der Forschungsmethoden wird jeden¬ 
falls den letzteren zu Hilfe kommen. Mir scheint jedoch, daß 
man auch jetzt schon folgenden Satz aufstellen kann: Das 
Moor stellt sich als etwas organisch Ganzes, ebenso wie jedes 
Mineralwasser dar. Wenn es uns an directen Beweisen für 
die specifische Wirkung eines der chemischen Bestandtheile 
des Morrbades fehlt, so besitzen wir dennoch Beweise für die 
specifische Wirkung der ganzen Moormasse. Die Aufklärung 
der Frage über die Elektricität des Moorbades wird die 
Specificität des Moores noch hervorheben. 

Welche Meinungsverschiedenheiten über die Frage der 
physiologischen Wirkung des Moores bestehen, können wir 
als Beispiel die Ansichten über den Blutdruck überhaupt und 
über die Blutvertheilung im Körper ausführen. Im heißen 
Schlammbade fanden Koretzki, Abel. Stscherbakov und 
Pokrovski einen erhöhten, Kondürev, Libov und Predtetschenski 
aber bald einen erhöhten, bald einen erniedrigten Blutdruck, 
öfter das letztere. Es ist jedoch verwunderlich, daß man in¬ 
folge von Einwirkung gleicher Wärme bei allen anderen 
hydriatischen Proceduren nicht eine Erhöhung, sondern eine 
Erniedrigung des Blutdruckes fand (Revnov, Grefberg, Frey 
und Heiligenthal). Falls es endgiltig festgesetzt wird, daß 
im heißen Moor- oder Schlammbade der Blutdruck wirklich 
steigt, so wird man zur Erklärung dieser Erscheinung meine 
Erörterung der Wirkung der Moormasse anwenden, oder 
auch annehmen müssen, daß sich aus dem Moore irgend ein 
chemischer Stoff einsaugt, welcher die Herzenergie steigert. 
Zwar findet Pokrovski , daß die Wärme an und für sich die 
Herzthätigkeit steigert (eine allbekannte Thatsache!) , jedoch 


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aus seiner Publication entnimmt man das Gegentheil. Aus 
den Untersuchungen Revnov’s und Schüller’s wissen wir, 
daß das Herz das Fallen des Blutdruckes, welches infolge 
von Tonusverlust der Blutgefäße entsteht, nicht zu compen- 
siren vermag. Somit ist für die Erklärung einer Erhöhung 
des Blutdruckes in heißem Moor- und Schlammbade der Druck 
der Moormasse, wie ich ihn erörtert habe, von großer Bedeutung. 
Dies wird übrigens auch durch den Umstand bestätigt, daß 
der Blutdruck parallel mit der Consistenz des Moorbades 
steigt (Kisch). 

Es ist von Interesse, zu untersuchen, welche Veränderung 
der verschiedenen physiologischen Processe unter der Ein¬ 
wirkung der Moorbäder verschiedene Autoren für die un¬ 
mittelbare Ursache des Heileffectes halten. Die Mehrzahl 
sieht die Ursache in der Steigerung des Stoffwechsels. Die 
Wirkung heißer Schlammbäder wird von den meisten als 
wahrer Fieberproceß aufgefaßt, wobei jedoch der Oxydation 
und dem Zerfalle nur die pathologischen Exsudate anheim¬ 
fallen (Ratschinski). Den Lehren von Winternitz folgend, 
messen viele dem Schwitzen die Hauptrolle bei, wobei sich 
einige vorstellen, daß der Schweiß den Körper auch von den 
Stotfwechselproducten rechtzeitig befreit. Nun haben aber 
Frey und Heiligenthal, Kostjurin u. A. klar bewiesen, daß 
sich die Stoffwechselproducte ungeachtet des starken Schwitzens 
im Köiper ansammeln, bis sie später durch die Nieren aus¬ 
geschieden werden, deren Thätigkeit dem Schweiße entsprechend 
compensatorisch herabgesetzt war. 

Predtetschenski und Fellner halten die Verbesserung 
der Blutbeschaffenheit für die Ursache des therapeutischen 
Erfolges. Parüsew, Makawejen, Frey und Heiligenthal halten 
die Ableitung des Blutes gegen die Haut, folglich die Ischämie 
der inneren Organe für den wahren therapeutischen Factor; 
Bujko , Ratschinski , Solowjew und Pokrovski erwarten im 
Gegentheil den therapeutischen Effect von der ZuströmuDg 
des Blutes zu den inneren Organen, von einer Erfrischung 
des Entzündungsprocesses. Es ist zu verwundern, wie bei 
Einwirkung eines und desselben Factors, der großen Wärme, 
ein Jeder das findet, was er wünscht, der Eine eine Zu¬ 
strömung zu den inneren Organen, der Andere ein Abströmen 
von denselben. 

Aus dieser kritischen Uebersicht der bestehenden Literatur 
geht bereits hervor, daß der Moment noch fern ist, wo wir 
mit Noltschini erklären werden können, daß „die Frage 
über die Wirkung der Moor- und Schlammbäder auf die 
Frauenkrankheiten, besonders aber die physiologische Wirkung 
derselben allseitig aufgeklärt ist“. (Schluß folgt.) 


Referate. 

Friedrich v. Sölder (Wien): Der Corneo-mandibular- 
reflex. 

v. Sölder beschreibt („Neurol. Centralbl.“, 1902, Nr. 3) einen 
noch nicht bekannten Reflex: bei Berührung einer Hornhaut tritt 
eine flüchtige Verschiebung des Unterkiefers nach der entgegen¬ 
gesetzten Seite ein. Der Auslösungsort ist streng auf die Hornhaut 
beschränkt, die Contraction auf den gleichseitigen M. pterygoideus 
externus; der Reflex verläuft in der Regel langsam, er erschöpft 
sich rasch und stellt sich bald wieder ein; er ist ein physiologischer, 
wenn auch nicht völlig constanter Reflex. Der Corneo-Mandibular- 
reflex schließt sich nicht nur mit Rücksicht auf seinen oberfläch¬ 
lichen Auslösungsort, sondern auch vermöge des etwas trägen Ab¬ 
laufes und der Erschöpfbarkeit den oberflächlichen Reflexen an, 
unterscheidet sich von ihnen aber durch den Mangel der Variation 
der in die reflectorische Bewegung eintretenden Musculatur und 
darin, daß die Deutung der oberflächlichen Reflexe im Sinne auto¬ 
matischer Flucht- oder Abwehrbewegungen zum Schutze des Indi¬ 
viduums gegenüber dem Reiz auf die sonderbare functionelle Ver¬ 
knüpfung der Hornhaut mit dem äußeren Flügelmuskel nicht an¬ 


wendbar ist. Es handelt sich wahrscheinlich um einen rein intra- 
trigerainalen Reflex. Die bei Reizung der Hornhaut hervortretende 
functionelle Association des M. orbicularis oculi und des äußeren 
Flügelmuskels reiht sich an andere Associationen von Lid- und 
Kieferbewegungen; diese Mitbewegungen beruhen auf einem prä- 
formirten Mechanismus. Bei einigen Komatösen überdauerte der 
Corneo-Mandibularreflex den Cornealreflex und war der einzige noch 
auslösbare Reflex; er war auch in der Narkose, und zwar vor dem 
Erwachen des Narkotisirten und nach der Wiederkehr des Corneal- 
reflexes nachweisbar. Infeld. 

F. Wenzel (Bonn) : Zur Behandlung der Phimose. 

W. übt nach dem Vorgänge Witzel’s die Dilatation der 
Vorhautöffnung durch Einführung einer Pincette („Münch, med. 
Wschr.“, 1902, Nr. 7): 

Nach Erweiterung des Orific. praeput. und Lösung der Ver¬ 
wachsungen durch die Knopfsonde wird eine anatomische Pincette 
geschlossen in den Vorhautsack eingeführt, hier geöffnet und dann 
der Vorhautsack nach verschiedenen Richtungen hin gedehnt. 
Schon nach 1—2 Dilatationen läßt sich die Vorhaut gut über die 
Eichel zurückstreifen ; in Zwischenräumen von 8 —10 Tagen wird 
das Verfahren wiederholt. Doch bedarf man meist nur 2—4 weiterer 
Dilatationen, um eine ausreichende Weite zu erzielen. Sobald die 
Dilatation soweit gelungen ist, daß die Vorhaut sich über die 
Eichel zurückziehen läßt, werden Eichel und Vorhaut, um neue 
Verwachsungen oder Verklebungen zu verhüten, mit Byrolin ein¬ 
gefettet; dasselbe geschieht bei den Wiederholungen der Dila¬ 
tation. Bei der Dehnung der Vorhaut kommt es bisweilen zu kleinen 
Einrissen, oder man ist genöthigt, um die Einführung der Pincette 
zu ermöglichen, einen kleinen Einschnitt an der Vorhautöffnung 
zu machen. Unter Bleiwasserumschlägen und regelmäßigen Ab¬ 
waschungen, resp. Vollbädern, besonders nach jedem Uriniren, heilen 
diese kleinen Verletzungen ohne jegliche Störung schnell ab. Ist 
dann nach mehreren Dilatationen eine ausreichende Erweiterung er¬ 
zielt, so genügt zur Aufrechthaltung derselben ein methodisches 
Zurückziehen der Vorhaut über die Eichel. Die Nachbehandlung 
kann man, falls man es mit intelligenten Eltern zu thun hat, den¬ 
selben überlassen ; doch läßt man sich die Kinder regelmäßig in 
Zwischenräumen von 4—6 Monaten vorstellen. 

Bei richtiger Auswahl kann man in einer ganzen Reihe von 
Fällen ein gutes Dauerresultat erzielen, besonders sind e3 die Phi¬ 
mosen der Neugeborenen und der Knaben im 1.—3. oder 4. Le¬ 
bensjahre, welche sich für dieses einfache Verfahren eignen. In 
anderen Fällen reicht es nicht aus, besonders nicht, wenn die 
Knaben älter sind, ebensowenig natürlich bei Erwachsenen. Oft auch 
wird diese Art der Behandlung den Eltern zu langweilig , sie 
bleiben aus und stellen die Kinder erst nach 1—2 Jahren wieder 
vor; dann ist es meist für das Dilatationsverfahren zu spät. Eben¬ 
falls nicht angebracht ist die Methode in den Fällen, wo es bereits 
zur Entzündung der Vorhaut und Eichel gekommen ist. Für alle 
diese Fälle kommt nur die Operation in Betracht. G. 


M. Muret (Lausanne): Beitrag zur Casuistik und Dia¬ 
gnostik der interstitiellen Gravidität. 

Es handelte sich im vorliegenden Falle („Festschrift für Kuss- 
maül“) um eine interstitielle Schwangerschaft, und zwar deshalb, 
weil die Abgangsstelle des Ligamentum rotundum außerhalb des 
Eisackes sich befand, ein Verhalten, welches selbstverständlich nur 
dann möglich ist, wenn die Schwangerschaft im uterinen Theile 
der Tube sich entwickelt, oder wenn es sich um einen doppelten 
Uterus mit Schwangerschaft in einem wohl entwickelten oder in 
einem rudimentären Horn handelt. In diesem Falle befand sich, 
der Länge des Fötus nach, die Patientin im 4. Monat der Gravi¬ 
dität. Seit dem 2. Monat traten Schmerzen im Unterleib auf, 
welche von Schwächezuständen und leichten Blutverlusten begleitet 
wurden. Diese Anfälle traten mehrmals spontan auf und verhinderten 
die Patientin zu arbeiten : der schwerste fand nach einer ärztlichen 
Untersuchung statt. Man constatirte dann die Anwesenheit einer 
cystischen Geschwulst, welche mit dem Uteruskörper ein Ganzes 

2 * 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 19. 


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bildete und es gelang, das Ligamentum rotundum außerhalb des 
Tumors zu palpiren. Zu gleicher Zeit bestehen Zeichen, welche auf 
Ansammlung einer blutigen Flüssigkeit in der Bauchhöhle hin- 
weisen. Der Tumor wächst dann rasch, ohne andere Symptome 
zu machen, als Schmerzen im Leibe. — Es gibt keinen charakte¬ 
ristischen Untersuchungsbefund der interstitiellen Gravidität. Man 
kann bloß im Allgemeinen sagen, daß bei der interstitiellen 
Schwangerschaft der obere Theil des Uterus und meist die Gegend 
des Uterushornes die Theile sind, welche Veränderungen in Größe, 
Form und Consistenz zeigen, welch letztere, wenn sie mit Schwanger¬ 
schaftszeichen auftreten, an die Möglichkeit einer interstitiellen Gra¬ 
vidität denken lassen. L. 

Kühsel : Beitrag zur Aetiologie und Pathogenese der 
Ekzeme. (Vorläufige Mittheilung.)' 

Aus den gesammten Untersuchungen des Verf.’s („Wratsch“, 
1901, Nr. 47) geht hervor: Der Begriffsbestimmung der Ekzeme 
kann man einen, einzelnen Personen eigentümlichen klinisch¬ 
anatomischen und ätiologischen Maßstab, durch den das Wesen 
dieser Erkrankung vollständig erschöpft wäre, nicht zugrunde 
legen. Das Ekzem kann man als Hautkatarrh bezeichnen, ähnlich 
wie die Hautkatarrhe der Schleimhäute. Unter den Ekzemen nehmen 
die sogenannten ekzematoiden Dermatomykosen (Eczema marginatum 
seborrhoicum, Piodermiae superficiales, Impetigo Simplex, contagiosa, 
herpetiformis, Lichen simplex acutus et chronicus s. Neurodermitis 
chronica circumscripta, Dishydrosis, Dermatitis herpetiformis) und 
schließlich die Derraatitides artificiales medicamentosae eine Sonder¬ 
stellung ein. Das Ekzem kann nicht als constitutionelle Erkrankung 
im wahren Sinne des Wortes bezeichnet werden, wenn auch das 
Bestehen eines Zusammenhanges zwischen Entwickelung des Ekzems 
und Erkrankungen der inneren Organe außer Zweifel ist. Es gibt 
Ekzeme, bei denen irgend ein äußerer Reiz vermißt wird und wo 
man im Gegentheil annehmen muß, daß die Krankheit infolge einer 
ausschließlich inneren Ursache entstanden ist. Das Ekzem entwickelt 
sich manchmal als die Folge einer Intoxication und Autointoxication 
des Organismus, besonders von Seiten des Darmcanals, selbst ohne 
Vermittelung irgend eines äußeren Reizes; mit der Beseitigung 
dieser Störungen verschwindet auch das Ekzem. Iu der Pathogenese 
der Ekzeme sind Alterationen des Nervensystems von Bedeutung, 
besonders die Störungen der Innervation, welche die Blutfüllung 
und das trophische Gleichgewicht der Haut regulirt. Das Vorhanden¬ 
sein von specifischen Mikroorganismen ist für das Ekzem nicht er¬ 
wiesen. Die ekzematöse Alteration der Haut bietet mehr als alle 
anderen nässenden und desquamirenden Dermatosen ein günstiges 
Nährmedium für die verschiedenartigsten Mikroorganismen, unter 
denen unvermeidlich auch pathogene angetroffen werden. Unter den 
pathogenen Mikroorganismen kommen nach der Constantheit und 
Häufigkeit des Auftretens die folgenden in Betracht: Staphylococcus 
flavus, Staphylococcus pyogenes albus, Streptococcus pyogenes u.s. w. 
Frische ekzematöse Eruptionen (Bläschen) sind steril. Die iu den 
älteren Bläschen und Puetelchen, sowie im Exsudat der nässenden 
Ekzeme vorkommenden pyogenen Kokken sind Mikroorganismen 
secundärer Infection. Diese Mikrokokken sind mit den gewöhnlichen 
pyogenen Kokken vollkommen identisch. Durch Ueberimpfung von 
Staphylococcus aureus und albus gelingt es bisweilen, nur Impetigo 
simplex, nicht aber das klinische Bild ekzematöser Alteration zu 
erzielen. In der Pathogenese der chronischen Ekzeme spielt eine 
ganze Reihe actueller Ursachen (inneren sowohl, wie auch äußeren 
Ursprungs) eine Rolle, wobei die sogenannten Kokken eine wesent¬ 
liche und constante Bedingung darstellen. Die pyogenen Mikro¬ 
organismen und ihre Toxine begünstigen in hohem Maße den 
chronischen Verlauf der Ekzeme und vermögen verschiedene mehr 
oder minder ernste Complicationen inclusive tödtlicher Septikämie 
herbeizuführen. Die allgemeine Behandlung (Desinfection des Darm¬ 
canals) gibt bei Ekzemen bisweilen glänzende Resultate ohne jedes 
locale Zuthun. ' L—y. 


Hellendall (Straßburg): DieEHRLiCH’sche Diazoreaotion 
in ihrer Bedeutung für chirurgische Krankheiten. 

Bei den Untersuchungen, die Verf. anstellte, um die diagno¬ 
stische Bedeutung der Diazoreaction für chirurgische Krankheiten 
festzusetzen, vermochte er größtentheils die Resultate Pape’s zu 
bestätigen. 

H. stellt folgende Sätze auf („Beitr. z. klin. Chir.“, Bd. 32, 
H. 2): Aseptische chirurgische Affectionen mit Ausnahme der 
Neubildungen haben keine Diazoreaction. Bösartige Neubildungen 
haben für gewöhnlich keine Diazoreaction, jedoch werden bei 
manchen Neubildungen Ausnahmen bemerkt (Exulcerirtes Magen- 
carcinom, Carcinom und Sarkom des Peritoneums, Sarkom der 
Lymphdrüsen). Unter den entzündlichen Krankheiten haben die 
acut eitrigen und schwer infectiösen Formen häufig Diazoreaction 
(Absceß, Phlegmone, Gangrän, Erysipel, Septikopyämie). Sie schwindet 
mit dem Aufhören der acuten Erscheinungen und tritt wieder auf, 
wenn neue Herde sich bilden. 

Unter den chronischen Entzündungen kommt die Diazoreaction 
bei Lues so gut wie niemals vor. Bei Aktinomykose ist sie intensiv 
und constant. Eine wichtige Bedeutung kommt der Diazoreaction 
bei der Beurtheilung tuberculöser Processe zu. Die Intensität der 
Roaction entspricht im Allgemeinen der Schwere des tuberculösen 
Processes und schwindet mit der Ausheilung des Processes. Die 
Reaction kann für die Prognosestellung verwerthet worden, da ihr 
constantes Fehlen für einen leichten, ihr constantes starkes Auf¬ 
treten für einen schweren Proceß spricht. Ihre Fortdauer auch 
nach der Operation ist ein Signum mali ominis, betreffend den 
Erfolg der Operation und die Ausheilung des Processes. 

Erdheim. 


Otto Soltmann (Leipzig): Zur Lehre von der Pathogenität 
des Baoillus pyocyaneus. 

Ein 13jähriger mittelgroßer Knabe von blühendem Aussehen, 
mit gracilem Knochenbau »und straffer Musculatur, erkrankt in¬ 
mitten völliger Gesundheit ganz plötzlich unter hohem Fieber (41*5), 
Kopfschmerz, Erbrechen, Stuhlverstopfung. Am nächsten Tage mit 
einer Temperatur von 412 ins Krankenhaus aufgenommen, er¬ 
folgen 3 dünnbreiige Entleerungen. Große Apathie wechselt mit 
Unruhe, Delirien und stundenlang anhaltender Bewußtlosigkeit. Ge¬ 
sicht und sichtbare Schleimhäute stark cyanotisch; Respiration 
frequent (52) oberflächlich, exspirativ; Puls klein, stark beschleunigt 
(120—160). Zunge trocken, belegt. Ueber den Lungen r. h. o. und 
1. h. u. Schallverkürzung, Bronchialathmung, zahlreiche in- und 
exspiratorischc mittelblasige Rasselgeräusche. Sonst heller Schall, 
scharfes pueriles Athmen. Herzgrenzen normal, Töne rein, Herz¬ 
tätigkeit beschleunigt, Spitzenstoß im fünften Intercostalraum (Ma- 
millarlinie), von stark hebendem Charakter. Unterleib eingezogen, 
Milz und Leber deutlich fühlbar, vergrößert. Urin und Genitalien o. B. 
Pat. läßt alles unter sich. Erbrechen bei jeder Nahrungsaufnahme. 
Nach einer außerordentlich unruhigen Nacht, während welcher Pat. 
kaum im Bett zu halten, zunehmende Apathie und länger anhal¬ 
tende Bewußtlosigkeit, von kurzen blanden Delirien und Jacta- 
tionen unterbrochen. Zunahme der Lungenerscheinungen, der Dys¬ 
pnoe und Cyanose in den nächsten Tagen. Die Temperaturen 
zeigen von Beginn stark remittirenden, fast amphibolen Charakter 
mit Neigung zum Absteigen. Milz- und Leberschwellung in Zu¬ 
nahme. Am fünften Tag unter neuem Temperaturanstieg, bis 40'2, 
an den Unterschenkeln, Arm, Kopf und Thorax zahlreiche blaue, 
zehnpfenniggroße Petechien auf der Haut. Collaps. Temperatur¬ 
abfall am nächsten Tag von 38’9—36 5. Herzdilatation nach rechts 
bis zum rechten Sternalrand, nach links zweiquerfingerbreit außer¬ 
halb der Mamillarlinie. Rapide Abmagerung, Puls kaum fühlbar, 
wiederkehrender Collaps, völlige Apathie, anhaltende Bewußtlosig¬ 
keit, Exitus. 

Aus den weiteren Ausführungen S.’s („Festschrift für Kuss¬ 
maul“) geht hervor, daß es sich in diesem Falle um Infection mit 
hochvirulenten Pyocyaneusbacillen gehandelt hat. Die Seltenheit 
des Befundes rechtfertigt dessen Veröffentlichung. B. 


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Maixner (Prag): Ueber die hämorrhagische Form der 
Lebercirrhose. 

Verf. beobachtete 7 Fälle von Laennec’S Lebercirrhose, bei 
welchen Blutungen aus dem Digestionsapparate immer eines von 
den ersten Symptomen waren, welche die Pat. immer in voller 
Gesundheit überraschten und sich mehrmals wiederholten (Z. II. Elin, 
lek,, Präce a sdßlni, II.). Eine Blutung im Verlaufe dieser Krank¬ 
heit 'entsteht: 1. Infolge großer Blutstauung im Portalsystem aus 
hämorrhagischen Magen- oder Darmerosionen, das sind die früh¬ 
zeitigen Blutungen. 2. Blutungen im späteren Krankheitsstadium 
sind als Folgen pathologischer Blutveränderungen zu betrachten. 
3. Unzweifelhaft kann eine Blutung auch durch Berstung einer der 
ösophagealen Venen, die infolge collateralen Kreislaufes bis zu 
Varicen umgestaltet werden können, entstehen. Dies ist freilich 
selten. Die gastroenterorrhagische Form der Lebercirrhose wird 
durch folgende Symptome charakterisirt: 1. Durch den anatomischen 
Befund von ösophagealen und periösophagealen Phlebektasien, die 
nicht immer als Ursache der Blutung betrachtet werden können, 
sondern eben nur beweisen, daß im Digestionsapparate ein Aus¬ 
hilfskreislauf sich gebildet hat, der auf ein eigenes Verhalten der 
Cirrhose in klinischer Hinsicht einen Einfluß übt. 2. Das Haupt¬ 
symptom ist das noch auftretende und sich wiederholende Blut- 
erbrechen und Darmblutungen. 3. Das auffallend anämische, wachs¬ 
artige, auch subicterisohe Aussehen der Pat. 4. Der Leberumfang 
pflegt im späteren Stadium nicht verkleinert, sondern normal oder 
vergrößert zu sein. 5. Baldige, nach den Blutungen schwankende Milz¬ 
schwellung. 6. Bedeutender Meteorismus und Durchfälle 7. Später 
Ascites. 8. Aeußerer Collateralkreislauf war in keinem von den be¬ 
schriebenen Fällen sichtbar. 9. Tödtet keine Blutung den Kranken 
früher, so kommt es zu denselben Consequenzen wie bei der ge¬ 
wöhnlichen Form, nur scheint der Verlauf etwas länger zu sein. 

Stock. 

Haskovec : Weitere Beiträge zur Lehre über den Ein¬ 
fluß des Schilddrüsensaftes auf das centrale 
Nervensystem. 

Aus Verf.’s Experimenten geht hervor („Rozpravy ces. aka- 
demie“, Bd. IX, II. 34), daß der Schilddrüsensaft bei den Hunden eine 
Erniedrigung des Blutdruckes und Pulsaccel erationhervorruft. Dieses 
durch Einwirkung auf das Herz selbst, jenes in erster Reihe durch 
Einwirkung auf die Centren der Nervi accelerantes, und weniger 
auf das Herz selbst. Ob der Blutdruck nur deswegen fällt, weil 
das Herz durch Einfluß des Schilddrüsensaftes erlahmt, oder ob 
daneben, freilich in zweiter Reihe, noch andere Factoren, wie viel¬ 
leicht die Dilatation der Blutgefäße, betheiligt sind, kann noch nicht 
festgestellt werden. Stock. 

Karl Schaffer (Budapest): Die Topographie der para¬ 
lytischen Rindendegeneration und deren Ver- 
hältniß zu Flechbio’s Associationscentren. 

Schaffer hat in drei Fällen terminaler typischer progressiver 
Paralyse das Gehirn auf Serienschnitten untersucht („Neurol. Cen- 
tralbl.“, 1902, Nr. 2) und faßt seine Beobachtungen dahin zusammen, 
daß bei der Paralyse die centralen Sinnesfelder relativ verschont 
bleiben, während die ausgeprägteste Degeneration hauptsächlich 
jene Bezirke der Hemisphäre erleiden, welche Flechsig Associations¬ 
centren nennt. Die atypische Paralyse bildet nicht nur klinisch, 
sondern auch anatomisch-topisch ein Gegenstück der typischen. 
Schaffer scheint Flechsig’s Auffassung zu stützen. Die Rinden¬ 
degeneration der Paralyse stellt keine gesetzlose diffuse, sondern eine 
gesetzmäßig einsetzende elective Erkrankung der Großhirnrinde dar. 

Infeld. 

Silberschmidt (Zürich): Ueber den Befund von spie߬ 
förmigen Bacillen (Bac. fusiforme Vincent) und 
von Spirillen in einem Oberschenkelabsceß beim 
Menschen. 

Verf. fand bei der bakteriologischen Untersuchung eines 
fötiden Eiters aus einer Oberschenkelphlegraone in demselben neben 
Kokkenfäden Spieß- und Spirillenformen, die den von Bernheim u. A. 


bei der Stomatitis ulcerosa gefundenen glichen. Aus seinen Unter¬ 
suchungen, insbesondere den Thierversuchen („Centralbl. f. Bakte¬ 
riologie, Parasitenkunde und Infectionskrankheiten“, Bd. 30, H. 4) 
glaubt Verf. schließen zu können, daß die erwähnten Faden-, 
Spieß- und Spirillenformen in dem betreffenden Falle neben den 
Kokken als die eigentlichen Krankheitserreger anzusehen seien. 

Dr.S—. 


Kleine Mittheilungen. 

— Bei Behandlung der gonorrhoischen Gelenkentzündung 

erzielte Bockhart („Monatsh. f. prakt. Dermat.“, Bd. 33, Nr. 11) 
mit Natron salicylicum dann gute Resultate, wenn er es in Zwischen¬ 
räumen gab. Also am ersten Tage 8—10 0 in Dosen zu 10, am 
2. Tage 6 0 ebenso; danach meist Besserung. Am 3. und 4. Tage 
kein Salicylnatron, dabei Stillstand der Besserung, wohl aber am 
5. und 6. wieder je 6 0. Dann dreitägige Pause und 2 Tage je 
4—6'0 in Dosen zu 0'5. In dieser letzten Art wird bis zur Heilung 
oder wenigstens bis zum Schwinden der Schmerzen fortgefahren. 
Zur Localbehandlung benutzte er im acuten Stadium Ichthyol in 
Salben oder Vasogen mit warmem Watte-Flanellbindcnverband nach 
Leistikow, später Dunstverbände oder heiße Breiumschläge; wenn 
die Gelenke ohne erhebliche Schmerzen bewegbar sind, warme Bäder 
(26—28° R.). Falls bei völliger Schmerzfreiheit noch Schwellung 
und Steifigkeit zurückbleibt, kann vorsichtige Massage angewandt 
werden. Nach dieser Methode soll die Heilung in der halben Zeit 
erfolgen, wie ohne Salicyl. Von Antipyrin, Salipyrin, Salol und 
Jodkali sah Bockhart keinen Erfolg, bei alten chronischen Fällen 
auch vom Salicylnatron nicht. Um Recidive hintanzuhalten, sind 
vor Allem die Gonokokken aus Harnröhre und Prostata zu be¬ 
seitigen. Immobilisirende Verbände, die am raschesten schmerz¬ 
stillend wirken, befördern das Entstehen von Gelenksteifigkeit, ja 
Ankylosirung, und sollten daher nicht angelegt werden. Auch Kälte- 
application ist gänzlich zu verwerfen. 

— Ueber Vial’s tonischen Wein, ein neues Diäteticum 
berichtet Goliner („Therapie der Gegenwart“ u. a.). Die Bestand- 
theile von Vial’s tonischem Wein sind: Alkoholischer Fleischextract, 
die wirksamen Theile der Chinarinde und Kalklactophosphat. Die 
Zusammensetzung ist schon theoretisch eine überaus günstige, denn 
jedes einzelne der hier combinirten Mittel gehört schon seit langem 
zu den erprobten Präparaten. Das gesammte Product ist sehr 
wohlschmeckend, und es erscheint durchaus zweckmäßig, einen 
Extract der Chinarinde in altem Malaga herzustellen. Der Zusatz 
von Fleischsaft trägt dazu bei, die Wirkung noch zu verstärken. 
Auch nach längerem Gebrauch stellt sich nicht, wie sonst so häufig 
bei derartigen Präparaten, Widerwillen ein. Daß der Wein anti¬ 
pyretisch wirkt, ist wohl schon in seinem Chinarindenextractgehalt 
begründet. Die günstige Wirkung bei der Benutzung des Weins 
zeigt sich bei allen Formen von Anorexie; es erfolgt eine Hebung 
der Appetenz. Die Dosis beträgt für Erwachsene 3raal täglich 
1 Eßlöffel oder 1 Liqueurglas, für Kinder die Hälfte. Es geht 
daraus hervor, daß Vial’s tonischer Wein als tägliches Genu߬ 
mittel nicht genommen werden soll. Dementsprechend soll er bei 
Krankheiten angewendet werden, die mit Herzschwäche und 
schnellem Kräfteverfall einhergehen, besonders bei Magendarm¬ 
katarrhen. Der Gehalt an leicht resorbirbarem Calciumlactophosphat 
befähigt den Wein, auf die Knochenbildung einen günstigen Einfluß 
auszuüben, und deshalb wird sich seine Anwendung auch in Fällen 
von Rachitis empfehlen. Ein Eßlöffel von Vial’s tonischem Wein 
enthält 0‘5 Grm. Kalklactophosphat, die Alkaloide aus 2 Grm. 
Chinarinde und den Extract von 30 Grm. Ochsenfleisch in circa 
15 Ccm. altem spanischen Wein. 

— Erfahrungen über die Heilwirkung de8 Dionin publicirt 
Anton Zirkelbach („Orvosi Hetilap“, 1901, 15. Sept.). Das Dionin 
ist ein weißes, geruchloses, etwas bitterliches, aus kleinen Krystallen 
bestehendes Pulver, welches bei 125" schmilzt. 100 Gewichtstheile 
Wasser lösen bei 15" C. 14 Gewichtstheile Dionin auf, es löst sich 
also in Wasser gut, ebenso in Syrup, und dadurch eignet es 
sich selbst für die Kinderpraxis. Seine leichte Löslichkeit macht 
es auch für Subeutaninjectionen sehr empfehlenswert!!. Z. verordnet 


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das Dionin gewöhnlich in Pulverform zu Dosen von 002—0‘04 Grm. 
täglich 3—4mal; weiters in 1—8°/ 0 iger Lösung subcutan. Dionin 
ist ein verläßliches husten- und schmerzstillendes Mittel, es kann 
in allen jenen Fällen versucht werden, wo Morphin angezeigt ist. 

— Uebcr die Behandlung der Fissura ani berichtet Gussen- 
bauer („Wr. klin. Wschr.“, 1902, Nr. 2). G. behandelt die Fissura ani 
nach der von Recamier vorgeschlagenen Dehnungsmethode. Verf. 
übt die Dehnung in der Weise aus, daß er zuerst den einen Zeige¬ 
finger schonend in den Anus einführt, hierauf den zweiten ebenso 
und nun den straff gespannten Sphincter langsam und allmälig 
unter zunehmendem Zuge der Finger in entgegengesetzter Richtung 
so lange ausdehnt, bis derselbe erschlafft erscheint. Dabei wird 
auch die Fissura selbst gedehnt; es kommt auch vor, daß dieselbe 
noch mehr einreißt, aber nicht plötzlich, und es erfolgt deshalb 
in der Regel gar keine Blutung oder nur, wenn der Substanz¬ 
verlust sehr groß war. Hierauf wird die Analportion mit Salicyl- 
säurelösung irrigirt — was besonders dann nothwendig ist, wenn 
nach ausgeführter Dehnung sich aus dem Rectum Fäces vordrängen 
oder in complicirten Fällen Schleim und Eiter abgehen — hierauf 
mit sterilen Tupfern getrocknet, die Fissura mit Jodoformpulver 
bestreut oder mit Jodoformgaze (Dermatol) tamponirt und trocken 
verbunden. Ein feuchter Verband ist empfehlenswerth, wenn ent¬ 
zündliche Complicationen von Seiten vorhandener Hämorrhoidal¬ 
knoten etc. vorliegen. Der weitere Verlauf ist der, daß die Pat. 
nach dem Erwachen aus der Narkose wohl noch durch eine oder 
zwei Stunden Schmerz empfinden. Dann hört der Schmerz auf; 
die Entleerungen des Darmes erfolgen schmerzlos, selbst wenn die 
erste am Tage nach der Operation eintritt, und die Pat. sind wie 
mit einem Schlage von allen ihren Schmerzen, welche aus der 
Fissur und dem Afterkrampf selbst resultirten, befreit. Die Heilung 
der Fissur erfolgt, je nach ihrer Größe, in wenigen Tagen bis 
1—2 Wochen, und nur wenn Complicationen vorhanden sind, wird 
auch gelegentlich die Heilungsdauer eine längere sein. Die Continenz 
stellt sich schon nach wenigen Tagen vollständig her. 

— Das Thiol und 8elne Anwendung erörtert in einem 
zusammenfassenden Referate Riedel. Auf die Haut gebracht, er¬ 
weist sich Thiolum liquidum als eine Art Firniß, da es für sich 
allein, wie mit etwas Wasser oder Glycerin vermischt, bald zu 
einem braunschwarzen, häutigen Ueberzuge eintrocknet. Eine solche 
Decke läßt sich mit warmem Wasser leicht entfernen, worauf die 
darunterliegende Haut eine sehr leichte, bräunliche Verfärbung 
zurückbehält, als Ausdruck des Eindringens des Präparates in die 
Oberhaut und vielleicht auch seiner reducirenden Wirkung. Es 
zeigt sich ferner, besonders nach längerer localer Thiolisirung, 
zumal bei hyperämischen Häuten, eine mehr oder minder ausge¬ 
sprochene Abschilferung von Hornschuppen, eine leicht vergehende 
Sprödigkeit, welche Erscheinung durch die dem Thiol zukommen¬ 
den Eigenschaften, die keratoplastische und die eintrocknende, 
bedingt ist. „Das Thiol wirkt somit reducirend, austrocknend, gefä߬ 
verengend, verhornend, reizt niemals, hemmt aber das Wachsthum 
gewisser inficirender Organismen, hauptsächlich der verschiedenen 
Streptokokkenarten.“ Das Thiolum siccum eignet sich nach Bidder 
vortrefflich zum Bepudern intertriginöser Hautstellen, nässender 
Ekzeme und auch zum Bestreuen von Excoriationen und kleinen, 
oberflächlichen oder tiefer dringenden Wunden. Auch hiebei hat 
Bidder niemals Reizerscheinungen, sondern meist rasche Ein¬ 
trocknung und Heilung unter dem Schorfe beobachtet. Innerlich 
genommen wirkt das Thiol laxativ, es kommt ihm die bekannte 
laxative Wirkung des Schwefels zu. Man kann das Mittel in Form 
von Tropfen, Pillen oder in anderer Art von 0'5—2 Grm. und mehr 
täglich geben; die Patienten nehmen es nicht ungern; es scheint 
den Verdauungscanal nicht nur nicht zu schädigen, sondern ihm 
im Gegentheil wohlzuthun und einen befördernden Einfluß auf die 
Defäcation zu haben. 

— Den Albumengehalt der Nephritiker unter dem Einflüsse 
der Massage hat Ekgrev („Deutsche raed. Wschr.“, 1902, Nr. 9) 
bestimmt. Bei pathologischer renaler Albuminurie wird durch starke 
Muskelbewegung die Albuminurie gesteigert, daher ist bei der 
Behandlung von Nephritikern die möglichste Einschränkung activcr 
Muskelbewegung von großer Wichtigkeit. Nun ist die Frage von 


Wichtigkeit, wie sich passive Bewegungen oder Massage in der 
genannten Beziehung verhalten; diese Frage hat umso mehr Interesse, 
als versucht worden ist, die Oedeme der unteren Extremitäten 
durch Massage, und zwar hauptsächlich Petrissage und Effleurago, 
zu beseitigen. Verf. unternahm diese Prüfung an drei Kranken, 
von denen zwei an Granularatrophien und eine an subacuter paren¬ 
chymatöser Nephritis litten. Die Behandlung bestand in allgemeiner 
Körpermassage (Petrissage und Effleurage) nnd wurde stets Vor¬ 
mittags vorgenommen. Nur ausnahmsweise wurde ein Tapotement 
der Extremitäten oder des Rückens hinzugefügt, wobei die Nieren- 
gegeud jedoch sorgfältig vermieden wurde. Die Patientin wurden 
im Allgemeinen 3 Tage hintereinander behandelt und dann eine 
Pause gemacht. Der Eiweißgehalt des Urins wurde täglich mit 
dem EsBACH’schen Albuminimeter approximativ bestimmt. Gleich¬ 
zeitig wurden auch Quantität und specifisches Gewicht des Harns 
täglich gemessen. Die Untersuchungen ergaben in der Mehrzahl 
eine Zunahme des Albumengehaltes im Harne der Nephritiker 
während oder gleich nach der Massagebehandlung. Auch in einem 
Falle, wo Widerstandsbewegungen der unteren Extremitäten vor¬ 
genommen wurden, wurde der Eiweißgehalt des Urins beträchtlich 
gesteigert; auch Bewegungen der oberen Extremitäten schienen 
denselben Einfluß zu haben. Die Massage wurde von den Patienten 
subjectiv sehr gut vertragen; die Oedeme nahmen etwas ab; in 
einem Fall wurden Gelenkschmerzen durch die Massage gemildert. 
Verf. empfiehlt auf Grund seiner Ergebnisse den Versuch, die 
Oedeme der Nephritiker durch Massage zu beseitigen, jedoch unter 
beständiger Controle des Urins. 

— Zur Behandlung der Lungentuberculose mit Thiocol be¬ 
richtet E. Vogt („Rev. de Therapeutique“, 1901, Nr. 24). Die 
Wirkung des Mittels ist nach den Erfahrungen V.’s immer eine gute. 
Das Fieber nimmt ab und verschwindet manchmal auch gänzlich. 
Die Nachtschweiße erfahren eine Besserung; Husten und Auswurf 
nehmen ab, der Appetit und das Körpergewicht zu; ebenso hob 
sich zumeist das Allgemeinbefinden. Thiocol ist auch ein ausge¬ 
zeichnetes Antidiarrhoicum. V. bezeichnet das Thiocol als ein 
Mittel, welches lange ohne jeden Nachtheil gegeben werden kann 
und welches in der Behandlung der Disposition zur Tuberculose 
und der leichten Tuberculose eine Zukunft hat. Achnliche Erfolge 
und Erfahrungen verzeichnet Hugo Winternitz aus der königl. 
med. Universitätsklinik zu Halle a. S. („Deutsche Aerzte-Ztg.“, 
1902, Nr. l). Er gab das Mittel in Form von Sirolin (3—4 Thee- 
löffel täglich) oder in Pulvern und Tabletten, 3—4mal täglich 0 5. 

— Gegen Dysuria gonorrhoica empfiehlt E. Gebert („Therap. 
Monatsh.“, 1901, Nr. 3) folgende Verordnungsweise: 


Rp . Natrii salicylic.10 0 

Extr. Belladonnae.0'3 

Aq. destillatae.195‘0 

Tinct. Anrantii. 5'0 


M. D. S. Zwei- bis dreistündlich 1 Eßlöffel zu 
nehmen. 


Literarische Anzeigen. 

Atlas und Grundriß der Histologie und mikrosko¬ 
pischen Anatomie des Menschen. Voh Privatdocent 
Dr. J. Sobotta in Würzburg. München 1902, J. F. Lehmann. 

Vorliegender Atlas ist einer der schönsten unter den allerorts 
und mit Recht bekannten Lehmann’schen medicinischen Handatlanten. 
Abgesehen von der Schönheit der Präparate und der farbigen 
Bilder, hat er den Vortheil, daß fast ausschließlich menschliche 
Histologie hier vorgeführt wird. Die Darstellung thierischer 
Präparate, wie wir sie in unseren Lehrbüchern der Histologie noch 
vielfach finden, ist zwar für den Unterricht sehr zweckmäßig, für 
den Praktiker aber hat sie doch nur einen geringen Werth. So- 
botta’s Atlas hält sich deshalb an das menschliche Material und 
sucht auch in dem begleitenden Texte allerorts die histologischen 
Charaktermerkmale der menschlichen Gewebe hervorzuheben. 

Fe. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 19. 


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Das Wirbelthierblut in mikrokrystallographischer 
Hinsicht. Von Dr. H. U. Kobert. Mit einem Vorwort von 
Staatsrath Prof. Dr. R. Kobert. Stuttgart 1901, Ferdinand 
Enke. 

Kobert’s Sohn gibt uns im vorliegenden Buche eine sehr 
dankenswertbe Studie über die verschiedenen Krystallformen, welche 
die einzelnen Substanzen des Blutes und deren Zersetzungsproducte 
liefern, und stellt die Darstellungsmethoden an der Hand der ein¬ 
schlägigen Literatur zusammen. Für alle jene Aerzte, die sich mit 
Blutuntersuchung beschäftigen, wird sich das Studium des Buches 
als sehr vortheilhaft erweisen. Fe. 


Die Entstehung und Ursache der Taubstummheit. 
Von Dr. Fritz Danziger in Beuthen O.-S. Mit 22 Figuren im 
Text und 18 Abbildungen auf 3 Tafeln. Frankfurt a. M., 
Johannes A11. 

Wir haben unlängst ein anderes Werk desselben Autors: „Die 
Mißbildungen des Gaumens und ihr Zusammenhang mit Nase, Auge 
und Ohr“ in diesen Blättern angezeigt, und was wir damals ge- 


Feuilleton. 

Die physikalischen Heilmethoden an den 
Hochschulen. 

(Zur Organisation des klinischen Unterrichts.) 

Von Dr. Julius Fodor, leitendem Arzt des Centralbades Wien.*) 

Das äußere Wachsthum der Wiener medicinischen Hochschule 
und das innere Wachsthum der medicinischen Wissenschaft mit der 
reichen Gliederung ihrer verschiedenen Zweige haben den Beschluß 
gezeitigt, die zu eng gewordenen räumlichen Grenzen der ärzt¬ 
lichen Unterrichtsanstalten beträchtlich zu erweitern, neue Gebäude, 
neue Kliniken und Laboratorien zu schaffen mit allen Behelfen, 
wie sie der Fortschritt der ärztlichen Wissenschaft fordert, der 
Fortschritt der Technik ermöglicht. 

Sollte diese außerordentliche Gelegenheit nicht auch die Mög¬ 
lichkeit bieten, neben der intelligenten Nachahmung von Einrich¬ 
tungen, die der schöpferische Geist anderer Wissensstätten ge¬ 
schaffen hat, auch Originales zu errichten, damit die altberühmte 
Wiener ärztliche Hochschule wieder einmal vorbildlich, bahn¬ 
brechend wirken könne? 

Die kritische Sichtung veralteter Heilmethoden und der Aus¬ 
bau der physikalischen Untersuchungsmethoden haben den Ruhm 
der alten Wiener Schule wesentlich mitgeschaffen ; sollte es nicht 
gelingen, durch den Bau eines mustergiltigen klinischen 
Institutes für physikalische Heilmethoden ihr neuen 
Ruhm zu erringen? 

Hydrotherapie, Mechanotherapie, Elektrotherapie und die 
ihnen verwandten Heilmethoden haben sich allmälig aus kaum be¬ 
achtetem Dasein zu wichtigen Factoren des wesentlichsten Theiles 
der ärztliches Kunst, der Heilkunst entwickelt, sind wissenschaft¬ 
lich begründet und klinisch erprobt worden ; in allen Lehrbüchern 
und Zeitschriften wird ihre Bedeutung anerkannt und ihre gründ¬ 
liche Kenntniß den Candidaten der Medicin empfohlen, aber eine 
Stätte, wo die Pflege dieser Wissensgebiete in einer der Würde einer 
Hochschule entsprechenden Weise möglich wäre, existirt bisher nicht. 

An mehreren reichsdeutschen Universitäten ist allerdings ein 
Anfang mit Einrichtung hydriatischer Ambulatorien gemacht worden, 
wobei zumeist die von Hofrath Prof. Winternitz aus eigenen 
Mitteln gegründete poliklinische Abtheilung als Muster diente. Aus 
dem Gebiete der Mechanotherapie wird Massage kümmerlich oder 
gar nicht, Elektrotherapie mit spärlichen Behelfen gelehrt. Aber 
das sind schwache Ansätze, die eine wirkliche Lösung der wichtigen 
Aufgabe, den Unterricht in den physikalischen Heil- 

*) Vorgetragen auf dem III. wissenschaftlichen Congresse des 'Central - 
verbandes der Balneologen Oesterreichs in Wien, März 1902. 


sagt, wir müssen es hier wiederholen: Das ist ein Buch, in dessen 
Lectüre man sich mit Freude versenkt und das, zu Ende gelesen, 
man nur mit dem festen Entschluß aus der Hand legt, es bald 
nochmals vorzunehmen. Wie der Verf. e3 zu Wege gebracht hat, 
uns derart zu fesseln? Eigentlich sehr einfach. Er betrachtet näm¬ 
lich, wie es ja stets geschehen sollte und leider doch so selten 
geschieht, die Dinge nicht vom engen Gesichtskreise des „Fach¬ 
mannes“ aus, sondern sub specie aeternitatis. Und von diesem er¬ 
habenen Standpunkte gesehen, stellen sie sich eben ganz anders dar. 

Auch wenn uns der nöthige Raum zur Verfügung stünde, 
würden wir uns dennoch auf eine Skizzirung des behandelten 
Themas nicht einlassen, weil wir den Leser nicht dazu verleiten 
möchten, sich mit einem schwachen Surrogate zu begnügen. Nur 
so viel wollen wir verrathen, daß D. zur Erklärung der ange¬ 
borenen Taubstummheit, von einer ViRCHOW’schen Idee ausgehend, 
das Zusammenwirken von Gehirnwachsthum, Muskelthätigkeit und 
Knochenforra heranzieht. Die Kunst des Vortrages aber, mit wel¬ 
cher der Autor uns für seine Anschauungen zu gewinnen weiß, 
vermag ich nicht einmal anzudeuten. Das Buch hält mehr, als man 
von ihm verlangen könnte, denn es bietet neben der Belehrung 
auch noch einen ästhetischen Genuß. Eitelbebg. 


methoden auf ein sicheres, dem gegenwärtigen Stande und der 
zu erwartenden Entwickelung derselben entsprechendes Fundament 
zu stellen, nicht bringen. 

Die Schwierigkeiten, die sich dieser Neuorganisation entgegen¬ 
stellen, sind vorwiegend historisch begründet. 

Die Kliniken an den deutschen Hochschulen sind mit Aus¬ 
nahme der Trennung von chirurgischen und internen hauptsächlich 
nach Localisationsmerkmalen gesondert; wir haben daher solche 
für Haut-, Kehlkopf-, Ohren-, Gehirn-, Nervenkrankheiten und 
ähnliche; eine Sonderung nach therapeutischen Methoden 
gibt es nicht, weil die früher vorwiegend medicamentöse Be¬ 
handlung aller nicht operativen Krankheitsfälle eine solche Tren¬ 
nung nicht erforderte. 

Die neuere Entwickelung der Therapie hat uns jedoch ge¬ 
lehrt, daß für eine große Anzahl von Erkrankungen verschiedenster 
Localisation die Anwendung der physikalischen Ileilfactoren allein 
die Möglichkeit der Heilung schafft, oder dieselbe doch sicherer 
und rascher herbeiführt als die an den Kliniken bisheriger Ein¬ 
richtung übliche und mögliche Therapie. Da die Klinik unbestreit¬ 
bar die Aufgabe hat, dem Kranken die bestmögliche Behandlung 
zu gewähren, den Studenten die bestmögliche zu lehren, so ist 
es klar, daß hier eine Abhilfe gefunden werden muß. 

Ist die Sache wirklich praktisch undurchführbar, wie die 
berufsmäßig conservativen Geister glauben oder behaupten? Wir 
wollen trachten, einige erfahrungsgemäße Gesichtspunkte für die 
Beantwortung dieser^Frage zu gewinnen. 

Tausendfache Beobachtung lehrt, daß eine ganze Reihe von 
Erkrankungsformen chronischer Natur, wie die meisten Nerven¬ 
krankheiten, chronische Erkrankungen der Muskeln, Gelenke, des 
Verdauungsapparates etc., mit allen drei Hauptmethoden physika¬ 
lischer Therapie, Hydro-, Mechano-, Elektrotherapie gleichzeitig be¬ 
handelt, umso günstigere Heilerfolge aufweisen. 

Es liegt daher nahe, diese therapeutische Verwandtschaft auch 
in der Anlage jenes klinischen Institutes zum Ausdruck zu bringen, 
wo diese Methoden Zusammenwirken sollen. 

Dieses Institut muß daher alle modernen Behelfe der Hydro-, 
Mechano- und Elektrotherapie aufweisen, muß alle neueren Er¬ 
findungen und Fortschritte auf diesem Gebiete mit wissenschaft¬ 
licher Kritik erproben und lehren. Aus praktisch technischen 
Gründen dürfte es empfehlenswerth sein, auch den modernen thera¬ 
peutischen Methoden der Radio-, Photo- und Heliotherapie hier 
eine Stätte der weiteren Erforschung und Vertiefung zu gewähren, 
ferner die zum Schaden der ärztlichen Bildung vernachlässigte 
moderne Krankenpflege mit allen ihren technischen Behelfen, 
weiters den Unterricht in der Balneologie, Hydrologie, Klimato- 
therapie und Diätotherapie im Rahmen dieses neuen klinischen 
Institutes zu vereinigen. 

Woher soll nun dieses klinische Institut seine Kranken nehmen ? 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 19. 


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Aus zwei Quellen: erstens durch Aufnahmen aus der eigenen 
Ambulanz, zweitens durch temporäre oder dauernde Zuweisung von 
anderen Kliniken, denen das neue Institut ja nicht als Concurrent, 
sondern als ehrlicher Mitarbeiter und Helfer gegenübertritt, und 
zwar nicht nur den internen, sondern auch den chirurgischen Ab¬ 
theilungen, die oft mit Bedauern die kunstgerechte hydro-, mechano- 
und elektrotherapeutische Nachbehandlung ihrer Operirten zum 
Schaden des Heilerfolges entbehren müssen. 

Und die Lehrkräfte? 

Sollen die drei Hauptdisciplinen, Hydro-, Mechano- und 
Elektrotherapie, in einer Hand vereinigt bleiben ? Vom idealen 
Standpunkte der Einheitlichkeit, der medicinischen Wissenschaft 
und der Vermeidung ihrer specialistischen Zersplitterung wäre 
das sicherlich erwünscht, ebenso wie es ein herrliches Ideal 
wäre, alles chirurgische und internistische, dermato- und ophthal- 
raologische Können, kurz alle Zweige ärztlicher Wissenschaft in 
einem Kopfe vereint zu sehen. Leider ist die menschliche Hirn¬ 
function nicht ohne Grenzen, während die Anzahl der Erfahrungen 
und Beobachtungen, die technische Vervollkommnung der einzelnen 
Specialzweige der Wissenschaft ins Unbegrenzte sich dehnt. 

Bei dem heutigen Stande der Entwickelung der physikalischen 
Heilmethoden ist auch da die Specialisirung zwar bedauerlich, 
aber unvermeidlich. Jeder, der sich nur einigermaßen mit der 
Literatur und Arbeitsmethode dieser Fächer vertraut gemacht hat, 
wird das ohneweiters zugeben. 

Wie soll nun hier das für Kranke und Studirende erwünschte 
einheitliche Zusammenwirken der klinischen Lehrer bei Ausschaltung 
persönlicher Reibungen bewirkt werden ? Das ist wohl in verschie¬ 
dener Weise möglich. Einen praktikabeln Modus möchte ich gleich 
hier vorschlagen. 

Jeder der Docenten erhält eine bestimmte Anzahl Betten zu¬ 
gewiesen, für die ihm allein das Aufnahmsrecht zusteht; die hier 
aufgenommenen Kranken stehen in seiner Behandlung und werden 
nur auf seinen Wunsch oder mit seiner Zustimmung gleichzeitig 
mit anderen Heilbehelfen behandelt. 

Eine solche scharfe Abgrenzung der Competenzen ist erfah¬ 
rungsgemäß das beste Mittel zur Vermeidung von Conflicten, vor 
denen ja auch scheinbar ganz neutrale Gebiete menschlicher 
Thätigkeit nicht ganz gefeit sind. 

Ich will noch anführen, daß im Interesse der Studirenden 
neben Cursen für die einzelnen Specialfächer auch ein gemein¬ 
schaftlicher Unterrichtscursus in den drei Hauptdisciplinen möglich 
wäre, wobei jeder der Docenten etwa zweimal wöchentlich vor¬ 
tragen würde und der Ansporn zur Darbietung eines einheitlichen 
Gesammtbildes der physikalischen Heilmethoden in höherem Maße 
gegeben wäre. 

Es kann hier nicht meine Aufgabe sein, einen Organisationsplan 
für den Hochschulunterricht der physikalischen Heilmethoden in 
allen Details ausgearbeitet zu bieten. Zweck dieser Ausführungen 
ist es, die Nothwendigkeit, sowie die Möglichkeit darznthun, diesen 
Unterricht in wirksamer Weise zu organisiren. 

Alle genannten physikalischen Heilmethoden werden in Oester¬ 
reich von tüchtigen Forschern, zum Theile bahnbrechenden Führern 
gefördert. Es wird der Unterrichtsverwaltung ein leichtes sein, 
in einer Enquete solcher Fachmänner verläßlichen Rath und Bei¬ 
hilfe für die Schaffung dieser neuen, vorbildlichen Stätte klinischer 
Forschung und Lehre zu gewinnen. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

20. CoDgreß für innere Medicin. 

Gehalten zu Wiesbaden 15.—18. April 1902. 

(Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) 

IV. 

Klemperer (Berlin): Untersuchungen über die Verhältnisse der 
Löslichkeit der Harnsäure. 

Die Harnsäure befindet sich im Harn in übersättigter Lösung. 
Bei Hitze und hohem Druck fällt sie aus. Die Ursache dafür ist 


in dem inneren Druck der Moleküle untereinander, der sog. Vis- 
cosität, zu suchen, welche durch die Ausflußgeschwindigkeit ge¬ 
messen wird. K. hat non ermittelt, daß stark viscöse Lösungen 
(Gummi, Glycerin u. s. w) Harnsäure in sich gelöst zu halten ver¬ 
mögen. Die Viscosität des Harns genügt aber noch nicht zur Er¬ 
klärung. Es kommt noch die colloidale Eigenschaft des Harns hinzu, 
die ihm gegeben ist durch den normalen Harnfarbstoff (Urochrom). 
Frei als hygroskopisches Pulver dargestellt, hat er die Fähigkeit, 
Harnsäure in übersättigter Lösung zu halten. Mit Thierkohle ent¬ 
färbter Harn läßt die Harnsäure sofort ausfallen. Die Nieren lassen 
allerdings nicht das colloidale Molekül hindurch, sondern bilden es 
erst, wahrscheinlich aus dem Bilirubin. 

Edinger (Freiburg) betont den herabsetzenden Einfluß des Rhodan¬ 
kaliums des Speichels auf die Harnsäuremenge im Harn, so daß man vielleicht 
annehmen kann, daß Anomalien des Schwefelstoffwechsels bei der Pathogenese 
der Gicht eine Rolle spielen. 

Sahli (Bern): Ein einfaches und exactes Verfahren der klini¬ 
schen Hämometrie. 

Vortr. demonstrirt ein neues Hämoglobinometer, welches in 
seiner Construction dem früher von S. schon modificirten Gowers- 
schen ähnlich ist. Als colometrieche Standardlösung wird eine mit 
Chloroform versetzte salzsaure Hämatinlösung benutzt. 

Rosenfeld (Breslau): Zur Pathologie der Niere. 

1. Die mikroskopische Schätzung des Fettgehaltes ist bei der 
menschlichen Niere unzuverlässig, denn einerseits kann der (chemisch 
bestimmte) erhöhte Fettgehalt nicht, andererseits geringer Fettgehalt 
übertrieben angezeigt werden. 

2. Mikroskopisch ganz normale Nieren können den höchsten 
Fettgehalt aufweisen. 

3. Pathologische Nieren haben durchschnittlich denselben 
Fettgehalt wie normale. Auch die Grenzen, in denen der Fettgehalt 
schwankt, ist bei normalen und pathologischen Nieren nicht ver¬ 
schieden. 

4. Die normale Hundejjiere hat im Durchschnitt 21-8% Fett. 

5. Der Fettgehalt der normalen Hnndeniere bleibt unverändert 
bei Vergiftung mit Phloridzin, Phosphor, Kalium bichromicum 
und wird auf 17% durch Cantharidin und Chloroform erniedrigt. 
Einzig erhöhend scheint Alkohol zu wirken. 

6. Berechnet man die Menge feuchter und trockener Nieren¬ 
substanz pro Kilo Thier, sowie der zugehörigen Fettmengen, so 
ergibt sich, daß keine Noxe existirt, welche die Fettmenge der 
Niere erhöht, daß die Entfettung nach Chloroform und Cantharidin 
durch die Vermehrung der Nierensubstanz bei gleicher (oder ver¬ 
minderter) Fettmenge erklärbar ist. 

Im Sinne einer Vermehrung des Alkohol-Chloroformauszuges 
gibt es keine Nierenverfettung. 

Salomon (Frankfurt a. M.): Ueber Fettstühle. 

Redner hat bei einfachen Darmkatarrhen die Fettresorption 
in der Regel nur wenig gestört gefunden , z. B. wurden in einem 
Falle chronischer Enteritis mit 8—10 dünnbreiigen Entleerungen 
in 24 Stunden bei einer Zufuhr von 197 Grm. Fett 9'8% resorbirt. 

Es gibt aber bei sonst gesunden Menschen Zustände, in 
denen eine eigenartige Störung der Fettresorption ohne Icterus 
und ohne Diabetes besteht. Es wurden in derartigen, vom Redner 
beobachteten Fällen bei einer Fettzufuhr, die zwischen 240 und 
280 Grm. schwankte, 20—37% des Fettes im Koth abgegeben. 
Die Spaltung des Fettes war eine normale. Jodoformglutoidkapselu 
starker Härtung nach Sahli wurden prompt gelöst. Keine alimen¬ 
täre Glykosurie. 

In dem ersten der beiden beobachteten Fälle war auch die 
Stickstoffresorption verringert. 

Die Zufuhr von Pankreasdrüse und Pankreon blieb durchaus 
ohne die schlagende Wirkung, wie sie Redner bei der Steatorrhoe 
pankreatogener Natur beobachtet hat. Die Therapie, welche die 
subjectiven Beschwerden der Kranken zum Verschwinden brachte, 
bestand in der Darreichung fettarmer Diät. Redner empfiehlt die 
Anwendung wirksamer Pankreaspräparate zur Diagnose, ob eine 
bestehende Steatorrhoe durch eine Anomalie der Pankreassecretion 
(Nutzen der Pankreaspräparate!) oder der Resorption (Versagen 
der Pankreaspräparate) bedingt ist. 


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Hirschfeld (Berlin): Solch erhebliche Störungen der Fettresorption 
kommen bei einfachem Darmkatarrh gewöhnlich nicht vor. H. fragt, deshalb 
an, ob nicht Disposition zum Diabetes zu ermitteln war. 

Salomon verneint dies. 

Schmidt (Bonn) betont gleichfalls den diagnostischen Werth der durch 
Pankreas erzielten Besserung der Fettausscheidung für die Erkennung des 
Ursprungs der Krankheit. Zur sicheren Contröle der Fettresorption empfehle 
sich stets die Verabreichung einer ein- für allemal feststehenden Probekost. 

Friedrich Straus (Frankfurt a. m.) : Untersuchungen über Physio¬ 
logie und Pathologie der Nierenfunction. 

Von den von Kobänyi in die Klinik eingeführten Methoden 
der Bestimmung des osmotischen Druckes von Blut und Harn 
durch die Bestimmung ihrer Gefrierpunktserniedrigung hat die¬ 
jenige der Blutung die Nierenchirurgie wesentlich gefördert. Die 
Methode scheint berufen, die Grenzen anzugeben, innerhalb deren 
wir eine erkrankte Niere entfernen und darauf rechnen dürfen, 
daß die andere Niere deren Function mitzuübernehmen imstande ist. 

In den Fällen aber, in denen die Entfernung des Organs 
nicht in Betracht kommt, sondern in denen es sich darum handelt, 
aus diagnostischen und prognostischen Gründen über den Zustand 
der Leistungsfähigkeit der einen oder der anderen Niere etwas 
zu erfahren, in diesen gibt nur die von Caspar und Richter 
inaugurirte Functionsprüfung einer jeden einzelnen Niere Aufschluß. 

Vortragender geht nun auf seine Untersuchungen der Nieren¬ 
function näher ein. Er verfügt bis jetzt über 55 Fälle. 

Die Voraussetzung aller Untersuchungen über die Function 
einer Niere ist die gesonderte Entnahme des Secrets aus jeder 
einzelnen Niere. Dieser Forderung wird genügt durch den Ureteren- 
katheterismus. Die Untersuchungsresultate sind erhalten durch ver¬ 
gleichsweise Analyse der durch Ureterkatheterismus gleichzeitig 
und gesondert gewonnenen Secrete. Die Analyse bezog sich auf quanti¬ 
tative Bestimmung von Harnstoff, Phosphorsäure, Chlor und Zucker 
nach Phloridzineinverleibung und auf die Bestimmung der mole- 
culären Concentration durch die Methode der Gefrierpunktserniedri¬ 
gung. Physiologisch arbeitende Nieren sind in der Weise thätig, 
daß sie in regelmäßigen Intervallen ihren Urin meist alternirend 
auswerfen. Der Auswurf geschieht unter starkem Druck, erscheint 
cystoskopisch als Strudel, aus dem Ureterkatheter in rascher Folge 
tropfenweise herausgeschleudert. Markante Abweichungen hievon 
sind bei chirurgisch kranken Nieren: Träge Uretercontractionen, an 
Zahl vermindert, Differenzen in der Urinmenge. Durch weitere 
Untersuchungen stellte Straüs fest: Die Function normal thätiger 
Nieren ist zu gleichen Zeiten stets in beiden Niereu die gleiche. 
Moleculäre Concentration , Harnstoff - Phosphorsäure - Chlorgehalt, 
Zuckergehalt im Phloridzindiabetes der zeitlich mittel- oder un¬ 
mittelbar nach einander abgesonderten Secrete sind in gleichen 
Zeiten für beide Nieren physiologisch gleichwerthig. Sie sind gleich¬ 
sinnig wechselnd physiologisch und pathologisch und sind patho¬ 
logisch von analoger Differenz. 

Vortragender zeigt an der Hand von Fällen und Präparaten, 
wie es durch Prüfung der Functionen jeder Niere mittelst Ureteren- 
katheterismus und quantitativer vergleichender Analyse möglich ist, 
diagnostische Details mit solcher Bestimmtheit vorherzusagen, wie 
es bislang nur der operativen Autopsie möglich war. Straus 
fand diese durch. Anstellung der Functionsprtifung ermöglichten 
diagnostischen Feinheiten durch die Operation bestätigt. Zum Schluß 
weist Vortragender auf einen Fall hin, in dem es gelang, durch 
Ureterenkatheterismus und functionelle Prüfung das Vorhandensein 
einer einseitigen Nephritis dadurch nachzuweisen, daß sich nur 
einseitig Cylinder fanden. Die Analyse (auf Zucker) ergab eine 
erhebliche functionelle Beeinträchtigung auf Seiten dieser Niere. 


Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Med. Presse“.) 

Sitzung vom 24. April 1902. 

L. V. SCHRÖTTER stellt einen jungen Mann vor, bei welchem 
er einen Cirrhsoismus arterialis durch systematische Unter¬ 
bindungen geheilt hat. Das Leiden begann sich im 14. Lebensjahre 
zu entwickeln. Alle Arterien des linken Armes waren erweitert, 
verdickt und geschlängelt, die Venen und Capillaren nahmen in 


gleicher Weise an der Erkrankung theil. Am Thenar und Anti- 
thenar bildeten sich mächtige Gefäßpolster aus, welche den Mann 
an seiner Beschäftigung (Violinspielen) hinderten. Vortr. hat die 
Deformation der Hand durch systematische Excisionen (je eines 
Stückes der Ulnaris und Radialis, 3 Aneurysmen der Hohlhand, 
einer Vene am Vorderarme und am Handrücken) und Ligaturen 
(Ulnaris) behoben, so daß der Mann gegenwärtig seiner Beschäftigung 
nachgehen kann. Die Zukunft muß lehren, ob das Leiden nicht 
wieder durch Erweiterung der bestehenden Anastomosen zwischen 
Arterien und Venen recidiviren wird. Es handelt sich jedenfalls um 
eine angeborene Schwäche der Media der Arterien der linken Hand; 
die histologische Untersuchung ergab eine Skleroairung der Media 
infolge Bindegewebswucherung und höckerigeWucheruugen der Intima. 

Ferner demonstrirt L. v. Schrötter eine Moulage von 
Aktinomykose des Herzens. Dieselbe bezieht sich auf 
einen Fall, welchen Vortr. in der Sitzung vom 12. December 1901 
demonstrirt hat (S. „Wr. Med. Presse“, 1902, Nr. 2). Die Herz¬ 
action des Pat. war äußerst schwach, so daß schließlich der Puls 
verschwand; trotzdem konnte der Kranke noch heruragehen; die 
Herzaction wurde immer schwächer, bis sie allmählich aufhörte und 
der Tod eintrat. Die Obduction ergab, daß die Herzmusculatur bei 
makroskopischer Betrachtung fast ganz untergegangen war. Die 
histologische Untersuchung erwies, daß es sich um Wucherung des 
interstitiellen, epicardialen und perieardialen Bindegewebes handelte, 
welches zwischen die Muskelfasern eindrang, diese aber meist intact 
ließ. An einzelnen Stellen fanden sich zellige Infiltrationen mit 
aktinomykotischen Ablagerungen in ihrer Mitte. 

JOS. SORGO berichtet über die Obduction des in der Sitzung 
vom 12. December 1901 (s. „Wr. Med. Presse“, 1902, Nr. 2) vor¬ 
gestellten Falles von beiderseitiger totaler Oculomotorius- 
und TrochlearUlähmung, linksseitiger Hemiparese 
und linksseitiger Parese des Facialis und Abducens 
mit einem eigenartigen Schütteltremor der paFeti¬ 
schen Extremitäten. Der weitere Verlauf des Falles war fol¬ 
gender : Plötzlich hörten eines Tages die Krämpfe auf, nach einigen 
Tagen traten sie wieder in Anfällen von minuten- bis stundenlanger 
Dauer auf, waren clonisch, ergriffen auch die Schultorgürtelmusculatur, 
befielen entweder alle Muskeln auf einmal oder hatten jACKSON’schen 
Typus. Dann trat Meningitis ein, wobei sich eine die Seite wech¬ 
selnde Temperaturdifferenz zwischen beiden Körperseiten um 
01—2'1° zeigte; die Spinalpunction erwies, daß es sich um einen 
lubcrculösen Proceß handelte. Pat. starb, nachdem Decubitus und 
Incontinentia urinac sich eingestellt hatten. Die Obduction ergab 
einen nußgroßen Solitärtuberkel in der Vierhügelregion, welcher 
bis zum Pes pedunculi reichte und den Aquaeductus Sylvii com- 
primirte; die Pyramidenbahn war normal. Trotzdem Hydrocephalus 
internus bestand, fehlten intra vitam Kopfschmerzen, Erbrechen und 
Schwindel vollständig. 

A. KREIDL bespricht den Puls der kleinsten Gefäße. 
Eine Methode zur Registrirung desselben hat Max Herz durch 
seine Onychographie angegeben, indem er durch einen auf einen 
Fingernagel aufgesetzten Sphygmographcn die Pulsationen der Nagel¬ 
gefäße schreiben ließ. Vortr. hat eine handliche Form des Onycho- 
graphen angegeben, welcher auf den Fingernagel aufgesetzt wird 
und die Pulsationen entweder auf einer rotirenden Trommel schreibt, 
wobei ein zweiter Schreibstift die Abscisse verzeichnet, oder auf 
einer Theilung sichtbar macht. Diese Anordnung hat den Vortheil, 
daß die Curven durch Fingerbewegungen nicht irritirt werden. 
Durch Kälteeinfluß (Aufträufeln von Aether auf den Finger) ver¬ 
kleinert sich die Amplitude der Curve, der Puls kann sogar ver¬ 
schwinden, stellt sich aber nach einiger Zeit wieder her. Sind die 
Gefäße der Fingerbeere contrahirt, zeigt der Onychograph keine 
Pulsschwankungen an. Das Onychogramm ist eine Combination von 
Sphygmogramm und Plethysmogramm, indem es Volumsschwankungen 
in dem Gefäßgebiete und die durch den Druck im Gefäßsystem 
hervorgerufenen Veränderungen registrirt. Beim tiefen Athmen sinkt 
die onychographische Curve, dies scheint aber nicht mit der 
Athmung zusammenzuhängen, sondern es handelt sich vielleicht um 
einen Gefäßreflex. Die Methode wäre vielleicht dazu geeignet, die 
Reaction der Gefäße auf verschiedene Reize zu studiren. 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 19. 


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M. Herz bemerkt, daß man durch die Onychographie manche Ver¬ 
änderungen im Gefäßsystem feststellen kann, selbst wenn sie sich durch die 
üblichen Methoden nicht nachweisen lassen; so z. B. Aenderungen der Herz¬ 
action, Aorteninsufficienz, Gefäßneurosen. Bei der Pneumonie zeigt sich eine 
Ueberfüllung der Gefäße bei tiefer Athmung. 

S. T. Basch empfiehlt den Onychographen als Hilfsinstrument bei 
sphygmomanometrischen Messungen, da er das Verschwinden des Pulses exact 
nachweist. 

H. Teleky fragt, ob er auch dann als Hilfsinstrument brauchbar wäre, 
wenn ein Individuum, wie es unter Umständen vorkommt, keinen Nagel¬ 
puls zeigt. 

E. Gärtner bemerkt, daß sich ihm der Onycbograph auch bei Tonometer¬ 
messungen als gutes Hilfsinstrument bewährt hat. 

S. Kornfeld berichtet über seine Controlmessungen mit dem Tonometer 
und dem Sphygmomanometer. Beim ersteren ergaben sich kleine Abweichungen 
in der Curve je nach der Schnelligkeit, mit welcher man die Umschnürung 
des Fingers löste. 

A. Kreidl erwidert auf den Einwurf von Dr. Teleky , daß die Puls¬ 
schreibung immer gelingt, wenn man die Hand erwärmt. 


Aus italienischen Gesellschaften. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Mediz. Presse“.) 

R. Accademia Peloritana di Messina. 

Calderone: Acute Urethritis anterior. 

Vortr. hatte Gelegenheit, pathologisch-anatomische Unter¬ 
suchungen an Individuen vorzunehmen, die 17 Stunden, 2 1 /., Tage, 
4 Tage und 7 Tage nach erfolgter blennorrhoischer Infection ge¬ 
storben waren. Er demonstrirt nun, daß es bei der Urethritis an¬ 
terior ein primäres Stadium gibt, wo die Gonokokken in der 
Urethra vorhanden sind und sich daselbst vermehren, wo sie in 
das Cylinderepithel eindringen und in den oberflächlichen Schichtcn 
und im Bindegewebe kleinzellige Infiltration auftritt, die bis an 
die Basalmembran heranreicht, welche den Entztindungsproceß 
von der Veränderung des Corium scheidet. Im zweiten Stadium 
wird dieser Wall durchbrochen, die Leukocyten dringen gegen 
das Epithel vor, dieses wird zerklüftet und die Gonokokken dringen 
bis in das Bindegewebe vor. Von dieser Zeit an beginnt der 
Kampf zwischen den beiden Elementen und die phagocytäre Thätig- 
keit der Mikrocyten. C. hat sodann auch an der Urethralschleim¬ 
haut von Hunden die Wirkung verschiedener Medicamente auf den 
gonorrhoischen Proceß studirt. Er verwendete Argentum nitricum, 
Sublimat, Kalium hypermanganicum und Zincum sulfuricum, Ichthyol, 
Protargol und Argentamin und lobt speciell die günstige Wirkung 
der beiden letztgenannten Medicamente. 

Gaglio : Veränderung des Magenepithels bei experimenteller 
Gastrosuccorrhoe. 

Aus den Versuchen G.’s geht hervor, daß man bei Hunden 
Gastrosuccorrhoe erzeugen kann, wenn man die Zweige des Vagus 
reizt, welche sich im Magen vertheilen. An so behandelten Hun¬ 
den, welche drei Tage lang abundanten und andauernden Magen¬ 
saftfluß aufwiesen, trotzdem sie absoluter Carenz unterworfen waren, 
hat nun Vortr. die Veränderungen des Magenepithels untersucht. 
Er fand ähnliche Veränderungen, wie sie Heidenhain als charak¬ 
teristisch beschrieben hat für die volle Secretionsthätigkeit. Die 
Hauptzcllen sind klein, granulirt, haben runde Kerne und nucleäre 
Granula. Die Epithelzellen sind groß, geschwellt und nehmen im 
Gesichtsfelde einen breiten Raum ein. In transversalen Schnitten 
zeigt es sich, daß die Auskleidungszellen in das Lumen weit hinein¬ 
ragen. Diese Beobachtung belehrt uns über die große Resistenz 
des secernirenden Epithels. 


Associazione medico-chirurgica di Parma. 

Bonatti und Mabimo: Die Pupille bei Geisteskranken. 

Anisocorie ist bei Geisteskranken selten und kommt meist 
nur in den terminalen Stadien vor. Sie erscheint von der specifi- 
schen Beeinflussung durch verschiedene Psychosen unabhängig und 
hängt wahrscheinlich vom Orte und der Dauer der Rindenaffection 
ab. Es gibt für die einzelnen Psychosen keinen bestimmten Grad 
von Pupillenweite. In der Regel sind die Pupillen bei Melancholie 
weit, bei Manie enge. Der Pupillarreflex in jeglicher Form ist 
immer erhalten; nur in seltenen Fällen von Demenz kann er 


im terminalen Stadium fehlen. Der Schmerzreflex ist in allen Fällen, 
welche mit herabgesetzter Schmerzempfindung einhergehen, ver¬ 
mindert. Der Accommodationsreflex fehlt bei Melancholie in etwa 
der Hälfte der Fälle. Ein specifisches Symptom ist dieses Fehlen 
des Reflexes nicht. Die nämlichen Reflexe, die bei lebhafter Hirn- 
thätigkeit erhöht sind, z. B. bei Mauie, fehlen bei Erschöpfungs¬ 
und Depressionszuständen. Der Reflex von Athanassio kommt 
nicht nur bei Melancholikern vor und hängt nicht allein von der 
Willensschwäche ab. 


R. Accademia di medicina di Torino. 

Oliva: Exstirpation eines intraarachnoidealen Tumors. 

Vortr. demonstrirt eine Patientin, der er einen intraarachnoi¬ 
dealen Tumor exstirpirt hat , der das Rückenmark in der Höhe 
des 3. und 4. Wirbels coraprimirt hatte. Die Wirbelbögen vom 
3. bis zum 6. Halswirbel wurden resecirt, die Dura gespalten und 
der Tumor abgetragen, der von der Visceralfläche der Dura aus- 
gegangen war. Die Kranke genas völlig, die motorischen und sen¬ 
siblen Compressionserßcheinungen, welche der Tumor veranlaßt 
hatte, verschwanden vollständig. Unter den bisher publicirten 
31 Fällen von operirten Rückenmarkstumoren ist des Vortr. Fall 
dem Verlaufe nach der günstigste. 


Notizen. 

Wien, 10. Mai 1902. 

Warnung. 

Die „Krankencasse der Wiener Bankbeamten“ 
versendet an zahlreiche Aerzte Wiens gedruckte Circulare, in welchen 
sie der Absicht Ausdruck gibt, „Aerzte für die ambulatorische Be 
handlung, Untersuchung und Controle ihrer Mitglieder zu bestellen 
und das Honorar hiefür nach dem Miniraaltarife des Memorandums 
der österreichischen Aerztekammern vom Juni 1901 zu bemessen“. 
Die Casse ersucht, falls Adressat bereit ist, seine Dienste derselben 
zur Verfügung zu stellen, ein mitgesendetes Formular binnen 
3 Tagen zu unterzeichnen, in welchem der betreffende Arzt unter 
Mittheilung seiner Bereitwilligkeit zu ärztlicher Dienstleistung den 
diesbezüglichen Bescheid zu erwarten erklärt. • 

Unter Hinweis auf die Beschlüsse der Wiener Aerztekammer 
bezüglich der registrirten Hilfscassen und insbesondere bezüglich 
der Krankencasse der Wiener Bankbeamten warnen wir die 
Aerzteschaft davor, mit dieser Casse in irgend 
eine Verbindung zu treten oder gar eine Function 
bei derselben anzunehraen. 

Bekanntlich sind die Verhandlungen zwischen der Kammer 
und den Bankbeamten abgebrochen worden, weil letztere die 
im Uebrigen vom ärztlichen Standpunkte unannehmbaren Statuten 
ihrer Casse zur behördlichen Genehmigung eingereicht haben, ohne 
sich — entgegen den getroffenen Abmachungen — 
bezüglich des die Aerzteschaft tangirenden Tbeiles der Statuten 
mit der Kammer ins Einvernehmen zu setzen. 

Die Aerzte schädigen sich selbst und untergraben die eigene 
Praxis, wenn sie auf das Circular der Bankbeamtencasse reagiren 
und heute wegen eines sicherlich minimalen Vortheiles das wirt¬ 
schaftliche Interesse der Gesammtärzteschaft preisgeben. 


(K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien.) In der 
gestrigen Sitzung stellte zunächst Dr. Lorenz einen 49jähr. Mann 
mit hochgradiger angeborener regionärer Lipomatose 
vor, welche auf die rechte obere Extremität beschränkt ist und 
hauptsächlich das subcutane Gewebe betrifft. — Hierauf berichtete 
Prim. Dr. Hansy über einen Fall von Extraction eines 
Fremdkörpers (verschlucktes Gebiß) aus dem unteren 
Ende des Oesophagus von einer Gastrotomiewunde 
aus und demonstrirte eine Klemme für Magenoperationen, 
bei deren Anwendung ein Austritt von Mageninhalt in die Bauch¬ 
höhle sicher vermieden wird. — Prof. Freih. v. Eiselsbkrg hob 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 19. 


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die Vorzüge der demonstrirten Klemme hervor. — Dr. Gerber 
zeigte sodann Präparate eines Falles von Lepra tuberos o- 
anaesthetica und Syringomyelie. Diese Combination 
wurde zum erstenmale beobachtet. Die 87jähr. Pat. stammte aus 
Trencsin und hatte sich niemals in einer Lepragegend aufge¬ 
halten. Intra vitam fanden sich die Charaktere beider Affectionen ; 
die Obduction ergab Syringomyelie im Cervicalmarke. — In der 
Discussion traten Doc. Dr. H. Schlesinger und Prof. Dr. E. Lang 
für die Evidenzhaltung aller in Oesterreich vorkommenden Lepra-, 
resp. Syringomyeliefälle ein, und Hofr. Prof. Neumann berichtete 
über seine Erfahrung bezüglich des sporadischen Vorkommens von 
Lepra in unserer Monarchie. — Schließlich hielt Dr. II. Telexy 
seinen angekündigten Vortrag: „Ueber Pankreasdiabetes 
und Icterus.“ Vortr. berichtete in anregender Form über zwei 
bemerkenswerthe und durch Obduction beglaubigte Fälle von 
Pankreasaffection (Pancreatitis indurativa, infiltrirendes Carcinom) 
mit Compression des Ductus choledochus. In beiden Fällen ist 
lange Zeit vor dem Exitus letalis Icterus aufgetreten, und gleich¬ 
zeitig verschwand der Zucker aus den Harne, trotzdem die Diät 
der Kranken zu dieser Zeit atnylum- und zuckerhaltig gewesen 
ist. In einem der beiden Fälle wurde auf chirurgischem Wege 
die Behebung der Choledochuscompression versucht; die Malignität 
des Grundprocesses vereitelte den Erfolg. Vortr. erörterte schließlich 
die Pathogenese und eine eventuelle operative Behandlung der¬ 
artiger Pankreasaffectionen bei möglichst frühzeitig gestellter 
Diagnose. 

(Universitätsnachrichten.) Dr. Wilh. Latzko hat sich 
für Geburtshilfe und Gynäkologie an der Wiener Universität habili- 
tirt. — Prof. Dr. Moritz in München hat den Ruf als Nachfolger 
Krehl’s nach Greifswald angenommen und wird bereits im 
kommenden Sommersemester seine neue Stelle antreten. Als sein Nach¬ 
folger als Vorstand der medicinischen Poliklinik im Reisingerianum 
wird Prof. Dr. Fritz Voit genannt. — Prof. Dr. Friedrich Müller 
in Basel hat den Ruf als Vorstand der II. medicinischen Klinik 
angenommen und wird seine Vorlesungen im Wintersemester 1902 
beginnen. — Der Gynäkologe Dr. Leopold Landau in Berlin 
ist zum a. o. Professor ernannt worden. — Der Professor der 
Hygiene in Würzburg Dr. K. B. Lehmann hat einen Ruf als 
Nachfolger Buchner’s nach München erhalten. 

(Oberster Sanitätsrath.) In der Sitzung vom 3. Mai d. J. 
gelangten nach Mittheilung der laufenden Gesehäftsstücke folgende 
Berathungsgegenstände zur Verhandlung: Besetzungsvorschläge für 
mehrere erledigte Primararztenstellen im Status der Wiener k. k. 
Krankenanstalten. Gutachten über ein Gesuch um Bewilligung zu 
bestimmten bakteriologischen Untersuchungen in isolirten Locali- 
täten einer landwirtschaftlichen Versuchsanstalt. 

(Ernen nung.) Oberbezirksarzt Dr. Thomas Edler v. Resch 
ist zum Leiter des k. k. Wilhelminenspitales in Wien ernannt 
worden. 

(Neue medicinische Rigorosenordnung.) Wir 
haben in Nr. 13 d. Bl. über eine Enquete berichtet, welche im 
Unterrichtsministerium behufs Revision der neuen medicinischen 
Studien- und Prüfungsordnung stattgefunden hat. Damals ist zu¬ 
nächst eine Beratung über Aenderungen der Bestimmungen be¬ 
züglich des ersten Rigorosums erfolgt. Ein Erlaß des Ministeriums 
für Cultus und Unterricht bestimmt nunmehr, daß die von jener 
Enquete vorgeschlagenen Aenderungen, welche wir damals ebenfalls 
hervorhoben, in Zukunft für das erste Rigorosum zu gelten haben. 
— Der Minister behält sich vor, die Aeußerungen der medicinischen 
Professorencollegien betreffs Abänderung der medicinischen Rigo¬ 
rosenordnung auch in Ansehung des zweiten und dritten Rigoro¬ 
sums in Erwägung zu ziehen und sodann die Rigorosenordnung mit 
den noch zu beschließenden Modificationen zu erlassen. 

(Rudolf Virchow) hat sein Amt als erster Vorsitzender 
der Berliner medicinischen Gesellschaft aus Gesundheitsrücksichten 
niedergelegt. Zu seinem Nachfolger wird — wie uns gemeldet 
wird — voraussichtlich v. Bergmann gewählt werden. 

(Auszeichnungen.) Der Stadt- und Primararzt in 
Schluckenau Dr. Emil Johann Rissinger hat das goldene Verdienst¬ 
kreuz mit der Krone erhalten. — Der Verein für innere Medicin 


in Berlin hat die Professoren Ehrlich, Weigert, Naunyn, v. Reck¬ 
linghausen, Löffler und v. Leübe zu Ehrenmitgliedern proclamirt. 

(A u 8 Budapest) schreibt man uns: Kürzlich wurde in 
einer Plenarsitzung der Budapester Filiale des Landes-Aerzteverbandes 
die Frage der Aerzte und Krankenvereine lebhaft discutirt. 
Aus diesem Anlasse war der Saal des kön. Aerztevereines dicht 
gefüllt von Mitgliedern, in deren Reihen Professoren, Abgeordnete 
und viele hervorragende Aerzte nebst vielen Vertretern der jün¬ 
geren Garde zu sehen waren. Der Vorsitzende legte den Antrag 
des Ausschusses zur Discussion vor. Die Bewegung geht von den 
Aerzten des VIII. Bezirks aus, die ein Elaborat ausgearbeitet haben. 
Im Memorandum wird gewünscht, sämmtliche Aerzte der Haupt¬ 
stadt , die nicht Vereinsärzte sind, mögen einen Revers unter¬ 
schreiben, in welchem sie sich verpflichten, keine vacant gewordene 
Stelle in Krankenvereinen anzunehmen. Daraus würde resultiren, 
daß die Vereine keinen Nachwuchs erhalten ; hauptsächlich aber, 
daß die Vereinsärzte ohne Angst, ihrer Stelle verlustig zu werden, 
bessere Bedingungen von den Vereinen erzwingen könnten. Der 
Aerzteverband will aber vorderhand mildere Mittel an wenden und 
mit den betreffenden Vereinen friedlich unterhandeln. Nach einer 
lebhaften Discussion wurde ein vermittelnder Antrag angenommen, 
welcher beide Anträge vereinigt. 

(Aus Berlin) schreibt man uns: Für ein Sondergesetz über 
die Bekämpfung von einheimischen ansteckenden Krankheiten, das 
derzeit in Vorbereitung steht, wird die Meldepflicht für Tuberculose 
von Fraenkel in Vorschlag gebracht. Meldepflichtig sollen die 
Todesfälle an Tuberculose und alle tuberculösen Erkrankungen sein, 
bei denen nach der Prüfung des Einzelfalles anzunehmen ist, daß 
von ihm aus eine Verschleppung der Tuberculose stattfinden kann. 

(Aus Rom) wird uns geschrieben: Der geplante Gesetz¬ 
entwurf, nach welchem es den fremdländischen Aerzten ohne ita¬ 
lienische Approbation nur gestattet sein sollte, Ausländer und Con- 
nationale zu behandeln und nur jenen ausländischen Aerzten das 
Recht zur Praxis freistehen sollte, in deren Heimat auch in Italien 
approbirte Aerzte praxisberechtigt sind, ist durch die Intervention 
des Ministerpräsidenten Zanardelli zu Falle gebracht worden. 

(Statistik.) Vom 27. April bis inclusive 3. Mai 1902 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 7663 Personen behandelt. Hievon wurden 1676 
entlassen ; 203 sind gestorben (10'8% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 79, egypt. 
Augenentzündung 1, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 3, Dysen¬ 
terie—, Blattern—, Varicellen 87, Scharlach 115, Masern 551, Keuchhusten 62, 
Rothlauf 38, Wochenbettfieber 1, Rötheln 47, Mumps 24, Influenza 1, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 705 Personen gestorben 
( — 64 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Smichow Dr. Rudolf 
Mauretter, 68 Jahre alt; in Budapest Dr. Gustav Knotz im 
Alter von 70 Jahren und Dr. Kolomann Muraközi; in Görbers- 
dorf der Begründer der dortigen Lungenheilanstalt Sanitätsrath 
Dr. Römpler ; in Berlin der a. o. Professor und Director der Poli¬ 
klinik für Ohrenkrankheiten, Geh. Med.-Rath und Generalarzt a. D. 
Dr. Trautmann, der Orthopäde Dr. Florian Beely , 55 Jahre 
alt, und der Chemiker Prof. Dr. Johannes Frentzel ; in Paris 
der a. o. Professor Dr. H. Rendu, 58 Jahre alt; in New-York der 
Redacteur des „American Journal of Obstetrics and Gynaecology“ 
Dr. Munde, der Ophthalmologe D. D. Pomeroy und der Gynä¬ 
kologe George W. Cushing; in Chicago der Professor der Chi¬ 
rurgie Dr. Christian Fenger. 


Doc. Dr. M. Hajek (bisher IX., Maximilianplatz Nr. 2) ordinirt ab 
12. Mai 1. J. IX., Günthergasse Nr. 1. 


Med. Dr. Goldschmid , emer. Assistent des k. k. allg. Krankenhauses, 
prakticirt vom 15. Mai ab ausschließlich in Baden bei Wien, Neugasse 25. 


Die Wasserheilanstalt St. Radegund bei Graz hat ihre Saison wieder 
eröffnet. Durch ihre prachtvolle Lage, moderne Einrichtungen und fachgemäße 
Leitung hat sich die Anstalt ein verdientes Renommee verschafft. Besonders 
für Nervenkrankheiten und Verdauungsstörungen bestens empfohlen. Leiter 
der Anstalt Dr. Ruraicii. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 19. 


Bad Llpik bietet nebst seiner am Continente einzigen, heißen jod- und 
natronbaltigen Therme (64° C.) dnrch seine ausgezeichneten sanitären Ein¬ 
richtungen den bereits zahlreich anwesenden Curgästen bei mäßigen Preisen 
den größten Comfort, so daß sich Lipik würdig den hervorragendsten west¬ 
europäischen Bädern anreihen kann. 

Eingesendet. 

Controlärzte bei Meistercassen. 

Löbliche Redaction! 

Wir ersuchen höfliehst um Aufnahme folgender Notiz: 

Der „Verband der Aerzte Wiens“ versendet folgende Zuschrift: 

„Der Centralausschuß des Verbandes der Aerzte Wiens hat in seiner 
Sitzung vom 23. November v. J. beschlossen, an alle jene Herren, von denen 
es durch collegiale oder anderweitige Mittheilung wahrscheinlich schien, daß 
sie bei Meisterkrankencassen Stellen als Controlärzte innebaben, recomman- 
dirte Schreiben zu richten , in welchen sie ersucht werden, sich zu äußern, 
ob sie diese Stellen bekleiden, eventuell ob sie dieselben niederlegen würden. 

Von den Herren haben folgende entweder nicht geantwortet oder die 
erste Frage nicht verneint: Die DDr. Josef Herscbe, IV., Margarethenstr. 4, 
Josef Tubcu, XVIII., Kutschkergasse 42, Josef Reichelt, XVIII., Kreuzgasse 6, 
Fried. Kölbl, VIII., Buchfeldg. 9, Rud. Hölzl, XVI., Neulerchenfelderstr. 40, 
Adalb. Szirt, XII., Schönbrunnerstr. 219, Carl Stock, VII., Burgg. 70, Max 
Keil, VIII., Josefstädterstr. 30, Josf.f Jakubec , VIII., Alserstr. 43, Franz 
Jf.zek, XIV., Sechshauserstr. 39. 

Von diesen Herren haben seinerzeit die ehrenwörtliche Erklärung, 
bei den Meisterkrankencassen keine Stellen anzunehmen, folgende abgegeben, 
und zwar vorbehaltlos: DDr. Hersche, Turcu, Keil, Jakdbec, Kölbl; mit 
Vorbehalt: DDr. JeJek, Reichelt.“ 

Für den Vorstand des „Verbandes der Aerzte Wiens“ : 


Dr. Keller m. p., 
Schriftführer. 


Dr. Schum m. p. 
Präsident. 



Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 

Sitzung Donnerstag den 15. Mai 1902, 7 Uhr Abends, im Hörsaale der 
Klinik Nothnagel. 

Vorsitz: Hofrath Prof. Nothnagel. 

Programm : 

I. Demonstrationen (angemeldet: Assistent Dr. v. Czyhi,ar i z, Dooent 
Dr. Alb. Hammerschlag, Assistent Dr. Rob. Breuer). 

II Dr. Wilh. Schlesinger : Uebfr das Nahrungsbedürfniß der Diabetiker. 

Das Präsidium. 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 


Mit dieser Nummer versenden wir, für die Abonnenten 
der „Wiener Mediz. Presse“ als Beilage, das April-Mai- 
Heft der „Wiener Klinik“. Dasselbe enthält: „Die 
Complicationen des männlichen Harnröhrentrippers und ihre 
Behandlung.“ Von Prof. Dr. Maximilian v. Zeissl in Wien. 


Die Rubrik: „Erledigungen, ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 

S Wir empfehlen diese Rubrik der Bpeciellen Beachtung unserer 
rten Leser; ln derselben werden öfters — neben der Publication von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auob für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein können, welche an eine 
Aenderung des Domicils oder ibrer Verhältnisse nicht gedacht haben. 


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Anaemie, Scrophnlosis, RhachitiB, Resorption von Exsudaten, Fluor albus, Dis¬ 
position zu AbortuB, partiellen Paralysen, Paresen, Gicht, Rheumatismus, Podagra, 
Ischias und Haemorrhoiden. 

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Analyse und fachmännische Berichte erhältlich in den Mineralwasserhandlungen etc. 
Gratisproben den Herren Aerzten franco zur Verfügung. 


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dungen und zur Normalisirung der Magenfunctionen während und nach 
allgemeinen Erkrankungen. Herr Geheimrath St Öhr, Kissingen, schreibt: 
„. . . . Ich bin so zufrieden mit demselben wie noch nie mit einem neuen 
Mittel! Es Ist von höchstem Wertbe für die Praxis und hat mir 
— so zu sagen — schon förmlich Wunder gewirkt — namentlich bei alten 
und chronisch Leidenden . . .“ — Zu haben in den Apotheken. 
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C. Brady, Wien, I., Fleischmarkt; MaxFanta, Einhorn-Apoth., Prag; 
O. «ft R. Fritz, Großdrogenhand- W. Ott, Prag; 

lung, Wien, I., Bräunerstraße; Mllde & R ÖBS ier, Großdrogen- 

Pezold «ft Näss, Großdrogenhdlg., handlung, Prag; 

Wien, I-, Helferstorferstraße 4; j. v . Tttrök, Budapest. 

Wo eventuell noch nicht vorräthig, bitte Bezug gefälligst zu veranlassen. 
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katarrh, Bacillen im Auswurf) schon in einigen Monaten ohne 
Berufsstörung heilbar. Creosotal ist so ungiftig, dass es bei 
Pneumonie selbst theelöffelweise genommen wird. 

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Dr. Franz Stohr, Wien 11/3, angefertigt. Garantie: Auf der 
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Wien, den 18. Mai 1902. 


Nr. 20. 


XLIII. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint, jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart-Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik', letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse“ 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 

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Wiener 


Abonnementcpreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Militärärztlicuer Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
20ff, halbj. 10 ff, viertel]• 5 A'. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk-, halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 ff; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder dereu Ranm 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein 
Sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien, I., Maximilianstr. 4. 


Presse. 


Begründet 1860. 


Organ für praktische Aerzte. 

-«988*- 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


Bedactfon: Telephon Nr. 13.849. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Administration: Telephon Nr.9104. 


INHALT: Orisrinallen und klinische Vorlesungen. Ueber Mittelohrerkrankungen im Kindesalter. Von Dr. Josef Pollak, Privatdocent für Ohrenheilkunde 
in Wien. — Aus der Abtheilung des Hofr. Prof. W. Winternitz an der allgemeinen Poliklinik in Wien. Reflexfteber bei ulcusartigen Magenkrank¬ 
heiten. Von Doc. Dr. Alois Stkasser, Assistent der Abtheilung. — Referate. W v. Bechterew (St. Petersburg): Ueber die rythmischen Zuckungen 
und automatischen Bewegungen bei Hysterischen. — Scharfer (Pankow): Zur diätetischen Behandlung der Epilepsie. — H. Baver (Straßburg): 
Zur Entwickelungsgeschichte der Gebärmutter. — J. Justus (Budapest): Die Action des Quecksilbers auf das syphilitische Gewebe. — Pollio 
(Breslau): Ueber die Action des Quecksilbers auf das syphilitische Gewebe. — M. Lion: Heber eine neue Methode zur Epilejuiebehandlung. Vor¬ 
läufige Mittheilung. — Kuttner (Tübingen): Durch Naht geheilte Stich Verletzung des Pankreas. — Joch mann (Hainburg-Eppendorf): Zur Aetiologie 
des Keuchhustens. — Df. Vecchi (Bologna) : Ueber die experimentelle Tuherculose der Nebennieren. — Kleine Mlttheilungen. Technik und Ver¬ 
wendbarkeit subcutaner Ghinininjectionen. — Rhodanverbindungen. — Theervasogen. — Therapie des Group. — Influenza. — Behandlung des 
Keuchhustens. — Eine neue Methode der Therapie des Heufiebers. — Darmfäulniß bei verschiedenen Ernährungsarten. — Die temporäre Colostomie 
bei chronischer Dysenterie. — „Puro“ in der Krankendiätetik. — Grundlagen der therapeutischen Franklinisatiou. Literarische Anzeigen. Die 
Berufskrankheiten und ihre Verhütung mit besonderer Berücksichtigung der graphischeu Gewerbe. Von Dr. Leopold Freund. — Malaria, ihr Wesen, 
ihre Entstehung und ihre Verhütung. Von Dr. Fritz Kkkschbaumkr. — Mikroskopische Technik der ärztlichen Sprechstunde. Von Dr. Paul Meissner. — 
Feuilleton. Berliner Briefe. (Orig.-Cortesp.) IV. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. 31. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für 
' Chirurgie. Gehalten zu Berlin, 2.—5. April 1902. (Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) V. — Aus englischen 

Gesellschaften. (Orig.-Ber.) — Standesfragen. Die Disciplinargewalt des Ehrenrathes. — Notizen. — Neue Literatur. — Eingesendet. — 
Offene Correspondenz der Redaction und Administration. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle, „ Wiener Medizinische Presse“ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Ueber Mittelohrerkrankungen im Kindesalter. 

Von Dr. Josef Pollak, Privatdocent für Ohrenheilkunde in Wien.*) 

Die dem Kindesalter eigentümlichen Allgemeinerkran¬ 
kungen einerseits, andererseits aber und hauptsächlich die 
anatomischen Verhältnisse des kindlichen Schläfenbeins, dessen 
Wachsthum, noch nicht zum Abschlüsse gekommen, wesent¬ 
liche Differenzen gegenüber dem des Erwachsenen zeigt, 
bedingen eine Divergenz im klinischen Bilde und Verlaufe 
der Mittelohrerkrankungpn beim Kinde und Erwachsenen. 
Gestatten Sie mir, in Kürze die anatomischen Verhältnisse 
zu streifen. 

Wenn man ein kindliches macerirtes Schläfenbein zur 
Hand nimmt, fällt sofort der Mangel eines knöchernen Gehör- 
ganges auf; statt dessen findet sich bloß ein platter, nach 
oben offener Ring, der Annulus tympanicus. Der Warzen¬ 
fortsatz ist nach außen abgeflacht und entbehrt des sich erst 
später entwickelnden, zitzenförmigen unteren Endes, er besitzt 
noch keine pneumatischen Zellen. Das Antrum mastoideum 
ist ausgebildet, liegt oberflächlich, so daß es lateralwärts nur 
von einer dünnen Knochenlamelle begrenzt wird. Die knöcherne 
Paukenhöhle hingegen ist geräumig so wie beim Erwachsenen, 
auch die Kette der Gehörknöchelchen ist beim Neugeborenen 
im Wachsthum vollständig abgeschlossen. 

Auffällig dagegen ist — und dieses Verhalten nimmt auf 
die Mittelohrerkrankungen des Kindes bedeutenden Einfluß — 

*) Vortrag, gehalten in der wissenschaftlichen Versammlung des Wiener 
medicinischen Doctorencollegiums am 1(J. Februar 1902. 


das Größenverhältniß der Tuba Eustachii. Während beim 
Erwachsenen die EusTACH’sche Ohrtrompete eine Länge von 
35—44 Mm. besitzt, mißt sie beim Neugeborenen nur 19 Mm., 
von denen 8 Mm. auf den knöchernen, 11 Mm. auf den 
knorpeligen Antheil der Tube entfallen. Die Tube selbst ist 
weit und klaffend. 

Wichtig und interessant ist, daß die Pars squamosa 
von der Pars petrosa durch die Sutura petroso-squamosa 
und Sutura squamoso-mastoidea nicht völlig getrennt ist, 
und daß speciell in der Sutura petroso-squamosa ein binde¬ 
gewebiges. gefäßtragendes Band verläuft, welches die Communi- 
cation zwischen den Gefäßen der Dura mater und der Schleim¬ 
haut des Paukenböhlendaches vermittelt. Das Offenbleiben 
der Fissura squamoso mastoidea gibt leicht Gelegenheit zur 
Absceßbildung über dem Warzenfortsatz. 

Die Schleimhaut der Paukenhöhle des Fötus und des 
Neugeborenen trägt ein eigentümliches Gepräge. In der 
Paukenhöhle von Embryonen bildet der Schleimhautüberzug 
der Labyrinth wand ein dickes Polster, welches das 
Lumen der Trommelhöhle fast vollständig erfüllt. Die Invo¬ 
lution dieses Schleimhautpolsters beginnt ungefähr im fünften 
Fötalmonate, von dieser Zeit ab ist die untere Hälfte der 
Paukenhöhle mit einem freien Lumen versehen. Beim Neu¬ 
geborenen ist dieses Schleimhautpolster bereits geschwunden, 
doch nur was die eigentliche Paukenhöhle, nicht aber den 
Recessus tympanicus und das Antrum mastoideum betrifft 
(Zuckerkandl). 

Bezüglich der histologischen Details des Baues der 
Mittelohrschleimhaut heim Neugeborenen und beim Säugling 
beziehe ich mich im Folgenden auf die neuesten Unter¬ 
suchungen von Siegfried Weiss und Politzer. Nach diesen 


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Autoren ist die Schleimhaut des Mittelohres ein dem embryo¬ 
nalen Schleimgewebe ähnliches Gewebe. Man findet eine 
homogene Grundsubstanz, durchsetzt von spärlichen, stern¬ 
förmig verzweigten Zellen, welche gegen die Oberfläche hin 
von einem platten, stellenweise auch cylindriscben, häufig 
mit Flimmerhaaren besetzten Epithel bedeckt ist; spärliche 
Gefäße durchziehen die oberflächlichen Schichten. Diese Schleim¬ 
haut ist sehr vulnerabel. Die mikroskopische Untersuchung 
der Mucosa zeigt größere und kleinere halbkugelige Erhaben¬ 
heiten von zottenähnlichem Aussehen mit stellenweise noch 
erhaltenem Epithel. Die besonders dem embryonalen Schleim¬ 
hautpolster entsprechenden Partien der Mucosa sind stark 
verdickt und in den oberen, gefäßreicheren Schichten von 
zahlreichen mono- und polynucleären Leukocyten durchsetzt. 

Dieses eigentümliche Scbleimhautpolster fängt, wie ich 
bereits erwähnt habe, schon im Fötalleben an, sich zurück¬ 
zubilden. Wie aber nun diese Involution vor sich geht, darüber 
sind bisnun die Meinungen der Autoren geheilt. 

Troeltsch glaubt, daß sich diese Schleimhautwucherung 
theils durch Einschrumpfung, theils durch vermehrte Des¬ 
quamation und von der Oberfläche ausgehenden Zerfall 
verkleinere. Auf die allmälige Entleerung der noch nicht 
eingeschrumpften Reste der fötalen Sülze und speciell der 
Zerfallsproducte üben nach ihm die Saug- und Schling¬ 
bewegungen , sowie kräftige Respiration jedenfalls einen 
sehr wirksamen Einfluß. 

Wreden bringt das Schwinden des Schleimhautpolsters 
in ursächlichen Zusammenhang mit der Respiration, und 
Wendt spricht dem Einflüsse der Athmung die Umwandlung 
des gallertigen Gewebes in faseriges Bindegewebe zu. 

Die Rückbildung des Schleimhautpolsters in der Pauken¬ 
höhle ist in der Regel mit dem Geburtsacte, im Augen¬ 
blicke, wo das Kind zu athmen anfängt, beendigt. Ich sage, 
in der Regel, denn die neuesten Untersuchungen von Sieg¬ 
fried Weiss und Politzer haben nach gewiesen, daß die Reste 
dieses Schleimbautpolsters, besonders am Recessus epitym- 
panicus und im Antrum mastoideum, bis zum Ende des ersten 
Lebensjahres Zurückbleiben. 

Die Frage über die Involution des Schleimhautpolsters 
führt uns unmittelbar zur Discussion der sogenannten 01 i tis 
media neonatorum. 

Schon Troeltsch fiel es auf, daß er bei der Unter¬ 
suchung von 49 Schläfebeinen, die 25 Kindern des ersten 
Lebensjahres entstammten, nur bei 9 Kindern normale Ohren 
fand, während bei 1 Caries, bei 15 eiteriger Katarrh der 
Paukenhöhle bestand. 

Kutscharianz untersuchte im pathologischen Institute 
in Moskau die Ohren von über 300 im Findelhause ver¬ 
storbenen Kindern und fand nur in 70 Fällen gesunde Ohren, 
in mehr als 230 Fällen pathologische Verhältnisse, oft der 
schwersten Art. Aehnliche Ergebnisse brachten die Unter¬ 
suchungen vieler anderer Otiater und pathologischer Anatomen. 

Netter fand bei der Obduction von 20 Kindern im Alter 
von 9 Tagen bis 2 Jahren fast ausnahmslos eiteriges Secret 
und bei 18 bakteriologischen Untersuchungen 13mal Strepto¬ 
coccus pyogenes, 6mal Staphylococcus pyogenes aureus, 5mal 
Pneumokokken. Wichtig ist seine Bemerkung, daß bis auf 
2 Fälle von Meningitis und einen Fall von Lungenabsceß 
die Affection symptomlos verlaufen zu sein scheint. 

Kossel wies bei 105 Säuglingen 85mal Entzündung 
des Mittelohres nach, die nach ihm „durch einfaches Hinein¬ 
wuchern der Bakterien in die Tuba“ entstand. 

Rasch sah bei 82 secirten Kinder nur 5 gesunde Ohren. 
Seine Arbeit ist besonders werthvoll durch die consequent 
durchgeführten mikroskopischen und bakteriologischen Unter¬ 
suchungen des Paukenhöhlenexsudates. 

Göppert untersuchte 78 Kinder der Charite, von denen 
nur 4 während der Behandlungszeit gesunde Ohren behielten. 
Von 36 Kindern, die zur Section kamen, zeigten 29 kranke 
Ohren. Ausnahmslos war das Antrum mit Eiter erfüllt, nur 


5 Proc. mast, zeigten keine Eiterung. Dabei bestand nie 
Caries, auch nicht Zerstörung des Hammeramboßgelenkes. Ist 
diese Eiterung in der Paukenhöhle, die bei der Section von 
Neugeborenen und Säuglingen gefunden wird, eine patho¬ 
logische Erscheinung, bedingt durch Invasion pathogener 
Mikroorganismen, oder ist sie einfach auf den Zerfall des 
erwähnten Schleimhautpolsters zurückzuführen? Die dies¬ 
bezüglichen Untersuchungen haben bisnun ergeben, daß bei 
75-80% der zur Section gekommenen Neugeborenen oder 
im ersten Lebensjahre gestandenen Kinder Eiterung in der 
Paukenhöhle bestanden hatte, und daß pathogene Mikro¬ 
organismen daselbst vorhanden waren. Daraus ergab sich die 
Frage, ob dies eine an Ort und Stelle entstandene Erkran¬ 
kung sei oder ob da andere Processe mitspielen. 

Aschoff meint, daß diese Otitis media dadurch erzeugt 
sei, daß Fremdkörper in das Mittelohr hineingelangen, daß 
also eine Fremdkörperotitis in der Weise zustande komme, 
daß die an Nasen- oder Darmkatarrh leidenden Kinder beim 
Räuspern und beim Brechact Fremdkörper und die pathogenen 
Mikroorganismen in das Mittelohr bringen, die daselbst die 
Entzündung hervorrufen. 

Berthold meinte, und Politzer scheint sich dem gegen¬ 
über nicht ganz ablehnend zu verhalten, daß die bei der 
Section gefundene Eiterung eine postmortale Erscheinung sei, 
daß im agonalen Stadium Schleim und Mikroorganismen aus 
dem Rachen hineingelangen und das Bild der Otitis media 
Vortäuschen. Diese Anschauung gewinnt dadurch viel an 
Wahrscheinlichkeit, daß es Chvostek gelungen ist, nachzu¬ 
weisen, daß po3t mortem häufig ein massenhaftes Eindringen 
von pathogenen Mikroorganismen in die menschlichen Körper¬ 
höhlen stattfindet. Dagegen läßt sich aber Manches einwenden. 

Hartmann wies vor Allem nach, daß eine exacte Unter¬ 
suchung des kindlichen Trommelfells in vivo immer möglich 
ist. Er faßt in Kurzem die Ergebnisse seiner Untersuchungen 
an 47 lebenden Säuglingen folgendermaßen zusammen: 

1. Die bei der Section von Säuglingen gemachte Er¬ 
fahrung, daß bei mehr als 75% Mittelohrentzündung besteht, 
wird durch die Untersuchung der lebenden Säuglinge im 
Krankenhause bestätigt. 

2. Die Mittelohrentzündung ist durch die otoskopische 
Untersuchung fast ausnahmslos nachzuweisen. 

3. Die Erscheinungen der Mittelohrentzündung bestehen 
in Unruhe, Temperatursteigerung, Gewichtsabnahme, bisweilen 
sind keine Erscheinungen vorhanden. 

4. Sehr häufig sind die Mittelohrentzündungen mit 
bronchopneumonischen Processen combinirt. Es erscheint wahr¬ 
scheinlich , daß beide Processe durch dieselbe Ursache be¬ 
dingt sind. 

5. Der Tod kann infolge einer Mittelohrentzündung 
eintreten durch allmälig fortschreitende Atrophie, oder es 
kann eine Fortpflanzung der Mikroorganismen in die Schädel¬ 
höhle oder in das Blut stattfinden. 

6. Die Mittelohrentzündungen der Säuglinge müsen einer 
den Verhältnissen entsprechenden Behandlung unterworfen 
werden. 

Sowie Hartmann’s Arbeit sind auch die Studien Göppert’s 
für die uns beschäftigende Frage von hervorragender Be¬ 
deutung und besonderem Interesse. Doch will ich Sie mit 
der Aufzählung von Details nicht ermüden und bloß darauf 
hinweisen, daß mit den Fortschritten der Erkenntniß in 
diesem Capitel die Namen von Ponfick, Aschoff, Heermann 
(dem wir eine ausgezeichnete Monographie über die Otitis 
media im frühen Kindesalter, „Otitis concomitans“ verdanken), 
Berthold, Siegfried Weiss, Politzer u. A. innig verknüpft sind. 

Wir wollen nunmehr zur Besprechung der dadurch acut 
gewordenen Fragen theoretischer und praktischer Natur über¬ 
gehen. 

Die durch die angeführten pathologisch-anatomischen 
Untersuchungen sichergestellte Thatsache, daß bei einem 
überaus großen Procentsatze der Neugeborenen und im ersten 


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Lebensjahre verstorbenen Kindern Otitis media gefunden 
wurde, wird durch die klinische Beobachtung bestätigt. 

Die otoskopische Untersuchung der Kinder, wenn auch 
schwieriger durchführbar als bei Erwachsenen, ergibt doch 
immer ein positives Resultat. Wenn man sich die Mühe nicht 
verdrießen läßt, den engen Gehörgang, der mit Vernix caseosa 
und abgestoßenen Epithelmassen erfüllt ist, sorgfältig zu 
reinigen, so gelingt es immer, bei guter Beleuchtung das 
Paukenfell zu Gesichte zu bekommen. 

Der objective Befund bei der Otitis media ist folgender: 
Injection des Hammergriffes, Schwellung und Vorbauchung 
der intermediären Zone, Trübung, milchig-weiße, gelbliche oder 
grünliche Verfärbung des Paukenfelles, radiäre Gefäßinjection 
desselben. 

Die klinische Erfahrung zeigt nun, daß bei einer großen 
Anzahl von Fällen diese objectiv nachweisbare Otitis media 
ganz symptomlos ohne Fiebererscheinungen und schmerzlos 
verlaufen kann. 

Eine solche symptomlos verlaufende Otitis media befällt 
fast ausschließlich Kinder, welche an Pädatrophie, Darm¬ 
katarrh , Bronchopneumonie leiden, und deren Allgemein¬ 
zustand durch diese Erkrankung stark gesunken ist. 

Die von Heermann für diese Form der Mittelohrent¬ 
zündung geprägte Bezeichnung „Otitis concomitans“ erscheint 
mir sehr bezeichnend und glücklich gewählt, wie ich mich 
auch seiner Ansicht anschließe, daß diese als Complication 
der Grunderkrankung auftretende Otitis keinen oder einen 
nur sehr geringen Einfluß auf den Verlauf des Krankheits- 
processes ausübt. 

Ganz anders gestaltet sich das klinische Bild bei 
ähnlichem oder gleichem regionären Befunde 
bei sonst kräftigen, nicht durch die erwähnten Allgemein¬ 
erkrankungen herabgekommenen Kindern. Hohes Fieber 
(39‘5—41°), Unruhe, unaufhörliches Schreien, continuirliches 
Wetzen des Hinterkopfes am Kissen (Pins), häufiges Hin¬ 
greifen der Hand gegen das afficirte Ohr sind ständige, Er¬ 
brechen , Bewußtlosigkeit und Convulsionen nicht selten auf¬ 
tretende Symptome der Otitis media. Treten die letztgenannten 
Erscheinungen in den Vordergrund, so können sie leicht das 
Bild einer Meningitis vortäuschen. Die Schmerzen und das 
Fieber treten anfallsweise auf, steigern sich gegen Abend und 
in der Nacht und remittiren oft tagsüber vollständig. 

Dieses Bild einer schweren Erkrankung zeigt eine auf¬ 
fällige Veränderung nach spontanem Durchbruch des Pauken¬ 
fells oder nach der künstlichen Eröffnung desselben. Die 
Schmerzen hören zumeist, aber nicht immer auf, die etwa 
vorhandenen Hirnsymptome schwinden wie mit einem Schlage, 
häufig, aber nicht immer auch das Fieber. Doch sehen wir 
auch bei dieser zweiten Form der Otitis media, die besonders 
häufig bei Nasenrachenkatarrhen, Hypertrophie der Rachen- 
und Gaumentonsillen, Pneumonie etc. auftritt, nicht selten 
einen milderen Verlauf. Das Fieber und die Schmerzen klingen 
ab und es kann Spontanheilung ohne Durchbruch des Pauken¬ 
fells mit vollkommener Restitutio ad integrum eintreten. 

Die Prognose und die Therapie gestalten sich bei 
den beschriebenen zwei Formen der Säuglingsotitis verschie¬ 
den. Bei den symptomlos verlaufenden Mittelohrentzündungen 
scheint mir als das Beste, den Proceß sich selbst zu über¬ 
lassen. Da Fieber und Schmerzen nicht vorhanden sind und 
der Eiter sich spontan durch die weite Tube in den Rachen 
zu entleeren pflegt, ist nach meiner Ansicht kein Grund vor¬ 
handen, einen operativen Eingriff vorzunehmen, da durch die 
Paracentese des Paukenfells kein wesentlicher Nutzen gewonnen 
werden kann. Mit der Besserung des Allgemeinbefindens 
schreitet auch die Heilung des Mittelohrprocesses fort. 

Bei der acuten genuinen Mittelohrentzündung, welche 
mit Schmerzhaftigkeit, hohem Fieber und bedrohlichen Allge¬ 
meinerscheinungen einhergeht, ist man in bestimmten 
Fällen genöthigt, operativ vorzugehen. Ich sage aus¬ 
drücklich : in bestimmten Fällen. Ich bin nämlich nicht dafür, 


ausnahmslos, in allen Fällen sofort zu operiren. Denn es ist 
eitel Täuschung, zu glauben, daß bei allen an acuter Mittel¬ 
ohrentzündung leidenden Kindern, deren Temperatur 39—39'5° 
beträgt, nach der Paracentese sofort das Fieber und die All¬ 
gemeinsymptome verschwinden werden; andererseits zeigt die 
Erfahrung, daß diese Erscheinungen spontan zurückgehen 
können, auch ohne Durchschneidung des Paukenfells. 

Nur jene Fälle fordern direct zum Operiren auf, bei 
denen man mit Bestimmtheit das Vorhandensein von Eiter in 
der Paukenhöhle diagnosticiren kann (Vorwölbung des hinteren 
Paukenfellsegmentss, grünliches Durchscheinen des Eiters), 
bei welchen die Temperatur sich d urch einige Tage in ab¬ 
normer Höhe erhält und Kopfsymptome sich geltend machen; 
ferner auch diejenigen Fälle, in denen die Gegend des Pro¬ 
cessus mastoideus schmerzhaft, druckempfindlich, geröthet und 
geschwellt ist und in denen wir die pathognomonische Erschei¬ 
nung des Abstehens der Ohrmuschel constatiren können. 

In den Fällen, welche nicht mit hohem Fieber einher¬ 
gehen, wo die Vorwölbung des Paukenfells keine bedeutende 
ist, ziehe ich es vor, exspectativ vorzugehen. Ich schließe mich 
diesbezüglich der ZAUFAL’schen Schule an, die auch bei den 
Mittelohrentzündungen Erwachsener folgendermaßen vorgeht: 
Man schiebt einen in essigsaure Thonerde getauchten Watte¬ 
tampon gegen das Paukenfell vor, bedeckt ihn mit Billroth- 
battist, legt darüber einen Verband und läßt denselben 
24 Stunden liegen. Dann wird der Verband gewechselt. Es be¬ 
steht für die Kinder in den allerseltensten Fällen bei dieser 
Art conservativen Verhaltens eine Gefahr. Ich habe in den 
letzten Jahren solche Fälle in der beschriebenen Weise be¬ 
handelt und ohne Läsion des Trommelfells und unter voller 
Restitution des Gehörs ausheilen gesehen. Wie erwähnt, 
schreite ich aber bei Fällen mit andauernd hohem Fieber, be¬ 
deutender Protrusion der Membran und bedrohlichen Allge¬ 
meinsymptomen sofort zur Operation. 

, Einer besonderen Besprechung werth sind jene Mittelohr¬ 
entzündungen, welche im Verlaufe von specifischen Infections- 
krankheiten des Kindesalters zur Beobachtung kommen, 
nämlich bei Morbillen, Scharlach und Diphtherie, 
denn diese Otitiden sind für den praktischen Arzt von 
besonderer Wichtigkeit. 

Bei den Morbillen ist von Siegfried Weiss auch 
der klinische Nachweis erbracht worden, daß in circa der 
Hälfte der Fälle entzündliche Erscheinungen in der Pauken¬ 
höhle, ohne nennenswerthe Symptome zu machen , vorhanden 
waren. Allerdings hängt dies auch vom Genius epidemicus 
ab; bei manchen Morbillenepidemien verlaufen die Mittelohr¬ 
entzündungen sehr leicht, bei anderen findet man den Verlauf 
nicht so günstig, es kommt sehr rasch zur Einschmelzung des 
Gewebes, zu einer großen Zerstörung des Paukenfelles, Caries 
der Gehörknöchelchen, besonders des Hammers und Ambosses. 
Daher ist es dringend indicirt, bei den im Verlaufe der 
Morbillen auftretenden Mittelohrentzündungen den richtigen 
Zeitpunkt der Paracentese nicht zu versäumen, um bei bös¬ 
artigem Verlaufe große Zerstörungen durch frühzeitiges Er¬ 
öffnen der Paukenhöhle zu verhüten. 

Bei den leichten Formen kann maD exspectativ Vor¬ 
gehen. Einträufeln einer 10—20%igen Carbolglycerinlösung 
hat sich mir in vielen Fällen nebst Application von Umschlägen 
mit essigsaurer Thonerde als sehr nützlich erwiesen. 

Bei Scarlatina haben wir entweder die Form der 
echten Diphtherie oder der scarlatinösen Mittelohrentzündung. 
Die rein diphtheritischen Fälle, bei denen der LöFFLER’sche 
Bacillus gefunden wird, sind sehr selten. Während der langen 
Zeit meiner Thätigkeit als Ohrenarzt sind mir nur 2 Fälle 
untergekommen, in denen ich wirkliche diphtheritische Mem¬ 
branen aus dem äußeren Gehörgange, vom Trommelfell und 
aus der Paukenhöhle extrahiren konnte, in denen die mikro¬ 
skopische und bakteriologische Untersuchung das Vorhanden¬ 
sein des LöFFLER’schen Bacillus nach wies; diese Membranen 
sind nicht leicht mit den Epidermisplatten zu verwechseln, 


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die man bei der chronischen Mittelohrentzündung findet; sie 
lösen sich schwer mit der Pincette ab; unter ihnen liegt das 
blutige Corium bloß. 

Im Verlaufe der Scarlatina findet man, wenn nicht 
der Bacillus Löffler die Ursache der Mittelohrerkrankung 
ist, in der Kegel reine Streptokokkenotitiden , die ausnahms¬ 
weise symptomlos verlaufen, zumeist aber mit sehr großen 
Schmerzen, besonders hohen Temperatursteigerungen (bis zu 
40—41°) einhergehen. Obzwar nun nicht in Abrede gestellt 
werden kann, daß auch bei Scarlatina vollständige Restitution 
eintreten kann, so ist doch in den meisten Fällen der Verlauf 
ein bösartiger. Ich habe in einigen Fällen das Trommelfell 
innerhalb 24 Stunden vollständig einschmelzen gesehen. Dies 
ist in der Weise erklärlich, daß Streptokokken direct in das 
Gewebe des Trommelfells einwandern und den eiterigen Zer¬ 
fall desselben verursachen. 

Bei der scarlatinösen, sowie bei der rein diphtheritischen 
Mittelohrentzündung soll selbstverständlich, und darin sind 
alle Otiater einig, mit der Ausführung der Paracentese nicht 
gezögeit werden, da die operative Eröffnung des Trommel¬ 
fells dem ohnehin zu gewärtigenden spontanen Durchbruch 
gegenüber gewiß prognostische Vortheile gewährt. 

Für den praktischen Arzt ist die Behandlungsweise der 
Otitiden nach spontanem oder artificiellem Durchbruche des 
Paukenfells von besonderem Interesse. Ich stehe diesbezüglich 
in Gegensatz zu den deutschen Ohrenärzten, die unter dem 
Einflüsse von Bergmann, Lucae, Heermann das Ausspritzen 
des Ohres perhorresciren. Bergmann fürchtet, daß durch das 
Ausspritzen nach der spontanen oder arteficiellen Perforation 
des Trommelfells Mikroorganismen in die Bindegewebsspalten 
hineingetrieben und dadurch intracranielle Complicationen 
hervorgerufen werden könnten. Die deutschen Otiater begnügen 
sich deshalb damit, mittelst in den äußeren Gehörgang einge¬ 
führter Wicken das Ohr zu reinigen. Mir erscheint diese 
Befürchtung übertrieben und die Methode ungenügend. 

In den ersten Tagen nach der Perforation lasse ich 
allerdings, da die Secretion copiös ist, nur sehr wenig die 
Spritze verwenden. Zu dieser Zeit begnüge ich mich 
damit, den äußeren Gehörgang mit Wattebäuschchen aus¬ 
wischen zu lassen, die in Wasserstoffhyperoxyd getaucht 
sind, oder dieses Mittel, das sich in der Otiatrie mit 
vollem Rechte einer besonderen Beliebtheit erfreut, in den 
Gehörgang erwärmt einträufeln zu lassen. Unter Bildung 
von Schaum werden die eiterigen Massen herausbefördert. 
Intercurrente Entzündungen des äußeren Gehörganges behandle 
ich nach der Methode von Gomperz durch Einlegen von Watte, 
die in essigsaure Thonerde (1:3) getaucht ist. Nach Ablauf 
einiger Tage jedoch lasse ich Ausspritzungen des Gehörganges 
vornehmen und wende die BEzoLü’sche Borsäurebehandlung an. 

Der Verlauf bei der acuten genuinen Mittelohrentzündung 
ist in der Regel ein günstiger, und man sieht gewöhnlich 
binnen 3—5 Wochen Heilung, sofern das Kind sonst constitutio¬ 
neil gesund ist, eintreten. Wenn aber die Kinder pädatrophisch 
sind, an chronischem Darmkatarrh , Scrophulose, Tuber¬ 
eulose etc. leiden, dann zieht sich der Heilungsproceß in die 
Länge und die acute Form geht in der weitaus 
größten Zahl der Fälle in die chronische über. 

Dasselbe gilt von der scarlatinösen Mittelohrentzündung. 
Ist es bei dieser Art der Erkrankung zu bedeutender Ein¬ 
schmelzung der Membrana tympani gekommen, so sind lange 
dauernde Eiterungen, Caries der Gehörknöchelchen und des 
Warzenfortsatzes mit allen ihren Consequenzen zu gewärtigen. 

Unter den Complicationen, die bei der acuten Otitis 
media, ganz besonders häufig bei der Masern- und Influenza-Otitis, 
selbst bei gewissenhaftester, aufmerksamster und sorgfältigster 
Behandlung und Pflege eintreten können, ist die Betheili¬ 
gung des Warzenfortsatzes an dem pathologischen Processe in 
erster Linie zu nennen. Es scheint, daß die Infection des 
Processus mastoideus seltener dadurch zustande kommt, daß 
die Eiterung per continuitatem durch das Antrum auf die 


Zellen fortgeleitet wird, als daß sie gleichzeitig mit der 
Infection der Pauke oder auf dem Wege der Blutbahn erfolgt. 
Dies beobachtet man am häufigsten bei der Influenza-Otitis, 
bei der die Eiterherde zumeist im absteigenden Theile des 
Warzenfortsatzes gefunden werden , so daß es bei uns usuell 
geworden ist, nach dem Beispiele von Politzer derartige Ent¬ 
zündungen, welche ein operatives Vorgehen erheischen — eine 
nicht chirurgische Behandlung erscheint ja hier vollkommen 
ausgeschlossen —, in der Weise anzugehen, daß wir nicht 
von vornherein die Eröffnung des Antrum raastoideum vor¬ 
nehmen, sondern vorerst den im absteigenden Theile des 
Warzen fortsatzes befindlichen Absceß eröffnen, die Absceß- 
höhle, soweit dies möglich ist, mit dem scharfen Löffel aus¬ 
kratzen, dann tamponiren und auf diese Weise der Heilung 
zuführen und nur bei nachweisbarer Infection des Antrum 
auch dieses eröffnen. 

Von den Ohrerkrankungen des Säuglingsalters sowohl 
als von denen des Jünglingsalters einigermaßen verschieden 
sind die Mittelohrerkrankungen der Kinder im Alter von 
2—7 Jahren. Vom 7. Lebensjahre angefangen differiren die 
Ohrerkrankungen des Kindes von denen des Erwachsenen 
ihrem Wesen und Verlaufe nach nicht besonders. 

In dem Lebensalter vom 2. bis zum 7. Lebensjahre sind 
katarrhalische Erkrankungen des Mittelohres besonders 
häufig beobachtet. Als Ursache sind in der überwiegenden 
Anzahl der Fälle adenoide Vegetationen des Nasenrachen¬ 
raumes — Hypertrophie der Rachentonsille — nachzuweisen; 
seltener setzt sich eine acute katarrhalische Schwellung der 
Nasenrachenschleimhaut per contiguum et continuum auf die 
Schleimhaut der Tube und der Paukenhöhle fort. Die Diagnose 
der Mittelohrkatarrhe ist unschwierig zu stellen. Schon der 
Gesichtsausdruck der kleinen, mit Hypertrophie der Rachen¬ 
tonsille behafteten Patienten ist ein ganz charakteristischer. 
Da die Nasenrespiration behindert oder sehr erschwert ist, 
sind die Kinder genöthigt, durch den Mund zu athmen. Sie 
halten denselben stets offen und sehen deshalb wie verwundert 
oder stupid in die Welt. Aus derselben Ursache erklärt sich 
auch das Schnarchen der Kinder und der Umstand, daß sie be¬ 
sonders häufig auch an Katarrhen der Respirationsorgane leiden. 
Subjectiv gibt sich die Erkrankung den Eltern, bezw. Pflegern, 
dadurch kund , daß die Kinder zu Hause und in der Schule 
unaufmerksam scheinen und auf ihnen gestellte Fragen die 
Antwort schuldig bleiben. 

Solche Kinder werden häufig wegen ihrer Unaufmerksam¬ 
keit mit Unrecht gestraft — sie hören thatsächlich schlecht und 
leiden an einem psychischen Zustande, der als Folgeerscheinung 
der adenoidenVegetationen sich einstellt — der Aprosexia nasalis. 
Durch die objective Untersuchung des Nasenrachenraumes und 
des Paukenfells kann die Diagnose unschwer festgestellt 
werden. Die otoskopische Untersuchung ergibt: Einziehung 
des Pauken felis, starkes Vorspringen des kurzen Hammer - 
fortsatzes, die hintere Paukenfell falte ist stark ausgesprochen, 
der Hammergriff erscheint, da er nach innen und hinten ge¬ 
drückt ist, verkürzt. Die Farbe des Paukenfells ist dunkel¬ 
grau mit einem Stich ins Röthliche; bouteillengelb , wenn es 
durch eine Exsudatio ex vacuo zur Ansammlung von seröser 
Flüssigkeit in der Paukenhöhle gekommen ist. 

Die Prognose der Mittelohrkatarrhe bei Kindern ist im 
Allgemeinen eine günstige. Ungünstig beeinflußt wird dieselbe 
durch constitutioneile Erkrankung der Kinder, insbesondere 
durch Scrophulose und durch erbliche Belastung. Die Oto- 
sklerose (Politzer) ist mit Sicherheit als eine hereditäre Er¬ 
krankung zu bezeichnen. Bei Kindern, die von an Otosklerose 
leidenden Eltern (Vater oder Mutter) stammen, ist ein im 
Kindesalter auftretender Mittelohrkatarrh häufig der Beginn 
der progressiven Schwerhörigkeit trotz einer in rationellster 
Weise eingeleiteten Therapie. 

Die Therapie der Mittelohrkatarrhe hat zwei Indica- 
tionen zugleich zu erfüllen — die causale und die symptoma¬ 
tische. 


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Mit der symptomatischen localen Behandlung des Ohres 
allein, so dringend nothwendig dieselbe ist, kommt man 
ebenso wenig zum Ziele als mit der einseitigen Behandlung 
der Grunderkrankung. — Ein souveränes Mittel zur Beseitigung 
der durch Mittelohrkatarrh bedingten Schwerhörigkeit ist das 
PoLiTZER’sche Verfahren der Wegsammachung der Ohr¬ 
trompete. Seine Application, auch für Nichtspecialisten 
leicht durchführbar, hat Tausenden von Kranken das Gehör 
gerettet und dem Erfinder die Unsterblichkeit gesichert. Die 
Paracentese des Paukenfells bei acuten oder chronischen 
Mittelohrkatarrhen, früher viel häufiger als jetzt geübt, ist 
nur dann indicirt, wenn zähes, klebriges, fadenziehendes, 
gummiartiges Exsudat in der Paukenhöhle angesammelt ist, 
welches durch das PoLiTZER’sche Verfahren nicht weg¬ 
geschafft werden kann. Die Differentialdiagnose zwischen 
solchem und rein serösem Exsudat ist otoskopisch nicht schwer 
zu stellen. Bei Anwesenheit von serösem Exsudat in der Pauke 
scheint dasselbe durch das Paukenfell gelblich durch, und ist 
nicht die Paukenhöhle in toto vom Exsudat erfüllt, so sieht 
man vor oder hinter dem Hammergriffe eine zumeist schwarze 
Niveaulinie, die, einer Wasserwaage gleich, bei verschiedenen 
Kopfneigungen ihre Stellung ändert. Durch die Anwendung 
des PoLiTZER’schen Verfahrens bei nach vorne und unten ge- 
geneigtem Kopfe gelingt es fast immer ausnahmslos, das 
seröse Exsudat durch die Tube zum Abfluß zu bringen. Oto¬ 
skopisch gibt sich dies durch Verschwinden der gelben Farbe 
der Paukenhöhle und der Demarcationslinie kund, subjectiv 
durch eine bedeutende Verbesserung des Hörvermögens, das 
nach kurzwährender Behandlung zur Norm zurückkehrt. 
Gummiartiges Exsudat kann durch die Luftdouche nicht ent¬ 
fernt werden , seine Resorption und die durch dasselbe be¬ 
wirkte Schwerhörigkeit erheischen eine oft langwierige Be¬ 
handlung, deren Dauer durch die Paracentese des Paukenfelles 
\yesentlich. , abgekürzt werden kann. 

Die Paracentese des Paukenfells bei katarrhalischen 
Mittelohrprocessen, unter den von Politzer geübten Cautelen 
ausgeführt, verläuft in der Regel ohne entzündliche Erschei¬ 
nungen des Paukenfells und der Paukenhöhle. Ich habe im 
Jahre 1881 bereits über 500 von mir selbst ausgeführte und 
über 2000 an der Klinik beobachtete Paracentesen berichten 
können, die reactionslos verlaufen sind, im Gegensätze zu 
Schwartze. der einen ziemlich hohen Procentsatz von conse- 
cutiven Mittelohrentzündungen verzeichnet. Diese Differenz 
erklärt sich dadurch, daß von Politzer und seiner Schule 
vermieden wird, rach Paracentese des Paukenfells das Ohr 
durch Ausspritzen selbst steriler Flüssigkeiten zu reizen. 

Das in der Pauke befindliche Secret wird von uns durch 
eine Lufteintreibung in den äußeren Gehörgang befördert, 
dort mit vorgeschobenen Wattekügelchen aufgesogen, oder 
wenn es gallertartige Beschaffenheit hat, mittelst der Pincette 
und unter Zuhilfenahme des als Sauger verwendeten Siegle- 
schen Trichters herausgezogen. Schwartze machte nicht nur 
Ausspritzungen des Gehörganges, sondern spritzte auch 
mittelst des in die Tube eingesetzten Katheters Flüssigkeit 
durch die Paukenhöhle durch. 

Mag auch die gebrauchte Flüssigkeit steril gewesen 
sein, so war es sicherlich nicht zu vermeiden, daß bei dieser 
Gelegenheit die in der Nasenrachenhöhle stets vorhandenen 
pathogenen und pyogenen Organismen in die Pauke gelangten 
und dort ihre gefährliche Thätigkeit entfalteten. 

Der causalen Indication bei der Behandlung der Mittel¬ 
ohrkatarrhe wird man gerecht, wenn man die erkrankte 
Schleimhaut des Nasenrachenraumes zur Norm zurückzuführen 
bemüht ist. 

Bei einfachen katarrhalischen Schwellungen der Nasen- 
rachenschleimhaut ohne Hypertrophie der Rachenmandel em¬ 
pfehlen sich Durchgießungen der Nase mittelst Nasenschiffchens 
mit l%iger Kochsalzlösung, Milch oder einem der jodhältigen 
Mineralwässer. Ist die Rachenmandel vergrößert, muß die¬ 
selbe instrumentell entfernt werden. Auf welche Weise dies 


geschehen soll, ist dem Geschmacke, der Gewohnheit wie 
der Einübung des einzelnen Operateurs überlassen. Man kommt 
mit zangenförmigen Instrumenten ebenso sicher zum Ziele als 
mit dem Ringmesser von Gottstein und seinen unzähligen 
Modificationen. Ich selbst ziehe in den letzten Jahren die 
ersteren vor, da bei Anwendung derselben die Narkose voll¬ 
kommen überflüssig ist, und die immerhin offenstehende Mög¬ 
lichkeit, daß während derselben Blut in die Trachea und in 
die Bronchien gelangen und eine Fremdkörperpneumonie er¬ 
zeugen könnte, vermieden wird. 

Auf eine detaillirte Schilderung der im Gefolge der 
Mittelohrerkrankungen auftretenden periostalen und ostitischen 
Processe einzugehen und die intracraniellen Complicationen zu 
besprechen, würde den gesteckten Rahmen überschreiten. 


Aus der Abtheilung des Hofr. Prof. W. Winternitz 
an der allgemeinen Poliklinik in Wien. 

Reflexfieber bei ulcusartigen Magenkrankheiten. 

Von Doc. Dr. Alois Strasser, Assistent der Abtheilung. 

(Schluß.) 

Nun zur Deutung aller dieser merkwürdigen Erschei¬ 
nungen. 

Vorerst ist eine Klarheit über die Diagnose der vor¬ 
liegenden Magenerkrankung wünschenswerth. 

Eine große Magenblutung führte an der Klinik v. Schkötter 
zur Diagnose eines Ulcus ventr iculi; die Patientin hatte 
auch schon Jahre vorher localisirte Schmerzen, typische aus¬ 
strahlende Schmerzen in der rechten Seite und an der Wirbel¬ 
säule in der Höhe, wie es den Irradiationen eines Magen¬ 
geschwürs schlechtweg entspricht und endlich von Zeit zu Zeit 
auch etwas hämorrhagisches Erbrechen; einmal schwarzgefärbten 
flüssigen Stuhl. Die Abhängigkeit der Schmerzen von der 
Nahrungsaufnahme spricht wohl auch ganz für einen ge 
schwürigen Proceß. 

Immerhin ist es merkwürdig, daß in einer Reihe von 
Untersuchungen des Magensaftes unter verschiedenen Bedin¬ 
gungen bei uns niemals das sonst so charakteristische Symptom 
des Magengeschwürs, die Hyperacidität, gefunden wurde. 
Ich weiß es nicht, ob in der Klinik v. Schrötter Hyper¬ 
acidität gefunden wurde oder nicht; mich veranlaßt der 
stete Mangel dieses Befundes zur Annahme, daß es sich in 
diesem Falle nicht um ein gewöhnliches Ulcus pepticum 
handeln dürfte, sondern um hämorrhagische Erosionen, 
welche vielleicht multipel theilweise in der Pylorusgegend 
liegen. Die Aehnlichkeit mit dem Fall von Breuer in so mancher 
Beziehung ist jedenfalls auch ins Bereich der Erörterungen 
zu ziehen, da bei der Spitzenaffection der Patientin der 
Gedanke an ein tuberculöses Geschwür nicht allzu ferne 
liegen kann. Der negative Befund der Färbeproben im 
Mageninhalte spräche ebensowenig gegen ein solches Ge¬ 
schwür, als ein Befund von Tuberkelbacillen absolut dafür 
sprechen müßte, da solche Bacillen ganz wohl verschluckt 
werden können, wenn sie in der Lunge Vorkommen. Indessen ist 
bei einem tuberculösen Geschwür stets ein Katarrh schwerster 
Art wahrscheinlich, und auch bei Breüer’s Fall bestand völlige 
Achylie, absolute Appetitlosigkeit und ein alter hypertrophi¬ 
scher Katarrh der Schleimhaut des Magens, insbesondere in der 
weiten Umgebung des Geschwürs. In unserem Falle fehlt 
die Achylie, und wenn wir auch das zeitweise Fehlen der 
freien Salzsäure als ein Symptom eines chronischen Katarrhs 
ansehen müssen, die Annahme eines tuberculösen Geschwürs 
ist wenig gerechtfertigt; auch sind die Lungenerscheinungen 
niemals in Form einer Phthise in den Vordergrund getreten. 
Allenfalls ist aber die Möglichkeit eines tuberculösen Ge¬ 
schwürs nicht ganz ausgeschlossen, wenn dasselbe auch nicht 
diagnosticirt werden kann. 

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Wiener Medizinische Presse. — Nr. 20. 


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Das zeitliche Recidiviren der Erscheinungen (Schmerzen, 
hämorrhagisches Erbrechen) spricht ebenso gut für hämor¬ 
rhagische Erosionen als für ein Ulcus rot., und auch die 
schwere Blutung, welche bei v. Schröttkr beobachtet wurde, 
spricht nicht gegen die ersteren, da aus solchen schon tödtlich 
verlaufende Blutungen beobachtet worden sind. 

Selbst die flüssige, noch mehr die feste Nahrung ver¬ 
ursachte die Anfälle von mehr minder heftigen Gastralgicn, 
Koliken mit heftigsten ausstrahlenden Schmerzen und oft 
starke Reflexkrämpfe tonischer Art in der Musculatur. Damit 
ging ein Pyloruskrampf einher, welcher theils durch 
einen oft palpablen Wulst nachweisbar ist, theils 
durch die temporär stärker werdenden Ektasien 
des Magens und endlich durch ein Symptom, auf welches 
ich großes Gewicht legen möchte, nämlich durch den 
niemals beobachteten Rückfluß von Galle in den 
Magen, selbst bei heftigem Erbrechen. Differential- 
d : agnostiK'h ist hier die Frage zu erörtern, ob es sich nicht 
um Gallensteinkoliken handeln könnte, da die Art der Anfälle 
und die Localisation der Schmerzen auch solchen entsprechen 
könnten. Die unbedingte Abhängigkeit der Erscheinungen 
vom jeweiligen Füllungszustande des Magens und der seit 
Jahren stets mangelnde Icterus sprechen gegen die Annahme 
von Cholelithiasis. 

Nähere Besprechung erfordert die merkwürdige Fieber¬ 
form. Wir sehen die mit den Schmerzanfällen parallel laufen¬ 
den Exacerbationen der Temperatur und eine Continua, welche 
vor f> Jahren durch Monate anhielt, und die sich jetzt wieder 
seit Wochen neu etablirt hat. Ich erkläre die ersteren 
ganz bestimmt als Reflexfieber, und sehe die 
Wärmequelle in den oft eolossalen Muskel¬ 
krämpfen, welche die M ag e n sc h m e r ze n begleiten. 
Bei Cholelithiasis wurden auch häufig Schüttelfröste und 
Fiebersteigerungen bis zu 40—41° und darüber als Begleit¬ 
erscheinungen der Anfälle beobachtet; dem Frost folgt Hitze, 
dann Schweiß (welcher oft auch fehlt), und der Abfall der 
Temperatur erfolgt in mehreren Stunden ; ja selbst 24 Stunden 
und länger kann das Fieber nach so einem Schüttelfröste 
dauern (Naunyn 3 ). 

Diese Fieberattaquen wurden schon von Frerichs und 
muesters von Schmitz den Fieberanfällen nach Katheterismus 
der Urethra an die Seite gestellt. Mit vollem Rechte wurden 
später gegen eine solche generalisirende Auffassung der 
Fieberanfälle bei Gallenkoliken Einwendungen gemacht und 
darauf hingewiesen, daß die Ursache des Fiebers in bakteriti- 
schen Infectionen der Gallenwege zu suchen sei; nichts¬ 
destoweniger glaube ich, daß auch bei Gallenkoliken die 
Existenz der Reflexkrämpfe mit selbst hohen Fiebersteige¬ 
rungen zugegeben werden muß. Auch Bamberger hat betont, 
daß subcutane Morphiuminjectionen bei Gallenkoliken sozu¬ 
sagen antipyretisch wirkten, offenbar als krampfstillende 
Mittel. Aehnliche Krämpfe der Körpermusculatur wie in den 
Anfällen unserer Patientin sind auch bei Gallenkrämpfen 
beschrieben worden (Naunyn). 

An ein toxisches Fieber im Sinne einer Autointoxi- 
cation vom Magen aus möchte ich nicht denken, insbesondere 
nicht als Ursache der großen Fieberexacerbation. Der Magen¬ 
inhalt war nie in einer auffallenden Zersetzung, und ohne 
Schmerzanfälle und Krämpfe haben wir kaum jemals hohe 
Fiebergrade gesehen, selbst bei vollem Magen. 

Der mit der Entleerung des Magens eintretende Fieberabfal 1 
würde ein wenig für die Auffassung der toxischen Fiebersteige¬ 
rung sprechen, wenn der Abfall der Temperatur nicht gar so 
schnell erfolgen würde. Für mich ist das Verständniß eines 
derartigen Vorganges kaum möglich, denn da die Toxine 
mehrere Stunden gebraucht haben, um die Körpertemperatur 
in die Höhe zu bringen, sollten sie den Körper in wenigen 
Minuten verlassen haben? Wohin und auf welchem Wege? 

*) Klinik der Ohnlelilliiasis, pag. (15, 1892. 


Kann ein vergifteter Organismus in wenigen Minuten abrea- 
giren, sich der Gifte so schnell entledigen? 

Dagegen bin ich geneigt, die Continua analog den 
Processen der Gallenwege als einen Infectionsproeeß anzusehen, 
als einen Proceß, welcher sich im Peritoneum, etwa in den 
regionären Lymphdrüsen abspielt, und es ist durchaus nicht aus¬ 
geschlossen, ja sogar wahrscheinlich, daß größere Schwan¬ 
kungen der Temperatur, welche sich auf mehrere Stunden und 
Tage erstrecken, der toxischen Wirkung eines bei Salzsäure¬ 
mangel abnorm zersetzten Mageninhaltes zuzuschreiben sind. 

Viel zu denken gibt die Betrachtung des Temperatur¬ 
anstieges und Abfalles. Wir sind ja gewöhnt oder sollten 
wenigstens gewöhnt sein, bei Schwankungen der Temperatur 
die Bilanz aufzustellen. Woher kommt die Wärme und wohin 
geht sie? Die erste Frage ist ziemlich plausibel zu beant¬ 
worten; die Ingesta verursachen im Magen große Schmerzen, 
es löst sich auf reflectorischem Wege ein Schüttelfrost 
aus, die Haut wird blaß - cyanotisch, kühl und mit zu¬ 
nehmender Stärke der Muskelkrämpfe steigt die Tempe¬ 
ratur; wir sehen immens erhöhte Wärmebildung und ver¬ 
minderte Wärmeabgabe von der Haut, das Wärmegleichgewicht 
wird gestört. Viel weniger gut ist die zweite Frage zu 
beantworten, wohin die Wärme geht, wohin die große 
Quantität der Wärme verschwindet, wenn innerhalb 10 Minuten 
die Temperatur des Körpers um 5° C. abfällt? Eine Steige¬ 
rung der Wärmeabgabe durch die Haut ist allerdings zu 
constatiren, da die Patientin mitunter ziemlich stark schwitzt! 
Erinnern wir uns jedoch z. B. an Malariakranke, welche 
derart schwitzen, daß die ganze Betteinrichtung durchnäßt 
war, und sie brauchten dennoch mehrere Stunden, bis ihre 
Temperatur um einige Grade herabfiel; bei anderen toxischen 
Fiebern, bei welchen rapide Abfälle der Temperatur mit 
Schweiß beobachtet wurden, dauerte dieselbe auch Stunden, 
halbe Tage etc. Das Schwitzen allein genügt also nicht, um 
die rapiden Abfälle der Temperatur zu erklären, wenn auch 
der Hauptantheil der Wärme wahrscheinlich mit dem Schwei߬ 
ausbruch durch die Haut nach außen abgeht. 

Daß dem so ist, erscheint mir nach einem merkwürdig 
verlaufenen Anfall der Patientin sehr wahrscheinlich. Er setzte 
mit großen Schmerzen ein, die Patientin erbrach copiös, ein 
Schweißausbruch erfolgte und erst nachher kamen die großen 
Muskelkrämpfe. Ich hielt während des ganzen Anfalles das 
Thermometer im Rectum der Patientin und konnte constatiren, 
daß die Temperatur trotz der Muskelkrämpfe nur um Weniges 
(bis 38° R.) stieg. Der Schweißausbruch war allerdings immens 
stark. Ich denke mir, daß bei den offenen Schleußen der 
Wärmeabgabe die Muskelkrämpfe nicht imstande waren, die 
Temperatur wesentlich zu erhöhen. 

Welche Rolle spielt das Nervensystem bei diesen riesigen 
Temperaturschwankungen? Ich glaube, daß die Patientin eine 
Labilität ihres wärmeregulatorischen Centrums haben muß; 
welcher Art und wo, das kann ich nicht bestimmen. In einer 
Mittheilung von Benedikt aus den Achtziger-Jahren wird 
bei einem Falle von offenbar toxischer Reflexepilepsie darauf 
hingewiesen, daß gewisse Rindenprocesse in der Gegend des 
Sulcus praecentralis (vor dem Sulcus crueiatus des Thieres) 
epileptiforme Anfälle mit sehr hoher Steigerung der Tempe¬ 
ratur verursachen können. Benedikt bezeichnet den Fall als 
calorische Epilepsie und glaubt, daß derlei Fälle 
häufiger sein dürften. Bei unserer Kranken ist eine besondere 
Empfindlichkeit (auf Klopfen) gerade an der von Benedikt 
bezeichneten Stelle vorhanden, dies ist vielleicht der Erörte¬ 
rung beizuziehen; und da ich die toxische Natur der Einzel¬ 
anfälle bei unserer Patientin leugne, so wäre hier statt von 
thermischer Epilepsie von einer Art thermischer Reflex¬ 
epilepsie die Rede, sofern man eine directe Mitwirkung 
eines einzelnen Rindentheiles an den Anfällen überhaupt 
concedirt. 

Zweitens findet sich in der Literatur des nervösen Fiebers 
eine Anzahl von Fällen, bei welchen selbst enorme Tempe- 


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ratursteigerungen constatirt wurden nach Verletzungen der 
Wirbelsäule, und einmal sogar (Simon) Temperaturen bis zu 
45° C. nach Fractur der Dornfortsätze des 10. und 11. Wirbels, 
also ungefähr der gleichen Stelle, welche bei unserer Patientin 
auch so druckempfindlich ist. Unsere Patientin ist auch in 
ihrem 18. Lebensjahre angeblich von einer hohen Leiter auf 
den Rücken gefallen und hat sich, wenn auch nicht erheblich, 
verletzt. Welche Rolle in der Wärmeregulation dem Rücken¬ 
mark zugeschrieben werden kann, ist ganz unbekannt; eine 
im Rückenmark gelagerte centrale Labilität der Wärme¬ 
regulation ist jedenfalls nichts Unmögliches. 

Es ist selbstverständlich, daß ich die Möglichkeit eines 
rein functionellen, etwa hysterischen Fiebers genau überlegt 
habe; die genaue Beobachtung trieb mich jedoch stets in eine 
materielle Richtung zurück. Der ganze Ablauf der Erkrankung 
durch 6 Jahre und der Mangel eines irgendwie bedeutenden 
hysterischen Zeichens spricht gegen diese Auffassung, und 
alle Mittheilungen über hysterisches Fieber stimmen in dem 
Punkte überein, daß bei Vorhandensein eines solchen Fiebers 
auch stets die nervös hysterischen Erscheinungen im Ver- 
hältniß zum Fieber immer sehr viel hervorragender sind. 

Ich hebe endlich nochmals hervor, daß Morphium die 
Anfälle coupirt hat, und als sehr interessant betone ich unsere 
Beobachtung in den letzten Tagen, daß eine einmalige Dosis 
von 4'0 Bromnatrium zweimal schon von anfallfreien Tagen 
gefolgt war. Die Temperatur stieg wohl bis 39° C. (Rectum), 
aber die Anfälle blieben aus. Ob ich diese Erscheinung etwa als 
eine Wirkung des Broms auf die Reflexerregbarkeit auffassen 
soll, das weiß ich noch nicht; es scheint, daß es der Patientin 
im Ganzen jetzt besser geht, und es kann sein, daß auch 
die Krämpfe jetzt seltener und weniger intensiv werden. 

Wenn auch der Fall nicht in allen Theilen aufgeklärt 
erscheint, so war es mir doch von Interesse, ihn ausführlich 
mitzutheilen und ich glaube, daß derartige Fieberanfälle viel¬ 
leicht mit ebenso raschem Anstieg und Abfall der Temperatur 
bei Gallensteinkoliken oder Koliken anderer Art, vielleicht 
auch bei Magen- oder Duodenalgeschwüren häufiger Vorkommen 
dürften, als man anzunehmen pflegt. Es wäre nur nothwendig, 
bei solchen Anfällen, z. B. auch bei Gallenkoliken, den Tempe- 
raturgang durch sehr häufige Messungen zu controliren. 4 ) 


Referate. 

W. v. Bechterew (St. Petersburg): Ueber die rythmischen 
Zuckungen und automatischen Bewegungen bei 
Hysterischen. 

In Gemäßheit einer ganzen Reihe von Beobachtungen kommt 
B. zu dem Schlüsse, daß außer tonischen Krampfzuständen (den 
bekannten hysterischen Contracturen) für Hysterie diagnostisch 
nicht minder charakteristisch erscheinen rythmische, krampfähnliche 
und automatische Bewegungen von bestimmtem, systematischem 
Charakter („Internat. Beiträge z. inn. Med.“, 1902). Diese rythmi¬ 
schen Bewegungen nehmen bisweilen complieirtere Gestaltung an 
und nähern sich dann dem Begriffe der rythmischen Chorea von 
Charcot , in anderen Fällen hingegen stellen sie sich dar als 
einzelne rythmische Contractionen einer einzigen bestimmten Muskel¬ 
gruppe , die in Gestalt rythmischer automatischer Bewegungen 
einfacherer Art in die Erscheinung treten. Sie entwickeln sich 
gewöhnlich plötzlich, ain öftesten im Anschluß an einen hysterischen 
Anfall oder an psychischen Shock, manchmal aber auch ohne jeden 
äußeren Anlaß. Die Dauer derselben pflegt verschieden zu sein ; 


4 ) Nachtrag. Zwei Wochen nach der Demonstration war die Patientin 
relativ gesund; sie vertrug allmälig auch feste Nahrung, ohne daß größere 
Schmerzattaquen erschienen wären und verließ bald das Spital mit einor 
Druckschmerzhaftigkeit in der Pylorusgegend, sonst relativ geheilt. Eine 
Woche später erschiin sie abermals im Ambulatorium und er/,ählte, daß sie auf 
einen Diätfehler hin wieder einen Anfall von großen Schmerzen, Krämpfen, 
Erbrechen und Fielier gehabt habe; ärztlich wurde dieser Anfall nicht be¬ 
obachtet. 


im Allgemeinen können sie ununterbrochen oder mit gewissen 
Pausen während der Dauer vieler Wochen, Monate und selbst 
Jahre beobachtet werden und stellen dann Daaersymptome der 
Hysterie dar. Ihr Zurückgehen erfolgt mehr oder weniger rapid, 
manchmal geradezu plötzlich bei entsprechender psychischer Beein¬ 
flussung oder bei Einwirkung hypnotischer Suggestion. Besonder¬ 
heiten rythmisch hysterischer Bewegungen sind: Das schnelle oder 
auch plötzliche Einsetzen nicht selten im Anschlüsse an bestimmte 
Hysteriezustände oder psychische Erregungen, ihr stereotyper 
Charakter, ihr Anwachsen bei jeglichen seelischen Affecten und 
ihr Zurücktreten bei Ablenkung der Aufmerksamkeit, endlich der 
Umstand, daß sie während willkürlicher Bewegungsacte vorüber¬ 
gehend aufhören oder nachlassen und nach dem Aufhören jener 
Bewegungen mit erneuter Kraft zurückkehren. B. 

Schaefer (Pankow): Zur diätetischen Behandlung der 
Epilepsie. 

Die chlorfreie Ernährung in der Modification von Balint — 
täglich */ 2 Liter Milch, 40—50 Grm. Butter, 3 Eier, 300 bis 
400 Grm. Brot und Obst, in der Nahrung 3 Grm. Bromsalz — 
wurde an drei in Anstaltspflege stehenden Epileptischen angewendet. 
Die Kranken stellen im Alter von 30—34 Jahren, haben seit 
ihrer Jugend schwere epileptische Anfälle, die bisher keiner Therapie 
gewichen sind und bereits große geistige Schwäche herbeigeführt 
haben; die Zahl der Anfälle schwankte in der 1'/Jährigen Beob¬ 
achtung zwischen 20 und 30 im Monat. Die Behandlung wurde 
6 Wochen durchgeführt; 10 —14 Tage hatten die Kranken noch 
Anfälle, von da ab waren alle 3 Patienten vollkommen anfallsfrei. 
Gleichzeitig wurde ihr psychisches Verhalten auffallend gebessert, 
sie zeigten mehr Energie und Interesse. Als die chlorarme Diät 
ausgesetzt und gewöhnliche Nahrung gegeben wurde, stellten sich 
uacli 6 — 9 Tagen wieder Anfälle ein, und zwar ungewöhnlich reich¬ 
lich („Nenrol. Centralbb“, 1902, Nr. 1). — Zn einem einigermaßen 
sicheren Urtheil ist die Beobachtungsdauor leider zu kurz. 

Infeld. 

H. Bayer (Straßburg): Zur Entwicklungsgeschichte der 
Gebärmutter. 

Ueberblickt man die Ergebnisse, zu welchen die Untersuchung 
der postfötalen Gebärmutter führt, so findet man („Festschrift f. 
Kussmaul“), daß das Wachsthum des Uterus vom ersten Lebens¬ 
jahre bis gegen die Pubertätszeit hin so gut wie Null ist. Was 
die Gestalt des Organs betrifft, so fanden sich dieselben Unter¬ 
schiede, die auch an den Gebärmüttern aus der letzten Fötalzeit 
auffallen, indem der Uterus in den meisten Fällen die typische, 
fötale, arcuate Form mit kammartiger Zuschärfung des Fundus auf¬ 
weist, zuweilen aber auch besser entwickelt erscheint. Namentlich 
die Vorderfläche des Corpus behält lange ihre coucave Einziehung 
und wo eine Größenzunahme slattgefunden hat, beruht dieselbe vor¬ 
wiegend auf einer stärkeren Ausbildung der hinteren Waud. Erst 
gegen die Pubertätszeit hin macht sich ein rascheres Wachsthum 
bemerklich, und zwar schon vor dem Eintritt der Menstruation, 
der ja auch als das Zeichen der vollendeten Ausgestaltung des 
Uterus angesehen wird. Die Entwickelung der Gebärmutter schreitet 
ziemlich gleichmäßig mit derjenigen der Eierstöcke fort, wie dies 
auch v. Friedmann für seine Präparate vom sechsten Lebensjahre 
an hervorgehoben hat. Diese Erscheinung steht in auffälligem 
Gegensätze zum Verhalten der beiderlei Organe in der letzten Fötal- 
periode. Der Stillstand im Waohsthume des Uterus während der 
ganzen Kindheit ist auf die mangelhafte Entwickelung der Ovarien 
und den Mangel der Organthätigkeit derselben zurückzutuhren. 

L. 


J. Justus (Budapest): Die Action des Quecksilbers auf 
das syphilitische Gewebe. 

Wie wirkt die Quecksilbertherapie auf die einzelnen Zellen- 
und Gewebsbestandtheile, aus welchen die syphilitische Efflorescenz 
zusammengesetzt ist? Zur Beantwortung dieser Frage suchte Verf. 
nach einer Methode, welche es ermöglicht, das Quecksilber in den 

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Wiener Medizinische Presse. — Nr. 20. 


944 


Zellen kenntlich zu machen. Nach vielen Fehlversuchen gelang- ihm 
dieser Nachweis in situ auf folgende Art: Das excidirte Hautstück¬ 
chen wurde in 14°/ 0 ig-e Zinkchloridlösung gegeben, einige Tage 
darin belassen, nachher in Schwefelbydrogenwasser geworfen, durch 
welches mehrere Stunden Schwefelwasserstoff geleitet wurde. Hierauf 
Härtung in Alkohol, Einbettung, Zerlegen in dünne Schnitte. Schon 
mit unbewaffnetem Auge erscheinen solcherart behandelte Haut¬ 
stückchen braunschwarz, bei mikroskopischer Untersuchung zeigte 
sich, daß das Quecksilbersulfid — als solches spricht Jlstus den 
gebildeten Niederschlag an — nicht nur in den Gewebsspalten, 
sondern auch in den Plasmazellen, den Gefäßwandungen und 
Epithelzellen enthalten ist. („Arcli. f. Dermat.“, Bd. 57, H. 1 u. 2). 
Darnach wäre der Schluß erlaubt, daß das dem Organismus ein¬ 
verleibte Quecksilber durch den Blutstrom zur syphilitischen Ef- 
florescenz gelangt. Es tritt dann durch die Wandung der Gefäße 
und wird von den dieselben umgebenden Plasma- und Riesenzellen 
aufgenommen. Die Wirkung auf die Plasmazellen zeigt sich darin, 
daß der färbbare Inhalt derselben ausgestoßen wird und daß diese 
Plasmatheilchen in den Lymphspalten in großer Zahl zu finden 
sind. In diesen aus der Zelle ausgetretenen Schollen und Krüm¬ 
chen ist gleichfalls Schwefelquecksilber nachweisbar. Grosz. 

Pollio (Breslau): Ueber die Action des Quecksilbers 
auf das syphilitische Gewebe. 

Diese Arbeit bringt eine Nachprüfung der vorstehenden 
JüSTUs’schen Angaben. („Arch. f. Derm. u , Bd. 60, H. 1). Zunächst 
ergab sich, daß auch Organstückchen von einem mit Quecksilber 
behandelten Pferde die geschilderten Niederschläge zeigten, daß 
demnach von einem speeifischen Einflüsse des Quecksilbers auf 
syphilitisches Gewebe nicht gesprochen werden könne. Ferner 
wurden die Gebilde auch bei quecksilberfreien Thieren und im Ge 
webe quecksilberfreier Patienten in gleicher Anordnung nachge¬ 
wiesen, so daß sie mit der Anwesenheit von Quecksilber nicht in 
Zusammenhang gebracht werden können. Grosz. 

M.Lion: Ueber eine neue Methode der Epilepsiebehand¬ 
lung. Vorläufige Mittheilung. 

Die Methode besteht in gleichzeitiger Anwendung einer chlor¬ 
natriumarmen Diät und innerlicher Verabreichung von Broranatrium 
und Opocerebrin. Diese Methode soll nach den Erfahrungen L.’s 
(„Wratsch“, 1901, Nr. 43) unvergleichlich günstigere Resultate 
als sämmtliche übrigen bis jetzt bekannt gewordenen Methoden der 
Epilepsiebehandlung liefern. Die psychischen Erscheinungen lassen 
rasch nach, die Anfälle verringern sich allmälig, werden immer 
seltener und hören bisweilen vollständig auf. Bei längerer Behand¬ 
lung ist die Hoffnung durchaus gerechtfertigt, selbst Kranke mit 
veralteter idiopathischer Epilepsie zu heilen. (?) Die Dauer der Be¬ 
handlung und die Technik derselben, die Größe der Dosen etc. 
müssen durch weitere Beobachtungen festgestellt werden; jedenfalls 
muß die genaue Feststellung derselben auf sorgfältigem Studium 
des gegenseitigen Verhaltens der 4 Krankheitsstadien bei jedem 
Patienten basiren. Je häufiger und intensiver die Anfälle, je ent¬ 
fernter der Beginnpunkt der Behandlung und das Auftreten der 
ersten Erscheinungen, desto strenger und länger ist die Bromdiät 
anzuwenden, jedenfalls nicht weniger als 3 Monate. Das Opocere¬ 
brin wird in sämmtlichen Fällen mit gewissen Unterbrechungen 
so lange angeweudet, bis vollständige Heilung erzielt ist. Die tägliche 
Bromnatrium-Dosis beträgt 2’0—3 0; in schweren Fällen kann die¬ 
selbe vergrößert werden. Das Opocerebrin gab Verf. in Dosen von 
0‘2—0 3, bezw. 0 - 4—0'6 täglich. In leichteren und frischeren 
Fällen werden wahrscheinlich geringere Dosen genügen. Unange¬ 
nehme Nebenwirkungen sind in keinem einzigen Falle aufgetreten. 

L-y. 

Kuttner (Tübingen): Durch Naht geheilte Stichver¬ 
letzung des Pankreas. 

Dem Verf. gelang es zum erstenmale, die Naht des durch¬ 
stochenen Pankreas mit Erfolg auszuführen. Es handelte sich um 
einen jungen Menschen, dem beim Verlassen des Wirthshauses 


durch einen äußerst kräftig geführten Stich mit einem langen 
Messer der Leib eine Strecke weit aufgeschlitzt wurde. Glücklicher¬ 
weise befand sich der Thatort in der Nähe der chirurgischen 
Klinik, so daß der Verletzte schon eine Viertelstunde nach dem 
UDglücksfall auf den Operationstisch gelegt werden konnte. Trotz¬ 
dem war die Anämie bereits eine sehr bedrohliche. Die Blutung 
stammte einerseits aus den durchschnittenen Gefäßen der vorderen 
Magenwand, die in einer Ausdehnung von circa 9 Cm. eröffnet 
war, und zum größten Theil aus dem gleichfalls angeschnittenen 
Pankreas. Die Blutstillung des Pankreas gelang durch zwei tiefe 
und eine oberflächliche Naht, Tamponade der Nahtstelle. Der 
Magen wurde genäht und die mit Speiseresten verunreinigten 
Dünndärme wurden mittelst Kochsalzlösung gereinigt und reponirt. 
Pat. konnte, nachdem sich noch ein subphrenischer Absceß ent¬ 
wickelt hatte, am 18. Tage das Bett verlassen. 

Obwohl fiir Stillung von Pankreasblutungen auch die Tam¬ 
ponade mit Erfolg angewendet wurde, tritt Verf. dennoch für die 
Anwendung der Naht in allen Fällen eiu („Beitr. z. klin. Chir.“, 
Bd. 32, H. 1) und empfiehlt die Naht als Norraalverfahren, weil 
die Blutstillung eine sicherere ist und die Gefahr des Austrittes 
von Pankreassecret in die Bauchhöhle durch diese Technik ver¬ 
ringert wird. Die Naht ist leicht und schnell auszuführen. Die 
einzige, allerdings sehr wichtige Vorschrift, welche zu beachten 
wäre, ist die, daß man beim Nähen nicht über das Pankreasgewebe 
hinaus in die Tiefe stechen darf, um nicht die in der Nähe liegende 
Arteria mesenterica super, zu verletzen. Erdheim. 


Jochmann (Hamburg-Eppendorf): Zur Aetiologie des Keuch¬ 
hustens. 

Gegenüber den Ausführungen Spengler’« weist Verf. darauf 
hin („Centralbl. f. Bakteriologie, Parasitenkunde und Infections- 
krankheiten“, Bd. 30, H. 1), daß zwischen den von ihm beschrie¬ 
benen, influenzaähnlichen Bacillen im Keuchhustensputum und dem 
Pertussisbacillus (P. B.) Spengler’« thatsächlich wichtige Unter¬ 
schiede bestehen. Gleichwohl will er nicht soweit gehen, seinen 
Bacillus als Erreger des Keuchhustens auszusprechen, sondern sich 
einstweilen damit begnügen, darauf hinzuweisen, daß er in der 
Mehrzahl der Fälle im Keuchhustensputum vorkommt und ein wohl- 
charakterisirtes Stäbchen darstellt, das von den Bacillen Spengler’« 
und Czaplewski-Hensel’s nicht zu unterscheiden ist. Dr. S—. 


De Vecchi (Bologna): Ueber die experimentelle Tuber- 
culose der Nebennieren. 

Verf. ist es gelungen, bei Kaninchen experimentell eine käsige 
Tuberculose der Nebennieren ohne Verbreitung der Tuberculose 
auf innere Organe zu erzeugen. Hiedurch wurde eine schwere 
Intoxication hervorgerufen, die an sich den Tod der Versuchsthiere 
zur Folge haben konnte. Dieselben boten ein ähnliches anatomisches 
und klinisches Bild dar wie Addisonkranke, doch wurde niemals 
Pigmentirung, weder an der Haut, noch an den Schleimhäuten be¬ 
obachtet. Aus seinen Thierversuchen, die er in der angegebenen Weise 
deuten zu können glaubt, sowie aus klinischen Erwägungen zieht 
Verf. den Schluß („Centralbl. f. patliol. Anatomie u. allgem. Patho¬ 
logie“, Bd. 12, H. 14), daß die AöDisON’sche Krankheit die Summe 
von zwei Factoren , der Insufficienz der Nebennieren und der In¬ 
toxication durch die Producte des tuberculösen Processes in diesen 
Organen oder bisweilen auch außerhalb derselben darstelle. Auf 
Grund dieser Hypothese glaubt er auch erklären zu können, warum 
die AoDisoN’sche Krankheit nur bei der Verkäsung der Nebennieren, 
nicht aber bei der Zerstörung derselben durch Tumoren oder bei 
Atrophie derselben auftrete. Dr. S—. 


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Kleine Mittheilungen. 

— Zur Technik und Verwendbarkeit subcutaner Chinin- 
injectionen berichtet Blümchen („Deutsch, med. Wschr.“, 1902, 
Nr. 17). Er empfiehlt bei Malaria, falls Chinin vom Magen aus 
schlecht vertragen und häufig wieder erbrochen wird, subcutane 
Injectionen von Chininum muriaticum. Da 1 Grm. Chin. mur. in 
1 Ccm. kochenden Wassers sich vollständig und leicht löst und 
bei 38° nicht ausfällt, 80 wird zunächst mit einer ausgekochten 
PRAVAZ’schen Spritze kochendes Wasser auf l /.> Grm. Chinin , das 
in einer Schale bereit liegt, gespritzt, das sich dann lösende Chinin 
in die Spritze wieder aufgezogen und diese Menge subcutan 
injicirt. Bei der geringen Menge erkaltet diese Flüssigkeit bald. 
Die lnjectionsstelle wird nun mit einem feuchten Tuch und einem 
impermeablen Stoff bedeckt. Am besten wird nicht mehr als 
’/ 2 Grm. Chinin auf eine Stelle injicirt, somit das 1 Grm. auf 
zwei Stellen vertheilt, da mehr als 1 Grm. Chinin an einer Stelle 
leicht Nekrose erzeugt. Die Injectionen sollen ganz schmerzlos sein. 

— Aus Untersuchungen über Rhodanverbindungen von 
Treupel und Edinger („Münch, med. Wschr.“, 1902, Nr. 14) geht 
hervor, daß Dosen von 0‘3 —0‘5 Grm. Rhodannatrium sehr gut 
vertragen werden, und daß es gelingt, durch fortgesetzte Dar¬ 
reichung von Rhodannatrium (in Lösung und mit 1 Tasse Milch 
genommen) die Acidität des Harnes beträchtlich abzustumpfen. 
Hand in Hand mit dieser Abnahme geht eine Verminderung der 
Harnsäure- und Phosphorsäureausscheidung im Harne. Ob der 
Abnahme der Phosphorsäure im Harne vielleicht eine Vermehrung 
derselben imKothe entspricht, müssen weitere Untersuchungen lehren. 

— Die therapeutische Verwendung des Theervasogen be¬ 
spricht Goldmann. Verf. hat eine stattliche Anzahl von Ekzemen 
in verschiedener Localisation und Ausbreitung, und zwar haupt¬ 
sächlich die Trockenekzeme, mit „25 n /o'gera Theervasogen“ be¬ 
handelt und diesen je nacli Individualität oder Ausbreitung der 
Erkrankung ein- und auch zweimal täglich aufpinseln lassen. Der 
Erfolg war vorzüglich. Der gleiche Befund war in einzelnen Fällen 
von Kinderekzemen zu beobachten. Sehr gut bewährten sich tägliche 
Einpinselungen von Theervasogen in einem Falle von Pruritus ani. 
In prägnanter Weise zeigte sich auch die Heilwirkung des 25 °/o'gen 
Theervasogen bei der Behandlung der verschiedenen Formen der 
Psoriasis. 

— Zur Therapie des Croup berichtet Leopold Bayer 
(„Therap. Monatshefte“, 1902, Nr. 4). Die Behandlung B.’s bestand 
in der combinirten Anwendung von Calomel und Apomorphin 


nach folgenden Formeln: 

Rp. Hydrargyri chlorati.0 IG 

Sacchari . .g-Q 

M. Div. in dos. aequ. Nr. Vlll. 

S. Zweistündlich 1 Pulver. 

Rp. Apomorphini hydroehlorici. O'Ul 

Aquae destillatae.lÜU'Ü 

Acidi hydrochlor. dil.gtt. II 

Syrupi simplicis. lO'O 


M. S. Zweistündlich einen Kaffee- bis Kinder¬ 
löffel voll. 

Die beiden Medicamente wurden alternirend gegeben, so daß der 
Kranke in der einen Stunde Calomel, in der nächsten Apomorphin 
erhielt. Bei Kindern unter 2 Jahren setzte B. die Einzelgabe des 
Calomels auf l 1 /., Ctgrm. herab. Die Arzneien wurden ausnahmslos 
gern genommen und fast immer gut vertragen. Oefter als dreimal mußten 
sie nie verordnet werden. Die Behandlung hat selbstverständlich 
so früh wie möglich zu beginnen, obschon der 2. und 3. Krank¬ 
heitstag bei mehr protrahirtem Gange der Krankheit auch noch 
günstige Chancen bieten. Nach zwölfsttindiger Behandlung tritt 
gewöhnlich schon eine merkliche Besserung ein. Weder Anti- 
pyretica, noch Brechmittel kamen jemals zur Anwendung. Auf 
Inhalationen und andere örtliche Mittel konnte völlig Verzicht 
geleistet werden. 

— Bei Influenza empfiehlt Fürst besonders das Salipyrin 
(„Aerztl. Monatssehr.“, 1902, Nr. 2). Man muß es aber recht¬ 
zeitig, lauge genug, methodisch und in nicht zu kleinen Dosen 
geben. Im Allgemeinen ist 1 Grm. für Erwachsene, 0'5 Grm. für 
Kinder die Normaldosis, die man am besten 3mal täglich in Oblaten 


gibt. Ein nachgetrunkenes Glas Lindenbliithenthee mit Citronensaft 
begünstigt nicht nur die Resorption des Medicaments, sondern auch 
die Diaphorcse. Contraindicirt ist das Salipyrin nur bei Herz¬ 
klappenfehlern und chronischer Nephritis, in allen übrigen Fällen 
unterliegt die Salipyrinbehandlung keinen Bedenken. Die Furcht 
vor Herzschwäche hält F. für unbegründet. Sollte die Disposition 
dazu vorhanden sein, so läßt F. statt Lindenblüthenthee mit 
Citronensaft chinesischen Thee mit Cognac nachtrinken. 

— Bei der Behandlung des Keuchhustens hat Lamallerie 
(„Rev. mens, des mal. de l’enfance“, 1902, Nr. 2) gute Resultate 
von der Anwendung der Forrualdehy.ldämpfe gesehen. Er läßt 
stündlich eine Formoltablette auf einer Spirituslampe in der Kranken¬ 
stube verdampfen. Die Kinder sollen das Krankenzimmer nicht 
verlassen, welches ziemlich warm temperirt sein soll (18— 20° C.). 
Eine weitere Vorbedingung für das Gelingen der Cur ist, daß 
dieselbe in den ersten 8 oder 10 Tagen der Erkrankung begonnen 
wird. Ohne jede andere Behandlung hat L. angeblich beobachtet, 
daß nach 2 — oTagtn die Hustenanfälle und das Erbrechen nach- 
lassen oder wenigstens an Frequenz sehr bedeutend abnehmen. 
Von 22 Fällen hatte L. nur 2 Mißerfolge; in 4 Fällen trat die 
Wirkung etwas später ein und in 16 Fällen war nach 8 Tagen 
die Heilung perfect. 

— Eine neue Methode der Therapie des Heufiebers erörtert 
Fink („Deutsche med. Wschr.“, 1901, Nr. 46). Applicirt man Aristol 
auf die Schleimhaut der Highmorshöhle, indem man dieses sehr 
leichte Pulver mittelst einer in den natürlichen Ausführungsgang 
dieser Höhle eingeführten Röhre einbläst, so erzielt man einen 
günstigen Erfolg. Zuerst werden die Anfälle milder in Bezug auf 
alle ihre Erscheinungen, die Intervalle größer. Wendet man bei 
jedesmaliger Wiederkehr wieder Aristol in der erwähnten Weise 
an, so gelingt es mitunter schon nach einer dreimaligen Appli¬ 
cation , die Anfälle dauernd zu beseitigen. In weniger günstigen 
Fällen muß die Behandlung freilich 6 —7mal wiederholt werden. 
Die Form der Rhinitis nervosa ist für den Erfolg der Behandlung 
irrelevant, mag es sich um gewöhnliche Hydrorrhoea nasalis oder 
gar um typisches Heufieber handeln. 

— Versuche zur Kenntniß der Darmfäulniß bei verschie¬ 
denen Ernährungsarten hat Backmann („Zeitschr. f. klin. Med.“, 
Bd. 44, II. 5 u. 6) angestellt. Dieselben ergaben, daß die Kohle¬ 
hydrate keine größere Einwirkung auf diesen Proceß haben, während 
Fett eine Steigerung der Fäulniß hervorbringen zu können scheint. 
Ein Unterschied in dieser Hinsicht zwischen animalischem und 
vegetabilischem Eiweiß besteht offenbar nicht. Bei ausschließlicher 
oder überwiegender Milchdiät wird in der Regel eine relativ 
geringe Fäulniß hervorgebracht. Je größer der Eiweißgehalt der 
Nahrung, desto größer die Fäulniß. Will man aus irgend einom 
Grunde eine Herabsetzung der Darmfäulniß erzielen, so muß man 
entweder Milchdiät verordnen oder eine Kost mit herabgesetzter 
Eiweiß-, relativ geringer Fett- und zur Deckung des Calorien- 
bedarfes hinreichender Kohlehydratmenge geben. 

— Die temporäre Colostomie bei chronischer Dysenterie 
ist, wie Neiirkorn („Deutsche med. Wschr.“, 1902, Nr. 1) mit¬ 
theilt, in einem Falle mit Erfolg ausgeführt worden. Es handelte 
sich um einen durch die Erkrankung sehr hei untergekommenen 
jungen Menschen, bei dem alle inneren Mittel fehlgesehlagen hatten. 
Da eine wurstförmige Resistenz in der ersten Iliacalgegend die 
Vermuthung nahelegte, daß die Flexur erkrankt war, so wurde 
ein linksseitiger Anus praeternaturalis angelegt und dabei zwei 
leicht blutende Schleimhautgeschwüre gefunden. Die Behandlung 
bestand in Ausspülungen mit Silicylsäurelösung; Blutungen blieben 
gänzlich aus. Pat. erholte sich vortrefflich, so daß 8 1 / 2 Monate 
nach der ersten Operation der Darm wieder geschlossen werden 
konnte. Bei Erkrankung des ganzen Colons ist die Colostomie 
rechts angezeigt; wenn die Erkrankung die mittleren Colonpartien 
betrifft, so ist die Enteroanastomose zur Flexur unter Vermeidung 
des Anus praeternaturalis am Platze. 

— Ueber „Puro“ in der Krankendiätetik schreibt Fürst 
(„Therap. Monatshefte“, 1902, Nr. 1). Puro wurde von den Kindern 
aller Altersstufen ohne jede unangenehme Nebenwirkung gut ver¬ 
tragen, und zwar schon vom 8. Monate an. Der Ernährungszustand 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 20. 


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werde ersichtlich günstig beeinflußt. Atonie, allgemeine Schwäche, 
Apathie und psychische Depression wurden mit Hebung der Er¬ 
nährung merklich gebessert. Das subjective Wohlbefinden hob sich. 
Chronische Leiden, wie Rachitis, suspecte Lungeninfiltration, Drüsen¬ 
infiltrationen, Katarrhe der Athmungswege, neuropathische Zustände, 
Herzleiden etc., wurden gleichfalls wesentlich gebessert. Bei Ulcus 
ventriculi bewährte sich Puro als ein reizloses Nährmittel. Auf 
anämische und chlorotische Zustände hatte das Präparat einen 
ausgesprochen günstigen Einfluß. Bei Atonie des Magens, Anorexie 
und Dyspepsie erwies sich Puro ungemein nützlich, zumal deshalb, 
weil es, nachdem sonstige Nahrung zurückgewiesen worden war, 
gern genommen wurde und bisweilen auffallend rasch die Eßlust 
wieder hob. Auch für die Ernährung per rectum bildete Puro 
seiner Reizlosigkeit und raschen Resorption wegen ein werthvolles 
Hilfsmittel. 

— Die Grundlagen der therapeutischen Franklinisation 

erörtert Schatzky („Zeitschr. f. elektr. Therapie“, 1902, Nr. 3). 
S. versucht durch verschiedene Experimente nachzuweisen, daß 
die Spannungselektricität den menschlichen Organismus ganz ebenso 
durchdringt wie der constante Strom. Es gelten hier in Bezug 
auf die Leitung dieselben Gesetze wie für diesen; die Anschauung, 
daß die Wirkung der Spannungselektricität nur eine oberflächliche 
sei, ist falsch. Auch bei der Franklinisation tritt Elektrolyse ein; 
sie beschleunigt den Stoffwechsel und trägt dazu bei, pathologische 
Ansammlungen aus dem Organismus zu eliminiren. Wie der Funke, 
wirkt auch der elektrische Wind und das elektrische Bad. 


Literarische Anzeigen. 

Die Berufskrankheiten und ihre Verhütung mit be¬ 
sonderer Berücksichtigung der graphischen Ge¬ 
werbe. Von Dr. Leopold Freund. Halle. 1901, Wilhelm 
Knapp. 

Der begabte Verf., der dem ärztlichen Leserkreise durch 
seine unermüdliche Thätigkeit in der Ausbildung der Roentgen- 
therapie bekannt ist, gibt in dem vorliegenden Buche den Inhalt 
der Vorträge wieder, welche er in der k. k. graphischen Lehr- 


und Versuchsanstalt gehalten hat. Es ist ihm gelungen, in popu¬ 
lärer Weise die Berufskrankheiten darzustellen und in dem Leser 
das Interesse für Gewerbehygiene wachzurufen. Besonders möge 
hier der Abschnitt über die Berufskrankheiten der Photographen 
hervorgehoben sein, schon deshalb, weil bei der großen Verbreitung 
der Photographie in Amateurkreisen auch der praktische Arzt 
nicht selten in die Lage kommt, wegen der bei Photographen 
häufigen Dermatitiden seinen Rath zu ertheilen. 

Den Schluß des Werkchens macht eine kurze Anleitung zur 
Hilfeleistung bei plötzlichen Unfällen, welche auch in Samariter- 
cursen gute Dienste leisten dürfte. F. W. 

Malaria, ihr Wesen, ihre Entstehung und ihre Ver¬ 
hütung. Von Dr. Fritz Kerschbaumer. Wien 1901, Wil¬ 
helm Braumüll er. 

Kekschbaumer legt in der vorliegenden Arbeit die Resultate 
eines zweijährigen mühevollen Studiums der Malariafrage vor. Die 
Lehre, daß Stechmücken einer bestimmten Gattung die Wirththiere 
der Malariaparasiten sind, findet in seinen Beobachtungen eine 
sichere Stütze; seine Ausführungen über die Verhütung der Malaria 
sind sehr interessant und verdienen eine allgemeine Beachtung; 
sie sind nicht bloß für den Hygieniker, sondern auch für den 
Mediciner von großem Interesse. * * * 

Mikroskopische Technik der ärztlichen Sprechstunde. 
Von Dr. Paul Meissner. Zweite, bedeutend vermehrte und 
verbesserte Auflage. Mit 32 theils farbigen Abbildungen. Leipzig 
1902, Georg Thie me. 

Die zweite Auflage dieses trefflichen Werkchens ist eine 
wesentliche Erweiterung der ersten. Durch Hinzufügung der beim 
Mikroskopiren in Frage kommenden Optik, durch Besprechung des 
Mikroskops und Einschaltung zahlreicher guter Abbildungen hat 
die „Technik“ auch eine theoretische Grundlage erhalten, die dem 
Verständnisse ihres Lesers ohne Frage nachzuhelfen vermag. Die 
Scheidung in größeren und kleineren Druck, z. B. bei Anführung 
paralleler Methoden, erhöht die Uebersichtliehkeit des kleinen Weg¬ 
weisers in willkommenem Maße. L. 


Feuilleton. 


Berliner Briefe. 

(Orig.-Corresp. der „Wiener Med. Presse“.) 

IV. 

— Mai 1902. 

Das öffentliche Interesse wendet sich, seit ich Ihnen zuletzt 
berichtete, immer noch den soeialeu Fragen des Aerzte- 
standes zu und leider nicht bloß in den medicinischen Fach¬ 
blättern, sondern auch in der politischen Presse. Es kann dies 
wenig zur Hebung des Ansehens unseres Standes in den Augen 
des Publicums beitragen. Vielmehr muß es denselben für einen 
wahren Sündenpfuhl halten, wenn ihm berichtet wird, daß das 
Ehrengericht der Acrztekammer im Jahre 1901 nicht weniger 
als 110 Anzeigen zu behandeln hatte, 21 von Behörden, 63 von 
Aerzten (gegen Aerzte), 17 aus dem Publicum und (horribile dictu) 
9 anonym. Zwar werden die letzteren in der Regel nicht berück¬ 
sichtigt, aber grundsätzlich kann sie das Ehrengericht nicht un¬ 
beachtet lassen, und so arbeitet denn die Maschine mit Hochdruck 
an der Hebung des ärztlichen Standes. Zwar wurde in 48 Fällen 
und nach hochnothpeinlichen, dem Arzte jedenfalls höchst unange¬ 
nehmen Verhören, das Verfahren eingestellt, 17 Fälle erledigte 
man durch Vermittelung, aber 5 durch Bestrafung (Verwarnung, 
Verweis, Geldstrafe) und 40 Sachen schweben noch. Es ist ein 
trauriges Stück Arbeit, an dem hier angesehene, opferfreudige 
Collegen Zeit und Mühe aufwenden müssen, um sich mit dem wider¬ 
lichsten aller Geschäfte, der Prüfung von Denunciatioaen, abzugeben, 
die natürlich wie Pilze aus der Erde schießen und durch welche 
sich biedere Streber mit wenig Mühe die Gloriole von Sittenwächtern 


zu erringen suchen. — Auch die aogenannte „Um 1 ag e“, d. h. die 
Besteuerung der Aerzte für die Aerztekammer, hat zu lebhaften 
Debatten Anlaß gegeben, theils weil der Beitrag von 10 Mk. manchem 
bei den so sehr gedrückten Einnahmen zu hoch erscheint, theils weil 
beamtete Aerzte, Militär- und Marineärzte, Professoren und Do- 
centen theoretischer Fächer nicht gewillt sind, sich als prakticirende 
Aerzte im üblichen Sinne deren Stcuerverhältnissen zu unter¬ 
werfen. In der That kam man schließlich zu dem Resultat, den¬ 
jenigen Aerzen, welche ärztliche Praxis nicht ausüben, oder deren 
sonstiger Beruf keine medicinischen Kenntnisse erfordert, Ermäßigun¬ 
gen zuzugestehen. Auch haben diejenigen Mediciner, welche als 
Beamte etc. der Ehrengerichtsbarkeit der Aerztekammer nicht 
unterworfen sind, thatsächlich eine exceptionelle Stellung. Dem Aus¬ 
gabeetat der Aerztekammer, welches 70.000 Mark übersteigt, steht 
allerdings eine verminderte Steuerkraft vieler Aerzte als ein schweres 
Ilinderniß gegenüber, eine Calamität, die keineswegs auf Berlin be¬ 
schränkt ist, sich vielmehr über ganz Deutschland erstreckt. 

Den unaufhaltsamen wirthschaftlichen Niedergang beleuchten 
— wie ein greller Blitz — einige wenige Zahlen, die eine sehr 
deutliche Sprache reden. Noch 1880 kamen im Deutschen Reiche 
auf 1 Arzt 3460 Seelen, im Jahre 1900 nur noch 2000, 1906 

werden es voraussichtlich nur noch 1850 sein. Die Zahl der 
Aerzte beläuft sich zur Zeit rund auf 28.500 ; da aber dem jährlichen 
Abgang durch Tod etc. in der Höhe von ca. 500 ein jährlicher Zu¬ 
wachs von 1350 Aerzten gegenübersteht, also eine Vermehrung 
der Aerztezahl um etwa 850, da ferner im Gegensätze zu der 
Aerztezunahme von 63 - 8% die Bevölkerungszunahme nur 11*5°/ 0 
beträgt, so muß von Jahr zu Jahr die Situation der Aerzte 
schlechter, ihre Einnahme, zumal in den Großstädten, immer ge¬ 
ringer werden. Das ist betrübend; die Thatsache, daß ein erheb¬ 
licher Theil der Aerzte nur ein Einkommen von höchstens 3000 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 20 


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Mark erzielt, rechtfertigt es wohl, diesem progressiven wirt¬ 
schaftlichen Niedergänge mit Besorgniß entgegenzusehen. Zahllose 
bedrohte Existenzen werden nur durcli wirtschaftliche Förderung 
würdig und standesgemäß zu erhalten sein, durch einen Codex 
ärztlicher Ethik nicht. 

Doch — ich verlasse diese traurigen Ausblicke in die Zu¬ 
kunft und wende mich noch einmal der Schweninöbr- 
Frage zu, die eine ganz unerwartete Lösung gefunden hat. Die 
Regierung hat der Aerztekammer das Recht zur Kritik ihrer An¬ 
ordnungen bestritten und genommen ; sic hat erklärt, daß sie eine 
Mißbilligung ihrer Beamten, die nur den Vorgesetzten verantwort¬ 
lich seien, nicht zugestehen könne. Obwohl sie die durch Schwe- 
NINGER verursachten Mißstände im Lichtenfelder Krankenhause 
durchaus nicht verkennt und insbesondere die Zustände der chirur¬ 
gischen Abtheilung, der zur Zeit kein selbständiger Chirurg vor- 
vorsteht, unhaltbar findet, gedenkt sie doch nicht, sich Vorschriften 
machen zu lassen. Sie hat aber, wie es heißt, Exeellenz Professor 
v. Bergmann damit betraut, Ordnung in jene durch Protectionismus 
verfahrenen Verhältnisse zu bringen. Der ihm eigenen Thatkraft 
und Sachkenntniß, sowie seiner Autorität vor Allerhöchsten Stellen 
wird dies zweifellos gelingen. 

Hat hier die Aerztekammer, der das lieft aus den Händen 
genommen wurde, eine Schlappe erlitten, so hat auch die Facultät 
jüngst eine solche zu verzeichnen gehabt. Der bekannte Neuro- 
pathologe und Psychiater, Privatdocent Dr. Hermann Oppenheim, 
welcher bisher den Titel Professor besaß, seit 1886 mit großem 
Erfolge docirt und durch seine Werke, zumal sein Lehrbuch, weit 
über Deutschland hinaus bekannt ist, war von der Facultät einstimmig 
zum Extraordinarius vorgeschlagen worden. Diesem Anträge hat 
der Unterrichtsminister keine Folge gegeben. Infolge dessen hat 
Oppenheim auf seine fernere Lehrthätigkeit verzichtet. Der Vorfall 
hat, schon seines principiellen Charakters wegen, großes Aufsehen 
erregt und aufs neue gezeigt, daß die alte Autonomie der Universi¬ 
täten bedeutende Einbuße erlitteu hat. 

In glanzvoller Weise ist Ernst von Leyden’s 70. Geburts¬ 
tag gefeiert worden. Die Tagesblätter haben längst über alle Ein¬ 
zelheiten dieses Festes ausführlich berichtet, und so darf ich mich 
darauf beschränken, daß die Feier nicht bloß dem berühmten 
Kliniker, akademischen Lehrer und bahnbrechenden Forscher galt, 
sondern zum großen Tlieile dem Vorkämpfer reformatorischer 
Richtungen in der modernen Heilkunde. Die Bestrebungen Leyden’s 
während des letzten Jahrzehnts haben neue Bahnen eingeschlagen, 
welche früher von den Männern der Wissenschaft ängstlich ver¬ 
mieden wurden, weil sie glaubten, ihrer Würde etwas zu vergeben. 
Es ist die volkstümliche, gemeinfaßliche Darstellung tnedicinischer 
Fragen, das Wirken für die Volkshygiene, für Aufklärung und 
Belehrung bezüglich der Verhütung von Krankheiten, die Ver¬ 
breitung von Kenntnissen in der modernen Krankenpflege, die 
Würdigung aller physikalisch-diätetischen Hilfsmittel, zumal der 
Krankenkost, und schließlich die Fürsorge für unbemittelte Lungen 
kranke — also eine ganze Reihe von Aufgaben, zum Theil socialer 
Natur, welche Leyden mit Jugendfrische in Angriff genommen 
hat. Um das Curpfuscherthum und die Anmaßungen sogenannter 
Naturheilkundiger zu bekämpfen, gibt es kein besseres Mittel, als sich 
an die Spitze einer rationellen, wissenschaftlich fundirten, aber echt 
populären Reformbewegung zu stellen. Und so haben denn bereits außer 
namhaften Autoritäten, wie Ewald, Eulenburg, Dührrsen u. A., 
Leyden und seine Schüler diesen Weg mit Energie und glück¬ 
lichem Erfolge eingeschlagen, ein Vorgehen, für das bei diesem 
Jubiläum der Zoll des Dankes mit besonderer Wärme zum Aus¬ 
drucke kam. 

Zum Schlüsse meiue3 heutigen Briefes möchte ich noch mit 
einigen Worten auf das hiesige, von Dr. Martin Klopstock ge¬ 
leitete „Institut für Medicinische Diagnostik“ zurück¬ 
kommen, eine Schöpfung nach dem Vorbilde der von Blumenthal 
(Moskau) begründeten, mustergiltigen Anstalt. Dies Institut, mit 
den reichsten Hilfsmitteln ausgestattet und von hervorragenden 
Specialforschern in seinen einzelnen Abtheilungen geleitet (Bakte¬ 
riologie: Kolbe; Chemie: Zuelzer und Kowarsky; pathologische 
Anatomie: v. Hansemann ; Physiologie und Radiographie: Cowr.) 


füllt, wie sich zeigt, für die praktischen Aerzte eine Lücke im 
diagnostischen Apparat aus und dient zugleich der Ausführung 
wissenschaftlicher Arbeiten auf obigen Gebieten. Waren auch ein¬ 
zelne Aerzte bisher in der glücklichen Lage, mit Ruhe, Exactheit 
und neuesten Hilfsmitteln Untersuchungen von Se- und Excreten, 
von Diphtheriebelägen, von Blut, Harn und Spntis, von suspecten 
Neubildungen, von Blutdruck und Herzpuls etc. vorzunehmen, 
so bildeten diese doch die Minderzahl. Die meisten waren auf 
fremde Kliniken und Laboratorien, bisweilen selbst nur auf den 
Apotheker angewiesen, ein Uebelstand, der den Aerzten ebenso 
empfindlich, wie den Kranken nachtheilig war. Das Institut über¬ 
nimmt gegen einen sehr mäßigen Tarif die genaueste Unter¬ 
suchung nach unbedingt zuverlässigen Methoden und die prompte 
Berichterstattung an den ärztlichen Auftraggeber, nicht an das 
Publicum. Es ist angesichts der vorzüglichen Organisation schon 
im 2. Jahre, worüber zur Zeit der Bericht vorliegt, möglich ge¬ 
wesen, z. B. 1000 Sputen, 750 Harne, 130 Proben von Diptherie- 
material, 50 Blutproben, 110 Proben von Prostata- und Harnröhren- 
seeret, 20 Exsudaten festzustellen. Chemische, mikroskopische und 
bakteriologische Prüfungen gingen, wo nöthig, Hand in Hand. 
Ausschabungsmaterial, Fäces, Entozoen wurden, ebenso wie Nah¬ 
rungsmittel, wie die physiologische Wirkung von Alkaloiden, patho¬ 
logische Zustände de3 Skelets und innerer Organe (mittelst Durch¬ 
leuchtung) vielfach untersucht und eine stattliche Reihe wissen¬ 
schaftlicher Arbeiten ging aus dem Institut hervor. Ihm darf man 
wohl ein „Vivat, floreat, crescat!“ zurufen. cv> 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

31. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für 

Chirurgie. 

Gehalten zu Berlin, 2.—5. April 1902. 

(Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) 

V. 

JOACHIMSTHAL (Berlin) zeigt eine Reihe von Roentgenphoto- 
grammen über die Structur, Lage und Anomalien der 
Kniescheibe, deren interessantestes Präparat eine doppelseitige 
angeborene longitudinale Spaltung der Kniescheibe im äußeren 
Drittel war. J. knüpft daran die Betrachtung, daß man diese Spal¬ 
tung für eine alte Fractur halten könnte, wenn man nicht beide 
Seiten photographirt, und betont die Nothwendigkeit dieser Ma߬ 
nahme in solchen Fällen. 

ALBERS-SCHÖNBERG (Hamburg) demonstrirt einen Apparat, 
der es gestattet, die Nierensteine dadurch schärfer und deutlicher 
auf die photographische Platte zu bringen, daß die Platte möglichst 
dicht an die Nieren herangebracht und die Distanz zwischen Licht¬ 
quelle und Platte durch tiefes Eindrücken des die Lichtquelle ent¬ 
haltenden Rohres in die Bauchwand nach Möglichkeit verringert 
wird, so daß er auch Concremente, die sonst nicht zu sehen sind, 
festhalten kann. Redner zeigt dann noch eine Anzahl Roentgen- 
bilder von technisch schwierigen und chirurgisch 
interessanten Fällen, u. a. ein Sarkom des Sternum, die 
charakteristischen Veränderungen der Knochenlues, einen Nieren¬ 
stein etc. 

PERTHES (Leipzig) projicirt Roentgenbiider vonChine- 
sinnen füßen, die die charakteristischen Lage- und Structurver- 
änderungen an den Zehen und an dem Calcaneus aufweisen. 

PETERSEN (Heidelberg) zeigt die Bilder zu seinem noch zu 
haltenden Vortrage über Care ino m r ecidi ve und Carcinom- 
heilung. 

SUDECK (Hamburg) zeigt Roentgenbiider von Kno¬ 
chen- und Gelenkentzündungen und Verletzungen 
mit starken Veränderungen in der Spongiosa auch der nicht direct 
betroffenen Knochen, die er als trophoneurotische auffaßt, und die 
einen Anhalt dafür geben, daß nicht selten Patienten eine erheb¬ 
liche Functionsuntüchtigkeit eines Gliedes, einer Hand, eines Fußes 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 20. 


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zeigen, bei denen die äußere Untersuchung keine oder nur ge¬ 
ringfügige Anomalien erkennen läßt. 

J. JOSEPH (Berlin) spricht an der Hand von Projectionsbildern 
über eine Reihe von Fällen, in denen er die Nase oder das Ohr 
verkleinert hat. 

ALBERT Stein (Berlin): Demonstration von Bildern subcu- 
taner Paraffinprothesen bei Sattelnasen und bei einer ein- 
gezogenen Narbe mit gutem kosmetischen Resultat. 

DOYEN (Paris) gibt eine Reihe vorzüglicher kinematogra- 
phischer Darstellungen größerer Operationen, die den 
Werth des Kincmatographen als wissenschaftliches Instrument und 
seine Darstellungen als für den Unterricht werthvoll beweisen sollen. 
Die Darstellung einer Trepanation mit Hautperiostknochenlappen, 
mehrerer Laparotomien, einer Kniegelenksresection. einer Strumec- 
tomie, des Schlusses eines Anus praeternaturalis, einer Uterus¬ 
exstirpation war von so großer Schärfe und in den einzelnen 
Phasen der Operation so gut zu verfolgen, daß man in der That 
dem Kinematographen eine gewisse Stellung im zukünftigen Unter¬ 
richte wohl prophezeien kann. Wenn auch die Massenligaturen von 
Doyen besonders bei der Operation der Struma vielen Chi¬ 
rurgen ein gewisses Unbehagen verursacht haben werden, so 
waren seine Vorführungen doch im höchsten Grade interessant. Den 
Schluß seiner Demonstration bildete die Darstellung der Trennung 
der beiden Hindu-Xiphopagen Radica und Doodiea. 

TlETZE (Breslau) zeigt das Roentgenbild eines Falles von 
Resection des unteren Radiusendes, das er durch eine 
Großzehenphalange ersetzt hat. 

GROHE (Jena) spricht über histologische Vorgänge 
bei der Knochenneubildung, die besonders auf die neuere 
Behandlung der Amputationsstümpfe ein Licht werfen, ln einem 
Falle hat er nach 3 Jahren keinen Verschluß der Markhöhle ge¬ 
funden, die man annehmen sollte, da der Patient auf seinem Stumpfe 
gut gegangen war. 

Körte (Berlin): Bericht über 60 Operationen subphrenischer 
Abscesse. 

In fast der Hälfte der Fälle ging der Absceß von einer Appen- 
dicitis aus, als nächst häufige Ursache war ein Ulcus des Magens 
anzuschuldigen. Eine freie Communication des Magens mit der 
Absceßhöhle bestand meistens nicht. Nur in einem Falle war hier 
der Absceß am rechten Leberlappen zu finden. Von 10 Fällen hat 
er 5 geheilt, 5 sind gestorben. Zwei Fälle von Gallensteinabsceß 
sind geheilt, ebenso 3 von einem Ecchinococcus der Leber aus¬ 
gehend. Einmal ist der Absceß vom Pankreas ausgegangen, der 
Fall ist geheilt. Von 4 Fällen, in denen ein Pleuraempyem die 
Ursache war, sind 3 geheilt, 1 gestorben. 4mal war eine Peri¬ 
nephritis, 2mal eine Rippenerkrankung, 5mal die Milz die Ursache, 
2mal war sie unsicher. Die Abscesse, die im Epiga9trium liegen, 
sind in der Regel gashaltig. Die Operation hat er 41mal perpleural 
gemacht, wie sie von Israel zuerst, angegeben wurde. In 14 Fällen 
fand er dabei ein Pleuraexsudat. Um die Infection der Pleura zu 
vermeiden, macht er die Pleurasteppnaht, dabei hat er trotzdem 
4mal ein nachträgliches Empyem gehabt. Den Rippenrandschnitt 
hat er lömal gemacht, den Mittellinienschnitt in den geeigneten 
Fällen 4mal. Das gesammte Heilresultat ist 2 / 3 der Fälle. 

Doyen (Paris): Zur Behandlung der allgemeinen Peritonitis. 

D. präcisirt seinen Standpunkt dahin : 

1. Die Diagnose der Eiterung soll so früh wie möglich gestellt 
werden nach dem localen Befunde, nach Puls- und Allgemein¬ 
erscheinungen. 

2. Die Incision geht direct auf den Eiterherd los. Für den Fall 
von Peritonitis subumbilicalis, bei der es sich nicht um vom Uterus 
oder seinen Adnexen ausgehende Entzilndungsprocesse handelt, soll 
man parallel dem rechten Ligam. Poupartii einschneiden, um in 
erster Linie den Appendix zu untersuchen. 

3. Sofort werden nach oben und medialwärts sterile Compressen 
eingeführt, um das übrige Peritoneum zu schützen. Der Appendix 
wird, wenn nöthig, exstirpirt und die Bockenhöhle mit sterilen 
Compressen ausgetupft. Man läßt dort einige an Pincen befestigte 


Compressen, schreitet dann Schritt für Schritt zur Toilette des 
gesammten entzündeten Bezirks, legt auch dorthin Compressen und 
überzeugt sich von der Integrität des übrigen Peritoneums. Dieselbe 
Technik (Toilette des Peritoneums, Schritt für Schritt mit trockenen 
sterilisirten Compressen und mit Verzicht auf jegliche Spülung) ist 
auch für die nicht von dem Appendix stammenden, circumscripten 
Peritonitiden anzuwenden. 

4. Ist die Toilette des septischen Herdes beendigt, so wird, 
vorausgesetzt, daß das übrige Peritoneum gesund ist oder doch 
keine eiterige Flüssigkeit enthält, ausgetupft und die Incisionswunde 
theilweise geschlossen, mit Gaze drainirt. Es empfiehlt sich, unter 
die Compressen 1 oder 2 große Glasdrains miteinzuschieben. 

5. Uebersteigt der peritoneale Erguß den Nabel, erreicht er 
die Fossa iliaca oder geht er auf die andere Seite über, so eröffnet 
man von der Mittellinie aus und bewerkstelligt von hier aus die 
Toilette des Peritoneums. Besteht ein eitriger Herd in der Nähe 
der Milz, so muß man die linke Weiche eröffnen und vou dort aus 
mit Gaze drainiren. 

6 . D. hat niemals einen Fall von acuter allgemeiner Peritonitis 
heilen sehen, wenn es sich um septische Peritonitis gehandelt hat, 
und wenn sich der Erguß vom Becken bis in die Regio subphrenica 
ausdehnte. Der chirurgische Eingriff verlief auch dann erfolglos, 
wenn man eine schnelle Toilette des Peritoneums mit trockenen 
Tupfern vornahm. Die Massenauswaschung des Bauchraumes ist 
gefährlich und kann nur eine unmittelbare Verschlimmerung durch 
Dissemination der Infection im Gefolge haben. 

7. Ein letzter Punkt verdient noch gewürdigt zu werden. Ist 
es nützlich, im Falle der Darmparalyse einen Anus praeternaturalis 
anzulegen ? 

Die Darmparalyse ist eine bedenkliche Erscheinung, selbst 
dann, wenn die offenkundigen peritonealen Veränderungen nicht sehr 
gefährlich erscheinen. 

Nachdem D. die Erfahrung gemacht hat, daß der Anus praeter¬ 
naturalis iliacus nicht genügt, den Darm zu entleeren, macht er 
jetzt den widernatürlichen After am ersten Abschnitt des Jejunum, 
welches er durch eine Boutonniere in der linken Weiche hinaus¬ 
zieht. Man befestigt an jedem Ende dieses Darmstückes, welches 
mit einer durch da8 Mesenterium geführten Compresse nach außen 
gelagert ist, ein dickes Gummidrain. Die Entleerung der gasförmigen 
und flüssigen Massen vollzieht sich innerhalb einiger Stunden, wobei 
die antiperistaltischen Bewegungen des entzündeten Darmes mit¬ 
helfen Man schließt diesen temporären Anus praeternaturalis nach 
10—12 Tagen durch eine laterale Enteroanastomose, indem das 
nach außen gelagerte Darmstück durch Eerasement mittelst Hebel- 
pince elimiuirt wird und die beiden freien Darmöffnungen mittelst 
Tabaksbeutelnaht zusammengezogen werden. 

FRIEDRICH (Leipzig) beleuchtet dasselbe Thema in Rück¬ 
sicht auf die bakteriologische Aetiologie. Seine Untersuchungen 
haben ihm gezeigt, daß eine Hauptrolle die anaeroben Bakterien 
spielen. Dies erklärt die vielfachen negativen Untersuchungsbefunde, 
die jauchige Eiterung und gibt uns darüber Aufschluß, daß das 
Krankheitsbild der diffusen Peritonitis als ein toxinämisches auf¬ 
zufassen ist. Unser chirurgisches Handeln wird sich zunächst dem 
Orte des Ausgangs der Eiterung (Appendix) zu nähern haben, in 
zweiter Linie kommt dabei die „Lüftung“ der Bauchhöhle nicht 
zuletzt in Betracht. Redner demoDstrirt ein Drainrohr, das zu diesem 
Zwecke dient. Dann kommt die Bekämpfung des toxiuämischen 
Zustandes an die Reihe; das, was die Franzosen als „lavage du 
sang“ bezeichnet haben, wozu er die subcutane Ernährung heran¬ 
gezogen hat, neben subcutaner Einverleibung großer Wassermengen. 

Roux (Lausanne): Zur Perityphlitisfrage. 

R. liebt im Anfalle nicht die großen Schnitte, auch nicht das 
Aufsuchen des Appendix, sondern entleert nur den Absceß, um 
später die Operation „ä froid“ zu machen. Er beleuchtet kurz 
die Lageveränderungen des Appendix und die dadurch bedingten 
Schwierigkeiten der Operation. Auf nahezu 700 Operationen hatte 
er 2 Todesfälle. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 20. 


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Aus englischen Gesellschaften. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Medical Society of London. 

Lauder Brunton: Wesen und Behandlung der Fettleibigkeit. 

In manchen Fällen ist es schwer zu entscheiden, ob eine 
Person zu stark ist oder nicht, auch die Wage gibt oft nicht ge¬ 
nügende Anhaltspunkte. Die Form des Fettes hängt von der Nah¬ 
rung des Individuums ab. Die Kohlehydrate sind die Hauptquellen 
der producirten Wärme, die Albuminate besorgen den Gewebsersatz. 
Die ersteren bilden mehr Fett als die letzteren. Von Wichtigkeit 
ist bei Fettleibigkeit der persönliche Factor; es gibt Fettleibige, 
die wenig essen und schwer arbeiten. Die Fähigkeit der Absorption 
hängt wahrscheinlich von den verschiedenen Enzymen des Körpers 
ab; so z. B. zerstört das in der Thyreoidea befindliche den Ueber- 
schuß an Gewebe. Im Allgemeinen ist die Fettsucht auf Verände¬ 
rungen in der Körperconstitution zurückzuflihren; die Hauptursachen 
sind fettproducirende Nahrung bei verringerter Verbrennung. Die 
Fettsucht ist entweder plethorisch oder anämisch; letzteres häufig 
bei Frauen. Die Fettsucht nach acuten Erkrankungen, z. B. Influenza, 
ist dem Mangel an Körperbewegung zuzuschreiben, ln diesen Fällen, 
in denen das Herz nicht kräftig genug ist, um Körperbewegung 
zu gestatten, ist Massage und passive Bewegung angezeigt. Von 
Werth ist Oertel’s Behandlung. In Städten sind Hantelturnen 
und andere körperliche Hebungen, besonders solche in speciell dafür 
eingerichteten Instituten von Nutzen. Doch muß man auch die 
Nahrung einschränken. Flüssigkeiten und feste Nahrung sind nicht 
gleichzeitig zu nehmen. Fette, mehlreiche Speisen und Zucker sind 
nicht ganz zu verbieten, doch thunlichst einzuschränken. Die Diät 
des Fettleibigen ist die eines Diabetikers mit Weglassung der Fette. 
Durch das Essen von großen Mengen Fleisch entstanden manch¬ 
mal — offenbar eine toxische Wirkung — nervöse Symptome, die 
sich aber vermeiden lassen, wenn während der Mahlzeiten viel 
heißes Wasser getrunken wird. Thyreoidpräparate sollen nur unter 
ärztlicher Aufsicht genommen werden. 

Brurney Yeo (heilt die Fälle von Fettsucht in schwer zu behandelnde 
Fettsucht infolge von Resorptionsfehleru (anämische oder hereditär belastete 
Fälle) und leicht zu behandelnde (die auf eine verfehlte Diät zurückzuführen 
sind) ein. Bei den letzteren ist es sehr wichtig, bei den ersten Anzeichen der 
Krankheit mit der Behandlung zu beginnen. Oft führt absolute Milchdiät, 
verbunden mit Bettruhe, zum Ziele. Schilddrüsenpräparate soll man nur dann 
anwenden, wenn die Regnlirang der Diät keine Abnahme der Fettleibigkeit 
verursachte. 

Schott (Nauheim) meint, die sicherlich rasch wirkende Entfettungscur 
durch mineralische purgirende Wässer sei nur bei jugendlichen und kräftigen 
Individuen anwendbar, bei älteren Personen sei sie immer gefährlich, da die¬ 
selben zu rasch und zu viel an Gewicht abnehmen, herunterkommen und in 
der Folge dann fettige Degeneration des Herzens auftritt. Dasselbe ist bei 
den Jod- und Schilddrüsenpräparaten, sowie beim Ovarin der Fall. Das Beste 
ist Massage und körperliche Uebungen. Die Milchcur wirkt nur als Hungercur, 
d. h. wenn man alle sonstige Nahrung entzieht. 

Royal Academy of Medicine in Ireland. 

Jameson Johnston: Verschlucken eines metallenen Gebisses: 
Behandlung mittelst interner Darreichung von Baumwolle. 

Ein zwanzigjähriger Mann schlackte, als ihm beim Schwimmen 
im offenen Meere eine Welle ins Gesicht schlug, seine falschen 
Zähne. Er schwamm, da er infolge eines Beklemmungsgefühls 
nicht anders konnte, auf dem Rücken ans Ufer. 

Dort wurde er blau im Gesichte; durch einige kräftige 
Schläge, die ihm Leute auf den Rücken versetzten, fühlte er einige 
Erleichterung, obwohl die Athemnoth noch stark war. Bei seiner 
Aufnahme ius Spital wurde ein Schlundstoßer eingeführt; darauf 
Aufhören der Dyspnoe. Bald hernach traten Schmerzen in der 
Magengegend auf, die durch mehrere Tage andauerten. J. verab¬ 
reichte Sandwiches, deren jedes eine dünne Lage Baumwolle ent¬ 
hielt. Eine Woche nach der Aufnahme erhielt der Pat. Pulvis 
Liquiritiae (1 J / 2 Drachme) und es ging das Gebiß, in Wolle ein¬ 
gewickelt, ab. 

Leutaigne meint, er würde unter keinen Umständen Baumwolle ver¬ 
abreichen, da die Gefahr einer Verstopfung zu groß sei. 


R. H. Tobin: Die Behandlung der senilen Prostatahypertrophie. 

Es gibt vorbeugende und radicale Methoden. Bei den ersteren 
kommen hauptsächlich die weichen, biegsamen Katheter und deren 
Asepsis in Betracht. Bei der Wahl unter den radiealen Methoden 
haudelt es sich darum, ob sexuelles Verlangen noch vorhanden 
ist oder nicht. Ist es noch vorhanden, dann handelt es sich wahr¬ 
scheinlicherweise um eine reine Hypertrophie, die durch Vascc- 
tomie oder Castration zu heilen ist. Sind keine sexuellen Begierden 
vorhanden, dann sind Tumoren, die eine Druckatrophie der Pro¬ 
stata verursachen, vorhanden, und es kann nur die Exstirpation 
Heilung bringen. Das Versagen der Vasectomie in manchen Fällen 
erklärt T. damit, daß die Zweige des Plexus hypogastricus, 
welche die Arterie des Vas deferens begleiten und das Hauptbinde¬ 
glied zwischen Testikel und Prostata bilden, nicht mitgenommen 
wurden. 

Epidemiological Society. 

C. Kiluck Millard (Leicester): Ueber die Infectiosität der 
Schuppen bei Scharlach. 

Um Aufschlüsse über die Richtigkeit des überlieferten Glau¬ 
bens, daß die Abschuppung der Scharlachkrauken ansteckend sei, 
zu erlangen, befragte M. die Vorstände von mehreren großen 
Infectionsspitälern ; sechzehn Spitnlsleiter erklärten bestimmt, daß sie 
an die veraltete Lehre nicht glauben, neun nahmen einen mehr oder 
weniger zweifelnden Standpunkt ein. Es liegt ja auf der Hand, 
die Abschuppung der Haut und die erfahrungsgemäß manchmal 
lange Zeit dauernde Ansteckungsfähigkeit des Reconvalescenten 
nach dem post ergo propter zu behandeln, während der Glaube, 
daß Scharlach im Reconvalescenzstadium mehr ansteckend sei als 
vorher, wahrscheinlich dadurch eutstaud, daß es schwieriger ist, 
die nicht mehr im Bett zu haltenden Patienten genügend zu iso- 
liren. Die Schuppen können ja, ebenso wie die Kleider, Träger 
der Infection sein, aber dann ist der Kranke infectiös, nicht die 
Schuppen per se. Für die alte Lehre spricht nichts, dagegen aber 
mehreres. So findet sich der Streptococcus conglomeratus von Klein, 
der allgemein als der specifische Seharlaehmikroorganismus betrachtet 
wird, nie in den Schuppen; außerdem ist die Infectionsdistanz des 
Scharlachs eine kleine, während doch die staubförmigen Schuppen 
durchs offene Fenster weit und breit verstreut werden müssen. Darin 
liegt der Unterschied zwischen Scharlach und Blattern, bei denen die 
Krusten das Product der eiugetrockneten Pusteln sind und dem¬ 
gemäß deren Mikroben enthalten, während das Scharlacherythem 
bloß das Resultat einer Vergiftung durch das Bakterium ist und 
Erytheme infolge medicamentöser Vergiftung oft eine ähnliche Ab¬ 
schuppung aufweisen; ja es war sogar die Schuppenbildung beim 
nicht specifischeu Erythema scarlatiniforme desquamativum oft 
stärker als beim Scharlach selbst. Trotzdem die Patienten in Bir¬ 
mingham und Leicester durchschnittlich nach vier Wochen noch 
im Stadium der Abschuppung befindlich, sonst aber gesund ent¬ 
lassen wurden, war die Anzahl der inficirten Fälle nicht größer 
als anderswo; dabei ist zu bedenken, daß oft nach vollkommenem 
Aufhören der ersten Schuppung eine zweite folgt. Oft ist das 
Wiederauftreten der Infectiosität durch das Vorhandensein eines 
Nasenrachenkatarrhs infolge Erkältung bei Anwesenheit von Mikro¬ 
ben im Rachen bedingt, die bis dahin inactiv waren. 

Caiger berichtet über zwei Fälle, die acht Tage nach der Entlassung 
eines durch 87 2 Wochen im Spitale zurückgehaltenen, anscheinend vollkommen 
genesenen Patienten als von diesem inficirt aufgenommen wurden. In dem Be¬ 
richte des Metropolitan Asylum Board werden Nasenrachenkalarrhe mit 80% 
der inficirten Fälle, die Abschuppung mit 3% * n Verbindung gebracht. 

Goodall bedauert, daß Praktiker und sogar ärztliche Beamte die Ab¬ 
schuppung als Beweis dessen, daß Scharlach vorausgiug, ansehen. Er behält 
die Scharlachkranken nicht mehr wie früher acht Wochen, sondern nur mehr 
sechs Wochen, falls keine Symptome von Seiten des Halses vorhanden sind, 
jedoch ohne Rücksicht auf die Abschuppung. Die Resultate sind günstig. 

Gordon sagt, daß das Nichtübergreifen des Scharlachs auf die Häuser 
rings um im Spital ein Argument gegen die alte Lehre von der Ansteckung 
durch die Abschuppung ist. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 20. 


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Standesfragen. 

Die Disciplinargewalt des Elirenrathes. 

Das Aerztekaramergesetz hat de jure sein zehntes Lebens¬ 
jahr vor Kurzem zuriickgelegt; de facto besteht es in der Mehr¬ 
zahl der österreichischen Kronländer kaum 8 — 9 Jahre, dazwischen 
Sanctionirung und Durchführung dieses von der Mehrzahl derAerzte 
heiß begehrten, vom Gesetzgeber erst nach jahrelangem Zögern 
erlassenen Gesetzes beinahe ein Triennium verstrichen ist. Man 
hat sich kaum eingelebt in die Aerztekammern und ihr Gesetz, und 
schon erscheint es allenthalben reformbedürftig. Nicht nur den 
Gegnern, nein, vor Allem den Anhängern und unter ihnen in erster 
Reihe jenen, welche seine Hüter und Durchführer sind, den Kam¬ 
mern. Mit demselben Nachdruck, mit welchem man seinerzeit „an 
die Pforten des Parlamentes gepocht“, um das Kammergesetz zu 
erhalten, verlangt man jetzt seine „Revision“, eine Vernewerung 
des Gesetzes, und — so meinen wir — man thut Recht daran. 

Die Wiener Aerztekammer hat, wie wir berichten konnten, 
in ihrer April-Versammlung den Entwurf eines neuen Kammer¬ 
gesetzes berathen und neben anderen, gelegentlich zu besprechen¬ 
den Aenderungen des bestehenden Gesetzes sich für die Erwei¬ 
terung der Disciplinargewalt des Ehrenrathes mit 
den Cautelen der Berufungsmöglichkeit ausgesprochen. 

Damit hat die Kammer pure et simple zugestanden, daß sie 
mit den bisherigen Bestimmungen des Gesetzes, soweit dieselben 
die Jurisdiction des Ehrenrathes betreffen , das Auskommen nicht 
zu finden vermag. 

„Das Ansehen des Standes soll gehoben und derselbe von 
Elementen, die jenes beeinträchtigen könnten, purificirt werden.“ 
So lautet ein lapidarer Salz im Motivenberichte, welchen der Sani¬ 
tätsausschuß des Abgeordnetenhauses dem Gesetze vom 22. Decem- 
ber 1891 beigefügt hat. Und welches sind die Mittel, die dieses 
Gesetz dem Ehrenrathe der Aerztekammern an die Hand gibt, um 
diese eventuelle Purificirung durchzuführen? Wir kennen sie alle: 
Erinnerungen, Verwarnungen, Rügen, Geldbußen bis 400 Kronen, 
endlich zeitliche oder dauernde Entziehung des passiven und activen 
Wahlrechtes in die Kammer. Die Schützer der Ehre und des An¬ 
sehens unseres Standes wurden gesetzlich normirt, von der Ge- 
sammtheit gewählt, sie bestehen, aber man hat es versäumt, ihnen 
die Möglichkeit zu geben, ihr Ehrenamt zu versehen. Waffenlos 
hat man sie auf die Wälle gestellt, die sie vertheidigen sollen 
sie werden nicht gefürchtet. 

Die Kammer begehrt Verschärfung der Disciplinargewalt ihres 
Ehrenrathes, obgleich sie sich bewußt ist, durch dieses Verlangen 
in Widerspruch zu treten mit einem nicht unbeträchtlichen Theile 
der Aerzteschaft. Seinerzeit, bei der Vorberathung des Gesetzes, 
war es der Oberste Sanitätsrath , der in seinem Gutachten den 
„Disciplinarrath“ des Sanitätsausschusses in einen „Ehrenrath“ 
verwandelte, da er Uebergriffe der Disciplinargewalt der Kammern 
in die Befugnisse der Gerichts- und politischen Behörden befürchtete. 
Heute perhorrescirt man die Erweiterung der Disciplinargewalt 
des Ehrenrathes, eben im Sinne der einschlägigen Bestimmungen 
der Advocatenordnung, weil man den Mißbrauch der härtesten 
Strafe, Entziehung der Praxisberechtigung — wir würden für 
temporäre und territoriale Praxisentziehung plaidiren — fürchtet. 

Der Niedergang des ärztlichen Berufes und Standes ist ein 
heute offenes Geheimniß. Schon macht sich gegenüber dem Ansturm 
auf die ärztliche Laufbahn der letzten Decennien eine starke Re- 
action geltend, welche die Hörsäle der medicinischen Facultäten 
verödet. In 15—20 Jahren dürfte, wenn nicht unerwartet eine 
von den Aerzten sicherlich nicht begehrte Aenderung eintritt, Aerzte- 
mangel herrschen. Heute aber haben wir, wenigstens in den Städten, 
noch Ueberfluß an Aerzten, und das ärztliche Proletariat ist leider 
noch immer im Wachsen begriffen. Der unlautere Wettbewerb 
treibt noch immer üppige Blüthen und die wirthschaftliche Aus¬ 
beutung der nicht organisirten Aerzteschaft durch staatliche Insti¬ 
tutionen sowohl wie durch das Publicum besteht nach wie vor. 
Von einer wirklichen Organisation der Aerzte ist keine Rede. 


Und doch bedürfen wir strammer Organisation, welche uns 
einerseits vor denjenigen schützen soll, die unseren Stand verun- 
ehren, andererseits vor Jenen, die überdies die wirtschaftlichen 
Interessen dieses Standes schädigen. Welche Bedeutung die Ralli- 
irung der Aerzte besitzt, hat die von der Kammer und dem „Ver¬ 
bände der Wiener Aerzteschaft“ so trefflich geführte Agitation 
gegen die Meistercassen gezeigt, die dank dem gesunden Sinne 
und dem Solidaritätsgeftihle der Collegenschaft trotz einzelner Ueber- 
läufer keine Aerzte gefunden haben. Wer aber bürgt dafür, daß bei 
dem nächsten Anlasse diese Solidarität aufrecht bleibt? Wenn nicht 
alle Anzeichen trügen, dürfte der Lohnkampf der pauschalsten 
Aerzte des „Verbandes der Genossenschaftskrankencassen“ in ab¬ 
sehbarer Zeit zur Belastungsprobe der Solidarität der Wiener 
Aerzteschaft führen. Auch die eben actuelle Angelegenheit der Bank- 
beamtencasse setzt behufs gedeihlicher Führung ein strammes Zu¬ 
sammengehen der Aerzte voraus. Wie nun — wenn die Zahl der 
Verräther sich mehrt, wenn so Mancher, von des Lebens Noth- 
durft getrieben, das ihm gereichte trockene Brot annimmt trotz 
der Schädigung der Gesammtheit, weil er nicht stark genug ist, 
es zurückzuweiBen und weil er fürchtet, der Nachbar werde skrupel¬ 
los acceptiren, was er pflichtgetreu abgelehnt? 

Si vis pacem, para bellum. Wohlgerüstet muß die Aerzte¬ 
schaft den kommenden Ereignissen entgegentreten können, und in 
ihrem Falle bedeutet Rüstung stramme Organisation, die gleichzeitig 
die wirtschaftlich Schwachen unter uns — ihre Zahl wächst leider 
von Tag zu Tag — kräftigt und schützt. 

Wir plaidiren für Erweiterung der Disciplinargewalt des 
Ehrenrathes, die wir schon unmittelbar nach Erscheinen des Kam¬ 
mergesetzes als dringende Notwendigkeit erklärt haben. „Die 
Grundlage jedes Strafverfahrens bildet die Festsetzung empfind¬ 
licher Sühne im Falle der Verurtheilung. Da Strafgesetze für 
Gesetzesübertreter verfaßt sind, auf deren Ehrgefühl allein kaum 
gerechnet werden kann, so muß die Strafe selbst eine für den 
Ehr- und Gewissenlosen empfindliche sein.“ Die Ereignisse haben 
gezeigt, ,daß unsere, damalige Anschauung vplle Berechtigung ,be¬ 
saß und besitzt. 


Notizen. 


Wien, 17. Mai 1902. 

(Universitätsnachrichten.) Die Privatdocenten Doctor 
Hermann Wendelstadt und Dr. Heinrich Pletzer in Bonn, 
Dr. Leon Asher und Dr. Max Howald in Bern haben den Pro¬ 
fessortitel erhalten. 

(Militärärztliches.) Stabsarzt Dr. Arthur Perlsee ist 
in den Präsenzstand des Landwehr - Infanterieregiments Laibach 
Nr. 27 versetzt worden. — Marine-Oberstabsarzt II. CI. Dr. Johann 
Krumpholz hat den Orden der eisernen Krone III. CI., Fregatten¬ 
arzt Dr. Hugo Zechmeister das goldene Verdienstkreuz mit der 
Krone erhalten. 

(Die freie Arztwahl in Berlin.) Am 1. Februar d. J. 
ist zum erstenmale wieder seit mehreren Jahren bei allen Berliner 
Krankencassen das Pointsystem eingeführt worden. Der Point 
wird mit 36 Pfennigen bewerthet. Im Winter 1901 be¬ 
trug er 29 Pfennige. Allerdings herrschte damals mehr Influenza 
und der Point war kein allgemeiner. Immerhin macht sich die 
Erhöhung der Honorare um 16 3 / 4 % bemerkbar, und hoffentlich 
ist in den besseren Monaten eine weitere Steigerung des Point- 
werthes zu erwarten. 

(Eine Entschädigung der Aerzte bei Benützung 
des eigenen Fahrrades oder Automobils) wird — 
wie die „Münch, med. Wschr.“ mittheilt — von der bayerischen 
Regierung geplant. Dieselbe hat an die ärztlichen Bezirksvereine 
die Aufforderung ergehen lassen, sich über diese Frage zu äußern. 
Der Beschluß eines Vereines liegt bereits vor. Er verlangt, daß 
den Aerzten der Gebrauch des Fahrrades oder Automobils ebenso 
zu vergüten ist wie die Benützung eines Gefährtes. Jede Regelung, 
die den radfahrenden Arzt schlechter stellen würde als den Ge¬ 
fährt benützenden, wäre im höchsten Grade unbillig; denn der 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 20. 


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erstere hat zwar momentan allerdings geringere Auslagen, die Er- 
sparniß geht aber auf Kosten seiner Kraft und seiner Gesundheit; 
es ist gar kein Zweifel, daß ein radfahrender Arzt sich viel rascher 
aufreiben wird als ein kutschirender Arzt, von der größeren Ge¬ 
fährlichkeit des Radfahrens, von den Vortheilen für den Patienten 
u. A. gar nicht zu reden. 

(Forensisch es.) Ein Zahntechniker war von einem Be¬ 
zirksgerichte Wiens zu mehrtägiger Haft verurtheilt worden, weil 
er im Atelier seines Chefs zahnärztliche Verrichtungen vorgenom¬ 
men hatte. Das Landesgericht bestätigte das Urtheil. Der Verthei- 
diger wandte sich nun an die Generalprocuratnr, welche that- 
sächlich die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes 
erhob und vor dem Cassationshofe vertrat. Dieser hat die Ent¬ 
scheidung beider Instanzen als rechtsirrthümlich aufgehoben und 
den Angeklagten gänzlich freigesprochen. Die wichtige Begründung 
gipfelt in dem Ausspruche, ein im Aufträge seines ärztlichen Chefs 
operirender Zahntechniker sei deshalb nicht als Curpfuscher zu 
betrachten , weil bezüglich seiner das Moment der Gewerbsmäßig- 
keit fehle. 

(Mißbräuche in und mit Badeanstalten beiKran- 
kencassen.) Die „Med. Reform“ schreibt: „Von vielen Kranken - 
cassen sind zur Benützung für ihre Cassenmitglieder Badeanstalten 
zugelassen worden, welche theils heimlich, theils auch offen die 
Behandlung von Kranken übernehmen. Nach dem Recept aller 
Curpfuscher werden nicht selten in unbegrenzter Zahl Bäder auf¬ 
geredet oder die Kranken werden aufgehetzt, sich von ihrem Cassen- 
arzt immer weitere Bäder verschreiben zu lassen. Wie viele von 
letzteren thatsächlich benutzt werden, läßt sich nicht übersehen, 
und die Auffassung vieler Cassenvorstände geht dahin, daß mit 
den Bäderformularen viel Unfug getrieben wird. Soll es doch keine 
bloße Erfindung sein, daß unterschriebene und unterstempelte For¬ 
mulare gegen billiges Geld verkauft und andererseits an Stelle von 
Trinkgeld verabfolgt werden sollen. 

(Instructionscurse für das Desinfectionsper- 
soiial.) Durch einen Erlaß des Ministeriums des Innern werden 
die Landesbehörden angewiesen, wegen Sicherstellung eines ge¬ 
schulten Desinfectionspersonals für die vom Rothen Kreuze in Epi¬ 
demiefällen beizustellenden Baracken Vorsorge zu treffen; im k. k. 
allgemeinen Krankenhause wurden Unterrichtscurse zur Ausbildung 
eines geschulten Desinfectionspersonals eingerichtet. Der erste Curs, 
an dem vorläufig acht Personen aus dem Diener- und Arbeiter¬ 
stande des genannten Krankenhauses theilnehmen sollen, hat be¬ 
reits begonnen. Das vorläufige Programm umfaßt den theoretischen 
und praktischen Unterricht in allen Fragen der Desinfections- 
technik. 

(Ein ne uer Preis.) Von dem letzten internationalen medi- 
cinischen Congreß während der Weltausstellung in Paris hat sich 
nach Abzug aller Unkosten ein Ueberschuß von 40.000 Francs 
ergeben. Das Comitö will nun auf dem nächsten Congresse den 
Antrag stellen, diese Summe zur Stiftung eines Preises zu ver¬ 
wenden, der alle drei Jahre von künftigen Congressen verliehen 
werden soll. 

(Eine Ausstellung ärztlicher Lehrmittel) wird 
in Berlin vom 31. Mai bis 8. Juni dieses Jahres in der kgl. Aka¬ 
demie der Künste und Wissenschaften stattfinden. Die Ausstellung 
soll ein Bild der dem ärztlichen Unterrichte dienenden Hifsmittel 
geben und folgende Abtheilungen enthalten: I. Anatomische und 
pathologisch-anatomische Musterpräparate. 1. Für den Unterricht 
in der Anatomie. 2. Für den Unterricht in der pathologischen 
Anatomie. 3. Für den Unterricht in den einzelnen Disciplinen der 
praktischen Medicin. II. Phantome und plastische Nachbildungen. 
III. Abbildungen in Form von Tafeln und Atlanten. IV. Mikro¬ 
skopie und mikroskopische Technik. V. Demonstrationsapparate. 
VI. Projectionsapparate. 

(Die erste klinische Abtheilung für Medico- 
Mechanik) als Theil eines Neubaues der chirurgischen Univer¬ 
sitätsklinik ist am 29. März zu Breslau feierlich eröffnet worden. 

(Hypnose und Curpfuscherei.) Ein ministerieller Auf¬ 
trag hat — wie wir erfahren — die Berliner Polizeibehörden an¬ 
gewiesen , Erhebungeu darüber anzustellen, ob und in welchem 


Umfange und in welcher Weise bei der Behandlung von Kranken 
durch nicht approbirte Ausübende der Heilkunde die Hypnose zur 
Anwendung gebracht wird. 

(Javanische Narkose.) Ueber einen Handgriff, auf den 
sich javanische Aerzte verstehen, um Menschen bewußtlos zu machen, 
berichtet das „Corr.-Bl. f. Schweizer Aerzte“. Der Patient und der 
Operateur setzen sich hintereinander auf den Boden. Der letztere 
umfaßt den Hals des ersteren von hinten, geht beiderseits mit dem 
Zeige- und Mittelfinger in der Gegend des Kieferwinkels in die 
Tiefe und drückt dann auf die Wirbelsäule. Der Kranke beginnt 
alsbald schnell und tief zu athmen, läßt den Kopf nach rückwärts 
fallen und schläft ein. Nun wird der Hals losgelassen. Der Patient 
bleibt noch einige Augenblicke bewegungslos in derselben Haltung, 
um dann verwundert die Augen zu öffnen, wie einer, der aus 
einem Traume erwacht. (Es handelt sich hiebei wohl um das 
aus der Physiologie bekannte Experiment der Vaguscorapression am 
Halse. Red.) 

(Hygiene in der Kirche.) Das „Hyg. Volksblatt“ meldet: 
Der Bischof von Fano in Oberitalien hat jüngst an die seiner 
Diöcese angehörenden Pfarreien folgendes Rundschreiben erlassen : 
In allen Kirchen sollen nach den Feiertagen, an denen außerge¬ 
wöhnliche Menschenansammlungen stattgefunden haben , die Stein¬ 
platten des Fußbodens mit Sägespähnen gereinigt werden, die mit 
einer Sublimatlösuug (1 : 100) getränkt sind. Jede Woche mindestens 
einmal müssen die Kirchen- und Beichtstühle durch Schwämme und 
feuchte Tücher gesäubert werden. Allwöchentlich muß das Gitter¬ 
werk der Beichtstühle mit Lauge gewaschen und dann polirt 
werden. Die Weihkessel sollen jede Woche oder noch öfter ge¬ 
leert und dann mit kochender Lauge oder Sublimat ausgewaschen 
werden. 

(Eine lebendige L a m p e.) Bei Versuchen, Leuchtbakterien 
zu züchten, erhielt Dubois in Lyon, wie die „Pharm. Ztg.“ meldet, 
eine derartig leuchtende Flüssigkeit, daß sie in einer Art Lampe 
als lebendes Licht Verwendung finden konnte. Die Eigenart des 
physiologischen Lichtes beruht auf dem fast gänzlichen Mangel 
an Wärme; auch die chemischen Strahlen sind von so geringer 
Wirkung, daß man beispielsweise photographische Platten mehrere 
Stunden lang beleuchten muß, um ein deutliches Bild zu erhalten. 
Aber ähnlich den Roentgenstrahlen besitzt dieses Licht ein starkes 
Durchdringungsvermögen; so durchleuchtet es Holz und Carton 
und läßt dann noch die photographische Platte reagiren. Die bis¬ 
her in Anwendung gekommene Lampe besteht aus einem einfachen 
metallischen Träger für ein flaches und breites Glasgefäß, an welchem 
an der oberen Seite ein Reflector mit Zinnfolie angebracht ist. Die 
leuchtende Flüssigkeit, also die Mikrobencultur im Gefäße, soll bei 
vollkommener Ruhe sechs Monate lang im brauchbaren Zustande 
erhalten werden können. Das Aufleuchtenlassen der Lampe 
geschieht durch Einführung geringer Mengen von filtrirter Luft 
in die Bacillenflüssigkeit; hiefür befindet sich an einer Seite der 
Lampe eine Vorrichtung mit Kautschukbirne, bei deren Druck der 
leuchtende Glanz — der Reizzustand — der Mikroben angeregt 
wird. Diese stoßweise Einführung der Luft in das Gefäß muß von 
Zeit zu Zeit wiederholt werden. 

(Statistik.) Vom 4. bis inclusive 10. Mai 1902 wurden in den 
Ci vilspitälern Wiens 7621 Personen behandelt. Hievon wurden 1650 
entlassen ; 181 sind gestorben (9’88°/o Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 63, egypt. 
Augenentzündung 1, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 6, Dysen¬ 
terie—.Blättern—, Varicellen 64, Scharlach 97, Masern 397, Keuchhusten 77, 
Rothlauf 45, Wochenbettfieber 8, Rötheln 15, Mumps 17, Influenza —, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wieu 792 Personen gestorben 
(-j- 87 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Wien der praktische 
Arzt Dr. Karl Schwarz ; in Kalocsa Dr. Alexander Barnay im 
Alter von 29 Jahren; in Kirchberg Dr. J. Studer im 56. Lebens¬ 
jahre; in Straßburg der Professor der Physiologie Dr. Leopold 
Goltz, 67 Jahre alt; in Bukarest der Professor der Medicin 
Dr. Nikolas Kalindero. 


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959 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 20. 


960 


Häusliche Trinkeuren. Für viele Leidende, die während der Sommer¬ 
monate Karlsbad, Marienbad und andere Curorte zur Wiederherstellung ihrer 
Gesundheit besuchen , ist es nothwendig, die Mineral wasser-Trinkcuren zeit¬ 
weilig auch zu Hause wieder aufzunehmen. All denen, die solche häusliche 
Trinkeuren gebrauchen, sei hiemit in Erinnerung gebracht, wie vortheilhaft 
es ist, vor dem Gebrauche der Cur zu einem diätischen Mittel zu greifen, 
um den Organismus durch Entlastung von den das Blut beschwerenden Stoffen 
für die Cur vorzubereiten. Als ein solches Diäteiikon gelten vorzugsweise die 
natürlichen alkalischen Sauerbrunnen, unter deren vorzüglichen Repräsentanten 
der Krondorfer gezählt wird. Die Assimilirungstahigkeit des Krondorfer Sauer¬ 
brunnens ermöglicht es, daß er selbst bei den zartesten Naturen mit Erfolg 
und Vortheil genossen wird, und auch während dieser häuslichen Trinkeuren 
wird der Krondorfer mit Vorliebe von den Aerzten vielfach empfohlen. 

Krapina-TÖplitz , seit langem bekannt als eines der wirkungsvollsten 
Bäder, gewinnt von Saison zu Saison an Zugkraft. Die Besucherzahl im 
vorigen Jahre betrug über 4000 Personen. 

Die Direction ist auch eifrig bemüht, den Wünschen des Publi- 
cums zu entsprechen und jedes Jahr was Neues zu bringen. In diesem 
Frühjahre wurde mit großen Opfern das Jakobsbad total umgebaut. Es 
präsentirt sich jetzt nach seiner Vollendung als ein Prachtbau und dürfte in 
seiner Art einzig dastehen. Die sonstigen Einrichtungen der Curaustalt ent¬ 
sprechen allen modernen Anforderungen, sie sind aber in erster Linie praktisch 
für den Patienten. Alle Gebäulichkeiten sind mit den Bädern durch geschlossene 
Corridore verbunden und somit die Badecur zu jeder Zeit möglich. 

Die Thermen, welche eine Temperatur von 30—35° R. haben, erweisen 
sich insbesondere als heilkräftig bei Gicht, Rheuma, deren Folgekrankheiten, 
bei Ischias, Neuralgie, Haut- und Wundkrankheiten , Lähmungen und ver¬ 
schiedenen Frauenkrankheiten. Als Ergänzung der Badecur dienen Massage, 
elektrische Curen und schwedische Heilgymnastik. Die Restaurationslocalitäten, 
der Cursaal, ausgedehnte schattige Anlagen, Cnrmusik, Tennisplatz u. s. w. 
bieten den Curgästen alle möglichen Annehmlichkeiten. 


Neue Literatur. 

(Der Redaction zur Besprechung eingesandte Bücher.) 

Walker Normann, Introduction to Dermatology. Bristol 1902, John Wright 
& Co. 

Festschrift zur Feier des 50jähr. Bestehens des ärztlichen Vereines 
Nürnberg 1852—1902. Nürnberg 1902. 

Heinrich Berger, Aus dem Hamsterkasten. München 1902. Seitz & Schauer. 
Franz Weislaner, Neue Untersuchungen über die Seekrankheit. Wien 1902, 
Otto M a a s s. 

A. Baginsky, Lehrbuch der Kinderkrankheiten. 7. Auflage. Leipzig 1902, 
S. Hirzel. — M. 16-50. 

R, Tigerstedt , Lehrbuch der Physiologie des Menschen. II. Bd., 2. Auflage. 
Leipzig 1902, S. Hirzel. 

Eingesendet. 

Die Krankencasse der Wiener Bankbeamten. 

An eine große Anzahl von Collegen ist ein Circular der Krankencasse 
der Wiener Bankbeamten vom 9. Mai 1. J. gelangt, durch welches sie einge¬ 
laden werden, bei dieser Casse Dicnsle für ambulatorische Behandlung, Unter¬ 
suchung und Controle ihrer Mitglieder zu leisten. Dieses Circular ist ausge¬ 
sendet worden, ohne daß die Krankencasse der Wiener Bankbeamten es für 
angemessen gehalten hätte, die Wiener Aerztekammer, mit welcher sie in 
Unterhandlung steht, von dieser Absicht zu verständigen. 

In diesem Ciwulare verspricht die Krankencasse der Wiener Bank¬ 
beamten, das Honorar der Aerzte nach dem Minimaltarif des Memo¬ 
randums der österreichischen Aerztekammern vom Juni 1901 zu bemessen; 
dadurch soll der Glaube erweckt werden, daß das angebotene Honorar dem 
von der Kammer aufgestellten Honorartarife für ärztliche Leistungen ent¬ 
spricht, während der im Memorandum der österreichischen Aerztekammern 
über die Reform des Arbeiter-Krankenversicherungsgesetzes aufgestellte Tarif 
sich einzig und allein auf die anzustrebende HonoriruDg der Aerzte bei den 
obligatorischen A rb ei t er-K r an k en c as se n bezieht. Weiters hat diese 
Krankencasse einen Statutenentwurf ausgearbeitet, dessen Bestimmungen den 
Forderungen der Aerzteschaft nicht entsprechen können. 

Die Umstände, unter welchen die Versendung des Circulares der Kranken¬ 
casse erfolgt ist, die iür die erbetenen Antworten äußerst kurz bemessene 
Frist, die Fußnote, welche den Schein zu erwecken geeignet ist, als ob in 
derselben von einem Uebereinkommen zwischen Casse und Kammer die Rede 
wäre, während thatsächlich ein Uebereinkommen zwischen den Aerzten und 
der Casse gemeint ist, endlich das offenbare Bestreben der Casse, die Ver¬ 
handlungen mit der Aerztekammer in die Länge zu ziehen, alle diese Um¬ 
stände veranlassen den Vorstand der Wiener Aerztekammer, den Collegen auf 
das nachdrücklichste den von der Wiener Aerztekammer in ihrer Versammlung 
vom 21- Januar 1902 gefaßten Beschluß in Erinnerung zu bringen, welcher 
lautet: 

„Die Wiener Aerztekammer erklärt es für standeswidrig, bei 
der Krankencasse der Wiener Bankbeamten irgend eine ärztliche Stelle 
anzunehmen, insolange die Annahme einer solchen nicht unter Bedin¬ 
gungen möglich ist, welche von der Wiener Aerztekammer geprüft und 
gutgeheißen worden sind.“ 


Der gefertigte Vorstand der Wiener Aerztekammer fordert daher die 
Collegen auf, im eigenen Interesse, sowie im Interesse der gesammten Aerzte¬ 
schaft die ihnen von Seite der Krankencasse der Wiener Bankbeamten zuge¬ 
kommenen Foimularien nicht zu unterfertigen, eventuell bereits ge¬ 
gebene Unter;chriften sofort zurückzuziehen. 

Wien, am 10. Mai 1902. 

Für den Vorstand der Wiener Aerztekammer 

Der Präsident: Dr. Heim. 


Der Vorstand des Verbandes der Aerzte Wiens ersucht um 
Aufnahme folgender Mittheilung: 

Der Centralausschuß des Verbandes der Aerzte Wiens hat in seiner 
Sitzung vom 10. Mai 1902 folgende Resolution gefaßt : 

„Der Verband der Aerzte Wiens unterstützt die Action der Kammer 
gegen die Krankencasse der Bankbeamten, ersucht die Collegen im Inter¬ 
esse der Gesammtheit der Aerzte, bei dieser Casse keine Stellen 
anzunehmen und hält jede weitere Verhandlung mit dieser Casse bei 
der Zweideutigkeit ihres Vorgehens für unwürdig.“ 

Für den Vorstand des Verbandes der .Aerzte Wiens. 

Wien, am 13. Mai 1902. 

Dr. Keller, Dr. Schum, 

d. Z. Schriftführer. d. Z. Präsident. 


P. T. 

Entgegen den ausgestreuten Gerüchten bringen wir unseren P. T. Kunden 
zur gefälligen Kenntnißnahme. daß der Betrieb unserer Fabrik ungehindert 
fortgesetzt wird, und wir im selben Maße wie bisher uns zugehende Ordres 
zur Ausführung bringen. 

Hochachtend 

Hans Turinsky, Ernst Großmann, 
vormals Sanitäts-Geschäft Austria, Wien, XVII/3. 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 


Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
Postversendnng. Die Preise der Einbanddecken sind folgende: für die „Med. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
„Therapie der Gegenwart“: Jf 1.60 (1 Mark 40 Pf.) iBcl. Postversendung. 


Die Rubrik: „Erledigungen, ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 

MT Wir empfehlen diese Rubrik der speclellen Beachtung unserer 
geehrten Leser ; in derselben werden öfters — neben der Publioation von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auch für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein können, welche an eine 
Aenderung des Domioils oder ihrer Verhältnisse nicht gedacht haben. 


Herr Dr. MorpurgO, Kinderarzt zu Görz, schreibt den 
12. December 1897 : 

„Ich habe Ihr Präparat in einigen Fällen von Sommerdiar¬ 
rhoen angewendet und war damit außerordentlich zufrieden; in 
einem Falle, wo vorher alles erbrochen wurde, wurde Ihr Präparat 
ganz gut vertragen. So konnte der kleine Patient gerettet werden. 
Auch als Nahrungsmittel bei heruntergekommenen 
Kindern leistete es sehr gute Dienste, zumal es im Allgemeinen 
von den Kindern sehr gerne genommen wird u 

Waare zu Versuchszwecken steht den Herren Aerzten gratis- 
frauco zur Verfügung. 

R. Kufeke, Wien, I., Nibelungengasse 8. 



Analyse und fachmännische Berichte erhältlich in den Mineralwasser¬ 
bandlungen etc., oder auf Wunsch durch die Brunnpndirection und 
Eigenthümerin der Quellen: 

„Apenta“ Actien-Gesellschaft, Budapest. 

Gratisproben franco zur Verfügung der Herren Aerzte. 


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Wien, den 25. Mai 1902. 


Nr. 21. 


XLUi. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse" erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik 1 , letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lesikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse“ 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 

Medizinische 


Wiener 


Abonnementnpreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Militäräiztlicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
2 OK, halbj. 10 A, viertelj. 5 K. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk., halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8^; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein 
Sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien, I, Maximilianstr. 4. 


Presse. 


Begründet 1860. 


Redactlon: Telephon Nr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

-*Q*©.- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 
Administration: Telephon Nt.9104. 


INHALT: Originalien nnd klinische Vorlesungen. Aus der internen Abtheilung des Prim. Dr. Mager an der Landeskrankenanstalt in Brünn. Haemorrhagia 
cerebri bei Endocarditis. Von Dr. Josef Heller , Secundararzt. — Beitrag zur Frage der forcirten Ernährung abdominaltyphöser Kranker. Von 
Dr. M. A. Ladyschenski in Rostow am Don. — Die Behandlung der Frauenkrankheiten in Franzensbad. Von Dr. Lazar Nenadovicz in Franzensbad. — 
Referate. Ascoli (Pavia): Ueber den Mechanismus der Albuminurie durch Eiereiweiß. — Bettmann (Heidelberg): Ueber recidivirenden Herpes 
der männlichen Harnröhre. — A. Pick (Prag): Zur Lehre von den initialen Erscheinungen der Paranoia. — Max Rothmann (Berlin): Das Problem 
der Hemiplegie. — Herzen (Moskau): Ueber die Anwendung der regionären Anästhesie bei großen Operationen. — Frankenberger (Prag): Ueber 
Kehlkopfsklerom. — Eugen Warschauer : Ueber die bei der Cystoskopie zu verwendende Spülflüssigkeit. — Leonhard Blumer (Zürich): Beiträge 
zur Kenntniß der Urticaria pigmentosa. — W. v. Bechterew (St. Petersburg): Ueber den Augenreflex oder das Augenphänomen. — de Quervain 
(Chaux-de-Fonds) : Ueber partielle seitliche Rhiuoplastik. — Dreyer (Köln) : Die Verwendung der BROOKE’schen Pasta bei infectiösen nnd ent¬ 
zündlichen Hautaffectionen. — Pateli.iani Rosa (Bologna): Beitrag zur Bereitung einiger cultureller bakteriologischer Nährböden. — Kleine 
Mittheilnngen. Die Behandlung des Lupus mit Kalium hypermauganicum. — Ausnülzbarkeit des Eisens. — Alkoboltherapie des Puerperal¬ 
fiebers. — Bromocoll. — PnenmoniebehandluDg. — Die Magerkeit als ein cosmetischer Fehler. — Jodipininjectionen bei Aktinomykose. — 
Literarische Anzeigen. Die Therapie an den Berliner Universitätskliniken. Herausgegeben von Dr. Wilhelm Croner. — Klinische Vorlesungen 
über Kinderkrankheiten. Von Nil Filatow , o. Professor der Kinderheilkunde an der kaiserlichen Universität und Director des CnLUDow’schen 
Kinderspitales in Moskau. — Feuilleton. Römischer Brief. (Original-Corresp.) I. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. 20. Conyreß fiir 
innere Medicin. Gehalten zu Wiesbaden 15. — 18. April 1902. (Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) V. — 
Gesellschaft für innere Medicin in Wien. (Orig.-Ber.) — K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — Notizen. — Nene Literatur. — 
Eingehendst. — Offene Correspondenz der Red actio j^jjijiI Administration. — Aerzt^lghe Stellen. — Anzeigen. 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse“ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 


Aus der internen Abtheilung des JPrim. Dr. Mager 

an der JLandeskraukenanstalt in Brihni. 

Haemorrhagia cerebri bei Endocarditis. 

Von Dr. Josef Heller, Sesundararzt. 

Die Differentialdiagnose zwischen der Gehirnhäraorrhagie 
einerseits, der Thrombose und Embolie der Gehirnarterien 
andererseits bietet in manchen Fällen Schwierigkeiten, da nicht 
nur ein gewisser Symptomencomplex allen diesen Erkran¬ 
kungen gemeinsam ist, sondern auch Momente, welche nur 
für eine derselben zu sprechen scheinen, manchmal auch bei 
der anderen beobachtet werden können. Unter den besonders 
für die Embolie sprechenden Momenten führt Monakow in 
seiner Gehirnpathologie vor allem die Jugend der Patienten 
an, also jenes Alter, welches am meisten von den Infections- 
krankheiten heimgesucht wird, ferner als zweites endocardi- 
tische Processe, wie sie sich im Verlaufe der acuten Infections- 
krankheiten und des Gelenkrheumatismus häufig einstellen. Ge¬ 
rade der letzteren Entstehungsursache legt er besondere Be¬ 
deutung bei, gesteht aber auch selbst, daß dennoch diagno¬ 
stische Irrthümer nicht zu vermeiden sind, denn wie sich in 
einer von Kleiber verfaßten Zusammenstellung von 20 an 
der Züricher Klinik beobachteten Herzklappenaffectionen 
zeigte, war die cerebrale Hemiplegie nur in 8 Fällen die 
Folge einer Embolie, in den anderen jedoch einer frischen 
Hämorrhagie. Gerade diese Thatsache findet aber ihre Erklärung 
in den von Simonds veröffentlichten Befunden, welche uns die 
Art des Zusammenhanges der Gehirnhämorrhagie mit der 


acuten Endocarditis beleuchten, eine Thatsache, welche bisher 
noch viel zu wenig gewürdigt wurde und auf welche auch 
in keinem Lehrbuche hingewiesen ist. 

Schon im Jahre 1864 lenkten Charcot und Bouchard 
die Aufmerksamkeit auf die „miliaren Aneurysmen“ der 
Gehirnarterien als Ursache genuiner Gehirnblutungen. Die 
Miliaraneurysmen treten nach Charcot als Folge localer de- 
generativer Processe der Wand der kleineren Arterien in 
Form von circa ’/a—1 Mm. großen, zwiebelförmigen Ausbuch¬ 
tungen der Gefäßwand in allen Theilen de3 Gehirnes auf, am 
häufigsten jedoch im Sehhügel, Streifenhügel, den Hirnwin¬ 
dungen , dem Brückenarme und in den Pedunculis; in der¬ 
selben Reihenfolge der absteigenden Häufigkeit, in welcher 
nach Durand-Eardel die Hirnblutungen Vorkommen. Was die 
Art der Degeneration anbelangt, so soll es sich nach Charcot 
um einen eigenartigen Proceß handeln, der mit Atheromatose 
verbunden sein kann, mit letzterer aber direct nichts zu thun 
hat, und der sich hauptsächlich in einer Verfettung der Mus- 
cularis manife3tirt. Alle neueren Forscher, wie Roth. Arndt, 
Löwenthal und Malokow, legen jedoch das Hauptgewicht auf 
die Erkrankung der Media, welche körnig zerfällt und dann 
atrophisch wird, während Zenker, Birch-Hirschfeld und 
andere den Beginn des Processes in die Intima verlegen und 
als Hauptursache das Atherom beschuldigen. 

Unter den ätiologischen Momenten, welche eine vermin¬ 
derte Widerstandskraft der Gefäße herbeiführen, wie sie zum 
Zustandekommen eines miliaren Aeurysmas nothwendig ist, 
führen alle Autoren einestheils die habituelle Veranlagung 
an, wie Erblichkeit, Alter, den Habitus apoplecticus, unmä¬ 
ßige Lebensweise und Fettsucht, ferner Noxen, welche all- 
mälig die Arterienwand in einen krankhaften Zustand ver- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 21. 


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setzten, wie Alkohol, Blei, Syphilis und Gicht, endlich den 
gesteigerten Gefäßdruck, wie er sich als Folge von Herzhy¬ 
pertrophie und chronischen Nierenkrankheiten findet. Wie 
wir sehen, läßt sich die Endocarditis in keine dieser drei 
Gruppen eintheilen und wirklich tritt uns bei dieser ein neues, 
ganz anders geartetes ätiologisches Moment vor Augen. 

Im Jahre 1873 wies Ponfick darauf hin, daß sich bis¬ 
weilen bei recurrirender, verrucöser Endocarditis als Folge 
einer embolischen Verstopfung kleinerer Gefäße, im Gehirne, 
im Mesenterium und in parenchymatösen Organen Aneurysmen 
entwickeln können. Er erklärte dieses Vorkommen dadurch, 
daß kleine kalkhaltige Fragmente von den Herzklappen in 
die kleinen Arterien gelangen, sich dort an einer Stelle in 
die Wand bohren und so Gelegenheit schaffen für Bildung 
eines Aneurysmas. In anderen Fällen , wo kalkhaltige Em¬ 
boli nicht gefunden wurden, sollen auch weichere, an einer 
Gefäßbifurcation pendelnde Emboli allmälig zu Deeubitus- 
geschwüren der Arterienwand und so zur Bildung von Aneu¬ 
rysmen Veranlassung geben. Das Zustandekommen der Aneu¬ 
rysmen auf mechanischem Wege kann zwar für einen Theil 
der Fälle zutreffen; in der Mehrzahl jedoch scheint diese Er¬ 
klärung Ponfick’s nicht hinreichend, und brachte erst die im 
Jahre 1887 veröffentlichte Arbeit Eppinger’s eine vollständige 
Erklärung der Pathogenese der Aneurysmen. Dieser Autor wies 
nach, daß bei mykotischen Erkrankungen der Herzklappen mikro¬ 
kokkenhaltige Thromben in kleine Arterien gelangen können, 
dort an gabelförmigen Theilungsstellen stecken bleiben, 
locale Entzündung und endlich eine Zerstörung der Arterien¬ 
wand veranlassen können. Geht diese Zerstörung rasch vor 
sich, so kommt es zu Rupturen und Blutaustritten; verlauft 
sie langsamer, dann entsteht infolge Nachgeben der Wand 
ein Aneurysma. Diese nicht multipel auftretenden embolisch- 
mykotischen Aneurysmen zeigen eine vollständige Absetzung 
der Intima und Elastiea am Uebergange der normalen Ge¬ 
fäßwand in das Aneurysma, während die Media theilweise er¬ 
halten sein kann. In manchen Fällen geht auch diese zugrunde. 
Die Wand des Aneurysmas wird dann nur noch von der 
Adventitia gebildet. 

Diese Thatsachen finden nun ihre vollständige Bestäti¬ 
gung in den Befunden Simond’s , welcher einigemale direct 
die Aneurysmen und deren Entstehung auf bakterieller Grund¬ 
lage nachweisen , in anderen Fällen, wo ihm dieses nicht ge¬ 
lang, dennoch eine vorliegende recurrirende Endocarditis für 
die Hirnblutung veiantworlich machen konnte. 

Diesen Beobachtungen schließt sich nun ein Fall an, den 
wir an unserer Abtheilung zu beobachten die Gelegenheit 
hatten, welcher aber auch noch anderweitig besondere Be¬ 
achtung verdient. 

Das 14jährige Lehrmädchen J. P. wurde am 13. Juli v. J. 
in vollständig bewußtlosem Zustande auf unsere Abtheilung auf¬ 
genommen. Von den Eltern wurde angegeben, daß die Patientin 
schon einige Tage vorher Über Kopfschmerzen und Appetitlosigkeit 
geklagt hatte, daß diese Schmerzen am 12. Abends besonders stark 
wurden, lind die Kranke dann die Besinnung verlor. Patientin ist für 
ihr Alter groß, gracil gebaut, mäßig gut genährt. Temperatur 37‘9° C. 
Das Sensorium ist vollständig benommen, auf Anrufen , selbst auf 
stärkere Hautreize, wie Kneifen, tritt keine Reaction ein. An den 
Augen besteht beiderseits Ptosis und Strabismus divergens. Die 
Pupillen sind different, und zwar so, daß die rechte bedeutend 
gegen die linke verengt erscheint , beide sind reactionslos. Der 
Cornealreflex fehlt vollständig. Von Zeit zu Zeit tritt kurz dauern¬ 
der Trismus auf. Störungen an den anderen Hirnnerven sind nicht 
eroirbar. Die Halswirbelsäule ist nicht druckempfindlich, nach 
allen Seiten gut beweglich. Der Thorax entsprechend lang und 
der Ilerzspitzenstoß im 5. Intercostalraum in der Mammillarlinie, 
die Dämpfung reicht bis zum rechten Sternalrand, demnach verbreitert. 
Die Herzaction ist arythmisch, in kurzen Zwischenräumen sich än¬ 
dernd, Frequenz 90, dann wieder bedeutend vermindert. Ueber 
allen Ostien, am lautesten aber an der Spitze, ist ein langgezogenes 
Blasen hörbar. Der 2. Pulmonalton mäßig accentuirt. Das Abdomen 


eingezogen. Patellarreflexe gesteigert. An der Haut besteht Der- 
matographie. Der Harn wird ins Bett entleert. Im Katheterharn 
kein Eiweiß. 

Das Krankheitsbild war also ein keineswegs reines, und 
die Frage offenstehend, ob es sich um eine Meningitis, 
Embolie einer Gehirnarterie, eine Gehirnhämorrhagie oder end¬ 
lich um eine urämische oder septische Infection handle. 
Während Urämie oder Sepsis wegen Fehlens sämmtlicher An¬ 
haltspunkte ausgeschlossen werden konnten, erschien auch eine 
Embolie oder eine Gehirnhämorrhagie, da keine Herderschei¬ 
nungen, keine Hemiplegie vorhanden waren, al3 unwahr¬ 
scheinlich. Dagegen wiesen der Beginn der Erkrankung mit 
Kopfschmerzen, die Bewußtlosigkeit, die Veränderungen an 
den Augen und der Trismus auf eine Meningitis hin, und 
wir entschlossen uns, um diese Diagnose festzustellen, zu einer 
Lumbalpunktion. 

Diese wurde sofort in der Seitenlage unter starker Beugung 
der Wirbelsäule neben der Mittellinie zwischen dem 2. und 
3. Lendenwirbel ausgeführt, und die Nadel gelangte ohne stärkeren 
Widerstand in den Wirbelcanal. Es entleerten sich unter geringem 
Drucke circa 20 Ccm. einer trüben, diffus blutig gefärbten Flüssig¬ 
keit. Beim Stehenlassen bildete sich ein Bodensatz, während in der 
vullständig klar gewordenen röthlichen Flüssigkeit ein trübes, durch¬ 
scheinendes Häutchen entstand. Mikroskopisch untersucht, bestand 
das Sediment aus rothen Blutkörperchen und das Häutchen aus 
Leukocyten (Eiterkörperchen) und erwies sich letzteres als voll¬ 
ständig steril. 

Um Y 4 4 Uhr Nachmittags tritt Athmungslähmung ein. Das 
Herz schlägt noch kräftig; es wird künstliche Athmung eingeleitet; 
das Herz schlägt noch 3 Minuten weiter. Exitus letalis. 

Auffallend war vor Allem das Aussehen der Cerebro¬ 
spinalflüssigkeit, wie sie durch die Punction gewonnen wurde. 
Dieser an und für sich nicht so seltene Befund einer hämor¬ 
rhagisch gefärbten Spinalflüssigkeit findet sich einestheils bei 
einer Einstichsblutung vor, wenn die Nadel zu weit vordringt 
und in die dichten Venennetze geräth, welche die Dura mater 
des Rückenmarkes an ihrer vorderen Fläche umspinnen, oder 
wenn das Periost eines Wirbels geritzt wurde; er kann aber 
auch durch irgend eine im Cerebrospinalcanale selbst autoch- 
thon entstandene Blutung bedingt sein. Eine fast rein blutige 
Punctionsflüssigkeit läßt auf einen blutigen Inhalt des Dura- 
sackes schließen, also auf eine Hämatorrhachis oder eine Apo¬ 
plexie mit Durchbruch der Blutung in die Ventrikel (Für¬ 
bringer). Zur Unterscheidung von Einstichs- und präexistenten 
Blutungen werden verschiedene Merkmale angegeben, die 
aber nicht vollständig stichhaltig sind. Wenn die Stromata 
der Blutkörperchen und der Blutfarbstoff verändert sind, wenn 
letzterer in Lösung übergegangen ist, so wird man eine 
Einstichsblutung ausschließen können (Pfadndler). Die Blut¬ 
beimengung nur zu den ersten oder den letzten Tropfen spricht 
nach Lenhartz und Strauss für eine Einstichsblutung. In 
unserem Falle fand sich eine vollständig diffus tingirte Ce¬ 
rebrospinalflüssigkeit; die Punctionsnadel war, wie gesagt, 
nirgends auf einen Widerstand gestoßen und konnte demnach 
eine der früher erwähnten Verletzungen ausgeschlossen werden. 
Die Erklärung für dieses Verhalten brachte die Ne kr opsie, 
die Herr Prosector Prof. Dr. Hammer vorzunehmen die Güte 
hatte und deren Befund der folgende war: 

Der Körper für das angegebene Alter groß , von mittlerem 
Knochenbau und mäßigem Ernährungszustand. Allgemeine Decken 
blaß. Auf der Rückseite blaßviolette Todtenflecke. 

Die weichen Schädeldecken blaß, die Dura gespannt. 

In den Sinus durae matris durchwegs frische Gerinnsel. Ueber 
der Convexität der linken Großhirnhemisphäre hämorrhagische In¬ 
filtration der Meningen, auch an der Schädelbasis Hämorrhagien 
in den Meningen. In der linken Großhirnhemisphäre, den ganzen 
Scheitel und Hinterhauptslappen betreffend, ein frischer Blutungsherd, 
in dessen Nachbarschaft die Hirnsubstanz stark erweicht und gelb 
verfärbt erscheint. In den Hirnventrikeln, speciell im IV. Ventrikel 
frische Blutgerinnsel angesammelt. 


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981 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 21. 


982 


Die Schleimhaut der Halsorgane von gewöhnlichem Blutgehalte. 
In der Trachea und in den Bronchien reichlicher, schaumiger In¬ 
halt. Die Lungen frei, lufthaltig, von mittlerem Blutgehalte. Das 
Ilerz gewöhnlich groß. An der Vorhofsfläche der Mitralis, sowie 
am Rande der Klappen frische endocarditische Auflagerungen. 
Sonst das Endocardium zart und die Klappen schlußfähig. 

In der Bauchhöhle kein abnormer Inhalt. Die Leber 1400 Grm. 
schwer, mäßig blutreich. Die Milz etwas vergrößert, pulpareich. 
Die Nieren mäßig groß, die Kapsel nicht adhärent. Die Harnblase 
ausgedehnt, das Genitale normal. Der Uterus infantil. Magen und 
Darm mäßig ausgedehnt, die Schleimhaut nicht pathologisch ver¬ 
ändert. Pankreas blutreich. 

Die Quelle der Gehirnblutung konnte wegen der durch sie 
selbst bedingten hochgradigen Zertrümmerung der Hirnsubstanz 
nicht vorgefunden werden. 

Wenn wir nun unseren klinischen Befund mit dem Er¬ 
gebnisse der Section zusammenfassen, so ergibt sich: 

Ein 14 Jahre altes Mädchen erkrankt plötzlich unter 
starken Kopfschmerzen. Die sich schnell einstellende Bewußt¬ 
seinsstörung , sowie die anderen hauptsächlich ins Gewicht 
fallenden Symptome, die Lähmungen der Augenmuskelnerven, 
Pupillendifferenz und Strabismus, ferner der Trismus und 
die erhöhte Temperatur deuten auf eine Meningitis. Die zum 
Zwecke der Sicherstellung dieser Diagnose vorgenommene 
Lumbalpunction ergibt eine diffus - hämorrhagisch gefärbte 
Cerebrospinalflüssigkeit, und bei der Nekropsie findet sich 
neben einer frischen Endocarditis eine mächtige Blutung in 
das Gehirn, unter die Hirnhäute, in die Ventrikel und den 
Cerebrospinalcanal. 

In den von Simonds beschriebenen Fällen handelte es 
sich meist um Kinder oder jüngere Individuen, bei denen 
sonst keine Gefäßerkrankungen oder Nierenveränderungen ge¬ 
funden werden konnten und anamnestisch keine Anhaltspunkte 
für Alkoholismus, Lues oder eine Infectionskrankheit Vorlagen. 
Die Kranken gingen im Verlaufe einer verrucösen Endocarditis 
an Hirnblutung zugrunde. 

Auch der von uns klinisch beobachtete Fall zeigt nun gleich 
diesen, welch ein inniger Zusammenhang zwischen 
der Endocarditis und einerHirnblutung bestehen 
kann. In einer in solchen Fällen vorgenommenen 
Lumbalpunction, welche ja einen an und für sich ganz 
ungefährlichen Eingriff darstellt, und bei der üble Zufälle zu 
den größten Seltenheiten gehören, wird man bisweilen 
ein wichtiges, unterstützendes, diagnostisches 
Moment besitzen. Ein Befund, wie jener in unserem 
Falle, spricht für eine auf derBasis einer Endo¬ 
carditis aufgetretene Hirnblutung, die bis in 
die Ventrikel desGehirnes oder bis an die Ober¬ 
fläche desselben erfolgte. 

Der diagnostische Satz, daß bei Bestehen einer Herz- 
affection eintretende Gehirnerscheiuungen als Embolien auf¬ 
gefaßt werden müssen, erfährt nach den Beobachtungen von 
Kleiber, Simonds und der unserigen eine Einschränkung, in¬ 
dem diese Fälle zeigen, daß, abhängig von einer bestehenden 
Endocarditis, Blutungen in die Hirnsubstanz auftreten können. 


Beitrag zur Frage der forcirten Ernährung 
abdominaltyphöser Kranker. 

Von Dr. M. A. Ladyschenski in Rostow am Don. 

Die Frage der Ernährung fiebernder Kranker wird be¬ 
reits seit einer Reihe von Jahren sowohl in den ausländischen, 
wie auch in den einheimischen (russischen) medicinischen Zeit¬ 
schriften erörtert. Aber trotzdem wir jetzt über eine große 
Anzahl von klinischen und experimentellen Beobachtungen 
verfügen, hat sich in den Kreisen der praktischen Aerzte 
hinsichtlich der Ernährung abdominaltyphöser und anderer 
fiebernder Kranker noch fest die Ueberlieferung aus der guten 
alten Zeit erhalten. Auf keinem Gebiete der klinischen Me- 


diein hat der Schlendrian so festen Fuß gefaßt wie auf dem, 
welches das diätetische Verhalten unserer acutinfectiösen 
Kranken umfaßt. Auf die täglich und vielfach an uns von 
den Kranken selbst, bezw. von deren Angehörigen gerichteten 
Fragen: „Was soll ich essen?“ oder „was kann man den 
Kranken zu essen geben?“ haben wir stets die eine Antwort: 
„Bouillon, Milch“, höchstens gestatten wir dazu noch weiches 
Ei. Wenn wir die Lehrbücher unserer hervorragenden Klini- 
cisten und Pädiater oder die speciellen therapeutischen Werke, 
die diesen Gegenstand behandeln, zu Rathe ziehen, so finden 
wir folgendes: „So lange Fieber besteht, ist nur flüssige 
Nahrung gestattet: Milch, Fleisch, Suppe, Abkochungen von 
Gersten und Graupen, weiches Ei, Wein, Bier, Milchkaffee 
u. s. w. Hat das Fieber aufgehört, so kehre man allmälig zu 
festeren Speisen zurück; man fange vielleicht mit einigen 
Eßlöffeln eines feinen Griesbreies oder Kartoffelbreies an, 
schiebe dann Taube, welche man vollkommen zerkocht und 
alsdann durch ein Tuch gedrückt hat, oder zartes Beefsteak 
ein und gehe später zu geschabtem rohem Fleisch, Schinken, 
Wurst etc. über.“ So nährte seine abdominaltyphösen Kranken 
Eichhorst. Q Etwas milder verfuhr Strümpell 2 ), der außer 
flüssiger Nahrung, falls der Kranke danach stark verlangte, 
geweichtes Brot oder Zwieback gestattete; bei drohendem 
Kräfteverfall gestattete er trotz bestehenden Fiebers auch 
geschabtes rohes Fleisch. Bei chronischen Formen des Abdo¬ 
minaltyphus sorgt Strümpell für eine bessere Ernährung 
der Kranken. Trotzdem warnt er vor zu großer Freigebig¬ 
keit in der Diät, selbst in der Reconvalescenz, und erlaubt 
festere Fleischnahrung erst 1—l J / 2 Wochen nach dem Normal¬ 
werden der Temperatur, um, wie er sagt, unangenehmen 
Folgen vorzubeugen. Unger a ) schließt für die ganze Fieber¬ 
periode der Krankheit und mindestens noch für 8 weitere 
Tage jede feste Nahrung aus und kehrt zu derselben dann 
allmälig und mit großen Vorsichtsmaßregeln zurück. Für¬ 
bringer 4 ) fordert in seinem, im neuesten von Liebreich her¬ 
ausgegebenen therapeutischen Lexikon erschienenen Aufsatz 
über Abdominaltyphus zur strengsten Vorsicht hinsichtlich 
der Diät der Abdominal typhösen auf. E 3 versteht sich von 
selbst, sagt er, daß die Ernährung des typhösen Kranken 
eine kräftigende sein muß; jedoch muß die Nahrung eine 
flüssige sein. Dies erfordert weniger die Perforationsgefahr, 
als der Umstand, daß sich der Magen gegen feste Nahrung 
sträubt und aut* solche mit Steigen der Temperaturcurve 
reagirt. Breiartige Nahrung, wie geschabtes Fleisch, geweichtes 
Brot oder geweichter Zwieback sind nicht unbedingt ver¬ 
boten, namentlich in Fällen, in denen trotz Verschwindens 
der Darmerscheinungen die Temperatur keine Neigung zu 
dauernder Abnahme zeigt. Unter solchen Umständen gestattet 
Fürbringer selbst Fleisch und Braten; er empfiehlt jedoch, 
sofort zu flüssiger Nahrung zurückzukehren, sobald unange¬ 
nehme Erscheinungen in Form bedrohlicher Temperaturstei¬ 
gerung auftreten. Auch dieser Autor betont die Nothwen- 
digkeit besonderer diätetischer Vorsicht im Stadium der 
Reconvalescenz und räth, erst 8 Tage nach dem Normal¬ 
werden der Temperatur langsam und sehr vorsichtig zu der 
gewöhnlichen Nahrung überzugehen. 

Ich verzichte auf eine eingehende Wiedergabe der An¬ 
sichten der französischen Klinicisten, die in der Frage der 
Ernährung Abdominal typhöser noch größere Vorsicht an den 
Tag legen, wie z. B. Chantemesse , Bouchard oder Merklin, 
die ihre typhösen Kranken fast hungern lassen, oder Le 
Gendre, der in der Fieberperiode selbst die Milch verbietet 
in der Befürchtung, daß durch dieselbe im Darm Gährung 

*) Eichhorst, Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie, 1884, 

Bd. II. 

*) Strümpell, Lehrbuch der speciellen Pathologie und Therapie der 
inneren Krankheiten, 1883, Bd. I. 

3 ) Unger, Lehrbuch der Kinderkrankheiten, 1890. 

4 ) Fürbringer, Artikel „Abdominaltyphus“ in der Encyclop'ädie für 
Therapie von 0. Liebreich, Bd. I, II. 1, Berlin 1895. 


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mit allen ihren Folgen, wie Blähung, Koliken etc., hervor¬ 
gerufen werden könnte. Ebenso knapp nährt seine typhösen 
Kranken Dieulafoy. 5 ) Die Diät, welche Filatow 6 ) in solchen 
Fällen verordnet, gleicht im Großen und Ganzen der Unger’s. 

So lauten die diätetischen Vorschriften, welche heutzu¬ 
tage in den meisten der unserigen und der ausländischen 
Kliniken, in den Hauptstädten sowohl wie auch in der Pro¬ 
vinz herrschen und auch in der Privatpraxis eines jeden prak¬ 
tischen Arztes bestehen. Dieses Vorurtheil, sagt Buschuew 7 ) 
in seinem sehr eingehenden und interessanten Aufsatze, läßt 
sich durch nichts anderes erklären, als nur durch die einge¬ 
wurzelte Gewöhnung an die alte Ueberlieferung und durch 
den Respect vor den Laboratoriumsschlüssen. Viel Unheil 
stiftet auch jetzt noch, sagt derselbe Autor, die Selbstver¬ 
zehrung (Autophagismus) der Kranken infolge mangelhafter 
Ernährung. 

Wir wollen nun die wissenschaftlichen Thatsachen, 
welche diesem so tief wurzelnden Ernährungssystem bei acut 
fiebernden Kranken zugrunde liegen, einer näheren Be¬ 
trachtung unterziehen. Einerseits werden functioneile Störung 
der Thätigkeit des Drüsenapparates des Magendarmcanals und 
pathologische Veränderungen des Darmcanals (Geschwüre, 
katarrhalische Entzündung etc.) ins Feld geführt; anderer¬ 
seits die Lehre von dem Stickstoff-Stoffwechsel, der sich bei 
Vorherrschen von Eiweißkörpern und Fetten in der Nahrung 
steigern und umgekehrt bei pflanzlicher Nahrung verringern 
und somit die Eiweißkörper und Fette des Körpers vor Ver¬ 
brauch bewahren soll. Indem Buschuew diese zwei Thesen 
kritisch beleuchtet, sagt er, daß die allgemein geltende An¬ 
nahme einer Schwächung der Function der Verdauungsorgane 
bei Fiebernden nach den Arbeiten von Pawlow und seiner 
Schüler auf unbedingte Zuverlässigkeit keinen Anspruch mehr 
erheben kann. Bis zum Erscheinen dieser Arbeiten wurde 
nämlich ein für die secretorische Thätigkeit des Drüsen¬ 
systems des Magendarmcanals so wichtiger Factor wie der 
Einfluß der Psyche ignorirt. Auf Grund eingehenden Studiums 
der Experimente und Beobachtungen der verschiedenen Autoren 
(Mosler, Jawein, Pawlow und Schumowa-Simanowskaja) hin¬ 
sichtlich des Secrets der Speicheldrüsen und seiner Gährungs- 
fähigkeit gelangt Buschuew zu dem Schlüsse, daß von Seiten 
der Speichelsecretion Contraindicationen gegen Verabreichung 
von fester Nahrung sowohl bei fiebernden Kranken überhaupt, 
wie speciell bei Abdominaltyphösen nicht vorliegen, umso¬ 
mehr, als die Veränderungen der Speicheldrüsen beim Hungern, 
wie Stankewicz erwiesen hat, stets an diejenigen erinnern, 
die Hoffmann bei Abdominaltyphus beobachtet hat. Unter 
Zugrundelegung der Arbeiten von Pavy, Hoppe-Seyler, W. A. 
Manassein, Botkin u. A. gelangt B. ferner zu dem Schlüsse, 
daß die fermentative Thätigkeit des Magensaftes bei Fieber 
in manchen Fällen zwar nachläßt, jedoch niemals vollständig 
aufhört und unter gewissen Umständen leicht zur Norm zu¬ 
rückgebracht werden kann. Was die motorische Fähigkeit 
des Magens betrifft, so ist sie bei Fieber selbstverständlich 
herabgesetzt. Jedoch kann man die bei schweren fieberhaften 
Infectionskrankheiten auftretende fettige Degeneration der 
Muskelelemente des Magens zum Theil auf Rechnung des 
Hungerns und der aufgezwungenen Unthätigkeit setzen. Im 
Allgemeinen werden ernste pathologisch-anatomische Verän¬ 
derungen des Magens bei Typhus sehr selten angetroffen 
und falls solche bestehen , so wird es kaum Jemandem ge¬ 
lingen, den eo ipso vorhandenen Widerwillen der Kranken 
gegen jegliche Nahrung zu überwinden. Schließlich gelangte 
Buschuew auf Grund des Studiums der von verschiedenen 
Autoren an verschiedenen fiebernden Kranken vorgenommenen 
Experimenten und Beobachtungen über die secretorische Fähig¬ 


6 ) Dieulafoy, Mannei de Pathologie interne, Bd. II, Paris 1888. 

6 ) N. Filatow, Semiotik und Diagnostik der Kinderkrankheiten, Moskau 

1885. 

7 ) Buschuew, Beitrag zur Frage der Ernährung Typhöser, Wratsch, 1898, 

Nr. 27, 29, 31. 


keit der großen in der Bauchhöhle liegenden Drüsenorgane, 
die in der Darmverdauung die Hauptrolle spielen, nämlich der 
Leber und des Pankreas, zu dem Schlüsse, daß die Thätig¬ 
keit dieser Organe bei Fieber sowohl gesteigert, wie auch her¬ 
abgesetzt sein kann, und daß eine eventuelle Aufhebung der 
Secretion keineswegs einem Verlust der Fähigkeit, das be¬ 
treffende Verdauungsferment zu produciren, gleich ist. Es 
dürfte infolgedessen, sagt Buschuew , kaum gerechtfertigt 
sein, wenn wir den Fiebernden eine nahrhafte und feste Nah¬ 
rung verweigern, es durch geschwächte Thätigkeit der Ver¬ 
dauungsorgane zu motiviren. Bezüglich der von den Anhängern 
des Hungersystems aufgestellten These, daß bei Fiebernden 
Eiweißkörper und Fette schlecht verdaut werden und der 
Stickstoff-Stoffwechsel gesteigert wird, führt Buschuew den 
Beweis, daß dieselbe keine sichere Grundlage habe. Er citirt 
die Arbeit Baftalowski’s 8 ), der an sich selbst, wie auch an 
verschiedenen intelligenten, in jeder Beziehung zuverlässigen 
Personen Experimente angestellt und sich dabei überzeugt 
hat, daß die Assimilation bei animalischer Nahrung, d. h. bei 
Vorherrschen von Eiweißsubstanzen in derselben, am besten 
(95'3%) vor sich geht. Bei gemischter Nahrung ist die Assi¬ 
milation etwas geringer (92 - 4%), noch geringer bei ver¬ 
schiedenartiger pflanzlicher Nahrung (42'5°/ 0 ). Der Stickstoff- 
Stoffwechsel betrug 108'6% bei animalischer Nahrung, 90 6% 
bei gemischter und 87 ‘ 5°/ 0 bei verschiedenartiger pflanzlicher 
Nahrung. Bei einförmiger pflanzlicher Nahrung erwies sich 
der Stickstoff-Stoffwechsel als ganz enorm gesteigert, bis zu 
300%. Dasselbe Resultat erhielt Sasjetzki bei seinen an fie¬ 
bernden Personen an gestellten Beobachtungen; auch bei diesen 
ist die Assimilation keineswegs geringer als bei Gesunden. 
Die Angaben Sasjetzki’s wurden später von Hosslin be¬ 
stätigt , dem es gleichzeitig festzustellen gelungen ist, daß 
reichliche Ernährung das Fieber weder steigert, noch ver¬ 
längert. Daß Fette bei abdominaltyphösen Kindern und Er¬ 
wachsenen gut a3similirt werden, fand ^uch Tscbebnow, der 
folgende rein paradoxe Erscheinung bemerkt hat; die Assi¬ 
milation fand bei Abdominaltyphus sogar in größeren Dimen¬ 
sionen statt, als bei denselben Personen im gesunden Zustande, 
und diese Differenz war um so auffallender, je schwerer die 
Krankheitsform war. 

Die neue Richtung in der Ernährung Abdominaltyphöser, 
welche durch die Arbeiten von Tschudnowski , Manassein, 
Sasjetzky u. A. gelegt wurde, fand weitere Entwickelung 
in den Arbeiten ihrer Schüler (Puritz, Kissel, Judelewitsch, 
Buschuew), welche augefangen haben, ihren abdominaltyphösen 
Kranken reichlichere und häufigere Portionen gemischter 
Nahrung zu verabreichen. Die von diesen Beobachtern er¬ 
haltenen klinischen Resultate sind dermaßen lehrreich, daß 
man sich unwillkürlich fragen muß, ob wir uns an unse¬ 
ren fiebernden Kranken nicht versündigen, wenn 
wir sie mehrere Wochen lang mit mangelhafter 
flüssiger Nahrung tracti re n; ob nicht der schwere 
„typhöse“ Zustand unserer Kranken einfach das 
Resultat ihres chronischen Hungerns ist, und ob 
nicht schließlich ihreDelirien einfach Delirien 
eines Hungernden sind. Man muß sich wirklich fragen, 
ob der „typhöse“ Zustand durch die von den Typhusbacillen 
producirten Toxine oder durch die Gifte, welche sich im 
Darmcanal beim Hungern bilden, herbeigeführt wird. Buschuew 
behauptet, daß das Bild der Vergiftung beim Abdominal- 
typhösen um so mehr an dasjenige bei vollständigem Hungern 
gesunder Menschen und Thiere erinnert, je mangelhafter der 
Typhöse ernährt wird. Ferner behauptet er, daß sämmtliche 
„typhöse“ Erscheinungen selbst in sehr schweren Fällen rasch 
abnehmen oder sogar vollständig verschwinden, sobald man 
beginnt, den Kranken, der früher gehungert hat, genügend 
zu ernähren. 

8 ) Baftalowski, Ueber den Einfluß verschiedenartiger Nahrung auf 
Quantität und Qualität der Stickstoffmetamorphose beim Menschen. Peters¬ 
burger Dissertation, 1887. 


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Auch die pathologisch-anatomische Veränderung (fettige 
Degeneration der Muskelelemente der verschiedenen Organe, 
der Leber, der Nieren und der Milz) sind beim Hungern und 
beim Typhus fast identisch. Und trotzdem. sagt Buschuew, 
verharren wir in unserer unbegründeten Furcht vor fester 
und compacter Nahrung bei der Behandlung abdominaltyphöser 
Kranker. Die Furcht, daß feste Nahrung Darmblutungen lier- 
vorrufen könnte, ist unbegründet, weil die Veränderungen im 
Darm sich nicht auf einmal, sondern nur allmälig entwickeln. 
Außerdem sind die afficirten Darmpartien vom Magen so 
entfernt, daß selbst die unverdaulichste Nahrung in den Darm 
in einem so veränderten Zustande gelangt, daß von einer 
mechanischen Verletzung der Darmwandungen nicht die Rede 
sein kann. 

Ohne auf das reiche statistische Material, welches Bu¬ 
schuew in der Literatur gesammelt hat, einzugehen, will ich 
nur mit einigen Worten das klinische Bild schillern, welches 
reichlich ernährte Typhöse darbieten. Ihr subjeotives Befinden 
ist besser, als bei ausschließlicher flüssiger Ernährung. Selbst 
bei einem Fieber von 40° sind sie imstande, sich im Bette 
aufzurichten und selbst (ohne Hilfe) zu essen. Der Kranke, 
der noch vor kurzem den sogenannten „typhösen Zustand“ 
zeigte, verliert denselben rasch, sobald er angefangen hat, 
reichlichere Nahrung zu sich zu nehmen. Der Appetit bleibt 
gewöhnlich bis zum Ende der Krankheit erhalten. 

Von der Zunge und den Zähnen verschwindet die ekel¬ 
hafte Fuligo, welche so häufig zu Parotitis und anderen Com- 
plicationen führt. Das Kau- und Schluckvermögen sind nicht 
erschwert. Der Magendarmcanal zeigt keine Blähung und 
functionirt befriedigend, Durchfälle sind selten, bisweilen 
bestehen sogar Obstipationen und der Stuhl nimmt rasch fast 
normale Farbe und normale Consistenz an. Darmblutungen 
sind bei fester Nahrung nicht häufiger als bei flüssiger. Das¬ 
selbe kann man auch bezüglich der Perforation, der Recidivc 
und' der diffusen Peritonitis sagen. Parotitiden und Otitiden 
werden seltener beobachtet, Decubitus überhaupt nicht. Der 
Verlust des Körpergewichts und allgemeine Schwäche sind 
bei reichlicher und gemischter Nahrung nicht so groß wie 
bei mangelhafter flüssiger Nahrung. 

Nach Buschuew ist für den Typhösen diejenige Nahrung 
die beste, welche ihm am besten schmeckt. Am Schlüsse sagte 
dieser Autor: „Wer nur einmal den Versuch machen 
würde, seine Typhösen reichlich zu ernähren, 
der würde es niemals bereuen und niemals die¬ 
jenigen schweren Typhusformen erleben, die bei 
mangelhafter Ernährung beobachtet werden.“ 

(Schluß folgt.) 

Die Behandlung der Frauenkrankheiten in 
Franzensbad. 

Von Dr. Laz&r Nenadovicz in Franzensbad. 

(Schluß.) 

Bevor ich zur weiteren Entwickelung meines Gedanken¬ 
ganges schreite, erlauben Sie, daß ich Sie mit meinen Wahr¬ 
nehmungen in Franzensbad bekannt mache. Ich nahm 20 Moor¬ 
bäder, was einen vollen Curs ausmacht. Aus der Tabelle 
meiner Beobachtungen führe ich folgende Daten an: 

1. Bei der Differenz zwischen Temperatur des Rectums 
und der Temperatur des Moorbades von + 1'984° C. bis zu 
— 12'2204° C. (wo das + bedeutet, daß die Temperatur des 
Bades höher war als die Temperatur des Rectums) fiel die 
Temperatur des Rectums maximum auf 0 224° C., minimum 
auf 0'028° C. Dabei bestand kein Verhältniß zwischen obiger 
Differenz und dem Grade der Herabsetzung der Temperatur 
des Rectums. 

2. Bei der Differenz zwischen der Temperatur des Rectums 
nach dem Moorbade und der Temperatur des Reinigungsbades 


von — 2*81 0 C. bis zu — 7-28° C. fiel die Temperatur des 
Rectums maximum auf 0'448, minimum auf O028 0 C. Auch 
hier beobachtete ich kein gleichmäßiges Verhältniß. Die 
Wirkung der Begießung zwischen den zwei Bädern beobachtete 
ich nicht. 

3. Nach der gewöhnlichen Seance blieb die Temperatur 
Axillae 3mal unverändert, 5mal fiel sie und lOmal ist sie 
höher gewesen als vor den Bädern. 

4. Die Differenz zwischen den Temperaturen Recti et 
Axillae war nach der Seance kleiner als vor den Bädern. 

5. Die Temperatur Recti blieb in allen Fällen bei 15 Min. 
Verbleiben im Moorbade auf derselben Höhe, welche sie während 
der ersten 5 Min. erreicht hatte. 

6. Die Pulszahl wurde im Moorbade kleiner bis zu der 
Temperatur von 38'2°C.; von 39 3° C. an wurde sie größer. 
Im Reinigungsbade wurde der Puls auch beschleunigter, 
näherte sich der Norm, jedoch erreichte er auch nach der 
Seance die Zahl nicht, die er vor den Bädern auf wies. Eine 
Gleichmäßigkeit wurde auch hier nicht beobachtet. 

7. Es besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen 
den als „geprüft“ gekauften Thermometern und dem normalen 
Thermometer Celsius, mit welchem ich meine Thermometer 
nachher überprüfte. Die oben angeführten Ziffern beziehen 
sich alle auf das normale Thermometer Celsius. 

Aus meinen Beobachtungen erlaube ich mir nun folgende 
Schlußfolgerungen zu ziehen: 1. Für mich fand ich keine 
indifferente Temperatur. Allerdings ist der Unterschied zwischen 
der Wirkung der differenten und der indifferenten Bäder nur 
ein quantitativer. In solchem Falle aber, wo ist die Grenze 
der Veränderungen, welche man in der Therapie für nützlich 
oder für belanglos erklären soll? 2. Unter der Einwirkung 
der Moorbehandlung in Franzensbad (Moorbad, Abgießung, 
Mineralbad, Abtrocknen) fällt die innere Körpertemperatur 
maximum auf 0\588° C., minimum auf 0112° C. 

Ich lasse mich in die Erörterung meiner Beobachtungen 
nicht ein, weil ich den Fehler anderer Forscher nicht begehen 
will, zumal wir über genügende D iten zur Erörterung 
der Wirkung des Moorbades noch nicht verfügen. Ich kann 
jedoch erwähnen, daß die Veränderung der Temperatur in 
meinen Beobachtungen allerdings auf die Thätigkeit der 
Vasomotoren zurückzuführen ist. Die im 5. Punkte angeführte 
Beobachtung steht in der Literatur vereinzelt da. Einen 
besseren Beweis für die Beständigkeit der Temperaturein¬ 
wirkung des Moorbades hat selbst Jakob nicht geliefert, 
welcher seine ganze Theorie auf dem Bestehen einer Schichte 
von ständiger Temperatur um den Körper des Badenden 
basirt hatte. 

Es wird mir nach dem Gesagten nicht schwer fallen, 
unter den Curorten mit Moor- und Schlammbehandlung den 
Platz für Franzensbad zu bestimmen. Es ist Ihnen wohl 
bekannt, daß man in Lehrbüchern der Balneologie und in 
Leitfaden zur Moor- und Schlammbehandlung verschiedene 
Applicationsarten von Moor (Schlamm) beschreibt und deren 
physiologische und therapeutische Wirkung bespricht. Man 
findet jedoch in denselben nichts Umfassendes, es wird nirgends 
auf das Princip, nach welchem diese verschiedenen Applications¬ 
arten wirken, hingewiesen. Man bekommt den Eindruck, als 
stelle jede dieser Arten etwas Besonderes, allein Dastehendes 
dar, was mit den anderen Arten in keiner Verbindung stehe. 
Deswegen will ich mich mit dieser Frage etwas eingehender 
befassen. Zu allererst erkläre ich, daß es meiner Ansicht nach 
nur zweierlei Moor- und Schlammbehandlungsweisen (nicht 
Applicationsarten!) gibt: die Methode ohne Schwitzen und 
die Methode mit Schwitzen. In Franzensbad wird die erste 
Methode gebraucht. Um die Frage zu beantworten, welches 
das Princip ist, nach welchem diese beiden Methoden wirken, 
nehme ich als Beispiel ein parametritisches Exsudat, welches 
wir resorbirend beeinflussen sollen, an. Was ist dazu nöthig? 
Den Weisungen der allgemeinen Pathologie gemäß muß unsere 
Aufgabe darin bestehen, den ganzen Organismus zu kräftigen, 

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was beide Moor- und Scblammbehandlungsweisen durch die 
Steigerung des Stoffwechsels und durch die Verbesserung der 
Blutbeschaffenheit zu erzielen suchen. In Franzensbad werden 
diese beiden Effecte durch mit Trinkcnr combinirte Moorbe¬ 
handlung erzielt; in den Curorten Siidrußlands, z. B. wo 
die Methode mit Schwitzen üblich ist, schreibt man diese 
Effecte der Wirkung der Wärme zu. Weiters liegt unsere 
Aufgabe in der Verbesserung der Blut- und Lymphcirculation 
im Allgemeinen und speciell in der Hervorrufung einer 
arteriellen Fluxion zu dem Entzündungsherde. In Franzensbad 
wird dieser Effect durch die Wirkung der Bäder und der 
getrunkenen Mineralwässer erreicht, wobei besonderes Augen¬ 
merk dem Drucke der Moormasse und der adstringirenden 
Wirkung des Schwefelvitriols und der Schwefelsäure zuzu¬ 
wenden ist (Loimann, Loebel, Makawejew). In den Curorten 
Südrußlands wird dieser Effect ebenfalls theils durch den 
Druck der Schlammmasse, theils durch „die unter der Ein¬ 
wirkung hoher Wäime gesteigerte Energie und Thätigkeit 
des Herzens“ erreicht. Daß bei Franzensbader Moorbehandlung 
wirklich eine arterielle Fluxion zu den Organen des kleinen 
Beckens zustande kommt, steht außer jedem Zweifel. Wir 
bemerken am Anfänge der Moorbehandlung in Franzensbad 
einen reichlicheren Ausfluß aus den Geschlechtsteilen, eine 
Hypersecretion. Dr. Klein, der 20 Jahre hindurch eine große 
Praxis in Franzensbad hatte, schreibt: „Unvorsichtiger 
Gebrauch der Bäder kann jedoch zu einem Ueberschreiten 
dieser Reaction, zu wirklichen, entzündlichen Nachschüben 
führen.“ Ob bei der Methode mit Schwitzen eine Fluxion zu 
den Kleinbeckenorganen (ein „Acutwerden der Entzündung“) 
zustande kommt, ist durch Niemanden bewiesen worden, 
aber auch wenig wahrscheinlich. Bei dieser Behandlungsweise 
ist die Haut infolge Lähmung der Capillaren mit Blut über¬ 
füllt , woher sollte man also noch Blut nehmen zur Fluxion 
in den inneren Organen? Hier sind die Vasomotoren 2—3 Stunden 
lang ausgeschaltet, und unter solchen Umständen ist eine 
secundäre Reaction , wenn sie auch eintritt, lahm und unbe¬ 
deutend (Winternitz). 

Für die weitere Beurtheilung, wie die eine und die 
andere Methode der Moor- und Schlammbehandlnng wirkt, 
müssen wir noch den Resorptionsproceß näher kennen lernen. 
In dieser Beziehung lehrt uns die allgemeine Pathologie und 
die Physiologie, daß es unsere Aufgabe ist, den Blutdruck 
zu steigern und die Blutcirculation zu beschleunigen, wodurch 
an und für sich auch die Lymphcirculation beschleunigt 
wird (es gibt zwar Verfasser, welche diese vis a tergo nicht 
anerkennen). Wir können die Lymphcirculation durch das 
Spiel der Vasomotoren (Steigerung des Blutdruckes), durch 
die Vergrößerung des Druckes in den Geweben (durch Massage) 
und durch die Verminderung des Druckes im Lymphgefäß- 
System beeinflussen. Bei der Methode ohne Schwitzen wird 
diese Beeinflussung durch die bereits vielmals erwähnte Art 
und Weise bewerkstelligt. Bei der Methode mit Schwitzen 
geschieht diese Beeinflussung ebenfalls durch den Druck der 
Masse, hauptsächlich aber durch das Schwitzen, d. h. durch 
die durchs Schwitzen bewirkte Herabsetzung des Druckes in 
den Lymphgefäßen. Ich muß jedoch betonen, daß dieser Vor¬ 
gang auch bei der Franzensbader Cur existirt, nur daß hier 
das Schwitzen durch die Perspiratio insensibilis und durch 
die vergrößerte Harnabsonderung ersetzt ist, welch beide Er¬ 
scheinungen durch die Bäder und die Trinkcur hervorgerufen 
werden. Die Resorption im Körper ist allerdings ein com- 
plicirterer Proceß als die Einsaugung des Wassers durch 
einen Schwamm; die Resorption ist nicht eine einfache Filtration, 
hier spielen die Hauptrolle die Diffusion und die Osmose. 
Alle diese Erscheinungen geschehen nach gewissen Gesetzen, 
w-elche wir uns auch vor Augen halten müssen. 

Durch die Einsicht in die Gesetze der Filtration, der 
Diffusion und der Osmose überzeugen wir uns, daß der Zustand 
der Membran, in unserem Falle also der Zustand der Capillaren 
und der Lymphgefäße, von Belang ist, daß eine Bedeutung 


der Concentration der Lösung, in unserem Falle also der 
Eindickung oder der Verdünnung des Exsudats und schließlich 
der Temperatur zukommt. Es ist klar, daß für die Säfte- 
circulation das Spiel der Vasomotoren,' die Veränderung des 
osmotischen Druckes und schließlich auch der Temperatur 
erforderlich ist. Bei der Methode der Moorbehandlung ohne 
Schwitzen kommen hauptsächlich die ersten zwei Momente, 
bei der Methode mit Schwitzen die letzten zwei Momente 
zur Geltung. Aus alledem, was wir angeführt haben , geht 
hervor, daß das Wesen der Sache eben in dieser Ver¬ 
änderung liegt. Das ist auch das Princip der Wirkungs¬ 
weise beider Methoden. Die Physiologie gibt dieser Veränderung 
verschiedene Namen: + Stoffwechsel, ± Blutfülle, ± Blut¬ 
druck , ± Diurese, ± Schwitzen u. s. w. Die Physik wird 
alle diese Erscheinungen das Princip der Form Veränderung 
der Energie und die Chemie ± chemische Spannung nennen. 

Somit lautet mein zweiter verallgemeinernder Satz: 
Sowohl die Methode der Moorbehandlung mit Schwitzen , als 
auch die Methode ohne Schwitzen wirken nach einem und 
demselben Princip der wel 1 enar tige n Beeinflus su ng 
der physiologischen Processe im Organismus. 
Aus diesem Satze erscheint es selbstverständlich, daß ich 
alle Formen der Moorapplication für wirkungsvoll in einer 
und derselben Richtung, aber in verschiedenem Grade halte. 
Ja, nach demselben Princip wirken auch alle anderen hydria- 
tischen Proceduren, welche folglich, was unsere Aufgabe an¬ 
belangt, auch für wirkungsvoll zu erklären sind. Sie wissen 
ja, daß Winternitz annimrat, auch ohne Moorbehandlung auf 
ein beliebiges Exsudat resorbirend einzuwirken; gleichfalls 
ist Ihnen auch der allgemeine Gebrauch verschiedener Formen 
der vaginalen Douche bekannt. Allerdings stellt die Moorbe¬ 
handlung den stärksten Grad der Wirkung dar. 

Ich soll noch entscheiden, welchederzweiMoorbehandlungs- 
raethoden die stärkere ist. Dies läßt sich jedenfalls- nicht 
mathematisch genau beurteilen; Es f steht jedoch ailßer 
Zweifel, daß die Methode mit Schwitzen infolge von Ueber- 
hitzung des Körpers den Stoffwechsel mehr steigert als die 
Methode ohne Schwitzen. 

Ebenfalls läßt die bedeutende verbessernde Beeinflussung 
der Filtration, der Diffusion und der Osmose durch die 
Temperaturerhöhung vermuthen, daß bei dieser Methode auch 
die Resorption energischer vor sich gehe. Was die Verbesserung 
der Blutbeschaffenheit durch die Ueberhitzung des Körpers 
anbelangt, werde ich später meine Meinung äußern; hier be¬ 
tone ich nur, daß die eisenhältigen Mineralwässer zweifels¬ 
ohne bessere Resultate geben. 

Wenn wir die klinischen Beobachtungen zu Rathe ziehen, 
finden wir Folgendes: Prof. Kleinwächter schreibt: „Aber 
selbst bei solchen Exsudaten, die bei längerer häuslicher Be¬ 
handlung keine Tendenz zur Resorption zeigen, ist ein Versuch, 
ob nicht auf dem Wege einer Franzensbader Cur die Auf¬ 
saugung doch noch vor sich gehen könnte, unbedingt ange¬ 
zeigt, da gerade in solchen Fällen die Resultate ganz uner¬ 
wartet sind.“ „Ich für meinen Theil muß mich dahin aus- 
drücken, daß ich mit den Erfolgen bei den Kranken, die ich 
nach Franzensbad sandte, stets sehr zufrieden war.“ Makawejew 
gibt für Staraja Russa, wo ebenfalls die Moorbehandlung 
ohne Schwitzen üblich ist, folgende Zahlen an: „Vollkommene 
Genesung bei Frauenkrankheiten 63'6% > Besserung 27 - 2%, 
ohne Aenderung 9% , wobei auf eine Kranke zur Genesung 
3 Saisons entfielen.“ Ueber die Methode mit Schwitzen gibt uns 
Parüschev gewisse Anhaltspunkte: „Vollkommene Resorption 
der Adnextumoren trat mehr als in 50%, volles Verschwinden 
der Symptome der Endometritis in etwas unter 75% ein.“ 
Wir müssen jedoch beachten, daß er bei seinen Kranken neben 
den Schlammbädern von 30—34° R. und zu 30 Min. — 10—20 
an der Zahl — auch noch die intrauterinen Einspritzungen 
der Tinet. Jodi (im Sinne des Vorschlages von Prof. Grammatikati) 
vornahm. Noltschini macht die Bemerkung, daß „das Exsudat 
entweder durch die Eileiter und die Gebärmutter, oder durch 


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Nr. 21. 


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die Scheide und das Rectum herausrann, nie aber in die 
Bauchhöhle durchbrach. Oft blieben die Exsudate auch nach 
der Behandlung noch zurück.“ Es ist augenscheinlich, daß 
diese Statistik keinesfalls eine bessere ist als die Statistik 
der Methode ohne Schwitzen. Mehr statistisches Material geben 
weder die einen noch die anderen. Uebrigens führe ich noch 
die Aeußerung Abel’s an: „In der therapeutischen Wirkung 
des Schlammes spielt nicht allein der Schweiß eine Rolle; 
solche Anschauung wird durch die gleichen Resultate be¬ 
kräftigt, welche man im Auslande durch die Moorbäder er¬ 
reicht , wo doch das Moor selten über 30° R. gegeben wird 
und das Schwitzen nicht üblich ist.“ Ihn können wir doch 
der Befangenheit nicht beschuldigen, da er seine Praxis in 
Odessa ausübt, wo man den Schlamm sehr heiß gibt. 

Bevor ich noch die Hauptfrage beantworte, welcher von 
den beiden Methoden der Moor- und Schlammbehandlung ge¬ 
gebenen Falls der Vorzug gebühre, muß ich noch Ihre Auf¬ 
merksamkeit auf die Wirkung solcher Wärme lenken, durch 
welche eine Ueberhitzung des Körpers hervorgerufen wird. 

Bei der experimentellen Hyperthermie findet man adi¬ 
pöse, granulöse und parenchymatöse Degeneration der Drüsen 
und Muskelzellen; die Mehrheit bringt das in Abhängigkeit 
mit hoher Temperatur (Podwisotzki), Troitzki stellt die bei 
seinen Thierversuchen gefundenen Veränderungen in den 
Nieren und in der Leber in Abhängigkeit von „dem Ueber- 
gange aus dem Darm und aus den Geweben in das durch 
starkes Schwitzen eingedickte Blut noch nicht assimilirter 
Stoffe und Producte der Disassimilation“. Daß unter der 
Wirkung schweißtreibender hydriatiseher Proceduren die 
Stoffwechselproducte, speciell der Harnstoff, im Körper zurück¬ 
gehalten werden, dafür haben wir in der Literatur klare 
Belege. Und daß ein so vergrößerter Harnstoffgehalt des 
Blutes nicht belanglos ist, wissen wir aus der neuesten Arbeit 
KokbpeJs., .welchep .bewiesen hat, daß sich die rothen Blut¬ 
zellen in Harnstofflösung zersetzen, weil der Harnstoff in sie 
diffundirt und den osmotischen Druck in denselben dermaßen 
vergrößert, daß sie ihre Grenzen (Form) nicht bewahren 
können. Predtetschenski und Tavorkowski haben eine Besse¬ 
rung des Procentgehaltes von Hämoglobin und eine Vergröße¬ 
rung der Blutzellenzahl unter der Wirkung der Schlamm - 
behandlung nach der Methode mit Schwitzen nachgewiesen. 
Sie erklären diese Erscheinung dadurch, daß die Wärme die 
physiologische Erneuerung des Blutes anregt, wobei die alten 
Blutzellen zugrunde gehen, andere inzwischen reif werden 
und schließlich die Blutbildungsorgane unter der Wirkung 
der Wärme energischer neue Elemente produciren. Doch ist 
dieses „Altwerden“ und „die Zerstörung der alten Elemente“ 
nicht etwa die Folge der Wärmeeinwirkung, vielmehr die Folge 
der zerstörenden Wirkung des angesammelten Harnstoffes? ! 
Wie schön klingt es: „das Blut wird jünger“, und wie wenig 
wünschenswerth ist es, den Organismus zur Abwehr heraus¬ 
zufordern. 

Somit sehen wir, daß der unter der Wirkung der Ueber¬ 
hitzung gesteigerte Stoffwechsel zweifelsohne einen Schaden 
verursacht eben infolge der nicht rechtzeitigen Aussonderung 
der Stoffwechselproducte aus dem Körper. 

Nach diesen theoretischen Auseinandersetzungen gehe 
ich nun auf die klinische Beobachtung über. 

Ein augenscheinliches Bild der Wirkung des heißen 
Schlammbades hat uns Bujko entworfen : „Nach f> Minuten 
wird der Kopf benommen, es saust in den Ohren , in den 
Augen treten Lichtreife und Funken auf, es klopft in den 
Schläfen, noch ein w'enig und der Athem wird schwer, es 
tritt Schwindel auf und man spürt das Nahen der Bewußt¬ 
losigkeit. In dieser Zeit geht der Kranke in das Reinigungs¬ 
bad über. Dabei ist die Haut roth, das Gesicht brennt, der 
Kranke ist gesprächig, seine Bewegungen sind nervös, und zu 
gleicher Zeit spürt man eine allgemeine Schwäche, welche ich 
nicht empfunden habe, auch als ich mich auf der höchsten 
Bank im Dampf bade erhitzte.“ Koretzki sagt: „Der er¬ 


schöpfte Kranke stellt ein sonderbares Bild des Gemisches 
einer Erregung mit seltsamer Abschwächung der Muskelkraft 
vor,“ In dem Buche „Schlamm von Sakki“ heißt es: „Man 
darf keinesfells die Zahl, die Temperatur und die Reihenfolge 
der Bäder forciren, denn wenn sich der Patient momentan 
auch wohl fühlt, zeigt sich der Schaden später nach l 1 ^ bis 
2 Monaten in Abschwächung der Herzthätigkeit, in Entwicke¬ 
lung einer hartnäckigen Neurasthenie.“ Während der heißen 
Schlammbehandlung „entwickeln sich bei Allen Obstipation 
und Appetitlosigkeit“ (Libov), und muß man oft eine Pause 
machen, um dem Herzen Gelegenheit zu bieten, auszuruhen“ 
(Abel). Es ist aber interessant zu wissen, welche Kranke am 
meisten diesem Schaden von einer Temperaturerhöhung des 
Körpers auf 3° C. während 3 (Bujko) oder einiger (Abel) 
Stunden ausgesetzt werden? Aus den Beobachtungen Bujko’s, 
Libov’s und Prkdtetschenski’s wissen wir, daß der schädliche 
Einfluß der Ueberhitzung besonders bei schwachen Kranken 
zum Ausdruck kommt. Und in dem genannten Buche heißt 
es : „In Sakki nimmt ein jeder Kranke in der Mehrheit der 
Fälle 8—12 Schlammbäder, manchmal 20, selten mehr 
(nur bei Frauenkrankheiten).“ Auf Grund des Ange¬ 
führten meine ich, daß sich eben auf die gynäkologischen 
Kranken die Worte Libov’s beziehen, „in vielen Fällen können 
wir von heißen Schlammbädern nur einen Schaden für die 
Kranken erwarten“. Der weibliche Organismus ist im All¬ 
gemeinen schwächer, die gynäkologischen Kranken sind meist 
anämische, abgeschwächte Wesen; andererseits stellen die 
Exsudate in den weiblichen Geschlechtsorganen jene Krank¬ 
heitsform dar, welche die energischeste und langwierigste Be¬ 
handlung erfordern. Es resultirt, daß die schwächsten Ge¬ 
schöpfe am öftesten und am meisten dem Schaden der Ueber¬ 
hitzung ausgesetzt werden. Ob dieser Organismus der ihm 
auferlegten Aufgabe entsprechen wird, können wir nie im 
voraus bestimmen. Deshalb ist auch die Therapie mit Ueber¬ 
hitzung des Körpers (die Methode mit Schwitzen) immer 
riskant. Die Vergleichung der Behandlungsmethoden mit und 
ohne Schwitzen schließe ich mit den Worten Gelman’s: „Die 
stark schweißtreibende Wirkung der heißen Schlammbäder 
(Odessa), welcher Viele irrthümlicher Weise eine woblthuende 
Wirkung zuschreiben, hat die unerwünschte Entkräftigung 
des ohnedies erschöpften Weibes zur Folge.“ 

Somit glaube ich genug Belege dafür angeführt zu haben, 
um mit Recht behaupten zu dürfen, daß die Methode mit Schwitzen 
keinen Vorzug vor der Methode ohne Schwitzen verdient. Im 
Vergleiche speciell mit der Franzensbader Cur (Moorbehand¬ 
lung + Trinkcur) erscheint die Methode mit Schwitzen weder 
theoretisch stärker, noch gibt sie klinisch bessere Resultate. 
Nachdem die Methode ohne Schwitzen den Organismus gar 
keiner Gefahr aussetzt, muß man die Franzensbader Cur über¬ 
haupt für eine schonende Behandlung erklären. 

Es bleibt mir noch übrig, auf die klimatischen und Lebens¬ 
verhältnisse, wie auch auf die Einrichtung Franzensbads hin¬ 
zuweisen , welche bekanntlich ebenfalls eine nicht zu unter¬ 
schätzende Rolle in der therapeutischen Bedeutung eines Cur- 
ortes spielen. Franzensbad ist eine kleine Stadt mit 174 zwei- 
und dreistockhohen Ziegelhäusern, gut eingerichteten Pensionen 
und Gasthäusern. Der ganze Curort ist in grünen, schattigen 
Parkanlagen gelegen. In den heißesten Sommermonaten — 
von Juni bis August — herrscht im Curorte eine angenehme 
Frische infolge der beständigen leisen Luftströmung von den 
Bergen und Wäldern her. Wie in den Häusern, so auch auf 
den Gassen und in den Parkanlagen herrscht eine absolute 
Reinlichkeit und staubfreie Luft. Im Allgemeinen herrscht 
im Curorte volle Ruhe. Alles ist zum Ausruhen und zur 
Kräftigung des kranken Organismus eingerichtet. Es gibt 
Velociped- und Turnschulen, Lawn-Tennis, Kahnfahrt am 
Teiche. Seit dem vorigen Jahre ist eine vorzügliche Kefir¬ 
anstalt eingerichtet. 

Bei Frauenkrankheiten erzielt man in Franzensbad den 
größten Erfolg bei allen Entzündungsformen, die Infiltrate 

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und Exsudate inbegriffen, bei allen Krankheitsformen, wo 
zwar keine Entzündung, aber eine Blutstauung, schlechte Er¬ 
nährung der Organe, eine Schlaffheit und mangelhafte Ent¬ 
wickelung (Sterilitas, Mangel an Libido) besteht; von Neu¬ 
gebilden nur bei Fibromymen, insoferne man die Blutarmuth 
heilen und das Allgemeinbefinden der Kranken zu beeinflussen 
braucht. Nebenbei will ich erwähnen, welche Erkrankungen 
außer Frauenkrankheiten in Franzensbad noch mit gutem 
Erfolg behandelt werden können: 1. Chlorose und alle Formen 
der primären und der secundären Blutarmuth. 2. Rheumatische 
Leiden. 3. Podagra. 4. Neurasthenie (Ermüdung nach geistiger 
Arbeit), Hysterie, periphere Neurosen, einige Formen der 
Muskellähmung nach Apoplexie. 5. Functionelle und orga¬ 
nische Herzleiden (Folgezustände der Klappenfehler). 6. Einige 
Erkrankungsformen des Darmtractes. 

Meine Ausführungen schließe ich mit den Worten Prof. 
Kleinwächter’s : „Meiner Ansicht nach ist es ein großer Fehler, 
daß von so vielen Seiten her ein so wichtiger gynäkologischer 
Heilfactor, wie es Franzensbad ist, viel zu wenig gewürdigt, 
vernachlässigt und absichtlich unbeachtet gelassen wird. Den 
Nachtheil davon haben wohl nicht die betreffenden Aerzte, 
sondern die Kranken, denen dadurch zu ihrem Schaden ein 
sehr wichtiger Heilfactor entzogen wird. Es ist dies umso¬ 
mehr zu bedauern, als Franzensbad mit seinen balneologischen 
Heilfactoren an der Spitze aller ähnlichen Badeorte steht 
und seine Einrichtungen bezüglich der Trink wie der Bade- 
cur musterhafte sind, gehalten und geleitet entsprechend den 
Anforderungen, die heute gestellt werden.“ 

Referate. 

Ascoli (Pavia): Ueber den Mechanismus der Albumin¬ 
urie durch Eiereiweiß. 

Die Untersuchungen A.’s erfolgten mittelst der biologischen 
lleaction (Fällen des betreffenden Eiweißkörpers durch das Serum 
der entsprechenden Thierart). So kann z. B. ira Harne Eiereiweiß 
neben Serumalbumin, mithin in bequemer Weise eine experimentelle 
alimentäre Albuminurie nachgewiesen werden. 

Verf. fand („Münch, med. Wschr.“, 1902, Nr. 10): Das 
Eiereiweiß verursacht, in mäßigen Mengen gesunden Individuen 
per os verabreicht, keine Albuminurie, trotzdem es unter denselben 
Bedingungen im kreisenden Blute dem directen Nachweise durch 
die biologische Reaction noch zugänglich ist Bei Nierenkranken 
hingegen kann es unter denselben Bedingungen vom Blute in den 
Harn, das Nierenfilter passirend, übergehen; dasselbe trifft für die 
alimentäre Albuminurie nach Genuß excessiver Mengen roher Eier 
bei Individuen mit scheinbar intacten Nieren zu, und zwar ist es 
in beiden Fällen möglich, im Harne sowohl Eiereiweiß als Blut¬ 
eiweiß nachzuweisen. Subcutane Einverleibung geringer Mengen 
Eiereiweiß ruft keine oder nur eine minimale Albuminurie hervor, 
während diese bei Einspritzung größerer Quantitäten deutlich her 
vortritt, und zwar läßt sich auch hier das ausgeschiedenc Albumen 
in Bluteiweiß und Eiereiweiß durch die biologische Reaction cha- 
rakterisiren. B. 

Bettmann (Heidelberg): Ueber recidivirenden Herpes der 
männlichen Harnröhre. 

Für die Diagnose dieser Aft'ection kommen hauptsächlich in 
Betracht („Münch, med. Wschr. u , 1902, Nr. 17) : Das anfallsweise 
Auftreten eines gonokokkenfreien Ausflusses aus der Harnröhre, 
der jedesmal rasch wieder verschwindet, wenn jegliche locale 
Therapie unterbleibt; die Combination der Anfälle mit Herpes¬ 
eruptionen an anderen — sichtbaren — Körperstellen, speciell an 
den Genitalien; der endoskopische Befund. 

Wo dieser letztere nicht erhoben wird, da wird die Diagnose 
wohl nur vermuthungsweise gestellt werden können, wenn nicht 
etwa die Schleimhautef'florescenzen auch den vordersten, der Be¬ 
sichtigung ohne weiteres zugänglichen Theil der Harnröhre ein¬ 


nehmen. Die Wahrscheinlichkeit der Diagnose wird aber auch 
bei nicht endoskopirten Fällen mit der Häufung der beobachteten 
Anfälle wachsen können. Eine Fehldiagnose liegt nach zwei Rich¬ 
tungen nahe : Bei Syphilitikern kann der Ausfluß aus der Harn¬ 
röhre als „syphilitischer Tripper“, als Symptom eines intraurethralen 
Syphilids gedeutet werden können, vor Allem aber wird er bei 
ungenügender Untersuchung leicht als Zeichen einer Gonorrhoe 
imponiren. Zieht der Arzt aus dieser Fehldiagnose die Consequenz, 
daß er Injectionen in die Harnröhre vornehmen läßt, so pflegt sich 
der Ausfluß zu verschlimmern; besonders Silberpräparate haben 
in solchen Fällen eine ungünstige Wirkung. Mit der Zunahme des 
Ausflusses aber wird für Arzt und Patienten die Existenz der Go¬ 
norrhoe zur größeren Gewißheit. Der Herpes der Urethra ist an 
sich eine harmlose Affection ; die Möglichkeit, daß er die Eingangs¬ 
pforte für eine syphilitische Infection darstelle, wird wohl nicht 
zu häufig sich in die Wirklichkeit umsetzen. Dagegen gewinnt die 
Affection Bedeutung durch die Befürchtungen, die sic bei dem Pa¬ 
tienten erweckt, und vor Allem durch die Gefahr, daß ihm eine 
Gonorrhoe „andiagnosticirt“ wird. Dem Arzte erwächst deshalb 
die Pflicht, da, wo er in einem solchen Falle nicht die bestimmte 
Diagnose stellen kann, in gewissenhafter Berücksichtigung des 
mikroskopischen Befundes einen Harnröhrenausfluß zweifelhaften 
Ursprungs festzustellen und mit jeder localen Therapie zurück¬ 
zuhalten. B. 

A. Pick (Prag): Zur Lehre von den initialen Erschei¬ 
nungen der Paranoia. 

Head hat über das Auftreten eines Zustandes von Eigen¬ 
beziehung bei nichtgeisteskranken Individuen mit visceralen Affec- 
tionen berichtet und daran die Ansicht geknüpft, daß diese Er¬ 
scheinung sich in fundamentaler Weise von der gleichen Erscheinung 
bei Geisteskranken unterscheidet. Pick („Neurol. Centralbl.“, 1902, 
Nr. 1) bestreitet den Unterschied. Die Geisteskranken, die zum 
Vergleiche heranzuziehen sind, sind Paranoische; doch entspricht 
die Phase der Wahnbildung, die IIead heranzieht, einem späteren 
Stadium, nicht demjenigen, in welchem sich die Erscheinungen der 
Eigenbeziehung zuerst entwickeln; in diesem letzteren treten diese 
aber durchaus in der gleichen Form hervor, wie sie Head von 
seinen Nichtgeisteskranken schildert. In beiden Fällen geht auch 
jener Ausbildung von Eigenbeziehungen ein Zustand unbestimmter 
Unruhe, ein Erwartungsaffect voraus. — Gerade in der Ueberein- 
8timmung aller jener Erscheinungen sieht Pick die Bedeutung der 
von Head beigebrachten neuen Thatsache. Infeld. 

Max Rothmann (Berlin): Das Problem der Hemiplegie. 

Die Hemiplegie des Menschen und ihre Folgezustände sind 
nicht durch den alleinigen Ausfall der Pyramidenbahn bedingt, zu 
dem vielmehr die Unterbrechung anderer cerebrospinaler Bahnen 
hinzutreten muß („Berl. klin. Wschr.“, 1902, Nr. 18). Bei der 
Ausschabung der Extremitätenregion der Hirnrinde oder der totalen 
Zerstörung des hinteren Schenkels der inneren Kapsel ist die Hemi¬ 
plegie die Folge des völligen Fortfalls der Leitung der motorischen 
Impulse von der Hirnrinde aus. Die intact gebliebenen Vierhügel- 
Rückenmarksbahnen und ihre Verbindung mit dem Thalamus opti¬ 
cus sind nach diesem Fortfall der Hirnrindenleitung anfangs nicht 
imstande, die motorische Function aufrecht zu erhalten und senden 
nur die Impulse zur Aufrechterhaltung der Sehnenreflexe zum 
Rückenmark. Die nach mehreren Wochen einsetzende partielle 
Restitution der activen Bewegungen ist die Folge der allmälig sich 
entwickelnden selbständigen motorischen Function der Thalamus 
opticus- resp. Vierhtigelcentren und hat nichts mit einer Wieder- 
gangbarmachung der Pyramidenbahn oder einer Ersatzfunction der 
Großhirnrinde der anderen Seite zu thun. Daß beim Menschen im 
Gegensätze zum Affen nur eine Restitution bestimmter Muskelgruppen 
bei fortdauernder Lähmung ihrer Antagonisten eintritt und infolge 
davon Contracturen sich entwickeln, ist eine Folge der durch den 
aufrechten Gang des Menschen bedingten eigentümlichen Vertei¬ 
lung der Muskelinnervation an Arm und Bein. Da es sich bei der 
Wiederkehr der Bewegungen nicht um eine Wiedergangbarmachung 


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der vorher geschädigten Bahnen, sondern um eine Einübung 
neuer Bahnen handelt, so ist es eine therapeutische Indication, 
mit den Uebungen der gelähmten Glieder, und zwar vor allem 
der sonst gelähmt bleibenden Muskelgruppen , so bald als möglich 
nach Auftreten der Lähmung zu beginnen. Die Uebungstberapie 
ist gegebenenfalls durch Sehnentransplantationen in die gelähmten 
Muskeln zu unterstützen. B. 

Herzen (Moskau): Ueber die Anwendung der regionären 
Anästhesie bei großen Operationen. 

Gegenwärtig sind folgende Methoden der localen Anästhesie 
in Anwendung: 1. Infiltration mit den schwachen ScHLEiCH’schen 
und den stärkeren RECLUS’schen Lösungen; 2. die circuläre 
Anästhesie und 3. die regionäre Anästhesie mit oder ohne Ent¬ 
blutung nach Oberst. Die regionäre Anästhesie ist dort, wo dieselbe 
angewendet werden kann, als die zweckmäßigste zu betrachten. 
Sie besteht darin, daß durch Injection von Cocain in den Nerven 
das ganze Gebiet, welches von demselben iunervirt wird, anästhetisch 
gemacht wird. Die Ansicht Hofmann’s, daß die Entblutung und 
Compression des Nerven mittelst elastischer Binde zur Erzielung 
des gewünschten Resultates unumgänglich sei, ist falsch. Diese 
Manipulationen steigern nur die Wirkung des Cocains. H. hat das 
Gebiet der Anwendbarkeit der regionären Anästhesie bedeutend er¬ 
weitert. So hat er Dach Injection von 1 oder 2 Grm. einer V 2 %'o en 
Cocainlösung in den Hautnerven und einer l% () igen Lösung dem 
Verlaufe irgend eines Hautastes entlang so complicirte Opera¬ 
tionen wie die LiSFRANK’sche, PiROGOw’sche, GRtrn’sche, Ent¬ 
fernung des Unterschenkels, Excision der Handwurzel, des Ellbogens, 
des carcinomatös afficirten Kinnes u. s. w. ausgeführt. Bei der 
Ilerniotomie empfiehlt H., die Anästhesie folgendermaßen auszu¬ 
führen: Durch eine kleine Incision 2 Querfingerbreite oberhalb der 
Spina anterior superior ossis ilei dem Verlaufe des N. ileo bypogastri- 
cus und des N. ileo-inguinalis folgend wird die Cocainlösung injicirt 
(die Haut wird an der Incisionsstelle nach Schleich infiltrirt); 
nach Freilegung des Bruchsackes wird noch in den N. spermaticus 
Cocain injicirt. Die Operation kann dann vollständig schmerzlos 
zu Ende geführt werden. Die Gewebe behalten bei diesem Verfahren 
ihr normales Aussehen, so daß man wie in Chloroformnarkose operiren 
kann. Die Cocainlösuug darf frei von Morphium sein; auch ist es 
zweckmäßig, daß die Lösung etwas mehr Carbolsäure enthält als 
die SCHLEiCH’sche. L—y. 

Frankenberger (Prag): Ueber Kehlkopfsklerom. 

Verf. beschreibt einen Fall von Kehlkopfsklerom (Z II klin. 
lek. klin.“ präce sdeleni. II), der auf der Klinik des Prof. Maixner 
beobachtet wurde. Es handelte sich um eine 53jährige Frau aus 
dem Horitzer Bezirke (Böhmen), die 2 Jahre vor ihrer Aufnahme 
auf die Klinik heiser zu werden und an trockenem Husten zu 
leiden anfing. Der Zustand verschlechterte sich bis zu vollkommener 
Aphonie. In der Nase wurde ein prodromal-atrophischer Katarrh ge¬ 
funden, die Bänder im Larynx blaß, unter dem Rande des linken 
Stimmbandes ein starker, von der vorderen Commissur bis nach 
rückwärts sich ziehender Wall, ähnlich, aber kleiner als unter dem 
rechten Stimmbande. Die Schleimhaut ober der Infiltration blaß, 
grauröthlich, der Kehlkopf durch die Infiltrate so beengt, daß bei 
tiefer Inspiration nur eine 1 Mm. breite Spalte zu sehen ist. Die 
Kranke wurde mittelst Schröttek’s Kathetern behandelt, ein Theil 
des Gewebes wurde exstirpärt und darin Rhinosklerombacillen ge¬ 
funden. Trotz aller Behandlung leidet die Kranke an starken Er¬ 
stickungsanfällen, so daß eine Laryngotomie ausgeführt werden mußte. 

Zwei Tage nach der Operation Erstickungsanfall und Tod. 
Die Section bestätigte die Diagnose; an der Stelle, wo der 
weiche Gaumen inserirt, wurde eine grauweiße Infiltration, die bis 
zur Muskelschieht reichte, gefunden , welche durch hintere Rbino- 
skopie nicht gesehen werden konnte. Der Fall bestätigt wieder die 
vom Verf. gestellte Behauptuug, daß die Skleromfälle in Böhmen 
immer (bisher nur eine Ausnahme) aus dem nordöstlichen Qua¬ 
dranten des Königreiches stammen. Stock. 


Eugen Warschauer: Ueber die bei der Cystoskopie zu 
verwendende Spülflüssigkeit. 

Die bei der cystoskopischen Untersuchung zur Füllung der 
Blase zu verwendende Flüssigkeit soll durchsichtig sein, antiseptisch 
wirken, die Blasenschleimhaut nicht reizen, die Instrumente nicht 
angreifen. Diesen Anforderungen wird — nach Erfahrungen auf 
L. Casper’s Klinik — das Hydrargyrum oxycyanatum völlig ge¬ 
recht („Monatsberichte f. Urol. u , Bd. VII, H. 2). Es wird in Lö¬ 
sungen von 1:10.000 bis 1:5000 gut vertragen und ist den 
sonst gebräuchlichen Mitteln entschieden überlegen. Grosz. 

Leonhard Blumer (Zürich): Beiträge zur Kenntniß der 
Urticaria pigmentosa. 

Dem von Unna für die Urticaria pigmentosa als specifisch 
erklärten Mastzellentumor kommt nach den vorliegenden Unter¬ 
suchungen („Monatshefte f. prakt. Dermatologie“, Bd. 34, Nr. 5) 
diese Bedeutung in der That zu. Derselbe kann nicht als eine 
vorübergehende Phase des Krankheitsprocesses aufgefaßt werden, 
er ist vielmehr ein vom Anfang an bestehendes, der Krankheit 
eigenthümliches Merkmal. Ferner ist für diese Form der Urticaria 
pigmentosa der Beginn in frühester Kindheit charakteristisch. 

Von diesem Typus muß ein zweiter abgetrennt worden, welcher 
im histologischen Bilde relativ spärliche und disseminirte Mast- 
zelleu aufweist, und bei welchem der Beginn zeitlich unbestimmt ist. 

Eine kritische Scheidung der beiden Formen ist nicht mög¬ 
lich ; histologisch sind sie — wie eben erwähnt — völlig different. 
Der Verf. schlägt vor, die erste Form als Urticaria pigmentosa 
mit Mastzellentumor (Typus Unna), die zweite als Urticaria pig¬ 
mentosa mit disseminirten Mastzellen fürderhin zu bezeichnen. 

Grosz. 

W. v. Bechterew (St. Petersburg): Ueber den Augenreflex 
oder das Augenphänomen. 

v. Bechterew hat beschrieben, daß durch Percussion der Fronto- 
temporalregion, aber auch ausgedehnterer Antheile des Gesichtes, 
eine Zuckung im Orbicularis ausgelöst wird. Aus dem vorliegenden 
Aufsatze („Neurol. Centralbl.“, 1902, Nr. 3) ist der interessanteste 
Punkt der, daß das Phänomen bei peripherer Facialislähmuug aus¬ 
bleibt, jedoch nicht bei centraler. (Soweit, das Phänomen als Reflex 
aufgefaßt wird, ist die Sache nach den geläufigen Analogien wohl 
nicht anders zu erwarten.) Verf. kommt zu dem Schlüsse, daß es 
zum Theil bedingt sei durch reflectorische Einflüsse, zum Theil 
in Abhängigkeit stehe von unmittelbarer Ausbreitung mechanischer 
Reize längs Periost, Bändern und Muskeln bis zum M. orbi¬ 
cularis oculi. Infeld. 

de Quervain (Chaux-de-Fonds): Ueber partielle seitliche 
Rhinoplastik. 

Um Defecte der Nase, die sich auf den Knochen erstrecken 
und die ßeitentheile der Nase betreffen, zu decken, war es üblich, 
einen Hautperiost- oder Hautperiost-Knochenlappen der anderen 
Nasenseite oder der Glabella zu entnehmen. In beiden Fällen setzt 
man einen Defect, der plastisch gedeckt werden muß und der 
unvermeidlich wieder zu Narbenbildung Anlaß gibt. Verf. hat in 
2 Fällen eine Methode angewendet, die diesen Nachtheil nicht auf¬ 
weist und welche er zur Deckung von Defecten der oberen seit¬ 
lichen Nasenwand empfiehlt („Centralbl. f. Chirurgie“, 1902, 11). 
Qu. entnimmt den Knochenlappen der Nasenscheidenwand, indem 
er mit einer Knochenscheere ein dem Defecte angepaßtes Stück des¬ 
selben herausschneidet und dann von dem entgegengesetzten Nasen 
loche aus mit dem Finger so kräftig seitlich abknickt, daß der 
Lappen ohne jedes Federn in seiner neuen Lage verbleibt. Der 
Lappen wird in seiner neuen Lage mit Nähten befestigt, nachdem 
zuvor noch die Schleimhaut auf der Seite des Defectes entfernt 
wurde, und wird endlich mit THiERSCH’schen Hautläppchen oder 
mittelst Lappenplastik behufs Erzielung eines besseren kosmetischen 
Erfolges gedeckt. Die Technik der Operation ist einfach ; die Nasen- 
athmung wird durch die Verschiebung des Septumlappens nicht 
behindert. Erdheim. 


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Dreyer (Köln): Die Verwendung der BROOKE’schen 
Pasta bei infectiösen und entzündlichen Haüt- 
affectionen. 


Verf. hat die BßOOKE’sche Paste nach der Formel: 

Rp. Hydrargyr. oleinic. 5%.28 

Vaselini flav.14 

Zinc. oxydat. 

. aa. 7 


bei Sycosis 


Amyli 
Acid. salicyl 
Ichthyol. . 

staphylogenes, 


aa. 1 


Furunculose, Scrophuloderma, ferner bei 
Ulcus venereum und syphilitischen Ulcerationcn mit durchaus gün¬ 
stigem Erfolge verwendet. („Dermat. Ztschr.“, Bd. IX, H. 1.) 

Grosz. 


Patelliani Rosa (Bologna): Beitrag zur Bereitung einiger 
cultureller bakteriologischer Nährböden. 

Ausgehend von theoretischen Erwägungen und eigenen Er¬ 
fahrungen, die sich namentlich auf die Cultur des Gonococcus be¬ 
ziehen, schlägt Verf. vor („Centralbl. f. Bakteriologie, Parasiten¬ 
kunde u. Infeetionskrankheiten“, Bd. 30, H. 4), specifische Organismen 
einer bestimmten Krankheit, welche mehr oder vorzugsweise oder 
auch einzig nur eine gewisse Gattung von Thieren befällt, auf 
Nährböden, die von der gleichen Thiergattung stammen, zu cul- 
tiviren. So hat Verf. für die Cultur des Gonococcus mit großem 
Vortheil Nährböden verwendet, die aus dem Fleische von Rinder- 
cadavern bereitet waren, und nicht, wie gewöhnlich, aus Rinds¬ 
bouillon hergestellt wurden. Dr. S—. 


Kleine Mittheilungen. 

— Die Behandlung des Lupus mit Kalium hyperman- 
ganicum erörtert Dupuy („Klin. ther. Wschr.“, 1902, Nr. 9). Die 
von Butte angeführte Methode wurde zur Behandlung des Lupus 
vulgaris, des eigentlichen tuberculösen Lupus, und des Lupus 
erythematosus angewendet. Man legt während der ersten 10 Tage 
der Behandlung täglich einen mit einer 20%igen Lösung von 
hypermangansaurem Kali getränkten Umschlag auf die erkrankte 
Stelle auf, den man 12—15 Minuten liegen läßt. Dann werden 
die Umschläge nur alle 2 Tage angewendet. Bei nicht ulcerirtem 
Lupus wird das Mittel in Form von Pulver angewendet, und zwar 
werden zunächst die erkrankten Stellen mit einer Ichthyolseife 
oder mit folgender Emulsion gereinigt: 


Rp. Sublimat. (j 30 

Tinct. benzoes. 5'0 

Spir. sapon. 50 0 

Aq. destill. 2000 


Nach Abtrocknung mittelst Watte wird die lupöse Fläche mit fein 
gepulvertem hypermangansaurem Kali bestreut, worüber trockene 
Watte gelegt wird. Nach 1 / i Stunde entfernt man alles, wäscht 
die erkrankte Gegend mit Borwasser ab und bedeckt sie mit einem 
feuchten Verband aus gekochtem Wasser. Diese einmalige Anwen¬ 
dung genügt. Zuweilen bleiben noch kleine Partikelchen des Pulvers 
haften, die nach einigen Tagen abfallen, worauf ein Geschwür mit 
rothem Grunde zurückbleibt, welches nach 3—4 Tagen geheilt 
ist. Sind die Tuberkel nicht vollständig verschwunden, so wird 
die Procedur erneuert. In Fällen, in welchen die Lupusverdickung 
sehr stark ist, thut man gut, vor der Anwendung der Umschläge 
eine Scarification vorzunehmen. Die Anwendung des hypermangan- 
sauren Kaliums in Lösung ist angezeigt bei Lupus erythematosus, 
bei nicht zu dickem und ulcerirtem Lupus. Hingegen ist das Pulver 
bei vegetirenden Formen und bei solchen mit dicken keloidähnlichen 
Narben nicht angezeigt. Die Vorzüge dieser Methode sind: die fast 
völlige Schmerzlosigkeit, ferner die Anwendbarkeit durch jeden 
Arzt ohne Zuhilfenahme besonderer Instrumente, die geringen 
Kosten und der geringe Zeitverlust. Die Heilung erfolgt unter 
dieser Behandlung rascher als bei Anwendung von Scarification 
und häufiger sogar als bei Lichtbehandlung. Die Narben sind fast 
immer weich, fein und geben denen, die nach der Lichtbehandlung 
Zurückbleiben, nichts nach. Der einzige Nachtheil des Verfahrens 


liegt in der Schwarzfärbung der Gewebe, was aber verhältniß- 
mäßig unwichtig ist, da dieselbe eine nur vorübergehende ist. 
Wichtiger ist, daß das Verfahren bei Lupus der Schleimhäute 
nicht anwendbar ist, und daß es ferner in Fällen mit tiefen Ver¬ 
änderungen der Cutis nicht wirkt. 

— Die Frage der Ausnützbarkeit des Eisens für den 

Organismus erörtert A. Lerner („Wien. klin. Rundschau“, 1902). 
Nach einem Ueberblick über die Einwirkung des Eisens auf den 
Organismus und über die Wandlungen der Anschauungen über 
diese Frage bis auf die Gegenwart berichtet Verf. über seine 
Versuche an der II. chirurgischen Abtheilung des k. k. allge¬ 
meinen Krankenhauses in Wien. Er bediente sich zu diesem 
Zwecke des Fersans und kommt auf Grund von 30 Fällen, bei 
denen Hämoglobin- und Gewichtsbestimmungen, sowie Zählung der 
rotlien Blutkörperchen vorgenommen wurden, zu folgendem Resul¬ 
tate: Fersan ist geeignet, in Fällen von Chlorose, Anämie, Tuber- 
culose, von posthämorrhagischer acuter und chronischer Anämie 
eine rasche Hebung der Blutverhältnisse, sowie des Körpergewichtes 
zu erzielen. In kleinen Dosen hat es außerdem eine appetit¬ 
anregende Wirkung. Es ruft keine störenden Nebenwirkungen 
hervor. Keine oder nur geringe Wirkung erzielt es in Fällen 
schwerer Anämie bei mit Eiterungen einhergehender Knochencaries. 
Es ist daher die Zufuhr von Fersan dort angezeigt, wo somatische 
und psychische Ruhe nebst eisenreicher Nahrung keine Besserung 
der Blutzusamraensetzung bewirken. 

— Die Alkoholtherapie des Puerperalfiebers erörtert 
Kantorowicz („Allg. Wr. Med.-Ztg. u , 1902, Nr. 13). Die guten 
Erfolge, welche von anderen Beobachtern bei Puerperalfieber mit 
Alkoholdarreichung erzielt wurden, schreibt Verf. der Wirkung 
von Bädern, welche in diesen Fällen gleichzeitig gebraucht wurden, 
zu. Große Alkoholdosen wirken schädlich durch Verschlechterung 
des Blutes, durch die Intoxicationsgefahr, verlängerte Reconvale- 
scenz und bei durch längere Zeit fortgesetzter Darreichung durch 
Schwächung des Herzens. Auch die Gefahr der Verführung Üur 
Trunksucht darf nicht verkannt werdeh. Alkohol ist ein Excifank, 
das vor und nach einem Bade gegeben werden kann, aber Verf. 
zieht andere Excitantieu vor. 

— Nach Untersuchung von Joseph („Dermatol. Centralbl.“, 

1901, pag. 194) besitzt Bromocoll, die von Brat beschriebene 
Dibromtanninleimverbindung, in Salbenform, speciell als „20% 
Bromocoll-Resorbin“ hervorragende juckstillende Eigenschaften bei 
Pruritus vulvae, Prurigo, Urticaria, Lichen ruber, Ekzemen etc. 
Ganz besonders empfiehlt Joseph die Broraöcollsalbe zur Behandlung 
des Juckens bei Pruritus localis wie Pruritus universalis, sowie 
bei den verschiedenen Urticariaforraen. Junius und Arndt be¬ 
stätigen Joseph’s Resultate („Fortschr. d. Med.“, 1901, pag. 509). 
Sie erzielten in mehreren Fällen von heftigem Juckreiz bei Haut- 
affectionen (Ekzem, Herpes zoster, Prurigo) gute Erfolge mit 
Bromocoll-Resorbin. 

— Ueber ein neues Mittel zur sogenannten antiseptischen 
Pneumoniebehandlung berichtet Eberson („Aerztl. Central-Ztg.“, 

1902, Nr. 8). Verf. hat das Thiocol (Roche) mit vorzüglichem 
Resultate in der Pneumonietherapie angewendet. Die Dosis betrug 
bei Kindern unter einem Jahre 0 - 50, dann im 1.—3. Lebensjahre 
l'O—1’50, vom 3. bis zum 6. 2‘0—3*0, bis zum 10. 4‘0, bei 
Erwachsenen 5 - 0 in 24 Stunden zu verbrauchen, z. B. Infus. 
Seneg. e 3'0 : 80’0. Liquor, ammon. anisat. Thiocol (Roche) aa. l’O, 
Syr. cort. Aur. 15'0. Stündlich 1 Kaffeelöffel (für ein zweijähriges 
Kind). Kein einzigesmal bemerkte E. unangenehme Neben- oder 
Intoleranzerscheinungen. Verf. behandelte so 11 Fälle bei Kindern 
und 3 Erwachsenen mit Temperaturen von bis 39'9. Außerdem 
wurden Stimulanzen, jedoch keine Antipyretica verabreicht. 

— Die Magerkeit als einen cosmetischen Fehler behandelt 
H. Strebel, wenn keine objectiven Belege für eine Organerkran¬ 
kung vorhanden sind, folgendermaßen („Deutsche Med.-Ztg.“, 1901, 
Nr. 59 u. 60. — „Münch, med. Wschr.“, 1902, Nr. 7). Diät : Ge¬ 
mischte Kost, und zwar Fleisch mäßig, Fett und Kohlehydrate 
reichlich. Bevorzugt sind abwechselnd Maccaroni oder Bandnudeln 
mit sehr viel Parmesankäse, Erbsenmus und nachher Käse, Butter- 


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brot. Morgens statt Kaffee oder Thee eine Schleimsuppe mit Ei. 
Als Getränke Milch in jeder Form, ferner Bier, das mit einem 
der sehr raalzreichen sogenannten alkoholfreien Biere zur Hälfte 
gemischt ist. Ein ausgezeichnetes Mittel, dem Körper Eiweiß in 
einer Form zuzuführen, welche selbst einem ganz appetitlosen 
Menschen convenirt, ist folgendes: Man läßt eines der bekannten 
Kniggebeingläser (statt mit Likör) mit Bier oder mit Fruchtsaft 
oder mit selbstgemachtem Fleischsaft füllen und gibt darauf das 
unzerstörte Eigelb. Auch das Ausschnullen der mit kleinen Oeff- 
nungen versehenen Eier eignet sich ganz gut, weil man von dem 
Ei selbst bei kleiner Säugöffnung gar nichts spürt. Ferner empfiehlt 
es sich, fein geschabtes Fleisch halbstündlich oder alle Stunde 
einen Eßlöffel voll, mit Fruchtgelee, einnehmen zu lassen. Unter 
Umständen läßt Verfasser, wenn Abneigung gegen Milch nicht 
besteht, eine Kumys- oder Kefircur von Anfang an in den Vorder¬ 
grund treten. Den Gemüsen soll direct Leimsubstanz zugesetzt 
werden. Der Ueberschuß an Eiweiß wird nötigenfalls durch die 
Nährklystiere erzielt. Eventuell kann man sofort zur Oelinfusion 
greifen, besonders wenn eine Abneigung gegen fette Speisen be¬ 
steht. Man muß recht langsam mit der Operation vorgehen, dann 
macht sie auch wenig Schmerzen. Dem Oel kann etwas Kampher 
zugesetzt werden. Durch die combinirte Mastdarmernährung mit Fett¬ 
infusion kann man mit Leichtigkeit dem Körper 1500—2000 Calorien 
zuführen, und diese Ueberernährung ist in ihren Erfolgen sehr 
zufriedenstellend. Von Medicamenten erhält der Patient vom ersten 
Tage ab Arsenik, anzufangen mit 0*001—0*005 täglich innerlich 
oder subcutan. Außerdem verordnet Verfasser täglich oder alle 
zwei Tage ein warmes Bad von circa 28 — 29° C., wobei in dem 
Bade selbst eine Bouillon aus Huhn oder Rindfleisch heiß zu 
trinken ist. Nach dem Bade eine Stunde Ruhe im Trockenwinkel. 
Zu Mittag fällt dann die Suppe fort, wodurch die Aufnahme¬ 
möglichkeit der festen Speisen erhöht wird. Nach dem Essen Ruhe. 
Mehrere Stunden des Tages Licht-Luftbad in der Sonne (im Noth- 
falle im Zimmer) mit mäßiger Bewegung. Ausgewählte Gymnastik 
ist nötliig zur Ausbildung bestimmter Muskelgruppen, sie soll aber 
nicht bis zur Ermüdung und Schweißbildung getrieben werden. 
Die Kleidung soll warm sein, ebenso die Temperatur des Auf¬ 
enthaltsortes, doch nicht so, daß Schweiß erzeugt wird. 

— Von praktischer Wichtigkeit erscheint ein Vorschlag 
Kreibich’s zur Anwendung von Jodipininjectionen bei Aktino- 
mykose. Da dieses Medicament die Eigenschaft hat, ein Depot 
zu bilden, von dem aus langsam Jod zur Resorption gelangt, ohne 
daß nachtheilige Nebenerscheinungen aufträten (Jodismus, Haut¬ 
nekrose), so mußte es sich gerade bei dieser Erkrankung bewähren. 
Es wurden 7 Ccm. einer 25°/ 0 igen Lösung injicirt, am 4. Tage 
weitere 4 Ccm., fortan in Intervallen von 4—5 Tagen je 3 Ccm., 
im Ganzen 30 Ccm. Jodipin. Nach 5 Wochen trat dauernde Heilung 
der Hautaktinomykose ein. 


Literarische Anzeigen. 

Die Therapie an den Berliner Universitätskliniken. 

Herausgegeben von Dr. Wilhelm Croner. Wien u. Berlin 1902, 
Urban & Schwarzenberg. 

Das vorliegende Werk verdankt nach den Worten seines 
Herausgebers seine Entstehung dem in neuester Zeit immer mehr 
zu Tage tretenden Bestreben, dasjenige, was in den Universitäts¬ 
kliniken gelehrt und ausgeübt wird, auch weiteren Kreisen zu¬ 
gänglich zu machen. Es hat seine Aufgabe in meisterhafter Weise 
gelöst, denn es gewährt dem Leser Einsicht in die therapeutischen 
Maßnahmen von eilf Berliner Kliniken, sein Stoff ist alphabetisch 
angeordnet, die einzelnen Schlagworte sind kurz, präcise und 
inhaltreich erörtert. Vorläufig sind die Kliniken von v. Leyden, 
Gerhardt, Senator, IIeurner, B. Fränkel, v.' Bergmann, König, 
Greeff, Lucae, Gusserow und Lesser vertreten. Die an den¬ 
selben geübte Therapie ist so trefflich dargestellt, daß das Werk 
in der That den Titel einer „therapeutischen Eneyklopädie im 
compendiösen Maßstabe“ verdient. In einem Anhänge sind die 
Vergiftungen, die für den Arzt wichtigsten Vorschriften bezüglich 
der Aufnahme Geisteskranker in Irrenanstalten, die Vorschriften 
betreffend die Abgabe stark wirkender Arzneimittel in den Apo¬ 
theken, schließlich ausgezeichnete Register der Krankheiten, der 
Behandlungsmethoden und die Arzneimittel enthalten. B. 

Klinische Vorlesungen über Kinderkrankheiten. Von 

Nil Filatow, o. Professor der Kinderheilkunde an der kaiser¬ 
lichen Universität und Director des CeLUDOw’schen Kinder- 
spitales in Moskau. Unfer Redaction des Autors von Assistenz¬ 
ärzten der Kinderklinik nachgeschrieben und zusammengestellt. 
Deutsche, autorisirte Uebersetzung der Aerzte G. Türk, E. Rahr 
und L. Martinson, I. Heft. Leipzig und Wien 1901, Franz 
D e u t i c k e. 

Das erste Heft der klinischen Vorlesungen bringt 23 Ab¬ 
handlungen über die verschiedensten häufigeren und selteneren 
Affectioncn des Kindesalters. Einige der besprochenen Themen, wie 
die Abschnitte über chronische Peritonitis, wurden schon früher in 
Form von Originalarbeiten von F. zur Grundlage bekannter Studien 
gemacht. Eine ausführliche Besprechung der Einzelheiten eignet 
sich nicht für das Referat. Bringen manche Abschnitte eine Be¬ 
reicherung unserer symptomatologischen Kenntnisse, so vermißt 
man an anderen Stellen, wie in dem Capitel über die Behandlung 
der Rachitis, eine rationelle Grundlage für die vorgeschlagenen 
Behandlungsmethoden. 

Alles in Allem müssen wir dem Autor für die Publication, 
seinen Uebersetzern für ihre Mühe und dem Verlag für die Aus¬ 
stattung des hoffentlich in rascher Folge erscheinenden Werkes 
dankbar sein. Neurath. 


Feuilleton. 

Römischer Brief. 

(Orig.-Corresp. der „Wiener Mediz. Presse“.) 

I. 

-- Mai 1902. 

Ueber den Erfolg der Maßnahmen gegen die Ma¬ 
laria hat der Vorstand der italienischen Gesellschaft für das 
Studium der Malaria folgende Mittheilungen veröffentlicht: Eine 
große Zahl neuer Untersuchungsstationen wurde in den Centren 
der von der Krankheit heimgesuchten Districte errichtet. Das Schutz¬ 
system gegen die Malaria ist in Latium mit vorzüglichster Wirkung 
in diesem Jahre, an anderen Orten bereits seit 3 Jahren ange¬ 
wendet worden. 

Im letzten Jahre wurde dasselbe eingerichtet auf den Bahnstrecken 
Roma—Orte, Roma—Tivoli, Roma—Pisa, ferner im District Foggia, 
Ofantine, in Sicilien und Sardinien. Auch die am meisten inficirten 
Zollwachen der ganzen Küste entlang wurden geschützt, ebenso jene 


in den Provinzen Rom und Grosseto, daneben auch die Wohnungen 
der Straßenwärter und Feldhüter. Außerdem wurden die engen 
Metallnetze angewandt in den Aufenthaltsorten der Feldarbeiter 
auf dem Ager romanus, im Thale des Anio, bei Rustica, Cevel- 
lotta, Boccoleone u. s. w., in den pontinischen Sümpfen, bei Ferrara 
und in der mailändischen Tiefebene. Die Resultate beweisen deut¬ 
lich, wie in allen geschützten Stationen die Malaria¬ 
fälle zur Seltenheit werden, während in den Grenzstationen, 
welche zur Controle noch ungeschützt blieben, die Malaria beständig 
wie früher mit der gleichen Heftigkeit in Bezug auf Krankheits¬ 
und Todesfälle herrscht. 

Das Gesetz über den Chininverkauf wurde, wie nie¬ 
mals eines vorher, vom Parlamente mit seltener Stimmeneinhellig¬ 
keit und ungewohnter Schnelligkeit angenommen. So rasch es aber 
zustande kam, so lange dauert es, ehe es zur Anwendung gelangt; 
in der That weiß man heute noch nicht, ob und wann es activirt 
werden wird. Kaum war das Gesetz nämlich angenommen worden, 
übersandte die Finanzdirection dem obersten Sanitätsamte das be¬ 
zügliche Regulament, doch das Sanitätsamt hat bis zum heutigen 
Tage noch keine definitve Entscheidung getroffen. Es scheint nämlich, 
als oh die in Frage kommenden Sanitätspersonen sich über das 


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specielle Chininsalz nicht einigen könnten, dessen Verkauf eben 
freigegeben werden solle. 

Das „Ufficio d’Igiene“ hat den Bericht über den Gesund¬ 
heitszustand Roms für das Beobachtungsjahr 1901 publicirt 
und mit demselben die statistischen Daten für den Monat December 
allein verglichen. Aus dem Berichte entnehmen wir, daß die Mor¬ 
talität im Durchschnitte 0*31 per mille betrug, daß die Zahl der 
Typhuserkrankungen bedeutend gesunken ist, die Malariafälle wesent¬ 
lich an Zahl abgenoramen haben. Der letztere Befund gilt für ganz 
Rom in gleicher Weise. Die Stadt Rom hat allen Grund, ihrer 
Sanitätsverwaltung mit dem größten Vertrauen und der größten 
Dankbarkeit gegenüberzustehen. 

Nunmehr hat auch das Gesetz gegen die Pellagra 
bereits die Sanction * erhalten. Dasselbe verbietet den wie immer 
gearteten Verkauf von unreifem, ungenügend getrocknetem und 
verdorbenem Mais und dessen Producten , ebenso die Einfuhr des 
nämlichen verdorbenen oder havarirten Naturproductes. Dawider¬ 
handelnde unterliegen sehr hohen Geldstrafen. Die zuständigen Be 
amten haben mit aller Strenge die Durchführung der „Pellagra- 
Vorschriften“ zu überwachen. Jeder Pellagrafall, selbst ein eben 
beginnender, muß ehestens zur Anzeige gebracht werden. Gemeinden, 
in denen Pellagrafälle vorzukommen pflegen, haben sich mit einer 
Trocknungsvorrichtung entsprechender Größe für Mais zu versehen. 
Der Pflege bedürftigerPellagröser haben die Behörden ihr Augen¬ 
merk zuzuwenden. Das Ministerium des Innern hat einen jährlichen 
Beitrag von 100.000 Lire zur Unterstützung der Maßnahmen 
gegen die Pellagra in Aussicht genommen. 

Zu Ehren des in Italien vielgefeierten Professors Pietro 
Albertoni in Bologna haben dessen Schüler soeben eine 700 Seiten 
umfassende Festschrift herausgegeben. Sie hat den stolzen Namen 
„lliccrche di Biologie“ und enthält 33 Arbeiten aus dem engsten 
Schülerkreise des Meisters. Eine gleichzeitig überreichte Adresse 
weist mit Recht auf die Forscherbegeisterung, die Menschenliebe, 
die Collegialität und die Gewissenhaftigkeit des Lehrers Albertoni 
hin, dem hervorragende Mediciner, wie Bianchi, Bonome, Novi, 
Sabbatani u. a. m., Ausbildung und Führung verdanken. 

Vor einem Monate verstarb in Turin der Primararzt am Mau¬ 
ritiushospital Dr. Francesco Nasi. Letztwillig vermachte er sein 
gesammtes, nicht unbedeutendes Vermögen ausschließlich humani¬ 
tären Zwecken, Krankenhäusern, Waisen- und Versorgungsanstal¬ 
ten etc. Die Größe der Legate gestattet es, daß ein schon lange 
gehegter Wunsch der Turiner Stadtvertretung nunmehr zustande 
kommt, ln der Nähe der Stadt soll nämlich, draußen im Freien 
inmitten im Grün ihrer herrlichen Umgebung, ein Sanatorium für 
Brustkranke errichtet werden. Mögen viele dieser Armen der 
Menschenliebe Nasi’s Genesung, Gesundung verdanken können ! 

Das leitende Comite der Vereinigung zum Schutze gegen 
Tuberculose in Mailand hat beschlossen, die hygienischen Ma߬ 
nahmen und Vertheidigungsmöglichkeiten gegen die Tuberculose 
unter der arbeitenden Bevölkerung zu propagiren, eine Liga 
gegen das Spucken zu gründen, sowie eine Commission zu 
wählen, welche in geeigneter Weise durch die Pfarreien des 
Reiches die Maximen des Schutzes gegen die Tuberculose verbreiten 
lassen soll. 

Der V. periodische internationale Congreß für 
Geburtshilfe und Gynäkologie wird vom 15. bis zum 21. 
September 1902 zu Rom tagen. Den Vorsitz in der gynäkologischen 
Section wird Professor Mangiagalli führen, die Section für Geburts¬ 
hilfe wird Professor Morisani leiten. Das Organisationscomite be¬ 
steht aus den Professoren Pasquali, Pestalozza und La Tokre. 
Der Mitglicdsbeitrag wird 25 Lire betragen. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

20. Congreß für innere Medicin. 

Gehalten zu Wiesbaden 15.—18. April 1902. 

(Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) 

V. 

Ad. Schmidt (Bonn): Zur Pathogenese des Magengeschwüres. 

Viel schwieriger als die Entstehung kleiner Defecte der Magen¬ 
wand ist das Chronisch werden derselben, der Uebergang in eigent¬ 
liche Geschwüre, zu erklären. S., welcher den Heilungsvorgang 
künstlicher Defecte im Thierversuch studirt hat, gelangte zu der 
Ueberzeugung, daß dabei die Contraction der Magenwand, welche 
bewirkt, daß der Defect durch Ueberdachung mit Schleimhaut ganz 
gegen das Magenlumen abgeschlossen wird, von wesentlicher Bedeutung 
ist. Bleibt diese Reaction aus, so entwickelt sich aus dem Defect 
durch die verdauende Kraft des Magensaftes ein Geschwür. 

Der häufige Sitz des Ulcus ventriculi an der kleinen Curvatur 
und in der Pylorusgegend erklärt sich durch die hier viel geringere 
Faltung und Verschieblichkeit der Schleimhaut. Bei der häufigsten Ur¬ 
sache des Magengeschwüres, der Chlorose, besteht sehr gewöhnlich 
eine mangelhafte Contractilität der Musculatur. Dieser Zustand, 
welchen man als Atonie bezeichnen kann, kann auch bei normaler 
Austreibungszeit des Magens bestehen. Nach S. ist das Ausbleiben 
der Ueberdachung kleiner, auf verschiedene Weise entstandener 
Defecte der Magenschleimhaut die nächste, directe Ursache der 
Geschwürsbildung. 

Hirschfeld (Berlin): Die Beziehungen zwischen Magengeschwür 
und Magenkrebs. 

Nach den auf histologischen Untersuchungen begründeten An¬ 
schauungen von Hauser wird gegenwärtig allgemein angenommen, 
daß unter Umständen 5—6°/ 0 der Geschwüre im Magen die Um¬ 
wandlung in Krebs erfahren. Neuerdings wird diese Auffassung von 
Fütterer vertheidigt, dagegen von Borrmann ebenfalls auf Grund 
mikroskopischer Untersuchungen angegriffen. Der Vortragende weist 
darauf hin, daß das klinische Krankheitsbild in Fällen von Magen¬ 
krebs nach Magengeschwür durchaus kein einheitliches sei. Ferner 
sprechen die statistischen Erhebungen gegen ein anderes als zu¬ 
fälliges Zusammentreffen beider Krankheiten. Wenn z. B. in Wien 
unter 900 Fällen von Magenkrebs etwa 5 - 6% derselben nach 
Geschwür entstanden seien und diese Zahl bei der Seltenheit der 
Magengeschwüre in Wien vielleicht bedeutend erscheint, so müsse 
demgegenüber berücksichtigt werden, daß die an Krebs Verstorbenen 
meist über 40 und 50 Jahre alt seien. Unter einem solchen Material 
würden aber auch bei nicht krebskranken Personen viel mehr 
Geschwüre oder Geschwürsnarben gefunden, so von Starke in Jena 
bis zu 10% und von Grünfeld in Kopenhagen bis zu 20‘4°/o* 
Der größeren Verbreitung an Magenkrebs in einzelnen Gegenden 
entspreche auch nicht ein häufigeres Auftreten von Krebs. Auch 
das weibliche Geschlecht sei vom Magengeschwür vorzugsweise 
befallen, während das männliche vom Magenkrebs bevorzugt würde. 
In Städten, in denen das Magengeschwür selten sei wie in Wien, 
wäre aber trotzdem die Verhältnißzahl der an Magenkrebs erkrankten 
Frauen größer als in Hamburg, obgleich dort das Magengeschwür 
mehr als doppelt so häufig sei. 

Schmidt (Bonn) hält auch dafür, daß das Geschwür in manchen solcher 
Fälle secundär sei und dann schwerer heile. 

Koppen (Norden): Die tuberculose Peritonitis und der operative 
Eingriff. 

Das Auffallende beim Verlaufe der tuberculösen Peritonitis 
nach dem Bauchschnitt liegt nicht darin, daß das Exsudat 
nach der Operation fortbleibt, sondern vielmehr darin, daß es erst 
dann verschwindet, wenn bereits der krankhafte Proceß zum Still¬ 
stand gekommen ist, beziehungsweise die Heilung der Tuberculose 
des Bauchfells bereits begonnen hat. Vortr. konnte durch Thier¬ 
versuche nachweisen, daß das Bestehenbleiben des Exsudats auf 
mangelhafte Immunisirung des Organismus gegenüber dem Tuberculo- 
toxin schließen läßt, während bereits das Peritoneum immun ge- 


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worden ist, ohne daß es damit schon seine völlig normale Structur 
wiedergewonnen zu haben braucht. Wird nun zu diesem Zeitpunkt 
der Bauchschnitt ausgeführt, so bleibt das Exsudat fort, die 
Immuni8irung des Organismus vollendet sich, nur das Bauchfell 
kehrt zur Norm zurück. Hieraus ist zu folgern, daß der Laparotomie 
keine (primäre) Heilwirkung auf die tuborculöse Peritonitis zuge¬ 
schrieben werden darf. Die Therapie verlangt zunächst, die Immuni- 
sirung des Organismus zu befördern. Gelingt dies, so ist die Heilung 
sicher. Andernfalls soll der Erguß abgelassen werden, und zwar 
durch die Punction mit nachfolgender ergiebiger Ausspülung mit 
physiologischer Kochsalzlösung. Auch eiterige allgemeine Peritonitiden 
sind, wie eine Beobachtung des Vortr. beweist, dadurch zu heilen. 

Fr. Pick (Prag): Ueber den EinfluB mechanischer und thermi¬ 
scher Einwirkungen auf den Blutstrom und Gefäßtonus. 

Die Untersuchungen wurden mittelst directer Messung der aus 
den Venen ausströmenden Blutmenge am curarisirten Thiere gemacht. 
P. fand, daß die unter dem Namen Massage zusammengefaßten 
Handgriffe an den Extremitäten Beschleunigung des Blutstroms bei 
herabgesetztem Gefäßtonus, im Unterleibe Verlangsamung zur Folge 
haben. Bauchmassage beschleunigt den Blutstrom im Unterleib, ver¬ 
langsamt den im Gehirne. Kälte auf den Extremitäten bewirkt Ab¬ 
nahme der Circulation in den Extremitäten bei gleichzeitiger Be¬ 
schleunigung am Unterleibe, Verlangsamung im Gehirne; Kälte¬ 
einpackung des Bauches Verlangsamung im Unterleib, die bald 
jedoch einer Beschleunigung Platz macht. Wärme macht Beschleuni¬ 
gung in den Extremitäten, ebenso im Unterleib, wenn man sie dort 
applicirt, dabei auch im Jugulargebiet. Direct auf den Schädel 
applicirt, bewirkt sie keine Beschleunigung an der Jugularis. Die 
nach Ischiadicusdurch8chneidung auftretende Beschleunigung bleibt 
bei starker Kälte bestehen ; es überwiegt die direct an der Gefäß- 
musculatur einsetzende Wirkung. 

A. Hoffmann (Düsseldorf): Gibt es eine acute Erweiterung des 
normalen Herzens. 

Die widersprechenden Angaben, namentlich neuerer Beobachter 
über das Auftreten acuter Vergrößerungen des normalen Herzens, 
welche ebenso rasch verschwinden sollen, veranlaßten den Vortragenden, 
eine größere Anzahl von Personen, welche sich den angeblichen 
Ursachen dieser acuten Herzerweiterung ausgesetzt hatten, einer 
eingehenden Untersuchung zu unterziehen, die mit einem von dem 
Vortragenden construirten Apparat zur Untersuchung des Herzens 
mit Roentgenstrahlen ausgeführt wurde. Der Apparat, welcher auf 
dem Princip beruht, daß Lichtquelle und Schreibstift bei jeder Lage 
des letzteren einander gegenüberbleiben und somit wie der Ortho- 
diagraph von Moritz, den älteren Apparaten von Grünmach und Levy- 
Dobn gegenüber gleiche Vortheile bietet, hat nebenbei die Einrichtung, 
daß die Punkte und Linien der Körperoberfläche durch kreuzweise 
verschiebbare Metalldrähte direct auf dem Roentgenbilde markirt 
werden und so gleichzeitig mit dem Herzeontour aufgeschrieben werden 
können. Die vorgenommenen Untersuchungen haben nun in keinem 
einzigen Falle eine irgendwie bedeutende Vergrößerung des Herzens 
nach Anstrengung und Alkoholgenuß, sowie bei acuten Krankheiten 
erkennen lassen. Unter diesen Fällen waren einzelne, welche von 
H. näher mitgetheilt werden, welche schwere Schädigungen des 
Herzrhythmus beobachten ließen, ohne daß auch die geringste 
Dilatation während dieser Zeit sich nachweisen ließ. Die Fehler¬ 
quelle, durch welche eine Dilatation des Herzens vorgetäuscht werden 
kann, sieht H. im Hochstand des Zwerchfelles bei Cor mobile, in 
einer verstärkten Action des angestrengten Herzens und einer damit 
verbundenen Hyperdiastole. 

Lennhoff (Berlin) glaubt, daß an dem Vorkommen acuter Herz¬ 
dilatationen nach excessiven Anstrengungen nicht zu zweifeln sei, wie sie 
von ihm selbst bei Ringkämpfern und von Albo beim Radrennsport festgestellt 
seien. Er demonstrirt ferner das Herz eines jungen Menschen, der, früher ganz 
gesund, im Anschluß an ein Trauma durch Ueberanstrengnng eine solche acute 
Dilatation bekommen hatte. 

V. Criegern (Leipzig) hat bei 500 gesunden und kranken Herzen durch 
Roentgenuntersuchung niemals eine acute Herzdehnung feststellen können. Es 
handelt sich da wahrscheinlich nur um einen vermehrten Füllungszustand des 
Herzens. 

Rumpf (Hamburg) hält die acute Dilatation des Herzens auch für 
seltener, als sie angenommen wird. Er berichtet aber selbst über einen zweifel¬ 


losen Fall dieser Affection. Meist werden davon nur schon vorher kranke 
Herzen getroffen. 

HofTmiinn betont nochmals, daß eine wirklich vorhandene acute Herz¬ 
dilatation nicht rasch vorübergeht, sondern eine dauernde Dehnung des Muskels 
hinterläßt. 

Gerhardt (Straßburg): Ueber Einwirkung von Arzneimitteln auf 
den kleinen Kreislauf. 

Thierversuche des Vortr. haben ergeben, daß der Digitalis 
eine selbständige Einwirkung auf den kleinen Kreislauf zukommt, 
die der Drucksteigerung im großen parallel geht, also nicht ledig¬ 
lich Folge eines verstärkten Blutzuflusses ist. Dasselbe stellte sich 
bei Versuchen mit Nebennierenextract heraus, der auch eine Druck¬ 
steigerung bis zu 12 Mm Hg im kleinen Kreislauf erzeugt. Ebenso 
entspricht dort die Senkung des Blutdrucks nach Ergotin und 
Hydrastinin der gleichen Einwirkung auf den großen Kreislauf. 


Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Med. Presse“.) 

Sitzung vom 15. Mai 1902. 

M. Weinberger stellt einen Mann mit angeborener 
D e x t r o ca r d i e vor. Das Herz ist, wie die Percussion nachweist, 
rechts vom Sternum gelegen und zeigt bei Lagewechsel normale 
Verschieblichkeit nach der Seite der Lagerung, die Herzaction ist 
durch das Gefühl und das Gesicht im Bereiche des 2.—4. Inter- 
costalraumes nachweisbar. Ueber den Ventrikeln hört man ein leises 
systolisches Geräusch, welches im 2. linken Intercostalraura am 
deutlichsten ist und wahrscheinlich für eine Stenosirung der Aorta 
spricht. Für eine Transposition der großen Gefäße findet sich kein 
Anhaltspunkt, die Bauchorgane sind normal gelagert. 

ROB. BREUER führt 2 Fälle von acutem Thyreoidismus 
vor. 1. Eine 34jähr., bisher gesunde Frau bekam vor l’/ 2 Jahren 
eine Struma, welche sich langsam vergrößerte, weshalb ihr von 
einem Arzte Einreibungen mit Jodsalbe verordnet wurden. Nach 
14tägigem Gebrauche derselben stellten sich Herzklopfen, Erbrechen, 
Abmagerung, Zittern, Diarrhoen und Hitzegefühl in den Extre¬ 
mitäten ein. Diese Erscheinungen hielten auch einige Zeit nach 
dem Aussetzen der Jolmedicatiou an und hörten dann plötzlich 
auf, worauf sich Pat. sehr schnell erholte. Es handelt sich viel¬ 
leicht um eine leichte Form von M. Basedowii, welche durch das 
Jod verschlechtert wurde. —- Bei einer zweiten Frau, welche wegen 
Lues eine Quecksilber- und Jodcur durchrnachte, traten typische 
Symptome des Thyreoidismus auf, welche nach Aussetzen des Jods 
einige Zeit anhielten. Dann trat Besserung ein, gleichzeitig ent¬ 
wickelten sich aber eine Struma und ausgesprochene Symptome 
von M. Basedowii. 

ALEX. STRUBELL demonstrirt einige Blutdruckcurven, die eine 
neue, interessante, auf complicirtem Wege von ihm im Laboratorium 
von v. Basch gefundene Thatsache, die Existenz von Vaso¬ 
motoren in den Lungengefäßen, illustriren. Lichtheim hatte 
geglaubt, dieselben nachweisen zu können, wurde aber durch Open- 
chowski und Wagner widerlegt. Francois Franck’s Beweise für 
diese Existenz sind nicht stichhältig. Strubegl konnte bei peripherer 
Vagusreizung von mit Strophantin vergifteten Hunden in einem 
Stadium, wo die regulatorische, pulsverlangsamende, die Herzarbeit 
verschlechternde Function des Vagus gelähmt ist, Absinken des 
Arteriendruckes ohne Pulsverlangsaraung (Popper), starkes Sinken 
des Druckes im linken Vorhof, Steigen des Druckes in der Art. 
pulmonalis und in den Venen, sowie Verkleinerung des Lungen¬ 
volumens constatiren. Dies sind Symptome, welche v. Basch be¬ 
reits 1892 auf Grund von Modellversuchen für die damals hypo¬ 
thetische Wirkung der Lungenvasomotoren postulirte. Die Existenz 
der Pneumovasomotoren ist somit bewiesen. 

M. LAUTERBACH stellt einen jungen Mann mit Halsrippen 
vor. Dieselben sind in den Supraclaviculargruben als harte, druck¬ 
empfindliche Tumoren zu tasten. Ein Hoden war im Leistencanal 
zurückgeblieben und wurde operativ in das Scrotum verlagert. 

JOS. SORGO demonstrirt histologische Präparate von multipler 
Neurofibromatose des Rückenmarkes, welche von dem 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 21. 


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in der vorigen Sitzung demonstrirten Falle stammen (s. „Wiener 
Med. Presse“, 1902, Nr. 19). Jeder Tumor ist aus mehreren Ge¬ 
schwülsten zusammengesetzt, welche den typischen Bau der Neuro¬ 
fibrome zeigen. Der größte Tumor, welcher mit einem Wurzelbündel 
der 12. hinteren Dorsalwurzel zusammenhing, war in eine Ver¬ 
tiefung des Lendenmarkes eingelagert; an der Compressionsstelle 
fehlten alle nervösen Elemente. Dieser Tumor comprimirte zuerst 
das Rückenmark unvollständig und führte dann zur vollständigen 
Unterbrechung der Rückenmarksbahnen ; klinisch charakterisirte sich 
dieser Moment durch den plötzlichen Uebergang der schlaffen Lähmung 
der unteren Extremitäten in eine spastische. Im oberen Cervical- 
marke fand sich außerdem ein intramedullar gelegenes großzelliges 
Neurogliom. 

JOS. SORGO macht eine vorläufige Mittheilung über einen 
organotherapeutischen Versuch bei M. Basedowii. 
Eine Pat., welche typische Erscheinungen des Basedow zeigte, bekam 
durch 3 Wochen täglich 30—40 Grm. von getrocknetem und 
pulverisirtem Fleisch von Hunden, denen die Schilddrüse exstirpirt 
worden war. Da Pat. das Fleischpulver, welches nur durch Trocknen 
des Fleisches über dem Feuer ohne Anwendung eines Vacuum- 
apparates hergestellt war, nicht vertrug, müßte der Versuch nach 
3 Wochen abgebrochen werden. Vortr. regt zu einer Wiederholung 
des Versuches mit einem Fleischpulver an, welches durch Trocknen 
im Vacuum hergestellt ist, weil vielleicht durch die Hitze die wirk¬ 
samen Substanzen zerstört werden. 

P. Karplus bemerkt, daß bereits Moebius einen derartigen Versuch 
der Basedowbebandlung empfohlen hat. 

WlLH. SCHLESINGER hält den ersten Theil seines angekündigten 
Vortrages: „Ueber das Nahrungsbedürfniß der Diabetiker.“ 

Dieses wurde durch den Vergleich zwischen Nahrungseinnahme, 
Zuckerausscheidung und Verhalten des Körpergewichtes zu ermitteln 
gesucht. Dabei ergibt sich im Großen und Ganzen, daß das Nah¬ 
rungsbedürfniß der Diabetiker ohne anderweitige Stoff¬ 
wechselstörung den RuBNER’schen Zahlen für den Normalen 
entspricht, bei fettleibigen Diabetikern unterhalb dieser Zahlen 
liegt und schließlich bei Diabetikern mit gesteigerter Oxydations¬ 
größe (M. Basedowii, Thyreoidismus) einerseits und mit gestörter 
Resorption andererseits diese Zahlen überschreitet. Vortr. beschäftigt 
sich für diesmal bloß mit der ersten Gruppe von Diabetikern 
(18 Fälle). Durch Rechnung wurde aus der durchschnittlichen 
Nahrungsaufnahme abzüglich des Zuckerverlustes und aus der 
Größe der Zu- oder Abnahme des Körpergewichtes für die ein¬ 
zelnen Perioden der Beobachtung die Zersetzungsgröße des Diabe¬ 
tikers gefunden. Diese theoretisch anfechtbare Betrachtungsweise 
liefert praktisch verwerthbare Zahlen (wenigstens relative), da sich 
für die einzelnen Perioden im Allgemeinen Constanz der Zer¬ 
setzungsgröße ergibt, wie sie Rübner für den Gesunden fest- 
stellte. Wo diese Constanz vermißt wird, lassen sich dafür besondere 
Ursachen auffinden. So erfolgt eine namhafte Zunahme des Körper¬ 
gewichtes (scheinbar niedrige Zersetzungsgröße) regelmäßig während 
der Periode der Entzuckerung, vermuthlich infolge von 
Wasseraufnahme durch die Gewebe. Auffallende Körpergewichts¬ 
zunahme bei geringer Nahrungszufuhr erfolgt andererseits häufig 
während der ersten Zeit der Behandlung. Außer anderen Gründen 
(herabgekommene Individuen, reichliche Eiweißzufuhr, Wasserauf¬ 
nahme) wird dafür die während dieser Periode beträchtliche 
Hyperglykämie verantwortlich gemacht, welche den Diabetiker, 
sofern seine Fähigkeit, Zucker zu consumiren, noch nicht völlig 
geschwunden ist, unter günstigere Ernährungsbedingungen als den 
Gesunden setzt. 

Reichliche Eiweißzufuhr scheint die Ernährung zu erleichtern. 
Als untere Grenze für Eiweiß wurden in einem Falle 1*2 Grm, 
pro Kilogramm gefunden, da bei dieser Menge trotz reichlicher 
Fettzufuhr eine weitere Zunahme des Körpergewichtes nicht mehr 
erfolgte, gleichzeitig ein Beweis dafür, daß isolirter Fettansatz 
schwer zustande kommt. Wird bei schwerem Diabetes auch dieses 
Eiweißquantum noch durch Zuckerbildung entwerthet, so bedingt 
dieser Umstand kein gesteigertes Nahrungsbedürfniß, verhindert 
aber den Ansatz von Körpersubstanz. 


Ein günstiger Einfluß der Kohlehydrate auf die Ernährung 
wurde bei einem mittelschweren Falle vermißt, in einem schweren 
Falle erfolgte anscheinend unter ihrem Einflüsse Erniedrigung der 
Zersetzungsgröße, vermuthlich bloß infolge ihres günstigen Ein¬ 
flusses auf die Acidose. 


K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 16. Mai 1902. 

RUD. FRANK stellt einen Knaben vor, bei welchem er vor 
4 Jahren eine Implantation der Ureteren in die Flexura 
s i g m o i d e a wegen Blasenektopie ausgeführt hat. Pat. hatte damals 
eine Continenz von 5 Stunden; gegenwärtig ist dieselbe etwas 
geringer. Außerdem wurde bei ihm eine bestehende Epispadie 
durch Plastik beseitigt. Der Fall beweist den Dauererfolg der 
MAYDL’schen Operation und spricht gegen die Befürchtung, daß 
eine aufsteigende Infection der Niere von den Ureteren aus erfolge. 

A. Freih. v. Eiseisberg: hat die MAYDi/sche Operation in 8 Fällen 
ausgeführt; ein Pat. ist seit 6 Jahren vollkommen gesund, unter den 3 Todes¬ 
fällen war bloß einer auf ascendirende Nephritis zurückzuführen. 

S. Ehrmann stellt einen Fall von gewerblicher Laugen¬ 
verätzung der Haut vor. Diese Affection hat Vortr. mehrmals 
bei Arbeitern beobachtet, welche Säcke mit Soda verladen. Es 
handelt sich um punktförmige oder größere, runde, scharf um¬ 
schriebene Aetzschorfe, welche am Rücken sitzen, manchmal von 
einem entzündlichen Hofe umgeben sind und nach der Heilung 
runde, deprirairte Narben hinterlassen. Diese Verätzungen entstehen 
durch kleine Krystalle von Aetznatron, welche der Soda, namentlich 
wenn diese auf elektrolytischem Wege dargestellt worden ist, bei¬ 
gemischt sind, die durch die Kleider auf die Haut gelangen und 
daselbst sich lösend die Haut verätzen. 

K. Kreibich hat das Entstehen ähnlicher Aetzschorfe bei der Schmier¬ 
seifenbehandlung des Herpes tonsurans beobachtet. Die Schorfe entstehen durch 
kleine Partikelchon von Aetzkali, welche der Schmierseife beigemengt sind. 

K. JOACHIM erstattet eine vorläufige Mittheilung über seine 
Untersuchungen in Bezug auf den Gehalt verschiedener 
Körper fl ü ss i gk ei te n an Globulin und Albumin. Vortr. 
fand, daß das Euglobulin wahrscheinlich ein Gemenge verschiedener 
Eiweißarten ist. Exsudate und Transsudate der Pleura zeigen fast 
keine Abweichung in ihrem Eiweißgehalte. Die Ascitesflüssigkeit zeigt 
bei Herzerkrankungen einen geringeren Eiweißgehalt als bei Leber- 
cirrhose, bei Carcinomascites sind die Albuminwerthe hoch, die Euglo- 
bulinwerthe niedrig. Nephritiker scheiden im Harne nur bei schwerer 
Erkrankung beträchtlichere Mengen von Euglobulin aus, dagegen 
immer Pseudoglobulin. Letzteres fehlt im Hydrokeleninhalt und 
kommt im Nabelschnurblute nur in geringer Menge vor. Im mensch¬ 
lichen Serum finden sich verschiedene Mengen von Pseudoglobulin. 

A. Biedl: Zur Physiologie der Nebenorgane des Sympathicus 
und der chromaffinen Zellgruppen. 

E. Zückerkandl hat bei Neugeborenen im Retroperitoneal- 
raum neben der Aorta in der Höhe des Abganges der A. mesen- 
terica sup. längliche, lichtbraune, den Lymphdrüsen ähnliche Körper 
gefunden, welche er Nebenorgane des Sympathicus nannte und von 
welchen der rechte circa 11 Mm., der linke etwa 9 Mm. lang ist. 
Sie sind manchmal durch eine Brücke verbunden und werden 
durch Aestchen der Aorta ernährt; das abfließende Blut ergießt 
sich in die untere Hohlvene. Das Organ ist von einer binde¬ 
gewebigen Kapsel umgeben und im Inneren von einem Binde- 
gewebsnetze durchzogen, in dessen Maschen polygonale oder 
cubische, durch Chromsäure sich gelb bis gelbbraun färbende 
(chromaffine) Zellen eingelagert sind. Accessorische kleinere Gebilde 
von gleichem Baue finden sich cranial oberhalb der Nebenorgane. 
Letztere entstehen aus der Anlage der sympathischen Ganglien, 
welche sich schon bei einem 28 Mm. langen Embryo in zwei Zell¬ 
gruppen, die chromaffinen Zellen und das Nervengewebe, sondert. Die 
physiologische Wirkung des Extractes dieser Drüsen, welches durch 
deren Verreiben mit Glaswolle und durch Zusatz von physiologischer 
Kochsalzlösung dargestellt wurde, ist fast identisch mit derjenigen 


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des Nebennierenextractes: Nacli intravenöser Injection steigt der 
Blutdruck durch Contraction der Gefäße infolge Beeinflussung des 
centralen vasomotorischen Apparates und infolge directer Erregung 
der Gefäßwände; der Puls wird verlangsamt, wahrscheinlich infolge 
centraler Erregung des herzhemmenden Vaguscentrums, manchmal 
stellen sich Pulsbeschleunigung und Arythmie ein. Das Extract 
hat eine herzstärkende Wirkung, welche selbst am ausgeschnittenen 
und künstlich durchbluteten Katzenherzen nachweisbar ist; bei 
größeren Dosen zeigt sich eine das Herz schädigende Wirkung. 
Außer den Nebenorganen zeigt die gleichen Wirkungen auch die 
Nebenniere, und zwar nur das Mark, welches ein erst später in 
die Nebennierensubstanz eingewanderter Abkömmling des Nerven¬ 
gewebes ist, ferner die in der vorderen Körperhälfte der Wirbel¬ 
säule anliegenden Suprarenalkörper der Haifische. Diese drei 
functionell gleichen Organe zeigen einen Reichthum an chrom¬ 
affinen Zellen, welche als Träger der Wirkung des Nebennieren¬ 
extractes anzusehen sind. Die Rindensubstanz der Nebennieren und 
die Interrenalkörper (caudalwärts von den Suprarenalkörpern gelegene 
Gebilde) der Selachier haben keine chromaffinen Zellen ; ihr Extract 
ist unwirksam, doch scheinen sie eine für das Leben unumgänglich 
nothwendige innere Secretion zu besitzen, da 24—48 Stunden nach 
ihrer Exstirpation der Tod unter paretischen Erscheinungen und Pro¬ 
stration eintritt; derselbe wird durch Fütterung mit der Substanz 
des exstirpirten Organs nicht abgewendet. Thiere, welche die Exstir¬ 
pation der Nebennieren überleben, haben accessorische Nebennieren, 
welche nach der Exstirpation der Hauptorgane hypertrophiren. Die 
Nebennieren und die Nebenorgane ergänzen einander im Leben des 
Individuums, indem letztere während des Embryonallebens und während 
des ersten Lebensjahres ihre Function ausüben und dann degeneriren, 
erstere erst im extrauteriuen Leben ihre Wirkung entfalten; die 
Function beider besteht wohl hauptsächlich in der Regulation des 
Blutdruckes, vielleicht auch io der Beeinflussung des Tonus ver¬ 
schiedener glatter Muskelfasern. Für die Marksubstanz der Neben¬ 
nieren hat Cybülsk[ eine innere Secretion nachgewiesen; er fand 
in dem Blute der Venen dieser Organe feine, glänzende Körnchen, 
deren Menge sich Lei verstärkter Innervation erhöht. Dieses Venen¬ 
blut zeigt auch die specifische Wirkung des Nebennierenextractes. 

Sitzung vom 23. Mai 1902. 

E. LANG stellt einen an lymphatischer Leukämie 
leidenden Pat. vor, der durch eine seltene Art von Hautaffection 
überaus bemerkenswerth ist. Allenthalben finden sich nämlich unter 
der Haut verschiebliche, Stecknadelkopf- bis linsengroße Knötchen, 
die wahrscheinlich aus lyirpboidem Gewebe bestehen. Die Tonsillen, 
sowie alle tastbaren Lymphdrüsen des Pat. sind vergrößert; an 
den unteren Extremitäten finden sich zahllose Pigmentreste von 
verschiedener Größe. Es besteht Leber- und Milztumor. Der Blut¬ 
befund bestätigt die Diagnose. 

Vortr. demon8trirt außerdem eine ältere Frau, welche seit 
20 Jahren an idiopathischer Hautatrophie an den unteren 
Extremitäten leidet. Die Affection zeigt progres-iven Charakter. 

S. EHRMANN demonstrirt an einer Pat. einen Späteffect 
der Radiotherapie. Die Frau wurde wegen Hypertrichosis 
des Gesichtes wiederholt bestrahlt; im Stadium der Hyperämie 
haben sich allmälig, genau der belichteten Partie entsprechend, 
bläuliclirothe Flecke und Streifen gebildet, welche sich bei genauer 
Untersuchung als Teleangiektasien erweisen. Dieser Befund beweist, 
daß die Wirkung der Roentgenstrahlen auf Veränderungen des 
Gefäßsystems beruht. 

H. Teleky hat zweimal ähnliche Folgen der Roentgentherapie nach 
seltenen, aber kräftigen Bestrahlungen gesehen. 

E. Lang bestätigt den von Ehrmann behaupteten Zusammenhang 
zwischen Roentgenbeleuchtung und Gefaßveränderungen. 

E. Splegler bemerkt, daß derartige Veränderungen oftmals selbst erst 
nach Jahresfrist manif'e.-t werden können. 

S. Ehnnann entgegnet in Bezug auf die Ausführungen Teleky's, daß 
auch nach schwacher Belichtung Gefäßveränderungen zustande kommen. 

G. Gärtner : Lieber intravenöse Sauerstoffinfusionen. 

Vortr. hat durch Versuche festgestellt, daß Versuchstiere, 
denen man in mäßigem Strome chemisch reinen Sauerstoff in eine 
Vene eiofließen läßt, diesen Eingriff lange Zeit (im Versuche des 


Vortr. eine Stunde) ohne jedwede Schädigung vertragen. Ein Theil 
des Sauerstoffes wird nämlich schon in der Vene vom Blute ab- 
sorbirt, ein anderer Theil gelangt ins Herz und wird hier durch 
die Bewegung des Herzens mit dem Blute vermischt und aufge¬ 
nommen. Werden größere Mengen von Sauerstoff infundirt, dann 
gelangt auch ein Theil in die Lungenvenen, um hier vollständig 
zu verschwinden; in das linke Herz gelangt der infundirte Sauer¬ 
stoff niemals. Die Gegenwart des Gases im Herzen macht sich 
durch ein unter Umständen weithin hörbares plätscherndes Ge¬ 
räusch bemerkbar, dessen Intensität mit der Menge des anwesenden 
Sauerstoffes wächst. Bei der Inspection eines solchen Herzens sieht 
man den rechten Ventrikel heller gefärbt als den unter normalen 
Verhältnissen heller rothen linken. Der Puls, die Athmung und 
der Blutdruck werden beinahe gar nicht alterirt; eine anfängliche 
geringe, wahrscheinlich auf Vagusreizung zurückzuführende Puls- 
arythmie verschwindet rasch wieder. Es ist dem Vortr. gelungen, 
ein mit Kohlenoxyd vergiftetes Thier durch Sauerstoffinfusion 
wieder zu beleben. — Vortr. discutirt sodann die klinische Anwend¬ 
barkeit der Sauerstoffinfusion. Geeignet wären hiezu wohl nur Fälle, 
in denen es sich um acute transitorische Erstickungen handelt, so 
z. B. Fremdkörper in der Trachea, Croup, Bronchiolitis, Vergiftung 
mit Kohlenoxydgas, vielleicht auch schwere Pneamonien, schließlich 
die Asphyxie der Neugeborenen. Bei diesen könnte die Saaerstoff- 
infusion als Methode der Wiederbelebung, wenn alle anderen Me¬ 
thoden fehlgeschlagen haben, durch die Nabelvenen versucht werden. 
Es handelt sich ja in allen diesen Fällen um verhältnißmäßig ge¬ 
ringe Mengen von zuzuführendem Sauerstoff, dessen Absorption 
durch das Blut keiner Schwierigkeit unterliegen würde, wenn die 
Zufuhr entsprechend regulirt und durch Beobachtung des Herzens 
genau controlirt wird.. Der käufliche Sauerstoff ist unverwendbar, 
da er bis zu 20% Stickstoff enthält. 

Notizen. 

Wien, 24. Mai 1902. 

(Ernennungen.) Professor Dr. Julius Hochenegg , die 
Privatdocenten Dr. Karl Foltanek , Dr. Hermann Schlesinger, 
Dr. Karl Funke, Dr. Friedrich Ritter Friedländer von Mal¬ 
heim, Dr. Georg Lotheissen und der praktische Arzt Dr. Dionys 
Pospischill sind zu Primarärzten II. CI. im Stande der Aerzte der 
Wiener k. k. Krankenanstalten ernannt worden. 

(Habilitationen.) Dr. Friedrich Ritter Friedländer 
von Mai.heim und Dr. Oscar Föderl haben sich als Privat¬ 
docenten für Chirurgie an der medicinisehen Facultät der Univer¬ 
sität in Wien habilitirt. 

(Militärärztliches.) Ob.-St.-A. II. CI. Dr. Johann Kis- 
linger ist in den Ruhestand versetzt und ihm bei diesem Anlasse 
der Charakter eines Ob.-St.-A. I. CI. ad honores verliehen worden, 
der Gardearzt und Reg.-A. I. CI. Dr. Johann Steiner ist in den 
Präsenzstand des militärärztlichen Officierscorps, der Fregattenarzt 
Dr. Richard Sonz als Reg.-A. II. CI. in den Activstand des Heeres 
versetzt worden. — Reg.-A. II. CI. Dr. Johann Henning ist zum 
Gardearzte ernannt worden. — Ernannt wurden ferner: Zum Ob.- 
St.-A. I. CI. der Ob.-St.-A. II. CI. Dr. Karl Elbel; zu Stabsärzten 
die Reg.-Ae. Dr. Oscar Papp, Dr. Maximilian Radnay, Dr. Ignaz 
Erdödi und Dr. Nikolaus Teodorovits ; zu Reg.-Ae. I. CI. die 
Reg.-Ae. II. CI. Dr. Karl Tamkö, Dr. Ernst Breznay, Dr. Ale¬ 
xander Rubinstein, Dr. Bela Tolnai-IIagymässy, Dr. Desiderius 
Dobo und Dr. Richard Arnold ; zu Reg.-Ae. II. CI. die Ob.-Ae.: Doctor 
Alexander Gothärd, Dr. Eugen Demjen, Dr. Stephan Mesterhäzy. 

(Auszeichnung.) Der Secundararzt am Kronprinz Rudolf- 
Kinderspitale in Wien Dr. Richard Schmucker hat das goldene 
Verdienstkreuz mit der Krone erhalten. 

(Niederösterreichischer Landes-Sanitätsrath.) 
In der Sitzung vom 15. d. M. wurden folgende Referate erstattet: 
Ueber die Frage der Verwendung von Nichtärzten bei der Vornahme 
von Narkosen ; über ein Ansuchen um Bewilligung zur Errichtung 
einer Privatheilanstalt für Kaltwassercuren und Behandlung mit 
Pistyaner Schlamm in Wien; über das Ansuchen einer Gemeinde 
Niederösterreichs um Einreihung unter die Curorte und über das 


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Gesuch eines Vereines in Wien um Bewilligung zur Errichtung 
eines Asyls für verkrüppelte und reconvalescente jüdische Kinder 
in einer Gemeinde Niederösterreichs außerhalb Wiens. 

(Krainische Aerztekammer.) Eine Zuschrift des Landes¬ 
ausschusses für Krain an die krainische Aerztekammer hatte eine 
Eingabe der letzteren betreffend die einheitliche Regelung der Todten- 
be8chaugebühr dahin beantwortet, daß eine einheitlicheTodtenbeschau- 
taxe für das ganze Land undurchführbar sei, da es den Gemeinden 
freistehe, bis zum Höchstbetrage von 3 Kronen die Taxe ein¬ 
zuheben und den Todtenbeschauarzt zu honoriren. Da es jedoch 
im Interesse des ärztlichen Standes gelegen ist, diese ärztliche Ver¬ 
richtung einheitlich zu honoriren, ersucht die Kammer die ihr zu¬ 
gehörigen Aerzte, im Sinne der Directiven der krainischen Aerzte¬ 
kammer vom 1. April 1902 vorzugehen und keine Todtenbeschau 
unter diesem Tarife vorzunehmen. 

(Sociales aus dem Aerztestande.) Eine Petition der 
deutschen Section der Aerztekammer für Böhmen, welche an sämmt- 
liehe medicinischen Facultäten Oesterreichs zur Versendung gelangen 
soll, wendet sich gegen die Nostrification ausländischer Aerzte und 
begründet diese Petition mit den ungünstigen Erwerbsverhältnissen der 
praktischen Aerzte Oesterreichs durch die Ueberproduction an Aerzten. 

(Sonntagsruhe in Apotheken.) Eine Verordnung des 
Ministeriums des Innern regelt die Sonntagsruhe in den Land¬ 
apotheken. „Es unterliegt keinem Anstande“, heißt es in dem Er¬ 
lasse, „daß den Apothekern am Lande, welche ohne Hilfskräfte 
ihre Apotheke betreiben, von der Vorgesetzten politischen Behörde 
gestattet werde, sich an Sonntagsnachmittagen während der Zeit 
des erfahrungsgemäß geringsten Geschäftsumsatzes vom Geschäfte 
zum Zwecke der Erholung im Orte oder der nächsten Umgebung 
zu entfernen, wenn in der Apotheke eine verläßliche Dienstperson 
(Laborant) in Bereitschaft gehalten wird, um Bestellungen der 
Parteien, sowie etwa einlangende Recepte za übernehmen. In Orten, 
wo sich mehrere Apotheken befinden, kann die Sonntagsruhe durch 
einen alternirenden Turnus geschaffen werden“. 

(I. Acgyptischer medicinischer Congrcß.) Dem 
nationalen österreichischen Comite unter dem Präsidium des Hof- 
rathes Nothnagel ging die Mittheilung zu, daß seitens der 
czechischen medicinischen Facnltät in Prag Professor Hlawa, seitens 
der deutschen medicinischen Facultät in Prag die Hofräthe Prof. 
PftiBRAM und Prof. Chiari als Delegirte für den Congreß ernannt 
worden sind. Der Congreß, dessen Präsident Dr. Ibrahim Pascha 
Hassan und dessen Generalsecretär Dr. Voronoff ist, wird von 
Freitag den 19. bis Dienstag den 23. December in Cairo tagen 
und sich in 4 Sectionen theilen: Interne Pathologie, Vorsitzender 
Dr. Comanos Pascha ; Krankheiten der heißen Klimate, Vorsitzender 
Dr. Ruffer; Chirurgie, Vorsitzender Dr. Milton; Ophthalmologie, 
Vorsitzender Dr. Mohammed Bey Eloui. Das provisorische Programm 
weist folgende Themen auf: Leberentzündung und Leberabscesse in 
den heißen Klimaten, Bilharzia Haematobia, Ciliöp, Fieber, Sumpf¬ 
fieber, Filariose, Ankylostomum duodenale, Cholera, Dysenterie, Lepra, 
Pest, Steinkrankheiten, Trachom, Anomalien der Refraction in der 
Schule, ägyptische Augenkrankheit, Blennorrhoe. — Während des 
Congresses werden auch verschiedene Empfänge, zunächst beim 
Khedive, beim Ministerpräsidenten, bei den Ministern u. A. statt¬ 
finden, außerdem mannigfache Excursionen, für welche den Congreß- 
theilnehmern ganz besondere Begünstigungen gewährt werden. 
Details über Ermäßigungen von Seiten der Dampfschiflfahrtsgesell- 
schaften und der Firma Thos. Cook & Son werden später bekannt- 
gegeben. Auch die Hotels gewähren den Congreßtheilnehmern 
20- bis 30 0 / O ige Preisnachlässe. Anmeldungen zur Theilnalime 
aus Oesterreich nehmen entgegen : Hofrath Prof. Nothnagel (Wien, 
I., Rathhausstraße 13), Hofrath Prof. Winternitz (Wien, I., Wipp- 
lingerstraße 28), Prof. v. Frankl-Hochwart (Wien, I., Volksgarten¬ 
straße 5). 

(Medici n is che Terminologie.) Die soeben im Verlage 
von Urban & Schwarzenberg erschienene III. Abtheilung 
(Bogen 21—36) der „Medicinischen Terminologie“ von Walter 
Guttmann beschließt ein mustergiltiges Werk, das sich die Ab¬ 
leitung und Erklärung der gebräuchlichsten Fachausdrücke aller 
Zweige der Medioin und ihrer Hilfswissenschaften zur Aufgabe 


gemacht hat. Wer die ungeheure Mühe erwägt, welche die Ab¬ 
fassung eines derartigen etymologischen Lexikons, des ersten seiner 
Art in der deutschen medicinischen Literatur, mit sich bringt, 
muß auch den Fleiß seines Autors bewundern und anerkennen. 
Das Werk, dessen Disposition meisterhaft ist, hat eine empfindliche 
Lücke unseres Bücherschatzes ausgefüllt. 

(Staatliche Organisation des Aerztestandes.) In 
Württemberg wird eine staatliche Organisation des gesammten ärzt¬ 
lichen Standes geplant. Dem ärztlichen Landesausschusse ist that- 
sächlich bereits der Entwurf einer ärztlichen Standesordnung zu¬ 
gegangen. Wir sind begierig zu erfahren — schreibt unser Cor- 
respondent — in welcher Weise die würtfembergische Regierung 
dem von ihr organisirten Aerztestande ihre weitere Fürsorge wird 
angedeihen lassen; denn in der aufgenöthigten Organisation allein 
vermögen wohl die Aerzte selbst am wenigsten eine Beglückung 
zu erkennen. 

(Cassen Vorstand und Aerzte.) Einen Beitrag zum viel 
erörterten Capitel der Behandlung von Cassenärzten durch den 
Cassenvorstand bringt das „Corr.-Bl. d. ärztl. Ver. Sachsens“. In 
einem Verwaltungsberichte der Magdeburger allgemeinen Orts- 
krankencasse heißt es u. a.: „Es ist darüber zu klagen, daß die 
Behandlung der Cassenmitglieder seitens der Cassenärzte zu vielen 
Beanstandungen und Klagen Anlaß gibt. Die Cassen werden gut 
thun, auf die Herren Aerzte in der Weise einzuwirken, daß sie 
ihnen sociale Pflichtbegriffe und socialpolitische Belehrungen bei- 
bringen.“ Natürlich haben die empörten Aerzte einmüthig die öffent¬ 
liche Zurücknahme dieser öffentlich ausgesprochenen Beleidigung 
gefordert. Als der Beleidiger dies ablehnte und auch der Cassen¬ 
vorstand nicht einschritt, beschloß eine allgemeine Aerzteversammlung 
einstimmig, die cassenärztliche Thätigkeit für den 1. Juli 1902 zu 
kündigen, wenn nicht eine öffentliche Zurücknahme der Beleidigung 
erfolgt. 

(Eine neue Universität), an welcher neben Medicin 
und Naturkunde Geschichte, Pnilosophie, deutsche Sprache und 
Literatur gelehrt würden, soll — wie aus Frankfurt ä. M. berichtet 
wird — daselbst neben dem SENCKENBERG’schen Institute für 
Medicin errichtet werden. Die Kosten der neuen Universität sollen 
aus einem zwei Millionen Mark betragenden Stiftungsvermögen 
gedeckt werden. 

(Statistik.) Vom 11. bis inclusive 17. Mai 1902 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 7547 Personen behandelt. Hievon wurden 1797 
entlassen; 163 sind gestorben (8'3% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 55, egypt. 
Augenentzündung 1, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 4, Dysen¬ 
terie—.Blattern—, Varicellen 42, Scharlach 95, Masern 598, Keuchhusten 86, 
ßothlauf 45, Wochenbettfieber 8, Rötheln 44, Mumps 33, Influenza —, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 747 Personen gestorben 
(— 45 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Wien der quiescirte 
Primararzt Hofrath Dr. Franz Scholz im 83. Lebensjahre, der 
Director des Sophienspitales Privatdocent Dr. Guido v. Török, 
52 Jahre alt, in Särospatak der Honorar-Oberphysicus Dr. Andreas 
Lfnyel im Alter von 82 Jahren. 


Die Wasserheilanstalt Kreuzen bei Grein in Oberöslerreich ist von der 
Natur aus zu einer Heilstätte geschaffen worden und gehört zu den ältesten, 
beliebtesten und am meisten besuchten Etablissements dieser Art. Sie ist in 
den flchtenreichen Donaubergen circa 500 Meter hoch in'einer paradiesischen 
Gegend gelegen, mit einer stets reinen, milden Luft, herrlichen Nadelholz¬ 
waldungen und entzückenden Fernsichten. Der Eigenthümer und ärztliche 
Leiter Herr Dr. Otto Fleisch an debl hat keine Kosten gescheut, um dieser 
Anstalt durch mannigfache prächtige Zubauten, wie Bäderhaus mit Wandel¬ 
bahn, Gartensalon, Speisesäle, Curhaus, Festsaal, Familienvilla, elektrische 
Beleuchtungsanlagen etc., sowie durch Einführung aller modernen Curbehelfe, 
wie Diät- und elektrische Curen, kohlensaure Bäder, Massage, Mastcuren etc., 
das Gepräge eines erstclassigen mit allem Comfort ausgestatteten Curortes zu 
verleihen. 

Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 

Der gesammten Auflage unsrer heutigen Nummer liegt 
ein Prospect bei über „Hell’s medicinische und diätetische 
Weine“. Wir empfehlen denselben der geneigten Beachtung 
unsrer Leser. 


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Wien, den L Juni 1902. 


XLIII. Jahrgang. 


Nr. 22. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart-Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik', letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse" 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 


Wiener 


Abonnementopreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Militärärztlicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
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der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien.I, Maximilianstr.4. 


medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Organ für praktische Aerzte. 

-«ose*- 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


Redaction: Telephon Nr. 13.849. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Administration: Telephon Nr. 9104. 


INHALT: Originalien nn<l klinische Vorlesungen. Ueber einige neuere physikalische Heilmethoden bei der Behandlung von Hautkrankheiten. Von 
Professor Dr. Eduard Schiff. — Aus dem Ambulatorium für Ohrenkranke des Docenten Dr. Ferdinand Alt im k. k. Krankenhause Kudolfstiftung 
in Wien. Ueber Erkrankungen des inneren Ohres nach internem Gebrauch von Salicylpräparaten. Von Dr. Max Sciieyer. — Beitrag zur Frage 
der forcirten Ernährung abdominaltyphöser Kranker. Von Dr. M. A. Ladyschf.nski in Rostow am Don. — Referate. Franz Pf.nzoi.dt (Erlangen) : 
Die Wirkung der Kohlensäure auf die Magenverdanung. — L. Edinger (Frankfurt a. M.): Geschichte eines Patienten, dem operativ der ganze 
Schläfenlappen entfernt war etc. — Otto Zusch (Danzig): Ueber spindelförmige Erweiterung der Speiseröhre im untersten Abschnitt. — Ludwig 
Pincus (Danzig): Zur Praxis der „Belastungslagerung“. — Fr. Schui.tzk (Bonn): Ueber das Vorkommen von Lichtstarre der Pupillen bei croupöser 
Pneumonie. — Honski.l (Tübingen): Ueber Alkoholinjectionen bei inoperablen Angiomen. — Nils Neermann (Kopenhagen): Ueber postoperativen 
Prolaps der Visrera. — P. A. Bi.agowjeschtschenski (Simpheropol): Beitrag zur Frage der Sectio alta bei totaler narbiger Impermeabilität der 
Harnröhre und Harnfisteln. — H. Dklius (Hannover): Beitrag zur Entstehungsart hysterischer Symptome. — August Homburgkr (Frankfurt a. M.): 
Weitere Erfahrungen über den BABissKi'scben Retiex. — Celli und Gasperini (Rom): Ueber Faludismus ohne Malaria. — Heim (Erlangen): Zum 
Nachweis der Choleravibrionen. — Kleine Mittheilnngen. Die Bedeutung des Jods als Vasomotorenmittel. — Alboferin. — Eine einfache 
Befestigungsart für den Dauerkatheter. — Hetol-(Zimmtsäure-)Behandlung der Lnngentuberculose. — Die Behandlung des Nasopharyngealraumes bei 
Scharlach. — Hedonal. — Enteritis. — Abkühlung, Lichtwirkung und Stoffwechselbeschleunigung. — Agurin. — Radicalbehandlung der exsudativen 
Pleuritis. — Literarische Anzeigen. Die Deutsche Klinik am Eingänge des zwanzigsten Jahrhunderts. Herausgogeben von Prof. Ernst von 
Leyden und Docent Dr. Felix Klemperf.r. — Geburtshilfe und Gynäkologie bei AiVnos von Amida. Zum erstenmale ins Deutsche übersetzt von 
Dr. M. Wegscheider. — Ueber die Behandlung von Kinderkrankheiten. Briefe an einen jungen Arzt. Von Dr. H. Nkumann. — Feuilleton. Einiges 
über Prognose. Von Dr. Max Kahank in Wien. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. 31. Versammlung der Deutschen Gesellschaft fiir 
Chirxtrgie. .Gehalten su Berlin, 2.— 5. April 1902. (CoHectiv-Ber. der „Freien Vereinignng der Deutschen med. Fachpresse“.) VI. — Aus medicinisclien 
» Gesellschaften Deutschlands. (Orig.-Ber.) — Notizen. Das Gesundheitswesen in Wien 1899. — Nene Literatur. — Eingesendet. Offene 

Correspondenz der Redaction und Administration. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 

Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „Wiener Medizinische Presse“ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Ueber 

einige neuere physikalische Heilmethoden hei 
der Behandlung von Hautkrankheiten. 

Von Professor Dr. Eduard Schiff.*) 

M. H.! Es ist mir eine angenehme Pflicht, Ihnen dafür 
zu danken, daß Sie meiner Einladung gefolgt sind, um Ihnen 
in meinem Institute einen Theil der durch die Behandlung 
mit Roentgenstrahlen bisher erzielten Resultate zu demon- 
striren. Ich halte es für unumgänglich nothwendig, bei einem 
so neuen Verfahren, welches eben wegen seiner Neuheit noch 
immer gewissen Zweifeln begegnen muß, in bestimmten Zeit¬ 
abständen den maßgebenden Factoren — und das sind Sie in 
allererster Linie, meine Herren Collegen! — über die Thätig- 
keit in diesem meinem Institute Bericht zu erstatten. Gestatten 
Sie mir, daß ich bei dieser Gelegenheit einige Worte der 
Erinnerung weihe jenem Manne, den wir in diesen Tagen 
verloren haben, Moriz Kaposi; der unschätzbare Werth, den 
seine Wirksamkeit für die Dermatologie besitzt, kann gerade 
heute und hier nicht gebührend gewürdigt werden, aber eine 
besondere Pflicht der persönlichen Dankbarkeit gebietet mir, 
hervorzuheben, welch reges Interesse, welch tiefes Verständniß 
er von Anfang an diesem neuartigen therapeutischen Verfahren 
entgegengebracht hat, einem Verfahren, zu dessen Begründung 
und Erweiterung beigetragen zu haben ich mir zur besonderen 
Ehre anrechne. 

*) Vorlrag, gehalten am 10. Mäiz 1902 vor dem Wiener raedicinischen 
Doctorencolleginm im Institute fiir Radiographie und Radiotherapie in Wien. 


Wenn Sie auch hier eine Reihe von Apparaten sehen 
werden, die dazu bestimmt sind, die verschiedenartigen 
physikalischen Methoden zur Behandlung von Hautkrankheiten 
heranzuziehen, so muß ich Ihnen doch vor Allem mittlieilen, 
daß die Reihe von Patienten, welche ich Ihnen vorführen 
werde, lediglich mit Roentgenstrahlen behandelt 
worden ist. 

Ohne mich in eingehende Details einlassen zu können, 
stelle ich Ihnen liier zunächst eine Anzahl von Hyper- 
t r i c h o s i s fällen des Gesichtes vor, welche schon vor längerer 
Zeit behandelt worden und recidivfrei geblieben sind und bis 
auf sehr geringfügige, kaum merkliche Niveauunterschiede 
und Pigmentanomalien einen perfecten kosmetischen Erfolg 
darstellen. Daran reihen sich einige Fälle von Sykosis, 
welche in relativ sehr kurzer Zeit zur Abheilung gebracht 
wurden (die Behandlungsdauer betrug 14 Tage bis 0 Wochen), 
endlich einige Fälle von Favus, die nach circa 2monatlicher 
Beleuchtung von ihrem Leiden geheilt wurden und nun schon 
seit Jahren davon befreit geblieben sind. 

Um auf die Aflectionen der Haut überzugehen, so gelingt 
eine vollkommene Heilung der pathologischen Processe insbe¬ 
sondere bei. Lupus und bei Epitheliom. Zur Bekräftigung 
meiner Worte stelle ich Ihnen die diesbezüglichen Patienten 
vor. Jeder derselben hält in der Hand seine Photographie 
von dem Status seines Aussehens vor Beginn der Behandlung, 
und wenn Sie die respectiven Bilder mit dem gegenwärtigen 
Aussehen der Patienten vergleichen, so glaube ich, daß jedes 
weitere Wort überflüssig ist. 

Wenn gegen die Roentgenbehandlung einerseits die 
Gefährlichkeit wegen der infolge derselben beobachteten 
tieferen Reactionsentziindungen und Gangränen, andererseits die 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 22. 


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Schwierigkeit der Dosirung des Mittels angeführt wird, so 
läßt sich diese Anfechtung unter Einem widerlegen. 

Wir sind allerdings in der Lage, die Roentgenstrahlen, 
und zwar sehr exact, zu dosiren. Diese Dosirung können wir 
in verschiedener Weise vornehmen, erstens durch Anwendung 
von Röhren von verschiedenem Vacuum. Auf dieses Moment 
hingewiesen zu haben ist das Verdienst des Collegen Kienböck. 
Je nach dem Grade der Evacuirung der Röhre — und diese 
läßt sich mit den neuesten Apparaten sehr genau reguliren — 
erzeugen wir nach Belieben mehr oder weniger Roentgen¬ 
strahlen. Wir können aber auch durch Veränderung des Ab¬ 
standes der Funkenstrecke die Wirksamkeit der Roentgen¬ 
strahlen nach Belieben verändern; ebenso können wir die 
Unterbrechungszahl modificiren, und auch dies trägt mit zur 
Dosirung bei. Endlich sind wir imstande, durch den Abstand 
der exponirten Hautpartie von der Röhre den Effect zu 
modificiren. Auch die Dauer der Einzelsitzung trägt in hohem 
Maße dazu bei, die Wirkung zu erhöhen oder herabzusetzen. 

Sie sehen, daß es kaum ein therapeutisches Verfahren 
gibt, welches so vielfachen Anforderungen der Dosirung nach¬ 
zukommen imstande wäre. 

Bisher konnte ich zu meiner großen Befriedigung con- 
statiren, daß durch die von mir angewendete Methode sich 
noch niemals eine tiefergehende Reactionsentzündung ent¬ 
wickelte, daß von tristen Folgeerscheinungen überhaupt keine 
Rede ist. 

Meine Ansicht geht nämlich dahin, daß es viel vortheil- 
hafter ist, mit den (harten) Roentgenröhren zu arbeiten, 
welche wenig Roentgenstrahlen aussenden, und die Einzel¬ 
sitzungen möglichst kurz zu gestalten. Die Behandlungsdauer 
ist dadurch allerdings eine längere, aber die große Wahr¬ 
scheinlichkeit, keine unangenehmen Nebenwirkungen zu erzielen, 
ist nicht hoch genug zu schätzen. 

Es wirft sich nunmehr die Frage auf: Sind 63 in der 
That die Roentgenstrahlen an und für sich, welche diese 
Effecte zu erzielen imstande sind? Wir müssen bedenken, daß 
mit der Erzeugung von Roentgenstrahlen eine große Menge 
hochgespannter Elektricität verbraucht wird und daß überdies 
eine ziemlich reichliche Quantität von Ozon sich entwickelt. 
Es liegt daher nahe, vorauszusetzen, daß vielleicht auch 
diesen Factoren ein gewisser Einfluß bezüglich des physiologi¬ 
schen Effectes zuzuschreiben ist. In der That liegen schon 
eine Reihe von Arbeiten vor, welche einerseits den Einfluß 
der hochgespannten Elektricität und andererseits die Wirkung 
des Ozons auf die Haut festzustellen scheinen. 

Um sich darüber klar zu werden, ob es die Roentgen¬ 
strahlen als solche oder die einzelnen eben erwähnten Com- 
ponenten sind, welche die geschilderten Effecte produciren, ist 
es nothwendig, diese Componenten gesondert auf ihre Wirk¬ 
samkeit zu untersuchen. 

Behufs Prüfung der Wirkung von hochfrequenten 
Strömen demonstrire ich Ihnen hier einen Apparat, welcher 
aus 3 Theilen besteht, einem RüMKORF’schen Inductor, einem 
Resonator (D’Arsonval) und einem Condensator. Die beiden 
letzteren Apparate dienen dazu, die Elektricitätsspannung 
möglichst zu erhöhen. An den Condensator wird dann die 
Elektrode angepaßt, welche je nach der Localität, die be¬ 
handelt werden soll, einer verschiedenen Construction unter¬ 
liegt. Wie Sie sich überzeugen können, empfindet man bei diesen 
so außerordentlich hoch gespannten Strömen keinen wesentlichen 
Schmerz, und man darf annehmen, daß die specifischen Sinnes¬ 
energie unserer Hautnerven für eine so hohe Spannung nicht 
mehr empfänglich ist nach Analogie unseres Gehörorgans, 
welches eine Schwingungszahl der Lufttheilchen über eine 
gewisse Grenze hinaus nicht mehr percipirt. Bezüglich der 
physiologischen, respective der therapeutischen Wirkung dieser 
Ströme kann ich noch kein abschließendes Urtheil abgeben, 
wohl aber habe ich beobachtet, daß dieselben einen ent¬ 
schiedenen Einfluß auf die Contractilität der capillaren Gefäße 
der Haut auszuüben imstande sind. Ebenso scheinen sie die 


Empfindlichkeit der Hautnerven zu beeinflussen. Sie eignen 
sich daher vorzüglich zur Behandlung von Angioneurosen, 
welche durch sie in günstigster Weise beeinflußt werden. 
Obwohl nicht in das Gebiet der Dermatologie gehörig, sei es 
mir gestattet, hier zu erwähnen, daß ich nach dem Vorschläge 
Doumer’s unter Anwendung dieser Ströme mit einer eigens 
hiezu construirten Elektrode Hämorrhoidalknoten behandelt 
habe, und daß die unerträglichen Beschwerden der betreffenden 
Patienten schon nach wenigen Sitzungen vollständig geschwunden 
waren. Dieselben günstigen Resultate kann man auch bei hef¬ 
tigen Neuralgien beobachten. 

Dieselben soeben erwähnten Effecte auf die Haut erzielt 
man, wenn auch in etwas abgeschwächter Weise, durch die 
Franklinisation. Behufs Anwendung dieser Form von Elek¬ 
tricität dient die hier aufgestellte Influenzmaschine mit den 
von Winkler angegebenen Modificationen. 

Ich habe früher unter den möglichen Componenten der 
Roentgenwirkung auch das Ozon erwähnt, und ich bin eben 
dabei, dieses bezüglich seiner Wirkung auf die Haut einer 
Prüfung zu unterziehen. Zu diesem Zwecke verwende ich 
abermals den RüMKORF’schen Inductor und lasse den elektrischen 
Funken durch einen Glascylinder gehen, in welchem sich eine 
Platinspirale befindet und durch welche eine bestimmte Menge 
von Sauerstoff durchgeleitet wird. Die sinnreiche Anordnung, 
welche einerseits dazu dient, durch den elektrischen Funken 
das Ozon aus dem Sauerstoff zu erzeugen und andererseits die 
entwickelte Menge Ozons genau zu bestimmen, stammt von 
dem Collegen Docenten Dr. v. Zeynek, dem ich hiemit meinen 
Dank ausspreche. Da meine Versuche hierüber noch nicht ab¬ 
geschlossen sind, bin ich auch noch nicht in der Lage, darüber 
zu berichten. 

Als größtes Object finden Sie endlich in diesem Institute 
den von Fjnsen angegebenen Apparat zur Isolirung der ultra¬ 
violetten Strahlen aus dem Spectrum. Finsen ist heute so sehr 
in der Mode, daß Sie mir es wirklich erlassen können, Ihnen 
eine detaillirte Beschreibung des Apparates zu geben. Es 
genügt wohl, wenn ich die außerordentlichen Verdienste 
Fissen’s hervorhebe, welcher durch seine geniale Entdeckung 
der exquisit baktericiden Wirkung der ultravioletten Strahlen 
uns eine wesentliche Bereicherung des therapeutischen Schatzes 
gegeben hat, wodurch bei Lupus die schönsten Heilresultate 
erzielt werden. Lange Jahre und mit vieler Mühe hat Finsen 
gearbeitet, bis es ihm endlich gelungen ist, die allgemeine 
Anerkennung (nicht bloß der wissenschaftlichen Welt) zu finden. 
Seine Entdeckung und seine Behandlungsmethode des Lupus 
ist gewiß glänzend, aber ich muß immer und immer wieder 
betonen, wie ich dies schon so oft gethan habe, daß speciell 
die Behandlung des Lupus mit Roentgenstrahlen der seinigen 
nicht nachsteht. Im Gegentheil. Sie sehen, wie complicirt. der 
Finsen- Apparat, Sie wissen, wie schwierig die Anwendung 
seiner Methode ist, mit welcher Mühe es erst gelingt, geeig¬ 
netes Personal zu finden und abzurichten. Bedenken Sie die 
außerordentlichen Kosten, welche eine Bogenlampe von 
80 Ampere beansprucht, und vergessen Sie nicht, daß die 
Behandlung selbst eines kleinen Lupusherdes bei täglich 
1 —2stündigen Sitzungen viele Monate und selbst Jahre erfordert. 

Vergleichen Sie damit die durch Roentgenstrahlen er¬ 
zielten Resultate, welche überdies noch für sich den Vorzug 
in Anspruch nehmen können, daß die Indication zur Anwendung 
derselben sich nicht bloß auf Lupus beschränkt, sondern, wie 
ich es Ihnen eben gezeigt habe, auf eine ganze Reihe von 
pathologischen Processen in der Haut herangezogen werden 
kann, und ich glaube, daß bei einiger Objectivität das Urtheil 
nicht lange schwanken wird. 

Ich will hier hinzufügen, daß ein Assistent Finsen’s, 
Dr. Bang, in jüngster Zeit eine sehr handliche Bogenlampe 
mit Eisenelektroden und Wasserkühlung construirt hat, welche 
ich Ihnen hier demonstrire und deren Effecte zu prüfen ich 
eben daran bin. Sollten sich dieselben als günstig erweisen, 
so wird die Construction dieser Lampe gewiß wieder eine 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 22. 


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wesentliche Bereicherung unserer Therapie bedeuten. Aber 
zur Anwendung einer solchen sind kostspielige Institute wohl 
nicht nothwendig, welche die öffentliche Wohlthätigkeit in 
Anspruch nehmen, denn ich meine, daß in diesem Falle jede 
dermatologische Klinik die Mittel hat, diese Hilfsapparate 
anzuschaffen und eigentlich schon die Verpflichtung hiezu hat. 

Ihr zahlreiches Erscheinen, für welches ich Ihnen noch¬ 
mals danke, beweist mir, welch reges Interesse Sie dieser 
Methode entgegenbringen, und erlauben Sie mir, jeden einzelnen 
von Ihnen einzuladen, falls er Neigung und die nöthige Zeit 
hiezu hat, entweder selbständig oder mit mir in diesem In¬ 
stitute zu arbeiten. 


Aus dem Ambulatorium für Ohrenkranke des 
Doeen ten De. Ferdinand Alt im k.k. Krankenhause 
liiidolfStiftung in Wien . 

Ueber Erkrankungen des inneren Ohres nach 
internem Gebrauch von Salicylpräparaten. 

Von Dr. Max Scheyer. 

Die von Kolbe und Stricker in die Therapie des 
Gelenksrheumatismus eingeführte Salicylsäure hat sich rasch 
als Specificum gegen diese Krankheit eingebürgert und ebenso 
rasch waren auch die unangenehmen Nebenwirkungen des 
Medicaments bekannt. Einzelne derselben sind harmlos, während 
andere, von denen noch bis in die neueste Zeit die Ansicht 
verbreitet ist, daß sie mit dem Aussetzen des Mittels prompt 
aufhören, durchaus nicht harmloser Natur sind und namentlich 
im inneren Ohre zu schweren, ja selbst unheilbaren Folge¬ 
krankheiten führen. Sowohl die reinen, wie auch die unreinen 
Salicylpräparate sind imstande, Nebenwirkungen hervor¬ 
zurufen ; letztere jedoch viel eher und stärker. Da durch 
Thierexperimente nachgewiesen wurde, daß solche Dosen der 
natürlich gewonnenen Salicylsäure noch vertragen werden, welche 
von der synthetisch gewonnenen und in der Therapie verwendeten 
schon tödtlich wirken, so wurde angenommen, daß es die der 
letzteren anhaftenden Verunreinigungen sind, die das Entstehen 
einer Reihe von Intoxicationserscheinungen besonders begün¬ 
stigen. Es sind dies die bekannten und chemisch nachgewiesenen 
Cresotinsäuren, von denen die Ortho- und Paiacresotinsäuren 
giftig sind. 

Doch handelt es sich bei den Folgeerscheinungen nicht 
bloß um Intoxicationen, die ja mit dem Aussetzen des Medi- 
camentes und bei der ungemein raschen Ausscheidung des¬ 
selben durch die Nieren gewiß mehr oder weniger rasch ver¬ 
schwinden, sondern auch um directe anatomische Läsionen der 
feinsten Nervenelemente, deren Regeneration natürlich von der 
Schwere des Insultes abhängt, so namentlich am Acusticns 
und Opticus. 

Es ist bekannt, daß. viele Aerzte namentlich in schweren 
Fällen von Gelenksrheumatismus das Natrium salicylicum 
so lange in großen Dosen verabreichen, bis Intoxications¬ 
erscheinungen auftreten, weil sie erst dann die volle Wirkung 
des Medicamentes erwarten. Die gewünschte Wirkung tritt 
auch wohl meist prompt ein, manchmal stellen sich jedoch 
schon vorher so unerwünschte Nebenerscheinungen, die von 
den gewöhnlichen wesentlich abweichen, ein, daß das sofortige 
Aussetzen des Mittels, noch bevor es seine Schuldigkeit gethan, 
nothwendig wird. 

Da sich solche Zufälle auch bei geringen Dosen er¬ 
eignen, so muß man annehmen, daß es sich in solchen Fällen 
um eine Idiosyncrasie des Patienten handelt, dessen Intoleranz 
gegen das Mittel mit der Größe der Gabe wächst und durch 
accidentelle Momente, wie z. B. Behinderung der Ausscheidung 
durch Nierenerkrankungen und dadurch bedingte Anhäufung 
des Präparates im Organismus mit cumulativer Wirkung 
wesentlich verstärkt werden kann. 


Die Heilwirkung der Salicylsäure ist eine zweifache; 
sie wirkt desinficirend und antipyretisch. Die Antipyrese wird 
größtentheils durch die vasomotorische Wirkung des Mittels 
erzeugt, indem sich ein Sinken des Blutdruckes mit starker 
Erweiterung der Hautgefäße und der dadurch bedingten Wärme¬ 
abgabe und oft abundantem Schweißausbruche einstellt. Gerade 
diese Beeinflussung der Vasomotoren ist es, welche den Anstoß 
zu einer Reihe von Folgekrankheiteu , besonders im inneren 
Ohre, gibt. 

Kirchner hat vor zwei Decennien die ersten Thier¬ 
experimente gemacht, um für die Erscheinungen des inneren 
Ohres nach Salicylgebrauch eine anatomische Erklärung zu 
finden. Die mit diesem Mittel gefütterten Thiere gingen unter 
starken Suffocationserscheinungen zugrunde, und die Section 
ergab starke Hyperämie und Extravasate, bestehend aus weißen 
und rothen Blutkörperchen im ganzen Labyrinth. Da jedoch 
dieser anatomische Befund von anderen Autoren bloß als 
Folgezustand der Suffocation, hervorgerufen durch die giftige 
Wirkung des Mittels in den Respirationsorganen, angesprochen 
wurde, so unternahm es Grunert, diesen Einwurf auf seine 
Stichhältigkeit zu prüfen. Er tödtete Thiere durch reine 
Suffocation und fand wohl auch Veränderungen im Gehör¬ 
organe, jedoch in keinem einzigen Schnitte Blutaustritte in 
die mit Endolymphe gefüllten Räume des Labyrinths und 
namentlich niemals im Ductus cochlearis, was bei den durch 
Salicylsäure getödteten Thieren stets der Fall war. Die über¬ 
mäßige Erweiterung, ja selbst Lähmung der feinen Blutgefäße 
im Gehörorgane, das eonseeutive Bersten derselben mit Bildung 
von Blutextravasaten, welche sehr wohl imstande sind, das 
empfindliche Neuroepithel des Labyrinths durch Druck und 
gestörte oder ganz aufgehobene Ernährung nicht bloß zu 
schädigen, sondern auch für immer zu vernichten, sowie auch 
die directe toxische Wirkung auf den Acusticus selbst machen 
uns das Auftreten aller jener transitorischen und persistirenden 
Ohrerscheinungen verständlich, die sich manchmal bei Gebrauch 
des Natrium salicylicum einstellen. So sehen wir bei solchen 
Gelegenheiten alle Stufen der Störungen des Gehörorgans 
vom leichten Schwindel und Ohrensausen mit rasch vorüber¬ 
gehender Schwerhörigkeit bis zu den schwersten Labyrinth- 
affectionen mit langdauernder Schwerhörigkeit und selbst 
completer Taubheit auftreten. Diese Zustände erfahren noch 
eine Verschärfung durch das ab und zu beobachtete, gestörte 
psychische Verhalten der Patienten, welches in dem so plötz¬ 
lichen Verluste des Gehörs und dem bis zur Unerträglichkeit 
gesteigerten und fast ununterbrochenen Ohrensausen seine 
Erklärung findet. 

Die Casuistik der schweren Labyrinthaffectionen bei 
internem Salicylgebrauch ist trotz der enormen Verwendung 
dieses Mittels eine verhältnißmäßig geringe, und deshalb möchte 
ich mir erlauben, über einen solchen Fall zu berichten, den 
ich letzthin ab origine zu beobachten Gelegenheit hatte und 
von dem ich glaube, daß er sowohl den Internisten als auch 
den Otologen interessiren dürfte. 

E. Sch., 36 Jahre alt, Wäscherin , erkrankte am 30. Januar 
1902 an Gelenksrheumatismus. Nach erfolgloser häuslicher Pflege 
suchte sie am 6. Februar das Spital auf und wurde auf der 
III. med. Abtheilung aufgenommen. Die Gelenksaffection war eine 
multiple. Es wurden der Kranken täglich 5 Pulver ä 0'5 Natr. 
salicylicum verabreicht. Ara 13. Februar stellten sich Kopfschmerzen, 
Sausen im ganzen Kopfe, starker Schwindel und Schwerhörigkeit 
ein, worauf das Mittel sofort ausgesetzt und die Patientin zur Er¬ 
hebung des Ohrenbefundes in die Ohrenambulanz geschickt wurde. 
Die Kranke, eine robuste, sehr kräftige Person, hatte außer einem 
Gelenksrheumatismus vor 3 Jahren nie eine ernstere Krankheit 
durchgemacht und hat namentlich niemals vorher über Gehörs¬ 
störungen geklagt. Sie gab an, daß das beiderseits bestehende 
Ohrensausen nach dem Aussetzen des Medicamentes rechts nachließ, 
links jedoch mit unverminderter Heftigkeit persistirte und dem 
Geräusche einer Nähmaschine glich; auch klagte sie über starken 
Schwindel, namentlich beim Aufstehen. Die objectivo Untersuchung 


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ergab normale innere Organe, namentlich gesunde Nieren; beim 
Gehen bestand starker Schwindel, bei Romberg leichtes Schwanken, 
das Stehen auf einem Fuße war unmöglich, ebenso auch das Gehen 
auf einem Kreidostriche infolge starken Schwankens. Das Trommel¬ 
fell beiderseits normal, Weber nach rechts, Rinne rechts positiv, 
Kopfknochenleitung um etwa 15 Secunden verkürzt. Links Luft¬ 
leitung ziemlich stark verkürzt, Kopfknochenleitung nahezu auf¬ 
gehoben ; Flüstersprache wurde rechts auf 2 Meter, links gar nicht 
gehört. Laute Sprache rechts auf 5 Meter hörbar, links nur in 
solcher Nähe, daß die Betheiligung des rechten Ohres nicht mehr 
ausgeschlossen werden konnte. Tuben beiderseits beim Katheterisiren 
leicht durchgängig, nach demselben keinerlei Veränderung des Hör¬ 
vermögens. 

Am 22. Februar Flüstersprache links l 1 /* Meter, rechts 
2Meter; beim Aufstehen aus dem Bette noch immer starker 
Schwindel, Ohrensausen geringer, Roraberg noch deutlich. 

Am 14. März Ohrensausen nur noch links, Schwindel beim 
Aufstehen; Kopfknochenleitung rechts stark, Luftleitung mäßig ver¬ 
kürzt ; links Kopfknochenleitung ganz aufgehoben, Luftleitung selbst 
bei starkem Anschlägen der Stimmgabel nahezu aufgehoben ; Flüster¬ 
sprache rechts 4'/ 2 Meter, links 1 J / 2 Meter; das kräftige Ticken 
einer Taschenuhr wird rechts auf 25 Cm., links nur beim Anlegen 
an das Ohr gehört. Beim Stehen auf einem Fuße noch immer sehr 
starkes Schwanken. 

Diese Labyrinthaffection verdient umsomehr Interesse, 
als das Krankheitsbild durch keine andere, früher bestandene 
Ohraffection, noch auch durch irgendwelche sichtbare Ver¬ 
änderung des Mittelohrs getrübt wird und es sich da um eine 
ganz reine, nur durch die Salicylwirkung hervorgerufene Folge¬ 
krankheit handelt, die nach geringen Dosen und bei sofortigem 
Aussetzen des Mittels zu dauernden Läsionen des inneren 
Ohres führt. 

Es wurden auch Fälle von completer Taubheit nach 
Salieylgebrauch beobachtet; Bride beschreibt das Ohrpräparat 
eines auf diese Weise complet taub gewordenen Mannes, in 
dem die Bogengänge und der ganze perilymphatische Raum 
mit Bindegewebsbündeln von verschiedener Dicke erfüllt waren. 

Da es sich in den wenigen beschriebenen Fällen von 
Labyrinthaffectionen gezeigt hat, daß dieselben jeder Therapie 
getrotzt haben, oder im besten Falle nur eine geringe Besserung 
zu erzielen war, so richtete sich das Augenmerk der Aerzte 
nicht bloß auf die Heilung der entstandenen Folgeerscheinungen, 
sondern auch auf die Prophylaxe derselben. Vom prophylakti¬ 
schen Standpunkte wäre es wohl angezeigt, vorerst bei An¬ 
wendung des Natrium salicylicum nicht bloß Vorsicht zu üben, 
sondern auch den Laien Vorsicht zu predigen, da heutzutage 
jeder Laie bei einer geringfügigen Neuralgie oder schon bei 
einem Schnupfen von jenem Medicamente auch ohne ärztliche 
Verordnung ausgiebigen Gebrauch macht. Ebenso wäre es 
empfehlenswerth, außer der Aufnahme einer genauen Anamnese 
namentlich die Nieren und Ohren genau zu untersuchen, ebenso 
wie man vor jeder Chloroformnarkose nie verabsäumt, Herz 
und Nieren zu untersuchen, zumal ja — wie schon früher 
erwähnt — bei einzelnen Patienten bereits niedere Dosen sehr 
schwere Nebenerscheinungen hervorrufen können. Es wäre 
also bei nervöser Disposition, bei Geistesstörungen, Nieren¬ 
erkrankungen und schleichenden Mittelohraffectionen, die durch 
Salicylgebrauch leicht exacerbiren, die Anwendung dieses 
Mittels contrainüicirt, oder müßte dieselbe zum mindesten 
ganz besondere Vorsicht erheischen. Die moderne Therapie ist 
ja reich an Ersatzmitteln, die sich bei der Behandlung des 
Gelenksrheumatismus sehr gut bewährt haben und die, wenn 
sie auch ab und zu nicht so prompt wirken, doch den Vortheil 
haben, niemals solche Nebenerscheinungen zu erzeugen, trotz¬ 
dem die Mehrzahl dieser Mittel Salicylverbindungen sind, die 
jedoch in dieser Zusammensetzung unschädlich sind. Ich erinnere 
an das Antipyrin, Phenacetin, Aspirin, Salipyrin, Salophen 
und Salol, sowie an die Schwitzcuren und localen Schwitz¬ 
bäder, die in den letzten Jahren sehr stark und mit recht 
guten Erfolgen verwendet werden. 


Von Schilling wurde auf Grund theoretischer Er¬ 
wägungen, um die Hyperämie und Gefäßlähmung im Labyrinth 
hintanzuhalten, empfohlen, mit jeder 1 Grm. überschreitenden 
Dose des Natr. salicylicum Gaben von 1 Grm. Ergotin oder 
1*5 Grm. gepulvertem Secale cornutum zu verbinden. Schilling 
soll auch in der Praxis auf diese Weise befriedigende Resultate 
erzielt haben. Meines Wissens hat jedoch diese Medication 
bei uns niemals Anwendung gefunden, vielleicht weil man 
vor einer häufigen Verabreichung solcher Gegenmittel zurück¬ 
schreckte und weil bei weiblichen Patienten bei noch so großer 
Vorsicht mit Rücksicht auf eine etwaige Gravidität sehr leicht 
eine schwere Schädigung erwachsen könnte. 

Als Therapie der schon bestehenden Läsionen des Gehör¬ 
organs wurden neben den sonst bei Labyrintherkrankungen 
gebräuchlichen Maßnahmen empfohlen Antiphlogose, ferner 
Kochsalz- und Salmiakdämpfe von 2%igen Lösungen per tubam, 
sowie auch intern Jodkali anzuwenden. Gegen das sehr lästige 
Ohrensausen leistet manchmal der constante elektrische Strom 
gute Dienste, sowie Injectionen von ■ 3%igen Chloralhydrat- 
lösungen per tubam in die Paukenhöhle. Gegen die schweren 
anatomischen Läsionen der feinsten Acusticusfasern und deren 
bindegewebige Veränderung dürfte wohl jede Therapie macht¬ 
los sein. 


Beitrag zur Frage der forcirten Ernährung 
abdominaltyphöser Kranker. 

Von Dr. M. A. Ladyschenski in Rostow am Don. 

(Schluß.) 

Der Zufall gab mir in kurzer Zeit Gelegenheit, fast 
hintereinander an drei abdominaltyphösen Kranken den Vor¬ 
schlag der reichlichen Ernährung zu erproben. Da ich die 
betreffenden Kranken allein behandelte, wäre es mir möglich 
gewesen, den von mir bezüglich der Ernährung gefaßten Plan 
ungestört durchzuführen, wäre nicht von Zeit zu Zeit meine 
Selbständigkeit durch die Furcht der nächsten Angehörigen 
der Kranken, denen meine neue Methode von vornherein als 
himmelschreiende Ketzerei erscheinen mußte, beeinträchtigt 
worden. Derartigen Neuerungen stellen sich in der Klinik 
oder im Krankenhause weniger Hindernisse entgegen als in 
der Privatpraxis. Die einfacheren Leute haben sich schließlich 
beruhigen lassen, dagegen habe ich einen schweren Kampf 
um die Ernährungsweise mit der Mutter meines jüngsten 
Typhösen, einer intelligenten Frau, die vor einigen Jahren 
ihren Mann an einem Typhusrecidiv verloren hatte, durch¬ 
zumachen gehabt. 

Meine Fälle sind folgende. 

I. Fall, lljähriger Knabe; Vater starb an Typhus, Mutter 
lebt. Er erkrankte am 1. August 1898 unter Schüttelfrost, hohem 
Fieber, Kopfschmerzen und Reißen im ganzen Körper. Der Knabe 
beschäftigte sich den ganzen Sommer mit Angeln, wobei er mehr¬ 
mals täglich im Don badete. Er unterbrach diese Beschäftigung 
auch an Regentagen nicht, so daß er nicht selten ganz durchnäßt 
nach Hause kam. 

Status praesens: Magerer, seinem Alter entsprechend 
gewachsener Knabe mit schlecht entwickelter Musculatur. Haut¬ 
decken etwas ikterisch verfärbt, trocken und sich heiß anfühlend. 
Schleimhaut blaß. Temperatur in der Achselhöhle 39 - 6°, Puls 120. 
Zunge stark belegt, feucht; Milz 2 Fingerbreiten unterhalb des 
linken Rippenbogens zu fühlen und sehr empfindlich ; rechter Leber¬ 
rand bei tiefer Inspiration gleichfalls palpabel. Abdomen mäßig 
gebläht, wenig schmerzhaft bei Berührung; im rechten Hypochon- 
drium deutliches Gargouillement; am Abdomen und am unteren 
Theile des Brustkorbs stellenweise Roseolen, Obstipation. Der Knabe 
klagt über starken Kopfschmerz, Schmerzen im ganzen Körper, 
über Uebelkeit beim Versuch sich im Bette aufzurichten und Uber 
starken Durst. Nach Angabe der Mutter hat der Knabe in den 


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letzten beiden Nächten stark delirirt. Ich sah den Knaben zum 
erstenmale am 3. August, d. h. am 3. Krankheitstage. Trotz der 
ziemlich charakteristischen Merkmale ließ ich zunächst die Dia¬ 
gnose in suspenso mit Rücksicht auf die zu jener Zeit in Rostow 
zahlreichen Fälle von Malaria, die unter dem Bilde von Typhus 
verliefen. Ich verordnete Wiener Trank, 1 Eßlöffel stündlich, bis 
zur Wirkung und außerdem salzsaures Chinin mit Salophen zu 
0‘15 zweimal täglich. — Abends Temperatur 40 , 1°, Puls 140. 
Nachts Delirien. 

4. August. Temperatur SB'ß 0 , Puls 120. Stuhl zweimal, wo¬ 
bei eine braune stinkende Flüssigkeit entleert wurde. Tliee, Milch 
und überhaupt jede Nahrung wurde verweigert; Gargouillement 
stärker, Zunge trocken, mit früherem Belag; an den Zähnen kle¬ 
briger dunkler Schleim ; Lippen gesprungen. 0 rd i n at i o : Eisblase 
auf den Kopf, alle 3 Stunden Abreibung des Rumpfes und der 
Extremitäten mit einer Mischung von Essig und Wasser von 24 °R., 
innerlich 3mal täglich Phenacetin und salzsaures Chinin zu 015 
mit citronensaurem Coffein (0'15); die Mutter wurde belehrt, dem 
Kranken gewaltsam Milch, Milchthee oder Milchkaffee einzuflößen. 
Abends Temperatur 39‘6°, Puls 120. 

5. August. Temperatur 38 - 4°, Puls 116. Nachts ruhiger; 
dreimal Stuhl wie früher. Milz und Leber ragen noch mehr über 
den Rippenrand hervor; Harn spärlich, dicht, zucker- und eiwei߬ 
frei. Gargouillement wie früher. Der Kranke nahm, wenn auch 
mit Widerwillen, 3 Tassen Milch und 2 Gläser Thee mit Citrone 
zu sich. Nun wurde die Diagnose mit Bestimmtheit auf Abdomi¬ 
naltyphus gestellt, welche von einem hinzugezogenen Collegen 
auch bestätigt wurde. Abendtemperatur 39'6°, Puls 140. Dieselbe 
Behandlung. Außerdem wurde saure Milch in unbeschränkter Quan¬ 
tität gestattet und der Mutter erklärt, daß das Kind reichlich er¬ 
nährt werden müsse, worauf sie jedoch hartnäckig nicht eingehen 
wollte. 

6. August. Temperatur SS^ö 0 , Puls 120; Abends Tempe¬ 
ratur 39’4, Puls 140. Status idem, jedoch keine Delirien und 
Zunge etwas reiner. Obstipation. Der Kranke nahm 4 Tassen Milch, 
2 Schüsselchen saurer Milch mit Zucker und eine Tasse Cacao zu 
sich. Mit Mühe gelang es, die Mutter zu bewegen, dem Kinde, 
das nunmehr selbst nach Nahrung verlangte, etwas Bisquite und 
Weißbrot, in Milch aufgeweicht, zu geben. Ordinatio: Ricinusöl in 
Kapseln. 

7. August. Morgentemperatur 38‘8°, Puls 140, Abendtempe¬ 
ratur 39 - 6°, Puls 140. Zweimal geruchloser Stuhl. Harn normal, 
nur etwas dicht. Das Kind schlief die Nacht gut und schläft auch 
am Tage. Nun wurde Kartoffelpüree, Milchreis und Preiselbceren- 
gelee mit Milch gestattet. 

8. August. Morgentemperatur 39 , 2°, Abendtemperatur 39'8°. 
Subjectives Befinden, Schlaf, Appetit gut; einmaliger, nicht sehr 
flüssiger Stuhl. Der Kranke nahm 3 Glas Milch, eine Tasse Cacao 
mit Brot und Bisquite, ein Schüsselchen saurer Milch und eine 
Tasse Bouillon mit Nudeln zu sich. Der Vorschlag, dem Kinde 
nunmehr etwas Fleisch zu geben, wird von der Mutter zurückgewiesen. 

9. August. Morgentemperatur 38‘6°, Abendtemperatur 39 - 8°. 
Status idem. 

10. August. Morgentemperatur 39'6°, Abendtemperatur 39 8°. 
Zunge, Zähne etwas reiner. Der Knabe ist der Milch überdrüssig 
geworden, wohl aber nahm er zwei Schüsselchen saurer Milch und 
Zwieback zu sich. Kein Stuhlgang. Ordinatio: Klystier, Wannen¬ 
bäder von 28 1 / 3 °R. zweimal täglich 5 Minuten lang. 

11. August. Morgentemperatur nach dem Wannenbad 38'2°, 
Abendtemperatur vor dem Wannenbad 401°. Nach dem Wannen¬ 
bad etwas Schüttelfrost; Stuhlgang. Der Knabe klagt Uber Schwäche 
und ist reizbar. Tokayer-Wein 4mal täglich 1 Eßlöffel und noch¬ 
maliges Anrathen, dem Kinde etwas Fleisch zu geben. Fortsetzung 
der Wannenbäder. 

12. August. Morgentemperatur vor dem Wannenbade 39'6°, 
Abendtemperatur gleichfalls vor dem Wannenbade 39 , 8°. Der 
Knabe fühlt sich besser, die Schwäche hat nachgelassen; er be¬ 
kommt etwas junges Huhn, Milch mit Zwieback, Cacao, Kirschen¬ 
gelee mit Mandelmilch. Abdomen kahnförmig, Gargouillement wie 
früher. Milz und Leber groß. 


13. August. Status idem. 

14. August. Morgentemperatur vor dem Wannenbad 39 - 4°, 
Abendtemperatur 39 - 6°. Der Knabe bittet um eine Cotelette, was 
von der Mutter jedoch verweigert wird. Nach dem Klystier fast 
normaler Stuhl. Der Knabe ißt ad libitum Zwieback mit Milch, 
saure Milch, Bouillon mit Reis und Huhn; auch bekam er einen 
geschmorten Apfel mit Zucker. Reizbarkeit geringer. 

15. und 16. August. Temperatur sinkt. Subjectives Befinden 
gut, Leber und Milz etwas kleiner. Der Knabe ißt gekochtes junges 
Huhn, bekommt täglich ein Wannenbad. Stuhl durch Klystiere. 

17.—19. August. Temperatur nimmt allmälig ab. Keine Me- 
dicamente. Zunge fast rein. Der Knabe ist etwas lebhafter und 
beschäftigt sich, im Bette sitzend, mit Zeichnen. Außer Milch, 
Cacao, Zwieback, Kartoffelpüree bekommt er zweimal täglich ge¬ 
kochtes junges Huhn. Einmal täglich ein Wannenbad von 10 Mi¬ 
nuten Dauer. Wein seltener. Nach wie vor Klystiere. 

20.—22. August. Morgentemperatur normal, Abendtemperatur 
subfebril. Milz weich und verschwindet hinter dem Rippenbogen. 
Die Mutter willigt ein, dem Kinde eine Cotelette zu geben. 

24.-26. August. Die Genesung macht rasche Fortschritte, 
ohne Complicationen. Der Knabe ißt viel, darunter Cotellets und 
Geflügel. Wannenbäder alle 2 Tage von 28° R. und 10 Minuten 
Dauer. 

28.—31. August. Zustand gut, Temperatur normal. Abdomen 
verliert seine kahnförmige Form. Pat. n och schwach, kann aber 
ohne Hilfe aus einem Zimmer in das andere gehen. Gemischte 
Nahrung ad libitum. 

Am 2. September stieg die Temperatur plötzlich auf 40 - 0°. 
Die Mutter ist in Verzweiflung, schuldigt die Diät an und glaubt 
an einen Rückfall. Obstipation. Ricinusöl und Wannenbad von 
28° R. 

Am 3. September kehrte nach reichlicher Darmentleerung 
die Temperatur wieder zur Norm zurück, und von diesem Tage 
begann der Knabe bei reichlicher Nahrung sich rasch zu erholen. 

II. Fall. 29jäbriger Fischhändler. Am 28. August 1898 
erschien er in meiner Sprechstunde und klagte über enorme 
Schwäche, Kopfschwindel, Schmerzen an den unteren Extremitäten 
und im Kreuz. Er gab an, vor 8 Tagen unter starkem Schüttel¬ 
frost mit nachfolgender und bis auf heutigem Tag bestehender 
Hitze erkrankt zu sein. Schweiße und Schüttelfröste sollen in dieser 
Ze.it nicht bestanden haben; dagegen soll sich die Schwäche der¬ 
maßen gesteigert haben, daß der Kranke einmal, am Ufer gehend, 
schwindlig wurde und ins Wasser fiel. 

Status praesens. Hoch gewachsener, kräftig und gutgebauter 
Mann. Temperatur in der Achselhöhle 39 - 4°, Puls 120. Milz stark 
vergrößert und hart, Gargouillement stark ausgesprochen. Zunge 
belegt. Ich schickte den Kranken sofort ins Bett. Die Temperatur 
zeigte die charakteristische Curve , ohne auf Fiebermittel auch im 
mindesten zu reagiren. 

Täglich Wannenbäder von 28 */ 2 0 R. Forcirte Ernährung. Am 
12. August war der Kranke imstande, auf dem Hofe spazieren zu 
gehen und zu Ende der 4. Woche vom Beginn der Erkrankung 
nahm er seine Beschäftigung wieder auf. Während der ganzen 
Behandluugsdauer keine unangenehmen Erscheinungen, selbst bei 
einer Temperatur von 40'2° machte der Pat. durchaus nicht den 
Eindruck eines Schwerkranken. Der Obstipation wurde bald durch 
Ricinusöl, bald durch Klystiere abgeholfen. Die einfachen Leute, 
der Kranke und seine Frau, widersprachen mir nicht hinsichtlich 
der Diät und führten meine Verordnungen pünktlich aus. 

III. Fall. 27jähriger Buchhändler. Er erkrankte am 7. Sep¬ 
tember 1898 unter Schüttelfrost, Hitze, Kopfschwindel und allge¬ 
meiner Schwäche. Pat. ist mittlerer Statur, gut genährt und mit 
guter Musculatur. Hautdecken icterisch, Zunge feucht und stark 
belegt. Morgentemperatur (am 6. Krankheitstage) 39'3°, Milz und 
Leber vergrößert, keine Roseolen, Gargouillement schwach. Der 
weitere Verlauf der Temperatur ließ hinsichtlich der Diagnose keinen 
Zweifel übrig. Geringe Chiuindosen, sonst keine Medicamente. Von 
der zweiten Woche begannen Bäder von 28 1 / 2 °R., die in der ersten 
Zeit Schüttelfrost hervorriefen, später aber nicht mehr. Ricinusöl 
wegen bestehender Verstopfung. Mit der forcirtcn Ernährung be- 

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gann ich gleich an den ersten Krankheitstagen. Die Diät war 
folgende: Des Morgens 2 Glas Milch mit Brot; um 11 Uhr Früh¬ 
stück aus 2 Eiern oder Rührei, Butter, Schinken und Brot; um 
3 Uhr Mittagessen aus Bouillon oder Suppe, gekochtem jungen 
Huhn und süßer Speise; Abendessen weich gekochte Eier und 
Schinken. Außerdem trank der Pat. täglich 5—6 Glas Milch. Von 
der 4. Woche ab, nachdem die Temperatur bereits vollkommen 
normal wurde, bekam der Pat. gewöhnliche Hausmannskost. Als 
er in der 4. Woche das Bett verließ, verspürte er keine besondere 
Schwäche, wie es sonst nach Typhus der Fall zu sein pflegt. Auch 
in diesem Fall habe ich keine einzige unangenehme Complication 
infolge der reichlichen Ernährung auftreten sehen. 

Alle meine Kranken verweigerten zwar im Anfang die ihnen 
dargebotene Nahrung, bald fanden sie aber Geschmack daran, so 
daß ich in dieser Beziehung die Beobachtungen von Buschuew 
voll und ganz bestätigen kann. Starken Durst habe ich bei meinen 
Pat. nicht beobachtet. Es war durchaus nicht nöthig, sie mit Wein 
zu tränken, wie man es gewöhnlich bei hungernden Typhösen thun 
muß, deren Kräfte mittelst Spirituosen und anderer Reizmittel man 
zu erhalten sucht. Ich war nicht ein einzigesmal in der Lage, 
Moschus, Valeriana u. a. ähnliche Mittel geben zu müssen. 

Das sind nun die Krankengeschichten meiner drei Typhösen, 
bei denen ich das System der reichlichen Ernährung angewendet 
habe. Indem ich die Resultate dieser Behandlungsweise veröffent¬ 
liche, bin ich weit davon entfernt, irgend welche Schlüsse ziehen 
zu wollen, bezw. diesen Schlüssen entscheidende Bedeutung beizu¬ 
messen. Ich bin mir dessen genug bewußt, daß diese Beobachtun¬ 
gen nur einen Tropfen im Meeie der Beobachtungen und Tliat- 
sachen ausmachen, die zur Entscheidung der gegenwärtig im Vorder¬ 
gründe der Discussion stehenden Frage der zweckmäßigen Ernäh¬ 
rung Abdorainaltyphöser noch erforderlich sind. Der Zweck meiner 
gegenwärtigen Mittheilung ist, diejenigen Collegen, die in Kranken¬ 
häusern thätig sind und über größeres einschlägiges Material ver¬ 
fügen, zu veranlassen, an ihren Pat. die Schlüsse zu prüfen, zu 
denen die vorläufig noch wenigen Anhänger der neuen Richtung 
in der Ernährungsweise fiebernder Kranker gelangt sind. 

Durch die günstigen Resultate, die ich durch reichliche und 
gemischte Nahrung in den 3 obenstehenden Fällen von Abdominal¬ 
typhus erzielt hatte, ermuntert, habe ich im Sommer 1899 dieselbe 
Methode in zwei weiteren Fällen angewandt, deren Krankenge¬ 
schichten ich im Nachstehenden gedrängt wiedergeben will. 

IV. Fall. 24jähriger, zugereister Belgier. Er erkrankte am 
2. August 1899 auf den Bergwerken in der Nähe von Lugansk. 
Ich sah den Pat. zum erstenmale am 6. August und erfuhr, daß 
die Krankheit sich mit Schüttelfrost und darauf folgender hoher 
Temperatur, mit Schmerzen im Rücken und den Halsmuskeln, sowie 
Schmerzen beim Schlucken eingestellt hat. Gegenwärtig sei er 
wegen enormer Schwäche und Muskelschmerzen nicht imstande, 
das Bett zu verlassen. 

Status praesens. Pat. ist von mittlerer Statur, gracilem 
Körperbau, schlecht genährt und mit schlecht entwickelter Mus- 
eulatur. Zunge stark belegt, im Rachen diffuse Röthung, Mandeln 
vergrößert, Belag fehlt. Ueber dem Abdomen zerstreute Roseolen ; 
Milz ragt drei Fingerbreiten über dem Rippenbogen hervor, ist 
hart und schmerzhaft bei Berührung. Rechter Leberrand gleichfalls 
palpabel. Hals- und Rückenmuskeln sehr empfindlich. Im rechten 
Hypoehondrium starkes Gargouillement. Durchfälle mit brauner 
stinkender Flüssigkeit. Starker Durst, den der Kranke nur mit 
Bier stillt. Der Kranke glaubt sich in den Bergwerken erkältet 
zu haben ; auf Befragen gibt er an, dort mehrfach schlechtes Bier 
getrunken zu haben. 

Der weitere Verlauf der Krankheit und die charakteristische 
Temperaturcurve, welche sich durch keine antipyretische Mittel 
beeinflussen ließ, ließen mit absoluter Sicherheit die Diagnose auf 
Abdominaltyphus stellen. 

Nachdem die telegraphisch herbeigerufenen Angehörigen den 
Kranken in zur zweckmäßigen Krankenpflege erforderliche Ver¬ 
hältnisse gebracht haben, begann ich furchtlos und systematisch 
den Kranken, seinem Geschmack und seinem Wunsche gemäß, er¬ 
nähren zu lassen. Die Diät war folgende: Um 8 1 /., Uhr Morgens 


1 Tasse Cacao oder Kaffee mit Milch oder Bisquite; um ll^aUhr 
1 Glas Milch, 2 Scheiben Brot mit Butter und 2 Eier; um 3 Uhr 
Mittagessen, bestehend aus Suppe, gekochtem jungen Huhn, Milch¬ 
gries und Compot oder Fruchteis; manchmal aus gekochtem Fleisch 
mit Kartoffeln und gehackten Eiern mit Sahnensauce; später wurden 
auch Coteletts gegeben. Abends bekam der Pat. Tliee mit Milch 
und Brot, Rührei, bisweilen Filet oder Kalbfleisch. Außerdem be¬ 
kam er 2mal täglich 1 Glas guten Bieres. 

Trotz der hohen Temperatur, welche bis zum 24. August 
anhielt, war der Pat. so munter, daß er imstande war, längere 
Zeit im Bette aufrecht zu sitzen, selbst aus dem Bette zu steigen, 
um die natürlichen Bedürfnisse zu verrichten. 

Am 28. August blieb der Pat. außerhalb des Bettes. Am 
2. September stellte sich ein Recidiv ein, das bis zum 11. Sep¬ 
tember anhielt. Hierauf begann der Pat. sich rasch zu erholen und 
war am 21. September bereits imstande, seine Geschäfte wieder 
aufzunehmen. Die Diät war auch während des Recidivs dieselbe. 
In diesem Falle sowohl wie auch in dem nachstehenden war die 
besondere Neigung zur Obstipation auffallend, so daß ich häufig 
Ricinusöl verordnen mußte. Der accurate Belgier, der in seinem 
Notizbuch alle meine Verordnungen selbst notirte, machte mir beim 
Abschied die Bemerkung, daß ich ihn 140 Ricinuskapseln habe 
einnehmen lassen. Aber außer dem Ricinusöl mußte man auch 
Klysmen zu Hilfe ziehen. Vom 16. August zeigte der Stuhl voll¬ 
kommen normale Form und erinnerte durch nichts mehr an den 
classischen, erbsenförmigen typhösen Stuhl. Trotzdem der Kranke 
unter Muskelschmerzen vom Beginn der Krankheit viel zu leiden 
hatte 9 ), die verschiedene Muskelgruppen, namentlich die des 
Rückens und des Abdomens betrafen, konnte er doch ziemlich früh 
das Bett verlassen. Was das Recidiv betrifft, welches übrigens nur 
auf die Temperatursteigerung beschränkt blieb, so lag hier kein 
Grund vor, dasselbe auf die Ernährungsweise zurückzuführen, da weder 
von Seiten des Magendarmcanals, noch von Seiten der übrigen Or¬ 
gane irgend welche Complication oder Abnormität währzunehmen war. 

Der V. Fall war von Anfang an ein sehr schwerer. Die 
28jährige Beamtensfrau erkrankte am 30. Juli 1899 unter hohem 
Fieber und Delirien. Vor 3 1 /., Jahren hatte die Pat. einen Selbst¬ 
mordversuch gemacht, indem sie sich aus einem großcalibrigen 
Revolver in die Milzgegend eine Kugel jagte, die die Milz durch¬ 
bohrte, die linke Niere verletzte, die Bauchhöhle durchdrang und 
oberhalb der Fascien der Lumbalmuskeln in der Höhe des fünften 
Lumbalwirbels 1 Cm. links von seinem Dornfortsatze stecken blieb. 

Status praesens. Pat. ist gut gebaut und genährt. Auf 
der linken Hälfte des Brustkorbs ist in der Höhe der 7. Rippe 
IV 2 Cm. oberhalb der Mammillarlinie und in ebensolcher Entfer¬ 
nung vom Rippenbogen eine sternförmige Narbe von der Größe 
eines kleinen Knopfes zu sehen, die von der Schußwunde herrührt. 
In der linken Lumbalgegend ist in der Höhe des 5. Lumbalwirbels 
eine lineäre, 2 Cm. lange Narbe zu sehen, welche von der in dieser 
Stelle behufs Extraction der stecken gebliebenen Kugel gemachten 
Incision herrührt. Der Verlauf der Temperatur, die vergrößerte 
Milz, das Gargouillement, die Roseolen, die charakteristische Zunge 
und der charakteristische Stuhl ließen bereits im Beginn der Krank¬ 
heit keinen Zweifel darüber aufkommen, daß in diesem Falle eine 
sehr schwere Form von Abdominaltyphus vorlag. Trotzdem 
bei der Pat. sich bereits innerhalb der ersten Woche auf der Zunge 
tiefe Fissuren gebildet haben, welche die Oberfläche derselben in 
Form des Buchstabens Y durchfurchten und bei der Nahrungsauf¬ 
nahme äußerst störend waren, trotzdem ferner zu Ende der dritten 
Woche auch andere Complicationen 10 ) aufgetreten sind, welche der 


9 ) Es ist bekannt, daß durch das Typhusgift eine Degeneration des 
Muskelsystems herbeigeführt wird, die bisweilen so stark ist, daß es zu spon¬ 
tanen Zerreißungen einzelner Muskeln, wie z. B. des M. rectus abdominis, 
kommt, was natürlich von starken Schmerzen begleitet wird. 

,0 ) Perisplenitis mit per continuitatem entstandener circumscripter Peri- 
chondritis der 7-, 8. und 9. Rippe im Gebiete und in der nächsten Nachbar¬ 
schaft der früheren Verletzung. Beide Krankheitsprocesse sind wahrscheinlich 
durch die Krankheitserreger des Typhus und deren toxische Stoffwecliselpro- 
ducte verursacht worden, indem sie in den nach der Schußverletzung zurück¬ 
gebliebenen Verwachsungen und Narben wohl eineu günstigen Boden zu ihrer 
Entwickelung gefunden haben. 


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Kranken bei jedem Versuch, sich aufzurichten oder sich im Bette 
umzudrehen, enorme Schmerzen verursachten und somit die Nah¬ 
rungsaufnahme in hohem Maße erschwerten, gelang es doch, die 
Kranke so hinreichend zu ernähren, daß sie trotz der 5 Wochen 
anhaltenden hohen Temperatur die schwere Erkrankung über¬ 
wunden hat, was bei ungenügender Ernährung kaum der Fall 
wäre. In den ersten Tagen mußte man der Kranken das Essen 
förmlich aufdrängen, später verlangte sie jedoch selbst nach Nah¬ 
rung. Wegen der bestehenden Obstipation mußte man häufig bald 
zu Ricinusöl, bald zu Klysmen Zuflucht nehmen. Von der dritten 
Woche zeigte aber der Stuhl normale Farbe und gewöhnliche Con- 
sistenz. Wie bei den früheren Kranken, so wurde auch bei dieser 
Fat. besonderes Gewicht auf Sauberkeit der Mundhöhle gelegt. 
Die Diät war folgende: Morgens Thee oder Kaffee mit süßer 
Sahne, 2 Schnitten Roggenbrot mit Butter. Zum Frühstück bekam 
die Pat. 2 Eier oder Rührei, Schinken und Cacao; zum Mittag¬ 
essen Suppe, gleichzeitig junges Iluhn oder Hühnercotelette oder 
Kalbfleisch, Kartoffelpüree oder Milchreis, Compot. Abends 2 Eier, 
Brot mit Butter und Cacao. Außerdem trank die Pat. täglich drei 
bis vier Glas Milch. Wein bekam sie fast gar nicht; Wannenbäder 
wurden nicht gegeben. Zur Linderung der Schmerzen wurden inner¬ 
lich und äußerlich Narcotica angewendet. 

Meine gesammten, hinsichtlich der Wirkung gemischter 
und reichlicher Nahrung bei Abdominaltyphus an 5 Kranken 
gemachten Erfahrungen lassen mich folgende Punkte her vor- 
heben: 

1. Die gemischte reichliche Ernährung blieb 
auf die Temperaturcurve sowohl im Sinne einer 
Steigerung, wie im Sinne einer Herabsetzung 
ohne Einfluß. 

2. Sie verlängerte nicht den Krankheitsver¬ 
lauf und kürzte ihn auch nicht ab. 

;}. Sie führte zu keiner Complication sowohl 
von Seiten des Magendarmcanals, wie auch von 
Seiten der übrigen Organe, Decubitus wurde 
auch nicht beobachtet. 

4. Sie bewirkte Neigung zu Verstopfungen 
und wirkte günstig auf den Charakter der Ent¬ 
leerungen und auf den Zustand der Mundhöhle. 

5. Das subjective Befinden der Kranken war 
bei gemischter und genügender Nahrung ein 
merklich besseres; die Patienten machten nicht 
den Eindruck Schwerkranker, sie waren imstande, 
sich im Bette aufzurichten, selbst aufzustehen, 
sich längere Zeit zu unterhalten. 

6. Das Reconvalescentenstadium war bedeu¬ 
tend kürzer, und die Kranken hatten nach Ab¬ 
lauf der Krankheit nicht das matte und abge¬ 
zehrte Aussehen, wie es gewöhnlich die nach dem 
Hunger System behandelten Typhösen darbieten. 


Referate. 

Franz Penzoldt (Erlaugen): Die Wirkung der Kohlen¬ 
säure auf die Magenverdauung. 

Der Gang der Untersuchung war folgender: Um die Aufent¬ 
haltsdauer der Speisen im Magen und das qualitative Verhalten 
des Magensafts unter dem Einfluß der Kohlensäure zu ermitteln, 
wurde das Probefrühstück, eine Semmel, abwechselnd den einen 
Tag mit l / 2 Liter Brunnenwasser, den anderen Tag mit l / 2 Liter 
kohlensaurem Wasser genommen. Alsdann wurde, anfangs alle 
halbe Stunden, später alle Viertelstunden etwas Mageninhalt expri- 
mirt und damit die mikroskopischen, sowie die chemischen Unter¬ 
suchungen auf Säure, Salzsäure, Milchsäure, Eiweiß, Pepton und 
Zucker angestellt. Auf diese Weise wurde auch bis auf Viertel¬ 
stunden genau der Zeitpunkt des Verschwindens der Speisen aus 
dem Magen ermittelt. Das Ende der Magenverdauung wurde an¬ 
genommen, wenn die Expression keine Reste der Speisen erkennen 


ließ, die Reactionen auf Säuren nicht mehr vorhanden waren und 
eine Ausspülung den Magen als leer nachwies („Festschrift für 
Kussmaul“). Aehnlich wurde bei der Untersuchung der Kohlen¬ 
säurewirkung auf die Fleischverdauung verfahren. Als „kohlen- 
saures Wasser“ wurde ein künstliches Wasser gewählt. 

Bei den Versuchen zeigte sich zwar keine erhebliche Beein¬ 
flussung der Magenverdauung durch die Kohlensäure, doch eine 
Verbesserung in mehreren Richtungen. Die Säureabscheidung be¬ 
ginnt früher und erreicht höhere Grade. Fällt sie früher ab, so 
hängt dies ohne Frage mit dem schnelleren Ablauf der Magen¬ 
verdauung zusammen. B. 

L. Edinger (Frankfurt a. M.).- Geschichte eines Patienten, 
dem operativ der ganze Schläfenlappen entfernt 
war etc. 

Die vollständige Entfernung des rechten Schläfenlappens und 
der Insel hat bei einem Rechtshänder kein einziges Ausfallsymptom 
erkennen lassen. Was von solchen Symptomen beobachtet ist, läßt 
sich mit Sicherheit auf andere secundär erweichte oder operativ 
verletzte Hirntheile zurückführen. 

Vor der Operation hatte außer allgemeinen Drucksymptomen 
nur eine gekreuzte Parese des unteren Facialis bestanden. Nach 
ihr war eine Parese mit leichter Sensibilitätsstörung des linken 
Armes und Beines aufgetreten, deren Ausdehnung bald und ständig 
zurückging, so daß bei der Entlassung aus dem Hospital nur eine 
Parese der Strecker der Hand und des Fußes, sowie eine gewisse 
Gohsehwäche noch vorhanden war. Es ist keine Sprachstörung 
aufgetreten, cs hat der musikalische Sinn und das Verstehen der 
Worte nicht gelitten. Die erwähnte Parese erklärt sich aus einer 
seeundären Erweichung des frontalen Abschnittes der Capsula in¬ 
terna („Festschrift f. Kussmaul“). Es ist eine gewisse Sehschwäche 
beobachtet worden. Auch für diese fand sich eine operativ ent¬ 
standene Schädigung. Der Opticus war da, wo er der Medialseite 
des operirten Schläfenlappens anliegt, lädirt. 

Es ist möglich, daß ein besonders eingehendes Vertiefen in 
die seelische Leistungsfähigkeit des Patienten, besonders auch ein 
Studium seiner Associationsfähigkeit mit der Zeit zum Nachweis 
gewisser Defecte geführt hätte, aber cs bleibt immerhin sehr wichtig 
zu constatiren, daß die sorgfältige Beobachtung durch gewissenhafte 
Aerzte kein Ausfallssymptom hat erkennen lassen. 

Der Befund wird auch dadurch wichtig, weil hier die secun 
däre Ausbreitung der Tumoren später zum Tode geführt und da¬ 
durch eine genaue Untersuchung des Gehirnes ermöglicht hat. 

B. 

Otto Zusch (Danzig): Ueber spindelförmige Erweiterung 
der Speiseröhre im untersten Abschnitt. 

Bisher waren es im Wesentlichen drei ätiologische Momente, 
welche für die Genese der spindelförmigen Speiseröhrenerweiterung 
verantwortlich gemacht wurden: Cardiospasmus, Oesophagitis, Oeso- 
phagusatonie. Für den ersteren Zustand charakteristisch ist nervöse 
Veranlagung des Kranken, Wechsel des Schluckvermögens und der 
Sondirbarkeit. Bei primärer Oesophaguslähmung sind die Kranken 
nicht imstande, aufzustoßen oder zu erbrechen. 

Es gibt nach Z. („Festschrift f. Kussmaul“) auch eine 
spindelförmige Speiseröhrenerweiterung im untersten Abschnitte 
aus angeborener Anomalie der Speiseröhre. Sie kann lange latent 
bleiben. Kommt es infolge einer Gelegenheitsursache zu länger 
andauernder Anstauung von geschluckten oder durch Brechbewegung 
hochgekommenen Massen in dem Speiseröhrensack, dann tritt all- 
mälige Dilatation desselben und durch Zersetzung des Inhaltes 
Rhagaden- und Excoriationenbildung in ihm ein. 

Je nach dem Grade, in welchem diese seeundären Störungen 
sich geltend machen, zeigt das resultirende Krankheitsbild im 
einzelnen Falle oft die verschiedenartigsten Abstufungen und Nuan- 
cirungen. Gelingt es der klinischen Behandlung, eine successive 
Verkleinerung des gedehnten Speiseröhrensackes bis etwa zu seiner 
ursprünglichen Größe herbeizuführen und die Reizerscheinungen 
zu beseitigen, so verschwinden auch die oft qualvollen Beschwerden 

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der Erkrankten, aber die Disposition zu Rückfällen oder besser 
gesagt zu Verschlimmerungen bleibt für den Träger einer derartigen 
angeborenen Formauomalie der Speiseröhre zeitlebens bestehen. 

Z. erörtert sodann eingehend 11 einschlägige klinische Beobach¬ 
tungen. Ein pathognomonisches Symptom der Erweiterung der Speise¬ 
röhre ist die zeitweiligeAnstauung der Speisen in dem dilatirte» Organ ; 
daher die Schlingbeschwerden und das Regurgitiren. Bei Tag kann 
dieses den Charakter des Wiederkauens haben, bei Nacht steigen 
die Rückstände oft nur bis zum Kehlkopfeingange auf und verur¬ 
sachen dann Husten, der meist erst sein Ende erreicht, wenn er 
zu Erbrechen geführt hat. Foctor ex ore kann in hieher gehörigen 
Fällen fehlen. Die Aflection ist überaus schmerzhaft; die Kranken 
haben, wenn irritironder Inhalt die Musculatur an beiden Enden 
.der Spinde] zu spastischer Contractur anregt, das Gefühl, als würde 
ihnen die Brust auseinaudergerissen. Andere haben ein mehr oder 
weniger unbehagliches Gefühl. Die Schmerzen können nach ver¬ 
schiedenen Richtungen ausstrahlen. Läßt man bei hochgehaltenem 
Trichter rasch Wasser in die Speiseröhre einfließen, dann stockt 
der Wasserstrom plötzlich, sobald der Speiseröhrensack vollständig 
gefüllt ist. Z. nennt dieses Symptom das „Symptom des bipolaren 
Abschlusses der Oesophagusektasio“. Das dem unteren Pole der 
Ektasie entsprechende llinderniß kann mit dicken Sonden relativ 
am leichtesten überwunden werden. Sämmtlicbe Kranke boten das 
Bild der Magenatonie. — Sie sind außerdem gegen thermische und 
klimatische Eintliisse, gegen alkoholische und kohlensäurereiche 
Getränke, sowie gegen psychische Einflüsse ungemein empfindlich. 
-— Therapeutisch kommt die Einführung möglichst dicker, weicher 
Sonden in Betracht; forcirte Sondirungsversuche sind zu vermeiden. 
Als zweckmäßigstes Verfahren nennt Z.: Eine Zeit lang am Morgen 
den Sack zu leeren und die Speiseröhre zu waschen, 3mal täglich 
Sondenfütterung durch dicke Sonden, Versuch kleiner Zwischen¬ 
mahlzeiten auf natürlichem Wege, Auswaschen am Abend zur Ver¬ 
meidung der Stagnation über Nacht, Gebrauch von alkalischen 
Wässern, um den Katarrh zu bekämpfen. Oft empfiehlt es sich, die 
Diät umzukehren, erst die festen , dann die flüssigen Speisen zu 
reichen. In manchem Falle wird wohl entsprechende chirurgische 
Therapie in Frage kommen. B. 


Ludwig Pincus (Danzig): Zur Praxis der „Belastungs¬ 
lagerung“. 

Den Grundtypus derselben bilden das Planum inclinatum (die 
schiefe Ebene) und die Compression (Belastung). Was die Hoch¬ 
lagerung des Beckens und der unteren Extremitäten betrifft, genügen 
für gewöhnlich Erhebungen des Fußendes um 20 — 25 Cm. Bei 
Frauen, welche an Wadenkrämpfen und Venektasien leiden, legt 
man Binden an; jedoch muß vor dem Anlegen der Binden das 
Blut durch Emporheben der Extremität entleert werden. Durch die 
Ilochlagerung erzielt man eine bedeutende Entlastung der Unter¬ 
leibsorgano und eine bedeutende mechanische Verbesserung der 
Kreislaufsverhältnisse, die — eine Art Autotransfusion — bei den 
vielfach anämischen Patientinnen auch für das Allgemeinbefinden 
von wesentlichem Vortheil ist. 

Die Compression ist im subacuten Stadium nur von außen 
erlaubt, darf nur eine intermittirende sein und dies auch nur dann, 
wenn Fieber und Schmerz dadurch verringert werden. Zur abdo¬ 
minalen Compression dienen der Schrotbeutel und feuchter Töpfer¬ 
thon, zur intravaginalen vor Allem der Quecksilberkolpeurynter, in 
zweiter Linie und zu anderen Zwecken das Luftpessar (Q.uecksilber- 
luftkolpeurynter) und die Staffeltamponade. 

Iiei den exsudativen Affectionen, welche den Beckenboden 
erreichen oder ihm nahe liegen, ist die eigentliche intravaginale 
Belastung indicirt; der Druck von außen dient hier mehr als Ad¬ 
juvans. Bei den Erkrankungen der Adnexe und der Beckenserosa 
aber wird der eigentliche Druck, die Compression von außen, von 
den Bauchdecken her ausgeübt, während die vaginale Belastung 
nur die Aufgabe des Adjuvans erfüllt. Von grundlegender Bedeutung 
ist es aber auch, daß nicht nur graduell belastet, sondern auch 
graduell entlastet wird. Diesem Zwecke dient der von Pincus con- 
struirte Quecksilberluftkolpeurynter, mit dem die ambulanten Pa¬ 


tientinnen nach der Belastungslagerung versehen werden und der 
auch zu der sog. „Kolpeuryntermassage“ Verwendung findet. Als 
Hilfsmittel für die Aufsaugung der Entzündungsherde kommen noch 
entsprechende Ernährung (ev. MiTCHELL’sche Cur), methodische 
Athemgymnastik, bei hochgradiger Anämie die Hypodermoklyse in 
Betracht. 

Neben dem therapeutischen besitzt die Methode einen bedeu¬ 
tenden diagnostischen Werth, infolgedessen sie in der Privatpraxis 
die Narkose vielfach zu ersetzen in der Lage ist. Die Compression 
von außen wirkt hiebei uicht nur durch ausgiebige Entspannung 
der Bauchdecken, sondern auch durch Herabsetzung der Empfind¬ 
lichkeit ; Tumoren werden außerdem durch länger dauernde Be¬ 
lastung in ihrer Configuration klarer und begrenzter, was in vielen 
Fällen schon Fortschritte in der erzielten Resorption bedeutet, die 
Belastungslagerung ist zugleich ein vortreffliches Mittel, um fest¬ 
zustellen, ob eine Retroflexio uteri fixirt oder mobil ist, ebenso wie 
sie zur Reposition des retroflectirten, insbesondere graviden Uterus 
vorzüglich zu verwerthen ist. Wird ein Exsudat trotz Anwendung 
der typischen Belastungslagerung nicht kleiner, so läßt dies auf 
Gegenwart von Eiter schließen, der bei gleichzeitigem sichtlichen 
Kräfteverfall zu beginnender Perforation neigt. 

Die hohe Bedeutung der mittelst der Methode erzielten con- 
servativen Behandlung beweisen 9 Fälle von später eingetretener 
Schwangerschaft. Im Ganzen hat Pincus in den Jahren 1886 bis 1900 
229 Fälle mittelst Belastungslagerung behandelt, u. zw.: Fälle von 
Parametritis (Exsudate und Strangbildungen), Pelveoperitonitis (diffuse 
Form, mehrere Organe betheiligt, Adhäsionen und kleine Exsudate), 
Perioophoritis-Perisalpingitis (circumscriptere Form , nur Ovarium 
oder Tube betheiligt), am Beckenrande fixirte schmerzhafte, meist 
vergrößerte Ovarien, Retroversioflexio uteri fixata und mobilis, 
Tubentumoren (absolut chronisches Stadium), bis ins Parametrium 
reichende Cervixlaquearnarben, Dyspareusia und Myodynia intra- 
pelvica sexualis (Pincus). Die Dauer der Behandlung schwankte 
zwischen 5 Tagen und 2 Monaten. Nur in TO°/ 0 (23 Fällen) 
mußte die Behandlung ganz oder vorübergehend aufgegeben 
werden. Fische«. 


Fr. Schultze (Bonn): Ueber das Vorkommen von Licht¬ 
starre der Pupillen bei croupöser Pneumonie. 

Vier Beobachtungen des Verf. („Festschrift f. Kussmaul“) 
zeigen, daß mangelnde oder träge Reaction der Pupillen gegen 
Licht nicht selten vorkommt, u. zw. auch bei freiem oder nur 
wenig benommenem Sensorium der Kranken. Zumeist sind daneben 
cerebrale Reiz- oder Lähmungssymptome vorhanden. Gewöhnlich 
waren die Pupillen während der Zeit der Reflexlosigkeit auch 
enger. Der Augenhintergrund hat in keinem der untersuchten Fälle 
eine Veränderung ergeben. Der Pupillenstarre liegen wohl Lähmungs¬ 
und nicht Krampfvorgänge zugrunde. Die lähmende Ursache setzt 
wahrscheinlich an derselben Stelle ein wie bei Tabes ; sie ging 
manchesmal mit Fehlen der Patellarreflexe einher. Am naheliegendsten 
ist es, in diesen Fällen an meningitische Veränderungen zu denken ; 
vielleicht kommt die Einwirkung eines vermehrten Hirndruckes, 
acuter Ilydrocephalus, in Betracht, der auch die Kopfschmerzen 
und das Fehlen der Sehnenreflexe erklären könnte. Auch an Toxin¬ 
wirkungen wird man zu denken haben. B. 

Honsell (Tübingen): Ueber Alkoholinjectionen bei in¬ 
operablen Angiomen. 

Auf der Klinik von Brüns wurden die ScawALBE’schen Al- 
koholinjeclionen in einem Falle von Angiom der Wange mit gutem 
Erfolge benutzt. Ein progredientes inoperables Angiom wurde durch 
dieselben nahezu zur Heilung gebracht. 

Die Technik der Injectionen ist einfach und wird vom Verf. 
folgendermaßen geschildert („Beitr. z. klin. Chir.“, Bd. 32, H. l) : 
Man injicirt die Flüssigkeit (50—70°/ 0 ) zunächst in der Peripherie 
des Tumors, etwa 1 Cm. vom Tumor entfernt in Abständen von 
x / 2 Cm. Nachdem auf diese Weise der Tumor rings infiltrirt wurde, 
wird eine zweite Reihe nach einwärts von der ersteren gebildet 
und so fort, bis der ganze Tumor schließlich infiltrirt ist. Um allen 


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(Jomplicationen vorzubeugen, wird genau darauf gesehen, daß der 
Alkohol in kein größeres Gefäß iujicirt werde. Es ist daher stets 
nothwendig, die Nadel allein einzusteehen und zu prüfen, ob kein 
Blut herauskommt. Ferner darf man nie in intactes Tumorgewebe 
injiciren, sondern stets in bereits infiltrirtes Gewebe. 

Die Menge der injicirten Flüssigkeit betrug im Anfänge 1—2, 
später 3 Ccm. Bei Beobachtung dieser Vorsichtsmaßregeln ge¬ 
lang es, über 100 Injectionen in den Tumor ohne jeden üblen 
Zufall auszuführen. Eine leichte Schwellung, die nach der ersten 
Behandlung noch übrig blieb, wurde später mit gutem Erfolg auf 
dieselbe Weise nachbehandelt. 

Der Vortheil des Verfahrens liegt in der Gefahrlosigkeit, 
geringen Schmerzhaftigkeit, welche eine Narkose überflüssig macht, 
weiters in dem Ausbleiben der Narben und der Einfachheit der 
Technik. Erdheim. 

Niels Neermann (Kopenhagen): Ueber postoperativen Pro¬ 
laps der Viscera. 

Verf. hat 15 Fälle von Prolaps der Eingeweide nach Lapa¬ 
rotomien aus den großen Krankenhäusern Kopenhagens zusammen¬ 
gestellt; der Vorfall trat zwischen dem 1. und 13. Tage nach der 
Operation, u. zw. durch Platzen der Operationsnarbe auf. 

In ätiologischer Beziehung weist Verf. auf die große Bedeu¬ 
tung des Ernährungszustandes der Pat. hin („Nord. Med. Arkiv u , 
Bd. 34), indem bei schwachen kachektischen Individuen die Heilung 
der Wunde nicht so schnell vor sich geht als bei gesunden; 
6 von den 15 Fällen betrafen kachektische Carcinomkranke. Außer¬ 
dem scheinen Wundinfection, Diastase der Recti, großer Fettreich¬ 
thum der Bauchdecken, sowie schließlich die frühzeitige Entfernung 
der Nähte in einzelnen Fällen auf die Entstehung des Vorfalles 
begünstigend eingewirkt zu haben. Die subjectiven Symptome des 
Prolapses waren gering, die Pat. klagten selten über Schmerzen; 
von objectiven Symptomen erwähnt Verf. bloß eine stärkere Durch¬ 
feuchtung dos Verbandes. Interessant ist, daß der Verlauf des 
postoperativen Prolapses in vielen Fällen ein verhältnißmäßig gut¬ 
artiger war und die Pat. auf die Reposition mit nur geringer 
Temperatursteigerung reagirten. 

Die Behandlung des Prolapses bestand in Reposition der vor¬ 
gefallenen Eingeweide und Naht der geborstenen Wunde; wo eine 
Verunreinigung der vorgefallenen Schlingen stattgefunden hatte, 
wurden dieselben entweder mit Kochsalzlösung oder einer anti- 
septischen Flüssigkeit (Carbol oder Sublimat) abgespült; im letzteren 
Falle wurden die letzten Reste des Antisepticums mittelst Koch¬ 
salzlösung entfernt. In einem einzigen Falle, wo keine Reposition 
gemacht wurde, mußte später eine Darmresection vorgenommen 
werden. Da nach der Ruptur der Bauchwand die einzelnen Schichten 
sich nur schwer von einander unterscheiden ließen, mußten die 
Bauchdecken nach der Reposition nur mit durchgreifender Naht 
geschlossen werden. Erdheim. 

P. A. Blagowjeschtschenski (Simpheropol): Beitrag zur Frage 
der Sectio alta bei totaler narbiger Impermeabi- 
lität der Harnröhre und Harnfisteln. 

Früher bestand die Behandlung der Harnfisteln und der im¬ 
permeablen Stricturen in Beseitigung der Strictur, während die 
Harnfistel erst nachträglich behandelt wurde. Diese Methode führt 
aber häufig nicht zum Ziele. Es empfiehlt sich vielmehr in solchen 
Fällen die Vornahme der Sectio suprapubica der Harnblase, durch 
welche der Harn abgeleitet wird. Diese Operation ermöglicht ferner 
eine ausgiebige Desinfection der kranken Blase, verringert die 
Blutstauung in den Nieren, so daß die Erscheinungen der bestehenden 
Pyelonephritis schwinden, endlich pflegt die Harnfistel, sobald sie 
nicht mehr durch den Harn berieselt wird, zur Heilung zu kommen. 
(„Monatsber. f. Urologie“, Bd. VII, H. l). In den in der Literatur 
verzeichneten Fällen wurde im Anschlüsse an die Sectio alta auch 
die retrograde Katheterisation der Strictur durchgeführt. Verf. be¬ 
reichert diese Beobachtungen durch eine eigene, in welcher durch 
die Sectio suprapubica (ohne retrograde Dehnung der Harnröhre) 
ein voller Erfolg erzielt wurde. Grosz. 


H. Delius (Hannover): Beitrag zur Entstehungsart hyste¬ 

rischer Symptome. 

Gegenwärtig ist die psychologische Auffassung hysterischer 
Erscheinungen die übliche. Auch die des Verf. („Ztschr. f. Hypno¬ 
tismus“, Bd. 10, H. 6) ist eine rein psychologische. Sie geht nicht 
von der Idee der Verdoppelung der Persönlichkeit aus, sondern 
führt die hysterische, über die Norm hinausgehende leichte Disso- 
ciirbarkeit auf eine Bahnung einzelner Centren infolge von Hem¬ 
mungen anderer Vorstellung6complexe zurück. Behindert oder auf¬ 
gehoben ist der physiologische Effect der Muskelcontraction , der 
Endzweck, den die betreffende Person in der intendirten Bewegung 
als das Wesentliche ansieht. Wichtig ist dabei die psychologische 
Thatsache, daß wir zwischen der Bewegungsvorstellung und der 
Empfindung der eingeführten Bewegung keine Bewußtseinserschei¬ 
nungen haben ; es sind beim Hysterischen nur bestimmte Vor- 
stellangscomplexe gehemmt. Diese Hemmung scheint Verf. auf 
emotionelle Momente zurückzuführen, von denen es sich bei hin¬ 
reichendem Einblick in das Seelenleben des Patienten immer nach- 
weisen ließe, daß sie das Auftreten der Symptome begleiten. 

Infeld. 

August Homburger (Frankfurt a. M.): Weitere Erfahrungen 
über den BABiNSKi’schen Reflex. 

Aus früheren Betrachtungen des Verf. hat sich ergeben: 

I. daß allein die isolirte refiectorische Dorsalflexion der großen 

Zehe als ein sicheres Symptom einer Läsion der durch die innere 
Kapsel verlaufenden motorischen Faserung anzuschen ist; 2. daß 
die Dorsalcontractur der großen Zehe vornehmlich bei alten Hemi¬ 
plegien vorkommt, die das typische Lähmungsbild zeigen; 3. daß 
der Reflex bei denjenigen Fällen cerebraler Lähmung fast immer 
fehlt, die als Folge zahlreicher Insulte ein von dem gewöhnlichen 
Lähmungstypus erheblich abweichendes Bild spastisch-paretischer 
Bewegungsstörung bieten. Der vorliegende Aufsatz enthält werth¬ 
volle Angaben („Neurol. Centralbl.“, 1902, Nr. 4). So wird es 
durch Beobachtungen wahrscheinlich gemacht, daß wir in dem 
doppelseitigen Auftreten des BABiNSKi’schen Reflexes aus acuter 
Ursache ein Perforationssymptom, ein Signum mali ominis, zu er¬ 
blicken haben. Der Reflex verschwindet, wenn zu einem älteren 
Herde in der inneren Kapsel späterhin Erweichungsherde im 
Linsenkerne und Thalamus hinzutreten. Verf. zieht den Schluß, daß 
die isolirte Dorsalflexion der großen Zehe ein Reflex ist, der 
auf einer tieferen motorischen Bahn thalamo-, bezw. tectospinaler 
Richtung verläuft, deren Intactheit er zur Voraussetzung hat. 
Daraus würde es sich erklären, warum man gerade bei der mul¬ 
tiplen Sklerose so wechselnde Verhältnisse findet, ähnlich wie bei 
luetischen, tuberculösen und sonstigen entzündlichen Processen und 
bei Tumoren u. s. w., die nach und nach die verschiedenen Faser¬ 
systeme ergreifen. Im Sinne jener Hypothese wäre auch, wie Verf. 
verlangt, die Ilalluxextension der Neugeborenen zu prüfen. — Das 
Argument, die Extensionscontractur des Hallux komme daher, daß 
der Strecker der großen Zehe von der Lähmung nicht betroffen 
sei, ist wohl nicht aufrecht zu erhalten. Infeld. 

Celli und Gasperini (Rom): Ueber Paludismus ohne Ma¬ 
laria. 

Eine sehr interessante, nach dem heutigen Stande des Wissens 
nicht zu erklärende Beobachtung! Die Verf. stellten ihre Unter¬ 
suchungen in den Sümpfen Fucecchios und Bientinas, in dem See 
von Massaciuccoli und den umliegenden Sumpfländern, sowie in den 
Küstenstreifen von Livorno und Viareggio an; alle diese Ort¬ 
schaften Toscanas waren zur Zeit der Medicäer, ja noch bis vor 
25 oder 30 Jahren malariaverseucht und sind heute fast vollständig 
malariafrei. Das Merkwürdige ist nun, daß in diesen Gegeuden 
sowohl Auopheleslarven (in den Sümpfen), als auch die reifen 
Mücken in sehr großer Zahl vorhanden sind ; Prof. Ficalti konnte 
zwischen diesen Mücken und jenen der Malariagegenden keinen 
Unterschied auffinden. Auch Malariaplasmodien waren zur Infection 
derselben in ausreichender Zahl vorhanden, da alljährlich Malaria¬ 
kranke von auswärts in diese Gegenden kommen und dort mehr 


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oder minder hartnäckige Recidive durchmachen. Trotzdem kommt 
es nie zu einer Ausbreitung der Erkrankung auf die Umgebung, 
die genannten Sumpfgegenden können vielmehr, wie bereits erwähnt, 
als malariafrei bezeichnet werden. Wie diese Thatsache zu erklären 
wäre, läßt sich derzeit noch nicht angeben. „Es handelt sich hier 
um eine unstreitbar bis jetzt noch unaufgeklärte Ausnahme der 
neuen ätiologischen und epidemiologischen Malariatheorien, d. h. 
es gibt Sumpfgegenden ohne Malariaverbreitung trotz Anopheles 
und eingeschleppter oder einiger vereinzelt bleibender sporadischer 
Malariafälle.“ („Centralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde und 
Infcctionskrankheiten“ , Bd. 30, 11.14.) Verff. glauben aber, daß 
eiue derartige Beobachtung keineswegs dazu berechtige, „andere 
bis jetzt unbekannte Malariavehikel“ anzunehmen, „wenn auch trotz 
aller oben angeführter prädisponirender Ursachen Malaria nicht 
vorhanden ist“. Als Analogie verweisen die Verff. auf „ansteckeude 
Epidemien, wie Bubonenpest und Lepra, die, wenn sie im Er¬ 
löschen sind, sich auf vereinzelte isolirte Fälle erstrecken“. 

Dr. S—. 

Heim (Erlangen): Zum Nachweis der Choleravibrionen. 

Um einen möglichst guten Nährboden für die Cholera- 
vibriouen darzustellen und andererseits das von ihm bereits vor 
längerer Zeit vorgeschlagene Anreicherungsverfahren möglichst er¬ 
folgreich zu gestalten, empfiehlt Verf. für die Untersuchung eines 
suspecten Wassers („Centralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde und 
Infectionskrankheiten“, Bd. 30, II. 15) ein aus einem Blutkuchen 
bereitetes Decoct, aus dem er in analoger Weise, wie es bisher 
bei der Kalb- oder Pferdefleischbouillon geschah, Nährböden darstellt. 
Im Blutdecoct, beziehungsweise in der Blutgelatine oder dem Blut¬ 
agar, gediehen Choleravibrionen üppiger als auf den bisher üblichen 
Nährböden. Dr. S—. 

Kleine Mittheilungen. 

— Die Bedeutung des Jods als Vasomotorenmittel erörtert 
Gumi’Recht („Verb, des XIX. Congr. fiir innere Medicin“). Er hat 
durch Thierversuchc und klinische Versuche an Gesunden und 
Arteriosklerotikern die Einwirkung des Jods auf den Blutdruck 
geprüft. Die angewandte Methode beruht auf der Prüfung der 
Gefäßreflexe. Wenn die Gefäße, etwa durch eine Lähmung des 
Gefäßnervencentrums, erweitert sind, so werden Reize, die auf das 
Gefäßnervcncentrum einwirken, eine Blutdrucksteigerung nicht oder 
nicht in normaler Weise bewirken; und wenn die Gefäße aus irgend 
einem Grunde erweitert sind, so wird ein nachfolgender Er- 
schlaffuugsreiz nicht oder nicht in so ausgiebiger Weise wie normal 
einwirken. Zur Reizung des Gefäßnervencentrums hat G. die sensible 
oder asphyktische Reizung, zur Erschlaffung der Gefäße Amylnitrit 
benutzt. Er fand: „Jodkalium und Jodnatrium lassen in kleinen 
und großen Dosen den Blutdruck von Kaninchen intact oder heben 
ihn etwas ; erst bei sehr großen, das Leben direct gefährdenden 
Gaben sinkt der Blutdruck. Auch freies Jod senkt den Blutdruck 
nicht. Das Gefäßcentrum wird durch Jodkalium, Jodnatrium und 
freies Jod nicht gelähmt oder auch nur wahrnehmbar in seiner 
Reflexthätigkeit geschwächt, die Drucksteigerungen durch sensible 
und asphyktische Reizung gelingen vielmehr nach Jodapplication 
ebensogut wie vorher. Auch der Tonus der Gefäße wird durch 
Jod nicht wesentlich vermindert. Die klinischen Beobachtungen mit 
dem RiVA-Rocci’schen Sphygmomanometer ergaben, daß eine ein¬ 
malige Jodmedication (auch nicht die gebräuchliche Gabe von 
l'O Jodkalium) weder den Blutdruck herabsetzt, noch die irn 
Verlaufe von körperlicher Arbeit eintretende Blutdrucksteigerung 
zu verhindern oder zu vermindern imstande ist, uud zwar ebenso¬ 
wenig beim Arteriosklerotiker als beim Gesunden, endlich daß 
auch der länger dauernde Gebrauch von Jod den Blutdruck nach 
keiner Richtung hin deutlich und constant beeinflußt. 

— Seine Erfahrungen über Alboferin bespricht K. Fuchs 
(„Wiener klin. Wsclir.“, 1902, Nr. 9). Er hat dieses Präparat in 
10 Fällen von Chlorose und 4 Fällen von secundärer Anämie 
angewendet. Die Darreichung geschah theils in Pulverform (3- bis 
4mal täglich 1 Kaffeelöffel) oder in Form von Tabletten mit und 


ohne Zusatz von Chocolade (25—20 Stück täglich). Das Alboferin 
ist ein bräunliches, in kaltem Wasser leicht lösliches, fast geruch- 
und geschmackloses Pulver, das vermöge dieser seiner guten Eigen¬ 
schaften stets gerne genommen wurde, zumal es nie irgend welche 
Verdauungsstörungen herbeiführte, im Gegentheile eine hervor¬ 
ragende appetiterregende Wirkung entfaltete. Die Beeinflussung 
der subjectiven Beschwerden war in den meisten Fällen schon in 
ganz kurzer Zeit eine sehr günstige, und auch die objectiveu 
Symptome zeigten bei entsprechender Behandlungsdauer eine ent¬ 
schiedene Besserung; es gingen die Erscheinungen von Seiten des 
Circulationsapparates (Nonnensausen, Herzgeräusche) zurück, in 
einem Falle traten nach vierwöchentlicher Darreichung von Alboferin 
die Menses nach zweimonatlicher Pause wieder auf. Ebenso günstig 
war der Einfluß auf das hämatologische Bild (durchschnittliche Zu¬ 
nahme des Hämoglobingehaltes bei vierwöchentlicher Behandlungs¬ 
dauer 30%) und besonders auf das Körpergewicht (in 4 Wochen 
durchschnittlich 4 Kgrm. Zunahme), welch letztere Thatsache neben 
dem hohen Eiweißgehalt wohl hauptsächlich der appetitanregenden 
Wirkung des Alboferin zuzuschreiben ist. 

— Eine einfache Befestigungsart für den Dauerkatheter 
schildert L. Moszkowicz („Centralbl. f. Therapie“, 1901, Nr. 4). 
Man nimmt ein Gummidrain von circa 12 Cm. Länge, in dessen 
Lichtung der verwendete Katheter knapp hineinpaßt. Man schlitzt 
nun dieses Drain vierfach der Länge nach auf, so daß 4 Zipfel 
resultircn und nur ein etwa 3 Cm. langes Stück ungeschlitzt 
bleibt. Die Enden der 4 Zipfel schlägt man um und knüpft einen 
Faden darüber. So erhält man 4 Schlingen, durch die man ein 
zweites Drain durchsteckt. Durch den nicht geschlitzten Theil des 
ersten Drains wird mit Hilfe einer Kornzange der Katheter durch¬ 
gezogen, das zweite Drain wird hinter der Glans geknüpft, indem 
man das eine Ende dieses Drains durch einen nahe dem anderen 
Ende angebrachten Schlitz durchzieht. Bei Frauen wird der Katheter 
durch ein central angebrachtes Loch einer ovalen Celluloidplatte 
gesteckt und die oben und unten durchlochte Platte mittels um 
die Schenkel geschlungener Bändchen an einem circulär um den 
Bauch geknüpften Bande befestigt. 

— Aus den Ausführungen Erwin Franr’s („Therap. Monatsh.“, 
1901, Nr. 12) über die Hetol(Zimmtsäure-)Behandlung der 
Lungentuberculose und ihre Anwendung in der ärztlichen Praxis 
folgt: Zur Heilung einer uncomplicirten Tuberculose mit Bacillen¬ 
befund und nicht zu ausgedehnten klinischen Ersclieiuungen an 
den Lungen gehört mehr als die Freiluftbehandlung und Mästung 
allein. Bei beginnenden uncomplicirten Tuberculosen bietet die 
Hetolbehandlung große und begründete Aussicht auf Besserung 
und Heilung. Die Hetolbehandlung soll in solchen Fällen entweder 
gleichzeitig mit der Anstaltsbehandlung statthabeu, andernfalls 
jedoch derselben vorangehen. 

— Die Behandlung des Nasopharyngealraumes bei Schar¬ 
lach schildert A. Seibert („Memorabih“, 1902, Nr. 5). Große 
Gefahren bringen beim Scharlach die Strcptokokkeninfectionen des 
Rachens. Autor hat folgende Solution zur oberflächlichen Des- 
infection der gefährlichen Stellen nützlich gefunden: 


Rp. Tinct. Jodi. 2'0 

Kal. jodati. PO 

Aq. destill.120 0 

Acidi carbol.gtts. X. 


S. Stündlich 1 Theelöffel. 

Es empfiehlt sich, 4 oder 5 Tage lang das Mittel Tag und Nacht 
fortzugeben. Nie wurde Carbolintoxication beobachtet. Gelegentliche 
Gastralgien wären als Anzeichen der arteficiellen Ilyperacidität zu 
deuten. Leichter Jodisraus (wässerige Nasensecretion) schwindet 
nach eiuigen Tagen. Die häufige Anorexie und Schwächung der 
Magenfunctionen bei Streptokokkenangina läßt nach Autors Ansicht 
die obige Medication als rationell erscheinen (adstringirende und 
desinficirende Wirkung). Um an die infiltrirte Schleimhaut bei 
scarlatinöser Nasopharyngitis mit Desinficientien heranzukommen, 
hat Verf. Irrigationen mit 1—5%iger Ichthyollösung durch die 
Nase, die alle G Stundtn zu wiederholen sind, versucht und damit 
glänzende Resultate erzielt. Wo die Desinfection nicht in An¬ 
wendung kam, zeigte sich öfters am 5. oder 6. Tage eine solche 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 22. 


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Infiltration der Nasopharyngealschleimhaut, daß die Irrigations- 
flüssigkeit statt durch den Mund durch das andere Nasenloch 
herauskam. 

— Aus Mittheilungen über Hedonal (von Tendlau, „Fortschr. 
d. Med.“, 1902, Nr. 5) entnehmen wir Folgendes: Wenn auch die 
Wirkung nicht stets gleich günstig war und manchmal völlig 
ausblieb, so erzielte T. doch häufig einen über mehrere Stunden 
sich erstreckenden Schlaf, der stets ohne üble Nachwirkung blieb 
und den Patienten große Erquickung bereitete. Am wenigsten 
Einfluß hatte das Mittel bei Agrypnie infolge heftiger Schmerzen 
und starker psychischer Erregung, doch schien es hier, neben 
Morphium dargereicht, die Wirkung des letzteren sehr günstig zu 
unterstützen. Besonders deutlich war dies in einem Falle von 
Phthisis pulmonum mit langdauernder Hämoptoe. 

— Bei Enteritis wird empfohlen („Centralbl. f. Ther.“, 


1902, Nr. 4): 

Rp. Tinct. coto, 

Tinct. colombo.aa. 5'0 

Tinct. laud. simpl.10 

D. S. Stündlich 5 Tropfen zu nehmen. 

Rp. Decoct. rad. colombo e .... 15‘0 : 180 0 

Mncil. salep. lO'O 

Extr. laud. aquos. O'l 

Syr. cort. aur. ad 20 0 

D. S. Zweistündlich 1 Eßlöffel voll zu nehmen. 
Rp. Decoct. lign. campech. e . . . . 20 0: lSO'O 

Extr. laud. O'l 

Syr. cort. aur. ad 20 0 

D. S. Zweistündlich 1 Eßlöffel voll zu nehmen. 

Rp. Extr. bacc. myrtilli.300 

Kal. carbon. 3'0 

Aq. destill. 7 0 

Butyr. cacao.GO 0 

M. f. suppos. Nr. XXX. 

D. S. Früh und Abends ein Stuhlzäpfchen 

einzulegen. 

Rp. Bismuth. salicyl.5 0 

Extr. laud..O'l 

Mncil. gumm. arab. q. sat., 

Aq. font.ad. 200 0 


D. S. Stündlich 1 Eßlöffel voll zu nehmen. 

— Die Abkühlung, Lichtwirkung und Stoffwechselbeschleuni- 
gung erörtert Speck („Zeitschr. f. klin. Med.“, Bd. 43, pag. 377). 
Er kommt bezüglich des Lichtes zu dem Ergebniß, daß alle wissen¬ 
schaftlichen Erfahrungen gegen die bedeutsame Rolle, die man 
ihm im Haushalte des Menschen neuerdings beilegt, sprechen und 
somit auch gegen die Wahrscheinlichkeit der ihm vindicirten 
gewaltigen Wirkung auf die mannigfachsten Krankheitsprocesse. 
Auch bezüglich der Abkühlung ist sein Standpunkt der, daß sie 
nur dort den Stoffumsatz steigert, wo sie Muskelbewegungen auslöst, 
sonst und an sich dagegen ihn unbeeinflußt läßt. 

— Ueber die Wirkung des Agurin berichtet Büchwald 
(„Schles. Aerzte Corr.“, 1902, Nr. 9). Dasselbe ist ein weißes, 
in Wasser leicht lösliches Pulver, von salzigbitterem Geschmack, 
schwach alkalischer Reaction. Es enthält circa 60% Theobromin. 
Besonders sind es die Herzkranken mit ihren Oedemen, wo man 
thatsächlich oft auffallende Besserung und Schwinden der Oedeme 
und des Hydrops sieht, weniger leistet Agurin bei Nephritis. Die 
beste Darreichung ist die in Pfefferminzwasser oder in Pastillen 
zu 0*5: 

Rp. Agurin 3—4—6 Grm. 

Aqu. menth. pip.ad 200 0 Grm. 

M. D. S. 2— 3stündl. 1 Eßlöffel, so daß am 
Tage also P5— 2—3 Grm. Agurin verbraucht 
werden. 

— Die Radicalbehandlung der exsudativen Pleuritis nach 
D’Adria schildert Scarano („II Morgagni“, 1902, Nr. 1). Die Methode 
wird von D’Auria seit einigen Jahren bei jeder Form von exsu¬ 
dativer Pleuritis angewandt und besteht in der Aspiration des 
Exsudats mit nachfolgender Einspritzung einer Jodjodkalilösung. Die 
Lösung, deren er sich bedient, hat folgende Zusammensetzung: 
Tinct. Jodi 100, Kal. jodat. 5'0, Aq. dest. sterilisat. 300‘0 Die 
Punction wird im 7. oder 8. Intercostalraum gemacht; sodann 
wird die ganze Menge von 400 Ccm. der Jodjodkalilösung injicirt 
und, nachdem man sie ungefähr 10—15 Minuten in der Pleura¬ 
höhle gelassen hat, wieder aspirirt. Man kann ruhig einen Theil 


der Flüssigkeit — circa 100 Grm. — in der Höhle lassen. Verf. 
berichtet über sechs so behandelte Fälle; davon waren zwei 
Empyeme, bei denen sich Tuberkelbacillen fanden, ein Empyem 
mit Befund von Staphylokokken, eines mit Befund von Strepto¬ 
kokken und zwei Pleuritiden mit serofibrinösem Exsudat. In allen 
Fällen trat schuelle und dauernde Heilung ein. Ein Vortheil dieser 
Methode besteht nach dem Verfasser auch darin, daß die Bildung 
von pleuritischen Schwarten, adhäsiven Strängen und abgekapselten 
Ergüssen vermieden wird. Man kann auf diese Weise die Rippen- 
resection umgehen und die Behandlung kann leicht von jedem Arzt 
durchgeführt werden. 


Literarische Anzeigen. 


Die Deutsche Klinik am Eingänge des zwanzigsten 
Jahrhunderts. Herausgegeben von Prof. Ernst von Leyden 
und Docent Dr. Felix Klemperer. Mit Illustrationen und 
Tafeln. Wien-Berlin 1902, Urban & Schwarzenberg. 

Die neuesten Lieferungen (43—47) dieses bedeutungsvollen 
Werkes liegen uns vor. Sie enthalten zunächst: „Die Anwen¬ 
dung der Arzneimittel im Anfänge des XX. Jahr¬ 
hunderts“ von C. Binz, eine Vorlesung, in welcher der geist¬ 
volle Autor an der Hand des ungeheuren Thatsachenmaterials der 
modernen Klinik in lapidarer Form die Wirkungen der wichtigsten 
Präparate der Pharmakologie darstellt. An zweiter Stelle steht die 
Vorlesung von E. Rost „Ueber die Ausscheidung von 
Arzneimitteln aus dem Organismus“, der die verschie¬ 
denen Wege und Möglichkeiten der Ausscheidung von eingeführten 
Stoffen aus dem Organismus discutirt. L. Krehl erörtert sein 
ureigenes Gebiet „Die experimentelle Methode in der 
klinischen Medicin“ in seiner originellen, lichtvollen Weise. 
II. ErCHHORST hat sich das Thema „Epidemische cerebro¬ 
spinale Meningitis“ ausgewählt. Die bekannte Darstellungs¬ 
weise dieses großen Klinikers macht jedwede kritische Bemerkung 
durchaus entbehrlich. M. Mosse schreibt „Ueber Angina als 
Infectionskrankheit“ und vertritt in seinem Aufsatze einen 
Standpunkt, der 6ich in der Anginafrage erst in den letzten Jahren 
allmälig durchgerungen hat und der vor Allem geeignet ist, den 
Zusammenhang zwischen Angina und zahlreichen anderen Allge¬ 
mein- und Localerkrankungen klarzustellen. Das Thema „Ueber 
Erysipel“ ist von A. Schulze behandelt und dem bakteriologischen 
Standpunkte sorgfältig Rechnung getragen worden. „Die Behau d- 
lung der Geisteskranken“ hat in C. Pelman einen ebenso 
erfahrenen Interpreten gefunden wie „Das acute hall uc ina- 
torische Irresein (Amentia)“ in A. IIoche. Dieser 
Autor hat auch das praktisch so wichtige Gebiet „Ueber De¬ 
mentia praecox“ in den Rahmen seiner Ausführungen einbe¬ 
zogen. — 0. IIeubner’s Vorlesung: „Masern (Morbilli, Measles, 
Rougeoie)“ ist eine Monographie im wahrsten uud besten Sinne 
des Wortes, deren Lecfüre wir jedem Praktiker wärmstens empfehlen 
möchten. „Die hereditäre Syphilis“, diese in letzter Zeit 
so viel discutirte Frage, hat H. Finkelstein bearbeitet und die 
Resultate der neuesten Forschungen und Betrachtungen in seinem 
Aufsätze sorgfältig berücksichtigt. — Die letzte der vorliegenden 
Lieferungen ist gynäkologischer Natur. Sie enthält „Die künst¬ 
liche Unterbrechung der Schwangerschaft, ihre I n- 
dicationen und ihre Methodik“ von W. A. Freund, „Ueber 
Prolapsoperationeb“ von II. Fritsch, F. Schauta’s „Die 
Störungen der Menstruation und ihre Behandlung“ 
und „Die Beckenmessung“ von F. Skütsch. 

Wenn wir noch hinzufügen, daß die neuesten Lieferungen 
vom Geiste der früheren getragen sind, daß sie klinische Vorlesungen 
sind im wahrsten Sinne des Wortes und daß ihre Lecttire Gewinn 
und zugleich Genuß bedeutet, dann ist dem Eindrücke Rechnung 
getragen, den wir abermals von dem großen Werke „Deutsche 
Klinik“ empfangen haben. Bl. 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 22. 


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Geburtshilfe und Gynäkologie bei Aetioa von Amida. 

Zum erstenmale ins Deutsche übersetzt von Dr. M. Weg- 
SCheider. Berlin 1901, Julius Springer. 

Aetios, welcher, wie man vermuthet, Leibarzt des Kaisers 
Justinian (527—565) war, hat ein Lehrbuch der gesammten Heil¬ 
kunde hinterlassen; dasselbe zeigt hauptsächlich compilatorischen 
Charakter, indem cs viele Excerpte aus den besten medicinischen 
Werken- der Alten bringt. Ein Schriftsteller bezeichnet das Buch 
mit folgenden, treffenden Worten: „Galenum contractum, Oribasium 
explicatum, Paulum ampliatum.“ Wegscheider hat nun durch eine 
zwar wortgetreue, aber leicht lesbare Uebersetzung den 16. Band 
der Sammlung dem ärztlichen Publicum zugänglich gemacht; dieser 
letzte Band des großen Lehrbuches beschäftigt sich mit der Ge¬ 
burtshilfe und den Frauenkrankheiten. Dem Gynäkologen bietet sich 
eine Fülle von interessanten Details, besonders in dem Capitel 
„Extraction der Frucht und Embryotomie“, welches ein zusammen¬ 
fassendes Bild der operativen Geburtshilfe bei den Alten gibt. 

Dr. Foges. 


Feuilleton. 

Einiges über Prognose. 

Von Dr. Max Kahane in Wien. 

Die Lehre von der Prognose genießt im Ganzen und Großen 
eine etwas stiefmütterliche Behandlung und kommt selbst in 
großen, sonst ins Detail gehenden Werken oft über die Wieder¬ 
holung gewisser, mehr conveutionell klingender Redensarten nicht 
hinaus. Dies ist daraus erklärlich, daß die moderne Forschung, 
vorwiegend ätiologischen, diagnostischen und in jüngster Zeit auch 
therapeutischen Problemen zugewendet, für den Ausbau der Lehre 
von der Prognose nicht viel Arbeit aufwendet. Und doch ist die 
Frage der Prognose von großer praktischer Wichtigkeit, soweit 
wenigstens die Beziehungen zwischen Arzt und Kranken in Betracht 
kommen. Hat auch jeder Kranke, zum mindesten der Intelligente, 
das Bedürfniß, über Sitz und Art seines Leidens etwas zu erfahren, 
so ist sein Wunsch noch größer, aus dem Munde des Arztes zu 
hören, ob er seine Gesundheit wieder erlangen, bezw. mit dem 
Leben davon kommen wird. Hier ergibt sich für den Arzt eine 
schwierige Aufgabe, die auch für seinen Ruf und seine Schätzung 
von wesentlicher Bedeutung ist. Während nämlich die Diagnose, 
in den Mantel der fachwissenschaftlichen Terminologie gehüllt, 
sich der Controle der Laien zum größten Theil entzieht, ist dies 
bei der Prognose nicht der Fall; hier kann die Vorhersage des 
Arztes, ob nämlich die Krankheit in Heilung ausgehen, bezw. der 
Kranke mit dem Leben davon kommen wird, auch vom Laien auf 
ihre Stichhältigkeit controlirt werden, und die Beurtheilung des 
Arztes hängt ganz wesentlich davon ab, ob er ein guter Pro¬ 
gnostiker ist. Besonders abträglich ist es für das Prestige des 
Arztes, wenn ein Patient, bei dem er die Wiedergenesung in Ab¬ 
rede gestellt, bezw. einen letalen Ausgang vorausgesetzt bat, 
gesund wird, mit dem Leben davon kommt, während das Um¬ 
gekehrte, ungünstiger Ausgang einer Krankheit in solchen Fällen, 
wo der Arzt einen günstigen Ausgang vorausgesagt hat, seinem 
Prestige geringeren Abbruch thut. Es ist dies leicht begreiflich, 
denn ein Todesurtheil aus ärztlichem Munde besitzt in den Augen 
der Laien eine große Tragweite, daher seine Nichtbestätigung 
durch die höchste Instanz — die Natur — dem Glauben aD die 
Unfehlbarkeit ärztlicher Aussprüche schweren Abbruch thut. Aus 
diesen Thatsachen allein ergibt sich schon für den Arzt die 
richtige Regel, bei Aufstellen der Prognose stets eine 
gewisse Reserve zu beobachten, keine ganz definitiven Aussprüche 
abzugeben, sondern mehr mit Wahrscheinlichkeit und 
Möglichkeit, als mit Sicherheit zu rechnen. Die Pro¬ 
gnostik ist eine ungemein schwere Kunst, die aus Büchern 
niemals geschöpft werden kann, wo nur eine reiche Erfahrung, 
aus zahlreichen und scharfen Beobachtungen von Krankheitsver¬ 
laufen und Krankheitsausgängen gewonnen, von Werth ist. 


Ueber die Behandlung der Kinderkrankheiten. Briefe 
an einen jungen Arzt. Von Dr. H. Neumann. Zweite durchge¬ 
sehene und erweiterte Auflage. Berlin 1900, 0. Coblenz. 

Die „pädiatrischen Briefe“ Neumann’s, die in zweiter Auf¬ 
lage vorliegen, haben in der Bibliothek des jungen Arztes bald 
einen ersten Platz gefunden. Die angenehme, originelle Form, 
fließende Diction und die in jeder Richtung sich geltend machende 
Verläßlichkeit des erfahrenen Mentors machen das Buch auch in 
der Neuauflage überaus werthvoll. 

Die Rücksichtnahme auf den jungen Praktiker mußte natur¬ 
gemäß den Autor veranlassen, dem Aufrollen ungeklärter Fragen 
aus dem Wege zu gehen und zu solchen Punkten Stellung zu 
nehmen. 

Ein im Anhang gebrachter Ueberblick über Arzneiverord¬ 
nungen erhöht den Werth des Buches, ohne den Text selbst ent¬ 
behrlich zu machen. Es ist zu hoffen, daß die zweite Auflage des 
Buehes die große Zahl seiner Freunde vermehren wird. 

Neurath. 


Im Allgemeinen darf man es wohl aussprechen, daß die 
alten Aerzte tüchtigere Prognostiker waren, als die Aerzte der 
jetzt lebenden Generation. Es kam dies daher, daß sie ihre Auf¬ 
merksamkeit in höherem Maße, als dies heute geschieht, auf das 
Krankenbett richteten, die feinsten Details des individuellen Krank¬ 
heitsverlaufes genau verfolgten, sich namentlich mit deren Be¬ 
deutung für den schließlichen Ausgang der Krankheit beschäftigten. 
Schon der Vater der wissenschaftlichen Heilkunde, Hippokrates, 
hat die Lehre von der Prognostik als selbständiges Capitel be¬ 
handelt und darin zahlreiche, zum Theil noch heute gütige Lehren 
niedergelegt. Die moderne Medicin mit ihrer vorwiegend ätiologisch¬ 
diagnostischen Richtung hat für die Beobachtung der einzelnen 
Details des Krankheitsverlaufes, welche doch gerade für die Pro¬ 
gnostik so wichtig sind, nicht viel Zeit übrig, ihr Interesse ist weit 
mehr der Krankheit als dem Kr an ke n zugetvendet, während 
die ältere Medicin eine umgekehrte Richtung verfolgte. Mit sehr 
lückenhaftem Wissen über Entstehung der Krankheiten, mit nicht' 
weniger lückenhaftem Wissen über die derselben zugrunde liegen¬ 
den, pathologisch-anatomischen Veränderungen, wendete sie eben 
den äußeren Zügen des Krankheitsbildes ihre intensivste Auf¬ 
merksamkeit zu und gelangte so zur Kenntniß der subtilsten 
Details im äußeren Krankheitsverlauf, welche der gegenwärtig 
lebenden ärztlichen Generation eben ganz abhanden gekommen 
ist. In den folgenden skizzenhaften Ausführungen soll nun darauf 
hingewiesen werden, daß die Prognostik noch dringend des Aus¬ 
baues bedarf und auch ihr die verfeinerte und complicirtere 
Methodik, die reichen Hilfsmittel, über welche unsere Wissenschaft 
verfügt, mehr zu Diensten gestellt werden sollten, als dies bisher 
der Fall war. 

Betrachten wir das große Heer der sogenannten „inneren 
Krankheiten“, wobei vorläufig noch die Fiction festgehalten werden 
soll, daß alles, was in der inneren Medicin als Krankheit auf- 
gestellt wird, eine gleichmäßig selbständige Stellung beanspruchen 
darf, so gelangen wir hinsichtlich der Prognose zu dem Ergebniß, 
daß sich alle prognostischen Möglichkeiten daselbst vertreten 
finden. Es gibt Krankheiten, bei denen der Ausgang in vollständige 
Heilung mit absoluter Sicherheit vorausgesagt werden kann. Zwischen 
diesen Extremen, welche also prognostisch keine Schwierigkeiten bieten, 
weil ihre Vorhersage das Kriterium der absoluten Sicherheit bietet, 
stehen alle jene Krankheitsformen, deren Ausgang sich nicht mit 
so absoluter Sicherheit Voraussagen läßt, wo die Feststellung 
specieller Regeln für die Prognose erforderlich ist, die also ein 
weites Arbeitsfeld bieten, umsomehr, als es gerade die wichtigsten 
UDd häufigsten Krankheiten sind, bei welchen die Prognose keinen 
absolut sicheren Charakter trägt, wo sowohl Ausgang in Genesung 
als ungünstiger Ausgang möglich erscheint. 

Man könnte also in prognostischer Hinsicht die internen 
Krankheiten in drei große Gruppen eintheilen, und zwar I. solche 
mit absolut günstiger Prognose, II. solche mit zweifelhafter Pro¬ 
gnose, III. solche mit absolut ungünstiger Prognose, und es würde 
dann eigentlich nur, wie bereits erwähnt, die mittlere Gruppe ein 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 22. 


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eingehenderes Interesse beanspruchen können. Als Typus der 
Krankheiten mit absolut günstiger Prognose wären bei vorläufiger 
Betrachtung die einfachen acuten Katarrhe der verschiedenen 
Schleimhäute zu betrachten, als Beispiele der Krankheiten mit 
absolut letaler Prognose könnte man etwa die acute gelbe Leber¬ 
atrophie , die acute Miliartuberculosc, die Variola haemorrhagica, 
die Lyssa auswählen, wobei von den verschiedenen chronischen 
Affectionen letaler Natur, deren Aufzählung zu weit führen würde, 
abgesehen werden soll. 

Betrachtet man aber die Verhältnisse mit einiger Kritik, so 
sieht man, daß sie — soweit prognostische Fragen in Betracht 
kommen — nicht ganz einfach liegen. Vor Allem sind die 
verschiedenen Krankheiten, wie sie in den Hand- und Lehr¬ 
büchern der inneren Medicin angeführt werden, thatsächlich mit 
einander coordinirt, von gleichwerthiger Selbständigkeit. Man wird 
z. B. der croupösen Pneumonie, dem Abdominaltyphus etc. eine 
gewisse Selbständigkeit einräumen, sie gleichsam als einheitliche 
Krankheitsindividuen anerkennen, anders aber verhält es sich 
mit vielen anderen Krankheitsbildern, man denke z. B. an die 
Pleuritis oder Peritonitis, wovon erstere häufig, letztere fast immer 
secundär auftritt. Schließlich gibt es Krankheitsbegriffe, wie Ileus 
oder Epilepsie, welche durch ein bestimmtes Symptom oder einen 
bestimmten Symptomencomplex gekennzeichnet sind, aber ihrem 
Wesen nach ganz disparate Krankheitsbilder in sich bergen, die 
noch nicht entsprechend differenzirt sind. Diese verschiedenen 
Arten von Krankheitsbildern müssen auch in prognostischer Hin¬ 
sicht verschieden behandelt werden. Man kann, um bei den ge¬ 
wählten Beispielen zu bleiben, von einer Prognose der croupösen 
Pneumonie des Abdominaltyphus etc. sprechen, dieselbe einheitlich 
darstellen, anders liegt dies aber in jenen Fällen, wo es sich nicht 
um klinisch ganz selbständige Bilder handelt, z. B. bei der Pleuritis 
oder Peritonitis, wo zu unterscheiden ist, ob es sich um eine 
idiopathische oder deuteropathische Krankheit handelt und in 
letzterem Fall die Prognose des sogenannten Grundleidens in 
Betracht kommt. Noch schwieriger stellt sich die Aufgabe bei 
jenen Krankheiten, welche thatsächlich klinische Sammelbegriffe 
sind, wie z. B. Epilepsie, Ileus ; von einer Prognose der Epilepsie 
zu sprechen, geht überhaupt nicht, eher noch von einer Prognose 
der Epilepsien. Schließlich ist nicht zu vergessen, daß bestimmte 
Symptomencomplexe in der inneren Medicin eine gewisse selbständige 
Erörterung erfahren, z. B. Icterus, der doch auf ganz verschiedene 
Weise entstehen kann und nach gar keiner Richtung hin einer 
einheitlichen prognostischen Darstellung fähig ist. Wir gelangen 
eben zu dem Schlüsse, daß ein natürliches Krankheits¬ 
system nicht existirt, auch niemals existiren wird, denn 
die Krankheitsbegriffe sind Abstractionen, Producte der mensch¬ 
lichen Beobachtung und Discriminationsthätigkeit, thatsächlich gibt 
es keine Krankheiten, sondern nur kranke Menschen. 

Da aber der menschliche Geist ein tiefes Bedürfniß nach 
einem System empfindet, so ist auch in der klinischen Medicin 
ein solches geschaffen, das aber des einheitlichen Gesichts¬ 
punktes ermangelt, das das Product eines Compromisses dar¬ 
stellt, indem die einzelnen Krankheiten theils nach ätiologischen, theils 
nach anatomischen, theils nach klinischen Gesichtspunkten 
von einander gesondert sind und die ganze Ordnung des Systems nur 
eine scheinbare ist. Am besten charakterisirt sind eben jene Krank¬ 
heitsbilder, die ätiologisch, anatomisch und klinisch ein bestimmtes 
Gepräge tragen, wie dies namentlich bei bestimmten Infections- 
krankbeiten der Fall ist, z. B. Typhus abdominalis, croupöse 
Pneumonie. Aber es gibt nicht viele Krankheiten, bei denen eine 
solche Charakterisirung möglich ist, am ehesten sind sie noch 
unter den sogenannten „specifischen Infectionen“ zu finden. 

Aber auch bei diesen scheinbar so fest umrissenen Krank¬ 
heitsbildern sind große Variationen im Bild und Verlauf möglich, 
jeder Fall hat sein Gepräge, die Natur spottet aller Typen und 
Systeme. Man denke sich nun, wie complicirt erst die Verhältnisse 
dort liegen, wo es sich nicht um reine, idiopathische Krankheits¬ 
formen handelt, oder gar dort, wo nur ein pathologisch-anatomisches 
oder ein klinisches Unterscheidungsmerkmal einer Krankheit zur 
selbständigen Stellung im Systeme verhilft. Man denke z. B. an 


Begriffe — wie Diabetes mellitus, wo eigentlich ein klinisches 
Symptom — der Zuckergehalt des Harnes — den Krysfallisations- 
punkt für den ganzen Krankheitsbegriff bildet. Wenn wir uns 
alle diese Künstlichkeiten , Unsicherheiten, den provisorischen, 
ungleichmäßigen Charakter unseres Krankheitssystems vor Augen 
halten, so erkennen wir, wie ungerechtfertigt es ist, eigentlich 
ohne weiteres von der Prognose irgend einer bestimmten 
Krankheit zu sprechen, welch letztere im besten Falle eine 
leidlich zutreffende Abstraction aus mehr oder weniger zahlreichen 
klinischen Beobachtungen ist. 

Die Prognose der Krankheit ist in gewissem Sinne 
das Ergebniß statistischer Betrachtungen, soweit die Frage 
um Leben und Tod in Betracht kommt, speciell der Mortali¬ 
tätsberechnung. Diese ist nun durchaus nicht ohne Kritik 
hinzunehmen, was wohl für jede Statistik gilt. Wenn man z. B. 
sagt, die Mortalität der croupösen Pneumonie betrage 15%) so ist 
mit dieser Ziffer nicht so viel anzufangen, als man auf den ersten 
Blick glaubt, denn sie ist eine aus verschiedenen Statistiken ge¬ 
wonnene Durchschnittszahl, aus Statistiken, die ein verschieden 
großes, vielleicht nicht immer tadellos verwerthetes Material ent¬ 
halten. Man würde sehr irren, wenn man dieser Ziffer absoluten 
Werth beilegen wollte, denn eine tadellose Statistik könnte nur 
aus Berechnung der Mortalität aller überhaupt vorkommenden 
Pneumonien gewonnen werden, was ganz unmöglich ist. Wenn 
nun eine Statistik sagt, die Mortalität bei Pneumonie betrage 
15%, so kann man aus ihr etwa folgende Thatsaehen entnehmen : 
1. daß die Prognose der Pneumonie nicht absolut letal ist, 2. daß 
dieselbe in der größeren Mehrzahl der Fälle in Genesung ausgeht. 
Dies ist die Prognose der croupösen Pneumonie als Krankheits- 
begriff, als klinische Abstraction. Da es aber in der Realität keine 
croupöse Pneumonie als solche gibt, sondern nur an Pneumonie 
erkrankte Menschen, so kommt praktisch nicht die Prognose der 
klinischen Abstraction, sondern nur die Prognose des spe- 
cieilen Falles in Betracht, worin eben der Kern der 
Frage verborgen liegt. In einem speciellen Fall von Pneumonie 
genügt eben die Prognose des Krankheitsbegriffcs — es kommt 
die Mehrzahl der Pneumoniker mit dem Leben davon, für den 
Kranken insofern ein wesentlicher Trost, insoferne er gleichsam 
nicht a priori zum Tode verurtheilt ist, aber für den Kranken 
ist die Frage von entscheidender Bedeutung, ob er zur Mehrzahl 
der Genesenden oder zur Minderzahl der dem Tode geweihten 
gehört, und dann nutzt ihm die Statistik nicht viel. Ist auch die 
Chance der Genesung bei Pneumonie — beispielsweise genommen — 
fünfmal so groß, als die Chance, der Krankheit zu erliegen , so 
kann dies nicht auf das kranke Individuum ohne weiteres über¬ 
tragen werden; hier handelt es sich nicht um die Quantität, 
sondern um die Qualität seiner Chancen. Der Kranke, resp. 
seine Umgebung will wissen, ob er gesund wird oder stirbt, und 
das kann der Arzt aus der Statistik nicht entnehmen, weil 
eine principielle Sicherheit nur bei jenen Krankheiten besteht, an 
denen man nicht sterben kann, oder aber an denen man sterben 
muß. In den zweifelhaften Fällen geht dem Arzt eben die ganze 
Bedeutung der individuellen Prognose auf, er erkennt es, daß 
es nicht nur auf die Krankheit, sondern auch auf den Kranken 
ankommt, und nun handelt es sich für ihn, die einzelnen Factoren zu 
bemessen. Bei der Pneumonie wird ihn eben die früher gesammelte 
Erfahrung anderer oder eigene Erfahrung lehren, daß die Pneumonie 
der Greise, der Säufer, der Herz- und Nervenkranken eine ungünstige 
Prognose gibt und er wird mit Recht all diese Factoren, mögen sie aus 
Alter, Geschlecht, Beruf, Constitution etc. hervorgehen, verwerthen. 
Aber auch hier ist nicht jene absolute Sicherheit zu holen, welche 
eigentlich als Ziel angestrebt werden muß, um zu möglichster 
Sicherheit der Voraussage zu gelangen. Dieselbe Statistik oder 
Erfahrung lehrt, daß Pneumonien bei Säufern, Greisen, Herz- und 
Nervenkranken heilen können, daß sie andererseits bei jugend¬ 
lichen, nicht alkoholisirten Individuen mit gesundem Herzen und 
gesunden Nieren tödtlich enden können, und so vermag 
auch die sorgfältige Erwägung all dieser Momente nicht die 
erwünschte Klarheit zu bringen. Der Arzt wird gewiß in den meisten 
Fällen recht haben, wenn er die Prognose der Pneumonie bei 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 22. 


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einem Brightiker sehr ungünstig stellt, aber in den Ausnahms¬ 
fällen, wo doch Genesung eintritt, kann er der Desavonirung nicht 
entgehen, und mit einer schlecht verhüllten Ironie zeigt die Laien¬ 
welt auf jene Fälle hin, „denen das Leben von den Aerzten ab-' 
gesprochen wurde“ und die doch mit dem Leben davon gekommen 
sind. Man soll daher die Gesetze der Vorsicht bei der Prognose 
nie außeracht lassen, jede ganz bestimmte Aeußerung unterlassen, 
sondern sich den Verhältnissen anpassen. Hat man eine Pneumonie 
bei einem Nephritiker vor sich, so genügt es, die Chancen 
der Wiederherstellung als gering zu bezeichnen, aber das Vor¬ 
handensein solcher Chancen sollte nicht ganz in Abrede gestellt 
werden. 

Eben das Gleiche gilt für gute Prognosen. In einem aller 
Wahrscheinlichkeit nach günstigen Falle von Pneumonie betone 
mau getrost die große Aussicht auf völlige Heilung, vermeide 
aber dieselbe als etwas absolut Sicheres, über jeden Zweifel Er¬ 
habenes hinzustellen, weil man sonst einer Desavouirung aus¬ 
gesetzt bleibt. 

Bekanntlich sind die berechneten Mortalitätsprocente ver¬ 
schieden, je nach den verschiedenen Infectionskrankheiten. So kann 
man im Allgemeinen sagen, daß bei Abdominaltyphus und Pneu¬ 
monie die Chance der Heilung größer ist, daß bei Diphtherie 
(wenigstens früher) die Chancen der Genesung und des Todes 
annähernd die Wage sich halten, während bei Cholera und Pest 
die Chancen des tödtlichen Ausganges weit größer sind als die 
der Genesung. Aber mit diesen allgemeinen Grundsätzen ist eigentlich 
die Frage nach der individuellen Prognose nicht erledigt, indem 
die Erfahrung lehrt, daß auch im asphyktischen Stadium der 
Cholera, in Pestfällen, wo Pestbacillen im Blute nachweisbar sind, 
Genesung möglich erscheint, also auch hier die Zweifel, sobald der 
einzelne Fall in Betracht kommt. So sicher man es aussprechen 
kann, daß die Chance des Lebens bei Pneumonie vielfach größer 
ist als bei Beulenpest, daß bei letzterer die Chance des Todes 
viel größer ist als die Chance des Lebens, so stößt doch jeder 
geheilte Fall von Beulenpest diese ganze Chancenberechnung um. 

Speciell bei epidemisch auftretenden Erkrankungen kommt 
noch ein Factor hinzu, welcher den Werth der Durchschnitts¬ 
mortalität für die Prognose wesentlich zu beeinträchtigen imstande 
ist. Man beobachtet nämlich fast regelmäßig, daß eine 
Epidemie in der ersten Zeit ihrer Herrschaft meist sehr 
heftig auftritt, daß die Mortalität daher eine sehr große ist, 
daß aber mit der Zeit die Heftigkeit der Epidemien nachläßt, die 
Schwere der einzelnen Fälle, sowie die Mortalität geringer wird. 
Also nicht einmal bei der zeitlichen und örtlichen Begrenzung 
einer bestimmten Krankheitsform ist es möglich, mit halbwegs 
stabilen Factoren zu rechnen. Ein weiterer hieher gehöriger Factor 
äußert sich darin, daß eine Epidemie, wenn sie unter einem bisher 
undurchseuchten Bevölkerungskreis überhaupt zum erstenmal 
auftritt, meist' einen außergewöhnlich heftigen Charakter zeigt, 
der sich auch in einem abnorm hohen Mortalitätsproceut kund gibt. 
Es würde weit über den Rahmen unserer Erörterungen hinaus¬ 
gehen, wenn wir hier alle jene, dazu noch individuell variirenden 
Factoren aufzählen wollten, welche auf die Prognose des Einzel¬ 
falles bestimmend einzuwirken imstande sind und derart den Werth 
der berechneten Durchschnittsraortalität für die Beurtheilung des 
individuellen Falles noch mehr zu entwerthen imstande sind, als 
dies schon an und für sich der Fall ist. 

Es wurde vorhin von jenen Krankheitsgruppen gesprochen, 
wo die Prognose absolut günstig, bezw. absolut ungünstig ist, so 
daß sich — eine richtige Diagnose vorausgesetzt — die Prognose 
mit großer Sicherheit stellen läßt. Auch hier zeigt eine kritische 
Betrachtung, daß die Verhältnisse nicht so einfach liegen, als dies 
auf den ersten Blick den Anschein hat. Nehmen wir z. B. gleich 
das Prototyp einer harmlosen Erkrankung, den acuten Nasen¬ 
katarrh, so kann derselbe unter besonderen Verhältnissen seine 
Harmlosigkeit wesentlich einbüßen. Es ist bekannt, daß Säuglinge, 
namentlich in den allerersten Lebensmonaten, durch einen Schnupfen 
ganz ernstlich bedroht werden, weil die Athmung und dann auch 
das Saugen (also die Ernährung) dadurch wesentlich erschwert 
werden. Wenn nun auch der Fall selten ist, daß ein Säugling an 


einem Schnupfen zugrunde geht, so ist doch diese Möglichkeit 
vorhanden, so daß der Schnupfen nicht mehr als absolut harmlos 
betrachtet werden kann. Aber nicht nur der Schnupfen, sondern 
auch andere acute Schleimhautkatarrhe können unter bestimmten 
Bedingungen den Charakter der Harmlosigkeit einbüßen, wie z. B. 
ein acuter Bronchialkatarrh, acuter Darmkatarrh bei Säuglingen, 
desgleichen auch bei sehr hochbetagten Individuen. Es kann also 
eine an sich harmlose Erkrankung unter besonderen Bedingungen 
einen bedrohlichen Charakter annehmen, so daß es kaum eine 
Erkrankung gibt, welche man als absolut harmlos bezeichnen 
könnte. Man muß ebenso sehr die Krankheit, als den s p ec io Ile n 
Boden, auf dem sie sich entwickelt, berücksichtigen, wenn man 
Klarheit über die Vorhersage des Einzelfalles zu gewinnen strebt. 

(Schluß folgt.) 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 


31. Versammlung der Deutschen Gesellschaft fiir 

Chirurgie. 

Gehalten zu Berlin, 2.-5. April 1902. 


(Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) 


VI. 


Rehn (Frankfurt a. M.): Behandlung infectiös eitriger Herde im 
Peritonealraum. 

T. führt aus, daß nichts schwieriger ist als die Beurtheilung 
der Tragweite eines entzündlich eitrigen Processes im Peritoneal¬ 
raum. In allen Fällen ist Frühoperation bedingt, gleichviel wo die 
Eiterung liegt, der innere Kliniker darf nicht den Zeitpunkt zur 
Operation bestimmen, die Scheu vor dem Peritoneum muß über¬ 
wunden werden. Zur Entleerung des Eiters ist ihm die Spülung 
das schonendste Verfahren. Der Herd der Entzündung (Appendieitis, 
Salpingitis etc.) muß unbedingt entfernt werden, ausgiebige Drai¬ 
nage ist erforderlich, am besten mit glattem Gnmmirohr. Nach An¬ 
legung der Drainröhre ist es wichtig, annähernd normale Druck- 
verhäl'nisse im Leib zu schaffen; daher vollkommener Schluß der 
Bauchhöhle bis auf das Drainrohr. Die Gefahr des Bauchbruches 
ist nicht so groß, wie man anzunehmen pflegt. 

Sprengel (Braunschweig): Neue Erfahrungen über Appendieitis 
und Behandlung der Peritonitis. 

Vortr. legt an Tabellen die Resultate einer Sammelforschung 
dar, die er im December 1900 begonnen hat. Dabei hat er eine 
Einteilung gemacht in: 1. Appendieitis serosa, 2. Appendieitis 
perforativa, purulenta, 3. allgemeine Peritonitis. Der Appendieitis 
gangraenosa Sonnenburg’s möchte er keine besondere Stellung ein¬ 
räumen. An 516 Fällen hat er nur die Frage zu lösen gesucht, 
ob die Operation im Intervall oder im Anfall am vorteilhaftesten 
gemacht wird. Während er danach die Intervalloperation zwar für 
ziemlich ungefährlich hält, sprechen seine Resultate doch zu Gunsten 
der Frühoperation, die in allen 3 Formen der Appendieitis eine 
weit größere Zahl von Heilungen, weit geringere Mortalität auf¬ 
zuweisen hatten als die Spätoperation, trotzdem die Mortalität von 
20°/ 0 gegen 2% im Intervall aufzuweisen hatte. Er schließt, daß 
die Frühoperation bei Appendieitis, bevor das Peritoneum in Mit¬ 
leidenschaft gezogen ist, die einzig richtige Therapie ist. 

Sonnenburg (Berlin): Ueber Lungencomplicationen bei Appen- 
dicitis. 

Ein Theil der Lungencomplicationen, die nach Laparotomien 
auftreten, heilt schnell aus, ein anderer Theil macht schwere 
pneumonische und pleuritisehe Erscheinungen. S. führt sie, wie 
Gussknbauer schon behauptet hat, auf Embolien zurück. Der viel¬ 
fach angeschuldigten Aethernarkose glaubt er die Schuld nicht so 
häufig zuschreiben zu müssen, aber doch gibt er die Möglichkeit 
einer Disposition durch den Aether zu. Auch die Abkühlung, Er¬ 
kältung hält er nicht für so verantwortlich. Non aber ist jeder 
mit Appendieitis Erkrankte auch mit Thromben behaftet, solche 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 22. 


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Thrombosen und Embolien hat er in 5% der Operationen beobachtet. 
Dabei hat sich die auffällige Thatsache ergeben, daß auch bei den 
Patienten, die im freien Intervall operirt worden sind, Embolien 
aufgetreten sind. Das glaubt S. zum Tbeil auf alte, bei der Operation 
wieder gelockerte Thromben, zum anderen Theil aber, besonders 
bei den Privatkranken, darauf zurückzuführen, daß die besseren 
Patienten ein „schlaffes Herz“ haben, das zu der Form der 
marantischen Thrombose Veranlassung gibt. Der Gefäßzerrung glaubt 
S. viel Schuld an einer Embolie und Thrombose zuschreiben zu 
müssen, woraus er folgert, daß die Operation so früh als möglich 
zu geschehen hat, damit diese Gefäßzerrung möglichst vermieden 
werden kann. Redner geht dann noch auf die Verwechslung von 
Embolie und Herzschwäche ein, warnt vor Darreichung von Digitalis 
und empfiehlt Morphium als einziges Mittel bei auftretender 
Dyspnoe. 

Riedel (Jena): Demonstration eines größeren um die Achse ge¬ 
drehten Dünndarmanhanges. 

R. erinnert daran, daß er vor einigen Jahren auf die Be¬ 
deutung der Appendices epiploicae in Rücksieht auf den Ileus 
aufmerksam gemacht hat, und berichtet dann über den Fall eines 
jungen Mädchens, bei der sich ein größerer Appendix des Darmes 
um die Achse ca. 6mal gedreht hatte und an der Blase adhärent 
wurde, dann über einen zweiten, eine mit der Umgebung vollkommen 
verwachsene Netzmasse bei einer 31jährigen Frau, die, kinderfaust¬ 
groß, sich 360° um die Achse gedreht und Ileus hervorgerufen 
hatte. Die Präparate werden demonstrirt. Vortr. berichtet ferner 
über einen Tumor von Kindskopfgröße in der Höhe des Nabels, 
mit Erbrechen etc. und der Diagnose Appendicitis. Bei der Opera¬ 
tion fand sich eine enorm gedrehte Darmschlinge mit Perforation 
und großem mesenterialem Drüsenpaket, Resection der Darmschlinge, 
Tod nach 48 Stunden. Die Untersuchung des Präparats ergab ein 
Typhusgeschwür der Darmwand mit kolossalem Drüsenpaket. 

Eiselsberg (Wien): Zur operativen Behandlung großer Mast¬ 
darmprolapse. 

Nach Besprechung der üblichen Methoden der Behandlung 
des Rectumprolapses, Massage, Verengerung nach Gersuny, Resec¬ 
tion und Aufnähung, kritisirt E. die verschiedenen Methoden an 
seinem Material. Die Massage hat ihm häufig günstige Erfolge 
gegeben ; die Drehung und Verengerung nach Gebsuny hat ihm 
nie etwas genützt, die Resection ist nicht selten von Recidiv ge¬ 
folgt gewesen, ganz abgesehen davon, daß der Eingriff selber nicht 
ganz gleichgiltig in vielen Fällen gewesen ist. Er hat sich daher 
in 12 Fällen der Fixation, der Kolopexie zugewandt und gute 
Erfolge gehabt. Die Operationsmethode ist folgende: Schrägschnitt 
über dem PouPART’schen Bande, starke Anziehung der Flexur, An- 
nähung derselben an der vorderen Bauchwand. Die Heilung war 
bei allen Patienten glatt. Im ganzen hatte er 3 Recidive, von denen 
er das eine durch eine zweite Fixation vollkommen geheilt hat. 
In einem anderen Falle von großer Schleife der Flexur hat er die 
Resection derselben gemacht mit letalem Ausgang nach 19 Tagen 
durch Hämatemesis infolge eines Ulcus duodeni, und in einem anderen 
ähnlichen Falle hat er die Anastomose der Schleife durch Murphy¬ 
knopf mit gutem Ausgang gemacht. Redner schließt, daß in leichten 
Fällen die Massage nach Thure-Brandt, im schwereren die Kolo¬ 
pexie die beste Therapie ist. 

Sprengel (Braunschweig): Zur Pathologie der Circulations- 
störungen im Gebiete der Mesenterialgefäße. 

An der Hand zweier Präparate sucht Sp. die Frage zu be¬ 
leuchten, warum in dem einen Fall von Verstopfung der Mesente¬ 
rialgefäße die klinischen Erscheinungen die eines reinen foudroyanten 
Ileus sind, in dem anderen mit Darmblutungen die einer langsam 
sich entwickelnden Stenose. An seinen beiden Präparaten ist nur 
einmal ein ausgedehnter hämorrhagischer lnfarct des Darmes, das 
anderemal das Bild der anämischen Gangrän zu sehen, und Sp. 
glaubt hierin den Schlüssel für die Deutung der beiden verschie¬ 
denen klinischen Bilder gefunden zu haben: Vollkommener arterieller 
Verschluß ohne nervösen Zufluß oder nur theilweiser Verschluß 
mit Hämorrhagie. Redner erörtert nun die verschiedenen Möglich¬ 


keiten der verschiedenen klinischen Krankheitsbilder und gibt 
dann die Krankengeschichten seiner beiden Fälle, von denen der 
eine dadurch ausgezeichnet war, daß das Mädchen schon einmal 
früher eine Thrombose im Gebiete der Vena subclavia hatte, die 
sich auch bei der Section vorfand neben einem Verschluß in der 
Vena portarum. Dieser Fall war durch Hämatemesis eingeleitet 
mit hämorrhagischem lnfarct des Darmes. 

Payr (Graz): Ueber Darmdivertikel. 

Vortr. berichtet über einen Fall von Scrotalhernie, welche die 
Scrotalwand entzündlich durchbrach, die sich aber als ein invertirtes 
Darmdivertikel erwies, an welchem der Processus vermiformis ad¬ 
härent war. In der Literatur hat er nur einen ähnlichen Fall von 
einem Enterocystom in einem Bruchsack gefunden. Bald nach dem 
ersten hatte er einen zweiten Fall von Divertikelhernie zu operiren. 
An Zeichnungen und am Präparate demonstrirt Vortr. die seltenen 
Befunde. 


Aus 

medicinischen Gesellschaften Deutschlands. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Verein für innere Medicin in Berlin. 

Litten: Ueber Endocarditis. 

Vortr. wiederholt seine auf dem Congreß für innere Medicin 
vertretene Eintheilung : Endocarditis benigna; Endocarditis maligna ; 
non purulenta; Endocarditis maligna purulenta. Endocard. benigna 
ist am bekanntesten in der Form der rheumatischen; sie ist aus¬ 
nahmslos aaf das linke Herz beschränkt; ihre Emboli sind stets 
blande Fremdkörper; sie kann zur Heilung führen, führt aber 
meist zum Klappenfehler. Außer dem Rheumatismus kommen 
noch zahlreiche andere Infectionskrankheiten ätiologisch in Frage 
(Scharlach, Diphtherie, Influenza, Typhus, Chorea etc. etc.), und es 
ist oft bei späterer Nachforschung unmöglich, die wahre Ursache 
eines Klappenfehlers festzustellen. Bei der Endocard. maligna puru¬ 
lenta handelt es sich eigentlich gar nicht um eine Endocarditis, 
sondern um eine schwerste Pyämie mit irgend welchem Ausgangs¬ 
punkt (Genitalien, im Puerperium u. s. w.). Die Endocarditis ist 
secundär und nur eine der vielen Localisationen des Virus. Die 
Thromben sind stets eitrig. Die Prognose ist sehr schlecht; aus¬ 
nahmsweise kommen Heilungen vor. Endocard. maligna non puru¬ 
lenta wird ätiologisch durch die gleichen Krankheiten bedingt, wie 
die E. benigna; sie unterscheidet »ich von der E. maligna purulenta 
dadurch, daß die Metastasen niemals vereitern, also durch das 
Fehlen des pyämischen Charakters. Die Krankheit kann schnell 
verlaufen, sich aber auch über viele Monate hinziehen, bis endlich 
Genesung oder, wie gewöhnlich, Tod eintritt. Bei dieser Affection 
steht die Endocarditis wieder im Vordergrund und wird auch oft 
diagnosticirt. Zur Bakteriologie: Jede Endocarditis mit Ausnahme 
der arteriosklerotischen wird durch Bakterien bedingt und jede 
Endocarditis ist in diesem Sinne eine nicht selbständige Krankheit, 
sondern bloß eine Complication. Der Erreger der Endocarditis 
benigna ist kein einheitlicher; der Erreger des acuten Gelenks¬ 
rheumatismus ist noch nicht gefunden. Die E. benigna kann bedingt 
werden, soweit bis jetzt bekannt, durch den Diphtherie-, Typhus-, 
Tuberkel-, Influenzabacillus durch den Gono- und Pneumococcus. 
Diese alle aber können auch die E. maligna erzeugen, und zwar, 
soweit bekannt, non purulenta. Wie bei der rein rheumatischen 
sind auch die Erreger der Endocarditis bei Scarlatina, Morbilli, 
Variola noch unbekannt. Bei der traumatischen Endocarditis spielen 
die verschiedenen Bakterien eine Rolle. 

Bei den malignen Formen ist der Erreger häufig nicht gefunden 
worden, da er eben für den Rheumatismus noch nicht bekannt ist. 
Bei den eitrigen Formen findet man zumeist Strepto- und Staphylo¬ 
kokken. Der Gonococcus verursacht sowohl benigne als maligne 
Endocarditis, niemals jedoch eitrige. 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 22. 


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Gynäkologische Gesellschaft in München. 

Sittmann : lieber Hysterie. 

Hysterische Störungen können fast ausnahmslos alle Func¬ 
tionen des Körpers befallen, und zwar sowohl auf motorischem 
als auch auf sensiblem Gebiete, doch gibt es einerseits gewisse 
Prädilections-, andererseits anscheinend immune Functionen. Die 
motorischen Störungen treten in Form von Ausfallserscheinungen 
(Lähmungen) und von Reizerscheinungen (Krämpfen) auf, deren 
Wesen im Verhältniß zu den entsprechenden organischen Störungen 
erörtert wird. Bezüglich der hysterischen Lähmungen hebt S. be¬ 
sonders die Incongruenz mit dem Gesammtbild hervor, ferner die 
zeitweiligen Remissionen durch psychische Beeinflussung. Bei den 
hysterischen Sensibilitätsstörungen fällt am meisten die Incongruenz 
der Erscheinungen mit dem anatomischen Nervenverlauf auf und 
andererseits die Uebereinstimmung mit dem Organ im Volkssinn 
(ganze Hand, Arm u. s. w.), die segmentale Anordnung der ge¬ 
störten Bezirke, bezw. deren Form und Begrenzung. 

Besonders charakteristisch sind die sogenannten Druckpunkte, 
ferner die concentrische Einengung des Gesichtsfeldes und die 
Vasomotorenstörung der Haut (Dermographie), weniger charakte¬ 
ristisch dagegen erscheint das Verhalten der Reflexe. Vortr. be¬ 
spricht dann eine Reihe von hysterischen Erscheinungen an den 
verschiedenen Organen, an Lunge (Tachypnoe u. a.), an Herz 
(Tachy-Bradycardie, Arythmie) und im Gebiet des Intestinaltractus, 
wo schwere Erscheinungen wiederholt organische Leiden vorgetäuscht 
und operative Eingriffe veranlaßt haben. Die Störungen im Gebiet 
der weiblichen Genitalorgane sind zwar, wie der Name „Hysterie“ 
zeigt, die am längsten bekannten, doch ist nicht entsprechend ge¬ 
klärt , inwieweit Genitalbeschwerden auslösende oder fördernde 
Momente darstellen, oder ihrerseits als hysterische Erscheinungen 
anzusehen sind, wie z. B. nach Gustav Klein die Hyperemesis 
gravidarum. Das hysterische Fieber hat sich, wenn auch theoretisch 
seine Möglichkeit zugegeben, meist als directer Betrug herausgestellt. 

Unter den verschiedenen Theorien erscheint am plausibelsten 
die Auffassung der Hysterie als einer Erkrankung des Vorstellungs¬ 
vermögens {französische Schule, Möbius), doch erklärt auch diese 
Theorie nicht alle Erscheinungen befriedigend. 

Vom forensischen Standpunkte aus hält es S. für wichtig, 
ob man die Hysterie als Psychose, Neurose oder Neuro-Psychose 
betrachte , sowohl in kriminellen Fragen als namentlich in Unfall¬ 
processen. Auf die Stellungnahme bei Begutachtung von traumatischen 
Hysterikern geht Vortr. unter Anführung von Beispielen ausführ¬ 
licher ein und warnt vor der scheinbaren Humanität durch Zu¬ 
weisung hoher Renten, wodurch der Kranke thatsächlich geschädigt 
wird, da sie ihn am Gesundwerden verhindert; ein gewisser Zwang 
zur Arbeit erscheint als wichtigster Heilfactor in solchen Fällen. 


Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln. 

v. Meer: Zur operativen Behandlung der Retroflexio und des 
Prolapsus uteri. 

Vortr. erörtert eine Modification der ALEXANDER-ADAM’schen 
Operation. Er empfiehlt folgendes Verfahren: Aufsuchen der Aus¬ 
strahlung des Lig. rot. im äußeren Leistenringe, Spalten der Fascie 
des M. obliquus ext. %— s / 4 Cm. weit in der Richtung ihres 
Faserverlaufes an der Stelle des inneren Leistenringes. Von dort 
aus wird in Analogie zu der KöCHER’schen Leistenbruchoperation 
subfascial eine dünne Kornzange nach dem äußeren Leistenringe 
durchgestoßen, dort werden die Ausstrahlungsfasern des Lig. rot. 
gefaßt, von ihrer Insertion abgeschnitten und auf dem umgekehrten 
Wege aus dem künstlichen Fascienschlitze hervorgezogen, bis der 
Processus vaginalis peritonei erscheint. Dieser wird zurückpräparirt, 
eventuell resecirt und das Ligament in der Richtung des Leisten- 
canales unter Verschluß des künstlichen Schlitzes auf die Fascie 
des M. obliquus externus in einen aus derselben gebildeten Canal 
mit fortlaufender Catgutnaht festgenäht, wobei das Ligament immer 
in der Längsrichtung zu seinem Faserverlauf durchstochen wird. 
Der äußere Leistenring wird geschlossen. Von der Zweckmäßigkeit 
des Verfahrens unter eventueller Ilinzufügung einer scheidenver¬ 


engernden Operation bei Retroflexio mobilis ohne uud mit Prolaps 
konnte Vortr. sich in mehreren Fällen überzeugen. Für die Fälle 
von Retroflexio mit Prolaps bei Frauen in der Nähe und jenseits 
des Klimakteriums empfiehlt Vortr. die von Funke geübte Ein- 
nähung des Corpus uteri in extremer Anteflexion zwischen hintere 
Blasen- und vordere Scheidenwand, wobei unter Hinzufügung einer 
Dammplastik gute Dauerresultate erzielt werden. 

Eberhart ist Anhänger der Pessartherapie bei Retroflexio uteri mobilis. 

Dietrich hat unter 8 Fällen die Ligamenta rotnnda das letzteraal 
nicht gefunden: er nennt sich einen Anhänger der ALEXANDEB-ADAMs’schen 
Operation. 

Zöllner will die Operation als FaEOND'sche Operation bezeichnet wissen, 
da dieser am Ende der Siebzigerjahre in der schlesischen Gesellschaft für 
vaterländische Cnltur in Breslau Leichenversuche über die Operation mitge- 
theilt habe. Er empfiehlt auf Grund einer Erfahrung an der FREUND’schen 
Klinik die Retroflexio überhaupt nicht zu behandeln, sondern nur deren Be¬ 
gleiterscheinungen, da die Retroflexio keine Beschwerden mache. 

Cahen betont, daß auch bei der mitgetheilten Modification die vordere 
Wand des Leistencanals, wenn auch nur in geringer Ausdehnung, gespalten werde. 

v. Meer verweist zunächst auf die in seinem Vortrage umgrenzten 
Indicationen zur operativen Behandlung der Retroflexio mobilis und glaubt, 
daß bei der nöthigen Uebung das Auffinden der Ligamenta rotunda immer 
gelingen wird. 


Notizen. 


Wien, 31. Mai 1902. 

Das Gesundheitswesen in Wien 1899. 

Wie alljährlich, hat sich auch dieses Jahr das „Statistische 
Jahrbuch der Stadt Wien“ als liebgewordener Gast eingestellt, dem 
die früher nur als Triennalbericht erschienene „Gemeindeverwal¬ 
tung der Stadt Wien“ gefolgt ist. 

Beide Werke, die sich auf das Jahr 1899 beziehen, stellen 
stattliche Bände dar und gewähren einen anziehenden und beleh¬ 
renden Einblick in das vielgestaltige Leben uud Weben einer 
Großstadt. Aus den schier endlosen Zifferreihen und Tabellen des 
statistischen Jahrbuches baut sich vor dem Leser ein umfassendes 
und getreues Bild der Millionenstadt und ihrer Bewohner auf, ein 
sprechendes Bild all dessen, was sie bewegt, ein Bild aller ihrer 
vielseitigen Leistungen und aller ihrer weitverzweigten Ansprüche 
und Bedürfnisse. Und auf wie vielen und disparaten Gebieten eine 
Großcomraune ihre Thätigkeit entfalten muß, wie sie alljährlich auf 
diesen Gebieten fortzuschreiten und allseits zu verbessern hat, soll 
der zweitgenannto Bericht beweisen. 

Für den modernen Arzt, der ja so oft auch Sociologe sein muß, 
bietet fast jeder Abschnitt eine Fülle des Interessanten und In- 
structiven • aus dem erdrückenden Reichthum des hier gebotenen 
Materiales, aus dem gewaltigen, hier bearbeiteten Stoffe können 
aber im Folgenden nur die wichtigsten Zahlen und Angaben her¬ 
vorgehoben werden. 

Die Zahl der Geburten betrug 55.365, wobei sich, auf 
die Gesammtzahl der Bevölkerung berechnet, eine stete Abnahme 
von 35*15 (1895) pro mille auf 34*16%,, ergab. 51*07°/o Knaben 
stehen 48-93% Mädchen gegenüber. Auffallend ist die Abnahme 
der unehelichen Geburten von 33-05% im Vorjahre auf 31*88% 
im Jahre 1899. Die Zahl der Zwillinge betrug 615, die der 
Drillinge 8. 

Die Sterblichkeit, die mehrere Jahre hindurch stetig 
abgefallen war, zeigte eine kleine Steigerung von 19*60% 0 im 
Jahre 1898 auf 2O*16% 0 ira Berichtsjahre; die absolute Zahl der 
Sterbefälle betrug 33.952. Auf die Tuberculose entfielen hievon 
7453, auf das Puerperalfieber 114, auf Blattern 1, auf Masern 
725, Scharlach 266, Diphtheritis 489 Todesfälle. Die stetig steigende 
Zahl der Selbstmorde betrug 463 ; die größte Zahl wies der Juli 
auf; das Hauptcontingent stellte die Altersclasse von 20—25 Jahren. 

Die Zahl der zur Praxis angemeldeten Aerzte ist von 
2221 am Beginne des Jahres auf 2301 zu Ende desselben gestiegen. 
In die öffentlichen Heilanstalten wurde 88.321 Personen aufge¬ 
nommen. Die Summe der bei 146 Cassen behandelten Mitglieder 
betrug 112.067 mit 150.403 Erkrankungen und 12.646 Entbin¬ 
dungen. Leider sind in den Ausweisen über die Vermögensgebahrung 
die Kosten der ärztlichen Behandlung nicht getrennt ausgewiesen. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 22. 


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Die Anzahl der städtischen Armenärzte betrug 66, die hierauf 
entfallenden Ausgaben 61.215 fl. Im Ganzen wurden 91.643 Kranke 
von den Armenärzten behandelt. In den staatlichen Krankenhäusern 
kamen 223.149 Personen, in der allgemeinen Poliklinik 58.332, 
im Mariahilfer Ambulatorium 27.319 und in den andern Kranken¬ 
anstalten 136.299 zur unentgeltlichen ambulatorischen Be¬ 
handlung. 

Der Verwaltungsbericht verzeichnet die in Gegenwart des 
Kaisers erfolgte Grundsteinlegung zum „Kaiser Franz Joseph-Regie- 
rungsjubiläums-Kinderspitale der Stadt Wien“, welches neben dem 
Wilhelminenspitale am Flötzersteige erstehen soll. 

In 72.001 Fällen hat das Marktamt in Ausübung seiner 
sanitätspolizeilichen Wirksamkeit geamtsbandelt, die Zahl der beim 
Stadtphysikate im Berichtsjahre durchgeführten Agenden be¬ 
trug in der Gruppe I (Hygiene und Sanitätspolizei): 34.808, in 
der Gruppe II (Medicinalwesen): 68.369. 

Eine Reihe von Maßnahmen wurde bezüglich der Bekämpfung 
der Tuberculose veranlaßt, von denen insbesondere hervorzu¬ 
heben ist, daß nach Spitalsabgabe von tuberculösen Personen, ebenso 
wie nach Todesfällen an Tuberculose die Desinfection des Schlaf¬ 
raumes ausgeführt werde. Auch die in Bezug auf die Tuberculose 
wichtige Bekämpfung der Wohnungsüberfüllung und des Bewohnens 
feuchter Wohnungen wurde durch die magistratischen Bezirksämter 
eifrig fortgesetzt. In letzterer Beziehung sind nebst der Demolirung 
alter Häuser die fortgesetzten Verbesserungen der Canalisation, die 
Regulirung des Wienflusses und die Schutzvorrichtungen im Donau- 
canale zu Nußdorf, welche wiederholt das Auftreten von Ueber- 
schwemmungen wirksam verhinderten, von hervorragender Bedeu¬ 
tung. Zur Hintanhaltung der Staubplage in den Schulen wurden 
Versuche gemacht, die Fußböden mit sog. Staublack zu imprägniren. 
In einer magistratischen Kundmachung wurde neuerdings die Ver¬ 
unreinigung der Straßen, Plätze, Flußufer, öffentlichen Anlagen und 
der Baugründe verboten, das Ableeren von Schutt, Hauskehricht 
und sonstigen Abfällen daselbst untersagt. 

In der neuen Sanitätsstation Gerhardusgasse wurden 11.025 
Stücke im Dampfapparate desinficirt; für die Wohnungsdesinfection 
wurden 5 BAUMANN’sche Apparate angeschafft und im Stadtphysi¬ 
kate eingestellt, wodurch die Gelegenheit gegeben war, im Bedarfs¬ 
fälle auch Wohnräume mittelst Formalinspray rasch zu desinficiren. 

Dem Verein „Lucina“ wurde die Baubewilligung zur Errichtung 
eines Wöchnerinnenasyles im X. Bezirke ertheilt, dem Convent der 
Elisabethinerinnen die Bewilligung zur Errichtung einer gynäko¬ 
logischen Abtheilung im Spitale III., Hauptstraße 4; für das Spital 
der Barmherzigen Schwestern im II. Bezirke, dessen Betrieb im 
Jahre 1898 eingestellt wurde, wurde im Spitale der Barmherzigen 
Schwestern im VI. Bezirke das ehemalige Waisenhaus zu einer 
Spitalsabtheilung adaptirt. 

Aus dem umfangreichen Abschnitt über Unfall- und Kranken¬ 
versicherung sei das am 1. Juli 1899 erfolgte Inkrafttreten der 
städtischen Krankenversicherung erwähnt. 

Mit den vorstehenden Angaben ist nur ein ganz flüchtiger 
Einblick in den reichen Inhalt der beiden Jahresberichte eröffnet 
worden. Die Morbiditätsstatistiken nach Alter, Monaten und Bezirken 
bearbeitet, die Ausweise der Krankencassen, die Impfungstabellen, 
das Beerdigungswesen u. v. a. verdienen eine eingehende Beach¬ 
tung von Seiten der ärztlichen Kreise. Wir wünschen zum Schlüsse 
nur, daß die Commune in der ersprießlichen Erfüllung ihrer 
hygienischen und prophylaktischen Aufgaben rüstig immer weiter 
fortschreite und sich dabei bewußt sei, welch unentbehrliche Mit¬ 
arbeiter sie in der Aerztescbaft, und zwar nicht bloß in den Amts¬ 
ärzten , sondern auch in den praktischen Aerzten besitze, welch’ 
letzteres gar zu häufig vergessen zu werden scheint. F. 

(Adolf Ko ssm a u l f.) Zu Heidelberg, der Stadt seiner 
Kindheit, seiner Studentenzeit und seiner ruhmreichen akademischen 
Laufbahn, ist am 28. Mai der Altmeister der deutschen internen 
Medicin, der große Kliniker Adolf Kussmaul, im 81. Lebensjahre 
gestorben. Noch vor wenigen Monaten umgab ihn jubelnd die 
große Schaar seiner Bewunderer und Schüler, die an seinen Lippen 
hangend die vielen Worte der Erfahrung und der Klugheit auf¬ 


genommen , an denen seine Vorträge so reich waren, und die in 
ihm einen der größten und weisesten ihrer Meister verehrt hatte. 
Er hat jene Festtage nicht mehr lange überlebt. — Zu Graben bei 
Karlsruhe geboren, ward Kussmaul in Heidelberg promovirt, 1845 
Assistent J. K. Naegele’s, schließlich praktischer Arzt. Da zwang 
ihn eine langwierige Krankheit, auf die Praxis zu verzichten. 
Kaum genesen, wandte er sich neuerlich dem Studium zu, habilitirte 
sich 1855 in Heidelberg, wurde 1857 Extraordinarius daselbst, 
1859 Ordinarius in Erlangen, 1863 in Freiburg i. B., zuletzt 
1876 in Straßburg. Schon als Student veröffentlichte er, auf diesem 
Gebiete ein Vorläufer Helmholtz’s, „Die Farbenerscheinungen im 
Grunde des menschlichen Auges“, 1856 im Vereine mit Tenner 
die „Untersuchungen über Ursprung und Wesen der fallsuchtartigen 
Zuckungen etc.“; diesen Publicationen folgten die Arbeiten „Von 
dem Mangel, der Verkümmerung und der Verdoppelung der Gebär¬ 
mutter, von der Nachempfängniß etc.“, die berühmten „Unter¬ 
suchungen über das Seelenleben des neugeborenen Menschen“, die 
„Untersuchungen über Mercurialismus“, „Ueber die fortschreitende 
Bulbärparalyse und ihr Verhältniß zur progressiven Muskelatrophie“, 
„Die Störungen der Sprache“ u. v. a. 1869 führte er die Magen¬ 
pumpe in die Behandlung der Magenkrankheiten ein. Sein letztes 
Werk „Jugeuderinnerungen eines alten Arztes“ ist eine herz¬ 
erquickende, den Zauber der Persönlichkeit Kussmaul’s wieder- 
spiegelnde und von Lebensweisheit erfüllte Schrift, das schönste 
Vermächtniß des erfahrenen Lehrers und guten Arztes Kussmaul 
für die Ueberlebenden. Sein edles Vorbild hat viele Schüler be¬ 
geistert, die an ihm Klarheit der Fragestellung, strenge Kritik, 
überzeugende Wahrheitsliebe, unermüdliche Arbeitslust, sowie edlen 
Forscherdrang ehrten und bewunderten. 

(K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien.) In der 
gestrigen Sitzung demonstrirte zunächst Reg.-A. Dr. Fein eine Frau 
mit angeborener Membranbildung zwischen den 
Stimmbändern ; mangels funetioneller Störungen erscheint keinerlei 
Therapie angezeigt. — Hierauf zeigte Prof. Dr. Schiff einen durch 
Roentgenstrahlen geheilten Fall von Epitheliom 
und die ßANG’sche Eisenelektroden-Lampe zur F insen- 
behandlung. Prof. Dr. Lang berichtete, daß diese Lampe sich 
in der Praxis bisher nicht bewährt habe. — Sodann demonstrirte 
Hofrath Prof. Weinlechner 3 Fälle, u. zw. : Ein mit Excision und 
Lappendeckung behandeltes Epitheliom der Stirne, einen 
Pat. nach Exstirpation eines Sarkoms der Clavicula und 
eine Schußverletzung der Hand. Prof. Freili. v. Eisels- 
berg machte zum ersten Falle W.’s eine Bemerkung technischer 
Natur. — Dr. Stangl stellte einen Mann vor, dem an der v. Eisels- 
BERG’schen Klinik ein retroperitonealer, an der Gabelung 
der Aorta gelegener, mit den großen Gefäßen ziemlich innig ver¬ 
wachsener, faustgroßer Tumor erfolgreich exstirpirt worden 
war. Bei der histologischen Untersuchung desselben fand mau, daß 
er von dem Zuckere ANDL’schen Organ ausgegangen war, da 
er chromaffine Zellen enthielt. — In der Discussion berichtete 
Dr. Wiesel über zwei ähnliche Tumoren, die er intra obductionem 
gefunden hatte, Prof. Biedl empfahl für derartige Fälle in Zu¬ 
kunft die Vornahme der physiologischen Reaction, und Hofrath 
Prof. Zuckerkandl bemerkte, daß chromaffine Zellgruppen allent¬ 
halben den Sympathicus begleiten und später zu Tumorbildung 
Veranlassung geben können. — Schließlich demonstrirte Professor 
Freih. v. Eiselsberg 2 Fälle: Zunächst ein Präparat von V o 1 v u- 
lus desS romanum, der nach der Detorsion recidivirt war, und 
erörterte das zur Verhinderung des Wiedereintrittes der Darm¬ 
drehung eventuell nothwendige chirurgische Verfahren; sodann 
einen Fall von Stichverletzung der Carotis communis, 
in welchem wegen Nachblutung das Gefäß zweimal unterbunden 
werden mußte. Die nach der ersten Unterbindung eingetretenen 
hemiplegischen Erscheinungen (Gchirnanämie)' sind seit der zweiten 
Ligatur in langsamem Rückgänge begriffen. 

(Oberster Sanitätsrath.) In der Sitzung vom 24. Mai 
d. J. gelangten nachstehende Gegenstände zur Berathung und Beschlu߬ 
fassung: Gutachten über die Modalitäten, unter welchen Unter¬ 
suchungen mit Roentgenstrahlen außerhalb wissenschaftlicher Institute 
und Anstalten zulässig erscheinen. Erstattung des Schlußreferates 


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Wiener Medizinische Presse. — Nr. 22. 


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betreffend Maßnahmen zur Hintanhaltung von Mißbräuchen bei Vor¬ 
nahme wissenschaftlicher Untersuchungen und Studien an Kranken 
in Heilanstalten. Gutachtliche Aeußerung über die Qualification der 
Bewerber um die neusystemisirle Stelle eines Seesanitäts-Inspectors 
bei der k. k. Seebehörde in Triest. Vor und nach der Sitzung des 
Obersten Sanitätsrathes trat das Specialcomitö für Hebammen- 
Angelegenheiten zu Berathungen über die Bedürfnisse des Hebammen- 
Schulwesens in Böhmen zusammen. 

(Personalien.) Der mit dem Titel und Charakter eines 
ordentlichen Universitätsprofessors bekleidete a. o. Professor der 
Ohrenheilkunde an der deutschen Universität in Prag Dr. Ema- 
nuel Zaufal. hat den Orden der eisernen Krone III. CI. erhalten. 
— Der a. o. Professor für Hygiene an der Universität in Wien 
Dr. Arthur Schattenfkoh und der Professor der Geburtshilfe 
Dr. Ludwig Piskaöek in Wien sind zu Mitgliedern des niederöster¬ 
reichischen Landessanitätsiathes, Professor Dr. II. Oppenheim in 
Berlin ist von der Wiener Gesellschaft für Psychiatrie und Neu¬ 
rologie zu ihrem correspondirenden Mitgliede ernannt worden. 

(Ernennungen.) Die städtischen Aerzte Dr. Hermann 
Dostal und Dr. Gebhard Rosmanith sind zu städtischen Ober¬ 
ärzten in der VI. Rangsclasse und die Doctoren der gesammten 
Heilkunde Jacob Skorpil, Hans Bichleii, Oscar Kopetzky von 
Rechtperg, Otto Hromatka, Franz Siess, Adolf Souczek, Wil¬ 
helm Zöller, Julius Zwintz und Ludwig Müller zu proviso¬ 
rischen städtischen Aerzten der VII. Rangsclasse ernannt worden. 

(Die Frage desMedicinstudiums der Frauen) ist 
auf dem diesjährigen Anatomencongresse in Halle discutirt und von 
mehreren Professoren der Anatomie, die bereits zahlreiche Frauen 
als Hörerinnen gehabt hatten, in wesentlich ungünstigerer Weise 
als ehedem beurtheilt worden. Ihre Meinung ging dahin, daß 
zunächst durch eine Reihe von Jahren unter den jetzigen Ausnahme¬ 
bedingungen, die dem Lehrer gestatten, Frauen auszuschließen, eine 
Anpassung der weiblichen Studirenden an die mannigfachen neuen 
Verhältnisse zu Lehrern, Behörden und Mitstudirenden herbeigeführt 
werden müsse, um später ohne besondere Bestimmungen Auskommen 
zu können. Das Richtigste wäre cs, für die weiblichen Studirenden 
einen gesonderten raedicinischen Unterricht einzurichten. 

(Ein medicinischesBuch.) Die schmerzhaftesten Wunden 
sind jene, die maD sich selbst geschlagen. Die Wahrheit dieses 
Satzes empfindet kaum ein Stand schwerer als der Aerztestand. 
Dies haben wir schon oft erfahren und sollten dadurch belehrt 
worden sein. Wir sind aber noch nicht curirt genug, denn eine 
Erscheinung- der letzten Tage zwingt uns neuerlich zu dem Be¬ 
kenntnisse , daß wir die ärgsten Feinde im eigenen Lager haben. 
Vor uns liegt nämlich eine Broschüre mit dem anspruchsvollen Titel 
„Hydriatisches Jahrbuch unter Mitwirkung namhafter Fachgenossen 
herausgogeben von Dr. med. Alfred Baumgarten . . .“ und was 
sich dahinter birgt, ist nichts Anderes als von Aerzten gemachte 
Propaganda für das Heilverfahren, von Sebastian Kneipp. Man fühlte 
sich zum Lachen gereizt, wenn die Sache nicht gar so traurig 


wäre. Oder ist es nicht etwa lächerlich, wenn in einem Buche, 
das äußerlich ein medicinisches scheint, ein Arzt eine Lebensgeschichte 
Kneipp’s schreibt, dithyrambisch, als wäre dieser Hippokrates selbst 
gewesen, wenn ein Doctor medicinae Wunderglauben predigt und 
den Nimbus, den Kneipp kraft seines Amtes vor Gläubigen besaß, 
auf wohlfeile Art zu eigenem Hausgebrauche verwertben möchte! 
Wir empfehlen das Buch Baumgarten’s der zuständigen Aerzte - 
kammer wärmstens zur Lectüre, ferner jedem Collegen, der Ver¬ 
langen darnach trägt, in dem Werke eines zeitgenössischen Arztes 
Schriftproben und Pulscurven Kneipp’s, dazu auch diesen im Bilde 
zu sehen , wie er ein krankes Mädchen auf dem Schoße hält oder, 
von lauschenden Hörern umgeben, seine Lehre verkündet, vor dem 
Laden einer Schuhmacherei des Systemes Kaeipp. 

(Statistik.) Vom 18. bis inclusive 24. Mai 1902 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 7365 Personen behandelt. Hievon wurden 1461 
entlassen; 173 sind gestorben (10'58% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 73, egypt. 
Augenentzündung 2, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 2, Dysen¬ 
terie —, Blattern —, Varicellen 36, Scharlach 107, Masern 561, Keuchhusten 57, 
Rothlauf 42, Wochenbettfieber 3, Rötheln 59, Mumps 18, Influenza 2, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 753 Personen gestorben 
(+11 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Wien der ehemalige 
Director des Allgemeinen Krankenhauses Hofrath Prof. Dr. Karl 
Böhm von Böhmersheim im 75. Lebensjahre; in Budapest der 
Professor der Geburtshilfe Dr. Theodor v. Kezmärzky, 60 Jahre 
alt; in Berlin der Geh. Ob.-Med.-Rath und ord. Honorarprofessor 
an der Universität in Berlin Dr. Skrzecka im 71. Lebensjahre; 
in Lausanne der dortige Professor für innere Medicin Dr. Louis 
Secretan im Alter von 49 Jahren. 


Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 

Sitzung Donnerstag den 5. Juni 1902, 7 Uhr Abends, im Hörsaale der 
Klinik Nedsser. - 

Vorsitz: Hofrath Prof. Neusser. 

Programm: 

I. Demonstrationen (angemeldet: Assistent Dr. E. v. Czyhlakz , Docent 
Dr. Alu. Hammerschlag). 

II. Hofr. Prof. Nothnagel: Zur meningealen Apoplexie. 

Das Präsidium. 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 


Mit dieser Nummer versenden wir eine Beilage der 
chemischen Fabrik F. HofFmann-La Roche & Cie. in Basel und 
Grenzbach, über Sirolin. Wir empfehlen dieselbe der geneigten 
Beachtung unsrer Leser. 

Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
Postversendung. Die Preise der Einbanddeoken sind folgende: für die „Hed. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
,,Therapie der Gegenwart“: K 1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Postversendung. 



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Vertretung für Oesterreich-Ungarn: FRIEDR. BAYER & Co., Wien, L, Hegelgasse 17. 


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Wien, den 8. Juni 1902. 


XLIII. Jahrgang. _ 

Oie „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart-Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik“, letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse“ 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 


Wiener 


medizinische 


Nr. 23. 


Abonnementcpreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Militärärztlicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
20 ff, halbj. 10 A', viertel]- 5 K. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk. , halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8f; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. = 60* berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein 
Sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien.l, Maximilianstr. 4. 

Presse. 


Begründet 1860. 


Redaction: Telephon Nr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

---»8S8*- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 
Administration: Telephon Nr. 9104. 


INHALT: Orlginalien and klinische Yorlesnngen. Aus der inneren Klinik der Jagell. Universität in Krakau (Director Hofrath Professor Dr. Eduard 
R. v. Korczynski). Zur Kenntniß des Stoffwechsels bei Osteomalacie. Von Doc. Dr. L. R. v. Korczynski. — Aus der Abtheilung des Primararztes 
Prof. Eduard Lang in Wien. Blasenfistel der Leiste auf tuberculöser Grundlage. Von Dr. Robert Lichtwitz, gew. Secundararzt. — Casuistische 
Mittheilungen aus dem Arbeiterhospitale in Pistyan. Saison 1901. Von Dr. Eduard Weisz, Badearzt. — Referate» Ch. Bäumler (Freiburg i. Br.): 
Klinische Erfahrungen über Behandlung der Perityphlitis. — Bockenheimer (Berlin): Zur Kenntniß der Spina bifida. — Hermann Pape (Gießen): Zur 
künstlichen Frühgeburt bei Beckenenge; modificirte Technik der Metreuryse und ihre Erfolge. — Wladimirow: Ueber die Behandlung des Soor und 
der Stomacace. — H. Stilling (Lausanne): Ein Fall von Neuritis der Nn. Splancbnici. — Tretter (Prag): Ueber die experimentelle Tuberculose und 
ihre Behandlung. — Kose (Prag): Ueber Lungenembolie und Lnngeninfarct. — Wagner (Karlsruhe): Ueber die Therapie bei Gravidität, complicirt 
durch Carcinom des Uterus. — Julius Wolff (Berlin): Ueber die blutige Verlagerung des Leistenhodens in das Scrotum. — Fritz Rosenfeld 
(Berlin): Die syphilitische Dünndarmstenose. — Benderski (Kiew): Ueber nervöses Erbrechen und dessen Behandlung. — Goldherg (Petersburg): 
Die Agglutinationsreaction bei Infectionen verschiedenen Grades. — Kleine Mittheilungen. Ueber den Einfluß von Bädern und Douchen auf 
den Blutdruck beim Menschen. — Europhen. — Ueber Prophylaxe der Hautkrankheiten. — Heroin. — Dysenterie. — Somatose. — Zur Verhütung 
der Stomatitis mercurialis. — Ueber den praktischen Werth der Bismutose. — Ueber den therapeutischen und diagnostischen Werth der Lumbal- 
pnnction. — Literarische Anzeigen. Lehrbuch der venerischen Krankheiten (Tripper, venerisches Geschwür, Syphilis). Von Dr. Max von Zeissl, 
Professor in Wien. — Lehrbuch der orthopädischen Chirurgie. Bearbeitet von Dr. Albert Hoffa. a. o. Professor an der Universität Würzburg. — 
Die Blutungen des Sehorgans in ihrer semiotischei Bedeutung für die allgemeine Praxis. Von Augenarzt Dr. Emil Guttmann in Breslau. 
Feuilleton. Einiges über Prognose. Von Dr. Max Kahane in Wien. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. 20. Contjreß für innere Medicin. 
Gehalten zu Wiesbaden 15.—18. April 1902. (Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) VI. — Aus italienischen 
Gesellschaften. (Orig.-Ber.) — Notizen. — Neue Literatur. — Eingesendet. — Offene Correspondenz der Redaction und Administration. — 
Aerztllche Stellen. — Anzeigen. 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse“ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Aus der inneren Klinik der Jagell. Unirersität in 
Krakau (Director Jlofrath Professor Dr. Eduard 
11. v. Korczynski). 

Zur Kenntniß des Stoffwechsels hei 
Osteomalacie. 

Von Doc. Dr. L. R. v. Korczynski. 

StofFwechseluntersuchungen, die bei jeder chronischen 
Krankheit wichtig und erwünscht Vorkommen müssen, treten 
in den Vordergrund der stricten klinischen Forschung gerade 
bei Erkrankungen, welche mit dem Namen Stoffwechselkrank¬ 
heiten getauft wurden. Bei Knochenerweichung ist an die¬ 
selben wohl in höherem Maße als bei anderen hieher gehörigen 
Krankheitsformen gedacht worden. Zu den Forschungen eiferte 
hier nicht nur das selbstverständliche Streben nach Erweite¬ 
rung des Kreises des ärztlichen Wissens an, es zwangen dazu 
vielmehr auch rein praktische Rücksichten, und zwar in gleichem 
Maße wie die Nothwendigkeit, dem Wesen der Krankheit 
näher zu treten, ihre eigentliche Pathogenese, ihre unmittel¬ 
baren Folgen und Erscheinungen kennen zu lernen. 

Die am Krankenbette gemachten Beobachtungen schienen 
geradezu anzuzeigen, daß der eigentliche Sitz der Krankheit 
das Knochensystem sei, eine Meinung, die auch in der Be¬ 
nennung der Krankheit ihren Ausdruck gefunden hat. Die 
Ursache der Erkrankung ist bald in abnormem Knochenzer¬ 
fall , bald in gestörter Regeneration des Knochengewebes 
gesucht worden. Es erscheint somit ganz natürlich, daß 
die Stoffwechseluntersuchungen ausschließlich oder über¬ 


wiegend die zwei wichtigsten anorganischen Bestandtheile 
der Knochen, Phosphor und Kalk, berücksichtigt haben, daß 
man außerdem bestrebt war, nach Verbindungen zu fahnden, 
deren Anwesenheit im Organismus die Entstehung des Vor¬ 
ganges der Knochenerweichung erklären konnte. Es mangelte 
indessen an Arbeiten, welche den Stoffwechsel in seinem ge- 
sammten Umfange berücksichtigten. Die wenigen aber, über 
die wir gegenwärtig verfügen, gehen, was ihre Ergebnisse an¬ 
belangt, in gar Manchem derart auseinander, daß eine klare 
Vorstellung über die Stoffwechselvorgänge bei Osteomalacie 
kaum erreicht werden kann. 

Die Ursache jener Differenzen ist zu gewissem Theile 
dadurch zu erklären, daß viele Bestimmungen n.ur im Urin 
der Kranken, ohne Berücksichtigung der Kothanalysen, aus- 
geführt wurden, theils aber darin zu suchen, daß den Gegen¬ 
stand einzelner Untersuchungen die Excrete von Kranken 
bildeten , deren Kostanordnung, wie auch der Krankheitszu¬ 
stand selbst nicht identisch gewesen sind. Der Umstand muß 
ja gebührend gewürdigt werden, daß der Verlauf der Knochen¬ 
erweichung geradeso wie der jeder beliebigen chronischen Krank¬ 
heit gar manche und bedeutende Schwankungen bezüglich der 
Intensität aufzuweisen pflegt, daß während desselben periodi¬ 
sche, längere oder kürzere Besserungen und Verschlimmerungen 
sich einstellen; der zeitweilige Zustand kann aber nicht ohne 
Einfluß auf die Stoffwechselvorgänge bleiben. Es folgt daraus, 
daß die Stoffwechseluntersuchungen periodenweise und durch 
längere Zeit, wenigstens durch etliche Wochen, vorgenomraen, 
daß die Quantität, Zusammensetzung und der Nährwerth der 
verabreichten Kost mitberücksichtigt, und daß nebst den Ana¬ 
lysen des Urins in gleichem Maße auch Kothanalysen ausge¬ 
führt werden müssen. 


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1075 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 23. 


1076 


Im Sinne jener Betrachtungen sind nun meine Unter¬ 
suchungen , durch welche die Erkenntniß des Stoffwechsels 
bezüglich des Phosphors, des Kalkes und des Stickstoffes an¬ 
gestrebt wurde, ausgeführt worden. Der Stickstoff wurde 
mittelst KjELDAHL’scher Methode, der Phosphor mittelst Titri- 
rung mit Urannitrat als P 2 0 6 , der Kalk mit der Wäge¬ 
methode als CaO bestimmt. Der Urin wurde täglich analysirt. 
Der Koth ist durch die ganze Periode gesammelt worden. 
Um die ganze dazugehörige Kothmenge zu erhalten, ist den 
Kranken vor Einleitung und nach Beendigung des Versuches 
pulverisirte Holzkohle verabreicht worden. 

Vor den Versuchen wurden genaue Analysen der rohen 
Nahrungsmittel in Bezug auf ihren Stickstoff-, Phosphor- und 
Kalkgehalt ausgeführt. Die durchschnittlichen, aus mehreren 
Bestimmungen erhaltenen Zahlen sind in Percenten folgende 
gewesen: 


1. Beefsteak . . 

N 

. . 3-8719% - 

P,0., 

0-4675% 

CaO 

0032994% 

2. Butter . . . 

. . 0-13712% 

0-0808% 

0-02107% 

3. Erbsen . . . 

. . 3 6208% 

0-9654% 

0-1325% 

4. Fleischsuppe 

. . 0-112°/„ 

0-085% 

0-023375% 

5. Haferschleim 

. -007% 

0 02705°/ o 

0-009333% 

6. Hühnerei . . 

. . 2-0094% 

0196% 

022602% 

7. Kalbfleisch . 

. . 3-18208% 

0-40324% 

0-0192% 

8. Milch . . . 

. . 0-4508% 

0-196% 

0 1527% 

9. Reis ... 

. .1-1104% 

0-24156% 

0-01458% 

10. Sago ... . 

. .0-15202% 

0-2841% 

00145% 

11. Schinken . . 

. .3-277% 

0-6987% 

005952% 

12. Thee .... 

. . — 

001918% 

13. Trinkwasser . 

. . — 

— 

0-01015% 

14. Weißbrot . . 

. . 1-349% 

0-68571% 

0-1355% 

15. Zucker . . . 


0-0784% 

00091796% 


Aus den oben angeführten Procentzahlen ist die bezügliche 
Zusammenstellung der verabreichten Kost berechnet worden. 
Der Gehalt an Fett und Kohlehydraten wurde nach den be¬ 
kannten Tafeln von König bestimmt. Das 9‘3fache Product 
der Fettmenge, das 4Tfache der Kohlehydrate zeigt ihren 
Nährwerth an. Die Eiweißmenge wurde aus eigenen N-Be- 
stimmungen berechnet, und zwar als ö'Söfachcs Product des 
Stickstoffgehaltes. Durch Multipliciren dieser Zahl mit 4‘1 er¬ 
langte man den Calorienwerth des Eiweißes. 

Den Gegenstand meiner Untersuchungen bildeten zwei 
klinische Kranke. Bei einer derselben wurden fünf, bei der 
anderen vier peiiodenweise angeordnetc Bestimmungen ausge¬ 
führt. Die erste der Kranken bekam in der 1. Periode eine 
gemischte Kost von ziemlich hohem Stickstoff- und Phosphor¬ 
gebalte, in der zweiten eine vegetabilische Kost mit unbe¬ 
deutender Stickstoff-, mittlerer Phosphor- und verhältnißmäßig 
hoher Kalkmenge; in der 3., 4. und 5. Peiiode ist die Kost 
wiederum eine gemischte gewesen, und zwar von der Zusammen¬ 
setzung, wie sie der üblichen Nabrungsweise entsprechen dürfte. 
Im zweiten Falle verabreichte man der Kranken in der 
1. Periode eine fast ausschließliche Fleischkost mit mäßiger 
Stickstoff- und Phosphor-, mit kleiner Kalkmenge; in der 2., 
3. und 4. Periode eine gemischte Diät von derselben Zusammen¬ 
setzung, wie sie auch die erste Kranke genoß. In der letzten 
Periode erhielten beide Kranke täglich (5—9 Stück englische, 
durch die Firma Borough & Welcome erzeugte Eier¬ 
stocktabletten, deren Gehalt an Eierstocksubstanz 0 - 25 Grm. 
betragen hat. 

Nach diesen einleitenden Bemerkungen dürfen wir nun 
zur Schilderung der Versuche selbst übergehen. 

Erster Fall. 

J. Marie, 41 Jahre alt, Arbeiterin aus Chocznia. Hat 6mal 
geboren. Die Krankheit soll seit 5 Jahren dauern; ihr Fortschritt 
ist ein ziemlich langsamer. Die Perioden der Besserung und Ver¬ 
schlimmerung wechseln unter einander. Mehrmalige klinische Be¬ 
handlung. Zum erstenmale verweilte sie in der Klinik im Jahre 
1900 vom 19. April bis 17. Mai; damals konnte sie ohne Unter¬ 
stützung gehen. Nach dem Austritt hat sicii ihr Zustand zu Hause 
verschlimmert, auch während der folgenden Hospitalbehandlung 
ist keine Besserung eingetreten. Bei abermaliger Aufnahme in die 


Klinik am 31. Januar 1901 konnte sie sich ohne Hilfe gar nicht 
fortbewegen. Ihr Aufenthalt verlängerte sich damals bis zum 
27. Juli. Die Arzneibehandlung bestand in Verabreichung von 
Natriumphosphat, Dr. Egger’s Hyperphosphit-Syrup und Chloral- 
hydrat. Es ist eine bedeutende Besserung erzielt worden, die 
Kranke konnte ohne Unterstützung gehen. Bald nach dem Austritt 
stellte sich eine neue Verschlimmerung ein. Zum drittenmale trat 
die Kranke in die Klinik am 15. October 1901 ein. Am Anfänge 
konnte sie nur unter Zuhilfenahme eines Stockes und mit großer 
Mühe sich auf den Füßen erhalten; nach etlichen Wochen hat sich 
der Zustand insoweit gebessert, daß die Kranke, mit einer Hand auf 
die Bettränder gestützt, im Krankensaale sich langsam fortbewegen 
kann. Es sind weder vor, noch während der Versuchsperiode irgend 
welche Medicamente verabreicht worden. 

I. Per iod e. 

Gemischte Kost. Frühstück: 300 Ctl. Thee, 10 Grm. 
Zucker, 15 Grm. Weißbrot, 150 Grm. Schinken. Zweites Früh¬ 
stück: 1 weichgekochtes Ei (35 Grm.), 55 Grm. Weißbrot, 5 Grm. 
Butter. Mittagsessen: 300 Ctl. Fleischsuppe, 150 Grm. rohes 
Beefsteak, gebraten mit 20 Grm. Butter, 50 Grm. Reis, gekocht 
mit 200 Ctl. Milch. Vesperbrot: 2 weichgekochte Eier (70 Grm.), 
50 Grm. Weißbrot. Nachtmahl: 150 Grm. rohes, mit 20 Grm. 
Butter gebratenes Kalbfleisch, 50 Grm. Weißbrot. Zum Salzen der 
Speisen verwendete man täglich 10 Grm. Na CI. Die Kranke erhielt 
täglich 800 Ctl. Wasser aus der Wasserleitung. 

Zusammensetzung und Nährwerth obiger Kost: 

Eiweiß. 124*23 Grm. = 509*425 Calorien, 

Fett.67-18 „ = 624-774 „ 

Kohlehydrate . . . 110-7 „ = 576-870 „ 

Zusammen . . . 1711*069 Calorien. 


Datum 

28./11. 

cn 

30./11. 

1-/12. 

2./12. 

Zu¬ 

sammen 

Im 

Mittel 



N . . . 

19-8653 1 19-8653 

19-8653 

19-8653 

19-8653 

99 3265 

19 8653 

Zufuhr 

P,O ä . 

5-8828 

5-8828 

5-8828 

5-8828 

58828 

29-4140 

5-8828 

J 


CaO . . 

1-2699 

1 2699 

1-2699 

1-2699 

1-2699 

6 3495 

1-2699 

Harnmenge . . . 

1250 

1180 

1215 

1160 

1195 

6000 

1200 

Spec. Gewicht des 








! Harnes 


1-024 

1-024 

1-025 

1025 

1-027 

— 

1-025 


( im Harn . 

14-9375 

15-4015 

17-6504 

16-4716 

18-7297 

83-1907 

16-6381 


N | im Koth . 

1-4599 

1-4599 

14599 

1-4599 

1-4599 

7-2995 

1-4599 


( zusammen 

163974 

16-8614 

191103 

17'9315‘20' 1896 

90-4902 

180980 


Harnsäure . . 

— 

— 

— 

1-4330 

16550 

— 

— 


_-=[ im Harn . 

3-6501 

3-688o 

38665 

3-9752 

3-6204 

18-8002 

3-7600 


im Koth . 

0-8570 

0 8570 

0-8570 

0-8570 

0-8570 

4-2850 

08570 


^ ( zusammen 

4-5071 4-5450 

4-7235 

4-8322 

4-4774 

23-0852 

4-6170 


( im Harn . 

0-2937 

0-2872 

0-2902 

0-2889 

0-2824 

1-4424 

02884 


oj | im Koth . 

06469 

0-6469 

0 6469 

0-6469 

0 6469 

3-2345 

0-6469 


° 1 zusammen 

0-9406 

09341 

0-9371 

0-9358 

09293 

4-6769 

09353 




4- 

4~ 

+ 

+ 

— 

4- 

4- 



N . . . 

34679 

3-0039 

0-7550 

19338 

0-3243 

8-8363 

1-7673 



4- 

+ 

+ 

4* 

4- 

4- 

4_ 


P a o 0 . 

1-3757 

1-3378 

1-1593 

1-0506 

1-4054 

6-3288 

1-2657 




4- 

+ 

4- 

4- 


4- 

4- 



CaO . 

03293 

0-3358 

0 3328 

0 3341 

03406 

1-6726 

0-3345 


II. Periode. 

Vegetabilische Kost. Frühstück: 300 Ctl. Thee, 
100 Ctl. Milch, 10 Grm. Zucker, 100 Grm. Weißbrot, 10 Grm. 
Butter. Zweites Frühstück: Zwei weichgekochte Eier (70 Grm.), 
50 Grm. Weißbrot. Mittagessen: 250 Ctl. Haferschleimsappe 
mit 10 Grm. Butter, 50 Grm. im Wasser gekochte Erbsen (200 Grm. 
Wasser), 50 Grm. in 200 Ctl. Wasser gekochten Reis. Vesper¬ 
brot: 300 Ctl. Thee, 50 Ctl. Milch, 10 Grm. Zucker, 100 Grm. 
Weißbrot, 10 Grm. Butter. Nachtmahl: 50 Grm. Sago, gekocht 
mit 200 Ctl. Milch. Zum Salzen der Speisen verwendete man täg¬ 
lich je 10 Grm. Na CI. Die Kranke erhielt täglich 500 Ctl. Wasser 
aus der Wasserleitung. 

Zusammensetzung und Nährwerth obiger Kost: 

Eiweiß. 55*321 Grm. = 226-826 Calorien, 

Fett. 32-400 „ = 301-532 „ 

Kohlehydrate . . . 230 610 „ = 945"501 „ 

Zusammen . . . 1473*859 Calorien. 


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1078 










Zu¬ 

sammen 

Durch- 


Datum 

8-/12. 

9./12. 

10./12. 

11./12. 

12./12. 

schnitt- 

lich 

; Körpergewicht . . 

46-2 kg 

46 - 3 kg 

46-2 kg 

46-2 hg 

46-1 kg 





N . . . 

8-8005 

8-8005 

8-8005 

8-8005 

8 8005 

44-0025 

8-8005 

| Einfahr 

P a 0 5 . 

3-6272 

36272 

3-6272 

3-6272 

36272 

181360 

3-6272 



CaO . . 

1-4039 

1-4039 

1-4039 

1-4039 

1-4039 

70195 

1-4039 

Harnmenge Ccm. . 

1372 

1490 

1680 

1200 

1250 

6992 

13984 

Spec. Gew. d. H. . 

1013 

1-010 

10085 

1014 

1014 

— 

10119 


| im Harn . 

7-6720 

7-7175 

7-6320 

8-0640 

8-1075 

39-1930 

7-8386 


N | im Koth . 

09328 

0-9328 

0-9328 

0-9328 

0 9328 

46640 

09328 


( zusammen 

8-6048 

8-6503 

8-5648 

8-9968 

9 0403 

43-8570 

8-7714 


Harnsäure . . 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

3 

0 [ im Harn . 

1-8384 

1-8774 

2-0436 

1-9240 

1-95701 9-6404 

1"9280' 


J im Koth . 

1-3446 

1-3446 

1-3446 

1-3446 

1-3446 

6-7230 

1-34461 


^ I zusammen 

31830 

3-2220 

3-3882 

3-2686 

3 3016 16-3634 

3-2726 


0 f im Harn . 

02342 

02533 

02663 

0-2456 

0-2687 

1-2681 

0-2536 


as { im Koth . 

1-0425 

1-0425 

1-0425 

1-0425 

1 0425 

52125 

1 0425 


° ( zusammen 

1-2767 

1-2958 

1-3088 

1-2881 

1-3112 

6-4806 

1-2961 




4* 

+ 

+ 

— 

— 

4- 

+ 



N . . . 

0-1957 

01502 

0-2357 

01963 

0-2398 

01455 

0-0291 

i Bilanz 

P* o, . 

4- 

04442 

+ 

0-4052 

+ 

0-2390 

+ 

03586 

+ 

0-3256 

4- 

17726 

+ 

03545 




4- 

4- 

+ 

4" 

4- 

4- 

4- 

1 


CaO . . 

0-1262 

01081 

0-0951 

01158 

00927 

05389 

0-1077 


III. Periode. 

G e m i s c h t e K o 81. Frühstück: 300 Ctl. Thee, 10 Grra. 
Zucker, 100 Grm. Schinken, 50 Grm. Weißbrot. Mittagessen: 
300 Ctl. Fleischsuppe, 150 Grm. rohes Beefsteak, gebraten mit 
20 Grm. Butter, 100 Grm. Reis, gekocht mit 200 Ctl. Milch, 
25 Grm. Weißbrot. Vesperbrot: 100 Ctl. Milch, 25 Grm. Wei߬ 
brot. Nachtmahl: 150 Grm. Kalbfleisch, gebraten mit 20 Grm. 
Butter, 50 Grm. Weißbrot. Zum Salzen der Speisen verwendete man 
alltäglich je 10 Grm. Na CI. Die Kranke bekam täglich 800 Ctl. 
Wasser aus der Wasserleitung. 

Zusammensetzung und Nährwerth obiger Kost: 


Eiweiß.103-01 Grm. = 4103 Calorien, 

Fett.51-76 „ = 481-36 „ 

Kohlehydrate . . . 177 '8 „ = 7 25-7 „ 

Zusammen . . . 1617*36 Calorien. 


Datum 

15./12. 

16./12. 

17-/12. 

18/12. 

19./12. 

Zu¬ 

sammen 

Im 

Mittel 

Körpergewicht . . 

45'6 kg 

45-7 kg 

45-6 kg 

459 kg 

45-9 kg 





N . . . 

16-4794 

16-4794 

16-4794 

16-4794 

164794 

82-3970 

16-4794 

Zufuhr 

P 3 0 5 . 

41496 

4-1496 

4-1496 

4-1496 

41496 

20-7480 

4-1496 



CaO . . 

1-0099 

1-0099 

10099 

1-0099 

1-0099 

50495 

1-0099 

Harnmenge Ccm. . 

905 

980 

950 

980 

1145 

4960 

992 

Spec. Gew. d. H. . 

1-025 

1024 

1024 

10245 

1-022 

— 

1-0239 


( im Harn . 

150267 

15‘3160 149746 

14-7280 

16-2250 

762703 

15-2540 


N im Koth . 

0-9193 

09193 

0-9193 

0-9193 

0-9193 

45965 

0'9193 


1 zusammen 

15-9560 

162353 

158939 

15-6473 

17-1443 

80-8668 

161733 


Harnsäure . . 

0-3795 

0-8526 

1-7480 

0-7200 

07414 

44415 

0-8883 


im Harn . 

1-9326 

2-3500 

2-2610 

2-3140 

2-5419 

11-3995 

22799 


| im Koth . 

0-6674 

0-6674 

0-6671 

0-6674 

0 6674 

33370 

0-6674 


( zusammen 

26000 

30174 

2-9284 

2-9814 

3-2093 

14-7365 

2-9473 


0 J im Harn . 

0-2681 

0-3024 

02415 

0-2350 

01636 

1-2106 

0-2421 


1 im Koth 

0-7587 

0-7587 

0-7587 

0-7587 

0-7587 

3-7935 

0-7587 


ü | zusammen 

1-0268 

1-0611 

1-0002 

09937 

0-9223 

5-0041 

1 0008 




4- 

4- 

4- 

+ 

— 

4- 




N . . . 

05234 

0-2441 

0-5855 

0-8321 

06649 

15302 

0-3060 



+ 

4- 

4- 

4- 

4- 

4- 

4- 


P a o 3 . 

1-5496 

11322 

1-2212 

1-1682 

0-9403 

60115 

1-2023 




— 

— 

4- 

4- 

4- 

4- 

4- 



Ca O . . 

00169 

0-0512 

0-0097 

00162 

0-0876 

0"0454 

00090 


IV. Periode. 


Gemischte Kost. Frühstück: 300 Ctl. Thee, 10 Grm. 
Zucker, 100 Grm. Schinken, 50 Grm. Weißbrot. Mittagessen: 
300 Ctl. Fleischsuppe, 150 Grm. rohes Beefsteak, gebraten mit 
20 Grm. Butter, 100 Grm. Reis, gekocht mit 200 Grm. Milch, 
25 Grm. Weißbrot. Vesperbrot: 100 Ctl. Milch, 25 Grm. Wei߬ 
brot. Nachtmahl: 150 Grm. Kalbfleisch, gebraten mit 20 Grm. 
Butter, 50 Grm. Weißbrot. Zum Salzen der Speisen verwendete man 
alltäglich je 10 Grm. Na CI. Die Kranke bekam täglich 800 Ctl. 
Wasser aus der Wasserleitung. 


Zusammensetzung und Nährwerth obiger Kost: 

Eiweiß. 103 01 Grm. = 410’3 Calorien, 

Fett.51-76 „ = 481-36 „ 

Kohlehydrate . . . 177*8 „ = 725*7 „ 

Zusammen . . . 1617*36 Calorien. 


Datum 

5-/1. 

6./1. 

7-/1- 

8./9. 

9/1- 

Zu¬ 

sammen 

Im 

Mittel 

Körpergewicht . . 

482 kg 

48 kg 

47-6 kg 

47-5 kg 

47-2 kg 





N . . . 

16-4794 

16-4794 

16-4794 

16-4794 

164794 

82-3970 

16-4794 

Zufuhr 

p 2 o, . 

41496 

4-1496 

4-1496 

4-1496 

4-1496 

20-7480 

4-1496 



Ca O . . 1 

1-0099 

1-0099 

1-0099 

1-0099 

10099 

5-0495 

1-0099 

Harnmenge Ccm. . 

1290 

1175 

1030 

950 

1045 

5490 

1098 

Spec. Gew. d. H. . 

1-024 

1*025 

1-022 

1-030 

1-026 


1 0254 


( im Haru . 

15-8566 

15-4623 

13-2758 

15-7330 

15-5988 

759265 

15-1853 


N | im Koth . 

1-2128 

P2128 

1-2128 

1-2128 

1 2128 

6-0640 

1-2128 


\ zusammen 

17-0694 

16-6751 

14-4886 

16-9458 

16-8116 

81-9905 

163981 


Harnsäure . . i 

0-8256 

0-7828 

0-8343 

1-1875 

1-1275 

4-7577 

09515 


«,( im Harn . 

25542 

2-1500 

1-9570 

P8530 

2-3880 

10-9022 

2-1804 


< im Koth . 

1" J 566 

1-1566 

1 1566 

11566 

11566 

5-7830 

1-1566 


^ ( zusammen 

37118 

33066 

31136 

30096 

35446 

166852 

3-3370 


0 f im Harn . 

0-2693 

01814 

01194 

0-1794 

02025 

0-9520 

0-1904 


es I im Koth . 

09743 

0-9743 

0-9743 

09743 

09743 

4-8715 

09743 


( zusammen 

1-2436 

1-1575 

1-0937 

1-1537 

11768 

5-8235 

11647 




— 

— 

4- 

— 

— 

4* 

4- 



N . . . 

05900 

0-1957 

1-9908 

0-4664 

0-3222 

0-4065 

00813 



4- 

4- 

4- 

4" 

4- 

4" 

4- 

1 

p 2 o 3 . 

04378 

08430 

10368 

11400 

0-6050 

40628 

08125 

| 


CaO . . 

02337 

0-1058 

00838 

01438 

0 1669 

© 

>*>- 

o 

0-1548 


V. Periode. 


Gemischte Kost. Frühstück: 300 Ctl. Thee, 10 Grm- 
Zucker, 100 Grm. Schinken, 50 Grm. Weißbrot. Mittagessen; 
300 Ctl. Fleischsuppe, 150 Grm. rohes Beefsteak, gebraten mit 
20 Grm. Butter, 100 Grm. Reis, gekocht mit 200 Grm. Milch, 
25 Grm. Weißbrot. Vesperbrot: 100 Ctl. Milch, 25 Grm. Wei߬ 
brot. Nachtmahl: 150 Grm. Kalbfleisch, gebraten mit 20 Grm. 
Butter. Zum Salzen der Speisen gebrauchte man alltäglich je 
10 Grra. Na CI. Die Kranke bekam täglich 800 Ctl. Wasser aus 
der Wasserleitung. Vom 10—14. Jänner bekam die Kranke täglich 
circa 9, vom 14. Jänner bis Ende der Periode je 6 Eierstock¬ 
tabletten täglich. 

Zusammensetzung und Nährwerth obiger Kost: 


Eiweiß.103*01 Grm. = 4103 Calorien, 

Fett.51*76 „ = 481-36 „ 

Kohlehydrate . . .177-8 „ = 725-7 „ 

Zusammen . . . 1617*36 Calorien. 


Datum 

14-/1. 

15-/1. 

16-/1. 

17-/1. 

Zu¬ 

sammen 

Im 

Mittel 

Körpergewicht. 

47-2 kg 

47 2 kg 

47 3 kg 

474 kg 





N. 

16-4794 

16-4794 

16-4794 

16-4794 

65-9176 

16-4794 

Zufuhr 

P,0 5 . . . . 

4-1496 

41496 

4-1496 

41496 

16-5984 

41496 



CaO. 

1-0099 

10099 

1 0099 

1 0099 

40396 

1-0099 

Harnmenge. 

1150 

1235 

1105 

1180 

4660 

1165 

Spec. Gew. d. H. 

10245 

1023 

1 0245 

1-024 

— 

1-024 


[ im Harn .... 

15-3997 

14-5200 

15-6317 

15-4651 

610165 

152541 


N< im Koth .... 

09552 

09552 

09552 

09552 

38208 

09552! 


1 zusammen . . . 

16-3549 

15-4752 

165869 

16-4203 

64 8373 

16-2093: 


Harnsäure. 

0-9466 

0 9887 

1 0342 

1-0089 

3-9784 

09946 


„f im Harn .... 

2-5174 

24853 

2-3650 

2-4957 

9-8634 

2*4658 


° < im Koth .... 

1-5492 

1-5492 

1-5492 

1-5492 

6-1968 

1-5492 


l zusammen . . . 

40666 

40345 

39142 

4-0449 

16-0602 

4-0150 


0 ( im Harn .... 

01214 

0-0950 

01342 

0-1580 

0-5086 

0 1271 


< im Koth .... 

1-2521 

1-2521 

1-2521 

1-2521 

50084 

1-2521 


0 \ zusammen . . . 

1-3735 

1-3471 

1-3863 

1-4101 

5-5170 

1-3792 




4- 

4- 

— 

4- 

4- 

4- 



N . 

01245 

1-0042 

0-1075 

00591 

10803 

0-2700 

. 

* 

4- 

4- 

4- 

4" 

4- 



P.,O ä .... 

0-083 

01151 

0-2354 

0-1047 

05382 

0T345 



Ca O . . . . • 

03636 

0-3372 

0-3764 

0-4002 

1-4774 

0-3693 


(Fortsetzung folgt.) 


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1079 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 23. 


1080 


Aus der Abtheilung des Primararztes Prof, Eduard 
Lang in Wien. 

Blasenfistel der Leiste auf tuberculöser 
Grundlage. 

Von Dr. Robert Lichtwitz, gew. Secundararzt. 

Unter den in großer Zahl beobachteten Fällen von Blasen¬ 
fisteln beanspruchen die als nicht traumatisch bezeichneten 
ein größeres Interesse, sei es, daß dieselben in Erkrankungen 
der Blasenwand — malignen Tumoren, Geschwürsbildungen 
tuberculöser oder luetischer Natur — ihren Ausgangspunkt 
nehmen, sei es, daß Erkrankungen der Nachbarschaft der 
Blase auf diese selbst übergreifen, wie dies bei bösartigen 
Neubildungen der Baucheingeweide, bei ulcerösen Darmaffec- 
tionen, Erkrankung der Beckenknochen mit Sequesterbildung, 
prävesicalen und puerperalen Abscessen und bei manchen Fällen 
von eitrigen Prostataentzündungen der Fall ist. Letztere 
führen allerdings öfter zu ausgedehnten, multiplen Fistelbil¬ 
dungen am Beckenausgang , mitunter aber durchbrechen die 
hier entstandenen Abscesse das feste Gefüge des Beckenbodens, 
dringen in dem lockeren, präperitonealen Zellgewebe nach 
aufwärts bis in die Inguinalgegend und kommen hier über 
oder auch unter dem PouPART’schen Bande durch die Bauch¬ 
decken zum Durchbruche, nachdem die Blasenwand selbst an 
einer circumscripten Stelle in den Einschmelzungsproceß mit 
einbezogen und eröffnet worden. Einen solchen Fall von mul¬ 
tipler Fistelbildung mit gleichzeitiger Blaseneröffnung konnten 
wir jüngst durch längere Zeit beobachten, einen Fall, dessen 
ätiologische Beziehungen auch eine nähere Erörterung ver¬ 
dienen. 

Karl V., 21 Jahre alt, Schuhmachergehilfe, aufgenommen 
am 17. März 1901. 

Anamnese: Eltern des Pat. leben noch und sind gesund, 
ein Bruder starb mit 22 Jahren an Lungenschwindsucht, eine 
Schwester an den Folgen eines Sturzes, 5 andere Geschwister er¬ 
freuen sieh voller Gesundheit. Pat. selbst weiß sich nicht zu er¬ 
innern, Kinderkrankheiten durchgemacht zu haben oder anderweitig 
bis zum Auftreten seines jetzigen Leidens krank gewesen zu sein. 
Vor 2 Jahren bemerkte er, ohne daß sonstige Erscheinungen vor¬ 
ausgegangen wären, in der linken Hodensackhälfte eine nußgroße, 
kugelige, nicht schmerzhafte Geschwulst. Er ließ sich ins Znaimer 
Spital aufnehmen und wurde mit kalten Umschlägen, Eisbeutel, 
später mit Salbenverbänden behandelt, ohne daß der Knoten ver¬ 
schwand. % Jahr später hatte sich auch rechterseits eine ähnliche 
Geschwulst gebildet. Pat. suchte jetzt (Februar 1900) das Brünner 
Krankenhaus auf, wo er 17 Wochen verblieb. Umschläge mit essig¬ 
saurer Thonerde, mit Alkohol, Salbenapplicationen führten keine 
Besserung herbei. Von einer Operation wurde angeblich wegen des 
schlechten Allgemeinbefindens abgesehen. Noch während des Spitals¬ 
aufenthaltes bildete sich anfangs Mai 1900 zunächst rechterseits, 
bald darauf auch links hinten am Hodensack eine Oeffnung, aus 
der sich eine geringe Menge Eiter entleerte. In seine Heimat ent¬ 
lassen, bemerkte Pat. 2 Wochen später beim Stuhlabßetzen nach 
einer angeblich 9tägigen Stuhlverhaltung, ohne daß aber dabei 
Urinbeschwerden bestanden hätten, wie der Urin aus einer neben 
dem After entstandenen Oeffnung am rechten Oberschenkel hinab¬ 
floß. Einige Tage später stellten sich Schmerzen neben dieser Oeff¬ 
nung ein, die gegen die rechte Leiste ausstrahlten, Pat. fieberte, 
es bildete sich unter Röthung der Haut eine schmerzhafte Ge¬ 
schwulst in der rechten Leistengegend, die von selbst aufbrach, 
wobei sich Eiter und Urin in größerer Menge entleerten. Seither 
fließt häufig beim Uriniren der Harn nicht nur auf dem natürlichen 
Wege durch die Urethra, sodern auch aus den Oeffnungen in der 
rechten Leiste und neben dem After. 

Pat. ist mittelgroß, von schwachem Muskel- und graeilem 
Knochenbau, schlecht genährt, Haut und sichtbare Schleimhäute sehr 
anämisch, Körpergewicht 50 Kgrm., Temperatur morgens 36 8, 
nachmittags 37*9, Puls 82 rhythmisch, klein, leicht unterdrückbar. 


Eingehende Untersuchung der Lungen ergibt nichts Patho¬ 
logisches, Herz und Bauchorgane zeigen keinerlei krankhafte Ver¬ 
änderungen. 

Das Scrotum wird von einem nahezu kindskopfgroßen Tumor 
mit prall gespannter, diffus gerötheter Hautdecke ausgefüllt. Während 
der vordere Antheil desselben an mehreren Stellen Fluctuation 
zeigt, lassen sich hinten von einer mehr einheitlichen, derb elastischen 
Masse mehrere höckerige, druckempfindliche Knoten abgrenzen, 
über denen die Haut fixirt und in zwei bogenförmigen Linien zu 
beiden Seiten der Raphe scroti exulcerirt erscheint. Der von schlaffen 
Granulationen gebildete Grund dieser Geschwüre ist mit Eiterborken 
bedeckt, die Ränder buchtig, unterminirt, eingerollt. In der rechten 
Genito-Cruralfurche findet sich neben dem After ein ca. kronen- 
gioßes, buchtig zerfallenes Geschwür, von dem aus die Sonde ca. 

4 Cm. gegen das Perineum vordringt. Dem Verlaufe des rechten 
PouPART’schen Bandes entspricht ein 1 Cm. breiter und 4 Cm. 
langer, streifenförmiger Substanzverlust der Haut, welcher ein 
schlaffes, grobhöckeriges Granulationsgewebe zutage treten läßt. Aus 
dem unteren Winkel dieses Geschwürs entleert sich auf Druck 
eine größere Menge dünnen, serösen Eiters mit krümmlichen Bei¬ 
mengungen. Die Prostata erscheint in ihrem linken Lappen mehr 
gleichmäßig, rechts höckerig vergrößert, ober ihr lassen sich die 
Samenbläschen als derb infiltrirte Gebilde erkennen, rechterseits 
ist überdies noch ein von deren oberem Pol ausgehender, gegen 
das Becken aufsteigender derber Strang zu tasten. 

Beim Uriniren tritt der Harn auch aus den Fisteln am Scrotum 
und Oberschenkel. Wurde Pat. angewiesen, die Urethra dabei durch 
Fingerdruck zu verschließen, so kam fast jedesmal nach einigem 
Pressen aus dem unteren Geschwürswinkel in der rechten Leiste 
zunächst etwas wässeriger Eiter, sodann eine Flüssigkeit, die, in 
einer Eprouvette aufgefangen, dieselbe zur Hälfte, mitunter auch 
ganz füllte und schon nach ihrem Aussehen als Urin zu erkennen 
war. Die chemische Untersuchung ließ in derselben Harnbestand- 
theile in großer Menge nachweisen. 

Der per urethram entleerte Urin ist in leichtem Grade diffus 
getrübt, reagirt sauer, spec. Gewicht 1*017. Im Sedimente sind 
neben weißen Blutkörperchen vereinzelte Plattenepithelien, reich¬ 
liche Krystalle von phosphorsauren und harnsauren Salzen, bei oft 
wiederholter Untersuchung jedoch niemals Tuberkelbacillen nachzu¬ 
weisen. 

Decursus morbi: Während des Spitalsaufenthaltes zeigt 
Pat. tägliche Temperaturschwankungen von 36*8°—38°, zeitweilig 
klagt er über Schmerzen im rechten Oberschenkel und im Hodentumor. 
Nennenswerthe Urinbeschwerden bestehen nicht, nur sistirte der 
Urinabgang aus der Leistenfistel während mehrerer Tage und ent¬ 
stand eine neue Fistel hinten am Scrotum. Die Rectaluntersuchung, 

5 Wochen nach der Spitalsaufnahme wiederholt, ergibt ein derbes 
Infiltrat der noch verschieblichen Rectalschleimhaut unterhalb der 
Prostata, diese solbst bildet jetzt einen mehr einheitlichen, unregel¬ 
mäßigen Tumor, von dem sich die infiltrirten Samenbläschen nun¬ 
mehr schwer abgrenzen lassen. 

Mitte Juni bietet Pat. folgenden Befund: Sein Körpergewicht 
ist während des lOwöchentlichen Spitalsaufenthaltes um 2% Kgrm. 
gestiegen, die Körpertemperatur zeigt keine abendlichen Steigerungen 
mehr. Aus der Leistenfistel entleert sich schon seit 3 Wochen kein 
Urin mehr, nur bemerkt Pat. mitunter bei erschwertem Stuhlab- 
setzen den Abgang von „Winden“ aus der Fistel, nachdem sich 
die Haut daselbst polsterartig vorgewölbt hat. Das Infiltrat der Rectal- 
scbleimbaut ist stark zurückgegangen, so daß der Finger wieder 
leicht bis zur Prostata vordringt, die, nunmehr weniger vergrößert, 
mit den Samenbläschen als unregelmäßig gelapptes Gebilde zu 
tasten ist. Der Scrotaltumor ist gleichfalls kleiner geworden, doch 
tritt nach wie vor aus den übrigen Fisteln bei jedesmaligem Uri¬ 
niren Harn in größerer Menge hervor. 

Obwohl Tuberkelbacillen nicht gefunden wurden, scheint 
es doch sicher, daß Pat. an einer schon vorgeschrittenen Form 
von Urogenitaltuberculose leidet. Gelingt es doch nach Guyon 
in 50% der Fälle von manifester Tuberculose des Genitales 
nicht, den bakteriellen Nachweis der Tuberkelbacillen zu 
erbringen. Der ganze klinische Befund des Kranken gestattet 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 23. 


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die Annahme einen primären Urogenitaltuberculose unter Mit¬ 
betheiligung der Prostata, die ja nach den mitgetheilten 
Beobachtungen von Krecke, Heiberg, Collinet und Oppen¬ 
heim weit häufiger in den tuberculösen Proceß mit einbezogen 
wird, als man früher’annahm; die von Marwedel, Krzywiki 
und zuletzt von Kapsamer berichteten Fälle haben den 
sicheren Nachweis der primären Erkrankung der Prostata 
an Tubereulose geliefert. So ist es auch in unserem Falle 
nicht ausgeschlossen, daß eine primäre Affection der Pro¬ 
stata vorlag, ohne daß Pat. sonderliche Beschwerden hatte, 
da nach Marwedel in 1 / 3 der zusammengestellten Fälle diese 
Erkrankung ohne manifeste Symptome verläuft und erst die 
secundären Veränderungen an Hoden und Nebenhoden den 
Pat. zum Arzte führen. Die Art der Infection, ob die 
Bacillen von der Urethra aus in dem weit maschigeren Ge¬ 
webe der Schleimhaut der Pars prostatica urethrae in die 
Tiefe dringen oder auf dem Wege der Blutbahn herbeigeführt 
werden, ohne sich vorher in einem anderen Organe anzu¬ 
siedeln, bildet in jedem Falle eine offene Frage. Ist aber 
einmal die Infection erfolgt, dann kommt es zur Bildung von 
typischen Tuberkeln, die conglomeriren und verkäsen, aber 
noch in diesem Stadium der Erkrankung mit Bindegewebs¬ 
bildung oder Verkalkung ausheilen können, wie derartige 
Nebenbefunde bei der Nekropsie erweisen. In der Regel aber 
kommt es zur Abscedirung der verkästen Prostata, der Proceß 
ergreift die Kapsel und es erfolgt der Durchbruch in die 
Nachbarorgane unter Fistelbildung. Am häufigsten erfolgt 
dieser Durchbruch nach vorne gegen die Urethra, in zweiter 
Linie in das Rectum oder gegen den Damm, sehr selten nach 
hinten oben in den Peritonealraum, wie dies der von Socin 
berichtete Fall zeigt, bei dem die Eröffnung des Douglas allge¬ 
meine Peritonitis zur Folge hatte. Selten wird die Blase 
von vorne hinter dem Sphincter vesicae eröffnet, jedenfalls 
zeigt sie . aber in den späteren-Stadien der Prostatatubercu- 
lose stets starke Mitbetheiligung , u. zw. am hochgradigsten 
in der Nähe des Blasenmundes und am Trigonum Lieutaudii. 
Gegen Ende der Erkrankung wird die ganze Prostata in die 
Ulceration mit einbezogen, so daß schließlich an ihrer Stelle 
ein Hohlraum entsteht, der eine Art Vorblase bildet. Recht 
instructiv zeigt dies ein von Albarran im Bilde mitgetheil- 
ter Fall, und auch Marwedel weiß von ähnlichen Fällen zu 
berichten. 

Bei unserem Pat. waren die Leistendrüsen. nachdem 
einmal die Scrotalhaut in den tuberculösem Proceß mit ein¬ 
bezogen worden, sicherlich schon krankhaft verändert, als in 
der Tiefe des Beckens die Blaseneröffnung erfolgte. Die Kette 
der schon veränderten Lymphgefäße und Drüsen bildete den 
Weg, auf welchem der Eiterungsproeeß aus der Tiefe gegen 
die Leiste fortschritt, ein Weg, wie er in umgekehrter Rich¬ 
tung bei Vereiterung der Leistendrüsen nur selten, u. zw. bei 
chronischen, dem scrophulösen Processe nahestehenden Drüsen¬ 
schwellungen häufiger als bei venerischen Erkrankungen ein¬ 
geschlagen wird. 

Hieher würde das von Lang (Jahrbuch der Wiener 
Krankenanstalten, 1896) beobachtete Kind gehören, das bei 
der Circumcision luetisch inficirt wurde. Im 5. Lebensmonate 
bildete sich infolge Secundärinfection ein Leistendriisenabsceß. 
der punktirt wurde. 2 Monate später bemerkte die Mutter 
des ambulatorisch behandelten Kindes, wie aus der vorhan¬ 
denen Leistenfistel eine klare, gelbe Flüssigkeit abging, deren 
durch Prof. Lang veranlaßte Untersuchung die Anwesenheit 
von Harnbestandtheilen deutlichst erkennen ließ. 

Aetiologisch verschieden ist der Fall Ungerer’s. Bei 
einem 23jährigen Manne entstand neun Jahre nach einer mit 
Absceßbildung verlaufenen Osteomyelitis pelvis unterhalb 
des Poui’ART’schen Bandes eine Urinfistel. Zwei Knochen¬ 
sequester, deren einer spontan per urethram abging, deren an¬ 
derer durch Urethrotomie entfernt werden mußte, hatten 
einen Absceß veranlaßt, der einerseits nach außen in der 


Leistenbeuge, andererseits nach innen gegen die Blase durch¬ 
gebrochen war. 

Bei Albarran findet sich auch der Hinweis auf die von 
Durand und Le Dentu beobachtete Fälle von beiderseitigen 
Ileoabdominalabscessen, die nach Prostatatuberculose auftraten 
und von Urinfisteln gefolgt waren. Ein liebenswürdiges Antwort¬ 
schreiben des Herrn Professor Le Dentu , für das ich auch 
an dieser Stelle bestens danke, informirte mich dahin, daß 
er in seinen Aufzeichnungen und Veröffentlichungen * nur 
einen Fall von Urinfistel der Leiste finde, die im Anschlüsse 
an eine Incision bei Hydronephrose entstanden war und von ihm 
durch Exstirpation der erkrankten Niere zur Heilung ge¬ 
bracht wurde. Ob sich der Hinweis bei Albarran auf diesen 
Fall bezieht, weiß ich nicht. 

Mit wenigen Worten will ich noch die bei unserem Pat. 
eingeschlagenen therapeutischen Maßnahmen streifen. Bei der 
Natur und großen Ausdehnung des Krankheitsprocesses war 
an ein radicales, chirurgisches Eingreifen nicht zu denken, und 
wurde in erster Linie darauf gesehen, wie bei sonstigen tubercu¬ 
lösen Affectiocen das Allgemeinbefinden zu heben: Tägliche 
Sitzbäder mit nachfolgenden Jodoformverbänden, zeitweilige 
Urethral- und Blasenspülungen mit 10%iger Jodoformemulsion 
(in Vaselinöl) verhinderten die Eiterretention und regten die 
Granulationsbildung an, so daß Pat. in recht gebessertem Zu¬ 
stande — sein Körpergewicht war schließlich von 50 Kgrm. 
auf fast 53 Kgrm. gestiegen —• entlassen werden konnte. 

Zum Schlüsse komme ich der angenehmen Pflicht nach, 
meinem verehrten Chef, Herrn Prof. Lang, für die Ueber- 
lassung des Falles und die Unterstützung bei dieser Arbeit 
meinen besten Dank auszusprechen. 

Literatur: J. Albarran, Trait6 de Chirurgie clinique et op6ratoire 
(Paris 1901). — A. Le Dentu, Nephrectomie dans un eas de fistule urinaire 
inguinale (Paris 1885). — A. v. Frisch , Die Erkrankungen der Prostata. — 
G. Kapsamer, Ueber primäre Prostatatuberculose („Wiener klin. Wochenschr.“, 
1900). — A. Krecke, Beiträge zur Diagnostik und Aetiologie der Tuberculose 
des männlichen Urogenitale („Münchener med. Wochenschr.“, 1887). — G. Mar¬ 
wedel, Ueber Prostatatuberculose (Beitiäge zur klin. Chir.’, 1892, ßd. IX). — 
J. Pollitzer, Ueber zwei seltene Fälle von Perforation in die Blase („Wieuer 
klin. Rundschau“, 1900). — J- Unokbkr, Ueber Knochenfragmeute als Fremd 
körper in den Harnwegen. Inaug.-Dissert., Straßburg 1881. — R. Wagner, 
Ueber nicht traumatische Perforation in die Blase (Langenbeck’s Archiv, 
Bd. XLIV). 


Casuistisehe Mitteilungen aus dem Arbeiter¬ 
hospitale in Pistyan. 

Saison 1901. 

Von Dr. Eduard Weisz, Badearzt. 

In der letzten Badesaison wurden in unserem Arbeiter¬ 


hospitale insgesammt 750 Kranke aufgenommen. Darunter 
litten : 

An chronischem Gelenkrheumatismus.280 

„ Polyaithritis rheumatica.172 

„ Ischias.86 

„ Muskelrheumatismus.61 

„ traumatischen Folgezuständen.36 

Lumbago.20 

„ Gicht ._.20 

„ gonorrhoischen Gelenkerkrankungcn. 5 

» Syphilis . v . 6 

„ Gelenk- und Knochentuberenlose. 6 

„ Hemiplegie. 5 

„ Hautkrankheiten. 4 

„ Rückenmarksleiden . . 8 

„ Polyneuritis. 2 

„ chronischer Metallvergiftung . 3 

„ Venenentzündung. 2 

„ diversen anderen Leiden. 8 

„ Gelenkerkrankung unbestimmbarer Natur .... 11 

sine morbo.. 11 


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Ungeeignet waren 1 Fall von Sarkom des Becken¬ 
knochens, 1 Fall von Lungenspitzenkatarrh, l Fall von hoch¬ 
gradigem pleuritischen Exsudat und 2 Fälle von progressiver 
Paralyse. 

Sehr dankbar erwiesen sich 2 Fälle von Pruritus; 
unsere Schwefeltherme übt auf alle Arten von Pruritus 
zweifellos einen überaus wohlthuenden Einfluß aus. Des¬ 
gleichen hat sich der Fall von Eczema seborrhoicum 
entschieden gebessert, indeß 1 Fall von Sy kose unbeein¬ 
flußt blieb. 

2 Fälle von ausgebreiteten Vernarbungen, bei einem 
Kranken auf die ganze Hand und Unterarm ausgedehnt als 
Folge von Verbrennung, beim anderen auf die Wade beschränkt 
infolge einer Schnittwunde, bei letzterem auch mit heftigen 
Schmerzen coraplicirt, haben sich bei localer Schlammbehand¬ 
lung (34° R.) sichtlich gebessert. 

Augenscheinlich war der Erfolg in einem Falle von 
Amputationsstumpf des rechten Oberarmes, wo der 
Kranke seit Jahren an den unleidlichsten Schmerzen litt. 
Vollständige Heilung wurde in einigen verzweifelten Fällen 
von Trigeminusneuralgie erzielt und wesentliche 
Besserung in 2 Fällen multipler Neuritis, wogegen sich 
bei den Hemiplektikern nur in einem Falle bedeutendere 
Besserung zeigte. 

Von den Fällen von Trauma entfielen auf Schäden, 
die den ganzen Körper trafen, 3; auf Distorsion 3, 
Luxation 2, Contusion 13 und Fractur 15 Falle. 
6mal war die obere, 27mal die untere Extremität betroffen. 

Es hat sich in den meisten Fällen um Verdickung der 
Gelenkknochen, Atrophie der Weichgebilde, Versteifungen 
von Gelenken, überhaupt beschränkte Leistungsfähigkeit und 
Schmerzhaftigkeit der betroffenen Extremität gehandelt. Locale 
Schlammbehandlung bis zu 38° R. und manchmal bis zu einer 
Stunde prolongirt, hat in den meisten Fällen dem Arbeiter 
seine Berufsfähigkeit wiedergegeben. 

Wiederholten und mannigfachen traumatischen Schäden 
war auch folgender Patient ausgesetzt: 

W. K., 55jähriger Maschinist, bringt die Diagnose „Ischias“ 
mit. Vor 7 Jahren hat er mehrfache Quetschungen erlitten und 
davon am linken Arm zahlreiche Narben zurückbehalten. Vor 
2% Jahren schlug er sich das rechte Schienbein auf, was eine auch 
auf der Abbildung angedeutete 
Pigmentirung zur Folge hatte. 

Patient, der wohl infolge seines 
Berufes lange Zeit plattfüßig ist, 
will seit dieser Zeit am rechten 
Fuß, am inneren Sohlenrandc, eine 
Knochenverdickung (s. Fig. 1) 
bemerken, die bis zu Pflaumen¬ 
größe gediehen und mit verhornter 
Ilaut bedeckt ist. Ein Zusammen¬ 
hang mit dem linksseitigen Trauma 
ist nur so weit möglich, daß seit 
demselben die rechte Extremität 
empfindlich geblieben und der 
Fuß bei anstrengender Arbeit zu 
abnormer Stellung gezwungen 
war. Im Uebrigen litt Patient noch an Schmerzen der Lenden¬ 
gegend, besonders bei Bewegungen des Rumpfes, die nach drei¬ 
wöchentlicher Cur verschwanden. 

Von unseren 86 Ischias fällen waren 27 rechtseitig, 
37 linksseitig und 22 bilateral. So typisch gerade die Ein¬ 
seitigkeit der Ischias zu sein pflegt, so überraschend häufig 
ist — wenn nach derselben gefahndet wird — die Abortiv¬ 
erscheinung der Ischias auf der entgegengesetzten Seite. 
Dieselbe kann sich von Parästhesie, dumpfem Schmerz und 
Ergriffensein vereinzelter Nervenäste, z. B. des Tibialis, 
Plantaris etc. angefangen bis zur Steigerung einer voll- 
werthigen Ischias der entgegengesetzten Seite auf jeder Stufe 
der Bilateralität bewegen, z. B.: 



W. A., 39jähriger Briefträger, litt vor 1% Jahren an links¬ 
seitiger Ischias, derzeit klagt er nur rechts über Schmerzen; 
Druckempfindlichkeit besteht wohl auf keiner der beiden Seiten, 
rechts ist jedoch das Ischiasphänomen vorhanden. 

Letzteres besteht bekanntlich in Spannungsschmerz des 
Ischiadicus bei Dehnung und wird leicht manifest, wenn man, 
wie ich dies schon seit Jahren zu üben pflege, den Kranken 
in stehender Stellung bei gestreckten Knien den Rumpf nach 

W. P., 44 Jahre alt, übrigens ein 
schönes Beispiel ischiatischer Skoliose (siehe 
Fig. 2), litt vor 4 Jahren an linksseitiger, 
ebenfalls mit Skoliose verbundener Ischias. 
Sein Recidiv erfolgte vor 6 Monaten infolge 
eines Sturzes aufs Gesäß. Bei der Unter¬ 
suchung erwies sich auch die rechte Seite 
als druckempfindlich. Heilung. 

Bei dem 34jähr. Bahnwächter K. K. 
und bei dem 47jähr. Briefträger, die beide 
an bilateraler Ischias litten, ist der be¬ 
schwerliche, entenartig watschelnde Gang 
auffällig. Heilung. 

J. S., 40jähr. Tapezierer, klagt nebst 
Schmerzen hauptsächlich über Kälte- und 
Ermüdungsgefühl der Beine. Auf Druck 
sind bloß die Glutäalpartien des Nervcn- 
stamme8 schmerzhaft. Eine interessante Er¬ 
scheinung waren die ausstrahlenden, heftig 
reißenden Schmerzen des linken Hodens. 
Heilung. 

Im Allgemeinen werden bei uns 
85% selbst schwerer, veralteter Ischias¬ 
fälle schon im Verlaufe der 3—6wÖchentlichen Cur geheilt, 
bei ungefähr 12% tritt die Heilung ohne weiteres Hinzuthun 
erst einige Wochen, ja Monate nach der Cur ein. 2—3% 
der Fälle sind gezwungen, die Cur zu wiederholen. Secundäre 
Ischiaserkrankungen — etwa infolge von Caries, Neugebilde 
etc. — bessern sich auf baineotherapeutische Maßnahmen nicht. 

Auf unsere bestbekannten Heilerfolge — manchmal gerade¬ 
zu Dauererfolge — in Fällen von Gicht und Rheuma¬ 
tismus näher einzugehen, möchte ich diesmal unterlassen 
und nur 2 Fälle von chronischem Rheumatismus im Anschlüsse 
an Abbildungen kurz vorführen. 

W. K., 44jähr. Arbeiter, leidet seit 2 Jahren an chronischem 
Gelenkrheumatismus. Befund : Beschränkte Beweglichkeit der 
Schultern, Ellbogen und Knie nicht vollständig streckbar. Auf¬ 
fallend ist (s. Fig. 3) die Deformation der rechten Hand bei 
normaler linker Hand. Wesentliche Besserung. 


»rne beugen läßt. 



Fig. 2. 



Fig. 4. 


Bei dem 73jährigen Mütterchen T. L. ist der Umstand von 
Interesse, daß die Deformation der Hände (s. Fig. 4) angeblich 
schon seit 18 Jahren besteht, ohne daß das Leiden auf andere 
Körpertheile übergegriffen hätte. Seit einem Jahre jedoch sind die 
meisten Gelenke in die Erkrankung einbezogen: Schultern und 


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Ellbogengelenke beschränkt beweglich, Knie etwas abgerundet, 
Zehen deformirt. Bedeutende Besserung. 

Zum Schlüsse erlaube ich mir die Aufmerksamkeit der 
Herren Collegen nochmals auf unsere humanitäre Institution 
zu lenken , durch die schwerkranke Arbeiter gegen geringes 
Entgelt Besserung und in den meisten Fällen Genesung 
wieder finden. 


Referate. 

Ch. BÄUMLER (Freiburg i. Br.): Klinische Erfahrungen über 
Behandlung der Perityphlitis. 

B. hat das ganze Material seiner Klinik vom 1. October 1876 
bis 1. October 1901 durchgesehen, um die Frage zu entscheiden, 
ob nach dem Ausgange des betreffenden Krankheitsfalles und am 
Maßstabe unserer heutigen Anschauungen im Einzelfalle manches 
hätte anders gemacht werden müssen, ganz besonders aber, ob 
einer oder der andere Fall durch frühzeitige Operation zu retten 
gewesen wäre („Festschrift f. Küssmaül“). Alle Fälle, in denen 
ein nachweisbarer Absceß zur Ausbildung gelangt war, sind der 
chirurgischen Klinik zur Operation übergeben worden. 

Verf. tritt zunächst für Beibehaltung der Bezeichnung „Peri¬ 
typhlitis“ ein, zunächst deshalb, weil erst ein Uebergreifen der 
Entzündung vom Appendix auf die Umgebung die heftigen Krank¬ 
heitserscheinungen auslöst, ln die Statistik sind nur Fälle aufge¬ 
nommen worden, in denen es sicher oder wenigstens höchst wahr¬ 
scheinlich war, daß die Erkrankung vom Wurmfortsätze ausge¬ 
gangen ist. Die größte Häufigkeit der Erkrankungen fällt bei beiden 
Geschlechtern auf die Lebensperiode zwischen dem 25. und 50. Lebens¬ 
jahre, von den männlichen Personen bei 75%, den weiblichen 
bei 63% aller aufgenommenen (187). — Es ist bei den vom Proc. 
vermiformis ausgehenden Entzündungsprocessen von entscheidender 
Bedeutung, wie frühzeitig der Kranke in geeignete Behandlung 
kommt. Zwei Momente werden durch rechtzeitige Behandlung ver¬ 
mieden : Körperbewegung und Abführmittel. Es gibt keine Typhlitis 
stercoralis. Die Geschwulst bei der Perityphlitis besteht aus den mit 
der erkrankteu Stelle entzündlich verklebten Nachbartheilen. Ge¬ 
fahren für das Cöcum durch festen Kothinhalt existiren nicht, die 
Gefahren durch Stagniren flüssigen Inhalts sind gering gegenüber 
der eminenten Gefahr, daß bei einer perityphlitischen Geschwulst 
die den Krankheitsherd abschließenden Verklebungen durch 
vermehrte Peristaltik gelöst und immer wieder neue Serosastellen 
inficirt werden. Ergibt sich bei der Digitaluntersuchung, daß das 
Rectum gefüllt ist, dann lasse man in Rückenlage 100—150 Grm. 
erwärmten Olivenöls einfließen. Der Processus vermiformis kann auf 
zweifache Weise in Mitleidenschaft gezogen werden: Durch einfache 
Fortpflanzung des Entzündungsprocesses oder durch Einpressung 
des Cöcuminhaltes in den Processus bei den krampfhaften Cöcum- 
contractionen, da ja nur selten eine wirkliche abschließende Klappe 
vorhanden ist. Innerliche Darreichung von Antisepticis hat keinen 
Werth. Die Indication zur Förderung der Verklebungen und zur 
Beschränkung des Enlzündungsprocesses wird man zumeist durch 
subcutane MorphiumiDjectioneu erfüllen. Gegen'Mie vom Entzündungs¬ 
herde ausgehenden Schmerzen ist ununterbrochen einwirkende Kälte 
meist sehr wirksam. 

Der Verlauf hängt im Wesentlichen ab von der Art und 
Ausdehnung des ursprünglichen Krankheitsherdes sowie von der 
Lage des Appendix und der erkrankten Stelle in demselben. Liegt 
der Wurmfortsatz retroperitoneal an der Innenseite des Cöcum 
und nach aufwärts verlaufend, dann kann bei seinem Erkranken 
eine retroperitoneale Zellgewebsentzündung entstehen unter dem 
Bilde eines Psoasabscesses. Selbst ein offenbar stark eiterhältiges 
Exsudat kann im Verlaufe einiger Tage resorbirt werden. Operativ 
muß eingegriffen werden, wenn mit Wahrscheinlichkeit ein größerer 
Eiterherd angenommen werden kann. Dafür sprechen folgende 
Gründe: Stetige oder schubweise Zunahme der entzündlichen Ge¬ 
schwulst, plötzliche Fieber und Pulssteigerung oder Temperatur¬ 
abfall neben Pulszunahme sowie teigige Beschaffenheit des Unter¬ 
hautzellgewebes (extraperitonealer Absceß). Es muß ferner operirt 


werden bei der sogenannten recidivirenden Appendicitis. Die Sicher¬ 
heit des Erfolges beeinflußt immer und in erster Linie das Ver¬ 
halten der Kranken vom ersten Augenblicke ihrer Erkrankung an. 

_ B. 

Bockenheimer (Berlin): Zur Kenntniß der Spina bifida. 

Auf der Klinik von Bergmann wurden in den letzten Jahren 
100 Fälle von Spina bifida beobachtet, welches Material Verf. dazu 
benützt, um eine genaue Darstellung der pathologischen Anatomie 
und der operativen Behandlung zu geben („Langenbeck’s Archiv“, 
Bd. 65, H. 3). 

Von den vier Hauptarten der Spina bifida: der Rachischisis, 
der Myelokele, der Myelocystokele und der Meningokele haben nur 
die drei letzten ein chirurgisches Interesse, da bei der Rachischisis 
gewöhnlich ein sehr ausgedehnter Spalt im Rückenmark und in 
der Wirbelsäule vorhanden ist und sie gewöhnlich mit anderen Mi߬ 
bildungen , welche eine operative Behandlung zwecklos machen 
(Akranie, Anencephalie etc.), combinirt ist. 

Verf. beschreibt genau die klinischen Merkmale der einzelnen 
Formen, die es meistentheils ermöglichen, die Differentialdiagnose zu 
stellen; dieselbe ist manchmal sehr schwer. 

In therapeutischer Hinsicht ist Verf. der Meinung, daß alle 
3 Arten so bald als möglich operirt werden sollen, erstens weil die 
Spina bifida als Locus minoris resistentiae zu betrachten ist, der 
recht häufig durch Traumen geschädigt wird, zweitens weil der 
Sack platzen kann und der Infection Thür und Thor geöffnet wird 
(was bei gewissen Formen schon von vorneherein möglich ist), 
drittens weil noch im späteren Alter Lähmungen auftreten, die 
durch die Operation vermieden werden können. 

Die früheren Methoden: Punction des Sackes, Injection von 
Jod, Abschnürung des Sackes u. a. verwirft Verf. entweder als un¬ 
wirksam oder gefährlich und tritt für die Eröffnung des Sackes 
und, wenn möglich, vollständige Exstirpation desselben mit möglichster 
Schonung der in der Wand oder im Inneren der Cyste verlaufenden 
Nerven und des noch functionsfähigen Rückenmarks ein. Die Technik 
ist je nach der Art der Spina bifida eine verschiedene. Die Deckuug 
des Defectes geschieht in den meisten Fällen durch einfache Naht 
nach Unterminirung der Haut, Fascie und Musculatur in der Um¬ 
gebung der Wunde, nur bei sehr großem Defect wird die Ver¬ 
pflanzung eines Knochenperiostlappens vom Os ileum nothwendig sein. 

Die Aussichten der Operation sind am günstigsten in den 
Fällen von Meningokele und Meningocystokele (3 operirte Meningo- 
kelen ohne Todesfall und 9 operirte Meningocystokelen mit 7 Hei¬ 
lungen), während die Myelokele wegen der Unmöglichkeit, das 
Operationsfeld aseptisch zu gestalten, eine ärgere Prognose bietet 
(8 Operationen mit 5 Todesfällen). Erdhetm. 

Hermann Pape (Gießen): Zur künstlichen Frühgeburt 
bei Beckenenge; modificirte Technik der Me- 
treuryse und mre Erfolge. 

In der Gießener Klinik wurden in den letzten 4 Jahren 
49 künstliche Frühgeburten mittelst Metreuryse eingeleitet, wobei 
in der ersten Reihe (27 Fälle) 75% der Kinder lebend geboren 
wurden und die Durchschnittsdauer der Geburt 35’4 Stunden be¬ 
trug , während in der zweiten Reihe (22 Fälle) bei verbesserter 
Technik 91 - 3% lebende Kinder bei einer Geburtsdauer von durch¬ 
schnittlich 20’3 Stunden erzielt wurden. 

Nach entsprechender Vorbereitung durch Klysma, Bad und 
Scheidenausspülung wird die Portio im SiMON’sehen Speculum ein¬ 
gehakt und der cigarrenförmig zusammengorollte Braun’scIic 
Kolpeurynter mit Hilfe einer großen Pincette oder einer besonderen 
gebogenen Zange eingeführt. Sobald die größere Hälfte über den 
äußeren Muttermund hinaus ist, wird die Füllung des Ballons vor¬ 
genommen. Der Ballon wird zunächst mit 500 — 600 Ccm. gefüllt, 
worauf nach 5—45 Minuten Wehen einsetzen, nach 2—4 Stunden 
wird ein mäßiges Gewicht von 1—2 Pfund angehäugt, und weun 
die Wehen alle 5 Minuten eintreten, werden 100 — 200 Ccm. plötz¬ 
lich wieder abgelassen. Die Erfahrung hatte eben für die zweite 
Reihe ergeben, daß gerade durch das rechtzeitige Wasserablassen 

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die Vorbedingungen dafür gegeben werden, daß die Erweiterung 
des Muttermundes in möglichst physiologischer Weise vor sicli gehe. 
Nach der Geburt des Ballons war der Muttermund fast in allen 
Fällen verstrichen, und es wurde dann bei nichteingetretenem oder 
ungünstig eingestelltem Kopfe rasch zur prophylaktischen Wendung 
und zur Extraction geschritten. 

Als untere Indicationsgrenze galt zur Einleitung der Früh¬ 
geburt eine Conj. vera von 7 Cm., als obere eine solche von 
9’5 Cm. 

Von den lebend entlassenen 35 Kindern starben 2 = G'G 0 /«,, 
während die Durchschnittsmortalität der Kinder im 1. Lebensjahre 
für den Kreis Gießen 7-0% beträgt. Eine Frau starb am 13. Tage, 
nachdem sie bereits seit 4 Tagen aufgestanden war, an Lungen¬ 
embolie; die Morbidität betrug 4*2% (gegenüber der Durchschnitts¬ 
morbidität von 8 , 04°/ 0 der Gießener Klinik). Fischer. 

Wladimirow: Ueber die Behandlung des Soor und der 
Stomacace. 

Vcrf. berichtet („Wratsch“, 1901, Nr. 43) über die Behand¬ 
lung der schweren Fälle von Soor in den letzten zwei Jahren im 
W LADiMiR schen Krankenhause zu Moskau. Zur Anwendung gelangte 
2%ige Höllensteinlösung. Vor der Bepinselung wird die 
Mundhöhle von den Soorplaques mittelst Watte oder Läppchens 
sorgfältig gereinigt, ln schweren Fällen von Soor haften diese Plaques 
der Schleimhaut fest an, und deren Entfernung erfordert eine 
gewisse Gewalt, so daß die Schleimhaut dabei nicht selten ziemlich 
stark blutet. Immerhin muß die Schleimhaut an sämmtlichen afficirten 
Stellen sorgfältig gereinigt werden. Ist die Blutung groß, so wird 
sie leicht durch Compression mit Wattekügelchen gestillt. Sobald 
die Mundhöhle sorgfältig gereiuigt ist, wird die Bepinselung mit 
einer 2 0 / 0 igen Ilöllensteinlösung vorgenommen. Es werden zu diesem 
Zwecke zwei Wattepinsel bereit gehalten, der eine mit Höllenstein¬ 
lösung, der zweite mit Kochsalzlösung durchtränkt. Um Saugbewe¬ 
gungen zu verhüten, hält man den Mund des Kindes oft mittelst 
eines Fingers oder Spatels, der zwischen die Kiefer gesteckt wird, 
offen. Die Bepinselung wird bei Seitenlage des Kopfes ausgeführt, 
und zwar wird zunächst der tiefer liegende Theil der Schleimhaut 
in Angriff genommen, dann der höher liegende. Unmittelbar nach 
der Application der Höllensteinlösung wird behufs der Neutralisi- 
rung derselben die Kochsalzlösung applieirt. Bei sorgfältiger Aus¬ 
führung genügen 1 — 2 Bepiuselungen. Wird aber in den folgenden 
Tagen eine weitere Application der Höllensteinlösung erforderlich, 
so verursacht dieselbe weniger Umstände als die erstere, da eine 
Reinigung der Mundhöhle von Soorplaques nicht mehr erforderlich 
ist. Nach den gemachten Erfahrungen glaubt Verf. die 2%ige 
Ilöllensteinlösung als ein gutes, rasch und sicher wirkendes Mittel 
gegen Soor bezeichnen zu können. — Die Stomacace ist in dem 
genannten Krankenhause in den letzten 5 Jahren mit Bepinselungen 
mit reiner Jodtinctur behandelt worden. Vor der Application 
wird die gesammte afficirte Schleimhaut sorgfältig von Eiter ge¬ 
reinigt, deren Höhlen werden mit irgend einer desinficirenden Sub¬ 
stanz tamponirt, die spitzen Ränder abgetragen. Schmutzige, wackelnde 
Zähne werden sorgfältig gereinigt, aber nicht entfernt. L— y. 

H. Stilung (Lausanne): Ein Fall von Neuritis der Nn. 
Splanchnici. 

Die am meisten auffallenden Erscheinungen in dem mitge- 
theilten Krankheitsfalle („Festschrift für Kussmaul“) sind hoch¬ 
gradiger Ascites und Stauungshyperämie der Leber. Der Ascites 
erschien als bedrohliches Symptom, Wochen, bevor Oedeme an den 
unteren Extremitäten sichtbar wurden. Auch die Leberschwellung 
scheint sehr frühzeitig eingetreten zu sein. Die Veränderungen des 
Herzens und der Lungen, welche die Section aufdeckte, erklären 
das frühzeitige und isolirte Auftreten des Ascites und der hoch¬ 
gradigen Leberschwellung nicht, wenn sie auch den weiteren Ver¬ 
lauf der Krankheit beeinflußt haben mögen. Sie sind eine Folge 
der Splanchnicus-Neuritis, die sicherlich als ein von Herz- und 
Lungenaffection ganz unabhängiges Leiden zu betrachten war. St. 
hat diese Nerven in einer Reihe von Fällen bei älteren Personen 


mit Emphysem uud Herzvergrößerung, sowie Stauungserscheinungen 
in den Unterleibsorganen untersucht und stets unverändert gefun¬ 
den. Die Leberhyperämie findet im obigen Falle in der Lähmung 
der vasomotorischen Nerven ihre Erklärung ; die Erweiterung der 
die Pfortaderwurzeln versorgenden Arterien, die Erweiterung der 
Pfortader uud die Dilatation der innerhalb der Leber selbst ver¬ 
laufenden Arterien- und Pfortaderäste kommen für sie in Betracht. 
Das Lungeneraphysem und seine Rückwirkung auf die Circulation 
haben die Blutüberfüllung der Abdominalorgane in zweiter Linie 
verstärkt. B. 

Treuer (Prag): Ueber die experimentelle Tuberculöse 
und ihre Behandlung. 

1. Der Steppenbüffel und das von ihm erzeugte Junge sind 
gegen die Tuberculöse resistent, sie unterliegen weder intra¬ 
venöser, noch intraperitonealer Impfung tuberculöser Culturen voller 
Virulenz; nach der Impfung mit tuberculösem Gewebe beschränken 
sich die Veränderungen nur auf die Stelle des Einstiches, die all¬ 
gemeine Erkrankung aber verwehrt auch hier der widerständige 
Organismus. 

2. Kälber galizischer Zucht unterliegen der Impfung mit 
Culturen des Tuberkelbacillus, die aus der menschlichen Tuberculöse 
erzeugt wurden und durch den Körper des Meerschweinchens durch¬ 
gewandert sind, sehr leicht. Es entstehen die für die Rindvieh- 
tuberculose charakteristische Veränderungen. 

3. Die Ziege ist für die experimentelle Tuberculöse empfäng¬ 
lich und zeigt für die Impfdg mit rindviehtuberculösem Gewebe 
typische Symptome der Perlsucht. 

4. Gegen Tuberculöse resistente Thiere, mit tuberculösen 
Bacilleueulturen geimpft, reagiren noch nach 10—11 Tagen auf 
Tuberculin — ein Beweis, daß in dieser Zeit die Bakterien im 
Körper noch virulent sind. Nach fünf Wochen , wo die Bakterien 
schon gewiß eliminirt sind, reagiren sie nicht mehr. 

5. Gewissen günstigen Einfluß auf die experimentelle Tuber- 
culose hat das Serum des Büffels, der mit voll virulenten tubercu¬ 
lösen Culturen geimpft wurde, durch Erweckung antituberculöser 
Stoffe in ihm; doch diese Stoffe verschwinden wieder bald aus dem 
Körper. Bei therapeutischen Versuchen wurde erkannt, daß Meer¬ 
schweinchen zu diesen Versuchen nicht geeignet sind, denn obwohl 
sie einige günstige therapeutische Erfolge aufzuweisen vermögen, 
gehen sie doch bald unter; ihr Organismus ist für die Tuberculöse 
und die Seruminjectionen zu empfindlich; die Versuche müssen 
weiter auf größeren Thieren fortgesetzt werden. 

6. In Betracht dessen, daß den Thieren in großem Maße 

voll virulente Culturen eingeimpft wurden, ermuntern die erzielten 
Resultate und die bei der Erzeugung des Serums gewonnenen Er¬ 
fahrungen zur Fortsetzung der Arbeit, die zur Gewinnung eines 
Büffelheilserums gegen die Tuberculöse loszielt. (Rozhledy lek., 
Bd. X, H. 3.) Stock. 

Kose (Prag): Ueber Lungenembolie und Lungeninfarct. 

Verf. referirt über seine Experimente, die er an Hunden aus- 
führte, um sieherzustellen, welche Circulationsveränderungen nach 
Embolien der Lungenarterien entstehen, und auf welche Weise die 
Embolie den Tod verschuldet (Z. II. klin. 16k. Klin. präceasdeleni, II.). 
Er rief bei Hunden theils plötzliche, theils schleppende Embolien 
hervor. Die ersteren durch Einspritzungen von Luft und verschie¬ 
dene Suspensionen durch die Jugularis ins Herz, die anderen durch 
stufenweise Einbringung fremder Körperchen auf demselben Wege. 
Dabei wurde der Blutdruck kymographisch untersucht und das Ver¬ 
halten der übrigen Organe geprüft. Aus Verf.’s Arbeit können 
folgende Schlüsse gezogen werden : Ist die Größe des Embolus hin¬ 
reichend oder genügende Menge von Embolen vorhanden, so kann das 
Blut aus der rechten Kammer in die linke nicht abfließon, diese arbeitet 
infolge Blutmangel schwächer, bis sich das Herz nicht mehr bewegen 
kann. Nimmt das Blut langsam ab, so werden die Systolen wegen 
Blutmangel schwächer, aber das Herz beginnt sich wie bei schnellem 
Verluste größerer Blutmengen schneller zusammenzuziehen. Die ge¬ 
steigerte Schnelligkeit kann jedoch die Systolenschwäche nicht er- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 23. 


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setzen. In beiden Fällen wird der große Kreislauf gestört. Der 
Blutdruck in der Pulmonalis steigt infolge der Blutstauung. Das 
Blut, welches in die Lunge nicht eindringen kann , staut sich in 
der rechten Kammer; diese erweitert sich und bedingt die Insuffi- 
cienz der Tricuspidalklappe, die sich durch verstärkten Venenpuls 
und retrograde Embolien kundgibt. Endlich hört auch die rechte 
Kammer in ihrer Thätigkeit auf. Die nächste Todesursache ist also 
eine Läsion der linken Kammerthätigkeit infolge kleiner Blutfülle. 
Die Erstickung ist also in Betreff der Zeit ein secundärer Vorgang. 
Es ist also nicht, wie bisher gelehrt wurde, die ungenügende Fülle 
der Kranzarterien, weder die Dilatation der rechten Kammer, noch 
die Intoxication durch Kohlensäure die Hauptursache der Einstellung 
des Kreislaufes nach der Lungenembolie. Stock. 


Wagner (Karlsruhe): Ueber die Therapie bei Gravidität, 
complicirt durch Carcinom des Uterus. 

Bei unoperirbarem Carcinom handelt es sich nur darum, das 
Kind zu retten. Oft wird der Abort sich nicht aufhalten lassen. 
Erreicht die Frau das normale Ende der Gravidität, so ist die 
rasche Beendigung der Geburt im Interesse der Mutter wie des 
Kindes gelegen. Erstere ist hoch gefährdet durch starke Blutungen 
und durch die Möglichkeit rapidester Infection von Seiten der 
jauchigen Carcinommassen; letzteres durch die lange Dauer und 
selbst Unmöglichkeit der Geburt auf natürlichem Wege. Abtragen 
und Ausbrennen der neugebildeten Massen zugleich mit gründlichster, 
antiseptischer Spülung der Scheide sind im Interesse der Mutter 
immer nöthig; für das Kind kommen Zange, Wendung, eventuell 
Porro in Betracht. 

Bei operablem Carcinom muß ohne Rücksicht auf die Zeit 
der Gravidität sofort operirt werden. W. befürwortet („Monatschr. 
f. Geburtsh. u. Gyn.“, 1902, Mai) für alle Schwangerschaftsmonate 
den vaginalen Weg, falls nicht besondere Contraindieationen vor¬ 
liegen. 

Im 1.—4. Monat wird der Uterus, ohne entleert zu werden, 
exstirpirt. Im 5. und 6. Monat kann es unter Umständeu nöthig 
werden, durch Ablassen des Fruchtwassers vor der Exstirpation zu 
verkleinern. Bei lebensfähigem Kind ist die DüHRSSEN’sche Sectio 
caesarea vaginalis zu machen. Die abdominelle Sectio caesarea und 
die abdominelle oder combinirte Totalexstirpation bedürfen besonderer 
Indicationen (z. B. enges Becken). Fischer. 


Julius Wolff (Berlin): Ueber die blutige Verlagerung 
des Leistenhodens in das Scrotum. 

Die von W. operirten Kranken waren 3 , bezw. 4, 10, 18 
und 20 Jahre alt; in sämmtlichen Fällen waren sehr heftige 
Schmerzen der Operation vorangegangeD. Der Leistenhoden ist 
nach W. („Deutsche raed. Wschr.“, 1902, Nr. 14) bei Retentio 
iliaca und inguinalis nicht erst dann zu operiren, wenn die — 
über kurz oder lang niemals ausbleibenden — erheblichen Be¬ 
schwerden eingetreten sind, sondern auch dann, wenn er noch 
keine besonders großen Beschwerden gemacht hat, also kurz unter 
allen Umständen. Ausgenommen sind natürlich die Fälle von bloßer 
sogenannter Retentio scrotalis bei jugendlichen Individuen, bei 
welchen noch die Möglichkeit besteht, daß der vollkommene Des- 
census nachträglich spontan oder mit Hilfe unblutiger Maßnahmen 
eintreten kann. 

Die Operation selbst bei Retentio iliaca und inguinalis muß, 
mag es sich um kindliche oder erwachsene Individuen handeln, 
mag es sich um entzündliche Schwellungen handeln oder nicht 
und mag gleichzeitig eine Hernie vorhanden sein oder nicht, jedes¬ 
mal in der Transposition des Testikels in das Scrotum bestehen. 
Die Exstirpation muß auf diejenigen Fälle beschränkt bleiben, in 
welchen ein malignes Neoplasma im Leistenhoden in seinen An¬ 
fängen oder bereits in voller Entwickelung vorhanden ist. Ein 
Mann, der nur noch einen Hoden zu verlieren hat, ist selbstver¬ 
ständlich in psychischer Beziehung und auch in Wirklichkeit 
schlechter daran, als ein solcher, der noch zwei, wenn auch un¬ 
gleich große Hoden besitzt. Mag auch in einem Theil der Fälle 
der transplantirte Hoden höher stehen als der normale, mag er 


kleiner sein und deshalb von geringerem functiouellen Werthe er¬ 
scheinen als jener — als ein völlig nutz- und bedeutungsloses 
oder gar nachtheiliges Organ hat er in keinem einzigen der Fälle 
W.’s angesehen werden können. Wir dürfen mithin die Indication 
für die Exstirpation dieses Organs bei abnormaler Lage desselben 
keineswegs weiter stellen, als bei normaler Lage. Wir müssen viel¬ 
mehr diese Indication für den retinirten Hoden genau ebenso 
stellen wie für den normal gelagerten. L. 


Fritz Rosenfeld (Berlin): Die syphilitische Dünndarm¬ 
stenose. 

Syphilitische Geschwüre des Dünndarms hat man in sehr 
seltenen Fällen gefunden. Am häufigsten wurden sie bei der Section 
neugeborener oder wenige Wochen alter Kinder als zufälliger Be¬ 
fund erhoben, wo sie zur Stenosirung des Lumen noch nieht hatten 
führen können. Diese Darmsyphilis bei hereditär-syphilitischen 
Kindern ist bald durch umschriebene gummöse Herde, bald durch 
mehr diffus ausgebreitete mucöse oder submucöse Wucherungen 
charakterisirt, die theils in den Plaques, theils außerhalb derselben 
sitzen, zu Geschwüren zerfallen, welche zuweilen gürtelförmig den 
Darm umgreifen. Auch bei Erwachsenen sind einzelne Fälle von 
syphilitischen Geschwüren des Dünndarms bekannt, von denen aber 
der größte Theil auch nur als Nebenbefund erhoben wurde. 

R. beschreibt („Berl. klin. Wschr.“, 1902, Nr. 14) zwei ein¬ 
schlägige Fälle in verschiedenen Stadien der Erkrankung; einen 
Fall, der operativ behandelt werden mußte, weil cs bereits zur 
Narbenstenose gekommen war, und einen zweiten, den eine energische 
Quecksilbercur zur Heilung brachte. L. 

Benderski (Kiew): Ueber nervöses Erbrechen und dessen 
Behandlung. 

Wenn das Erbrechen im Allgemeinen ein Symptom vieler Er¬ 
krankungen darstellt und z. B. als Begleitsymptom einer Seekrank¬ 
heit, bei Lungenschwindsucht, bei Vergiftungen, bei Operationen 
an der Harnblase und an den Uretoren, bei Magengeschwür, 
Migräne, bei Dilatatio ventriculi, bei Magencarcinora, bei gesteigerter 
Secretion von saurem Magensaft, bei Schwangeren, bei Neugebo¬ 
renen, bei Erkrankungen des Rückenmarks, bei Nieren- and Leber¬ 
erkrankungen auftritt, so ist doch andererseits nicht in Abrede zu 
stellen, daß das Erbrechen bisweilen so deutlich in den Vordergrund 
tritt, daß man mit dieser Krankheitserscheinung allein zu rechnen 
hat. Letzteres würde bei dem sogenannten nervösen oder hysterischen 
Erbrechen durchaus zutreffen. Das Wesen und die Aetiologie des 
nervösen Erbrechens sind noch nicht festgestellt. Es wird darauf 
hingewiesen, daß diese Krankheit bei Personen auftritt, deren 
Nervensystem überhaupt sehr labil ist. Dagegen wird von dem 
klinischen Verlauf der Erkrankung fast ein übereinstimmendes Bild 
gegeben. Das nervöse Erbrechen tritt am häufigsten bei Frauen, 
seltener bei Männern, bisweilen auch bei halbwüchsigen Individuen 
ohne jegliche wahrnehmbare Veranlassung auf, am häufigsten nach 
der Nahrungsaufnahme, bisweilen auch bei nüchternem Magen, bei 
manchen Individuen auch des Nachts. Bei manchen Individuen tritt 
das Erbrechen 1—2mal täglich auf, bei anderen einmal in 2—3 
Tagen, bei wiederum anderen 2—3mal in der Woche, während 
es andererseits Fälle gibt, in denen das Erbrechen 50—60- und 
selbst lOOmal täglich und darüber auftritt. Uebelkeit besteht in 
den meisten Fällen nicht. Das Erbrechen tritt plötzlich ohne jegliche 
Anstrengung auf. Es kommt vor, daß die Kranken auf der Straße 
vom Erbrechen befallen werden, und zwar so, daß ein wahrer 
Flüssigkeitsstrom plötzlich aus dem Munde stürzt. Trotzdem die 
Nahrung häufig unmittelbar nach deren Aufnahme durch das Er¬ 
brechen herausgeschleudert wird , zeigen die betreffenden Kranken 
nicht selten einen guten Ernährungs- und Kräftezustand. Es gibt 
Kranke, die 6 — 7 Jahre lang fast ununterbrochen an Erbrechen 
gelitten , ohne einen relativ großen Schaden genommen zu haben, 
allerdings ohne relativ großen Schaden, denn es ist klar, daß ein 
solches Leiden auf den Ernährungszustand, sowie auf den Allge¬ 
meinzustand des Kranken nicht ohne ungünstigen Einfluß bleiben 
kann. Dieses nervöse Erbrechen unterscheidet sich von Regurgitation 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


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und Marasmus und kann Anspruch darauf erheben, als selbständige 
Krankheitsform betrachtet zu werden . ohne daß sie durchaus von 
Hysterie und anderen Erkrankungen abhängig sein müßte, und was 
Verf. in seiner gegenwärtigen Mittheilung („Allg. Wiener med. 
Ztg. u , 1901 , Nr. 36/37) hauptsächlich darzuthun bestrebt ist, 
ist der Umstand, daß man dieses als selbständige Krankheits¬ 
form auftretende Erbrechen selbständig behandeln muß und auch 
kann. Von der allgemein geltenden Ansicht ausgehend, daß das 
nervöse Erbrechen auf der Basis allgemeiner Störung des Nerven¬ 
systems aufiritt, hat Verf. zu Beginn seiner praktischen Thätigkeit 
bei den einschlägigen Patienten die ganze Reihe derjenigen schab¬ 
lonenmäßigen nervösen und tonisirenden Mittel angewandt, die, wie 
z. B. Brom, 'Narkotica, Hydrotherapie, Elektricität etc., von den 
meisten Autoren empfohlen werden, ohne jedoch den geringsten 
Erfolg zu erzielen. Traten günstige Erfolge doch ein, so waren 
sie nur vorübergehender Natur. Dann begann Verf., die ambula¬ 
torischen, mit nervösem Erbrechen behafteten Kranken mit syste¬ 
matischen Magenausspülungen zu behandeln, und überzeugte sich 
schon an den ersten wenigen Kranken, daß die Magenausspülungen 
auf die geschilderte Krankheitsform eine vorzügliche, fast absolut 
sichere Wirkung haben. Später ergab es sich auch, daß diese Be¬ 
handlung nicht nur positive, sondern auch dauernde Besultate ergibt. 

Selbstverständlich bleibt Verf. den klinischen Beweis für seine 
praktisch so wichtigen Angaben nicht schuldig und führt eine ganze 
Reihe sehr instructiver Krankengeschichten an, aus denen Obiges 
sich thatsächlich ergibt. L—y. 


Goldberg (Petersburg): Die Agglutinationsreaction bei 
Infectionen verschiedenen Grades. 

Aus den Untersuchungen des Verf. („Centralblatt für Bakterio* 
logie, Parasitenkunde und Infectionskrankheiten“ , Bd. 30, H. 16) 
dürfte den praktischen Arzt wohl vorwiegend jener Theil inter- 
essiren , der sich auf die Frage bezieht, „inwieweit man aus der 
Agglutination auf den Grad der (künstlichen) Immunität des Thieres 
schließen kann?“ In dieser Hinsicht lehren die Versuche des Verf., 
daß die Agglutinationsfähigkeit des Blutes bei der Typhus- und 
Pyocyaneusinfection nicht immer dem Grade der Immunität des 
Thieres entspricht und daß man aus der Agglutinationsfähigkeit 
des Blutes nicht auf den Stand der Immunität des Thieres schließen 
darf. Hingegen ist ein Anwachsen der Agglutinationsfähigkeit als 
ein frühes Merkmal des erfolgreichen Selbstschutzes des Organismus 
anzusehen. Dr. S—. 


Kleine Mittheilungen. 

— Ueber den Einfluß von Bädern und Douchen auf den 
Blutdruck beim Menschen berichtet 0. Müller auf Grund eines 
Materiales von über 1500 Blutdruckmessungen in der Leipziger 
medicinischen Klinik. Aus seinen Untersuchungen folgt: Die Ein¬ 
wirkung aller nicht bewegten Bäder auf den Blutdruck wird im 
Wesentlichen durch den thermischen Reiz bestimmt. Derselbe be¬ 
wirkt bei Wasserbädern unterhalb der mittleren Temperatur der 
Körperoberfläche eine während des ganzen Bades andauernde Blut¬ 
drucksteigerung von typischer Curvenform bei Verminderung der 
Pulsfrequenz. Die Größe beider Veränderungen nimmt mit dem 
Sinken der Temperatur bis zu bedeutenden Werthen zu. Wasser¬ 
bäder oberhalb der mittleren Temperatur der Körperoberfiäche bis 
hinauf zu 40° C. = 32° R. veranlassen nach anfänglicher, kurzer 
Steigerung ein Sinken des Blutdruckes unter den Normalwerth, 
dem dann ein erneutes Wiederansteigen folgt. Die Pulsfrequenz 
zeigt bei dieser Gruppe bis zu etwa 38" C. = 30° R. eine Ver¬ 
minderung, von da ab nach aufwärts eine Vermehrung. Bei Wasser¬ 
bädern oberhalb von 40° C. = 32° R. tritt wieder eine andauernde 
Steigerung des Blutdruckes von ähnlicher typischer Form wie 
bei den kalten Bädern ein, nur mit dem Unterschied, daß die 
Pulsfrequenz hier nicht vermindert, sondern stark vermehrt wird. 
In diesem Falle wächst die Größe der Veränderungen mit dem 
Steigen der Temperatur. Die Rückkehr der beiden veränderten 
Functionen zu ihren Normalwerthen erfolgt bei allen drei Gruppen 


in '/ a —2 Stunden, wobei der Blutdruck häufig subnormale Werthe 
erreicht. Bei bewegten Badeformen, also z. B. bei Halb- und 
Wellenbädern, tritt nach Maßgabe der Intensität der Bewegung 
der mechanische Reiz immer mehr in den Vordergrund, bis er 
bei den Douchen das Bild vollständig beherrscht. Er bewirkt bei 
genügender Intensität, stets unabhängig von der Temperatur, Blut¬ 
drucksteigerung. Dieselbe ist bedeutender, aber von kürzerer Nach¬ 
wirkung als bei den meisten Bädern. 

— Bei Unterschenkelgeschwüren, Geschwüren des Penis, der 
Labien und anderen derartigen Processen hat sich Beeler („Med. 
Summary“, Vol. 23, 1902, Nr. 11) das Europhen außerordentlich 
bewährt. Dabei ist das Präparat relativ geruchlos und wirkt weder 
allgemein toxisch, noch local reizend. Es kam, mit Ausschluß 
aller anderen Medicamente, vornehmlich als Streupulver zur Ver¬ 
wendung, in einem Falle von Mastdarmgeschwür in Form von 
Suppositorien und bei einer Cervixulceration in Gestalt von mit 
Europhenöl getränkten Tampons. 

— Ueber Prophylaxe der Hautkrankheiten sprach in der 
Med. Ges. zu Magdeburg Schnabel. Die Prophylaxe geschieht am 
besten durch rationelle Hautpflege. Bei der Prophylaxe des Herpes 
tonsurans und gewisser Epizoen sind polizeiliche Verfügungen zur 
Herabminderung der Ansteckungsgefahr in den Barbierstuben von 
großem Werth. Zur Beseitigung der Infectionsgefahr ist die Berück¬ 
sichtigung folgender Punkte empfehlenswerth: Die der Haut an¬ 
liegenden Tücher, MäDtel etc. sind bei jedem Kunden zu erneuern 
und nach dem Gebrauch auszukochen. Der Barbier hat seine Hände 
vor und nach dem Bedienen jedes Kunden zu waschen und mit 
Sublimat zu desinficiren. Die Seife zum Einschäumen ist für jeden 
Kunden in einem gereinigten Schälchen besonders zu schlagen und 
der Best ist fortzuwerfen. Die Rasirmesser und Scheeren sind 
jedesmal mit heißer Seifenlauge oder mit Carbolwasser abzureiben, 
nach dem Bedienen kranker Personen sind dieselben auszukochen. 
Die Rasirmesser müssen dementsprechend eingerichtet werden. Die 
Schnittwunden sind mit Sublimat sofort zu desinficiren. Kleinere 
Wunden, die nicht bluten, sind dadurch zu bemerken, daß man 
die rasirte Partie mit 80°/ 0 Alkohol betupft, wodurch die Conti- 
nuitätstrennungen der Haut sich durch Brennen bemerkbar machen. 
Die Schnittwunden werden zweckmäßig mit weißer Präcipitatsalbe 
bestrichen. Schn, schlägt außerdem vor, die Sycosis parasitaria 
unter die Zahl derjenigen ansteckenden Krankheiten aufzunehmen, 
welche der Polizei anzuzeigen sind. Dieselbe könnte alsdann dem 
Erkrankten die Benützung einer öffentlichen Barbierstube bei Geld¬ 
strafe untersagen. Die Pediculosis wird durch die Schule auch in 
die besseren Kreise eingeschleppt. Die so häufig anzutreffenden 
Gesichtsekzeme der Kinder, die meist unter der Flagge „scrophu- 
löse Ekzeme“ segeln, sind fast stets Ekzeme mit pediculöser 
Aetiologie. Oeftere Waschungen der Haare und des Haarbodens 
sind nothwendig und der Gebrauch des Spiritus saponatus kalinus 
Hebrae thut hiebei gute Dienste. Bei Scabies ist die Möglichkeit 
einer Infection mittels der gebrauchten Bett- und Leibwäsche der 
Erkrankten nicht zu leugnen. Es ist der Wechsel dieser Wäsche 
und das Aufhängen der Kleider an der frischen Luft für 4 bis 
5 Tage zu empfehlen. 

— Nach den Erfahrungen von Grinewitsch („ Wratschebnaja 
Gazeta“, 1902, Nr. 5) ist das Heroin ein vorzügliches husten¬ 
stillendes Mittel. Es beruhigt rasch den Husten und mildert zu¬ 
gleich das Gefühl von Schwere in der Brust, die Brustschmerzen 
und Stiche; die schmerzstillende Wirkung des Heroins wird in 
diesem Falle am ehesten durch die Verringerung der Excursionen 
des Brustkorbs bedingt. Als schmerzstillendes Mittel steht Heroin 
dem Morphium und Codein bedeutend nach; seine Wirkung ist 
ziemlich schwach und nicht constant. Das Heroin ist dem Morphium 
vorzuziehen, da unangenehme Nebenwirkungen bei ihm seltener 
Vorkommen und schwächer ausgesprochen sind als beim Gebrauch 
des Morphiums. Es ist auch aus dem Grunde besser als das 
Morphium, weil die Gewöhnung an das erstere viel langsamer ein- 
tritt. Das Heroin wirkt in therapeutischen Dosen auf das Herz 
und die Gefäße nicht ein. 

— ln mehreren Fällen von Dysonterie hat J. Kusmizki sehr 
gute Erfolge von Darmeingießungen aus übermangansaurem Kali 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 23 


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(1 : 4000) gesehen („Therapie d. Gegenwart“, 1902, Nr. 4). Die 
Klysmen wurden anfangs zweimal täglich applicirt und recht gut 
vertragen. Nach 2 —3tägiger Behandlung war bereits weder Blut, 
noch Schleim im Stuhl in nennenswerthen Mengen vorhanden. K. 
ließ dann innerlich Wismuth und Opium nehmen, die Klystiere 
noch einige Tage täglich einmal fortsetzen, bis der Stuhlgang 
normale Beschaffenheit bekam. Die Tenesmen und Schmerzen ließen 
bald nach, der Appetit besserte sich und die Kranken genasen. 

— Bei verschiedenen Magen- und Darmkranklieiten, z. B. 
bei Typhlitis, Enteiitis, Hyperchlorhydrie, aber auch bei Schwäche¬ 
zuständen aus anderen Ursachen hat Reigh Pastor in Valenzia 
die Somatose als ein sehr brauchbares Kräftigungsmittel befunden. 
Er hatte auch Gelegenheit, sich von der galaktogogen Wirkung 
des Präparates zu überzeugen („La Higiene para Todos“). 

— Zur Verhütung der Stomatitis mercurialis empfiehlt 
Bockhart („Monatsschr. f. prakt. Dermatol.“, 1901, Nr. 10) die 
UNNA’sche Kali chloricum-Zahnpaste. Die Patienten müssen sie von 
Beginn der Cur an und in richtiger Weise gebrauchen: täglich 
3—4mal muß die Paste mittelst einer Bürste aus weichen Dachs¬ 
haaren in das Zahnfleisch, die Rachenschleimhaut und besonders 
alle Nischen und Löcher, in denen Seerete stagniren können, sorg¬ 
fältig eingerieben werden. Daneben wird irgend ein adstringirendes 
Mundwasser benutzt. Es gelingt in allen Fällen, die Entstehung 
der Stomatitis zu verhindern; nur dann, wenn die Patienten eine 
Idiosynkrasie gegen Quecksilber haben, gelingt es auch hierait 
nicht, die Entstehung der Stomatitis zu verhindern; bei bestehen¬ 
der Stomatitis ist das Mittel nicht empfehlenswerth, hier leistet 
Wasserstoffsuperoxyd gute Dienste. Bockhart erwähnt, daß bei 
dieser Behandlung das Entstehen einer Proctitis im Verlaufe einer 
Mercurialcur zu den Seltenheiten gehört. 

— Ueber den praktischen Werth der Bismutoso berichtet 
Manasse („Therap. Monatsh.“, 1902, Nr. 1). Er konnte sich von 
der völligen Unschädlichkeit des Mittels überzeugeu, die er vor allem 
auf das Gebundensein des Wismuths an Eiweiß zurückführt; selbst 
große Dosen intern und per Klysma hatten keinerlei Nebenwirkung, 
während Bismut. subnitr. öfter zu Intoxicationen geführt hat. 
Vielleicht dürfte diese Ungeffthrlichkeit der Bismutose dazu bei¬ 
tragen , sie in der Folge als Ersatz des Magisterium Bismuti 
mittelst Magensonde, auch bei Kindern, anzuwenden. Das Präparat 
vermag in entsprechenden Fällen die Antiperistaltik des Magen¬ 
darms nach kurzer Zeit aufzuheben, die Secretion des Darms zu 
beschränken und so zur Eindickung der Fäces zu führen. Irgend 
welche Schädigung, selbst bei localer Anwendung, hat die Bis¬ 
mutose niemals gezeigt. Die Bismutose entspricht somit allen 
Anforderungen eines Darmadstringens in jeder Hinsicht. 

— Ueber den therapeutischen und diagnostischen Werth 
der Lumbalpunction bei dem heutigen Stande der Wissenschaft 
berichtet K. Daszkiewicz („Medycyna“). Die Lumbalpunction hat 
in den meisten Fällen keine therapeutische Bedeutung; wenn auch 
günstige Erfolge publicirt sind, soll dennoch der Eingriff in An¬ 
betracht der vielen Todesfälle nicht mißbraucht werden. Der Ein¬ 
griff hat manche diagnostische Bedeutung; es muß jedoch bedacht 
werden, daß das specifische Gewicht und die Quantität des Zuckers 
in dieser Hinsicht keine Bedeutung haben; der Gehalt von l°/ 00 
Eiweiß spricht für Entzündung und gegen einen Tumor; für Ent¬ 
zündung spricht trübe Flüssigkeit; viel Eiter läßt eiterige Menin¬ 
gitis vermuthen; klare Flüssigkeit schließt nicht eine eiterige! 
Meningitis aus; bei Eiterherden, Neubildungen, Meningitis, Throm- 
bosis sinuura findet man oft klare Flüssigkeit; wenn viel klare 
Flüssigkeit unter hohem Drucke ausfließt, kann diffuse eiterige 
Meningitis ausgeschlossen werden; die Anwesenheit von Tuberkel¬ 
bacillen klärt die Diagnose; das Gleiche gilt für eiterige Ent¬ 
zündung bei Vorfinden der entsprechenden Mikroorganismen ; wenn 
klinisch schwere Erscheinungen von Hirndruck und bei der Punction 
kleiner Druck beobachtet werden, kann mit aller Wahrscheinlich¬ 
keit acute Entzündung vermuthet werden; entgegengesetzt sind 
die Erscheinungen bei chronischer Entzündung; nur positive 
Resultate erlauben diagnostische Schlüsse; bei blutiger Flüssigkeit 
muß an Verletzung einer Vene gedacht werden, erst wenn diese 
ausgeschlossen ist, können subdurale oder Hirnkammerblutungen 


in Betracht gezogen werden. Demgemäß ist die Lumbalpunction 
nicht absolut unschädlich und muß unter antiseptischen Cautelen 
ausgeführt werden. Wichtig ist auch die Lumbalpunction deshalb, 
weil sie die Anregung zur subduralen Cocainisation gegeben hat. 


Literarische Anzeigen. 

Lehrbuch der venerischen Krankheiten (Tripper, 
venerisches Geschwür, Syphilis). Von Dr. Max von 

Zeissl, Professor in Wien. Mit 50 in den Text gedruckten Ab¬ 
bildungen. Stuttgart 1902, F. Enke. 

Als wir dieses Buches ansichtig wurden, da stieg im ersten 
Augenblicke die Vorstellung in uns auf, daß wir es hier mit 
einem alten bekannten Werke in verjüngter Form zu thun haben 
werden ; allein je tiefer wir bei der Lectüre eindrangen, umsomehr 
gewannen wir die Ueberzeugung, daß hier ein Novum vor uns 
liegt. Bei aller Pietät für seinen Vater mußte der Verfasser sich 
bequemen, ein vom Grunde ans neues Werk zu schaffen, und so 
ist von dem seinerzeit so werthvollen Werke Hermann Zeissl’s 
nicht ein Stein auf dem anderen geblieben. Und das mit Recht. 
Die letzten 20 Jahre haben so tief einschneidende Veränderungen 
in unserem Specialfache herbeigeführt und Verfasser selbst hat sich 
so rührig an dieser Forschungsarbeit betheiligt, daß sowohl die 
Grundlagen, als auch der Ausbau der Lehre der venerischen Krank¬ 
heiten wesentlich andere geworden sind. Diesen Fortschritten hat 
unser Verfasser in literarisch gewissenhafter Weise und mit prakti¬ 
schem Blicke Genüge geleistet. Neben seiner wissenschaftlichen 
Ueberzeugung läßt er auch Vertreter divergenter Meinungen zu 
Worte kommen und verläßt in der Kritik nie den ruhigen Ton 
objectiver Erwägung. Daher die nahezu vollständige Literatur der 
letzten Jahre, was Aetiologie und Therapie der Geschlechtskrank¬ 
heiten betrifft, und der stets wahrnehmbare Seitenblick auf die 
Bedürfnisse des praktischen Arztes. Einzelne Capitel, wie die 
Anatomie der Geschlechtsorgane, die Tripperbehandlung und Tripper- 
complicationen, die Behandlung des venerischen Geschwüres und der 
Bubonen, ferner die Einleitung in die Syphilislehre sind geradezu 
Musterstücke guter Darstellung. Der Tripper des Weibes ist von 
Dr. F. Heymann in Berlin, die Kehlkopf- und Trachealsyphilis von 
Hofrath v. Schrötter in kurzer Fassung, aber vollständig, diese 
Capitel erschöpfend bearbeitet. Und so wird der Anfänger reich¬ 
liche Belehrung, der Praktiker einen vorzüglichen Berather und der 
Fachmann selbst ein gutes Quellenbuch in diesem Werke finden. 
Trotz der glänzenden Ausstattung können wir uns eines leisen 
Tadels nicht enthalten: Wir hätten gerne eine größere Zahl von 
Abbildungen im Texte gesehen. Hoffentlich geht unser Wunsch in 
den folgenden Auflagen in Erfüllung. Dr. IIorovitz. 


Lehrbuch der orthopädischen Chirurgie. Bearbeitet von 
Dr. Albert Hoffa, a. o. Professor an der Universität Wiirzburg. 
Vierte Auflage. Mit 810 in den Text gedruckten Abbildungen. 
Stuttgart 1902, Ferd. Enke. 

Die neueste Auflage dieses Lehrbuches, des weitaus hervor¬ 
ragendsten Werkes über das Gesammtgebiet orthopädischer Chirurgie, 
ist gleich ihren Vorgängerinnen ein treuer Spiegel der Fortschritte, 
welche dieser wichtige und sich immer mächtiger entwickelnde 
Zweig der Chirurgie aufzuweisen vermag. Zumal die zahlreichen 
Arbeiten über das Wesen und die Behandlung der angeborenen 
Hüftgelenkluxation, welche die letzten Jahre gezeitigt, sowie die 
Fortschritte in der bedeutsamen Frage der Sehnentransplantation 
bei paralytischen Deformitäten, Gegenstände der Forschung und 
Technik, zu welchen Hoffa selbst theils bahnende, theils fördernde 
Beiträge geliefert, haben kritische Berücksichtigung gefunden. Auch 
das Capitel über Skoliose wurde durch Aufnahme der modernen 
Bestrebungen des forcirten Redressements ausgestaltet. In fast allen 
Abschnitten des trefflichen Buches ist der diagnostischen Bedeutung 
der Roentgenographie Rechnung getragen, deren Werdegang und 
immer mehr steigenden Werth Hoffa an der Stelle seines bis- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 23 


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herigen Wirkens, in Wiirzburg, zu beobachten vermochte. So ist 
denn das neuverjüngte, bewährte Buch, dessen Ausstattung wir 
wiederholt gewürdigt, berufen, die Errungenschaften orthopädischer 
Chirurgie in übersichtlicher Form und klarer Diction Fachgenossen 
und praktischen Aerzten zu vermitteln. B. 


Die Blutungen des Sehorgans in ihrer semiotischen 
Bedeutung für die allgemeine Praxis. Von Augen¬ 
arzt Dl*. Emil Guttmann in Breslau. „Berliner Klinik“, Juni 
1901, lieft 156. Fischcr’s medicinische Buchhandlung 
(H. B o r n f e 1 d), Berlin. 

Unter den zahlreichen pathologischen Erscheinungen am Seh¬ 
organe, die nicht nur für die Ophthalmodiagnostik , sondern auch 
für die Diagnose anderer Erkrankungen des Organismus von großer 
Bedeutung sind, nehmen einen nicht unbedeutenden Rang die Blu¬ 
tungen ein und sie verdienen noch darum allgemeine Beachtung, 
weil sie auch von dem nicht specialistisch gebildeten Arzte ver- 
hältnißmäßig leicht erkannt werden können. Denn die Blutungen 
an der Außenfläche des Auges drängen sich ja schon dem Laien¬ 
blicke auf; die intraoeularen, zu welchen Augenspiegeluntersuchung 
nothwendig ist, treten viel auffallender als andere Veränderungen 
in Erscheinung. 


Feuilleton. 

Einiges über Prognose. 

Von Dr. Max Kahane in Wien. 

(Schluß.) 

So wie cs keine unter allen Umsländen harmlose. Krankheit 
gibt, so gibt es nur wenige Krankheiten mit absolut letaler 
Prognose — soweit die acuten Krankheiten in Betracht kommen. 
Es ließe sich vielleicht der Satz formuliren, daß die manifeste 
Lyssa die einzige acute Erkrankung mit absolut letaler Prognose 
ist. Wenn man z. B. die Prognose der atuberculösen Meningitis 
und der acuten Miliartuberculose als absolut letal bezeichnet, so 
darf man nicht außeracht lassen, daß es sich dabei nicht um 
thatsächlich streng idiopathische Erkrankungen handelt, daß beide 
sich auf dem Boden bereits bestehender Tuberculose ent¬ 
wickeln, welche an sich keine absolut letale Prognose gibt. Auch 
die Prognose der echten Variola haemorrhagica wird als absolut 
letal bezeichnet; nun ist aber auch die Variola haemorrhagica 
keine selbständige Erkrankung, sondern die schwerste Form der 
V ar iol ai n fection , welche als idiopathische Erkrankung wohl 
eine ernste, aber nicht absolut letale Prognose gibt. Eine andere 
Krankheit mit absolut letaler Prognose ist die acute gelbe Leber¬ 
atrophie. Hier liegt aus der neuesten Literatur ein Bericht über 
einen geheilten Fall vor, der allerdings nicht über jeden Zweifel 
erhaben ist, aber doch die Möglichkeit eines günstigen Aus¬ 
ganges offen läßt. Auch über geheilte Fälle von Meningitis tuber- 
culosa, die durch die Lumbalpunction bacteriologisch verificirt 
wurden, liegen vor, so daß auch diese gefürchtete Krankheit einen 
kleinen Abbruch an ihrem furchtbaren Nimbus erlitten hat. Es ist 
immerhin merkwürdig, daß gewisse Zoonosen — Lyssa, Milzbrand, 
Rotz — gerade eine so überaus ungünstige Prognose geben, am 
ungünstigsten die Lyssa, bei der man vielleicht allein von einer 
absolut letalen Prognose sprechen kann. Schließlich ist noch eine 
Gruppe von Krankheiten mit höchst ungünstiger Prognose zu 
erwähnen , zu welcher Lungenödem, gewisse katarrhalische Pneu¬ 
monien, sowie gewisse Hirnblutungen des Greisenalters gehören. 
Hier gilt das COBNHEm’sche Wort: „Der Mensch stirbt nicht, weil 
er Lungenödem bekommt, sondern bekommt Lungenödem, weil er 
stirbt.“ Dasselbe gilt fiir katarrhalische Pneumonie und Hirnblutung 
bei hochbetagten Menschen. Diese Krankheiten sind bei Greisen 
nicht die wahren Ursachen, sondern Vorboten des Todes; 
sie treten auf, weil das Lebenslicht des betreffenden Individuums 


ln einem kleinen Heftchen von 16 Seiten gibt G. einen kurzen 
Ueberblick über die Blutungen des Sehorgans in ihrem Zusammen¬ 
hänge mit anderen Organerkrankungen. Ausgehend von den Blu¬ 
tungen der Lider und der Bindehaut (Keuchhusten, Hyperemesis 
gravidarum, epileptische Krampfanfälle, Scorbut etc.) widmet G. 
die übrigen Seiten des Heftchens den intraoeularen Blutungen, wobei 
naturgemäß die Netzhautblutungen die größere Beachtung finden. 
Insbesondere wird der Befund bei der Schrumpfniere hervorgehoben, 
bei welcher Krankheit bekanntlich der Harn zeitweilig frei von 
Eiweiß sein kann, ja — in seltenen Fällen — Eiweiß über¬ 
haupt nicht nachzuweisen ist. Es kommt nicht allzu selten vor — 
wie Referent aus eigener Erfahrung sich wiederholt überzeugen 
konnte —, daß ein Patient zuerst wegen auftretender Sehstörung 
einen Augenarzt consultirte, der letztere den Patienten mit dem 
Befunde „suspect auf renale Affection“ einem praktischen Arzte 
überwies, der „Praktiker“ mit überlegenem Lächeln dem Patienten 
mit Rücksicht auf den ein- oder zweimaligen negativen Harnbefund 
die Mittheilung machte „es sei Alles in bester Ordnung“ ; einige 
Monate später findet aber dann jener Praktiker constant Albumcn 
im Harne vor. 

Es kann dieses, in erster Linie an den praktischen Arzt sich 
wendende Schriftchen nur wärmstens empfohlen werden. 

Bondi (Iglau). 

zu erlöschen beginnt. Man hat also eigentlich nicht das Recht, 
von der letalen Prognose des Lungenödems etc. zu sprechen, weil 
dieses Zeichen nicht Ursache des Todes ist. 

Die Betrachtung der verschiedenen acuten Krankheiten 
ergibt, daß es vielleicht keine einzige Krankheit gibt, die absolut 
und unter allen Umständen harmlos wäre und nur ganz wenige 
acute idiopathische Erkrankungen, bei denen die Prognose absolut 
letal wäre. Die überwältigend große Mehrzahl der Krankheiten 
gehört zu jener Gruppe, wo die Prognose allerdings in den weitesten 
Grenzen d u b ( i a ist, deren beide Extreme dadurch chärakterisirt 
sind, daß bei dem einen Heilung, bei dem anderen Tod eine Aus¬ 
nahme darstellt. Es ist daher, von ganz wenigen Ausnahmen ab¬ 
gesehen , der Arzt nicht imstande, aus der Krankheit allein mit 
absoluter Sicherheit die Prognose zu stellen, sondern er muß 
möglichste Sicherheit dadurch zu erreichen trachten, daß er jeden 
einzelnen Factor des individuellen Falles (Alter, Constitution, etwaige 
Diathesen, früher durchgemachte oder zur Zeit bestehende Erkran¬ 
kungen) berücksichtigt. Auch hier liegen die Verhältnisse complicirt 
und Manches, was auf den ersten Anschein giltig erscheint, kann 
strengerer Kritik nicht standhalten. Das Kindesalter z. B. zeigt 
einerseits eine auffällige Widerstandslosigkeit gegen die Acquisition 
von Erkrankungen, andererseits eine überraschende Regenerations¬ 
fähigkeit. Frauen vertragen große Blutverluste besser als Männer, 
kommen auch bei acuten Infectionskrankheiten meist besser davon 
(es ist dies nicht so sehr Geschlechtseigenthümlichkeit, als Folge 
der größeren Seltenheit von Syphilis, Alkoholismus, Tabak¬ 
mißbrauch etc.) etc. Nichts wäre irriger, als die Ansicht, daß 
blühend aussehende, muskelkräftige Personen bei acuten Infections¬ 
krankheiten besonders günstige Chancen der Genesung haben. 
Jeder erfahrene Arzt weiß, daß gerade hagere Individuen mit 
blasser Gesichtsfarbe oft eine weit größere Resistenz gegen acute 
Erkrankungen zeigen, als Individuen mit kraftstrotzender Musculatur 
und blühender Farbe. Plötzlicher oder rascher Tod ist speciell 
bei athletisch gebauten Personen relativ häufig. Wie diese wenigen 
Beispiele zeigen, ist auch bei Berücksichtigung der individuellen 
und constitutionellen Factoren für Unsicherheit in der Prognose 
noch ein weiter Spielraum vorhanden. 

Sowie die Systematik der Krankheiten theils auf ätiologischer, 
theils auf anatomischer, theils auf klinischer Basis ruht, so kommen 
diese Momente auch für die Prognose in Betracht. Die ätio¬ 
logische Betrachtung wird namentlich dort für die Prognose von 
Bedeutung erscheinen, wo die Aetiologie, bezw. wichtige ätiologische 
Factoren mit Sicherheit bekannt sind. So wird z. B. der Nachweis 
stattgehabter Rotz-, Milzbrand-, Pestinfection sofort der Prognose 
eine gewisse Färbung geben, d. h. sie in düsterem Licht erscheinen 
lassen, hingegen der Nachweis von Typhusbacillcn, Pneumokokken 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 23. 


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die Möglichkeit einer günstigeren Auffassung der Prognose er¬ 
scheinen lassen. 

Bei dem anatomischen Gesichtspunkt ist es das erkrankte 
Organ, von dem die prognostische Beurtheilung ausgeht. Im 
Ganzen und Großen besteht wohl der Satz zu Recht, daß Erkran¬ 
kungen lebenswichtiger Organe die Prognose ungünstiger 
erscheinen lassen, als die Erkrankungen von Organen geringerer 
Lebenswichtigkeit. Aber für den einzelnen Fall trifft die Unter¬ 
scheidung nicht immer zu. Gehirn, Lunge und Herz sind gewiß 
in hohem Maße lebenswichtige Organe, aber nicht jede Erkrankung 
derselben ist für das Leben unbedingt bedrohlich. Dies lehren die 
Erfahrungen an Hirnblutungen, wo die anfangs ungemein bedroh¬ 
lichen Krankheitserscheinungen sich bis auf relativ geringfügige Reste 
zurückbilden können, die Erfahrungen bei croupöser Pneumonie, 
wo der ausgebreitete schwere Entzündungsproceß relativ oft mit 
vollständiger Restitutio ad integrum endet, die Erfahrungen von 
Herzklappenfehlern, die Decennien hindurch bestehen, ohne schwere 
Erscheinungen zu verursachen etc. Aus dem Allen geht hervor, 
daß die Lebenswichtigkeit eines Organes kein absolut ver¬ 
läßliches prognostisches Kriterium gibt. 

Auch die pathologisch-anatomischen Veränderungen 
geben keine absolut verläßlichen Anhaltspunkte, wenn sich auch 
feststellen läßt, daß eiterige, jauchige Entzündungsprocesse, Bildung 
von Gangränherden, vor Allem aber Nachweis von bösartigen 
Geschwülsten der Prognose einen sehr ernsten, selbst funesten 
Charakter verleihen. Heilungen von Pyämie und Sepsis sind gerade 
nicht häufig, aber immerhin möglich, auch bei malignen Neoplasmen 
ist der Patient nicht unter allen Umständen rettungslos verloren; 
wenigstens spricht vieles für die Möglichkeit der Heilung bei 
frühzeitiger operativer Behandlung maligner Neoplasmen. 

Festere Anhaltspunkte kann die Corabination des anatomi¬ 
schen und pathologisch-anatomischen Gesichtspunktes 
ergeben, z. B. eiterige, jauchige, überhaupt septische Processe von 
lebenswichtigen Organen (z. B. septische Endocarditis , jauchige 
Processe im Gehirn etc.). Aber auch hier zeigt die Erfahrung, daß 
selbst sehr schwere Processe in lebenswichtigen Organen der Heilung 
fähig sind, wie dies z. B. bei Lungengangrän der Fall ist. 

Um solche Erscheinungen zu erklären, muß man die ver¬ 
schiedenen Schutz- und Ab wehr vorricht ungen des 
Organismus bei acuten, die Anpassungs- und Aus¬ 
gleichungsvorgänge bei chronischen Erkrankungen in Be¬ 
tracht ziehen. Da eine Betrachtung dieser Probleme zu weit 
führen würde, genüge der Hinweis auf dieselben. 

Vielleicht wichtiger als alle bisher genannten Factoren sind 
die aus der klinischen Beobachtung sich ergebenden Gesichts¬ 
punkte. Diese sind vielleicht die verläßlichsten, die uns 
überhaupt zur Verfügung stehen. In erster Linie kommt das 
Verhalten der Herzthätigkeit, der Athmung und der 
Körpertemperatur für die Prognose in Betracht, also 
der Zustand der lebenswichtigsten Functionen. Auf die 
Betrachtung der Functionen muß sich in erster Linie die 
Prognose aufbauen, denn leben heißt functioniren und ein Satz 
lautet dahin, daß, so lange das Herz schlägt und die Lunge 
athmet, die Möglichkeit der Genesung eines Kranken nicht von 
der Hand gewiesen werden kann. Man kann es daher aussprechen, 
daß, welche Krankheit auch immer vorliegt, bestimmte Störungen 
der Athmung, der Herzthätigkeit und der Körper¬ 
temperatur es sind, welche die Prognose ungünstig er¬ 
scheinen lassen. Eine Athmungsfrequenz, welche 60 Züge 
in der Minute, eine Pulsfrequenz, welche 150 Schläge in der 
Minute übersteigt, eine Körpertemperatur, die sich über 42° hält, 
läßt höchst ungünstige Schlüsse bezüglich des Ausganges einer 
Krankheit zu, desgleichen eine abnorme Verlangsamung der 
Athmung und des Pulses, ein Sinken der Temperatur auf 35°. 
Wenn wir als Norm beispielsweise 72 Pulsschläge, 24 Respirationen, 
eine Temperatur von 37'5° annehmen, so können wir sagen, daß 
jede hochgradige Abweichung von dieser Norm nach oben oder 
unten auf eine Gefährdung lebenswichtiger Func¬ 
tionen und damit auf eine ungünstige Prognose hinweist. Wir 
gelangen zu dem Resultate, daß — wenn überhaupt etwas ver¬ 


läßliche Anhaltspunkte für die Prognose zu gewähren vermag — es 
in erster Linie die Betrachtungen der lebenswichtigen Func¬ 
tionen (Athmung, Kreislauf, Wärmebildung) ist, in zweiter Liuio 
ätiologische, anatomische und pathologisch anatomische Gesichts¬ 
punkte. Es handelt sich um Factoren, deren Bestimmung relativ 
leicht zugänglich ist, denn die Zählung der Puls- und Athmungs¬ 
frequenz, die Bestimmung der Körpertemperatur sind im Ver- 
hältniß zu dem Werth ihrer Angaben gewiß mühelos. Neben den 
quantitativen Veränderungen, d. h. solchen, die sich in Zahlen 
ausdriicken lassen, kommen auch qualitative Veränderungen in 
Betracht. Wenn z. B. die Athmung den CfrtiYNE-STOKEs’schen oder 
BiOT’schen Typus zeigt, wenn der Puls nicht nur in seiner 
Frequenz gesteigert, sondern klein, fadenförmig wird, wenn die 
Erscheinungen der Arhythmie, Intermittenz, Asystolie auftreten, 
so hat man das Recht, auf eine das Leben bedrohende Störung 
der Athmungs-, bezw. Kreislaufsfunction schließen zu 
dürfen. Es ist also daran festzuhalten, daß die Prognose 
wesentlich von dem Verhalten der lebenswichtigen Func¬ 
tionen bestimmt wird, daß bedrohliche Störungen der lebens¬ 
wichtigen Functionen es sind, welche die Prognose in einem 
gegebenen Falle als ungünstig erscheinen lassen. Das, was 
wir Tod nennen, ist in letzter Instanz durch Lähmung der 
Athmung und des Kreislaufes bedingt, diese bilden die 
letzte unmittelbare Todesursache. 

Nun haben Athmung und Kreislauf ihr Centrum im ver¬ 
längerten Mark, und man kann sagen, daß dieses den Schau¬ 
platz bildet, wo die Entscheidung über Leben und Tod in 
letzter Instanz erfolgt. Ob dieses Centrum durch directe Örtliche 
Erkrankung, durch Wirkung chemischer oder bacterieller Gifte, 
durcli schwere Ernährungsstörungen außer Function gesetzt wird, 
kommt erst in zweiter Linie in Befracht. Es kann wohl mit vollem 
Recht der Satz formulirt werden, daß für die Prognose einer 
Krankheit in letzter Instanz nur dies maßgebend 
ist, ob und in welchem Grade sie die Centren des 
Kreislaufes und der Athmung im verlängerten 
Mark bedroht. 

Noch vieles ließe sich über die so wichtige Frage der Pro¬ 
gnose bei inneren Krankheiten sagen, aber der Zweck dieser 
kurzen und skizzenhaften Ausführungen ist vollständig erreicht, 
wenn es ihnen gelingt, die Aufmerksamkeit auf dieses bedeutungs¬ 
volle und praktisch außerordentlich wichtige Capitel der Medicin 
zu lenken und den Anstoß zu Bestrebungen zu geben, welche zu 
einem gedeihlichen Ausbau der noch vielfach Lücken und Unsicher¬ 
heiten aufweisenden Lehre von der Prognose führen können. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 


20. Congreß für innere Medicin. 

Gehalten zu Wiesbaden 15.—18. April 1902. 

(Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) 

VI. 

Bie (Kopenhagen): Ueber Lichttherapie. 

Einleitend bemerkt Vortragender, daß man eine rationelle 
Entwickelung der Lichttherapie nur dadurch sichern könne, daß 
man dieselbe auf experimentelle Forschungen stütze. Er betrachte es 
daher als seine Aufgabe, ein kritisches Referat zu bringen nicht 
allein der Lichttherapie, sondern auch der Lichtbiologie. Seine 
Darstellung der Resultate der Lichtbiologie war in Kürze folgende: 

1. Die chemischen Strahlen des Lichtes, nicht aber die rothen, 
gelben und grünen, können Entzündung der Haut hervorrufen 
(Bouchard, Widmark, Finsen). 

2. Die ultravioletten Strahlen des Lichtes rufen eine Gefä߬ 
erweiterung in der Haut hervor, welche mindestens 5—6 Monate 
anhalten kann. 

3. Es liegt nichts vor, was darauf deutet, daß das Licht einen 
Einfluß auf die Ilämoglobinmenge des Blutes ausübt. 


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4. Die Behauptung Moleschott’s und anderer, daß das Licht 
die Ausscheidung der Kohlensäure vermehre, kann nicht als be¬ 
wiesen gelten. 

5. Die chemischen Strahlen des Lichtes haben eine excitirende 
Wirkung auf niedere Thiere; eine ähnliche excitirende Wirkung 
hat das Licht wahrscheinlich auf den Menschen. Nach einigen 
Forschern soll das rothe Licht eine excitirende Wirkung, die violetten 
Strahlen hingegen einen beruhigenden Einfluß auf die psychischen 
Processe haben. Diese letzte Eigenschaft ist mit Erfolg zur Beruhigung 
raaniakalischer Patienten benutzt worden. 

6. Die rothen Lichtstrahlen können tief in den Organismus 
eindringen; dagegen können die blauen und violetten Strahlen die 
Gewebe nur unter der Bedingung durchdringen, daß letztere blut¬ 
leer sind. Die ultravioletten Strahlen können unter keinen Umständen 
weiter Vordringen als bis zu den oberflächlichen Hautschichten. 

7. Dasselbe gilt von der Fähigkeit des Lichtes, Bakterien im 
Organismus zu tödtcn. Diese Fähigkeit beruht fast ausschließlich 
auf den chemischen Strahlen. Nur oberflächliche Atfectiouen kann 
man daher durch Beleuchtung heilen. Es kann also keine Rede 
davon sein, Tuberkelbacillen im Larynx oder in den Lungen durch 
Durchleuchtung heilen zu wollen, wie dies besonders amerikanische 
Aerzte vorgeschlagen haben. 

Der Redner gibt sodann eine Uebersicht über die therapeutische 
Anwendung des Lichtes. 

1. Finsen’s Behandlung von Pocken mit rothem Lichte beruht 
darauf, daß durch Ausschließung der entzündungserregenden Wirkung 
der chemischen Lichtstrahlen auf die Haut Eiterung in denVesikeln 
und damit Secundärfieber und Narben vermieden werden. 

2. Rothlichtbehandlung anderer exanthematischer Krankheiten 
ist noch nicht durchgeprüft. Backmann und Chatiriere haben 
günstige Resultate mit der Behandlung bei Masern und Krukenberg 
mit der Behandlung bei Erysipel erzielt. 

3. Die von Kellogg construirten Glühlampen-Schwitzbäder 
können nur als reine Schwitzbäder betrachtet werden, die keine 
specifische Wirkung ausüben. Darüber scheint Einigkeit zu herrschen, 
daß sie als Schwitzbäder die vollkommensten von allen darstellen. 

4. Die von verschiedenen russischen Aerzten, speciell Minin, 
benutzten localen Beleuchtungen mit Glühlampen oder Bogenlampen 
haben keinen Anspruch auf Interesse. 

5. Die allgemeine Lichttherapie der Zukunft werden unzweifel¬ 
haft Sonnenbäder ohne nachfolgende Einpackung sein oder elektrische 
Bogenlichtbäder mit Lampen von 150—200 Ampere ohne Schweiß. 
Wir wissen zur Zeit noch zu wenig von den allgemeinen Wirkungen 
des Lichtes, um für den Augenblick bestimmte Indicationen auf¬ 
stellen zu können. 

6. Die einzige locale Lichtbehandlung, deren Wirkung fest¬ 
gestellt ist, ist Finsen’s Behandlung der Hautkrankheiten mit 
concentrirten chemischen Lichtstrahlen. Die Art der Anwendung, 
welche Verfasser mehrmals in deutschen Zeitschriften beschrieben 
hat, wird in Kürze erörtert. Die ausgezeichneten kosmetischen 
Resultate sind dem Umstande zuzuschreiben, daß die Behandlung 
die denkbar schonendste ist. Nichts wird zerstört, es gibt keine 
Schrumpfungen, die Narben sind weich und glatt. Gleichfalls infolge 
der schonenden Natur der Behandlung kann man nicht nur das 
kranke Gewebe behandeln, sondern auch das diesem benachbarte 
gesunde Gewebe ; hiedurch vermindert sich die Gefahr eines Recidivs. 
Die Behandlung . ist schmerzfrei. Der curative Effect ist aus¬ 
gezeichnet. Von 640 Patienten mußten nur 1*7°/ 0 die Behandlung 
wegen schlechten Resultates aussetzen. 85% hatten ein absolut 
günstiges Behandlungsresultat aufzuweisen, nur bei 15% war die 
Besserung so langsam, daß das Resultat als minder günstig be¬ 
zeichnet werden muß. Die Recidivverhältnisse sind günstige. Bei 
Lupus erythematodes sind die Resultate etwas schwankend, bei 
Alopecia areata, Naevus vasculosus, Acne rosacea und Epithelioma 
cutaneum sind sehr günstige Resultate erzielt worden, zumal in 
Ansehung dessen, daß es eich fast stets um schwere Fälle handelte, 
welche durch keine anderen Behandlungsmethode zur Heilung geführt 
werden konnten. Zum Schlüsse wird eine Reihe von Lichtbildern 
demonstrirt von Patienten mit Lupus vulgaris, Lupus erythematodes 
und Epithelioma cutaneum, vor und nach der Behandlung. 


V. Jaksch (Prag) betont die beruhigende, schlafmachende Wirkung des 
blauen Lichts und benutzt deshalb blaue Kobaltcylinder zur Nachtbeleuchtung 
in den Krankenzimmern. Die Lichtglühbäder haben keine specifische Wirkung, 
es sind nur modificirte Dampfbäder. 

Quincke (Kiel) weist auf seine früheren Versuche über den Einfluß 
des Sonnenlichtes auf überlebende Gewebe, besonders Eiter, hin, welche einen 
starken Sauerstoffverbrauch erwiesen haben. Bei der Lichttherapie handelt es 
sich zweifellos zum großen Theil um Einwirkung der Sonnenlichtstrahlen, die 
nicht nur subjective, sondern auch objective Besserung erkennen lassen und 
das Allgemeinbefinden und den Stoffwechsel sichtlich beeinflussen. 

Rumpf (Hamburg) hebt den Vortheil der Glühlichtschwitzbäder hervor, 
daß sie, bei geringerer Temperatur wirksam, das Herz mehr schonen. t>ie Haut¬ 
kranken sind gegen das Bogenlicht viel toleranter als die Gesunden. Unter 
Bogenlichtbehandlung mit und ohne blauer Scheibe hat er das Erysipel günstig 
ablaufen sehen, ebenso zuweilen gute Erfolge bei Neuralgien. 

Hahn (Hamburg): Die Finsenstrahlenbehandlung ist in der Hauptsache 
nur bei Hautkrankheiten wirksam und unter diesen speciell nur bei Lupus. 
Recidive sind nicht zu vermeiden. Die Wirkung ist keine baktericide, sondern 
entzündungserregend. Da es sich beim Bogenlicht nur um die ultravioletten 
Strahlen handelt, können die Kohlenelektroden durch eiserne ersetzt werden 
wie in der BANo’schen Lampe. Als wesentlicher Bestandthcil der Lichttherapie 
hat auch die Verwerthung der Roentgenstrahlen zu gelten. Die Anwendung 
kann oft mit Vortheil der Finsenbehandlung vorangehen. 

Marcuse (Mannheim) berichtet über Erfahrungen an 400 Patienten mit 
Glüh- und Bogenlicht. Die Glühlichtbehandlung ist nur eine Wärmeprocedur, 
allerdings die beste, über die wir verfügen, schnell und sicher Schweiß er¬ 
zeugend. Zuweilen kommen aber auch Nebenwirkungen aufs Herz vor. Bei 
Fettleibigkeit sind sie ganz ohne Wirkung. Das Bogenlicht erweist sich nutz¬ 
bringend bei functionellen Neurosen, vielleicht nur suggestiv wirkend. Die 
locale Bestrahlung dagegen ist unwirksam, z. B. bei Neuralgien. Die Licht¬ 
therapie muß in erster Reihe eine Sonnentherapie sein. Die Luft gibt den 
Sonnenstrahlen erst die volle Wirkung. Redner tritt für eine energische Aus¬ 
nutzung der Lichtbehandlung seitens der Aerzte ein, um sie nicht den Cur- 
pfuschern zu überlassen, beziehungsweise sie ihren Händen zu entreißen. 

V. NlESSEN (Wiesbaden) demonstrirt mittelst Projections- 
apparates die Präparate seiner in Reincultur aus dem Blute frischer 
Syphilisfälle gezüchteten Syphilisbäcillen, sowie die Abbildungen 
damit experimentell erzeugter syphilitischer .Herde bei Affen und 
Schweinen. 


Aus italienischen Gesellschaften. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Societä medico-chirorgica di Modena. 

Augusto Plessi: Ueber die angebliche Senkung des Herzens 
bei Aufrechtstellung. 

Vortr. hat an einer großen Anzahl normaler Individuen Un¬ 
tersuchungen darüber angestellt, ob sich bei Lag everänderungen 
des Körpers, speciell bei der Aufrichtung aus horizontaler in die 
verticale Stellung, eine Senkung des Herzens nachweisen lasse. Er 
ist zu folgenden Resultaten gelangt: Das Herz wechselt seine Lage 
im Verhältnisse zum Thorax, indem es bei Aufrechtstellung um 
circa 1 Cm. tiefer erscheint. Die auf die Brusthaut in Horizontal¬ 
stellung gezeichneten Grenzen verschieben sich bei Verticalstellung 
in gleichem Maße und im nämlichen Sinne. Die beiden so ent¬ 
stehenden Herzfiguren .sind vollkommen congruent. P. glaubt aus 
diesen Befunden den Schluß ziehen zu dürfen, daß das Herz bei 
Aufrechtstellung des Körpers thatsächlich tiefer steht als bei hori¬ 
zontaler Rückenlage. Er folgert weiters daraus, daß diese Ver¬ 
schiebung bei Individuen mit totaler Synechie des Pericards nicht 
auftritt, und daß sich die beiden Herzfiguren bei partiellen Ver¬ 
wachsungen nicht vollkommen decken. 


Societä medicö-chirurgica di Bologna. 

Micheli: Eine neue vaginale Radicalmethode zur Heilung der 
Uterusdeviationen. 

Das Verfahren ist folgendes: 1. Tempo. Desinfection, weite 
Dilatation (Hegar 16), Reinigung. 2. Tempo. Herabziehen des 
Uterus, Isolirung der Blase, bis man ihre ganze vordere Wand 
beherrscht. Ist die Abknickung am Isthmus oder ein wenig über 
demselben, dann kann man mit kurzem Zuge die Peritonealfalte 
ablösen, ohne den Peritonealraum zu eröffnen. 3. Tempo. Seitliche 
Abtragung des Cervicalcanales, Einführung des linken Zeigefingers 
ins Cavum uteri (der Assistent zieht indessen das vordere Labium 
herab), Bildung eines Limbus aus dem mittleren Theile der Uteruswand 
durch zwei Längsschnitte, die ein wenig oberhalb der Knickungs- 


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stelle beginnen leicht convergirend zum Corpus Uteri verlaufen und 
die ganze Dicke des Halses durchsetzend, die Schleimhaut unver¬ 
sehrt lassen. 4. Tempo. Herabziehung des pyramidenförmigen 
Limbus von 1 — 1 2 / 2 Cm. und Fixation desselben durch drei seit¬ 
liche Nähte. Der Uterus befindet sich jetzt in physiologischer Ante- 
flexion. 5. Tempo. Keilförmige Excision der unteren Portion des 
hervorragenden Limbus oder Amputation des Collum, wenn die 
Umstände des Falles dies erheischen. Im Falle der Anteflexion 
wird die hintere Wand des Uterus in Angriff genommen, die Pat. 
in der Stbllung nach Sims operirt. 

Pini: Einige seltene Syphilisformen. 

P. berichtet Uber den bemerkenswerthen Fall einer Frau, 
die am ganzen Körper zahlreiche nuß bis hühnereigroße Geschwülste 
aufwies. Dieselben waren größtentheils von lividrother, wenige 
von normaler Haut bedeckt, ganz wenige ulcerirt. Ihre Vertheilung 
war symmetrisch, die Minderzahl saß in den tiefen Schichten der 
Haut, die übrigen in den Muskeln, Sehnen und Knochen. Die 
differentialdiagnostischen Erwägungen lauteten: Die atypischen 
Hautgummen entwickeln sich l(loß in der tertiären Periode oder 
bei Syphilis tarda; das gummöse Parasyphilid hat weder zur 2. noch 
zur 3. Periode der Infection bestimmte Beziehungen. Das atypische 
Gumma hat keine Prädilectionsstellen an der Körperoberfläche, das 
Parasyphilid findet sich vorwiegend in der Genito-Glutaealgegend. 
Die atypischen Gummen heilen unter Jod Quecksilbermcdication 
ganz aus, das parasyphilitische Gumma verhält sich refraetär gegen 
diese Therapie. 

Silvagni : Einige Thatsachen der Antipyrese. 

Vortr. berichtet über Phthisiker, die täglich, drei Jahre lang, 
bis 9 Grm. Natrium salicylicum genommen haben, während dieser 
Zeit immer fieberfrei waren und Gewichtszunahmen bis zu 11 Kgrra. 
aufwiesen. Die Salicyldarreichung kann per os in dosi refracta 
oder besser auf einmal im Klysma während der Morgenstunden 
erfolgen. Puls und Blutdruck bleiben unverändert. Der Mechanis¬ 
mus der Wirkung hängt vielleicht mit der langsamen Ausscheidung 
der Salicylsäure zusammen. Der Verlauf des Krankheitsprocesses 
selbst bleibt unbeeinflußt. Bei Typhuskranken hat S. das Aspirin 
versucht. Die Temperatursenkungen waren von Frostschauer be¬ 
gleitet. Durch Pyramidon konnten Temperaturherabsetzungen bis 
auf erreicht werden. 


Notizen. 

Wien, 7. Juni 1902. 

(K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien.) In der 
gestrigen Sitzung demonstrirte zunächst Prof. Frh. v. Eiselsberg 
eine trotz mangelnden Nasenseptums mit vorzüglichem Erfolge 
ausgeführte Rhinoplastik und eine Harnfistel bei einem 
die Blase ganz ausfüllenden Steine; der Weg der Fistel entspricht 
einem früheren Fistelgangc am Oberschenkel nach Osteomyelitis. — 
Sodann zeigte Dr. Lorenz einen Säugling nit Mikrognathie, 
Fehlen der rechten Ohrmuschel und Atresie des äußeren Gehör 
ganges. — Hierauf führte Dr. Löwenbach einen alten Mann mit 
Pityriasis rubra Typus Hebra vor. — Der sodann ge¬ 
haltene Vortrag von Dr. L. Hofbaiier „Zur Frage des Re¬ 
sorptionsmechanismus“ erscheint nach einem Stenogramme 
in extenso. — Schließlich hielt Dr. Konr. Kelly seinen ange¬ 
kündigten Vortrag: „Wechselbeziehungen zwischen Bau 
und Function der Milz.“ Aus der Darstellung 11.’s geht 
hervor, daß die Milz als regionäre Drüse des Blutes aufzufassen 
sei. Die hiefür sprechenden Gründe sind in der anatomischen 
Anlage der Milz gegeben, in der man allenthalben den Austritt 
von weißen ilnd rothen Blutkörperchen aus den Capillaren der 
geschlossenen Gefäßbahn in die perivasculären Räume verfolgen 
kann, deren Wand von gitterförmig angeordneten Epithelicn und 
der EßNER’schen Membran gebildet wird. In der Discussion wies 
Ilofr. Prof. Exner darauf hin, daß der alte Streit über die Frage, 
ob es in der Mi z neben den geschlossenen Gefäßen noch wandlose 
Blnträume gebe oder nicht, zu Gunsten der ersteren Annahme 


entschieden sei, und Doc. Dr. Krads gab der Ansicht Ausdruck, 
daß die Gefäße verschiedener Organe für differente Körper in 
verschiedenem Maße durchgängig seien. 

(Universitäts - und Personal-Nachrichten.) Die 
a. o. Professoren an der Universität in Wien Dr. Samuel R. v. Basch, 
Regierungsrath Dr. Leopold Oser und Dr. Alois Monti haben den 
Titel und Charakter eines ordentlichen Universitäts-Professors er¬ 
halten. — Primararzt Dr. Julius Schnitzler hat am 1. d. M. 
die Leitung der chirurgischen Abtheilung des k. k. Krankenhauses 
Wieden übernommen. 

(Zeuge oder Sachverständiger.) Eine prineipielle 
Entscheidung ist vor Kurzem vom Kreisgerichte zu Korneuburg 
gefällt worden. Ein vom Bezirksgerichte Feldsberg als Zeuge vor¬ 
geladener Arzt hatte eine Sachverständigengebühr beansprucht, 
da er sich genöthigt gesehen, entsprechend den Fragen des Richters 
ein Sachverständigengutachten abzugeben. Diese Eingabe wurde 
jedoch vom zuständigen Bezirksgerichte verweigert. Einer darauf¬ 
hin an das Kreisgericht Korneuburg gerichteten Beschwerde wurde 
von diesem Gerichtshöfe stattgegeben , da der nur als Zeuge vor¬ 
geladene Arzt bei seiner Vernehmung über Umstände gefragt 
worden war, die er nur als sachverständiger Arzt beantworten 
konnte. 

(Wiener Aerzte in Curorten und Sommer¬ 
frischen.) In einer der letzten Vorstandssitzungen der Wiener 
Acrztekammer gelangte ein Referat des Dr. Scholz zur Verhandlung, 
welches über Anregung der Aerztekarnmer für Niederösterreich die 
Ausübung der Praxis von Wiener Aerzten in Curorten und Sommer¬ 
frischen zu regeln versucht. Dasselbe gipfelt in folgenden Punkten: 
Den Inhabern von Curanstalten kann, vorausgesetzt, daß sie regel¬ 
recht bei der politischen Behörde und der Aerztekarnmer angemeldet 
sind, die ärztliche Praxis nicht verwehrt werden. Wenn sie die 
Anzeigen ihrer Anstalt zugleich zur Ankündigung ihrer ärztlichen 
Privatpraxis benützen, so ist dieser Theil standeswidrig. Bezüglich 
der Aerzte in Curorten und Sommerfrischen sind verschiedene Um¬ 
stände in Betracht zu ziehen. Ein Arzt, der zur-Sommerfrische auf 
dem Lande weilt, soll weder ortsansässige Kranke noch Sommer¬ 
frischler, die nicht zu seiner ständigen Clientei gehören, in Be¬ 
handlung nehmen. Will er als Arzt fungiren, so muß er seine 
Praxis bei der politischen Behörde und bei der dortigen Aerzte- 
kammer anmelden, jedoch kann er mit Zustimmung des behandelnden 
Arztes zu Consilien hcrangezogen werden. Wenn in demselben Orte 
Sommerfrischler seiner Clientei sich auf halten, so kann dem be¬ 
treffenden Wiener Arzte die Behandlung derselben nicht untersagt 
werden. Der Umstand, daß sich jemand zur Sommerfrische an einem 
Orte aufhält, gibt dem ortsansässigen Arzte kein Recht auf die 
Behandlung desselben, da ja jedem Kranken die Wahl seines Arztes 
freisteht. Wenn der Landarzt Sommerfrischler übernimmt, so muß 
es diesen überlassen werden, zu bestimmen, ob ihr Hausarzt zu 
verständigen ist, da nicht alle Patienten geneigt sein werden, 
doppeltes Honorar zu zahlen. Unglücksfälle und plötzliche Er¬ 
krankungen können das Eingreifen eines Wiener Arztes erfordern, 
doch hat er sobald als thunlich den Ortsarzt zu verständigen, 
respective ihm den Kranken zu übergeben. Curärzte, welche in 
einem Curorte regelmäßig angemeldet sind und zugleich in Wien 
ihre Patienten versehen, können derzeit an diesem Gebahren nicht ver¬ 
hindert werden. (Dieser Punkt involvirt die Frage, ob ein Arzt 
gleichzeitig zwei Kammern angehören kann, welche Frage derzeit 
noch nicht erledigt ist.) Specialisten fallen unter dieselben Bestim¬ 
mungen wie jeder andere Arzt. — Der Vorstand der Wiener Kammer 
wird dieses Referat vor dessen Vorlage an das Plenum einer 
gemeinsamen Bcrathung durch die Vorstände beider Kammern (der 
Wiener und der niederösterreichischeu Kammer) unterziehen. 

(Aus Berlin) schreibt uns unser Correspondent: Der lang¬ 
jährige erste Vorsitzende der Berliner medicinischen Gesellschaft 
Rudolf Virchow hat vor Kurzem aus Gesundheitsrücksichten sein 
Amt niedergelegt. Da sein Stellvertreter v. Bergmann die Wahl 
zum Vorsitzenden ablehnte, hat sich der Vorstand für das laufende 
Jahr selbst cooptirt, und zwar durch die Person des Anatomen 
Waldeyer. Dieses Ergebniß ist jedoch auf Widerspruch gestoßen, 
denn es wird unter den Mitgliedern der Gesellschaft lebhaft agitirt, 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 23. 


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um zu verhindern, daß jenes Wahlergebniß bei der nächsten Ge¬ 
neralversammlung zu einem Definitivum werde. Als Grund der 
gegen Waldeyer gerichteten Stimmung gilt der Umstand, daß 
der provisorische Vorstand zu den Vertretern theoretisch-medicini- 
scher Fächer gehört, welche eine auf Befreiung von der Aerzte- 
kammerumlage hinzielende Eingabe an das Medicinalministerium 
unterschrieben haben, wodurch die Feststellung des diesjährigen 
Aerztekammer-Etats in unliebsamer, pecuniär empfindlicher Weise 
verzögert wird. 

(Krankenverein der Aerzte Wiens.) In der am 
16. Mai 1. J. abgehaltenen außerordentlichen Generalversammlung 
des Krankenvereines der Aerzte Wiens wurde auf Grund des Gut¬ 
achtens des behördlich autorisirten Versicherungstechnikers der 
Antrag auf Verlängerung des Bezuges des Krankengeldes, bezie¬ 
hungsweise Erhöhung desselben abgelehnt und der Antrag des 
Ausschusses, den neueintretenden Mitgliedern bis zum erreichten 
86. Lebensjahre die Eintrittsgebühr zu erlassen, einstimmig 
angenommen. 

(Aerztliche Studienreise 190 2.) Die Reise beginnt 
am 10. September a. c. in Dresden und endet einen Tag vor Beginn 
der Naturforscherversammlung in Karlsbad. Die Fahrkarten für die 
Theilnehmer berechtigen auch nach der Naturforscherversammlung 
zur Rückfahrt bis zum Ausgangspunkt der Reise, Dresden. Die Reise 
wird in allerreichstem Maße den Theilnehmern Gelegenheit geben, 
sich über die therapeutische Bedeutung, die sanitären und baineo¬ 
logischen Einrichtungen der besuchten Orte zu informiren, zumal 
es gelungen ist, für jeden der besuchten Orte wissenschaftliche Vor¬ 
träge einheimischer und auswärtiger Aerzte zu arrangiren. Für 
Dresden ist ein Aufenthalt von 2 Tagen in Aussicht genommen, an 
welchen neben einer wissenschaftlichen Sitzung die Besichtigung 
der Krankenhäuser und sonstigen sanitären Einrichtungen erfolgen 
wird. Der Besuch vou Schandau und Königsbrunn, welcher auf 
einer 2tägigen Dampferfahrt erfolgt, wird Gelegenheit geben, 
gemeinsam die schönsten Punkte der sächsischen Schweiz zu be¬ 
suchen. ;— Die.Kosten der ganzen Reise, _welche^etwa_10 Tage in 
Anspruch nimmt, betragen für Verpflegung, Quartier und Fahrt exclusive 
Getränke 150 Mark. Die Maximaltheilnehmerzahl ist auf 400 fest¬ 
gesetzt, so daß es sich dringend empfiehlt, Meldungen zur Theil- 
nahme baldmöglichst an den Generalsecretär Herrn Dr. W. II. Gilbert, 
Baden-Baden, zu richten. 

(Statistik.) Vom 25. bis inclusive 31. Mai 1902 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 7503 Personen behandelt. Hievon worden 1664 
entlassen; 186 sind gestorben (1005°/q des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 67. egypt. 
Augenentzündung 5, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 1, Dysen¬ 
terie —, Blattern —, Varicellen 41, Scharlach 102, Masern 499, Keuchhusten 72, 
Rothlauf 51, Wochenbettfieber 6, Rötheln 37, Mumps 22, Influenza —, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 722 Personen gestorben 
(—36 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Deutschbrod der Stadt- 
und em. Bahnarzt Dr. S. Vondörfer im 82. Lebensjahre ; in Berlin 
Geh. San.-Rath Dr. Siefart, 82. Jahre alt; in London Dr. William 
MillerOrd, der bekannte Myxödemforscher, im Alter von 68 Jahren; 
in New-York der Erfinder der Goldkrone in der Zahnheilkunde 
Dr. Cassius Richmond im 58. Lebensjahre. 


Salvator-Lithion-Quelle. Herr Prof. Dr. Friedbich v. Koranyi, Director 
der Klinik für innere Krankheiten in Budapest, schreibt: „Ich habe die 
Salvator-Quelle seit mehreren Jahren in meiner Klinik, sowie auch in meiner 
Privatpraxis bei einer großen Zahl von Kranken angewendet und als sehr 
nützlich befunden: 

Bei chronischen Katarihen des Nierenbeckens und der Harnblase, in 
welchen Affectionen die Zusammensetzung des Harns rasch einer günstigen 
Aenderung zugeführt wurde und die Harnbeschwerden beseitigt wurden, so 
daß die Kranken oft schon ohne jede andere Medication genasen. Ebenso 
nützliche Anwendung findet Salvator bei chronischem Magenkatarrh und hat 
hier noch den Vorzug, auch von dem empfindlichsten Magen gut vertragen 
zu werden. 

Bei allen jeren Krankheiten, welche mit Bronchialkatarrhen ein- 
hergehen, ist Salvator von sehr guter Wirkung, dehn es befördert die Secretion 
und Expectoration des Schleimes. In sehr ausgedehntem Maße wandte ich 
Salvator bei Tuberculosis an, und zwar je nach Umständen kalt oder warm, 
unvermischt oder mit Milch gemengt, und erreichte damit alle Erfolge, die 


bei dieser Krankheit im Allgemeinen durch den Gebrauch alkalischer Säuerlinge 
erzielt werden. 

Der Gehalt an Natronsalzen und die bedeutenden Mengen Lithion und 
Borsäure dieser Quelle ließen schon in vorhinein darauf schließen, daß durch 
den Gebrauch des Wassers eine gesteigerte Sanerstoffaufnahme, Beförderung 
der Verdauung und erhöhte Auslaugung von Harnsäure erzielt wird. 

Dieses Mineralwasser hat sich mir auch factisch vorzüglich wirksam 
erwiesen in jener Gruppe von Krankheiten, welche hauptsächlich aus reich¬ 
licher Ernährung neben bequemer Lebensweise und ungenügender Bewegung 
entstehen und mit Abdominal-Plethora, Leberhyperämie und Hämorrhoidal- 
zusländen beginnen, bei bestimmter individueller Prädisposition zur harnsauren 
Sand- und Steinbildung und unter anderen Bedingungen zur wahren Gicht 
führen.“ 


Eingesendet. 

Wiener Club für Geschichte der Medicin. 

Die Gefertigten unterbreiten allen Freunden der Geschichte der Medicin 
in Oesterreich-Ungarn den Antrag auf Gründung eines wissenschaftlichen 
Vereins unter dem genannten Titel mit folgendem Zweck: 1. Persönliche An¬ 
näherung, 2. gegenseitiger Meinungsaustausch, 3- gemeinsame Arbeiten, 
4. Hebung des darniederliegenden Verständnisses für den Gegenstand, 5- Ver¬ 
breitung und Unterstützung des Interesses für denselben. Eine endgiltige 
Entscheidung soll erst nach Einholung* des Urtheils der Collegen getroffen 
werden. Zuschriften über die Durchführbarkeit, den Sinn, Zweck und Werth 
eines derartigen Unternehmens wollen an einen der Antragsteller gerichtet 
werden. 

Docent Dr. Neuburger, Wien, VI/1, Kollergerngasse 3. 

Docent Dr. Ritter v. Töply, k. u. k. Stabsarzt, Wien III/l, Barichgasse 3. 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 


Die Rubrik: „Erledigungen , ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite, 


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Anaemie, Scrophulosis, Rhachitis, Resorption von Exsudaten, Fluor albus, Dis¬ 
position zu Abortus, partiellen Paralysen, Paresen, Gicht, Rheumatismus, Podagra, 
Ischias und Haemorrhoiden. 

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Franzensbad, Wien, Karlsbad, Budapest. 


Verlag von August Hirschwald in Berlin. 


Soeben ist erschienen die 1. Abtheilung: 

Jahresbericht 

Uber die 

Leistungen und Fortschritte 

in der 

gesammten Medicin. 

Unter Mitwirkung zahlreicher Gelehrten 
berausgegebep von 1{ n <1 o II* V i l* c li o "vr. 

Unter Redaction von C. Posner. 

36. Jahrgang. Bericht für das Jahr 1901. 2 Bände (6 Abtheilungen). 
-Preis des Jahrgangs 37 M. - 


Dr. Coen’s Heilanstalt für Spraclikranke 

— Wien, IX., Garnisongasse 4. . . : 


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Wien, den 15. Juni 1902. 


Nr. 24. 


XL1II. Jahrgang. _ 

uie „Wit-uer Medizinische Presse" erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart-Fonnat stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik', letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse“ 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Heiru Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 


Wiener 


Abonnementr.preise: „Wiener Mediz. Presse' mit „Allgem. 
Militäräiztlicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
20 K, halbj. 10 K, viertel]. 5 K. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertel.]. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk., halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 K\ Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die zspaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. = 60A berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein 
Sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „wiener Mediz. Presse“ in Wien, I, Maximilianstr.4. 


Medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Organ für praktische Aerzte. 

-»OS©.- 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


Hedaction: Telephon Nr. 13.849. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Administration: Telephon Kr. 9104. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Aus der chirurgischen Abtheilung des k. k. Kaiser Franz Josefspitales in Wien (Vors'and: Primarius 
Doc. Dr. Julius Schnitzler). Die typischen Rißfractureu dei Fersenbeines. Von Dr. Ernst Fuchsig, Assistenten der Abtheilung, — Ein geheilter Fall 
von otitischer Sinus- und Jugularisthrombose mit metastatischem Lungenabsceß. Von Doc. Dr. Ferdinand Ai.t in Wien. — Therapiut'sche Notiz über 
Hedonal. Von Prof. Dr. Joh. Fritsch in.Wien. — Aus der inneren Klinik der Jagell. Universität in Krakau (Director Hofrath Professor Dr. Eduard 
R. v. Korczvnski). Zur Kenntniß des Stoffwechsels bei Osteomalacie. Von Doc. Dr. L. R. v. Korczynski. — Referate. C. A. Ewald (Berlin): Znr 
Diagnostik des Sanduhrmagens. — Kakewsky (Berlin): Ueber Gallensteinileus. —' E. Kiirkndorfer (Innsbruck): Beitrag zur tubaren Sterilität. 
Waldemar Loewentual (Berlin): Versuche über die körnige Degeneration der rothen Blutkörperchen. — Edm. Rose (Berlin): Die Untersuchungs¬ 
methode Bauchkranker auf Wurmfortsatzentzündung. — E. Fagenstecher (Wiesbaden): Ueber Ascites chylosus. — Johann 1’lesch (Ofen-Pest): 
Ueber ein verbessertes Verfahren der Percussion. — Illyes und Kövksi (Budapest): Der Verdünnungsversnch im Dienste der functionellen Nieren¬ 
diagnostik. — Ed. Schaerz (Straßburg): Neue Beobachtungen über die wirksamen Stoffe des Guajakholzes und Guajakharzes. — WalterSchild 
(Berlin): Das Atoxyl (Melaarsensäureanilid), ein neues Arsenpräparat und dessen dermatotherapeutische Verwendung. — Voigt (Dresden): Die 
vaginale Anwendung der BRAUN’schen Blase in der Geburtshilfe. — Cacace (Neapel): Die Bakterien der Schule. Bakteriologische Untersuchungen, 
ausgeführt an dem Staube der Normalschule zu Capua. — Schultz-Schultzenstein (Greifswald): Zur Kenntniß der Einwirkung des menschlichen 
Magensecretes auf Choleravibrionen. — Kleine Mittheilnngen. Zur Behandlung der acuten Nierenentzündungen. — Protargollösung. Ueber 
die physiologische Wirkung aus der Schilddrüse gewonnener Präparate. — Aristol. — Ergotin als Prophylacticum beim Puerperalfieber. 
Desinfeclionsmittel. — Indicationen der Bauchmassage. — Behandlung der Eklampsia puerperalis. — Ueber den Einfluß verschiedener Körperlagen 
auf die motorische Function des Magens. — Literarische Anzeigen. Herzkrankheiten mit besonderer Berücksichtigung der Prognose und der 
Therapie von Sir William H. Broadhent. — Encyelopädie der gesammten Chirurgie. Herausgegehen von Prof. Dr. Theodor Kocher in Bern in Ver¬ 
bindung mit Dr. F. da Quervain in La Chaux-de-Fond s. — Feuilleton. Zur Revision des österreichischen Arheiter-Unfallversichcrungsgesetzes. 
Von Dr. Anton Bum. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. 31. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Gehalten zu Berlin, 
2.-5. April 1902. (Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) VII. — Gesellschaft für innere Medictn in Wien. 

—i—H 1 * 4 " -B a na ütmte. —rFirg?gftw' l o ti —— Q ffwa . O o r re BpoBi leRi w-il ar .. R aflactioa. ,nn.d.^Ld min ia Ua t>ft>» - AftMtl iche 

Stellen. — Anzeigen. 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur 


unter vollständiger Angabe der Quelle „Wiener Medizinische Presse u gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 


Aus der chirurgischen Abtheilung des /»•. Kaiser 
Franz-Josefspitales in Wien (Vorstand: Primarius 
Doc. I)r. Julius Schnitzler). 

Die typischen ßißfracturen des Fersenbeines. 

Von Dr. Ernst Fuchsig, Assistenten der Abtheilung. 

Die Lehre von den Fersenbeinbrüchen, die bis vor gar 
nicht langer Zeit noch als selten galten, ist im letzten 
Decennium durch die Unfallgesetzgebung und die 
Radiographie bedeutend gefördert worden. 

Man unterschied seit langem diese Brüche nach dem 1 
Mechanismus des Entstehens in Rißbrüche und Zer¬ 
trümmerungsbrüche und stellte sich ursprünglich vor, 
daß erstere, von denen allein hier die Rede sein soll, durch 
excessive Contractur der Wadenmusculatur zustande kommen. 

Die Vorstellungen über die anatomischen Verhältnisse 
dieser Bruchform stützten sich auf einzelne Sectionsbefunde, 
einzelne Autopsien in vivo gelegentlich ausgeführter Ope¬ 
rationen zwecks Adaption der Fragmente, hauptsächlich aber 
auf die wohl nicht ganz verläßlichen Palpationsbefunde. 

Man nahm nach diesen Befunden an, daß durch die 
Contraction der Wadenmusculatur der Fersenhöcker quer 
gebrochen würde und dann dem fortwirkenden Zuge der 
Achillessehne nach oben folge; oder aber, daß die Achilles¬ 
sehne ein mehr oder weniger großes Stück aus dem oberen 
Theile des Fersenhöckers ausreiße. Dachte man sich ursprüng- 1 
lieh die Action der Wadenmusculatur als das allein wirksame, 
so hat Maydl *) der im Jahre 1883 die damals bekannten 

') Maydl, „Deutsche Zeitschr. f. Ohir.“, Bd. 18, pag. 117. 


Rißfracturen des Fersenbeines, 18 an der Zahl, zusammen¬ 
stellte, sich dahin geäußert, daß beim Zustandekommen dieser 
Brüche zwei Factoren im Spiele wären, „eine gewollte 
oder reflectorische Muskelaction, überwunden 
durch eine im Körpergewichte gelegene Kraft“. 

Gelegentlich der Vorstellung eines Falles von querer 
Fractur des Fersenhöekers erörtert Gussenbauer 2 ) im Jahre 
1888 ausführlich diesen Mechanismus in gleicher Weise. 

Er berücksichtigt beide Kraftcomponenten, deren Resultat 
die Rißfractur ist, einerseits die Action der Wadenmusculatur, 
andererseits die entgegen wirkende Körperlast. Beide Kräfte 
greifen an einem zweiarmigen Hebel, dessen Stützpunkt im 
Sprunggelenke liegt, an; doch verhalten sieh die Längen der 
beiden Hebelarme, an denen die ungleichförmigen Kräfte 
angreifen, wie 1 :3. Danach ist nicht die in der Waden- 
musculaturcontraction gelegene Kraft die causa efficiens, 
sondern die in der Körperlast gelegene, am dreimal längeren 
Hebelarme angreifende, absolut genommen, auch größere Kraft. 

Mit dem Inkrafttreten des Unfallversicherungsgesetzes 
mehrten sich die Mittheilungen über Calcaneusfracturen so 
bedeutend, daß man bald zur Einsicht kam, daß nur mangel¬ 
hafte Beobachtungen die Ursache der angenommenen Selten¬ 
heit der Calcaneusfracturen sein konnten, daß diese vielmehr 
eine ziemlich häufige Verletzungsform waren. 

Im Jahre 1896 konnte Golebiewsky 3 ) über 59 eigene 
Beobachtungen berichten und Ehret 4 ) diesen weitere 47 Fälle 

2 ) Gussenbauer, Ueber die Behandlung der Rißfracturen des Fersen¬ 
beines. „Prager med. Wochenschr.“, 1898, Nr. 18. 

8 ) Golebiewsky, Ueber Calcaneusfracturen. „Archiv f. Unfallheilkunde“, 

Bd. I, pag. 1. _ . 

*) Ehret. Zur Lehre vom Fersenbeinbruch. „Archiv f. Unfallheil¬ 
kunde“ , Bd. I. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 24. 


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von Fersenbeinbrüchen hinzufügen. Beide stehen der Lehre 
von der Rißnatur der queren Brüche des Fersenhöckers sehr 
skeptisch gegenüber, ja Golebiewsky leugnet sie entschieden, 
indem er behauptet, daß beim Zustandekommen dieser Bruch¬ 
formen immer directe Gewalten, Aulfallen auf die Ferse, im 
Spiele seien, daß die Dislocation des hinteren Bruchstückes 
nach oben erst secundär erfolge. 

Infolge ihres ablehnenden Verhaltens gegenüber den 
Rißbrüchen haben beide die althergebrachte Eintheilung in 
Rißbrüche und Zertrümmerungsbrüche aufgegeben und theilten 
die Fersenbeinbrüche in solche des Körpers und solche 
der Fortsätze ein. 

Aber kaum 2 Jahre später wurden Beobachtungen mit- 
getheilt, welche, gestützt auf Radiogramme, zeigten, daß es 
wahre Rißfracturen des Caleaneus in der That gibt, daß 
dieselben aber bisher verkannt wurden. Den ersten Fall ver¬ 
öffentlichte Porges. 6 ) 

„Ein kräftiger Mann war über fünf Stufen einer leiterartigen 
Stiege, über welche er, den Rücken stiegenwärts gekehrt, herab¬ 
stieg, heruntergerutscht, wobei er auf die Ferse des rechten Fußes 
auffiel. Gleich nach der Verletzung war er nicht mehr imstande, 
auf dem rechten Fuß aufzutreten. Der Hinterfuß schwoll stark an. 

Porges, dem der Fall erst 4 Monate nach der Verletzung 
zugeführt wurde, coDStatirte, daß der Patient sehr vorsichtig auf 
die ganze Sohle auftrat und den Fuß im Sprunggelenke nicht 
abrollte. 

Die Untersuchung ergab gleiche Distanz der Malleolen beider¬ 
seits, Verbreiterung der Distanz zwischen den Furchen zu beiden 
Seiten der Achillessehne auf der verletzten Seite um 2 Cm. Bei 
der Betastung der Fersenbeingegend zeigte sich, daß der Fersen¬ 
beinhöcker, besonders in der Richtung von unten nach oben 
wesentlich größer war als links. In der ganzen Gegend des Fersen¬ 
beines ließ sich nirgends eine abuorme Beweglichkeit oder ein 
Crepitationsgeräusch nach weisen. Die radiographische Unter¬ 
suchung ergab „eine Fractur des Höckers des Caleaneus 
in horizontaler Ebene. Der Fersenhöcker war wie ein ge¬ 
öffneter Entenschnabel aufgeklappt“. 

In dem zweiten, von Duffier und Desfosses 6 ) mitgetheilten 
Falle hatte sich der Patient die Verletzung durch Fall auf die 
Füße aus 1*5 Meter Höhe zugezogen. Es fand sich im Roentgenbilde 
eine schräg von h i n ten unten nach vorne oben verlaufende 
Bruchlinie. Das obere Fragment war nach oben geklappt und 
drohte die Haut zu durchbohren. Flexion und Extension im Sprung¬ 
gelenke waren frei. Die Fractur wurde bloßgelegt, die Fragmente 
durch Naht vereinigt, doch kam es zur Eiterung und Exfoliation 
des oberen Fragmentes. Trotzdem war schließlich das functionellc 
Resultat ein befriedigendes. 

Helbing 7 ) berichtet folgenden Fall. 

„Eine 57jährige Dienstmagd war, auf einem Stuhle stehend, 
mit einem Fuße nach rückwärts getreten, in dem Glauben, der 
Fuß würde beim Aufsetzen noch den Stuhlsitz erreichen. Statt 
dessen war sie mit den Fußspitzen auf den Fußboden gekommen. 
Vor Schmerz stürzte sie sofort zusammen, konnte sich aber bald 
wieder aufrichten und auch, wenngleich nur unter heftigen Schmerzen, 
gehen. An der kräftig gebauten Patientin konnte folgender Befund 
erhoben werden: An der Stelle der Insertion der Achillessehne 
fand sich eine circa 2 Cm. im Durchmesser betragende, flach 
prominente Geschwulst, welche die Furchen’ zu beiden Seiten der 
Achillessehne ausglich. Nach oben wurde sie begrenzt durch einen 
scharfen, queren Vorsprung, über welchem die Haut durch den 
Druck von innen her anämisch geworden war, sich verdünnt hatte 
und perforirt zu worden drohte. An diesem Vorsprunge inserirte 
die Achillessehne. Auch bei maximaler Plantarflexion war eine 
Annäherung der beiden Fragmente nur um ein ganz Geringes 
möglich. Ließ man mit dem Drucke auf die Fragmente nach, so 

6 ) Poroks, Rißfractur dos Caleaneus. „Wiener klin. Wochenschr.“, 
1698, Nr. 8. 

6 ) Duffier und Desfosses, ref. im „Centralbl. f. Chir.“, 1899. 

7 ) Helbino, Ueber Rißfracturen des Fersenhöckers. „Deutsche Zeitsehr. 

f. Chir.“, Bd. 58, pag. 489. 


federten dieselben wieder leicht auseinander. Da keine besondere 
functionelle Schädigung in der Bewegung des Fußes bestand, be¬ 
gnügte man sich nach gründlicher Desinfection damit, durch Heft¬ 
pflasterstreifen einer weiteren Dislocation der Knochenfragmente 
entgegenzuwirken. Zugleich wurde der Fuß in mäßiger Plantar¬ 
flexion in Gips gelegt. 

Das Radiogramm bot folgende Details: Die Bruchlinie beginnt 
unmittelbar unterhalb des Ansatzes der Achillessehne, 
verläuft in einem Winkel von 45° von hinten unten nach 
vorne oben und hat eine Länge von circa 35 Cm. Die Conti- 
nuität des Knochens ist in der Verlängerung der Fracturlinie noch 
in einer Ausdehnung von 2*5 Cm. erhalten. Bemerkenswerth ist, 
daß die Richtung der Bruchlinie genau mit der Anordnung 
des Bogensystems in der Spongiosa des Caleaneus 
übereinstimmt. 

Vier Wochen nach dem Unfälle konnte Patient geheilt ent¬ 
lassen werden. Zu dieser Zeit war eine knöcherne Callusbildung ain 
Roentgenbilde noch nicht nachweisbar. 

Ein 6 Monate nach der Verletzung angefertigtes Radiogramm 
zeigte, daß das obere Fragment unter dem dauernden Zuge der 
Achillessehne noch um 1 / 2 Cm. nach oben gewandert war. 

Patientin hatte auch bei längerem Gehen kein Ermüdungs¬ 
gefühl oder Beschwerden im rechten Bein.“ 

Nach dieser Publication Helbing’s, der darin auf das Typische 
dieser Bruchform nachdrücklichst aufmerksam macht und die Noth- 
wendigkeit der Beibehaltung der alten Eintheilung in Riß- und 
Zertrümmerungsbrüche betont, hat noch Mertens 8 ) einen 
hieher gehörigen Fall veröffentlicht. 

Ueber die Aetiologie des Falles ist in der Publication 
nichts gesagt, die Bruchform folgendermaßen geschildert: 

„Unsere Roentgenphotographie zeigt als einzige Veränderung 
am Fersenbein das etwas über 3 Cm. lange und fast 1 Cm. breite, 
von der hinteren und oberen Fläche abgerissene Knochenstückchen, 
welches um 1*5 Cm. nach oben dislocirt worden ist. Die Bruch¬ 
linie beginnt an der hinteren B’läche des Calcaneas, ungefähr 
entsprechend der Insertionsstelle der Achillessehne 
und verläuft in fast gerader Richtung schräg nach oben und vorn, 
nicht parallel denKnochenbälkchen derSubstantia 
spongiosa.“ 

Diesen vier in der Literatur auffindbaren Fällen von 
wahren Rißfracturen des Fersenhöckers kann ich zwei eigene 
Beobachtungen hinzufügen: 

Fall I. Ein 41 jähriger, sonst gesunder Dachdeckergehilfe 
stürzte infolge seitlichen Umkippens der Leiter, auf deren dritter 
Stufe er stand, herab und fiel mit dem linken Fußballen auf. Den 
liegenden Patienten traf die nachstürzende Leiter mit einer Kante 
am inneren Rande des gleichen Fußes. Er verspürte einen heftigen 
Schmerz in der Ferse, konnte mit dem verletzten Fuße nicht mehr 
auftreten. Der Hinterfuß schwoll bald mächtig an, weswegen 
Patient, etwa 24 Stunden nach dem Trauma, unsere Abtheilung 
aufsuchte. 

Die Untersuchung ergab eine mäßige Verbreiterung 
des Hinterfußes; die Furchen zu beiden' Seiten der Achillessehne 
weniger ausgeprägt als links; der rechte B’ersenhöcker um fast 
Va Cm. höher als der linke. Der Abstand der Malleolen von der 
Sohle beiderseits gleich. Entsprechend dem Innenrande des B’ußes 
war eine bis an die große Zehe reichende, starke Suffusion sichtbar. 
Das B'ersenbein selbst war bei Druck auf die Unterfläche desselben 
sehr schmerzhaft. Die Bewegungen in dem oberen Sprunggelenke 
fast gar nicht, die im unteren Sprunggelenke mäßig eingeschränkt. 

Als Ursache dieses Befundes zeigte das Radiogramm 
(Fig. 1), das Herr Dr. Schick, Secundararzt der Abtheilung, an¬ 
fertigte, im Caleaneus eine der Faserung des Knochens 
parallele, das ist von hinten unten nach vorne oben verlaufende 
Bruchlinie, welche am Fersenhöcker knapp unterhalb des Ansatzes 
der Achillessehne beginnt, zuerst kurz horizontal und weiter in 
sanftem, nach oben convexem Bogen schräg nach vorne oben 

®) Mertens, Die Fracturen des Caleaneus. LANQENBECK’a Archiv, Bd. 64, 
pag. 899. 


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1125 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 24. 


1126 


verlauft, wo sie ungefähr */ 2 Cm. hinter der Gelenkfläche endigt. leichte Delle. Bei der Palpation constatirt man entsprechend der Delle 
Dadurch erscheint der Calcaneus in zwei ungleiche Hälften ge- einen Spalt im Knochen und das obere Knochenfragment nach oben 


spalten, welche am hinteren Spaltende ungefähr 1 / 2 Cm. von 
einander abstehen. 



Dieser radiographische Befund deckt die Ursache der Ver¬ 
breiterung der Hinterfläche des Fußes und der Höhendifferenz 
der beiden Fersenhöcker auf, während die starke Suffusiou am 
Innenrande des Fußes wohl mit dem secundären Trauma, dem 
Auffallen der Leiterkante, in Beziehung zu bringen ist. Mit Rück¬ 
sicht auf die geringe Dislocation der Fragmente begnügte man 
sich mit einer Fixation des Fußes in einem Blanbindenverbande, 
mit dem Patient auftreten und gehen konnte. Nach 14 Tagen 
wurde der Verband entfernt, eine Flanellbinde angelegt und Patient 
Uber eigenen Wunsch entlassen. Das Gehen war noch mühsam, 
da das Abrollen des Fußes im Sprunggelenke nicht glatt von 
statten ging. Druckempfindlichkeit und Schwellung waren ganz 
geschwunden. 

Fall II. Ein 54jähriger, ziemlich corpulenter Mann war im 
Mai 1901 beim Herunterateigen vom Kutschbocke eines Stell¬ 
wagens, aus Furcht, es bräche das Trittbrett, ungefähr l l / t Meter 
hoch abgesprungen. Beim Auffallen auf die Fußballen verspürte 
er sofort einen heftigen Schmerz in der rechten Ferse. Er kam 
daun auf die Abtheilung des Prof. Weinlechner, woselbst, nach 
einer mündlichen Mittheilung des Assistenten Herrn Dr. Kristinus, 
ein Bruch des Fersenbeines constatirt und von Prof. Weinlechner 
behufs Annäherung der Fragmente die Achillotenotomie ausgeführt 
worden war; darauf wurde der Fuß in einen fixirenden Verband 
gelegt. 

Im März 1902 wurde der Patient wegen einer Neubildung 
am Halse bei uns aufgenommen und machte uns bei der Unter¬ 
suchung auf den Fersenbeinbruch aufmerksam. 

Wie aus nebenstehender Photographie (Fig. 2) ersichtlich ist, 


dislocirt. Ueber diesem zeigt die 
Haut eine leichte Schwiele. Die 
näheren Details der Fractur zeigt 
das Roenfgenbild (Fig. 3). Man 
sieht eine von hinten unten nach 
vorne oben parallel den Knochen¬ 
lamellen verlaufende Bruchlinie, 
welche ungefähr 1 Cm. von der 
Grundfläche des Calcaneus, unter¬ 
halb deB Ansatzes der Achilles¬ 
sehne beginnt und etwa 2 Cm. 
hinter der Gelenkfläche endigt. 
Das obere Fragment ist stark 
dislocirt, so daß ein dreieckiger 
Spalt im Knochen besteht; die 
Distanz zwischen den beiden 
Fragmenten beträgt hinten etwa 
"2 Cm. Die Bewegungen des Fußes 
sind frei, nicht schmerzhaft, nur 
die Plantarflexion ist etwas ein¬ 
geschränkt. Boi Druck auf das 
Fersenbein ist dasselbe hinten 
noch etwas empfindlich, ans diesen 
beiden Gründen der Gang des 
Patienten etwas unsicher. 

,g ' Weiters wurden mir zwei 

Fälle von Rißfractur des Fersen¬ 
beines von Herrn Dr. Gustav Kaiser zur Verfügung gestellt, 
wofür ich ihm meinen besten Dank sage: 





Fall III. J. R., Kaufmann, 42 Jahre alt, stürzte von einer 


ist die rechte Ferse anders configurirt als die linke. Der Fersenhöcker Geschüftsstellage herab und fiel mit den Fußspitzen zuerst auf. 

ist höher und die darüber liegende Haut bildet über seiner Mitte eine Er konnte gleich mit dem Fuße nicht mehr auftreten. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 24. 


1130 


zu husten, die Exspirationsluft hatte einen sehr üblen Geruch. Es 
war zweifellos, daß im rechten Unterlappen ein metastatischer Herd 
bestehe. An den folgenden Tagen hielt sich die Temperatur um 38‘5° 
herum. Das subjective Befinden war nicht schlecht, doch nahm die 
Dämpfung zu und wurde etwa handtellergroß. Der Hustenreiz 
wurde stärker, ebenso der Foetor ex ore, der Krauke expectorirte 
kein Sputum, die erhoffte Entleerung des Abscesses nach außen, 
die eventuell zu einer Spontanheilung hätte führen können, blieb 
aus, eine Eröffnung des Abscesses war noth wendig, um den 
Krankheitszustand auszuheilen. 

Am 1. April, 14 Tage nach der Jugularisunterbindung, nahm 
der Chirurg des Kinderspitals, Doc. Dr. Karl Funke, die Ope¬ 
ration an der Lunge vor. Rechts hinten auf der Höhe der 6. Rippe 
wurde eine Rippenresection vorgenommen, die freigelegte Pleura 
in einem Kreise an die Lunge genäht, incidirt und nach außen 
geschlagen. Bei der Probepunction des rechten Unterlappens füllte 
sich die Pravazspritze mit Eiter. Die Incision der Lunge wurde 
mit dem Paquelin vorgenommen; es waren noch zwei Probe- 
punctionen nothwendig, um sich über den Sitz des Abscesses 
genau zu orientiren. Sodann wurde mit dem Paquelin weiter vor¬ 
gegangen, ein etwa kleinapfelgroßer Absceß eröffnet, worauf sich 
jauchiger Eiter entleerte. Die Wundhöhle wurde mit Jodoformgaze¬ 
streifen taraponirt und verbunden. 

Die von Herrn Prosector Dr. C. Sternhebg vorgenommene 
bakteriologische Untersuchung des Eiters ergab iu 
Deckglaspräparaten reichlich kurze Ketten von Streptococcus, 
daneben spärlich schlanke dünne Stäbchen; das Culturverfahren 
ergab den Streptococcus pyogenes in Reincultur. 

Nach dem zweiten operativen Eingriff sank die Temperatur 
binnen 2 Tagen zu normalen Werthen herab, der Wundverlauf 
gestaltete sich normal; die Halswunde, die offen behandelt wurde, 
schloß sich binnen 3 Wochen vollständig, die Wunde über der 
Lunge war zur Zeit der Demonstration des Kranken in der k. k. 
Gesellschaft der Aerzte, 4‘/ 2 Wochen nach der Operation, voll¬ 
kommen geheilt. . . 

Der Fall beweist, daß die Unterbindung und Resection 
der Vena jugularis bei otitischer Sinus- und Jugularisthrom- 
bose das Auftreten neuer metastatiseher Herde mit ziemlicher 
Sicherheit verhindert, und daß schon bestehende Metastasen 
in der Lunge keine Contraindication für die Operation ab 
geben. Es können wohl metastatische Lungenabscesse otitischen 
Ursprungs durch Entleerung in die Bronchien, ja selbst durch 
Resorption zur Ausheilung gelangen, meist führen sie jedoch 
durch Pyo-Pneumothorax den Tod herbei. 

Im vorigen Jahre habe ich in einem Aufsatze „Ueber 
Unterbindung der Vena jugularis bei otitischer Sinusthrom¬ 
bose“ in der „Wiener klinischen Wochenschrift“ auf die 
glänzenden Resultate hingewiesen, welche die Otochirurgie 
bei otogener Pyämie erzielt. In der mir zugänglichen Literatur 
finde ich keinen Fall eines operativ geheilten, nicht in die 
Pleura durchbrochenen, otitischen Lungenabscesses verzeichnet, 
weshalb mir die Veröffentlichung dieser Daten wünschens- 
werth erschien. 

Therapeutische Notiz über Hedonal. 

Von Prof. Dr. Joh. Fritsch in Wien. 

Unter der stattlichen Zahl werthvoller Hypnotica, 
welche die letzten Jahrzehnte dem Arzneischatze geliefert 
haben, erfüllt kein einziges sämmtliche Anforderungen, die 
man billiger Weise an ein Schlafmittel zu stellen berechtigt 
und verpflichtet ist. Auch das neue Hypnotieum der Elber- 
felder Farbenfabriken, das Hedonal, ist noch gleich weit von 
dem Ideal eines solchen entfernt; immerhin scheint es den 
übrigen gebräuchlichen Präparaten gegenüber einen Vorzug 
zu besitzen, der es sehr wohl der Beachtung werth erscheinen 
läßt und auch für mich den Anlaß bot, einer Prüfung dieses 
Mittels näher zu treten, nämlich seine Unschädlichkeit. 


Die chemische Natur dieses Körpers, seine Verwandt¬ 
schaft mit dem altbekannten Aethylurethan, ließ von vorn¬ 
herein eine gewisse Harmlosigkeit erwarten, sein glatter Zer¬ 
fall zu Kohlensäure, Wasser und Harnstoff im Organismus ließ 
irgendwelche cumulative Wirkung ausgeschlossen erscheinen. 

Und in der That finden sich in der bereits recht statt¬ 
lichen Literatur *) über dieses Präparat aus Specialkreisen — 
psychiatrischen Kliniken, Irren- und Nervenheilanstalten — 
ebenso wie aus der allgemeinen Praxis nirgends ernstere 
oder gar bedenkliche Nebenerscheinungen verzeichnet. 

Ich habe das Hedonal in einer größeren Anzahl von 
Fällen — zumeist bei Neurasthenikern und in Fällen ein¬ 
facher depressiver Verstimmung — angewendet und kann nur 
berichten, daß die Resultate fast durchwegs zufriedenstellend 
waren. Ich beschränkte mich zunächst auf Einzelgaben von 
1 Grm.. mußte aber häufig die Dosis um einiges steigern und 
kann im Einklang mit Erfahrungen anderer Beobachter be¬ 
stätigen, daß eine Durchschnittsgabe von P5 Grm. ausreicht, 
um bei Fällen obiger Kategorie einen durch circa 6 Stunden 
anhaltenden Schlaf zu erzielen. Wohl aber ließ das Mittel 
in Fällen, in denen die Verstimmung mit Angst complicirt 
war, im Stich. Ueberraschend war die Wirkung bei einem 
schon etwas vorgeschrittenen Paralytiker, der längere Zeit 
hindurch an erheblicher Schlafstörung gelitten hatte und 
nach nur zweimaliger Anwendung des Mittels bisher (seit 
Monaten) von seiner Schlafstörung befreit blieb. 

Eine Nachwirkung des Hedonal wurde von einzelnen 
Patienten insoferne behauptet, als ein Gefühl von Ermattung 
angeblich am Tage nach der Verabreichung bestanden hat; 
in der überragenden Mehrzahl der Fälle kam eine solche 
nicht zum Vorschein; auch hat sich nie irgend eine üble 
Nebenwirkung, wie sie anderen Schlafmitteln oft anhaftet, 
gezeigt. 

Die meisten meiner Patienten zogen die Anwendung 
des Mittels in Oblaten vor, da dessen Geschmack etwas 
unangenehm empfunden wurde; der Effect des Mittels stellte 
sich gewöhnlich schon binnen 1 / i —*/ 2 Stunde ein. Nach meinen 
bisherigen Erfahrungen halte ich das Hedonal für ein durchaus 
bewährtes Hypnotieum, welches in Fällen einfacher Schlaf¬ 
losigkeit bei Neurasthenikern und leichteren Formen von 
Verstimmung sich mir sehr wirksam erwiesen hat. 


') Literatur: Dreser, Ueber ein neues Hypnotieum aus der Reihe 
der Uretliane, Vortrag, gehalten auf der 71. Vers. Deutsch. Naturf. u. Aerzte 
in München, Sept. 1899. — Goldmann, Ueber ein neues Hypnotieum aus der 
Gruppe der Urethane, das Hedonal. Vortrag in der Deutsch. Pharm. Gesellsch. 
am 5. April 1900. Ber. d. D. Ph. G., Heft 4, 1900. — Haas, Ueber ein neues 
Hypnotieum aus der Gruppe der Urethane, das Hedonal. Sammelref. „Allg. 
med. Central-Ztg.“, Nr. 48, 1900. — Neu, Ueber Versuche mit Hedonal a. d. 
Rhein. Prov.-Heil- und Pflegeanstalt Merzig a. d. Saar. „Psych. Wochenschr.“, 
Nr. 18, 1900. — Benedict, Klinische Erfahrungen über das Hedonal, a. d. 
I. med. Klinik der Univ. Budapest. „Therap. d. Gegenw.“, Nr. 9, 1900. — 
Förster , Ueber das Schlafmittel Hedonal, a. d. Prov.-Heil- u. Pflegeanst. in 
Bonn. „Psych. Wochenschr.“, Nr. 23, 1900. — Goldschmidt und Dittersdorf, 
Ueber Hedonal. „Deutsche Med.-Ztg.“, Nr. 91, 1900. — Haberkant, Ueber 
Hedonal, ein neues Schlafmittel aus der Gruppe der Urethane; a. d. Landes- 
Irrenanstilt in Roda (S.-A ). „Zeitschr. f. Psychiatr.“, Bd. 57, H. 7, 1900. — 
Horstmann , Therapeutische Mittheilung über Hedonal, a. d. Prov.-Irrenanst. 
Treptow a. Rh. „Psych. Wochenschr.“, Nr. 37, 1900. — Schuster, Ueber ein 
neues Schlafmittel aus der Gruppe der Urethane. „Deutsche med. Wochenschr.“, 
Nr. 23, 1900. — Nawratzki und Arndt, Ueber das Hedonal. „Therap. 
Monatsh.“ 1900, Juli. — Ennen , Mittheilung über ein neues Schlafmittel, 
Hedonal. „Psychiatr. Wochenschr.“, 1900, 18. — Neu, Ueber Versuche mit 
Hedonal. Ibidem. — Lenz, Ueber das Hedonal, ein neues Schlafmittel aus 
der Urethangruppe. „Wien. klin. Rundschau“, 1900, 35. — Menz, Ueber die 
Verwendung des Hedonal in der Psychiatrie. „Die Heilkunde“, 1900, 11.— 
Wedekind, Erfahrungen mit dem Hedonal, einem neuen Hypnotieum. „Deutsche 
Aerzte-Ztg. “, 12, 1900. — Arndt, Ueber Hedonal. „Therap. Monatsh.“, 1901, 
April. — Werner, Ueber Hedonal. „Therapie der Gegenwart“, September 1901- — 
L. Thaly . Erfahrungen über Hedonal. „Pester med.-chir. Presse“, 1901, 
Nr. 41. — Marberger, Ein neueres Hypnotieum: Das Hedonal. „Pester med.- 
chir. Presse“, 1901, Nr. 51—52. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 24. 


1132 


Aus der inneren Klinik der Jag eil. Universität in 
Krakau (Director JHLofrath Professor Pr. Eduard 
11. v. Korczynski). 

Zur Kenntniß des Stoffwechsels bei 
Osteomalacie. 

Von Doc. Dr. L. R. v. Korczynski. 

(Fortsetzung.) 

Zweiter Fall. 

A. Pauline aus Hubenice, 20 Jahre alt, keine Geburten. Die 
Krankheit soll seit dem Herbste 1899 dauern. Ihr Fortschritt soll 
langsam sein. Es kamen Perioden der Besserung und Verschlim¬ 
merung vor. Zum erstenmale verweilte die Kranke in der Klinik 
im Jahre 1901 vom 8. Mai bis 30. Juli. Die Behandlung bestand 
in der Verabreichung von Natrium salicylicum, Aspirin, Natrium¬ 
phosphat, Chloralhydrat. Es wurde eine ziemlich bedeutende Besse¬ 
rung erzielt. Kurz nach dem Austritt machte sich eine merkliche 
Verschlimmerung geltend. Zum zweitenmale ist die Kranke am 
25. November 1901 in die Klinik aufgenommen worden. Nur mit 
Mühe vermag sie ohne Unterstützung zu gehen. Keine Medicamente. 
Während des gegenwärtigen Aufenthaltes in der Klinik konnte 
keine merkliche Besserung festgestellt werden. 

I. Periode. 

Fleischkost. Frühstück: 300 Ccm. Thee, 10 Grm. 
Zucker, 50 Grm. Weißbrot, 150 Grm. Schinken, 20 Grm. Butter. 
Mittagessen: 300 Ccm. Fleischsuppe, 150 Grm. Beefsteak mit 
20 Grm. Butter gebraten, 25 Grm. Weißbrot, 10 Grm. Butter. 
Vesperbrot: 300 Ccm. Thee, 10 Grm. Zucker, 50 Grm. Schinken, 
25 Grm. Weißbrot, 10 Grm. Butter. Nachtmahl: 150 Grm. 
Kalbfleisch gebraten auf 20 Grm. Butter. Zum Salzen der Nahrung 
verwendete man täglich 10 Grm. Na CI. Die Kranke bekam täglich 
je 800 Ccm. Wasser aus der Wasserleitung. 

Zusammensetzung und Nährwerth obiger Kost: 

Eiweiß. 114-684 Grm. = 470-204 Calorien, 

Fett.90-2 „ = 338-86 „ 

Kohlehydrate . . 40"56 „ = 1664196 „ 

Zusammen . . . 1475'160 Calorien. 


Datum 

8-/12. 

9./12 

10-/12- 

11-/12. 

12./12. 

Zu¬ 

sammen 

Im 

Mittel 

1 Körpergewicht . . 

41% 

40 8 kg 

40-7 kg 

40'9 kg 

40‘8 kg 





(N . . . 

170523 17-0523 17-0523 

17-0523 

17-0523 

85-2615117-0523 

Zufuhr 

P 2 0 5 • 

37245 

3-7245 

3-7245 

3-7245 

3 7245 

186225 

3 72451 

• 


CaO . . 

05367 

0-5367 

05367 

05367 

0-5367 

2-6835 

05367 

Harnmenge . . . 

1150 

1250 

1165 

1315 

1090 

5970 

1194 

Snec. Gew. d. H. . 

1023 

1-021 

1-022 

1021 

1-0225 

— 

10219 


[ im Harn . 

14 9750 148747 

184180 

150626 

14-6058 

77-9361 

15-5872 


N im Kolli . 

11592 

11592 

11592 

1-1592 

11592 

5-7960 

P1592 


( zusammen 

16 1342 

16-0339 

19 5772 

16-2218 

15 7650 

83-7321 

16 7464 

-O 

Harnsäure . . 

0-9955 

1-0794 

1-0990 

09952 

0-9833 

5-1524 

1 0304 

Ö 

im Harn . 

1-8400 

2-0750 

1-9106 

1-9832 

1-8635 

9-6723 

1-9344 


J im Koth . 

T4592 

1-4592 

1 4592 

1-4592 

1-4592 

7-2960 

1-4592 


( zusammen 

3-2992 

35342 

33698 

34424 

3 3227 

16-9683 

3 3936 


[ im Harn . 

0-1840 

0-1987 

01910 

0-1985 

0-1763 

0-9485 

0-1899 


<& < im Koth . 

0-57181 0-5718 

0-5718 

0-5718 

0-5718 

2-8590 

0-5718 


zusammen 

0-7558 

0-7705 

0-7628 

0-7703 

0-7481 

3-8075 

07615 





+ 

— 

4* 

4* 

+ 

+ 



N . . . 

0-9181 

1-0184 

2-5249 

08305 

1-2873 

1-5294 

0-3058 


, 



+ 

+ 

4- 

+ 

+ 


1 

p 2 o 5 . 

0-4253 

0-1903 

03547 

0-2821 

0-4018 

1-6542 

0-3308 



CaO . . 

02191 

0-2338 

0-2261 

0-2336 

0-2114 

1-1240 

0-2248 


II. Periode. 

Gemischte Kost. Frühstück: 300Ccm. Thee, 10Grm. 
Zucker, 100 Grm. Schinken, 50 Grm. Weißbrot. Mittagessen: 
300 Ccm. Fleischsuppe, 150 Grm. Beefsteak, gebraten mit 20 Grm. 
Butter, 75 Grm. Reis, gekocht mit 200 Ccm. Milch, 10 Grm. 
Zucker, 25 Grm. Weißbrot. Vesperbrot: 100 Ccm. Milch, 


25 Grm. Weißbrot. Nachtmahl: 150 Grm. Kalbfleisch, gebraten 
mit 20 Grm. Butter, 50 Grm. Weißbrot. Zum Salzen der Nahrung 
verwendete man alltäglich 10 Grm. Na CI. Die Kranke erhielt 
täglich 800 Ccm. Wasser aus der Wasserleitung. 

Zusammensetzung und Nährwerth obiger Kost: 

Eiweiß. 101-968 Grm. =: 418-068 Calorien, 

Fett. 51-450 „ = 478-485 „ 

Kohlehydrate . . 158-300 „ = 649 030 „ 

Zusammen . . . 1519-557 Calorien. 


Datum 

15-/12- 

16./12. 

17./12. 

18./12. 

19./12. 

Zu¬ 

sammen 

Im 

Mittel 

Körpergewicht . . 

40 6 kg 

40 - 8 kg 

40-7 kg 

41 kg 

41 kg 





N . . . 

16-3452, 

163452 163452 163452 

16-3452 

81-7260 

163452 

Zufuhr 

p 2 o b • 

4-0893 

4-0893 

4-0893 

4-0893 

4-0893 

20-4465 

4-0893 



CaO . . 

1-0062 

1-0062 

1-0062 

10062 

1-0062 

50310 

10062 

Harnmenge . . . 

1223 

1355 

1160 

1380 

1200 

7318 

12636 

Spec. Gew. d. H. . 

1-021 

1021 

1-020 

1019 

1-020 

— 

1-0202 


f im Harn . 

14-9017 

16-2207 

14-7716 14-8037 

14-2934 

74-9911 

14-9982 


N | im Koth . 

1-3329 

1-3329 

1-3329 

1-3329 

1-3329 

66645 

1-3329 


1 zusammen 

16-2346 

17-5536 16-1045 16-1366 15 6263 

81-6556 16 3311 


Harnsäure . . 

09539 

0-5962 

0 5684 

07176 

0-8032 

3-6393 

0-7278 


->f im Harn . 

1-7122 

1-9783 

1-4868 

1-7388 

1-8265 

8-7426 

1-7485 


J im Koth . 

2-2014 

2-2014 

22014 

2-2014 

2-2014 

11-0070 

2-2014 


^ ( zusammen 

3.9136 

41797 

36882 

3-9402 

40279 

19-7496 

3-9499 


0 ( im Harn . 

01162 

0-1707 

0-1846 

01352 

0-1573 

0-7640 

01528 


a < im Koth . 

1-2832 

1-2832 

1-2832 

1-2832 

1-2832 

6-4160 

1-2832 


ü I zusammen 

1-3994 

1-4539 

1-4678 

1-4184 

1-4405 

7-1800 

14360 





— 

4- 

4- 

4~ 

4- 




N . . . 

01106 

1-2084 

0-2407 

0-2086 

0-7189 

0-0704 

0-1040 

1 


+ 

— 

+ 

— 

+ 

+ 

+ 


P t 0 5 . 

01757 

00904 

0-4011 

0-1491 

0-0614 

0-6969 

01393 



CaO . . 

0-3932 

0-4477 

0-4616 

04122 

04343 

21490 

04298 


III. Periode. 

Gemischte Kost. Frühstück: 300 Ccm. Thee, 10Grm. 
Zucker, 100 Grm. Schinken, 50 Grm. Weißbrot. Mittagessen: 
300 Ccm. Fleischsuppe, 150 Grm. Beefsteak, mit 20 Grm. Butter 
gebraten, 75 Grm. Reis, gekocht mit 200 Ccm. Milch, 10 Grm. 
Zucker, 25 Grm. Weißbrot. Vesperbrot: 100 Ccm. Milch, 
25 Grm. Weißbrot. Nachtmahl: 150 Grm. Kalbfleisch, gebraten 
mit 20 Grm. Butter, 50 Grm. Weißbrot. Zum Salzen der Nahrung 
verwendete man alltäglich 10 Grm. Na CI. Die Kranke erhielt 
täglich 800 Ccm. Wasser aus der Wasserleitung. 

Zusammensetzung und Nährwerth obiger Kost: 

Eiweiß. 101*968 Grm. = 418-068 Calorien, 

Fett. 51-450 „ = 478*485 „ 

Kohlehydrate . . 158*300 „ = 649-030_„_ 

Zusammen . . . 1519-557 Calorien. 


Datum 

5-/1- 

6./1. 

7-/1. 

8-/1- 

9./1. 

Zu¬ 

sammen 

Im 

Mittel 

1 

Körpergewicht . . 

43 kg 

42 8 kg 

43% 

42 9 kg 

42-9 kg 


. ... 



N . . . 

163452 

163452 

16-3452 

16-3452 

163452 

81-7260 16-3452 

Zufuhr 

P, o B . 

40893 

4-0893 

4-0893 

4-0893 

4 0893 

20-4465 

40893 



CaO . . 

1-0062 

1-0062 

1-0062 

10062 

1-0062 

50310 

1-0062 

1 Harnmenge Ccm. . 

1225 

1075 

1205 

1345 

1575 

6425 

1285 

iSpec. Gew. d. H. . 

1-018 

1020 

1-024 

PO 22 

1-021 

— 

1021 


( im Harn . 

13-4456 

13-2505 

16-5570 

161106 

156480 

750117 

15-0023 


N{ im Koth . 

1-4103 

1-4103 

1-4103 

1-4103 

1-4103 

7-0515 

1-4103 

1 u 

( zusammen 

148559 

14-6608 

179673 

175209 

17-0583 

82-0632 

16-4126 


Harnsäure . . 

! 0-6921 

0-6450 

1-2532 

09011 

1-0788 

4-5702 

0-9140 

B 

«[ im Harn . 

1-6425 

1-5426 

21690 

2-1520 

22365 

9-7436 

1-9487 


'~d im Koth . 

1-1892 

11892 

1-1892 

1-1892 

1-1892 

5-9460 

1-1892 


^ ( zusammen 

2-8317 

27318 

3-3582 

33412 

3-4257 

15-6896 

3-1379 


0 i im Harn . 

0-1504 

01498 

00964 

0-0896 

00630 

0-5492 

0-1098 


im Koth . 

08385 

0-8385 

0-8385 

08385 

0-8385 

4-1925 

0-8385 


ü 1 zusammen 

0-9889 

0-9883 

0-9349 

0-9281 

6-9015 

4-7417 

0-9483 




4- 

+ 

— 

— 

— 

— 

— 



N . . . 

1-4893 

1-6844 

1-6221 

1-1757 

07131 

0-3372 

<3-0674 



+ 

+ 

4- 

4 

+ 

+ 

+ 


p 2 o 5 . 

1-2576 

1-3575 

07311 

0-7481 

0-6636 

4-7569 

09513 

1 



+ 

4- 

4- 

+ 

4- 

4* 

4- 

1 


CaN . . 

0-0173 

0-0979 

0-0713 

0-0781 

0-1047 

0-2893 

0-0578 


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1133 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 24. 


1134 


IV. Periode. 

Gemischte Kost. Frühstück: 300 Ccm. Thee, 10 Grm. 
Zucker, 100 Grm. Schinken, 50 Grm. Weißbrot. Mittagessen: 
300 Ccm. Fleischsuppe, 150 Grm. Beefsteak, gebraten mit 20 Grm. 
Butter, 75 Grm. Reis, gekocht mit 200 Ccm. Milch, 10 Grm. 
Zucker, 25 Grm. Weißbrot. Vesperbrot: 100 Ccm. Milch, 
25 Grm. Weißbrot. Nachtmahl: 150 Grm. Kalbfleisch, gebraten 
mit 20 Grm. Butter. Zum Salzen der Speisen verwendete man all¬ 
täglich 10 Grm. Na CI. Die Kranke erhielt alltäglich 800 Ccm. 
Wasser aus der Wasserleitung. 

Vom 10. Januar bis 14. Januar erhielt die Kranke je 9, 
vom 14. Januar bis Ende der Periode je 6 Ovarialtabletten. 
Zusammensetzung und Nährwerth obiger Kost: 

Eiweiß. 101 968 Grm. = 418-068 Calorien, 

Fett. 51-450 „ = 478'485 „ 

Kohlehydrate. . . 158-300 „ = 649 - 030 „ 

Zusammen . . . 1519-557 Calorien. 


Datum 

14./1. 

15-/1. 

16-/1. 

17-/1. 

Zu¬ 

sammen 

Im 

Mittel 

Körpergewicht. 

42-9 kg 

43 kg 

43 2 kg 

43-3 kg 





N. 

16-3452 

16-3452 

16-3452 

163452 

65-3808 

16-3452 

Zufuhr 

P,O n . 

40893 

40893 

4 0893 

40893 

163572 

4 0893 



CaO. 

1-0062 

1-OC62 

10062 

10062 

4-0248 

1 0062 

Harnmenge. 

1365 

1505 

1445 

1125 

5420 

1355 

Spec. Gew. d. H. 

1-021 

1-020 

1-020 

1-022 

— 

1-02O7 


( 

im Harn .... 

14-9822 

15-4653 

16-4267 

14 1120 

609862 

15-2465 


N 

im Koth .... 

1-4963 

1-4963 

1-4963 

1 4963 

5-9852 

1-4963 



zusammen . . 

16-4785 

169616 

17 9230 

156083 

669714 

16-7428 


Harnsäure . 

0-6620 

10115 

1-2282 

0-6412 

3-5429 

0 8857 



im Harn .... 

2-0065 

1-8361 

1 9652 

1-6274 

74352 

1-8588 



im Koth .... 

1-4023 

1-4023 

1-4023 

1-4023 

5-6092 

1-4023 



zusammen . . . 

3-4088 

3-2384 

3-3675 

30297 

130444 

3-2611 


o 1 

im Harn .... 

0-2167 

0-2368 

00679 

0-0527 

0-5741 

0-1435 


* 

im Koth .... 

0-9544 

0 9544 

0-9544 

0 9544 

3-8176 

0-9544 


ü l 

zusammen . . . 

11711 

11912 

10223 

1-0071 

4-3917 

1-0979 



N. 

0-1333 

0-6164 

1-5778 

0-7369 

1-5906 

03976 



+ 

+ 

+ 

+ 

+ 

+ 



P„ 0.. 

06805 

0-8509 

07218 

10596 

33128 

0-8282 



Ca 0. 

01649 

0-1850 

00161 

0-0009 

03669 

0-0917 




(Fortset 

zung toi 

gf) 





Referate. 

C. A. Ewald (Berlin): Zur Diagnostik des Sanduhr¬ 
magens. 

Die Diagnose des Sanduhrmagens gründete sich bisher wesent¬ 
lich auf folgende Momente: 

1. Auf die auffällige Erscheinung, daß in den Magen ein¬ 
gegossenes Wasser mit dem Magenschlauch nicht wieder herauszu¬ 
holen ist (kann auch bei Incontinentia pylori eintreten). 

2. Gegen Ende einer Magenausspülung kommt es, nachdem 
das Spülwasser klar abgeflossen ist, plötzlich zu neuerlicher Ver¬ 
unreinigung desselben durch Verdauungsrückstände. 

3. Das eigenthümliche Verhalten des Magens nach Luftein¬ 
blasung ; es bläht sich zuerst die eine Hälfte auf, dann die andere. 

4. Bei der Peristaltik tritt gelegentlich eine deutliche Ein¬ 
schnürung des Magens auf. 

Diese Zeichen hat E. um zwei Maßnahmen vermehrt („Fest¬ 
schrift f. Kussmaul“) : 

1. Nachdem der Magen ausgiebig mit Wasser gefüllt ist, 
wird das Gastrodiaphan eingeführt. Dasselbe durchleuchtet nur den 
Cardiatheil, während der Pylorustheil dunkel bleibt. 

2. An das Ende eines Magenschlauches werden Blasen aus 

sehr dünnem Gummi gebunden, welche sich, aufgeblasen, der 
Magenwand allenthalben anlegen. Eine solche „Magenblase“ bleibt 
bei einem Sanduhrmagen in der vorderen Abtheiluug sitzen ; man 
kann sie mit aller Deutlichkeit links fühlen und nicht nach rechts 
hinüberschieben. B. 


Karewsky (Berlin): Ueber Gallensteinileus. 

Die Diagnose auf Gallensteinileus ist nur selten mit Sicher¬ 
heit zu stellen. Wir werden nicht anders verfahren können als 
sonst bei Darmocclusion mit unsicherer Ursache („Deutsche med. 
Wsclir.“, 1902, Nr. 12), und in jedem Ueusfall, der das Charak- 
teristicum des Obturationsileus hat, also eventuell ein Gallenstein¬ 
ileus sein kann, zunächst die unblutigen Methoden versuchen. Da 
es sich meist um hochsitzende Hindernisse handelt, die wegen des 
Kräfteverfalles die schlechteste Prognose geben, so sind wir ver¬ 
pflichtet, frühzeitig zur Operation zu rathen, und zwar umso 
mehr, wenn die Verrauthung einer Gallensteineinklemmung nahe¬ 
gelegt ist. Wenn auch eine große Zahl derartiger Vorkommnisse 
spontan oder durch die Kunst des conservativ verfahrenden Arztes 
einen günstigen Ausgang hat, so hat längere Einklemmung von 
Gallensteinen so schwere Bedenken gegen sich, daß nur ein 
schneller Nachlaß der bedrohlichen Symptome erlaubt, die Opera¬ 
tion hinauszuschieben. Mit den großen Fortschritten der Abdominal¬ 
chirurgie haben sich während der letzten 10 Jahre auch die 
Chancen der Operation bei Gallensteinileus so gehoben, daß die 
Resultate der operativen Behandlung der schweren Fälle genau so 
gute sind, wie die der leichteren Erkrankungen, welche für die un¬ 
blutige Therapie geeignet schienen. Man soll also wie bei jedem 
Ileusfall, so auch beim Gallensteinileus das Messer rechtzeitig zur 
Hand nehmen, um, sobald die Magenaussptilung, die hohe Eingießung, 
das Opium und das Atropin keinen auffälligen Nachlaß der Er¬ 
scheinungen geschaffen haben oder sobald dieselben sich von neuem 
verschlimmern, durch die Laparotomie die Ursache und den Sitz 
des Hindernisses zu eruiren und eventuell den Stein durch eine 
Incision des Darmes herauszubefördern. Diese blutige Extraction 
des Fremdkörpers ist sicherlich nicht bedenklicher als die Anwen¬ 
dung der Massage, welche den schon ulcerirten Darm zum Platzen 
bringen kann, und die capilläre Aspiration Curschmann’s, infolge 
deren man aus dem gelähmten Darm selbst bei feinster Oeft'nung 
hat Koth in die Bauchhöhle treten sehen. Hat man aber laparoto- 
rairt, so wird man gewiß auch die Eröffnung des Darmes nicht 
scheuen und etwa, wie es von Manchen empfohlen wird, den 
beweglichen oder gelockerten Stein ins Colon schieben — da er 
ja auch dort nicht mit Sicherheit weiterbefördert wird. Selbst be¬ 
ginnende Peritonitis ist keine Contraindication. Die Operation kann 
auch dann noch zum Ziel führen, sie wird aber vergeblich sein, 
wenn bei schon lange hingezogenen Erscheinungen der gelähmte 
Darm auch nach Eutfernung des Fremdkörpers seinen Tonus und 
seine Peristaltik nicht mehr wieder gewinnt. Die Operation allein 
ist schließlich imstande, die diagnostischen Zweifel zu heben und 
zu verhindern, daß ein fälschlich angenommener Gallensteinileus 
wegen dessen angeblich guter Prognose den Tod eines aus anderer 
Ursache an Darmocclusion Erkrankten herbeiführt, der durch die 
Operation zu retten gewesen wäre. L. 


E. Ehrendorfer (Innsbruck): Beitrag zur tubaren Steri¬ 
lität. 

Fälle ernster chronischer Erkrankung , welche eine strenge 
Anzeige zur Unterbrechung einer Schwangerschaft geben, berech¬ 
tigen auch — wenigstens vom ärztlichen Standpunkt aus — zu einem 
operativen Eingriff zwecks Verhütung einer neuerlichen Schwanger¬ 
schaft. Es ist selbstverständlich, daß alle nothwendigen Bedingungen 
aufs genaueste gegeben sein müssen, die betheiligten Ehegatten 
nicht nur ihr volles Einverständniß hiezu ertheilen, sondern auch 
über die Consequenzcn aufgeklärt werden, wie Möglichkeit des 
frühen Absterbens vorhandener Kinder, Eventualität der Trennung 
der Gatten und Wiederverehelichung der Frau u. s. w. 

Als sicherste Methode der künstlichen Sterilisirung sieht E. 
(Beitr. z. Geburtsh. u. Gynäk.“, Bd. VI, II. 1, 1902) die vollständige 
Entfernung der Eileiter mit keilförmiger Ausschneidung aus der 
Uteruswand an. Nach Bildung einer entsprechenden Peritoneal¬ 
manschette wird ein Theil der Pars interstitialis der Tube keil¬ 
förmig ausgeschnitten, wobei man die Uterinalgefäße nötigenfalls 
comprimiren lassen kann. Spritzende Gefäße werden gleich ligirt, 
hierauf wird die Muskelwunde durch feine und dichte Umstechungs- 

2 * 


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1135 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 24. 


1136 


nähte, welche weder Peritoneum noch Tubenschleimhaut mitfassen, 
verschlossen, darüber die Peritonealläppcben mittelst Lamberts 
vereinigt. 

Ein Fall, der wegen Tuberculose zur Operation kam, wird 
mitgetheilt. Fischer. 

Waldemar Loewenthal (Berlin): Versuche über die kör¬ 
nige Degeneration der rothen Blutkörperchen. 

Aus den Experimentaluntersuchungen des Verf. geht Folgen¬ 
des hervor („Deutsche med. Wschr.“, 1902, Nr. 15): 

Bei Beurtheilung von Versuchen mit so sensiblen Thieren 
wie Meerschweinchen ist große Vorsicht geboten, da, abgesehen von 
individuellen Verschiedenheiten, eine Beeinflussung der Thiere durch 
außerhalb des Versuches liegende Umstände schwer zu vermeiden 
oder zu controliren ist. Nach intraperitonealer Injection von Zinn- 
cblorür und Cersulfat sah L. bei Meerschweinchen körnige Degene¬ 
ration der rothen Blutkörperchen. Daß das Auftreten dieser Blut¬ 
veränderung allein auf die Vergiftung zurückzuführen sei, läßt 
sich nach Vorstehendem nicht mit Sicherheit behaupten. 

Meerschweinchen sind zu derartigen Vergiftungsversuchen 
in gewissem Sinne ungeeignet, da sie sehr zur Bildung gekörnter 
rother Blutkörperchen neigen. Aufenthalt und Witterung beeinflussen 
beim Meerschweinchen die körnige Degeneration. Im Keller treten 
gekörnte rothe Blutkörperchen auf, sie verschwinden nach Ueber- 
fiihrung der Thiere ins Freie, um bei erneutem Kellerleben wieder 
zu erscheinen. Im Freien tritt bei nassem, kaltem Wetter körnige 
Degeneration der rothen Blutkörperchen auf. Aus diesen Beob¬ 
achtungen erhellt, ähnlich wie aus Gbawitz’s Uebcrhitzungsver- 
suchen, eine morphologisch nachweisbare Beeinflussung der Blut- 
beschaft'enheit durch klimatische und andere Umstände, und es er¬ 
scheint eine neue Untersuchung analoger Verhältnisse beim Men¬ 
schen wünschenswerth. B. 

Edm. Rose (Berlin): Die Untersuchungsmethode Bauch¬ 
kranker auf Wurmfortsatzentzündung. 

Da der Wurmfortsatz für gewöhnlich hinten am Beckenein¬ 
gang neben der Kreuzbeinfuge liegt, so ist er von allen Organen 
der Bauchhöhle, sowohl von unten wie von vorn, ziemlich am un¬ 
zugänglichsten, indem er von hinten durch den knöchernen Becken¬ 
ring geschützt, von vorn durch die Bauchdecken und übrigen 
Därme bedeckt ist. Wie er durch diese Lage von allen Theilcn 
des Darmcanals am allerschwersten ohne Verwundung verletzt 
werden kann, wie er von allen Entzündungen des Darmcanals dabei 
am allerwenigsten durch Gewaltacte beeinflußt werden kann, so 
bedarf es eben auch einer besonderen Sorgfalt bei seiner Unter¬ 
suchung und dem Nachweis des Druckschmerzes bei der Entzün¬ 
dung des Wurmfortsatzes („Deutsche med. Wschr. u , 1902, Nr. 14). 
Täuschungen kommen dabei leicht vor, wenn es sich nicht gerade 
um geschwulstartige Entartung und um magere Frauen handelt. 
Allein stets muß man sich eben bewußt sein, daß der Wurmfort¬ 
satz an der Rückseite der Bauchhöhle liegt. 

Man soll beim Aufsuchen des charakteristischen lleocöcal- 
schmerzes die tastenden Finger langsam gegen die Innenseite der 
Darmbeingrube bis zum Kreuzbein vorschieben, ganz langsam, 
höchstens zuletzt einen leisen Druck oder Stoß hinzufügen. Gesunde 
Kinder lachen dann und drehen sich mit Anziehung der Beine 
herum, „weil es sie kitzelt“, Kranke verziehen das Gesicht schmerz¬ 
haft; ebenso macht sich bei klaren Erwachsenen der Schmerz auch 
ohne Aeußerung so geltend. Natürlich darf mau nicht lange oder 
scharf geschnittene Nägel an den Fingern haben und läßt am 
besten bei der Untersuchung die Knie etwas erheben. Je früher 
diese Untersuchungsmethode angewendet wird, desto unschädlicher 
ist sie natürlich. Je sorgfältiger sie vorgenomraen wird, desto 
seltener wird die angeblich latente Form der Perityphlitis von 
Wunderlich, die sogenannte larvirte Form von Ewald überhaupt 
Vorkommen. Bei den heftigen Formen genügt die leiseste Berührung 
zur Erkenntniß. N. 


E. Pagenstecher (Wiesbaden): Ueber Ascites chylosus. 

Es handelt sich im Falle P.’s („Deutsches Arch. f. klin. Med.“, 
1902, Bd. 72, H. 2) um den ersten, mit Sicherheit dauernd ge¬ 
heilten, u. zw. chirurgisch geheilten Fall von Ascites chylosus. 
Milchige Ergüsse finden sich gelegentlich in allen serösen Körper¬ 
höhlen. Der Chylus bildet eine feinstaubige Emulsion, in welcher 
nur spärlich blasse Zellen und einzelne Leukocyten schwimmen; 
chylöse Ergüsse sammeln sich nach der Entleerung in der Regel 
rasch wieder an; sie sind meist zuckerhaltig. Ein weiteres Merk¬ 
mal bildet die Abhängigkeit ihres Fettgehaltes von der Nahrungs- 
zufuhr. Ascytes chylosus kommt zustande zunächst durch Rupturen 
des Ductus thoracicus. Einer anderen Gruppe ist gemeinsam, daß 
der Abfluß des Chylus aus den großen Bahnen, in denen er sich 
bewegt (Ductus, Truncus intestinalis), gehemmt oder unterbrochen 
ist. So machen z. B. Herzfehler Stauung im Bereich der Vena 
anonyma. Die Vene kann ferner thrombosirt oder obliterirt, der 
Ductus selbst durch abnormen Inhalt verstopft sein. Außerdem 
kann der Ductus auch durch Wanderkrankung verengert sein. 
Tumoren im Mediastinum drücken auf den Ductus thoracicus von 
außen. Tumoren unterhalb des Zwerchfelles drücken auf ihn oder 
die Cysterna Chyli. Dem schließen sich die Fälle an, wo Tumoren 
längs der kleineren Aeste, der einzelnen Chylusbahnen des Mesen¬ 
teriums sitzen und diese verschließen. 

Es gibt auch Erweiterungen der Chylusbahnen als eigene 
Erkrankung; dabei werden unter Umständen große, mit chylöser 
Flüssigkeit erfüllte Räume gebildet. Die Fälle des in tropischen 
Gegenden vorkommenden Ascites chylosus sind nicht vollkommen 
aufgeklärt. Die meisten derselben kommen bei der Filariakrank- 
heit vor. Der Ascites chylosus stellt meist ein secundäres Leiden 
dar, daher wirkt das Grundleiden bestimmend auf den Verlauf. 
Die Diagnose wird durch Punction festgestellt. Im Falle P.’s ist 
die Laparotomie mit einfacher Entleerung des Exsudats von dauernder 
Heilung gefolgt gewesen. Dem Leiden lag eine einfache Peritonitis 
zugrunde. B. 

Johann Plesch (Ofen-Pest): Ueber ein verbessertes Ver¬ 
fahren der Percussion. 

Der im zweiten Interphalangealgelenke gestreckte Finger 
wird im ersten Interphalangealgelenk rechtwinklig gebeugt, die 
übrigen Finger und die Handfläche werden mit der zu unter¬ 
suchenden Fläche parallel gehalten, so daß mit der zu percutirenden 
Oberfläche nur die Spitze des betreffenden, nach obiger Vorschrift ge¬ 
haltenen Fingers in Berührung tritt. 

Es kann nämlich je nach Beschaffenheit (Größe, Gestalt, 
Wölbung etc.) der zu untersuchenden Region jeder Finger benützt 
werden. Mit dem Mittelfinger der anderen Hand percutiren wir 
nun in der Achse der gestreckten beiden letzten Phalangen, also 
auf der distalen Epiphyse der ersten Phalanx. Hiebei ist es wichtig, 
daß das zweite Interphalangealgelenk sich in starker Streckung 
befinde, daß der percutirte Finger ganz frei stehe, daß die übrigen 
Finger, sowie die Handfläche die zu untersuchende Partie nicht 
berühre und daß diese Hand und die gestreckte Grundphalanx 
mit den beiden extendirten Phalangen einen rechten und keinen 
stumpfen Winkel bilde. B. 


Illyes und Kövesi (Budapest): Der Verdünnungsversuch 
im Dienste der functioneilen Nierendiagnostik. 

Der Gang der Untersuchungen („Berl. klin. Wschr.“, 1902, 
Nr. 15) war folgender: 

Bei chirurgischen Nierenkrankheiten wurde die Gefrierpunkts¬ 
erniedrigung und der NaCl-Gehalt des gesondert gesammelten Harnes 
bestimmt. Ferner, um die Ergebnisse mit den Resultaten anderer 
Methoden vergleichen zu können, haben die Verf. auch die Phlorid¬ 
zinmethode angewandt genau nach den Vorschriften Casper’s und 
Richter’s. Nachher trank der Kranke 1*8 Liter Salvatorwasser 
im Verlaufe einer kurzen Zeit, worauf der Harn womöglich in 
halbstündlichen Intervallen gesammelt und auf seine Menge und 
seinen Gefrierpunkt untersucht wurde. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 24. 


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Für die richtige Beurtheilung der Functionsfähigkoit der 
einzelnen Nieren ist — wie ans den Untersuchungen der beiden 
Autoren hervorgeht — das Auffangen der Nierenseerete durch 
längeres Liegenlassen des Ureterkatheters erforderlich. Durch die 
Einführung des Verdünnungsversuches erfährt die functioneile 
Nierendiagnostik eine weitere Ergänzung , die umso berechtigter 
ist, nachdem bisher keine eindeutige Methode in Anwendung gebracht 
wurde. Die Ergebnisse speciell der Verdünnungsuntersuchungen 
bei chirurgischen Nierenkrankheiten lassen sich in folgendem zu¬ 
sammenfassen : 

a) Die Verzögerung des Eintrittes der Verdünnung, 

b) der Unterschied in der während derselben Zeit secernirten 
Ilarnmenge, 

c) die relative Beständigkeit der moleculären Concentration, 

die sich durch eine größere Flüssigkeitsaufnahme nicht beeinflussen 
läßt und in einer nur beschränkten Veränderung der Werthe der 
Gefrierpunktserniedrigung sich kundgibt, weisen auf eine Functions¬ 
verminderung hin. B. 

Eo. Schaerz (Straßburg): Neue Beobachtungen über die 
wirksamen Stoffe des Guajakholzes und Guajak- 
harzes. 

Unter den normalen Bestandteilen des Guajakholzes (Guaja- 
cum officinale), jenes altehrwürdigen Mittels, das schon von Ulrich 
von Hutten gegen Syphilis, dann als Diaphoreticum und Diureticum 
gegen Hautkrankheiten empfohlen wurde, konnte ein zur Classe der 
Saponine gehöriger Stoff nachgewiesen werden („Arch. f. exp. 
Pathologie u. Pharmakologie“, Bd. 47 , II. 1/2). Nun sind auch in 
der Sarsaparillawurzel, in der ostasiatisclien Chinawurzel, in unserer 
heimischen Saponaria Saponinsubstanzen als wirksame Bestandtheile 
enthalten. Es scheint demnach eine eigentümliche Einwirkung der 
Saponine auf das Hautorgan zu bestehen, deren nähere Prüfung 
nunmehr erfolgen soll. Grosz. 

Walter Schild (Berlin): Das Atozyl (Metaarsensäure- 
anilid), ein neues Arsenpräparat und dessen der- 
matotherapeutische Verwendung. 

Das Metaarsensäureanilid enthält 37‘69% Arsen, also etwa 
halb so viel wie die arsenige Säure. Verf. empfiehlt die Verwen¬ 
dung einer 20°/ 0 igen wässerigen Lösung, von welcher bei der 
ersten Injection 2 Theilstriche der PiiAVAZ-Spritze, bei der zweiten 
4 Theilstriche intramusculär eingespritzt wurden, bis bei der fünften 
die ganze Spritze (=0*2) verabfolgt wurde. Bei dieser Dosis ver¬ 
blieb er während der Dauer der Cur. Die ersten fünf Einspritzungen 
geschahen in eintägigen Intervallen, alle folgenden in zweitägigen 
(„Berl. klin. Wschr.“, 1902, Nr. 13). 

Man kann solcherart mit dem Atoxyl etwa eine zehnfach 
höhere Menge Arsen dem Organismus zuführen als mit der arsenigen 
Säure. Wahrscheinlich beruht die geringe Giftigkeit des Präparates 
darauf, daß das Arsen an den festen Kern des Anilids gebunden 
ist und sich im Körper langsam abspaltet. 

Die therapeutische Wirkung des Atoxyls (an der Klinik 
Prof. Lassar’s bei Fällen von Xanthoma tuberosum, Psoriasis, 
Lichen ruber erprobt) wird als eine günstige geschildert. 

Grosz. 

Voigt (Dresden): Die vaginale Anwendung der Braun- 
schen Blase in der Geburtshilfe. 

Auf Grund von 510 Fällen, die 390 enge Becken, ferner 
Fälle von Placenta praevia, Eklampsie, Nabelschnurvorfall, Gesichts-, 
Stirn- und Querlagen, vorzeitigen Fruchtwasserabfluß betreffen, 
faßt V. seine Erfahrungen über den Kolpeurynter dahin zusammen, 
daß derselbe 

1. zur Erhaltung des Fruchtwassers, bei erhaltener wie bei 
gesprungener Blase, 

2. Zur Vorbereitung der Weichtheile, 

3. zur Verstärkung bereits vorhandener Wehen mit Vortheil 
zu verwenden sei. Vorbedingungen für seine erfolgreiche Anwen¬ 
dung sind das Bestehen regelmäßiger, wenn auch schwacher Wehen 


und die richtige Wahl in der Größe, sowie die straffe Füllung des 
Ballons. Zur Anregung von Wehen nnd zur Eröffnung eines narbig 
stenosirten Muttermundes eignet sich die vaginale Anwendung des 
Kolpeurynters nicht. 

Bei engem Becken wird eine große Zahl von Operationen 
unnöthig; für unvermeidbare operative Eingriffe werden aber die 
günstigsten Vorbedingungen geschaffen. 

Der Wochenbettverlauf wird durch die Kolpeuryse nicht 
ungünstig beeinflußt, vielmehr dadurch gebessert, daß geburtshilf¬ 
liche Eingriffe schwerer Natur vermieden werden. Aus eben diesen 
Gründen ist die Kolpeuryse auch für das Leben der Kinder von 
günstigem Einfluß. Fischer. 

Cacace (Neapel): Die Bakterien der Schule. Bakterio¬ 
logische Untersuchungen, ausgeführt an dem 
Staube der Normalschule zu Capua. 

Die Untersuchungen des Verf. hatten den Zweck, den Schul¬ 
staub auf die Zahl, Art und Virulenz der in ihm enthaltenen 
Bakterien zu untersuchen, wobei speciell auf das Vorkommen von 
Tuberkelbacillen geachtet wurde. Hiebei ergab sich („Centralblatt 
für Bakteriologie, Parasitenkunde und Infectionskrankheiten“, Bd. 30, 
II. 17), daß in dem Staube der Schulzimmer große Mengen von 
Bakterien vorkamen, die vorwiegend nichtpathogenen Arten ange¬ 
hörten, daneben aber auch Bact. coli und Staphylococcus aureus, die 
virulent waren. Tuberkelbacillen waren nicht nachweisbar; die mit 
dem Staube geimpften Meerschweinchen erkrankten niemals an 
Tuberculose. Am reichlichsten waren die Bakterien im Kindergarten 
und im Turnsaal; der am Ende der Lection gesammelte Staub war 
um 2—5 Millionen reicher an Bakterien als der zu Beginn auf¬ 
gefangene. Dem Referenten will es scheinen, als ob derartige 
Arbeiten nicht besonders dankenswerth wären und ihre Ergebnisse 
wohl eigentlich vorhergesehen werden könnten. Auch kommt dem¬ 
selben wohl kaum eine generelle Bedeutung zu, da ja locale Ver¬ 
hältnisse hier die Hauptrolle spielen, wie Reinhaltung der Zimmer, 
Alter, Erziehung und Gesundheitszustand der Kinder etc. Auf 
letzteres Moment ist es auch zurückzuführen, daß in dem Staube 
keine Tuberkelbacillen gefunden wurden. Dr. S—. 


Schultz-Schultzenstein (Greifswaid): Zur Kenntniß der 
Einwirkung des menschlichen Magensecretes 
auf Choleravibrionen. 

Verf. ließ vier Collegen nach 6 —8stündigem Fasten je 600 Ccm. 
Wasser trinken und heberte ihnen sodann den Mageninhalt aus; 
in denselben wurden sodann Choleravibrionen eingebracht, um deren 
Widerstandsfähigkeit zu untersuchen. Aus den Versuchen („Cen¬ 
tralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde und Infectionskrankheiten“, 
Bd. 30, H. 21) ergab sich, daß Pepsin und Salzsäure zusammen 
schon bei einem Gehalt von 0‘019% Salzsäure Choleravibrionen ab- 
tödten. Enthalten Flüssigkeiten Eiweiß oder Pepton, so ist (nach 
Kabrhel) ein viel größerer Säuregehalt nothwendig. Zur Abtödtung 
der Choleravibrionen ist am wenigsten Säure erforderlich (0 05% 
bei 6 Minuten langer Einwirkung), wenn sie sich in reinem Wasser 
befinden. Dr. S—. 

Kleine Mittheilungen. 

— Zur Behandlung der acuten Nierenentzündungen schreibt 
Kknvüks („Therapie d. Gegenwart“, 1902, Nr. 4). Die erste 
Bedingung für ein planvolles therapeutisches Handeln ist die Ein¬ 
sicht in die Aetiologie und den Ablauf der zu behandelnden Er¬ 
krankung. Der zweite therapeutische Gesichtspunkt muß die 
Störungen berücksichtigen, die durch die Schädigung des Nieren¬ 
parenchyms eintreten. Treten die Zeichen der Urämie rasch bei 
einer acuten Nierenentzündung auf, so ist und bleibt die Ent¬ 
leerung des toxischen Blutes durch einen dem Ernährungs- und 
Kräftezustande des Kranken angepaßten Aderlaß das einzige 
wirksame und oft rettende Mittel. Schon die Entlastung des Kreis¬ 
laufes bringt dann oft die Nierensecretion wieder in Gang. Die 
weitere Aufgabe ist es, den Nieren in der Ausscheidung der harn- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 24. 


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fähigen Substanzen zu Hilfe zu kommen durch Anspornung der die 
Nieren in der Ausscheidung unterstützenden Organe, nämlich der 
Haut und des Darms. Je nach den obwaltenden Umständen wird 
eine heiße, feuchte Einpackung, ein heißes Bad oder andere hydro- 
pathische Behandlung anzuwenden sein. Die einfache Bettruhe und 
Wärmestauung wird manchmal schon genügen, oft aber auch zu 
unterstützen sein durch Anwendung von trockener Wärme. Jedes 
Mittel, welches die Schweißsecretion anregt, ist erwünscht, z. B. Zufuhr 
von heißem Wasser, welches durch Zusatz von Zucker und irgend 
einem leicht aromatischen Thee trinkbar gemacht sein muß. Die 
als schweißtreibend bekannten Medicamente sind meist zu ver¬ 
meiden, zumal da ihre Ausscheidung durch die Nieren diese nur 
wieder reizt. Eine medicamentöse Einwirkung ist aber auch meist 
unnöthig, da die Schweißsecretion durch die oben angeführten 
äußeren Maßnahmen besser angeregt wird wie durch irgend ein 
innerlich gegebenes Medicament. Neben der Haut muß der Darm 
als vicariirendes Organ für die Nieren eintreten. Erste Bedingung 
für diese Leistung ist es, den Darm nicht mit fester Nahrung zu 
belasten und vor Allem während der Ableitung auch den Darm 
überhaupt zu schonen. Die Ableitung geschieht am besten durch 
Anregung der Darmsecretion mit salinischen Abführmitteln, da 
alle übrigen aus dem Pflanzenreich stammenden Purgantien die 
Nieren reizende Substanzen enthalten. Unterstützt wird die An¬ 
regung der Darmsecretion durch warme Enteroklysmen von physio¬ 
logischer Kochsalzlösung, die meist gut vertragen werden. Eine 
weitere therapeutische Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, daß möglichst 
wenig neue Stoffwechselproduete im Blut auftreten. Der Calorien- 
bedarf ist durch Kohlehydrate und Fette zu decken und nur so 
viel Eiweißnahrung zu geben, als je nach Alter und Ernährungs¬ 
zustand durchaus erforderlich ist. Alkohol und Gewürze sind 
während der acuten Nephritis ganz zu verbieten. Reine Milch¬ 
nahrung ist den Kranken im Beginn der Erkrankung weder 
angenehm, noch auch wegen des zu großen Eiweißgehaltes zu¬ 
träglich. Eine Verdünnung der Milch mit Graupen oder Hafer¬ 
schleim unter Zusatz von Zucker und Rahrafett, die Verabreichung 
von dünnen Mehlsuppen genügen zunächst zur Erhaltung des Er¬ 
nährungszustandes. Nur vorsichtig kehrt man zur Fleischnahrung 
wieder. Auch Zufuhr von Gemüse und Obst wird erst vertragen, 
wenn die Diurese wieder reichlich ist. Im Beginn der Erkrankung 
ist absolute Bettruhe erste Bedingung einer erfolgreichen Behand¬ 
lung. Hat der Kranke Durstgefühl ohne Brechneigung, so wird 
man bei der Nephritis keine Bedenken zu hegen brauchen, die 
Flüssigkeitszufuhr nach Bedarf zu gestatten, insofern es nur ge¬ 
lingt, bei mangelnder Nierenausscheidung den Darm und die Haut 
vicariirend für die Nieren eintreten zu lassen. Reines Wasser oder 
leichte dünne Graupentisane werden am besten vertragen. In vielen 
Fällen ist aber die Flüssigkeitsaufnahme durch die unüberwindliche 
Brechneigung geradezu unmöglich. Heiße Enteroklysmen von physio¬ 
logischer Kochsalzlösung und bei schlechtem Ernährungszustand 
von heißer Milch sind dann so lange nothwendig, bis die Brech¬ 
neigung geschwunden ist. Neben einer Einschränkung der Flüssig¬ 
keitszufuhr ist die mechanische Entfernung des Hydrops anasarca 
durch Incision in das Unterhautbindegewebe oder durch Einlegen 
von Caniilen unter die Haut bei allgemeinem Hydrops das einzige 
rationelle Hilfsmittel. 

— An der Klinik Rubeska in Prag wurden bei 1100 Kindern 
prophylaktisch von einer 20°/„igen Protargollösung ein bis mehrere 
Tropfen in den Bindehautsack eingetropft; es erkrankten nur 
4 Kinder an Augenblennorrhoe, die unter weiterer Anwendung 
desselben Medicaments geheilt wurden („W. klin. Rundschau“, 1901, 
Nr. 51). 

— Ueber die physiologische Wirkung aus der Schilddrüse 
gewonnener Präparate berichten Cyon und Oswald („Pflüger’s 
Arch.“, Bd. 83). Die am Kaninchen, resp. Hunde vorgenommenen 
Untersuchungen erwiesen, daß eine solche Analogie in der That 
besteht. Intravenöse Einspritzungen von Thyreoglobin erzeugten 
regelmäßig Blutdrucksenkungen und Verstärkung der verlangsamten 
Herzschläge, welche Wirkung die Durchschneidung beider Vagi 
nicht aufzuheben vermochte. Die durch Trypsinverdauung aus 
menschlichen Schilddrüsen gewonnenen jodhaltigen Producte hin¬ 


gegen bewirkten Steigerung des Blutdruckes und Beschleunigung 
der Herzaction. Die bei der Darstellung des Jodothyrins restirenden, 
in Säure unlöslichen jodhaltigen Producte vermögen den Blutdruck 
absolut nicht zu verändern und die Herzaction nur wenig zu 
beschleunigen. Ebenso sind die bei Pepsinchlorwasserstoffverdauung 
des Thyreoglobins entstehenden Albumosen völlig wirkungslos. Das 
Thyreoglobin muß mithin als die albuminöse Substanz betrachtet 
werden, welche den Jodothyrincomplex in ihrem Molecül enthält, 
die übrigen aus der Schilddrüse gewonnenen Producte besitzen, 
weun sie auch Jod enthalten, nicht die physiologischen Eigen¬ 
schaften des Jodothyrins. 

— Ausgedehnte Versuche mit Aristol bei Bauchoperationen 
hat Morris („The Therapist“, 1901, Nr. 10) gemacht. In seinen 
Vorlesungen über Appendicitis erklärt er, daß er Jodoform durch 
Aristol ersetzt habe. Andere hervorragende Aerzte, wie Tuttle 
und De Garmo, treten ebenfalls warm für Aristol bei Abdominal¬ 
wundbehandlung ein. 

— Das Ergotin als Prophylacticum beim Puerperalfieber 

rühmt Solt („Ther. Monatsh.“, 1902, Nr. 2). Ist die Geburt normal 
verlaufen, bekommt die Pat. 6 Pulver ä 0 6 Secale cornutum, 2 bis 
3 Pulver täglich. Nach jeder Operation oder wenn die Wöchnerin 
durch Puls, Temperatur oder eine Eiterung am übrigen Körper 
verdächtig ist, prophylaktisch: 

Rp. Ergotin., 


Aq. destill. 

Tinct. amar. 

S. 3mal täglich 10 —20 Tropfen 

. aa. 5'0 
. . . 150 

Ergotin. 

Aq. Menth, pip. 

. . . 5 0 
. . . 20 0 


Dieselbe Dosis wird auch im Krankheitsfalle gegeben, das ist 
O'IO—0‘18 Extr. Secal. cornut. pro die. Das Ergotin bewirkt 
Uteruscontractionen, die an der äußersten Peripherie des Uterus 
beginnen und zur Uterushöhle gehen. Dadurch wird der Lymph- 
strom rückgängig und die Krankheitserreger und ihre Toxine 
werden zur Uterushöhle abgeführt. Ebenso beschleunigen die Con- 
tractionen das Abfließen der Lochien und die Abstoßung abge¬ 
storbener Gewebsstücke. 

— Als Desinfectionsmittel für in der Urologie gebräuchliche 
Instrumente empfiehlt Loeb („Monatschr. f. Urologie“, Bd. VI, H. 2) 
das Hydrargyrum-Oxycyanid als ein Mittel von hoher Desinfec- 
tionskraft; es greift Metalle, namentlich in Glycerinlösung nicht an 
und reizt die Gewebe nicht, es ist dies ein großer Vorzug gegenüber 
dem Sublimat, Carbol und Lysol. Antiseptische Hydrargyrumoxy- 
cyanidlösungen mit Glycerin und Tragacantschleim (Tragaeantschleim 
1: lOO'O + 16‘0 Glycerin + 1 pro Mille Hydrargyrum oxycyanatum) 
eignen sich vorzüglich zur Aufbewahrung von Instrumenten, lassen 
jedes Gleit- und Klebemittel zur Einführung von Kathetern ent¬ 
behren. Bei der Formalindesinfection wird durch genügend starke 
Erhitzung und genügend große Mengen von Trioxymethylen schon 
ein solcher Ueberdruck erzeugt, daß die Formalindämpfe durch 
das Innere des Katheters streichen, ohne daß besondere Instrumente 
dazu erforderlich wären, doch wird eine völlige Sterilisation sicher 
nicht vor 6 Stunden erreicht. 

— Die Indicationen der Bauchmassage erörtert Ewer 
(„Berl. Klinik“, H. 154). Indication liegt vor bei motorischer 
Insufficienz des Magens, Gastroptose, Gastrectasie bei Pylorus¬ 
stenose, jedoch nur, wenn nicht Gährungsproce8se vorhanden sind, 
bei nervöser Dyspepsie, Verdickungen und Adhäsionen nach Ablauf 
circumscripter Entztindungsprocesse im Magen, secundären Magen¬ 
erkrankungen bei primärer Darmatonie, habitueller Obstipation, 
chronischen Darmwandinfiltraten, Chlorose bei jungen Mädchen, 
wenn sie auf habitueller Verstopfung beruht, vom Magen- und 
Darmtractus ausgehenden Reflexkrämpfen der Kinder, Hämor¬ 
rhoiden, wenn sie durch Kothstauung hervorgerufen werden oder 
sich infolge von erblicher Anlage entwickeln, katarrhalischem 
Icterus und Gallensteinen, eingeklemmten Brüchen, wenn die Ein¬ 
klemmung noch nicht zu lange bestanden hat, Ileus und Invagi- 
nation unter den gleichen Bedingungen, nicht zu reichlichem 
Ascites, Flatulenz und Tympanites, ferner Herzkrankheiten. Contra- 
indicirt ist die Bauchmassage, wenn sie Schmerzen verursacht, 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 24. 


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ferner bei frischen Fällen von Ulcus ventriculi, Typhlitis und 
Perityphlitis bei spastischen Contractionen von Magen und Darm. 

— Auf Grund seiner Erfahrungen empfiehlt Jardine („Lancet“, 
1901, Nr. 15) für die Behandlung der Eklampsia puerperalis 
Salzwasserinfusionen, welche die Mortalität an dieser Krankheit 
in den Hospitälern um ungefähr 5O°/ 0 herabgemindert haben; 
auch mehr Kinder wurden dabei gerettet. Eventuell sind O-Inha- 
lationen damit zu combiniren, Laxantien zu verordnen. Die Ursache 
der Affection sucht J. in einem Toxin , das zumal auf die Leber 
und die nervösen Centralorgane wirkt; schon der rasche Rückgang 
der Albuminurie zeigt an, daß die Nieren — abgesehen von den 
Fällen vorher bestandener Nephritis — nicht besonders schwer 
betroffen sind. J. fand in allen daraufhin untersuchten Fällen 
Eiweiß im Urin von Neugeborenen Eklamptischer. Auch manche 
Kinder von Frauen, die an schwerer Albuminurie litten, aber 
unter Behandlung nicht eklamptisch wurden, hatten Eiweiß im Harn. 

— Ueber den Einfluß verschiedener Körperlagen auf die 
motorische Function des Magens berichtet J. v. Merino („Therapie 
d. Gegenwart“, 1902, Nr. 5) Folgendes: Die Entleerung des Magens 
geht am schnellsten vor sich bei rechter Seitenlage und beim 
schnellen Gehen ; beim Stehen, Sitzen, Liegen auf der linken Seite 
und langsamem Gehen sind die Bedingungen für die Entleerung 
des Magens weniger günstig und einander fast gleich; die Bauch- 
und Rückenlage endlich nehmen in Bezug auf die Magenmotilität 
die Mitte ein. 


Literarische Anzeigen. 

Herzkrankheiten mit besonderer Berücksichtigung der Prognose 
und der Therapie von Sir William H. Broadbent. Nach der 
3. Auflage des Originals deutsch bearbeitet von Dr. Ferdinand 
Kornfeld in Wien. Mit 28 Textfiguren. Wiirzburg 1902, 
A. S t u b e r’s Verlag (C. Kabitzsch). 

Das aus den Vorlesungen des hervorragenden Klinikers ent¬ 
standene Werk erfreut sich in England großen Ansehens, für 
welches die rasche Aufeinanderfolge seiner Auflagen spricht. Eine 
gediegene deutsche Bearbeitung, wie sie uns nunmehr vorliegt, ist 
umsomehr willkommen zu heißen, als wir in unserer neueren 
Literatur ein Buch über Herzkrankheiten in compendiöser Form, 


Feuilleton. 

Zur Revision des österreichischen Arbeiter- 
Unfallversicherungsgesetzes. 

Von Dr. Anton Bum. 

„Damit eine Wahrheit ins Volk dringe, braucht es 
25 Jahre, nnd sie muß jedes Jahr wiederholt werden.“ 

ln der Abtheilung für Unfallheilkunde der 66. Versammlung- 
deutscher Naturforscher und Aerzte, die 1894 zu Wien getagt, hat 
der ausgezeichnete Züricher Vertreter dieser Disciplin, Dr. Kauf¬ 
mann, unter Hinweis auf die im Motto citirten Worte eines deutschen 
Parlamentariers folgende, einstimmig zum Beschlüsse erhobene 
Resolution beantragt: „Die Abtheilung stellt, in Anbetracht daß 
die staatlichen Unfallversicherungsgesetze die Kenntniß der Unfall¬ 
heilkunde vom Arzte verlangen, die Forderung, daß dieselbe in 
ihrer ganzen Ausdehnung, also sowohl die Behandlung von Unfall¬ 
verletzungen, als die Untersuchung und Begutachtung der Unfall- 
folgen, Gegenstand der ärztlichen Vorbildung sein solle.“ Zwei 
Jahre später, in der Naturforscherversammlung des Jahres 1896 
zu Frankfurt a. M., hat dieselbe Abtheilung es als „dringend noth- 
wendig bezeichnet, daß die medicinischen Facultäten der Unfallheil¬ 
kunde jeue Beachtung zuwenden, welche der praktischen Bedeutung 
dieser Disciplin entspricht, und für den Unterricht und die Aus¬ 
bildung der Studirenden in der Untersuchung und Begutachtung 
sowie in der Behandlung der Unfallkranken Vorsorge treffen“. 
Gleichzeitig aber hat dieselbe Versammlung sich mit einzelnen Mängeln 
und Lücken des österreichischen Arbeiter-Unfallversicherungsgesetzcs 


und speciell den Bedürfnissen des Praktikers angepaßt, nicht be¬ 
sitzen. Das vorliegende Werk bietet gerade die Vorzüge der Knapp¬ 
heit der Form bei unbedingter Vollständigkeit und namentlich bei 
Hervorhebung der praktisch wichtigen Fragen. Prognose und 
Therapie sind durchwegs in den Vordergrund gerückt und mit 
einer alle Details discutirenden Gründlichkeit dargestellt. Dazu 
bildet das Buch nicht bloß eine grundlegende Einführung in das 
Studium der Herzkrankheiten für den Lernenden, sondern auch 
einen hochwillkommenen Behelf für den praktischen Arzt; denn es 
birgt eine Fülle von Details bezüglich der Abschätzung der Be¬ 
deutung der Einzelsymptome für den weiteren Krankheitsverlauf, 
die Prognose, sowie rücksichtlich der therapeutischen Indicationen 
wie sie nur ein eminenter Praktiker von Broadbent’s Bedeutung 
zu bieten vermag. Alle wesentlichen Vorzüge des Originals unter¬ 
stützt nun die vortreffliche deutsche Uebertragung, die sich nicht 
bloß strenge an die Auffassung des Autors hält, sondern auch mit 
Erfolg bemüht ist, den Charakter eines gut geschriebenen deutschen 
Originalwerkes zu wahren. Das werthvolle Lehrbuch Bboadbent’s 
ist zur Einbürgerung in unserer Literatur wie kaum ein zweites 
Werk über Herzkrankheiten berufen. Es reiht sich würdig den clas- 
sischen Darstellungen auf diesem Gebiete als ein durchaus zeit¬ 
gemäßes Werk an. Br. 

Encyklopädie der gesammten Chirurgie. Herausgegeben 
von Prof. Dr. Theodor Kocher in Bern in Verbindung mit 
Dr. F. da Quervain in La Chaux-de-Fonds. Leipzig 1901, 
Verlag von F. C. W. Vogel. Lief. 1—12. 

Die Herausgeber beabsichtigen mit dem Buche, das in circa 
25 Lieferungen complet sein dürfte, dem Arzte in möglichst knapper 
Form eine Uebcrsicht über den jetzigen Stand der Chirurgie zu 
geben. Zu diesem Zwecke haben sie eine große Anzahl Mitarbeiter 
gewonnen, die durch eigene Arbeiten auf dem betreffenden speciellen 
Gebiet rühmlich sich hervorgethan haben und deren Namen schon 
genügende Garantie für vollständige und zuverlässige Darstellung 
der auvertrauten Capitel bieten. 

Die Encyklopädie ist bis zu dem Schlagwort „Geschichte der 
Medicin“ bereits erschienen und dürfte bald complet sein. Wir 
werden nach Erscheinen der übrigen Lieferungen auf das Gesammt- 
werk nochmals zurückkoinmen. E. 


beschäftigt, ein diesbezügliches Referat Schreibers dieser Zeilen ein¬ 
stimmig angenommen, sowie beschlossen, die Resolutionen desselben 
an das Centralbureau für sociale Gesetzgebung und Unfallversiche¬ 
rung in Paris zu übersenden. 

Dieses Referat 1 ) verdankte seine Entstehung der Annahme, 
die österreichische Regierung sei im Begriffe, ihre Absicht, eine 
Revision des Gesetzes vom 28. December 1887 zu unternehmen, 
in allernächster Zeit zu verwirklichen, eine Annahme, welche, wie 
die Ereignisse gezeigt, eine überaus sanguinische gewesen ist. Wenn 
ich heute, nach weiteren 6 Jahren, auf diese Frage zurückkomme, 
deren Lösung inzwischen auch nicht im Geringsten vorgeschritten 
ist, so liegt der Grund hiefür in einer bemerkenswerthen Euunciation 
aus den Kreisen jener Institution, welche — abgesehen von den 
von einem Unfälle betroffenen Arbeitern — durch das mangelhafte 
Gesetz zunächst geschädigt erscheint, der Arbeiter-Unfallversiche- 
rungs-Anstalten. Daß diese Enunciation erst heute, 15 Jahre nach 
Sanctionirung des Gesetzes, und vereinzelt erfolgt, zählt mit zu 
jenen Unverständlichkeiten , welchen wir im öffentlichen Leben 
nicht selten begegnen. Bevor ich auf die Aeußerung selbst näher 
eingehe, möchte ich behufs Erleichterung des Verständnisses der 
ganzen Angelegenheit nur einige wenige orientirende Mittheilungen 
machen. 

Das österreichische Gesetz vom 28. December 1887 bestimmt 
in § 6, es soll im Falle einer Körperverletzung der Schadenersatz 
in einer dem Verletzten vom Beginne der fünften Woche 
nach Eintritt des Unfalles angefangen für die Dauer der Erwerbs¬ 
unfähigkeit zu gewährenden Re n te bestehen. In den ersten 28 Tagen 
nach dem Unfälle bezieht der Verletzte das Krankengeld von der 

') S. „Wiener Med. Presse“, 1896, Nr. 39. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 24 


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Krankencasse, der er angehört, und wird von den Aerzten der¬ 
selben , beziehungsweise in den Spitälern, behandelt wie jeder 
andere Kranke. Aber auch nach Ablauf der ersten 4 Wochen, der 
„Carenzzeit“, verbleibt er auf Kosten der Arbeiter-Unfallversiche- 
rungs-Anstalt so lange im Status der Casse, beziehungsweise des 
Cassenarztes, bis dieser das Heilverfahren für abgeschlossen erklärt 
und den Verletzten als „arbeitsfähig“ , „theilweise arbeitsfähig“ 
oder „arbeitsunfähig“ aus seiner Behandlung entläßt. Erst in diesem 
Augenblicke und falls der Verletzte nicht als vollständig arbeits¬ 
fähig aus dem Heilverfahren entlassen wurde, erfolgt die Bemessung 
der Unfallsrente. Irgend einen Einfluß auf die Art der Behandlung 
oder das Recht, einen vom Cassenarzte als theilweise oder voll¬ 
ständig arbeitsunfähig aus dem Heilverfahren entlassenen Verletzten 
durch ihre Aerzte weiterbehandeln zu lassen, besitzt die Versiche¬ 
rungsanstalt in Oesterreich nicht. 

Anders in Deutschland. Das deutsche Unfallversicherungs¬ 
gesetz vom 6. Juli 1884 bestimmt, der Ersatz des Schadens, welcher 
infolge eines Betriebsunfalles entstanden ist, habe zu bestehen: 
1. In den Kosten des Heilverfahrens, welche vom Beginn 
der 14. Woche nach Eintritt des Unfalles entstehen; 2. in einer 
dem Verletzten vom Beginn der 14. Woche nach Eintritt des Un¬ 
falles an für die Dauer der Erwerbsunfähigkeit zu gewährenden 
Rente. Der erste Punkt dieses Paragraphen hat in der Folge 
eine einschneidende Acnderung erfahren; während früher eine Ver¬ 
pflichtung der Krankencassen, sich die Einmischung der Berufs¬ 
genossenschaften (den österreichischen Versicherungsanstalten ent¬ 
sprechend) gefallen zu lassen, während der ersten 18 Wochen nach 
dem Unfälle nicht bestand (Becker), ist sie durch § 76 c des ab¬ 
geänderten Kranken-Versicherungsgesetzes vom 10. April 1892 
gesetzlich normirt. Die erwähnte Bestimmung lautet: 

„In Erkrankungsfällen, welche durch Unfall herbeigeführt 
werden, ist die Berufsgenossenschaft berechtigt, das Heilver¬ 
fahren auf ihre Kosten zu übernehmen.“ 

Die Bedeutung dieser Bestimmung hier zu erörtern, dürfte jenen 
Lesern überflüssig erscheinen, welche den Werth einer Behandlung 
zu würdigen wissen, die nicht nur die vollständige anatomische 
Wiederherstellung des Verletzten anstrebt, sondern auch auf die 
möglichst rasche und vollständige functioneile Restitution vom 
Anfang an bedacht ist. Wenn ein Rentier eine Contusion des 
Schultergelenkes erleidet und mit Ruhigstellung des verletzten Ge¬ 
lenkes behandelt wird, so ist er mit einer Therapie zufrieden, 
welche die Schmerzen behebt, und empfindet eine etwa zurück¬ 
bleibende Muskelatrophie und Bewegungsbeschränkung des Oberarms 
nicht allzuschwer. Er wird, falls die functionellen Störungen einen 
gewissen Grad überschreiten und ihn irgendwie belästigen, Mittel 
und Wege finden, diese Störungen durch nachträgliche Anwendung 
einer mechanischen oder elektrischen Behandlung zu beheben, und 
wird sich dieser Behandlung mit Muße unterziehen. Ein Anstreicher¬ 
gehilfe ist arbeitsunfähig, wenn er den Arm nicht vollständig zu 
heben vermag; ein Tapeziererlehrling ist ein Krüppel, so lange 
die Bewegungsstörung seiner Oberextremität nicht vollständig be¬ 
hoben ist. Wird der Arbeiter behandelt wie unser Rentier, so 
währt seine Arbeitsausschließung viele Wochen, mehrere Monate. 
Er verläßt den behandelnden Cassenarzt, das Krankenhaus schmerz¬ 
los, so lange er Bewegungsversuche größerer Amplitude unterläßt ; 
er ist aus dem Heilverfahren als „theilweise arbeitsfähig“ entlassen 
worden und bezieht eine minimale Rente (beträgt doch in Oester¬ 
reich die Rente für vollständige Arbeitsunfähigkeit 60% des 
Arbeitsverdienstes !), von welcher er seine nothwendigsten Lebens¬ 
bedürfnisse nicht zu befriedigen vermag. Wird jedoch schon wenige 
Tage nach dem Unfälle mit schonenden Bewegungsversuchen be¬ 
gonnen, die, entsprechend dem Schwinden des Blutextravasates, 
immer energischer fortgesetzt werden, sorgt der behandelnde Arzt, 
wie dies auf unseren Kliniken zumeist geschieht, dafür, daß durch 
mechanische, elektrische Einwirkungen etc. die hier drohende 
Deltoideus-Atrophie verhütet wird, so bleiben die für den Arbeiter 
mit Recht gefürchteten Störungen auB; er kehrt vom Arzte, aus 
dem Spitale sofort zur Arbeit zurück, welcher er nur relativ kurze 
Zeit entzogen war. Wir haben das Beispiel einer leichten Verletzung 
zur Illustration herangezogen. Wer die Pflicht hat, sich mit Unfall¬ 


kranken zu beschäftigen, wird nicht selten functionell überaus 
bedauerliche Ausgänge von Verletzungen jeder Art beobachten, 
von welchen Ankylosen des Handgelenkes nach typischen Radius- 
fracturen, Gastrocnemiusatrophien und Steifigkeiten des Sprunggelenkes 
nach Fibulafracturen, Plattfußstellung nach Knöchelbrüchen, schwere 
Schulterankylosen nach Clavicularfractureu zu den häufigsten Vor¬ 
kommnissen gehören, von den functionellen Störungen schwerer 
Verletzungen zu schweigen. 

Es ist begreiflich, daß die mechanische Nachbehandlung 
der ohne Rücksicht auf die Function des Gliedes behandelten 
Fälle sehr lange Zeit in Anspruch nimmt, eine Zeit, die umso 
langwieriger ist, je länger die ursprüngliche, die Mobilisirung 
nicht berücksichtigende Behandlung gedauert. Ich konnte dies in 
obeitirtem Referate aus meinen Aufzeichnungen ziffermäßig nach- 
weisen, welche ich bei der mechanischen Nachbehandlung Unfall¬ 
verletzter Arbeiter in einer langen Reihe von Jahren gemacht hatte. 

Das deutsche Gesetz hat in Erkenntniß dieser Thatsachen 
noch eine weitere, die Möglichkeit rascherer Wiederherstellung 
der Arbeitsfähigkeit unterstützende Bestimmung aufgenommen. § 7 
des Unfallversicherungsgesetzes der Arbeiter besagt, es könne über 
Beschluß der Berufsgenossenschaft unter bestimmten Cautelen an 
Stelle der im obeitirten Paragraphe vorgeschriebenen Bezahlung 
der Kosten des Heilverfahrens bis zu dessen Beendigung freie 
Cur und Verpflegung in einem Krankenhause ge¬ 
währt werden. 

Haag hat sich kürzlich der dankenswerthen Aufgabe unter¬ 
zogen , den Nutzen der „medico-mechanischen“ Nachbehandlung 
Unfallverletzter statistisch zu erheben. Bei 216 Unfallverletzten 
(122 stationär und 94 ambulatorisch behandelten) betrug die nach 
einem von Haag benützten Schlüssel ziffermäßig berechnete Besse¬ 
rung 90‘73%, die volle Einbuße an Erwerbsfähigkeit mit 100% 
angenommen. Nachdem nach IIaag’s Berechnung 1% Erwerbs¬ 
fähigkeit einem Capitalswerth von Mk. 7473 entspricht, so kostete 
ein erspartes Procent Mk. 3'35. Auf Mk. 1 erspartes Rentencapital 
kommt also ein Behandlungsaufwand von Pf. 4’5—5'0. Darch Ver¬ 
ausgabung von Mk. 31.734’70 wurde ein Capital von Mk. 707.917'20 
erspart. Der Reingewinn betrug mithin Mk. 676.182‘59; die 
Durchschnittsbesserung pro Tag und Kopf entsprach 0‘83%, und 
1% der Besserung kostete Mk. 3'46. 

Eine Riesensumme von Arbeitsfähigkeit und — Renten¬ 
zahlungen geht verloren. Letzteres fühlen die deutschen Berufs- 
gonossenschaften und nicht minder hart die österreichischen Arbeiter- 
Unfallversicherungs-Anstalten , die ausnahmslos schwer belastet 
sind. Die ersteren sind bemüht, die Verletzten möglichst frühzeitig 
in „Unfallkrankenhäusern“ entsprechender Behandlung und Ueber- 
wachung zuzuführen; gleichzeitig hat sich aber auch für die 
allgemeinen und akademischen Krankenhäuser Deutschlands die 
Nothwendigkeit ergeben, der Mechanotherapie ihro Pforten zu 
öffnen ; in Oesterreich schiebt allen Bemühungen der Aerzte und 
Unfallversicherungs Anstalten, hier Wandel zu schaffen, der Gesetz¬ 
geber den Riegel vor. Nur hie und da wird ein leiser Wunsch 
nach Selbsthilfe rege. So hat kürzlich die Arbeiter-Unfallversiche- 
rungs-Anstalt in Salzburg Folgendes verlautbart: 

„Gelegentlich der zahlreichen Berathungen über die an Unfall¬ 
verletzte zuzusprechenden Entschädigungen hat es die Arbeiter- 
Unfallversicherungs-Anstalt in Salzburg als eine empfindliche Lücke 
unseres Unfallversicherungsgesetzes empfunden, daß der Anstalt 
weder ein entsprechender Einfluß auf das Heilverfahren, noch auch 
ausdrücklich das Recht zugesprochen worden ist, Aufwendungen 
zum Zwecke der Nachbehandlung der Verletzten zu machen. Die 
Krankencasse hat nur ein Interesse daran, den Heilungsproceß 
möglichst rasch zu beendigen; in welchem Zustande der Unfall¬ 
verletzte der Anstalt zur directen Rentenleistung überantwortet 
wird, ist für sie belanglos, und doch muß es gerade als Haupt¬ 
aufgabe einer richtigen Arbeiterfürsorge angesehen werden, daß 
vor Allem nach möglichst vollständiger Wiederherstellung der 
Arbeitskraft als der Quelle des Unterhaltes gestrebt wird ; dem 
Verletzten ist damit mehr gedient als mit der Unfallrente, welche 
ihm nur theilweise Ersatz für die erlittene Erwerbseinbuße bietet. 
Bei vielen Verletzungen, insbesondere Schnittwunden, Quetschungen, 


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Verstauchungen, Brüchen und dergleichen, bleiben nach eingetretener 
Heilung noch Steifheiten der Gelenke zurück, die theils durch 
Verwachsung der Muskeln oder Gelenke, theils aber schon durch 
den langen Nichtgebrauch des verletzten Körpertheiles hervor¬ 
gerufen werden. Durch entsprechende orthopädische Behandlung 
während oder unmittelbar im Anschlüsse an das Heilverfahren 
können derartige Folgen zum Theil ganz behoben, zum Theil 
bedeutend vermindert werden. Im Deutschen Reiche wurden durch 
die darauf abzielenden Bestrebungen der Berufsgenossensehaften, 
denen durch das Gesetz das Recht eingeräumt worden ist, eine 
bestimmte Behandlungsweise vorzuschreiben, orthopädische Anstalten 
geschaffen, theils deren Errichtung durch dieselben gefördert; 
hervorragende Chirurgen befaßten sich mit dem Studium der 
einzelnen orthopädischen Erkrankungen und Deformitäten; zahl¬ 
reiche von Geburt aus bestehende oder durch Krankheit verursachte 
Mißgestaltungen, wie z. B. Klump-, Plattfuß, rachitische Verkrüm¬ 
mungen der Beine, der Wirbelsäule, Hiiftgelenksverrenkungen und 
dergleichen, erfahren bald neben den Gelenksteifigkeiten erfolgreiche 
Behandlung. Die großen Erfolge sicherten den Anstalten rasche 
Verbreitung, die Orthopädie hat sich zu einer eigenen Disciplin 
emporgerungen als unerläßliche Ergänzung ihrer Mutterwissenschaft, 
der Chirurgie. Nach einem uns vorliegenden Ausweise wurden 
seitens der bayrischen Baugewerks-Berufsgenossenschaft allein im 
Jahre 1898 226 Unfallverletzte der medico-mechanischeu Nach¬ 
behandlung unterzogen; deren Erwerbsbeschräukung betrug zur 
Zeit der Aufnahme durchschnittlich 87 %» nach deren Entlassung 
nur mehr 40%. Die Erfolge der Nachbehandlung sind in den 
einzelnen Fällen selbstverständlich sehr verschieden, je nach der 
ursprünglichen Art und nach der Schwere der bestehenden Folgen 
des Leidens, nach dem Zeitpunkte des Eintrittes in dieselbe und 
je nach dem Verhalten des Verletzten gegenüber den ärztlichen 
Anordnungen. In vielen Fällen wurden die störenden Folgen ganz 
beseitigt, sonst aber zumindest erheblich vermindert. In Oesterreich 
fand diese Disciplin noch wenig Beachtung; es bestehen nur wenige 
Anstalten, die überdies zumeist nur Vermögenden zugänglich sind; 
die Erfolge der Orthopädie kommen heute nur den Besitzenden 
zugute, sie sind noch nicht Gemeingut des Volkes geworden. Diese 
Erkenntniß veranlaßte den Vorstand der Arbeiter-Unfallversiche 
rungs-Anstalt in Salzburg, soweit es das Gesetz gestattet, auf 
diesem Gebiete fördernd einzugreifen, und zwar sollen jene ent¬ 
schädigungsberechtigten Unfallverletzten, bei denen durch ortho¬ 
pädische Nachbehandlung eine Besserung des Zustandes zu erzielen 
ist, durch Gewährung entsprechender Beiträge zu den Behand¬ 
lungskosten, eventuell auch der Reisekosten neben der gesetzlich 
gebührenden Rente in die Lage versetzt werden, sich der Behand¬ 
lung in einer orthopädischen Anstalt zu unterziehen. An die 
behandelnden Aerzte, sowie an die Krankencassen ergeht die Ein¬ 
ladung, geeignete Fälle unter kurzer Schilderung der Verletzungs¬ 
folgen während des Heilverfahrens oder in unmittelbarem Anschlüsse 
daran der genannten Anstalt mitzutheilen , damit die nöthigen 
Schritte eingeleitet werden können. 

Vorausgesetzt ist: 1. Das Vorliegen eines Unfalles in einem 
versicherten Betriebe. 2. Die Eignung des Falles zur orthopädischen 
Nachbehandlung. 3. Die Einwilligung des Verletzten, sich der 
Behandlung zu unterziehen. Es wäre zu wünschen, daß von dieser 
vorläufig versuchsweise zur Einführung gelangenden Einrichtung 
seitens der Unfallverletzten möglichst rechtzeitig und ausgiebig 
Gebrauch gemacht werde; Sache der Gesetzgebung wird es dann 
sein, an der Hand der gesammelten Erfahrungen den mit der 
Arbeiterfürsorge betrauten Institutionen die Handhabe zur möglichst 
weitgehenden Ausgestaltung zu bieten.“ 

Die Revision des Gesetzes vom 28. December 1887, betreffend 
die Unfallversicherung der Arbeiter, ist noch immer „im Zuge“. 
Es muß als Pflicht aller jener Factoren, welche Beruf und Amt 
hiezu prädestiniren, bezeichnet werden, dafür zu sorgen, daß diese 
„Revision“ nicht aus Mangel an Mateiiale im Sande verrinne. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

31. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für 

Chirurgie. 

Gehalten zu Berlin, 2.—5. April 1902. 

(Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) 

VII. 

Bunge (Königsberg): Oie TALMA’sche Operation. 

Man kann die Fixation des Netzes an die vordere Bauch¬ 
wand, so führt B. aus, intra- oder extraperitoneal machen. An der 
Königsberger Klinik wird die extraperitoneale Methode geübt. Die 
zahlreichen Thierversuche haben den Werth der TALMA’schen Opera¬ 
tion vollkommen erwiesen. Angewendet wurde sie in der Königs 
berger Klinik in 8 Fällen von Lebercirrhose und Ascites mit 2 Mi߬ 
erfolgen, 4 Heilungen, 2 Todesfällen. Im Ganzen sind in der Lite¬ 
ratur 90 Fälle mit 32 Heilungen des Ascites zu finden. Auch die 
Hämatemesis ist dabei geheilt worden. Vortr. hält die TALMA’sche 
Operation mit Einnähung des Netzes, eventuell auch der Milz für 
die beste Methode, der Pfortaderstauung entgegenzutreten. Die Milz 
einnähung ist bis jetzt allerdings nur zweimal vorgenommen worden. 
B. hält sie für viel geeigneter zur Erzeugung von Collateralen im 
Pfortaderkreislauf wie das Netz. Vortr. beleuchtet dann die Gefahren 
der Operation, die Abknickung der Därme durch intraperitoneale 
Fixation, die er nicht hoch anschlägt. Dagegen blieb nach der 
extraperitonealen Annäiiung stets eine Bauchhernie zurück. Bei 
den eventuell auftretenden Delirien, Krämpfen empfiehlt er, da 
nach seinen Thierexperiraenten diese Erscheinungen auf die Um¬ 
wandlung der Carbaminsäure in Harnstoff zurückzuführen sind, 
möglichste Vermeidung der Fleischnahrung. Er läßt die Operation 
auch beim Diabetes als gerechtfertigt erscheinen. Icterus, Urobilin- 
urie, überhaupt alle Zustände, die eine mangelhafte Function der 
Leber documentiren, sind Contraindicationen. 

Franke (Braunschweig): Ueber eine Gefahr der TALMA’schen 
Operation. 

An einem Falle von alkoholischer Lebercirrhose mit Ascites 
hatte F. die Operation scheinbar mit gutem Erfolge ausgeführt, 
dann bekam er mit einem Male die Erscheinungen der Pylorus¬ 
stenose. Es wurde die Gastroenterostomie gemacht, doch der Patient 
starb an Pneumonie am 7. Tage. Bei der Sectiou fand sich eine 
Abknickung des Colon transversum mit großer Kothstauung im zu¬ 
führenden Abschnitt, die das Duodeum vollständig comprimirte. 
Fr. glaubt, daß er offenbar das Netz in zu großer Ausdehnung 
angenäht hatte. Er wird daher in einem nächsten Falle die Milz 
annähen. Bei einem 14jährigen Mädchen mit „cardialer Cirrhose“ 
hat er ebenfalls die Operation gemacht, und zwar mit gutem 
Erfolge. 

KOCHER (Bern) demonstrirt ein Ulcus pepticum jejuni 
nach Gatrojejunostomie, welches nach seiner Meinung 
sicher durch zu starken Druck des Dünndarms bei der Operation 
entstanden ist. Doch sind bei 3 anderen Fällen die Symptome des 
Ulcus pepticum erst nach so langer Zeit aufgetreten, bis 12 Monate 
nach der Operation, daß an einen Druck mit Blutung in die Darm¬ 
wand nicht zu denken war. Nun sind die Ulcera immer sehr nahe 
am Magen gefunden worden, so daß er darauf gekommen ist, daß 
wohl der verlängerten Einwirkung des Magensaftes auf den Darm 
durch Contraction desselben die Ulceration des Jejunum zuzu¬ 
schreiben ist. 

Payr (Graz): Ursachen der Stieldrehung bei intraperitoneal 
gelegenen Organen. 

Vortr. hat Thieren eine Magnesiumkugel in die Bauchhöhle 
gebracht, die sich in 40 Fällen regelmäßig im Netz wiederfand, 
welches vielfach um die Kugel und die durch sie erzeugten Gas¬ 
cysten gedreht war. Diese Drehungen versucht P. nun mechanisch 
zu erklären an der Hand der Zeichnungen seiner Präparate. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 24. 


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Petersen (Heidelberg) : Zur operativen Therapie der Blutungen 
bei Magengeschwür. 

Während früher ein großer Pessimismus herrschte und die 
Excision des Geschwürs verlassen wurde, hat jetzt die an der 
Heidelberger Klink geübte hintere Gastroenterostomie bedeutende 
Erfolge aufzuweisen, einfach durch guten Abfluß des Mageninhalts. 
Der Salzsäuregehalt nahm in allen Fällen rapide ab. Mortalität 
von 3%- 

Heidenhein (Greifswald) hat ein Ulcus perforans ventriculi am oberen 
Rand der Vereinigungsstelle bei Gastroenterostomie gesehen. Bald nach erfolgter 
Entlassung nach Vernähung dieses Ulcus bekam der Patient wieder ein Ulcus 
pepticum liefer im Jejunum. Beidemale war das Ulcus adhärent an der vor¬ 
deren Bauchwand, und dem Umstande glaubt H. es auch zuzuschreiben, daß 
der Patient mit dem Leben davonkam. 

(Joepel (Leipzig) berichtet über einen ähnlichen Fall. Er macht die 
Gastroenterostomie wegen der in der Pars pylorica sich häufenden Salzsäure 
in der Pars fundosa. 

Krönlein (Zürich) kann auch die Zahl der Ulcera peptica um einen 
Fall vermehren, den er excidirt hat, und der jetzt nach 6 Jahren wieder 
wegen .derselben Erscheinungen zur Operation kommen wird. Was nun die 
Gastroenterostomie bei Blutung anlangt, so kann er sie nicht empfehlen, er 
hat einen Fall dadurch ohne weiteres verloren. 

Y. Eiseisberg (Wien) steht im Allgemeinen auf dem Standpunkt Pe- 
tersen’s, doch möchte er statt der Gastroenterostomie die Jejunostomie machen. 
Die Quelle der Blutung aufzusuchen hält er auch für unzweckmäßig. 

Braatz (Königsberg) will bei der Gastroenterostomie erst das zuführende 
Ende in das abführende, dieses dann in den Magen einpflanzen. 

Bunge (Königsberg) hat 2 Fälle von Magenblutung durch Gastroentero¬ 
stomie, in einem Falle durch Hinzufügen einer Jejunostomie geheilt. Der Aus¬ 
schaltung . des Magens durch die Jejunostomie ist sehr viel Werth beizumessen. 

Körte (Berlin) berichtet über einen Fall, der trotz guter, breiter Ga¬ 
stroenterostomie an Blutung starb. 

Küster (Marburg) glaubt, daß im Allgemeinen die Gastroenterostomie 
bei Blutung genügen wird, doch soll man die Untersuchung des Geschwürs 
nicht unterlassen. In einem seiner Fälle war ein Fremdkörper in dem Ge¬ 
schwür, der, wenn man ihn nicht entfernt hätte, die Blutung dauernd unter¬ 
halten hätte. Er eröffnet in allen Fällen den Magen, um eventuell das Ulcus 
zu paquelinisiren. 

Krönlein macht darauf aufmerksam, daß ein Loch in der A. coronaria 
ventriculi nicht durch die Gastroenterostomia anterior oder posterior sich 
schließen wird. 

Hahn (Berlin) glaubt, daß man nachforschen müsse, ob das Ulcus pepti¬ 
cum häufiger bei Gastroenterostomia anterior oder pos f erior vorkommt. Bei 
gleich großer Statistik empfiehlt es sich, die Gastroenterostomia anterior 
stets zu machen, da durch Verwachsungen eine eventuelle Perforation bessere 
Chancen hat. 

Hehn (Frankfurt a. M.) bricht eine Lanze für die Gastroenterostomia 
anterior. Er hat nie ein Ulcus pepticum gesehen. Bei Ulcus ventriculi soll 
man doch nach der Quelle der Blutung sehen. 

Kausch (Breslau) berichtet ebenfalls über 2 Fälle von Ulcus pepticum. 

Lauenstein (Hamburg) hat nur die Gastroenterostomia anterior gemacht 
und nie ein Ulcus pepticum gesehen. 

Kocher (Bern) glaubt, daß Ulcus pepticum ebenso oft bei der Gastro¬ 
enterostomia anterior wie bei der posterior vorkommt, doch hält er es für 
wichtig, darüber auf dem nächsten Congreß zu berichten. 

Pfeil-Schneider (Schönebeck) erzählt einen Fall von angeblichem 
Ileus, der sich bei der Obduction als ein gangränescirter Divertikel mit Ab- 
sceß erwies. 

Helferich (Kiel) bespricht eine Vereinfachung der MiKuucz’schen 
Operation des Mastdarmprolapses. Spaltung de3 Prolapses auf einer Seite bis 
zum Anus heran, dann Resection und einfache Matratzennaht. Im Allgemeinen 
aber stimmt er v. Eiselsberg zu, daß in vielen Fällen eine Operation nicht 
von nöthen ist. 

Reerink (Freiburg): Ueber Dauerresultate bei Transplantationen 
am Magen. 

R. versuchte, Darmpartien des Colons in den Magen einzu- 
pflunzen , die am Mesocolon haften blieben. Das Haftenbleiben an 
dem Mesocolon ist nothwendig, wenn nicht das Darmstück in 
kurzer Zeit verdaut werden soll. Zwar blieben trotzdem 3 von 
5 Händen am Leben , obgleich das nicht mit dem Mesocolon zu¬ 
sammenhängende Darmstück verdaut war, weil sich Netz über den 
Defect herübergelegt hatte und die Perforation so verhinderte. 
An mikroskopischen Zeichnungen macht er die Umwandlung der 
Darmstücke, die dauernd einheilten, klar. R. hat nie ein Ulcus 
pepticum auf der Darmschleimhaut gesehen. In den ersten Monaten 
hat er beobachtet, daß die Mesenterialgefäße noch das betreffende 
Darmstück ernährten, nach Jahresfrist aber waren sie obliterirt; 
das Darmstück war vollkommen zu einem Magenwandstück geworden. 


Gesellschaft für innere Medicin in Wien, 

(Orig.-Ber. der „Wiener Med. Presse“.) 

Sitzung vom 5. Juni 1902. 

ÄLB. HAMMERSCHLAG demonstrirt Blutpräparate eines Falles 
von Hämoglobinurie nach Magenblutungen. Pat. hatte 
wiederholt Ilämateraesis, welche zum Tode führte. Im Blute fanden 
sich zahlreiche Blutkörperchenschatten, von denen einige noch 
Reste von Blutfarbstoff aufwiesen, ferner kernhaltige Erythrocyten, 
vermehrte Leukocyten, unter ihnen fanden sich namentlich viel¬ 
kernige Leukocyten und große Markzellen; eosinophile Zellen 
fehlten. Im Urin fand sich Hämoglobin. Bei der Obduction fand 
sich ein Ulcus an der hinteren Wand des Magens, welches dieselbe 
durchbrochen und das Pankreas arrodirt hatte. Hiemit hängt 
vielleicht die Hämocytolyse zusammen, da Pankreasextract die 
Blutkörperchen auflöst. Bemerkenswerth ist das frühzeitige Auf¬ 
treten der Regeneration der Blutzellen. 

Kaufmann hat einen ähnlichen Fall bei einem 22jähr. Mädchen mit 
Pankreascarcinom und wiederholten Blutbrechen gesehen. Pat. war anämisch, 
icterisch, die Leber vergrößert, in der Haut saßen Hämorrhagien. Im Blute waren 
zuerst 2 Millionen rothe Blutkörperchen, deren Zahl dann auf P5Millionen sank. 

Rob. Breuer stellt einen 42jähr. Mann mit progressiver 
perniciöser Anämie vor, welche schubweise vorschreitot. Un¬ 
gefähr jedes halbe Jahr (jetzt zum siebentenmale) wird Pat. blaß und 
matt, hat leichte Magenbeächwerden und Milztumor, der Blutbefund 
ist derjenige einer progressiven Anämie: starke Herabsetzung der 
Zahl der Erythrocyten und des Hämoglobingehaltes, leichte Leuko¬ 
penie, Auftreten von Megaloblasten. Nach 5 Wochen ist gewöhnlich 
der Pat. unter Eisen- und Arsenmedication fast ganz geheilt, doch 
bleiben in letzter Zeit geringe Blutveränderungen auch in der 
anfallsfreien Zeit bestehen. Die Aetiologie ist dunkel. 

Ferner stellt derselbe einen Fall von BANTi’scher Krank¬ 
heit vor. Die Symptome derselben sind: sehr großer Milztumor, 
geringe Anämie, später Lebercirrhose mit Stauungserscheinungen 
im Pfortaderkreislaufe, Leukopenie. Die vorgestellte Frau ist seit 
2 Jahren krank; die Milz ist vergrößert, ebenso die Leber, anfangs 
war ein geringer Ascites nachweisbar; der Hämoglobingehalt ist 
herabgesetzt, Zahl der weißen Blutkörperchen gegenwärtig 1100, 
der rothen Blutkörperchen 4 Millionen. Pat. hat manchmal einen 
leichten Icterus und stets excessive Urobilinurie. In therapeutischer 
Hinsicht empfiehlt Banti die Milzexstirpation. 

Kaufmann stellt einen Fall von infantiler Tabes vor. 
Der gegenwärtig lOjähr. Knabe erkrankte vor 3 Jahren an Magen¬ 
beschwerden, welche seit einem Jahre den Typus der Crises gastri- 
ques angenommen haben, die alle 3—4 Wochen wiederkehren- 
Seine Pupillen sind vollkommen lichtstarr, die Reaction auf Accommo. 
dation ist herabgesetzt, die Patellarreflexe fehlen, Andeutung von 
Romberg, zeitweise Enuresis nocturna. Keine psychischen Ver¬ 
änderungen, Keine Krämpfe oder Lähmungen. 

Frankl-Hochwart weist auf die Wichtigkeit der Enuresis nocturna 
hin, welche immer zu einer Untersuchung des Nervenzustandes auffordern sollte. 

ROB. KIENBÖCK demonstrirt Radiogramme von Nieren¬ 
steinen. Es müssen stets mehrere Aufnahmen gemacht werden, 
um die Diagnose zu sichern, ferner sind zum Gelingen der Aufnahme 
die Anwendung einer auf den Körper aufzulegenden Blende ans 
Bleiblech, eine Roentgenröhre von richtigem Evacuationszustande 
und Compression des Abdomens während der Aufnahme empfehlens- 
werth. 

Ferner stellt Dr. Kienböck ein 32jähr. Mädchen mit Neph ro- 
lithiasis und Polyarthritis synovialis vor, welche 
radioskopisch festgestellt wurde. Pat. zeigt eine eigenthtimliche 
Wachsthurashemmung. Im 7. Lebensjahre überstand sie eine schwere 
Polyarthritis , welche später wiederholt recidivirte und zu Anky¬ 
losen, Contracturen und zum Theil zur Ausbildung von Schlotter¬ 
gelenken führte. Die Kranke ist sehr klein, nur 30 Kgrm. schwer, 
die Extremitäten sind verkürzt, die Musculatur und die Knochen 
atrophisch, das Fettpolster ist vermehrt. 

L. HOFBAUER stellt einen Mann vor, welcher nach Ein- 
athmung von Chloroformdämpfen Astasie, Abasie und 
Nystagmus bekommen hat. 


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Notizen. 


Wien, 14. Juni 1902. 

(K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien.) In der 
gestrigen Sitzung stellte zunächst Keg.-Rath Dr. Gersuny einen 
Mann vor, welchen er wegen Carcinoma linguae dreimal 
operirt hat (Keilexcision der Zungenspitze mit Entfernung der 
submaxillaren Drtlsen , sodann Exstirpation der Zunge und eines 
Theiles der Schleimhaut des Mundbodens, schließlich Entfernung des 
Unterkieferkörpers und der Musculatur des Mundbodens bis zum Zungen¬ 
beine). Die Sprache des Pat. ist ziemlich deutlich, nur die Aussprache 
der Linguallaute erschwert. Dr. R. Kronfeld berichtet über seine 
Versuche, die functionellen Störungen durch eine entsprechende 
Prothese zu beheben. — Hierauf demonstrirte Prof. Dr. Ehrmann 
einen Fall von Heilerfolg bei Lupus des Gesichtes 
mittelst Resorcinpaste. — Doc. Dr. E. Spiegler stellte eine Frau 
mit Pigmentveränderungen der Haut und der Kopf¬ 
haare nach Erysipel vor. Er führt die genannten Verände¬ 
rungen auf Störungen des Chemismus der Pigmentbildung zurück. 
Prof. Dr. Ehrmann * erklärte den Pigmentschwund im Falle S.’s 
durch Atrophie oder Schädigung der betreffenden Pigmentzellen. — 
Sodann zeigte Dr. G. Alexander Modelle der postembryonalen 
Entwickelung des Ohrlabyrinthes. — Schließlich hielt 
Dr. S. Federn seinen angekündigten Vortrag „Ueber Blutdruck¬ 
messung“. Auf seine vielfachen Arbeiten zurückgreifend, dis- 
cutirte und betonte Vortr. in erster Linie die Brauchbarkeit des 
BASCH’schen Instrumentes am Krankenbette, sowie die Unent¬ 
behrlichkeit der dauernden Blutdruckcontrole. F. hat in der Blut¬ 
drucksteigerung die Ursache einer großen Reihe acuter und 
chronischer Störungen gefunden und nachgewiesen, daß dieselben 
von Veränderungen der Darmfunction (partielle Darmatonie) ab¬ 
hängig seien. Eine weitere vom Vortr. aufgedeckte Thatsache ist 
die mit der Menstruation parallel gehende Curve der Blutdruck¬ 
höhe beim geschlechtsreifen Weibe. Die untere Grenze des normalen 
Blutdrucks des Erwachsenen, an der Radialis in Herzhöhe gemessen, 
beträgt 50—60 Mm. Hg, die obere Grenze ist schwer bestimmbar. 
Um seine ,mit den physiologischen Zahlen in Widerspruch stehenden 
Blutdruckwerthe nachzuprüfen, hat Vortr. eine große . Reihe müh¬ 
seliger und interessanter Versuche am Menschen und Thiere 
angestellt, welche ihm auch den Schlüssel zur Erklärung jener 
Differenzen an die Hand gegeben haben. 

(Feri al cu r se.) Die diesjährigen Ferialcurse werden gleich 
denen im Vorjahre in zwei Cyklen gelesen; der 1. Cyklus beginnt 
am 4. August, der 2. am 1. September. Jeder Cyklus dauert 
4 Wochen. August-Cyklus: Anatomie und Histologie (Hellt, 
Marburg) ; Pathologische Anatomie und Bakteriologie (Albrecht, 
Ghon, Landsteiner, Marburg); Pharmakognosie (Hockauf); 
Interne Medicin (Schlesinger, L. Braun, A. Schiff, v. Czyblarz, 
Weinberger); Kinderkrankheiten (Moser); Neurologie und Psy¬ 
chiatrie (v.Frankl-Hochwart, Redlich, Elzholz, Erben, Raimann, 
Fuchs); Chirurgie (Schnitzler, Föderl); Augenheilkunde (Winter¬ 
steiner, Sachs, Hanke) ; Laryngologie und Rhinologie (Grossmann, 
Rethi, Harmer); Ohrenheilkunde (Alt, Bing, Hammerschlag, 
Alexander,, Frey) ; Dermatologie und Syphilidologie (Spiegler, 
Ullmann, Löwenbach, Kreibich); Geburtshilfe und Gynäkologie 
(Mandl, Burger, Keitler, Blau). September-Cyklus: 
Pathologische Anatomie und Bakteriologie (Albrecht, Ghon, Stoerk, 
Landsteiner) ; Pharmakognosie und Pharmakologie (Hockauf, Mit¬ 
lacher); Experimental Pathologie (Kraus); InterneMedicin(PiNELES, 
Schmidt, Sorgo, Donath); Hydrotherapie (Strasser); Kinder¬ 
krankheiten (Frühwald, Unger, Knöpfelmacher, Moro); Neurologie 
und Psychiatrie (v. Frankl-Hoch wart, Elzholz, v. Sölder, 
v. Halban, Pilcz); Chirurgie (Schnitzler, Reiner); Augenheil¬ 
kunde (Elschnig, Müller, Wintersteiner, Kunn, Sachs, Hanke, 
Fröhlich); Laryngologie und Rhinologie (Grossmann, Rethi, 
Hanszel) ; Ohrenheilkunde (Bing , Hammerschlag , Alexander, 
Frey) ; Dermatologie und Syphilidologie (Spiegler , Ullmann, 
Löwenbach, Vajda); Geburtshilfe und Gynäkologie (v. Braun- 
Fernwald, Knauer, Halban, Peham); Gerichtliche Medicin 


(IIaberda); Zahnheilkunde (Loos). Die Inscription erfolgt bei den 
betreffenden Vortragenden und ist das Honorar an dieselben direct 
im vorhinein zu entrichten. Das Programm über die Carse ist bei 
den Portieren des allgemeinen Krankenhauses und der Poliklinik 
erhältlich; dasselbe kann ferner auch per Post vom Decanate der 
medicinischen Facultät gegen Einsendung von fünfundzwanzig Hellern 
in österreichischen Briefmarken bezogen werden. Auskünfte über die 
Ferialcurse werden im medicinischen Decanate ertheilt. 

(Zur Revision des Aerztekamraer-Gesetzes.) Die 
Wiener Aerztekammer versendet folgende Mittheilung: Das vom 
5. Aerztekammertage eingesetzte Comite —• bestehend aus dem 
Präsidenten der mährischen, niederösterreichischen, ostgalizischeu 
und Wiener Kammer —- hat auf Grund der Revision, welche das¬ 
selbe bezüglich der von den einzelnen Aerztekammern zu dem am 
Aerztekammertage beschlossenen Entwürfe beantragten Zusätze und 
Abänderungen vorgenommen hat, einen Entwurf ausgearbeitet und 
in demselben vorläufig nur jene Anträge der Wiener Kammer, 
welche die Erweiterung der Disciplinargewalt der Aerztekammern 
(Entziehung der Praxisberechtigung), die Einsetzung eines Ehren- 
gerichtshofes und das Capitel „Rechte und Pflichten“ der beantragten 
„Aerzteordnung“ betreffen, in suspenso gelassen, um bezüglich 
der letzteren noch die Aeußerungen sämmtlicher Aerztekammern 
einzuholen. Für die Erstattung dieser Aeußerungen wurde eine 
Frist bis Ende Juni 1902 festgesetzt. Nach Einlangen der Aeuße¬ 
rungen wird das Comite den Entwurf auch bezüglich der oben 
erwähnten Anträge fertigstellen, juristisch begutachten lassen und 
den Kammern ungefähr bis Ende Juli zusendeu, damit dieselben 
in der Lage sind, den Entwurf noch vor dem am 7. und 8. Sep¬ 
tember 1902 in Czernowitz stattfindenden Aerztekammertage vor- 
zuberathen. Die Berathung durch die Wiener Aerztekammer wird 
in den für den 2. und eventuell für den 3. September 1. J. in 
Aussicht genommenen Kammerversamralungen stattfinden. 

(Achille de Giovanni.) Herr Prof. Benedikt sendet 
uns folgende Zeilen: „Für den 24. Juni rüstet sich das ganze 
medicinische Italien, um das 25jährige Universitätsjubiläum ihres großen 
klinischen Landsmannes De Giovanni zu feiern. Die italienische 
Nation kann stolz sein auf den kolossalen Aufschwung, welchen die 
medicinische Wissenschaft ihres Landes in den letzten 30 Jahren 
genommen hat, und sie kann mit Recht an die Kliniken von Padua 
den Maßstab dieses immensen Fortschrittes anlegen. De Giovanni 
ist nicht nur ein genialer Diagnostiker; er gehört zu den wissen¬ 
schaftlichen Weisen in der Geschichte der Medicin. Sein Werk: 
„Morfologia del corpo umano“ (1892) gehört zu den tiefsinnigsten 
Forschungen über das Verhältniß der Variationen der Organe zur 
Disposition für Erkrankungen. Alle seine klinischen Arbeiten zeigen 
den großen Zug des hervorragenden Denkers. Er ist aber auch als 
Organisator außerordentlich thätig und der Anreger und Führer 
der Bewegung zur Bekämpfung der Tuberculose. Wer das 
Glück gehabt hat, wie ich, sich stundenlang mit de Giovanni über 
wissenschaftliche Aufgaben zu unterhalten, wird diese Stunden zu 
den genußreichsten seines Lebens rechnen. Darum herzlichsten Gruß 
und Glückwunsch vom Donaustrande im Sinne aller Collegen!“ 

(Habilitation.) Dr. Wilhelm Scholz hat sich als Privat- 
docent für interne Medicin an der medicinischen Facultät der Uni¬ 
versität in Graz habilitirl. 

(Auszeichnungen.) Der Chemiker E. Fischer in Berlin, 
der Zoologe van Beneden in Lüttich, der Physiker J. W. S. Ray- 
leigh in London und der Physiologe K. v. Voit in München sind zu 
correspondirenden Mitgliedern der kaiserlichen Akademie der Wissen¬ 
schaften in Wien ernannt worden. — Der Zahnarzt Dr. Edmund 
Endlicher in Wien hat das Commandeurkreuz des päpstlichen 
Gregor Ordens, der Curarzt in Marienbad Dr. Max Porges den 
persischen Sonnen- und Löwen-Orden IV. CI. und der Gemeinde¬ 
arzt in Castel Nuovo Dr. Gjorgje Maric die montenegrinische 
goldene Verdienst-Medaille erhalten. 

(Ernennung.) Privatdocent Dr. Oscar Föderl ist zum 
Primarärzte II, CI. im Status der Aerzte der Wiener k. k. Kranken¬ 
anstalten ernannt worden. 

(Verein der Hilfsärzte der Wiener Kranken¬ 
anstalten.) Die Leitung dieses Vereines theilt uns mit, daß sie 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 24. 


1152 


gerne bereit ist, die Vermittlung von Stellvertretungen für 
praktische Aerzte- durch Mitglieder des Vereines zu über¬ 
nehmen und ersucht, Zuschriften in dieser Angelegenheit an den 
Obmannstellvertreter Dr. Heinrich Löwenstein, IX., Severingasse 3, 
gelangen zu lassen. 

(Arbeite rversicherungs-Congreß.) Auf diesem am 
17. d. M. zu Düsseldorf beginnenden Congresse werden Bödiker 
„Ueber die wirthschaftliche und politische Bedeutung der deutschen 
Arbeiterversicherung“ ; Zacher : „Ueber die verschiedenen Systeme 
der Arbeiter Versicherung in Europa“; Hartmann: „Ueber Ent¬ 
wickelung der Unfallversicherungstechnik“; Max Schlesinger: 
„Ueber die Förderung des Rettungswesens und des Rothen Kreuzes 
durch die Arbeiterversicherung“; Bielefeld: „Ueber die Volks¬ 
krankheiten“ ; Waldschmidt: „Ueber die Bekämpfung der Trunk¬ 
sucht“ und Klein : „Ueber die deutsche Unfallstatistik“ sprechen. 

(Statistik.) Vom 1. bis inclusive 7. Juni 1902 wurden in den 
C i vi lspi t älern Wiens 7562 Personen behandelt. Hievon wurden 1839 
entlassen; 175 sind gestorben (8'68% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 53, egypt. 
Augenentzündung 2, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 4, Dysen¬ 
terie —, Blattern —, Varicellen 57, Scharlach 101, Masern 498, Keuchhusten 56, 
Rothlauf 49, Wochenbettfieber 6, Rötheln 49, Mumps 33, Influenza—, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Ly.ssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 794 Personen gestorben 
(+ 72 gegen die Vorwoche). 


Gebrauch der Marienbader Hebwässer im Hause. Es ist eine bekannte 
Thatsache, daß sehr viele, ja die Mehrzahl aller w irklichen Curbedürftigen 
aus mannigfachen Gründen nicht in der Lage ist, den Curort aufzusuchen 
und sich daselbst unter ärztlicher Leitung einer systematischen Cur zu unter¬ 
ziehen, sondern auf den Gebrauch der Marienbader Heilwässer im Hause 
angewiesen erscheint. 

Vielen Kranken wird überdies von ihren Aerzten das Trinken der 
Marienbader Wässer im Herbste, im Winter oder im Vorfrühling, also zu 
einer Zeit verordnet, da im Curorte selbst alle Quellen und Bäder für den 
Curgebrauch geschlossen sind. Auf diese und andere Gründe Lt wohl der 
kolossale Verbrauch der Marienbader Wässer außerhalb Marieubads znrückzu- 
fiihren und ebenso die Thatsache, daß die Trinkcuren im Hause unbeschadet 
der Entwickelung des Curortes und der alljährlich fortschreitenden Frequenz¬ 
zunahme heutzutage immer mehr und mehr an Ausdehnung uud Bedeutung 
gewinnen. Die Marienbader Quellen sind, was chemisch beurtheilt von ent¬ 
scheidender Wichtigkeit ist, in fast idealer Weise versendungsfähig; sie ver¬ 
lieren nichts von ihrer therapeutischen Wirkung, sie descomponiren sich nicht 
in ihren Besiandtheilen , sie bleiben rein, klar und sind bei tadelloser Ver¬ 
korkung außergewöhnlich lange haltbar. 

In einer Reihe von Leiden sind die während eines Jahres wiederholt 
vorgenommenen häuslichen Trinkcurtn von einer in den ärztlichen Kreisen 
längst anerkannten Bedeutung. Viele chronische Leiden sind überhaupt nur 
auf diesem Wege of tmals wiederholter, auf eine lange Zeit ausgedehnter Trink- 
curen beilungs- oder besserungsfähig. Es muß doch jedem Einsichtigen klar 
sein, daß chronische Leiden eine chronische Behandlung erfordern, und daß 
von einer einzigen Cur, und sei diese noch so exact und gewissenhaft durch¬ 
geführt, nur in der Minderzahl der Fälle vollständige Heilung zu gewärtigen 
ist. Der wiederholte, auch nach einer Cur in Marienbad, etwa alle Viertel¬ 
jahr im Hause des Kranken vorgenommene Gebrauch der Mirienbader Wässer 
wird in den hiefür vom Arzte als geeignet befundenen Krankheitsfällen (Fett¬ 
sucht, Darmträgheit, Plethora, Gicht, uratische Diathese, Zuckerkrankheit, 
Anämie, Nieren- und Blasenleiden, Lebererkrankungen u. s. w. gewiß ausge¬ 
zeichnete Erfolge erzielen, Erfolge, wie sie überhaupt nur auf diesem Wege 
chronischer Behandlung zu erreichen sind. 


Eingesendet. 


Von allen Mitlein gegen mannigfache Magenkrankheiten erfreuen sich 
die sogenannten Bittermittel und deren alkoholische Extracte als Stomachica 
eines guten Rufes. Unter diesen Mitteln nimmt die Condurangorinde einen 
allerersten Platz ein. Die gewöhnlich übliche Abkochung der Rinde oder der 
weinige Auszug (Condurangowein) hat sich nicht in dem Maße bewährt, wie 
erhofft wurde; es fehlte daher lange Zeit eine geeignete Zusammenstellung 
und Darreichungsform der Condurangorinde. Ende der Achtziger- und Anfang 
der Neunzigerjahre wurde von Herrn Prof. Dr. Immermann im Vereine mit Herrn 
Apotheker F. Walther eine glückliche Darreichungsforra dieses Mittels zu¬ 
sammengestellt, und zwar das 

Walther’s Elixir Condurangopeptonat „Immermann“. 

Seit dieser Zeit haben viele hervorragende Kliniker und Aerzte dieses 
Mittel angewendet und ihre so günstigen Erfahrungen in zahlreichen Refe¬ 
raten, Attesten und Gutachten niedergelegt. Aus allerneuester Zeit ist bei¬ 
folgendes Attest: 


Mit Vergnügen bestätige ich , daß ich seit Jahren das Condurango- 
präparat, das unter dem Namen Elixir Condurangopeptonat „Immermanu“ 
von der Firma F. Walther dargestellt und verkauft wird, in Anwendung 
bringe und damit vorzügliche Erfolge erzielt habe. Ganz besonders hebe 
ich hervor, daß das Präparat seit dem Ableben des Herrn F. Walther 
keine Veränderung erlitten hat, und daß ich von demselben auch in neuester 
Zeit die gleichen günstigen Resultate gesehen habe. 

Bad Kissingen, den 12. April 1902. 

Dr. med. M. Dietz, prakt. Arzt und Bade-Arzt. 

Kgl. baj'r. Hofrath und Oberstabsarzt d. L. 

Walther’s Elixir Condurangopeptonat „Immermann“ wird nur allein 
darge' teilt von der Firma 

F. Walther, Chemisch-pharmaceut. Laboratorium 
Inhaber: Frau F. Walther Wwe. 

Dr. H. Kern, Apotheker und Chemiker, 
Straßburg i. El8., Rheinziegelstraße 12. 


Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 

Sitzung Donnerstag den 19. Juni 1902, 7 Uhr Abends, im Hörsaale der 
Klinik Schrötter. 

Vorsitz: Hofrath Prof. v. Schrötter, 

Programm: 

I. Demonstrationen (angemeldet: Assistent Dr. Jos. Sorgo : Werth der 
Probepunction für die Diagnose der primären und secundären Pleuraturaoren ; 
Assistent Dr. Max Weinberger). 

II. Hofr. Prof. Nothnagel: Zur meningealen Apoplexie. 

Das Präsidiu m. 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 


Mit dieser Nummer versenden wir, für die Abonnenten 
der „Wiener Mediz. Presse“ als Beilage, das Juni-Heft 
der „Wiener Klinik“. Dasselbe enthält: „Die otologisch- 
diagnostische Verwerthung der Stimmgabel.“ Von Docent Dr. 
Albert Bing in Wien. 

Die Rubrik: „Erledigungen, ärztliche Stellen“ etc, 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite, 


Herr Dr. Schramm, emerit. Assistent der Allgem. Poliklinik 
(Abth. Prof. Frühwald) zu Wien, schreibt den 1. März 1898: 

„Kafeke’s Kindermehl hat sich mir bei gesunden Kindern 
als Beinahrung in jedem Falle sehr werthvoll erwiesen und 
wurde von den Kleinen wegen seines guten Ge9chmacke3 auch 
stets gerne genommen. Aber auch bei kranken Säuglingen 
konnte ich „Kufeke’s Kindermehl“ allemal mit Erfolg zur An¬ 
wendung bringen in jenen Fällen, wo es sich um durch Casein¬ 
zersetzungen im Darme hervorgerufene Verdauungsstörungen 
und Katarrhe, sowohl der acuten, als auch der chronischen, 
mit allen ihren Folgeerscheinungen handelte ; unter Ausschluß der 
Milchnahrung für einige Zeit wirkte das Mehl in solchen Fällen 
geradezu heilend. Für ältere Kinder bildet „Kufeke’s Mehl“ eine 
nicht zu übersehende Bereicherung der Fieberdiät.“ 

Waare zu Versuchszwecken steht den Herren Aerzten gratis 
franco zur Verfügung. 

R. Kufeke, Wien, I., Nibelungengasse'8. 



Analyse und fachmännische Berichte erhältlich in den Mineral wasser- 
handlungcn etc,, oder auf Wunsch durch die Brumr ndirection und 
Eigenthümerin der Quellen: 

„Apenta“ Actien-Gesellschaft, Budapest. 

Gratisproben franco zur Verfügung der Herren Aerzte. 
Ausschließliche Versendung für Oesterreich-Ungarn, Serbien und Rumänien durch 
die Firma S. Ungar tun., k. u. k. Hof liefe rant, Wien, I., JasomirgottstraBe Nr. 4. 


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Wien, den 22. J u ni 1902. 


Nr. 25. 


XLIII. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart-Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ nnd 
die „Wiener Klinik", letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse" 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Deutschmeisterplatz 2. 


Wiener 


Abonnementopreise: „Wiener Mediz. Presse" mit „Allgem. 
Militärärztlicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
20 ä", halbj. io A’, viertel]. 5 A'. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. io Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk. , halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8A; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2 spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein 
Sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien,!., Maximilianstr. 4. 


medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Redaclion: Telephon Nr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

-» 9 $@«- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 
Administration: Telephon Nr. 9104. 


? r ^ in *^ n . nn ^ klinische Vorlesungen. Zur Frage des Resorptionsmechanismus. Von Dr. Ludwig Hofbauer. — Ans der chirurgischen Abtheilung 
es . k. Kaiser Franz Josefspitales in Wien (Vorstand: Primarius Doc. Dr. Julius Schnitzler). Die typischen Rißfracturen des Fersenbeines. Von 
r. bnst Fuchsig, Assistenten der Abtheilung. — Aus der inneren Klinik der Jagell. Universität in Krakau (Director Hofrath Professor Dr. Eduard 
v V n 08CZTN8K A ^ ur Kenntniß des Stoffwechsels bei Osteomalacie. Von Doc. Dr. L. R. v. Korczynski. — Die Glandnlentherapie der Tuberculose. 
on r. James : Silberstein in Wien. — Referate. Boas (Berlin): Beiträge zur Kenntniß der Cholelithiasis. — George M. Edelbohls (New-York): 
e eure of chronic Bbight’s disease by Operation. — Rem-Picci (Rom): Ueber Albuminausscheidung nach kalten Bädern. — Siedler (Berlin): 
e ier einige Pflanzenstoffe. Pflüger (Stuttgart): Subconjunctivale Hetolinjectionen. — Max Halle (Berlin): Zur Therapie der Pharyngitis 

granu osa und der Pharyngitis lateralis. — G. Leopold (Dresden): Zur schnellen vollständigen Erweiterung des Muttermundes mittelst des Dilatatorium 
von osse, namentlich bei Eklampsie. — Lode und Gruber (Innsbruck): Bakteriologische Studien über die Aetiologie einer epidemischen Erkran- 
ung er Hühner in Tirol (1901)- — Ascoli (Genua): Bemerkungen zu der Arbeit Nakanishi’s „über den Bau der Bakterien“. — Kleine Mit- 
l eilungen. Nephritistherapie. — Die Staatsquellen von Vichy. — Die abortive Behandlung des Furunkels. — Die Verwerthbarkeit des 
asserstoffsuperoxydes in der Chirurgie. — Stärke der Folia digitalis. — Bismutose. — Wirkungen des Nebennierenextractes. — Dionin. — 
lerarwcne Anzeigen. Lehrbuch der Hautkrankheiten. Von Prof. Dr. Eduard Lang. — Die Verwendung des Lichtes in der Therapie. Von 
rn • p™ 8 * 11 “ (München). — Die bisherigen Leistungen der Lichttherapie. Von Dr. H. Strebel (München). — Feuilleton. Berliner Briefe. 

-*- 0ri Q 8 P' j V' ~ Verhandlungen ärztlicher Vereine. 20. Congreß für innere Medicin. Gehalten zu Wiesbaden 15.—18- April 1902. 
( o iectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) VII. — Aus französischen Gesellschaften. (Orig.-Ber.) — Notizen. — 
Nene Literatur. — Eingesendet. — Offene Correspondenz der Redaction nnd Administration. — Aerztliclie Stellen. — Anzeigen. 


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Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse“ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Zur Frage des Resorptionsmechanismus. 

Von Dr. Ludwig Hofbauer. *) 

M. H.! Ob nur wasserlösliche Substanzen von Seiten des 
Darmes aus dem Darminhalte aufgenommen werden können 
oder auch solche, die wasserunlöslich sind, interessirt seit 
mehreren Jahrzehnten weite medicinische Kreise in hohem 
Grade, und zwar deshalb, weil in der Beantwortung dieser 
Präge die zweier anderer liegt, die von großer Wichtigkeit 
für die Klinik sind, nämlich erstens: 

Können Bakterien, die normale Darmwand durchdringend, 
aus dem Darminhalt in die Circulation gelangen oder nicht? 
und zweitens: 

Müssen die per os eingebrachten Nähr- und Heilmittel 
wasserlöslich sein, wenn wir darauf sollen rechnen können, 
daß dieselben aufgenommen werden oder nicht? 

Mit Recht hat man als günstigstes Object für das 
Studium der ersterwähnten Frage die normale Fettresorption 
herangezogen, denn hier handelt es sich um die Aufnahme 
eines Körpers, welcher einerseits sicherlich im Wasser nicht 
löslich ist und andererseits sicherlich resorbirt wird. Dem¬ 
entsprechend modificirt sich in diesem Falle die Frage dahin: 

Muß alles Fett vor seiner Aufnahme in 
wasserlösliche Form gebracht, id est verseift 
werden? 

*) Vortrag, gehalten in der Sitzung der k. k. Gesellschaft der Aerzte in 
Wien am 6. Juni 1902. — Stenogramm der „Wiener Med. Presse“. 


Die Wiener Schule (E. v. Bbücke , S. v. Basch) förderte 
eine Reihe von Thatsachen zutage, die außerordentlich zu 
Gunsten der Annahme sprechen, daß das Fett ohne völlige 
vorhergehende Verseifung resorbirt werden könne. Es wurde 
gezeigt, daß sich in der Darmwand des in Fettresorption 
befindlichen Thieres ein ununterbrochenes Nebeneinander von 
Fetttröpfchen befindet, von der obersten Schichte des Darmes 
bis hinein in die großen Chylusgefäße, id est im Basalsaum, 
in den Zellen und von da bis in die großen Lymphwege hinein. 

Nun versuchte man zwar, diese Thatsache des Vor¬ 
handenseins von Fetttröpfchen schon in der allerobersten 
Schichte des Darmes, zu leugnen, und behauptete, das Fett 
werde im Darme völlig verseift und innerhalb der Darmwand 
finde die Reconstruction des Fettes aus der Seife und dem 
Glycerin wieder statt. Man zog zu Gunsten dieser Theorie 
die Versuche Ewald’s heran, der nachweisen konnte, daß 
nach Mischen von frisch zerhackter Darmschleimhaut mit 
Seife und Glycerin in der Flüssigkeit in der That nach 
einiger Zeit Fett nachgewiesen werden konnte. 

Aber abgesehen davon, daß sämmtliche Forscher darin 
übereinstimmen, daß knapp unterhalb des bloß zwei Mikra 
dicken Basalsaumes schon wiederum Fetttröpfchen zu finden 
sind, man mithin selbst unter Leugnung des Vorhandenseins 
von Fett im Basalsaum jedenfalls annehmen müßte, daß schon 
innerhalb dieses außerordentlich kleinen Interstitiums die 
Reeonstruction wieder stattfinde, konnte in allerjüngster Zeit 
Kischensky im ZiEGLER’schen Institute in Freiburg i. B. den 
Nachweis erbringen, daß beim resorbirenden Thiere 
im Basalsaum jederzeitFetttröpfchen vorhanden 
sind, also die Angaben der Wiener Schule bestätigen. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 25. 


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Trotzdem halten die Anhänger der Verseifungstheorie 
noch immer an ihrer Ansicht fest; es mag dies vielleicht 
damit in Zusammenhang zu bringen sein, daß man seit dem 
Eindringen physikalisch-chemischer Kenntnisse in weitere 
Kreise der Mediciner auf Grund der diesbezüglichen Gesetze 
alle Resorptionsphänömene erklären zu können glaubte, weil 
einzelne physiologische Versuchsresultate mit den Gesetzen 
der Osmose übereinstimmen, mithin sich durch dieselben 
erklären lassen. 

Nun sprach schon eine Reihe von physikalisch chemischen 
Untersuchungen gegen die Annahme, daß sich alle Resorption 
durch Osmose und Hydrolyse erklären lasse. Die Unter¬ 
suchungen von Höber und Dürig erwiesen, daß selbst die 
Aufnahme einfacher Salzlösungen von Seiten thierischer Mem¬ 
branen keineswegs entsprechend diesen Gesetzen vor sich gehe. 

Fernerhin mußte man bedenken, daß man zu Gunsten 
der Annahme der totalen Verseifung des Fettes im Darme 
keineswegs die Resultate derjenigen Versuche heranziehen 
kann, bei denen man Lösungen von Seifen in destillirtem 
Wasser durch todte thierische Membranen gegen destillirtes 
Wasser dialysiren läßt. Es findet sich im Darme bei der 
natürlichen Verdauung ein solcher Ueberschuß von Kohlen¬ 
säure,. sowie eine solche Unmenge von Salzen und Ver¬ 
unreinigungen verschiedenster Art, daß die Seifen sicherlich 
sofort zerlegt werden. 

Außerdem mußte es auffallen, daß das Fett ebensogut 
im Thierversuch verwerthet wird, als wenn man äquivalente 
Mengen Seife einführt, trotzdem man doch in letzterem Falle 
dem Darme die ihm sicherlich schwer fallende völlige Ver¬ 
seifung des Fettes in wässeriger Lösung erspart. 

Dennoch fassen noch in allerjüngster Zeit die Anhänger 
der Verseifungstheorie ihre Ansicht dahin zusammen, daß 
alle Verdauung Hydrolyse ist mit Einschluß der Fettver¬ 
dauung, welche auch auf hydrolytischer Spaltung beruht 
(Pflüger). 

Nun suchte ich in diesen strittigen Fragen einen Beitrag 
zu leisten durch eine Reihe von Thierexperimenten, die auf 
folgender Ueberlegung basirte: 

Wenn es wahr ist, daß alles Fett verseift werden muß, 
um resorbirt werden zu können, dann muß ein wasserunlös¬ 
licher Fettfarbstoff bei der Verseifung aus seiner Lösung 
ausfallen, er kann nicht resorbirt werden, muß im Darme 
Zurückbleiben und das in den Chylusgefäßen gefundene Fett 
muß farblos sein. 

Diesen an den Fettfarbstoff gestellten Anforderungen 
entspricht vollkommen das Alkannaroth. Der Farbstoff 
hat außerdem als Fettindicator den Vortheil, daß seine 
exquisit rothe Farbe bei Anwesenheit der geringsten Spur 
von Alkali, wie dies doch immer bei der Verseifung der 
Fall sein muß, seine Farbe ändert und exquisit blau wird. 

Wie mir Eprouvettenversuche erwiesen haben, zeigt 
sich denn auch, daß solches mit Alkannaroth gefärbtes Fett 
im Momente, wo auch noch so verdünntes Alkali (ich ver¬ 
wendete Magnesia usfa, Lösungen von doppeltkohlensaurem 
Natron, außerdem benützte ich zu diesen Untersuchungen 
verdünnte wässerige Kali- oder Natronlauge) auf dasselbe 
einwirkt, seine Eigenschaften völlig ändert. Die bis dahin 
klare, rothe Flüssigkeit wird im Momente der Einwirkung 
des Alkalis trübe und blau. 

Verfolgt man den Verseifungsproceß unter dem Mikro¬ 
skop,^ so sieht man, daß bei Zufluß des Alkalis am Rande 
des Fetttröpfchens eine wasserhelle Zone entsteht, in welcher 
zahlreiche kleinste, blaue Farbstoffbröckel ungelöst schwimmen. 

Auf Grund dieser Eprouvettenversuche mußte ich nun 
den Schluß ziehen, daß bei der Verseifung der # in den Darm 
eingeführten Butter im Thierexperimente der Farbstoff als 
blaue, wasserunlösliche Masse ausfallen müsse, die im Darm¬ 
inhalt zurückbleibt, so daß das als Seife resorbirte und im 


Darme reconstruirte Fett in den Chylusgefäßen farblos sein 
müßte. 

Die hierauf angestellten Thierversuche an Hunden, 
welchen in Wurst solche mit Alkannaroth gefärbte Butter 
verabreicht wurde, zeigten nun bei der mikroskopi¬ 
schen Untersuchung des Darmes des während 
der Fettreso rpti on getödteten Thieres, daß die 
Chylusgefäße von Unmassen deutlichst roth ge¬ 
färbter Fetttröp fchen erfüllt waren. Im Darm¬ 
inhalt fand ich niemals, auch nicht in den der 
Darmwand anliegenden Partien desselben blau 
gefärbte Brockel. 

Daraus zog ich den Schluß, daß sicherlich Fett auch 
ohne vorhergehende Verwandlung in Seife von Seiten der 
Darmwand aufgenommen werden könne. 

Pflüger erhob gegen die Deutung meiner Versuche den 
Einwand, daß das Alkannaroth in den im Darme während 
der Verdauung vorhandenen Flüssigkeiten, id est den Ver- 
seifungsproducten des Fettes (Glycerin und Seife) einerseits, 
andererseits im Darmsaft, resp. in der Galle mit rother 
Farbe löslich sei. 

Nun erwiderte hierauf Friedenthal in Berlin, noch 
bevor ich Pflüger’s Angriff zu Gesicht bekommen, diesem 
dahin, daß der Farbstoff in Seifen nur mit Uebergang in 
die blaue Modification löslich sei, ferner nur in so concen- 
trirten Glycerinlösrungen, wie sie im Darme niemals Vor¬ 
kommen, und er erwies ferner, daß die Aufnahme der Alkanna- 
butter von Seiten einer Darmschlinge auch dann geschehe, 
wenn sie ihres Darmsaftes und Inhaltes durch Auswaschen 
völlig beraubt ist; denn wenn Friedenthal einem Thiere 
eine Darmschlinge abband und dieselbe so lange durchspritzte, 
bis jede Gallenreaction in der schon wasserklar gewordenen 
Spülflüssigkeit negativ ausfiel, um nachher Alkannabutter in 
dieselbe einzubringen, so war in diesem Falle trotz 
völligen Mangels von Seife, Glycerin undGalle 
der Darm ebenso wie in meinen Versuchen roth 
vom aufgenommenen Fette. 

Fernerhin konnte ich zeigen, daß die Löslichkeit des 
Farbstoffes in der Galle eine außerordentlich geringe ist, 
so daß bei meinen Versuchen, bei denen ich ungesättigte 
Lösungen des Alkannarothes in dem viel besseren Lösungsmittel 
(der Butter) verabfolgte, unmöglich das schlechtere 
Lösungsmittel (die Galle) dem nicht gesättigten, 
viel besseren Lösungsmittel, nämlich derButter, 
Farbstoff entziehen konnte. 

Daß dies in der That nicht der Fall ist, konnte ich 
auf Grund von Versuchen nicht nur selbst constatiren, sondern 
mußte auch Pflüger selbst bei seinen Versuchen erfahren, 
bei denen das Fett der Alkannaroth enthaltenden Galle den 
Farbstoff entzog, mithin das Gegentheil davon sicherlich 
nicht anzunehmen ist. 

Pflüger erhob nunmehr nach Widerlegung seiner be¬ 
sprochenen Einwürfe den Einwand: meine Versuche seien 
nicht beweisend, denn ich hätte bei 100° C. mit siedenden 
Laugen verseift. 

Nun finde ich in meinen beiden einschlägigen Publi- 
cationen auch nicht ein einziges Wort, welches mir diese 
Annahme Pflüger’s verständlich machen könnte. Ich stellte 
meine sämmtlichen Vor versuche entweder bei Zimmertempe¬ 
ratur an, und in diesem Falle machte ich keine Bemerkung 
im Versuchsprotokoll, oder ich wendete Brutofentemperatur 
an (38—40° C.), und das ist dann bei jedem Versuche ange¬ 
geben. Was aber den Vorwurf anbelangt, daß ich ätzende 
Laugen verwendet hätte, so möchte ich nur auf die ersten 
Zeilen meines ersten Aufsatzes in der uns beschäftigenden 
Frage hingewiesen haben, in welchen es heißt: „Bei Ver¬ 
seifung des Alkannarothes mit verdünnten Alkalien (es wurden 
Kalilauge, Natronlauge, Magnesia usta und Natrium 
bicarbonicum verwendet) ändert der Farbstoff sofort 
seine Farbe und nimmt krüramelige blaue Beschaffenheit an.“ 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 25. 


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Ich möchte an dieser Stelle nebenher auch darauf hin¬ 
gewiesen haben, daß Pflüger meine Verseifungsversuche, 
welche doch sicherlich das ,.den physiologischen Verhältnissen 
Aehnliche“ darstellen, niemals wiederholt hat oder zumindest 
keine diesbezügliche-Erwähnung in seinen Publicationen macht. 

Es sind mithin die Einwendungen Pflüger’s gegen¬ 
standslos, und ich muß nach wie vor aus meinen Versuchen 
den Schluß ziehen, daß Fett resorbirt werden kann, 
ohne vorher in Seifenform gebracht worden zu 
sein. 

Daß auch wasserunlösliche Körper resorbirt werden 
können, beweist nicht nur dieser, mein bereits vor 3 Jahren 
publicirter Versuch, sondern auch eine Reihe von Versuchs¬ 
resultaten, die seither bekannt geworden sind. 

So hatte beispielsweise Friedenthal vor einem Jahre 
constatiren können, daß im Urin von Thieren, welche mit 
Kieselsäure, einer colloidalen Substanz, gefüttert wurden, 
dieselbe nach dem Veraschen des Harnes im Platintiegel 
nachzuweisen ist. Es muß mithin dieser hier nachgewiesene 
Theil der Kieselsäure durch die Darmwand in die Circu- 
lation und von hier durch die Nieren in den Harn ge¬ 
langt sein. 

Es ist mithin auf Grund der eben discutirten Versuche 
wohl über jeden Zweifel erhaben, daß Körper nicht 
wasserlöslich zu sein, bezw. im Darme wasser¬ 
löslich zu werden brauchen, um durch die normale 
Darmwand in die Säftecirculation zu gelangen. 


Aus der chirurgischen Abtheilung des /»•./,•. Kaiser 
Franz- Josefspitales in Wien ( Vorstand: Frimarius 
l)oc. l)r. Julius Schnitzler). 

Die typischen Rißfracturen des Fersenbeines. 

Von Dr. Ernst Fuchsig, Assistenten der Abtheilung. 

(Schluß.) 

Ich glaubte sowohl die in der Literatur niedergelegten 
Krankengeschichten, als auch die der eigenen Fälle ausführlich 
bringen zu sollen, da die Bedeutung dieser Fracturform, 
trotzdem schon mehrere Jahre bekannt, nicht genügend ge¬ 
würdigt \Vurde, so daß es z. B. im Handbuche für 
Chirurgie 9 ) von der Rißfraetur noch heißt: „Der Bruch 
betrifft selten nur die Ansatzstelle der Achillessehne, vielmehr 
wird meist der ganze, hinter der Articulatio talo-calcanea 
liegende Theile des Fersenbeins abgelöst.“ 

Seit Hippokrates spricht man von Rißfracturen des 
Calcaneus, seit Malgaigne bereits glaubt man sie genau zu 
kennen, und doch zeigte erst die Radiographie uns deren 
wahre Natur, so daß es wahrscheinlich wird, daß ein alter 
Beobachtungsfehler, der sich einmal eingeschlichen, seit Jahr¬ 
hunderten sich forterbte. 

Verfolgt man die Aeußerungen der Beobachter der 
letzten Decennien, so fällt auf, daß ihnen die alte Annahme, 
daß die Contractur der Wadenmusculatur allein imstande 
sei, eine Rißfraetur zu erzeugen, nicht mehr genügt. 
Sowohl Maydl als auch Gussenbaüer sprechen der Waden- 
musculaturcontraction nur die untergeordnete Bedeutung zu, 
finden die brechende Kraft vielmehr in der entgegengesetzt 
wirkenden Körperlast. Gerade das Studium des Mechanismus 
hätte aber darauf führen müssen, daß die Deutung der 
Palpationsbefunde und der Autopsien in vivo eine unrichtige 
war, was später noch erörtert werden muß. 

Das Studium der Roentgenbilder dieser Fracturen hat 
mich zu der Annahme geführt, daß alle in der Literatur 
seit Jahrhunderten verzeichneten Rißfracturen des Calcaneus 
mit unseren Fracturen identisch sind, daß dieser Fractur- 


e ) Handbuch für Chirurgie, 1901, IV. Bd., pag. 482. 


typus nichts Neues ist, wohl aber bisher verkannt wurde. 
Es scheint mir gewiß, daß alle Fälle, in welchen man von 
einer Ausreißung der Ansatzstelle der Achillessehne sprach, 
in Wirklichkeit Zerreißungen des Calcaneus in unserem Sinne 
waren, ohne vollständige Trennung der Fragmente, deren 
oberes durch den Zug der Achillessehne bloß emporge¬ 
zogen war. 

Andererseits scheint mir unser zweiter Fall (Fig. 2) 
geeignet, zu beweisen, daß es möglich war, auf Grund des 
Palpationsbefundes eine Abreißung des ganzen Fersenhöckers 
mit Dislocation des oberen Fragmentes nach oben anzunehmen, 
während in der That wieder nur eine Zerreißung in unserem 
Sinne vorlag, mit dem Unterschiede, daß infolge des tieferen 
Ansatzes der Achillessehne das obere Fragment voluminöser 
war. Zum Beweise für obige Behauptung will ich nur an¬ 
führen, daß sich ja bei den maßgebenden Factoren seit Jahr¬ 
tausenden nichts geändert hat; nur die Methoden der Unter¬ 
suchung sind andere geworden. Das Roentgenverfahren erst 
machte es möglich, die wahre Natur der Rißfracturen zu 
erkennen. 

Betrachten wir bei den voranstehenden Fällen den 
Verletzungsmechanismus, so findet man in dem Falle von 
Pobges angegeben, daß das Individuum auf die Ferse auffiel, 
in den Fällen von Duffier und Desfosses, Helbing und in 
unseren beiden verzeichnet, daß die Individuen, aus einer 
Höhe von höchstens D/g Meter zuerst mit den Zehenballen auf 
den Boden kamen, daß demnach in 5 Fällen ein Sturz auf 
die Fußspitzen die Ursache war. Es ist nun ohneweiters 
klar, daß zum Zustandekommen dieser Zerreißungsfracturen 
des Fersenhöckers die Mitwirkung der beiden von Maydl 
und Gussenbauer geforderten Factoren nothwendig ist, die 
Action der Wadenmusculatur und die in der Körperlast 
liegende Kraft. Dadurch, daß am Fersenhöcker zwei entgegen¬ 
gesetzte Kräfte angreifen, von denen die eine, die in der 
Contractiön der Wadenmusculatur gelegene Kraft durch die 
Achillessehne, die andere beim Auffallen auf den Fußballen 
in der Körperlast liegende, entgegengesetzt wirkende Kraft 
durch die stramme Plantarfascie und reflectorisch contracte 
Fußsohlenmusculatur auf den Fersenhöcker übertragen wird, 
resultirt evident eine Zerreißung des letzteren. 

Vergleicht man nun die Größe der wirkenden Kräfte, 
so ist an und für sich die im Körpergewichte gelegene, durch 
den Fall noch vermehrte Kraft gegenüber der von der Con- 
traction der Wadenmusculatur aufgebrachten Kraft die größere, 
greift überdies an dem dreimal längeren Hebelarme an (Gussen¬ 
bauer). Sie ist es also, die das Calcaneum zerreißt, während 
die Wadenmusculatur die Fixation des Fersenhöckers besorgt. 

Helbing, dem das Verdienst gebührt, als Erster diese 
Bruchart als typisch für die Rißfracturen des Fersenhöckers 
angesehen zu haben, hat sich, trotzdem er im Eingänge 
seiner Arbeit Gussenbauer’s Auffassung der Entstehung der 
Rißfracturen citirt, letztere sich doch nicht zu Nutze gemacht, 
indem er resumirend sagt, „es bleibt nur als einzige be¬ 
friedigende Erklärung die abnorm starke Zugwirkung durch 
forcirte Contraction der Wadenmusculatur übrig, die einen 
Abriß des Knochens bewirkt“. In diesem Schlußsätze 
befriedigen aber zwei Behauptungen nicht, denn die abnorm 
starke Zugwirkung der Wadenmusculatur hätte ohne die 
entgegenwirkende Kraft, die in der auffallenden Masse liegt, 
nur eine — Plantarflexion des Fußes zur Folge, und weiters 
resultirt bei Wirkung der beiden Kräfte nie ein Abriß, sondern 
eine Zerreißung des Fersenhöckers. Richtig dagegen 
behauptet er gegenüber Golebiewsky und Ehret, welche die 
Rißfracturen leugnen, „daß überhaupt der Fall auf die Ferse 
gar nicht als Ursache der Fractur beschuldigt werden kann, 
da die Fractur gar nicht mit dem Gebiete des aufschlagen- 
den Knochens eollidirt“. 

In dem Falle von Porges liegt daher wohl ein Irrthum 
von Seiten des Patienten vor. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 25. 


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Daß Golebiewsky und Ehret so entschieden gegen die 
indirecte Entstehung der Fracturen Stellung nehmen und 
demzufolge die Eintheilung der Fracturen des Fersenbeines 
in solche des Körpers und der Fortsätze treffen, ist 
vielleicht daraus zu erklären, daß sie bei der Beurtheilung 
ihrer Fälle mit Bezug auf den Verletzungsmechanismus keinen 
einwandfreien Fall fanden, ihnen aber die in der Literatur 
bekannten Fälle mit querer Bruchfläche, welche als ßißfracturen 
angesprochen wurden, eben gerade mit Rücksicht auf den 
Mechanismus als durch directe Gewaltwirkung entstanden 
imponiren konnten. Denn, die Wirkung der geschilderten 
beiden Kräfte angenommen, ist eine quere Fractur des Fersen¬ 
höckers mit Dislocation des hinteren Fragmentes nach oben, 
durch indirecte Gewaltwirkung ausgeschlossen, da die Plantar- 
fascie, welche die in der Körperlast gelegene Kraft auf den 
Fersenhöcker überträgt, der Entstehung einer queren Fractur 
sowohl, als auch einer Dislocation im Wege steht. Ohne 
Widerspruch darf nach unseren Beobachtungen auch die Be¬ 
hauptung Golebiewsky’s , „daß die durch Fall von der Höhe 
vorkommenden Fersenbeinbrüche sich fast niemals auf das 
Fersenbein allein beschränken“, nicht bleiben. 

Gerade das isolirte Vorkommen der Fractur des Fersen¬ 
höckers spricht ganz entschieden für die indirecte Entstehungs¬ 
weise der Rißfracturen gegenüber den Quetschungsbrüchen, 
bei denen Verletzungen mehrerer Knochen sehr häufig sind. 

Ebenso wie der geschilderte Mechanismus für die Ri߬ 
natur dieser Bruchform spricht, ebenso ist der anatomische 
Befund bei diesen Fracturen für die Richtigkeit des ange¬ 
nommenen Mechanismus beweisend. 

Vergleicht man die radiographischen Befunde der be¬ 
kannten Fälle mit einander, so sieht man in allen Radio¬ 
grammen im Calcaneus eine von hinten unten nach vorne 
oben verlaufende, nach oben sanft convexe Bruchlinie, welche 
am Fersenhöcker, entsprechend dem tiefsten Ansatzpunkte 
der Achillessehne, beginnt, und mehr oder weniger entfernt 
von der Gelenkfläche endigt. 

Schon Duffier und Desfosses haben darauf hingewiesen, 
daß die Fracturlinie den Knochenbälkchen parallel verlauft, 
und Helbing, der die Beweiskraft dieser Thatsache für die 
Rißnatur der Brüche betont, bestätigt diesen Befund. 

Auch in unseren vier Fällen zeigen die Roentgenbilder 
den Parallelismus zwischen Bruchlinie und quer getroffenen, 
schräg verlaufenden Knochenlamellen. 

Ist auch die Structur des Fersenbeinhöckers eine sehr 
complicirte, so ist doch nach Albert 10 ) das Vorhandensein 
solch schräg von hinten unten nach vorne oben verlaufender 
Knochenlamellen im Fersenhöcker erwiesen. Die Bruchlinie 
entspräche hier also der Richtung der geringsten Festigkeit 
des Knochengefüges. 

Wenn Mertens mit Beziehung auf seinen Fall gegen¬ 
über Helbing behauptet, daß bei diesen Rißfracturen die 
Bruchlinie nicht parallel den Knoehenbälkchen verlaufen 
müsse, sondern auch schräg zu denselben stehen könne, so 
gelingt ihm der Beweis dafür nicht, denn die schlechte 
Reproduction des betreffenden Radiogrammes läßt den Verlauf 
der Bruchlinie überhaupt kaum erkennen, und überdies sagt 
er, daß dieselbe „schräg nach oben und vorne“ verlief. 
Das entspricht aber dem Verlaufe der Knochenlamellen in 
der Calx. 

Unsere beiden Roentgenbilder zeigen ungefähr die Extreme 
der möglichen Dislocation der Fragmente. Das einemal ein 
schattenfreier Keil von kaum V* Cm. Basis, das zweitemal 
ein solcher von über 2 Cm. Basis. 

Die Risse im Knochen reichten in keinem Falle bis in 
die Gelenkfläche, sondern hörten immer 1—2 Cm. von der¬ 
selben entfernt auf. Es ist wohl anzunehmen, daß der auf¬ 
ruhende Talus hier dem Zuge ein Ziel setzt. 


Der Grad der Dislocation ist direct proportional der 
Größe der wirkenden Kräfte, verkehrt proportional der 
Festigkeit des Knochengefüges, die nach Alter, Geschlecht etc. 
Schwankungen zeigt. 

Die Dislocation des oberen Fragmentes erfolgt durch 
Drehung desselben um eine durch den vorderen Endpunkt 
der Bruchlinie zu legende frontale Achse. 

Dem anatomischen Fracturenbefunde entspricht das 
äußere Bild. Bald nach dem Trauma ist durch den consecutiven 
Blutaustritt die Configuration des Hinterfußes verändert. 
Derselbe ist verbreitert, die Furchen zu beiden Seiten der 
Achillessehne sind verstrichen, die Höhe der Calx je nach 
dem Grade der Dislocation größer als die der Calx des ge¬ 
sunden Fußes. Diese kann in der Folge noch zunehmen, wie 
aus dem HELBiNG’schen Falle ersichtlich. 

Schon bei mittlerem Grade der Dislocation bildet die 
Haut zwischen den Fragmenten eine Grube, umsomehr in 
extremen Fällen, wie die Photographie unseres 2. Falles zeigt. 

Hier wäre auch zu bemerken, daß es gegebenen Falles 
zu einer einfachen Fissur im Knochen ohne die geringste 
Dislocation kommen kann. Dann fehlt jede Höhendifferenz, 
die Configuration der Ferse wird wenig verändert sein und 
nur das Mißverhältniß zwischen objectiv fast negativem Be¬ 
funde und der Functionsstörung infolge der Schmerzen den 
Weg zur richtigen Diagnose weisen, respective die Anferti¬ 
gung eines Radiogrammes veranlassen. 

Von diesem Hilfsmittel sollte jetzt, wo das Unfallver¬ 
sicherungsgesetz in beiderseitigem Interesse eine genaue 
Diagnose und Prognose verlangt, der ausgiebigste Gebrauch 
gemacht werden. Fracturen mit ausgesprochener Dislocation 
werden dem Kenner der Verhältnisse kaum mehr entgehen. 

(In allen bekannten Fällen wurde die Diagnose erst 
durch das Roentgenverfahren präcisirt.) 

Ueber die Prognose sagt Helbing, daß „bei den Ri߬ 
fracturen für gewöhnlich einerseits der Zusammenhang beider 
Knochenfragmente und andererseits der Umstand, daß die 
Bruchlinie den aufruhenden Theil des Fersenhöckers im Zu¬ 
sammenhang mit dem Fersenbeinkörper läßt, die Wirkung 
der Wadenmusculatur auf den Fuß im Sinne der Plantar¬ 
flexion noch ermöglicht und die Integrität des Fußes als 
Ganzes gewahrt bleibt“. Diese Aeußerung wäre noch dahin 
zu ergänzen, daß sie eine halbwegs complete, wenigstens 
bindegewebige Verwachsung der Fragmente zur Voraus¬ 
setzung haben muß. In den Fällen, wie unser Fall II, wo 
die Coaptation der Fragmente aus irgend einem Grunde 
mißlingt, bleibt, wenn auch unbedeutend, die Function immer 
etwas gestört. 

In früheren Zeiten suchte man die Fragmente auf ver¬ 
schiedene Weise aneinander zu bringen. Da wurde Heftpflaster 
verwendet und mittels desselben das obere Fragment herab¬ 
gezogen, auch die Achillotenotomie mehrmals, wie in unserem 
zweiten Falle von Prof. Weinlechner, ausgeführt, und der 
fixirende Verband bei extremer Plantarflexion des Fußes 
zum Zwecke der Eliminirung des Zuges der Achillessehne 
angelegt. 

Gussenbauer hat mit gutem Erfolge einmal die Frag¬ 
mente percutan vernagelt. 

Heute ist bei irgend erheblicher Dislocation der Frag¬ 
mente die Knochennaht nach vorhergehender Freilegung 
des Bruches die einzige berechtigte Behandlungsweise. Ist 
die Fragmentdislocation nur gering, genügt Ruhigstellung 
des Fußes im Blaubindenverbande für höchstens 14 Tage, 
welchem Verfahren dann Massage, active und passive Be¬ 
wegungen folgen müssen. 

Meinem Chef, Herrn Primarius Schnitzler, sage ich 
zum Schlüsse für die Durchsicht der Arbeit meinen ver¬ 
bindlichsten Dank. 


10 ) Albert, Architektur des menschlichen Fersenbeines. -Wiener Med. 
Presse“, 1900, Nr. 1. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 25. 


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Aus der inneren Klinik der Jayell. Universität in 
Krakau (Director Mofrath Professor J)r. Eduard 
li . v. Korczynski), 

Zur Kenntniß des Stoffwechsels bei 
Osteomalacie. 

Von Doc. Dr. L. E. v. Korczynski. 

(Fortsetzung.) 

Werden nun die Resultate der Bestimmungen, sowohl 
die einzelner Tage, wie auch jene ganzer Perioden, einer ein¬ 
gehenden Durchsicht unterzogen, so gewinnt man die Ueber- 
zeugung, daß die Stoffwechsel Vorgänge in beiden Fällen in 
gar Manchem von den physiologischerweise ablaufenden ver¬ 
schieden gewesen sind. 

Es soll zuerst des Phosphorstoffwechsels gedacht werden. 

In beiden Fällen ist in jeder Periode, wenn auch nicht 
ohne merkliche numerische Schwankungen, eine positive 
Phosphorsäurebilanz verzeichnet worden. Im ersten Falle be¬ 
trug die tägliche, im Organimus zurückgehaltene P 2 O r ,-Menge 
in der ersten Periode P26 Grm., in der zweiten 0’35 Grm., 
in der dritten 1 ‘20 Grm., in der vierten 0'80Grm., in der 
fünften, während der Verabreichung der Eierstocktabletten, 
0T3 Grm. Die fast ausschließlich vegetabilische Kost der 
zweiten Periode hat somit, wie man das aus den angeführten 
Zahlen eruiren kann, anregend auf die Phosphorausschei¬ 
dung eingewirkt. Die nämliche Wirkung entfalteten auch die 
Ovarien. 

Im zweiten Falle betrug die tägliche positive P 2 0 6 - 
Bilanz in der ersten Periode 0‘34Grm., in der zweiten 0T3Grm., 
in der dritten 0'95Grm., in der vierten 0'82 Grm. Die Resul¬ 
tate sind hier somit etwas verschieden gewesen. In der 
Fleischperiode erhielt man zwar eine etwas größere Zahl, die. 
eine größere Menge der nicht ausgeschiedenen Phosphorsäure 
anzeigte, als in der nachfolgenden Periode der gemischten 
Kost; in der dritten Periode ist aber, bei derselben Zu¬ 
sammensetzung der Nahrung, die Menge des zurückgehaltenen 
Phosphors eine größere, wie in der ersten Periode geworden. 
In der vierten , der letzten Periode constatirte man, gerade 
so wie in der letzten Periode der ersteren Beobachtung, eine 
gewisse Zunahme der Phosphorsäureausfuhr während der Ver¬ 
abreichung der Eierstocktabletten; die Zahlenunterschiede 
sind aber allzu wenig prägnant gewesen, um daraus definitive 
Schlüsse ziehen zu können. In Anbetracht der in diesem Falle 
erzielten Resultate dürfte somit nicht zulässig erscheinen, 
vom entschiedenen und erheblichen Einflüsse der Zusammen¬ 
setzung der Nahrung oder der in Eierstocktabletten enthal¬ 
tenen wirksamen Substanz auf die Ausscheidung der Phosphor¬ 
säure zu reden. 

Der Umstand, daß in beiden Fällen der Knochenerwei¬ 
chung die Phosphorsäure im Organismus zurückgehalten 
wurde, verdient umso mehr mit Nachdruck hervorgehoben 
und gebührend gewürdigt zu werden, nachdem jene Fälle 
in Bezug auf den Verlauf und den momentanen Zustand der 
Krankheit keineswegs identisch erscheinen durften. 

Nicht minder interessant ist auch eine andere That- 
sache, die sich auf die Phosphorsäureausscheidung bezieht. 
Es ist dies der Umstand, daß während der sämmtlichen Ver¬ 
suchsperioden das wechselseitige Verhältniß der im Harne und 
im Kothe ausgeschiedenen Phosphorsäuremengen jenem der 
physiologischen Zustände gegenüber eine merkliche Aenderung 
erfahren hat. Indem normalerweise bei gewohnter gemischter 
Kost über 80% , hei ausschließlicher Fleischkost sogar 95% 
der eingeführten Phosphorsäure im Harne, der Rest im Kothe 
wieder erscheinen, sind durch unsere Bestimmungen für die 
Harn-P 2 0 5 viel niedrigere, für die Koth-P 2 0 5 viel höhere 
Werthe gefunden worden. Während der 2. Periode des 2. Ver¬ 
suches ist Phosphorsäure im Harne sogar unterhalb 50% ge¬ 
sunken. Die Menge des Harnphosphors schwankte in einzelnen 


Perioden zwischen 60% und 75%. Sollte aber zum Ausgangs¬ 
punkte der Abschätzung nicht die gesammte ausge3chiedene, 
sondern die eingeführte Phosphorsäuremenge herangezogen 
werden, so würden daraus viel niedrigere Zahlen für die Harn¬ 
phosphorsäure resultiren. 

Aehnlichen Verhältnissen bezüglich der Phosphorsäure¬ 
ausscheidung begegnet man normalerweise bei Pflanzenfressern; 
bei Menschen können sie nur experimentell herbeigeführt 
werden. Die vegetabilischen Nahrungsmittel enthalten, wie 
es allgemein bekannt ist, sehr beträchtliche Phosphorsäure¬ 
mengen; sie enthalten aber auch sehr reichlich basische Ver¬ 
bindungen, darunter Erdmetalle, vor allem den Kalk. Im 
Urin der Pflanzenfresser erscheinen nur äußerst kleine Mengen 
der Phosphorsäure, der Koth ist dagegen sehr reich an 
Phosphor. Die Verhältnisse sind eben eine Folge der Ein¬ 
führung einer großen Menge von Basen. Daß diese allgemein 
übliche Erklärung eine richtige ist, beweisen auch die an 
Menschen ausgeführten Versuche. Und zwar wird durch die¬ 
selben gezeigt, daß man die im Urin ausgeschiedene Phosphor¬ 
menge bedeutend herabdrücken, den Phosphorgehalt des Kothes 
merklich steigern kann, wenn die Alkalizufuhr, besonders 
aber die Kalkzufuhr, gesteigert wird. Wenn aber das rela¬ 
tive Uebermaß des Kalkes eine Verminderung der Phosphor¬ 
säuremenge im Urin, eine Vermehrung im Kothe zur Folge 
hat, so müssen die nämlichen Verhältnisse auch durch das 
relative Deficit der ausgefiihrten Phosphorsäure herbeigeführt 
werden. Einem relativen, durch Zurückhalten der Phosphor¬ 
säure im Organismus bedingten Deficite begegnen wir aber 
eben in unseren sämmtlichen Versuchen. Man kann somit 
mit vollem Rechte zugeben, daß die Aenderung der Aus¬ 
scheidungsverhältnisse eben eine Folge de3 relativen Phosphor¬ 
säuredeficites gewesen ist. Diese Vermuthung scheint sonst 
auch durch die Art und Weise, auf welche die Kalkaus¬ 
scheidung in beiden. Beobachtungen von statten ging, erkräfcigt. 
zu werden. 

Die Ausscheidung der Kalksalze erfolgte in unseren 
Versuchen qualitativ auf ähnliche Weise, wie das unter 
physiologischen Umständen zu geschehen pflegt, das heißt, 
daß der überwiegende Theil des Kalkes im Kothe, ein ganz 
unbedeutender im Urin ausgeschieden werde. Quantitativ 
konnten aber mehr oder weniger deutliche Unterschiede und 
Schwankungen fe3tgestellt werden. 

Im ersten Falle sind während der drei ersten Perioden 
im Urin Kalkmengen getroffen worden, die durchaus innerhalb 
normaler Grenzen liegen. In der ersten und zweiten Periode 
konnten sogar keine namhaften täglichen Schwankungen bemerkt 
werden. Sie traten erst gegen das Ende der dritten Periode 
zum Vorschein; am letzten Tage dieser Periode ist die Menge 
des im Harn ausgeschiedenen Kalkes beinahe um die Hälfte 
des anfänglichen Werthes gesunken. Erhebliche Unterschiede 
haben sich in der vierten, besonders aber in der fünften 
Periode merklich gemacht, in der der Urin nur ganz kleine 
Kalkmengen, die entschieden unterhalb der normalen Werthe 
gelegen sind, mitgeführt hat. Es ist hier am Platze, hervor¬ 
zuheben, daß ganz parallel mit jener Abnahme die Kalkmenge 
im Kothe in die Höhe stieg, daß zugleich die ursprüngliche 
positive Bilanz sich verkleinerte, und endlich in der vierten 
und fünften Periode in negative Bilanz überging. In der 
ersten Periode wurden im Urin etwa 25% Kalk ausgeschieden, 
die tägliche positive Bilanz betrug 0’33 Grm., in der zweiten 
Periode gegen 17%; die positive Bilanz betrug schon nur 
OTOGrm.; in der dritten Periode, bei Harnkalkmenge von 
circa 20%, betrug die positive Bilanz nur 0 008 Grm., in der 
vierten Periode, bei weiterem Sinken der Menge des Harn¬ 
kalkes auf 16% kam die negative Bilanz von — O’löGrm. 
CaO zum Vorschein. In der letzten Periode, in welcher im 
Urin kaum 10% Kalk ausgeschieden wurden, hat die nega¬ 
tive Bilanz sogar — 0'36 Grm. betragen. 

Sehr ähnlich gestalteten sich die Verhältnisse auch in 
der zweiten Beobachtung. Der Unterschied ist bloß darin zu 

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erblicken, daß in diesem Falle, mit Ausnahme der dritten 
Periode, in welcher eine unbedeutende positive Bilanz von 
0*05 Grm. CaO täglich erzielt wurde, durchgehends nur eine 
negative Bilanz zu constatiren war. Am intensivsten ist die 
Kalkausscbeidung in der zweiten Periode gewesen, es hat 
damals die im Kothe ausgeschiedene Kalkmenge ganz beson¬ 
ders stark zugenommen, ln beiden Beobachtungen, besonders 
aber in der zweiten, ist sehr deutlich die wechselseitige Be¬ 
ziehung der Phosphorsäure- und der Kalkausscheidung ans 
Licht getreten. Sobald nur geringere Kalkmengen im Urin, 
größere im Kothe ausgeführt wurden, ist allsogleich eine 
größere Menge des Kothphosphors, eine kleinere des Harn¬ 
phosphors gefunden worden und umgekehrt. 

Von der Stickstoffausscheidung soll vor Allem bemerkt 
werden, daß dieselbe sehr ungleichmäßig erfolgte. Ganz be¬ 
deutende Schwankungen der täglichen Ausfuhr sind beson¬ 
ders augenfällig innerhalb jener Perioden beobachtet worden, 
während deren den Kranken eine eiweißreiche Kost verab¬ 
reicht wurde. Eclatante Beispiele liefern in dieser Hinsicht 
die aus den ersten Perioden in beiden Fällen stammenden 
N-Bestimmungen. Die täglichen Stickstoffmengen im Urin 
differirten in dieser Periode bis gegen 4 Grm. Die unzureichende 
Oxydation der stickstoffhaltigen Körper an einem Tage 
strebte der Organismus durch vermehrte Oxydation an einem 
der nachfolgenden Tage nachzuholen. Im allgemeinen über¬ 
wog in unseren Fällen die Tendenz des Organismus, den 
Stickstoff zurückzuhalten. Im ersten derselben war sie sogar 
ziemlich constant, so daß in allen Perioden eine größere oder 
geringere positive Bilanz constatirt wurde. Im zweiten Falle 
kam in den zwei ersten Perioden eine positive, in der dritten 
und vierten eine negative Bilanz zum Vorschein. 


Der Coefficient - -J?* — 
N 


1 : 8T, durch welchen bei Fleisch¬ 


nahrung das gegenseitige Verhältniß der im Harne ausge¬ 
schiedenen Phosphorsäure- und Stickstoffmengen bei genauer 
Ausscheidung jener Körper ausgedrückt wird, ist mit gerin¬ 
gen Abweichungen in unserem zweiten Versuche beobachtet 
worden. In der ersten Periode betrug die letzte Zahl der 
Gleichung 8‘2, in der zweiten 8‘6, in der dritten 7*7, in der 
vierten 8*2. Im ersten Falle fand man dagegen die Ver- 
hältnißzahl ganz merklich zu Gunsten der Phosphorsäure 
verschoben, und zwar ist das Verhältniß in der ersten Periode 
1 :4‘6, in der zweiten 1 : 4'4, in der dritten 1 : 6’9, in der 
vierten l : 7 - 5, in der fünften 1 : 6'9 gewesen. Rücksichtlich 
der ersten Periode dürfte man die Ursache jener Verschiebung 
in verbältnißmäßig hohem Phosphorsäurewerthe der Nahrung, 
in der zweiten in der Stick st offarm uth der Nahrung erblicken. 
Was die drei letzten anbelangt, wäre die Erklärung dahin 
zu geben, daß hier im Vergleiche mit den Perioden des zweiten 
Versuches die Phosphorausscheidung im Harne eine größere 
gewesen ist. 


Kurz gefaßt dürften nun die Ergebnisse etwa folgender¬ 
weise geschildert werden: 

1. Der Verbrauch und die Ausscheidung der 
N-haltigen Körper gehen im Verlaufe der Knochen¬ 
erweichung ungleichmäßig von statten. 

2. Es resultirt daraus, daß die sowohl an 
einzelnen Tagen als auch während ganzer Peri¬ 
oden ausgeschiedenen Stickstoffmengen unter¬ 
einander verschieden sind. Die Stickstoffbilanz 
ist bald positiv, bald negativ, seltener tritt ein 
völliges Stickstoffgleichgewicht ein. 

3. Die durchschnittlich ausgeschiedenen Harn¬ 
säuremengen liegen innerhalb physiologischer 
Grenzen. Eskommen abergaroft Tage vor, an denen 
die Harnsäureausfuhr merklich gesteigert wird. 

4. In nicht allzuweit vorgeschrittenen Osteo- 
malaciefällen, wenn der Krankheits verlauf kein 
rapider ist und keine ausgesprochene Kachexie 


herbeiführt, hält der Organismus die Phosphor¬ 
säure zurück. 

5. Die Phosphorsäureausscheidung weicht 
auch insofern von der Norm ab, als im Kothe 
verhältnißmäßig höhere, im Harne verhält- 
nißmäßig kleinere P 2 0 6 - Mengen ausgeführt 
werden. 

6. DerKalk wird überwiegend im Kothe aus¬ 
geschieden. Im Urin kommen wechselnde Mengen 
vor, sehr oft sind dieselben um Vieles niedriger 
als unter physiologischen Verhältnissen. 

7. Die Kalkausscheidung wird sehr oft ver¬ 
mehrt getroffen, 3ie übersteigt die Zufuhr. Es 
folgt daraus eine negative Kalkbilanz. Zumeist 
wirddann die Ausscheid ung desKalkes imHarne 
vermindert, im Kothe vermehrt getroffen. Dieser 
Aenderung folgt ganz gewöhnlich eine vermehrte 
Ausscheidung der Phosphorsäure, im allgemeinen 
eine verminderte im Harne. 

Sollten nun aus diesen Ergebnissen praktische 
Schlüsse gezogen werden, so dürfte es in zweierlei Richtung 
zulässig erscheinen. 

Fürs erste wäre hervorzuheben , daß für die Osteoma- 
laciekranken eine derartige Diät angezeigt sei. in welcher die 
relative und absolute Phosphormenge eine ziemlich große ist. 
Die entsprechendste wäre somit die Fleischkost, und das um¬ 
somehr, nachdem bei dieser Nahrungsweise auch etwas größere 
Mengen von Nucleinen, von jenen Eiweißverbindungen, deren 
Bedarf nach meinem Ermessen bei Osteomalacischen ein ge¬ 
steigerter zu sein scheint, mit eingeführt werden. Es wäre 
auch interessant zu erfahren, ob durch länger dauernde Ver¬ 
abreichung der Nucleinsäure günstigere Verhältnisse des Stoff¬ 
wechsels , resp. eine Besserung der Krankheit nicht herbei¬ 
geführt werden könnten. 

Der zweite Schluß betrifft die Prognose. Während der 
Versuche ist meinerseits wahrgenommen worden, daß im ersten 
Falle, in welchem die Stoffwechsel Vorgänge sich günstiger 
gestalteten, jede zeitweilige Verschlimmerung mit der Aen¬ 
derung des Stoffwechsels vergesellschaftet war. Ganz merklich 
verminderte sich dann die Phosphor- und Kalkmenge im Urin. 
Im zweiten Falle, in welchem während des letzten Aufent¬ 
haltes der Kranken in der Klinik keine namhafte Besserung 
erfolgte, stellte sich der Stoffwechsel im allgemeinen weniger 
günstig eben hinsichtlich der Phosphor- und Kalkausfuhr vor. 
Bei dieser Kranken sind die beiden Körper im Urin in kleineren 
Mengen getroffen worden. Die Kalkbilanz ist bei ihr während 
sämmtlicher Perioden, mit Ausnahme der dritten, eine negative 
gewesen. Auf jene Beobachtungen gestützt, unterstehe ich mich 
zu folgern, daß der Krankheitsproceß im Falle, wenn im 
Harne normale Phosphor- und Kalkmengen getroffen, wenn 
dabei keine allzu großen Schwankungen der Stickstoffaus¬ 
scheidung gefunden werden, nicht nur keine weiteren Fort¬ 
schritte mache, sondern daß derselbe eine Neigung zur Besserung, 
sogar zur definitiven Ausheilung habe. Wenn aber das Gegen- 
theil vorkommt und die anormalen Verhältnisse der Aus¬ 
scheidung durch längere Zeit verfolgt und festgestellt werden, 
dann scheint die Prognose eher eine ungünstige zu sein, dann 
kann das letzte zu Gebote stehende ärztliche Handeln, die 
Kastration, in Erwägung gezogen werden. (Schluß folgt.) 


Die Glandulentherapie der Tuberculose. 

Von Dr. James Silberstein in Wien. 

Die Organotherapie ist in den letzten Jahren sehr ver¬ 
schieden beurtheilt worden. Während enthusiastische An¬ 
hänger Brown-Seqüard’s gleich nach seiner ersten Publication 
im Jahre 1878 mit den Extracten der verschiedensten Organe, 
der Hoden, Leber, Nieren, des Gehirns Injectionen machten 
und über Heilungen von Impotenz, Spermatorrhoe, Neu- 

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rasthenie, Diabetes, ja selbst von Tabes, Carcinomen und 
Lepra berichteten, ist durch die kühlere Kritik anderer Be¬ 
obachter das Gebiet dieser therapeutischen Methode stark 
eingeschränkt worden, und es gibt vielleicht heute nur ein 
Präparat, das Thyreoidin, dessen Wirkung bei Struma pa- 
renchymatosa und Myxödem allgemein anerkannt ist. Bei 
vorurtheilsfreier Prüfung wird sich aber herausstellen, daß 
auch noch andere organotherapeutische Präparate in geeig¬ 
neten Fällen Anwendung verdienen. Es ist bekannt, daß 
bei localen Infectionen die nächstliegenden Lymphdrüsen an¬ 
schwellen und, gleichsam wie ein Filter wirkend, den Orga¬ 
nismus vor allgemeiner Infection schützen. Ob die Bakterien 
hier abgetödtet oder die von ihnen gebildeten Toxine neutra- 
lisirt werden , ist noch nicht entschieden, doch scheint nach 
den Untersuchungen von Arnold, Wyssokowitsch und Büchner 
beides vorzukommen. 

Das Anschwellen der regionären Lymphdrüsen bei Wund- 
infectionen, der Inguinaldrüsen bei venerischen Erkrankungen, 
der Mesenterialdrüsen bei Infectionen vom Darm aus (Typhus) 
sind bekannte klinische Beispiele für diese Erscheinung. Aehn- 
lich sind auch die Vorgänge bei Infectionen, die vom Respi- 
rationstractus ausgehen. Hier schwellen die Bronchialdrüsen 
an, z. B. bei einfacher Bronchitis, Keuchhusten, Pneumonie 
und endlich Tuberculose. Die allgemein pathologische Bedeu¬ 
tung dieser Erscheinung i3t durch die mikroskopische Unter¬ 
suchung der Drüsen klargelegt worden. Von den Staub- 
theilchen ist es ja längst bekannt, daß sie, in die Alveolen ge¬ 
langt, von Leukocyten (Staubzellen) aufgenommen und in die 
Bronchialdrüsen befördert werden. 

Ein ähnliches Schicksal erleiden auch die Bakterien, 
so lange sie nicht in zu großer Anzahl und unter besonders 
günstigen Verhältnissen in die Lungen einaringen. So fand 
Babes bei Kindern, die an den verschiedensten Krankheiten 
zugrunde gegangen waren, in % der Fälle Tuberkelbacillen 
in den Bronchial- und Mesenterialdrüsen, ebenso Pizzini in 
42% von plötzlich verunglückten Personen. t>ie Bacillen 
zeigten stets Degenerationsformen. Die Drüsen enthalten dem¬ 
nach augenscheinlich baktericide Stoffe, und der Gedanke lag 
nahe, dem inficirten Körper durch Verfütterung von Drüsen¬ 
substanz solche Stoffe zuzuführen. Das „Glandulen“, ein aus 
den Bronchialdrüsen von Hammeln hergeetelltes Präparat, 
eignet sich hiezu sehr gut. Man gibt hievon 3mal täglich 
1 Tablette steigend bis Hmal täglich 5 Tabletten durch 
mehrere Wochen. 

In der „Allgemeinen medicinischen Centralzeitung“, 
Nr. 42, 1890, wird über ausgedehnte Versuche mit diesem 
Präparate berichtet. In den leichten Fällen, in denen keine 
Dämpfung nachzuweisen war, wenn sich auch Bacillen im 
Sputum befanden, schwanden die subjectiven und objectiven 
Symptome nach 7—9 Wochen. Aber auch bei Infiltrationen 
der Lunge konnte mittelst Percussion und Auscultation eine 
Aufhellung, ja selbst Verschwinden der Dämpfung constatirt 
werden. Nur bei Mischinfectionen, bei welchen im Sputum 
neben Tuberkelbacillen massenhaft Staphylokokken und Strep¬ 
tokokken sowie Mikrococcus tetragenus vorhanden waren, 
ferner bei großen Cavernen waren die Resultate nicht so be¬ 
friedigend. 

Unter 12 Fällen, die ich beobachtete, konnte ich bei 
9 Fällen eine bedeutende Besserung sehen. Anfangs nahmen 
Fieber und Husten ab, ebenso die Tuberkelbacillen im Sputum, 
die Nachtschweiße schwanden, der Appetit stieg, ebenso das 
Körpergewicht. Später war auch ein deutliches Zurückgehen 
der objectiven Symptome nachweisbar. Im Nachfolgenden 
will ich mich darauf beschränken, einige recht instructive 
Fälle anzuführen, bei welchen ich mit dem Glandulen 
eclatante Erfolge erzielt habe. 

I. Ein 12 Jahre alter Knabe mit chronischem Lungenspitzen¬ 
katarrh, sehr herabgekommen. Ueber den Spitzen gedämpfter Schall, 
diffuse Rasselgeräusche über beiden Lungen. Intermittirendes Fieber 
bis 38'5°. Nächtliche Schweiße. Der Knabe bekommt Glandulen- 


tabletten in steigender Dosis. Nach 14 Tagen haben die Temperatur- 
Steigerungen nachgelassen, Appetit hat sich gebessert, Husten und 
Auswurf ist geringer, das Körpergewicht nimmt zu. Während des 
raehrwöchentlichen Landaufenthaltes wird die Medication beibehalten, 
unter welcher die subjectiven und objectiven Symptome allmälig 
vollständig verschwinden. 

II. 30jährige Arbeitersfrau leidet seit einigen Wochen an 
Stechen in der Brust, Husten , Appetitlosigkeit, Abmagerung. Vor 
8 Tagen eine Lungenblutung. Nach zweimonatlicher Glandulen- 
therapie ist Pat. soweit hergestellt, daß sie ihre Arbeit wieder auf¬ 
nehmen kann. 

III. Ein 42jähriger Bauer mit Kehlkopftuberculose hatte 
schon Kreosot und Guajacetin ohne Erfolg verwendet. Das linke 
Stimmband zeigte Geschwüre, die linke Lungeuspitze war gedämpft. 
Auf Glandulentherapie verschwanden die Geschwüre und Heiserkeit 
ohne locale Behandlung in 6 Wochen. 

IV. Zwei Kinder mit scrophulösen Anschwellungen der Ilals- 
drüsen. Auch hier konnte ich ein schnelles Verschwinden der 
Drüsentumoren sehen, wie auch die anderen scrophulösen Er¬ 
scheinungen zurückgingen. 

V. Ein 24jähriges Mädchen bekam vor einem Jahre eine 
tuberculose Hüftgelenksentzündung mit mehrfacher Fistelbildung in 
der Inguinalgegend. Die langwierige Eiterung brachte das Mädchen 
stark herunter, dazu kam eine Infiltration der linken Lungenspitze. 
Im Sputum waren Tuberkelbacillen. Die Gefahr, daß das Mädchen 
der secundären Infection erliege, war groß. Pat. bekam durch 
8 Wochen Glandulen 3X5 Tabletten täglich. Die Lungendärapfung 
verschwand, die Fisteln heilten, Appetit und Körpergewicht nahmen 
zu. Heute kann Pat. mit Taylorapparat herumgehen. 

Die citirten Fälle, denen ich noch einige ähnliche an¬ 
schließen könnte, sprechen für sich genügend deutlich. Die 
Organotherapie, die ja heute noch in den Kinderschuhen 
steckt, hat vielleicht auf dem Gebiete der Tuberculose noch 
eine große Zukunft. Weitere Versuche, die auch auf andere 
Localisationen der tuberculösen Infection auszudebnen wären, 
thun hier noth. Und wenn diese Schrift das ärztliche Publicum 
zu solchen Versuchen anregt, so hat sie ihren Zweck voll¬ 
kommen erreicht. 


Referate. 

Boas (Berlin): Beiträge zur Kenntniß der Cholelithiasis. 

Wenn man die Druckempfindlichkeit der Leber bei entzünd¬ 
lichen Schwellungen derselben genauer prüft, so sind folgende drei 
Bezirke zu unterscheiden: A. Der Leberrand und die Gallenblasen¬ 
gegend, eventuell die Gallenblase selbst, B. der subcostale Theil 
der Leber ; C. die hintere Leberfläche. 

Ad A. Der Leberrand kann entweder in toto oder mit be¬ 
sonderer Bevorzugung der Gallenblascngegend druckempfindlich 
sein, oder aber es ist Sitz der Druckempfmdlichkeit ausschließlich 
die Regio pro vesic. fellea oder die Gallenblase selbst. In acuten 
Anfällen von Cholelithiasis hat B. in den überwiegenden Fällen 
den gesammten Leberrand druckempfindlich gefunden, während in 
den Intervallen oder längere Zeit nach den Anfällen häufig nur 
die Regio pro cysti fellea als Ilauptsitz des Schmerzes bezeichnet 
werden konnte. In einer großen Zahl von Fällen kann man hiebei 
den Leberrand selbst deutlich abtasten, in anderen weniger oder 
undeutlich. Wo die Gallenblase deutlich palpabel war, bezog sich 
auch die Schmerzhaftigkeit erheblich mehr auf jene als auf den 
Gesammtrand. 

Ad B. Eine Empfindlichkeit der subcostalen Leberfläche hat 
B. bisher vorwiegend in acuten Attaquen von Cholelithiasis gefunden, 
oft sehr ausgesprochen, zuweilen nur angedeutet, aber doch so 
markant, daß ein Zweifel nicht obwalten konnte. Die Druckempfind¬ 
lichkeit des subcostalen Leberabschnittes ist eine diffuse und läßt 
sich zuweilen am ganzen Dämpfungsbezirk der Leber mit mehr 
oder weniger großer Schärfe verfolgen, anderemale ist sie mehr 
auf die unteren Abschnitte des subcostalen Theiles beschränkt. Im 

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Ganzen ist die subcostale Druckempfindlichkeit nicht so häufig 
als die der Randzonen („Münch, med. Wschr.“, 1902, Nr. 15). 

Ad C. Die dorsale Druckempfindlichkeit bezieht sich, wo sie 
ausgeprägt ist, auf die gesammte hintere Leberfläche etwa iu der 
Ilöhenausdehnung der beiden untersten Brustwirbel bis zum 1. Len¬ 
denwirbel und in einer Breitenausdehnung von 2 Cm. rechts von 
der Wirbelsäule bis zur hinteren Axillarlinie. Hart an den Wirbel¬ 
körpern wird sie meist vermißt. Sie kann im Latenzstadium der 
Cholelithiasis als ein Zeichen unter Umständen jahrelang voraus- 
gegaDgener Anfälle beobachtet werden. 

Die innere Therapie der Cholelithiasis hat zwei Stadien zu 
berücksichtigen, das des Anfalles und das der unmittelbaren Folge¬ 
zustände. Wichtig ist eine dauernde Ueberwachung des Patienten, 
die zu verhüten hat, daß er in den Zustand der neu aufflackernden 
Cholecystitis und Cholangitis kommt. In dieser Hinsicht besitzen 
wir ein gutes Zeichen in dem Verhalten der Schmerzhaftigkeit des 
Leberrandes, der Cystisgegend, besonders auch wieder der dorsalen 
Leberfläche. So lange diese wesentlichen Merkmale der Cholelithiasis 
noch vorhanden sind, bedarf der Kranke der größten körperlichen 
und geistigen Schonung, sowie strenger Ueberwachung der Diät und 
besonders auch des Stuhles. Ein sehr geeignetes Hilfsmittel, die 
Cholelithiasis latent zu halten, besteht in der protrahirtcn, d. h. 
monatelangen Anwendung kleiner Dosen Karlsbader Wassers (etwa 
200—300 Grm. pro die!). Das hat den Effect, daß die Kranken 
einmal für regelmäßigen Stuhl sorgen, sodann aber auch sich 
diätetisch verständig halten. 

Cholelithiasiskranke sind nie so zu ernähren, daß sie reich¬ 
lich Fett ansetzen. Die Diät muß solche Substanzen bevorzugen, 
welche stuhlbefördernd wirken (Zucker, Säuren , schlackenhaltiges 
Material) und umgekehrt alles vermeiden, w r as die Obstipation 
begünstigt. Cholelithiasiskranke sollen niemals Abends spät reich¬ 
liche Mahlzeiten nehmen, da ein großer Theil der Anfälle Nachts 
nach copiöserer Nahrungsaufnahme entsteht. Eine weitere Maßregel 
besteht darin, nach den Mahlzeiten das Corset abzulegen oder 
wenigstens zu lüften. Wo entzündliche Schwellung der Leber vor¬ 
handen, räth B. Wochen und selbst Monate lang zu hydropathi- 
schen Umschlägen während der Nacht. Die Kranken sollen außer¬ 
dem 3mal täglich je 10 Minuten lang ausgiebige Athembcwegungen 
bei entblößter Brust- und Bauchpartie machen. Die Massage ist bei 
Cholelithiasis contraindicirt. B. 

George M. Edelbohls (New-York): The eure of chronic 
Bright’s disease by Operation. 

Von der Beobachtung ausgehend, daß durch die Nephropexie 
auch gleichzeitige Symptome von chronischem M. Brightii zum 
Verschwinden gebracht wurden, hat E. („Medical Record“, Decem- 
ber 24, 1901) auch nicht bewegliche Nieren bei chronischer 
Erkrankung operativ angegangen. Im Ganzen hat er 18 Fälle 
operirt, von denen 5 an rechtsseitiger, 4 an linksseitiger, 4 an 
doppelseitiger chronischer interstitieller Nephritis, 2 an doppelseitiger 
chronischer parenchymatöser Nephritis, 3 an doppelseitiger diffuser 
Nephritis litten. In 14 Fällen wurden beide Nieren dem Eingriff 
unterworfen, 12mal in einer Sitzung, 2mal in 2 Sitzungen. Bei 
der Operation konnte man jedesmal die durch den M. Brightii her¬ 
vorgebrachten Veränderungen constatiren: Adhärenz der Kapsel, 
Knotenbildung, granuläres Aussehen der subcapsularen Oberfläche, 
Schrumpfungen, gelegentlich Cystenbildung bei der chronischen inter¬ 
stitiellen Nephritis. Vergrößerung, trübe Schwellung, Buntscheckig- 
keit und Verfärbungen bei der chronischen parenchymatösen Nephritis; 
allgemeine oder beschränkte Verdickung der Capsula propria und 
entzündliche Veränderungen im perirenalen Fett bei beiden 
Formen des chronischen M. Brightii. In 4 Fällen hat E. die 
rechtsseitige, in 12 Fällen die beiderseitige Nephropexie, in 2 Fällen 
zur ausschließlichen Behandlung des M. Brightii die totale Excision 
der Nierenkapsel ausgeführt. Alle Patienten genasen von der Ope¬ 
ration und leben mit Ausnahme von zweien bis heute; von diesen 
zwei starb eine Patientin an einer Ruptur einer Extrauteringravi¬ 
dität, die zweite 8 Jahre nach der Nierenoperalion an den Folgen 
einer anderwärts ausgeführfen Hysterectomie. Dies beweist die ge¬ 


ringe Gefährlichkeit der Operation insbesondere im Hinblick auf 
die schwere und hoffnungslose Natur der Grunderkrankung. 

Was die Spätresultate betrifft, muß der Autor 10 Fälle aus¬ 
schalten, da 6 zu frisch operirt sind, 3 genauerer Untersuchung 
nicht zugänglich waren und einer infolge intercurrenter Erkrankung 
nicht verwerthbar ist. Die restirenden 8 Patienten wurden alle 
geheilt und blieben von Eiweiß und Cylindern frei; unter diesen 
sind 6 vor mehr als zwei Jahren (vor 31—100 Monaten) operirt 
worden. 

Die günstige Wirkung des operativen Eingriffes, der als Ex¬ 
cision der Nierenkapsel, renale Decapsulation, renale Decortication 
oder Nephrocapseetomie bezeichnet werden kann, erklärt E. vor 
Allem darin gelegen, daß es zu einer ausgiebigen arteriellen Hyper- 
ämisirung der Niere kommt, wodurch die Aufsaugung der intersti¬ 
tiellen oder intertubulären Entzündungsproducte befördert wird. So 
werden die Tubuli und Glomeruli von dem äußern Druck, der 
äußeren Einschnürung und Drehung befreit; es kommt in ihnen 
und zwischen ihnen zur Wiederherstellung eines normalen Kreis¬ 
laufes, der zu einer Regeneration neuen, secretorischen Epithels 
führt. Die Folge davon ist, das die Operation nur den Beginn 
einer Heilung des M. Brightii darstellt, welche selbst naturgemäß 
nur eine allmälige, aber fortschreitende sein kann und insbesondere 
dadurch begünstigt wird, daß die entblößte Niere und ihre Fett¬ 
kapsel reichlich mit Blutgefäßen versorgt sind, für deren Comrauni- 
cation die Capsula propria ein Hinderniß abgab. 

Zum Schlüsse vergleicht der Autor die von ihm zuerst ange¬ 
gebene und durchgeführte Operation, welche nach seinen eigenen 
Worten eine neue Aera in der Geschichte des M. Brightii einleitet, 
mit der TALMA’schen Operation, mit der ihr die Verbesserung der 
Circulationsverhältnisse ira erkrankten Organ gemeinschaftlich ist. 

Fischer. 

Rem-Picci (Rom): Ueber Albuminausscheidung nach 
kalten Bädern. 

Auf Grund seiner Versuche („Blätter f. klin. Hydrotherapie“, 
1902, Nr. 3) (115 Bäder von 35 Personen, 350 Harnanalysen) 
gelangte Verf. zu folgenden Ergebnissen: Nach kalten Bädern 
(8—10°) ist Albuminurie ein regelmäßiger Befund. 

Unter gleichen Verhältnissen reagiren verschiedene Indivi¬ 
duen in ungleicher Weise auf kalte Bäder; bei Einzelnen tritt 
Albuminurie deutlicher auf, und zwar geschieht dies bei den Zarten, 
Mageren, welche die Kälte unangenehmer empfinden. Als Tempe¬ 
raturgrenze, welche Albuminurie hervorruft, kann man 12 —13° 
annehmen, auch dann, wenn das Bad nicht länger als 3 Minuten 
währt, während bei Temperaturen von 15—20° das Bad auf 
länger wie 15 Minuten ausgedehnt werden kann, bis Albuminurie 
auftritt; überdies können diese wärmeren Bäder noch viel länger 
dauern, ohne die genannte Consequenz zu haben. Die Albuminurie 
nach kalten Bädern tritt sehr bald ein. Sie verschwindet rasch 
wieder, umso schneller, je schneller sie aufgetreten, hat nur Dauer 
weniger Stunden und ist am folgenden Tage vor dem Bade stets 
verschwunden. Es scheint, daß das Phänomen auch täglich ge¬ 
brauchte Bäder begleitet. 

Der Grad der Albuminurie ist ein sehr geringer; in den 
markantesten Fällen stieg die Menge kaum auf Y^/oo- Es handelt 
sich um Serumalbumin, nicht um Nucleoalbumin. 

Im Harnsediment treten nicht selten hyaline Cylinder auf, 
häufig auch Krystalle von oxalsaurem Kalk. Nicht immer, aber 
häufig haben kalte Bäder eine Steigerung der Diurese zur Folge, 
welche recht bedeutend werden kann. 

Bei Auftreten von Albumen kann die Diurese vergrößert sein, 
dies ist aber nicht constant. 

Die Polyurie kann auch mehrere Stunden nach dem kalten 
Bade andauern. 

Nach kalten Bäder werden relativ mehr feste Harnbestand- 
theile ausgeschieden, gleichgiltig, ob Albuminurie aufgetreten war 
oder ausblieb. 

Kalte Bäder rufen keine Urobilinurie hervor. 

Nach protrahirten Bädern und sehr intensiver Kälteeinwir¬ 
kung beobachtete R.-P. Frequeuzbeschleunigung und Irregularitäten 


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der Herzaction, mehr oder weniger diffuse Cyanose und deutliche 
Dilatation des rechten Ventrikels. Man muß daher im Allgemeinen 
von sehr kalten täglichen Bädern abrathen und dieselben absolut 
verbieten, wenn auch ein leiser Verdacht einer latenten Nieren¬ 
läsion besteht. G. 

Siedler (Berlin): Ueber einige Pflanzenstoffe. 

Verf. beginnt mit Tanacetum vulgare („Bericht der Deutschen 
Pharm. Gesellsch.“, 1902, Nr. 2), dem Rainfarn oder Wurmfarn, 
einer der bekanntesten mitteleuropäischen Pflanzen, welche seit 
alten Zeiten als Wurmmittel, früher auch als Stimulans und Dia- 
phoreticum im Gebrauch ist. 

Das Alkaloid desselben, das Tanacetin Riedel, bildet, 
wie Körner festgestellt hat, eine ölige, dicke, in Wasser schwer, 
in Alkohol und Aether leicht lösliche Flüssigkeit von bitterem, 
brennendem Geschmack. Es gibt mit den gebräuchlichen Alkaloid- 
reagentien starke Fällungen, ist mit Wasserdämpfen flüchtig und 
gibt mit anorganischen Säuren stark hygroskopische Salze. 

Die Frage, welcher der Bestandtheile des Rainfarns, das Tan- 
acetium Riedel, das Oleum Tanaceti, das Tanaceton oder das Ta- 
nacetinum tannicum, an der wurmwidrigen Wirkung betheiligt sind, 
ist immer noch eine offene: die pharmakologischen Untersuchungen 
Kobert’s werden den klinischen Versuchen eine unentbehrliche 
Grundlage gewähren, da sie sie als relativ ungefährlich erscheinen 
lassen. 

2. Cynogloss um officinale, unsere gemeine Hundszunge, 
ist ebenfalls seit sehr langer Zeit officinell, aber jetzt gänzlich 
obsolet. 

Neuerdings gewinnt die Wurzel wieder ein gewisses Interesse, 
seitdem im Jahre 1870 Büchhelm aus der Wurzel ein Alkaloid als 
amorphe, bräunliche, hygroskopische, in Wasser wie in Weingeist 
leicht lösliche Substanz herstellte, die er „Cynoglossin“ nennt und 
welche erst in Dosen von 01 Grm. auf Frösche lähmend wirkte, 
während von Curare schon V.oo Mgrm. dieselbe Wirkung auslöst. 

Das „Cynoglossin Riedel“, das Alkaloid der Wurzel, ist 
eine dicke, anfänglich wasserhelle, später dunkel werdende Flüssig¬ 
keit von intensiv bitterem Geschmack und ausgeprägt narkotischem, 
sehr pelletierinähnlickem Geruch. Aus den Resultaten der pharma¬ 
kologischen Prüfung geht hervor, daß man auf eine therapeutische 
Wirkung des Mittels nach einer bestimmten Richtung kaum wird 
rechnen können. 

3. A g a r i c u s. Der seit altersher officinelle Lärchenschwamm, 
Agaricus albus, Polyporus officinalis, ist Gegenstand zahlreicher 
Untersuchungen gewesen, die sich zunächst mit den Bestandtheilen 
des Pilzes, ihrer Trennung und ihrer Beschreibung befaßten. Neben 
bitterschmeckenden, gefärbten Harzen constatirte man bald die An¬ 
wesenheit eines weißen, in Alkohol schwerer löslichen Körpers; 
jeder der Autoren bezeichnete diesen weißen Körper mit einem 
anderen Namen : Pseudowachs, Laricin, Agaricin, und da die 
Eigenschaften verschieden angegeben wurden, so blieb es zweifel¬ 
haft, ob diese Körper identisch oder verschieden waren. 

Im vergangenen Jahre ist die Agaricinsäure von neuem Gegen¬ 
stand der Untersuchung durch Winzheimer gewesen, und es stellte 
sich heraus, daß auch die spärlichen Angaben, die über die che¬ 
mische Natur dieser Säure in der Literatur vorhanden sind, mit Mi߬ 
trauen aufgenommen werden müssen. 

Außer den Natrium- und Lithiumsalzen der Agaricinsäure 
verdienen die basischen und neutralen Wismutsalze therapeutisches 
Interesse, da sie mit der schweißwidrigen eine adstringirende Wirkung 
vereinigen. Sie zeigen eine überraschende Widerstandsfähigkeit 
gegen verdünnte Säuren, welche an die Beständigkeit des Bismutum 
subgallicum und Bismutum tannicum erinnert. 

Um die antihydrotische Wirkung der Agaricinsäure mit der 
antipyretischen des p-Phenetidins zu vereinigen, hat S. die Conden- 
sation beider versucht und sowohl ein Diphenetidid wie ein Mono- 
phenetidid erhalten. 

4. Ipecacuanha. Hiebei handelte es sich dem Verf. um 
Aufklärung über die alte Frage, ob Rio- oder Cartbagcna-Wurzel 
im Arzneischatze bessere Dienste leiste, oder ob beide als gleich- 
werthig zu betrachten sind. 


Die Alkaloide der Ipecacuanha sind das Emetin, das Cephaelin 
und das Psychotrin. 

Die Versuche, welche von Kobert und Lewin angestellt 
wurden, ergaben unzweideutig, daß nicht nur das reine salzsaure 
Emetin ein schwächeres Brechmittel ist, als das reine, salzsaure Ce¬ 
phaelin, sondern auch, daß das Extract der emetinreichen Rio-Droge 
schwächer wirkte, als das der cephaelinreichen Carthagena-Drogc. 
Es dürfte daher opportun erscheinen, als Brechmittel in der 
Apotheke die verpönte Carthagenna-Ipecacuanha wieder einzuführen, 
während gegen die Verwendung der Rio-Ipecacuanha bei Lungen¬ 
kranken als Expectorans nichts einzuwenden ist. Nur das mit Recht 
schon oft beanstandete Ipecacuanha-Infus ist endlich durch die 
Tinctur oder durch ein Fluidextract zu ersetzen, da beide vom 
chemischen und pharmakologischen Standpunkte aus Vorzüge haben 
und dabei billiger sind. — Busse und Lohmann gegenüber be¬ 
hauptet Verf., daß die Ipecacuanha (und zwar die Carthagenasortc) 
ein so vortreffliches Brechmittel ist, daß dasselbe zur Zeit keineswegs 
als veraltet oder überflüssig bezeichnet werden kann. Eher ließen 
sich manche andere Mittel des Arzneibuches ausraerzen als ge¬ 
rade dieses. L. 

Pflüger (Stuttgart): Subconjunctivale Hetolinjectionen. 

Die Mittheilungen von Länderer über die Behandlung der 
Tuberculose durch die intravenösen und intramusculären Injectionen 
von Zimmtsäurelösung (Hetol) von l°/ 0 bis 5°/ 0 lenkten die Auf¬ 
merksamkeit des Verf. auf dieses Präparat („Klin. Monatsbl. f. 
Augenheilkunde“, XXXIX., Sept.-Oct.). Pflüger konnte sich bald 
davon überzeugen, daß den Hetolinjectionen wirklich keine Nach¬ 
theile anhaften. 

Die intravenöse und glutäale Injection von Länderer ersetzte 
er von vornherein durch die subconjunctivale Injection. Die Krank¬ 
heiten, gegen die er bis jetzt die Hetolinjectionen angewendet hat, 
sind: A. Der Herpes der Hornhaut, welcher seit 1890 viel häufiger 
beobachtet wird als früher. 

Die Injectionen entsprechen hier zwei Indicationen: 

1. Sie bekämpfen die Schmerzen. 

2. Sie unterstützen und beschleunigen die Wiederherstellung 
des kranken Gewebes. 

Die selteneren Arten von Herpes der Hornhaut, die Fischkr- 
sclic Fädchen-Keratitis und die sogenannte Keratitis dendritica, 
werden in gleich günstiger Weise durch Hetol beeinflußt. 

B. Die tieferen Geschwüre der Hornhaut, besonders die im 
Centrum localisirten, seien sie traumatischer, pustulöser oder anderer 
Natur. Diese Geschwürsbildungen haben eine gewisse Aehnlichkeit 
mit den herpetischen Geschwüren durch ihre langwierige Heilungs¬ 
dauer. Mit Hilfe dieser Injectionen geht die Heilung dieser Ulcera- 
tionen schneller von statten. 

C. Fälle von Uveitis verschiedener Aetiologie und verschie¬ 
dener klinischer Erscheinungsformen. Zunächst sind es Fälle von 
acuter und subacuter parenchymatöser Keratitis , wie man sie seit 
1890 oft sieht, nach einem Influenzaanfall oder einer allgemeinen 
Infection der Respirationsorgane nach Bronchitiden, Pneumonien etc., 
welche der Augenerkrankung 1—3 Wochen vorangegangen sind. 
Sind rheumatische Erscheinungen zu gleicher Zeit vorhanden, spricht 
man auch von rheumatischer parenchymatöser Keratitis. Diese Er¬ 
krankungen stimmen oft vielfach mit den herpetischen Formen 
überein. 

In der Behandlung dieser zusammengehörenden Affeetionen 
erweisen sich die Hetolinjectionen von großem Nutzen, der durch 
die Massage der Hornhaut noch deutlich gesteigert wird. 

Auch Fälle von schwerer, chronischer Uveitis, combinirt mit 
diffusen Trübungen der Hornhaut, haben sich den Hetolinjectionen 
sehr zugänglich gezeigt, und P. glaubt, gewisse Erfolge denselben 
zuschreiben zu müssen. 

D. Die parenchymatöse traumatische Keratitis, welche auf dem 
Auge eines scheinbar ganz normalen Individuums infolge eines 
leichten Traumas — Quetsch-Keratitis von Horner — vorkommt, 
wird nach den Beobachtungen des Verf. durch das Hetol ebenfalls 
günstig beeinflußt. 


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Die Kerato-Uveitis auf luberculöser Grundlage eignet sich 
besonders für diese Iietolinjectionen. Mehrere Fälle dieser Art 
sprechen hiefür. 

E. Die recidivirende Skleritis mit ihren festonartigen, zungen¬ 
förmigen, dreieckigen, sklerosirenden Ilornhautinfiltraten, welche in 
schweren Fällen nach und nach die ganze Hornhaut trüben , ver¬ 
spricht ebenfalls ein dankbares Feld für die Hetolinjectionen zu 
werden. 

Die Technik der Injcclionen ist die denkbar einfachste. Alle 
zwei Tage injicire man 0‘4 — 0 - 5 Cgrm. einer l°/oigen Hetol- 
lösung. Mit einem Tampon von hydrophiler Watte massirt der 
Patient selbst während einiger Minuten und bleibt ohne Verband. 
Die durch diese Injectionen verursachten Schmerzen sind unbedeutend 
und dauern nur einige Minuten. G. 

Max Halle (Berlin): Zur Therapie der Pharyngitis gra¬ 
nul osa und der Pharyngitis lateralis. 

H. empfiehlt („Bcrl. klin. Wschr.“, 1902, Nr. 17) zur Be¬ 
handlung der Pharyngitis granulosa und lateralis zwei Rachen- 
scheeren. Von diesen hat die eine gerade Branchen und hinter 
dem Schloß fast rechtwinkelig abgebogene Schneiden, die andere 
eine dreifache Biegung. Beim Gebrauche faßt man die Scheeren 
mit Daumen und Mittelfinger. Die Scheere mit geraden Branchen 
ist nur von oben oder von der Seite her zu gebrauchen, die andere 
gestattet ein Eingehen von unten her. Welche von beiden Scheeren 
zur Anwendung gelangen soll, das entscheidet meist die zu operirende 
Stelle. Die Vortheile der Operation mit der Scheere sind: Der 
Eingriff geschieht rasch und ohne Schmerz , die Wundränder sind 
glatt, die Reaction geringer, die Heilungsdauer abgekürzt, specicll 
im Vergleich mit den galvanokaustisch behandelten. Die Wunden 
geben eine zarte Narbe, die niemals stört und nach einiger Zeit 
kaum mehr sichtbar ist, während die Galvanokaustik nicht selten 
starke störende Narben zurückläßt. Aus diesen Gründen wird man 
sich auch leichter zur Operation entschließen, um dem Patienten 
langwierige und oft doch zwecklose Pinselungen u. dgl. zu ersparen. 

Für die. Behandlung der Pharyngitis granulosa und lateralis 
ergeben sich somit folgende Gesichtspunkte: Werden keine nennens¬ 
werten Störungen hervorgerufen, so kann man von jeder Behand¬ 
lung absehen. Treten die bekannten Erscheinungen auf, so müssen 
in erster Linie die ätiologischen Verhältnisse berücksichtigt werden. 
Etwaige Plethora, Skrophulose, Alkohol- und Tabakmißbrauch er¬ 
fordern sorgliche Beachtung, adenoide und Nasenverengerungen 
operative Beseitigung. Daneben empfiehlt sich eine locale Behand¬ 
lung mit Pinseln von MANDL’scher Solution oder Insufflatiou von 
Adstringentien. Genügen diese Mittel nicht, oder läßt sich nach 
Lage der Sache davon keine Hilfe erwarten, so kann man zweck¬ 
mäßig zu einer Aetzung mit Trichloressigsäure, Chromsäure, Ar¬ 
gentum oder leichter Galvanokaustik greifen. Bei stärkeren patho¬ 
logischen Veränderungen trägt man am besten jedes einzelne stark 
entwickelte Granulum vorsichtig mit der Scheere ab. Ein schmerz¬ 
hafter Seitenstrang, der nach leichten Aetzungen immer wieder 
Beschwerden veranlaßt, wird mit einem langen Schnitt möglichst 
vollständig und in genügender Tiefe entfernt. Jede starke Galvano¬ 
kaustik ist contraindicirt. Auch für die Operation anderer Gebilde, 
Tumoren u. dgl., sind die Scheeren sehr brauchbar. L. 


G. Leopold (Dresden): Zur schnellen vollständigen Er¬ 
weiterung des Muttermundes mittelst des Dila- 
tatorium von Bosse, namentlich bei Eklampsie. 

Außer 12, von dem Autor bereits veröffentlichten Fällen 
werden („Centralbl. f. Gynäkologie“, 1902, Nr. 19) weitere 5 nach 
Bossi behandelte Fälle mitgetheilt, aus denen sich die überein 
stimmende Thatsache ergibt, daß 

1. das Instrument in allen Fällen den zum Theil noch ge¬ 
schlossenen Muttermund innerhalb 20—30 Minuten so weit eröffnete, 
daß der Kopf mit der Zange gefaßt, bezw. daß das Kind gewendet 
und entwickelt werden konnte; daß 

2. in keinem Falle eine nennenswerthe Zerreißung des Mutter¬ 
mundes eintrat, vorausgesetzt, daß das Instrument langsam mit 


Ruhe und Geduld, genau den Angaben Bossi’s entsprechend, ange¬ 
wendet wurde; daß 

3. fast in allen Fällen unter dem Gebrauch des Instrumentes 
sehr bald Wehen eintraten, welche sich dann gleichmäßig und 
zunehmend bis in die Nachgeburtsperiode fortsetzteu. 

Was speciell die Eklampsie betrifft, wurden von 12 Fällen 
alle Mütter gesund entlassen , 7 Kinder kamen lebend zur Welt, 
während 4 vor, bezw. während der Entbindung abgestorben 
perforirt wurden. Blutungen oder Tamponaden oder schwierigere 
Nähte haben in keinem Fall die Geburt oder das Wochenbett com- 
plicirt. Fischer. 


Lode und Gruber (Innsbruck): Bakteriologische Studien 
über die Aetiologie einer epidemischen Erkran¬ 
kung der Hühner in Tirol (1901). 

Vcrff. berichten in vorliegender Arbeit über einen höchst 
interessanten und bemerkenswerthen Befund, den sie bei einer 
überaus heftigen und verheerenden Epidemie unter den Hühnern 
in einzelnen Theilen Tirols erheben konnten. Die Seuche, die als 
Hühnerpest bezeichnet wurde, war aus Italien eingeschleppt worden 
und verbreitete sich in den einzelnen Wirtschaften, in die sie 
eingedrungen war, mit rapider Schnelligkeit, wobei fast sämmtliche 
Hühner zugrunde gingen. Weder die anatomische, noch die bakterio¬ 
logische Untersuchung konnte Aufklärung über die Aetiologie dieser 
Epidemie bringen. Um zu sehen, ob in den Organen der verendeten 
Thiere Toxine enthalten wären, wurden Organsäfte durch bakterien¬ 
dichte Filter filtrirt und mit den Filtraten Thiere inficirt; die Versuche 
fielen positiv aus, indem es auf diese Weise tatsächlich gelang, das 
Krankheitsbild experimentell zu erzeugen. Auf dem gleichen Wege 
(durcli Verimpfung von Organfiltraten) konnte aber die Krankheit 
von Thier auf Thier fortgeimpft werden, woraus hervorgeht, daß 
die Organfiltrate nicht bloß Toxine darstellen. Diese hätten ja 
schließlich bereits so stark verdünnt sein müssen und wären bei 
den fortgesetzten Thierpassagen nur in so minimaler, unmeßbar 
kleiner Menge in den Orgaafiltraten enthalten gewesen, daß es end¬ 
lich nicht mehr hätte gelingen können , das Krankheitsbild zu er¬ 
zeugen. Da aber das Gegentheil der Fall war, da auch bei fort¬ 
gesetzter Passage die Symptome der Krankheit stets mit der 
gleichen Sicherheit, Regelmäßigkeit und Intensität hervorgerufen 
wurden, ergibt sich die Folgerung, daß die Filtrate das Virus 
selbst enthielten. Dieser principiell höchst wichtige Befund, der in 
analoger Weise von Löffler und Frosch für die Maul- und Klauen¬ 
seuche festgestellt wurde, läßt nur zwei Möglichkeiten der Er¬ 
klärung zu: entweder der bisher nicht auffindbare Erreger der 
Seuche wäre so klein, daß er sogar die Poren des Bakterienfilters, 
welches die kleinsten bekannten Bakterien sicher zurückhält, passirt, 
oder aber das Virus wäre eine gelöste, mit Vermehrungsfähigkeit 
begabte Substanz etwa von enzymartigem Charakter. Verff. sind 
derzeit noch außer Stande, diesbezüglich weitere Angaben zu machen 
und behalten sich eingehende Untersuchungen über dieses Virus 
vor. Für die untersuchte Seuche schlagen sie den von etymologi¬ 
schen Erwägungen aus gebildeten Namen Kyauolophiea gallinarum 
vor. („Centralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde und Infections- 
krankheiten“, Bd. 30, H. 16.) Dr. S—. 


Ascoli (Genua): Bemerkungen zu der Arbeit Naka- 
nishi’s „über den Bau der Bakterien“. 

Vor Kurzem wurde an dieser Stelle über die eingehenden 
Untersuchungen Nakanishi’s berichtet, die in Widerspruch zu den 
Befunden Ascou’s, publicirt in der „Deutschen mcdicinischen 
Wochenschrift“, 1901, Nr. 20, standen. Ascoli sieht nun in den 
Ausführungen und insbesondere in den Abbildungen Nakanishi’s 
neuerdings Belege für seine Auffassung und verharrt bei seiner 
Ansicht („Centralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde und In- 
fectionskrankheiten“, Bd. 30, H. 24). daß der Nachweis von Kernen 
oder entsprechenden Gebilden bei Bakterien bisher nicht gelungen 
sei, und daß die nach verschiedenen Methoden bisher erhobenen, 
in diesem oder ähnlichem Sinne gedeuteten Befunde für den an¬ 
gestrebten Beweis nicht verwerthbar seien. Dr. S —. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 25 


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Kleine Mittheilungen. 

— Die Nephritietherapie William Halb White’s ist die 
folgende („The Practitioner“, 1901, pag. 645). Bei acuter Nephritis 
soll der Patient unbedingt zu Bette bleiben, bis das Eiweiß eine 
Woche hindurch aus dem Urin verschwunden ist. Die Diät hat 
ausschließlich in Milch zu bestehen, von der etwa 2 Liter täglich 
gereicht werden ; die tägliche Wasseraufnahme neben der Milchdiät 
soll nicht 1 Liter überschreiten; Alkohol ist schädlich; als Diu- 
reticum wird täglich 4mal 1 Grm. Kaliumacetat gegeben. Der 
Darm wird durch Abführmittel offen gehalten, von denen Jalappe 
und Skammonium des Abends vorher, Magnesiumsulphat des 
Morgens zu nehmen sind. Jeden Abend bekommt der Kranke ein 
heißes Bad und wird dann in warme Laken gehüllt; verträgt er 
diese Proceduren nicht, so soll er wenigstens ein Ileißluftbad von 
15 Minuten Dauer rnit nachfolgender nasser Einpackung für 
20 Minuten nehmen. Verf. verwirft die Opiate, ebenso Sulfonal, 
Trional, am besten ist Chloralamid 1—2 Grm. in etwas Spiritus 
aufgelöst. Diese Behandlung soll durchgeführt werden, bis das 
Eiweiß verschwunden, oder 4—6 Wochen constant geblieben ist, 
in letzterem Falle ist der Kranke wahrscheinlich unheilbar. Als 
Nachcur ist ein Aufenthalt in Aegypten sehr zu empfehlen. Die 
chronische parenchymatöse Nephritis ist meist unheilbar, doch 
können die Patienten gelegentlich bei Anwendung größter Schonung 
noch viele Jahre leben. Eventuelles Hautödem wird zunächst durch 
Bettruhe und Abführmittel behandelt. Nötigenfalls folgt die Aku- 
punctur. Wassertrinken ist erlaubt; reine Milchdiät ist unzweck¬ 
mäßig und erschlaffend, etwas Fleisch und Brot besser. Die 
chronische interstitielle Nephritis ist ebenfalls unheilbar, kann aber 
bei großer Vorsicht viele Jahre lang ertragen werden. Auch hier 
steht die Hautpflege im Vordergrund. Die Diät soll so sein wie 
in gesunden Tagen, nur müssen die Mahlzeiten klein sein und 
auf den Tag vertheilt werden. Die Behandlung der Urämie erfordert 
zunächst tägliches Purgiren; ist der Kranke bewußtlos, so gibt 
man ihm etwas Butter mit 1 — 2 Tropfen Krotonöl auf die Zutiger. 
In schweren Fällen wird 1 Ctgrm. Pilocarpin, nitr. subcutan gegeben, 
dann trinkt der Kranke etwas Thee und schwitzt; der Aderlaß 
wirkt ausgezeichnet. Gegen Kopfschmerz dient ein Purgans, 
namentlich nach einem heißen Bade; auch Coffein, bezw. eine 
Tasse starker Thee mit etwas Nitroglycerin. Bei Krämpfen ist 
Morphium unentbehrlich; gegen urämische Schlaflosigkeit dient 
Chloralamid, gegen Dyspnoe Amylnitrit. 

— Neue bakteriologische Studien über die Wasser der Staats¬ 
quellen VOn Vichy publicirt Pouchet. Nach Erörterung der 
technischen Details zu den Untersuchungsresultaten übergehend, 
referirt er über die Quellen „Grande Grille“, „Hopital“, „Cölestins 
1870“, „Cölestins 1896“, „Lucas“, „Du Pace“, „Mesdames“, 
„Chomel“ und „Hauterive“. Die bakteriologische Untersuchung 
theils am Trinkbecken, tlieils am Fangbecken, theils an der 
Flaschenfüllung, hat den Beweis erbracht, daß das Wasser sämmt- 
licher Quellen absolut rein ist. Specialuntersuchungen auf pathogene 
oder verdächtige Bakterienarten sind immer negativ verlaufen, eine 
Thatsache, die durch die physiologischen Experimente bestätigt 
wurde. 

— Die abortive Behandlung des Furunkels mit Hilfe sub- 
cutaner Desinfection gestaltet sich nach Bidder („Deutsche med. 
Wschr.“, 1902, Nr. 19) folgendermaßen: Durch einmalige paren¬ 
chymatöse Injeclionen von Carbolwasser wird ein ganz gewaltiger 
Einfluß auf den Furunkel (Karbunkel) ausgeübt. Der infectiöse 
Proceß wird in jedem Stadium — man darf sagen, fast im Hand¬ 
umdrehen — zum Stillstand gebracht; im Anfangsstadium wird 
sogar das Entstehen der für den Proceß charakteristischen Gewebs- 
nekrose verhindert, während in späteren Stadien, wo die letztere 
bereits eingetreten ist, weiterer Nekrose vorgebeugt und das schon 
Abgestorbene zu schneller Lösung und Abstoßung gebracht wird. 
Dann aber tritt die Vernarbung sehr rasch ein: die Art der dabei 
benutzten Verbände scheint von recht nebensächlicher Bedeutung 
zu sein. B. verwendet 2°/ 0 iges Carbolwasser. 

— Experimentelle und klinische Untersuchungen über die 

Verwerthbarkeit des Wasserstoffsuperoxydes in der Chirurgie 


berichtet IIonsell („Beitr. z. klin. Chirurgie“, Bd. 27, H. l). Das 
Präparat, mit welchem II. arbeitete, ist von E. Merck in Darm¬ 
stadt hergestellt; es ist absolut frei von Säure und sonstigen Bei¬ 
mengungen und wird in 30°/ 0 igen Lösungen in den Handel 
gebracht. Es ist bei entsprechender Aufbewahrung haltbar und 
bleibt auch in verdünnten Lösungen mehrere Wochen lang unzer- 
setzt. 3%iges Wasserstoffsuperoxyd ruft schwere Veränderungen 
an frischem und defibrinirtem Blut hervor, wenn es in genügenden 
Quantitäten mit demselben vermischt wird. Es tödtet ferner In¬ 
fusorien und wahrscheinlich auch andere isolirte, zeitige Elemente. 
Lebendes Gewebe des Körpers erleidet durch 3%ige3 Wasserstoff¬ 
superoxyd keine schwere, auf chemischen Processen beruhende 
Veränderung. Bei Anwendung von 3%igem Wasserstoffsuperoxyd 
auf freie Flächen und offene Höhlen sind keinerlei bedrohliche 
Erscheinungen zu befürchten. Wasserstoffsuperoxyd besitzt einen 
günstigen Einfluß auf den Verlauf eiternder und ganz besonders 
jauchiger und gangränöser Processe. Auf frische Operationswunden 
gebracht, übt es keinerlei local oder allgemein schädigende Neben¬ 
wirkungen aus. Die Ursache für den Einfluß auf septische Processe 
ist in erster Linie in mechanischen Momenten, in der Verschäumung 
der Wundsecrete zu suchen. Die chemische Einwirkung des Wasser¬ 
stoffsuperoxydes kraft des nascirenden Sauerstoffes auf Bakterien 
in Wunden ist nicht nachweisbar. Möglicherweise findet auch eine 
directe Einwirkung des Wasserstoffsuperoxydes, resp. Oxydes auf 
die Gewebe selbst statt. Als Hämostaticum scheint Wasserstoff¬ 
superoxyd für die otorhinologische und die gynäkologische Praxis 
nicht ohne Werth zu sein; ausgezeichnet ist die desodorisirende 
Wirkung des Mittels. 

— Untersuchungen über die jahreszeitlichen Schwankungen 
in der Stärke der Folia digitalis hat Foike („Therap. d. Gegenw.“, 
1902, Nr. 2) gemacht. Daß die Wirksamkeit der Digitalisblätter 
bei längerer Aufbewahrung sinkt, ist lange bekannt. F. machte 
in zahlreichen Fällen die Beobachtung, daß im 3. Jahresquartal 
Digitalis stets gut wirkte, im 4. Quartal etwa noch in der Hälfte 
der Fälle, dagegen im 1. und 2. Quartal niemals. Das rührt 
daher, daß die frischen Blätter im Juli gesammelt werden. Diesen 
jahreszeitlichen 'Schwankungen muß man nun auch die Dosen 
anpassen, wenn man Erfolge erzielen will. F. 6chlägt daher vor, 
im Juli 0'5 Grm. Folia digitalis zu verschreiben, und von Monat 
zu Monat bis zum October auf 1 Grm., bis Januar auf 1*5 Grm. 
und im Juni bis auf 2 Grm. zu steigen. Natürlich sind diese Dosen 
individuell zu variiren. 

— Ueber Bismutose berichtet Witthauer („Deutsche med. 
Wschr.“, 1902, Nr. 19). Bismutose ist eine Eiweißwismuthver- 
bindung, ein feines, weißes, geruch- und geschmackloses Pulver, 
welches 21% Wismuth enthält, in Wasser, verdünnten Säuren und 
Alkalien rasch und stark aufquillt und sich in Pepsinsalzsäuren, 
selbst nach mehrstündiger Einwirkung, fast nicht löst, also auch 
durch den Magensaft nicht zersetzt wird. W. hat das Mittel zur 
Behandlung des Ulcus ventriculi in 9 Fällen angewandt und gab 
nach Analogie des Bismutum subnitricum 10 Tage lang täglich 
15 — 20 Grm. in Wasseraufschwemmung, die nie ungern genommen 
wurde. Er hatte den Eindruck, als ob der Ernährungszustand ein 
besserer blieb, als nach bloßer Wismuthcur. Weiterhin wurde das 
Mittel ausgiebig und mit Erfolg bei Darmaffectionen in Anwendung 
gezogen. Einen Erfolg brachte das Mittel auch bei Hyperacidität 
des Magensaftes. Die Dosis beginnt bei Kindern mit einem ge¬ 
strichenen Theelöffel und steigt bei Erwachsenen bis zu einem 
Eßlöffel und mehr mehrmals täglich. 

— Ueber die Wirkungen des Nebennierenextractes , je 
nachdem man dasselbe nur der medullären oder nur der corticalen 
Substanz dieser Drüse entnimmt, berichten Salvioli und Pezzolini 
(„Gazz. d. osp.“, 1902, Nr. 5). Das Extract des medullären Theils 
erweist sich unverhältnißmäßig mehr toxisch als das des corticalen. 
Während 1 — 2 Ccm. des ersteren Kaninchen und Hunde schnell 
tödten, erweisen sich viel größere Quantitäten des letzteren auf 
beide fast unschädlich, beide Extracte wirken blutdrucksteigernd, 
aber das erstere stärker und nachhaltiger. Das corticale Extract 
verlangsamt die Herzsystole und macht sie ergiebiger, das medulläre 
beschleunigt dieselbe und macht sie schwächer. Das medulläre 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 25. 


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Extract wirkt auch auf die Resorption; dieselbe wird frequenter 
und oberflächlicher. Das corticale Extract hat keinen Einfluß auf 
den Respirationsrythmus. Nach vorheriger Vagusdurchschneidung 
oder nach Atropinisirung bringt eine Injectiou von corticalem 
Extract keinerlei Verlangsamung des Pulses mehr hervor, während 
eine solche von Medullarextraet imstande ist, eine noch größere 
Beschleunigung der schon beschleunigten Contractionen hervorzurufen. 

— Seine Beobachtungen über das MERCK’sche „Dionin“ ver¬ 
öffentlicht Kurtz („Therapie d. Gegenwart“, 1902, Nr. 3). Das 
Dionin ist bekanntlich als unschädliches Ersatzmittel des Morphiums 
empfohlen worden. K. hat Dionin in zahlreichen Fällen von acuter 
und chronischer Bronchitis, einem Falle von Lungenspitzenkatarrh, 
bei einigen Fällen von Emphysema pulmonum, in vielen Fällen 
von Gastralgia und Colica und schließlich einem Falle von Carci¬ 
noma ventriculi in Anwendung gebracht. Bei der acuten Bronchitis 
war in allen Fällen der Erfolg ein guter. Auch bei chronischer 
Bronchitis wurden wesentliche Besserungen erzielt. Bei Fällen von 
Emphysem mit Bronchialkatarrh konnte ein merkliches Nachlassen 
der bronchitischen Erscheinungen nach Dioningebrauch beobachtet 
werden. Die zweite, wichtige therapeutische Eigenschaft, welche 
dem Dionin nachgerühmt wird, ist dessen schmerzstillende, welche 
K. bei Gastralgien, Koliken, selbst bei Magencarcinom erprobt 
hat. Bei Erkrankungen der Athmungsorgane verabreichte Verf. 
Dionin fast ausschließlich in Tropfenform (l’l : 20‘0, davon etwa 
20 Tropfen) als Aualgeticum in Pulvern zu 0‘02 pro dosi. 

Literarische Anzeigen. 

Lehrbuch der Hautkrankheiten. Von Prof. Dr. Eduard 
Lang. Wiesbaden 1902, Verlag von F. J. Bergmann. 

Vor wenigen Wochen ließ Professor Eduard Lang ein 
Lehrbuch über Hautkrankheiten erscheinen. Es war wohl zu er¬ 
warten, daß der Autor der bestens bekannten „Vorlesungen über 
die Syphilis, den venerischen Katarrh“ und „Das venerische Ge¬ 
schwür“ nun auch seine langjährigen klinischen Erfahrungen auf 
dem Gebiete der Hautkrankheiten in geschlossener Reihe der Oeffent- 
lichkeit übergeben würde. — Das vorliegende Werk ist als Lehr¬ 
buch vornehmlich Studienzwecken gewidmet, doch zeigt die ein¬ 
gehende Lectüre desselben, daß auch der schon besser in dem 
Gegenstand unterrichtete praktische Arzt über den gesammten 
Inhalt der Dermatologie bequeme und ausreichende Orientirung 
nach dem gegenwärtigen Stande der Fachdisciplin findet. Die kurze, 
alles Theoretisiren möglichst vermeidende Fassung des speciellen 
Theiles, die dem Autor eigentümliche Klarheit im Ausdruck und 
eine unbestreitbar glückliche Art, selbst schwierige und Streit¬ 
fragen in klarer und präciser Weise wiederzugeben, dieselben kritisch 
zu beleuchten und so auch dem Verständniß des Studirenden nahe 
zu bringen, werden dem Leser des Buches allerorts angenehm zum 
Bewußtsein kommen. Einzelne Capitel, in denen Lang aus besonders 
reicher persönlicher Erfahrung spricht, darüber specielle eingehende 
Studien in früheren oder den letzten Jahren gemacht und veröffent¬ 
licht hat, enthalten die diesbezüglichen resurairenden Ergebnisse, 
aber auch werthvolle Details, z. B. Daten über seltene Befunde und 

Feuilleton, 

Berliner Briefe. 

(Orig.-Corresp. der „Wiener Med. Presse“.) 

V. 

Wie nach einem sich verziehenden Gewitter noch ab und zu 
ein dumpfes Grollen aus der Ferne sich hören läßt, so folgten 
auch dem Conflicte in der Besteuerungsfrage der Aerztekammer 
noch Verhandlungen und Erklärungen. Die Aerztekammer verein¬ 
barte mit der Regierung einen Steuermodus, der durch beider¬ 
seitige Concessionen allen Betheiligten gerecht wird, und Waldeyer, 
welcher den Standpunkt der Universitätslehrer vertritt, präcisirte 
diesen in einer versöhnlich, aber doch entschieden gehaltenen Ver¬ 
öffentlichung. Die Quintessenz derselben ist: Die Professoren der 


Krankengeschichten, die als Originalien dazu beitragen, den Werth 
des Werkes besonders für den Fachmann zu erhöhen, so über 
Hauttuberculose, Psoriasis, Ichthyosis, Papillomatosis universalis, 
Epidermolysis und andere Capitel. 

Während von historischen Details nur die wichtigsten ange¬ 
führt sind, finden bemerkenswerthe neuere Forschungsergebnisse der 
Aetiologie, Anatomie (Histologie) und Therapie fast überall ent¬ 
sprechende Berücksichtigung. — Vom didaktischen Gesichtspunkte 
werth voll ist der Umstand, daß die persönlichen Anschauungen 
des Autors, insoweit sie von den landläufigen und speciell von denen 
der Wiener dermatologischen, d. i. HEBRA’schen Schule abweichen, 
deutlich hervorgehoben sind. 

Die Eintheilung des Stoffes ist ungemein einfach. Mit Vermei¬ 
dung jeglicher künstlichen Systematisirung finden wir die einzelnen 
pathologischen Zustände, nur nach gewissen Gesichtspunkten gruppirt, 
beschrieben. Daß Lang mit diesem Aufgeben des althergebrachten 
Systemzwanges übrigens nur dem Gefühle wohl der meisten jüngeren 
Dermatologen entspricht, braucht wohl hier nicht einmal mehr ge¬ 
sagt zu werden. Auch jegliche Art von summarischen Beschrei¬ 
bungen und Abstractionen ist ferngeblieben. Medias in res gehend, 
führt der Autor die einzelnen Krankheitsbilder und deren Verlauf 
dem Leser vor Augen. Praktisch wichtige Affectionen wurden heraus¬ 
gehoben und in eigenen kleineren Capiteln abgehandelt und es so ermög¬ 
licht, dieselben in differentialdiagnostischer Beziehung genauer zu be¬ 
leuchten. — Allenthalben merkt man auch in diesem Lehrbuche, daß 
Lang während seiner Laufbahn als Arzt und Kliniker seinen selb¬ 
ständigen, von jeder Voreingenommenheit freien Weg gegangen ist. 

Eine große Anzahl gut gewählter, prägnanter klinischer Ab¬ 
bildungen in Holz geschnitten, einige flott und klar geschriebene 
einleitende Capitel über Bau und Functionen der Hautgebilde, über 
allgemeine Aetiologie und Therapie, die dem speciellen Theile voraus¬ 
gehen und eine reichhaltige Sammlung von erprobten Ordination«* 
formein am Schlüsse des Buches vervollständigen das Werk. Trotz¬ 
dem heute gewiß kein Mangel an brauchbaren und guten Hand- 
und Lehrbüchern der Dermatologie mehr herrscht, Schulen und 
Ansichten aller Art darunter vertreten sind, bedeutet das vorliegende 
gewiß eine werthvolle Bereicherung der Fachliteratur, ja es muß vom 
scientifischen wie didaktischen Gesichtspunkte als eines der besten 
Studienbehelfe des Faches bezeichnet werden. 

Ein angenehmer Druck und vornehme Ausstattung kommen 
ihm überdies zu statten. Dr. K. Ullmann. 

1. Die Verwendung des Lichtes in der Therapie. Von 

Dr. H. Strebei (München). München 1902, Seitz& Schauer. 

2. Die bisherigen Leistungen der Lichttherapie. Von 

Dr. H. Strebei (München). Berliner Klinik, Heft 164. 

Der Verf., dem die Lichttherapie manch werthvolle Bereicherung 
ihrer Methodik verdankt, gibt in den vorliegenden Heften eine 
sehr klare Uebersicht über Wesen, Behelfe und Resultate der Licht¬ 
behandlung. Besonders anerkennenswerth ist die Objectivität, mit 
der die therapeutischen Capitel abgehandelt werdeu. Die Lectüre 
der beiden Schriften sei jedermann, der sich über dieses neue, viel 
verheißende Gebiet orientiren will, bestens empfohlen. Grosz. 


theoretisch-medicinischen Disciplinen halten sich nicht für ver¬ 
pflichtet, in höheren Steuersätzen zur Casse der Aerztekammer 
beizutragen, ja überhaupt zu dieser, an der sie als Staatsbeamte 
kein directes Interesse haben, Beiträge zu leisten. Um aber dar- 
zuthun, daß sie keineswegs abgeneigt sind, die humanitären Zwecke 
fördern zu helfen, werden sie aus freien Stücken entsprechende 
Beiträge zahlen, ohne damit irgendwelche Zahlungspflicht anzu¬ 
erkennen. Auf dieser Basis ist nun eine Einigung erzielt worden-, 
gleichzeitig ist der Besteuerungsmodus bezüglich etwaiger, „auf 
Ansuchen“ zu gewährender „Erlässe“ festgelegt — und nun leuchtet 
wieder der Regenbogen des Friedens ; der Aufruhr der Elemente 
hat sich beruhigt. 

Das Ereiguiß des Semesters war unstreitig die „Ausstel¬ 
lung ärztlicher Lehrmittel“, welche vom „Centralcomitfe 
für das ärztliche Fortbildungsweseu in Preußen“ in den sonst nur 
den Künsten geweihten Räumen der „Akademie“ veranstaltet worden 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 25 


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war. Die Ausstellung wurde, wie die Fortbildungscurse, mit Unter¬ 
stützung des Unterrichtsministeriums ins Leben gerufen, um den 
praktischen Aerzteu Gelegenheit zu steter Fühlung mit den Fort¬ 
schritten und Leistungen der Medicin zu bieten und zu diesem 
Behufe eine mit der Charitö zu verbindende „Sammlung von Lehr¬ 
mitteln“, also eine dauernde Institution, zu begründen. 

Für diesen Zweck war die Ausstellung eine Art von General¬ 
musterung. Denn die Idee ist noch neu, und es gilt, auf diesem 
Gebiete erst Erfahrungen zu sammeln, festzustellen, was für den 
Anschauungsunterricht besonders werthvoll und instructiv ist, unter 
den Methoden und Hilfsmitteln kritische Umschau zu halten. Da 
bot denn eine Ausstellung die beste Gelegenheit, eine Revue zu 
veranstalten über das, was heute auf diesem Gebiete geleistet wird, 
und nun aus der Fülle eine Auswahl vorzunehmen. Es muß an¬ 
erkannt werden , daß mit großem Geschick sehr viel Interessantes 
und Lehrreiches von Aerzten und Industriellen zusaramengebracht 
worden ist. Die Ehrenvorsitzenden Cultusminister Dr. Studt und 
Ministerialrath Dr. Althoff konnten deshalb ihre Freude an dem 
Gelingen haben, und so war auch der Lohn nicht ausgeblieben. 
Denn bei der feierlichen Eröffnung durch Excellenz Prof. v. Berg¬ 
mann konnten bereits Verleihungen des Professortitels an zwei, um 
die Ausstellung besonders verdiente Aerzte proclamirt werden. 

Alle Anerkennung verdiente die übersichtliche Anordnung 
des enorm reichhaltigen Materials und die eigenartige Neuerung, 
daß während der Ausstellung allabendlich ein Vortrag mit Demon¬ 
strationen stattfand. Namhafte Autoritäten, wie v. Bergmann, 
Doyen (Paris), Jolly, v. Leyden, Wassermann, Liebreich, 
v. Michel , Olshausen u. A. waren hiezu gewonnen worden. Aus 
der Fülle der ausgestellten Objecte Einzelnes herauszugreifen wäre 
sehr verlockend ; allein es ist schon des Raumes wegen fast un¬ 
möglich. Ich beschränke mich deshalb auf einige Andeutungen. 
An anatomischen und pathologischen Musterpräparaten konnte man 
sich kaum satt sehen. Das anatomische, das biologische und patholo¬ 
gische Institut, die Specialkliniken, die Staatsarznei-Anstalt hatten 
besondere Perlen ihrer Sammlungen hergegeben, und zwei Abhand¬ 
lungen (von H. Virchow und 0. Israel) verbreiteten sich eingehend 
über die zweckmäßigsten Methoden zur Herstellung von Präparaten. 
Auch die Moullagen-Technik, in ihren Grundzügen von P. Berliner 
dargelegt, war durch zahlreiche plastische Nachbildungen in Papier¬ 
mache, Gelatine, Wachs etc. vertreten. Normale und pathologische 
Präparate, Phantome der verschiedensten Organe zu Lehrzwecken 
fanden sich in reichster Auswahl. Eine andere Abtheilung führte 
die Abbildungen in Form von Tafeln und Atlanten vor. Hiefür 
hatte P. Meissner einführende Worte geschrieben. Die topogra¬ 
phischen Abbildungen größten Maßstabs, Originalzeichnungen und 
Aquarelle, Curven, Radiogramme, Photographien, Stereoskope und 
Diapositive zählten nach vielen Hunderten uud waren oft Proben 
größter Meisterschaft. Eine weitere Abtheilung galt der Mikroskopie 
und ihrer Technik. Ambronn und Lazarus hatten hiezu orien- 
tirende Worte geschrieben. Es ist selbstverständlich, daß alle be¬ 
deutenden Werkstätten hier durch Musterinstrumente (Mikroskope, 
Mikrotome, Projectionsapparate), zahlreiche klinische Institute und 
Specialforscher durch Präparate vertreten waren. Eine eigene Ab¬ 
theilung war der Bakteriologie und Serumtherapie gewidmet. Hier 
hatte sich auch das Institut Pasteur (Paris) neben dem deutschen 
Laboratorium eingefunden. Recht interessant waren ferner die 
Demoustrationsapparate (Phonographen, Roentgenapparate, Augen¬ 
spiegel, viele elektrotechnische Neuerungen, Kystoskope, Chromo- 
skope, Stroboskope). Den Schluß bildete die medicinische Literatur. 
Ueberblickt man das Resultat dieses Unternehmens, so muß man 
sagen, daß es seinen Zweck erfüllt hat, ein Bild der modernen 
Leistungsfähigkeit auf den verschiedensten Gebieten unserer Wissen¬ 
schaft zu geben. Vieles Einzelne kannte man ja schon aus Kliniken, 
Versammlungen und Ausstellungen; aber so zweckmäßig vereint 
und so vollständig waren die medicinisch-technischen Errungen¬ 
schaften, welche heutigen Tages die Hilfsmittel des Unterrichtes 
bilden, wohl noch nie vorgeführt worden. 

Eine kleine Sensation war ein Vortrag Schweninger’s, den 
die „Freie wissenschaftliche Vereinigung“ zum 9. Juni angezeigt 
hatte. Das Thema: „Moden und Methoden in der Medicin“ hatte 


zahlreiche Neugierige, Laien, Studirende und Aerzte, in den großen 
Saal des „Eberl-Bräu“ gelockt. Man w r ar in einer lebhaft erregten 
oppositionslustigen Stimmung, kam aber im Ganzen und Großen 
wenig auf seine Rechnung. Der bekannte Redner, den beim Ein¬ 
tritt theils Händeklatschen, theils Zischen empfing, beides aber 
kalt ließ, gab eigentlich eine Art von medicinischem Glaubens- 
bekenntniß. Er suchte darzulegen, daß auch in der Heilkunde, be¬ 
sonders im Specialistenthura , Modeströmungen das Beherrschende 
seien , daß die Persönlichkeit des Arztes, der zu iudividualisiren 
versteht, den Ausschlag gebe und schließlich der Erfolg seines 
Handelns, gleichviel nach welcher Methode er vorgehe, für den 
Kranken das Wichtigste sei. Hiebei hätte man sich wohl beruhigt; 
denn das sind Ansichten. Allein als er der Medicin die Bedeutung 
einer exacten Wissenschaft absprach, die wissenschaftliche Forschung 
geringer einschätzto als das praktische Geschick , entfesselte er 
doch Stürme der Opposition. Zu einer Discussion nahm er jedoch 
nicht das Wort. Es schien, als wollte er jeder Debatte über die 
von ihm aufgestellten Thesen aus dem Wege gehen, welche in 
dem Ausspruche gipfelten , der Mediciner dürfe nicht seine Subjec- 
tivität durch schematisches Nachbeten einer augenblicklich herr¬ 
schenden Mode verlieren; nicht die Methode, die ja stetem Wechsel 
unterworfen sei, könne er als maßgebend bezeichnen, sondern nur 
die Art und Weise ihrer Handhabung. Alle diese Anschauungen 
enthalten Wahres und Irrthiimliches in buntem Gemisch und sind 
mit Schweninger’s Persönlichkeit und der Art seines ärztlichen 
Wirkens untrennbar verbunden. Eine allgemeine Giltigkeit können 
sie nicht haben. oo 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

20. Congreß für innere Medicin. 

Gehalten zu Wiesbaden 15.—18. April 1902. 

(Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) 

VII. 

Holländer (Berlin); Die Heilung des Lupus erythematodes. 

Vortr. verbreitet sich zunächst eingehend über das Wesen des 
Lupus erythematodes und die diagnostische Unterscheidung desselben 
vom Lupus vulgaris, der damit vielfach zu Unrecht identificirt wird. 
Er ist auch ätiologisch von demselben wesentlich verschieden. 
H. betrachtet den Lupus erythematodes als eine Erkrankung des 
Drüsenapparates der Haut. Seit mehreren Jahren hat er eine 
größere Reihe von Fällen dieser Art geheilt durch eine combinirte 
Therapie, bestehend aus fortgesetzter Chinindarreichung innerlich 
und Jodtinktur äußerlich aufgetragen auf die erkrankten Haut¬ 
partien. Mittelst des Projectionsapparates demonstrirt Vortr. eine 
Anzahl von Bildern von Patienten vor und nach der Behandlung, 
die namentlich Fälle von Gesichtslupus betreffen. Allenthalben ist 
eine glatte weiße Narbe sichtbar. 

Tonton (Wiesbaden) hält diese Behandlungsmethode doch nicht für 
jeden Fall angebracht. Viele Fälle heilen langsam, wenn man nur alle Keime 
von der Haut fernhält durch Bedeckung derselben mit Zinkgelatine, Blei¬ 
wasserumschlägen oder dergleichen. Der Verlauf dieser Erkrankung zeigt große 
individuelle Verschiedenheiten. Weiterhin hält Redner es noch nicht für aus¬ 
geschlossen, daß der Lupus erythematodes in Beziehung zur Tuberculose stehe. 

Paul Lazarus (Berlin): Die Bahnungstherapie der Hemiplegie. 

Die Bahnungstherapie der Hemiplegie (und motorischen Apha¬ 
sie) besteht in der compensatorischen Ausnutzung der erhaltenen 
Leitungswege und in der Ausschleifung neuer Bahnen. Die Bahnungs¬ 
therapie findet ihre Grundlage in der anatomisch und physiologisch 
festgestellten Thatsache, daß die Pyramidenbahn nicht die einzige 
motorische Leitungsbahn darstellt. Außer ihr existiren noch eine 
Reihe von Reservebahnen, welche durch die subcortiealen Ganglien, 
insbesondere durch den Sehhügelund die Vierhügel, zum Rücken¬ 
marke herabziehen. Ueberdies kann die gesunde Hemisphäre ver¬ 
mittelst der ungekreuzten Pyramidenvorderstrangbahn für die er¬ 
krankte vicariirend eintreten. Alle Ganglienzellen des Gehirns stehen 
miteinander in directer oder indirecter Verbindung, welche durch 


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methodische Uebungen gebahnt werden kann. Die Bahnung besteht 
in Innervationsübungen; jede motorische Willenserregung bahnt die 
Willensbewegung. 

Man unterscheidet die Pyramidenbahnung, die Associations¬ 
bahnung, die Commissuren-, beziehungsweise Balkenbahnung. Die 
(Jebungsbehandlung soll bereits möglichst frühzeitig nach Ablauf 
des Reactionsstadiums der Apoplexie vorgenommen werden. 

Gutzmann (Berlin): Zur Frage der gegenseitigen Beziehungen 
zwischen Bauch- und Brustathmung. 

Während bei den bisherigen derartigen Untersuchungen mit 
Absicht willkürliche Veränderungen der Athmung nach Möglichkeit 
ausgeschlossen wurden, hat Vortr. seine Aufmerksamkeit gerade 
auf die willkürlichen Veränderungen der Athmung gerichtet. Die 
Untersuchungen wurden mittelst des GüTZMANN-OEHMCKE’schen 
Gürtelpneumographen vorgenommen. Das Moment der wirklichen 
In- und Exspiration wurde mittelst einfacher Versuchsanordnung 
über die Brust- und Bauchcurven geschrieben. 

Bei gesunden Personen geschieht die In- und Exspirations¬ 
bewegung an Thorax und Abdomen meist ziemlich gleichzeitig, die 
thorakale Bewegung scheint durchschnittlich etwas früher einzu¬ 
setzen. Dies Bild ändert sich sofort, wenn die Personen sprechen. 
Dann zeigt sich in der Bewegung der Bauchathmung bereits Ex¬ 
spiration, während der Thorax noch ansteigt und erst nach durch¬ 
schnittlich einer Secunde die höchste Inspirationsstellung erreicht. Aus 
diesen Verhältnissen geht hervor, daß die willkürliche Beeinflussung 
der Athmung durch den Sprechvorgang der thorakalen Athmungs- 
bewegung das Uebergewicht über die Abdominalbewegung verleiht. 

Bei gewissen Störungen der Sprache (motorischer Aphasie, 
Taubstummheit, Stottern) und bei psychischer Alteration zeigen 
sich dagegen die zeitlichen Verhältnisse in den Curven während 
des Sprechens ebenso wie während der Ruheathmung. 

R, Friedländer (Wiesbaden): Ueber die Dosirung in der physi¬ 
kalischen Therapie. 

Schlußfolgerungen: 1. Der PFLüGER-ARNDT’sche biologische 
Grundsatz hat — mit den entsprechenden Modificationen bei der 
Behandlung kranker Organe — für die physikalische Therapie 
wie für die Pharmakotherapie Geltung. 2. Bei der Dosirung in 
der physikalischen Therapie ist Intensität, Extensität und Dauer 
der Reize gleichmäßig zu berücksichtigen. Für bahnende, erregende 
Wirkungen sind in der physikalischen Therapie kurze, schwache, 
wenig extensive Reize anzuwenden, deren Intensität und Extensität 
aber je nach dem Grade der vorhandenen Erregbarkeitsherabsetzung 
gesteigert werden muß. 4. HemmungswirkuDgen werden erzielt 
durch langdauernde physikalische Reize von größerer Extensität 
und Intensität, doch ist letztere entsprechend der bestehenden Er¬ 
höhung der Reizbarkeit zu vermindern; bei der indirecten Hem¬ 
mungstherapie durch Ableitung sind energische und langdauernde 
Hautreize angezeigt. 

Kohnstamm (Königstein i. T.): Das Centrum der Speichel- 
secretion. 

Nach Durchschneidung derjenigen Fasern, die sich vom Nerv, 
lingualis abtrennen und mit Unterbrechung im Ganglion submaxillar. 
zur Submaxillardrüse begeben, wurde beim Hunde NisSL-Degeneration 
einer Gruppe von Zellen nachgewiesen, für welche die Bezeichnung 
Nucleus salivatorius vorgeschlagen wird, weil sie als Ursprungs- 
zellen der im Ganglion submaxillar. endigenden „präcellulären“ 
Fasern angesehen werden müssen. 

Sie beginnen kurz vor dem caudalen Pol des Facialiskernes 
und endigen am frontalen Ende des Kaumuskelkerns. Die nicht 
große Zahl dieser Zellen ist über ein weites Areal zerstreut, das 
medial von der Raphe, lateral vom DEiTERS’schen Kern, dorsal 
vom Ventrikelboden begrenzt wird. Die meisten Zellen liegen un¬ 
gefähr in der Mitte der medialeren unter den aufsteigenden 
Schenkeln der Facialiswurzel, also inmitten des Nucleus reticularis 
lateralis. 

Der Nucleus salivatorius besorgt die Innervation der Sub¬ 
maxillardrüse. Die Ursache für die kleine Anzahl der Zellen liegt 
in einem früher am Beispiel des Zwerchfellkernes einerseits und 


der Augenmuskelkerne andererseits erläuterten Princip: „Die Zahl 
der Zellen eines Kernes hängt nicht von der absoluten Größe der 
Arbeitsleistung, sondern von der Differenzirung derselben ab.“ 

Hiemit sind zum erstenmal auf directem Wege Ursprungs¬ 
zellen präcellulärer visceraler Nerven, und zwar vom Vorderwurzel¬ 
typus nachgewiesen. 

v. Schrötter (Wien): Ueber Veränderungen des Rückenmarkes 
bei Pemphigus und über die Pathogenese dieser Erkran¬ 
kungen. 

Die Erkrankung setzte bei einer 59jähr. Frau plötzlich mit 
Affectionen der Schleimhaut ein, um alle Stadien des Pemphigus 
bis zum schweren Bilde des Pemphigus foliaceus zu durchlaufen. 
Tod nach 3 Monaten. Im ganzen Rückenmarke fand sich eine Ver¬ 
mehrung der Ependymzellen um den Centralcanal herum, mit stellen¬ 
weiser Verlegung des Canales und Lockerung des Gewebes. Im 
oberen Brustmarke waren Spaltbildung und capilläre Hämorrhagien 
besonders im Bereiche der grauen Substanz eingetreten. 

T. Leube (Würzburg) hat einen einwandsfreien Beweis für den neuro¬ 
genen Ursprung des Pemphigus unlängst in dem Falle eines 5 l /Jähr. typhus- 
kranken Kindes gesehen, das in der zweiten Woche plötzlich gleichzeitig eine 
motorische Aphasie und einen Pemphigus mit großen Blasen am Munde, 
Ohr u. s. w. bekam. Beide Erscheinungen schwanden nach 8 Tagen wieder 
zusammen. 

Weber (St. Johann): Ueber den Antagonismus zwischen Koh¬ 
lensäure und Lungenschwindsucht und das darauf be¬ 
gründete Heilverfahren. 

Die Lungentuberculose beginnt fast immer in den Lungen¬ 
spitzen. Diese Disposition beruht auf Mangel an venösem Blute. 
Nach Hamburger ist die baktericide Kraft des venösen Blutes viel 
größer als die des arteriellen. Durch diese Eigenschaft kommt 
bei den BiER’schen venösen Stauungen die Knochentuberculose zur 
Heilung. Herzkrankheiten, die venöse Hyperämie bedingen, ge¬ 
währen eine große Immunität gegen die Invasion der Tuberkel¬ 
bacillen. Während der Schwangerschaft kommt die Lungenschwind¬ 
sucht zum Stillstand, weil der Fötus seine Kohlensäure als heil¬ 
bringendes Agens der mütterlichen Lunge zuführt. Die Hälfte der 
Diabetiker geht an Phthise zugrunde, weil durch die Ausscheidung 
des Zuckers die Kohleusäurebildung Noth leidet. Fettansatz und 
Kohlensäureproduction sind untrennbar von einander. Abmagerung 
beruht auf mangelhafter Kohlensäurebildung und ist mit Recht ein 
Frühsymptom der Lungentuberculose. Beginn der Heilung docu- 
mentirt sich zuerst durch Fettansatz. Wenn daher ein leichtver¬ 
brennlicher Stoff (Lävulose) zugeführt wird, wird nicht nur der 
Fettansatz, sondern auch die Kohlensäurebildung vermehrt. Lävulose 
wirkt fast als Specificum bei Lungentuberculose. Auch die Erfolge 
der Heilstätten beruhen durch die gesteigerte Ernährung auf der 
erhöhten Kohlensäurezufuhr. Auch subcutane Einspritzungen von 
Kohlenwasserstoffen (Paraffinum liquidum purissimura) steigern die 
Kohlensäurebildung. 

Rosenfeld (Breslau) hält diese Theorie weder theoretisch für genügend 
begründet noch für praktisch erprobt und warnt deshalb davor. 


Aus französischen Gesellschaften. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Med. Presse“.) 

Acadömie de Medecine. 

Netter: Präventivinjectionen von Diphtherieserum in den 
Familien. 

Es wurden 502 Kindern von 200 Familien, in denen ein 
Fall von Diphtherie vorgekommen war, Präventivinjectionen gemacht. 
Bei Anwendung von 500 Antitoxineinheiten als gewöhnlicher Dosis 
traten keinerlei unangenehme Nebenerscheinungen ein ; es erkrankten . 
bloß 13 der geimpften Kinder, 7 in den ersten 24 Stunden und 
6 nach einem Monate, doch erkrankte keines der Kinder zwischen 
dem 2. und 28. Tage. 

Die bakteriologische Untersuchung des Halses bei 476 von 
diesen Kindern ergab 150mal den LÖFFLER’schen Bacillus. Der 
Nutzen der Präventivinjection zeigt sich bei einem Vergleiche mit 
einer zweiten Gruppe von 491 nicht immunisirten Kindern, die 


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ebenfalls aas Familien stammten, in denen Diphtherie beobachtet 
wurde. 

In dieser Gruppe kamen 87 neue Fälle (in 69 Familien) 
vor, darunter 38 schwere und 18 tödtlich verlaufende. Wäre der 
Percentsatz bei den Immunisirten derselbe gewesen, dann hätten 
wir 86 Familien statt 13 und 89 erkrankte Kinder statt 13, 
39 schwere Erkrankungen statt 0. Die Präventivinjectionen haben 
demnach 18 Menschenleben gerettet und 76 Kinder in 73 Familien 
vor Erkrankung bewahrt. 


Academie des Sciences. 

Gautier : Subcutane Injectionen von Natriummethylarsenat gegen 
Sumpffieber. 

Sieben Intermittensfälle, bei denen die Behandlung mit hohen 
Chinindosen keinen Erfolg hatte, wurden durch Anwendung von 
subcutanen Injectionen von 05—O'l Natriummethylarsenat geheilt. 
Nach zwei oder drei derartigen Einspritzungen waren die vorher 
im Blute zahlreichen Plasmodien nicht mehr vorhanden. 

Die Arsentherapie scheint also der Chinintherapie an Wirk¬ 
samkeit und Specificität gegen das Sumpffieber überlegen zu sein ; 
sie hat noch den weiteren Vortheil, daß sie den Appetit und die 
Körperkräfte rasch steigert und auch die Zahl der rothen Blut¬ 
körperchen beträchtlich vermehrt. 

Regnier und Didsbury : Ströme von hoher Frequenz und großer 
Intensität als Anästhesirungsmittel in der Zahnheilkunde. 

Bei Anwendung von Strömen hoher Frequenz (300.000maliger 
Stromwechsel in der Secunde) mit einer Intensität von 150 bis 
200 Milliamperes in der Dauer von 5 oder 10 Minuten, je nach¬ 
dem es sich um einen ein- oder mehrwurzeligen Zahn handelt, 
tritt vollkommene Anästhesie der Zähne ein. In Fällen von Periostitis 
ist die Wirkung des Stromes von hoher Frequenz nicht so verlä߬ 
lich. Als Elektrode dient ein Kieferabguß, der innen mit Stanniol¬ 
papier bekleidet ist und außerdem eine Lage feuchten Asbestes 
enthält, um die durch den Strom erzeugte Wärme zu absorbiren. 
Wichtig ist auch, daß der Stuhl, auf dem der Patient sitzt, frei 
von Metallbestandtheilen ist, da diese Sensationen im Körper her- 
vorrufen und außerdem die analgesirende Wirkung des Stromes 
beeinträchtigen können. 


Sociötö de Biologie. 

Petit: Anwendung von Pferdeserum zur Verhinderung der In- 
fection frischer Wunden. 

Das auf 55° erwärmte Pferdeserum bewirkt eine Stimulirung 
der Phagocyten, welche die Infection der Wunden verhindert und 
die Vernarbung beschleunigt. In 3 Fällen wurden nach Laparotomie 
10 Ccm. des Serums in die Peritonealhöhle eingegossen. Außerdem 
wurde eine größere Anzahl von Wunden auf dieselbe Weise eben¬ 
falls mit Erfolg behandelt. 

Notizen. 


Wien, 21. Juni 1902. 

(K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien.) In der 
gestrigen Sitzung stellte zunächst Prim. Doc. Dr. K. Büdinger eineu 
Kranken vor, dem er wegen Carcinoms der Epiglottis 
und des Zungengrundes die infiltrirten Theile erfolgreich 
exstirpirt hat. Pat. besitzt bereits ein ziemlich gutes Schlackvermögen ; 
seine Stimme ist etwas höher geworden, der Geschmackssinn erhalten. 
Prof. Frh. v. E iselsberg beleuchtete die technischen Schwierig¬ 
keiten der von Büdinger ausgeführten Operation. — Doc. Dr. 
K. Kreibich demonstrirte hierauf 2 Fälle, und zwar 1. eine Frau 
mit großen, zumal das Gesicht überaus entstellenden leukämi¬ 
schen Tumoren der Haut, sowie mit diffuser leukämischer 
Infiltration von Haut, Leber und Milz neben leukämischem Blut¬ 
befunde, 2. einen vorgeschrittenen Fall von Mycosis fun- 
goides. — Sodann zeigte Doc. Dr. E. Spiegler ein aus schwarzem 
und weißem Pferdehaar dargestelltes schwarzes und 
lichteres Pigment und trat dafür ein, daß die Farbe des 


Greisenhaares von einem weißen Pigmente herrühre. Prof. Dr. 
Ehrmann betonte, daß Weißfärbung nur durch pigmenthaltige 
corpusculäre Elemente herbeigeführt werden könne, welch letztere 
jedoch im Greisenhaare sicher nicht vorhanden sind. — Schließlich 
hielt Doc. Dr. Ruziöka (Prag) seinen angekündigten Vortrag 
„Ueber eine neue Methode zur Messung der Licht- 
vertheilung zu hygienischen Zwecken“. Diese Methode 
beruht auf der Braunfärbung eines vom Vortr. hergestellten licht¬ 
empfindlichen, orangefarbenen Papiers, dessen Werth hauptsächlich 
darin zu suchen ist, daß es ein feines Reagens für die leuchtenden 
Strahlen ist, während es gegen die Wirkung der chemischen 
Strahlen abgestumpft erscheint. Dies erreicht R. durch Ueberziehen 
der Farbschichte des Papieres mit einer Lösung von Auramin in 
Collodium. — An der Discussion betheiligten sich die Hofr. Exner 
und Gruber, ferner die Proff. Elschnig und v. Reuss. 

(Universitätsnachricliten.) Hofrath Professor Doctor 
Ernst Ludwig ist für das nächste Studienjahr zum Decan der 
Wiener medicinischen Facultät gewählt worden. — Professor 
W. His ist an Stelle F. Müller’s zum Ordinarius für innere Medicin 
in Dresden ernannt worden. 

(Forensisches.) Eine Verordnung des Justizministeriums 
bestimmt in Bezug auf die Thätigkeit der Aerzte bei strafgericht¬ 
licher Vernehmung Erkrankter und Verletzter, daß die Leitungen 
der Krankenanstalten und die behandelnden Aerzte verpflichtet 
sind, den Gerichten und Staatsanwaltschaften auf deren Anfrage 
eine vorläufige Auskunft über den wahrscheinlichen Grad der Ver¬ 
letzung oder die Schwere der Erkrankung, sowie über die Möglich¬ 
keit oder Dringlichkeit der Vernehmung zu ertheilen. Die Einholung 
dieser Auskunft hat auf möglichst einfachem, die Aerzte nicht be¬ 
lastendem Wege zu erfolgen. Liegt über den Zustand des zu Ver¬ 
nehmenden weder eine bereits vorher eingeholte Auskunft, noch 
ein vorher abgegebenes Sachverständigen-Gutachten vor, so sind 
die Auskünfte über die Vernehmungsfähigkeit auläßlich der Ver¬ 
nehmung selbst zu beschaffen, sofern dies nicht nach den Umständen 
des .Falles ausgeschlossen ist. Zu diesem Zwecke sind die behufs 
der gerichtsärztiiehen Untersuchung anwesenden Sachverständigen, 
und falls keine beizuziehen waren, der behandelnde Arzt zu be¬ 
tragen, ob die Vernehmung einen schweren Nachtheil für den zu 
Vernehmenden nach sich ziehen kann, der sonst nicht zu erwarten 
ist, ob und inwieferne der körperliche oder geistige Zustand des 
zu Vernehmenden seine Glaubwürdigkeit beeinträchtigt, ob ein Auf¬ 
schub der Vernehmung geboten oder räthlich erscheint, ob Umstände 
vorliegen, welche die Beeidigung erforderlieh machen oder aus¬ 
schließen. Die Sicherheitsbehörden und die Organe derselben sind 
ebenfalls befugt, von den Leitungen der Krankenanstalten und den 
behandelnden Aerzten Auskünfte der angeführten Art zu beschaffen. 
Inwieweit sie Vernehmungen ohne Befragung oder gegen den Wider¬ 
spruch des behandelnden Arztes durchzuführen berechtigt sind, ist 
nach den für sie zu erlassenden Vorschriften zu beurtheilen. 

(Krankencassenstatistik des Jahres 190 0.) Dem 
amtlichen Berichte entnehmen wir folgende Zusammenstellung der 
statistischen Ergebnisse in Bezug auf die österreichischen Kranken- 
cassen: Im Jahre 1900 standen außer den Lehrlingscassen 2948 
(2949 im Jahre 1899) Cassen in Thätigkeit; von diesen waren 
570 (572) Bezirkskrankencassen, 1343 (1357) Betriebskranken- 
cassen, 3 (5) Baukrankencassen, 877 (873) Genossenschaftskranken- 
cassen, 146 (139) Vereinskrankencassen, von diesen 30 (20) registrirte 
Hilfscassen. Die Zahl der versicherten Personen betrug 2,496.284 
(2,442.333), worunter 540.777 (526.899) weiblichen Geschlechtes. 
163.195 (155.999) der Cassenmitglieder waren nicht versicherungs¬ 
pflichtig. Die Gesammtzahl der Krankencassen ist sonach gegenüber 
dem Vorjahre fast unverändert geblieben, während die durchschnitt¬ 
liche Mitgliederzahl abermals um 2‘2 (3‘9) % des vorjährigen 
Standes gestiegen ist. Von den 2,496.284 (2,442.333) durchschnitt¬ 
lich versicherten Mitgliedern erkrankten im Berichtsjahre 1,001.378 
(992.634) Personen in 1,260.388 (2,261.623) Erkrankungsfällen 
mit zusammen 21,293.555 (21,055.310) Krankentagen mit Kran¬ 
kengeldbezug und Spitalsverpflegung. Ueberdies wurden in 51.053 
(49.319) Entbindungsfallen für 1,399.474 (1,349.566) Tage Unter¬ 
stützungen (Krankengelder) gewährt. Die Gesammtzahl der Unter 


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stützungsfälle beläuft sich sonacli auf 1,311.441 (1,310.942) mit 
22,693.029 (22,404.876) Unterstützungstagen. Sterbefälle wurden 
22.834 (23.351) gezählt. Aus diesen Daten folgt, daß von 100 
Mitgliedern durchschnittlich 40*1 (40‘6) erkrankten, beziehungsweise 
daß auf je 100 Mitglieder durchschnittlich 50*5 (51*7) Erkrankungen 
überhaupt (Erkrankungspercent) von einer durchschnittlichen Dauer 
von 16'9 (16*7) Tagen entfielen. Weiter kamen auf je 100 weib¬ 
liche Mitglieder 9*44 (9*36) Entbindungen (Entbindungspercent). 
Die Zahl der auf ein männliches Mitglied durchschnittlich entfallenden 
Krankentage (Morbilitätsziffer) beziffert sich mit 8*54 (8*58) und 
jene der weiblichen Mitglieder mit 8'50 (8'77), beziehungsweise 
bei Berücksichtigung der Entbindungsfälle mit 11*09 (11*33). Die 
Zahl der auf ein Mitglied überhaupt entfallenden Krankentage, 
welche den Maßstab für die Morbilität des Berichtsjahres bildet, 
stellt sich — die Unterstützungstage der Entbindungsfälle mit¬ 
gerechnet — auf 9*09 (9*17). Hienach waren die Morbilitäts-Ver- 
hältnisse im Berichtsjahre etwas günstiger als im Vorjahre (1899), 
welches übrigens die höchste der bisher beobachteten Morbilitäts- 
ziffern aufwies. Sterbefälle entfielen auf je 100 Mitglieder 0*92 
(0 96). — Die gesammten Jahreseinnahmen beliefen sich auf 
47,159.430 Kronen (45,118.169 Kronen), wovon 44,161.044 
Kronen (42,149.885 Kronen) durch die laufenden Beiträge 
der Arbeitgeber und Arbeitnehmer (erstere mit beiläufig einem 
Drittel, letztere mit zwei Dritteln) aufgebracht wurden. Diesen 
Einnahmen standen Ausgaben im Gesammtbetrage von 45,556.392 
Krönen (44,138.708 Kronen), darunter als wichtigste und größte 
Post die Versicherungsleistung in Erkrankungs- (Entbindungs-) und 
Sterbefällcn per 40,013.178 Kronen (38,700.918 Kronen) gegen¬ 
über. Es ergab sich sonach ein Gebahrungsüberschuß von 1,603.038 
Kronen (979.461 Kronen), d. i. in der Höhe von 3*63°/ 0 (2*32%) 
der laufenden Beiträge (Jahres-Reservefonds-Dotirung). Mit Schluß 
des Berichtsjahres bezifferte sich der Gesammtreservefonds der Cassen 
auf 35,445.358 Kronen. Die von den Krankencassen seit dem Be¬ 
ginne der obligatorischen Krankenversicherung (1. August 1889) 
bis Ende 1900 aufgewendeten Beträge für Leistungen an ihre 
Mitglieder erreichten die Höhe von 328*08 Millionen Kronen. An 
Verwaltungskosten wurden im Berichtsjahre insgesammt 3,576.526 
Kronen (3,384.889 Kronen), d. i. 8*10 (8*03%) der CassenbeD 
träge, verausgabt. 

(Eine deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung 
der Geschlechtskrankheiten) ist zu Berlin in Gründung 
begriffen. Dieselbe plant die Gewinnung einer möglichst großen 
Zahl von Mitgliedern aus allen Gesellschaftsschichten, die Bildung 
von Zweigvereinen, Veranstaltung von belehrenden Vorträgen aus dem 
Gebiete der Sexualhygiene, Verbreitung von populären Schriften etc. 
Eine constituirende Versammlung wird im Herbste nach Berlin ein¬ 
berufen werden. Den vorbereitenden Ausschuß bilden die Herren 
Blaschko, Galewsky, E. Besser, A. Neisser, M. Kirchner und 
A. Wolff. Dem Comite ist schon eine große Anzahl von Univer¬ 
sitätsprofessoren beigetreten. 

(Eine neue Poliklinik in — Vorarlberg!) Exempla 
trahuut! Unsere Zeit steht im Zeichen der Humanität, die Aerzte 
sind die berufenen Träger derselben, ergo mögen sie zur Aus¬ 
führung der humanen Idee herangezogen werden — auch wenn sie 
infolge dessen zugrunde gehen. Irgend ein kleines Städtchen 
jenseits des Arlberges hat das dringende Bedürfniß, nach berühmten 
Wiener Mustern eine Poliklinik zu gründen, damit an derselben 
alle Inwohner dieser Stadt und Umgebung die Wohlthat der un¬ 
entgeltlichen ärztlichen Hilfe genießen. Und es wendete sich das 
Actionscomitö an die Direction der Poliklinik mit der Bitte um 
eine Abschrift der Coucessionsurkunde der Anstalt. Hoffentlich 
werden die Aerzte Vorarlbergs, die so wacker durch Einigkeit die 
bedingungslose freie Arztwahl bei den Krankencassen erzwungen 
haben, auch diesen drohenden gegen sie geplanten Coup abzuwehren 
wissen. 

(Jahresbericht des Carolinen - Kinderspitales 
für das Jahr 1901.) In diesem Spitale sind im abgelaufenen 
Jahre 993 Kinder verpflegt und 18.672 Kinder ambulatorisch 
behandelt, dabei auch mit Verbänden, Apparaten und Medicamenten 
unentgeltlich versehen worden. Den ordentlichen Ausgaben von 


57.754 Kronen stehen jedoch nur 42.000 Kronen ordentlicher 
Einnahmen gegenüber. Wohl besteht die Hoffnung, daß Land, 
Commune und Sparcasse die ausgebreitete intensive Thätigkeit 
dieses Spitales durch Erhöhung ihrer Subventionen würdigen werden; 
aber eine gründliche Besserung der ökonomischen Verhältnisse des 
Kinderspitales ist leider von der berufenen Behörde vorläufig ab¬ 
gelehnt worden, und so ist die Sicherstellung des weiteren Be¬ 
standes des Spitales wie bisher gänzlich der Privatwohlthätigkeit 
anheimgestellt. 

(Statistik.) Vom 8. bis inclusive 14. Juni 1902 wurden in den 
Ci vilspitälern Wiens 7306 Personen behandelt. Hievon wurden 1657 
entlassen; 176 sind gestorben (9'6% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 75, egypt. 
Augenentzündung —, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 2, Dysen¬ 
terie 1, Blattern—, Varicellen 44, Scharlach 94, Masern 506, Keuchhusten 67, 
Rothlauf 45, Wochenbettfieber 5, Rötheln 61, Mumps 21, Influenza 1, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wieii 756 Personen gestorben 
(— 38 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind : In Salzburg der lang¬ 
jährige Curarzt von Gastein kaiserl. Rath Dr. Eduard Schider 
im Alter von 54 Jahren ; in Kis-Czell der Bezirksarzt Dr. Bela 
Havassy, 61 Jahre alt; in Szabadka Dr. Josef Klein im Alter 
von 75 Jahren; in Stanislaus der Director des Landesspitales 
Dr. Georg Kankolniak ; in Kiew der Anatom Prof. Michael 
Tichomirow, 54 Jahre alt; in Leipzig der Geh. Oberschulrath 
Prof. Dr. Hermann Schiller im 64. Lebensjahre; in San Francisco 
der Begründer des dortigen Lanehospitals Dr. Levy Coopkr-Lane. 


Id deD „Therapeutischen Monatsheften“ schreibt Prof. Liebreich : 
„Ueber ein neues Bitterwaseer“. „Es ist schon verschiedentlich darauf hin¬ 
gewiesen worden, auch bei Gelegenheit der Mineralwässer, daß die erste 
Bedingung für eine zweckmäßige Therapie die Constauz des angewandten 
Mittels ist. Bei den natürlichen Mineralwässern trifft diese Forderung in 
hohem Maße zu. Eine einzige Ausnahme von dieser Constanz unserer natür¬ 
lichen Mineralquellen bieten die Bitterwässer dar. Sie entstehen durch .Aus¬ 
laugen der natürlichen Becken, welche die mineralischen Bestandtheile liefern. 
Hiebei tritt, wie es die Beobachtung lehrt, eine außerordentliche Inconstanz 
der chemischen Bestandtheile auf. Die Bitterwässer machen also eine Aus¬ 
nahme von den eigentlichen Mineralquellen. Für den ärztlichen Gebrauch 
kommt alles darauf an, bei einer Verordnung dieser Wässer die Dosis zu 
kennen. Es ist vorgekommen, daß einzelne Füllungen in einem Weinglase den 
mineralischen Bestand zeigten, welchen der Arzt der Analyse nach in einem 
Wasserglase vermuthete. Man sieht leicht ein, daß weder der Arzt, noch der 
Patient auf diese Weise zu einem richtigen Urtheil gelangen können, ja unter 
Umständen kann durch eine unvermuthete hohe Concentration geradezu ein 
Schaden durch unnütze Reizung des Darmes herbeigeführt werden. Hiezu 
kommt noch ein anderer Uebelstand, es ist dies der Wechsel der minerali¬ 
schen Bestandtheile, indem statt der zu benutzenden Sulfate sich als schäd¬ 
licher Ersatz die Chloride eiDfinden. Es ist schon vielfach davon die Rede 
gewesen, daß für Füllung derartiger Wasser eine wissenschaftliche Controle 
eingeführt werde und gewissermaßen durch diese Controle das ersetzt wird, 
was durch die Pharmakopoe für andere Medicamente geleistet wird.“ 

„So ist man in der Lage, ein Wasser zu erhalten, das von schädlichen 
Wildwassern, welche durch organische Substanzen inficirt sind, frei ist. Bei 
der Constanz des Apenta Wassers wird sich das verloren gegangene Vertrauen 
für Bitterwässer diesem wichtigen therapeutischen Hilfsmittel wiederum zu¬ 
wenden. Es ermöglicht- die Constanz des Apenta Wassers nicht nur eine 
vorübergehende Darreichung als Abführmittel, sondern ein derartig brauchbares 
Wasser ist für längere Trinkeuren zur Regulirung des Stoffwechsels bei den 
verschiedenartigsten Erkrankungen, bei Fettleibigkeit, chronischen Obsti¬ 
pationen, Stauungen im Pfortadersystem, Hämorrhoidalleiden als besonders 
geeignet zu empfehlen.“ 

„Der Geschmack desselben kann zweckmäßig durch Zusatz abgemessener 
Mengen eines stark kohlensäurehaltigen diätetischen Wassers corrigirt werden 
und so der Gebrauch desselben für eine längere Trinkcur sehr viel angenehmer 
gemacht werden.“ 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 


Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
Post Versendung. Die Preise der Einb&nddeoken sind folgende: für die „Med. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
„Therapie der Gegenwart“: K 1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Postversendung. 

Die Rubrik: „Erledigungen, ärztliche Stellen“ etc, 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite, 

MST Wir empfehlen diese Rubrik der speoiellen Beachtung unserer 
geehrten Leser; in derselben werden öfters — neben der Publioation von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auch für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein Können, welohe an eine 
Aenderung des Domioils oder ihrer Verhältnisse nioht gedaoht haben. 


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Wien, den 29. Juni 1902. 


Nr. 26 . 


XLIII. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart-Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik', letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse“ 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 


Wiener 


Abonnementepreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Militärärztlicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jälirl. 
20 K, halbj. 10 K, viertel]- 5 A'. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk-, halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 A'; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Ranm 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien, I., Maximilianstr. 4. 


Medizinische Presse. 


Begründet 1860. 

Redaction: Telephon Nr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

-»8S8«- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


Administration: Telephon Nr. 9104. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Zur meningealen Apoplexie. Von Hofrath Prof. Dr. Nothnagel. — Ein Fall von Neuralgie der Ohr¬ 
muschel. Von Dr. A. Eitklbf.ro in Wien. — Aus der inneren Klinik der Jagell. Universität in Krakau (Director Hofrath Professor Dr. Eduard 
R. v. Korczynski). Zur Kenntniß des Stoffwechsels hei Osteomalacie. Von Doc. Dr. L. R. v. Kokczynski. — Referate. E. Wki.andkr (Stockholm): 
lieber Jodkalium (Jodnatrium), Jodalbacid und Jodipin. — Magnus Müller (Stockholm): Zur Jodipin-Injcctionsbehandlung. — C. Grouven (Bonn): 
Das Jodipin (Merck) in der Syphilistherapie. — Hug (Münsterlingen): Ueber einen Fall von Staphylokokkentoxämie nach Revolverschuß. — 
Sahli (Bern): Zur chirurgischen Behandlung des Magengeschwürs. — Jenö Kollarits (Budapest): Der myasthenische Symptomencomplex. — 
Mackheim (Zürich): Ueber Arthritis gonorrhoica. — L. Rosenstein (Leiden): Ueber Leberfieber (Febris hepatica). — A. Celli (Rom): Zur Aetiologie 
der Dysenterie. — W. N. Clemm (Berlin): Ueber Verhütung und innere Behandlung des steinbildenden Katarrhs. — H. Winteunitz (Halle a. S.): Ueber 
die Wirkung verschiedener Bäder (Sandbäder, Soolbäder, Kohlensäurebäder u. s. w.) insbesondere auf den Gasweelisel. — Spengler (Davos): Zur 
Diagnose und Prognose der Misch- und Begleitinfection der Lungentuberculose. — Kleine Mittheilungen. Zur Behandlung von Dysenterie bei 
Kindern. — Stypticin als locales Hämostaticum. — Der Einfluß des Salzgehaltes der Trinkquellen auf die Blutbeschaffenheit. — Fersan. — 
Die physiologische Wirkung der Massage auf den Muskel. — Mittheilungen über Bromipin. — Calomel in der Behandlung der Influenza. — 
Formalinseife. — Die Verwerthbarkeit der Glutoidkapseln für die Diagnostik. — Literarische Anzeigen. Handbuch der physikalischen Therapie. 
Herausgegeben von Dr. A. Goi.dscheider, a. o. Professor in Berlin, und Dr. Paul Jacob , Privaldocent in Berlin. — Die Vorgeschichte der anti¬ 
toxischen Therapie der acuten Infectionskrankheiten. Von Dr. Max Neuburger, Docent an der Wiener Universität. — Feuilleton. Pariser Brief. 
(Orig.-Corresp.) III. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. 31. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Gehalten zu Berlin, 
2. — 5. April 1902- (Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) VIII. — Gesellschaft für innere Meclicin in Wien. 
(Orig.-Ber.) — Aus medicinischen Gesellschaften Deutschlands. (Orig.-Ber.) — Notizen. — Neue Literatur. — Eingesendet. — Offene 
Correspondenz der Redaction und Administration. — Aerztliche Steilen. — Anzeigen. _ . ...... 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse“ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Zur meningealen Apoplexie. 

Von Hofrath Professor Dr. Nothnagel. *) 

M. H.! Um einen Punkt meiner folgenden Mittheilung 
ins rechte Licht zu setzen, muß ich Ihnen vorher eine kurze 
Krankengeschichte mittheilen. Am 25. April d. J. wurde auf 
meine Klinik ein Patient, ein 34jähriger Kellner, von der 
Klinik v. Eiselsbekg verlegt. Ich will bemerken, daß der 
Patient schon früher, im Jahre 1899, an meiner Klinik war. 
Es bestanden damals Symptome bei ihm, welche eine be¬ 
ginnende Tabes dorsalis diagnosticiren ließen. Er hatte 
keinen Patellarreflex, lancinirende Schmerzen, es bestanden 
leichte Blasenstörungen, das WESTPHAL’sche Zeichen und 
vorübergehend Doppeltsehen. Außerdem hatte Patient eine 
zweifellos nachgewiesene Lues im Jahre 1889 acquiriit und 
und war derenthalben früher behandelt worden: Damals und 
später bestanden keine cerebralen Symptome. 

Dieser Patient war nun am 14. April 1902 auf die 
Klinik des Professors v. Eiselsberg eingetreten, um an sich 
eine Bruchoperation vornehmen zu lassen; es wurde eine 
doppeltseitige Operation nach Bassini ausgeführt, und zwar 
am 15. April. 

Bald nach dem Erwachen aus der Narkose 
trat ein „epileptiformer Anfall“ auf mit dem typi¬ 
schen Bilde des epileptischen Anfalles: Totale Bewußtlosig- 


*) Vortrag, gehalten in der Sitzung der Gesellschaft für innere Medicin 
am 19. Juni 1902. — Stenogramm der „Wiener Med. Presse“. 


keit, allgemeine tonische und klonische Krämpfe; wie lange 
diese gedauert haben, konnte uns nicht mitgetheilt werden. 

Am 16. April ist Pat. benommen, delirirt, und es be¬ 
steht Incontinentia urinae. (Pat. befand sich zunächst noch 
auf der Klinik v. Eiselsberg.) 

Am nächsten Tage (am 17. April) ist Kopfschmerz, Er¬ 
brechen und leichtes Fieber verzeichnet. 

Am 18. April war Pat. zwar etwas wohler, aber des- 
orientirt, das Fieber deutlich. 

Tags darauf stieg die Temperatur bis auf 38'2°. 

Am 20. April trat lebhafte Schmerzhaftigkeit 
im Nacken auf. 

Am 22. April Temperaturabfall nach Darmentleerung. 
Pat. war benommen, urinirte nicht spontan. 

Am 24. April starke Kopfschmerzen, starke 
Benommenheit, Pat. greift viel herum, delirirt 
und fiebert wieder. 

Am 25. April wird er auf unsere Klinik verlegt. 

Status praesens (Nachmittags): Pat. ist benommen, 
reagirt wenig prompt, delirirt etwas, greift viel herum, be¬ 
sonders an den Kopf, stöhnt und klagt über Kopfschmerzen. 
Gesicht sehr roth. Temperatur 38'0°, Puls 120, ohne Besonder¬ 
heiten. 

Am Herzen, in den Lungen und im Abdomen 
nichts Abnormes nachweisbar. Kein Milztumor. 

Das Abdomen ist etwas eingezogen, gespannt. 

Harn: Befund einer mäßigen Cystitis, keine renalen 
Elemente. 

Im Blute zeigt sich eine polynucleäre Leukoeytose 
(20.000 Leukocyten); 5,000.000 rothe Blutkörperchen; Fleischl 
85%. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 26. 


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Nervensystem: Der Schädel zeigt Klopfempfind¬ 
lichkeit. 

Hirnnerven: 

II. Doppelseitige leichte Neuritis optica, 
rechterseits etwas stärker ausgeprägt als linkerseits. 

Am III., IV., V. und VI. Hirnnerven nichts Abnormes 
nachweisbar; es besteht keine Pupillenstarre. 

VII. Leichte Parese des Mundastes des N. facialis links. 

An den übrigen Hirnnerven keine Störungen nach¬ 
weisbar. 

Starke Nackenstarre und Druckempfindlich¬ 
keit des Nackens. Keine Empfindlichkeit der 
Brust- und Lendenwirbelsäule. Kein Kernig- 
sches Symptom. Keine Hauthy peral gesie. 

Leichte Parese der linken oberen Extremität. 

Paralyse und, wie es scheint, Analgesie der linken 
unteren Extremität. Der Plantarreflex fehlt linkerseits, ebenso 
wie der Scrotalreflex. Die Sehnenreflexe an den unteren 
Extremitäten fehlen beiderseits (Tabes!). 

Incontinentia urinae. Abendtemperatur 39'3°. 

Der Krankheitsverlauf gestaltete sich nun weiter fol¬ 
gendermaßen : 

Am Tage nach der Aufnahme in meine Klinik war der 
Kranke stark benommen un'd delirirte leise. Die Parese des 
linken Mundfacialis war stärker; die Nackenstarre etwas ge¬ 
ringer. Das Temperaturmaximum betrug 38'6°. 

27. April: Sopor. Links Ptosis und Abducensparese. Es 
besteht Parese beider linken Extremitäten, aber geringer als 
früher. Temperatur bis 38'8°. Pat. schwitzt viel. 

Am 28. April trat Coma ein. Temperatur bis SS'fl 0 . Puls 
120—130. 

Trismus. Ungleichheit der Pupillen. Ptosis beiderseits, 
Facialisparese links, besonders im Mundast sehr deutlich. 

Linke Extremitäten paretisch, schlaff; stellenweise leichte 
clopische Conyulsionen in ihnen. , ... •. 

Das Abdomen ist kahnfötfmig eingezogen. Starke Nacken- 
starre. Täches cerebrales. 

29. April: Coma. Temperatur bis 38’8. Puls 135. Nerven¬ 
system etwa wie gestern. 

30. April: Coma. Pat. ist stark collabirt. Cheyne-Stokes- 
sches Phänomen. Temperatur bis 39°. Nervensystem ziemlich 
unverändert. Keine sensiblen Reflexe. 

Ophthalmoskopischer Befund: Mäßige Neuritis beiderseits. 

1. Mai j / 4 2 Uhr Morgens: Exitus letalis. 

So, m. H., lautet die Krankengeschichte. Um was konnte 
es sich da handeln? 

Der Mann wurde Vormittags operirt und kurz darauf trat 
ein epileptiformer Anfall auf, daran anschließend Kopfschmerz, 
Erbrechen, Fieber, unvollkommene Lähmung linkerseits, dann 
Nackenstarre. Dazu kamen dann noch Delirien, doppelseitige 
Neuritis optica, auf der einen Seite stärker als auf der anderen, 
leichte Facialisparese, Temperatursteigerung, die am zweiten 
Tage nach der Operation begann — im Ganzen das Bild 
einer starken intracraniellen Drucksteigerung mit cerebralen 
Symptomen, welch letztere verschiedene Ursachen haben 
konnten, bei denen aber das Gesammtbild in seinem Verlaufe 
am meisten zur Annahme einer Meningitis cerebralis hindrängte. 

Es war allerdings auffällig, daß der Zustand mit einem 
epileptiformen Anfalle eingesetzt hatte; indessen wird man 
sich dadurch von der Diagnose „Meningitis“ nicht abbringen 
lassen, wenn sie sonst fundirt ist. 

Ich habe derartige Fälle früher gesehen. Das Bild der 
Meningitis ist so wechselnd wie kaum das irgend einer anderen 
Krankheit. Es gibt Fälle von Meningitis, welche ohne irgend 
ein cerebrales Symptom verlaufen. Ich habe eine Anzahl von 
Meningitiden beobachtet, die ich in Jena in einer Dissertation 
publiciren ließ, kurz hintereinander drei Fälle, in welchen 
beispielsweise bei einem Kranken kein anderes Hirnsymptom 
vorlag, als daß er unaufhörlich schrie; dabei war der Pat. 
bei klarem Bewußtsein und vernünftig, es bestanden keine 


Lähmungen, keine Reizungssymptome; dann trat Collaps ein 
und Exitus letalis. Die Obductionsdiagnose lautete: Meningitis. 

Ein anderer derartiger Fall: Eine Pat. war vollständig 
reconvalescent von Typhus, munter; sie sollte demnächst ent¬ 
lassen werden. Eines Morgens komme ich in die Klinik: die 
Pat. war todt. Sie habe, erzählte man mir, nur gestern Abends 
und während der Nacht über etwas Kopfschmerz geklagt. 
Die Nekroskopie ergab eine Meningitis. Das Krankheitsbild 
ist eben so wechselnd wie sonst kaum eines. 

Ich mußte also an Meningitis denken, umsomehr, als 
Fieber bestand. 

Da war aber doch ein Moment merkwürdig: daß keine 
Hauthyperalgesie bestand. Ich habe mich im Laufe der Zeit 
daran gewöhnt, bei der Diagnose Meningitis auf die Haut- 
hyperalgesie ein besonders großes Gewicht zu legen, besonders 
auf die Hauthyperalgesie der unteren Extremitäten. Die ist 
natürlich nicht abhängig von der Meningitis cerebralis, sondern 
von der sie fast immer begleitenden Meningitis spinalis, und 
cerebrospinal sind ja die meisten Meningitiden, wie z. B. die 
tuberculöse, Influenza-, Diplokokken- und Meningokokken- 
Meningitis. Dieses Fehlen der Spinalsymptome war auffallend. 
Aber immerhin war Meningitis der erste Eindruck, den man 
in unserem Falle empfing. Dazu kam noch die starke Nacken¬ 
starre. Die leichte Parese linkerseits konnte uns natürlich 
nicht irre machen, denn es kommen ja, wie wir wissen, solche 
hemiparetische Erscheinungen auch bei Meningitis häufig zur 
Beobachtung. 

So hätten wir uns denn wahrscheinlich mit dieser Dia¬ 
gnose begnügt, wenn nicht eine Lumbalpunction vorge¬ 
nommen worden wäre. 

Am 25. April war der Pat. zu uns gekommen, am 26. 
wurde durch Dr. Breoer die Lumbalpunction ausgeführt. 
Unter hohem Drucke entleerte sich die blutige Cerebro- 
spinal-Flüssigkeit; im Sedimente reichlich gut 
erhaltene rpthe Blutkörperchen, i^enlgd&ittsdiattetf;''? 
keine Gerinnung außerhalb des Sedimentes, also 
eine hämorrhagische Punctionsflüssigkeit und keine Zeichen 
einer Meningitis, da keine Gerinnung außer im Bereiche des 
Blutsedimentes vorhanden war. 

Was bedeutet das? 

Ich bemerke gleich, daß die Lumbalpunction wiederholt 
wurde. Am 28. April kam, diesmal unter geringerem Drucke, 
zunächst eine klare hämoglobinhaltige Flüssigkeit, erst später 
kamen wenige Blutkörperchen; die abgelassene Flüssigkeitsmenge 
war nur gering. Am 30. April wurde eine dritte Lumbal¬ 
punction vorgenommen, und wiederum entleerte sich unter 
geringem Drucke eine stark hämoglobinhältige Flüssigkeit 
mit suspendirten Blutkörperchen; es wurde ebenfalls nur 
wenig Flüssigkeit entleert. Also dreimal war eine hämorrhagi¬ 
sche Lumbalpunctionsflüssigkeit gefunden worden und mit 
diesem Befunde war die Diagnose in eine ganz andere Richtung 
gelenkt. 

Es konnte ausgeschlossen werden, woran man im An¬ 
fänge gedacht hatte, daß eventuell das Blut durch eine zu¬ 
fällige locale Verletzung eines Gefäßes entleert worden wäre. 
Schon bei der zweiten Punction ließ sich diese Vermuthung 
mit Sicherheit abweisen. 

Man mußte daher schließen, daß ein Proceß vorliege, 
welcher seinen klinischen Verlauf mit einem Bluterguß ein¬ 
leitete und unter den Symptomen einer Meningitis cerebro¬ 
spinalis einhergehen konnte. 

Unter diesen Umständen blieb nichts weiter übrig, als 
an zwei Möglichkeiten zu denken, entweder an eine Pachy- 
meningitis haemorrhagica oder an eine meningeale oder cere¬ 
brale Apoplexie. 

Für eine Pachymeningitis haemorrhagica lag vielleicht 
eine gewisse Wahrscheinlichkeit vor, da der Pat. ein Kellner 
war und zugestandenermaßen reichlich Alkoholica zu sich ge¬ 
nommen hatte. Indessen mußte man etwas stutzig werden, da 
er frülier nicht über Kopfschmerz geklagt und keine Er- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 26. 


scheinungen dargeboten hatte, welche sonstwie hätten darauf 
schließen lassen. Dann ist es ja auch nicht ohneweiters verständ¬ 
lich, wieso bei einer pachymeningitischen (subduralen) Blutung 
das Blut in den Subarachnoidealraum gekommen sein sollte; 
es hätte eine Zerreißung der Arachnoidea an einer Stelle statt¬ 
gefunden haben müssen. Das kommt nun zwar bei großen 
Durhämatomen manchmal vor, aber in unserem Falle war 
das Blut im spinalen Subarachnoidealraum doch auffallend 
reichlich. 

Wir neigten uns daher mehr zur Annahme einer inter- 
meningealen oder intracerebralen Apoplexie, und zwar im 
letzteren Falle einer intracerebralen Hämorrhagie mit Per¬ 
foration nach außen oder aber in einen Ventrikel. 

. Aber gegen die Annahme einer intracerebralen Hämor¬ 
rhagie sprach der Umstand, daß eine solche Blutung, wenn 
sie wirklich aus dem Hirn nach außen stattgefunden hätte, 
wohl eine größere Menge von topischen Erscheinungen ge¬ 
macht hätte, als hier vorhanden waren. Es bestand in unserem 
Falle nämlich bloß eine linksseitige Parese, aber keine aus¬ 
gesprochene Paralyse; der Hypoglossus war gar nicht, der 
t acialis nur mäßig betheiligt. 

Eine Blutung, welche in einen Ventrikel durchgebrochen 
wäre, hätte sicher eine Reihe charakteristischer Erscheinungen 
hervorrufen müssen; zudem war es nicht recht verständlich, 
wie sich damit die Neuritis optica vereinigen sollte. 

Aus diesen Gründen dachten wir an eine intermeningeale 
Hämorrhagie, an eine „meningeale Apoplexie“, und es fragte 
sich, welche Ursache konnte diese meningeale Blutung haben ? 

Die häufigste Ursache von meningealen Blutungen kam 
hier nicht in Betracht; es handelte sich um keinen Neuge¬ 
borenen,. der durch Forceps entwickelt worden war, es be¬ 
stand kein Trauma, welches den Schädel getroffen hätte. 

Es fehlte aber auch eine ganze Reihe von anderen Mög¬ 
lichkeiten, die hätten in Betracht gezogen werden können: es 
war kein Ketichhusten da, bei dem Solche meningeale BIü-' 
tungen Vorkommen, es war nichts vorhanden, was an eine 
besonders starke Stauung innerhalb der Schädelhöhle hätte 
denken lassen können, so daß sich der Gedankengang in die 
Richtung eines intracraniellen Aneurysmas, und zwar eines 
Aneurysmas an der Basis cranii lenken mußte. 

Seitdem Lebert im Jahre 1866 die erste größere zu¬ 
sammenfassende Arbeit über intracranielle Aneurysmen publi- 
cirt hatte, ist das klinische Bild dieser Erkrankung klar ge¬ 
zeichnet , und unsere Aufmerksamkeit wurde schon dadurch 
darauf gelenkt, daß weitaus am häufigsten die Rupturen der 
basalen Aneurysmen mit epileptiformen Anfällen einsetzen. 
Wegen der plötzlich auftretenden starken intracraniellen 
Drucksteigerung liegt hier ein Zustand vor, welcher in seinem 
klinischen Bilde mit den Symptomen einer intracraniellen 
Drucksteigerung beginnt, und damit war auch gegeben, wohin 
das klinische Bild einzureihen war. 

. Auffallend war nur das Fieber. Für das Fieber konnten 
wir keine Deutung finden. An den Operationswunden war 
keine Entzündung, Röthung oder gar Eiterung nachzuweisen. 
Wir dachten daran, daß es sich vielleicht um eine Beein¬ 
flussung von wärmeregulirenden Centren handle, denn die 
vorhandene Cystitis war zu unbedeutend, als daß sie das 
r ieber hätte erklären können. Die Erscheinungen einer lobu¬ 
laren Bronchopneumonie, die bei der Obduetion gefunden 
wurden, waren erst später hinzugekommen; jedenfalls war sie 
einige Tage nach dem Beginne des Fiebers noch nicht vor¬ 
handen gewesen. 

Nichtsdestoweniger und obwohl das Fieber und die 
Leukocytose ja entschieden die Annahme eines entzündlichen 
Processes an den Meningen nahelegten, blieben wir bei der Dia¬ 
gnose der Ruptur eines Aneurysma an der Basis cranii stehen. 

Gewiß ist, daß bei derartigen meningealen Blutungen — 
ich will an dieser Stelle nicht auf eine nähere Beschreibung 
derselben eingehen — ähnliche Erscheinungen Vorkommen, wie 
sie in unserem Falle vorhanden waren, Erscheinungen, welche 


wir bei allen Processen, die mit starker intracranieller Druck¬ 
steigerung einhergehen, Tumoren etc. sehen. Ferner war bei 
unserem Pat. eine leichte Parese vorhanden, wie sie häufig 
bei der Pachymeningitis haemorrhagica und meningealen 
Blutungen vorkommt, und die dann auch oft wie hier auf der 
einen Seite stärker ist als auf der anderen. 

Auch die Neuritis optica konnte uns von der Diagnose 
nicht abführen, sondern sie mußte dieselbe eher noch zu unter¬ 
stützen geeignet sein, weil ja schon in mehreren Fällen bei 
meningealen Hämorrhagien Neuritis optica beobachtet worden 
ist. Namentlich Förster hat verschiedene solche Fälle be¬ 
schrieben. 

Unser Pat. starb, und bei der Section fand sich eine 
meningeale Hämorrhagie und zeigte sich die Ruptur 
eines Aneurysmas, und zwar nicht Ruptur eines, 
sondern gleich zweier Aneurysmen, von denen die eine etwas 
älter war als die andere. 

Es fand sich nämlich als nekroskopischer Befund eine 
Endarteriitis syphilitica der basalen Hirn¬ 
arterien mit Bildung von drei Aneurysmen und 
Ruptur von zweien derselben und eine ältere 
intrameningeale Hämorrhagie an der Hirn basis, 
die Blutung war zwischen den Meningen beiderseits, besonders 
rechts auch gegen die Convexität vorgedrungen. Ferner hatte 
das Blut das Septum pellucidum durchbrochen und war in das 
Innere des Ventrikels gelangt, der gleichfalls mit blutiger 
Flüssigkeit gefüllt war. Auch an anderen Stellen war das 
Blut von der Oberfläche aus etwas in die Hirnsubstanz ein¬ 
gedrungen und hatte sie oberflächlich zerwühlt. 

Die Hämorrhagien schienen nach der Frische des er¬ 
gossenen Blutes in zwei Schüben erfolgt zu sein (die beiden 
Aneurysmen waren offenbar nicht gleichzeitig geplatzt), aber 
auch die jüngste war offenbar schon vor einer Reihe von 
Tagen erfolgt. 

Fast sämmtliche basalen Arterien, auct die Basilaris, 
die Vertebralis, boten das Bild der Endarteriitis syphilitica. 

Auf dieser Grundlage war also an einzelnen Aesten die 
Aneurysmenbildung zustande gekommen. 

Ich will den übrigen Leichenbefund nicht des Weiteren 
mittheilen, es mag genügen, wenn ich erwähne, daß das 
Rückenmark das ausgeprägte Bild einer grauen Degeneration 
der Hinterstränge zeigte, das typische anatomische Bild der 
Tabes dorsalis. 

Ferner deckte die Obduetion auch die Ursache des Fiebers 
und der Leukocytose auf, die intra vitam unklar geblieben 
waren und, wäre nicht lumbalpunctirt worden, wohl zu 
der Diagnose: Meningitis hingedrängt hätte. Es fand sich 
in der Umgebung des rechten Leistencanals, nach hinten 
zu, eine tief gelegene, von einer Naht ausgehende 
Eiterung. 

Der Grund, m. H., weshalb ich Ihnen diese Kranken¬ 
geschichte mitgetheilt habe, liegt in Folgendem: Die Diagnose, 
welche bei diesem Krankheitsfälle ganz eigenthümliche 
Schwierigkeiten darbot und im Anfänge in suspenso gelassen 
werden mußte, wurde gesichert durch die vorge¬ 
nommene Lumbal punction. 

Ein zweiter Fall, der vor mehreren Jahren auf meiner 
Klinik zur Beobachtung kam, verlief in ähnlicher Weise. 
Auch hier wurde die Lumbalpunction ausgeführt, und es er¬ 
gab sich ebenfalls das Vorhandensein einer meningealen Apo¬ 
plexie , hervorgerufen durch die Ruptur eines Aneurysmas; 
das klinische Bild dieses Falles ist etwas anders gewesen. 

Dann haben wir noch einen dritten einschlägigen Krank¬ 
heitsfall auf unserer Klinik beobachten können, wo ebenfalls 
bei der Section eine diffuse intrameningeale Hämorrhagie in¬ 
folge Ruptur eines Aneurysmas der Arteria vertebralis ge¬ 
funden wurde; in diesem Falle war aber die Lumbalpunction 
nicht gemacht worden. 

Ich hebe für diese Fälle die Bedeutung der Lumbal- 
punction besonders hervor, ihre diagnostische Bedeutung näm- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 26. 


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lieh für Fälle acuter Cerebralerkrankungen, welche der Dia¬ 
gnose sehr große Schwierigkeit bieten. Es ist ja ungemein 
schwer, in derartigen Fällen zu einem sicheren Ergebniß zu 
kommen. Sobald Erscheinungen diffusen intracraniellen Hirn¬ 
druckes bestehen und weiter keine anderen charakteristischen 
Symptome vorhanden sind, kommen wir ins Stocken und 
wissen nicht, wo aus, noch ein. 

Mir hat sich ein Fall dieser Art besonders ins Gedächt- 
niß eingeprägt, welchen ich vor ungefähr 11 Jahren gesehen 
habe. Ich wurde zu einem hochangesehenen Manne, einem be¬ 
kannten Parlamentarier, in eine Stadt zur (Konsultation be¬ 
rufen. Der betreffende Herr hatte mehrere epiieptiforme An¬ 
fälle gehabt und einen apoplektiscben Insult erlitten. Die ophthal¬ 
moskopische Untersuchung ergab eine Stauungspapille, so daß 
an einen Tumor cerebri gedacht wurde. Es bestand bei dem 
Patienten eine einseitige Lähmung. Ich zog zunächst die 
Möglichkeit einer Pachymeningitis haemorrhagica in Erwä¬ 
gung, ließ aber diese Diagnose fallen, nachdem mir von dem 
behandelnden Collegen mitgetheilt wurde, daß absolut keine 
Rede davon sein könne, daß der Patient ein Trinker sei, er 
habe nahezu nichts getrunken. Auch war der Mann nicht alt, 
hatte keine Lues gehabt. Der Kranke starb, es wurde die 
Section gemacht, und diese ergab eine Pachymeningitis haemor¬ 
rhagica; und hinterher stellte sich heraus, daß der Verstorbene 
doch getrunken hatte, und zwar ziemlich viel — es wurde 
nachträglich von berufener Seite zugegeben. 

Derartige Fälle sind außerordentlich schwer zu dia- 
gnosticiren, aber man hätte damals vielleicht die richtige 
Diagnose sicherstellen können, wenn man die Lumbalpunction 
vorgenommen hätte. 

Fiir die Diagnose und den Verlauf der Ruptur basaler 
Aneurysmen hebe ich noch einmal besonders ein Symptom hervor, 
nämlich den plötzlichen Beginn der klinischen Erscheinungen 
mit einem schweren epileptiformen Anfall. Dieses Symptom 
ist für die Diagnose außerordentlich werthvoll und wichtig. 

Es wird nach meinem Dafürhalten wohl möglich sein, 
unter sorgfältiger Erwägung der anderen Momente und be¬ 
sonders des Befundes von hämorrhagischer Flüssigkeit bei der 
Lumbalpunction die Diagnose: „Intermeningealhämorrhagie“ 
richtig zu stellen. 

Eines möchte ich noch bemerken. Es liegt ja das Be¬ 
denken nahe, es könne die Lumbalpunction durch die Herab¬ 
setzung des intracraniellen Druckes das Platzen eines vor¬ 
handenen Aneurysma der Hirnarterien begünstigen, oder, 
wenn eine Ruptur bereits eingetreten ist, eine Nachblutung 
verursachen. Diese Gefahr läßt sich wohl sicher vermeiden, 
wenn man nur ganz kleine Flüssigkeitsmengen entleert. Die 
Obduction hat auch in unserem Falle erwiesen, daß alle 
Blutungen aus der Zeit vor den Punctionen stammten, und 
daß durch die Eingriffe auch keine Nachblutungen erzeugt 
worden sind. 


Ein Fall von Neuralgie der Ohrmuschel. 

Von Dr. A. Eitelberg in Wien. 

Die Neuralgie der Ohrmuschel ist eine seltene Erschei¬ 
nung, und auch alle Lehrbücher der Ohrenheilkunde bezeichnen 
sie als eine solche. Wohl habe ich meine Protokolle daraufhin 
nicht zu Ratlie gezogen. Allein, soweit darf ich mich schon 
auf mein Gedächtniß verlassen, daß, wäre mir mittlerweile 
ein prägnanter Fall dieser Art untergekommen, er gewiß, 
wenn auch nur in undeutlichen Umrissen, in meiner Erinne¬ 
rung haften geblieben wäre. Dies umsomehr, als mich der 
Gegenstand seit jeher besonders .interessirt hat und ich vor 
nahezu zwei Decennien — im Jahre 1883 —- eine gleiche 
Beobachtung selbst publicirte. *) Sie betraf einen jungen 
20jährigen Mann, welcher 3 Monate hindurch in der linken 


’) Ueber Massage bei Ohrenkrankheiten. „Wiener Med. Presse“, 1883, 
Nr. 26, 27, 28, 30 u. 31. 


Auricula von heftigen Schmerzen gequält wurde, die zwar 
mehrmals täglich aufzutreten pflegten, jedoch mit der größten 
Vehemenz regelmäßig gegen 10 Uhr Vormittags einsetzten 
und auf dieser Höhe mit einer für den Patienten fatalen 
Ausdauer eine Stunde lang unentwegt verharrten. Ich ver¬ 
suchte zunächst, durch eine ausgiebige Massage der Ohr¬ 
muschel den Mann von seiner Pein zu befreien. Da eine 
durch 3 Tage im angedeuteten Sinne fortgesetzte Behandlung 
nicht die geringste Erleichterung schaffte, verordnete ich 
3 Dcgrm. Chin. sulf. pro die. Die Medication brauchte nicht 
repetirt zu werden, die Neuralgie war für immer gebannt. 

Freilich, bei einer etwas liberaleren Auffassung des in 
Rede stehenden Leidens hört es auf, zu den pathologischen 
Raritäten zu zählen. Jeder erfahrenere Ohrenarzt weiß, daß 
Individuen, welche von einer intensiveren Mittelohrentzündung 
heimgesucht wurden, häufig darüber klagen, es schmerze sie 
die correspondirende Ohrmuschel ungemein, ja sogar heftiger, 
als das Innere des Ohres. Oft haben diese Kranken das 
Gefühl einer starken Verschwellung der Auricula — obwohl 
äußerlich überhaupt keine Veränderung wahrzunehmen ist — 
und lassen es sich nur schwer ausreden. 

Von ähnlichen Sensationen werden nicht selten nervöse 
Frauen jedesmal vor Eintritt der Menstruation verfolgt, 
minder häufig während derselben. Neurasthenische Männer 
und hysterische Frauen bedürfen gar keines besonderen An¬ 
reizes, um ihren sonstigen Klagen auch solche über lästige 
Empfindungen in der Ohrmuschel hinzuzugesellen; für sie 
reicht auch die scheinbar unbedeutendste Gelegenheit hin, 
damit ein derartiger Effect hervorgerufen werde. 

Und noch eine dritte Gruppe wäre hier zu nennen. 
Menschen, welche viel im Freien sich aufzuhalten genöthigt 
sind, ganz einerlei, ob ein sonniger Himmel über ihnen blaut 
oder ein eisig kalter Wind durch die Lande rast, erwerben 
mitunter zur Winterszeit eine Empfindlichkeit des äußeren 
Ohres, die merkwürdigerweise just erst nach Wiederkehr der- 
schönen Tage sich offenbart. Dabei braucht nicht die Spur 
einer Erfrierung der Ohrmuschel constatirbar zu sein. 

Indeß, den zuletzt cursorisch herangezogenen Beispielen 
liegt immerhin theils eine greifbare Ursache zugrunde, theils 
stellt in ihnen der Ohrmuschelschmerz bloß einen kleinen 
Ausschnitt aus dem umfangreichen Leidensbilde dieser Unglück¬ 
lichen dar. Von der reinen Neuralgie jedoch beanspruchen 
wir, daß uns ihr Ursprung dunkel sei, daß wir den Zusammen¬ 
hang der Dinge nicht zum Greifen sehen. Denn, daß er 
besteht und sich nur unserer Erkenntniß entzieht, ist in 
den ehernen Gesetzen der Logik begründet. Die Beobachtung, 
welche ich eben mittheilen will, ist von umso höherem Werthe, 
als sie an einem alten, erfahrenen Collegen gemacht wurde, 
der in einer langjährigen Ausübung des ärztlichen Berufes 
die Aeußerungen des kranken Leibes richtig zu deuten gelernt 
hat. Daran aber knüpft sich noch ein zweiter Vortheil: Wir 
interveniren nur, wo es am Platze ist, und hören nicht fort¬ 
während mit oder gegen unseren Willen die Kette des Ut 
aliquid fieri videatur an unserem Geiste rasseln. Dem Laien 
gegenüber müssen wir uns jederzeit so stellen, als gingen 
wir die Krankheit mit dem therapeutischen Rüstzeug direct 
an, wenn wir nur die Vorsicht gebrauchen, des Guten nicht 
zu viel zu thun. Der fromme Betrug involvirt eine psychische 
Beeinflussung, welche dem Kranken zum Nutzen gereicht. 
Müssen wir uns doch oft genug auch beim kranken Arzte 
dieses Hilfsmittels bedienen. Was aber dort fast die Regel, 
ist hier eine Ausnahme, die nur bei den wirklich trostlosen 
Aspecten ihre Berechtigung hat. 

Natürlich rede ich nicht — und das sei zum Schutze 
gegen Mißverständnisse ausdrücklich notirt — von streng 
wissenschaftlich indicirten Eingriffen. Mein medicinisches 
Credo war immer ein positives, niemals ein nihilistisches. 
Nur mit der unsinnigen Polypragmasie, wie sie leider zuweilen 
noch geübt wird, vermag ich mich nicht zu befreunden, weil 
es meine feste Ueberzeugung ist, daß man auf diese Art am 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 26. 


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sichersten aus einem leichten Falle einen schweren und aus 
einem schweren einen tödtlichen machen kann. Die Grenzen 
seines Könnens richtig zu bemessen, ist keineswegs eine gar 
einfache Sache. Man spricht nicht umsonst von der ärzt¬ 
lichen Kunst. 

Der Fall also liegt folgendermaßen : 

Der gegenwärtig 60jährige Arzt acquirirte im Jahre 1889/90, 
da eben die Influenza ihren Siegeszug durch Europa antrat, unter 
deren Vermittelung eine heftige Pneumonie und behielt als trauriges 
Angebinde jener Attake die Neigung zu Bronchialkatarrhen, welche, 
zumal in den rauhen Jahreszeiten, eine sehr lebhafte ist und dann 
sich auch durchzusetzen weiß. Ferner hat der Gesichtssinn, der 
bis dahin ein geradezu idealer gewesen, eine beträchtliche Einbuße 
erlitten. Und abermals während einer neuerlichen Exacerbation 
des Bronchialkatarrhes im Februar a. c. geschah es, daß sich die 
Ereignisse zutrugen, über welche wir jetzt zu berichten haben. 

Neben den Hustenanfällen, welche ohnedies die Nachtruhe 
des kranken Collegcn häufig unterbrachen, hatten in der letzten 
Zeit heftige Schmerzen im rechten Ohre die freien Intervalle auf 
ein Minimum reducirt und den Schlaf schier ganz verscheucht. Der 
stechende Schmerz konnte im Beginne nicht präcise localisirt 
werden. Er schien aus der Tiefe des Ohres zu stammen. Doch 
bei eingehenderer Analyse zeigte es sich, daß er seinen Ilauptsitz 
in der Ohrmuschel habe. Ein Liegen auf derselben war nur unter 
allerhand Cautelen möglich , die hauptsächlich dahin zielteD, eine 
Berührung mit dem Kopfpolster thunlichst zu umgehen. Es ist 
begreiflich, daß eine derartige „Zwangslage“ sich durchaus nicht 
dazu qualiflcirte, dem durch die wiederholten Hustenstöße ent¬ 
kräfteten Organismus die dringende Erholung zu gönnen. Es waren 
überdies auch mehrere benachbarte Partien der Ort unaugenehmer 
Empfindungen. So gab es an der rechten Halsseite zwei kleine, 
kaum tastbare Drüschen, die sich als ungemein druckempfindlich 
erwiesen. Und eine gleich lästige Empfindung konnte man auslösen, 
wenn man mit der Hand über das Scheitelhaar, namentlich wider 
dessen Strich fuhr. 

Damit war die Scala der Beschwerden durchaus noch nicht 
erschöpft. Die Deglutition w'ar auf der rechten Seite im Vergleiche 
mit der auf der linken Seite etwas gehemmt, sie verzögerte sich 
gleichsam um eine Weile. Doch galt dies nur für feste Nahrung; 
flüssige Alimente passirten auch rechterseits anstandslos. Einen 
weiteren Beschwerdepunkt bildete das Umschlagen der Stimme bei 
manchen Lauten. Herr College Doc. Dr. Wilhelm Roth konnte 
trotz sorgfältigster Untersuchung des Nasenrachenraumes nirgends 
eine Erosion der Schleimhaut auffinden. Die laryngoskopische 
Prüfung ließ eine unbedeutende passive Hyperämie des rechten 
Aryknorpels erkennen, welche nach Ansicht des Examinators 
vielleicht einer Stauung in der rechten Lungenspitze eorrespondiren 
mochte. 

Was nun das Ergebniß der Speculation des Ohres anbelangt, 
so war das Trommelfell mäßig getrübt, der Lichtfleck reducirt. 
Ein kleines Cerumenklümpchen, welches das Gesichtsfeld einengte, 
wurde durch Ausspritzen zuvor entfernt. Die Gehörgangswände 
waren vollkommen intact, nicht die geringste Andeutung einer 
Röthe oder Schwellung, und — um das in Einem zu erledigen — 
der nämliche negative Befund an der Ohrmuschel. Das Hörver¬ 
mögen erwies sich bei der Prüfung mittelst Uhr und Sprache 
normal; subjective Gehörsempfindungen oder ein Verschleiertsein 
des Ohres waren nicht vorhanden. 

Wirkliche Druckpunkte ließen sich an der Ohrmuschel nicht 
ermitteln; doch wurde ein selbst gelindes Hinstreichen des Fingers 
längs ihrer Ansatzstelle gegen den Unterkieferwinkel hin höchst 
unangenehm, man darf wohl sagen schmerzhaft empfunden. Auch 
bei stärkerem Drucke auf den Antitragus reagirte der Patient mit 
einer Schmerzäußerung. Das Betasten des rechten Warzenfort¬ 
satzes erweckt zwar keine ausgesprochen molestirende Empfindung, 
wird aber auch nicht so gleichgiltig hingenommen wie auf der 
linken Seite. 

Als nach 10 Tagen der Zimmerarrest, zu welchem der kranke 
College sich durch den Bronchialkatarrh verurtheilt sah, endlich 
vorüber war und der Patient sich zeitweilig im Freien ergehen 


konnte, dünkte ihm dann die rechte Ohrmuschel kühler als die 
linke zu sein, was indeß das Tastgefühl nicht zu ratificiren ver¬ 
mochte. Andererseits brachte sich auch die wärmere Temperatur, 
welche zu Beginn wohlig in der Ohrmuschel empfunden wurde, 
nach kurzem Behagen zu recht unliebsamer Geltung. So zum 
Beispiel beim Aufruher. der rechten Ohrmuschel auf dem Kopf¬ 
polster, weshalb die Lage oft gewechselt werden mußte. 

Das waren bereits die Ausläufer jener Kette von Belästi¬ 
gungen, zu denen auch das Gefühl interraittirenden Wundseins in 
der Tiefe des Gehörganges gehörte, und bald gemahnte nur noch 
ein gewisses Spannen der Scheiteihaut beim Runzeln der Stirne 
an die vergangene Leidensepoche. Ein mehrwöchentlicher Auf¬ 
enthalt in Abbazia benahm auch dem Bronchialkatarrh seinen 
hartnäckigen Charakter und wischte das nunmehr einzige Merkmal 
überstandenen Ungemaches gleichfalls hinweg. 

Ich habe die Krankheitsgeschichte ausführlich erzählt 
und kein einziges Detail, mochte es mir noch so gleichgiltig 
erscheinen, verschwiegen, damit der Leser aus dem ihm voll 
gelieferten Materiale sich ein selbständiges Urtheil construire 
oder zumindest das von mir gefällte genau zu controliren 
in den Stand gesetzt sei. Vor Allem will ich bemerken, daß 
die Hyperästhesie der Kopfhaut, die bis in die Haare aus¬ 
strahlt, sonst unter den Attributen der Influenza Otitis 
manchmal eine erste Rolle zu spielen pflegt. Im Jahre 1895 
war ich in der Lage, einen diesbezüglichen Fall mitzutheilen. 
der ohne Uebertreibung ein Schulfall genannt zu werden 
verdient. 2 ) Ich werde mich über denselben hier nicht weiter 
verbreiten, weil er mit dem jetzigen Thema nur in lockerem 
Zusammenhänge steht; wen er interessirt, mag ihn an der 
citirten Stelle nachlesen. Es ist ja richtig, daß der Urquell 
der mannigfachen Leiden unseres Patienten im Grunde 
genommen der Influenza entsprang, aber diesmal traf sie 
bloß mittelbare Schuld. Auch sie ist nicht überall die alleinige 
Schuldträgerin. 

Daß bei einer Affectiön des Warzenfortsatzes schon die 
Berührung der Haare in dessen engster Nachbarschaft peinlich 
verspürt wird, ist jedem Praktiker geläufig, und braucht man 
darüber kein Wort zu verlieren. Doch vor Kurzem stand 
eine Frau wegen eines communen Mittelohrkatarrhes in meiner 
Behandlung, der auch bald behoben war. Aber die Neuralgie 
der gleichnamigen Kopfhauthälfte mit dem erwähnten Sym¬ 
ptome konnte sie trotz des reichen Consums von Phenacetin, 
Salipyrin, Pyramidon und anderer Heilmittel, die so merk¬ 
würdig prompt in der Studirstube wirken und draußen im 
Leben mit schier starrer Consequenz im Stiche lassen, lange 
Zeit nicht loskriegen. Sie ist später noch elektrisirt worden 
und hat sich einer Heißluftcur unterzogen. Ich hoffe, daß es 
der ärztlichen Kunst unterdessen gelungen ist, die arme 
Frau von ihrer Qual zu erlösen. Bestimmt vermelden kann 
ich es nicht, sie ist derzeit meinem Gesichtskreise entrückt. 

Auf einen Einwand, dem — ich gestehe es — eine nicht 
zu unterschätzende Argumentationskraft innewohnt, bin ich 
gefaßt. Von einer „reinen“ Neuralgie der Ohrmuschel sollte 
die Rede sein, von einer Neuralgie, deren Ursachen sozusagen 
in dichte Nebel verschwimmen, die, wenn man nach ihnen 
greifen will, Einem zwischen den Fingern zerrinnen. Und nun 
marschirt plötzlich eine Reihe pathologischer Veränderungen 
vor unserem Auge auf, die wohl danach angethan sind, jene 
Nebel zu zerstreuen und das Licht anatomischer Aufklärung 
hell leuchten zu lassen. Wie jedes Handbuch der Ohrenheil¬ 
kunde lehrt, wird die Auricula vom N. trigeminus, vom 
Facialis, Aurieularis magnus und Oceipitalis minor (aus dem 
Plexus cervicalis), vom Vagus und Sympathicus versorgt, von 
welch letzterem gefäßverengende Aeste zum arteriellen Gebiete 
der Ohrmuschel abzweigen. Liegt es da nicht näher, einen 
Connex zu spinnen zwischen einer auf reflectorischem Wege 
erzeugten Neuralgie der Ohrmuschel und der localen Reizung 


2 ) Beiträge zur Influenza Otitis, zumal ihrer nervösen Form und Compli- 
cation mit Facialisparalyse. „Wiener Med. Presse“, 1895, Nr. 24 u. 25. 

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des einen oder anderen gemeinsamen Nerven innerhalb des 
von uns als im Zustande geringgradiger Entzündung ge¬ 
schilderten Terrains? 

Wenn nur die Erfahrung stets ihr Placet darunter 
setzen würde! Nachdem ich nichts vorenthalten habe, was 
wider meine Anschauung ins Feld geführt werden kann, ist 
es nur billig, daß ich auch nicht verhehle, was sie zu stützen 
vermag. Die Erscheinungen im Nasenrachenraume und im 
Kehlkopfe waren so geringfügiger Natur, daß sie nur ent¬ 
deckt wurden, weil man eifrig nach ihnen geforscht hatte. 
‘Würde man sie nicht an das Licht der Sonne gezogen haben, 
dem Patienten wäre beileibe kein Schaden daraus erwachsen. 
Das geht schon aus der Thatsacbe hervor, daß sie binnen 
wenigen Tagen verschwanden, ohne daß gegen sie ein thera¬ 
peutisches Verfahren eingeleitet worden war. Schwer ins 
Gewicht aber fällt noch der Umstand, daß ich auch bei 
starken Anginen, die doch so gerne das Ohr in der einen 
oder anderen Form in Mitleidenschaft ziehen, niemals Klagen 
über Schmerzen in der Ohrmuschel vernommen habe. Retro- 
pharyngealabscesse sind oft von fulminanten Stichen im Ohre 
begleitet bei vollständig intacter Paukenhöhle und normalem 
Hörvermögen. Ueber schmerzhafte Empfindungen, welche in 
der Anricula ihren Herd aufgeschlagen hätten, verlautete 
auch in diesen Fällen nichts. Anders in unserem Falle. Da 
ruhte der Nachdruck auf den schlafraubenden Belästigungen, 
welche von der Ohrmuschel ausgingen, und hauptsächlich 
wegen derselben wurde mein Rath eingeholt. Die sonstigen 
Beschwerden liefen nur so mit, weil auch der Arzt als Patient 
nicht mehr die Ohjectivität besitzt, die Sphäre seiner Leiden 
stricte zu umgrenzen. Ich befürchte daher nicht, auf ernsten 
Widerstand zu stoßen, wenn ich bei meiner Auffassung und 
Deutung der Sachlage verharre. 

In dem durch einen obstinaten Bronchialkatarrh, mit 
welchem sich auch eine Verminderung der Nahrungsaufnahme 
verband, geschwächten Organismus werden sensible Störungen 
leichter auf den Plan treten als in einem in sich gefestigten. 
Warum es gerade die Ohrmuschel war, in der sie sich con- 
centrirten, ist allerdings schwer zu verstehen. Aber der 
„WarumV“, auf die wir vorderhand noch keine Antwort 
bereit haben, existirt in der medicinischen Wissenschaft eine 
erkleckliche Menge. Es biaucht nicht von vorneherein als 
unwahrscheinlich abgelehnt zu werden, daß ein zufälliges 
Andrücken der Ohrmuschel während des Schlafes den ersten 
Anstoß zur Entstehung der Neuralgie gab. Der kranke 
Menschenleib reagirt auf Reize ausdauernder als ein gesunder. 
Es ist bloß eine Hypothese. Man kann sie nach Gutdünken 
billigen oder verwerfen. ich klammere mich nicht an sie. 
Sie fußt auf dem Principe der herabgesetzten Fähigkeit durch 
Krankheit minderwerthig gewordener Organismen, functio- 
nelle Schäden rasch auszugleichen. Auch muß man sich wegen 
der momentan weniger widerstandsfähigen Constitution des 
Patienten nicht an dem Epitheton „rein“ stoßen, das wir 
diesmal der Neuralgie beigelegt haben. Gewiß war das Allge¬ 
meinbefinden des Collegen vorübergehend erschüttert. Aber 
weder trug er das Stigma der Nervosität, noch spielte bei 
ihm eines jener anderen ätiologischen Momente mit, wie wir 
sie oben gestreift haben. Daß wir uns bemühten, die Causalität 
zu ergründen, liegt in der Beschaffenheit unseres Denk¬ 
apparates, der auf den Zweiklang von Ursache und Wirkung 
gestimmt ist. 

So erübrigt nur noch die Frage der Behandlung 
zu erledigen. Versteht man darunter die Verabfolgung diverser 
Ingredienzien aus unserem Arzneischatze, so geschah im vor¬ 
liegenden Falle so gut wie nichts. An zwei Abenden wurde 
Phenacetin (je 0'5 Grm.) genommen, einmal massirt, hin und 
wieder mit einer Theeabkochung gegurgelt, ein Prießnitz- 
umschlag applicirt. Man sieht, es war wirklich nicht viel. 
Faßt man aber „die Behandlung“ etwas weitherziger auf, so 
wurde schon das Nöthige veranlaßt. Der Instinct, das unserer 
jeweiligen Körperverfassung sich anpassende und auch Be¬ 


friedigung heischende Bediirfniß ist unser bester Heilgehilfe. 
Der College fühlte sich ermüdet. Wir ließen ihn mehrere 
Tage das Bett hüten und sich kräftig nähren. Man braucht 
gar nicht zu besorgen, daß man einmal aus übertriebener 
Aengstlichkeit den Termin des Aufstehens über Gebühr hinaus¬ 
schieben könnte. Das regelt sich mit einer staunenswürdigen 
Pünktlichkeit ganz von selbst. Ist das latente Verlangen nach 
der Bettruhe erloschen, so läßt sie sich durch keine ärztliche 
Autorität mehr aufdrängen. Selbst die folgsamsten Patienten 
kündigen da den Gehorsam auf. Und was das Curioseste ist, 
sie haben immer Recht. Ich meine nicht Kranke, deren 
seelisches Gleichgewicht alterirt ist, und die von einer 
dämonischen Unruhe aus dem Bette gejagt werden, sondern 
jene, die eine acut und günstig verlaufende Affection zu über¬ 
stehen haben. 

Als die Bettfesseln durch die neuerwachte Willensstärke 
gesprengt waren, verweilte der College noch einige Tage im 
Zimmer, vor den Aufregungen der ärztlichen Praxis noch 
immer geborgen. 

Und noch ein Agens leistete uns vortreffliche Dienste: 
die Zuversicht, die dem leidenden Arzte einzuflößen uns 
gelungen war. Wir hatten ihm versichert, daß keine Gefahr 
drohe und der Schmerz nach erfolgter Besserung seines Allge¬ 
meinzustandes allmälig verklingen werde; und er traute 
unseren Worten, obwohl oder weil wir nieht gleich das 
schwere Geschütz auffahren ließen. Es war eben ein Arzt, 
dessen Auge durch die eigene Erfahrung geschärft war, und 
darum messen wir auch dieser Beobachtung einen so hohen 
Werth bei. „Aber wie“, höre ich verwundert fragen, „curirt 
man heutzutage die Leute auch schon mittelst Vertrauens?“ 
Und dreist antworte ich: Ja wohl! In vielen Fällen wirkt 
dieses viel zuverlässiger als sämmtliche in der lateinischen 
Küche zubereiteten Arzneistoffe. Wie ein weicher, warmer 
Mantel legt es sich um die Seele und hält alle Schädlich¬ 
keiten von ihr fern , und unter dieser- schützenden Hülle 
vollstreckt sich auch pünktlicher die Gesundung des Leibes. 
Die alten Aerzte, denen lange nicht so zahlreiche, zum Theile 
ausgezeichnete Heilmethoden zu Gebote standen wie den 
Aeskulapjüngern der Jetztzeit, hatten uns doch etwas ganz 
Besonderes voraus: sie waren zugleich Philosophen und 
lauschten mit Verständniß den geheimen Vibrationen des 
menschlichen Gemüthes. Uns aber, den Kindern eines pusten¬ 
den, hastenden Zeitalters, ist im tosenden Lärm des Alltags 
die philosophische Ruhe abhanden gekommen. Sehr zum 
Schaden der medicinischen Wissenschaft. Erst wenn sie der 
Philosophie sich vermählt, werden ihre herrlichsten Früchte 
reifen. Man wird dann vielleicht weniger verordnen, aber 
gewiß mehr heilen. 


Aus der inneren Klinik der Jayell. Universität in 
Krakau (Eirector Hofrath Professor J)r . Eduard 
II. v. Korczynski)• 

Zur Kenntniß des Stoffwechsels bei 
Osteomalacie. 

Von Doc. Dr. L. R. v. Korczynski. 

(Schluß.) 

Zum Schlüsse sei es mir noch gestattet zwei Fragen zu 
berühren: die Frage weiterer Forschungen und die des Wesens 
der Krankheit. In Anbelang der ersteren scheint es mir er¬ 
forderlich , noch Manches hinsichtlich des Stoffwechsels bei 
Osteomalacie einer eingehenden Prüfung zu unterziehen. Un¬ 
bedingt wären genaue Bestimmungen des O-Verbrauches 
und der C O, - Ausscheidung , welche das Maß zur Ab¬ 
schätzung des Stoffwechsels der N-lo3en Körper abgeben 
würden, zu fordern. In weiterer Reihe stehen die Bestimmung 
der Menge und des wechselseitigen Verhältnisses aller durch 
den Organismus ausgeschiedenen Stickstoffverbindungen, die 


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Prüfung der giftigen Substanzen im Harne, wenn nicht auf 
dem Wege chemischer Analyse, so wenigstens auf dem Wege 
der Thierversuche. Nicht minder wichtig kommt mir auch 
die Erkenntniß des Stoffwechsels einiger im physiologischen 
Organismus befindlicher Säuren, vor Allem der Glycerin- 



im Harne und im Kothe vor. 

Nach Erledigung der geplanten Untersuchungen wird 
es muthmaßlich eher gelingen, die Pathogenese der Knochen¬ 
erweichung ins richtige Licht zu stellen. Alle bisherigen, zu¬ 
meist widerlegten, Osteomalacietheorien haben das ja nicht 
vermocht. 

Der oben skizzirte Forschungsplan ist zu gewissem 
Theile auch eine Folge theoretischer Erwägungen gewesen. 
Es scheint mir somit angebracht, ihrer schon gegenwärtig 
Erwähnung zu thun. 

Nach meiner Vermuthung wäre der Erweichungsproceß 
in den Knochen nicht als das Essentielle der Krankheit 
aufzufassen. Das dürfte nur im klinischen, wohl auch im 
anatomischen Sinne, nicht aber im Sinne der pathologischen 
Biologie, wenn der Ausdruck gestattet wird, geschehen. In 
den letzten Zeiten scheint immer mehr die Auffassung den 
Boden zu gewinnen, daß eine Vergiftung, und zwar durch 
organische Gifte, die Toxine, die unmittelbare Ursache der 
Krankheit abgebe. Es wäre aber kaum möglich zuzugeben, 
daß jene Körper lediglich auf das Knochengewebe ihren 
schädigenden Einfluß einschränken sollen. Es braucht nur 
auf atrophische und degenerative Vorgänge in dem Muskel¬ 
gewebe der Osteomalaeischen, auf ungleichmäßigen Gang des 
N - Stoff w echsel s, auf anatomische Bilder des Knochenmarkes, 
der Eierstöcke, zumal auch der Parotisdrüsen hingewiesen zu 
werden, um zur Ueberzeugung zu gelangen, daß im Verlaufe 
der Knochenerweichung eine allgemeinere Giftwirkung zu¬ 
gegeben werden muß. Das Nämliche scheinen auch die bei Osteo- 
malaciekranken ausgeführten Blutuntersuchungen zu beweisen: 
Und zwar findet man im Blute fast eonstant eine mehr oder 
weniger ausgesprochene Vermehrung der Eosinkörperchen¬ 
menge — in einem Falle von Arcoli sogar bis 20% — jener 
Abart der Leukocyten, die im Verlaufe verschiedener patholo¬ 
gischer Procesie, welche mit Erzeugung irritativer Agentien 
einhergehen, in größerer Menge getroffen werden. Erblickt 
man aber die Ursache des pathologischen Zustandes bei Osteo 
malacie in Anhäufung der Toxine, so muß zugleich zuge¬ 
geben werden, daß dieselben nicht von draußen gelangen, 
daß sie im Organismus selbst producirt werden. Der Grund 
jener krankhaften Production wäre in ungehöriger, durch 
Sinken der biologischen Fertigkeit der organischen Gewebe¬ 
arbeit bedingten Verarbeitung der Eiweißstoffe zu ersehen. 
Darf aber jene Abnahme der biologischen Gewebearbeit 
zugegeben werden? Worin soll dafür Erklärung gesucht 
werden ? 

Der Umstand, daß die Knochenerweichung in über¬ 
wiegender Mehrzahl der Fälle nach zahlreichen Geburten zum 
Ausbruche kommt, läßt eine bejahende Antwort auf die 
erste Frage zu und ermöglicht auch die andere Frage zu be¬ 
antworten. 

Bei oft gebärenden, körperlich schwach entwickelten 
Frauen, wenn noch dazu die äußerlichen Verhältnisse nicht 
die günstigsten sind, stellen sich während der Schwanger 
Schaft gar manche krankhafte, auf Ernährungsstörungen zu 
beziehende Erscheinungen ein; für gewöhnlich werden sie 
beseitigt. In der Lactationsperiode gelangen pathologische 
Zustände zur Entwicklung, die früher vermißt wurden; die 
schon dagewesenen Krankheiten erfahren eine mehr oder 
weniger ausgesprochene Verschlimmerung. Es darf in dieser 
Hinsicht nur auf Bleichsucht, Blutarmuth, Tuberculose hin¬ 
gewiesen werden. Während der Schwangerschaft, inwiefern 
nicht besondere Ursachen obwalten , legen sich jene Krank¬ 
heiten gar oft wenigstens scheinbar wieder. Der Organismus 


der schwangeren Frau arbeitet somit muthmaßlich mit 
äußerster biologischer Spannung, um den mit Leben und Ent¬ 
wickelung des Fötus innig zusammenhängenden physiologischen 
Anforderungen gerecht zu werden. Wäre es nicht gestattet, 
in der Abnahme der Harngiftigkeit, in der Abnahme der im 
Harne ausgeschiedenen Toxine, wie das bei Schwangeren fest¬ 
gestelltwurde, den Ausdruck jener größeren Spannung der biolo¬ 
gischen Gewebeenergie und ausgiebigeren physiologischen Thätig- 
keit zu erblicken? Derartige Anstrengungen können aber 
nicht immer ohne Schaden bleiben. Ein gesunder, kräftiger 
Organismus erträgt sie wohl ohne besondere Nachtheile, für 
einen schwächlichen werden sie recht oft zur übermäßigen 
Bürde; er kann ihnen schließlich nicht gerecht werden: Der 
Periode einer übermäßigen Erregung und einer übergroßen 
Arbeit folgt die Periode der Erschöpfung, die Periode der 
verminderten biologischen Erregbarkeit und einer gesunkenen 
Intensität der biologischen Thätigkeit. Der Grad der Er¬ 
schöpfung und der Umfang der Energieabnahme können ganz 
verschieden sein; durchaus verschieden gestalten sich auch 
die Erscheinungen und Folgen der gestörten physiologischen 
Leistungen. 

Die Einbuße bezüglich des Grades und der Ausgiebig¬ 
keit der organischen Arbeit kann aber nur innerhalb be¬ 
stimmter Grenzen ertragen werden, sonst müßte das fernere 
Dasein und Leben in Frage kommen. Vor dem Extreme muß 
der Organismus geschützt werden. Er kann sich auch wirklich 
dasselbe abwehren, und zwar Dank gewissen compensato- 
rischen Einrichtungen, die darin bestehen, daß die Arbeit 
gewisser Organe über das gewöhnliche Maß gesteigert wird. 
Durch jene größeren Leistungen wird die Thätigkeit des 
Organismus sowohl unmittelbar als auch mittelbar unter¬ 
stützt und ergänzt. Es geschieht dies auf dem Wege ge¬ 
steigerter Production und Ausscheidung gewisser Stoffe, welche 
dazu berufen sind, für die Auslösung physiologischer Vor¬ 
gänge dauernde Erregung zu bilden, oder aber die unzu¬ 
reichende biologische Arbeit zu vervollkommnen und endgiltig 
zu verrichten, mit anderen Worten, die intermediären, giftigen 
Stoff wechselproduete zu neutralisiren, beziehungsweise un¬ 
schädlich zu machen. 

Den compensatorischen Leistungen begegnen wir derart 
oft im Verlaufe verschiedener, woblerkannter pathologischer 
Vorgänge, daß dieselben ganz logisch auch hinsichtlich jener 
Krankheiten zugegeben werden müssen, in Anbetracht deren 
unser Wissen und Kennen noch lückenhaft und unsicher er¬ 
scheinen. Es braucht ja nur auf die compensatorisehe Thätig¬ 
keit des Herzens bei Krankheiten des Respirationstraetus, der 
Haut und der Gedärme im Verlaufe der Nephritis, der Schild¬ 
drüsen im Verlaufe gewisser Selbstvergiftungen (endemischer 
Kropf, Reifeperiode, Schwangerschaft) u. s. w. hingewiesen zu 
werden, um das Gesagte ohneweiters zu billigen. 

Wird nun aber für den eigentlichen Boden, auf dem 
der Knochenerweichung genannte krankhafte Proceß auskeimt, 
die Abnahme der biologischen Gewebeenergie und die con- 
secutive übermäßige Bildung der Toxine erachtet, so müssen 
in logischer Gedankenfolge auch compensatorisehe Thätigkeiten 
zugegeben werden. Organe, welche mit Erfüllung jener compen- 
satorisehen Aufgaben betraut sein dürften, wären aller Wahr¬ 
scheinlichkeit nach im Knochenmark und in Ovarien, in Be¬ 
rücksichtigung der Beobachtungen von Damsch möglicher 
weise noch in Parotisdrüsen zu erblicken. Das Knochenmark 
ändert sein äußeres Aussehen und seine histologische Structur, 
wird aufs Neue zum rotlien embryonalen Marke umgebildet, 
die Eierstöcke und die Parotisdrüsen werden saftiger, nehmen 
an Umfang zu, ohne dabei fürs Gewöhnliche ihre anatomische 
Textur zu ändern. Alles das darf aber nur als Ausdruck 
physiologischer Hyperactivität gedeutet werden ; sonst müßten 
wir in Bezug auf Knochenmark ausgesprochene Anomalien 
der Blutbildung und Blutzusammensetzung verlangen. 

Die Erfüllung biologischer Leistungen ist eine Aufgabe 
der Protoplasmazellen. Bei wachsenden Leistungen muß der 

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Zellenreichthum größer, der Abbau rascher, der Aufbau und 
die Regeneration vollkommener und energischer werden. Es 
folgt daraus, daß auch das Bedürfniß nach Nähr- und Bau¬ 
stoffen in die Höhe steigen muß. Das eigentliche Wesen der 
Protoplasmazellen, ganz besonders aber ihres wichtigsten 
Theiles, der Kerne, bildet in chemischer Hinsicht ein Eiwei߬ 
körper — Nuclein ; vor Allem wird somit der Bedarf an Nuclein 
gesteigert, oder, was fiir unsere Zwecke von gleicher Be¬ 
deutung ist, der Bedarf an Stickstoff, Kalium und Phosphor. 
Phosphor und Kalium bilden aber nebst Kalk und Magnesia 
die wichtigsten anorganischen Theile des Knochengewebes. 
Wird durch übermäßigen, zur Sättigung einseitiger Bedürf¬ 
nisse dienenden Verbrauch jener Körper ein gewisses Deficit 
in ihrer Menge herbeigeführt, so muß der Verknöcherungs- 
proceß unbedingt Einbuße erleiden. 

Der Bau und die Regeneration des Zellengewebes ist 
aber nicht die einzige Absatzstätte für die Phosphorsäure. 
Es ist wohl die Vermuthung gestattet, daß dieselbe eine 
keineswegs untergeordnete Rolle auch bei Bildung der durch 
die in Frage kommenden Organe erzeugten und secernirten Stoffe 
zu spielen scheint. Auf Experimente v. Traczewski’s gestützt, 
muß es mehr als wahrscheinlich erscheinen, daß die Phosphor¬ 
säure mit jenen Stoffen organische Verbindungen eingeht. Auf 
diese Weise wird noch eine Ursache des Phosphorsäuredeficites 
anorganischer, zur Bildung für normalen Knochenbau uner¬ 
läßlicher Verbindungen abgegeben. Die Basen können aber nicht 
ungebunden bleiben, ohne mit entsprechenden Säuren Salze 
gebildet zu haben. Salze werden ja gebildet, wohl aber in 
einer Zusammensetzung, möglicherweise auch in gegenseitigen 
Verhältnißmengen, die für Knochenbildung nicht tauglich 
sind. Es wäre nun leicht zu begreifen , warum die Regene¬ 
ration des Knochengewebes eine gestörte ist, warum in dem¬ 
selben ein pathologischer Proceß, der Knochenerweichung ge¬ 
nannt wird, zur Entwicklung gelangt. 

Directe Beweisführung zur Erkräftigung jener Erwä¬ 
gungen wäre kaum möglich zu geben, gerade so, wie es hin¬ 
sichtlich jeder anderen beliebigen Theorie der Fall ist. Indirect 
scheint aber für dieselben Manches zu sprechen. In erster 
Linie kann auf das Verhalten des Phosphorsäurestoffwechsels 
und zwar auf ungenaue Ausscheidung dieser Verbindung und 
auf ihr Erscheinen in größerer Menge im Kothe hingewiesen 
werden. Von nicht untergeordneter Bedeutung müssen jeden¬ 
falls auch die durch Phosphortherapie bei Osteomalacie er¬ 
zielten Erfolge erscheinen. Es darf ja daraus erschlossen 
werden, daß der Bedarf an Phosphorsäure im Verlaufe der 
Knochenerweichung in der That ein größerer sei. Sollten die 
geplanten Kaliumstoffwechselbestimmungen dahin ausfallen, 
daß eine positive K -Bilanz ermittelt würde, so wäre darin 
auch ein Beweis zu finden, daß der Aufbau der Zellen ein 
rascherer und energischer sei. Genaue Erkenntniß des Glyce¬ 
rinphosphorsäurestoffwechsels dürfte zur Abschätzung des 
Nucleinzerfalles hei angezogen werden. Gleichzeitige Be¬ 
stimmungen des Schwefels, des Kalkes und des Phosphors 
im Harne und im Kothe, die Ermittelung wechselseitiger Be¬ 
ziehungen in dem Stoffwechsel jener Körper dürfte zur Er¬ 
klärung wohl bekannter Thatsachen gereichen, daß in den 
Gedärmen und im Kothe größere Mengen von Sulfaten ge¬ 
troffen werden, worin die Ursache der im Verlaufe der Osteo¬ 
malacie öfters vorkommenden Durchfälle oder wenigstens 
reichlicher dünnflüssiger Stühle erblickt wird. 

Als indirecte Beweise zur Erkräftigung der Hypothese 
der Selbstabhilfe des Organismus und zur Erklärung des Er- 
weichungsprocesses in den osteomalacischen Knochen als Folge 
chemischer, durch biologische VorgäDge verursachter Ano¬ 
malien dürften noch manche andere Thatsachen vorgeführt 
werden. 

Es ist wohl bekannt, daß bei schwangeren Frauen 
unter gewissen Umständen die Knochen in ihrer Festigkeit 
und Derbheit einbüßen, daß sie nachgiebiger, ihr Kalkreich¬ 
thum geringer wird, daß gar oft Kalksalze verschiedenerorts, 


z. B. auf der Placenta und Fötusmembranen niedergeschlagen 
werden. Den Kalksalzniederschlägen begegnet man aber auch 
im Verlaufe der Osteomalacie. Der Organismus einer solchen 
Schwangeren hat somit, gerade so wie ein osteomalaeischer, 
nicht vermocht, die Baustoffe zum regelrechten Aufbau des 
Knochengewebes auszubeuten. Er hat es nicht vermocht, weil 
ein wichtiger Theil dieser Baustoffe — Phosphor und Kalium — 
für wichtigere Zwecke, für Bildung des Zellengewebes des 
Foetus verbraucht werden mußte; durch entsprechende An¬ 
passung seiner biologischen Thätigkeiten den gesteigerten 
Anforderungen gerecht zu werden, hat aber der Organismus 
nicht Folge leisten können. Nach der Geburt kehren normale 
Verhältnisse zurück, das Knochengewebe erlangt trotz des 
Stillens des Kindes und des damit verbundenen größeren 
Kalk Verbrauches seine frühere Beschaffenheit. In der Kind¬ 
heit, während der lebhaftesten körperlichen Entwickelung und 
des raschesten Wachsthums, hält sich der Verknöcherungs- 
proceß in recht bescheidenen Grenzen. Im Vordergründe steht 
die Bildung der Zellen. Im reifen Alter stellt sich in dieser 
Hinsicht völliges Gleichgewicht ein. Im vorgerückten Alter 
geht die Verknöcherung sehr rasch von statten, die Regene¬ 
ration des Zellengewebes ist eine unvollkommene, neue 
Zellen werden gar nicht gebildet. 

Alles das zusammengefaßt, scheint davon zu zeugen, 
daß dem Organismus eine allseitige Fähigkeit, sich in physio¬ 
logische Verhältnisse und Anforderungen zu fügen, eigen sei; 
daß derselbe durch entsprechende Modification seiner biolo¬ 
gischen Arbeit den gegebenen Anforderungen gerecht zu werden 
verstehe. 

Wenn das aber der Fall im Zustande völliger Gesund¬ 
heit ist, so muß die Folgerung unbedingt als logisch er¬ 
scheinen, daß er auch im Krankheitsfalle seine Arbeit ent¬ 
sprechend zu modificiren und den anormalen Verhältnissen 
anzupassen sucht. Es wäre darin nichts mehr als nur ein Aus¬ 
druck der Selbstabwehrbestrebungen zu erblicken. 

Daß aber dem Organismus derartige Fähigkeiten eigen 
sind, braucht bei dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft 
keiner besonderen Beweisführung. 

Ich bin mir dessen bewußt, daß meine theoretische Auf¬ 
fassung der Pathogenese der Knochenerweichung, wenn sie 
auch in weiteren Stoffwechseluntersuchungen, auf die ich neuer¬ 
dings einzugehen gedenke, noch manche Stütze finden würde, 
Vorwürfe treffen können, wie das auch hinsichtlich anderer 
Osteomalacietheorien geschehen ist; wenn ich sie aber trotz¬ 
dem veröffentliche, so geschieht das nicht des bloßen Strebens 
halber, etwas Neues zu äußern. Werden die verschiedenen 
Strömungen unserer Wissenschaft einer genaueren Durchsicht 
unterzogen, so kommt man nicht schwer zur Ueberzeugung, 
daß dabei Eines bis dahin gar wenig beachtet, studirt und 
gewürdigt wird, wohl deswegen, weil es wenig zugänglich, 
ja, man könnte sagen, räthselhaft erscheint; es ist das eben 
das Studium biologischer Vorgänge. Mit der Hand können 
sie ja nicht gefaßt werden. Aus indirecten Erscheinungen 
wird man aber hoffentlich Manches erschließen können , was 
unser Denken, wenn schon nicht unser Wissen, den meister¬ 
haften Einrichtungen des Organismus näher bringen wird. 
Sollten meine Auseinandersetzungen im geringen Maße dazu 
beitragen, daß das medicinische Schaffen jenes Gebiet in 
seinem arbeitsamen Kreise eingehend mitberücksichtige, so 
wäre mein eigentliches Ziel zum großen Theile erreicht. 

Es sei mir noch erlaubt, meinem hochgeehrten Lehrer und 
ehemaligen Chef Hofrath Prof. Dr. E. v. Korczynski für die 
Bewilligung des klinischen Materials, wie auch für die Ueber- 
weisung des klinischen Laboratoriums und seiner Geräth- 
schaften meinen innigsten Dank auszusprechen. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 26. 


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Referate. 

1 . E. Welander (Stockholm): Ueber Jodkalium (Jodnatrium), 

Jodalbacid und Jodipin. 

2. Magnus Möller (Stockholm): Zur Jodipin-Injections- 

behandlung. 

3. C. Grouven (Bonn): Das Jodipin (Merck) in der Syphi- 

listherapie. 

1. Das therapeutische Resultat eines Jodpräparates wird davon 
abhängen, je besser, je schneller und in je größerer Menge das 
Jod in den Organismus kommt und in ihm remanirt. Unter 
diesen Gesichtspunkten hat W. die oben genannten Präparate so¬ 
wohl in Bezug auf die klinisch ersichtliche Heilwirkung, als ins¬ 
besondere auch auf die Ausscheidungsverhältnisse untersucht („Arch. 
f. Derm. u. Syph.“, 1901, Bd. 57). Jodkalium wird schnell und 
kräftig resorbirt, kommt ins Blut, wird aber durch einige Drüsen¬ 
apparate, namentlich die Nieren, so schnell eliminirt, daß es selbst 
bei der Einnahme ziemlich großer Dosen schon nach einem Tage 
fast vollständig aus dem Blute verschwunden ist. Gerade 
aber in der raschen Aufnahme des Medicamentes und in der Ueber- 
schwemmung des Organismus mit Jod liegt die Erklärung für 
eine kräftige therapeutische Wirkung auf vorhandene pathologische 
Veränderungen, wie sie sich bei Jodkali beobachten lassen; die 
rasche Ausscheidung macht aber auch das Aufhören der Wirkung 
wahrscheinlich in dem Zeitpunkte, wo die Einnahme des Jodkali 
ausgesetzt wird. Es war bloß die Berücksichtigung des letzten 
Momentes, sowie das Auftreten unerwünschter Nebenwirkungen, 
Jodismus, in seinen verschiedenen Aeußerungen, welche einen Ersatz 
des alterprobten Jodkali wünschenswerth erscheinen ließen. Wie 
stellen sich nun die beiden neuen Präparate Jodalbacid und Jodipin 
zu den Anforderungen der Therapier 1 Das Jodalbacid verhält sich 
gegenüber dem Jodkali in Bezug auf Resorption und Elimination 
ganz analog, es ist also von Remanenz keine Rede; da es aber 
überdies ungefähr 8mal weniger Jod enthält als Jodkali, dafür 

( dasselbe an TheuerheR weit übertrifft, so ist es dem Jodkali ent¬ 
schieden nachzustellen. Die Untersuchung des Jodipin bezog sich 
sowohl auf die Einverleibung per os, als auch auf die pcrcutane. 
Sowohl bei der Anwendung per os (als auch im Klysma) besitzt 
das Jodipin gegenüber dem Jodkali k e i n e n Vorzug, es wird zwar 
schnell und kräftig resorbirt, aber nicht so kräftig wie Jodkali, 
es läßt sich wohl mehrere Tage nach der Einverleibung im Harne 
noch nachweisen, besitzt also größere Remanenz als Jodkali, doch 
sind die nachweisbaren Mengen so gering, daß eine therapeutische 
Wirkung nicht denkbar ist. Subcutan angewendet, ist das Jodipin 
bald nachzuweisen und zeichnet sich durchseine bedeutende Remanenz 
aus, doch sind die im Blute (beziehungsweise Harn) nachweisbaren 
Mengen keine bedeutenden. Die bedeutende Remanenz von Jod bei 
dieser Anwendung von Jodipin ließe das Mittel vielleicht in pro¬ 
phylaktischer Hinsicht besonders empfehlenswerth erscheinen, um 
dem Auftreten neuer tertiärer Symptome vorzubeugen. Wo es sich 
aber um rasche Einwirkung auf im Zerfall begriffene Gummen 
handelt, ist Jodkali auch durch Jodipin nicht zu ersetzen. 

Was endlich die Erscheinungen des Jodismus bei empfindlichen 
Individuen betrifft, so verhält sich Jodalbacid und Jodipin per os 
gereicht dem Jodkali ganz äqual, Jodipin subcutan scheint that- 
sächlich von den Nebenwirkungen des Jod frei zu sein. Bis jetzt 
ist noch kein Mittel gefunden, welches die große therapeutische 
Kraft des Jodkali besitzt und frei ist von den Nebenwirkungen 
dieses Mittels. Alle die erwähnten Versuche und Resultate sind an 
der Hand von Krankengeschichten erläutert. 

2. Wie Welander betont Möller, daß das zunächst Werth¬ 
volle bei der Jodbehandlung darin liegt, daß das Jod (Jodalkali) schnell 
und in großer Menge resorbirt wird, ins Blut übergeht, wobei der 
ganze Organismus , somit natürlich auch der Locus morbi davon 
überschwemmt und kräftig beeinflußt wird ; das Jodipin aber geht 
(„Arch. f. Derm. u. Syph.“, Bd. 57, 1901) langsam in die Circu- 
lation ein, wodurch man vielleicht gerade der schnellen und kräftigen 
therapeutischen Wirkung verlustig wird, um die es uns in der 
Regel zu thun ist. An der Hand einzelner in extenso wieder¬ 


gegebener Fälle sind die Belege für diese Anschauung erbracht; 
es gelangten unter Anwendung von Jodipininjectionen die vorhandenen 
Krankheitsherde zur Ausheilung oder zeigten zumindest deutliche 
Heilungstendenz, aber das Auftreten neuer zerfallender Hautgummen 
wurde nicht hintangehalten, w'ohl aber als das Jodipin durch 
3'0 Grm. Jodkali pro die ersetzt wurde, so daß man den lebhaften 
Eindruck gewann, daß gerade eine einigermaßen kräftige Ueber- 
schwemmung mit Jodkalium nöthig war, um den Krankbeitsproceß 
zu beenden. Zahlreiche Fälle heilen allerdings auch unter ausschlie߬ 
licher Jodipinbehandlung aus. Auf jeden Fall aber vordient die 
Jodipinmethode unser besonderes Interesse, weil sie eine immerhin 
wirksame subcutane Einverleibung von Jod ermöglicht und 
sonstige Nebenwirkungen hiebei fehlen. 

3. Nach Aufzählung der Gründe, welche den Ersatz des 
Jodkali durch ein anderes Jodpräparat wünschenswerth erscheinen 
lassen — die verschiedenen Erscheinungen des Jodismus, die 
facultative Unmöglichkeit der Verabreichung per os oder per 
Klysma — sucht der Autor („Arch. f. Derm. u. Syph.“, Bd. 57, 
1901) an der Hand von 23 Krankengeschichten den augenschein¬ 
lich günstigen Effect des Jodipins darzuthun. Die Fälle sind so 
gewählt, daß eine Beeinflussung der pathologischen Producte durch 
eine anderweitige Medication ausgeschlossen erscheint. In allen 
Fällen handelt es sich entweder um Spätformen der Lues oder um 
Gummen, bei denen völlige Rückbildung entweder durch interne 
Verabreichung von 10%igera oder durch subcutane Injection von 
25%igem Jodipin erzielt wurde. Bei der internen Medication betont 
der Autor, daß das Präparat wegen seiner Geschmacklosigkeit 
ohne Schwierigkeiten genommen wurde. Von anderen Autoren 
wird berichtet, daß der unangenehm ölige Geschmack der Mehr¬ 
zahl der Kranken das Mittel widerwärtig mache. Wenn sich auch 
naturgemäß die Jodipinwirkung principiell nicht verschieden von 
dem Effect anderweitiger Jodmedicationen erweise, so verdienen die 
Jodipininjectionen wegen der protrahirten Jodausschei¬ 
dung, sowie wegen des Fehlens von Intoxicatio us¬ 
erschein ungen besonderen Vorzug. Die schönen Gesichtspunkte, 
4ia Welander. bei -der, Nachprüfung des gleichen Mittels in. den 
Vordergrund rückt, finden keine Berücksichtigung. Deutsch. 

Hug (Mtinsterlingen): Ueber einen Fall von Staphylo- 
kokkentoxämie nach Revolverschuß. 

Der Fall, der bakteriologisch genau untersucht-wurde, hat 
ein doppeltes Interesse, indem er einerseits eine seltene Form der 
Allgemeininfection darstellt und zweitens die Frage, ob Schußwunden 
primär inficirt werden können, im bejahenden Sinne beantwortet. 

Eine 22jähr. Frau wurde von hinten angeschossen, erlitt 
jedoch dabei keine lebensgefährlichen Verletzungen. Hingegen 
wurde eine Wunde in der Gegend der Scapula durch mitgerissene 
Kleiderfetzen inficirt und es bildete sich ein Absceß, der am 5. Tage 
nach der Verletzung entleert wurde. Trotzdem hielten die septischen 
Erscheinungen an, im Blute konnte Staphylococcus pyogenes aureus 
nachgewiesen werden, derselbe Erreger, der sich auch im Eiter 
der Wunde fand. Nach langem Krankenlager genas die Patientin 
und konnto 4 Monate nach der Verletzung das Spital geheilt ver¬ 
lassen. 

Im Anschlüsse an diesen Fall bespricht Verf. („Beitr. z. klin. 
Chir. u , Bd. 33, 11. 2) die Therapie ähnlicher Fälle. Vor allem soll 
der Infectionsherd eröffnet, die Kleiderfetzen und das Projectil ent¬ 
fernt werden, wie in dem oben beschriebenen Fall. Gegen die 
Allgemeininfection wurde die CREDä’sche Silbercur durchgeführt, 
u. zw. wurden jedesmal 3 Grm. Unguentum Crede in Intervallen 
von 3 Tagen (zusammen 30 Grm.) eingerieben. Außerdem wurde 
Natrium salicylicum per Klysma in ziemlich hohen Dosen gereicht 
(bis zu 8 Grm.) und noch auf andere Weise die Diaphorese und 
Diurese gesteigert, um eine raschere Ausscheidung der Kokken 
und Toxine durch die Secrete zu bewirken. Gegen das hohe Fieber 
wurden Antipyretica angewendet und zur Hebung des Appetits ein 
Chinadecoct gegeben. Erdheim. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 26. 


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Sahli (Bern): Zur chirurgischen Behandlung des Ma¬ 
gengeschwürs. 

Die bisherigen Thatsachen sprechen nicht dafür, daß die 
interne Therapie des Magengeschwürs erheblich zu Gunsten der 
chirurgischen Behandlung einzuschränken ist. Die meisten bisher 
operirten uncomplicirten Fälle von Magengeschwür beweisen bloß, 
daß das Magengeschwür auch nach Operationen heilen kann 
(„Corresp.-Bl. f. Schweizer Aerzte“, 1902, Nr. 12). 

Die Gastroenterostomie, welche bisher beim Magengeschwür 
vorwiegend Anwendung fand, ist indicirt bei unpassirbaren 
anatomischen Stenosen des Pylorus, wie sie durch Narbenbildung 
und Verwachsungen beim Magengeschwür zustande kommen können. 

Es ist nicht bewiesen, daß die Gastroenterostomie ein empfeh- 
lenswerthes Mittel zur Stillung von Magenblutungen ist. Die meisten 
Magenblutungen stehen auf zweckmäßige diätetische Verordnungen 
von selbst, und von denjenigen Blutungen, derer man auf diesem 
Wege nicht Herr wird, besonders jenen gefährlichen Blutungen 
aus der Arteria linealis, ist der Nachweis nicht erbracht, daß sie 
durch die Gastroenterostomie gestillt werden können. Im Gegentheil 
sind Fälle bekannt, wo im Anschluß an Gastroenterostomien tödt- 
licbe Magcnblutungen erfolgten. Die meisten Magenblutungen, welche 
wirklich lebensgefährlich werden, erfolgen foudroyant. Der Zustand 
des Patienten ist dann gewöhnlich sofort so, daß an einen Eingriff 
nicht gedacht werden kann. 

Die therapeutischen Resultate der internen Behandlung des 
Magengeschwürs können erheblich verbessert werden, wenn man 
die übertriebene Scheu aufgibt auch bei Magengeschwüren, da wo 
sie mit Stauung des Mageninhaltes combinirt sind, rechtzeitig durch 
regelmäßige therapeutische Anwendung der Magensonde die Stauung 
zu beseitigen. 

Es ist nicht bewiesen, daß diejenigen Magengeschwüre ohne 
anatomische narbige oder adhäsive Pylorusstenose, welche durch 
innere Behandlung nicht heilbar sind, durch Ausführung der Gastro¬ 
enterostomie heilbar werden, denn es handelt sich bei diesen unheil¬ 
baren Formen erstens um die ganz großen, einen erheblichen Theil 
der Magenfläche einnehmenden und zweitens um diejenigen Magen¬ 
geschwüre, welche unter Bildung von Verwachsungen sich in Leber, 
Pankreas u. s. w. eingefressen haben. 

Die operative Behandlung des Magengeschwürs würde theo¬ 
retisch anders zu beurtheilen sein, wenn statt der Gastroenterostomie 
Excision der Geschwüre als chirurgische Normalbehandlung empfohlen 
würde. Praktisch wird jedoch auch dies an der Sachlage nicht 
viel ändern. 

Aufgabe der innern Medicin ist es, das Zustandekommen von 
solchen schlimmen Formen des Magengeschwürs durch frühzeitige 
Einleitung einer rationellen Behandlung, die wir ebenso gut be¬ 
anspruchen dürfen wie die Chirurgen, zu verhindern. 

Von einer großen Anzahl in der Literatur angeführter, an¬ 
geblich consequent intern behandelter Fälle von Magengeschwür, 
welche erst nach der Gastroenterostomie heilten, kann keineswegs 
zugegeben werden, daß die vorausgegangene interne Behandlung 
genügend war. 

Die Perforation des Magengeschwürs ist, wo möglich, operativ 
zu behandeln. B. 

Jenö Kollarits (Budapest): Der myasthenische Sympto- 

mencomplez. 

K. theilt („Deutsches Archiv f. klin. Med. u , 1902, Bd. 72, 
Heft 2) die Krankengeschichten zweier an Myasthenie leidender 
Kranken mit und erörtert die Pathogenese dieser Affection. 

Unter den myasthenischen Symptomencomplexen gibt es ver¬ 
schiedenartige Erkrankungen, a) Familiäre Erkrankungen. Charakte¬ 
ristisch sind hier die Anfälle mit Schwäche oder Parese, doch 
können außerdem auch anhaltende Symptome vorhanden sein. 
Ilieher gehört Goldflamm’s paroxysmale Familienlähmung, b) Eine 
zweite Gruppe bilden die Fälle, die oft nach fieberhaften Krank¬ 
heiten entstanden oder mit Fieber verbunden sind. Diese sind zur 
Poliencephalomyelitis zu rechnen, c) Fälle mit Läsionen im Gehirn, 
d) Fälle, die im Anfangsstadium einer Krankheit stehen, deren 


Diagnose nur nach längerer Beobachtung festzustellen ist. Der 
negative anatomische Befund genügt nicht, um einen Fall zur 
Myasthenie zu rechnen. Atrophien und Entartungsreaction schließen 
Myasthenie nicht aus. Erschöpfbarkeit der Muskeln und Erschöpfungs- 
reaction haben nur beschränkten diagnostischen Werth. — In den 
Fällen K.’s war hereditäre Belastung nicht nachweisbar. Der An¬ 
fang der Krankheit zeigte sich im 24. Lebensjahre in Schwäche 
der Extremitäten, Doppelbildern und anfallsweise auftretender 
Schwäche. Diese Schwäche war öfter halbseitig, wechselnd rechts 
und links; die Schwäche der Augenmuskeln und der Extremitäten 
derselben Seite kam und verging gleichzeitig. Ermüdbarkeit zeigte 
sich auch in den Sehnenreflexen und der Pupillenreaction. B. 


Mackheim (Zürich): Ueber Arthritis gonorrhoica. 

Verf. erörtert die genannte Affection („Deutsches Arch. f. 
klin. Mcd. u , 1902, Bd. 72, H. 2) an der Hand von 52, an der 
EiCHHORST’ichen Klinik beobachteten Fällen. Neben den speciellen 
Eigenschaften der Gonokokken scheint für das Zustandekommen 
der Arthritis gonorrhoica auch die erworbene Disposition eine ge¬ 
wisse Rolle zu spielen. Eine prädisponirende Ursache bildet auch 
der acute Gelenksrheumatismus, ebenso Traumen. Die Annahme, 
daß die Arthritis gonorrhoica meist als Monarthritis auftrete, ist 
nicht stichhältig, doch werden nur in Ausnahrasfällen so viele Ge¬ 
lenke befallen wie beim acuten Gelenksrheumatismus. Die Schwellung 
des periarticulären Gewebes spielt eine sehr wichtige Rolle; sie 
kann entweder selbständig oder mit einem Erguß in das Gelenk 
auftreten. Die Dauer der Polyarthritis gonorrhoica ist sehr wechselnd, 
zahlreiche Complicationen, wie Bursitiden, Tendovaginitis, Iritis, 
Erytheme, Laryngitis, Herz- und Pleuraerkrankungen sind möglich. 
Auf der EiCHHORST’schen Klinik wird das erkrankte Glied im acuten 
Stadium in der Regel hocbgelagert, mit Eisblase, hydropathischen 
Umschlägen, Ichthyolsalbe-Einreibungen, Massage, localen Heißluft- 
und Sandbädern behandelt. Saloldarreichung ist manchmal von 
Wirkung. Die Häufigkeit der Ankylose als Ausgang wird von 
allen Autoren betont. . .. B. 


L. Rosenstein (Leiden): Ueber Leberfieber (FebriB he- 
patica). 

Unter bestimmten, nicht näher bekannten Verhältnissen kommen 
im Verlaufe der hypertrophischen mit Icterus verbundenen Cirrhose 
und der „secundären Schrumpfleber“ unabhängig von Complicationen 
Perioden intermittirenden Fiebers vor, welche Tage, Wochen oder 
Monate lang dauern und mit völlig fieberfreien Perioden abwechseln 
können („Intern. Beiträge z. inneren Med.“, 1902). 

Dieses intermittirende Fieber tritt meist Nachmittags oder 
Abends ein, mit und ohne begleitende Schüttelfröste, und im Typus 
der Quotidiana. Zuweilen fällt die höchste Temperatur in die 
Morgenstunden. Typus inversus. Von den verschiedenen Antipyroticis 
und Antitypicis ist Chinin bisweilen wirksam, versagt aber meist; 
Arsenik ist völlig unwirksam. Natrium salicyl. wirkt verhältniß- 
mäßig noch am besten. Spontan treten öfters langdauernde Apyrexien 
ein, welche durch kurze, zuweilen nur einen Tag dauernde inter¬ 
currente Temperaturerhöhungen unterbrochen werden. Außer dem 
intermittirenden Typus zeigt das begleitende Fieber in einzelnen 
Fällen sonst gleicher Art den remittirenden Typus. Der Grund, 
warum in der einen Reihe von Fällen Fieber eintritt, in der 
anderen nicht, ist uns hier ebensowenig bekannt wie bei dem 
Gallensteinfieber. Wie bei letzterem ist auch bei der Cirrhose das 
Vorhandensein oder Fehlen des Icterus kein entscheidendes Moment 
fiir die Genese des Fiebers, das aber auch hier mit höchster 
Wahrscheinlichkeit als infectiös anzusehen ist. Oft wiederholte 
Punctionen der Leber und Milz haben in den betreffenden Fällen 
bei Culturversuchen auf verschiedensten Nährböden zu keinem 
positiven Resultate geführt und weder Bacterinm coli noch andere 
Mikroben finden lassen. Auch die Untersuchung des Blutes auf 
Plasmodien fiel in diesen Fällen stets negativ aus. B. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 20. 


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A. Celli (Rom): Zur Aetiologie der Dysenterie. 

Aue den letzten experimentellen Studien zur Aetiologie der 
Dysenterie (die in Italien von Celli, Galli-Valehio und Vala- 
gussa, in Egypten vor Celli, in Japan von Shiga, in Deutsch¬ 
land von KRUSE und auf den Philippinen von Flbxner angestellt 
worden sind) geht hervor, daß die Ursache dieser Infectionskrank- 
heit ein Bacillus ist, der zu der Familie der Bacterien coli aller 
Wahrscheinlichkeit nach gehört. („Intern. Beitr. z. inneren Med.“, 
1902, S. 627.) 

Die wenigen morphologischen und culturellen Verschieden¬ 
heiten, die die Autoren zwischen den von ihnen isolirten Bacillen 
gefunden haben, haben bei dem heutigen Stand der Bakteriologie 
keinen entschiedenen differentiell-diagnostischen Werth mehr. Es 
ist noch nicht gewiß, ob man mit der Serumdiagnose die von den 
verschiedenen Autoren bei der Dysenterie isolirten Bacillen unter¬ 
scheiden kann. Wahrscheinlich haben die toxischen Producte der 
Dysenteriebacillen einen größeren differentialdiagnostischen Werth. Die 
Serumtherapie konnte bis jetzt auch in dieser Krankheit mit gün¬ 
stigem Erfolge angewendet werden. G. 

W. N. Clemm (Berlin): Ueber Verhütung und innere Be¬ 
handlung des steinbildenden Katarrhs. 

Förderer eines steten Gallenflusses ist in erster Linie Fett¬ 
nahrung; einen energischen Reiz in dieser Beziehung stellen die 
Eiweiße dar, während die Kohlenwasserstoffe bezüglich Anregung 
des Gallenflusses sich indifferent verhalten. („Ther. Monatsh.“, 
1902, Nr. 4.) 

Damit ist eine diätetische Prophylaxe und diätetische Therapie 
der Gallensteinkrankheil: uns an die Hand gegeben; auch der Um¬ 
stand, daß das weibliche Geschlecht und das höhere Alter so 
ungleich öfter von der Cholelithiasis befallen werden, findet, in 
diesem Lichte betrachten, eine weitere Erklärung: Das Alter wendet 
sich, zum Theil schon wegen der eintretenden Erschwerung des 
Kaugeschäftes, den vom weiblichen Geschlechte von vorneherein 
meist so überwiegend bevorzugten Kohlehydrateu zu; treten zu 
infolgedessen träge gewordenem Gallenfluß noch die bekannten 
Schädlichkeiten anderer Art hinzu, so ist eine Bakterienentwicke 
lung und Steinbildung in der stockenden Flüssigkeit leichter mög¬ 
lich, als wenn die Galle flott strömt. 

Nachdem Verf. das in Pillenform hergestellte Eunatrol in ein¬ 
schlägigen Fällen erprobt hatte, suchte er die Seife in Lösung zu 
geben, einmal, um das Schlucken der vielen abscheulich großen 
Kugeln den Patienten zu ersparen, dann um alle Verluste durch 
Passiren ganzer Pillen im Kothballen aus dem Darmcanal, jedenfalls 
das Vorbeigleiten über die Papilla Vateri hinaus zu vermeiden, 
und endlich, um das den Appetit beeinträchtigende Mittel besser 
bekömmlich zu gestalten. 

Als Geschmackscorrigens verwendete Cl. die Ananasessenz. 
Indem er 20 Tropfen hievon einer Emulsion von 10 Eunatrol und 

5 Baldriantinctur in 150 Pfefferminzwasser zusetzte, erhielt er 
eine Arznei, die leidlich gut zu nehmen war und keineswegs den 
Magen angriff. Vorzüglich, doch wesentlich theuerer ist die Mixtur 
bei Zusatz von Validol statt Baldrian. 

Die Cur gegen die festgestellte Krankheit hat — außer 
Trinkcur, Kataplasmen etc. — zunächst die Gabe von 3 Eßlöffeln 
Eunatrolmixtur in der angegebenen Weise ins Auge zu fassen, und 
zwar so, daß Abends vor dem Schlafengehen und Morgens nüchtern 
je 1 Eßlöffel genommen, während der dritte zur Mittagsmahlzeit ge¬ 
geben wird; der letztere bleibt, sobald Nachlaß der Erscheinungen 
zu bemerken ist, weg; Abends und Morgens werden noch 4 bis 

6 Wochen lang je 1 Eßlöffel voll genommen, während der Abend- 

löffel mindestens 3 Monate lang zu gebrauchen ist. B. 

H. Winternitz (Halle a. s.): Ueber die Wirkung verschie¬ 
dener Bäder (Sandbäder, Soolbäder, Kohlensäure¬ 
bäder u. s. w.) insbesondere auf den Gaswechsel. 

Unter der Einwirkung von Sandbändern findet eine so be¬ 
trächtliche Vermehrung des Sauerstoffverbrauches nnd der Kohlen¬ 
säurebildung statt, daß sie die Steigerung, die der Sauerstoffconsum 


und die Kohlensäureproduction selbst in hochfieberhaften Processen 
erfahren, erheblich überschreitet; dabei ist im Vergleich zu den 
heißen Bädern der Anstieg der Körpertemperatur mäßig und die, 
Alteration des Allgemeinbefindens gering („Deutsches Arch. f. klin. 
Med. u , 1kl. 72, 11. 3 u. 4). Soolbäder bewirken eine kaum nennens- 
werthe Steigerung der Oxydationsvorgänge , während stark haut¬ 
reizende Bäder (Senfbäder) eine erhebliche Vermehrung der Wärme¬ 
bildung , der Sauerstoffabsorptiou und der Kohlensäureproduction 
bedingen. 

Im Kolilensäurebad findet, eine Itesorptiou von Kohlensäure 
statt, die für die therapeutische Wirkung von Bedeutung ist. 
Schwefelbäder sind ohne Einfluß auf den Gaswcchsel. B. 

Spengler (Davos): Zur Diagnose und Prognose der 
Büsch- und Begleitinfection der Lungentuber- 
culose. 

Unter Mischinfection bezeichnet Verf. („Centralblatt für Bakterio¬ 
logie, Parasitenkunde und Infectionskrankheiten“ , Bd. 30 , H. 20) 
die Secundärinfection tuberculöson Granulationsgewebes. Die Tuberkel¬ 
bacillen wachsen in solchen Fällen in innigster Gemeinschaft mit 
den anderen Bakterien, sind daher im Sputum nach der Koch- 
KiTASATO’schen Waschmethode nicht zu trennen und gelangen in 
den Culturen gemeinsam zur Entwickelung. Begleitinfection ist „die 
chronische Bronchitis der Lungentuberculösen“. Hier sind Tuberkel- 
baeillen und Secundärbakterieu mechanisch trennbar, in der ge¬ 
waschenen Kernflocke des Sputum kommen im Gegensatz zur Misch¬ 
infection die secundär hinzugetretenen Bakterien nicht zur Ent¬ 
wickelung. Die Waschmethode des Sputums erwies sich dem Verf. 
in dieser Hinsicht als sehr zuverlässig. In seinen weiteren Aus¬ 
führungen betont Verf. die Bedeutung der Mischinfection der 
Tubereulose mit einem langgliedrigen Streptococcus („Streptococcus 
longissimus“); dieser Befund berechtige, die Prognose als infaust 
zu bezeichnen, selbst schon zu einer Zeit, da das klinische Bild 
noch nicht so hoffnungslos ist. Die Prognose der chronischen Be¬ 
gleitbronchitis bezeichnet Verf. als gut; sie beeinflusse den Gang 
der Tuberculose nicht so wie die Mischinfection. Dr. S—. 


Kleine Mittheilungen. 

— Zur Behandlung von Dysenterie bei Kindern applicirt 
Rogaz („Gaz. hebd. des Sciences m6d.“, 1901, Nr. 50) 2—3mal 
täglich Klystiere mit Sauerstoffwasser (10 Theile verdünnt mit 
5 Theilen sterilisirtem warmen Wasser). Ein Entleerungsklystier 
wird vorausgeschickt. Die in das Rectum gebrachte Flüssigkeits¬ 
menge variirt nach dem Alter der Pat. und nach der Toleranz 
des Dickdarms. Das Klystier muß so lange als möglich behalten 
werden. Dazu ist eine längere, aber sehr biegsame Sonde zu ver¬ 
wenden. Man darf nie daran vergessen, daß die dysenterischen 
Läsionen in der Hauptsache im Rectum ihren Sitz haben. Jede 
Verletzung dieser Gegend ist nicht nur sehr schmerzhaft, sondern 
auch gefährlich. Nach dem Klystier ist ein häufiger Lageruugs- 
wechsel empfehlenswerth. Unter diesen Vorsichtsmaßregeln werden 
die Klystiere sehr gut vertragen und rufen keinen Schmerz hervor. 
R. hat so 10 Dysenteriefälle bei Kindern von 2—12 Jahren be¬ 
handelt und günstig beeinflußt. Der Erfolg machte sich schon in 
den ersten 2—3 Tagen bemerkbar. Die Stühle verändern schnell 
ihr Aussehen, sie enthalten weniger Eiter und Blut, werden weniger 
häufig. Der Sphincter gewinnt seinen Tonus wieder. Der Tenesmus 
bessert sich. Die Abdominalschmerzen schwinden; zugleich damit 
tritt Hebung des Allgemeinbefindens ein. In febrilen Fällen 
schwindet das Fieber. Das Aussehen wird besser. In 8 —10 Tagen 
ist völlige Heilung erzielt. Um sicher zu sein, daß die Heilung 
wirklich cintritt, muß man die Medic.ation einige Tage nach dem 
Verschwinden der Erscheinungen fortsetzen, selbst wenn die Stühle 
nach Quantität und Qualität bereits die Norm erreicht haben. 
Vorzeitiges Aufhören ist oft Anlaß von Rückfällen. 

— Ueber Stypticin als locales Hämostaticum berichtet 
It. Kaufmann („Monatshefte f. prakt. Dermal.“, 1902, Bd. 34). 
Verf. wendet dieses Mittel zur Stillung parenchymatöser Blutungen 


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1239 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 26. 


1240 


an. Beim Endoskopiren drückt er mittelst Tamponträgers in 2 D / 0 igc 
Stypticinlösung getauchte Watte wider die blutende Fläche und 
erzielt stets, falls die Blutung nicht von einer entfernteren strictu- 
rirten Stelle herrührt, eine sehr prompte Stillung, so daß die 
Untersuchung stets zu Ende geführt werden kann. Ob Blutungen, 
die von höher gelegener Stelle herrühren, auch durch intra- 
musculäre Injection von Stypticin gestillt werden können, darüber 
besitzt K. keine eigene Erfahrung. Besonders werthvoll hat sieh 
die locale Blutstillung dieses Mittels bei Blutungen nach Bougie¬ 
rungen , sowie bei Dilatationen nach Oberländer - Kollmann 
erwiesen, ln solchen Fällen führt man früher Urethralstäbchen in 
die Harnröhre von folgender Zusammensetzung ein: 

Rp. Stypticini. 0 03—0 04 

01. Cacao. 15 

M. F. bacilli urethrales long. Cm. 10, Crassit. 

Mm. 4. 

In neuerer Zeit wendet Verf. indeß statt 01. Cacao Gelatine in 
gleicher Dosis an, wodurch eine viel promptere und sicherere 
Blutstillung bewirkt wird, während die Injection von Gelatine selbst 
allein nicht so prompt wirkt. Weiter leistet das Stypticin sehr 
nützliche Dienste zur Blutstillung nach Exstirpation kleiner Ilaut- 
geschwülstc, wie Warzen und vor Allem der Coudylomata acumi- 
nata, sowie bei blutenden Geschwüren. Desgleichen ist es werthvoll 
bei Phiraosenoperationen zur Stillung der kleinen parenchymatösen 
Hämorrhagien, wie sie bei der Loslösung von Verwachsungen des 
inneren Präputialblattes mit der Glans entstehen. Zu diesem Zwecke 
wandte es K. in Form der im Handel vorkommenden 30%igen 
Stypticinwatte oder -Gaze an. 

— Den Einfluß des Salzgehaltes der Trinkquellen auf die 
Blutbeschaffenheit studirte Dünschmann („Zeitschr. f. klin. Med.“, 
Bd. 44). Er beschreibt die Veränderungen, welche das Blut zweier 
Kaninchen nach länger dauernder Einverleibung von Homburger 
Elisabethbrunnen (einmal per os, das anderemal intraperitoneal) 
erlitten hatte. Bestimmt wurden: Das specifische Gewicht, der 
osmotische Druck, der N-Gehalt, die Asche. Die Ergebnisse lauten : 
Der Wassergehalt des Blutes nimmt verhältnißmäßig erheblich 
(um 2—3%) zu. Die Gesammtmenge der Trockensubstanz nimmt 
ab (um 8'3°/ 0 im ersten und um 16'05% im zweiten Falle). Die 
Menge des im Blute gelösten Eiweißes nimmt ebenfalls ab, und zwar 
verhältnißmäßig stärker als die der übrigen im Blutwasser gelösten 
festen Bestandteile. Die Dichte des Blutes nimmt etwas ab, dagegen 
nimmt der osmotische Druck nicht unerheblich zu. Daraus folgt, 
daß die Gesammtmenge der im Blute gelösten festen Bestandtheile, 
da sie relativ ärmer wird an stickstoffhaltiger Substanz, zunehmen 
muß an stickstofffreien Substanzen. Da nun der bei spontaner 
Gerinnung sich abscheidende Blutkuchen vor und nach der Be¬ 
handlung ganz gleich zusammengesetzt ist, so kann die stattgehabte 
Veränderung nur das Serum betreffen. Thatsächlich wies dieses 
dieselben Abweichungen auf wie das Gesammtblut. Mit anderen 
Worten: Die Salzbestandtheile des Mineralwassers treten in das 
Blutserum über. 

— Ueber Fersan berichtet Jan Stock („Casopis ceskych 
lekarü“, 1902, Nr. 12). Fersan wird sehr gut vertragen und be¬ 
währt sich als ein intensiv wirkendes Kräftigungsmittel. Besonders 
überraschend ist die merkliche Steigerung des Appetites und der 
prompt wirkende Reiz auf die blutbildenden Organe. In der 
Therapie der Chlorose und Anämie gebührt dem Fersan eine 
hervorragende Stelle, da es absolut keine Verdauungsstörungen 
zur Folge hat und selbst in schweren Fällen eine wesentliche 
Besserung der Blutbeschaffenheit bedingt. Der Vorzug des Fersans 
vor allen anderen Eisenpräparaten besteht darin, daß es als eisen¬ 
haltiges Acidalbumin gewissermaßen eine leicht resorbirbare eisen¬ 
haltige Nahrung darstellt, welche keine Ansprüche an die Ver¬ 
dauungsfähigkeit des Patienten stellt. 

— Die physiologische Wirkung der Massage auf den 
Muskel erörtert Rüge („Arch. f. An. u. Phys.“, 1901, H. 5 u. 6). 
R. hat experimentell die Wirkung der Massage auf den Thier¬ 
muskel , resp. auf die vom Nerven aus mit Inductionsschlägen 
hervorgebrachten Muskelzuckungscurven am Kymographion studirt 
und bestätigt die bekannte Anschauung, daß Massage den er¬ 


müdeten wie den frischen Muskel zu größerer Arbeit fähig mache, 
resp. daß bei gleicher Reizstärke beim massirten Muskel größere 
Hubhöhen erreicht werden, als beim ermüdeten. Ruhepansen haben 
nicht so kräftigen Einfluß wie gleich lange fortgesetzte Massage. 

— Kurze Mittheilungen über Bromipin publicirt Wassing 
(„Medico“, 1902, 19. März), der dasselbe in ziemlich ausgedehnter 
Weise bei der Epilepsie angewendet hat. Die Wirkung des Bromipins 
zeigte sich bei einer sehr lang andauernden und hartnäckigen Form 
von Epilepsie sehr deutlich. Desgleichen konnten die günstigen 
therapeutischen Eigenschaften des Bromipins in mehreren Fällen 
von Eclampsia infantum, ebenso während längerer Zeit andauernder 
Bronchitis bei Keuchhusten, sowie bei einem an Epileptoid mit 
vorübergehenden Bewußtseinsstörungen leidenden Knaben constatirt 
werden. 

— Das Calomel in der Behandlung der Influenza empfiehlt 
Bergmann („Rev. de ther. raed.-chir. u ). Er reicht das Mittel in 
Dosen von 0’12 Grm. alle 2 Stunden bis zur stark abführenden 
Wirkung. Bei der gastro-intestinalen Form gibt er das erstemal 
0 - 36 Grm-, und wenn sich nach 6 Stunden noch keine Wirkung 
gezeigt hat, eine zweite gleich große Dose. Die erste Wirkung 
dieser Behandlung äußert sich in einem Abfall des Fiebers nach 
der ersten Stuhlentleerung. Die Kopf- und Muskelschmerzen nehmen 
ebenfalls ab und das Allgemeinbefinden bessert sich. Die Calomel- 
behandlung ist bei allen Formen der Influenza indicirt. 

— Seine Erfahrungen mit einer flüssigen Formalin86ife 
publicirt Dohrn („Deutsche med. Wschr.“, 1901, Nr. 43). Dieselbe 
war ursprünglich zu Versuchen über Händedesinfection bestimmt. 
Er wandte dieselbe dann zu Versuchen über die Einwirkung auf die 
Nachtschweiße der Phthisiker an. Zur Verwendung kam eine flüssige 
Formalinseife mit 10% Formalin, welche von der Firma Th. Hahn 
& Co. in Schwedt a. 0. hcrgestellt wird. Bei Kindern wurde eine 
5%ige Seife benutzt. Außerdem wurden auch Versuche mit einer 
anderweitig hergestellten, festen Formalinseife gemacht, jedoch 
stand dieselbe an Wirksamkeit weit hinter der flüssigen zurück. 
Die Anwendung geschah folgendermaßen: Der ganze Rumpf wird 
Abends mit der flüssigen Seife energisch circa eine Minute lang 
eingerieben und dabei zugleich eine Massage der Haut ausgeübt. 
Darauf wird die Seife mit einem feuchten Tuche abgeschäumt und 
der Körper sorgfältig abgetrocknet. Diese ganze Procedur wird 
von dem Kranken als sehr angenehm und erfrischend empfunden. 
Einerseits übt das Formalin einen leichten Reiz auf die Haut aus, 
andererseits wirkt die wegen der öligen Beschaffenheit der Seife 
leicht ausführbare Massage anregend auf die Hautcirculation. Das 
Gleiche leistet auch die sich daran anschließende Abreibung mit 
kühlem Wasser. Man muß sich selbstverständlich hüten, die Seife 
mit den Schleimhäuten in Berührung zu bringen. Unangenehme 
Reizerscheinungen durch das verdunstende Formalin auf die Con- 
junctiven hat D. nur einmal bei einer Frau gesehen, ohne daß 
dieselbe jedoch auf Fortsetzung der Einreibungen verzichten wollte. 
Das Präparat ist billig. 

— Die Verwerthbarkeit der Glutoidkapseln für die Dia¬ 
gnostik der Darmerkrankungen, speciell der Erkrankungen des 
Pankreas erörtert Fromme („Münch, med. Wschr.“, 1902, Nr. 15). 
Tritt die Glutoidreaction innerhalb der Normalzeit, d. h. innerhalb 
3%—5 Stunden auf, so beweist das unter allen Umständen erstens 
eine gute Magenmotilität, zweitens eine gute Pankreasfunction. Tritt 
die Glutoidreaction später als nach 4 oder 8 Stunden ein, so kann 
das auf verschiedenen Gründen beruhen. Erstens können die Kapseln 
durch die verschiedensten Ursachen im Magen zurückgehalten 
worden sein, ja, sie brauchen unversehrt den Magen gar nicht 
verlassen zu haben, sondern sie haben sich in ihm gelöst und der 
Inhalt ist später im Darme zur Resorption gelangt. Denn wir 
haben ja kein Mittel, nachzuweisen, daß die Kapseln noch im 
Magen sind. Es kann aber zweitens auch die Pankreasfunction 
unzureichend sein. Dieser Schluß darf wegen der noch mitspielen¬ 
den Factoren immer nur mit großer Vorsicht gezogen werden. 
Eine Bestimmung der Magenmotilität mit der Ausheberuugsmethode 
ist bei Anwendung von Glutoidkapseln unerläßlich. 


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1241 


1902. 


Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 26. 


1242 


Literarische Anzeigen. 

Handbuch der physikalischen Therapie, Herausgegeben 

von Dr. A. Goldscheider, a. o. Professor in Berlin und Dl*. Paul 

Jacob, Privatdocen d in Berlin. Theil II, Bd. 2. Mit 86 Abb. 

Leipzig 1902, G. Thieme. 

Mit dem vorliegenden Bande ist das große Sammelwerk der 
physikalischen Heilmethoden beendet. Er enthält den Schluß des 
speciellen Theiles, und zwar die physikalische Tiierapie der Er¬ 
krankungen der Circulationsorgane, bearbeitet von Lazarus, Litten 
und Leuhoff, der Nieren (II. Senator), der Erkrankungen der 
tieferen Ilarnwege (C. Posner) , der Erkrankungen der männ¬ 
lichen Geschlechtsorgane (Fürbringer), die Darstellung der phy¬ 
sikalischen Therapie in der Gynäkologie und Geburtshilfe aus der 
Feder Gottschalk’s und Kisch’s, die Physeotherapie der Krank¬ 
heiten des Intestinaltractus (bearbeitet von Riegel, v. Jaksch und 
M. Einhorn), der Leber und Gallenblase (II. Strauss), der Milz 
(II. Strauss), endlich ein ausführliches Capitel über die physika¬ 
lische Behandlung der peripherischen Nerven und des Central¬ 
nervensystems, zu welchem Goldscheider, Frankl-Hochwart, 
P. Jacob, F. Jolly, Determann, A. Strasser, A. Hoffa und 
L. Laquer Beiträge geliefert haben. 

Der Elite der Mitarbeiterschaft entspricht die Qualität der 
Beiträge, die ausnahmslos dem Plane des Werkes sich accommo- 
diren und jeder für sich werthvolle Monographien des behandelten 
Themas darstellen. 

In diesen Blättern wurde bereits des Oefteren auf die Be¬ 
deutung des nunmehr vollendeten Werkes hingewiesen, welches, 

Feuilleton, 

Pariser Brief. 

(Orig.-Conesp. der „Wiener Med. Presse“.) 

III. 

— Ende April 1902. 

In der letzten Zeit haben Aerztc mehr mit den Pariser 
Richtern zu thun gehabt, als es für die Betheiligten und 
den gesammten ärztlichen Stand vortheilhaft ist. Das Publicum 
liest die betreffenden Berichte immer mit dem größten Interesse 
und das Gefühl des Mißtrauens gegen die Aerzte, das durch Jour¬ 
nalisten, Romanschriftsteller fortwährend wachgehalten wird, findet 
in den Echos aus dem Gerichtssaale immer neue Nahrung. Handelt 
cs sich um strafgerichtPche Fälle, urtheilt ein Geschwornengericht, 
dann ist die natürliche Folge eine das äußerste Maß übersteigende 
Strenge. Handelt es sich um civilgerichtliche Streitigkeiten, spielt 
sich der Fall nur zwischen dem Arzte einerseits und — man kann 
sagen — dem Richter und Clienten andererseits ab, so ist der Arzt 
sicher, den Kürzeren zu ziehen. In den Fällen letzterer Art, wo 
es sich um Schadenersatz wegen körperlicher Schädigung oder um 
Streitigkeiten wegen llonorarforderung handelt, ist dem Richter in 
seinen Entscheidungen vollkommene Freiheit gelassen und seine 
Urtheil8spriiche sind immer seine Willkürsprüche. 

Vor einigen Mon iten wurde ein Arzt, Dr. R . . ., zu 4000 
Francs Strafe verurtheilt, weil eine zu intensive Application der 
Roeotgenstrahlen bei einer Patientin ein schweres Erythem erzeugt 
hatte. Der College war nicht in der Lage, die verlangte Straf¬ 
summe zu erschwingen, und aus diesem Grunde und auch um gegen 
das Urtheil zu protestiren, haben sich die ärztlichen Gesellschaften 
der verschiedenen Bezirke von Paris vereinigt, um die Summe zu 
bezahlen. Kurze Zeit darauf wurde ein anderer, sehr bekannter 
Arzt, Dr. J., zu 2000 Francs verurtheilt, weil er durch das Ver¬ 
sehen eines Wärters eine Sublimat- statt einer Cocaininjection in 
den Zahnkiefer gemacht und dadurch eine Maxillarnekrose herbei¬ 
geführt hat. 

Besonderes Aufsehen erregte in den letzten Tagen ein Proceß 
zwischen einem der bekanntesten Nierenchirurgen, dem außer¬ 
ordentlichen Professor Al . . ., und einem Krämer aus Nanterre, 
einem Vororte von Paris. Der Chirurg hat bei der Frau des 


dem unaufhaltsamen Fortschreiten der physikalischen Methoden 
und dem Interesse entsprechend, das die Aerzte diesen Methoden 
entgegenbringen, einem Bedürfnisse abgeholfen hat. Die Schule 
Leyden’ s kann mit gerechtem Stolze auf das „Handbuch der phy¬ 
sikalischen Therapie“ verweisen; in ihm spiegelt sich die Förderung 
wider, die Leyden selbst in fruchtbarster Weise der Physeo¬ 
therapie widmet, wie die Schaffensfreude seiner Jünger, aus deren 
Reihen die verdienstvollen Herausgeber des prächtigen Buches hervor¬ 
gegangen sind. Bum. 


Die Vorgeschichte der antitoxischen Therapie der 
acuten Infectionskrankheiten. Von Dr. Max Neu¬ 
burger, Docent an der Wiener Universität. Stuttgart 1901, 
Ferdinand Enke. 

Der durch seine weitblickenden Arbeiten rasch bekannt ge¬ 
wordene Verf. bietet uns in dem vorliegenden Aufsatze einen bei 
der letztjährigen Naturforscherversammlung in Hamburg gehaltenen 
Vortrag in erweiterter Form. Mit der ihm eigenen interessanten 
und intcressirenden Schreibweise versteht er es, den an sich spröden 
Stoff zu formen und zu glätten, so daß sich die Arbeit einer reiz¬ 
vollen Skizze eines Feuilletonisten vergleichen läßt. Er begleitet 
die Entwickelung der modernen antitoxischen Therapie vom ersten 
Auftreten des Gedankens bis zu seiner Erfüllung und zeigt uns an 
der Hand der Geschichtsquellen, wie die Ideen der Mediciner vom 
Immunitätsprincip ausgehend mitten durch mystischen Sympathie¬ 
glauben, rohen Chemismus und antiparasiläre Therapie hindurch 
wieder zum Immunitätsprincip hinstrebteu. Fe. 


Krämers eine Laparotomie vorgenommen und für die erfolgreich 
ausgeführte Operation 6000 Francs begehrt. Der Patient verweigerte 
die Bezahlung, ließ sich einklagen und erlebte die Befriedigung, 
zur Zahlung von bloß 2500 Francs verurtheilt zu werden. Warum 
2500 Francs? Der Richter begnügte sich, in seinem Urtheile lako¬ 
nisch anzugeben, daß es „Pflicht des Arztes ist, sein Honorar den 
Vermögensverhältnissen seines Clienten“ anzupassen. 

Aber nicht nur die Richter, auch die Dramatiker beschäftigen 
sich jetzt viel mit Aerzten und ärztlichen Themen. In der letzten 
Theatersaison hat der Hypnotismus, der Säuferwahnsinn, zu komischen 
und dramatischen Effecten gedient; sogar die stillen Miseren der 
ärztlichen Concurrenz, die banalen Sorgen eines Landarztes haben 
das Interesse eines Dramatikers, glücklicherweise nicht auch de3 
Theaterpublicums, erweckt. Keines der aufgeführten Stücke hat 
aber solches Aufsehen erregt, wie ein nicht aufgeführtes, die 
„Avaries“ von Brieux. Die „Avaries“ sind die durch Venus Be¬ 
schädigten, und seit der Zeit ist es sogar ärztliche Sitte geworden, 
statt von Luetischen von Avaries zu sprechen. Der Autor Brieux, 
ein sehr talentirter Theaterschriftsteller, der schon in den Rem- 
playantes (die Stellvertreterinnen) die Frage der natürlichen und 
künstlichen Kinderernährung, die Ammenfrage, soweit sie die 
Mutterpflichten berührt, mit großem Erfolge auf der Bühne behan¬ 
delt hat, hat sich jetzt ganz dreist an die große Krankheit gewagt, 
die man noch immer als geheime Krankheit nicht beim Namen 
nennen will. Die Furcht vor dem Worte, die Hypokrisic auch der 
scheinbar freisinnig denkenden Männer, ist noch so groß, daß eine 
Ligue, die, unter dem Vorstande des Syphilidologen Fournier 
stehend, sich zur Hauptaufgabe die Abwehr und Verhütung der 
Syphilis gemacht hat, den Vorschlag, sich Ligue contra la Syphilis 
zu nennen, abgclehnt und sich lieber unter einem keuscheren 
Namen constituirt hat. Das Stück von Brieux hat gar kein dra¬ 
matisches Interesse. Es werden in ihm die Gefahren der here¬ 
ditären und in einigen Figuren die Entsetzen der tertiären Form 
der Lues vorgeführt. Das Stück ist so wissenschaftlich behandelt, 
daß das große Publicum, in seiner skandalösen Neugierde betrogen, 
sich bei der wissenschaftlichen Discussion tödtlich langweilt. Brieux 
hat diese traurige Erfahrung nicht in Paris gemacht, wo die Censur 
die Aufführung seines Stückes verbot, sondern in Belgien. 

Werden die Aerzte von dem Publicum verfolgt, so ist es nur 
recht und billig, wenn sie sich selbst von Zeit zu Zeit ein kleines 
Fest gönnnen. Gelegenheit dazu hätte der 2. Februar geben sollen, 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 26. 


1244 


an dem es gerade 100 Jahre waren, daß die Organisation an Spitäler 
und namentlich des Corps der Internen stattgefunden hat. Durch ver¬ 
schiedene Umstände hat das Fest am 2. Februar nicht stattfinden 
können, durch die dazwischen fallenden Kammerwahlen hat eine 
neuerliche Verschiebung des Festes stattfinden müssen, und so ist 
als wahrscheinliches Datum der 24. und 25. Mai fixirt worden. 
Prof. Brouardel und der bekannte Balneologe Durand-Fardel 
leiten die Organisation des Festes, das ganz brillant zu werden 
verspricht. Von den jetzt prakticirenden 1800 Internes haben 1200 
durch Beiträge subscribirt, um die muthraaßlichen Spesen von 
30.000 Francs zu decken. Der Glanzpankt des Festes wird die 
Enthüllung eines Monumentes sein, das zur Erinnerung an die 
im Dienste verstorbenen Internen ihre Collegen haben errichten 
lassen. Bildhauer Riech und Architekt Belouet haben ein Monument 
errichtet, das würdig ist der Idee, die es syrabolisiren soll. 

Bei Gelegenheit dieses, fast möchte man sagen, Familienfestes 
gedenken die Aerzte ernstlich daran, sich nicht allzusehr im Con- 
currenzneide aufzuessen, sondern sich lieber zu syndiciren und sich 
durch Gründung von ärztlichen Kranken- uud Unfallcassen gegen 
Noth, Alter, Krankheit zu sichern. Es existiren allerdings zwei 
größere ärztliche Vereinigungen , die diese Ziele verfolgen. Aber 
die Mitgliederzahl ist eine verhältnißmäßig beschränkte und die 
Aussicht auf Alters- und Witwenversorgung keine glänzende. Die 
älteste dieser ärztlichen Versicherungscassen ist die „Association 
generale“, deren Präsident im Vorjahre Lannelongue war und 
heuer Bsoüardel ist. Sie führte bisher eine bescheidene Existenz 
und stand an Bedeutung hinter der von Lagoquey gegründeten 
zurück. Die „Association generale“ wird aber in Zukunft zu sehr 
großer Bedeutung gelangen, da sie sozusagen eine officielle Insti¬ 
tution wird und dank einer Gesetzesbestimmung von 1900 von 
einer Unterstlitzungscasse sich zu einer Versicherungsanstalt wird 
erheben können. 

Aus dem Berichte der letzten Generalsitzung, der von Sere- 
boullet verfaßt ist, ist die Thätigkeit der Gesellschaft für 1901 
ersichtlich. Die Einkünfte bestehen aus den Jahresbeiträgen und 
den Zinsen des Grundcapitals; sie ermöglichten die Ertheilung 
von 86 Pensionen von 800 Francs und 2 Pensionen von 1000 
Francs und außerdem 10.000 Fraucs an die Witwen von Aerzten. 
Merkwürdigerweise wurden 78.000 Francs erspart, die dem Capitale 
zugeschlagen werden. In Zukunft wird die Thätigkeit der Gesell¬ 
schaft eine viel bedeutendere werden, schon aus dem Grunde, weil 
von nun ab statutengemäß die Gesellschaft für ihre Mitglieder die 
Prämien für andere Versicherungsgesellschaften wird bezahlen 
dürfen. Was heute die jungen Aerzte abhält, Lebensversicherungen 
einzugehen, ist eben die Furcht, die Prämien nicht bezahlen zu 
können. Diese Furcht soll den Aerzten dadurch benommen werden, 
daß die „Association gdndrale“ nothwendigen Falles die Bezahlung 
übernimmt. 

Die Einzahlungen sind verhältnißmäßig bescheidene. Für 
12 Francs jährlich Jahresbeitrag hat man nach 15 Jahren ein 
Recht auf eventuelle Unterstützung. Für 96 Francs jährlich erwirbt 
man gleich nach der Promotion ein positives Anrecht auf eine 
Jahresrente von 1200 Francs nach dem 60. Jahre; für 54 Francs 
Jahresbeitrag ein Recht auf 10 Francs pro Tag durch 60 Krank¬ 
heitstage und auf 100 Francs monatlich bei totaler Arbeitsunfähig¬ 
keit. Im Resurae kann man für 162 Francs jährlich, gleich nach 
der Promotion eingezahlt, sich gegen die Hauptgefahren der Pro¬ 
fession, Krankheit und Alter schützen. 

Der Arzt büßt von seiner Würde nur in den Augen der¬ 
jenigen ein, die noch die Ideen der längst vergangenen Zeiten haben. 
Heute fühlt sich der Arzt, mehr aber noch der Chirurg genöthigt, 
die sogenannten „Hilfswissenschaften“ der Medicin mitzubenützen, um 
den großen Kosten, die das gesellschaftliche Leben an ihn stellt, 
gewachsen zu sein. Und so war es in den letzten Tagen ein sehr 
erbauliches Schauspiel, einen der tüchtigsten Chirurgen Frankreichs 
bei Gelegenheit einer seltenen Operation Profit ziehen zu sehen 
von allen Untersuchungen, die er gleichzeitig mit der Chirurgie 
betreibt. Es handelte sich darum, ein xyphopages Monstrum zu 
operiren, da der eine Zwilling an Tuberculose erkrankt war und 
Gefahr bestand, daß die Schwester, es handelte sich um Mädchen, 


ebenfalls tuberculös inficirt würde. Das Pariser Publicum wurde 
durch Interviews mit dem berühmten Chirurgen und sogar durch 
ein Autoreferat über die Operation von allen Details informirt. Es 
erfuhr bei dieser Gelegenheit, wie oft ähnliche Operationen ausge¬ 
führt worden waren und mit welchem Glück, es wurde informirt 
von allen technischen Erfindungen des wunderbaren Chirargen, es 
wurde ihm bekannt gemacht, daß der betreffende Operateur ein 
eigenes, mit allem Comfort ausgestattetes Sanatorium für Operationen 
in Paris und für Reconvalescenten im Süden besitze, ja, es wurde 
ihm sogar in Erinnerung gebracht, daß der beste Champagner 
Eigenbau des betreffenden — Zauberkünstlers sei. Das Allermerk¬ 
würdigste an der Sache aber ist, daß trotz aller Reclame der 
Mann wissenschaftlich eine Größe und chirurgisch ein Künstler ist. 

L. 

Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

31. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für 

Chirurgie. 

Gehalten zu Berlin, 2.—5. April 1902. 

(Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) 

VIII. 

Ehrhardt (Königsberg): Ueber Leberwunden. 

Versuche an Thieren über die Unterbindung von Pfortader¬ 
ästen und des Hauptstarames der Leberarterie, deren Resultat war, 
daß weder die Aeste noch auch der Hauptstamm des Pfortader¬ 
systems ohne unter Umständen acut einsetzende Lebensgefahr unter¬ 
bunden werden können. 

Prutz (Königsberg): Ueber die Folgen der Darmgegenschaltung 
(zugleich ein Beitrag von der Lehre der Indicanurie). 

Vortr. berichtet historisch über die bisher gemachten Ver¬ 
suche von Darmgegenschaltung, von der Lebensgefahr der Gegen¬ 
schaltung größerer Darmabschnitte und über 12 eigene Versuche, 
die ergeben haben: 

1. ausnahmslos eintretende Erweiterung an beiden Enden 
der Naht, 

2. häufiges Steckenbleiben unverdauter Nahrungsstoffe an 
diesen Stellen, meist Retention von Knochen, manchmal Stecken¬ 
bleiben von Spreu, die sonst glatt passirt, 

3. Atrophie der Muscularis, 

4. enorme Vermehrung des Indicangehalts, der schnell steigt 
und monatelang auf gleicher Höhe bleibt, wie sie sonst nie beob¬ 
achtet wird. 

In einem Falle hat P. durch Gegenschaltung die paradoxe 
Erscheinung einer Erweiterung unterhalb einer Stenose erzeugt. 
Seine Stoffwechselversuche haben ergeben, daß die Thiere bei Darm¬ 
gegenschaltung ausnahmslos eine tiefe, schwere Schädigung des 
Stoffwechsels erfahren, die vielleicht den Weg zum Verständniß 
mancher kachektischen Zustände bahnen, welche noch keine klini¬ 
schen Erscheinungen von Darmstenose machen. . 

Bertelsmann (Hamburg): Ueber bakteriologische Blutunter¬ 
suchungen. 

Demonstration von Platten mit den im Blute gefundenen 
Kokken und Bakterien. In 100 Fällen hat B. 43 negative, 47 posi¬ 
tive Befunde gehabt bei Urethralfieber, Cystitis , Phlegmonen, 
Sehnenscheidenpanaritien etc. In zwei Fällen von Osteomyelitis hat 
erst die Blutuntersuchung Aufschluß über die Erkrankung gegeben. 
Er betont den diagnostischen Werth der Blutuntersuchung. 

Kümmell (Hamburg) : Die Grenzen erfolgreicher Nierenexstirpation 
und die Diagnose der Nephritis nach kryoskopischen Er¬ 
fahrungen. 

An 265 Patienten hat K. die Gefrierpunktsbestimmungen ge¬ 
macht und ist nun der Frage kritisch näher getreten, ob der Ge¬ 
frierpunkt von 0'56 bei gesunden Nieren richtig sei. Die Insufficienz 
der Nieren beginnt im Durchschnitt bei 0'61 ; von hier an soll 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 26. 


1246 


man daher nicht mehr operiren. An der Hand von Tabellen er¬ 
läutert er den Werth der Gefrierpunktsbestimmung bei den ver¬ 
schiedenen Nierenerkrankungen, die im Verein mit dem Ureteren- 
katheteri8mus genaueren Aufschluß geben wird, ob man noch 
operiren soll oder nicht. K. spricht dann über die Nephritis, die 
er meistens für doppelseitig hält und die durch ihre Schmerzen 
und Blutungen häufig den Chirurgen zugeführt werden. In Bezug 
auf die Hämaturie steht er ganz auf dem Standpunkt Israelis, 
daß diese wohl kaum ohne pathologisch-anatomische Grundlage 
einhergeht. Außer den beiden bekannten Fällen von Schede und 
Klemperer wird wohl keiner einwandsfrei sein. Auch die Blutung 
bei Nephritis fand er häufig doppelseitig. Bei der Behandlung der 
Nephritis vergleicht K. das Vorgehen Israel’s mit dem Edlef- 
sen’s, der methodisch durch die Abziehung der Kapsel gegen die 
Nephritis vorgegangen ist, während Israel nur das Symptom 
durch seine Spaltung beseitigt hat. Gewundert hat er sich darüber, 
daß E. die Nephritis für einseitig hält. Er empfiehlt dringend die 
Gefrierpunktsbestimmung mit dem Ureterenkatheterismus. 

F. Straus (Frankfurt a. m.): Zur Diagnostik der physiologischen 
und pathologischen Nierenfunction. 

S. hält die Bestimmungen der Chlor-, Stickstoff- und Zucker¬ 
ausscheidung sowie der molecularen Dichte für ausschlaggebend 
and erläutert das an einzelnen Krankengeschichten. Demonstration 
mehrerer Nierenpräparate. 

HlLDEBRAND (Basel) berichtet über zwei Fälle von in- 
termittirender Hy d r onephr ose, einer durch Abknickung 
und Fixation des Ureters, den er hinter der Abknickung durch- 
schnitt und in das Nierenbecken nach dem Vorgänge Küster’s 
einpflanzte. In dem zweiten Falle lag die hydronephrotische Niere 
im Becken, an ihrer Stelle die Milz, die aulfallenderweise von 
einer richtigen Fettkapsel umgeben war. 

Löwenhardt (Breslau): Zur functioneilen Nierendiagnostik. 

Redner glaubt , daß die Kryoskopie wohl eines von den 
vielen werthvollen Mitteln zur Bestimmung der functionellen Nieren- 
diaguostik ist, welches aber noch erweitert werden kann, und zwar 
durch die elektrische Prüfung des Widerstandes des Urins. L. er¬ 
läutert und demoustrirt das Verfahren und macht an Tabellen den 
Vorzug desselben vor der Gefrierpunktsbestimmung klar. Das höchst 
originelle Verfahren besteht darin, daß man an einem telephonischen 
Hörer den Widerstand des Urins hört, eine Inductionsrolle so weit 
dreht, bis im Telephon nichts mehr zu hören ist, bis der Wider¬ 
stand mit einem am anderen Ende eingeschalteten bekannten Wider¬ 
stande gleich ist, und dann abliest. 

Pels-Leusden (Berlin): Pathologisch-anatomische und klinische 
Beiträge zur Nierenchirurgie. 

P. berichtet über einige Fälle von Nierentumoren, die sich 
pathologisch-anatomisch als gutartige, papilläre erwiesen, während 
die Patienten später an Metastasen zugrunde gegangen sind. Bei 
einem Fall, wo nach Exstirpation des Tumors die Frau nach 
3 Monaten schon an zahlreichen Lebermetastasen zugrunde ging, 
fand man allerdings bei genauer Durchforschung des Tumors 
Wucherungen von Epithelzapfen. P. macht dann noch auf die 
Möglichkeit von Nierenblutungen durch kleine Zotten im Nierenbecken 
aufmerksam, wie er es in einem Falle beobachtet hat. Im Allge¬ 
meinen hält er die Tumoren des Nierenbeckens für bösartig. Er 
schließt sich deshalb den Forderungen Israel’s , bei den zottigen 
Tumoren des Nierenbeckens auch den ganzen Ureter mitfortzu- 
nehmen, vollkommen an, weil von diesem aus noch eine Infection 
der Blase stattfinden kann. 

REHN (Frankfurt a. M.) stellt einen Patienten mit Schädel¬ 
schuß vor. Diagnose: die Kugel sitzt in der Nähe des 
rechten Sinus cavernosus. Da keine bedrohlichen Symptome 
Vorlagen, wurde abgewartet. Am 7. Tage plötzlich Krämpfe, die 
sich schnell wiederholten, bedrohliche Zeichen einer großen intra- 
craniellen Blutung. Operation. Große Höhle im Schläfenlappen, 
Extraction eines Knochensplitters, dauernde Krämpfe während der 


Operation. Die Kugel saß im Keilbein fest. Bei der Extraction 
große Blutung. Tamponade. Die Krämpfe sistirten. Heilung nach 
anfänglichem Ilirnprolaps mit unvollkommenem Schluß des Kno¬ 
chenlappens. 


Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Med. Presse“.) 

Sitzung vom 19. Juni 1902. 

GOTTLIEB stellt einen TVojähr. Knaben mit Rachitis 
tarda vor. Die Symptome der Rachitis traten schon im ersten 
Lebensjahre auf, gegen welche zeitweise, aber nicht systematisch, 
Phosphorleberthran gegeben wurde. Der Knabe ist 80 Cm. hoch 
und 11 Kgrm. schwer und zeigt folgende Veränderungen: Caput 
quadratum, seitliche Thoraxabflachung, mit Callushypertrophic aus¬ 
geheilt. Fracturen der Schlüsselbeine und der Extremitätenknochen, 
starke Kyphoskoliose, Schlaffheit aller Gelenke, atrophische Mus- 
culatur, Auftreibung des Bauches, hochgradige Deformation de3 
Beckens (Conjugata 2 - 5Cm.), Einengung der seitlichen Beckenbuchten 
bis zur Spaltenform, welche andauernd zur Kothstauung in den 
Därmen Anlaß gibt. Der Knabe sitzt fortwährend unbeweglich. Im 
Urin sind Aceton und Zucker in Spuren nachweisbar. 

Th. Offer berichtet eingehend über den Harnbefund. Der Zucker im Harne 
wäre vielleicht durch Lymphstauung, hervorgerufen durch den Druck der stag- 
nirenden Kothmassen auf den Ductus thoracicus, zu erklären. Eine derartige 
Aetiologie der Zuckerausscheidung hat Redner in einem durch Obduction veri- 
ficirten Falle beobachtet (Verschloß des Ductus durch ein Magencarcinom). 

Ein. Schwarz spricht sich auf Grund seiner klinischen Erfahrung 
gegen die Annahme einer derartigen Erklärung der Zuckerausscheidung aus. 

JOS. SORGO bespricht unter Demonstration von Präparaten 
die Diagnose von Pleuratumoren aus der mikroskopischen 
Untersuchung der Punctionsflü$sigkeit. Dieselbe enthält vornehmlich 
epitheloide Zellen. Sie finden sich in Aggregaten, sind polymorph 
und gegenseitig abgeplattet; nicht selten sind auch einzeln liegende 
Zellen polymoTph,- geschwänzt, ein- oder raehrkernig; manche 
Autoren haben in ihnen auch Mitosen beobachtet. Diese Zellen 
zeigen oft eine Vacuolendegeneration, entweder in einer Zelle allein, 
wobei ihr Protoplasma von der Vacuolenflüssigkeit bis auf eine 
schmale Randzone verdrängt wird, oder in ganzen Zellaggregaten, 
bei denen die Zellgrenzen verschwunden sind. 

MAX WEINBERGER stellt einen 27jähr. Mann mit Milz¬ 
tumor, Lebercirrhose und Anämie vor. Pat. litt vor mehreren 
Jahren durch längere Zeit an schwerer Malaria. Plötzlich stellte 
sich Blutbrechen ein; es entwickelte sich ein Milztumor und ge¬ 
ringer Ascites. Im Blute fanden sich 2,200.000 rothe und 5000 
weiße Blutkörperchen, Hämoglobingehalt nach Fleischl 20%. 
Unter Arsen- und Eisenmedication besserten sich der Blutbefund 
und das Allgemeinbefinden, der Milztumor blieb aber bestehen. 
Die Leber ist nicht vergrößert, aber hart. Dieser Fall steht der 
BANTi’schen Krankheit sehr nahe, unterscheidet sich aber von ihr 
durch die Aetiologie (Malaria). Die Hämatemesis wäre als Symptom 
einer Stauung im Verdauungstractus anzusehen; ob eine später 
canalisirte Thrombose der Pfortader vorliegt, welche das Krank¬ 
heitsbild erklären würde, kann nicht entschieden werden. 

S. JELLINEK demonstrirt einen Fall von Verletzung durch 
Blitzschlag. Pat. wurde mit 12 anderen Personen in einer Capelle 
vom Blitze getroffen; alle blieben am Leben, zeigten aber verschie¬ 
dene Verletzungen am Körper, wie Verbrennungen und Röthungen 
der Haut, Perforationen derselben an der Fußsohle, am häufigsten 
unter einem Metatai'busköpfchen. Die Kleider waren nur zerrissen, 
aber nicht verbrannt; einem Manne wurde ein Stiefel vollständig 
in Stücke gerissen, während an der Fußsohle nur eine kleine Per¬ 
forationsöffnung sich vorfand. Der vorgestellte Pat. war durch 
einige Minuten nach dem Blitzschlag bewußtlos, klagte nach dem 
Erwachen über Schmerzen in Kopf, Rücken und Beinen, letztere 
sind seither gelähmt. Entlang dem linken M. sartorius zieht sich 
eine Brandwunde, eine handtellergroße Verbrennung befindet sich 
am Gesäß. Die Prognose der Blitzverletzungen ist meist gut, in 
manchen Fällen persistirt aber die Lähmung oder es kommt sogar 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 26. 


1248 


zu Gehirnstörungen. Bei Blitzschlag dürfte es sich um organische 
Läsionen im Centralnervensystem handeln. 

ÄRTH. Schiff demonstrirt die PunctionsflUssigkeit von einem 
Falle von Meningitis cerebrospinalis mit atypischem 
Verlaufe. 

Ein 52jähr. Mann erkrankte plötzlich unter Schüttelfrost und 
Temperatursteigerung bis 40'1° an rasendem Kopfschmerz, am 
nächsten Tage verschwand letzterer und die Temperatur sank auf 
38°. Dann bestand durch längere Zeit unregelmäßig intermittirendes 
Fieber ohne Erbrechen und ohne Kopfschmerz. In den letzten 
Tagen traten hie und da Somnolenz und unregelmäßige Puls¬ 
schwankungen zwischen 60—100 Schlägen in der Minute, beide 
ohne irgend eine Beziehung zur Höhe der Temperatur, ferner 
leichte anarthrische Störungen und Zuckungen in der rechten 
oberen Extremität auf. Als bedrohliche Hirndrucksymptome (Somno¬ 
lenz, Sopor, starker Kopfschmerz) sich einstellten, wurde die Lura- 
balpunction ausgeführt, welche zeigte, daß es sich um Cerebrospi¬ 
nalmeningitis handelte (trübes, eiteriges Exsudat mit reichlichen 
Diplokokken). Nach einer nochmaligen Punction hat sich das Be¬ 
finden des Pat. etwas gebessert. Ohne die Vornahme der Lumbal- 
punction wäre bei dem atypischen Verlaufe der Krankheit eine 
Diagnose nicht möglich gewesen. 

Nothnagel: Zur meningealen Apoplexie. 

(Siehe pag. 1217 dieser Nummer.) 


Aus 

medicinischen Gesellschaften Deutschlands. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Berliner medicinische Gesellschaft. 

C. Hamburger : Ueber die Berechtigung und Nothwendigkeit, 
bei tuberculösen Arbeiterfrauen die Schwangerschaft zu 
unterbrechen. 

Vortr. berücksichtigt bloß die ärmeren Arbeiterfrauen. Zu 
diesem Zwecke und zu einer richtigen Klarlegung der Frage ist es 
nöthig, auch die socialen Factoren mit in Rechnung zu ziehen, 
nämlich das Einkommen, die Wohnung, die auf die Miethe entfal¬ 
lende Quote des Einkommens, das Luftquantum der Wohnung, die Zahl 
der Geburten und Aehnliches. Dabei ergibt sich, daß die Arbeiter 
einen unverhältnißmäßigen Theil ihres Einkommens für Miethe aus¬ 
geben müssen und daß sie trotzdem nicht entfernt das für Kasernen 
u. dergl. aufgestellte Luftminimum zur Verfügung haben. 

In 10 Fällen war unter dem Einflüsse der Schwangerschaft 
immer eine Verschlimmerung eingetreten, in 5 ist die Prognose 
nicht absolut ungünstig, wenn weitere Conception vermieden wird. 

Es wäre also bei vorhandener Tuberculose die Schwanger¬ 
schaft möglichst zu verhindern, da dies aber wohl nur schwer 
durchzuführen, bei eingetretener Schwangerschaft diese möglichst 
bald (Abort) zu unterbrechen, und zwar unter Cautelen, d. h. es sollen 
stets zwei Aerzte unter Hinterlegung eines Protokolles arbeiten. 

Kaniiner erklärt sich gegen diese weitgehenden Ansichten; es sei durch¬ 
aus noch nicht feststehend, wie viel Tuberculose durch Schwangerschaft 
verschlechtert werden, und es werde auch nicht jede progrediente Phthise 
durch Unterbrechung einer eventuellen Schwangerschaft zum Stillstand ge¬ 
bracht. Er habe dies nur in 70% eintreten sehen. Nur bei Verschlech¬ 
terung einer Tuberculose unter dem Einflüsse einer Schwangerschaft sei man 
zur Unterbrechung dieser berechtigt, jedoch nicht verpflichtet. 

P. Jacob: Man darf sich zur Beantwortung dieser Frage nicht nur an 
die allerärmsten Kreise halten. In den besser situirten läßt sich auch durch 
andere Mittel manches Gute erzielen. So zeigen die Fälle von Hamburger die 
Wichtigkeit der Wohnung. 

Senator hat schon viele Discussiouen über dieses Thema gehört, ohne 
daß es zur Lösung gelangt wäre. Man könne die Frage nicht principiell ent¬ 
scheiden, sondern nur von Fall zu Fall. 


Verein für innere Medicin in Berlin. 

Hans Aronson: Ueber die specifische Färbung der Tuberkel¬ 
bacillen nebst Beiträgen zur Chemie der Bakterien. 

Die specifische Färbung der Tuberkelbacillen wurde von 
Hammerschlag, Klebs, R. Koch auf eine ätherlösliche Substanz 
im Bacillenleib zurückgeführt und diese Substanz wegen ihrer Lös¬ 
lichkeit in Aether als Fett aufgefaßt. H. Aronson hat dann nach¬ 
gewiesen, daß es sich nicht um Fett, sondern um Wachs handle. 
Helbing hat endlich vor 2 Jahren in diesem Verein die Ver- 
muthung ausgesprochen, daß die in Rede stehende Substanz Chitin 
sei. Vortr. nahm seine Untersuchungen nochmals in größerem Um¬ 
fange auf und kam auf Grund derselben zur Bestätigung jener 
Ansicht, daß die fragliche Substanz in der That Wachs sei. Wenn 
er nach der Methode , welche zur Chitingewinnung aus Krebsen 
verwandt wird, die fragliche Substanz aus den Tuberkelbacillen 
extrahirte, so erhielt er zwar einen die Farbe einige Zeit fest¬ 
haltenden Körper, derselbe gab jedoch nicht die für Chitin charak¬ 
teristischen Reactionen. Nähere Untersuchung des nach Entwachsung 
zurückgebliebenen Tuberkelbacillusrestes ergab, daß derselbe, wie 
er dies auch für Diphtheriebacillen früher gefunden, zum größten 
Theil aus Nucleoproteiden und anderen Nucleinsäureverbindungen 
bestehe, in welchen er auch schon früher Pentosen nachgewiesen 
hatte. Bisher ist es noch nicht geglückt, ein specifisches Tuber¬ 
kelbacillengift nachzuweisen, d. h. ein Gifc, welches auf gesunde 
Thiere specifisch wirke; das Tabercalin wirke ja nur auf tuber- 
culöse Thiere. Die von Behring angegebenen Stoffe hält Vortr. 
nicht für genügend einwandfrei. Doch sei ein solches Gift 
mit Sicherheit zu erwarten. In Schnitten findet man oft nur 
relativ spärliche Tuberkelbacillen, weil die farbzurückhaltende 
Substanz in den zur Einbettung angewendeten Mitteln (Aether, 
Xylol, Chloroform) löslich und also schon vor der Färbung extra- 
hirt ist. 


Notizen. 


Wien, 28. Juni 1902. 

(K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien.) In der 
gestrigen Sitzung demonstrirte zunächst Doc. Dr. Em. Ullmann 
eine Ziege, der er eine II u n d e n i ere unter die Halshaut 
implantirt hat. Die Nierenarterie ist mit der Carotis, die 
Nierenvene mit der Jugularis in Verbindung; die Secretion der 
Niere ist aufrechterhalten. — Hierauf stellte Dr. L. Hofbauer 
einen Mann mit Mitralstenose und linksseitiger Recur- 
renslähmung vor und führte dio letztere auf Compression des 
Recurrens durch den erweiterten rechten Ventrikel im Sinne von 
Kraus zurück. — Sodann demonstrirte Dr. Preleitner zwei Kinder 
(Geschwister) mit beiderseitiger, gleichartiger, congenitaler Mi ß- 
bildung der Clavicula. Die Anomalie besteht in einer Ab¬ 
knickung des Schlüsselbeins mit der Spitze nach aufwärts. Die 
beiden Kinder können ihre Schultern bis zur Berührung aneinander 
bringen und die Arme beinahe um 360° prouiren. — Prof. Dr. 
Frh. v. Eiselsberg zeigte einen Blasenstein, welchen er dem 
in der vorletzten Sitzung demonstrirten, an einer am Oberschenkel 
ausmündenden ßlaseufistel leidenden Kranken durch Sectio alta 
entfernt hat. Der Kern des Steines besteht aus einem Knochen¬ 
splitter, welcher wahrscheinlich von dem osteomyelitisch erkrankten 
Femur aus in die Blase eingewandert war. — Schließlich hielt 
Dr. Wilh. Schlesinger den angekündigten Vortrag: Ueber 
einige ursächliche Bedingungen für das Zustande¬ 
kommen der alimentären Glykosurie. Vortr. hat nach 
Unterbindung des Ductus thoracicus bei seinen Versuchsthieren 
niemals spontane Zuckerausscheidung gesehen, hingegen zeigten 
dieselben eine Herabsetzung der Assimilationsgrenze für Zucker, 
welche nach einigen Wochen einer Erhöhung derselben wich. In 
einer zweiten Versuchsreihe sah Sch., daß auch durch Choledochus- 
unterbindung eine Herabsetzung der Toleranz für Kohlehydrate 
eintrat. Durch Unterbindung des Ductus thoracicus und D. chole- 
dochus wurde stets die Assimilationsgrenze wesentlich herab- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 26. 


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gedrückt. — In der Discossion erhob Prof. Dr. Biedl Einwände 
gegen die Schlußfolgerungen des Vortr., Dr. Th. Offer und Prof. 
Dr. Pal erbrachten klinische Belege für das Zustandekommen von 
alimentärer Glykosurie durch Ductuscompression. 

(Reet orswähl.) Hofrath Prof. Dr. Karl Gussenbauer ist 
für das nächste Studienjahr zum Rector magnificus der Wiener 
Universität gewählt worden. 

(Wiener Aerztekammer.) Zu Beginn der Versammlung 
am 24. d. M. verkündete der Präsident ein Erkenntniß des Ehren- 
rathes gegen Dr. Carl Georg Panesch wegen Reclame und Führung 
eines als standeswidrig erklärten Titels. — Zum Delegirten für 
den am 7. und 8. September 1. J. in Czernowitz stattfindenden 
VII. Acrztekammertag wurde Präsident Dr. Heim, als Ersatz¬ 
mann Dr. Gruss gewählt. Die Aerztekammer beantragt, der Kammer¬ 
tag möge die §§ 34 und 35 des von der Regierung dem Abgeord¬ 
netenhause vorgelegten Preßgesetz-Entwurfes in Bezug auf Ankündi¬ 
gungen von Aerzten und Heilmitteln in Berathung ziehen. — 
Ucber ein Ansuchen der Krankencasse der Wiener Bank¬ 
beamten um Aeußerung über einen von der Cassa übermittelten 
neuen Statutenentwurf wurde beschlossen, die Verhandlungen mit 
dieser Casse abzubrechen, da seitens derselben die berechtigten 
Wünsche der Aerzteschaft (Freigebung der ärztlichen Behandlung) 
unberücksichtigt blieben und durch die Aufnahme eines neuen 
Punktes in das Statut, der niemals Gegenstand einer Vereinbarung 
war (unentgeltliche ambulatorische Behandlung) die Interessen der 
Aerzteschaft neuerdings geschädigt erscheinen. — Ein Antrag 
Dr. Stricker’s auf Einberufung einer allgemeinen AerzteVersamm¬ 
lung , in welcher den Aerzten Wiens Informationen zu geben 
wären, auf Grund welcher sie in der Lage wären, ihr Votum 
über die Anträge der Kammer auf Erweiterung der Disciplinar- 
gewalt des Ehrenrathes und die Errichtung eines Ehrengerichts¬ 
hofes abzugeben, wurde abgelehnt. — Sodann sprach sich die 
Kammer gegen einen Antrag der krainischen Aerztekammer aus, 
wonach die geschäftsführende Kammer in allen Angelegenheiten, 
welche gemeinsame Interessen betreffen, die Führung übernehmen 
solle. — Das Referat über den Antrag Dr. PüPlNi’s bezüglich der 
Ilintanhaltung der Curpfuscherei in Apotheken wurde zurückgc- 
stellt, ebenso ein Referat der Kammer, betreffend eine Aeußerung 
an die Statthalterei über eine Denkschrift eines annoncirenden 
Arztes an das Ministerium des Innern. 

(Personalien.) Marine - Oberstabsarzt I. CI. Dr. Eugen 
Grüber ist zum Vorstande der IX. Abtheilung des Reichs Kriogs- 
ministeriuras, Marine-Section, Prof. Dr. Johann Pfannenstiel zum 
Director der Universitäts Frauenklinik zu Gießen ernannt worden. 
— Prof. Rosthorn in Prag ist an die Stelle des verstorbenen 
Gynäkologen Adolf Kehrer nach Heidelberg berufen worden. 

(Kaiser Franz Joseph- Jubiläums-Kinderspital.) 
Am 25. d. M. hat die feierliche Schlußsteinlegi^g des ersten staat¬ 
lichen Kinderkrankenhauses Wiens stattgefunden. Die nächst dem 
Wilholminenspitale auf einer nahezu 200.000 Qm. umfassenden 
Area errichtete neue Heilanstalt besteht aus 34 in drei Gruppen 
geschiedenen Objecten, der Infectionsabtheilung, den Pavillons für 
mcdicinisch und chirurgisch kranke Kinder und den Administrations¬ 
gebäuden. Die einzelnen Krankenpavillons sind zur Aufnahme von 
2—42 Betten bestimmt und entfällt auf 1 Bett etwa 203 Qm. 
Bodenfläche. Die größeren Pavillons enthalten Ordinationsräume, 
Laboratorien für chemische, bakteriologische und mikroskopische 
Untersuchungen, alle Pavillons Baderäume. Wir werden nach Fertig¬ 
stellung der inneren Einrichtung des mit großem Luxus erbauten 
Spitales, dessen Kosten einerseits durch die 2,000.000 Kronen¬ 
spende der Stadt Wien anläßlich des Regierungs-Jubiläums des 
Kaisers, andererseits durch die Stiftung des Bürgers Georg 
Kellermann im Betrage von 600.000 Kronen gedeckt wurden, 
eine eingehende Schilderung dieses Musterkrankenhauses bringen. 

(Aerztliche Standesvertretung.) Der „Verein der 
Aerzte in Niederösterreich“ hat den Beschluß gefaßt, es sei dahin 
zu wirken, daß bei den im Herbste des heurigen Jahres stattfinden¬ 
den Wahlen für den Landtag von Niederösterreich auch Aerzte 
als Abgeordnete gewählt werden, und zwar mindestens zwei, einer 
aus den Landbezirken, einer aus Wien. Die Sectionen des Vereines 


mögen miteinander in Fühlung treten, Berathungen und Be* 
sprechungen pflegen, sich über den aufzustellonden Candidaten 
einigen und an die beiden Central-Comitös für Niederösterreich 
und Wien das Ansuchen richten, diese Aerzte als Candidaten für 
den Landtag von Niederöstorreich aufzustellen. 

(Pensions-Institut des Wiener medicinischen 
Doctoren-Collegiums in Wien.) Mittwoch, den 2. Juli 1902 
findet anläßlich des 25jährigen Bestandes des Pensions-Institutes 
um 12 Uhr im Festsaale des Wiener medicinischen Doctoren- 
Collegiums im Van Swietenhofe eine Festsitzung statt, mit welcher 
auch eine Ehrung des Präsidenten Primarius Dr. Hans Adler, der 
seit dem Bestände des Institutes demselben ununterbrochen vor¬ 
steht, verbunden ist. Abends 8 Uhr findet im Sachergarten im 
Prater ein Festbanquett statt. 

(Sociales.) Aus Prag wird uns gemeldet: Sowohl die 
Hörer der deutschen medicinischen Facultät als auch die an der 
czechischcn Universität studirenden Mediciuer haben in zahlreich 
besuchten Versammlungen beschlossen, eine Denkschrift ausarbeiten 
zu lassen, in welcher das Ansuchen gestellt wird, es möge jedem 
unbemittelten Aspiranten der Krankenhäuser von Staatswegen ein 
Stipendium von 1000 Kronen auf die Dauer eines Jahres gewährt 
werden. 

(Balneolo gische Preisaufgabe.) Der ungarische 
Landes- Baineologen verein schreibt behufs Förderung der wissen¬ 
schaftlichen Forschung auf dem Gebiete der Balneologie einen Preis 
von 500 Kronen für die Lösung folgender Frage aus: „Inwieferne 
kann die neue Theorie der Lösungen — die von Van’t Hoff 
und Arrhenius begründeten Lehrsätze — zur Erklärung der bio¬ 
logischen und therapeutischen Wirkung der Mineralwässer heran¬ 
gezogen werden?“ Die mit einem Motto versehenen Bearbeitungen 
der Preisfrage sind bis zum 31. December 1903 dem Genoral- 
secretär des Landes-Balneologenvereines einzusenden. Der Preis 
wird anläßlich der im Jahre 1904 stattfindenden Generalversamm¬ 
lung ausbezahlt. 

(Der „Begründer“ der Hydrotherapie.) Das in Nr. 18 
d. Bl. erschienene Feuilleton: „Lebensbilder aus halbvergangener 
Zeit“ veranlaßt ein Mitglied der Familie Priessnitz, Herrn Haupt- 
mann a. D. H. R i p p e r in Graefenberg, welcher den Aufschwung 
des Wasserheilverfahrens seit einem Hemisäculum in pietätvoller 
Weise verfolgt, zu einer Entgegnung, die uns soeben zugeht. In 
derselben wird darauf verwiesen, daß die Flußbadeanstalt des 
Dr. v. Ferro in Wien vornehmlich hygienischen Zwecken diente, 
während dem schlichten Landmanne Priessnitz die ersten Anfänge 
hydriatisch-curativer Methodik zu danken seien. Die Autopsie 
dieser Metho lik sei es auch gewesen, die den jungen Winternitz 
zum Studium des Einflusses hydriatischer Proceduren auf den ge¬ 
sunden und kranken Organismus und zum wissenschaftlichen Ausbau 
der Hydrotherapie angeregt habe. — Wir erachten den Prioritäts¬ 
streit für müßig, da Priessnitz, dem die Schriften jener Aerzte, 
die vor ihm ihre Kranken Kaltwassercuren unterzogen — von 
Celsus bis Ferro — sicherlich unbekannt waren, niemand das 
große Verdienst aberkennt , eine zweckentsprechende empirische 
Wasserbehandlung geschaffen zu haben, welche auch Aerzte zur 
wissenschaftlichen Prüfung und technischen Ausgestaltung des Ver¬ 
fahrens anzuregen geeignet war. 

(Statistik.) Vom 15. bis inclusive 21. Juni 1902 wurden in den 
C i vi ls pit älern Wiens 7252 Personen behandelt. Hievon wurden 1645 
entlassen; 162 sind gestorben (8‘96% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 67, egypt. 
Augenentzündung 1, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 3, Dysen¬ 
terie—, Blattern—, Varicellen 31, Scharlach 96, Masern 432, Keuchhusten 85, 
Rothlauf 44, Wochenbettfieber 6, Rötbein 28, Mumps 16, Influenza —, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wieu 652 Personen gestorben 
( — 104 gegen die Vorwoche). 

(Todesfall.) In Troppau ist am 26. d. M. der Primar¬ 
arzt des Landeskrankenhauses Dr. Otto Zinsmeister, ein aus der 
Wiener Schule hervorgegangener, ausgezeichneter Chirurg, der sich 
in Schlesien allgemeinen Ansehens und einer großen ärztlichen 
Praxis erfreute, an den Folgen einer Infection im 42. Lebensjahre 
gestorben. 


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1251 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 26. 


1252 


Pastilli jodo-ferrati comp. Jahr sind etwa 15 Grm. schwere, mit Choco- 
lade überzogene, aus Jodkali, Ferratin, Duotal, Calc. glycerinophosphor. und 
Geschmackscorrigentien zusammengesetzte Pastillen, die nicht nur appetit¬ 
anregend, sondern auch Mut- und knochenbildend, schleimlösend und husten¬ 
stillend wirken. Der Gebrauch derselben ist insbesondere bei Anämie, Chlorose, 
Rachitis, Scrcphulose und Tuberculose angezeigt. Kindern verordnet man 2—4^ 
Erwachsenen 6 —9 Stück täglich, wobei sauere Speisen zu vermeiden sind. 

Neue Literatur. 

(Der Redaction zur Besprechung eingesandte Bücher.) 

TIl. Ruiiin, Behandlung der Neurasthenie u. Hysterie. Berlin 1902, A. Hirsch¬ 
wal d. 

St. V. Apätliy, Mikro'echnik der tbierischen Morphologie. II. Abth. Leipzig 
1901, S. Hirzel. — M. 7.—. 

Döderlein, Geburtshilflicher Operationscurs. Leipzig 1902, Georg Thicme. — 
M. 4-—. 

A. Jaquct, Arzneiverordnungslehre Basel 1902, Benno Schwabe. — M. 8.—. 
Rud. Panse, Schwindel. Wiesbaden 1902, J. F. Bergmann. — M. 120. 

O. Körner, Die otitischen Erkrankungen des Hirns etc. Leipzig 1<l02 
J. F. Bergmann. — M. 1.60. 

>V. Schuppe, Zusammenhang von Leib und Seelo. Leipzig 1902. J F Berg¬ 
mann. — M. 1.60. 

Triepel , Physikalische Anatomie. Wiesbaden 1902, J. F. Bergmann. — 
M. 5. —. 

L. Rurgerstein u. A. Netolitzky , Handbuch der Schulhygiene. 2. umge¬ 
arbeitete Auflage. Jena 1902, Gustav Fischer. — M. 20.—. 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 


Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
Postversendung. Die Preise der Elnbanddeoken sind folgende: für die „Med. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
,,Therapie der Gegenwart“: K1.60 (1 Mark 40 Pf.) inel. Postversendung. 


Die Rubrik: „Erledigungen, ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 

Mt Wir empfehlen diese Rubrik der speciellen Beachtung unserer 
geehrten Leser; in derselben werden öfters — neben der Publication von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auch für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein können, welche an eine 
Aenderungdes Domicils oder ihrer Verhältnisse nicht gedacht haben. IM 


Herr Dr. Brunno Seltner, Kinderarzt zu Brünn, schreibt 
den 30. Juli 1898: - • - - - 

„Ihr „Kufeke-Mehl“ hat sich in meiner Praxis außerordentlich 
gut bewährt, und zwar sowohl zur Ernährung gesunder Säuglinge, 
als auch insbesondere bei Kindern, die an Darmkatarrhen erkrankt 
sind. Namentlich bei letzteren habe ich in „Kufeke-Mehl“ ein sehr 
gutes Ersatzmittel für die Liebig-Suppe gefunden und brauche 
jetzt nicht mehr Zeit und Mühe verwenden, um für die kleinen 
Patienten die Liebig-Suppe selbst zu kochen. 

Ich habe jetzt eine stattliche Anzahl von Darmkatarrhen mit 
dem besten Erfolge mit „Kufeke Mehl“ behandelt. Vom 8. Monate 
an lasse ich bei kräftigen Kindern verdünnte Milch mit je einem 
Kaffeelöffel voll „Kufeke-Mehl“ zu jeder Mahlzeit verabreichen.“ 
Waare zu Versuchszwecken stellt den Herren Aerzten gratis 
franco zur Verfügung. 

R. Kufeke, Wien, I., Nibelungengasse 8. 


Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart. 

Soeben erschi en : 

Jahrb uch der praktischen Medicin. K , ri ! isc,,er 

bericht für die Fortbildung der praktischen Aerzte. Herausgegeben 
von Prof. Dr. J. Schwalbe. Jahrgang 1902. gr. 8°. geh. M. 10-—; in 
Leinwand geb. 31. 1].—. 

Wullstein, Pf Dr al u c ' Die Skoliose in ihrer 


Behandlung und Entstehung. “ ^ 

experimentellen Studien. (Sonderabdrnck aus „Zeitschrift für ortho¬ 
pädische Chirurgie“, X. Bd.). Mit 115 Abbildungen im Text. gr. 8°. 
geh. M. 7.60. 

v. Zeissl, Pr M Dr - Lehrbuch der venerischen 


TTrflnlrhpitpn (Tripper, Venerisches Geschwür, Syphilis.) 

Jijt50Textabbildungen, gr. 8°. geh.M.10.-; 
in Leinwand geb. M, 11.20. 


lVT^ii f Elix. Condurang'o peptonat. Mail f 
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Wien, den 6. Juli 1902. 


Nr. 27. 


XLIH. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart-Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik“, letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse" 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die ßedaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien, I., Deutschmeisterplatz 2. 

Medizinische 


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Militärärztlicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
20 ä", halbj. 10 K, viertel]. 5 K. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk. , halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 K\ Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. = 60 A berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein 
Sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse" in Wien, I., Maximilianstr. 4. 


Presse. 


Begründet 1860. 


Redaction: Telephon Nr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

-- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 

Administration: Telephon Nr. 9104. 


INHALT; Originalien und klinische Yorlesnngen. Ueber traumatische Läsionen der inneren Kapsel, nebst einem Beitrag zu den acuten Insolations¬ 
psychosen. Von Universitäts-Docenten Dr. Julius Donath, Ordinarius am St. Stephansspitale in Bndapest. — Ueber am Lebenden beobachtete 
retrograde Durchgängigkeit der lleocöcalklappe. Von Dr. Leo Chassel in Wien. — Behandlung von Darmkatarrhen mit Tannigen, Von Dr. H. 
Schandelbauek in Wien. — Referate. Sigvard Madsen (Bergen): Ueber die bewegliche Niere vom Standpunkt des internen Arztes. — K. Ernst 
Ranke (Arosa): Der Nahrnngsbedarf im Hochgebirgswinter. — R. Bernhardt (Warschau): Zur Pathogenese der Prurigo. — P. Colombini (Sassari): 
Ueber die Pathogenese des venerischen Bubo. — Rasumowsky (Kasan): Zur Frage der Trepanation bei corticaler Epilepsie. — Rudolf Savor 
(Wien): Die Behandlung der weiblichen Gonorrhoe. — A. Fraenkel (Berlin): Ueber Bronchiolitis fibrosa obliterans etc. — Naegelsbach (Schimberg- 
Neuenburg): Ruhe und Bewegung in der Phthiseotherapie. — Symanski (Königsberg): Eine Beobachtung über die Möglichkeit des Nachweises von 
Tetanusgift in dem Blute beerdigter und faulender Leichen. — Perez (Buenos-Aires): Bacteriologie de l'ozöne. Deuxiöme memoire: Etiologie et 
Prophylaxie. Kleine Mittheilungen. Die Rolle der Harnsäure in der Pathologie und Therapie der Gicht. — Dionin bei Erkrankungen der 
Athmungsorgane. — Gegen den Kaiserschnitt als Behandlungsmethode der Placenta praevia. — Itrol in der Augenheilkunde. — Exstirpation der 
Ovarien bei inoperablem Mammacarcinom. — Yohimbin-Spiegel. — Chloroform bei Herzkranken. — Vial’s tonischer Wein. — Luft- und Wasser- 
massage am Auge. — Literarische Anzeigen. Therapie der Erkrankungen des Respirations- und Circulationsapparates. Von Dr. Max Kahane 
in Wien. Internationale Sehprobentafeln für Kinder. Von Dr. Ernst Heimann, Augenarzt in Berlin. — Handbuch der Schulhygiene. Von Dr. Leo 
Burgebstein und Dr. Aua. Netolitzky in Wien. — Verbandlehre. Von P. H. van Eden, Direclor des Stadtkrankenhauses in Leeuwarden. — Feuilleton, 
Lebensbilder aus halbvergangener Zeit. II. Carl v. Rayger (1641 — 1707). Von Dr. St. v. Vamossy in Preßburg. — Verhandlungen ärztlicher 
Vereine. 20 . Congreß für innere Medicin. Gehalten zu Wiesbaden, 15. — 18- April 1902. (Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen 

__ me d- F achpresse “ .) VIII. — Aus französischen Gesellschaften. (Orig.-Ber.) — Notizen. — Jteue Literatur. — Eingesendet. — Offene 

COTTesjOTGMz lief'Redäction und Administration. — Aerztliehe Stellen.' — Anzeigen. * • • * ... 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse u gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Ueber 

traumatische Läsionen der inneren Kapsel, 

nebst einem Beitrag zu den acuten Insolationspsychosen. 

Von Universitäts-Docenteü Dr. Julius Donath, Ordinarius am 
St. Stephansspital in Budapest. 

Schädigungen der inneren Kapsel werden vermöge der 
wechselvollen klinischen Bilder, welche sich ergeben, stets ein 
besonderes Interesse darbieten. Drängen sich doch hier dicht 
neben einander, wie nirgendwo anders, die sensiblen und 
sensorischen Bahnen, welche zur, und die dem Willen unter¬ 
worfenen motorischen Bahnen, welche von der Hirnrinde 
ihren Weg nehmen. Besonders wird dies der Fall bei trauma¬ 
tischen Läsionen sein, wenn sie sozusagen von experimenteller 
Reinheit sind, gegenüber den gewöhnlichen hier stattfindenden 
und in der Regel viel weniger scharf umschriebenen hämor¬ 
rhagischen und Erweichungsherden. Bekanntlich hat Charcot 
den wichtigen Satz aufgestellt, daß die Läsion der inneren 
Kapsel Hemiplegie erzeugt und denselben später auf Grund 
der Thierversuche von Carville und Düset, welche nach 
Durchschneidung der zwei vorderen Drittel der inneren Kapsel 
heim Hunde Hemiplegie, und der von Voyssiere 1 ), welcher 
nach Durchschneidung des hinteren Drittels Hemianasthesie 
erzeugte, dahin präcisirt, daß die vorderen beiden Drittel 
des. hinteren Kapselschenkels motorische und das hintere 
Drittel sensible Fasern führt. Eine genauere Feststellung der 

J ) Vgl. Vetter, Ueber die feineren Localisationen in der Capsula 
interna u. s. w. Volkmann’s klin. Vorträge, 1896, Nr. 165. 


Reihenfolge aber, in welcher die einzelnen Faserzüge auf- 
einanderfolgen, verdanken wir Beevor und Horsley, welche 
beim Affen (Macacus sinicus) die Capsula interna bloßlegend, 
durch faradische Reizung fanden, daß von vorne nach hinten 
gehend, auf die Fasern für die Bewegungen des Augfes die 
des Mundes, Kopfes, der Zunge, dann die der einzelnen Ab¬ 
schnitte der Ober- und der Unterextremität folgen. Die also 
vom Großhirnschenkel in die Capsula interna fächerförmig 
sich ausbreitenden Fasern zeigen hier dieselbe Projection wie 
in den Centralwindungen, wenn wir bei den letzteren von 
unten nach oben rechnen. Hinter der Hypoglossusbahn, also 
am Beginn des Hinterschenkels der Capsula interna, liegen 
nach Horsley’s und Semon’s Versuchen am Affen die Bahnen 
für die Adduction der Stimmbänder. Die Innervation ist eine 
bilaterale, weil auf faradische Reizung dieser Stelle ein gleich¬ 
mäßiger Glottisschluß erfolgt, wie dies auch für Hund und 
Katze gilt. Eisenlohr fand dies in seiner lehrreichen Beobach¬ 
tung (Deutsche Zeitschrift f. Nervenheilkunde, I. Bd., pag. 388) 
bestätigt, indem er nach einer doppelseitigen Stimmbandlähmung 
mit Tonlosigkeit und doppelseitiger, allmälig zunehmender 
spastischer Parese der Extremitäten kleine Erweichungsherde 
im vorderen Abschnitt des Stirnhirns, im vorderen Schenkel 
der inneren Kapsel links, partielle Degeneration im hinteren 
Schenkel der inneren Kapsel, symmetrische Erweichung 
des Pulvinar beider Thalami optici fand, welche 
Erweichung sich auf die innere Kapsel fortsetzte. Eisenlohr 
nimmt deshalb ein Durchqueren dieses Bündels durch die 
innere Kapsel zum Thalamus an. Dejerine, Carel und Dor 
sind zur selben Localisation dieser Bahn in der Capsula interna 
gelangt. Dies erklärt die Seltenheit von Kehlkopfstörungen 
bei Hemiplegien, während das häufigere Vorkommen der Kehl- 


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kopfläbmungen bei der WEBER-GuBLER’schen Krankheit (Hemi¬ 
plegie auf der einen. Oculomotoriuslähmung auf der anderen 
Seite), wobei die Kehlkopflähmung auf der hemiplegischen 
Seite sitzt und nach Dide 2 ) durch die Läsion des vorderen 
Antheils des Pedunculus cerebri bedingt ist. Auch bei meinem 
ersten Kranken, der darauf untersucht wurde, waren sowohl die 
Bewegungen der Zunge, als die des Kehlkopfes intact. Hinter 
den Pyramidenbahnen folgen die sensitiv-sensorischen Bahnen, 
Charcot’s Carrefour sensitif, welcher der Deutung durch das 
Thierexperiment viel schwieriger zugänglich ist, als die durch 
elektrische Reizversuche genau zu bestimmenden motorischen 
Bahnen. 

Bei Schädigung des Carrefour sensitif geht mit den 
Sensibilitätsstörungen (Tast-, Schmerz-, Temperatur-, Druck¬ 
empfindung) auch die Störung des Muskelsinnes einher, und 
Redlich verlegt die Muskelsinnbahnen zwischen die Pyramiden¬ 
bahnen und die für die Hautsensibilität, mit Rücksicht darauf, 
daß er die Störung des Muskelsinnes meist proportional der 
motorischen Lähmung fand. Auch in meinem ersten Falle war 
ausgesprochene Muskelsinnstörung in der gelähmten Glied¬ 
maße vorhanden. Desgleichen fand ich Herabsetzung des Gehörs 
und Geschmacks, die des Geruchs konnte nicht nachgewiesen 
werden. Pehn 3 ) berichtet über einen interessanten Fall, wo 
ein Kranker mit linksseitiger Hemiplegie, completer Hemi- 
anästhesie, linksseitiger lateraler Hemianopsie und Abschwächung 
des Gehörs auf dieser Seite eine Abschwächung des 
Geruch Vermögens auf der der Hemianästhe si e 
entgegengesetzten Seite darbot. Die Autopsie ergab 
chronische Nephritis und Erweichung des Linkenkernes und 
der inneren Kapsel. Was das Gesicht anlangt, nimmt Charcot 
an, daß bloß eine Herabsetzung der Sehschärfe, besonders auf 
der contralateralen Seite stattfindet, während Wernicke und 
DEjerine laterale Hemianopsie festgestellt haben. In dem einen 
meiner Fälle war mäßig concentrische Einengung des Gesichts¬ 
feldes, in dem anderen ausgesprochene hemianopische Defecte 
der contralateralen Gesichtsfeldhälften vorhanden. Es scheint 
aber doch, daß diese Sehstörungen, wie es auch bei meinen 
Fällen war, einen verschiedenen Typus zeigen können, denn 
Fere 4 ) theilte gleichzeitig Beobachtungen von Sehstörungen 
cerebralen Ursprunges mit, wo in dem einen Falle, einem 
61jährigen Kranken, rechtsseitige Hemiplegie und leichte 
Facialisparese, sowie Lähmung der Sensibilität rechterseits, 
inclusive Gehör, Geruch, Geschmack, beiderseits Gesichtsfeld¬ 
einengung, besonders rechts, bestand, dabei war beiderseits Seh¬ 
schärfe und Farbenempfindung erhalten. Die Autopsie ergab: 
Atrophie des Pedunculus cerebri beiderseits in seinen mittleren 
Bündeln, Atrophie der linken Pyramiden der linken Brücken¬ 
hälfte. Alter hämorrhagischer Herd außerhalb 
vom Linsenkern nach hinten den Carrefour sen¬ 
sitif durchschneidend und bis unter die dritte 
Stirnwindung reichend; gelbbräunliche Ver¬ 
färbung der hinteren zwei Drittel der Capsula 
interna und des schmalen Theils des Linsen¬ 
kern e s. In dem zweiten Falle FEre’s, einer 45jährigen Patientin, 
gleichfalls mit rechtsseitiger Hemiplegie, war die Sensibilität 
intact bis auf die hemianopische Gesichtsfeldein¬ 
engung. welche sich auf die rechte größere Hälfte 
erstreckte. Aus dem Sectionsbefund ist hervorzuheben die 
Erweichung aller Partien außen vom Linsenkern, 
sowie die graue Verfärbung der nach vorn gelegenen Partien 
der inneren Kapsel, mit Ausnahme des Carrefour sensitif. 

Selten sind die Blutungen oder Erweichungsherde an 
dieser Stelle von so geringem Umfang, daß sie nur einzelne 

a ) Dide et Weil L6sion en foyer de la capsule interne. Paralysie 
laryngfee syndron5e de Weber. Presse mödicale, 1899, 12 Juillet; Ref. Arcbives 
de nenrologie, 1900, pag. 515. 

3 ) Pehn, Remollissement du noyau lenticnlaire et de la capsule interne, 
anosmie du cö!e oppos6. Soc. des Sciences m6d. de Lyon; Ref. Archives de 
nenrologie, 1898, pag. 400. 

4 ) Ch. Fere, Trois autopsies pour scrvir ä la localisation des troubles 
de la vision d'origine c6r6brale. Arch. de neurologie, 1885, Nr. 26. 


Bahnen treffen. Die seltenen Beobachtungen aber, welche 
darüber vorliegen, bestätigen vollauf das Thierexperiment, 
welches die Isolirtheit all dieser Bahnen erweist. Auch die 
arterielle Versorgung derselben erweist deren gesonderten Ver¬ 
lauf. So erzeugt Verschluß der Art. chorioidea anterior nach 
Kolisko 6 ) Hemianästhesie und Hemianosmie, Verschluß der 
Art. communis posterior Facialis- und Hypoglossuslähmung 
der entgegengesetzten Seite. Hughes Bennet und Campbell 6 ) 
beobachteten bei einem 80jährigen Mann nach plötzlicher 
Bewußtlosigkeit Sprachverlust, Lähmung der linken Facialis und 
des Armes. Die krankhaften Erscheinungen gingen zurück, mit 
Ausnahme der Lähmung der linken Oberextremität. Es fand 
sich dementsprechend ein umschriebener Erweichungsherd in 
dem vorderen Theil der Capsula interna. 

Ich theile nun meine Beobachtungen mit: 

I. G. St. 7 ), ein 24jähriger Landmann, bekam vor 5 Jahren 
über dem rechten Ohr einen Messerstich, infolge dessen er 6 Wochen 
bewußtlos lag. Als er aufstand, gewahrte er Schwäche und stumpfes 
Gefühl in den linken Extremitäten: das linke Bein wurde nach¬ 
geschleppt, in der linken Hand wurden die Gegenstände nicht gut 
gefühlt und leicht fallen gelassen, der Mund war stark nach rechts 
gezogen. Anfangs bestand Doppelsehen, was aber bald aufgehört 
hat und auch gegenwärtig nicht mehr nachzuweisen ist. Die 
motorischen und sensiblen Lähmungserscheinungen haben sich seither 
gebessert, aber feinere Gegenstände werden infolge der mangel¬ 
haften Empfindung noch jetzt leicht fallen gelassen. 

Bei dem mittelgroßen, wohlgebauten und genährten Individuum 
fällt noch jetzt linkerseits die etwas weitere Lidspalte auf, obgleich 
beide Augen fest geschlossen werden können, sowie eine leichte 
Parese der Mundzweige der Facialis. Leichter Tremor der linken 
Oberextremität, welcher beim Ausstrecken sich steigert. Der linke 
Daumen und Kleinfinger stark byperextendirt. Pat. hat über nächt¬ 
liche Zuckungen in der linken Schulter zu klagen, wobei die Unter¬ 
extremität in so starken Streckkrampf geräth, daß er zur Verhin¬ 
derung desselben genöthigt ist, dieselbe in Kniebeugestellung fest¬ 
zubinden. Die linksseitigen Extremitäten zeigen spastische Parese. 
Beim Gehen wird die steif gehaltene Unterextremität vor die rechte 
geworfen, wobei die Innenflächen der Knie sich aneinander reiben 
und dadurch das Gehen schwerfällig wird. Zunge und Kehlkopf 
zeigen keine Bewegungsstörung. 

Die Reflexe an den Oberextremitäten verhalten sich normal; 
die Kniephänomene gesteigert, besonders linkerseits, zu dessen 
Hervorrufung oft erst eine künstliche Herabsetzung des Hypertonus 
nothwendig ist, weil sonst dasselbe für schwächer gelten könnte 
als auf der gesunden Seite. Auch der Fußclonus ist linkerseits 
stärker ausgesprochen. Babinskt nicht vorhanden. Plantarreflexe 
schwach, Cremaster- und Bauchreflexe beiderseits lebhaft, der 
Bechterew ’sche epigastrische Reflex linkerseits schwächer. Am 
linken Oberschenkel wölbt sich der Vastus externus stärker hervor 
und ist hier der Umfang (50’5 Cm.) um 0 - 5 Cm. größer als der 
des rechten Oberschenkels. 

Interessant ist die auf die ganze gelähmte 
Körperhälfte sich erstreckende Herabsetzung der 
Tast-, Schmerz - und Temperaturempfindung, welche 
außer der allgemeinen Decke (mit Einschluß der 
behaarten Kopfhaut) auch die Augen-, Nasen- und 
Mundschleimhaut betrifft. Diese Hemihypästhesie schneidet 
in der Medianlinie so scharf ab, daß dieselbe auch am Penis und 
Scrotum nachweisbar ist. Pat. weiß wohl, daß er seit der Verletzung 
auf der linken Körperhälfte alles schwächer empfindet, selbst den 
Geschmack der Speisen. Besonders bemerkenswerth ist die Unem¬ 
pfindlichkeit der linken Conjunctiva und Cornea, während diese auf 
dem rechten Au£e sich normal verhalten. Der linken Hand fehlt 


6 ) A. Kolisko, Ueber die Beziehung der Art. chorioidea ant. zum hinteren 
Schenkel der inneren Kapsel des Gehirnes.' Wien 1891, Holder. 

8 ) Hughes Bennet and M. C. Campbell, „The Lancet“, 1885, Vol. I, 
pag. 709, Medical Society of London. 

7 ) Dieser Kranke wurde am 9. October v. J. der Budapester Gesellschaft 
der Hospitalsärzte vorgestellt. 


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vollständig das stereognostische Gefühl, während es rechts normal wird beiderseits lateralisirt. Keine Articnlationsstörung, keine 
ist. Auch ist der Muskelsinn auf dieser Seite herabgesetzt. Auch Störungen der Emotivität (krankhaftes Lachen oder Weinen), oder 
die übrigen Sinnesorgane nehmen an dieser Abschwächung theil. der Intelligenz. Faradische und galvanische Nerven- und Muskel- 
Die Gesichtsfelder für Weiß zeigen mäßige concentrische Einengung erregbarkeit unverändert. 

(Fig. 1 und Fig. 2). Pupillen, Bewegungen der Bulbi und Augen- Unzweifelhaft hat also hier durch den Messerstich eine 

Hintergrund normal. Geschmack auf der linken Zungenhälfte für Verletzung des ganzen Hinterschenkels der inneren Kapsel 


COS COD 



YL YL 

Fig. 1. Fig. 2. 


Concentrische Einengung der Gesichtsfelder von G. St. 

jede Geschmacksart herabgesetzt. Der Geruch zeigte sich nicht stattgefunden, so daß die Facialisfasern, Pyramidenbahnen 
auffällig alterirt. Gehör gleichfalls links herabgesetzt (Taschenuhr und das Carrefour sensitif, letzteres mindestens zum Theil, 
wird rechts auf 75, links auf 55 Cm. gehört). Knochenleitung getroffen wurden. Auch ist von hier die secundare Degeneration 
beiderseits herabgesetzt, jedoch RfNNE beiderseits positiv, Weber ausgegangen. (Schluß folgt.) 


lieber am Lebenden beobachtete retrograde 
Durchgängigkeit der Ileocöcalklappe. 

Von Dr. Leo Chassel in Wien. 

Ich fühle mich nicht berufen und befugt, in den gegen¬ 
wärtigen Meinungskampf über Sufficienz oder Insufficienz der 
Ileocöcalklappe einzugreifen. Da aber allseits das Fehlen 
directer Beobachtungen am Menschen beklagt wird — sogar 
der einzige von Nothnagel beobachtete Fall ist, weil am 
Moribunden erhoben, nicht vollständig beweiskräftig —, er¬ 
laube ich mir zur Beleuchtung dieser Frage eine casuistische 
Mittheilung aus der Praxis meines verstorbenen Chefs Pro¬ 
fessors Dr. Hofmokl zu machen. Der Fall ist zwar bereits 
in den in der „Wiener Klinik“ erschienenen Arbeiten meines 
Lehrers verwerthet und ist auch in dem Jahrbuch der 
k. k. Rudolf-Stiftung 1887 veröffentlicht worden, aber die Er¬ 
innerung an ihn scheint verklungen zu sein. Da mir die beob¬ 
achtete Thatsache den Wert eines Experimentum crucis zu 
haben scheint, erlaube ich mir die betreffende Krankengeschichte 
auszugsweise wiederzugeben. 

S. A., lljähr. Knabe, wurde am 25. April 1887 sub J. N. 2690 
auf S. Nr. 5 der II. chirurgischen Abtheilung aufgenommen. 

Aus der etwas dunklen Anamnese konnte Folgendes eruirt 
werden: Vor 4 Jahren fiel der Knabe rücklings zu Boden, darauf 
bekam er, nach einer angeblich schmerzfreien Zwischenzeit, eine 
Geschwulst über dem linken Darmbeinteller mit consecutiver Con- 
tractur der linken Hüfte. Diesem Leiden soll später sich allmälig 


eine Auftreibung des Bauches hinzugesellt haben mit zeitweiaem 
Brechen und Diarrhoen. Pat. erhielt damals Bäder aus Darkauer 
Jodsalz und Umschläge von kaltem Jodwasser. Unter dieser Be¬ 
handlung soll sich die Bauchgesehwulst langsam verkleinert haben. 
Auch soll später per rectum Eiter abgegangen sein, worauf dann 
die Geschwulst im Becken ganz verschwunden ist. Die Stuhl Ver¬ 
stopfungen verloren sich auch auf öftere Darmirrigationen. 

Durch ein halbes Jahr soll sich Pat. ganz wohl gefühlt haben. 
Vor 2 Jahren begann dann der Bauch von neuem sich aufzutreiben, 
zugleich traten auch zeitweise kolikartige Schmerzen auf, verbunden 
mit Kotherbrechen. 

Auf oftmalige energische Wassereingießungen per rectum 
besserte sich der Zustand wieder so weit, daß der Kranke gut 
gehen und auch die Schule besuchen konnte. 

Im October 1886 begann die Auftreibung des Bauches wieder und 
hielt jetzt trotz Darmirrigationen und innerlich verabreichter Abführ¬ 
mittel sehr hartnäckig an. Der Kranke erbrach öfter übelriechende 
Massen, magerte sehr stark ab und mußte beständig das Bett hüten. 

Der Status praesens ergab außer gleichmäßiger trommelartiger 
Auftreibung des Abdomens keinen abnormen Befund, so daß nur 
die Diagnose auf Enterostenose — wegen der gleichmäßigen Tym- 
panie wahrscheinlich im unteren Ileum — gestellt werden konnte. 
Zur Beseitigung des Hindernisses wurde zweizeitige Cöliotomie vor¬ 
genommen. Am 80. April 1887 wurde zuerst ein Anus praeter¬ 
naturalis angelegt, durch den eine ausgiebige Entleerung des 
Darmes erfolgte. Am 23. Mai wurde bei Belassung des Anus prae¬ 
ternaturalis zu Laparotomie geschritten, um die eigentliche Darm- 
strictur zu beseitigen. 


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Bauchschnitt in der Linea alba; Eventration der aboral von 
der Enterostomiefistel gelegenen Därme und Palpation derselben. 
Man findet durch das Betasten des Darmes an demselben weder 
irgend einen einschnürenden Narbenring, noch eine Geschwulst, 
noch eine Adhäsion desselben, wodurch eine Abknickung bedingt 
werden konnte. Unterhalb des angelegten Anus praeternaturalis er¬ 
scheinen sämmtliche Därme, auch der Dickdarm nicht ausgenommen, 
sehr stark contrahirt, daher mehr derb anzufühlen, so daß beinahe 
jede Partie dieser Därme wie ein stricturirter Darmtheil aussah. 
Nirgends war an der Visceralserosa eine narbige Stelle zu con- 
statiren. 

Um Sicherheit zu bekommen , wo die stricturirte Darmpartie 
sich befindet, wird bei aus der Bauchöhle herausgewälztem Darm 
per rectum warmes Wasser irrigirt. 

Dieses Mittel half überraschend schnell zur Stellung der 
Diagnose. Das Wasser blähte rasch die untersten 
Darmpartien aus, passirtc die Ileocöcalklappe, blieb 
endlich stehen und bewegte sich auch bei ver¬ 
mehrtem Drucke nicht weiter; an dieser Stelle be¬ 
fand sich die stricturirte Darmpartie und lag im 
Ile um kaum 2— 2 1 / 2 Cm. vor dem Cöc.um. 

Resection des unteren Ueum und des Cöcum sammt dem 
Processus vermiformis. Circulare Darmnaht. Glatte Heilung mit 
Spontanschluß des Anus praeternaturalis. (Pat. erfreut sich auch 
heute noch einer ungetrübten Gesundheit.) Die Untersuchung des 
stricturirten Darmtheiles ergab eine sehr hochgradige, kaum für 
eine dicke Knopfsonde passirbare, alte, narbige Verengerung, sonst 
in der Umgebung nichts Abnormes. 

Es gelang also unter Controle des Auges, das Eindringen 
von Flüssigkeit durch die Valvula Bauhini in das Ileum zu 
beobachten. Der Druck, unter dem dies geschah, ist nun freilich 
in der Krankengeschichte nicht verzeichnet, wird aber, da 
nur der gewöhnliche „Hegar“ verwendet wurde, kaum mehr 
wie 1 Meter Wassersäule betragen haben. Da es sich hier 
um vollständig normale Verhältnisse handelt, wird man wohl 
die Insufficienz der Ileocöcalklappe für bewiesen halten dürfen, 
soweit eben der Rückschluß von einem Falle auf die All¬ 
gemeinheit gestattet ist. Was nur noch zu bedenken wäre, 
ist der Einfluß der geöffneten Bauchdecke auf die Permeabilität. 
Ich kann mir nicht denken, daß er überhaupt in Frage kommt. 
Was ich aber für bedeutungsvoll halte, ist der relativ kleine 
Druck, mit dem wir gearbeitet haben. Ich kann wohl meinen 
Fall nicht den Experimenten am herausgeschnittenen Darm 
in Parallele bringen, noch getraue ich mich den Muth meiner 
Meinung zu haben, aber es will mir scheinen, daß bei geringer 
Druckhöhe ein Einschleichen durch die Klappe möglich 
ist, wogegen sie sich bei Ueberdruck schließt oder zusammen- 
krampft. 


Behandlung von Darmkatarrhen mit Tannigen. 

Von Dr. H. Schandelbauer in Wien. 

Unter den verschiedenen Erkrankungen, welche während 
der Sommermonate in Behandlung kommen, gibt es hin¬ 
sichtlich der Häufigkeit ihres Vorkommens wenige, welche 
mit den Erkrankungen des Darmtractes zu vergleichen wären. 
Von der einfachen Indigestion und dem leichten dyspeptischen 
Katarrh angefangen bis zu den schweren enteritischen Formen 
erfordern alle insoferne gleiche Aufmerksamkeit, als bei 
längerer Dauer dieser Krankheitserscheinungen und der da¬ 
durch bedingten mangelhaften Verarbeitung und Ausnützung 
der zugeführten Nahrung der Organismus und Kräftezustand 
ganz empfindlich leiden muß. Insbesondere gilt dies bei 
Kindern im zarten Lebensalter, deren Kräftezustand schon 
bei länger dauernden Durchfällen bekanntlich sehr schnell 
abnimmt. 

Zur Behandlung von Darmkatarrhen stehen uns eine 
Reihe von adstringirend und styptisch wirkenden Arznei¬ 
mitteln zur Verfügung, die entgegen dem früher viel ver¬ 


wendeten Tannin den großen Vorzug besitzen, den Magen 
unverändert zu passiren, im Dünndarm unverdaut zu bleiben 
und sich erst im alkalischen Darmsaft allmälig zu zersetzen, 
so daß also nicht nur der obere Theil des Darmes, sondern 
auch die Dickdarmschleimhaut von der Wirkung des Mittels 
betroffen werden kann. 

Nachdem durch klinische Versuche von Seiten der 
Professoren Müller (Marburg), Escherich (Graz), und Biedert 
(Hagenau) an großem Krankenmaterial zur Evidenz erwiesen 
war, daß im Tannigen ein sicher und prompt wirkendes 
Darmadstringens vorliegt, dessen Wirkung sich bis in den 
Dickdarm erstreckt, hat dasselbe auch im Kreise der prak¬ 
tischen Aerzte bald Aufnahme gefunden und ist seitdem von 
keinem der vielen noch neu dazugekommenen Darmadstrin- 
gentien, welche die chemische Industrie auf den Markt 
gebracht hat, an Wirkung übertroffen worden. 

Tannigen bewährt sich speciell bei subacuten und 
chronischen Enteritiden und hat mir außerdem bei den ver¬ 
schiedensten Darmerkrankungen der Säuglinge (acuten und 
chronischen Dünn- und Dickdarmkatarrhen), insbesondere auch 
bei den gefürchteten Sommerdiarrhöen sehr gute Dienste 
geleistet. 

Einige kurz gehaltene Krankengeschichten, aus meiner 
Casuistik herausgegriffen, mögen die prompte Wirkung des 
Tannigens illustriren. 

1. Engländerin, 30 Jahre alt, mußte sich auf mein Anrathen 
im Juli (1901) einer Milchcur unterziehen, heftige Diarrhöen 
zwangen mich, diese Behandlung aufzugeben. Im Monat October 
wieder heftige Diarrhöen ohne bekannten Grund; dumpfer, dem 
Verlaufe des Dickdarms entsprechender Schmerz, übelriechende, 
mit Blut und Schleim gemischte Stühle, starker Tenesmus. Die 
Patientin hektisch aussehend, machte den Eindruck einer an 
Darmtuberculose erkrankten Frau. Mikroskopischer Befund negativ. 
Kost der Darmerkranknng entsprechend. Medication: Tannigen 0'5 
in den ersten 4 Tagen 3mal täglich; der Schmerzen wegen mit 
O'Ol Laudanum gemischt, vom 4.—7. Tage 2mal täglich ohne 
Laudanum, die letzten 3 Tage 0‘5 einmal. Vollständige Heilung 
am 10. Tage. Patientin neigt zu Diarrhöen, welche schon durch 
eine geringe Gabe Salat, Gurken oder Obst veranlaßt werden. 
2 Tannigenpulver ä 0’5 genügen, um den Normalzustand hervorzu¬ 
bringen. 

2. Dr. jur. K., seit jeher an chronischer Enteritis foll. 
leidend. In der Hitze des vorigen Sommers heftige Recidivo. In 
den ersten 3 Tagen 3mal 0’5 Tannigen; am 3. Tage Stuhl mit 
festen Theilen untermischt. 4. und 5. Tag 1 Pulver, am 6. Tag 
vollständig gesund. 

3. Sommerdiarrhöe heftiger Form nach Genuß von Obst mit 
reichlich Wasser. Entsprechende Diät und 3 Tage Behandlung 
mit Tannigen (0‘50) brachten Heilung, trotzdem der arme Mann 
nur Wasser trinken konnte. 

In allen Fällen wurde die Magen Verdauung durch das 
Tannigen nicht im geringsten zum Schlechten beeinflußt. 

4. Säugling, 4 Monate alt, A. K., erkrankte im Hochsommer 
1901 an Cholera nostras. Behandlung des Hautreizes wegen, mit 
täglich 2 Senfbädern, innerlich Backhaus-Milch mit Thee gemischt. 
Amme war nicht aufzutreiben, Medication 0’1 Tannigen mit Milch¬ 
zucker trotz des Erbrechens. Am 1. Tage 3mal, am 2. Tage 2mal, 
ebenso am 3. Tage. Am 3. Tage Verminderung der Stühle bis 
auf 3, vollständiges Aufhören des Erbrechens; die Stühle am 
3. Tage schon mit kothigen Beimischungen. Am 4. und den 
nächsten 6 Tagen nur 1 Tannigenpulver, Aussetzen der Senfbäder ; 
Kost Backhaus allein. Die Stühle täglich fester, am 16. Tage 
Heilung. 

Auffallend war, daß das Tannigen das Erbrechen nicht 
vermehrte, sondern daß nach der Gabe durch einige Stunden das 
Erbrechen ausblieb. 

5. —8. 3 Kinder (4—7 Jahre) Enteritis im Sommer, meist 
nach Obstgenuß oder schlechter Nahrung. Sämmtlich behandelt 
mit 0'2 Tannigen (3mal am 1. Tage, am 2. und 3. Tage 2mal, 
am 4. und 5. Tage 1 Pulver. Heilung prompt, obwohl die ärm- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 27. 


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liehen Verhältnisse viel bezüglich der Nahrung und der Wohnung 
zu wünschen ließen. 

Mit gleichem Erfolge wurde eine weitere Reihe von 
Kindern und Erwachsenen mit Tannigen behandelt. Als 
großer Yortheil muß es bezeichnet werden, daß die Magen¬ 
schleimhaut intact bleibt und der Appetit nicht im geringsten 
unter der Tannigenmedication leidet. Die Dosirung bemißt 
man je nach der Schwere des einzelnen Falles, am besten 
gibt man bei Erwachsenen am Anfang einige massive Dosen 
von 0‘5 Grm. (bei Kindern entsprechend weniger) und geht 
gegen Schluß der Behandlung auf kleinere Dosen herab, die 
man nach dem Nachlassen der Erscheinungen noch einige 
Wochen weiter nehmen läßt. Im Allgemeinen weichen die 
Krankheitserscheinungen im Darm bei Tannigenmedication 
am 3.—5. Tag, nur einige schwere Fälle verlangten die 
Behandlung bis zum 10. Tage. 


Referate. 

Sigvard Madsen (Bergen): Ueber die bewegliche Niere 
vom Standpunkt des internen Arztes. 

Eine bewegliche Niere kommt verhältnißmäßig sehr häufig 
vor , besonders bei Frauen im Alter zwischen 20 und 50 Jahren. 
Die rechte Niere bietet häufiger und in höherem Grade als die 
linke eine abnorme Beweglichkeit dar. Nicht selten sind gleich¬ 
zeitig Lageveränderungen anderer Organe in der Bauchhöhle, speciell 
des Magens und der Därme, vorhanden, ohne daß es jedoch irgend 
ein directes proportionales Verhältniß zwischen der Lageverände¬ 
rung der Nieren und der übrigen Intestina gibt. Eine Beweglich¬ 
keit der Nieren kann vorhanden sein, ohne daß gleichzeitig her¬ 
vortretende krankhafte Erscheinungen irgend welcher Art nachzu¬ 
weisen sind. Häufig treten aber verschiedene krankhafte Symptome 
auf, welche direct oder indirect mit dem abnormen Verhalten der 
Nieren verknüpft sind. Sehr gewöhnlich findet man Störungen in 
der Function der Verdauungsorgane besonders in Form von dys¬ 
peptischen Beschwerden. Letztere haben häufig den Charakter 
nervöser Dyspepsie und beruhen theils auf einem generellen neur- 
asthenischen Zustand der Patienten, theils auf den infolge der 
Lageveränderungen der betreffenden Organe in der motorischen 
und chemischen Function derselben eingetretenen Veränderungen; 
gleichzeitig werden nicht selten Symptome von Anämie, Nervosität 
und allgemeiner Schwäche beobachtet, ferner locale oder ausstrah¬ 
lende Schmerzen, verursacht z. B. durch Druck oder Zerrung der 
dislocirten Organe. („Nord. med. Arkiv.“, 1902, Bd. 35, H. 1.) 

Die Ursache einer abnormen Beweglichkeit der Nieren ist in 
erster Linie in angeborenen oder frühzeitig erworbenen Schlaffheits¬ 
zuständen der musculösen und ligamentösen Stützapparate in der 
Abdominalhöhle zu suchen, ferner in besonderen und eigenartigen 
Verhältnissen in der Lage der Nieren und deren anatomischer Re¬ 
lation zu den benachbarten Organen; ferner können sich ver¬ 
schiedene Gelegenheitsursachen geltend machen; besonders zu er¬ 
wähnen sind wiederholte Geburten ; seltener bann ein directes oder 
indirectes Trauma als Gelegenheitsursache von, Bedeutung sein. 
Die Behandlung ist darauf zu richten, die Kräfte und die Ernäh¬ 
rung des Kranken zu heben; die dyspeptischen Beschwerden müssen 
zum Gegenstand einer besonderen und eingehenden Behandlung ge¬ 
macht werden; besonders locale Leiden werden symptomatisch 
behandelt; endlich sind in ausgesprochenen Fällen geeignete Bandagen 
und eventuell Massage anzuwenden. B. 


K. Ernst Ranke (Arosa): Der Nahrungsbedarf im Hoch- 
gebirgswinter. 

Verf. hat diese Frage an sich selbst studirt („Münch, med. 
Wsehr. u , 1902, Nr. 19). Er kannte durch frühere Versuche seinen 
Nahrungsbedarf im Winter und Sommer des gemäßigten Klimas in 
einer Höhenlage von ungefähr 500 Metern; als er später ärztliche 
Functionen in dem 1860 Meter hoch in den Graubündener Bergen 
gelegenen Sanatorium Arosa übernahm, beschloß er, in diesem 


Klima eine Bestimmung seines Nahrungsbedarfs zu machen. Der 
Versuch erstreckte sich über 20 Tage, vom 18. März bis incl. 
6. April 1901, eine Zeit, welche noch dem Hochgebirgswinter zu¬ 
zurechnen ist. Die Ermittelung des Nahrungsbedarfs erfolgte durch 
Ermittelung des Gehalts an Eiweiß, Fetten und Kohlehydraten 
einer Nahrung, bei welcher für längere Zeit Gewichtsconstanz ein¬ 
getreten war. — Während Verf. im Winter und Sommer zu 
München je 137*5 und 134*9 Grm. Eiweiß, 162*3 und 162*3 Grm. 
Fett und 351*1 resp. 372 Grm. Kohlehydrate verbraucht hatte, 
fand er als Bedarf im Hochgebirge 177*6 Grm. Eiweiß, 169*1 
Gramm Fett und 462*2 Grm. Kohlehydrate. Es fand sich also 
eine beträchtliche Steigerung des Nahrungsbedarfs. Verf. bestimmte 
außerdem seinen täglichen Wasserverlust durch die Harnentleerung 
und den Koth, sowie indirect die tägliche Wasserabgabe durch 
Perspiration ; daraus berechnete er die Wärmeabgabe durch Leitung 
und Strahlung. Es ergab sich eine erhebliche Vermehrung der 
Wärmeproduction sowie der Wasserverdampfung in Arosa gegen¬ 
über München; also wurde aucji durch Leitung und Strahlung 
entsprechend mehr abgegeben. — Die Gesammtwärmeproduction 
war um 20*2°/o> die Wasserverdampfung und damit die Wärme¬ 
abgabe durch Wasserverdampfung um 14*3%> die Wärmeabgabe 
durch Leitung und Strahlung um 22*7% höher. Verf. weist nach, 
daß diese Veränderung in der Wärmebilanz und damit die An¬ 
regung zur Vermehrung der Wärmeproduction allein durch die 
veränderten klimatischen (thermischen) Factoren der neuen Um¬ 
gebung bedingt sind. Auch zeigt dieser Versuch, daß der Nahrungs¬ 
bedarf vom Wärmehaushalt abhängig ist, und zwar so, daß bei 
niederen Temperaturen die Wärmebilanz nicht in Conflict mit der 
Stoff- und Kraftbilanz geräth, wie das in den Tropen zur schweren 
Schädigung der Gesundheit der Fall ist. Die Energie der Lebens¬ 
vorgänge erfährt thatsächlich durch diese mächtige Anregung des 
Gesammtstoffwechsels eine allseitige Steigerung. Dies ist einer der 
wesentlichsten Factoren für die therapeutische Wirkung des Hoch¬ 
gebirges. N. 


R. Bernhardt (Warschau): Zur Pathogenese der Prurigo. 

Bei einem Patienten, der im Alter von l*/ 4 Jahren an Polio¬ 
myelitis acuta anterior erkrankt gewesen, als deren Residuum 
Lähmung der rechten oberen Extremität zurückgeblieben war, trat 
im Alter von 7 Jahren neben bereits länger bestehendem Favus 
ein juckender Ausschlag auf, der zur Zeit der Aufnahme des 
Kranken im Alter von 21 Jahren noch besteht und als Prurigo 
diagnosticirt wird. Die besondere Eigenthüralichkeit, die dem Falle 
anhaftet und den Grund für die vorliegende Publication („Arch. 
f. Derm. u. Syph.“, Bd. 57, 1901) abgibt, besteht darin, daß die 
gelähmte rechte obere Extremität im Laufe des ganzen Leidens 
von dem Ausschlage verschont blieb, während die linke obere und 
beide untere Extremitäten typische Prurigo aufweisen. Welche Schlüsse 
lassen sich aus diesem Vorkommniß ableiten? Bekanntlich ist das 
Wesen der Prurigo noch lange nicht vollkommen geklärt, ja wird 
doch von einer ganzen Reihe von Autoren, insbesondere französischen, 
erklärt, daß das Jucken die primäre Erscheinung sei, die Knötchen 
erst secundär als Effect des Kratzens sich zugesellen. Weiters 
stellen die einen Autoren sie als Sensibilitätsneurose, die 
andern als combinirte Sensibilitäts-Motilitätsneurose 
hin, wieder andere fassen sie als vasomotorische und ein 
kleiner Theil als Trophoneurose auf. Da die genaue Unter¬ 
suchung des vorliegenden Falles, bezw. der gelähmten Extremität, 
ergab, daß die Sensibilität vollständig intact geblieben, so ist nicht 
einzu8eheu, weshalb die Neurose gerade diese Extremität verschonte, 
deren sensible Nerven ebenso normal thätig sind wie die der anderen 
Extremitäten. Ganz das Gleiche gilt in Bezug auf die Vasomotoren, 
deren Function an der gelähmten Extremität vielleicht etwas ge¬ 
schwächt, sonst aber erhalten ist; spielen nun die Vasomotoren 
beim Zustandekommen der Prurigo auch mit, worauf die oft voran¬ 
gehende Urticaria hinweist, so sind sie sicherlich nicht die einzige 
und wichtigste Ursache. Bleibt demnach nur mehr die Annahme 
der Trophoneurose; thatsächlich genügt die Zerstörung, bezw. 
Functionsunfähigkeit der trophischen Centren der gelähmten Extre- 

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mität, um die Bildung des Ausschlages hintanzuhalten. Zur Unter¬ 
stützung der auf diesem Wege deducirten Ansicht, die Prurigo 
gehöre den trophischen Hautstörungen an, führt der Autor aus der 
Literatur noch eine Reihe von Fällen an, in welchen es neben 
Prurigo zur Ausbildung anderweitiger trophischer Störungen kam. 
Ob nun diese Trophoneurose idiopathisch oder angeboren sei, ob 
es sich um Into- und Autointoxication handle, darüber bringt der 
Fall keine Aufklärung. Deutsch. 


P. Colombini (Sassari): Ueber die Pathogenese des vene¬ 
rischen Bubo. 

Das vom Autor in wiederholten Publicationen gründlich und 
sorgfältig studirte Thema wird hier reeapitulirt und zum Theil 
auch durch neue Befunde bereichert, weil eine jüngst erschienene 
Arbeit von BESANgON, Griffon und Le Sodrd einerseits die Be¬ 
funde Colombini’s zu wenig berücksichtigt, anderseits sie direct 
mißdeutet. 

Die Meinungen über den Charakter der das venerische Ge¬ 
schwür begleitenden Bubonen waren seit jeher getheilte, doch hatte 
man bereits ziemlich früh zwei wesentlich von einander differirende 
anerkannt, den einfach entzündlichen mit nicht übertragbarem 
Eiter und den schwärenden mit überimpfbarem Eiter, die In- 
oculabilität entweder gleich bei Eröffnung des Bubo oder einige 
Tage nach dem Einschnitt vorhanden. Seit dem Bekanntwerden 
des DüCREY’schen Bacillus ergab die mikroskopische Technik 
eventuell im Verein mit der Impfung 1. virulente, den specifischen 
Bacillus führende Bubonen, 2. Drüsenentzündungen, in deren Eiter die 
gewöhnlichen Eitermikroben sich vorfanden, 3. Drüsenentzündungen, 
deren Eiter sich mikrobenfrei erwies, entstanden entweder durch 
die Toxine der Bacillen oder durch verschwundene Mikroorganis¬ 
men. Auf Grund einer ganzen Serie von Inoculationen, sowie mikro¬ 
skopischer Untersuchungen des Buboneneiters warC. dazu gekommen, 
für alle venerischen Bubonen als einzigen und alleinigen Erreger 
den DucREY’schen Bacillus anzusprechen, da er in einer überwiegen¬ 
den Zahl bloß diesen Bacillus allein vorfand. Gleichzeitig ließen 
sich aber manche Thatsachen constatiren, die geeignet waren, bisher 
bestehende Widersprüche zu lösen und dies einzig darum, weil die 
Untersuchung gleichzeitig mit drei Factoren rechnete, der Mikro¬ 
skopie des Eiters, seiner Ueberimpfbarkeit auf den Träger und 
endlich der Mikroskopie der mit dem scharfen Löffel von der 
Wandung des Abscesses gewonnenen Partikelchen. Dabei zeigte 
sich, daß der bei der mikroskopischen Untersuchung von Bacillen 
anscheinend freie Eiter doch typische Impfgeschwüre lieferte, manch¬ 
mal aber war umgekehrt der Bacillen führende Eiter nicht tiber- 
impfbar, endlich war sowohl die mikroskopische Untersuchung als 
die Impfung negativ, aber in den Gewebspartikelchen fanden sich 
Bacillen oder schließlich verlief die ganze Reihe der Untersuchungen 
negativ. Die Lösung all der Fragen über die Pathogenese des 
venerischen Bubo ist für C. („Derm. Ztschr.“, Bd. VIII, H. 6) ge¬ 
rade in diesen Schwankungen des Befundes gegeben. Da sich der 
DucREy’sche Bacillus im Beginne der sich an das venerische Ge¬ 
schwür anschließenden Entzündung immer nachweisen läßt, da er 
zur Zeit seines Verschwindens aus dem Eiter noch in der Wand 
des Drüsenabscesses nachweisbar ist und erst später nicht mehr 
gefunden wird, so verhält sich der DuCREY’sche Bacillus ganz 
analog anderen Bakterien, die nach einer gewissen Zeit, vielleicht 
nach Erschöpfung des Nährbodens zugrunde gehen und nun in 
den durch sie verursachten pathologischen Veränderungen nicht 
mehr aufzufinden sind. An dieser Anschauung ändert die Thatsache, 
daß es BESANgON, Griffon und Le Sourd gelang, den Bacillus 
künstlich zu züchten, nicht das mindeste; so sehr auch die Mög¬ 
lichkeit der Uebertragung auf künstliche Nährböden zu begrüßen 
ist, so war doch die Pathogenese des venerischen Bubo vor dieser 
Entdeckung bereits vollständig geklärt. Im Anschluß an diese 
kleine Polemik ist durch einzelne Krankengeschichten (drei), bezw. 
an mikroskopischen und Impfbefunden die Richtigkeit der erwähnten 
Folgerungen und Sätze neuerdings dargethan. Deutsch. 


Rasumowsky (Kasan): Zur Frage der Trepanation bei 
corticaler Epilepsie. 

Während mehrere Autoren in den letzten Jahren über die 
Bedeutung der Trepanation bei corticaler Epilepsie sich sehr skeptisch* 
ausgesprochen haben, theilt Verf. zum Theil sehr günstige Resultate 
von 7 nach Horsley operirten Fällen von Epilepsie mit („Lan- 
genbeck’s Arch.“, Bd. 67, H. l). Von den operirten Pat. ging 
keiner unmittelbar nach der Operation zugrunde, hingegen kam 
bei einem Pat. einige Monate nach der Operation von einer Fistel 
an der Trepanationsstelle eine eitrige Infection der Ventrikel zu¬ 
stande. Drei von den operirten Fällen wiesen sehr günstige thera¬ 
peutische Resultate auf (bei 2 hörten die Krämpfe vollständig auf; 
Beobachtungszeit in diesen Fällen 3 und 5 Jahre); in weiteren 
2 Fällen waren die Resultate zweifelhaft und in 2 Fällen negativ. 

Die Operation, welche stets in Narkose ausgeführt wurde, 
bestand in osteoplastischer Resection des Schädels (nach Wagner) 
im Gebiete der entsprechenden motorischen Centren. Dann wurde 
die Hirnoberfläche genau auf pathologische Veränderungen unter¬ 
sucht und schließlich wurden mittelst 2 sehr zarten Elektroden die 
sogenannten epileptogenen Stellen aufgesucht. Es sind dies die¬ 
jenigen Partieen der Hirnoberfläche, deren elektrische Reizung nicht 
die gewöhnlichen, vereinzelten Contractionen, sondern eine Reihe 
wiederholter, rasch auf einander folgender und sich weiter ver¬ 
breitender Contractionen, manchmal sogar einen förmlichen epilep¬ 
tischen Anfall hervorrief. An dieser Stelle wurde die Gehirnrinde 
schichtweise so lange abgetragen, bis von hier aus mittelst elek¬ 
trischen Stromes keine epileptischen Contractionen mehr hervor¬ 
gerufen werden konnten. Schließlich wurde die Dura wieder zu¬ 
sammengenäht und der Lappen nach vorheriger Drainage reponirt. 
Die Nachbehandlung dauerte 3—5 Wochen. Erdheim. 


Rudolf Savor (Wien): Die Behandlung der weiblichen 
Gonorrhoe. 

Bei der Gonorrhoe der Urethra empfiehlt sich als Desinficiens 
das Sublimat in %—l°/ o0 ige r Lösung, sowie das Lysoform (1%), 
das den Vorzug minimaler Reizwirkung mit dem eines schwachen, 
in dieser Concentration geradezu angenehm zu nennenden Geruches 
vereint. Im subacuten Stadium ist eine active Therapie am Platze. 
Analog der Behandlung der männlichen Urethritis empfiehlt sich 
auch hier die roichliche, 4—6mal täglich ausgeführte Application 
wässeriger Lösung von Desinficientien, wie Alumnol (2°/ 0 ), Ar¬ 
gonin (l*5%), und vor allem Protargol ; letzteres ist besonders 
zu empfehlen wegen seiner hohen Desinfectionskraft und seiner 
Reizlosigkeit auch in verhältnißmäßig starker Lösung; es wird in 
steigender Concentration (%—1%) verordnet. Die Application ge¬ 
schieht am besten mit einer gewöhnlichen männlichen Tripper¬ 
spritze von 15 Ccm. Inhalt, deren stumpfer olivenförmiger An¬ 
satz direct auf die Harnröhrenmündung aufgesetzt wird. Der In¬ 
halt der Spritze wird in drei Portionen entleert. („Heilkunde“, 
1902, Nr. 3 u. 4.) Zur Harnröhren-Blasenspülung wird Protargol 
in l°/ 0 iger körperwarmer Lösung verwendet, von der 250 Ccm. 
eingespritzt werden. Im chronischen Stadium gelangen zur Ver¬ 
wendung Stäbchen mit Jodoform (10—20%), Tannin (5%) und 
besonders Protargol (10—20%), welch letztere trotz des hohen 
Procentgehaltes kurze oder nur minimale Reizwirkung entfalten, 
endlich in ganz hartnäckigen Fällen solche mit Argentum nitricum 
(1—2%), bei denen aber die Reaction meist eine recht lebhafte ist. 

Bei Uebergreifen des gonorrhoischen Processes auf die Blase 
kommt im subacuten und chronischen Stadium die gewöhnliche 
Therapie des Blasenkatarrhs in Anwendung, wobei die Silber¬ 
präparate, vor Allem das Protargol, ganz besonders gute Resultate 
geben. 

Bei gonorrhoischer Vulvitis der kleinen Mädchen bewähren 
sich am besten Waschungen der Vulva und Ausspülungen der 
Scheide mit V 2 °/oolger Sublimat- oder V 4 %iger Protargollösung. 
Nach der Ausspülung legt man ein dünnes Tannin- (5%) oder 
Jodoform- (10%) Stäbchen ein. Beim Nachlassen der profusen 
Eiterung geht man zu Lösungen von %—1% Argentum nitricum, 
1% Argentamin, 1—5% Protargol über, welch letzteres wegen 


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der geringen Schmerzen, die es macht, am meisten zu empfehlen 
ist. Im subacuten Stadium der Colpitis ersetzt man die* Sublimat¬ 
ausspülungen durch solche mit Chlorzink, ein Esslöffel einer 50°/ 0 igen 
Lösung auf 1 Liter Wasser, ferner wendet man an Eingießungen 
von rohem Holzessig in die Vagina, Bepinselung derselben mit 
5—10%iger Lapislösung, Einlegen von Wattetarapons, die mit 
5%iger Jodkaliumglycerin- oder 5—10%iger Ichthyolglycerin¬ 
lösung getränkt sind; auch solche mit 10%iger Protargolglycerin- 
lösung werden oft mit Nutzen verwendet. Die Heilung erfolgt 
meist in kurzer Zeit. Als Desinficiens bei Cervixkatarrh verwendet 
man 5% Protargol, dann l°/ 0 Argentamin, x / 2 % Argentum nitri- 
cum, Jodtinctur. Im postacuten Stadium der Uterusgonorrhoe empfiehlt 
sich die öftere Anwendung eines nicht oder nur ganz schwach 
ätzenden, aber mit möglichst großer Tiefenwirkung ausgestatteten 
Desinficiens, wie wir es in dem Protargol in ausgezeichneter Weise 
besitzen. Eine 10%ige Lösung desselben wird, nachdem die Uterus¬ 
höhle mit trockener Watte oder unter Anwendung von Sodalösung 
möglichst gründlich vom Secret gereinigt worden ist, 2—3raal 
wöchentlich auf das Endometrium gebracht, und zwar mit der 
PLAYFAia-Sonde oder dem SÄNöEß’schen Stäbchen, wobei man 
Sorge zu tragen hat, daß die ganze Innenfläche des Uterus mit 
dem Medicamente in innige Berührung kommt; es soll daher der 
Watteüberzug tüchtig durchtränkt sein und durch längere Zeit 
— bis zu 10 Minuten — mit der Schleimhaut in Berührung bleiben. 
Sodann legt man zur Ruhigstellung des Uterus und der Adnexe 
einen Tampon ein, der mit 10%iger Ichthyollösung reichlich ge¬ 
tränkt ist, und stopft mehrere trockene Tampons nach. Die Tam¬ 
pons bleiben beiläufig 12 Stunden liegen; nach dieser Zeit hat sie 
die Patientin zu entfernen und bis zur nächsten Sitzung 2mal täglich 
eine körperwarme Scheidenspülang unter Zusatz eines der mehrfach 
erwähnten Desinficientien zur Spülflüssigkeit zu machen. Als Spül¬ 
flüssigkeit in chronischen Fällen verwendet man schwache anti¬ 
septische Lösungen, wie Silbernitrat (0*5—1*0 : 1000), Argentamin 
(0-25 —10-0 : 1000) und Protargol (2*5-10-0 :1000). In Fällen 
mit großem, derbem und hartem Uterus dagegen haben die intra¬ 
uterinen Ausspülungen wenig Effect, da ist die Tamponade des 
Uterus vorzuziehen. Man verwendet die gewöhnliche Jodoform- (oder 
Xeroform-, Airol-, Dermatol-) Gaze und kann nach dem Aufhören 
der Blutung die Gaze auch noch, um die locale Wirkung auf 
das Endometrium zu erhöhen, mit Alaun, Borsäure, Tannin bestreuen 
oder sie mit Medicamenten tränken, von denen S. dem Protargol 
in 5—10% Lösung den Vorzug gibt. 

Die ganz alten, torpiden Fälle von Uterusgonorrhoe erfordern 
die Anwendung sehr starker Aetzmittel. G. 


A. FRAENKEL (Berlin): Ueber Bronchiolitis fibrosa obli- 
terana etc. 

Ein 28jähriger, vordem niemals lungenkrank gewesener Mann 
wird im Anschluss an die Einathmung von Säuredämpfen ziemlich 
schnell von zunehmenden Athmungsbeschwerden befallen, welche 
noch vor Ablauf der ersten 24 Stunden seine Aufnahme in das 
Hospital nöthig machen. Die sich darbietenden Erscheinungen be¬ 
stehen außer in Dyspnoe und Cyanose in einem beträchtlichen 
Volumen pulmonum auctum, sowie verbreiteten kleinblasigen Rassel¬ 
geräuschen ohne stärkere Dämpfung. Es besteht kein Fieber. Erst 
am dritten Tage expectorirt Patient einen einzigen rostfarbenen 
Sputumballen. Während Dyspnoe und Cyanose zurückgehen, ent¬ 
wickelt sich an der Vorderfläche des rechten Thorax ein um¬ 
schriebenes, mehrere Tage andauerndes Hautemphysem. Nachdem 
dieses von leichter Fieberbewegung begleitete Symptom wieder ge¬ 
schwunden, erfolgt vom neunten Tage nach erlittenem Unfälle an 
ein scheinbar vollständiger Umschwung zur Besserung. Nicht bloß 
Cyanose und Dyspnoe erscheinen beseitigt, sondern auch die Lun¬ 
genblähung geht zurück, und von den vordem in reichlichster Weise 
vorhanden gewesenen katarrhalischen Geräuschen bleibt nur noch 
ein geringer Rest. Auf diesen Nachlaß der Krankheitserscheinungen, 
welcher gegenüber dem Zeitraum der stürmischen Initialsymptome sich 
mit voller Schärfe als zweites Stadium hervorhebt, folgt als drittes und 
Schlußstadium eine neue, etwa 6 Tage vor dem Tode einsetzende 


Verschlimmerung, in der die früheren Störungen der Athraung und 
Herzthätigkeit mit verstärkter Heftigkeit zurückkehren. Abgesehen 
von dem Wiedererscheinen des Emphysems und der diffusen klein¬ 
blasigen Rasselgeräusche fällt an dem Lungenbefund jetzt noch 
eine eigenthümliche Vertiefung des Percussionsschalles über der 
linken Thoraxhälfte mit außerordentlicher Abnahme des Athem- 
geräusches daselbst auf. Nirgends besteht eine ausgesprochene 
Dämpfung, ebensowenig ist Stridor hörbar, die Expectoration ist 
auch diesmal kaum nennenswerth; nur 2 Tage vor dem Tode 
werden, wie am 3. Tage der Erkrankung, vorübergehend geringe 
Mengen rostfarbenen Sputums hervorgebracht. Der Tod erfolgt 
unter den Erscheinungen zunehmender Athmungs- und Herzinsufficienz 
am 21. Tage der Erkrankung („Festschrift für Küssmaul“). 

F. hatte noch zu Lebzeiten des Kranken die Diagnose auf 
Bronchiolitis obliterans fibrosa durch Verätzung der Bronchiolen¬ 
schleimhaut infolge Inhalation von Säuredämpfen gestellt. 

Das Vorkommen einer Bronchiolitis obliterans fibrosa , deren 
Entstehung nicht an voraufgegangene Pneumonie gebunden ist, 
bietet nicht nur für den pathologischen Anatomen, sowie den 
Kliniker Interesse. Es ist auch von hoher Bedeutung für die Ge¬ 
werbehygiene. Nimmt man den Fall, bei einem Individuum, welches 
der Einathmung ätzender Säuredämpfe aasgesetzt war, habe sich 
eine Erkrankung der Athmungsorgane entwickelt, die nicht wie 
im vorliegenden Falle in acuter Weise, sondern allmälig, d. h. 
nach Wochen oder Monaten, unter zunehmenden Störungen der Re¬ 
spiration den Tod herbei führte, bei der Section aber wären die 
Lungen von miliaren und submiliaren Knötchen durchsetzt gefunden 
worden. Wird man sich in Zukunft mit der Annahme einer unab¬ 
hängig vou der Einwirkung der Berufsschädlichkeit entstandenen 
Miliartuberculose zufrieden geben dürfen ? Das wäre auf Grund der 
hier mitgetheilten Thatsachen sicher ein Fehler. Man wird, falls 
die mikroskopische Untersuchung der Lungen nicht vorgenommen 
wurde, die Möglichkeit zuzulassen haben, daß der Tod in der 
That durch die Folgen der Säureeinathmung eintrat und die 
Lungenveränderungen eine Wirkung dieser waren. B. 


Naegelsbach (Schimberg-Neuenburg): Ruhe und Bewegung 
in der Phthiseotherapie. 

Ein Phthisiker mit progredientem Proceß ist den körperlichen 
und geistigen Anforderungen des täglichen Lebens womöglich zu 
entziehen. In Betracht kommen hauptsächlich drei Momente: Die 
Temperaturverhältnisse, das anatomisch-klinische Krankheitsbild und 
die Constitution des Patienten. Principiell schickt N. („Berliner klin. 
Wochenschr.“, 1902, Nr. 8) einen bisher Fieberfreien, der ganz 
allmälig oder plötzlich zu fiebern beginnt, möglichst bald zu Bett. 
Wenn man dann eine subfebrile oder febrile, bis circa 38° reichende 
Temperatur, wie sie in continuirlichem Typus meist neu erfolgende 
Infiltrationen begleitet, so lange es Appetit und psychisches Ver¬ 
halten des Patienten ermöglichten, getreulich, aber erfolglos wochen¬ 
lang mit Bettruhe bekämpft hat und sieht, daß ein vorsichtiges 
zunächst kurzes Liegen auf der Chaiselongue das bisherige 
Temperaturniveau nicht erhöht, so legt man wohl den Patienten 
auf den Liegesessel auf einem leicht zu erreichenden Balkon. Dabei 
müssen folgende Postulate erfüllt sein: Fehlen nennenswerter 
Beschwerden durch das Fieber, wie Frostschauer, Schweiße, auf¬ 
fallende Abgeschlagenheit und Erschöpfung, Zunahme des Hustens 
beim Liegen im Freien; dürfen frisch entzündliche Veränderungen 
in den Lungen und anderen Organen nicht vorhanden sein, darf 
die Temperatur durch das Aufstehen nicht steigen. Eine Gewichts¬ 
abnahme gibt eine Conträindication ab. 

Bei dem häufig intermittirenden oder remittirenden Er¬ 
weichungsfieber mit normalen oder annähernd normalen Morgen¬ 
temperaturen ist je nach dem zeitlichen Ablaufe des Processes das 
Bettliegen rascher mit Erfolg belohnt. Wegen der bei den Ein¬ 
schmelzungen nicht selten eintretenden Hämorrhagien sei man vor¬ 
sichtig. Vorübergehende leichte Temperaturerhöhungen wird man 
immer geringer anschlagen als stundenlang andauernde. Manchmal 
sieht man kleine Temperaturerhöhungen, ohne daß man an einen 
actlven Proceß denken muß (Resorption). Leute mit großen 

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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 27. 


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Cavernen müssen sich vorsichtiger halten als Patienten mit Spitzen¬ 
katarrh, ebenso Leute mit vielem, feuchten Rasseln sowie Bluter. 
Bei bestehender Blutung ordnet man natürlich immer Bettruhe an. 
Durch Fall und übermäßiges Gehen verursachte Blutungen sind 
keine Seltenheit. Vorsicht erheischen auch beginnende Pleuritiden. 
Vor zu frühem Aufstehenlassen der exsudativen Pleuritiker ist zu 
warnen. Selbstverständlich geben auch constitutionelle Factoren 
manchen Anhaltspunkt für die Eintheilung der körperlichen Ruhe 
und Bewegung. Bei schwächlichen anämischen, chlorotischen, auch 
neurasthenischen Individuen wird die Liegecur vor Allem in den 
Vordergrund treten. Anämische mit morgendlicher subnormaler 
Körpertemperatur lasse man auch Morgens länger zu Bett liegen 
und das 1. Frühstück im Bette nehmen. Für das Spazierengehen 
ist festzuhalten, daß der Kranke rasten soll, bevor er ermüdet ist, 
daß der leicht Schwitzende das Eintreten der Transpiration ver¬ 
meidet. Eine genaue Dosirung der Körperbewegung wird darum in 
jeder gut geleiteten Lungenheilanstalt eingehalten. Zweckmäßig 
werden als Stunden zum Spazierengehen befunden : Die Zeit nach 
dem 1. Frühstück, 1 — 1% Stunden vor dem Mittagessen, nach der 
Vesper, wenn die Magenverdauung des Mittagessens erledigt ist. 
Mit der Athemgymnastik als Heilmittel der Tuberculose ist viel 
Unheil angerichtet worden. Bei Processen, die entweder vollständig 
abgelaufen sind oder keine Absonderungserscheinungen zeigen, bei 
wenig ausgiebiger Athmung und bei Verwachsungen läßt sich davon 
vorsichtig Gebrauch machen. Penzoldt hält vorsichtiges Radfahren 
für erlaubt, Turban gestattet geeigneten Kranken auch das 
Schlittschuhlaufen. Auch geistige Anregungen in entsprechender 
Form bilden einen nothwendigen Behelf der Phthiseothcrapie. L. 

Symanski (Königsberg): Eine Beobachtung über die Mög¬ 
lichkeit des Nachweises von Tetanusgift in dem 
Blute beerdigter und faulender Leichen. 

Verf. erhielt Blut und Leichentheile eines 36 Tage nach dem 
Tode exhumirten Cadavers zur Untersuchung auf Tetanus; das 
Material langte erst 12 Tage später im Institute ein und war be¬ 
reits in Fäulniß übergegangen. Aus diesem Grunde war das Cultur- 
verfahren aussichtslos und wurde von demselben abgesehen. Hin¬ 
gegen wurde das Blut durch ein Kieselguhrfilter filtrirt und das 
Filtrat an weiße Mäuse verimpft, um auf diese Weise allenfalls 
vorhandenes Toxin nachzuweisen. Thatsächlich gingen zwei der 
V ersuchsthiere an typischem Tetanus ein, wodurch der Beweis er¬ 
bracht ist („Centralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde und In- 
fectionskrankheiten“, Bd. 30, H. 25), daß das Tetanusgift eine 
lang andauernde Resistenz gegenüber der Fäulniß aufweist. 

Dr. S-. 

Perez (Buenos Aires): Bacteriologie de l’ozene. Deuxi&me 
memoire: Etiologie et Prophylaxie. 

In einer früheren Arbeit hatte Verf. den Coccobacillus foetidus 
ozaenae als Erreger der Ozaena beschrieben. Als er nun von seinem 
Lehrer Prof. Liguiübes darauf aufmerksam gemacht wurde, daß 
derselbe den genannten Bacillus in einem pneumonischen Herde eines 
experimentell inficirten Hundes gefunden hatte, untersuchte er syste¬ 
matisch die Bakterienflora der Nase und des Speichels verschiedener 
Thiere und fand in einem Falle unter 6 Hunden den Coccobacillus 
foetidus ozaenae. Bei den übrigen untersuchten Thieren (Katzen, 
Pferden, Schweinen, Rindern etc.) fand er ihn nicht („Annales de 
l’institut Pasteur“, 1901, pag. 409). Dieser Mikroorganismus kommt 
also normalerweise im Nasenschleim und Speichel des Hundes vor 
und kann sich daselbst, wenn der Hund erkrankt, stark vermehren. 
Deshalb hält Verf. den Hund, namentlich während einer Erkrankung, 
für geeignet, die Ozaena auf den Menschen zu übertragen, „sowie 
die Ratte die Pest fortpflanzt“. Die anamnestischen Angabeü, die 
Verf. bei der Untersuchung von 41 Kranken erheben konnte, 
scheinen ihm gleichfalls in diesem Sinne zu sprechen. Außerdem 
kann aber auch eine Uebertragung von Mensch auf Mensch er¬ 
folgen , wenn dieselben, wie es im Familienleben der Fall ist, in 
lange andauernden, innigen Contact mit einander kommen. 

Dr. S—. 


Kleine Mittheilungen. 

— Die Rolle der Harnsäure in der Pathologie und Therapie 
der Gicht erörtert His („Gesellsch. f. Natur- und Heilkunde zu 
Dresden“). Die Harnsäure spielt in der Gicht nicht nur die Rolle 
eines Krankheitsproductes, sondern besitzt auch pathogene Eigen¬ 
schaften. Sie ist nicht ein Product unvollkommener Eiweißzer¬ 
setzung, sondern ein Verwandter der sogenannten Purinbasen und 
entsteht aus den Nucleinen; sie tritt im Körper theils aus dessen 
NueleinstofFwechsel auf, theils werden ihre Vorstufen mit der 
Nahrung eingeführt. Ein Tlieil der Harnsäure wird im Körper 
zerstört, wobei die Betheiligung der Leukocyten und der Leber 
bisher nachgewiesen ist; die Zerstörung ist jedoch eine unvoll¬ 
kommene. Bei der Gicht ist weder die Harnsäurebildung vermehrt, 
noch die Ausscheidung durch die Nieren erschwert. Es bleibt 
somit nur die Möglichkeit, daß die Harnsäurezerstörung vermindert 
ist. Nach Analogie mit dem Diabetes kann man die Fälle gruppiren 
in solche, bei denen die Gicht ohne nachweisbare Ursache und in 
jugendlichem Alter auftritt, und in solche, bei denen die Dispo¬ 
sition zwar ererbt, aber durch unzweckmäßige Lebensweise ver¬ 
stärkt ist, und endlich in erworbene Formen, wozu die Gicht der 
Brauer und die Bleigicht zu zählen sind. Die erstgenannten Formen 
verlaufen meist am schwersten und sind am wenigsten der Therapie 
zugänglich. Die Auslösung des Gichtanfalles ist bisher noch dunkel. 
Die Harnsäure wirkt theils als Fremdkörper entzündungserregend, 
diese Wirkung schwindet mit der Abkapselung durch fibröses 
Gewebe; theils wirkt sie als nekrotisirendes Gewebegift, dies nur 
im gelösten Zustand. Es hängt daher von dem Lösungszustand 
der Räure und von ihren Beziehungen zur Umgebung ab, ob die 
Depots Schmerz erzeugen oder reactionslos vorhanden sind. Die 
therapeutische Aufgabe besteht darin, die harnsäurezerstörenden 
Functionen des Körpers zu schonen; die Harnsäurebildung zu ver¬ 
mindern; hiebei sind Fleisch und nucleinreiche Nahrungsmittel 
nicht unbedingt zu vermeiden, da sie erst im Uebermaß genossen, 
einen merklichen Einfluß auf die Harnsäureausscheidung äußern. 
Die Chinasäure scheint, nach neueren Untersuchungen, die Harn¬ 
säurebildung nicht oder nur unter ganz bestimmten Verhältnissen 
zu vermindern; die Zerstörung zu erhöhen; hiezu scheint 
eine allgemeine Anregung des Stoffwechsels durch Körperbewe¬ 
gung etc. imstande, die Ausscheidung zu vermehren. Die Mittel, 
welche, wie Salicylsäure, diese Eigenschaft haben, sind nur kurze Zeit 
wirksam und erfahrungsgemäß bei chronischer Gicht wirkungslos; 
die Circulation in den befallenen Theilen durch Massage, Heißluft, 
Thermen etc. anzuregen. 

— Ueber Dionin bei Erkrankungen der Athmungsorgane 

berichtet Aug. Scherer („Therap. Monatshefte“, 1902, Nr. 3). 
Die hauptsächlichste Wirkung des Dionins ist eine reizmildernde. 
Verminderte oder erschwerte Expectoration konnte sogar bei reich¬ 
lichem Gebrauch des Mittels in keinem Falle beobachtet werden. 
Vorhandene Schmerzen wurden durch das Dionin meist günstig 
beeinflußt. Patienten, die früher wegen starken Hustenreizes oder 
aus anderen Gründen über Schlaflosigkeit klagten, konnten nach 
abendlicher Einnahme von 0 02—0’03 Dionin meist sehr gut und 
anhaltend schlafen. Unangenehme Erscheinungen nach Gebrauch 
von Dionin konnten niemals festgestellt werden. Alles in Allem 
genommen, erwies sich das Dionin als ein zwar durchaus nicht 
unfehlbar wirkendes, aber doch schätzenswerthes Narcoticum ohne 
irgend welche schädliche Nebenwirkungen. 

— In einer längeren Abhandlung spricht sich HiGGiüs („Berl. 
klin. Wschr.“, 1902, Nr. 14) sehr energisch gegen den Kaiser¬ 
schnitt als Behandlungsmethode der Placenta praevia aus, wie 
sie von Tait und nach ihm von einigen amerikanischen Autoren 
empfohlen wurde. Die von Tait dem Vergleich mit den vaginalen 
Methoden zugrunde gelegte Mortalitätsziffer von 40—50% stammt 
aus der Mitte des Jahrhunderts. Jetzt beträgt dieselbe nach H.’s 
eigenen Resultaten 10%, in den günstigen Verhältnissen der 
Privatpraxis vielleicht nur 5%. Dagegen betrug die Mortalität in 
den bisher bekannt gewordenen, mit Sectio caesarea behandelten 
Fällen 66%. Es ist eben der Kaiserschnitt bei diesen ausgebluteten 
Patientinnen nicht zu vergleichen mit dem als Operation der Wahl 


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bei engem Becken vorgenommenen. Auch die hohe Mortalität der 
Kinder, die bei vaginalem Vorgehen circa 50—60% beträgt, 
würde kaum vermindert werden, da dieselbe weniger von dem 
operativen Vorgehen abhängt, als davon daß es sich meist um 
kaum lebensfähige Frühgeburten handelt. In Betracht kommt der 
Kaiserschnitt nur, wenn am Ende der Schwangerschaft, ehe eine 
Blutung eingetreten, die Diagnose auf Placenta praevia totalis 
gestellt wird und der Muttermund sehr rigide wäre, Bedingungen, 
die wohl kaum je Zusammentreffen. Im übrigen aber empfiehlt 
H., solange der Muttermund noch nicht für zwei Finger durch¬ 
gängig, feste Tamponade der Vagina auf einige Stunden, dann 
Wendung nach Braxton-Hicks und Angezogenhalten des herunter¬ 
geholten Fußes bis zur spontanen Geburt. 

— Das Itrol in der Augenheilkunde verwendet Emil Bock 
(Wien 1902). Itrol wirkt als Pulver ausgezeichnet bei recht 
saftigem Pannus trachomatosus und bei Trachom mit sehr reich¬ 
licher Absonderung. Das eingestäubte Itrol findet dann genügende 
Menge von Flüssigkeit, um im Bindehautsack gelöst zu werden, 
anderenfalls ist es bei Trachom wirkungslos. Hornhautgeschwüre 
jeder Art, welche schlecht heilen, reinigen sich schnell bei Ein- 
stäubung von Itrol. Seine auffallendste Wirkung aber entfaltet Itrol 
bei großen Phlyktänen der Augapfelbindehaut, wenn diese Blasen, 
frühzeitig geborsten, Wundflächen darstellen, welche mit absterben¬ 
dem und eiterndem Gewebe bedeckt sind. Diese durch ihre Hart¬ 
näckigkeit so unangenehmen Krankheiten kommen unter Bestäubung 
mit Itrol in wenigen Tagen zur Heilung. 

— Seine Erfahrungen über Exstirpation der Ovarien bei 
inoperablem Mammacarcinom publicirt Abbe („Berl. klin. Wschr.“, 
1902, Nr. 14). Er verfügt über 7 Fälle. In dem 1. Falle, welcher 
eine 42jährige Frau betraf, waren Mamma und Achseldrüsen 
10 Monate vorher entfernt worden. Zur Zeit der Oophorectomie 
locales und regionäres Recidiv, sowie hühnereigroßer Tumor in 
der anderen Brust. In einer Woche schon Veränderungen in den 
Gewebsknoten beobachtet, nach 8 Wochen war jede Spur von 
fühlbaren Knoten verschwunden. Dasselbe befriedigende Resultat 
bestand noch nach 4 Monaten; jedoch hatte sich eine Pleuritis 
exsudativa entwickelt. Bei dem 2. Fall, einer 70jährigen Patientin, 
war die Mammaamputation 2 Jahre vorher ausgeführt worden. Ein 
carcinomatöses Geschwür an der Stelle der alten Narbe zeigte 
eine Woche nach der Oophorectomie schon Veränderungen, nach 
8 Wochen war das Geschwür geheilt und die Knoten in der Um¬ 
gegend waren flacher und weicher geworden. 3% Monate später 
waren die Knoten noch vorhanden, aber hatten noch etwas abge¬ 
nommen. In den fünf anderen Fällen waren die Resultate nicht 
so bemerkenswert!! gewesen wie in den beiden ersten Fällen, doch 
waren sie noch zu jungen Datums, um zur Beurtheilung der 
Methode zu dienen. Abbe äußert sich dahin, daß die bisherigen 
Resultate dieser Behandlungsmethode dazu berechtigen, den sonst 
hoffnungslosen Patienten eine Zuflucht zu bieten. 

— Uebereinstimmend mit anderen Beobachtern berichtet 
Freyhan („Deutsche Aerzte-Ztg.“, 1902, Nr. 9), daß Yohimbin 
Spiegel imstande ist, die Ausübung der Geschlechtsthätigkeit da, 
wo sie geschwächt ist, zu steigern , und da, w 7 o sie erloschen ist, 
in geeigneten Fällen wieder hervorzurufen. Das Mittel ist wirksam 
bei nervöser Impotenz, dagegen ohne Wirkung bei der paralytischen 
Impotenz. Die Darreichung geschieht entweder subcutan dreimal 
täglich % Spritze einer l%igen Lösung oder innerlich in 

Tabletten ä 0'005 Grm. ebenfalls dreimal täglich eine Tablette 
zu nehmen. In ähnlichem Sinne äußert sich auch Kühn („D. med. 
Wschr.“, 1902, Nr. 3). 

— Ueber Chloroform bei Herzkranken berichtet Huchard 
Folgendes („Journ. des Praticiens“, 1902, Nr. 7). Die dem Chloro¬ 
form zugeschriebenen Unglücksfälle kommen bei Affectionen des 
Herzens und der Aorta nicht häufiger vor als bei den an anderen 
Krankheiten leidenden Patienten. Die Krankheiten des Herzens und 
der Aorta bilden keine Gegenanzeige für die Chloroformanästhesie, 
vorausgesetzt, daß sie nicht acut infcctiöser Natur sind oder einen 
sehr geschwächten Organismus betreffen, und daß die chronischen 
Herzkranken nicht bis zu der Periode der Asystole oder Dyspnoe 
gelangt sind oder sogar deutliche Symptome von pericarditischer 


Verwachsung zeigen. Bei Herzkranken soll die Chloroformnarkose 
mit geringen, progressiven und continuirlichen Dosen bis zur fast 
vollständigen Unterdrückung des Augenlidreflexes ausgeführt werden. 
Für gewöhnlich bewährt sich der Ausspruch von Södillot: „Gut 
bereitetes und besonders gut applicirtes Chloroform tödtet nicht.“ 

— Als neues Nahrungs- und Kräftigungsmittel empfiehlt 
der Nervenarzt Beermann („Med. Woche“, 1901, Nr. 37). Vial’s 
tonischen Wein. Er wird dadurch hergestellt, daß mageres, klein 
geschabtes Ochsenfleisch, aus dem alle Sehnen entfernt sind, mit 
verdünntem Alkohol behandelt wird. Nach einigen Stunden wird 
die durch eine hydraulische Presse ausgedrückte Flüssigkeit auf¬ 
gefangen , der Rest ein zweites- und drittesmal ausgepreßt. Die 
zusammengebrachten Flüssigkeiten läßt man im Vacnura bei niederer 
Temperatur verdunsten. Dieser Saft wird mit altem Malaga ge¬ 
mischt und hierauf von der besten Chinarinde zugesetzt; dann 
folgt noch ein Zusatz von Laktphosphat und nun wird unter Luft¬ 
abschluß filtrirt. Dieser Wein empfiehlt sich überall da, wo die 
Kranken Widerwillen gegen Fleisch zeigen. Er läßt sich bei den 
verschiedensten Krankheiten und besonders in der Reconvalescenz 
mit großem Nutzen als Tonicum verwenden. 

— Die Anwendung der Luft- und Wassermassage am Auge 
empfiehlt Kauffmann („Wschr. f. Ther. u. Hyg. d. Aug.“, 1902, 
Nr. 5). Er verwendet dazu eine Glasspritze, welche am Grunde 
einer Augenbadewanne angeschmolzen ist. Die Ränder der Augen¬ 
badewanne werden über die Lider auf das Auge aufgesetzt und 
sodann durch Auf- und Niederziehen des Kolbens die über dem 
Auge befindliche Luft verdünnt oder verdichtet. Wenn man die 
Wanne mit Wasser füllt, so wird dadurch die Wirkung auf das 
Auge noch verstärkt. Dadurch, daß man kaltes oder warmes 
Wasses nimmt, kann man auch thermische Reize ausüben. Die 
3—5 Minuten dauernde Massage soll keinesfalls öfter als einmal 
täglich ausgeführt werden. Am meisten wird wohl der vordere 
Augenabschnitt durch diese Massage beeinflußt und ist dieselbe 
zunächst bei chronischen Affectionen des Auges zu versuchen. 


Literarische Anzeigen. 

Therapie der Erkrankungen des Respirations- und 
Circulationsapparates. Von Dr. Max Kahane in Wien. 
Wien und Leipzig 1902, Alfred Hölder. 

Ein neues Buch von Kahane und sicherlich ein gutes, ein 
werthvolles Buch für den Praktiker, dessen Zwecken es dienen soll. 
Alle historischen und literarischen Details sind weggeblieben; da¬ 
durch ließ sich die Kürze und Uebersichtlichkeit erreichen, welche 
das kleine Werk mit Klarheit, präciser Fragestellung und Beant¬ 
wortung vereinigt. Wie sehr der Verf. seinem Stoffe gewachsen 
war, erhellt aus der ausführlicheren Bearbeitung der wichtigen Er¬ 
krankungsformen , sowie der eingehenden Berücksichtigung der 
physikalischen, hygienischen und diätetischen Therapie. Aus der 
Betonung der socialen Momente, z. B. bei der „Tuberculose“, spricht 
die umfassende Bildung und Lebenskenntniß des beliebten Autors. 

_ Br. 

Internationale Sehprobentafel für Kinder. Von Dr. Ernst 

Heimann, Augenarzt in Berlin. Deutsch-Französisch-Englisch- 
Russisch. Berlin W. 1902, Fischer’s medicinische Buchhandlung 
H. Kornfeld. 

Eine der denkbar einfachsten Sehprobentafeln, daher dem 
Zwecke entsprechend, für Kinder im noch nicht schulpflichtigen 
Alter sehr empfehlenswerth. Die Sehprobentafel besteht aus zwei 
zusammenklappbaren Cartons in Quartformat; auf jeder Seite je 
eine oder mehrere Hände mit ausgestrecktem Zeigefinger abgebildet. 
Man läßt nun von dem Kinde mit eigener Hand die Stellung der 
auf der Sehprobentafel abgebildeten Hand nachahmen, so daß dem 
Kinde das Sprechen vollkommen erspart bleibt. Dies Letztere ist 
ein großer Vortheil, da viele Kinder infolge der ängstlichen Scheu 
mangelhafte Angaben machen. Außerdem ist noch ein weiterer Vor¬ 
theil darin gelegen, daß infolge der Einfachheit des Probeobjectes 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 27. 


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an den Denkact des Kindes nur die geringste Anforderung gestellt 
wird. Neben der bisher üblichen WOLFFBERG’schen Bildertafel wird 
die IIeimann’ sche Tafel bald überall den verdienten Eingang finden. 

BONDI-Iglau. 

Handbuch der Schulhygiene. Von Dr. Leo Burgerstein 
und Dr. Aug. Netolitzky in Wien. Mit 350 Abbildungen. 
2., umgearbeitete Auflage. Jena 1902, Gustav Fischer. 

Der Erfolg der ersten Auflage dieses vorzüglichen Handbuches 
hat rasch seine Revision und Neuauflage nothwendig gemacht, in 
welcher alle in den letzten Jahren errungenen hygienischen Fort¬ 
schritte eingehende Würdigung und Berücksichtigung erfahren 
haben. Hinzugekommen sind die Hygiene des Lehrerberufes, der 
Kindergarten, wichtige Gesichtspunkte über die hygienischen Zu¬ 
stände der Schulhäuser und deren Einrichtung, die hygienischen 
Maßnahmen bei Cholera, Malaria, Pest und Typhus, da diese 
Infectionskrankheiten für die Schulen in den meisten Culturstaaten 
bereits der Anzeigepflicht unterliegen. Der gebotene Raum gestattet 
es nicht, alle in der neuen Auflage getroffenen Aenderungen auch 
nur andeutungsweise anzuführen. Es genüge, darauf hinzuweisen, 
daß alle Aenderungen thatsächlich auch Verbesserungen bedeuten. 


Feuilleton. 


Lebensbilder aus halbvergangener Zeit. 

II. 

Carl v. Rayger (1641—1707). 

Von Dr. St. V. Vamossy in Preßburg. 

Es ist unbestritten, daß Carl v. Rayger, dem älteren, unter 
den Aerzten aller Zeiten und Völker ein ehrenvoller Platz gebührt. 
Sein Name ist zwar wenig bekannt, umsomehr aber seine Ent¬ 
deckung, <lie forensisch ungemein wichtige Lungenschwimmprobe 
der Neugeborenen. Es dürfte daher angezeigt sein, diesen Mann 
aus der Vergangenheit auszugraben und ein wenig näher zu be¬ 
leuchten. 

Carl v. Rayger wurde am 22. September 1641 in Preßburg 
geboren. Sein Vater, Wilhelm v. R., war 1629 nach Preßburg 
gezogen und wirkte hier als berühmter Praktiker. Carl v. R. besuchte 
das Preßburger (Jesuiten)-Gymnasium; in seinem 15. Lebensjahre 
hielt er eine Rede in hebräischer Sprache. 18 Jahre alt, bezog R. 
die Universilät zu Altdorf, wo er sich 2 Jahre mit philosophischen 
und philologischen Studien beschäftigte. 1661 finden wir ihn als 
(evangelischen) Theologen in Wittenberg. Mittlerweile starb sein 
älterer Bruder Ferdinand. Auf Zureden der Mutter und seiner 
Verwandten entsagte R. der theologischen Laufbahn und ließ sich 
1662 als Studiosus medicinae in Straßburg immatriculiren. Seine 
Lehrer waren Melchior Schebitzius und Albert Johann. Noch 
als Student schrieb er die Abhandlung: De inedia. Im April 1663 
begab er sich nach Holland und hörte in Leyden längere Zeit 
bei Sylviüs. Später trifft man ihn in Paris, mit anatomischen und 
chirurgischen Studien beschäftigt und fleißig die Bibliotheken be¬ 
suchend. Um seine botanischen Kenntnisse zu erweitern, wendet 
er sich nach Montpellier. Nach Paris zurückgekehrt, vertieft sich 
R. abermals in medicinische Studien. Auf einer Reise nach Bur¬ 
gund und der Schweiz 1667 sucht er neuerdings Straßburg auf 
und promovirt hier mit der Dissertation: De natura salivae, zum 
Doctor medicinae. Nach Hause zurückgekehrt, wandert der junge 
Arzt bald wieder nach Steiermark, Kärnten und Tirol und von 
da nach Italien. Er besucht Venedig, Mailand, Bologna, Genua, 
Florenz und Rom zu Studienzwecken. Dann erst läßt sich R. 
Juli 1668 in seiner Vaterstadt, Preßburg, als Arzt nieder, wo er 
39 Jahre hindurch neque enim nomine et sermone — wie Gensel 
sagt — ut multi pro dolor ! sed re et opere Medicus iuxta Hippo- 
cratis legem exstitit, nec timidus aut tumidus, sed summa cum 
prudentia et cautione medicinam fecit. Im Jahre 1674 heiratete er 
R. Katharina Juditha Boheim, die Tochter des Kriegszahlmeisters 
des Kaisers Leopold. 1694 erwählte ihn die Academia naturae 


Der wahrhaft internationale Charakter der Darstellung, die umfang¬ 
reichen und umfassenden Quellenangaben und schließlich die Aus¬ 
stattung gewährleisten auch der zweiten Ausgabe des Handbuches 
den großen Erfolg seiner ersten Auflage. G. 


Verbandlehre. Von p. H. van Eden, Director des Stadtkranken¬ 
hauses in Leeuwarden. Jena 1901, G. Fischer. 

Es besteht kein Mangel an guten Handbüchern der Verband¬ 
technik. Trotzdem ist die vorliegende deutsche Ausgabe eines 
Werkchens, das in seinem Vaterlande sich mit Recht großer Ver¬ 
breitung erfreut, warm zu begrüßen, da es in Wort und Bild eine 
ausgezeichnete Darstellung der üblichen chirurgischen Verbände 
liefert. Da hier ein gutes Bild mehr sagt als viele Seiten Text 
und nicht so rasch vergessen wird wie dieser, bildet des hollän¬ 
dischen Chirurgen Verbandlehre ein werthvolles Lehr- und Nach- 
schlagebuch, denn seine Photogramme, 225 an Zahl, gehören in 
jeder Beziehung zum Besten, das wir je gesehen. Das prächtig 
ausgeBtattete, mit einem empfehlenden Vorworte Prof. Narath’s 
versehene Buch ist daher Studirenden und Aerzten sowie Kranken¬ 
pflegerinnen bestens zu empfehlen. B. 


curiosorum unter dem Namen Philo II. zum Mitgliede. Im Laufe 
der Zeit erhielt er den Titel eines Hofarztes und war viele Jahre 
hindurch Physicus der königlichen Freistadt Preßburg. R. starb 
am 14. Januar 1707, 5 Uhr Morgens. Mit großem Pompe, beweint 
von Reich und Arm, wurde er in die väterliche Familiengruft 
auf dem evangelischen Friedhofe in Preßburg beigesetzt. 

Die literarische Thätigkeit Carl v. Rayger’s des älteren, 
erstreckt sich über die ganze Medicin. Seine allgemeine Bildung, 
sein hoher Gesichtskreis, seine weiten Kenntnisse der Welt hoben 
ihn über alle Aerzte unserer Stadt und schufen ihm einen euro¬ 
päischen Ruf. R. war Anhänger der von Baco v. Verulam beein¬ 
flußten und durch Harvey begründeten anatomischen und physio¬ 
logischen Richtung der Heilkunde, welche, die dominirende Rolle 
der speculativen Philosophie in der Medicin verwerfend, die 
Probleme derselben vom Standpunkte der Naturwissenschaften zu 
lösen bestrebt ist, daher in den Kreis der Untersuchungsmethoden 
auch das Experiment aufnimmt. Rayger war zwar kein unmittel¬ 
barer Schüler Harvey’s, aber lange genug saß er zu Füßen 
Sylviüs de le Boe’s, des hervorragendsten Vertreters der Lehren 
Harvey’s, in Leyden, um zu lernen, daß in den Beobachtungen 
und Erfahrungen am Krankenbett und Secirtisch die Grundlagen 
der Fortentwickelung der Medicin zu suchen sind. Seine Sections- 
protokoile und Krankengeschichten erweisen, daß er die Medicin 
als Wissenschaft im Geiste seiner Lehrer weiterzubilden bestrebt 
war. R.’s Arbeiten kennzeichnet eine präcise Beobachtung; die 
Kenntniß des Satzes von Baco : „Prudens interrogatio (scilicet 
naturae) est quasi dimidium scientiae“ veranlaßt ihn auch, das 
Experiment heranzuziehen. Obwohl R. auf diese Weise eine große 
Menge von Erfahrungsdaten zusammentrug, entsprach er dennoch 
nicht immer der weiteren Forderung Baco’s : „Vere scire est per 
causas scire.“ Im Naturforscher tritt hie und da der gewesene 
Theologe zutage, und auf dem wogenden Felde seiner Gelehrsam¬ 
keit sprießt neben goldenen Aehren oft auch die geheimnißvolle 
Blume des Mysticismus und Occultismus wuchernd auf. Nirgends 
stößt man auf derlei mehr als in seiner Arbeit über die Pest 
1679 in Preßburg — im Manuscripte zurückgeblieben —, wo er 
außer den natürlichen Ursachen der Seuche auch übernatürliche 
(gute und böse Engel etc.) annimmt. Darüber können wir uns 
aber nicht wundern, denn die medicinischen Schulen in Paris und 
Montpellier, wo R. zum Theile seine Studien betrieb, suchten noch 
zu Anfang des 18. Jahrhunderts die Ursachen der Seuchen in 
teleologischen, kosmischen, tellurischen und anderen derartigen 
Vorbedingungen. Rayger, der als Protestant die österreichischen 
Universitäten, Wien etc., meiden mußte, kam daher nicht in die 
Lage, auch in dieser Richtung den einzig richtigen 
naturwissenschaftlichen Standpunkt, der von der 
Wiener medicinischen Facultät von jeher vertreten 
wurde, kennen zu lernen. 


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KNOLL & C?, LUDWIGSHAFEN am Rhein. 


Cannalbin (Knoii) 

(D. R. P.) 

als Hntidiarrboicum* 


TPannalbin, die nach besonderem Verfahren dargestellte 
Ei Weissverbindung der Gerbsäure, wurde im Jahre 1896 auf 
Empfehlung von Prof. Dr. Gottlieb, Primararzt Dr. von Engel 
und Prof. Dr. Vierordt in den Arzneischatz eingeführt. Seit 
jener Zeit sind von einer grossen Reihe bestbekannter Autoren 
so ausserordentlich zahlreiche und so günstige Urteile ver¬ 
öffentlicht worden, dass seine Stellung im Arzneischatz an der 
Spitze der gerbsäurehaltigen Darmadstringentien heute als eine 
allgemein anerkannte gelten kann. 

Tannalbin ist im sauren Magensaft unlöslich und stört 
die Magenfunktionen in keiner Weise, so dass auch bei lang¬ 
dauernder Anwendung sehr grosser Dosen niemals Appetit¬ 
losigkeit eintritt. 

Im alkalischen Darmsaft wird das Tannalbin ganz all¬ 
mählich in seine Componenten, Tannin und Eiweiss, gespalten, 
so dass die Wirkung auch den Dickdarm erreicht und durch 
Tannalbin — im Gegensatz zu anderen Darmadstringentien — 
auch schwere Dickdarmerkrankungen unzweifelhaft günstig 
beeinflusst werden. 

Tannalbin ist völlig geschmack- und geruchlos und 
absolut frei von jeglichen Nebenwirkungen; besonders wird 
der Appetit in keiner Weise beeinträchtigt. 


Indicationen. 

1. Darmerkrankungen des Säuglingsalters, besonders 
auch Sommerdiarrhoen der Kinder. 

2. Acute, subacute und chronische Darmcatarrhe der 

Erwachsenen und Kinder. 


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3. Durchfälle infolge von Infectionskrankheiten (Typhus, 
Dysenterie, Cholera). 

4. Durchfälle der Phthisiker. 

5. Nervöse Durchfälle. 

6. Durchfälle, welche als unerwünschte Nebenwirkung bei 
der fortgesetzten Darreichung von Leberthran oder infolge 
anderer, Diarrhöen verursachender Medikamente auftreten. 

An Stelle eines umfangreichen Litteraturauszuges seien nur 
folgende Urteile über Tannalbin angeführt: 

Prof. Dr. O. Vierordt (Universitäts-Kinderklinik, Heidelberg): 

»Ich stelle das Tannalbin unbedingt an die Spitze der 
bis jetzt vorhandenen Gerbsäurepräparate, und 
zwar sowohl wegen der relativ grösseren Sicherheit und Energie 
seiner Wirkung auf den ganzen Darmtractus, als wegen seiner 
Unschädlichkeit.« 

Dr. C. Stein (Med. Klinik von Prof. Dr. Nothnagel, Wien): 

»In 22 Fällen von subacuten und chronischen 
Dünndarm- und Dickdarmcatarrhen war der Erfolg 
des Tannalbin durchwegs ein vorzüglicher. Selbst in schweren 
Fällen von monatelanger Dauer, bei denen andere Mittel ohne 
jeglichen Effect geblieben waren, Hess sich eine energische Beein¬ 
flussung des lokalen Prozesses an der raschen Abnahme der 
Zahl der Stühle, an ihrer Consistenzzunahme und an dem Ver¬ 
schwinden des Schleimgehaltes erkennen.« 

»Ebenso zufriedenstellend waren die Erfolge des Tannalbin 
bei den Diarrhöen der Phthisiker. Das Präparat erwies 
uns bei allen Patienten durch die schon nach wenigen Tagen 
auftretende eclatante stopfende Wirkung sehr gute Dienste.« 

Prof. Dr. H. 0. WySS (Kinder-Spital Hottingen-Zürich) 

hat an einem zahlreichen Krankenmaterial sowohl bei Enteritis 
und Gastroenteritis acuta, als bei subacuten Fällen von Darm¬ 
und Magendarincatarrh und bei chronischen schweren Darm- 
catarrhen, besonders solchen, die auf tuberculöser Basis beruhten, 
überall vorzügliche Erfolge gehabt und echliesst seinen Bericht mit 
den Worten: »Kurz und gut: Tannalbin ist eines der besten 
und zuverlässigsten anti diar r höischen Mittel.« 

Dr. J. G. Rey (Aachen): 

»Ich möchte behaupten, dass man durch das Tannalbin oder 
in Verbindung oder im Wechsel mit Calomel auch bei weniger 
strenger Diät im Stande ist, jede Gastroenteritis bei 
Säuglingen zur Heilung zu bringen, ausgenommen etwa die in 
kürzester Zeit tötlich verlaufenden Fälle der Cholera infantum 
und die tuberculöse Form der chronischen Enteritis.« 

Dr. Oscar Kramer (Regiments-Arzt, Trencsin, Ungarn) 
berichtet nach lobender Anerkennung der Vorzüge des Tannalbin 
im allgemeinen u. a. (August 1900): 

»Besonders in einem Falle von durch Darmtuberculose be¬ 
dingter colliquativer Diarrhoe, wo zuvor alle versuchten 
Präparate versagten, erwies sich Tannalbin innerlich und 

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auch nach Prof. Ortners Angabe mit Kleisterklystieren verabfolgt 
als ein verlässliches Obstruens. Noch möchte ich erwähnen, 
dass ich das Tannalbin bei Sommerdiarrhöen der Kinder mit 
gutem Erfolge ordinierte. Auch hier versuchte ich das Mittel 
rectal in kleinen Stärkeklysmen zu verabfolgen, und scheint 
mir diese lokale Application auch eine örtlich mildernde Wirkung 
auf die Mastdarmschleimhaut, die hierbei gewöhnlich entzündlich 
catarrhalisch mitaffiziert ist, zu entfalten.« 

Eine sehr günstige Beurteilung findet Tannalbin in Prof. 
Dr. Penzoldt’s »Lehrbuch der Klinischen Arzneibehandlung« 
(1900, pg. 190): 

Der Autor rühmt die sichere Wirkung des Tannalbin gegen¬ 
über den anderen Tanninpräparaten und glaubt, dass in der 
medikamentösen Behandlung von Durchfällen aller Art das Tan¬ 
nalbin eine angesehene Stelle einnehmen wird, zumal das Präparat 
keine unangenehmen Nebenwirkungen besitzt. 

Prof. Dr. Ortner, Wien, sagt in seinen »Vorlesungen über 
specielle Therapie innerer Krankheiten« (1900, pg. 663), 

dass er das Tannalbin andern neueren Tanninpräparaten 
»bedingungslos vorzieht nach seiner diesbezüglich reichen Er¬ 
fahrung.« Er hält das Tannalbin überhaupt für eines der vorzüg¬ 
lichsten Präparate. 

Prof. M. K. Preise, Moskau, hat ausführliche vergleichende 
Untersuchungen über den Wert der neueren Tanninpräparate bei 
der Therapie der Darmerkrankungen im Säuglingsalter angestellt: 
Die besten Resultate erhielt er mit Tannalbin. 

Tannalbin wirkte vorzüglich bei Darmdyspepsie, acutem und 
chronischem Darmcatarrh, Cholera infantum sowie tuberculösen 
Durchfällen. (Arbeiten der Gesellschaft russischer Aerzte in 
Moskau 1900, XXXIX. Jahrgang). 


V erordnungs weise. 

Das Tannalbin ist ein bräunliches, in Wasser unlösliches, 
geschmack- und geruchloses Pulver, welches Erwachsene und 
Kinder gern nehmen. 

Für Erwachsene giebt man 

3—5 mal täglich l \% Kaffeelöffel (= 1—2 g) in stünd¬ 
lichen Pausen (bis 10 g pro die ) vor der Mahlzeit, 
eventuell aa mit geschabter Chocolade combiniert als 
wohlschmeckendes Pulver. 

Für Säuglinge 

0,3 g bis zu 3 Monaten 3—4 mal täglich, von 3 Monaten 
ab 0,5 g 4 mal täglich in Hafer- oder Reisschleim. 

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Recepte für Kinder. 

Nach Geh.-Rat Heubner 

Rp. Tannalbin. (Knoll) 0ß—0,5 

Dent. tal. dos. No. X—XX. 

S. Bei Beginn 4 Pulver innerhalb 2 Stunden, dann 4 mal täglich 

1 Pulver in Hafer- oder Reisschleim z. n. 

eventuell in Combination mit Calomel: 

Rp. Tannalbin. (Knoll) 0,3— 0,5 
Calomelan. . . . 0,005 

M. f. p. Dent. tal. dos. No. X. 

S. 3—4 mal täglich 1 Pulver in Gersten- oder Reisschleim z. n. 

Recepte für Erwachsene. 

Rp. Tannalbin. (Knoll) 10,0—20,0 

D. ad scatulam. 

S. 3—5 mal täglich */j Kaffeelöffel in stündlichen Pausen z. n. 

Rp. Tannalbin. {Knoll) 

Post. Cacao raspat. ää 10,0 

M. f. p. D. ad scatulam. 

S. 3—5 mal täglich */» Kaffeelötfel in stündlichen Pausen z. n. 

Rp. Bismuth. subnitr. . . 0,5 
Tannalbin. (Knoll) . . 1,0 
M. f. p. Dent. tal. dos. No. X. 

S. 3—4 mal täglich 1 Pulver in Gerstenschleim z. n. 


Nach dem Aufhören der Durchfälle ist das Mittel noch einige 
Tage in fallender Dosis weiter zu nehmen. 


NB. Der Preis des Tannalbin ist in der preuss. Arsmeitaxe (1901) auf 
1,0 fr = IQ Pfg., 10 g = 90 Pfg. herabgesetzt worden! 


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1902. —• Wiener Medizinische Presse. — Nr. 27. 


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Sehr hoch müssen wir es Carl v. Rayger anrechnen, daß 
er Sectionen vornahm und stets darauf bedacht war, wo er es 
nur thun konnte, das im Leben beobachtete Krankheitsbild mit 
den an der Leiche constatirten Veränderungen in Einklang zu 
bringen, so weit dies bei dem damaligen Stande der Medicin als 
Naturwissenschaft überhaupt möglich war. Schon an und für sich 
die That, daß er Sectionen machte, ist rühmenswerth, wenn wir 
uns in Erinnerung bringen, daß an der berühmten Universität in 
Leyden noch im Anfänge des 18. Jahrhunderts im Jahre nur 
einmal ein Leichnam secirt, und daß in Wien erst 1718 das erste 
anatomische Theater ins Leben gerufen wurde. 

In der Therapie folgte Rayger der Lehre Sylvius: „Virium 
conservatio, morbi sublatio, causae correctio, symptomatum mitigatio.“ 
Dem Aderlaß weicht er nach Möglichkeit aus. 

Reliquit ipse Raygerus tot nominis sui monumenta, quae 
illud facile ab interitu vindicabunt — sagt Gensel in seiner 
Gedächtnißrede auf Carl v. R. Seine Publicationen, circa 80 an 
der Zahl, welche zum großen Theile in der 1670 begonnenen 
Zeitschrift „Miscellanea curiosa medico physica Academiae naturae 
curioBorum“ zu finden sind, betreffen hauptsächlich Kranken¬ 
geschichten und Sectionsprotokolle. Die oben erwähnte Pestbeschrei¬ 
bung ist in den Magistratsprotokollen der königl. Freistadt Preßburg 
auf uns gekommen. Hier wollen wir nur die wichtigste Arbeit 
Carl v. Rayger’s, in welcher er die Lungenschwimmprobe erörtert, 
näher würdigen. 

Im Jahrgange 1675/76 der citirten „Miscellanea“ findet man 
auf pag. 297 von Carl v. Rayger Folgendes: 0bservatio 202. 
De quibusdam in dissectione recens natorum obser- 
vatis. Aus der Einleitung erfahren wir, daß R. zu wissenschaft¬ 
lichen Zwecken eine reife, aber todtgeborene Leibesfrucht secirt 
habe. Dann fährt er w r ie folgt fort: „Pulmones parvi, exigui, non 
admodum rubicundi, instar parenchyrnatis hepatis vel portiunculae 
carnis ex utroque latere cordis jacebant, in aquam mersi, 
subito fundum petebant, unde constitit infantem in 
utero non respir*are (alias aere distenti fuissent), 
illum que fuisse ante exclusionem mortuum. Nam 
si semel tantura extra uterura respirasset, aerin 
pulmonibus detentus subraersionem i mp e di vi ss e t. u 

Rayger ist aber mit dem trockenen Thatbestande nicht 
zufrieden, sondern bestrebt sich, die Richtigkeit seiner Schlüsse 
durch Thierversuche zu erweisen. Er schreibt weiter : 

„Ut de experimento certi essemus, iramissimus pulmones 
agninos in aquam, qui supernatarunt, utemque incisi sint et aer 
omni vi expressus fueiit, foetus vero pulmones fundum petierunt. 
Deinde cum uterque foetus post mortem exclusus sit ut utrinsqtie 
pulmones toties quoties immersi fuissent, fundum petiissent, unum 
sum8imus, perque asperam arteriam inflavimus unde lobi statim 
distenti sunt, mox omni conamine expresso interum flatu natarant 
nihiliminus nec mergi potuerunt. Argumentum credo indu- 
bitatum ad condicendas infanticidas et indagandam 
veritatem, an infans in utero mortuus vel demum 
postpartum quocunque modo strangulatus vel 
occisus.“ 

Carl v. Rayger , dem ehemaligen Stadtphysicus von Pre߬ 
burg, gebührt also zweifelsohne das Verdienst, die Lungen¬ 
schwimmprobe gefunden zu haben, obwohl dieselbe leider 
den Namen des sächsischen Arztes Schreyer führt, welcher sich 
derselben 1683 in einem Criminalfalle das erstemal bedient hat. 
Und wenn auch die Lungenprobe kein: „Argumentum indubitatum 
et universale“ ist, und sie Beweiskraft habe nur: „bei Erwägung 
der circumstantiae“, so bleibt sie doch eine der brauchbarsten und 
verläßlichsten Untersuchungsmethoden der forensischen Medicin. 
Es wäre zu wünschen, daß die Probe richtig die llAYGER’sche 
genannt werde. 

Die Stadtgemeinde Preßburg hat zur Erinnerung an den 
berühmten Sohn eine Gasse nach ihm benannt. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

20. Congreß für innere Medicin. 

Gehalten zu Wiesbaden 15.—18. April 1902. 

(Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) 

VIII. 

Brat (Berlin): Experimentelle Untersuchungen über den Einfluß 
von Eiweißkörpern auf die Blutgerinnung. 

Vortr. hat Versuche mit einer Reihe von Eiweißpräparaten sowie 
Gelatine und mit der Gelatose Gluton angestellt. Er ist an der 
Hand eines großen Versuchsmaterials zu dem Resultat gekommen, 
daß die ersten, durch fermentative oder säurehydrolytische Spaltung 
gewonnenen Abbauproducte des Eiweißes sowie besonders auch die 
Gelatine wie Gluton durchaus in gleichem Sinne wirken, d. h. sie 
verlängern alle die Blutgerinnungszeit. Speciell betont B., daß der 
Glaube, Injection von Gelatine setze die Blutgerinnungszeit herab, 
zu Unrecht besteht. Alle diese Körper wirken je nach der an¬ 
gewandten Dosis nur stärker oder weniger stark blutgerinnungs¬ 
hemmend. Eventuell kann man dieselben in Dosen therapeutisch 
verwerthen, welche nur eine geringe, den Organismus nicht 
schädigende Veränderung der Geriunungszeit und damit auch der 
Form der Gerinnung bewirken. Die mangelnde Contraction des 
Blutkuchens kann eventuell eine stärkere Adhäsion an den Gefä߬ 
wänden bedingen und damit kann es unter Umständen trotz herab¬ 
gesetzter Gerinnungsfähigkeit des Blutes zu stärkerer Thromben¬ 
bildung als in der Norm kommen. Vortr. zieht zur Stütze dieser 
Ansicht heran die Anschauungen Alexander Schmidt’s, sowie einen 
von ihm an einem Versuchs- und Controlthiere mit Gluton an- 
gestellten Versuch. 

Koch und Fuchs (Aachen): Die Schlafmittel und ihre physio¬ 
logische Wirkung. 

Das Chloralhydrat verdankt nicht in geringem Grade die 
sichere und schnelle Wifkung seinei* leichten Löslichkeit, die aber 
auch den Grund für gewisse Gefahren bei der praktischen An¬ 
wendung abgibt. Sucht man diese durch eine aUmälige Wirkung 
zu umgehen, indem man das Chloralhydrat in molecularen Mengen 
sich entfalten läßt, so wird dies nur durch ein Condensationsproduct 
geschehen können, welches sich im Organismus in seine Componenten 
spaltet. Ein solcher sich verbindender Factor ist im Amylenhydrat 
gegeben, mit dem das Chloralhydrat unter geeigneten Umständen 
das Dimethylaethylcarbinolchloral, kurz Dormiol genannt, bildet. Es 
wird nun an Kaninchen der Unterschied des Dormiols, des Chloral- 
hydrates und eines mechanischen Gemisches von Chloral- und Amylen¬ 
hydrat vorgeführt. Die hypnotische Wirkung tritt bei Dormiol am 
spätesten zu Tage. 

Hoppe-Seyler (Kiel): Zur Pathologie der vorübergehenden 
Glykosurie. 

H. bespricht die verschiedenen Formen vorübergehender Zucker¬ 
ausscheidung , die zwar zunächst immer den Verdacht auf einen 
verborgenen Diabetes erweckte, aber auch infolge vorübergehender 
Störung der dem Zuckerstoffwechsel vorstehenden Organe auftreten 
kann. Näher erläutert er die Form vorübergehender Zucker¬ 
ausscheidung im Urin, welche er in 11 Fällen bei Leuten beobachtet 
hat, die zuerst ein Wanderleben geführt, sich schlecht ernährt, 
dabei allerhand Strapazen vor der Aufnahme ausgesetzt hatten. 
Diese „Vagantenglykosurie“ schwindet rasch bei genügender Er¬ 
nährung. Um vorübergehende Zuckerausscheidung infolge acuter 
Alkoholvergiftung handelte es sich nicht. Der chronische Alkoholis¬ 
mus aber, welcher bei vielen dieser Leute vorhanden war, führt 
nicht zur Glykosurie. Da Leberveränderungen und wohl auch 
Pankreasveränderungen bei den geschilderten Fällen vorhanden sind, 
so ist die Vagantenglykosurie als Folge der Unterernährung, welche 
sich besonders dann an diesen Organen geltend macht, anzusehen. 
Analoge Beobachtungen hat Hofmeister bei schlecht ernährten 
Hunden gemacht, die auch bei genügender Ernährung diese Glykosurie 
verloren. Das Hauptgewicht ist wohl bei der Glykosurie der Vaganten 
auf den mangelhaften Ernährungszustand zu legen. 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 27. 


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v. Noorden (Frankfurt a. M.) macht auf das Vorkommen von schnell 
vorübergehenden Angstglykosurien aufmerksam bei Leuten, die später keine 
alimentäre Melliturie zeigen. 

Strauß (Berlin) zweifelt an der Betheiligung der Leber bei dem Zustande¬ 
kommen solcher Glykosurien. Eher sei an eine Pankreasstörung zu denken. Die 
Unterernährung ist wohl nur ein begünstigendes Moment. 

Hoppe-Seyler widerspricht dem. 

HEZEL (Wiesbaden) berichtet über einen Fall von infantiler 
centraler Monoplegie des Facialis bei einem dreimonat¬ 
lichen Kinde. 

Lungenbühl (Wiesbaden) gibt zu erwägen, ob es Dicht wahrscheinlicher 
ist, daß es sich um eine angeborene Aplasie, d. h. Entwickelungsmangel des 
Facialiskernes gehandelt hat, wie sie von Heubner beschrieben ist. 

Volhard (Gießen): Ueber Venenpulse. 

Dem negativen Venenpuls ist bisher keine diagnostische Be¬ 
deutung zugemessen worden, sondern nur dem positiv systolischen, 
der sich gleichzeitig mit dem venösen Leberpuls bei Tricuspidalis- 
insufficienz als regelmäßiges Symptom findet. Vortr. weist nun darauf 
hin, daß der Lebervenenpuls nicht ausnahmslos systolisch-positiv 
ist, sondern fast ebenso oft diastolisch negativ. Demgemäß entspricht 
er der Systole des Vorhofs, dessen pathologisch gesteigerte Thätig- 
keit bisher unterschätzt worden ist. Er ist der Ausdruck der 
compensatorischen Anpassung an die vermehrte Anstrengung der 
Vorhofsmusculatur. 

Strubell (Wien): Ueber Vasomotoren in den Lungengefäßen 
(Pneumovasomotoren). 

Vortr. konnte gelegentlich einer im Laboratorium von v. Basch 
angestellten Versuchsreihe über die Herzwirkung des Strophantins 
auf sehr complicirtem Wege die bisher hypothetisch, von Lichtheim 
fälschlich behauptete, von Openchowski und Wagner geleugnete 
Existenz von Lungenvasomotoren experimentell nachweisen. Periphere 
Reizung beider Vagi nach Strophantininjection läßt, wenn die 
regulatorischen Fasern des Vagus gelähmt sind, den Blutdruck ohne 
Pulsverlangsamung sinken. Der Druck im linken Vorhof sinkt gleich¬ 
zeitig, der in der Art. pulmonalis steigt etwas, der Venendruck 
beträchtlich. Da sich gleichzeitig das Lungenvolum verkleinert, so 
sind alle Bedingungen durch das Experiment erfüllt, die v. Basch 
in seiner Kreislaufspathologie auf Grund von Modellversuchen für 
die Verengerung der Lungengefäße postulirt hatte. Die Pneumo¬ 
vasomotoren siDd schwach, weshalb ihre Wirkung durch die 
regulatorische Vaguswirkung verdeckt wird und erst nach Lähmung 
der letzteren zu Tage tritt. 

Julius Müller (Wiesbaden): Vorstellung eines Falles von 
multipler trophoneurotischer Hautgangrän. 

Es handelt sich bei einem Mädchen von 24 Jahren um eine 
Verbrennung mit heißem Wasser am rechten Unterschenkel vor 
3 Jahren. Seit dieser Zeit entwickelten sich in 5 Intervallen circa 
30 gangränöse Stellen, die beschränkt sind auf die Streckseite de» 
rechten Beines. Die Entwickelung ist äußerst schnell, Röthung, 
Bläschenbildung, Gangrän im Verlaufe von 7—8 Stunden. Differential¬ 
diagnostisch ist Syringomyelie in Anbetracht der verschiedenen Nerven¬ 
störungen nicht ganz von der Hand zu weisen. 

Otfried Müller (Leipzig): Ueber den Einfluß von Bädern und 
Douchen auf den Blutdruck beim Menschen. 

Die Einwirkung aller nicht bewegten Bäder auf den Blut' 
druck wird im Wesentlichen durch den thermischen Reiz bestimmt. 
Derselbe bewirkt bei Wasserbädern unterhalb der mittleren Temperatur 
der Körperoberfläche eine während des ganzen Bades andauernde 
Blutdrucksteigerung von typischer Curvenform bei Verminderung 
der Pulsfrequenz. Die Größe beider Veränderungen nimmt mit dem 
Sinken der Temperatur bis zu bedeutenden Werthen zu. Wasser¬ 
bäder oberhalb der mittleren Temperatur der Körperoberfläche bis 
hinauf zu 40° C. = 32° R. veranlassen nach anfänglicher, kurzer 
Steigerung ein Sinken des Blutdruckes unter den Normalwerth, dem 
dann ein erneutes Wiederansteigen folgt. Die Pulsfrequenz zeigt 
bei dieser Gruppe bis zu etwa 38° C. = 30° R. eine Verminderung, 
von da ab nach aufwärts eine Vermehrung. Bei Wasserbädern ober¬ 
halb von 40° C. = 32° R. tritt wieder eine andauernde Steigerung 
des Blutdruckes von ähnlicher typischer Form wie bei den kalten 


Bädern ein, nur mit dem Unterschied, daß die Pulsfrequenz hier 
nicht vermindert, sondern stark vermehrt wird. Bei bewegten Bade¬ 
formen, also z. B. bei Halb- und Wellenbädern, tritt nach Maßgabe 
der Intensität der Bewegung der mechanische Reiz immer mehr in 
den Vordergrund, bi» er bei den Douchen das Bild vollständig 
beherrscht. Er bewirkt bei genügender Intensität, stets unabhängig 
von der Temperatur, Blutdrucksteigeruug. Dieselbe ist bedeutender, 
aber von kürzerer Nachwirkung als bei den meisten' Bädern. 


Aus französischen Gesellschaften. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Med. Presse“.) 

Soci6t6 Medicale des Höpitaux. 

Labbe : Schwere Bleivergiftung bei Arbeitern einer Accumula- 
torenfabrik. 

Vier Arbeiter, die bei der Anfertigung von Accumulatoren 
beschäftigt sind, erkranken unter Symptomen von schwerer Blei¬ 
vergiftung. 

Zwei Arbeiter leiden — der eine nach zwei, der andere nach 
sechs Monaten — an Lähmung der Musculatur des Schultergürtels 
und der oberen Extremitäten und an bedeutender Atrophie der 
Muskeln. Die beiden Arbeiter leiden an heftigen Koliken. Bei allen 
Kranken besteht hochgradige Anämie. 

Da diese Arbeiter sich während des ganzen Tages in einer 
mit Bleioxydstaub geschwängerten Atmosphäre aufhalten, so ist 
die Annahme berechtigt, daß die Vergiftung durch die Athmungs- 
organe zustande kam. 

Rendu hat einen Ingenieur behandelt, der einige Monate, nachdem er 
mit der Ueberwachung einer Accumulatorenwerkstätte betraut worden war, an 
Bleicachexie erkrankte; dieser Fall ist für die Vergiftung durch die Respira¬ 
tionswege beweisend, da der Ingenieur außerhalb des Werkstättenbereiches aß 
und überdies seine Hände die bleihältige Substanz nie berührten. 

Gilbert und Lereboullet: Hämorrhagische Form der fami¬ 
liären Cholämie. 

Die familiäre Cholämie ist häufig die Ursache verschiedener 
Hämorrhagien; gewisse Fälle von Hämophilie beruhen auf fami¬ 
liärer Cholämie. 

Ein Kranker mit häufigen Blutungen, die an Hämophilie er¬ 
innern, hatte deutliche Cholämie, gelb verfärbte Haut und beträcht¬ 
lich vergrößerte Leber und Milz. Bei einem anderen Patienten, 
der überdies die ausgeprägten Symptome des biliären Rheumatis¬ 
mus zeigte, war auf Grund der Milz Vergrößerung Sumpffieber 
diagnosticirt worden. 

G. und L. citiren Fälle von Magenblutungen, die an ein 
Ulcus ventriculi glauben ließen, von Bluthusten, die als Tuber- 
culose gedeutet wurden, ebenso von wiederholter Epistaxis, Ureteror- 
rhagie, Otorrhagie. 

Alle diese Blutungen waren im Verlaufe einer familiären 
Cholämie aufgetreten; doch ist auch die individuelle Disposition 
bei der Erklärung der Blutungen heranzuziehen, sowie die indivi¬ 
duelle Disposition auch bei den anderen Symptomen der familiären 
Cholämie eine Rolle spielt. 

Simonin : Appendicitis im Verlaufe von Infectionskrankheiten. 

In 18 Fällen von Angina, schwerem Scharlach, ausgebreitetem 
Rothlauf und complicirtem Mumps zeigte der Wurmfortsatz mehr 
oder minder schwere Entzündungserscheinungen. Der Wurmfortsatz 
nimmt im Verlaufe der allgemeinen Infection im Wege der Blut- 
und Lymphbahnen Keime auf. Der erste Grad, die appendiculäre 
Adenitis, gibt sich nur durch Schmerz bei Druck kund; wenn aber 
bereits das Zellgewebe entzündet ist, dann kann die entzündliche 
Reaction auf das Peritoneum übergreifen, dann treten auch kolik¬ 
artige Schmerzen auf, Nausea, Erbrechen, peritonitische Erschei¬ 
nungen; endlich kann der Wurmfortsatz abscediren und durch¬ 
brechen. Es scheint, daß bei diesen Entzündungen des Wurmfort¬ 
satzes durch Allgemeininfection der Streptococcus die häufigste Rolle 
spielt, sowie er auch bei der Angina, beim Erysipel, dem Scharlach, 
der Influenza, den Masern und Blattern entweder als Infectionserreger 
oder als associirtes, secundäres Bacterium auftritt. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 27. 


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Manche Anatomen betrachteten die Sklerose des Wurmfort¬ 
satzes, die man so häufig bei der Autopsie alter Leute findet, als 
Effect verschiedener Ausbrüche von subacuten Entzündungen des 
Wurmfortsatzes, die im Laufe der verschiedenen Infectionskrank- 
heiten auftraten, welche der Mensch zu Beginn seines Daseins durch¬ 
machte. 


Acadömie de Mödecine de Belgique. 

Heymaus: Ueber die Giftwirkung des Morphins bei jungen 
Thieren. 

Zur Unterstützung der Behauptung, daß die Toxicität des 
Morphins beim Kinde größer ist als beim Erwachsenen, wird oft 
angeführt, daß dieses Gift auch auf die jungen Thiere stärker 
wirke. Mabchal machte Hunden, Katzen , Kaninchen und Meer¬ 
schweinchen verschiedenen Alters Injectionen einer 4%igen Lösung 
von Morphium muriaticum und bestimmte so die letale Dosis pro 
Kilogramm Thier in verschiedenem Alter. Die weniger als 14 Tage 
alten Katzen vertrugen bis 0'1 Grm. Morphium pro Kilogramm, 
das ist das Doppelte der für das erwachsene Thier letalen Dosis ; 
die neugeborenen Kaninchen, Meerschweinchen und Hunde aber 
wurden durch eine um ein Drittel kleinere als die für Erwachsene 
letale Dosis bereits getödtet. Bei allen Thieren war — wenn sie 
bereits ein paar Wochen alt waren — die Resistenz gegen das Mor¬ 
phium dieselbe wie bei den erwachsenen Thieren. 

Es existirt also keine besondere Empfindlichkeit der jungen 
und der neugeborenen Thiere gegen Morphium, es ist daher an¬ 
zunehmen, daß sich die Kinder ebenso verhalten. 


Sociötö de Thörapeutique. 

Morel: Untersuchungen über den Antagonismus. 

Die Leukocyten von 100 Grm. Blut werden durch 26 Mgrm. 
Atropin oder auch durch 50 Mgrm. Pilocarpin getödtet, falls man 
mit beiden Giften getrennt experimentirt; die Leukocyten. bleiben 
am Leben, wenn mau die genannten Dosen gleichzeitig benützt. 
30 Cgrm. Atropin tödten 1 Kgrm. Frosch; 2 Cgrm. Pilocarpin 
töten 1 Kgrm. Frosch. 

Wendet man beide Gifte zusammen an, so lebt der Frosch 
noch nach Einverleibung von 25 Mgrm. Pilocarpin und 40 Cgrm. 
Atropin. 

Diese antagonistische Wirkung wird zu einer heilenden, wenn 
man die Gifte nicht gleichzeitig, sondern nach einander anwendet. 

Man gibtz. B. 50 Cgrm. Atropin auf 1 Kgrm. Frosch ; nachdem 
die Wirkung auf das Thier wahrgenommen wird, gibt man 3 Cgrm. 
Pilocarpin, und das Thier bleibt am Leben. Dasselbe Verhalten 
beim Darreichen von 5 Cgrm. Pilocarpin und 50 Cgrm. Atropin 
(nacheinander). 

Ergotin und Atropin sind gleichfalls Antagonisten. 
Immunisirende Wirkung: Man gibt 20 Cgrm. Atropin 
auf 1 Kgrm. Frosch; 8—24 Stunden nachher vermögen 3 und 4 Grm. 
Ergotin das Thier nicht zu tödten, obwohl die letale Dosis des Er- 
gotins 3 Grm. für 1 Kgrm. Frosch beträgt. 


Notizen. 


Wien, 5. Juli 1902. 

(K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien.) In der 
gestrigen Sitzung erstattete das in der Versammlung vom 21. Februar 
d. J. gewählte Comit6 zur Berathung von Maßregeln 
bezüglich der Prophylaxe und der Bekämpfung der 
Tuberculose seinen Bericht. Dem Comitö gehören — wie wir 
in Nr. 8 unseres Blattes mittheilten — die Proff. Benedikt, 
Gruber, Monti, Neümann, Nedsser, Nothnagel, Paltauf, 
v. Schrötter, Weichselbaum, Winternitz , ferner Ob.-San.-Rath 
Dr. Mucha, die Docenten Kovacs, Sternberg, v. Weismayer und 
Polizeiarzt Dr. Philipp Silbebstern an. Es verstärkte sich durch 
Cooptation von Prof. Csokor, Dr. Ernst Freund, Reg. R. Dr. Rabl 
und Director Dr. M. Scheimpflug. Zum Obmanne wurde Hofrath 


Prof. Dr. v. Schrötter, zum Schriftführer Doc. Dr. Sternberg ge¬ 
wählt. Dem von dem Letzteren erstatteten Berichte entnehmen wir 
Folgendes: Das Comitö hat davon abgesehen, seine Anträge vom 
juridischen Standpunkte mit Erwägung der verschiedenen Compe- 
tenzen zu formuliren, und sich damit begnügt, seine Forderungen 
lediglich in hygienischer Hinsicht zu präcisiren. Die vorgeschlagenen 
Maßregeln zerfallen in vier Gruppen. Sie haben zum Gegenstände: 
1. Die Belehrung des Volkes, 2. die Bekämpfung der Disposition, 
3. die Verhütung der Infection, 4. die rechtzeitige Erkennung und 
Heilung der Krankheit. Diese Punkte weiter ausführend, verlangt 
der Bericht: Die Bevölkerung muß über die Gefahren der Tuber¬ 
culose und ihre Prophylaxe durch zweckmäßige Ernährung, Reinlich¬ 
keit und Abhärtung und über die Heilbarkeit bei rechtzeitiger Er¬ 
kennung und Behandlung durch entsprechend instruirte Lehrer, 
Vorsteher von Kinderbewahr- und Erziehungsanstalten, Seelsorger 
und Verwaltungsbeamte, durch Flugschriften und Plakate, sowie 
durch Vorträge eindringlich belehrt werden. Die Bekämpfung der 
Disposition erfordert eine Reihe von Verbesserungen in den allge¬ 
meinen hygienischen Einrichtungen, hygienische Anlage und Hal¬ 
tung der Schulen, Pflege von körperlichen Hebungen, Errichtung 
von Feriencolonien und Reconvalescentenhäusern, Schaffung einer 
Wohnungsinspection und billiger Volkswohnungen, Behinderung der 
Staubentwickelung in Amtsgebäuden, Wohnungen, Stiegenhäusern 
und Straßen, ausreichende Straßenreinigung. Als Maßnahmen für 
Angehörige des Gewerbestandes und die Fabriksarbeiter müssen ge¬ 
fordert werden: Alle Lehrlinge und jugendlichen Hilfsarbeiter sind 
vor Antritt des Gewerbes ärztlich zu untersuchen und ihre Ange- 
gehörigen womöglich zu berathen. Das Halten von Lehrlingen ist 
nur solchen Gewerbetreibenden zu gestatten, welche über geeignete 
Schlafräume verfügen. In den Fabriks- und Gewerbebetrieben mit 
Staubentwicklung ist der Staub womöglich zu entfernen und die 
Benützung der Werkstätte als Schlafraum ausnahmslos zu unter¬ 
sagen. Die Betriebs- und Schlafräume der Hilfsarbeiter eines jeden 
Betriebes sind mindestens einmal im Jahre durch das Gewerbe- 
inspectorat zu revidiren; über die Verkeilung der Krankheit ist 
eine verläßliche Statistik anzulegen. Zur Verhütung der'Infection 
ist Sorge zu tragen: für die unschädliche Beseitigung des Aus- 
wurfes der Tuberculösen, für die wirksame Desinfection aller durch 
tuberculösen Auswurf oder sonstige tuberkelbacillenhaltige Ab¬ 
sonderungen verunreinigten Gegenstände, für die Ueberwachung 
und thunlichste Isolirung Kranker mit reichlichem Auswurf, für 
die Bekämpfung der Tuberculose jener Ilausthiere, deren Fleisch 
oder Milch zur Nahrung dienen. Diesen Forderungen entsprechend 
ist das freie Ausspucken in Krankenanstalten und Curorten, in 
allen Anstalten und Betrieben zu verbieten. An diesen Orten, sowie 
in allen dem allgemeinen Verkehre zugänglichen Baulichkeiten sind 
passend gebaute Spuckgefäße aufzustellen. Alle Todesfälle an Tuber¬ 
culose, alle Erkrankungsfälle an Tuberculose bei Personen, die in 
öffentlichen Anstalten verpflegt oder in solchen beschäftigt werden, 
alle Erkrankungsfälle an Lungen- und Kehlkopfschwindsucht bei 
Bettgehern, alle solchen Erkrankungsfälle bei den Augehörigen jener 
Orden, die sich mit Krankenpflege befassen, sind der Anzeigepflicht 
unterworfen. Nach allen Todesfällen an Tuberculose sind das Kran¬ 
kenzimmer, seine Einrichtungsgegenstände, die Kleider, Leib- und 
Bettwäsche und die Gebrauchsgegenstände des Verstorbenen, nach 
jedem Wohnungswechsel eines anzeigepflichtigen Kranken seine 
Wohnung, ferner die Eisenbahnwaggons auf den zu Curorten für 
Tuberculöse führenden Linien nach der Ankunft zu desinficiren 
Der Betteinrichtung in den Schlafwägen der Eisenbahnen muß des- 
inficirbar sein. In allen größeren Orten und in sämmtlichen Cur¬ 
orten sind öffentliche Desinfectionsanstalten zu errichten, in welchen 
Mittellose ihre Habseligkeiten unentgeltlich desinficiren lassen können. 
In den bereits bestehenden Spitälern sind eigene Abtheilungen fürTuber- 
culöse zu errichten, ebenso ist für eigene Asyle für die unheilbaren 
Tuberculösen zu sorgen. In allen übrigen geschlossenen Anstalten 
ist eine strenge Trennung der Tuberculösen von den übrigen Per¬ 
sonen durchzuführen. Behufs rechtzeitiger Erkennung und Heilung 
der Tuberculose sind in allen größeren Städten bakteriologische 
Untersuchungsstationen, in jedem Kronlande eine genügende Zahl 
ländlicher Heilstätten für Tuberculöse nach dem Muster der Heil- 


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1291 


1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 27. 


1292 


anst&lt Alland zu errichten. — Die Discussion über diese Vorlage 
wurde vertagt. Die nächste Sitzung findet im October statt. 

(Universitäts-Nachrichten.) Hofrath Prof. Dr. Ernst 
Ludwig ist für das nächste Studienjahr znm Decan der Wiener 
medicinischen Facultät gewählt worden. — Der Gynäkologe Prof. 
Dr. v. Rosthorn in Graz hat einen Ruf an die Universität nach 
Heidelberg angenommen. 

(Personalien.) Lord Lister ist zum geheimen Rath, 
die Aerzte DDr. Treves nnd Laking sind zu Baronets ernannt 
worden. — Der Privatdocent Dr. Erwin Payr ist zum a. o. Pro¬ 
fessor für Chirurgie an der Universität in Graz ernannt worden. 
— Der praktische Arzt Dr. Heinrich Wollensack in Arco hat 
den Titel eines kaiserlichen Ratbes erhalten. — Der Professor der 
gerichtlichen Medicin und Toxikologie in Bern Dr. K. Emmert 
feierte — wie uns von dort berichtet wird — vor wenigen 
Tagen in voller geistiger und körperlicher Frische seinen 90. Ge¬ 
burtstag. Der Jubilar hält noch seine Vorlesung über gericht¬ 
liche Medicin und Gesundheitspflege regelmäßig ab. 

(Oberster Sanitätsrath.) In der Sitzung vom 28.Juni 
gelangten folgende Referate zur Berathung und Beschlußfassung: 
,Gutächtliche Aeußerung über die Verwerthbarkeit des Fleisches 
wegen Pestverdachtes geschlachteter und krank befundener Schweine 
als Nahrungsmittel in sterilisirtem Zustande. Gutachten über ein¬ 
gesendete Proben angeblich nikotinfreier ausländischer Cigarrensorten 
- und die Ersprießlichkeit einer allfälligen Einführung nikotinfreier, 
beziehungsweise nikotinschwacher Cigarren. Gutachten über die Zu- 
^ lässigkeit der Verwendung einer patentirten Metallcomposition zur 
; Herstellung von Trink-, Eff- und Kochgeräthen. Gutachten über 
• die Eignung eines Privat-Laboratoriums zu bakteriologischen Unter- 
) suebunge». Gutachtliche Aeußerung :j über ein in den Verkehr ge- 
« bracht^ Mundwasser.-' ; '• 

(Wiener medicinisches Doctoren-Collegium.) 
Die von uns angekündigte Festversammlung anläßlich des 25jäh- 
rigen Bestandes des Pensions-Institutes hat am 2. d. M. im Sitzungs- 
i saale des Collegiums stattgefunden. Die Sitzung gestaltete sich zu 
| einer emmttthigen. Ovatiöfc für den Präsidenten, Primarius Dr. Hans 
v Adler, der mit Rücksicht auf seine unvergänglichen Verdienste 
um das segensreiche Wohlfahrtsinstitut zum Ehrenmitgliede desselben 
ernannt wurde. 

(Krankencasse und Privatarzt.) Aus Salzburg wird 
uns geschrieben: Unserem neuen Dienstboten-Krankencassengesetze 
entsprechend, erfolgt die ärztliche Behandlung der Mitglieder, von 
..dem Falle der Spitalsbehandlung abgesehen, durch die Cassenärzte. 
Kosten, .welche von der Behandlung durch andere Aerzte erwachsen, 
sind von der Dienstbolcnkrankencasse nur dann zu ersetzen, wenn 
diese Behandlung auf Anordnung oder mit Genehmigung des Kran- 
kenrathes, bezw. des Obmannes der Casse oder bei Gefahr im 
Verzüge erfolgt ist. Jeder Arzt, welcher auf Vergütung der Be¬ 
handlungskosten eines Mitgliedes Anspruch erhebt, ist verpflichtet, 
binnen 8 Tagen nach der Uebernahme dieses Mitgliedes in die 
ärztliche Behandlung hievon dem Krankenrathe auf eine im Ver¬ 
ordnungswege festzusetzende Weise die Anzeige zu erstatten, widrigen¬ 
falls er seines Anspruches an die Krankencasse verlustig geht. 

(Aus Prag) wird uns geschrieben: Ein deutscher Verein 
zu Gunsten der Errichtung von Tubercnlosenheilstätten dürfte hier 
im Laufe der nächsten-Monate durch die Bemühung unserer Aerzte- 
schaft zustande kommen. 


(Der deutsche Aerztetag), der heuer zu Königsberg 
tagen wird, hat unter anderem die Frage des ärztlichen Unter- 
sttttzungswesens auf sein Programm gesetzt. Die vorliegenden 
Thesen empfehlen die Errichtung von Unterstützungscassen mit Bei- 
tragspflicht im Anschluß an die Aerstekammerbezirke, bezw. in 
kleineren Bundesstaaten durch Zusammenschluß mehrerer zu einem 
Cassenbezirk. Die Schöpfung einer centralen Casse für das 
Deutsche Reich wird bei der Verschiedenartigkeit der örtlichen 
Verhältnisse nicht empfohlen. Vorläufig soll überall nur die Grün¬ 
dung von Unterstützungscassen angestrebt werden. 

(Ophthal mologische Gesellschaft.) Die diesjährige 
Versammlung findet vom 4. biiT 6. August in Heidelberg statt. 


| (Hygienische Flugschriften.) Unter diesem Titel ist 

im Verlage von Seitz & Schauer in München eine Reihe von 
kleinen Heftchen zum Preise von je 20 Pf. erschienen, welche 
Laien in den wichtigsten Principien der Prophylaxe unterweisen 
sollen. Die Verbreitung der „Flugschriften“ erscheint wünschens- 
wertb, da sich dieselben auch die Bekämpfung der Curpfuscherei 
zur Aufgabe stellen. 

(Forensisches.) Der Wochenschrift „Ethische Cultur“ 
entnehmen wir folgenden , die Würdigung des ärztlichen Standes 
seitens mancher Behörden traurig illustrirenden Bericht : In einem 
Badeort bewarb sich ein Pensionsinhaber um die Schankconeession, 
wurde aber auf Grund des Berichtes des Amtsvorstehers abgewiesen. 
Er appellirte an den Bezirksausschuß und legte seiner Berufung 
eine Erklärung der Badeverwaltung bei, die auf Grund eines ärzt¬ 
lichen Berichtes die Concession für nothwendig erklärte. Der Amts¬ 
vorsteher, zu einer Gegenerklärung aufgefordert, berichtete nun 
seinerseits, daß das Gutachten des Arztes aus irgend einem per¬ 
sönlichen Interesse erklärt werden müsse. Vielleicht hoffe der Arzt, 
sein Bier künftig zum Preise von 10 Pf. pro Flasche zu erhalten. 
Als dem Arzte von dieser Erklärung des Amtsvorstehers Kenntniß 
wurde, strengte er die Privatklage wegen Beleidigung an. Die 
Regierung erhob den Conflict, und das Oberverwaltungsgericht er¬ 
klärte den Conflict für begründet. Die Erklärung des Amtsvorstehers 
sei ein dienstliches Urtheil, vielleicht zwar etwas ungeschickt abgo- 
faßt, keineswegs aber könnte angenommen werden, daß der Amtsvor¬ 
steher seine Amtsbefugnisse überschritten habe. 

(Statistik.) Vom 22. bis inclusive 28. Juni 1902 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 7085 Personen behandelt. Hievon wurden 1615 
entlassen ; 167 sind gestorben (9'37% d es Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 57, egypt. 
Augenentzündung 1, Cholera—, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 8, Dysen¬ 
terie —, Blattern —, Varicellen 28, Scharlach 87, Masern 372, Keuchhusten 45, 
Rothlauf 51, Wochenbettfieber 3, Retheln 18, Mumps 5, Influenza—, follicnl. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 623 Personen gestorben 
(— 29 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Wien der praktische Arzt 
Dr. Wenzel Sidlo; in Baden bei Wieu Dr. Carl Wschiansky im 
76. Lebensjahre; in Graz Dr. Carl Platzl im Alter von 70 Jahren; 
in Vilägos der Gemeindearzt Dr. Wilhelm BalAzs ; in Greifswald 
der frühere Professor der Anatomie Dr. Ferdinand Sommer, 
74 Jahre alt. 


Prof. Or. Soxhlet’s „Nährzucker“ ist reine Dextrin-Maltose unter Bei¬ 
mengung von Verdauungssalzen und bildet den denkbar rationellsten Zusatz 
zur Kuhmilch, um dieselbe der Muttermilch vollkommen gleichwerthig zn 
machen, ohne jedoch den bei der künstlichen Ernähruqgsweise oft auftreten¬ 
den, das Gedeihen des Kindes so sehr beeinträchtigenden Durchfall hervorzu- 
rnfen. Der unter steter Controle des Herrn Prof. Soxhlet in der Nährmittel¬ 
fabrik „München“ hergestellte Nährzucker ist bereits vielfach in staatlichen 
Gebär- und Findelanstalten, sowie in der Privatpraxis erprobt und wissen 
die täglich ans Aerztekreisen einlaufenden ürtheile in allen Fällen nur von 
den besten Erfolgen zn berichten, wobei insbesondere seine leichte nnd voll¬ 
ständige Verdaulichkeit, seine hervorragende Nährkraft für gesunde und 
kranke Kinder, sowie der Umstand rühmend hervorgehoben wird, daß der 
Nährzucker von Säuglingen und Kindern gerne genommen wird. 

Die Einführung von Prof. Soxhlet’s Nährzucker stellt daher einen wichtigen 
Fortschritt auf pädiatrischem Gebiete dar. Darüber vorliegende Literatur und 
Proben sendet bereitwillig die Firma Philipp Röder in Wien III/2. 

Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 

Mit dieser Nummer versenden wir eine Beilage der 
chemischen Fabrik Knoll & Co., Ludwigshafen am Bhein über 
Tannalbin (Knoll) als Antidiarrhoicum. Wir empfehlen dieselbe 
der geneigten Beachtung unsrer Leser. * 

Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
PostverseDdnng. Die Preise der Elnb&nddeoken sind folgende: für die „Med. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (I Mark 20 Pf.)- 
„Therapie der Gegenwart“: K 1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Postversendung’ 

Die Rubrik: „Erledigungen, ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 

S Wir empfehlen diese Rubrik der speolellen Beachtung unserer 
rten Leser; in derselben werden öfters — neben der Publioation von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auoh für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein können, welche an «ine 
Aenderung desDomioils oder ihrer Verhältnisse nicht gedaoht haben. 'Wm 


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Wien, den 13. Juli 1902. 


Nr. 28. 


XLIII. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart-Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik“, letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse" 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Kedaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 


Wiener 


Abonnementepreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgeru. 
Militärärztlicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland : Jährl. 
20 A", halbj. 10 K, viertel]. 5 K. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk., halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 K\ Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Ranm 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein 
Sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien. I, Maximilianstr. 4. 


medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Organ für praktische Aerzte. 

-* 886 »- 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


Redaction: Telephon Nr. 13.849. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Administration: Telephon Nr. 9104. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Mittheilungen aus dem Kratkenhause in Biala. Ueber ectopische Schwangerschaft. Von Dr. Josef 
Bogdanik, Direcfor des Krankenhauses. — Ueber traumatische Läsionen der inneren Kapsel, nebst einem Beitrag zu den acuten Insolationspsychosen. 
Von Universitäts-Docenten Dr. Julius Donath, Ordinarius am St. Stephansspitale in Budapest. — Aus der dermatosyphilidologischen Abtheilung des 
k. k Krankenhauses Wieden (Vorstand weil. Prof. Hans v. Hebra). Ichthargan als Antigonorrhoieum. Von Dr. Friedrich Rudolf, Secundararzt. — 
Referate. Quincke (Kiel): Ueber die chirurgische Behandlung der Lungenkrankheiten. — Garbe (Königsberg): Die chirurgische Behandlung der 
Lungenkrankheiten. — Lenhartz (Hamburg): Zur operativen Behandlung des Lungenbrandes. — Garre und Sultan (Königsberg): Kritischer 
Bericht über 20 Lungenoperationen. — L. R. v. Kohczynski (Krakau): Ueber den Einfluß der Gewürze auf die secretorische und motorische 
Thätigkeit des Magens. — Adolf Baginsky (Berlin): Ueber die Beziehungen der serösen Pleuritis der Kinder zur Tuberculose. — O. v. Petersen 
(St. Petersburg): Die tuberculösen Erkrankungen der Haut und ihre Beziehungen zu den inneren Organen. — Knud Faber (Kopenhagen): Ueber 
familiäre Myoklonie (Unverricht). — S. Purjesz (Koloszvär): Beiträge zur Malariafrage. — A. Lanz (Moskau): Ueber gonorrhoische Infection 
präputialer Gänge. — A. J. Pospelow (Moskau): Syphilis der Enkelin. — Sieberth (Nürnberg): Zur Aetiologie der Pulpitis. — Kleine Mit¬ 
theilungen. Subcutane Injection von Chininsalzen. — Lenigallol. — Abführmittel für Kinder. — Antiseptische Reinigung des Verdauungscanals. — 
Behandlung profuser Menses. — Die Anwendung des Dormiols bei Epileptikern. — Adrenalin. — Eine neue Therapie hei schweren Neuralgien. — 
Literarische Anzeigen. Die Pest und ihre Bekämpfung. Von Dr. P. Musehold. — Vier Vorlesungen aus der allgemeinen Pathologie des Nerven¬ 
systems. Von Fredehick W. Mott. — Die Zuckerkrankheit. Von Dr. Felix Hirschfeld, Privatdocent an der Universität Berlin. — Trait6 de Chirurgie 
clinique et opßratoire. Par A. le Dentu et Pierre Delbet. — Krankheiten der Lymphgefäße, Lympbdrüsen und Blutgefäße. Von Dr. Friedrich 
Fischer, a. o. Professor an der Universität Straßburg. — Feuilleton. Bei den Pestkranken und Aussätzigen in Bombay. Von Dr. Franz 
Weitlaner. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. 31. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Gehalten zu Berlin, 2. bis 
5. April 1902. (Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) IX. — Aus medicinischen Gesellschaften Deutschlands. 
(Orig.-Ber.) — Notizen. — Neae Literatur. — Eingesendet. — Offene Correspondenz der Redaction und Administration. — Aerztllclie 
Stellen. — Anzeigen. 

Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse “ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 


Mittheilungen aus dem Krankenhause in Biala. 

Ueber ectopische Schwangerschaft. 

Von Dr. Josef Bogdanik, Director des Krankenhauses. 

Bis vor Kurzem fand man in den Lehrbüchern über 
Geburtshilfe nur ganz kurze Bemerkungen von ectopischer 
Schwangerschaft, so daß man zur Einsicht kommen konnte, 
daß Fälle, wo sich der Embryo außerhalb der Gebärmutter 
entwickelt, nur vereinzelt dastehen. Der Fortschritt in der 
Operationstechnik und die mikroskopischen Untersuchungen 
bei Adnexoperationen belehrten uns eines Besseren. Auf Grund 
zweier seltenerer Fälle, die wir hier zu operiren Gelegenheit 
hatten, will ich hiemit einige statistische Daten anführen 
und die Ansichten verschiedener Autoren über diese Anomalie 
der Schwangerschaft, sowie das Verhalten dabei angeben. 
Zum Schlüsse werde ich noch einige Bemerkungen hinzu¬ 
fügen, wie sich dies hei den Säugethieren verhält. 

Am 15. August 1892 consultirte mich eine Frau, welche 
nach ihrer* Berechnung bereits 10 Monate schwanger sein 
sollte. Die ersten Fruchtbewegungen verspürte sie am 
18. Februar 1892, überstand dann angeblich eine Bauchfell¬ 
entzündung, und vom 17. April 1892 an fühlte sie keine Be¬ 
wegungen mehr, dafür aber litt sie an Gebärmutterblutungen. 
Am 15. August 1892 fand ich bei der ersten Untersuchung, 
daß sieh ans den Brustwarzen Collostrum herauspressen ließ. 
Der Bauch war kugelig, etwas mehr nach rechts ausgedehnt 


und der Fundus uteri stand in der Höhe von drei Quer¬ 
fingern oberhalb des Nabels. Der größte Umfang des Leibes 
betrug 95 Cm., die Entfernung des Processus xyphoideus vom 
Nabel 17 Cm., von der Symphysis ossium pubis 39 Cm. Bei 
der Palpation konnten keine Fruchttheile nachgewiesen werden, 
nur eine etwas derbere Resistenz nach rechts unten; von der 
linken Seite und oben Fluetuation. Embryonales Geräusch 
hörte man nicht. Das Ostium vaginale uteri bildete eine für 
die Kuppe des Zeigefingers wegsame Querspalte; bei der 
combinirten Untersuchung fand ich, daß sich der Tumor mit 
dem Uterus mitbewegte. Da das Allgemeinbefinden gut war, 
empfahl ich der Kranken wiederzukommen, wenn sie Schmerzen 
empfinden sollte. 

Zwei Wochen später, d. i. am 30. August 1892, sah ich 
die Kranke zum zweitenmale. Der Bauchumfang betrug 
99 Cm., die Entfernung des Processus xyphoideus bis zum 
Nabel 15 Cm., zur Symphysis ossium pubis 38 Cm. Im 
Uebrigen war der Zustand der nämliche wie bei der ersten 
Untersuchung, nur konnte constatirt werden, daß sich die 
Geschwulst wehenartig zusammenzog. In diesem Zustande 
wurde der Kranken die operative Entfernung des Fötus em¬ 
pfohlen ; da die Kranke jedoch noch etwas zu besorgen hatte, 
sollte sie erst am nächsten Tage kommen. Sie unterließ es 
jedoch. Wegen heftiger auftretender Schmerzen berief sie 
Aerzte, welche eine Bauchfellentzündung diagnosticirten. Die 
Krankheit dauerte recht lange, dann wurde der Bauchumfang 
immer geringer, die Kranke kränkelte aber fortwährend. 

Am 8. März 1898 ersuchte die nun 35 Jahre alte Frau 
um Spitalsaufnahme, resp. um die operative Entfernung einer 
Geschwulst. Sie verheimlichte es, daß sie schon vor 6 Jahren 
untersucht worden sei, und gab an, eine Geschwulst im Leibe seit 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 28. 


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etwa 3 Monaten zu fühlen. Bei der Untersuchung fand ich 
links vom Uterus eine kindskopfgroße Geschwulst, die mit 
demselben mitbeweglich beim Betasten schmerzhaft war. Die 
Kranke war sehr abgeschwächt und kachektisch. 

Am 10. März 1898 wurde die Laparotomie vorgenommen. 
Nach dem Einschneiden der Geschwulst, die mit der Gebär¬ 
mutter und den Gedärmen fest verwachsen war, entleerte 
sich Eiter. Als ich nun mit dem Finger das Innere der Höhle 
betastete, fühlte ich Knöchelchen und ich konnte die macerirten 
Knochen eines Skelettes entfernen, die nach dem Abspülen 
des Eiters blendend weiß waren. Im Eiter schwammen 2 Cm. 
lange Haare. Nach dem Ausspülen der Höhle nähte ich den 
Sack an die Bauchdecken an. Die Heilung ging rasch von 
statten, so daß die Kranke am 9. April vollkommen genesen 
die Anstalt verlassen konnte. 

Die Untersuchung der gewonnenen Knöchelchen zeigte, 
daß sie einem Fötus im 7. Monate angehören. (Clavicula 
30 Mm., Scapula 27 Mm. lang, 26 Mm. breit, Humerus 45 Mm., 
Ulna 42 Mm , Radius 36 Mm., Femur 50 Mm., Tibia 44 Mm., 
Fibula 47 Mm., Mandibula beiderseits je 35 Mm.) Die Länge 
mancher Röhrenknochen ist etwas kürzer, als es dem siebenten 
Monate nach Toldt entsprechen würde, das läßt sich aber 
dadurch erklären, daß die knorpeligen Ansätze nicht nur 
ganz macerirt, sondern selbst die Ansätze mancher Knochen, 
insbesondere der Tibia, zerstört waren. 

Einen zweiten Fall ectopischer Schwangerschaft operirte 
am 28. April 1896 in Bielitz College Dr. Gold, welcher so 
freundlich war, mir die Krankengeschichte mitzutheilen. Eine 
40 Jahre alte Frau gab an, daß sie zum letztenmale vor 
18 Monaten menstruirte und bis dahin immer gesund war. Es 
trat darauf Yolumzunahme des Unterleibesauf, weshalb sowohl 
sie als auch die zu Rathe gezogenen Aerzte eine Schwanger¬ 
schaft annahmen. Etwa 12 Monate vor der Spitalsaufnahme trat 
unter wehenartigen Schmerzen eine heftige Blutung aus den 
Genitalien auf, welche 14 Tage andauerte und die Frau un- 
gemein schwächte. Sie bemerkte gleichzeitig, daß der Unter¬ 
leib kleiner wurde. Etwas später menstruirte sie regelmäßig, 
es traten jedoch Compressionserscheinungen seitens der Blase 
und des Rectum auf, in letzter Zeit Darmkoliken und 
Diarrhöen. Unregelmäßige Fieberbewegungen zwischen 38'0 
bis 38’5° C. 

Am 28. April 1896 wurde im Franz Joseph-Spitale in 
Bielitz vom Director Dr. Gold die Laparotomie vorgenommen. 
Nach Eröffnung des Fruchtsackes sieht man, daß er am 
äußeren linken Ende von der Tube nur theilweise umhüllt 
ist, während der äußere größte Theil des Sackes von Pseudo¬ 
membranen gebildet ist, welche mit den Ligg. lata, Netz, 
Darmschlingen und Uterus fest verlöthet erscheinen. Das 
linke Ovarium ist abgespaltet und mit den Wandungen des 
Fruchtsackes verschmolzen. Im eröffneten Sacke fand man 
außer dem Fötus eingedickte meconiumähnliche Flüssigkeit. 
Extraction des Fötus an den Füßen, Durchtrennung der 
ligirten Nabelschnur, Exstirpation des Fruchtsackes unter 
Durchtrennung der stellenweise mächtigen Adhäsionen auf 
blutigem und stumpfem Wege unter Gebrauch des Paquelins 
und nach Anlegung von Ligaturen. Die Blutung war gering. 
Am unteren Pole communicirte der Sack mit der stark aus¬ 
gedehnten Tube, welche mit den Darmschlingen innig ver¬ 
wachsen erschien, und an welcher die Placenta überfaustgroß 
von derber Consistenz und weißgrauer Farbe haftete. Exstirpa¬ 
tion des linken Ovariums mit der Tube unu Placenta. Nach¬ 
dem die Bauchhöhle mit sterilisirtem Wasser gehörig ausge¬ 
waschen worden war, wurden die Bauchdecken mit Etagen¬ 
naht geschlossen. Der Wund verlauf war glatt, prima inten- 
tione. Patientin wurde am 31. Mai 1896 bei bestem Wohl¬ 
befinden entlassen. 

Die anatomischen Daten und der anatomische Befund 
sprechen dafür, daß wir es in diesem Falle mit einer Tubar- 
schwangerschaft im abdominellen Abschnitte mit secundärer 
Bauchschwangerschaft zu thun haben. Vor 18 Monaten 


cessirten die Menses und es trat Volumzunahme des Unter¬ 
leibes auf, vor 12 Monaten Blutungen unter wehenartigen 
Schmerzen, welche auf die stattgefundene Ruptur der Tube 
im 6. Monate der Schwangerschaft hindeuten. Austritt des 
Fötus in die Bauchhöhle, während die Placenta mit ihrer 
Insertionsstelle in ungelöster Verbindung blieb. 

Bei Durchsicht der in den letzten Jahren ziemlich um¬ 
fangreichen Literatur findet man, daß Fälle von ectopischer 
Schwangerschaft nicht so vereinzelt dastehen. Rosenthal in 
Warschau hat bis zum Jahre 1896 1324 solcher Fälle zu¬ 
sammengezählt. Nach Ansicht der Mehrzahl der Autoren 
handelt es sich stets um eine primäre Tubenschwangerschaft, 
entweder in der Mitte derselben oder näher dem uterinen, 
eventuell ovariellen Theile. Wenn der Fötus eine bestimmte 
Größe erreicht hat, dann platzt die Tube unter Schmerzen, 
Gebärmutterblutungen und Symptomen einer Bauchfellent¬ 
zündung, was gewöhnlich im zweiten oder dritten Monate 
der Schwangerschaft stattfindet. Die Diagnose der stattge- 
fundeuen Berstung des Fruchtsackes bereitet keine Schwierig¬ 
keiten. 

Menses hören auf, daneben bestehen andere Symptome 
der Schwangerschaft. Nach einigen Monaten eines relativen 
Wohlbefindens befallen die Kranke heftige Unterleibsschmerzen, 
begleitet von Ohnmächten und Blutungen. Diese Symptome 
schwinden und die Frucht kann in diesem Stadium absterben, 
wird resorbirt oder sie verursacht perimetritische Entzün¬ 
dungen. In manchen Fällen entwickelt sich die Frucht weiter 
und bildet um sich herum Verwachsungen mit den breiten 
Bändern, Eierstöcken, Darm, Uterus etc. Nachdem die Frucht 
ein gewisses Stadium der Entwickelung erreicht hat, treten 
Wehen auf, die Entbindung kann jedoch nicht vor sich gehen. 
In diesem Stadium kann die Mutter ohne chirurgischen Ein¬ 
griff an Verblutung oder Bauchfellenentzündung zugrunde 
gehen. Es kommt jedoch vor, daß der Organismus auch dieses 
übersteht und die abgestorbene eingekapselte Frucht geht 
weitere Metamorphosen ein. In meinem oben beschriebenen 
Falle trat vollkommene Maceration und Resorption des Fötus 
ein bis auf die Knochen und Kopfhaare, welche 6 Jahre 
später operativ entfernt wurden. Wenn man die Kranke 
ihrem Schicksale überlassen hätte, wären die Knöchelchen 
vielleicht durch die Bauchdecken, Blase, Vagina, Rectum ab¬ 
gegangen. 

Wie sollen wir uns nun bei rechtzeitig diagnosticirter 
ectopischer Schwangerschaft verhalten? Wenn keine das Leben 
der Mutter bedrohenden Symptome auftreten, kann zugewartet 
werden. Pinard hat bei einer 36 Jahre alten Primipara zu¬ 
gewartet und am Ende der Schwangerschaft bei auftretender 
Wehenthätigkeit die Mutter mit günstigem Resultate für sie 
und das Kind operirt. So wollte auch ich in meinem Falle 
vorgehen, nämlich nach der zweiten Untersuchung bei con- 
statirter Wehenthätigkeit operiren, was jedoch die Kranke 
vereitelte. 

Nicht immer wird die abgestorbene Frucht macerirt. 
Es kommen Fälle vor, wo die Frucht versteinert — es ent- 
sleht ein Lithopädion. Es kann auch der Fötus unversehrt 
im Mutterleibe verweilen, wie im oben beschriebenen zweiten 
Falle. Denis stellte in Lyon einen Fötus vor, welcher in der 
Bauchhöhle 12 Jahre verweilte, ohne zu maceriren oder zu ver¬ 
steinern. Boudet beschreibt einen 18 Jahre getragenen Fötus, 
welcher bei der Section einer 46jährigen Frau in der Bauch¬ 
höhle gefunden wurde. 

Es kommt auch ectopiscbe Zwillingsschwangerschaft vor. 
Einen solchen Fall beschrieb Folet in Lille. Eine Frucht 
war ausgetragen, die zweite mochte im 2.— 3. Monate abge¬ 
storben sein. Beide Früchte wurden durch 15 Jahre im Mutter¬ 
leibe getragen. Als eine Seltenheit muß ich noch den Fall 
von Mackenrodt in Berlin erwähnen, welcher beide Tuben 
geschwängert fand, und zwar in der einen Knöchelchen, in 
der zweiten eine entwickelte Frucht. Hebmes beschrieb im 
Jahre 1900 einen Fall von gleichzeitiger normaler und Tuben- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 28. 


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Schwangerschaft. Die Tubarschwangerschaft wurde diagno- 
sticirt und in der siebenten Woche operirt, die nicht dia- 
gnosticirte uterine Schwangerschaft nahm ihren normalen 
Verlauf. 

Nachdem ich so viele Abnormitäten der Schwangerschaft 
beim Weibe fand, war ich begierig zu erfahren, wie sich 
dies bei den Säugethieren verhalt. Ich ersuchte daher meinen 
Freund, den Rector der thierärztlichen Hochschule in Lemberg 
Dr. Szpilman, mir die betreffende Literatur zur Verfügung zu 
stellen. Der gefällige Rector ging noch weiter. Auf seine An¬ 
regung schickte mir Herr Boleslaus Eugen Swiderski einen 
umfangreichen Auszug, welchen ich hier in Kürze veröffent¬ 
liche , beiden Herren den verbindlichsten Dank abstattend, 
da ich glaube, daß dieser Bericht den Leserkreis interessiren 
wird. 

Die thierärztlichen Lehrbücher, so z. B. von Kitt aus 
dem Jahre 1895, Bd. II, erachten die Abkapselung der Frucht 
in der Bauchhöhle als eine große Seltenheit. F. Saint-Cyr geht 
noch weiter und schreibt auf pag. 130 seines Werkes: 
„Traitö d’obstetrique' vetörinaire“, daß die ectopische 
Schwangerschaft glücklicherweise ein seltenes Ereigniß ist, 
ebenso beim Weibchen der Hausthiere wie beim Weibe. Eine 
Sonderstellung nehmen die extrauterin in der Bauchhöhle 
freiliegenden Früchte ein, welche man bei Häsinnen ab und 
zu vorfindet. Es handelt sich bei diesem Zustande der Ab¬ 
dominalschwangerschaft, welcher den Jägern sehr bekannt 
ist (aus dem Jahre 1680 existirt hierüber eine Abhandlung 
von Romwel: „De foetibus leporinis extra uterum repertis“), 
wahrscheinlich um partielle Abschnürung der trächtigen 
Uterushörner. 


Bei den Säugethieren kommt es häufiger vor, daß die 
schwangere Gebärmutter berstet, die Frucht tritt in die 
Bauchhöhle ein und kapselt sich ab. Sütton beschreibt daher, 
(im Jahre 1892) verschiedene Anormitäten der Schwanger¬ 
schaft und kommt zum Schlüsse, daß es bei den Säugethieren 
keinen einzigen Fall von constatirter Tubenschwangerschaft 
gibt, mit Ausnahme des Weibes. Einer anderen Ansicht ist 
Walley, welcher behauptet, daß bei Thieren sogar Fälle von 
wahrer Bauchschwangerschaft Vorkommen. Oefters fand er 
nämlich selbst, daß sich in der Bauchhöhle vollkommen ent¬ 
wickelte Früchte befanden, ohne daß am Uterus oder den 
Tuben Anzeichen zu finden waren, daß hier die Conception 
stattfand und die Frucht nachträglich infolge Beratung dieser 
Organe in die Bauchhöhle gelangte und sich dort weiter ent¬ 
wickelte. Macarin stellte in der Pariser Akademie der Wissen¬ 
schaften einen Fall von wirklicher Scheidenschwangerschaft vor. 

Wie gestaltet sich nun das weitere Schicksal der ectopi- 
schen Schwangerschaft bei den Thieren? Harms schreibt dar¬ 
über in seinem Handbuche: 1. Das befruchtete Ei stirbt sehr 
früh ab und wird resorbirt. 2. Der Fötus kann absterben 
und vollständig mummificiren. Eine solche sogenannte Stein¬ 
frucht kann jahrelang ohne besondere Nachtheile von der Mutter 
getragen werden. Es kann nebenher sogar eine intrauterine 
Trächtigkeit ihren normalen Ablauf nehmen. 3. Die Frucht 
kann nach dem Absterben sämmtliche Weichtheile durch Re¬ 
sorption verlieren, so daß nur die Knochen im Fruchtsacke 
Zurückbleiben. Solche, mit den Skelettknochen gefüllte Säcke 
genieren die Mutter ebenfalls nicht. 5. Die Frucht kann sich 
vollkommen entwickeln, so daß sie schließlich bei der Unter¬ 
suchung des Bauches der Mutter gefühlt werden kann. 


U e b e r 

traumatische Läsionen der inneren Kapsel, 

nebst, ei^em Beitrag zu den acuten lnsolationspsychosen. 
Von Universitäts-Docenten Dr. Julius Donath, Ordinarius am 
St. Stephansspital in Budapest. 

(Schluß.) 

II. Der 33jährige verheiratete Porcellanmaler J. M. schoß 
sich am 14. Juni 1900 im benommenen Zustande mittelst Revolver 


von zwei daherkommenden Soldaten geweckt, damit er sich in den 
Schatten begebe. Wie es sich nachträglich herausgestellt hatte, war 
zu diesem Selbstmordversuch gar kein Beweggrund vorhanden und 
er selbst wußte nicht, wie dies geschehen sei: Er bekam Kopf¬ 
schmerz, fühlte sich schwach und schoß sich an. 11 Tage lag er 
bewußtlos in einem Provinzialkrankenhause. Nach 4 Wochen stand 
er auf und bemerkte, daß die linken Extremitäten gelähmt und die 
linke Hand gänzlich empfindungslos war. Am 19. December des¬ 
selben Jahres wurden auf einer chirurgischen Klinik Knochen¬ 



in die rechte Schläfe. An diesem Tage wanderte er bei großer 
Hitze auf der Landstraße, legte sich an die Sonne hin und wurde 


Splitter entfernt, die Kugel aber darin belassen. Seit dem September 
bestanden mit Bewußtlosigkeit einhergehende Krampfanfälle, welche 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 28. 


stets vom linken Arme ausgingen und in 6—7 wöchentlichen 

Zeiträumen wiederkehrten (Epilepsia Jacksoniana hemiplegica trau¬ 
matica). 

Seine beiden Kinder starben im Alter von einigen Monaten; 
die Frau hat 6mal abortirt. Er will früher nie krank gewesen 

sein und besonders auch keine Lues gehabt haben. Er gibt an, 

den Selbstmordversuch in einem Zustande von Geistesstörung be¬ 
gangen zu haben. Seine Schwester hat ihn immer als mäßigen 

Manu gekannt. Seither sind Gedächtniß und Intelligenz geschwächt. 

Linke Pupille > r., erstere etwas träge, letztere prompt auf 
Licht reagirend. Aceommodative Reaction beiderseits gut. Rechter 
Sulcus naso-labialis etwas abgeflacht und die Mundzweige des 
Facialis auf dieser Seite paretisch. Zunge und Hände zittern nicht. 
Parese der linksseitigen Extremitäten, die linke Oberextremität in 
leichter Beugecontractur. Kniephänomene und Patellarreflexe linker¬ 
seits gesteigert, Bauchreflex auf dieser Seite fehlend; beiderseits 
Babinski. Dermographismus. Sensibilität auf der rechten Körper¬ 
hälfte intact, dagegen auf der ganzen linken Körperhälfte stark 
herabgesetzt, für Tast-, Schmerz- und Temperaturempfindung. Diese 
Hypästhesie ist auch für die Nasenschleirahaut, nicht aber für 
Conjunctiva und Mundschleimhaut nachzuweisen. Linkerseits läßt 
er Gegenstände aus der Hand fallen, und hier fehlt das stereo- 
gnostische Gefühl, während es rechts intact ist. — Visus B / lß E 
beiderseits. Fig. 3 und Fig. 4 zeigen die Gesichtsfelder für Weiß 
mit dem Charakter der bilateralen linksseitigen Hemianopie. Papillen 
grau verfärbt, ihre Grenzen verwaschen (Neuritis ehr. n. o.). 

Gehör rechterseits herabgesetzt (Acumeter wird auf 10 Cm., 
die Taschenuhr aus unmittelbarer Nähe gehört). Knochenleitung 
am linken Ohr stark herabgesetzt. Die auf den Scheitel gesetzte 
Stimmgabel wird rechts besser percipirt. Besonders ist für höhere 
Töne sowohl die Luft- als die Knochenleitung links stark herab¬ 
gesetzt. Rinne beiderseits positiv. Die galvanische Reaction des 
N. vestibularis prompt. 

Exitus am 25. April 1901 infolge Hirnabscesses. 

Die Localisation der Läsion, welche sowohl klinisch, 
als durch en faee und im Profil aufgenommene Roentgogramme 
(Fig. 5 und Fig. 6) festgestellt war, wurde durch die von 



Fig. 5. 


Dr. Verebelyi , Assistenten des Prof. Pertik, vorgenommene 
Obduction bestätigt. Es fand sieh ein narbiger Schußcanal der 
rechten großen Hirnhemisphäre mit Zerstörung des rechten 
Schläfelappens, pigmentirten Narben des hinteren Theils des 
rechten Linsenkernes, des mittleren Theils vom 
hinteren Schenkel der Capsula interna und der 
hinteren Spitze des Thalamus opticus. Der Sehußcanal verlief 
zwischen den Meningen bis hinauf zur Falx durae matris, um 
sich im Bogen zum rechten Felsenbein zu wenden, an dem 
das Projectil abgeplattet aufgefunden wurde. Drei Resorptions- 


abscesse im Hinterhauptslappen. Durchbruch des Abscesses 
in das Hinterhorn des rechten Seitenventrikels. Pyocephalus 
internus mit consecutiver acuter Meningitis cerebrospinalis. 



Fig. 6- 


Chronische katarrhalische Bronchitis, Atelektase uifid Spleni- 
sation der hinteren Theile der unteren Lungenlappen. Paren¬ 
chymatöse Degeneration des Myocards. 

* * 

* 

Zum Schluß möchte ich noch einiges über den unter 
der Einwirkung des Sonnenstiches erfolgten Selbstmordversuch 
bemerken. Diesbezüglich muß sowohl die Angabe des Kranken 
als die seiner Schwester hervorgehoben werden, daß der 
fleißige, geschickte, nüchterne und geordneter Lebensverhält¬ 
nisse sich erfreuende Arbeiter absolut keinen Beweggrund zu 
einem Selbstmord hatte und er selbst nachträglich erstaunt 
darüber war, diese Handlung begangen und sich in einen 
solchen Zustand versetzt zu haben. Es bleibt also nichts übrig, 
als direct die Insolation als die Ursache dieser acuten Psychose 
aufzufassen. Es handelte sich hier wirklich um Sonnenstich 
und nicht etwa um Hitzschlag, der eine Folge von äußerer 
Hitzeeinwirkung, verbunden mit körperlicher Anstrengung ist, 
denn er wurde an der Sonne schlafend von zwei Passanten 
aufgefunden und deshalb von denselben geweckt. 

Es ist bekannt, daß sowohl durch Sonnenstich als durch 
Hitzschlag andauernde Bewußtseinsstörungen mit 
Krämpfen, beziehungsweise schweren Lähmungserscheinungen 
bewirkt werden können, auch.kann es in seltenen Fällen zu 
Psychosen kommen, die sich nach Frost 8 ) klinisch von solchen 
traumatischen Ursprunges nicht unterscheiden; auch ist es 
bekannt, daß bei der chronischen Form des Hitzschlages 
nebst Kopfschmerz, Schwindel, Oppression nicht selten 
Ideenverwirrung und Selbstmordversuche Vor¬ 
kommen , doch finde ich in der Literatur keinen Fall ver¬ 
zeichnet, wo durch Sonnenstich in acuter Weise ein epilepsie¬ 
artiger Dämmerzustand hervorgerufen worden wäre, der, wie 
in vorliegendem Falle, zu der eomplicirten Handlung eines 
solchen Selbstmordversuches geführt hätte. 

8 ) Frost, Trauma and sun-stroke as causes of insanity. State Hospitals 
Bulletins; Ref. Virchow-Hirsch’ Jahresbericht, 1897, I., pag. 502. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 28. 


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Aus der dermatosyphilidologischen Abtheilung des 
km k. Krankenhauses Wieden (Vorstand weil . Prof. 
Hans v. Hebra). 

Ichthargan als Antigonorrhoicum. 

Von Dr. Friedrich Rudolf, Secundararzt. 

Ichthargan (Argentum thiohydrocarbüro-sulfonicum solu¬ 
bile) ist eine Ichthyolsilberverbindung, welche 30% Silber 
enthält und von der Ichthyolgesellschaft in Hamburg in den 
Handel gebracht wurde. 

Der Zweck der folgenden Zeilen soll. nun sein, über 
die Erfahrungen zu berichten, welche mit diesem Mittel auf 
obgenannter Abtheilung im Laufe eines Jahres, und zwar 
vom 1. April 1901 bis 1. April 1902, gemacht wurden. 

Seine Anwendung erstreckte sich auf 75 Fälle von 
Urethritis acuta bei Männern, theils ohne, theils mit.Compli- 
cationen. Wir begannen mit der Verordnung des Ichthargans 
bei Urethritis anterior acuta, soferne es sich um ganz frische, 
uncomplicirte Fälle handelte, um zu sehen, wie sich die 
Secretionsabnahme gestalte, und wie oft im Vergleiche zu 
anderen Mitteln Complicationen auftreten. In allen diesen 
Fällen wurden außerdem innerlich Balsamica, gewöhnlich 
01. ligni Santali 0 4 Grm. in Gelatinekapseln, und zwar 
4—6 Stück täglich verordnet. Eine in die Augen springende 
Wirkung ist nun, daß das Ichthargan. in einer Lösung von 
0'02 Grm. auf 100 Aqua dest. zu protrahirten (10 — 15 Minuten 
dauernden) Injectionen viermal täglich angewendet, eine rapide 
Abnahme der Secretion zur Folge hat. Bei Urethritiden, wo 
eine reichliche Absonderung von grüngelbem Eiter bestand, 
ging die Secretion rasch zurück, so daß in 3—6 Tagen bloß 
ein schleimiger Tropfen Morgens beobachtet wurde. Manchmal 
trat zwar eine leichte Trübung der zweiten Urinportion in 
den ersten 3 Tagen ein, jedoch verschwand dieselbe entweder 
den nächsten Tag von selbst, oder nach Aussetzen der In¬ 
jectionen in 24 Stunden. Nach Wiederaufnahme der Ein¬ 
spritzungen blieb die zweite Urinportion stets klar. Wurde 
nun die Ichtbargantherapie fortgesetzt, wobei nach 4 bis 
5 Tagen eine stärkere Lösung, nämlich 0 03 auf 100 3mal 
täglich in Anwendung kam, so sahen wir zweierlei Verhalten. 
Nach 10—21 Tagen sistirte der Ausfluß gänzlich, die erste 
und zweite Urinportion wurden ganz klar, ohne Flocken zu 
enthalten, und der Kranke konnte geheilt entlassen werden 
nachdem einige Tage nach dem Aussetzen jeglicher Therapie 
vollkommene Heilung constatirt wurde. Bei anderen Kranken 
blieb die Secretion nach 10—14 Tagen nur noch als stetiger, 
schleimiger Morgentropfen, und die erste Urinportion enthielt 
fortgesetzt Fäden. Zum größten Theile bestanden sie nur 
aus Epithelien, hie und da enthielten sie auch wenige Eiter¬ 
zellen, jedoch keine Gonokokken und es wurden nun entweder 
Adstringentien oder wo noch Eiterzellen vorhanden waren, 
Instillationen von Höllensteinlösungen mit der ULTZMAN'N’schen 
Spritze verordnet. Als Beispiele will ich, um nicht zu ermüden, 
?wei Krankengeschichten anführen. 

I. J. S., 20 Jahre, Kutscher, wurde am 20. Februar 1902 
aufgenommen. 

I. Infection erfolgte vor 4 Wochen. Seit 3 Wochen eiteriger 
Ausfluß aus der Harnröhre. Die erste Gonorrhoe vor 6 Monaten, 
ohne jede Therapie angeblich geschwunden. 

Status praesens: Reichlicher, grüngelber, eiteriger Ausfluß 
aus der Harnröhre. Beide Urinportiönen diffus trüb mit zahlreichen 
Eiterflocken. 

Mäßiges Oedem des Präputiums. 

Therapie: Kalte Umschläge, Infus. Herbae Herniar. et Fol. 
uvae ursi aa. 01. ligni Santali 0’4 5mal täglich. 

Verlauf: 24. Februar. Die Vorhaut abgeschwollen, die zweite 
Urinportion klar. Ausfluß gleich reichlich. Ichthargan 0 02/100, 
01. ligni Santali. 

28. Februar kein Ausfluß, beide Urinportionen klar. Aus¬ 
setzen der Therapie. 


3. März, Morgens läßt sich an der Harnröhrenmündung eine 
geringe Schleimmenge zusammendrängen, welche weder Eiterzellen, 
noch Gonokokken enthält. Keine Fäden im klaren Urin. Geheilt 
entlassen. 

II. J. T., 22 Jahre, Eisendreher, wurde am 2. März auf¬ 
genommen. 

II. Infection. Seit 4 Tagen eiteriger Ausfluß aus der Harn¬ 
röhre. Die vor einem Jahre erfolgte I. Infection wurde behandelt. 

Status praesens: Reichlicher, dünnflüssiger, gelber Eiter aus 
der Harnröhre. Die erste Urinportion trüb, die zweite klar. Im 
mikroskopischen Präparate zahlreiche Gonokokkenhaufen und Eiter¬ 
zellen. 

Therapie: Ichthargan 002/100. 01. ligni Santali. 

Verlauf: 4. März. Zweite Urinportion leicht getrübt. 

6. März. Zweite Urinportion klar, die Secretion auffallend 
geringer, eiterig schleimig. 

7. März. Ichthargan 0 - 03/100. 

10. März. Ein kleiner Schleimtropfen Morgens, keine Gono¬ 
kokken und spärliche EiTerzellen enthaltend. 

20. März. Ausfluß wie am 10. März, jedoch ohne Eiterzellen. 
Die erste Urinportion enthält wenige Fäden. Tiefe Injectionen mit 
Arg. nitricum 0’3/100. 

26. März. Aussetzen der Therapie. 

29. März. Kein Ausfluß. Beide Urinportionen klar ohne Fäden. 
Geheilt entlassen. 

In dieser Weise verliefen 45 Fälle von Urethritis acuta 
ohne Complicationen , wobei die Wirkung die gleiche blieb, 
wenn es sich um die erste Infection handelte oder wenn eine 
oder mehrere Infectionen vorausgegangen waren. Von diesen 
45 Kranken wurden 12 durch bloße Ichtharganinjectionen 
geheilt, wobei die kürzeste Behandlungsdauer 7 Tage, die 
längste 14 Tage betrug. Durchschnittlich betrug die Krank¬ 
heitsdauer 10 Tage. Bei 20 Patienten mußten nach der 
Ichtharganbehandlung Adstringentien verordnet werden und 
nahm die Behandlung 10—37 Tage, im Durchschnitte 20 Tage 
in Anspruch. In den übrigen 13 Fällen ging die Secretion 
zwar bedeutend zurück, aber bei 6 Kranken trat eine dauernde 
Trübung beider Urinportionen auf, so daß wir mit den 
Ichtharganeinspritzungen aussetzten und % % Protargol- 
injectionen verwendeten. Bei den anderen 7 Patienten mußten 
wegen andauernder, wenn auch geringer Eiterung, noch 
andere Silberpräparate verordnet werden. 

Auch bei Urethritis posterior wandten wir das Ichthargan 
an, nachdem der Harndrang nachgelassen hatte, und verord- 
neten zugleich innerlich Infus. Herbae Herniar. et Fol. uvae 
ursi aa., sowie Natrii salicyl. 3 Grm. pro die. In dieser Weise 
wurden 17 Patienten behandelt. Auch hier sahen wir die 
Secretion rasch versiegen und der Urin besonders in der 
zweiten Portion wurde bald klar. 

Nach abgelaufener Epididymitis verordneten wir das 
Ichthargan bei 8 Kranken. In 7 Fällen war das Resultat 
gänzlich zufriedenstellend und in einem Falle erfolgte nach 
3 Injectionen von Ichthargan 0’02 auf 100 Aqu. dest. eine 
diffuse Trübung des vorher klaren Urin9, weshalb diese 
Therapie aufgegeben wurde. 

Was nun das Auftreten von Complicationen während 
der Ichtharganinjectionen anbetrifft, sahen wir außer der 
anfangs erwähnten belanglosen, eintägigen Trübung der 
zweiten Urinportion, in einigen Fälle eine diffuse Trübung 
beider Urinportionen ohne Harndrang auftreten (siehe die 
früher erwähnten 7 Fälle). Selbstredend wurde sofort eine 
andere Therapie eingeschlagen. 

Viermal beobachteten wir das Auftreten von Epididymitis, 
doch hatten wir den Eindruck, als ob in drei von diesen 
Fällen, wo schon eine diffuse Trübung beider Urinportionen 
bestand, eine andere Therapie das Auftreten der Epididymitis 
nicht verhindert hätte. 

Einmal bildete sich während der Einspritzungen ein 
periurethraler Absceß. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 28. 


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Außer den angeführten Fällen verordneten wir das 
Ichthargan bei zahlreichen Kranken, welche in ambulatorischer 
Behandlung standen. Wir machten dabei immer wieder die 
Beobachtung, daß nur dann, wenn die Patienten die Ichthargan- 
einspritzungen gewissenhaft, viermal täglich bei einer Dauer 
von 10—15 Minuten durchführten, die Resultate der ambu¬ 
latorischen Behandlung mit denen auf der Abtheilung über¬ 
einstimmten. 

Kurz will ich noch erwähnen, daß wir das Ichthargan 
in der Lösung 0 02 auf 100 Aq. dest. auch bei reichlich 
secernirenden Urethritiden bei Frauen, in der Form von 
jANET’schen Spülungen einmal täglich in Anwendung brachten, 
und daß in 10—14 Tagen der vorher grüngelbe eiterige Ausfluß 
in eine geringe schleimige Secretion überging, worauf die 
Behandlung mit Adstringentien in kurzer Zeit zu Ende ge¬ 
führt wurde. 

Um nun die gesehenen Wirkungen des Ichthargans kurz 
zusammenzufassen, können wir sagen, daß dasselbe, wie wir 
es erwartet hatten, zwar kein absolutes Specificum gegen die 
Urethritis gonorrhoica ist, jedoch sich vor anderen Mitteln 
dadurch auszeichnet, daß bei der oben beschriebenen An¬ 
wendung desselben 

1. die Secretion rapid zurückgeht, 

2. die Eiterung in der größten Zahl der Fälle in sehr 
kurzer Zeit verschwindet, und daß das Ichthargan 

3. von der entzündeten Harnröhrenschleimhaut gut ver¬ 
tragen wird und Complicationen in nicht größerer Anzahl 
als bei anderen Mitteln auftreten. Zugleich muß bemerkt 
werden, daß auch nach abgelaufenen Complicationen das 
Ichthargan keine Reizung hervorruft und seine volle Wirkung 
entfaltet. 

Zum Schlüsse sei es mir gestattet, dem während der 
Beobachtungszeit den erkranken Chef vertretenden Leiter 
der Abtheilung Herrn Assistenten Dr. Carl Schneider für 
seine wohlwollenden Rathschläge und Winke, sowie für die 
weitgehende Ueberlassung des Materiales meinen besten Dank 
abzustatten. 


Referate. 


1. Quincke (Kiel): Ueber die chirurgische Behandlung 

der Lungenkrankheiten. 

2 . Garbe (Königsberg): Die chirurgische Behandlung 

der Lungenkrankheiten. 

3. Lenhartz (Hamburg): Zur operativen Behandlung des 

Lungenbrandes. 

4. Garre und Sultan (Königsberg): Kritischer Bericht über 

20 Lungenoperationen. 

1. In einem Referate, das Qu. in der 73. Versammlung 
deutscher Naturforscher und Aerzte in Hamburg erstattet hat, 
bespricht er die Erfolge der chirurgischen Behandlung bei 
verschiedenen Lungenkrankheiten und bekennt sich als eifrigen 
Anhänger der Lungenchirurgie. Die Erfahrungen, die Verf. aus 
seinen Beobachtungen sammelte, sprechen dafür, daß Eiterhöhlen 
in der Lunge möglichst frisch zu operiren sind, bevor sie chronisch 
geworden sind; der Erfolg der operativen Therapie hängt bei 
nichttuberculösen Eiterhöhlen der Lunge wesentlich von der Zeit 
ihres Bestehens ab. Acute FäHe heilen gut, chronische schwer. 
Für die chronischen Fälle ist wegen der starren Höhlenwandungen 
außer der Eröffnung noch eine Entspannung der Brustwand durch 
ausgiebige Rippenresection nothwendig. Begleitende Putrescenz 
macht beide Arien von Fällen schwerer, indessen ist sie ein secun- 
däres Symptom, das auftreten und schwinden kann. Als Eintheilungs- 
princip (für die Beurtheilung der Schwere) kann es deshalb nicht 
dienen; die Dauer des Bestehens ist viel wichtiger. 

Ebenso frühzeitig wünscht Verf. die Operation („Mitth. a. d. 
Grenzgeb. f. Med. u. Chir.“, Bd. 9, H. 3) bei Fremdkörperabscessen, 
die gewöhnlich putrid sind. Bei eingetretener Putrescenz ist auch 
ohne die bestimmte Localdiagnose einer vorhandenen Höhle min¬ 


destens die Anlegung einer Bronchialfistel unter dem rechten 
Schulterblattwinkel zu empfehlen, weil man, auch wenn der putride 
Absceß nicht getroffen wird, hoffen kann, durch Ableitung des 
putriden Secretes weiteren secundären Herden vorzubeugen. 

Bei tuberculösen Herden, die auf einen Oberlappen beschränkt 
sind, empfiehlt Verf. nach den Erfolgen, die von anderen Autoren 
beobachtet wurden, die Mobilisirung dieses Theiles des Thorax 
durch ausgiebige Thoraxplastik, weil auf diese Weise am besten 
die Abkapselung und Ausheilung der Herde angebahnt werden kann. 

Wichtig erscheint in allen Fällen die möglichst frühzeitige 
Diagnose der eitrigen Processe und die Localisirung des Herdes. 
Leider muß Verf. bekennen, daß trotz der vielen Symptome, welche 
auf HöhlenbilduDg hinweisen (Menge und Beschaffenheit des Sputums, 
mikroskopischer Befund, Geruch, periodische Expectoration, Aus- 
cultations- und Percussionsergebnisse, Roentgendurchleuchtung) die 
Localdiagnose der Eiterherde noch vielfach unsicher und trügerisch 
ist, ebenso auch die Diagnose der für das Ergebniß der Operation 
so wichtigen Verwachsung der Pleurablätter mit einander. 

2. In derselben Versammlung entwickelt Garre als Correferent 
die chirurgische Seite des Themas. Er constatirte vor Allem, daß 
bei entsprechenden Maßnahmen (kleine Oeffnung, langsames Ein¬ 
strömen von Luft) auch ein totaler Pneumothorax keine lebens¬ 
gefährliche Complication der Operation darstellt und daß ferner 
durch eine Lungen-Pleuranaht in Verbindung mit Tamponade eine 
Infection des Brustfellraumes verhütet werden kann. 

Die Operation selbst zerfällt in 3 Acte : Thorakotomie, Pleuro- 
tomie und die Pneumotomie, resp. Lungenresection. Die Thorako¬ 
tomie muß ausgiebig sein. Die Pneumotomie kann mit dem Scalpell 
oder bei stark lufthaltigem Lungenparenchym mit dem Paquelin 
ausgeführt werden. Die Eröffnung des Lungenherdes muß eine 
breite sein, damit in der Tiefe, wenn nothwendig, ein großes 
spritzendes Gefäß gefaßt und ligirt werden kann. Bei Cavernen 
mit starren Wänden muß das umgebende starre Lungenparenchym 
gründlich entfernt werden. 

Zum Schlüsse bespricht Verf. (ebenda) die einzelnen Krank-. 
heitsgruppen, welche die Indication zur chirurgischen Behandlung 
abgeben können: Die Gesammtresultate bei Tuberculose sind nicht 
sehr erfreulich (47 Fälle mit 26 temporären Heilungen und 19 Todes¬ 
fällen). Angewendet wurde die Resection der 3 ersten Rippen 
ohne Resection der Pleura und Resection der 2. Rippe mit Pneumo¬ 
tomie. Endlich wurde in der neueren Zeit von Murphy der Ver¬ 
such gemacht, einen Collaps der Lungencaverne durch Injection 
von sterilen Gasen in den Pleuraraum und Erzeugung eines künst¬ 
lichen Pneumothorax herbeizuführen. Bei dieser Behandlung sollen 
Besserungen erzielt worden sein. Bei Actinomykose wäre die Er¬ 
öffnung der Abscesse und Resection des indurirten Gewebes noth¬ 
wendig. Bei Lungenabscessen hält Verf. die Prognose für günstig, 
wenn früzeitig operirt wurde (80% Heilungen). Die Lungengangrän 
gibt keine so günstigen Verhältnisse (von 122 Fällen 80 geheilt 
und 42 gestorben); Verf. ist aber dennoch mit dieser Mortalität 
von 34% zufrieden, da Villiere die Mortalität bei interner Behand¬ 
lung mit 75—80% berechnet hat. Ebensowenig günstige Resultate 
weist die Behandlung der Bronchiektasien auf (große Mortalität 
und wenig Dauerheilungen), hingegen sind die Erfolge bei Echino 
coccus glänzende (79 Fälle mit 71 Heilungen = 90%). 

3. Auf derselben Versammlung berichtete L. über 6 Fälle von 
schweren Bronchiektasien, 2 Fälle von Absceß und 23 Fälle von 
Lungengangrän, die er selbst operirt hat, und stellte geheilte 
Patienten vor. — 11 Patienten mit Gangrän wurden geheilt, 
darunter ein Fall, bei welchem der ganze Oberlappen durch eine 
Caverne zerstört war. Die unmittelbaren Folgen der Operation waren 
oft verblüffend. Die Menge des Sputums sank nach der Eröffnung 
von 300—480 Ccm. in 3 — 4 Tagen fast auf Null; ebenso ging 
in kürzester Zeit die Temperatur herunter und die septischen Er¬ 
scheinungen hörten auf. 

In technischer Beziehung empfiehlt Verf. (ebenda) die zwei¬ 
zeitige Operation in weniger dringenden Fällen und zwar aus dem 
Grunde, weil es nach seinen Erfahrungen nicht immer gelingt, mit 
einer fortlaufenden Naht die Pleurablätter vollständig zu ver¬ 
einigen. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 28. 


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4. Die von dem Verf. mitgetheilten Fälle worden zum Theil 
von Garre, zum Theil von Eiselsberg operirt. Aoch hier betonen 
die Verff. („Beitr. z. klin. Chir.“, Bd. 32, H. 2) die verhältnißmäßig 
hohe Mortalität bei bronchiektatischen Cavernen gegenüber ander¬ 
weitigen Höhlenbildungen in der Lunge (Echinococcus und Absceß). 

Wichtig ist während der Nachbehandlung die Art der Tam¬ 
ponade der Lungenhöhle. Die Tamponade darf nicht zu fest sein, 
der Tampon muß die Secrete nach außen leiten, da bei Secret- 
stauung leichtTemperatursteigerung und Hustenreiz entstehen können. 

Erdheim. 

L. R. v. Korczynski (Krakau): Ueber den Einfluß der Ge¬ 
würze auf die secretorische und motorische 
Thätigkeit des Magens. 

Die Wirkung einzelner Gewürze auf die Absonderungsthätig- 
keit des Magens ist keine identische („Wiener klin. Wschr.“, 
1902, Nr. 18). Ihre Wirkung hängt in erster Linie von dem all¬ 
gemeinen und momentanen Zustande des Magens, in weiterer wahr¬ 
scheinlich auch von der Individualität ab. Die Gewürze üben in 
den Fällen der secretorischen Schwäche einen schädlichen Einfluß 
aus ; sie bewirken, daß die Absonderung der Salzsäure und des 
Pepsins herabgesetzt wird, daß bei gemischter Diät sich reichlicher 
Milchsäure bildet. Auch bei Personen, deren Magenthätigkeit eine 
leidlich zureichende, aber bei welchen die Absonderung der HCl 
eine recht schwache ist, muß ihr Einfluß unerwünscht erscheinen. 
Die Gewürze reizen die Magenschleimhaut, bewirken Dilatation 
der Gefäße und eine vermehrte Durchsickerung der Flüssigkeit, 
wodurch gleichfalls eine Verdünnung des Magensaftes bewirkt 
werden kann. Auf die Absonderung der Drüsen bei gesunden Per¬ 
sonen wirken die Gewürze am Anfang anregend, später hemmend 
ein. Die Zeilperiode der verminderten Absonderung dauert im All¬ 
gemeinen ziemlich lange; manchmal folgt ihr eine zweite Periode 
der Anregung. Die motorische Thätigkeit des Magens steigert sich 
nach Gewürzen, und zwar infolge einer Reizung der contractilen 
Elemente des'Magens. 1 B. 

Adolf Baginsky (Berlin): Ueber die Beziehungen der 
serösen Pleuritis der Kinder zur Tuberculose. 

Eine Serie von 5 Fällen des Autors („Intern. Beiträge zar 
inneren Med.“, 1902) lehrt, daß es nicht als zutreffend erscheinen 
kann, wie Jakowski dies will, die Fälle von seröser Pleuritis ohne 
bakteriologischen Befund der Tuberculose zuznrechnen; zum min¬ 
desten liegt kein Grund dafür vor, nachdem die Impfversuche an 
empfänglichen Thieren sich als völlig ergebnißlos erwiesen haben. 
— Was aber im Allgemeinen noch bedeutungsvoller erscheint, ist 
die Tbatsache überhaupt, daß die Pleuritis, bei Kindern wenigstens, 
nicht im entferntesten in so enger Beziehung zur Tuberculose zu 
stehen scheint, wie dies unter dem Eindrücke der weiten Verbrei¬ 
tung der Tuberculose in der Kinderwelt von zahlreichen Autoren 
angenommen wird. Es wird werth sein, diese Dinge durch weitere 
Untersuchungen zu verfolgen. B. 

0. v. Petersen (St. Petersburg): Die tuberculösen Erkran¬ 
kungen der Haut und ihre Beziehungen zu den 
inneren Organen. 

Die Beziehungen der inneren Organe zu den tuberculösen 
Hautaffectiouen haben noch viel zu wenig Beachtung gefunden. 

Jede locale tuberculöse Erkrankung, sei sie in der Haut, den 
Knochen, Gelenken, Schleimhäuten, Darm, Drüsen, Kehlkopf oder 
Lungen, kann unter Umständen allgemeine Tuberculose erzeugen, 
wie dieses z. B. nach Auslöffelungen von Lupus-, resp. Knochen¬ 
herden constatirt ist („Berl. klin. Wschr.“, 1902, Nr. 16). 

Wie häufig die allgemeine Tuberculose vorkommt infolge 
localer Tubercnloseherde und unter welchen Bedingungen, darüber 
fehlen noch systematische Beobachtungen. Eine allgemeine Statistik 
der tuberculösen Erkrankungen verschiedener Organe ist äußerst 
wünschenswert, kann aber nur durch gemeinsame Arbeit der Ver¬ 
treter der verschiedensten Specialfächer der Medicin geschaffen 
werden. Die bisherigen Kenntnisse über die Tuberculose sprechen 


dafür, daß wir es vorherrschend mit einer Localaffection zu thun 
haben, und daraus ergibt sich, daß neben Hebung der Widerstands¬ 
fähigkeit des menschlichen Organismus gegen die Infectionsträger 
die Therapie in erster Linie eine locale sein muß, wie wir sie 
z. B. für den Lupus vulgaris gegenwärtig in der Phototherapie 
besitzen. N. 

Knud Faber (Kopenhagen): Ueber familiäre Myoklonie 
(Unverricht). 

Die genannte Krankheit tritt als eine familiäre Erkrankung 
auf, indem mehrere Geschwister auf ähnliche Weise angegriffen 
werden; sie ist nicht direct von den Eltern vererbt. Außer den 
myoklonischen Zuckungen findet man echte epileptische Anfälle bei 
den Patienten („Intern. Beiträge zur inneren Med.“, 1902). Die 
Zuckungen nehmen an Intensität zu, wenn ein epileptischer Anfall 
bevorsteht, und nehmen nach einem solchen wieder ab. Die myoklo 
nischen Zuckungen sind blitzschnelle Rucke, sehen Contractionen 
nach elektrischen Entladungen ähnlich und unterscheiden sich da¬ 
durch von den langsameren echten choreatischen Bewegungen, daß 
größere Muskelgruppen sich zugleich contrahiren und die Be¬ 
wegungen mehr coordinirt machen, während die myoklonischen 
Zuckungen als plötzliche Contractionen einzelner Muskeln erscheinen, 
ja die Muskelbündel können sich sogar vereinzelt contrahiren. Die 
Contractionen sind häufig doppelseitig, aber nicht streng symmetrisch. 
Sie werden verstärkt durch unwillkürliche Bewegungen und ge- 
müthliche Alteration, und sie können sich durch eineu Willensact 
etwas unterdrücken lassen. Im Schlaf kommen sie nur andeutungs¬ 
weise vor. L. 


S. Purjesz (Koioszvär): Beiträge zur Malariafrage. 

Die Fälle P.’s beweisen, daß durch Stiche der Anopheles 
claviger, wenn dieselben zur weiteren Entwickelung geeignete Halb¬ 
monde enthaltendes Blut gesogen haben und nachher unter geeignete 
Verhältnisse gelangen, nach einer bestimmten Zeit die Malaria auf 
bisher gesunde Menschen übertragen werden kann. Dies ward bei 
den Versuchspersonen bewiesen durch das intermittirende Fieber, 
den Milztumor, die malarische Farbe, namentlich aber durch den 
Blutbefund und die prompte Chininwirkung („Wr. klin. Rundschau“, 
1902, Nr. 16). Sehr beweisend sind auch folgende Ereignisse: 
Einer der Behälter, in welchem sich circa 20 — 25 Anopheles be¬ 
fanden, die bereits vor mehreren Tagen von Malariakranken Blut 
gesogen halten, wurde unbemerkt umgestoßen, so daß die Ano¬ 
pheles entweichen konnten. Am nächsten Morgen, als die Havarie 
bemerkt wurde, waren die Anopheles in der nächsten Nachbar¬ 
schaft (Laboratoriums-Localitäten) nicht mehr zu finden. 13 Tage 
nach diesem Ereignisse erkrankten 9 Personen an Malaria, die 
theilweise früher nie, oder wenigstens in den letzten Jahren 
nicht, an Malaria gelitten haben. Fünf von den Erkrankten gehörten 
dem Dienstpersonal des Krankenhauses an, welche im Souterrain 
wohnten, drei waren reconvalescente Kranke. In den übrigen Pavil¬ 
lons des seit 2 Jahren bestehenden Krankenhauses waren bisher 
niemals Malariaerkrankungen der dort Bediensteten beobachtet 
worden. 

Der Stich einer einzigen inficirten Anopheles genügt, um die 
Malaria auf den Menschen zu übertragen. Die Stiche der inficirten 
Anopheles verursachten bei jedem der dem Versuche unterworfenen 
Individuen wohlausgebildete Malaria. Ob es einer solchen Inoculation 
gegenüber malariaimmune Menschen gibt, kann auf Grund einer 
so geringen Zahl von Versuchen nicht entschieden werden. 

Die Incubation, d. h. die Zeit vom Tage der Inoculation 
bis zu dem Auftreten der ersten Symptome, betrug in den Fällen, 
in denen die Anopheles das Blut solcher Kranker in sich aufnahmen, 
die mit Plasmodium praecox inficirt waren, 7—11 Tage. 

In keinem der Fälle P.’s begann die Krankheit mit eiuem 
ausgesprochenen Schüttelfrost, sondern das Fieber, sowie die 
übrigen Symptome nahmen successive an Intensität und Extensität 
zu. Die Fälle lassen auch nicht die Deutung zu, als ob die längere 
oder kürzere Dauer der Incubation wesentlich von der Zahl der zur 
Verwendung gelangten Anopheles abhinge, obwohl eine derartige 

2 * 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 28. 


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Möglichkeit, für extreme Fälle wenigstens, vielleicht im vorhinein 
nicht ausgeschlossen werden kann. 

Die Dauer der Incubation scheint unter anderem von bisher 
unbekannten individuellen Verhältnissen abhängig. Während der 
Incubation sind an den inoculirten Individuen keine subjectiven 
Symptome zu beobachten. 

Das Verhalten der Milz war kein constantes. 

Der klinische Charakter der durch die Anopheles inoculirten 
Fälle entsprach dem Charaker jener Fälle, aus denen die zur Inocu- 
lation verwendeten Anopheles das Blut entnahmen. G. 


A. Lanz (Moskau): Ueber gonorrhoische Infection prä- 
putialer Gänge. 

Der Autor hatte Gelegenheit, in drei zuzüglichen Fällen das 
Material zur Untersuchung durch Excision des Ganges zu gewinnen. 
Im ersten Falle handelte es sich um eine chronische, im zweiten 
um eine acute Entzündung, im dritten war der Proceß ausgeheilt. 
Die entzündlichen Veränderungen sind dort am stärksten , wo; die 
meisten Gonokokken angetroffen werden. Die Gonokokken umsäumen 
im acuten Falle rasenförmig die Epithelien, dringen zwischen das¬ 
selbe ein, durchsetzen es in der ganzen Dicke, finden sich aber 
im Bindegewebe bloß in vereinzelten, kleinen Gruppen. In dem 
chronischen Falle sind Gonokokken bloß im Lumen des Ganges, 
von Eiterkörperchen eingeschlossen und frei zwischen den obersten 
Epithellagen, in den tieferen Epithelschichten und im Bindegewebe 
fehlen sie. Diese Befunde („Arch. f. Derm. u. Syph.“, Bd. 55) be¬ 
stätigen neuerdings die Ansicht Jadassohn’s, daß die Gonorrhoe 
in allererster Linie eine Oberflächenerkrankung ist und die Vita¬ 
lität der Gonokokken in der Mehrzahl der Fälle in dem binde¬ 
gewebigen Nährboden bald erlischt. Deutsch. 

A. J. Pospelow (Moskau): Syphilis der Enkelin. 

Die Bedeutung der Frage, ob Syphilis auf die zweite Gene¬ 
ration, auf Enkel oder endlich gar Urenkel übertragbar wäre, ist 
in die Augen springend. Die Schwierigkeiten in der Beantwortung 
liegen einmal in der naturgemäß vorhandenen Seltenheit einer so 
langen Bcobachtungsdauer, andererseits aber darin, daß die Aeuße- 
rungen der Syphilis der zweiten Generation seltener die üblichen 
tertiären sind, sondern sich als eine Summe von Erscheinungen 
geben, die gewöhnlich als „parasyphilitische“ bezeichnet werden. 
Es sind das verschiedenartige Dystrophien, vor allem eine allge¬ 
meine Atrophie. Während die Autopsie syphilitischer Kinder der 
ersten Generation zahlreiche anatomische Veränderungen der inneren 
Organe ergibt, findet man hier keine groben anatomischen Ver¬ 
änderungen ; solche Kinder sterben zuweilen früh, ohne daß die 
Obduction genügende Anhaltspunkte ergäbe, dieses Sterben „an 
Nichts“ ist kennzeichnend für syphilitische Kinder der zweiten 
Generation. In anderen Fällen entwickeln sich die Kinder anscheinend 
normal bis zum 2.—4.—6. Monat, auch bis zum 2.—4.—5. Jahre, 
beginnen dann ohne Grund abzumagern, werden blasser, 
schwächer, gebrechlicher. Die Forschung auf Syphilis bei 
Vater und Mutter läßt natürlich hier im Stich, dagegen kann die 
Anamnese zuweilen in Erfahrung bringen, daß der Großvater 
syphilitisch war. Einen derartigen Fall schildert der Autor („Arch. 
f. Derm. u. Syph.“, Bd. 55). 

Ein im Wachsthum zurückgebliebenes lBjähriges Mädchen mit 
HuTCHiNSON’schem Zahntypus kommt mit Perforation der Nasen¬ 
scheidewand und einem kraterförmigen Geschwür am harten Gaumen 
zur Aufnahme; Rhinitis bestand seit frühester Jugend, seit einem 
Jahre heftiger, seit dieser Zeit nahmen die Kräfte des ohnehin 
schwachen KiDdes ab, seit 5 Monaten besteht die Schwellung und 
das Geschwür am Gaumenknochen. Es handelte sich um ein an¬ 
scheinend gewöhnliches Bild (wie der Autor sagt hereditärer) gum¬ 
möser Syphilis. 

Da Vater und Mutter, sowie die älteren und jüngeren Ge¬ 
schwistergesund sind, so müßte zunächst die Frage der Einschleppung 
der Krankheit in die Familie auf außergeschlechtlichem Wege 
ventilirt werden. Diese ungemein wichtige Frage ist bloß auf die 


Aussagen des Vaters des Kindes gestützt, daß Niemand sonst in 
der Familie an Syphilis litt. Weil die das Kind selbst stillende 
Mutter nicht inficirt wurde, schließt der Autor die Infection auf 
extragenitalem Wege aus. Jetzt aber zeigt die Beweisführung einen 
Sprung; da das Kind nicht in frühester Jugend (Säuglingsperiode) 
inficirt worden war, so mußte ein anderer Modus zur Erklärung 
der Syphilis herangezogen werden; der Vater des Kindes zeigte 
charakteristische HüTCHiNSON’sche Zähne und erklärte aufs be¬ 
stimmteste, sein Vater habe an gammösen Geschwüren beider 
Unterschenkel gelitten; also wurde der Sohn, da er Hutchinson- 
Zähne aufwies, noch zur Zeit der Dauer der Syphilis des Vaters 
gezeugt und — es handelte sich um eine syphilitische Enkel in. 
Daß das Kind vielleicht denn doch — nicht als Säugling —, aber in 
den ersten Kinderjahren inficirt-(extragenital) werden konnte, wird 
merkwürdigerweise nicht berücksichtigt. Daß die Wachsthumshem¬ 
mung im Verlauf der antisyphilitischen Behandlung schwand, kann 
wohl als Stütze dafür, daß das Kind Syphilis, nicht aber Heredo- 
syphilis hatte, herangezogen werden. Der Fall läßt daher keines¬ 
wegs die fixen Schlußfolgerungen des Autors, vielmehr noch 
mancherlei Anfechtung zu. Deutsch. 


Sieberth (Nürnberg): Zur Aetiologie der Pulpitis. 

Verf. vertritt in der vorliegenden Arbeit („Centralblatt für 
Bakteriologie, Parasitenkunde und Infectionskrankheiten“ , Bd. 30, 
H. 24) nochmals den Standpunkt, daß der von Arkövy beschriebene 
Bacillus gangraenosus pulpae mit der Aetiologie der Pulpagangrän 
nichts zu thun habe, vielmehr in die Gruppe der Kartoffelbacillen 
gehöre und daher eine Verunreinigung darstelle. Die secundär nach 
Caries auftretenden Pulpaentzündungen wurden nach den Unter¬ 
suchungen des Verf., die unter Leitung Prof. Heim’s in Erlangen 
ausgeführt wurden, durch Streptokokken hervorgerufen. Der übrige 
Theil der Mittheilung enthält lediglich eine Erwiderung auf die 
Angriffe Arkövy’s und ist polemischen Charakters. Dr. S—. ' 


Kfeine Mittheilungen. 

— Die subcutane Injection von Chininsalzen ist in manchen 
Malariafällen nach Ferguson („Brit. med. journ.“, 1901, Nr. 2) 
geboten, wenn die Einführung per os, per rectum, die Einreibung 
völlig erfolglos bleibt. Erst die subcutane Beibringung äußert 
wirklichen Nutzen. Unter den Chininsalzen eignet sich für diesen 
Zweck am besten das Bihydrobromat. Die Injection ist nicht 
schmerzhaft. Das Salz ist völlig beständig und löst sich in 6 Theilen 
Wasser zu einer schwachsauren Flüssigkeit. Durch diese Eigen¬ 
schaft unterscheidet es sich von allen anderen Chininsalzen, aus¬ 
genommen das saure Chinin, hydrochloric. Es ist aber zum mindesten 
ebenso wirksam und vor Allem ebenso reizlos. Die Furcht vor 
Tetanus, welche allein der ausgedehnten subcutauen Auwendung 
des Chinin entgegensteht, ist nach Verf.’s Ansicht und Erfahrung 
unbegründet. Zur Injection werden 0‘18 Grm. Chininbihydrobromat 
in 20 Ccm. reinem Warmwasser gelöst. Die Injectionsstellen wechseln: 
Unterarm, Unterschenkel, Abdomen, Subclävicular-, Intrascapular- 
gegend. Meist sind nur 6 Injectionen in einem schweren Falle 
nöthig. O’IO Grm. bei subcutaner Einführung entsprechen in der 
Heilwirkung 1*8 Grm. per os. Selbstverständlich sind sorgfältige 
Reinigung der Haut, der Hände, Sterilisation der Spritze und der 
Lösung. Die Injectionen werden am besten 2 — 3 Stunden vor dem 
erwarteten Anfälle gemacht. 

— Als das beste Mittel, um einen acuten Nachschub chroni¬ 
scher Ekzeme in kürzester Zeit zu beseitigen, empfiehlt Luithlen 
(„Therapie der Hautkrankheiten“, Wien, A. H ö 1 d e r), das Leiti- 
gallol. Dieses ungiftige Pyrogallolderivat spaltet nur auf den er-, 
krankten Hautpartien langsam das Pyrogallol ab, läßt die gesunde 
Haut intact und beseitigt prompt das Jucken. Lenigallol streicht 
man als 10- bis 20%ige Lenigallolzinkpaste messerrüekendick VQfy. 
legt Watte und Verband darüber oder pudert dick mit Streupulver 
(Zinkoxyd, und Tale, venet. aa) ein. Früh und Abends findet Ver¬ 
bandwechsel statt, wobei die alte Paste mittelst Vaseline kbge- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 28. 


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waschen wird. In kürzester Zeit ist dann die Haut soweit ge¬ 
bracht, daß man nöthigenfalls zu stark reducirenden Mitteln über¬ 
gehen kann. Auch bei Psoriasis leistet das Lenigallol erhebliche 
Dienste. Bei ganz acuten Entzündungen ist es contraindicirt. 

— Unter den Abführmitteln für Kinder nennt Gillet 
(„Gaz. d. mal. infant.“) in erster Linie das Ricinusöl. Man reicht 
2 Grm. pro Lebensjahr. Als Geschmackscorrigens setzt man einige 
Tropfen 01. menthae, anisi, citri etc. zu oder versetzt das Oel 
mit Zuckerstaub bis zur Honigconsistenz oder schlägt das Oel mit 
Orangen- oder Johannisbeerenconfittire. Man kann es auch in Form 
einer Emulsion verabreichen: 

Rp. 01. Ricini 2 Grm (pro Lebensjahr), 

Mucil. gurnm, tragacauth., 
q. s. u. f. emolsio. 

Man kann die emulsive Fähigkeit des Scammoniums, das zugleich 
ein Purgans ist, benützen, um es mit Ricinusöl vereint zu reichen: 

Rp. 01. Ricini 2 Grm. (pro Lebensjahr) 


Pulv. Scammonii.0‘04—0’06 

Sacch. vanill. 5 0 

Lact. 200-30 0 


S. Des Morgens nüchtern zu trinken. 

So vereinigt man ein mildes Abführmittel mit einem Drasticum. 
Ein für Kinder geeignetes Abführmittel ist ferner die Manna. Man 
verordne: 

Rp. Mannae elect. 5'0 (pro Lebensjahr) 

Aq fervidae .... 300 
S. Früh nnd Abends in mit Honig versüßter 
Milch oder Kaffee zu nehmen. Auch in 
Klysma. 

oder: 

Rp. Mannit. crystal. O’Oo (pro Lebensjahr) 

Aq. menthae . . 10 0—20 0 
Syr. flor. aur. . 5 - 0—100 

S. Morgens nüchtern 1 Kaffeelöffel. 

Schließlich: 


Rp. Magnes. sulfur. 5 0 

Aq. destill.10 0 


01. Menth, pip. gtt. I. 

— Die antiseptische Reinigung des Verdauungscanal9 ist 

eine Sache von großer Wichtigkeit. Roemele („Medic. Progress“, 
1901, Nr. 5) hat gefunden, daß ein richtiges Darmantisepticum 
die Herrschaft über Diarrhoe und Tympanismus auch bei Typhus 
gewinnt. Am besten ist es, von Beginn des Typhus dem Patienten 
Creosotal-Heyden 1—2theelöfFelweise in Emulsion zu geben. Es 
bewirkt nicht allein eine thatsächliche Befreiung von Diarrhoe und 
Tympanismus, sondern offenbar auch die theilweise Unterdrückung 
schädlicher Stoffwechselproducte. 

— Zur Behandlung profuser Menses verwendet Lafond- 
Gkellety Ergotin in folgender empfohlenen Form („Gaz. hebd.“, 


1902, Nr. 9): 

Rp. Ergotin.010 

Chinin, sulf..0'02 

Pulv. digital.001 


Pulv. Colae q. s. u. f. pil. 

D. tal. pil. Nr. XX. 

S. 4 Pillen täglich. 

Bei regelmäßig sehr profusen Menses kann man auch die blut¬ 
stillende Wirkung des Chlorcalciums verwenden, welches man in 
Dosen von 1—2 Grm. täglich verordnen kann: 


Rp. Calc. chlor. 9 0 

Aq. destill.180'0 

Syr. simpl. 60 0 


S. 1—2 Eßlöffel täglich. 

Diese Arznei läßt man eine Woche vor Eintritt der Menses nehmen, 
während die Pillen erst einige Tage vor den Menses und während 
der ganzen Dauer derselben genommen werden. Bei Brightikern 
kann jedoch das Chlorcalcium leicht Intoxicationserscheinungen, 
namentlich Erbrechen und Kopfschmerzen hervorrufen. Diese Be¬ 
handlung muß 6—8 Monate lang fortgesetzt werden. 

— Die Anwendung des Dormiols bei Epileptikern („Ein 
Beitrag zur Behandlung des Status epilepticus“) erörtert J. Hoppe 
(„Münch, med. Wschr.“, 1902, Nr. 17). Bei der Anwendung des¬ 
selben sind nach den vorliegenden Berichten schädliche Einwirkungen 
auf das Herz und Gefäßsystem nicht beobachtet worden. Dem¬ 
gemäß wurde auch die Wirkung des Dormiols bei einer Zahl von 
Status epileptieus-Fällen erprobt. Ueble Nebenwirkungen wurden 


nicht beobachtet. Die Anwenduug des Mittels geschah per rectum. 
Der Erfolg beweist, daß das Dormiol glatt und in sehr kurzer 
Zeit vom Mastdarm resorbirt wurde. Oertliche Reizerscheinungen 
traten nie auf. Die Anwendung war derart, daß von einer auf der 
Abtheilung vorräthigen Lösung von 10'0 : 150’0 2—3 Eßlöffel einem 
'/ 4 —Vs Liter lauwarmen Wassers beigemengt und nachher als Ein¬ 
lauf verabfolgt wurden. Das Dormiol hat jedesmal prompt gewirkt. 

— Ueber das Adrenalin berichtet Lermoyez („Presse medic.“, 
1902, Nr. 37). Dasselbe hat, die merkwürdige Eigenschaft, die 
Circulation in Körpertheilen, mit denen es in Berührung gebracht 
wird, vorübergehend zu unterbrechen, ohne sie zu schädigen, ebenso 
wie das Cocain die Sensibilität vorübergehend aufhebt. Bestreicht 
man eine absorbirende Fläche, wie z. B. die Nasenschleimhaut, 
mit einer schwachen Adrenalinlösung, so wird dieselbe blaß und 
zieht sich zusammen, so daß der Knochen bloß zu liegen scheint; 
nach 5 Minuten kann man jede Operation, Redression des deviirten 
Nasenseptums, Abtragung der Muschel, Auskratzung von Lupus, 
kurz jede bisher noch so blutige Operation wie an der Leiche, 
ohne jeden Blutverlust vornehmen. Die Blutleere dauert eine halbe 
Stunde und länger an. Das Adrenalin ist der wirksame Bestand- 
theil der Nebennieren, welcher von Takamine isolirt wurde. Es 
ist in sehr geringer Menge darin enthalten, 1 Kgrm. kostet zur 
Zeit 200.000 Frcs. Jedoch wirkt es schon in Lösungen von 1—3 
auf 1000, und wenige Tropfen hievon genügen, um ein beschränktes 
Operationsfeld blutleer zu machen. Es ist das energischeste aller 
bekannten Vasoconstrictorenmittel. Cocain und Adrenalin ergänzen 
sich gegenseitig; das eine beseitigt den Schmerz, das andere ver¬ 
hindert die Blutung. Entzündete Gewebe, auf welchen das Cooain 
von geringer Wirksamkeit ist, macht das Adrenalin blutleer und 
damit der Einwirkung des Cocain zugänglich. Moure und Brindel 
verwenden folgende Mischung: 

Rp. Solut. adrenalin.(PO : 5000'0) 10 0 

Solut. cocain. mur. . . . (1:10 0) 5 0 

— Eine neue Therapie bei schweren Neuralgien, namentlich 
bei Ischias, empfiehlt Cordier („Sem. m&L“, 1902, Nr. 14). Die 
Erfolge der Nervendehnung führten C. darauf, die subcutanen 
Gewebe und damit die peripheren Nervenendigungen beim Eintritt 
in die Haut mechanisch durch Lufteinblasen zu dehnen. Mittelst 
Hohlnadel und Kautschukgebläses (wie sie für den Thermokauter 
gebräuchlich sind) oder auch einer gewöhnlichen Birnspritze pumpt 
er atmosphärische Luft oder irgend ein anderes indifferentes Gas, 
z. B. C0 2 , in welchem Falle das Gebläse durch Schlauch mit dem 
betreffenden Gasreservoir in Verbindung gebracht wird, Hnter die 
Haut, nachdem dieselbe wie die Nadel sorgfältig gereinigt worden. 
Nachher wird das künstlich erzeugte snbcutane Emphysem durch 
Massage möglichst vertheilt. Cordier behandelte z. B. seine Ischias¬ 
kranken (25 Kranke, 19 mit Erfolg, 2 ohne Erfolg, 4 aus den 
Augen verloren) folgendermaßen: In einer Sitzung pumpte er 
50 Ctl. Luft oder Kohlensäure unter die Haut der Lumbalgegend, 
der äußeren Oberscbenkelgegend und des Unterschenkels über dem 
Kopf des Peroneus, und von diesen 3 Punkten aus wurde die 
Luft mittelst energischer Massage gegen die Zonen der größten 
Schmerzhaftigkeit getrieben, wobei namentlich der untero Theil 
des Unterschenkels und der Fußrücken nicht vergessen wurden.. 
Nach dem Einführen der Nadel hat man sich zu überzeugen, daß 
kein Gefäß angestochen wurde, bevor man die Luft eintreten läßt; 
auch dürfte es geboten sein, dieselbe durch zuerst eingeschalteten 
„Reiniger“, z. B. ein mit steriler Watte gefülltes Glasrohr zu 
filtriren. 


Literarische Anzeigen. 

Die Pest und ihre Bekämpfung. Von Dr. P. Musehold. 

(Bibliothek von Coler.) Herausgegeben von 0. Schjerning. 
Band VIII. Berlin 1901, Hirschwald. 

Die ersten Capitel enthalten Morphologie, Cultur und färbe¬ 
risches Verhalten des Pesterregers, sein Verhalten gegenüber Aus¬ 
trocknung, Licht, Hitze und das Verhalten des thierischen Körpers 
ihm gegenüber. Daran schließen • sich klinische Erfahrungen über 
Erscheinungen und Verlauf sowie die pathologische Anatomie der 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 28. 


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menschlichen Pest, wobei die Erfahrungen der österreichischen 
Pestcommission z. B. betreffs der Pestkarbunkel entsprechende 
Würdigung erfahren. Daran schließen sich die Erfahrungen über 
künstliche Imraunisirung und Agglutination, um zum Schlüsse die 
zur Bekämpfung der Pest nothwendigen Maßregeln zusammenzu¬ 
stellen. L. Hofbaüer (Wien). 


Vier Vorlesungen aus der allgemeinen Pathologie 
des Nervensystems. Von Frederick W. Mott. Uebersetzt 
von Dr. Wallach. Mit einem Vorwort von Prof. L. Edinger. 
112 Seiten mit 59 Figuren. Wiesbaden 1902, Bergmann. 

Mott ist Arzt und pathologischer Anatom, er untersucht die 
Gewebe mikroskopisch und chemisch, er tritt an seine Probleme 
auch auf dem experimentellen Wege heran; da er außer dieser 
Vielseitigkeit der Forschungsmethoden, die er an einem reichen 
Material anwenden kann, und einer Kenntniß der Geschichte und 
der neuen Ergebnisse originelle Ideen hat und eigenes und fremdes 
Neues einstreut und dazu über eine angenehme Darstellung ver¬ 
fügt, so gestaltet sich die Lectüre seiner Vorlesungen sehr an¬ 
ziehend. Er behandelt zunächst den Bau der Nervengewebe und 
die Neurontheorie, an der er mit einer gewissen Einschränkung 
festhält, dann die Entartungsprocesse in allgemeiner Weise. Referent 
möchte besonders auf den Abschnitt: „Wie wirkt zeitweiser oder 
dauernder Blutmangel auf das Neuron?“ aufmerksam machen. Von den 
speciellen Themen, deren eine ganze Menge an die allgemeinen 
Besprechungen passenden Anschluß findet, ist der progressiven 
Paralyse am meisten Aufmerksamkeit geschenkt; sie unterscheidet 
sich von der Tabes durch die Localisation, ist sonst wie diese 
ein chronischer Vergiftungszustand (Syphilis) und besteht in primärer 
Degeneration. — Die Ausstattung erhöht den angenehmen Gesammt- 
eindruck. Infeld. 


Die Zuckerkrankheit. Von Dr. Felix Hirschfeld, Privatdocent 
i an der Universität, Berlin. Leipzig 1902, Georg Thieme. 

Verf. hat in dem vorliegenden Buche die Ergebnisse seiner 
über 14 Jahre sich erstreckenden Beobachtungen an 300 Diabetikern 
niedergelegt. Eine besondere Berücksichtigung hat er den Capiteln 
über die Diagnose, den Verlauf und die Behandlung angedeihen 
lassen. Daß er damit speciell auf den Praktiker Rücksicht nahm, 
dürfte ihm dieser durch den Ankauf des Werkes quittiren, auf das 
der praktische Arzt hiemit nachdrücklichst aufmerksam gemacht sei. 


Feuilleton. 


Bei den Pestkranken und Aussätzigen in 
Bombay. 

Von Dr. Franz Weitlaner. 

Meine Erfahrungen habe ich in beiden Pestspitälern, nämlich 
am Arthur Road-Hospital und dem Mahratta-Hospital, gesammelt. 
Beide Spitäler sehen sich vollständig gleich, weshalb eine kurze 
Beschreibung des einen genügt. Ein solches Pesthospital besteht 
aus einem ziemlich langen magazinartigen Holzbau, der nach allen 
Seiten hin Fenster und Ausgänge hat. Abtheilungen in demselben 
werden nach Belieben durch spanische Wände hergestellt. Zugleich 
ist die größtmögliche Ventilation vorhanden, zumal das Dach so 
gebaut ist, daß die eine schiefe Fläche in der Mitte über der 
anderen endigt und daher eine große Spalte für den freien Luft¬ 
zutritt erhalten bleibt. 

Als ich die Spitälter besuchte, waren alle Betten belegt. 
Die meisten Patienten boten einen ruhigen und ziemlich frischen, 
wenn auch fieberhaften (Fieberhöhe 38, 39—39’5°) Anblick. Einige 
waren durch Calicotbinden oder Tuchfetzen an Händen und Füßen 
ans Bett gefesselt, da sie delirirten. Als Bedeckung hatten sie nur 
eine einfache dunkle Wolldecke, die für die ziemlich kühlen Winter¬ 
nächte kaum genügt haben mag, da die Kranken fast durchwegs 
ohne Hemden waren. 


Denn es ist durchwegs in klarer, leicht faßlicher Darstellung ge¬ 
schrieben, dabei von echt wissenschaftlichem Geiste erfüllt und auf 
der Grundlage der ungeheuren Diabetes-Literatur aufgebaut. 

In der Einleitung erörtert H. die chemische Beschaffenheit 
der Kohlehydrate, im zweiten Abschnitte die Zuckerausscheidung 
in physiologischen und pathologischen Verhältnissen; sodann die 
Aetiologie, pathologische Anatomie und Symptomatologie des Diabetes, 
schließlich die gesammte Therapie desselben. Im Anhänge sind die 
wichtigsten für den Diabetiker geeigneten Nahrungsmittel zusamraen- 
gestellt. Lb. 


Traite de Chirurgie clinique et opäratoire. Par A. le 
Dentu et Pierre Delbet. Tom. X. Paris. Libraire Bailliöre 
et Fils, 1901. 

Der zehnte und letzte Band, welcher in 2 Theilen (zusammen 
1334 Seiten und 333 Fig.) ausgegeben wurde, enthält die Krank¬ 
heiten des Hodens, bearbeitet von Sebileaü; in die Beschreibung 
der Krankheiten der weiblichen Geschlechtsorgane theilen sich 
Pichevin, Ed. Schwartz, Le Dentu und Bonnet, während die 
Krankheiten der Extremitäten aus Mauclaire’s Feder stammen. 

Das reichhaltige Material ist von Autoren ersten Ranges in 
mustergiltiger Weise bearbeitet worden, und der zehnte Band bildet 
den würdigen Abschluß des Werkes, welches seinem Zwecke, ein 
Buch für den Praktiker zu werden, in vollem Umfange entspro¬ 
chen hat. Ebdheim. 


Krankheiten der Lymphgefäße, Lymphdrüsen und 
Blutgefäße. Von Dr. Friedrich Fischer, a. o. Professor 
an der Universität Straßburg. Mit 12 Abbildungen. Stuttgart, • 
Verlag von Ferdinand Enke, 1901. 

Im I. Theil des als Lieferung 24 a der „Deutschen Chirurgie“ 
erschienenen Buches bespricht Verf. in erschöpfender und klarer 
Weise sowohl die acuten als auch die chf-onischeh KraoÖieiteu der H 
Lymphgefäße, endlich die Carcinosc der Lymphgefäße und die 
Lymphvaricen. Im II. Theil, der die chirurgischen Krankheiten 
der Lymphdrüsen enthält, trachtet Verf., in das Gewirre, das betreffs 
der Nomenclatur der Lymphdrüsenerkrankungen herrscht, einige 
Ordnung hineinzubringen. Endlich sind im III. Theile die Erkran¬ 
kungen der Arterien und im IV. die der Venen sammt der ent¬ 
sprechenden Therapie in mustergiltiger Weise bearbeitet. dh. 


Die Kranken in diesem Spitale waren ausschließlich Hindus. 
Schwärme von Mosquitos trieben sich um die unbedeckten Körper¬ 
teile und belästigten ebenso das Wartepersonale wie die Aerzte und 
mich, indem mich mehrere stachen. Besonders des Abends dringen 
sie in ganzen Schwärmen in die Räume. Häufige Infectionsüber- 
träger scheinen sie somit nicht zu sein, obwohl dies nicht in Ab¬ 
rede gestellt werden kann. Unser Führer war Khan Bahadur 
Dr. N. II. Choksy, während ein rassischer Arzt gerade damit be¬ 
schäftigt war, Mosquitos, die sich in den Krankensälen auf¬ 
hielten , zu fangen und sie darauf zu prüfen, ob sie Pestbacillen 
an oder in ihrem Körper haben. Er schloß sie zu diesem Zwecke 
in sterilisirte Eprouvetten mit Nährsubstanz ein und tödtete sie, 
indem er sie unter die flüssige Nährsubstanz tauchte. Die End¬ 
resultate scheinen negativ ausgefallen zu sein. Die Behandlung 
der Kranken im Spitale besteht ausschließlich in Serumbehandlung, 
und zwar in der Form von Lustig’s Curative plague (Pest) Serum, 
zu dessen Bereitung in Parel (ca. 8 Km. von Bombay) eine eigene 
Anstalt besteht. Das Serum wird zuerst im Warmbade erwärmt. 
Zur subcutanen Injection wurden bei Erwachsenen 60 Grm. und 
zur gleichzeitigen intravenösen (am nämlichen Individuum), die 
in die Dorsalvenen der Hand oder Volarvenen des Vorderarms ge¬ 
macht wurden, 25 Grm. des Serums verwendet. Die Venen wurden 
zuerst durch eine Ligatur am Oberarme zum Anschwellen gebracht 
und dann eine von ihnen durch ein kleines, gabelförmiges Instrument 
aus Metall zum Zwecke der Injection isolirt. 

Bei Durchschneidung der Leistenbubonen zeigten sich die¬ 
selben entweder vereitert oder man sah zunächst nur das hyper- 


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plastische graugelbe Lymphknotenparenchym. Merkwürdig war die 
der Incision folgende Behandlung. Ein eingeborener Diener preßte 
nämlich mit je einem Tupfer in den Händen von beiden Wund¬ 
rändern her die Drüse aus, eine Manipulation, die augenschein¬ 
lich contraindicirt ist, da dadurch das Virus in die ableitenden 
und zuleitenden Lymphbahnen direct hineingepreßt wird. Die 
Schnittwunde wurde dann mit Gaze, in Jodtinctur getaucht, tam- 
ponirt. Uneröffnete Bubonen behandelte man mit einem Causticum 
(Kali causticum in Lösung), welches die Haut darüber macerirte. 
Auffallend war die Erscheinung, daß unter all den zahlreichen 
Pestfällen kein einziger Pestpneumoniefall sich befand. Die Bubonen 
saßen bei fast allen Kranken in den Leisten, und zwar häufig nur 
einseitig, und erst am nächsten oder zweitnächsten Tage, wenn 
unterdessen nicht schon Exitus eingetreten war, traten metastasische 
Knoten in der Achselhöhle oder am Halse hinzu. Sowohl für das 
Auge als den tastenden Fingern hat eine Pestlymphadenitis absolut 
nichts Verschiedenes von einem Bubo veuereus, nur ist seine Beginn¬ 
lage entsprechend der anderortigen Infection mehr nach außen. 
Irgendwelche Beschwerden in den Tonsillen oder im Rachen wurden 
nie angegeben und dieselben gewöhnlich vom Arzte auch nicht 
untersucht. Die Stimme war stets klar. Die Mortalität war eine 
erschreckende. Von 325 Kranken, die in jenen wenigen Tagen in den 
beiden obgenannten Spitälern internirt waren (es gibt in Bombay 
außerdem noch eine Zahl anderer Pestspitäler oder Baracken) 
starben statistisch 320. 

Bemerkenswerth war bei den meisten Kranken das Vor¬ 
kommen der Bubonen in inguine, und zwar meistens bloß einseitig, 
wie schon oben angegeben wurde. Dies läßt einige interessante 
Schlüsse ziehen. 

Es ist der Gedanke sofort naheliegend, daß die primäre 
Infection im zugehörigen Lymphgebiet erfolgt sein muß, also an 
der entsprechenden Extremität bei Inguinaltumoren. Da die Pest¬ 
bacillen im humusartigen Boden Bombays vegetiren und fast alle 
Hindu barfuß gehen, so erklärt sich der Zusammenhang von selbst. 
Haffkine empfiehlt, die Schuhe beim Eintritte ins Haus oder 
wenigstens die Sohlen mit Kalilauge (ein für die Schuhe etwas 
eingreifendes Verfahren) zu desinficiren. Wenn die Desinfections- 
mittel einmal sehr billig werden, dann wird man vielleicht einmal 
auch die Straßen desinficiren können. Vor allem aber muß die 
große Wichtigkeit des Vorhandenseins einer Fußbekleidung betont 
werden. Würde man den armen Indern Schuhe geben, so wäre die 
erste hygienische Maßregel erfüllt und die Pest würde wohl viel 
weniger Opfer fordern. 

Wir stehen im Zeichen der Serumbehandlung, allein man 
wird gerade bei der Pest sagen müssen, da‘ß sie keine großen, 
ja häufig nicht einmal deutliche Resultate zeitigt. Der Procentsatz 
der Heilungen ist so minimal und auch so unsicher, daß daraus 
kein Schluß auf eine bedeutende Wirkung des Serums gezogen 
werden kann. Die. Pest in Bombay hat ihre typisch sich wieder¬ 
holenden Curven in Bezug auf Steigen und Sinken. Sie ist in den 
Monaten Januar und Februar, zur Keimzeit aller Pflanzenorganismen, 
am höchsten und bald nach Eintritt der Regenzeit Ende Juni und 
Juli am niedrigsten. 

Mit den verschiedensten Krankheitserregern, wie Tuberculose- 
bacillus, dem Urheber des Gelenksrheumatisraus u. s. w., hat der 
Pestbacillus, gemein, daß er zumeist an der Eingangspforte keinerlei 
pathologische Veränderungen hervorbringt. Erst in den nächsten 
Hauptlymphdrüsen scheint er eine für ihn günstige Stätte zu finden. 

Ueber die Erfolge mit Lustig’s Curative plague Serum gibt 
Dr. Mayk, ein Tiroler, in einer kleinen Schrift Aufschluß. Er schreibt 
auf Seite 5: . . . should not be surprised to hear someone exclaim : 
Only twelve per cent. That is nothing to speak of. There is no 
arguing with such a cold-blooded arithmetician. Twelve per cent is a 
handsomeprofit in business; should it be otherwise where human 
life is concerned ? Seine optimistische Anschauung dämmt er übrigens 
am Schlüsse ein durch den Satz : The day may still be far ahead 
when, owing to the serum treatment, plague will have lost some 
of its terrors . . . But we are on the rigth path . . . (Aus : A Paper 
on Professor Lüstig’s Curative Plague-Serum by Dr. A. Mayr, 
Bombay 1900.) 


Jedenfalls wird aber nicht allein auf die Behandlung durch 
das Serum und deren Vervollkommung das Gewicht zu legen sein, 
sondern auf die bei allen schweren Infectionskrankheiten so wichtige 
Frage, wie Herzschwäche und Erschöpfung hintangehalten werden 
können. 

Das Aussätzigenheim liegt etwa 12 Kilom. von Bombay ent¬ 
fernt in der Nähe des Hindudorfes Matunga, in einem herrlichen, 
wohlgepflegten tropischen Parke, der ein großes Areal umfaßt. 
An seinem Eingänge steht über der Pforte: Homeless Leper Asylum 
Matoonga. Neun langgestreckte Hüttenbauten, die den Pestbaracken 
sowie auch dem Burencamp auf Ceylon in Mount Lavinia gleichen 
und einige kleinere und moderner errichtete Gebäude dienen zur 
Aufnahme der Kranken. Für die geringen Bedürfnisse der Kranken 
ist hier ausreichend gesorgt. Sind sie noch arbeitsfähig, so arbeiten 
sie in The farm, d. h. im Garten oder den ßlumenhäusern. 

Die Behandlung ist bloß eine symptomatische und höchst ein¬ 
fache. Als Cur bei frischen Fällen wird das Oleum Gynocardiae 
gegeben, das die Aussätzigen in einer bestimmten Anzahl (20 bis 
30 Tropfen) in den Handteller getropft bekommen und von dort 
auflecken — so werden auch die Medicinfläschchen erspart. Man 
sieht auch jugendliche Individuen bis zu vier Jahren unter den 
Kranken. An manchen vorgeschrittenen Fällen ist auffallend 
die nahezu schwarze Pigmentirung der erkrankten Haut; Zehen 
und Finger fehlen dabei gewöhnlich. Zu einer wissenschaft¬ 
lichen Behandlung des Materials fehlt Vieles; denn in dem 
Arbeitsraum ist z. B. kein Mikroskop vorhanden. Koch behauptet, 
daß die Infection durch die Nasenschleimhaut erfolge, doch ist 
dies immerhin recht fraglich. Jedenfalls gehört ein intimer und 
langdauernder Verkehr gewöhnlich dazu ; denn mir wurde mitgetheilt, 
daß sich bisher weder die Wäscher noch die Diener und Dienerinnen, 
wovon manche schon an die 10 Jahre dort waren, inficirt hätten. 
Der Schutz, den die Bekleidung, zumal der Füße bietet, macht sich 
vermuthlich auch hier geltend und muß betont werden. 

Fingernägel und Tonsillen haben sich immer noch als die 
ärgsten Sünder für Allgemeininfection gezeigt; man wird darum 
auch zu bedenken haben, daß die Inder fast alles direct mit den 
Händen allein zum Munde führen. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

31. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für 

Chirurgie. 

Gehalten zu Berlin, 2.—5. April 1902. 

(Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) 

IX. 

Langemack (Rostock): Die Nephrotomie und ihre Folgen, zu¬ 
gleich ein Beitrag zur Frage der Wundheilung auf Grund 
experimenteller Untersuchungen am Kaninchen. 

Anschließend an die Befunde von Niereninfarct nach der 
Nierenspaltung und des BRAATz’schen Falles von Nierenschrumpfung 
nach Spaltung, des Falles von Lungenembolie durch Nierengangrän 
von Barth und der Erklärungen Israel’s , daß diese Zustände 
durch zu starke Schnürung der Nierenschlußnähte entstanden sind, 
berichtet Vortr. über die Resultate seiner Thierexperimente, die 
ergeben haben, daß die Gefahren der Nierenspaltung weit größer 
sind, als man im Allgemeinen anzunehmen pflegt. Seine Versuche 
erstreckten sich auf 75 Kaninchen, bei denen er jede Art von 
Schnitten angewandt hatte und stets einen Infarct fand, der nur 
bei dem Sectionsschnitt nicht so tief war, als beim Transversal¬ 
schnitt. Mit diesem Infarct steht natürlich im innigsten Zusammen¬ 
hänge das Schicksal der Wundheilung. 

Klister (Marburg) betont den Werth der Kryoskopie. Die Zotten¬ 
geschwülste des Nierenbeckens und der Blase siebt er auch für meist bösartig 
an, doch kommen einzelne solitäre, gestielte, gutartige Tumoren vor. Er steht 
deshalb nicht auf dem Standpunkt Isbael’s, unter Umständen Niere und Ureter 
ganz fortzunehmen. K. gibt dann aber noch eine Krankengeschichte, die eigent¬ 
lich gegen letztere Auffassung spricht. Ein Fall von Zottentumor, der auch 


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von Marchand als gutartig angesprochen war, hatte nach Exstirpation schon 
in 3 Monaten ein absolut inoperables Recidiv. 

Gernlanos (Kiel) spricht über zwei Falle von Pyeloplastik bei Ureter- 
abknickung. 

Barth (Danzig) berichtet über zwei Fälle von Niereneiterung, in denen 
der kryoskopische Befund so gut war, daß er von einer Operation abrieth, 
als er aber durch die Schmerzen dazu gedrängt wurde, fand er, daß der Fall 
auch ohne Operation ausgeheilt wäre. 

König (Berlin) glaubt, daß wir den Nierenschnitt nicht werden ent¬ 
behren können, am wenigsten in den Fällen von Blutung ohne sichtbaren Grund. 

KUmmell (Hamburg) kann der Phloridzinmethode keinen großen Werth 
beimessen. 

Wolff (Berlin) stimmt König vollkommen bei und hält die Gefahren 
der Nephrotomie nicht für groß, da seine zahlreichen Versuchsthiere keinerlei 
Veränderungen aufwiesen. 

Langemack (Rostock) glaubt, daß man das nicht beurtheilen kann, 
wenn man die Versuchsthiere bald tödtet, ■ sondern man muß Jahre ver¬ 
gehen lassen. 

Casper (Berlin) legt der Zuckerbestimmung wiederum großen Werth 
bei und ist der Meinung, daß man ohne die Gefriermethode Kümmel’s gut 
auskommen kann, 

Thiem (Cottbus): Vorstellung eines Mannes, dem eine Cyste 
aus dem linken Occipitallappen entfernt worden ist. 

Die Cyste war hühnereigroß, ihre Wandung bestand nur aus 
Dura und Arachnoidea, so zwar, daß die Cyste, wahrscheinlich 
hervorgehend aus einer umschriebenen Meningitis serosa, zwischen 
Dura und Arachnoidea lag. Nach der Lage der Cyste mußte er die 
vorhandene Stauungspapille hier nicht nach der Theorie von 
Bramann, sondern als eine rein entzündliche betrachten. 

Alfred Sänger (Hamburg): Ueber die Palliativoperation des 
Schädels bei inoperablen Hirntumoren. 

Bei jedem inoperablen Hirntumor soll eine Trepanation mit 
Duraspaltung gemacht werden. Vorstellung eines Patienten, bei 
dem ein Cerebellartumor au3 den klinischen Symptomen angenommen 
werden mußte. Nach anfänglicher eclatanter Besserung durch 
Schmiercur sehr bedrohliche Hirnerscheinungen. Trepanation, bei 
der nichts gefunden wurde. Heilung seit 2 J / 2 Jahren bis auf eine 
erschwerte Sprache, etwas taumeligen Gang, leichte Kopfschmerzen. 
Vortr. berichtet dann noch über 11 Fälle von Hirntumoren, in 
denen die Trepanation allein durch Aufheben des Hirndrucks be¬ 
deutende Besserung herbeigeftthrt hat, Zurückgehen der Stauungs¬ 
papille, Verschwinden der Kopfschmerzen etc. 

V. Bramann (Halle) entgegnet Thiem, daß er seine Theorie der Stauungs¬ 
papille nicht für alle Fälle zureichend erklärt hat, demonstrirt einen Hirn¬ 
tumor, den er bei einem Kinde operativ entfernte, der tuberculöser Natur war, 
und gibt dann noch die Krankengeschichte eines Falles von Basistumor, den 
er operirt hat. 

V. Bergmann hält die Cysten, wie sie Thiem beschrieben hat, für so 
seltene Erkrankungen, daß et glaubt, die meisten seien Theile eines Sarkoms. 
Er legt deshalb großes Gewicht auf die Untersuchung des Inhalts. Wenn man 
dann reichen Eiweißgehalt findet, wird es sich um eine Geschwulstcyste handelu. 

Hahn (Berlin) berichtet auch über den eclatanten Erfolg einer Trepa¬ 
nation und Punction, der aber nach l‘/ 2 Jahren vollkommen verschwunden 
war. Darauf noch Punction des Rückenmarks. Tod. Section ergab einen Tumor 
im Aquaeductus Sylvii. H. hält demnach die Trepanation für ein gutes pallia¬ 
tives Operationsverfahren. 

Kümm'ell (Hamburg) empfiehlt für die Diagnose des Sitzes der Kugel 
im Schädel die stereoskopische Aufnahme. 

Francke (Braunschweig): Ueber die operative Behandlung der 
chronischen Obstipation. 

F. hat in einem solchen Fall zweimal die Laparotomie ge¬ 
macht , einmal, um eine Anastomose zwischen lleum und Flexura, 
dann um die unilaterale Ausschaltung des Dickdarms zu machen. 

Holländer (Berlin): Zur Methodik der Rhinoplastik. 

H. verzichtet nach dem Vorgänge König’s auf eine Bildung 
des Septums und stützt die Nasenspitze durch die heruntergeklappten 
Nasenbeine. 

Gluck (Berlin): Zur Behandlung der Ankylose des Kiefer¬ 
gelenks. 

Vorstellung mehrerer Patienten, bei denen er die Ankylose 
einmal durch Transplantation eines Hautlappen vom Halse in die 
Mundschleimhaut, dann durch Gelenkresection und Interposition 
eines Muskellappeins nach Helferich geheilt hat. 


Gluck (Berlin): Ueber den gegenwärtigen Stand der Chirurgie 
des Kehlkopfes. 

Vorstellung von Patienten und Bericht über 31 Operationen. 
Demonstration von Canülen. Bei den laryngopharyngealen Carci- 
nomen vermeidet er die Schluckpneuipp^|e dadurch, daß er über 
die quere Resection der Trachea eiq Diaphragma Herübernäht. 

Lexer (Berlin): Demonstration eines operirten kindskopfgroßen 
Rectummyoms. 

Die Operation mußte mit einer Amputation des Rectum zu 
Ende geführt werden. Die Darmwand war 15 Cm. weit mit dem 
Tumor fest verwachsen. Der Patient ist mit Sacral-Anus geheilt. In 
der Literatur sind 4 EäMe von Rectummyom beschrieben. 

de Quervain (Chaux-de-Fonds): Lieber die acute, nicht eitrige 
Thyreoiditis. 

Redner erzählt die Krankengeschichten mehrerer Patienten, 
die im Anschlüsse an Infectionskrankheiten, Scarlatina, Angina* 
Polyarthritis rheumatica eitrige Entzündung der Schilddrüse be¬ 
kamen. Bei einer Patientin war die Entzündung (ohne Eiterung) 
ohne jeden Grund aufgetreten. Die mikroskopische Untersuchung 
des entfernten Lappens ergab acute parenchymatöse Thyreoiditis, 
die bald von einem Recidiv gefolgt war, welches aber auf Natr. 
salicylicum zurückging. Seine Thierversuche mit ßakterientoxinen 
an Hunden haben Vermehrung der Schilddrüsenzellen mit Schwund 
des Oolloids ergeben. 

Krönlein (Zürich) hat in den letzten Jahren ein ähnliches Krankheits-' 
bild, wie de Qrervain es beschrieben hat, gesehen, das auch auf Antipyretica 
zurückgegangen ist. Das Krankheitsbild ist sehr bedrohlich, große Schmerzen, 
harte Infiltration der Schilddrüse, die eventuell ein schnell wachsendes Carcinom 
Vortäuschen kann. 

Riedel (Jena): Ueber eine Operationsmethode der Hämorrhoiden 
durch Umstechen vom Analrande aus. 

Radiär angeordnete Umstechnngsnähte in Entfernung von 
ä / 4 Cm. von einander durch den Sphincter internus hindurch. Bei 
32 so Operirten hat er vollständige Heilung erzielt. 

Sendler (Magdeburg) empfiehlt die von ihm angegebene Schnittoperatioo. 

Braatz (Königsberg) glaubt, daß man sich vor der Operation nicht ein 
Schema zurechtmachen darf, da man häufig gezwungen ist, in einer Sitzung 
verschiedene Methoden anzuwenden. 

Kocher hat auch bei der Excision schlechte Resultate in Bezug auf 
die Narbenbildung gehabt und sie deshalb wieder verlassen. 


Aus 

medicinischen Gesellschaften Deutschlands. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Verein für wissenschaftliche Heilkunde in Königsberg i. Pr. 
Theodor Cohn: Oer Gefrierpunkt des Blutes. 

Vortr. demonstrirt das nach seinen Angaben hergestellte 
Kryoskop. Es ist für 45 Ccm. Flüssigkeit eingerichtet, ebenso 
für die gleiche Menge Blut, die aus der Armvene direct in das 
Gefriergefäß gelassen wurde. Vergleichende Untersuchungen mit 
dem größeren Beckmann 'sehen Apparate ergaben befriedigende 
Uebereinstimmung. Während als Dnrchschnittswerthe für den nor¬ 
malen Blutgefrierpunkt bisher —0*56° bis 058° C. galten, hat 
Cohn zwei Fälle von —0*53, resp. 0‘52 beobachtet. Bei 11 Ne¬ 
phritiden aller Formen fand er Werthe zwischen O'öö 0 bis 0'59°. 
Bei acht Urämien betrug $ 6mal —0’61 bis 0'68, 2mal —0*56°, 
Auch auf Grund allgemeiner physiologischer Erwägungen hält 
Vortr. es noch nicht für angängig, den Blutgefrierpunkt für ein 
Maß der allgemeinen Nierentüchtigkeit hinzuBtellen. Blut von Typhus 
abdominalis wurde in 16 Fällen untersucht, ein Material, das zur 
Bildung eines abschließenden Urtheils noch nicht genügt. Es fiel 
jedoch auf, daß die in den ersten acht Tagen und nach dem 
30. Tage der Erkrankung gewonnenen Zahlen normal warenj 
während die in der dazwischen liegenden Krankheitsperiode beob¬ 
achteten Gefrierpunkte abnorm hoch .lagen, z. B. bis —49°. Diese 
Verminderung des osmotischen Druckes befindet sich im Einklänge 
mit der bekannten Verdünnung des Typhusserams (v. Jaksch), 


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mit der Abnahme der Blutalkalicität beim Typhus abdominalis 
(von Riegleb) , besonders des diffusiblen Alkalis (Brandenburg). 
Vortr. weist schließlich darauf hin, daß die Handhabung der Me¬ 
thode von Seiten vieler Autoren eine unzweckmäßige und ungenaue 
sei, infolge dessen auch viel breitere Fehlergrenzen habe, als die 
Untersucher anzunehmen glauben. Th. Cohn hat bei seiner Ver¬ 
suchsanordnung alle Momente berücksichtigt, welche die Einstellung 
des wahren Gefrierpunktes beeinflussen. 


Berliner laryngologische Gesellschaft. 

R. du Bois-Reymond: Ueber die Bewegungen des Kehlkopfes bei 
künstlicher Athmung. 

Ursache der Erregung des Athemcentrums sind die Blutreize 
und die Vagusreize. Die so erzeugte Erregung theilt sich den ver¬ 
schiedenen motorischen Zellgruppen der dem Athemcentrum unter¬ 
geordneten Athemmuskelgruppen in genau abgemessener Weise 
mit. Die Wirkungsweise des Athemcentrums erfolgt also gewisser¬ 
maßen auf automatischem Wege. Die Annahme dieser automatischen 
Erregung genügte aber nicht, wenn man Hunde in tiefe Narkose 
versetzte oder durch Verletzung des verlängerten Markes die Ath¬ 
mung ausschaltete und dann bei künstlicher Athmung rhythmische 
Bewegungen des Kehlkopfs beobachtete. Um nun zunächst die 
Blutreize auszuschalten, wurden die Thiere in den Zustand der 
Apnoe gebracht; dabei trat wie vorher bei Ausführung der künst¬ 
lichen Athmung Kehlkopfbewegung ein. Am todten Thier treten 
bei Compression des Thorax Kehlkopfbewegungen nicht auf; die 
Bewegungen des Kehlkopfes am lebenden Thier konnten also nicht 
auf rein mechanischem Wege hervorgerufen sein, sondern nur durch 
eine Reaction des lebenden motorischen Apparats. Diese Reaction 
war nicht durch die Trachea streichende Luft wirksam, denn der 
Kehlkopf reagirte nicht, wenn durch eine nach aufwärts gekehrte 
Tracbealcanüle Luft durch die Stimmritze geblasen wurde, dagegen 
trat die &ehlkopfbewegung als Begleiterscheinung der künstlichen 
Athmung ein, wenn durch eine in gewöhnlicher Weise eingesetzte 
Canüle der Luftstrom vom Kehlkopf ferngehalten wurde. Obschon 
die Blutreize nun durch Apnoe ausgeschaltet waren, bestanden 
noch die sensiblen Erregungen der Vagusreize, die durch passive 
Bewegung der Lungen erregt werden und Reize an die motorischen 
Zellgruppen vermitteln. Diese Vagusreize wurden ausgeschaltet 
durch beiderseits hergestellten vollkommenen Pneumothorax. Rhyth¬ 
mische Compressionen des Thorax riefen wiederum Kehlkopfbewe¬ 
gung hervor. Compression des Bauches, durch die der Athemapparat 
nicht bewegt wurde, rief keine Kehlkopfbewegung hervor. Rhyth¬ 
mische Compression des Thorax hatte, obschon die Lungen collabirt 
waren und Apnoe bestand, den Erfolg, daß der Compression des 
Brustkorbes eine Schlußbewegung, der Dilatation eine Oeffnungs- 
bewegung des Kehlkopfes entsprach. Zwischen den einzelnen Theileff 
des Athemapparates besteht also eine solche Verschiebung, daß die 
Bewegung des einen als Reiz wirkt für die motorischen Zellgruppen 
der anderen. Die Bewegung des Kehlkopfes erfolgt also als Reflex 
. auf die Stellungsveränderung des Thorax. 

J. Katzenstein: Langendobff hatte die Existenz eines einheitlichen 
Athemcentrums in der Eautengrube in Frage gestellt und trat für das Vor¬ 
handensein spinaler Atheracentren ein, weil er bei jungen decapitirten Thieren 
noch Athembewegungen auftreten sah. Ein Beweismittel gegen Langendorff’s 
Lehre ist folgender Versuch: Versetzt man einen Hund in Apnoe, so erzielt 
man durch elektrische Reizung einer Stelle in der Rautengrube, die zwischen 
dem hinteren Rande dts Calamus scriptorius und einem Gebiete, das nach 
vorn und außen in der Ala cinerea liegt, einen Reizungseffect, der einer nor¬ 
malen Inspirationsbewegung entspricht. Nachdem derart von der Rautengrube 
«oordinirte Athembewegungen ausgelöst waren, die einer normalen Inspiration 
entsprechen, unter denen besonders auch die Erweiterung der Glottis markant 
war, wurden die Athembewegungen des Kehlkopfes einer Prüfung unterzogen; 
besonderes Augenmerk wurde darauf gerichtet, zu sehen, ob neben der inspira¬ 
torischen Erweiterung der Stimmlippen von der Rautengrube aus durch elek¬ 
trische Reizung Schluß, d. h. Exspirationsstellung der Stimmlippen hervor¬ 
gerufen werden könnte. Constant erhielt man zwei Reizungsergebnisse, die 
.mit denen Semon’s übereinstimmen. Glottisschluß auf Reizung des hinteren 
Randes des Calamus scriptorius, Glottisöffnung auf Reizung eines Gebietes in 
.-der. Ala cinera, welches nach vorn und außen von dem unter 1. genannten 
liegt. Diese Ergebnisse sind geeignet, die gleichmäßige Innervation der Schließer 
und Oeffner des Kehlkopfes bei der AthmuDg als völlig erwiesen hinzustellen. 


Notizen. 


Wien, 12. Juli 1902. 

(Die mährische Aerztekammer) hatte in der Ange¬ 
legenheit der unentgeltlichen Revaccination seitens der Districts- 
und Gemeindeärzte an den Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde 
überreicht. Dieselbe wurde ohne weiteres Verfahren zurückgewiesen, 
weil es sich im vorliegenden Falle nicht um eine Angelegenheit, 
welche gemeinsame Interessen des ärztlichen Standes betrifft, sondern 
vielmehr um eine Angelegenheit handle, welche lediglich das 
Interesse der Gemeinde- und Districtsärzte in materieller Richtung 
zu berühreu geeignet sei. Es könne daher der Aerztekarammer ge¬ 
mäß § 3 des Aerztekammergesetzes eine Ingerenz, beziehungsweise 
die Legitimation zur gerichtlichen Beschwerdeftihrung in dieser 
Sache nicht zugestanden werden ; es müsse vielmehr den einzelnen 
betreffenden Aerzten überlassen bleiben, falls concreten Falles ein 
bezüglicher Ansprucli derselben abgewiesen wird, im gesetzlich vor¬ 
geschriebenen Wege Abhilfe zu suchen. Zu dieser Auslegung des Ge¬ 
setzes bemerkte der Kammerpräsident treffend, es müsse ganz be¬ 
sonders hervorgehoben werden, daß nach der Auslegung des in dieser 
Richtung schon wirklich berüchtigten Kammergesetzes von Seite 
des Verwaltungsgerichtshofes die Kammer als nicht berechtigt er¬ 
klärt wird, für die Interessen von fast der Hälfte (circa 400) der ihr 
angehörigen Aerzte einzutreten, weil es nicht „gemeinsame Interessen 
des ärztlichen Standes“ seien. Nach dieser Auslegung könne die 
Kammer für die Interessen der Aerzte überhaupt nicht eintreten, 
da es kaum eine Angelegenheit geben dürfte, welche nicht die 
Interessen von zwei oder drei Aerzten berührt und somit nicht eine 
gemeinsame Angelegenheit des ärztlichen Standes ist. 

(Vorkehrungen zur Verhütung der Verschlep¬ 
pung von Infectionskrankbeiten durch Angestellte 
der Po81- und Telegraphenanstalten.) Die Post- und 
Telegraphendireetion für Oesterreich unter der Enus hat auf Grund 
eines Gutachtens des niederösterreichischen Landessanitätsrathes eine 
neue Vorschrift zur Vermeidung der Uebertragung von Infections- 
krankheiten durch Beamte und Diener der unterstehenden Behördeu 
und Anstalten erlassen. In dieser Vorschrift sind jene Vorsichts¬ 
maßregeln genau festgesetzt, welche die Bediensteten der betreffen¬ 
den Behörden und Anstalten bei Auftreten einer infectionsverdäch- 
tigen Krankheit in ihrem Hausstande oder unter ihren Wohnungs¬ 
genossen, ferner nach erfolgter Sicherstellung des Bestandes einer 
Infectionskrankheit und während der Dauer, sowie nach Ablauf 
einer solchen Erkrankung zu beobachten haben, und sind insbesondere 
jene lnfectionskrankheitsformen bezeichnet, bei deren Auftreten die 
Contumacirung der Angestellten, beziehungsweise deren Fernhaltung 
vom Dienste für die Dauer der Infectionsgefahr zu erfolgen hat. 

(Erstes öffentliches Kinder-Krankeninstitut 
in Wien.) Aus dem von Prof. Kassowitz erstatteten Berichte für 
das Jahr 1901 geht hervor, daß die obgenannte Anstalt in dem 
vorliegenden Berichtsjahre 19.393 Kindern ärztliche Hilfe hat 
angedeihen lassen. Die Inanspruchnahme der Anstalt ist seit dem 
Gründungsjahre um mehr als das Fünffache gewachsen. 

(Deutsche Hochschulfrequenz.) Die Frequenz der 
deutschen Universitäten hat sich im abgelaufenen Sommersemester 
in folgender Weise gestaltet: Berlin 5676, München 4430, Leipzig 
3608, Bonn 2408, Freiburg 1861, Breslau 1827, Halle 1727, 
Heidelberg 1640, Tübingen 1496, Göttingen 1371, Marburg 1362, 
Kiel 1203, Würzburg 1198, Straßburg 1132, Gießen 1016, Er¬ 
langen 1004, Königsberg 968, Münster 877, Greifswald 825, 
Jena 766 und Rostock 551. Die Gesammtsumme der Studirenden 
betrug daher an den 21 deutschen Universitäten zusammen 36.946. 

(Pharmakol ogie und Receptirk unde im Unter¬ 
richte.) In einem überaus lesenswerthen Aufsatze („Wr. klin. 
Rundschau“) tritt der Innsbrucker Pharmakologe J. Nevinny dafür 
ein, die Receptirkunde von der Pharmakologie abzutrennen und 
unabhängig von letzterer zu lehren. Da sie ein praktisches Lehrfach 
ist, so wäre der Schwerpunkt auf Demonstrationen und Uebungen 
zu verlegen.. Die hiedurch gegebene Belastung der Studirenden ist 
nicht nennei^Sörth. Für Aerzte, welche während ihrer Studienzeit 


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keine Gelegenheit hatten, sich mit jener Disciplin eingehender zu 
beschäftigen , sollten au den pharmakologischen Lehrkanzeln von 
staatswegen Curse eingerichtet und keinem Arzte die Bewilligung 
zur Führung einer Hausapotheke ertheilt werden, der sich nicht 
mit der Frequentirung eines solchen Curses ausweisen kann. 

(Krankenversicherungswesen in Deutschland.) 
Die reichsgesetzliche Krankenversicherung umfaßte im Jahre 1900 
in 23.021 Cassen 9,520.763 Personen. Während die Bevölkerung 
des Deutschen Reiches seit 1895 um 7*8°/ 0 angewachsen ist, hat 
sich in demselben Zeitraum die Zahl der gegen Krankheit ver¬ 
sicherten um 26'5°/ 0 gehoben, so daß auf Grund des Reichsgesetzes 
bereits 16• 1 °/ 0 der gesammten Bevölkerung gegen Krankheit ver¬ 
sichert sind. Ausgegeben wurden 1900 für 3,679.285 Erkran¬ 
kungsfalle mit 64,916.827 Krankheitstagen an Krankheitskosten 
157,865.199 Mark; von letzteren entfallen 44% auf das Kranken¬ 
geld , 22% auf ärztliche Behandlung und 17% auf Arznei und 
sonstige Heilmittel. Auf ein Mitglied kamen 0*39 Erkrankungsfälle, 
6‘82 Krankheitstage und 16*58 Mark Krankheitskosten. Das ange¬ 
sammelte Vermögen aller Cassen beläuft sich auf rund 156 Mill. 
Mark, wovon den Orts- und Betriebskrankencassen je 43%, den 
eingeschriebenen Hilfscassen 10% gehören. 

(Der erste weibliche Docent.) In Pavia hat sich 
vor kurzem Fräulein Dr. Rina Montio für Anatomie habilitirt. 
Sie ist von der nämlichen Universität bereits für ihre Publicationen 
mit der großen goldenen Medaille ausgezeichnet worden. 

(Die politisch-anthropol ogische „Revue“), eine 
Monatsschrift für das sociale und geistige Leben der Völker, ist 
eine an interessanten Abhandlungen reiche, durchaus moderne und 
actuelle Zeitschrift. Ihr Programm lautet: Die Anwendung der 
natürlichen Entwicklungslehre auf das organische, sociale und 
geistige Leben der Völker. Die naturwissenschaftliche Selbsterkennt- 
niß des Menschen, seiner Geschichte, Gesellschaft und Civilisation 
ist das echt wissenschaftliche Princip des Unternehmens. Die bis 
her erschienenen vier Hefte enthalten 25 Aufsätze aus den ver¬ 
schiedensten Gebieten der biologischen und anthropologischen Ent¬ 
wicklungslehre, der Psychologie, der historischen und socialen 
Politik, der vergleichenden Kunst- und Religionsgeschichte aus der 
Feder der berufensten Autoren. Die Revue hält glücklich die Mitte 
ein zwischen strenger Wissenschaftlichkeit und populärer Darstellung. 

(Aerztliehe Studienreise.) Das vorläufige detaillirte 
Programm der diesjährigen ärztlichen Studienreise ist fertiggestellt 
und von dem Generalsccretär Dr. W. H. Gilbert, Baden-Baden, oder 
dem I. Schriftführer, Dr. P. Meissner, Berlin, Kurfürstenstr. 81, 
kostenlos zu erhalten. Dasselbe bietet eine reiche Fülle von Einzel- 
Demonstrationen, wissenschaftlichen Sitzungen und Besichtigungen. 
Die officielle Aufforderung zur Theilnahme geschieht in der zwischen 
dem 1. und 15. Juli a. c. erfolgenden Versendung des Programms 
der Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. Die Zahl 
der Meldungen ist bereits eine erhebliche, die Theilnehmerzahl auf 
400 beschränkt. Der Preis beträgt Mk. 150.—. 


(Statistik.) Vom 29. bis inclusive 5. Juli 1902 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 6968 Personen behandelt. Hievon wurden 1631 
entlassen; 170 sind gestorben (9'44% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 48, egypt. 
Augenentzündung 4, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 7, Dysen¬ 
terie—, Blattern—, Varicellen 27, Scharlach 86, Masern 330, Keuchhusten 81, 
Rothlanf 46, Wochenbettfieber 3, Rötbein 14, Mumps 10, Influenza —, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 611 Personen gestorben 
(— 12 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Karlsbad Dr. Theodor 
Kafka ; in Klausenburg der Gynäkologe Dr. Johann Maizner, 
74 Jahre alt; in Budapest Dr. Leopold Decsi im Alter von 50 Jahren ; 
in Breslau der Professor der Augenheilkunde, Geh.-Rath Dr. Richard 
Förster ; in Erlangen der Professor der Ohrenheilkunde Dr. Kie¬ 
selbach. 

Ischler Schwefel8Chlamm aus dem dortigen Salzberg kommt nun auch 
in Tabletten comprimirt durch Dr. Sedlitzky in den Handel. Dr. Mayer in 
Ischl führt in seiner Broschüre die Indicationen an für die erfolgreiche An¬ 
wendung sowohl zu Bädern als auch zu localen Applicationen, und dürfte dieses 
Heilmittel auch außerhalb Ischls in vielen Fällen willkommen sein. 

Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 

Mit dieser Nummer versenden wir eine Beilage der 

chemischen Fabrik auf Actien (vorm. E. Schering) in Berlin 
über „Schering’s Chloral-Chloroform“. Wir empfehlen dieselbe 
der geneigten Beachtung unsrer Leser. 

Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
Postversendung. Die Preise der Einb&nddeoken sind folgende : für die „Med. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
,,Therapie der Gegenwart“: AT1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Postversendnng. 

Die Rubrik: „Erledigungen, ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 

MB* Wir empfehlen dieaa Rubrik der apeolellen Beanfrfang unserer 
geehrten Leser; in derselben werden öfters — neben der Pu Wi cation von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auch für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein können, welohe an eine 
Aenderung des Domicils oder ihrer Verhältnisse nioht gedaoht haben. *M 


Herr Dr. Sonnenfeld zu Brünn schreibt den 27. November 

1899: 

„Ihr Kindermehl hat sich mir in allen Fällen von Dyspepsie 
und Magendarmerkrankungen der Kinder als ausgezeichneter Ersatz 
für Milchnahrung und als vorzügliches Nährmittel neben Milch 
bewährt. Ich bekräftige dies umso aufrichtiger, als ich das oben¬ 
erwähnte Präparat nicht allein bei fremden Patienten, sondern 
insbesondere bei meinem Kinde mit dem größten Nutzen ange¬ 
wendet habe.“ 

1 Waare zu Versuchszwecken stellt den Herren Aerzten gratis 
franco zur Verfügung. 

R. Kufeke, Wien, I., Nibelungengasse 8. 



Farbenfabriken 


vorm. 

Friedr. Bayer & Ce., 
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chronischer und acuter Enteritis, 
speciell der Kinder. 

Geschmackfrei, unschädlich, den 
Appetit nicht beeinträchtigend. 
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Neues Diureticum. 

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Nierenaffectionen, soweit das Niercn- 
epithel noch genügend functionsfähig ist. 
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vorzügliches Lactogogum. 


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In organischer Verbindung Eisen-Som<ltOS6 insbesondere bei Chlorosis, Anämie, 
mit 2% Eisen als == Rhachili», Hiurastlienil empfehlenswert. 


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Wien, den 20. Juli 1902. 


Nr. 29. 


XLIII. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 8 Bogen Groß-Quart Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militäiärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik', letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Fresse" 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die RedactiOn bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Militäräiztlicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
20 fc, halbj. 10 K, viertelj. 5 A". Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jahrl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk., halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 AT; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Ranm 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien, I., Maximilianstr. 4. 


Medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Redaction: Telephon Nr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

--* 0 * 8 »- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 
Administration: Telephon Hr. 9104. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlegungen. Haematokele retrouterina infolge von Extrauterinschwangerschaft. Drei Beobachtungen von Dr. Edgar 
Kurz in Florenz. — Experimentelle Untersuchungen über die Blutdruckmessungen mit dem GÄRTNKR’scben Tonometer. Von Dr. Heinrich Wolf in 
Wien. — Aus der internen Abtheilung (Prim. Dr. Mager) der mährischen Landeskrankenanstalt in Brünn. Ein Fall von Zahninversion mit 
Durchbruch des Zahnes in die Nase. Von Dr. Berthold Schweinburg , Secnndararzt. — Referate. Hermann Eiciihoust (Zürich): Ueber Zacker¬ 
gußherz. — F. Honigmann (Breslau): Ueber die Behandlung des Ileus mit Belladonnapräparaten. — Sudeck (Hamburg): Weitere Erfahrungen über 
das Operiren im Aetherrauscb. — Hugo Marx (Lübbecke i. W.): Die Bedeutung des Chinins für die Wundbehandlung. — H. Hügel und K. Holz¬ 
häuser (Straßburg): Vorläufige Mittheilungen über Syphilisimpfungen am Thiere. — Paul Römer (Würzburg): Experimentelle Grundlagen für 
klinische Versuche einer Sernmtherapie des Ulcus corneae serpens nach Untersuchungen über Pneumokokkenimmunität. — Finkelstein (Peters¬ 
burg): Beiträge zur Frage der Tuberculose der Lymphdrüsen. — Goldberg (Petersburg): Ueber die Einwirkung des Alkohols auf die natürliche 
Immunität von Tauben gegen Milzbrand und auf den Verlauf der Milzbrandinfection. — Kleine Mittheilnngen. Verhalten des Pyramidons ira 
Organismus. — Die Behandlung der Hämorrhagie bei Phthise. — Cuprum citricum bei Trachom. — Eine wirksame Behandlung der septischen 
Endocarditis. — Zur Frage der Säuglingsernährung. — Ueber den Einfluß der Ovariumpräparate auf den Stoffwechsel. — Analgesirung der Zähne 
durch Elektricität — Literarische Anzeigen. Sehprobentafeln zur Bestimmung der Sehschärfe für die Ferne. Herausgegeben von Dr. v. Ammon, 
k. Oberarzt und Augenarzt in München. — Leitfaden für den Unterricht in der Kranken- und Wochenpflege. Von Dr. med. Bruno Bosse. — 
Grundriß der Arzneiverordnungslehre mit besonderer Berücksichtigung der Arzneidispensirkunde für Studirende und seLbstdispensirende Aerzte. 
Von Prof. A. Jaquet. — Die pathologisch-histologischen Untersuchungsmethoden. Von Dr. G. Sciimorl. — Feuilleton. Lebensbilder aus halb¬ 
vergangener Zeit. III. Johann David Ruland und seine Dreckapotbeke. Von Dr. St. v. Vamossy in Preßburg. — Verhandlungen ärztlicher 
Vereine. 20. Congreß für innere Medicin. Gehalten zu Wiesbaden, 15. — 18- April 1902. (Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen 
med. Fachpresse“.) IX. — Notizen. — Nene Literatur. — Eingesendet. — Offene Correspondenz der Redaction und Administration. — 
Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 

- .. •'■'•r ... . . -- -■»—- 

Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse“ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 


Haematokele retrouterina infolge von Extra¬ 
uterinschwangerschaft. 

Drei Beobachtungen von Dr. Edgar Kurz in Florenz. 

Die wohl meistens, aber nicht immer, auf Extrauterin¬ 
schwangerschaft (Tubenabort oder Tubenruptur) zurückzu¬ 
führende Haematokele retrouterina, welche übrigens bei großem 
Bluterguß nicht auf den Douglas beschränkt bleibt, sondern 
das ganze kleine Becken ausfüllt und sich noch nach oben in 
die Bauchhöhle erstreckt, kann unter sehr verschiedenen und 
sehr wechselvollen Bildern verlaufen und der Diagnose allerlei 
Schwierigkeiten bereiten. Es kommt deshalb gewiß sehr häufig 
vor, daß diese Affection, zumal in der Privatpraxis, einer 
exacten Diagnose entgeht, schon deshalb, weil weder die 
Anamnese, noch das Krankheitsbild immer sofort einen Anhalts¬ 
punkt für die Annahme einer Haematokele, respective einer 
Extrauteringravidität ergibt, sondern durch die Angaben der 
Patientinnen und durch die Art der Krankheitserscheinungen 
die Diagnose sogar leicht nach anderen Richtungen abgelenkt 
werden kann. 

Einen solchen Fall, der mit den Symptomen des Darm¬ 
verschlusses (durch Compression) einherging, als Perityphlitis 
diagnosticirt und (exspectativ) behandelt worden war, und 
bei dem später, als nach 2 Jahren durch Exsudatreste bedingte 
Lungenembolien mit Schüttelfrösten eintraten, Malaria an¬ 
genommen wurde, habe ich unter dem Titel „Ein differential¬ 
diagnostisches Problem“ in den „Memorabilien“, 1895, V, be¬ 


schrieben und mit Sicherheit auf Haematokele retrouterina 
zurückgeführt. 

Nicht nur der anfängliche Symptomencomplex, sondern 
auch der ganze Verlauf der Haematokele kann von Fall zu 
Fall außerordentliche Verschiedenheiten darbieten, wie dies 
die folgenden drei weiteren, in den letzten Jahren von mir 
beobachteten Fälle zeigen, deren erster dem obenerwähnten 
insofern ähnlich ist, als er ebenfalls mit den Erscheinungen 
der Darmcompression und später der Lungenembolie einherging 
und der Diagnose anfangs einige Schwierigkeiten entgegen¬ 
stellte, während die beiden andern Fälle leichter zu diagno3ti- 
ciren waren. Die Anamnese ergab übrigens in allen Fällen 
anfangs keine rechten Anhaltspunkte und konnte erst all- 
mälig im Laufe der Behandlung durch, eingehende Fragen 
etwas vervollständigt werden. 

Die Diagnose wurde in (len beiden ersten Fällen durch 
den Untersuchungsbefund und den Verlauf, im letzten Fall 
außerdem durch die Laparotomie sichergestellt. Als Ursache 
der Haematokele war in den beiden ersten Fällen mit der 
größten Wahrscheinlichkeit Tubenabort anzusehen, während im 
dritten Falle die Annahme einer Tubenruptur bei der Operation 
volle Bestätigung fand. 

I. 

Frau M. V., 39 Jahre alt,, ließ mich am 19. November 1896 
wegen Schmerzen im Leib und Erbrechen rufen. Der Urin war 
trüb und wolkig. Pat. gab an, vor einer Reihe von Jahren an 
Nierenkolik gelitten zu haben und hielt auch die jetzige Erkrankung 
für Nierenkolik, wiewohl die Schmerzen jetzt nicht so heftig waren 
wie damals. Die Temperatur betrug 376. Der Puls war klein und 
frequent. Es fiel sofort das verfallene Aussehen der Pat. auf, das 
durch die mäßigen Schmerzen im Leib keine genügende Erklärung 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 29. 


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fand. An den nächsten Tagen war der Zustand ungefähr der gleiche. 
Am 22. November treten wiederholt heftigere diffuse Leibschmerzen 
auf, von der Patientin für Nierenkoliken erklärt. Erbrechen. Große 
Schwäche. Temperatur normal. Urin spärlich und trüb. Etwas 
Schmerz beim Uriniren. Leichter Meteorismus. Unter sehr heftigen 
Schmerzen erfolgt ein fester Stuhl. 

Die nun trotz der Versicherung der Kranken, sie fühle, daß 
es sich wieder um Nierenkolik handle, durchgesetzte gynäkologische 
Untersuchung ergab einen weichen, empfindlichen, ungefähr faust¬ 
großen Tumor im Douglas, dem Uterus dicht anliegend; jeder 
Versuch, die Portio zu bewegen oder den Uterus abzutasten, ver¬ 
ursacht starken Schmerz. Die Diagnose einer Haematokele retro- 
uterina konnte nach diesem Befund wohl nicht mehr zweifelhaft 
sein. Sie fand nun auch in der Anamnese eine Stütze, da die 
Pat., von der Irrthümlichkeit ihrer Annahme einer Nierenkolik über¬ 
zeugt, jetzt folgende Angaben machte. 

Sie hat zweimal geboren, das letztemal vor circa 12 Jahren. 
Vor einigen Jahren hat sie längere Zeit an einer Eierstockentzündung 
gelitten. Die Regel war schon lange schmerzhaft und trat in der 
letzten Zeit ungefähr alle 14 Tage ein unter geringem Blutabgang. 
Die letzte eintägige Blutung hatte am 3. November stattgefunden. 
Am 18. November hatte Pat. unterwegs Schmerzen im Leib be¬ 
kommen, zugleich mit einer heftigen Ohnmachtsanwandlung, so daß 
sic einen Wagen genommen hatte, um nach Hause zu fahren. 

Am 23. November trat Blutabgang aus der Vagina auf, 
abends eine leichte Ohnmacht. (Eine Decidua wurde nicht gefunden. 
Die Brüste enthielten kein Colostrum.) 

In den folgenden Tagen stellte sich Fieber (zwischen 38 und 39) 
ein, dabei drängende Schmerzen im Kreuz, die in die Schenkel 
ausstrahlten. Während bis jetzt durch Klysmata Stuhl erzielt werden 
konnte, sistirt am 26. November die Defäcation. Der Meteorismus 
nimmt zu. Schmerzhafte Blähungen, die nicht abgehen. Urin etwas 
reichlicher; kein Eiweiß, aber deutliche Zuckerreaction (bei Blut¬ 
ergüssen mehrfach beobachtet). 

An den folgenden Tagen einige schmerzhafte Stuhlentleerungen, 
auch ßlutabgang aus dem Darm. Die Temperatur wird wieder 
normal. Kein Zucker, mehr im Urin. Etwas Blutabgang aus der 
Vagina. 

Am 29. November steigt die Temperatur auf 39‘8, fällt auf 
37 und steigt unter halbstündigem Schüttelfrost wieder auf 39‘7. 
Der Tumor hinter dem Uterus ist größer geworden, fühlt sich 
prall an, drängt das hintere Scheideugewölbe nach abwärts, den 
Uterus gegen die Symphyse. Die Untersuchung per rectum ergibt, 
daß der pralle, sehr empfindliche Tumor den ganzen Douglas ausfüllt. 
Abends nach starkem Schweiß Temperatur 36 5. In den nächsten 
Tagen häufige Schüttelfröste, Temperaturen oft bis 40; dazwischen 
vollständiger Abfall der Temperatur. Puls meist frequent und elend. 
Durch hohe Eingießungen ist manchmal eine spärliche, sehr schmerz¬ 
hafte Defäcation zu erzielen. Meist aber besteht tagelang voll¬ 
ständige Kothverhaltung unter Schmerzen, Erbrechen und Meteoris¬ 
mus. Geblähte Darmschlingen zeigen sich unter den dünnen Bauch¬ 
wänden in heftigen, wurmförmigen Bewegungen. 

Der Zustand glich manchmal ganz dem Bild des Ileus, so 
daß ich wiederholt die Laparotomie vorschlug, nicht nur zur 
Behandlung der Haematokele, sondern auch zur Behebung des 
quälenden mechanischen Hindernisses, das durch die Corapression 
des Darms im Douglas gegeben war. 

Am 3. December war an dem prallen Tumor bei der Unter¬ 
suchung per rectum eine weichere, mit dem Finger eindrückbare 
Stelle zu fühlen. Das zur Entleerung der Gase eingeführte Darm¬ 
rohr ließ sich nicht mehr nach oben schieben. Aus dem Anus kam 
glasiger Schleim. Weder Flatus noch Defäcation bei starkem 
Meteorismus, Erbrechen, elendem Puls, 40'3 Temperatur. 

Ich schlug nun die Eröffnung des zweifellos vereiterten Extra¬ 
vasats durch Incision des hinteren ßcheidengewölbes vor. Diese 
Operation wurde acceptirt und vorbereitet, als am 4. December 
plötzlich ohne besondere Schmerzen der Abfluß einer grauen, 
jauchigen, abscheulich stinkenden Flüssigkeit aus dem Mastdarm 
sich einstellte, der sich den Tag über in Pausen wiederholte. Unter 
Abfall der Temperatur auf 36 und subjectivem Wohlbefinden er¬ 


folgten dann auch dünne Stühle mit reichlichen Flatus. Der Abgang 
von Jauche theils mit dem Stuhl, theils unabhängig von der Defäcation, 
dauerte die nächsten Tage an. 

Der Tumor im hintern Scheidengewölbe erscheint jetzt in der 
Mitte weich, eindrtickbar, nach beiden Seiten härter. Der Uterus 
ist wie eingemauert, jeder Bewegungsversuch schmerzhaft. Der Ab¬ 
fluß der eiterigen Flüssigkeit dauert bis zum 14. December an, 
bei Fieberlosigkeit, stetig abnehmenden Beschwerden und langsamer 
Besserung des Allgemeinbefindens. 

Allmälig erholte sich die Kranke. Bei späteren Untersuchungen 
fanden sich Exsudatreste und Verwachsungen im kleinen Becken, 
hauptsächlich links vom Uterus, die eine deutliche Abtastung der 
Adnexe verhinderten. Der Uterus war fest im Douglas fixirt. Vom 
zweiten Monat nach der Erkrankung an stellte sich die Menstruation 
wieder regelmäßig und ohne besondere Beschwerden ein. Pat. ge¬ 
brauchte Irrigationen, Ichthyoltampons, später Bäder und fühlte 
sich ganz wohl, abgesehen von leichten Schmerzen im Becken, die 
bei längerem Gehen oder Stehen auftraten. Ungefähr ein halbes 
Jahr später war der Uterus noch als hinten fixirt und links von 
ihm ein länglicher, unregelmäßiger, empfindlicher Tumor abzutasten. 

Es hatte hier offenbar eine Gravidität der linken Tube 
bestanden, die mit Tubenabort und Bildung eiuer Haematokele 
retrouterina geendigt war. Der Bluterguß konnte sich wegen alter 
peritonitischer Adhäsionen, auf die das langjährige Bestehen der 
sogenannten Eierstockentzündung hinweist, nicht ungehindert aus¬ 
breiten. Dadurch kam cs zu baldiger Gerinnung und zugleich zur 
Sistirung der Hämorrhagie. Durch dieselbe Ursache waren anderer¬ 
seits die Compressionserscheinungen bedingt. Schließlich erfolgte, 
obwohl gewiß eine Operation indicirt gewesen wäre, die spontane 
Perforation des den Darm comprimirenden verjauchten Extravasats. 

Diese Erkrankung hatte genau nach zwei Jahren ein inter¬ 
essantes Nachspiel, wenn es sich nicht gar um eine Wiederholung 
desselben Vorgangs handelte. 

Nachdem einige Nächte etwas Fieber bestanden haben soll, 
erkrankte Pat. am 17. November 1898 unmittelbar nach einer 
Spazierfahrt unter heftigem Frostzittern, Cyanose der Lippen, Äthem- 
noth, Unruhe, großem Angstgefühl. Temperatur 40. Ueber tler rechten 
Lunge unten hinten gedämpfter Schall. 

Tags darauf Abfall der Temperatur auf 36, Nachmittags unter 
denselben Erscheinungen wie gestern Ansteigen auf 40. Quälender 
trockener Husten. R. H. U. Dämpfung, rauhes verlängertes Exspirium, 
verstärkter Stimmfremitus. 

In den folgenden Tagen wiederholt sich täglich dasselbe Bild. 
Es gesellten sich Schmerzen im Rücken, vollständige Appetitlosig¬ 
keit, sehr heftiges Kopfweh dazu. Pat. hatte leichte Delirien, sah 
schreckhafte Bilder und kannte zeitweilig ihre Umgebung nicht. 
Da sich einigemale übelriechende diarrhoische Stühle einstellten, 
glaubte sie und ihre Umgebung, es müsse Typhus vorliegen, während 
ich die Erkrankung mit der vor zwei Jahren durchgemachten in 
Zusammenhang brachte und die Lungenerscheinungen als leichte 
Embolien, ausgehend von phlebitischen Processen in der Umgebung 
des alten Herdes auffaßte. 

Obwohl keinerlei Schmerz im Leib empfunden wurde, drang 
ich doch auf eine gynäkologische Untersuchung, umsomehr, als ich 
erfuhr, daß die früher regelmäßige Menstruation in der letzten 
Zeit ganz unregelmäßig geworden und manchmal monatlich zweimal 
eingetreten sein sollte. Links vom Uterus, der etwas nach rechts 
verlagert war, ließ sich ein ungefähr hühnereigroßer, weicher, 
teigiger, empfindlicher Tumor abtasten, der sich gegen den Douglas 
hin erstreckte. Es hatte also hier innerhalb der alten Adhäsionen 
ohne Zweifel ein kleiner Bluterguß stattgefunden, der dem septischen 
Charakter des Fiebers nach zu schließen bereits in Verjauchung 
begriffen war. (Da spontan keinerlei Schmerzen im Leib bestanden, 
so wollte sich zunächst weder die Kranke noch ihre Familie von 
dieser Diagnose überzeugen lassen.) 

Eine Woche verlief nun unter täglichen Schüttelfrösten und 
Temperatursteigerungen auf 40 und 40*4, anfangs mit Abfällen 
bis auf oder unter die Norm. Am 29. und 30. November sowie 
am 1. December hielt sich die Temperatur zwischen 39 und 40. 
Die Lungenerscheinungen waren zurückgegangen. Der Husten hatte 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 29. 


1352 


oben erwähnt, ebenfalls auf die Bedeutung der Größe hinge¬ 
wiesen. 

Wenn ich nun auf diese Frage näher eingehe, so mag 
dies darin seine Erklärung und Berechtigung finden, daß es 
mir gelungen ist, theoretisch und experimentell den großen 
Einfluß der Ringgröße zu beweisen. 

Uebt man auf den Ballon des GÄBTNEß’schen Apparates 
einen Druck aus, so wird die Ringmembran gespannt und das 
Quecksilber im Manometer steigt. 

Es besteht dann folgende Gleichung für einen beliebigen 
Gleichgewichtszustand : 

P D = S = M. 

Wenn P D den Druck auf den Ballon, 

S die Spannung der Membran, 

M den Manometerstand bedeutet. 

Wird nun der Finger in den Ring eingeführt und 
neuerlich ein Eindruck auf den Ballon ausgeübt, so wird ein 
Theil dieses Druckes auf den Finger übertragen. Es besteht 
die Gleichung 

P,> = S + P c = M, 

wenn P c den Druck auf den Finger be¬ 
deutet. 

Bei gleichbleibendem P n und M 
wird P< ; größer oder kleiner, wenn S 
kleiner oder größer wird. 

S a >S, 

P»<Pc. 

Ist die Spannung der Ringmembran 
verschieden, so ist bei gleichem Mano¬ 
meterstand der Druck auf den Finger 
verschieden. 

Ich habe nur von der Spannung ge¬ 
sprochen ; es ist aber selbstverständlich, 
daß hier alle jene Punkte in Betracht 
kommen, welche die Elasticität der 
Membran beeinflussen. 

Ich habe diese Frage auch durch 
Versuche geprüft. Mein Apparat ist sehr 
einfach (Fig. 2). Er besteht aus einer ge¬ 
bogenen Glasröhre, die in ihrem auf¬ 
steigenden Theile enger ist, und einer 
starken Gummiröhre. Diese ist auf der 


Stand des 
(fuecTcsilbers 



Fig- 2. 


einen Seite mit dem Glasrohre in offener Verbindung, auf der 
anderen Seite verschlossen. 

Das Ganze ist mit Quecksilber so gefüllt, daß dieses 
eine gewisse Höhe im aufsteigenden engen Glasrohre erreicht. 

Ich nahm hierauf zwei verschieden große Ringe (Durch¬ 
messer 2 Cm. und 2 1 / 2 Cm.), legte sie nacheinander an der¬ 
selben Stelle an und verzeichnete den Druck am Manometer, 
den ich ausüben mußte, um die Quecksilbersäule in meinem 
Apparate um einen bestimmten Theil zu heben. Ich konnte 
zeigen, daß man beim großen Ring einen weit stärkeren 
Druck ausüben muß. 

Die große Bedeutung der Ringbeschaffenheit (ich ver¬ 
wendete immer die oben angegebenen Ringe) zeigte sich aber 
ganz besonders deutlich bei den Untersuchungen am gestutzten 
Hundeschwanz mit Beobachtung der blutenden Arterie. Ich 


fand, wie aus der nachfolgenden Curve ersichtlich ist, ganz 
regelmäßig bei der Verwendung des kleinen Ringes geringere 
Werthe als für den großen. 

Es ist wohl richtig, daß die Ringgröße sehr verschieden 
ist. Ich wollte jedoch nur beweisen, daß die Spannungs¬ 
verhältnisse von Bedeutung sein müssen. Deshalb nahm ich 
diese Ringe. Für die gewöhnlichen Verhältnisse ist ja das 
Verhältniß zwischen Ring und Finger kein so ungünstiges. 

Die Thatsache allein ist entscheidend für die Beurtheilung 
der Bedeutung des GÄRTNER’schen Tonometers und, wie ich 
betonen möchte, aller jener Methoden der Blutdruckmessung, 
welche eine elastische Umschnürung eines Körpertheiles be¬ 
nützen. Sie beweist, daß die Tonometerwerthe keine absoluten 
Werthe des Blutdruckes sein können, ganz abgesehen davon, 
daß man erstens von einem absoluten Blutdrucke überhaupt 
nur in bestimmten Arterien, z. B. Aorta, Carotis, sprechen 
könnte, der Beweis dafür aber, wie ich später erwähnen werde, 
nur durch Messung aus der Carotis oder Cruralis geführt 
wurde, zweitens, daß auch beim Untersuchten verschiedene 
Umstände die Untersuchungsergebnisse außerordentlich be¬ 
einflussen. 

Ich mache noch darauf aufmerksam, daß es selbst¬ 
verständlich nicht auf die absolute Ringgröße, sondern auf das 
Verhältniß zwischen Finger und Ring ankommt. 

Diese Thatsache allein würde mich des weiteren Beweises 
entheben, daß wir nur relative Werthe erhalten; denn sie 
zeigt uns die Abhängigkeit derselben von anderen Factoren als 
dem Blutdrucke. 

Mir scheint es jedoch wichtig zu sein, nachzuweisen, daß 
die Werthe des Tonometers auch abhängig sind von den be¬ 
stehenden Verhältnissen der Gewebe des Untersuchten. Denn 
dieser Nachweis würde ein entsprechendes Licht auf gewisse 
Untersuchungsergebnisse nach verschiedenen Einwirkungen 
werfen. 

Es ist schon von Gärtner und Jellinek beobachtet 
worden, daß die Zahlen des Tonometers rechts und links ver¬ 
schieden sind. Insbesondere konnte Jellinek bei seinen Unter¬ 
suchungen an gesunden Soldaten sehr häufig einen solchen 
Unterschied beobachten, und er fand in den meisten Fällen 
rechts größere Werthe als links. 

Ich habe eine vollständige Uebereinstimmung beider Seiten 
nur in der Hälfte der Fälle beobachten können. Ich führe 
meine Aufzeichnungen an. 2 ) 


Nr. 

1. 

P. T. 

Cat. apicum 

R. 

95 

L. 

85 


2. 

L. S. 

Vit. cordis 

145 

130 ^ ( se hr 
u (aufgeregt) 


3. 

F. L. 

Nephritis 

145 

150 


4. 

F. M. 

Neurasthenie 

130 

128 

n 

5. 

S. A. 

Brachialgie 

140 

125 


6. 

P. R. 

Magenerkrankung 

85 

85 


7. 

H. J. 

A rteriosklerose 21 ./2. 

175 

200 ( 

n 

n 

8. 

F. M. 

22-/2. 

Neurasthenie 

190 

155 

205) 

148 j(s. Nr. 4) 


9. 

P. R. 


95 

80 \(s. Nr. 6) 


10. 

P. L. 


130 

120 


11. 

S. A. 


110 

110 

n 

12. 

H. M. 


128 

1281 

n 

13. 

S. L. 

getrennt 

Darmatonie 

115 

85 

HO/ 

Q _ ( Links- 
jhänder 


14. 

Sch. L. 


135 

1 linke Hand 
1451 schwächer 


15. 

Sch. J. 

Gastrektasie 

115 

( als rechte 
1151 

D 

16. 

A. A. 

getrennt 

Cephalalgie 

113 

120 

113) 

110 

J) 

17. 

Sch. M. 

Erbrechen (Ulcus?) 

128 

128 


Diese Zahlen ergab die Untersuchung mit dem Apparate von Fbdebn. 


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1353 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 29. 


1354 




R. 

L. 


R. 

L. 

Nr. 18. 

L. L. Vitium cordis 

110 

1101 

7./3. vor dem Elektrotherm. 

. . . 145 

145 


danach 

95 

95] 

nach dem „ 

. . . 105 

115 

„ 19. 

H. M. Arthritis 

140 

135 

nach der kalten Douche 

... 118 

140 

„ 20. 

H. A. Cephalalgie 

110 

106 

8./3. vor dem Elektrotherm. 

... 120 

125 

„ 21. 

K. W. 

105 

105 

nach dem „ 

... 110 

115 

„ 22. 

J. L. Tumor med. 

130 

130. 

nach der Douche . . . 

... 113 

130 

Ich 

habe also einigemale Unterschiede 

von 25 Mm. er- 

9./3. vor dem Elektrotherm. . 

... 120 

115 

halten. 







Diese Beobachtung brachte mich auf den Gedanken, die 


105 

115 


Bedeutung des Gewebes und seines Widerstandes zu unter¬ 
suchen. 

Prof. Gärtner hat in seiner ersten Arbeit behauptet, 
daß die Beschaffenheit des Fingers für die Tonometerunter¬ 
suchung soviel wie ohne Belang sei. In seiner zweiten Ab¬ 
handlung erwähnt er einen Versuch am Hundeschwanze, bei 
welchem er zu hohe Werthe erhalten hatte, und glaubt, daß 
dies eine besondere Ausnahme gewesen sei, die keinen all¬ 
gemeinen Schluß gestatte (siehe unten Versuch 2). 

Ich kann die Ansicht Gärtneb’s nicht theilen, muß viel¬ 
mehr behaupten, daß zwischen dem von ihm erwähnten Bei¬ 
spiele und dem normalen unendlich viele Abstufungen in der 
Zusammendrückbarkeit der Gewebe bestehen müssen. Es gibt, 
glaube ich, keinen festen Körper, der einen auf ihn ausgeübten 
Druck nach allen Richtungen gleichmäßig fortpflanzt. Es wird 
vielmehr die Zusammendrückung des Gewebes von dem Orte des 
Druckes gegen die Tiefe abnehmen. Es ist aber noch nicht 
genauer geprüft worden, welche Menge von Kraft zur Ueber- 
windung dieses Widerstandes nothwendig ist. 

Daß aber die Größe dieser Kraft veränderlich ist, haben 
die Untersuchungen von Döhring und die meinen zweifellos 
ergeben. 

Auch damit allein ist die Ansicht Gärtner’s, daß der 
Tonometer die absoluten Werthe des Blutdruckes anzeige, 
gefallen. 

Döhring hat in seiner Inaug.-Diss. (Königsberg 1882) 
die Wirkung von verschiedenen Temperaturen auf Haut und 
Schleimhäute geprüft. Er verwandte dazu folgendes Verfahren: 
Er behandelte die zu untersuchende Stelle mit Wasser ver¬ 
schiedener Temperatur und beobachtete mit Hilfe eines Piezo¬ 
meters, bei welchem Drucke die entstandene Röthung ver¬ 
schwand. Er fand, daß die Röthung nach Kaltwasseranwendung 
erst einem höheren Druck wich als die nach Warmwasser- 
anwenduDg, und erklärt dies dadurch, daß das Gewebe durch 
die Einwirkung des warmen Wassers in seiner Elasticität 
und im Tonus herabgesetzt werde. Das kalte Wasser habe die 
entgegengesetzte Wirkung. 

Ich ging von der Ansicht aus, daß die Verschiedenheit 
der Werthe an zwei Fingern einen örtlichen Grund haben 
müsse, da es ja nicht möglich ist, daß die Größe der in den 
Gefäßen vorhandenen Widerstände für den Blutstrom an zwei 
einander entsprechenden Orten so verschieden sein kann. 

Aus diesem Grunde habe ich die zu untersuchende Hand 
verschiedenen Einflüssen ausgesetzt. 

H. J. Arteriosklerose (s. o. Nr. 7). 21./4. 

22./4. 

links heißes (45°) Handbad. 10 Minuten 
nach dem Handbad.185 

F. M. 23./2. 

rechts heißes (45° C.) Handbad 10 Min., 
links kaltes (8° C) Wasser .... 

10 Minuten danach. 

H. M. Arthritis rechts (Nr. 19) . . . 

4./3. nach dem Elektrotherm. 20 Min. 

rechts. 

6./3. vor dem Elektrotherm. 

nach dem „ .... 

kalte Douche auf den Arm . . 


R. 

L. 

175 

200 

190 

205 

185 

180 

155 

148 

128 

143 

125 

120 

140 

135 

100 

135 

130 

130 

110 

128 

125 

135 


nach dem Elektrotherm. . . . 

14./3. Außentemperatur sehr kalt, rechte 
Hand kalt. 

11. /3. vor dem Elektrotherm. . . . 

nach dem „ ... 

Die rechte Hand ist vor der Anwendung 
des Elektrotherm. deutlich weicher 
als die linke. 

12. /3. vor dem Elektrotherm. . . . 

nach dem Elektrotherm. rechts 
bedeutend weniger als links. 
Messung ungenau. 

16./3. vor dem Elektrotherm. . . . 
nach dem „ ... 


, 1F . (Mittel- 
115 finger) 

105 115 

110 110 
130 125 

95 110 


115 128 


(Mittel¬ 

finger) 

(Zeige¬ 

finger) 

rechts 

gleich¬ 

zeitig 


130 

112 


135 

130 


Man sieht aus diesem Beispiel, daß die Tonometerzahlen 
nach der Anwendung einer heißen Procedur entweder nur ein¬ 
seitig oder auch auf der behandelten Seite tiefer sinken, man 
sieht auch, daß nach längerer und häufig wiederholter Ein¬ 
wirkung der Wärme die Tonometerwerthe dauernd niedriger 
werden. Wer aber einmal eine so behandelte Hand untersucht hat, 
muß bemerken, wie schon die grobe Untersuchung eine hoch¬ 
gradige Erschlaffung der gesammten Weichtheile dieser 
Extremitäten erkennen läßt. Da liegt es wohl sehr nahe, 
diese Beobachtung mit der Herabsetzung der Tonometerwerthe 
in unmittelbare Beziehung zu bringen. (Schluß folgt.) 


Aus der internen Abtheilung (Prim. Pr. Mager) der . 
mährischen Landeskrankenanstalt in Brünn. 

Ein Fall von Zahninversion mit Durchbruch 
des Zahnes in die Nase. 

Von Dr. Berthold Schweinburg, Secundararzt. 

Wenn auch die Beobachtung, daß Zähne entgegen der 
Norm mit ihren Kronen voraus in die Nasenhöhle hinein¬ 
wachsen , bereits öfters gemacht wurde (Zuckebkandl) , er¬ 
scheint mir der am 12. März 1. J. auf unsere Abtheilung 
aufgenommene Fall wegen des Zusammenhanges der bestehen¬ 
den Anomalie in der Bildung des Zahnes mit einem recht 
quälenden neuralgischen Leiden interessant und deshalb in 
Kürze mittheilenswerth. 

Die 46jähr. Patientin J. K., landwirthschaftliche Taglöhnerin, 
leidet seit nahezu 20 Jahren an heftigen, rechtsseitigen Kopf¬ 
schmerzen, die, ununterbrochen anhaltend, sich anfallsweise steigern. 

Gegen das Leiden bekam Patientin angeblich gleich vom 
Beginne an Morphiuminjectionen. Seit circa ®/ 4 Jahren treten die 
Steigerungen des Kopfschmerzes fast täglich, und zwar in solchem 
Maße auf, daß die Pat. täglich bis 6 Morphiuminjectionen erhielt. 
Menses seit dem 17. Lebensjahre, bestehen noch. 

Die Patientin ist groß, kräftig gebaut, mäßig genährt. Die 
Druckpunkte der Gesichtsnerven auf Druck nicht schmerzhaft. 
Befund der inneren Organe normal. In der Mundhöhle sind die 
unteren Schneidezähne, der obere rechte mittlere Schneidezahn und 

2 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 29. 


1356 


der rechte Eckzahn intact vorhanden, die anderen Zähne fehlen, 
von mehreren sind noch cariöse Wurzeln vorhanden. Die Nase 
zeigt äußerlich nichts Abnormes. Die linke Nase normal. Die 
untere rechte Nasenmuschel aufgetrieben, die Schleimhaut geröthet 
und geschwellt. Zwischen derselben und dem Boden der Nasen¬ 
höhle liegt ein graulichweißer, circa erbsengroßer Körper, der 
sich bei der Sondiiung als sehr hart erweist. Beim Extractions¬ 
versuche zerbröckelt der Körper zwischen den Branchen der Pin- 
cette, da er aus einer porösen, weichen Steinraasse besteht. Da 
durch den Extractionsversuch eine leichte Blutung verursacht 
wurde, welche eine weitere Besichtigung der Nasenhöhle unmöglich 
macht, wird die Nase tamponirt. Am nächsten Tage findet man 
dort, wo tags vorher der oben erwähnte Körper saß, also zwischen 
unterer Muschel und dem Boden der Nasenhöhle, circa 4 Cm. 
hinter dem Nasenloche einen glänzend weißen, harten, etwas 
kleineren Körper, der sehr fest sitzt und — nach vorhergegangener 
Cocainanästhesie der Nase — jedem Extractionsversuche mit Pin- 
cette oder Kornzange trotzt. Es wird nun der Körper mit einem 
schmalen Hebel in seinem Sitze gelockert, worauf die Extraction 
mit der Kornzange leicht gelingt. Der Fremdkörper ist etwa 
18 Mm. lang, walzenförmig, an seinem vorderen Endo etwas 
hakenförmig nach unten gebogen. Der Fremdkörper ist ein Zahn, 
was sich noch deutlicher am Querschnitte erweist. Hier finden 
sich nicht nur Wurzelcanal und die Schichten eines gewöhnlichen 
Zahnes, es zeigt sich auch, daß die circa 5 Mm. lange, rauhe 
Verdickung am hinteren Ende des Zahnes eine rings um denselben 
verlaufende Knochenlamelle ist, die einer Zahnalveole entspricht. 
Demgemäß ist das am hintersten Ende sitzende Stückchen Binde¬ 
gewebe die Wurzelhaut des Zahnes. Da die Krone walzenförmig 
ist und die Zähne des Oberkiefers rechts fast vollkommen fehlen, 
läßt sich nicht feststellen, ob der in der Nase gelegene Zahn 
einem Zahne der Mundhöhle entspricht, oder ein abnormer, über¬ 
zähliger Zahn ist. Der Canal, in dem der Zahn in der Nase 
gelegen, ist circa 2 Cm. lang von rauhem Knochen ausgekleidet, 
zieht im Boden der Nasenhöhle nach hinten außen und endigt blind. 

Der untere Nasengang ist jetzt vollkommen frei durchgängig.' 
Aus den Nebenhöhlen der Nase fließt kein Eiter und läßt sich 
auch sonst kein Empyem der Highmorshöhle constatiren. Nach 
der Operation war die Patientin schmerzfrei, schlief gut, zum 
erstenmale seit 20 Jahren ohne Medicament und verließ am 18. März 
das Krankenhaus. 

Die in unserem Falle vorhandene Anomalie in der Ent¬ 
wickelung des Zahnes, derart, daß, wie Zuckerkandl hervor¬ 
hebt, der Zahnkeim förmlich eine Rotation um 180° erfährt, 
wurde von Salter als Inversion bezeichnet. Es kommt dann 
dazu , daß die Krone des Zahnes nicht dem Zahnfleische, 
sondern der Nase zu gerichtet ist und daß sie, wie in unserem 
Falle, durch den Nasenboden durchbricht und so im unteren 
Nasengange erscheint. 

Meist handelt es sich um eine Inversion der oberen 
Schneidezähne, aber auch Eckzähne und Backenzähne können 
in die Nasenhöhle hineinwachsen. 

Der Zusammenhang der bestehenden Kopfschmerzen mit 
der vorhandenen Anomalie, als abhängig von derselben, ist 
aus der Krankengeschichte ersichtlich, indem nach Beseiti¬ 
gung der Ursache, des Zahnes, auch die habituellen Kopf¬ 
schmerzen verschwanden. 

Wie bei den einfachen Rhinolithen, kommt es auch bei 
diesem Fremdkörper der Nase zu secundären Veränderungen 
des Naseninnern, indem ein chronischer Katarrh fortwährend 
unterhalten wird, von welchem aus ein schwer bestimmbarer 
Kopfschmerz erzeugt werden kann. 

Ich theile diesen Fall speciell aus dem Grunde mit, weil 
daraus hervorgeht, wie wichtig es ist, bei Kopfschmerzen, 
speciell bei lange dauernden Kopfschmerzen, immer auch die 
Nase einer genauen Untersuchung zu würdigen. 


Referate. 


Hermann Eichhorst (Zürich): Ueber Zuckergußherz. 

Es handelte sich um eine unter Erscheinungen von Herz- 
insufficienz aufgenommene Frau. Die Beschwerden, welche in Athem- 
noth, Herzklopfen, Oederaen, Oligurie bestanden, waren vorüber¬ 
gehend geschwunden. Es fand sich hochgradige subjective und 
objective Athemnoth (Cyanose), starkes Hautödem an den Beinen 
und an den hinteren und seitlichen Bauchdecken, in beiden Pleura¬ 
höhlen Flüssigkeit. Die Herzdämpfung war erheblich vergrößert: 
die Herztöne rein und dumpf. Der Puls war sehr beschleunigt (140), 
regelmäßig, leicht zu unterdrücken. Im Epigastrium fand sich eine 
harte, scharfrandige Resistenz, die dem linken Leberlappen ange¬ 
hörte. In den unteren Theilen des Abdomens ließ sich Dämpfung 
nachweisen, die sich bei Lagewechsel änderte. Seit 24 Stunden 
konnte kein Urin entleert werden. Mittelst Katheter wurden 200 Ccm. 
Urin entleert, welcher 12°/oo Eiweiß, aber keine Nierencylinder 
enthielt. Fieber bestand nicht. Außer vorwiegender Milchdiät wurde 
ein Pulver aus Fol. Digital. O’l, Diuretiit 10 3mal täglich ver¬ 
ordnet. Nur für wenige Tage wurde so Besserung in Bezug auf 
die Menge und den Eiweißgehalt des Urins erzielt; auch die Puls¬ 
frequenz wurde auf 72—90 herabgedrückt, aber bald nahmen die 
Oedeme, Cyanose und Athemnoth wieder zu und die Patientin 
ging unter den Erscheinungen von Herzlähmung plötzlich zu Grunde. 
Bei der Obduction fand man Ergüsse im Pleuraraum und in der 
Bauchhöhle. Die Leber zeigte sich beträchtlich vergrößert und hart 
und bot auf der Schnittfläche die ausgebildete Zeichnung einer 
Stauungsleber. Ebenso bestanden an den Nieren Stauungsverände¬ 
rungen. Im Herzbeutel fand sich gelbgrüne, klare Flüssigkeit. Das 
Epicard war in ein dickes, fast starres, marmorweißes Gewebe um¬ 
gewandelt, welches in fast gleichmäßiger Weise den ganzen Herz¬ 
muskel umhüllte. Vom subepicardialen Fettgewebe war nichts zu 
erkennen. Die rothe Farbe des Herzmuskels schimmerte kaum 
irgendwo durch das verdickte Epicard durch, der Herzmuskel 
schien in eine Art unnachgiebigen Panzer eingeschlossen. Dabei 
war das Herz fast auf das Doppelte vergrößert. Die Oberfläche 
des verdickten Epicards war überall glänzend und glatt, nirgends 
waren zottige Anhängsel oder gar Verwachsungen zwischen den 
beiden Herzbeutelblättern vorhanden. Nach oben zu hörte die Ver¬ 
dickung und weiße Verfärbung des Epicards ziemlich scharf an 
den UrsprungsstelleD der großen Arterien und Venen auf. Die 
Herzklappen waren sämmtlich zart und ohne Veränderung. Auf 
dem Durchschnitt erreichte das veränderte Epicard eine Dicke von 
etwas über 5 Mm. Es setzte sich scharf gegen den unterliegenden 
Herzmuskel ab und drang nirgends mit Fortsätzen in denselben 
ein. Herzmuskelsubstanz ohne Veränderung. Offenbar waren die 
hochgradigen Erscheinungen der Herzmuskelinsufficienz durch die 
zuckergußähnliche Beschaffenheit des Epicards hervorgerufen worden, 
indem dieser dicke, ganz besonders spröde Ueberzug die Bewegungen 
des Herzmuskels ganz erheblich, behindern mußte. Die Patientin 
hatte vor 5 Jahren einen Gelenkrheumatismus überstanden. Br. 


F. Honigmann (Breslau): Ueber die Behandlung des Ileus 
mit Belladonnapräparaten. 

Fälle, in denen ein Strangulationsileus diagnosticirt wird, 
sind von der Atropinbehaudlung auszuschließen. Dasselbe gilt von 
incarcerirten Hernien. In Fällen von Obturationsileus, sowie bei 
dynamischen und functioneilen Passagestörungen des Darms ist 
Atropin bezw. Belladonna bisweilen von guter Wirkung. Der Effect 
der Belladonnapräparate ist im Wesentlichen ein sedativer, wie 
beim Opium. Ob sie unter Umständen fähig sind, die Darmbewegung 
anzuregen, ist bisher durch die klinische Beobachtung nicht mit 
Sicherheit festgestellt. Die beruhigende Wirkung des Atropins tritt 
bei subcutaner Anwendung oft schon nach geringeren Dosen 
bis 1 oder höchstens 2 Mgrm.) ein, manchmal allerdings erst 
nach wiederholten und größeren Gaben. Die von Bätsch vorge¬ 
schlagene Einzeldosis von 5 Mgrm. darf niemals von Anfang an 
angewendet werden. Vielmehr empfiehlt es sich, stets mit kleineren 
Dosen (Ug bis l Mgrm.) zu beginnen, um zunächst die individuelle 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 29. 


1358 


Empfänglichkeit des Patienten festznstellen. („Cntrlbl. f. d. Grenzgeb. 
d. Med. u. Chir.“, 1902, Nr. 9.) 

Bei Anwendung der Belladonnapräparate, besonders des Atropins 
und zumal bei Uebersclireitung der Maximaldosis, treten in der 
Mehrzahl der Fälle Vergiftungserscheinungen von verschiedener 
Intensität auf. Aeltere Leute (über 50 Jahre) zeigen erheblich öfter 
— selbst bei mäßigen Dosen — toxische Wirkungen, als jüngere 
Individuen bei größeren Dosen. Daher ist bei Patienten in höherem 
Alter besondere Vorsicht in der Anwendung und Dosirung des 
Atropins geboten. Das Atropin hat vor dem Opium nach den bis¬ 
herigen Erfahrungen keinen principiellen Vorzug, dagegen den Nach¬ 
theil, unabhängig von der Dosirung öfters und leichter toxische Neben¬ 
wirkungen zu entfalten, die sogar verhängnißvoll werden können. 
Man wird das Atropin daher nur anwenden, wo Opium versagt 
hat. Wenn sich die Atropinwirkung auf Lösung des Ileus (Eintritt 
von Flatus und Stuhl) nicht innerhalb der ersten 2 Tage geltend 
macht, so darf man sich durch die seiner Anwendung folgende 
Euphorie nie verleiten lassen, einen nothwendigen chirurgischen 
Eingriff zu verzögern. Nur wo ein solcher abgelehnt wird oder 
aus dringenden Gegenanzeigen unthunlich ist, mag man auch 
weiterhin die Atropinbehandlung fortsetzen. G. 


Sudeck (Hamburg): Weitere Erfahrungen über das 
Operiren im Aetherrausch. 

Die Methode, die Verf. vor einem Jahre angegeben hat, war 
ursprünglich nur für kurzdauernde Operationen gedacht: Verf. über¬ 
zeugte sich aber, daß mit ihrer Hilfe auch größere Operationen 
(bis zu 30 Minuten Dauer) schmerzlos ausgeführt werden können. 
Das Verfahren beruht auf der Beobachtung, daß bei den meisten 
Menschen schon nach kurzdauernder Einathmung von Aether eine 
völlige Analgesie eintritt, so daß man bereits nach wenig Athem- 
zügen die Operation beginnen kann. Die Methode selbst wird vom 
Verf. folgendermaßen geschildert („Cntrlbl. f. Chir.“, 1902, Nr. 13): 

Man läßt den Pat., bevor man die Maske über Mund und 
Nase hält, zur Uebung einige tiefe In- und Exspirationen ausführen 
und fordert ihn auf, auch nach Aufsetzen der Maske tief und 
energisch weiter zu athmen. Es tritt dann bereits nach wenigen 
tiefen Athemzügen ein Zustand des Rausches ein, der mit dem Al¬ 
koholrausch die größte Aehnlichkeit hat. In diesem Zustande ist 
die Haut des Gesichtes congestionirt; die Psyche ist meistens leicht 
gestört; die Pat. liegen entweder wie theilnahmslos oder sind ver¬ 
wirrt, aufgeregt, heiter, witzig, kurz leicht maniakalisch. Die höheren 
Sinnesfunctiouen und das Tastgefühl sind nur getrübt, nur die 
Schraerzempfindung erscheint in diesem Stadium 
ganz aufgehoben zu sein; es eignet sich daher dasselbe zur 
Vornahme der Operation. Zur Anästhesirung dient die gewöhnliche 
CzERNY’sche Aethermaske, welche Mund und Nase ziemlich luft¬ 
dicht abschließt. In die Maske werden 30—50 Grm. Aether ge¬ 
gossen. 

Die Vorzüge des Aetberrausches sind die vollständige Unge¬ 
fährlichkeit und der Mangel der Nacherscheinungen. Erbrechen ist 
selten, Appetit kurze Zeit nach der Narkose gut. Erdheim. 


Hugo Marx (Lübbecke i. w.) : Die Bedeutung des Chinin 
für die Wundbehandlung. 

Das Chinin ist, örtlich applicirt, imstande, jede parenchymatöse 
Blutung zu stillen; M. hält sich stets eine l%ige Chininlösung 


vorräthig: 

Rp. Chinin, hydrochlorici. 5’0 

(Spirit, rect.15'U) 

Aquae.ad 50'J‘Ö 


Diese Lösung wird vor dem Gebrauche zweckmäßig auf 
Körpertemperatur gebracht, um alles Chinin in Lösung überzu¬ 
führen. Auf die blutende Fläche werden nun in Chininlösung ge¬ 
tauchte und leicht wieder ausgepreßte Tampons gebracht, bezw. 
in die blutenden Wund- und Körperhöhlen eingeführt. Nach x / 2 Minute 
ist dann die Wundhöhle trocken, resp. die Blutung gestillt. Da¬ 
durch wird zugleich jede Entwickelung pathogener Keime in der 
Wunde selbst gehemmt, gemäß der antiseptischen Wirkung des 


Chinins. Darum eignet sich die Chininapplioation vor Allem für 
Wunden, die unmittelbar nach ihrer Entstehung in unsere Behand¬ 
lung kommen, natürlich noch besser für diejenigen, welche wir 
selbst zu Heilzwecken anlegen (Operationswunden). Wir wissen 
längst, daß eine absolute Desiufection unserer Hände unmöglich ist; 
hier haben wir ein Mittel, das einerseits imstande ist, die wenigen 
von unseren Händen in die Wunde gelangten Keime vollends un¬ 
schädlich zu machen, das andererseits in der Schaffung trockener 
Wundflächen die beste Gewähr für eine Prima iutentio gibt. 
Kommen uns aber Wunden zu Gesicht, von denen wir annehmen 
müssen, daß sie bereits iuficirt sind, so können wir in jedem Falle 
den Versuch ihrer Desinfection mit Chinin unternehmen. Schädliche 
Nebenwirkungen hat Verf. bei seiner Applicationsweise vom Chinin 
noch nicht gesehen. Er bemerkt dazu, daß er sich auch Chiningaze nach 
Art der Jodoformgaze, und zwar l°/ 0 ige, hergestellt habe: 5 Grm. 
Chinin auf 15 Grm. Alkohol, 170 Grm. Wasser und 500 Grm. Gaze. 
Die Indication für ihre Anwendung ist die gleiche wie die für 
Jodoformgaze, ihre Wirkungsart ist der der Jodoformgaze gleich, 
jeder Geruch fehlt natürlich. B. 


G. Hügel und K. Holzhäuser (Straßburg): Vorläufige Mit¬ 
theilungen über Syphilisimpfungen am Thiere. 

Die Versuche der Autoren stellen eine Fortsetzung der Unter- 
suchungen Adrian’s an der gleichen Klinik (Wolff , Straßburg) 
dar, über welche seinerzeit referirt wurde. 7 Ccm. Blut aus der 
Vena mediana eines mit recentem papilo maculösen Syphilid behaf¬ 
teten Kranken wurden einem weiblichen Schweine an 4 verschiedenen 
Stellen, rechts und links in der Höhe der 3. Mamma unter die 
Bauchhaut, ferner subcutan und intravenös ins rechte Ohr injicirt. 
Nach 2 x / 2 Wochen traten in der linken Schenkelbeuge indolente 
Drüsenschwellungen auf, nach 4 Wochen vereinzelte, wieder ver¬ 
schwindende , nach 6 Wochen zahlreiche (15) roseolaähnliche, 
etwas infiltrirte Flecke, welche die Autoren sowohl als auch 
Prof. Wolff als groß maculopapulöses Syphilid ansprecheu. („Arch. 
f. Derm. u. Syph.“, Bd. 51.) 

Die Verimpfung einer Sklerose an einen Eber verlief resultat¬ 
los. Die anatomische Untersuchung der Drüse ergab überall hyper¬ 
plastisches Gewebe und Infiltration läugs der Gefäße, die der exci- 
dirten Efflorescenzcn Infiltration der Papillarscbicht und insbesondere 
der Cutis, hier namentlich längs der Lyraphbahnen und Gefäße. 
Im Verein mit den Resultaten Martineau’s, Hamonic’s und Adrian’s 
halten die Autoren das Syphilisgift auf Warmblüter, speciell auf 
das Schwein, übertragbar. 

Das mit Erfolg geimpfte Schwein gelangte nachträglich („Arch. 
f. Derm. u. Syph.“, Bd. 55) zur Obduction, ebenso der Eber. Während 
sich bei dem letzteren keinerlei Veränderungen fanden, zeigten 
sich bei dem ersten die tiefen Lymphdrüsen längs der Wirbelsäule 
verhärtet und vergrößert, sowie verhärtete Stellen in der Lunge 
(Infiltration um die Bronchien) und in der Leber (chronische inter¬ 
stitielle Hepatitis). Die Impfung zweier weiterer Schweino , in der 
gleichen Weise ausgeführt, ergab in beiden Fällen papulöse Efflo- 
rescenzen. 

Da unter 4 Impfungen drei positiv verliefen, da analoge 
Hauterscheinungen bei unter gleichen Bedingungen lebenden Con¬ 
trolschweinen nicht auftraten, so ist nach der Ansicht der Autoren 
das Syphilisvirus auf das Schwein übertragbar, wenn auch die 
Erscheinungen der Syphilis beim Schweine wenig stürmisch ver¬ 
laufen, so daß eine gewisse Abschwächung des Giftes einzutreten 
scheint. Deutsch. 


Paul Römer (Würzburg): Experimentelle Grundlagen für 
klinische Versuche einer Serumtherapie des Ulcus 
corneae serpens nach Untersuchungen über Pneu¬ 
mokokkenimmunität. 

Die Versuche R.’s („v. Graefe’s Arch. f. Ophthalmologie“, 
Bd. 54, H. 1) sind mit einem Pneumokokkenimmunserum ausgeführt, 
das die Firma Merck in Darmstadt auf seine Veranlassung her¬ 
gestellt hat. Verf. stellte sich die Aufgabe, zu prüfen, was dieses 
Serum bei den experimentellen Pneumokokkeninfectionen des 

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1902. 


Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 29. 


1360 


Auges leistet, und ob von dieser Grundlage aus die Serumtherapie 
bei diesen in socialer Beziehung so wichtigen Augenerkrankungen 
in der Ophthalmologie Beachtung verdient. 

Aus den Versuchen ergab sieb zunächst die principiell wich¬ 
tige Erscheinung, daß eine subcutane Diphtherie-Heilseruminjection 
imstande ist, das in das Parenchym der Cornea eingeführte Diph¬ 
therietoxin unschädlich zu machen und die Hornhaut vor der schweren 
schädigenden Einwirkung des Giftes auf das Gewebe zu bewahren. 
Daß das Diphtheriegift nicht etwa aus der Cornea verschwindet, um 
erst in der Blutbahn vom Antitoxin neutralisirt zu werden, sondern 
daß noch genügend in der Cornea liegen bleibt, beweisen die 
schweren, durch das Gift verursachten localen Schädigungen des 
Cornealgewebes bei den Controlthieren. Durch diese Versuche ist 
bereits der Nachweis ei bracht, daß die eine Gruppe der Immuni- 
sirungsproducte, das ALtitoxin, seinen Weg sehr wohl auch in die 
Cornea hinein findet. R. hat damit nachgewiesen, daß das biologische 
Gesetz, nach dem die passive Immunität gegen ein bestimmtes Virus 
gewöhnlich für den ganzen Organismus gilt, seine Anwendung auch 
auf das in anatomisch' r und nutritiver Beziehung eine Sonder¬ 
stellung einnehmende Auge findet. Auch wird darauf hingewiesen, 
daß derartige Versuche vielleicht modificirend auf unsere An¬ 
schauungen über den Stoffwechsel der Cornea wirken können. Wenn 
man berücksichtigt, daß auf dem Wege der Antitoxindiffusion 
schon nach wenigen Stunden eine Giftwirkung, die das Leben des 
Hornhautgewebes und selbst das Leben des Versuchsthieres be¬ 
droht, paralysirt wird, so kann man sich des Eindruckes nicht er¬ 
wehren, als pflegten wir den Stoffwechsel des Hornhautgewebes 
entsprechend der LEBER’schen Hypothese von dem geringen Er- 
nährungsbedürfniß der Cornea zu unterschätzen. Da wir in den 
Antitoxinen Eiweißstoffe vor uns haben, so bekommen wir durch 
diese Versuche den ersten annähernden Maßstab für die Passage 
von Eiweißkörpern durch die Hornhaut hindurch. 

R. hat weiter den experimentellen Beweis dafür erbracht, daß 
mittels der subcutanen Anwendung von Pneumokokkenserum die 
Entwicklung eines Ulcus serpens infolge der passiven Immunisirung 
des Organismus verhütet werden kann; auch nach dem Beginne' 
der Hornhautinfection kann der Proceß nach den Thierversucheu 
R.’s durch subcoDjunctivale Anwendung des Serums und locale Auf- 
träufelung desselben auf die Cornea neben subcutaner Application 
zum Stehen gebracht werden. Zur klinischen Entscheidung über 
die Frage der Wirksamkeit des Pneumokokkenimmunserums reichen 
die bisherigen Beobachtungen des Verf. noch nicht aus. L. 


Finkelstein (Petersburg): Beiträge zur Frage der Tuber- 
culose der Lymphdrüsen. 

Die Tuberculose der Lymphdrüsen gehört zu den sehr ernsten 
Erkrankungen, die von Seiten des Arztes die größte Aufmerksam¬ 
keit erfordern. Das Auftreten kleiner Drüsengeschwülste ist („Archiv 
f. klin. Chirurgie“, 1901, Bd. 65, H. 2) ein infaustes Zeichen einer 
bevorstehenden ernsten Erkrankung. In den ersten Entwickelungs¬ 
stadien genügt eine allgemeine Behandlung. Sind aber die Drüsen 
bereits verlöthet, sehr groß und zerfallen, so ist Erfolg nur von 
der operativen Behandlung zu erwarten. Von den localen Mitteln wirkt 
gut nur Wärme. Dagegen bewirken Injectionen von Tuberculin, Ar¬ 
sen , Chlorzink , Argentum nitricum eine Beschleunigung des Zer¬ 
falls, aber keine Resorption der Geschwülste. Die Enucleation der 
letzteren ist mit möglichster Sorgfalt auszuführen, alles Krankhafte zu 
entfernen, und zwar nach vorheriger Freilegung der Vene. Zur 
Verhütung von Recidiven ist nach der Operation eine allgemeine 
Behandlung erforderlich. Sämmtliche operativen Bemühungen zer-^ 
schellen an den schrecklichen Verhältnissen , in denen der größte 
Theil der Operirten lebt und arbeitet. Es sind infolgedessen weit¬ 
gehende Maßnahmen allgemein sanitärer Natur erforderlich. Nur 
unter solchen Umständen ist ein erfolgreicher Kampf gegen die 
Tuberculose überhaupt, wie gegen die Drüsentuberculose insbe¬ 
sondere möglich. L—y. 


Goldberg (Petersburg): Ueber die Einwirkung des Alko¬ 
hols auf die natürliche Immunität von Tauben 
gegen Milzbrand und auf den Verlauf der Milz- 
brandinfection. 

Da in Betreff des therapeutischen Werthes des Alkohols bei 
Infectionskrankheiten Meinungsverschiedenheiten herrschen, suchte 
Verf. dieser Frage experimentell näher zu treten. Er untersuchte 
(„Centralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde und Infections¬ 
krankheiten“, Bd. 30, H. 18/19), wie die natürliche Immunität der 
Tauben gegen Milzbrand durch Alkohol beeinflußt werde, und ob 
wiederholte Einführung kleiner Dosen von Alkohol einen therapeu¬ 
tischen Effect bei der Milzbrandinfection der Tauben habe. Vor¬ 
versuche zeigten, daß Tauben Mengen bis zu 1(4 Ccm. 40°/oig en 
Branntweines ertrugen, ohne Anzeichen der Alkoholvergiftung zu 
zeigen; 3 Ccm. stellen die minimale toxische Dosis dar; Dosen bis 
zu 2*/ 2 Ccm. riefen keine locale Veränderung in der Schleimhaut 
des Verdauungstractes hervor. Die Experimente des Verf. zeigten 
nun, daß die natürliche Immunität der Tauben gegen die Milz¬ 
brandinfection durch mittlere oder große Dosen Alkohol ebenso wie 
durch chronische Alkoholvergiftung herabgesetzt wird. Bei mit 
Milzbrand inficirten Tauben konnte durch wiederholte kleine Dosen 
Alkohol kein wesentlicher therapeutischer Effect erzielt werden. 
Es muß dahingestellt bleiben, ob sich aus diesen Versuchen eine 
Nutzanwendung für die Behandlung der Infectionskrankheiten des 
Menschen ableiten läßt. Die Versuchsanordnung scheint doch wohl 
keine solche zu sein, daß sie die Frage der Verwendung des 
Alkohols am Krankenbette, die jetzt leider mehr von dem fanatischen 
Standpunkt der Antialkoholiker und Abstinenzler als vom klinischen 
Standpunkt aus discutirt wird, entscheiden könnte. Dr. S—. 


Kleine Mittheilungen. 

— Ueber das chemische Verhalten des Pyramidons. im 
Organismus berichtet M. Jaffe („v. LEYDEN-Festschrift“, -II, pag. 1). 
Wiederholt wurde im Urin von Patienten, die Pyramidon bekommen 
hatten, eine rothe Verfärbung constatirt. J. fand, daß dieser rothe 
Farbstoff Rubazonsäure ist; im Hundeharn tritt er nach Pyramidon- 
gebrauch nicht präformirt auf, sondern bildet sich erst beim 
Stehen des angesäuerten Urins an der Luft; in einem Urin der 
Königsberger med. Klinik fand J. diese Rubazonsäure als Sedi¬ 
ment. Dem Auftreten der Rubazonsäure, die zu etwa 3% des 
verabreichten Pyramidons sich im Harn vorfindet, liegt ein Ent- 
methylisirungsvorgang des Pyramidons zu Grunde, wie er im Thier¬ 
körper schon an verschiedenen anderen Beispielen (Coffein, Theo¬ 
bromin) beobachtet wurde. Die Hauptmenge des Pyramidons wird 
als Antipyrylharnstoff ausgeschieden; außerdem finden sich größere 
Mengen von Glykuronsäure. 

— Die Behandlung der Hämorrhagie bei Phthise erörtert 
v. Rück („The Journal of Tuberculosis“, 1902, Nr. 1). Nach den 
meisten Hämorrhagien ist während des ersten oder der beiden ersten 
Tage ein leichter Auswurf von Blut oder blutigem Sputum in 
zunehmenden Zwischenräumen wahrnehmbar. Wenn der Husten 
trocken ist, oder wenn ein Reiz in der Kehle und den Bronchien 
den Husten veranlaßt, oder wenn er sonst heftig oder in Anfällen 
auftritt, müssen Maßregeln zu seiner Linderung, wenn kein 
Auswurf vorhanden, zu seiner Unterdrückung ergriffen werden. 
Zu diesem Zwecke bevorzugt Verf. Heroin oder Codein, und zwar 
lieber auf hypodermischem Wege als durch den Mund. Sobald er 
befürchtet, daß Ansteckungsstoffe während der Blutung in die 
tieferen Theile der Lunge eingeathrnet worden sein können, sucht 
er deren Entfernung durch die Anwendung von Expectorantien 
(Apomorphin, Creosotal und Duotal). 

— Das Cuprum citricum bei Trachom hat v. Arlt ange¬ 
wandt („Centralbl. f. prakt. Augenheilk.“, 1902, Nr. 3). Dasselbe 
ist ein grünes, feines, sehr leichtes Pulver, von 35-2% Kupfer¬ 
gehalt. Gebraucht wird es in einer 5—10%igen Salbe, von welcher 
ein Tropfen aus einer Zinntube auf ein geknöpftes Glasstäbchen 
gedrückt und in den Bindehautsack eingelegt wird. Die Lider 
werden geschlossen, dann etwa eine halbe Minute massirt. Es ist 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 29. 


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nicht unbedingt nothwendig, das obere Lid umzustülpen. Dabei 
tritt kein oder nur ein momentaner, sehr geringer Schmerz ein. 
Die Patienten, auch Kinder, können nach der Massage die Augen 
öffnen und sofort ihre gewohnten Beschäftigungen beginnen. Das 
Verfahren muß je nach dem Falle 2 —3mal täglich ausgeführt 
werden. Die Augen dürfen erst eine Stunde nach der Einreibung 
gewaschen werden. Daß die Patienten das Mittel selbst anwenden 
können, ist nebst der Schmerzlosigkeit der große Vorzug der 
Behandlung mit Cuprum citricum. Die Wirkung auf Pannus 
trachomatosus ist überraschend. Derselbe geht in 7 —12 Tagen 
zurück. Auch die krankhaften Veränderungen der Lidbindehaut 
bessern sich oft schon nach 8 —14 Tagen. Die Secretion hört, 
wenn nicht übermäßig, allmälig auf, so daß oft schon in der 

з. Woche die Lider Morgens nicht mehr oder sehr wenig verklebt 
sind. Bei profuser Secretion ist Unterstützung durch Argentum 
citricum nöthig. Die sulzigen Körner verkleinern sich allmälig, 
die Verdickung der Lider nimmt ab u. s. w. Daß Narbenbildung 
nicht eintritt, ist bei der milden Wirkung des Cuprum citricum 
selbstverständlich. 

— Eine wirksame Behandlung der septischen Endocarditis 

beschreibt Wenckebach („Therapie der Gegenwart“, 1902). Verf. 
hat zum Zwecke dieser Therapie das Collargol versucht, das heißt 
das von CREDß zuerst empfohlene wasserlösliche Silber, und zwar 
hat er es nach Cbede’s Vorschrift intravenös angewandt in 
Lösungen 1 / 2 —1% und Mengen von 5—15 - 0. Aus der Reihe 
günstig verlaufender Fälle beschreibt er zwei geradezu typische 
ausführlich und gibt dazu die Fiebercurven. Nach längerer Dauer 
der Erkrankungen und nachdem alle Maßnahmen versagt hatten, 
wurde Collargol eingespritzt, und nach wenigen Stunden zeigte 
sich schon in der Besserung des subjectiven Befindens, dem Ein¬ 
tritt von Schlaf, Sinken der Temperatur der günstige Einfluß 
dieses innerlich direct auf das Blut wirkenden, unschädlichen 
Antisepticums. Nach einigen Injectionen trat in beiden Fällen 
völlige Heilung ein, die stets so typisch verlief, daß an einer 
Wirkung des Mittels nicht gezweifelt werden konnte. Wenckebach 
bespricht zum Schlüsse die Art der Wirkung des Mittels und 
hält es für unentschieden, ob es, wie Crede bis jetzt annimmt, 
direct baktericid auf die Körpersäfte wirkt, oder ähnlich wie andere 
colloidale Metalle anregend auf die Bildung reichlicher Mengen 
von Leukocyten und der daraus sich entwickelnden Antitoxine. 

— Einen Beitrag zur Frage der Säuglingsernährung ver¬ 
öffentlicht v. Merino („Ther. Monatsh.“, 1902, Nr. 4). Seiner 
Meinung nach ist neben dem Eiweiß der Kuhmilch bisher das 
Fett derselben zu wenig in Betracht gezogen. Die Butter der 
Milch wird schon im Magen gespalten, bei den trockenen Conserven 
droht schon außerhalb des Magens ein Ranzigwerden der Butter, 
eine Abspaltung von freier Buttersäure. Verf. suchte daher nach 
einer Kindernahrung, in welcher die Kuhbutter ausgeschlossen 
ist. Als Fette, welche keine flüchtigen Fettsäuren enthalten und 
zugleich keine Neigung zu ranziger Zersetzung aufweisen, erkannte 
er unter den thierischen Producten das Fett des Eidotters, unter 
den pflanzlichen die Caeaobutter. Außerdem kann man der Kiuder- 
nahrung noch ein solches Quantum Molken hinzufügen, daß das 
Verhältniß des Caseins zum Albumin dem in der Frauenmilch 
vorhandenen genähert wird. Dazu kommen dann weiter Mehl und 
Zucker. Das neue Kindermehl ist von einer Reihe von Klinikern 
versucht und von Zuntz exacten Stoffwechselversuchen unterzogen 
worden. Es ergab sich neben dem Ansatz von stickstoffhaltigem 
Gewebe auch ein solcher von Knochensubstanz und Nervengewebe. 

— Ueber den Einfluß der Ovariumpräparate auf den Stoff¬ 
wechsel berichten Neumann und Vas („Monatsschr. f. Geburtsh. 

и. Gynäk.“, Bd. XV). Verff. haben zum Studium der Wirkung von 
Ovariumpräparaten auf den Stoffwechsel des nicht castrirten Thieres 
annähernd im N.-Gleichgewicht befindliche Hündinnen mit excessiv 
großen Dosen verschiedener Ovariumpräparate gefüttert, und zwar 
mit den MERCK’schen, LANDAu’schen Tabletten und außerdem mit 
einem selbst aus frischen Rinderovarien zubereiteten Glycerinextract. 
Die Thiere wurden im Käfig gehalten, der Urin täglich genau 
gesammelt und — um ganz exact vorzugehen — allmorgendlich 
katheterisirt; der Koth wurde , nicht täglich gesondert, sondern 


den einzelnen Versuchsperioden entsprechend summarisch gesammelt, 
wobei die den einzelnen Perioden entsprechenden Kothmengen 
durch Verabreichung von Holzkohlenstaub genau abgesondert 
wurden. Die Fütterung der Thiere geschah täglich einmal. Die 
Bestimmung des Nitrogens in Urin, Koth und in den Nahrungs¬ 
stoffen wurde nach dem Verfahren Kjeldahl’s ausgeführt, die 
Phosphorsäure im Urin wurde mittelst Urannitrat, im Koth mittelst 
molybdänsauerem Ammoniak und Magnesiamixtur, das Calcium 
endlich sowohl in Urin, als Koth in Form von CaO bestimmt. 
Die Autoren fanden, daß die MERCK’schen Tabletten bei dem 
gesunden Thiere — auch in excessiv großen Mengen gegeben — 
keinen wesentlichen, den Organismus schädigenden Zerfall des 
Eiweißes bewirken, und daß auch der Umsatz der phosphorsauren 
und Kalksalze durch dieselben nur unwesentlich alterirt wird. 
Aus den Untersuchungen über den Einfluß der Castration auf den 
Stoffwechsel geht hervor, daß die Ausscheidung der phosphorsauren 
und der Kalksalze unter dem Einfluß der Ovariumfütterung eine 
wesentliche Erhöhung erfährt, welche auch noch in der Nach¬ 
periode zu beobachten ist. Der Stoffwechsel des Stickstoffes jedoch 
wies nur unmittelbar während der Ovariumfütterung eine schon 
nennenswerthe, wenn auch nicht wesentliche Veränderung —- 
Zerfall von Eiweiß — auf, in der Nachperiode dagegen war das 
Thier schon wieder im N-Gleichgewicht. 

— Ein Verfahren zur Analgesirung der Zähne durch 
Elektricität beschreiben L. R. RfiGNlEB und H. Didsbury („Compt. 
rend.“, 1902, Nr. 6). Mit Hilfe ü’ARSONVAL’scher Ströme und 
einer eigentümlichen Elektrode haben es die Verff. erreicht, die 
verschiedensten Operationen an den Zähnen schmerzlos auszuführen. 
Das Zahnfleisch muß vorher mit übermangansaurem Kali und 
Alkohol gründlich gereinigt werden; der Stuhl, auf welchem der 
Kranke sitzt, darf keine metallischen Tu eile enthalten ; die Strom¬ 
intensität wechselt zwischen 150—300 M.-A. Nicht periostitisch 
afficirte, einwurzelige Zähne werden bei Anwendung der eben 
erwähnten Stromstärke binnen 3—5 Minuten vollkommen analgesirt; 
bei mehr wurzeligen Zähnen ist eine Stromstärke von 250—300 M.-A. 
und eine Zeitdauer von 5—8 Minuten nothwendig. Bei periostitisch 
afficirten Zähnen schwindet die Empfindlichkeit nicht vollstän dig. 


Literarische Anzeigen. 


Sehprobentafeln zur Bestimmung der Sehschärfe für 
die Ferne. Für die Zwecke der Praxis und mit besonderer 
Berücksichtigung der Bedürfnisse der ärztlichen Gutachterthätig- 
keit herausgegeben von Dr. V. Ammon, k. Oberarzt und Augen¬ 
arzt in München. Erläuternder Text. Hiezu 6 lithographirte 
Tafeln. München 1901, J. F. Leh m a nn’s Verlag. 

Der Zweck der Construction der vorliegenden Sehprobentafeln 
ist nicht dem Bedürfnisse entsprungen, Abänderungen an den bereits 
bestehenden Sehprobentafeln vorzunehmen, sondern dem Umstande, 
daß es bei Verdacht auf bestehende Simulation, beziehungsweise 
Aggravation wünschenswerth ist, eine größere Zusammenstellung 
von Prüfungsmitteln zu besitzen. Die Vortheile, welche diese Tafeln 
bieten, wobei jedoch bemerkt werden muß, daß zumeist bereits 
bekannte Ideen wieder verwendet werden, sind folgende: 

1. Es sind auch einige Reihen von Probebuchstaben ange¬ 
bracht, welche wegen ihrer Kleinheit in der für Sehprüfungen ge¬ 
wöhnlich angewandten Entfernung von 5 oder 6 Metern von dem 
mit gut^r Sehschärfe ausgestatteten Auge nicht mehr erkannt 
werden können. Ein Simulant oder Aggraveur ist gewöhnlich der 
Ansicht, daß er die letzte oder vorletzte Tafel nicht mehr lesen 
darf, hält daher vorher bereits mit dem Lesen inne. Bei diesen 
Tafeln jedoch entfällt für den Simulanten die Beurtheilung, wo er 
aufhören soll; daher glaubt er nicht nothwendig zu haben, so 
stark zu übertreiben, und liest eventuell noch eine Zeile, welche ein 
Auge von mittlerer normaler Sehschärfe lesen sollte. 

2. Es sind je 2 Tafeln vorhanden, welche auf gleichen Zeilen 
immer kleiner werdende Buchstaben enthalten. Während auf der 
ersten Tafel der größte Buchstabe auf 60 Meter, der folgende auf 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 29. 


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36 Meter, respective 24 Meter, 18 Meter, 15 Meter etc. gelesen 
werden soll, soll bei den correspondirenden, mit etwas kleineren 
Buchstaben beschriebenen Tafeln der größte Buchstabe auf 56 Meter, 
respective 34 Meter, 22 Meter, 16 Meter, 12 Meter gelesen werden. 
Ist man bei einem Pat. über seine Angaben nicht klar, so wechselt 
man die Tafel 1 mit der Tafel 2. Da der Unterschied nicht groß 
ist und sonst die Tafeln vollkommen ähnlich sind, wird der Pat. 
den Unterschied nicht merken und daher — Aggravation voraus¬ 
gesetzt — noch ebenso viele Zeilen lesen als früher. Hatte er früher 
ß = 6 / i5 , so liest er jetzt die entsprechende Zeile mit gleichen 
Buchstaben, hat also S = 0 / 12 . Die Idee zu diesen Tafeln wurde 
bereits früher von Kröger angegeben, dem somit die Priorität 
gebührt. 

3. Zwei Sehprobentafeln in Spiegelschrift, welche sich nicht 
nur bei Simulanten gut verwenden lassen, sondern auch dann, 
wenn aus räumlichen Rücksichten auf die Vornahme einer Prüfung 
aus 5—6 Meter Distanz verzichtet werden müßte. 

Den Sehprobentafeln liegt ein ausführlicher Text bei, welcher 
in klarer Weise die Anwendungsweise der Tafeln erläutert. 

BONDI-Iglau. 


Leitfaden für den Unterricht in der Kranken- und 
Wochenpflege. Von Dr. med. Bruno Bosse. Leipzig 1901 , 
S. H i rz e 1. 

Das vorliegende Buch aus der königlichen Universitäts- 
Frauenklinik zu Königsberg hervorgegangen — soll in erster 
Linie als Hilfsmittel für die Heranbildung von Kranken- und 
Wochenbettspflegerinnen dienen. Ein Capitel über die an eine 
Pflegerin gestellten Anforderungen leitet das Werkchen ein; dann 
werden die allgemeine und die besondere Krankenpflege, die Ana¬ 
tomie und Physiologie des menschlichen Körpers, die Anatomie 
und Physiologie der weiblichen Geschlechtsorgane und die Pflege 
der Wöchnerin und ihres Kindes, sowie die Erkrankungen beider 
abgehandelt. Ein kurzer Abriß über die Pflichten einer gynäkolo¬ 
gischen Wärterin, sowie ein Freindwörterverzeiohniß über dfö : 
wichtigsten, heute noch kaum im Verkehr mit Patienten und Pfle¬ 
gerin vermeidbaren Termini beschließen den Leitfaden, der mit 
143 in6tructiven Abbildungen versehen ist. Wenn auch überall 
geeigneten Ortes die Benachrichtigung des Arztes betont ist, so 
vermeidet das Buch doch stellenweise nicht den Fehler, zu viel in 
das eigentlich Medicinische einzugeben, wodurch die ohnehin schon 
bei den Hebammen grassirende „ärztliche Halbbildung“ gefördert 


Feuilleton. 


Lebensbilder aus balbvergangener Zeit. 

III. 

Johann David Ruland und seine Dreckapotheke. 

Von Dr. St. V. Vamossy in Preßburg. 

Im Actionalprotokoll der königl. Freistadt Preßburg finden 
wir am Anfänge des XVII. Jahrhunderts Dr. Johann David Roland 
als Stadtphysicus verzeichnet. Sein berühmtes Buch: Pharma- 
copoeanuova, in qua repositasuntstercoraeturinae, 
Ta eÜTCÖpuja. Pro Omnibus totius corporis morbis in- 
ternis et externis per f acil e ac o p t i m e c ura nd i s. J a m 
primum edita pro pauperibus, Militantibus et Omni¬ 
bus, quibus in Militia, Itineribus venationibus 
Rure, solitudine vel alibi alia medicamenta non 
suppetunt. Lentschoriae, Anno 164 4. Sumptibus 
Auctoris, ist außerordentlich schwer zugänglich; weder die k. k. 
Hofbibliothek, noch die k. k. Universitätsbibliothek in Wien sind im 
Besitze des Werkes. Das von mir benutzte Exemplar ist Eigen- 
thura der Bibliothek des k. ung. Nationalmuseums. Das British 
Museum soll eine Ausgabe besitzen, welche in Nürnberg 
(Norimbergae, 1644) gedruckt ist. 


wird. Die Neuauflagen des sonst trefflichen Leitfadens werden hier 
sicher Wandel schaffen. Fischer. 

Grundriß der Arzneiverordnungslehre mit besonderer 
Berücksichtigung der Arzneidispensirkunde für Studirende und 
selbstdispensirende Aerzte. Von Prof. A. Jaquet. Basel 1902, 
Benno Schwalbe. 

Das vorliegende Werk trägt den speciellen Verhältnissen der 
Schweiz Rechnung, in deren Cantonen den Aerzten zumeist das 
Recht freisteht, eine Hausapotheke zu führen; es ist im Verlaufe 
von praktischen Cursen entstanden und daher auch den Bedürf- ' l 
nissen der Praxis strenge und in wohlerwogener Weise angepaßt. 

In 3 Theilen, der „Allgemeinen Verordnungslehre“, „Dispensir- 
kunde“ und einem „Anhang“ gruppirt sich der gesammte Stoff, 
der das Recept, Gewichte und Maße, die officiellen Arzneiformen, 
Corrigentien, Arzneimischungen, unzweckmäßige Verordnungen (auf 
welche besonders verwiesen sei), Applicationswege, Zeit und Dauer 
der Arzneiapplication, ökonomische Verordnungsweise, pharmaceutische 
Manipulationen, Dispensation, Recepturerleichterungen, die Einrichtung 
einer Hausapotheke und schließlich die verschiedenen Tabellen 
umfaßt. p. 

Die pathologisch-histologischen Untersuchungsme¬ 
thoden. Von Dr. G. Schmorl. Zweite, neu bearbeitete Auflage. 
Leipzig 1901, F. C. W. Vogel. 

Schmorl’s „Technik“ hat sich gleich nach ihrem Erscheinen 
einen großen Freundeskreis erworben, da sie eine ganz vorzügliche, 
ziemlich vollständige Darstellung der verschiedenen, in der patho¬ 
logischen Histologie zur Anwendung gelangenden Untersuchungs¬ 
methoden enthielt. In kurzer Zeit wurde daher eine Neuauflage 
nothwendig, von der das eben Gesagte, wenn möglich, in noch 
höherem Grade gilt. Einzelne Capitel, wie z. B. über den Nachweis 
von Fett, Parasiten u. a. m. wurden vollkommen umgearbeitet, 
andere wesentlich erweitert und hiebei sogar die neuesten Mit- 
theilungeD aus der Literatur bereits verwerthet. Hiedurch kam es 
auch zu einer Vermehrung des Umfanges des Büchleins, in der 
wir aber sicher keinen Nachtheil desselben erblicken können. Die 
Anordnung des Materiales und Auswahl der verschiedenen Methoden 
kann im Großen und Ganzen als sehr praktisch bezeichnet werden. 
Auf Einzelheiten soll hier nicht weiter eingegangen werden, nur ist 
Ref. verwundert, daß Schmorl noch immer das reine Formalin oder 
MüLLER-Formalinmischungen mit sehr starkem Formolgehalt für die 
histologische Technik empfiehlt. Dr. S—. 


Diese originellste aller Pharmakopoen halte ich nicht nur 
in medicinischer, sondern auch in culturhistorischer Beziehung für 
so hochinteressant, daß es lohnend erscheint, dieselbe in Form 
eines kurzen Auszuges größeren ärztlichen Kreisen bekannt zu 
machen. 

Zuvor aber einige biographische Daten über unseren Autor! 
Johann David Ruland wurde 1585 in Regensburg geboren. Er 
entstammt einer berühmten Aerztefamilie. Sein Großvater Martin 
Ruland (senior), in Freisingen 1532 geboren, war praktischer, 
zugleich pfälzischer Hofarzt in Laningen (-f 1602) und erfand 
die Tartarus emeticus enthaltend lange berühmte Aqua bene- 
dicta. Er schrieb eine Art ärztliches „Vademecum“, welches unter 

dem Titel: Observationum medicinalium centuria etc.Accessit 

D. Martini Rulandi sen. Thesaurus medicus, continens aurea 
medicamenta, pro omni aetate et sexu, contra omnes morbos etc. 
Francofurti 1691, von Carl Rayger sen. publicirt wurde. Das 
Manuscript des Werkchens befindet sich im Besitze der Bibliothek 
der hiesigen evangelischen Kirchengemeinde A. C.; es ist ein 
Büchlein von circa 124 länglichen, unnumerirten Duodezseiten, 
und ist, wie es aus der auf Seite 6 befindlichen Aufzeichnung 
hervorgeht, dem Vater unseres Joh. Dav. Ruland, Martin R. 
junior gewidmet. Dort heißt es nämlich: Ego Martinus Rulandus 
senior, ... anno 60... descripsi clarissimo meo filio Martino 
Ruland anno Redemptoris mei 1593, mene octobris. In Form eines 
Recepttaschenbuches wird die medicamentöse Behandlung der ver¬ 
schiedensten Krankheiten besprochen. Als Promemoria werden die 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 29. 


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Eigenschaften eines guten und tüchtigen Arztes geschildert und 
allgemeine therapeutische Regeln gegeben. Von den letzteren will 
ich nur folgende, auch heute noch gütige hervorheben: Cura 
omnes per simplicia experta, si non juvant, refuge ad composita 
leniora , ab his ad fortiora. Ante orania cura per diaetam, inde- 
vansi ad simplicia, ab his ad composita, ut dictum. Cum collegis 
tuis pacifice et caute vitras Pauperibus semper benefacita, quia et 
Deus tibi et benefaciet et benedicet. 

Martin R. senior meidet in seiner Therapie den Aderlaß; 
umso größeren Gebrauch macht er von den Purgantien. Syphi¬ 
litische Geschwüre werden mit einer Flüssigkeit behandelt, deren 
Hauptbestandtheil Sublimat ist. Bei constitutioneller Syphilis finden 
Schwitzcuren Anwendung. Eine therapeutische Rolle spielen aber 
auch die Stercora, so: Hernia . . . sanatur stercore vaccius in Wein 
gesotten. Sanguis humanus, draconis, hireini, sanorum etc. kommen 
in vielen Recpten vor (Organotherapie? Serumtherapie?). 

Martin R. senior hinterließ fünf Söhne: Martin junior, 
Andreas, Ioannes, Valentin, Otto-Heinrich. Sämmtliche sind 
Aerzte (Doctores) geworden. Sein ältester Sohn, Martin junior, 
ist der Vater unseres Joh. David R., einer der berühmtesten Aerzte 
des XVII. Jahrhunderts. Zuerst praktischer Arzt in Regensburg, 
später Leibarzt Kaiser Rudolf II. in Prag, schrieb er: De morbo 
Ungarico, Lipsiae 1610. Das Werk behandelt den (Fleck-)Typhus 
und ist in mehreren Auflagen (1600 Francofurti unter dem Titel: 
De perniciosae luis ungaricae ecurarsi et curatione practicans, 
und 1651 Martini: Tractatus de morbo ungaris etc.) erschienen. 
Interessant ist es, daß Martin R. unter den ätiologischen Factoren 
des „Typhus“ auch das schlechte Trinkwasscr anführt. Auf 
pag. 585 seines erwähnten Buches heißt es nämlich: Et asserunt 
se meminisse multos superioris conditionis homines annum 1594 ex 
non vitiosorum aquarura hoc febre correptos et maximam 
partem ex eadem periisse. 

Johann David Ruland studirte und erwarb den Doctorhut 
in Wittenberg. Mit 25 Jahren, 1610, wählte man ihn zum Stadt- 
physicus in Preßburg. 1622 von Kaiser Ferdinand II. geadelt, 
starb er 1648. Sein Epitaph im Friedhofe der Preßburger evan^. 
gelischen Kirchengemeinde A. C., von ihm selbst verfaßt, lautete : 

Vides Viator 
Ioannis Rulandi 
Medici felicissimi 

Ex nobilissima hoc prosopia Quarti 
Hic 8epositum 
Quicquid mortale fuit 
Sed immortales animi doles 
Ilacc lapidis angustia non cepit 
Vixit annos LXIII. 

Obiit XVI. Kal. Novembris 
MDCXXXXVIII 

Devici mortem, dum dixi pharmaea dando 
Nec iam succumbo, mors mihi nomine salus. 

In seiner „Pharmacopoea nova“ sammelt R. aus den Werken 
Aelianus, Aetids, Apülejus, Avicenna, Dioscorides, Galenus, 
Pliniüs Valebianus, Plinius secundus, Theophrastus Para¬ 
celsus etc. Alles, was sich auf die Heilkraft des thierischen 
Kothes und Urines bezieht, und ordnet das vorhandene Material 
nach einem zoologischen System. Seine Vorrede beweist, daß er 
von der Wichtigkeit der Stercora und Urina in der Therapie 
überzeugt war. Im Uebrigen ist R. im Gegensätze zu seinem Gro߬ 
vater und Vater, die der Galenischen Schule angehören, Paracelsist 
und steht infolgedessen im Banne der Arcana und Entia. 

Es frägt sich, ob die Dreckapotheke endgiltig abgethan ist? 
Im Zeitalter der Organo-, Hämo- und Serumtherapie wird die 
Antwort zumindest vorsichtig ausfallen müssen. 

Und nun will ich über Ruland’s Pharmacopoe capitelweise 
referiren. Die Mittheilung einiger Präscriptionen soll das Referat 
beleben. 

Theca I. De hominis stercore. Ad gutturis mala. Ad 
gutturis passiones valet stercus pueri mixtum hordeo et semine lini 
(Ottho Brunfelsius). Contra apostema colli sive gulae). 
In iis, qui jam suffocantur, stercus hominis liga vi sano et 


combure et da biberc (Galenus). Ad anginam. Stercore humano 
anginae commodissime illinuntur (Dioscorides). Emplastrum matu- 
rans: Stercus infantis, similiter fimus humanus cum melle confectus, 
squinantiam curat (Brunfelsius). Ad vulnera. Humanum stercus 
illitum vulnera inflammationem minantia intumeäcere non patitur, 
sed ex statim glutinat (Dioscorides). Stercus humanum in vulnera 
positum prohibet tumores (Idem). Martinus Lutherus inquit: Pro- 
fecto mich wundert, daß Gott so hohe Artzney in den Dreck 
gestecket hat. Nimirum humanum stercus corporis vulnera sanare 
(Haec certo constant). Ad extrahendum ferrum vel lignum 
e vulneribus. Rp. Stercus hominis pulveratum, pone in nostrum 
coelum, et extrahetur quinta essentia quae iraposita vulneribus mox 
extrahit ferrum vel lignum (Theophrastus Paracelsus). A d 
genitalia. In cura apostematis Genitalis valet stercus hominis 
tritum cum ruta (Brunfelsius). Ad febrem quartanam. Stercus 
hominis siccum, datum cum melle vel vino, prohibet accessum 
febris quartanae (Apülejus). Ad febr es o m nes. Stercus hominis 
siccatum cum melle vel vino bibitum ante accessiones curat febres 
(Avicenna). Ad icterum. Stercus hominis siccatum melle mixtum 
et in vino potum valet contra icterum et febres (Joann de Cuba). 
Ad haemorrhoidas, ficos. Stercus patientis dejectum misce 
cum oleo de vitellis ovorura et applica supra ficos, mariscas, haemor¬ 
rhoidas et sanabis (Theophrastus Paracelsus). Contra venena. 
Perhibent Barbariae venatores Pantheras carnibus aconiti veneno 
delibutis (quod ob id Pardalianchen vocant) inescari: quibus degu- 
statis, nisi hominis stercus ederint, serpente strangulantur et moriuntur. 
Nam illis effic ex est Alexipharmacum. Authores sunt Theo- 
phrastus, Cicero, Plutarchus, Plinius, Aelianus, Anton 
Mizaldus, Secretum in omni Scabie Rp. Aq. destillat. 
Stercoris humani lavetur locus (Experiment, certum Stockeri ct 
Andreae Rulandi). Stercorum humanorum et aliorum 
animalium facultates: Stercus hominis alidrumque ani- 
malium calefacit, siccat, attrahit, discutit, consumit (Galenus, 
Serapio). 

Theca II. De hominis urina. Ad oculorum lachrymas. 
Una -gutta urinae patientis potentor sanat lachrymas oculorum 
(Brunfelsius). Ad oculorum cicatrices, argema, cali- 
ginem Pueri impubis urina decocta in aereo vase cum melle 
emendat, Cicatrices, Argema et caliginea oculorum (Dioscorides). 
Ad clarificandoB oculos et Visum: Urina propria mane 
oculi8 imposita antequam surgis ad horas 2, et circa introitum 
lecti, valde clarificat visum (Anonymus). Ad oculos exulce- 
ratos: Valet urina hominis illita cocta cum melle in vase aeneo 
(Avicenna). Ad febres. Bibere urinam propriam curat febres 
phlegmaticus et per hanc multi sunt curati (Anonymus). A d 
febrem quartanam. Urina pueri illimintur prirai digiti in 
manibu8 et pedibus (Plinius Vater). Ad hydropem: Urina pro¬ 
pria bibita valet (Ex thesauro pauperum). Ad scabiem pru- 
ritum, serpiginem. Urina hominis illita haec sanat (Avicenna). 
Ad elephantiasin et lepram faciei valet urina pueri 
impubis et sani (Idem). Ad aurium parotidas valet impubium 
puerorum urina decocta ad dimidias partes cum porto copitato 
novo fictili (Plinius secundus). Ad unes purulentas. Urina 
calida pueri auribus infusa valet (ex thesauro pauperum). A d 
icteritiam. Urina patientis cum succo marrubii bibita curat 
icteritiam (Brunfelsius). Ad pestilentiam. Dum pestis grassa- 
retur in Syria multi ut xedit Galenus, epota pueri Urina liberati 
sunt (Anton Mizaldus). Ad idem D. Cbristophorüs Landrinus 
inn seiner Haussartzney sagt: Du solt mir gäntzlich glauben 
günstiger Leser, daß für die schröckliche Pestilentz kein trefflicher 
Schatz auf der Welt nicht gefunden wird als eines jungen Knabens 
Harn der gesund ist, getruncken, wann sie einen hat angestossen, 
welches ich meinen großen ehren wol weiß. Ad venena, et 
contra morsus venenatos, ut Viperae, Scorpii, Dra- 
couis etc. urinam humanam suami cuique bibere contra viperae 
sudosus ac venena proderit (Dioscorides, Avicenna). Ad pari um 
fluxum sanguinis. Urina hominis cum cinere vitis emplastrata 
sanguinis fluxum retinet (Plinius secundus). Ad difficilem 
respirationem Pueri impubis urina resorpta et bibita auxiliatur 
orthopnoicis (Dioscorides). Ad podagram. Valet urina hominis 


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patientis, vel alterius hominis valde senis, in qaa urina calefacta 
intingatur laneus albus non coloratus et loro dolenti calidus appli- 
cetur (Brünfelsius). Ad mortis probationem. Probatio 
mortis ex urina an mulier aegrota morietur vel reralescet. Accipo 
ipsius haec et de hoc unam alteramve guttam impone in ejus urinam. 
Si dissolvetur hoc in urina convalescet aegra, si manet indisso- 
lubile, morietur (Experimentum certum Rulandi). Ad tormina 
et dolores post partum. Urina cum ligustrino oleo fervefacta 
imponenda (Ex thesauro pauperura). 

Theca III. De stercore vaccae, bovis, tauri. Ad aposte- 
mata dura. Bovis armentarii firaum ex aceto illitum durities 
disentit (Dioscorides). Contra colicam. Stercus vaccinum cum 
oleo vel butyro in forma emplastri bene calidum appositum valet 
mirabiliter in colica (Stockerus). Ad parotidas et scro- 
phulas. Stercus bovis coque in aceto et oppone (Galenus). Ad 
scrophulas et tumores du ros. Mysius Medicus medica- 
raentorum perit ad Tumorem, omnes scirrhosos adhibebat stercus 
vaccae ex aceto in Cataplasmatis formam compositam imponens 
(Galends). Et, fimus tauri Tumores duros solvit (Aksculapius). 
Ad herniam, vamicem. Stercus vaccinum vino coctum empla- 
stretur mane et vesperi supra Herniam. Et hoc quidem ex toto 
removimus omnem herniam (Ruland). Ad hydropem, ascitem 
Anasarcam, Tympaniten. Doctor Bartholomaeus a Reckingen, 
Caesaris Maximiliani II. Medicus scripsit de stercore vaccino sic: 
So einem der Leib geschwüllt, zwischen dem Magen und Herz¬ 
grube, so heißt die Krankheit Tympanites etc. Diesem hilfft also: 
Rp. radicis Ireos etc. et addatar Stercoris vaccae juveneae. 
Fiat ex his emplastrum quod ponatur et relinquatur supra Hepar 
per 4. vel 5. dies. Aluid ad hydropem: Stercus bubuli recens 
cum aceto Cataplasmatis (Plinius Vater). Stercus borillum aridum 
arbustum tribus cochlearius Hydropicum juvat (Galenus). Ad 
ignem sacrum, Erysipelas, inflammationes, tumores 
et Dolores calidos. Stercus vaccinum recens cum tertia parte 
olei rosacei mixtum et applicatum mane ac vesperi imtigat et 
anfert omnia ista mala (Ruland). Ad podagricum. Bubuli 
fimus recens cum creta argentaria ex aceto coctus et articulia doHs 
dolentibus illitus dolorem sedat (Plinius Vater). Ad Phthisin. 
Stercus vaccinum est ex his, quae medentur pulmoni et phthisi 
et similibu8 (Avicenna). Ad serpentinum morsus. Fimus 
pecudis recens vino decoctus imponitur (Plinius Vater). A d 
parium fluxum sanguinis. Juvat stercus bonem siccatum et 
insufflatura (Brunfelpius). Ad virgae erectionem. Cum 
stercore bovis vel Tauri recenti unge pudendum (Galenus). 

(Schluß folgt.) 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

20. Congreß für innere Medicin. 

Gehalten zu Wiesbaden 15.—18. April 1902. 

(Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) 

IX. 

Fraenkel (Badenweiler): Ueber die cumulative Wirkung der 
Digitali8körper. 

Diesbezügliche Versuche hat Fr, im pharmakologischen In¬ 
stitut in Heidelberg angestellt. Es ist ihm gelungen, an Katzen, die 
sonst gesund geblieben sind, mit den verschiedensten reinen Präparaten 
eine durch Wochen dauernde Digitalis Wirkung zu unterhalten, welche 
sich durch eclatante Vergleichung der palpabeln Herzaction und 
durch Verlangsamung der graphisch registrirbaren Palsfrequenz 
kundgibt. Andererseits konnte Fr. , wenn er mit den Dosen, die 
täglich einverleibt wurden, etwas höher ging, anfängliche einfache, 
therapeutische Wirkung erzielen, die aber schließlich toxisch wurde 
und zur Cumulation führte. Das gilt für alle Digitalispräparate. Am 
meisten cumulirende Eigenschaften hat Digitoxin, das für längeren 
täglichen Gebrauch daher am wenigsten empfehlenswert ist. 
Digitalinum verum dagegen wird rascher ausgeschieden und könnte 
eher für fortgesetzte Anwendung bei geeigneten Fällen in Frage 


kommen. Die Strophantine sind flüchtiger in der Wirkung als die 
Digitalisbestandtheile. Ein neues von Prof. Thoms (Berlin) dar¬ 
gestelltes Strophantinpräparat ist besonders nachhaltig und wirksam. 
Von Gewöhnungserscheinungen wurde wenigstens in der Zeit von 
einigen Wochen bei keinem Präparat etwas beobachtet. 

Schott (Nauheim): Usber Blutdruck bei acuter Ueberanstren- 
gung des Herzens. 

Redner hat, um mit dem GÄRTNER’schen Tonometer Blutdruck¬ 
untersuchungen anzustellen, seine früheren Experimente wieder aufge- 
noramen, nämlich mit Hilfe von körperlichen Ueberanstrengungen b(ji 
gesunden kräftigen Männern acute Herzdilatationen hervorzurufen. 
S. bewerkstelligte dies dadurch, daß er Personen so lange miteinander 
ringen ließ, bis sie kurzathmig wurden. So lange das Ringen einer 
einfachen Muskelaction gleichkam, d. h. so lange Puls und Athmung 
nur mäßig beschleunigt wurden, zeigte der Tonometer eine Blut¬ 
druckerhöhung. Ganz anders aber, sobald Kurzathmigkeit und starke 
Tachycardie oder sogar Arhythmie mit Herzausdehnung eintraten. 
Hier entstand sofort eine recht bedeutende Blutdruckerniedrigung, 
welche bis zu 20 — 30 und mehr Mm. Hg betrug. Solche Blutdruck¬ 
erniedrigungen vergehen bei gesunden Individuen in der Regel 
sehr bald, sie können aber auch manchmal viele Stunden anhalten. 
Diese Experimente werfen zugleich ein Licht auf das Zustande¬ 
kommen der chronischen Herzüberanstrengungen, welche sich in 
jüngster Zeit ganz besonders durch den übermäßigen Sport häufen. 

UolTmann (Düsseldorf) hält den Eintritt einer anfänglichen Verklei¬ 
nerung für unwahrscheinlich. Die Ueberdehnung de3 Herzens werde wohl durch 
die verstärkte Action vorgetäuscht. Arhythmie beweist keine Dilatation. Die 
Erweiterung des Herzens ist kein physiologischer, sondern ein pathologischer 
Zustand, der nicht schnell wieder schwinden kann. 

Schott hält die Schlußfolgerungen auf Grund von Roentgenbildern nicht 
für einwandsfrei. 

Hornung (Schloß Marbach): Vorzüge und Fehler der Ortho¬ 
diagraphie und der Frictionsmethode bei Bestimmung der 
Herzgrenzen. 

Vortr. erklärt die Orthodiagraphie für unzuverlässig und unzu¬ 
länglich , dagegen liefere die Frictionsmethode objectiv sichere 
Resultate, denen gegenüber einige Mängel nicht in Betracht kämen. 

Grote (Nauheim) warnt dagegen vor den Täuschungen, welche sich bei 
Anwendung dieser Methode oft ergeben. 

Rothschild (Soden): Oie Function der ersten Rippe. 

Die erste Rippe dient der Bewegung des Manubrium sterni. 
Die Verknöcherung der ersten Rippe hat keinen Einfluß auf die 
Raumverhältnisse des oberen Thorax, diese werden durch die Be¬ 
weglichkeit des Sternalwinkels bestimmt. Die SCBMORL’sche Furche 
ist Folge emphysematischer Aufblähung der zwischen den Rippen 
liegenden Lungentheile, kein Ergebniß eines von der ersten Rippe 
auf die normalgroße Lunge ausgeübten Druckes. Die pathologischen 
Gelenkbildungen an der ersten Rippe stellen keine Selbstheilungen 
dar, sind vielmehr Folge der vorher stattgehabten Verknöcherungen 
der Manubriumcorpu8verbindung. Die chirurgische Trennung der 
ersten Rippe vom Sternum ist eine irrationelle Operation. In Frage 
kämen nur die Trennung des Corpus vom Manubrium sterni. 

Rohden (Bad Lippspringe): Die Bedeutung der Kieselsäure im 
menschlichen Organismus und ihre Beziehungen zum Lun¬ 
gengewebe. 

Ohne die an Kieselsäure gebundenen Mineralien sind die 
stickstoffhaltigen Leimsubstanzen und Eiweißstoffe der Gewebe und 
des Blutes dem Zerfalle preisgegeben, werden zersetzt und gehen 
in Fäulniß über. Die Kieselsäure ist gleichsam der Mörtel, welcher 
die verschiedenen Mineralien als Mauersteine des Zellsystems vor 
dem Auseinanderfallen bewahrt. Die Wichtigkeit der Kieselsäure 
im Haushalte des Körpers und ihre Fähigkeit, die Membranen und 
das elastische Fasergewebe haltbarer und derber zu machen, zwingt 
zu der Maßnahme, die Kieselsäure therapeutisch zu verwerthen, 
insbesondere nm dem elastischen Lungengewebe eine größere Festig¬ 
keit und Widerstandskraft gegen Zerfallsprocosse zu geben. Die 
Kieselsäure ist zumal in Verbindung mit anderen Mineralgrund¬ 
stoffen, in assimilirbarer neutralisirter Form einverleibt, geeignet, 
Eiterungs- und phthisische Processc günstig zu beeinflussen, die 


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Progredienz durch festere Narben und derbere Kapselbildung zu 
beschränken, die Zerfallsphthise in eine fibröse Phthise zu ver¬ 
wandeln. Während alle fluor- und laugenhaltigen Kieselsäure¬ 
verbindungen giftig wirken , ist das Natrium silicicum purissimum 
(Merck) als laugen- und fluorfreies Präparat selbst bei langem 
Gebrauche unschädlich. Eine empfehlenswerthe Verbindung ist die 
neutralisirte kohlensäurehaltige Mischung des Silicium mit dem sehr 
diuretisch wirkenden alkalischen Lippspringer Kalkstahlbrunnen. 

v. Criegern (Leipzig): Ueber eine gewerbliche Vergiftung bei 
der Rauchwaarenfärbung mit Paraphenylendiaminpräparaten, 
welche unter dem klinischen Bilde eines Bronchialasthmas 
verläuft. 

Die Vergiftung verläuft in Etappen: Entzündung der äußeren 
Haut, der oberen Luftwege, endlich der tieferen. Die letzte ähnelt 
vollständig dem von selbst enstandenen Asthma bronchiale; perio¬ 
dische Anfälle von Athemnoth, auf Krampf der Bronchialmuscuratur 
zu beziehen, und gleichzeitige Entleerung des typischen Sputums 
mit LEYDEN-CHARCOT’schen Krystallen, CuRSCHMANN-UNGER’schen 
Spiralen und eosinophilen Zellen. Während der Zeit der Vergiftung 
sind auffallender Weise keine Erscheinungen seitens des Nerven¬ 
systems oder der Niere zu beobachten, so daß wohl der ganze 
Proceß als eine etufenföimig fortschreitende Erkrankung der Ober¬ 
fläche anzuschen ist. Eine gewisse Disposition scheint erforderlich. 
Der Vortr. schätzt die Anzahl der Befallenen auf ein Drittel der 
in Betracht kommenden Arbeiter. Indeß wird die ursprüngliche 
Immunität oft genug bei längerer Beschäftigung verloren. Eine 
Angewöhnung bei einmal Erkrankten wurde nicht beobachtet, da¬ 
gegen eine Steigerung der Empfindlichkeit fiir das Gift. 

Bickel (Göttingen): Experimentelle Untersuchungen über den 
Einfluß der Nierenausschaltung auf die elektrische Leit¬ 
fähigkeit des Blutes. 

Der Werth der elektrischen Leitfähigkeit einer Flüssigkeit 
zeigt den Gebalt des betreffenden Lösung an Salzen , Säuren und 
Basen an; der Gefrierpunkt einer Lösung gibt den Gehalt an ge¬ 
lösten Molecülen überhaupt an. Durch Bestimmung der Leitfähig¬ 
keit und des Gefrierpunktes des Blutserums vor und nach der 
Nierenexstirpation wurde durch Thierversuch festgestellt, daß durch 
die Nierenexstirpation der Salz , Säure- und Basengehalt des Serums 
nicht wesentlich verändert wird, während die Gesammtconcentration 
des Serums jedesmal eine beträchtliche Steigerung erfährt. Es kann 
sich also bei den retinirten Molecülen vornehmlich nur um orga¬ 
nische Stoffwcchselabbauproducte handeln. 


Notizen. 

Wien, 19. Juli 1902. 

(Krankencassen-Apotheken.) Eine Frage von prin- 
cipieller Wichtigkeit ist vor wenigen Tagen vom Verwaltungs¬ 
gerichtshofe entschieden worden. Es hatte sich darum gehandelt, 
ob es den Unfallversicherungs-Anstalten und den Krankencassen 
gestattet sei, eigene Apotheken zu errichten. Die Leitung der 
Bezirkskrankencassen in Graz war um die Errichtung einer solchen 
Apotheke bei der Grazer Statthalterei eingeschritten und hatte 
gegen die Entscheidung derselben, daß die Statthalterei dem Ver-' 
bande eine neue Apotheke ebensowenig bewilligen könne wie einem 
Apotheker, weil derselben nur die Entscheidung darüber zustehe, 
ob irgendwo ein neues Gewerbe errichtet werden solle, sowie gegen 
die Minislerialentscheidung, daß dem (Angebrachten Recurse keine 
Folge gegeben werden könne, weil dem genannten Verbände ein 
Recht zur Errichtung von Apotheken nicht zustehe, die Beschwerde 
an den Verwaltungsgerichtshof erhoben. Dieser hob die Entschei¬ 
dung des Ministeriums als nicht begründet auf und fällte hiebei 
folgende principielle Entscheidung: „Sowohl die Beschwerde als 
die Regierung weisen auf den § 39 des Krankenversicherungs¬ 
gesetzes hin, welcher neben obligatorischen Pflichten die Anlage 
und den Betrieb von Heilanstalten und Apotheken anführt. Es sei 
nicht, richtig, wenn die Behörde hiebei nur die Nützlichkeit solcher 
Anlagen und Betriebe nach den älteren Normen annehme. Errich¬ 


tung und Anlage seien als gleichwertig zu betrachten. Das Gesetz 
spreche nicht von öffentlichen und nicht von Hausapotheken, sondern 
von gemeinsamen Apotheken, und man müsse demnach annehmen, 
daß es eine neue Kategorie von Apotheken schaffen wollte. Da es 
sich um eine principielle Entscheidung handle, so könne diesbezüg 
lieh das facultativo Recht, solche Apotheken zu errichten und zu 
betreiben, nicht abgesprochen werden, ohne daß hiedurch den Be¬ 
hörden bezüglich der Entscheidung in den einzelnen Fällen vorge¬ 
griffen werden soll. 

(Universitätsnachrichten.) Der Wiener Hygieniker 
Professor Dr. Max Gruber hat eine Berufung an die Universität 
nach München erhalten und angenommen. — Hofrath Professor 
Dr. Rollet ist zum Rector magnificus der Universität in Graz 
gewählt, der Vorstand des physiologisch-chemischen Laboratoriums 
in Lausanne Dr. Kasimir Strzyzowski zum Extraordinarius für 
physiologische Chemie ernannt, der Professor der Psychiatrie zu 
Freiburg i. B. Dr. Hermann Emminghaus auf sein Ansuchen in 
den Ruhestand versetzt worden. — Der Director des anatomischen 
Institutes in München Professor Dr. v. Kupffer tritt am Ende 
des laufenden Sommersemesters in den Ruhestand. Sein Nachfolger 
wird Professor Bonnet in Greifswald werden. 

(Habilitationen.) Dr. Arnold Durig hat sich als Privat- 
docent für Physiologie, Dr. Heinrich Winterberg als Privatdocent 
für allgemeine und experimentelle Pathologie an der rnedieinischen 
Facultät der Universität in Wien habilitirt. 

(Personalien.) Der Badearzt in Gräfenberg Dr. Eduard 
Emmel hat den Titel eines kaiserlichen Rathes erhalten. 

(XXX. Deutscher Aerztetag). Aus Königsberg i. P. 
wird uns geschrieben: Unter dem Vorsitze Löbker’s (Bochum) hat 
liier am 4. und 5. Juli der XXX. Deutsche Aerztetag stattge¬ 
funden. Die Wichtigkeit der zur Discussion gestellten Themen 
brachte es mit sich, daß die Referate groß angelegt und die den¬ 
selben folgenden Discussionen lebhaft und reich an Interesse gewesen 
sind. Das Referat Rumpf’s (Bonn) „Aufgaben der Kranken- 
Ält u sei* gegenüber denAnforderungen der neuen Prü¬ 
fungsordnung“ schloß mit folgenden Thesen : „Die Krankenhaus¬ 
ärzte haben Sorge zu tragen: daß die Praktikanten nicht an Stelle 
sonst nothwendiger Assistenzärzte eingeschoben werden, um nur 
auf dem Wege der Erfahrung am Krankenbett und der gemein¬ 
schaftlichen Visi’.en ihre Ausbildung zu erfahren; daß der diagno¬ 
stische und therapeutische Apparat der Krankenanstalten sich auf 
jener Höhe befindet, welche der erfolgreichen Anwendung bei 
Kranken und der Ausbildung der künftigen Aerzte entspricht; daß 
den Praktikanten Gelegenheit gegeben wird, wissenschaftlich und 
praktisch den Fortschritten der Mcdicin zu folgen, daß für 
die Praktikanten, um sie mit den Aufgaben und Pflichten des 
ärztlichen Standes vertraut zu machen, Vorträge oder Besprechun¬ 
gen über die ärztlichen Pflicht- und Sittengesetze eingerichtet 
werden.“ — Aus dem Referate Meyer’s (Fürth) entnehmen wir, 
daß derselbe auf Grund einer ausgedehnten Umfrage und zahl¬ 
reicher Antworten eine Statistik ausgearbeitet und deren Resultate 
in einer Denkschrift vorgelegt hat. Aus dieser geht hervor, daß 
diefreicArztwahl unter angemessenen Bedingungen 
überall durchführbar ist. — Das letzte Referat der Com¬ 
mission zur Bekämpfung der Curpfuscherei führte einen 
Beschluß herbei, welcher den Geschäftsausschuß beauftragt, beim 
Bundesrathe dahin vorstellig zu werden, daß die Ausübung der 
Heilkunde durch nicht approbirte Personen zu untersagen, die 
prahlerische Ankündigung von Geheimmitteln und Heilmethoden zu 
bestrafen sei, und daß Recepte von Curpfuschern in den Apo¬ 
theken nicht angefertigt werden dürfen. 

(Aus Troppau) wird uns geschrieben : Der schlesische 
Landtag hat einstimmig den Beschluß gefaßt, dem als Opfer seines 
Berufes verstorbenen Primarärzte Dr. Otto Zinsmeister im Landes¬ 
krankenhause eine Gedenktafel zu errichten. 

(Niederlassung von österreichischen Aerzten im 
Auslande.) Die Aerztekammer der Bukowina als geschäfts¬ 
führende Kammer hat an das Ministerium des Aeußern eine Petition 
gerichtet, es mögen die österr.-ungar. Vertretungen auf der Bal¬ 
kanhalbinsel und außerhab Europas den Auftrag erhalten, sobald 


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1902 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 29. 


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sic h in ilirnn Wii kuiigsgibictc Gelegenheit zur Niederlassung eines 
österreichischen Arztes bietet, hievon unmittelbar die österreichischen 
Acrztekammern im Wege des „Aerztekammerblattes“ zu verstän¬ 
digen, welche die Aerzte ihrer Sprengel benachrichtigen würden. 
Es sei versuchsweise wenigstens an einem Orte die Stelle eines 
Consulats- oder Gesandtschaftsarztes zu crciren, der durch zwei 
oder drei Jahre zu besolden wäre, bis ihm die inzwischen erreichte 
Privatpraxis den Verzicht auf eine Besoldung ermöglichen würde. 
Die frei werdende Summe sei sofort zur Dotirung einer weiteren 
Stelle an einem anderen Orte zu verwenden. Mit einer Jahresaus- 
gabc von etwa 6000 Kronen könnte so allmälig einer Reihe Öster¬ 
reichischer Aerzte die Niederlassung ermöglicht werden. 

(K r a n k e iic a ss en - Pr ax i s a c t i v e r M i 1 i t ä rä r z t e.) 
Auf eine Anfrage der oberösterreichischen Aerztekammer, ob es 
den activen Militärärzten gestattet sei, Cassenpraxis auszuüben, 
hat das Corpscommando in Innsbruck die Mittheilung gemacht, daß 
den activen Militärärzten die Annahme einer Anstellung bei Kranken- 
cassen und die Ausübung der Krankcncassenpraxis nicht gestattet 
ist. Eine Entscheidung des Landcsvertlieidigungs-Ministeriums in 
gleicher Angelegenheit steht bevor. 

(Einfuhr von Arzneimitteln als Muster ohne 
Werth.) Gemäß Verordnung des Handelsministeriums sind die Post¬ 
ämter verpflichtet, alle Briefpostsendungen aus dem Auslande an 
Privatpersonen, gleichgültig ob dieselben verschlossen oder als 
„Muster ohne Werth“ einlangen, soferne der Inhalt derselben offen¬ 
kundig oder allem Anscheine nach aus Arzneiwaaren besteht, im 
Sinne der Vorschriften über das postämtliche Verfahren mit Post¬ 
sendungen, welche der Stellung zum Zollamte unterliegen, an das 
nächste Zollamt zur Amtshandlung zu überstellen. 

(Pr eis aufgab e.) Die Münchener raedicinische Facultät hat 
anläßlich des Stiftungsfestes der Universität folgende Preisaufgabe 
gestellt: „Descriptiv-topographische Bearbeitung der Lymphbahnen 
des Dickdarmes mit Hilfe der modernen Untersuchungsmethoden.“ 
Die für das Jahr 1901/2 gestellte Preisaufgabe: „Experimen^eU- 
anatomischc Untersuchungen über die Beziehungen der hintöten 
Rückenmarkswurzcln zu den Spinalganglien“, welche keine Bearbei¬ 
tung gefunden hat, wurde wiederholt. 

(Lehrstuhl für Homöopathie.) Aus München wird uns 
geschrieben: In der Landtagssitzung vom 27. Juni wurde ein An¬ 
trag, die Regierung zu ersuchen, im nächsten Etat die Errichtung 
eines Lehrstuhles für Homöopathie in München oder einer anderen 
bayerischen Universität vorzusehen, mit Stimmenmehrheit ange¬ 
nommen. 

(Der IV. skandinavisch eCongreß für innere Me- 
di ein) hat vom 4. bis 6. Juli zu Helsin gfors getagt. Vor¬ 
träge hielten u. A.: Runebkkg und Quensel, „Ueber syphilitische 
Affectionen des Herzens“; Holst und Israel-Rosenthal, „Ueber 
die Aetiologie der Nephritis“ ; Stenbeck, „Ueber die therapeutischen 
Wirkungen des TESLA’schen Stromes“. 

(Deutscher Verein für öffentliche Gesundheits¬ 
pflege.) Die diesjährige Jahresversammlung des genannten Vereins 
wird in den Tagen des 17.—20. September in München statt¬ 
finden. Folgende Verhandlungsgegenstände sind in Aussicht ge¬ 
nommen: 1. Die hygienische Ueberwachung der Wasserläufe. 2. Die 
Wechselbeziehungen zwischen Stadt und Land in Bezug auf ihre 
Gesundheitsverhältnisse und die Sanirung der ländlichen Ortschaften. 
3. Feuchte Wohnungen: Ursache, Einfluß auf die Gesundheit und 
Mittel zur Abhilfe. 4. Der Einfluß der Curpfuscher auf Gesundheit 
lind Leben der Bevölkerung. 5. Das Bäckergewerbe vom hygieni¬ 
schen Standpunkt für den Beruf und die Consumenten. 

(Statistik.) Vom 6. bis inclusive 12. Juli 1902 wurden in den 
C i v i ls pi t älern Wiens 6735 Personen behandelt. Hievon wurden 1528 
entlassen ; 157 sind gestorben (9 '31% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus d^r Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitaler bei 
der k. k. Statthallcrei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 58, egypt. 
Augenentzündung 1, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominallyphus 8, Dysen¬ 
terie—, Blattern—, Varicellen 23, Scharlach 63, Masern 264, Keuchhusten 63, 
Rothlauf 37, Wochenbettfieber 6, Rüthein 14, Mumps 14, Influenza —, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Ly.-sa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 645 Personen gestorben 
(+ 34 gegen die Vorwoche). 


Eingesendet. 

Wiener Medicinisches Doctoren-Collegium. 

Dr. Emanuel BuNZEL’sche Aerzte-Stiftung in Wien. Aus den Interessen 
dieser Stiftung sind lür das Jahr 1902 30 Stiftplätze 4 200 K (15 an Christen, 
15 an J.-raeliten) zu verleihen. Diese Stiftplätze können nur an solche in 
Wien promovirte Docloren der Medicin deutscher Nationalität verliehen werden, 
welche österreichische Staatsbürger sind und infolge von Alter oder Kränk¬ 
lichkeit ihre Praxis nicht ausüben können oder infolge von Unglücksfäll^n 
in eine unver.-chuldete vorübergehende Nothlage gerathen sind. Bewerber lfm 
einen Stiftplatz haben ihre mit dem Tauf- oder Geburtsscheine, dem Doctor- 
diplome, der Bestätigung der Kränklichkeit oder der hilfsbedürftigen Lage 
und dem Nachweise der deutschen Nationalität, welcher erbracht erscheint, 
wenn der Bewerber bei der letzten Volkszählung die deutsche Sprache als 
Umgangssprache angegeben hat, belegten Gesuche bis längstens 1. October d. J. 
beim Wiener medicinischen Doctoren-Collegium, I., Rothenthurmstraße 19, zu 
überreichen. 

Dr. Emanuel BuNZEL’sche Witwen- und Waisen-Stiftung in Wien. Aus 
den Interessen dieser Stiftung sind für das Jahr 1902 30 Stiftplätze 4 200 K 
(15 an Christen, 15 an Isiaeliten) zu \crleihen. Diese Stiftplätze können nur 
an arme Witwen, resp. Waisen (bis zum 16. Jahre 100 K) nach in Wien 
promovirten Doctoren der Medicin, welche österreichische Staatsbürger und 
deutscher Nationalität waren, verliehen werden. Bewerberinnen um einen 
Stiftplatz haben ihre mit dem Tauf- oder Geburtsscheine, dem Doctor-Diplome 
ihres verstorbenen Gatten, resp. Vaters und dem Nachweise der deutschen 
Nationalität, welcher erbracht erscheint, wenn die Unterstützungswerberin, 
bezw. bei Waisen die Eltern bei der letzten Volkszählung die deutsche Sprache 
als Umgangssprache angegeben haben, belegten Gesuche bis längstens 1. Oc¬ 
tober d. J. beim Wiener medicinischen Doctoren-Collegium, I., Rothenthurm- 
Straße 19, zu überreichen. 


Verantwortlicher Redacteur: Doceut Dr. Ludwig Braun. 

Mit dieser Nummer versenden wir eine Beilage der 

chemischen Fabrik F. Hoffmann-La Roche & Co. in Basel über 
„Thiocol-Roche“, ein Antidiarrhoiciim. Wir empfehlen dieselbe 
der geneigten Beachtung unsrer Leser. 

Die Rubrik: „Erledigungen, ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 


ü§ 


Kur- und Wasserheil- 

Anstalt 

Biesshübi Sauerbrunn 

bei Karlsbad. 

Trink- und Badekuren. 

______________________ Klimatischer und Nach-Kurort. | 

Bestes diätetisches und EririschnngsgetiM. 

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Kaiserl. a. kfinigl. Hof- und Kammerlieferant. 

Franzensbad, Karlsbad, Giesshübl Sauerbrunn und Budapest. 


alkallsetaer 


APENTA 

Das Beste Ofener Bittenvasser. 

Eigenthümerin der Quellen: „APENTA“ ACTIEN- GESELLSCHAFT, Budapest. 
Bel Apothekern, Drogisten und Mlneralwaeter-HUndleru, In ganzen und halben Flaeohen. — 
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XLIII. Jahrgang. 


Wien, den 27. Juli 1902. 


Nr. 30. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart-Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik^, letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
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in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
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Medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Bedaction: Telephon Hr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

-.ose.- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 
Administration: Telephon Nr.9104. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Aus der II. medicinisclien Abtheilung des allgemeinen Krankenhauses in Wien (Vorstand Hofrath 
Prof. Dr. A. R. v. Dräsche). Zur Klinik der freien, isolirten Cysticerken des IV. Ventrikels. Von Dr. Richard R. v. Stknitzer, Assistent obiger Ab¬ 
theilung. — Haematokele retrouterina infolge von Extrauterinschwangerschaft. Drei Beobachtungen von Dr. Edgar Kurz in Florenz. — Experimentelle 
Untersuchungen über die Blutdruckmessungen mit dem GÄRTNEii’scben Tonometer. Von Dr. Heinrich Wolf in Wien. — Referate. F. K. Kleine: 
Ueber die Resorption von Chininsalzen. — Campbell Thomson (London): Acute Magenerweiterung. — Gustav Heermann (Kiel): Ueber Caisson¬ 
krankheit. — Roloff (Halle): Ueber manuelle Reposition von Luxationen ohne Narkose. — A. Nkissfr (Breslau): Ueber Versuche, Syphilis auf 
Schweine zu übertragen. — Sergent: Existcnco des anopheles en grand nombre dans une region d’oii le paludisrac a disparu. — Viala (Paris): 
Les vaccinations antirabiques ä l’institut Pasteur en 1910. — Kleine Mittheilungen. Behandlung der Epheliden und Leberflecke. — Hont hin. 

Das unstillbare Erbrechen. — Therapie des Carbunkels. — Exstirpation und Regeneration langer Röhrenknochen. — Jolipin. — Literarische 
Anzeigen. Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Von Prof. Dr. Robert Tigerstedt. — Die motorische Aphasie (L’aphasie motrice). Von 
Dr. F. Bernheim. — An introduction to dermatology. By Normann Walker. — Feuilleton. Lebensbilder aus halbvergangener Zeit. III. Johann 
David Ruland nnd seine Dreckapotheke. Von Dr. St. v. Vämossy in Preßburg. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. 31. Versammlung der 
Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Gehalten za Berlin, 2. bis 5. April 1902. (Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fach¬ 
presse“.) X. — Notizen. — Neue Literatur. — Eingesendet. — Offene Correspondenz der Redaction und Administration. — Aerztliche 
Stellen. — Anzeigen. * 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse “ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 


Aus dev II. medicin isehenAhtheihing des allgemeinen 
Krankenhauses in Wien (Vorstand llofrath Vrof. 
Dr. A. II. r. Dräsche). 

Zur Klinik der freien, isolirten Cysticerken 
des IV. Ventrikels. 

Von Dr. Richard R. V. Stenitzer. Assistent obiger AbtheiluDg. 

Unter den zahlreichen in der Literatur niedergelegten 
Fällen von Hirncysticerken bilden isolirte Cysticerken des 
IV. Ventrikels einen geringen Bruchtheil. 

Küchenmeister *) fand unter seinen 88 Fällen von Hirn- 
cysticerken nur 1 Fall von isolirtem Cysticerkus des IV. Ven¬ 
trikels. 

Hensen 2 ) hat dieses Thema vom klinischen und pathologi¬ 
schen Standpunkte in neuerer Zeit bearbeitet und stellt in 
einer Tabelle 26 derartige Beobachtungen zusammen. 

Seither wurden 2 weitere einschlägige Fälle mitgetheilt. 3 , 4 ) 
Unter diesen 28 Fällen verliefen 6 Fälle vollständig 
symptomlos und wurde die Finne nur als pathologischer 
Nebenbefund erhoben; in den übrigen 22 Fällen waren die 
klinischen Symptome bald vager Natur, bald erstreckte sich 


’) Küchenmeister, „Oesterr. Zeitschrift für prakt. Heilkunde“, Wien 1866. 

2 ) Hensen, Ueber Cysticerken im IV. Ventrikel. Deutsch. Archiv für 
klin. Mediciu, Bd. 64. 

3 ) v. Czyhlarz, Ein Fall von Cysticercus im IV. Hirnventrikel. Wiener 
klin. Rundschau, 1899. 

4 ) Neisser, Berliner klin. Wochenschr., 1901, S. 1117. 


deren Beobachtung nur auf sehr kurze Zeit oder wurden nur 
anamnestische Daten erhoben. 

Die Symptomatologie dieser interessanten Affection er¬ 
scheint demnach noch nicht erschöpft und konnte, wie im 
Folgenden gezeigt werden soll, in unserem Falle ein erst in 
neuerer Zeit gewürdigtes Symptom beobachtet werden, dessen 
Auftreten in ursächlichem Zusammenhänge mit der freien 
Beweglichkeit des Parasiten gebracht werden mußte. 

II. J., 33 Jahre alt, Conducteur. 

Aufnahme am 6. Februar 1902. 

Anamnese: Vater des Pat. starb an Altersschwäche, die 
Mutter lebt und ist gesund, ebenso leben mehrere gesunde Ge¬ 
schwister. Pat. ist verheiratet und hat 4 gesunde Kinder. Pat. 
kann sich keiner Kinderkrankheiten entsinnen. Er soll stets gesund 
gewesen sein. Vor 2 Jahren litt er 2 Tage hindurch an 
Kopfschmerzen und leichtem Schwindel. Zugleich be¬ 
merkte er, daß er des Abends schlechter sehe. Es wurden ihm 
damals Augengläser verordnet, welche er jedoch bald wieder ab¬ 
legte, da sie ihm angeblich nichts nützten. Leichte Kopf¬ 
schmerzen sollen im Laufe dieser 2 Jahre öfters 
vorübergehend bestanden haben. Näheres konnte darüber 
auch durch Befragen seiner Angehörigen nicht erhoben werden. 
Vor einem halben Jahre erhielt er einen elektrischen Sehlag, der 
jedoch ohne Folgen blieb. Sein jetziges Hebel begann 
Mitte Januar 1 902 mit heftigem Erbrechen und 
Schwindel während einer Dienstfahrt. Er mußte nach Hause 
gebracht werden, wo das Erbrechen nach 12 Stunden auf Einnahme 
einer Mediän sistirte. Pat. behielt nur einen „schweren Kopf“ 
ohne eigentliche Kopfschmerzen, so daß er seinen Dienst als Con¬ 
ducteur wieder 8 Tage hindurch versehen konnte. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 30. 


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Ende Januar wurde Patient wieder auf der Fahrt 
von leichtem Schwindel befallen, so daß er seine Dienstfahrt 
unterbrechen und sich zu Bette legen mußte. Die Nacht hindurch 
schlief er gut, als er aber des Morgens aufstehen wollte, wurde 
er von so heftigem Schwindel und darauffolgendem 
Erbrechen befallen, daß er sich wieder niederlegen mußte. 
Dieser Zustand dauerte fast ununterbrochen bis zu seiner Spitals¬ 
aufnahme am 6. Februar an. Potus und Lues werden entschieden 
in Abrede gestellt. Patient hat nie an Bandwurm gelitten. 

Status praesens: Patient mittelgroß, kräftiger Knochenbau, 
kräftig entwickelte Musculatur, keine Zeichen überstandener Rachitis. 
Haut normal, Temperatur 36’5. Deutliche Taches cerebrales. Schädel 
mesocephal, nicht abnorm groß, Beklopfen desselben nicht schmerz¬ 
haft, keine Nackenstarre, seltener Lid schlag. Sensorium frei, 
keine Gedächtnißschwäche, wortkarg, leidender Gesichts¬ 
ausdruck. Gehirnnerven sowohl in der motorischen als sensiblen 
Sphäre vollständig normal. Speciell vollkommen normales Gehör, nor¬ 
maler Geruch, Schlucken normal. Bewegungen der Extremitäten können 
nach allen Richtungen hin ausgeführt werden, doch besteht eine 
auffallende Muskelschwäche. Sensibilität am Stamme und 
an den Extremitäten vollkommen normal. Keine Schmerzen, keine 
Parästhesien. Muskelsinn vollständig intact, ebenso stereognostischer 
Sinn. Reflexe: Pnpillarreflex normal, Cornealreflex normal, Biceps-, 
Triceps-, Periostreflexe an den oberen Extremitäten gerade auslösbar. 
Kein Facialisphänomen. Patellarsehnen-, Achillessehnenreflexe nicht 
gesteigert, kein Patellarclonus, kein Fußclonus, Phenomene des orteils 
Babinski negativ. Bauchdecken und Cremasterreflex beiderseits lebhaft. 

Patient ist nicht imstande, allein zu gehen. Gestützt geht er 
mit kleinen Schritten, die er vor und nebeneinander setzt, wobei 
die Beine grobes Zittern zeigen. Es besteht Neigung, nach 
hinten zu fallen. Romberg positiv. Patient bekommt 
heftigen Schwindel und muß zu Bette gebracht 
werden. Eigentliche Kopfschmerzen bestehen nicht, nur ein 
dumpfes Gefühl im Kopfe. Der Schwindel wird als ein Drehen von 
links nach rechts beschrieben. Patient erbricht wiederholt während 
der Untersuchung flüssige, gallig gefärbte Massen. Von Seite der 
inneren Organe nichts abnormes. Puls 60, voll, rhythmisch, Arterie 
zartwandig. Gingiva geröthet, geschwellt und weißlich belegt. Zunge 
weiß belegt. An der Glans penis links vom Frenulum eine flache, 
pigmentirte Narbe. Einige geringgradig vergrößerte, indolente Drüsen 
in den Axillen, je eine Cubitaldrüse tastbar. 

Harnbefund: Spec. Gewicht 1029, Reaction sauer, kein Zucker, 
kein Eiweiß, Indican stark vermehrt, Phosphate reichlich. 

Stuhl: Auf Irrigation dunkelbraun, geformt, enthält etwas Blut. 

Erbrochenes: Flüssig, gallig, Salzsäure negativ. 

Therapie: Jodkali per Clysma, subcutane Injectionen von 
Hydrarg. succinimidat. 

9. Februar. Während der 3tägigen Beobachtung besonders 
auffallende Bevorzugung der rechten Seitenlage. 
Dabei freies Sensorium, leichter dumpfer Kopfschmerz. Sobald 
Patient sich auf die linke Seite legt, bekommt er sofort 
starken Schwindel und muß gleich darauf erbrechen. 
Dabei keine Veränderung an den Pupillen bemerkbar, die Puls¬ 
frequenz steigt während des Brechactes von 60 auf 100. 

11. Februar. Patient erwachte des Nachts, drehte sich auf 
die linke Seite und bekam sofort Schwindel und 
Erbrechen. Patient fühlt sich sehr elend. Nährklysmen. Nach¬ 
mittag bei linker Seitenlage Schwindel ohne Er¬ 
brechen. 

12. Februar. Patient, welcher in rechter Seitenlage daliegt, 
wird aufgefordert, sich auf die linke Seite zu lagern. Er führt 
diese Lageveränderung sehr vorsichtig und langsam aus. Eine 
Minute danach beginnt Patient heftig zu brechen und zu 
würgen; dabei heftiger Schwindel, „es geht ihm im Kopfe herum“. 
Pupillen und Puls zeigen dabei keine Veränderung. Gehen nur mit 
Mühe und Unterstützung möglich, zeigt dieselben Eigentümlichkeiten 
wie oben beschrieben. Patient klagt heute über Kopfschmerzen, die 
im Hinterhaupte beginnen und nach vorne ausstrahlen. Beklopfen 
des Hinterhauptes sehr schmerzhaft. 


13. Februar. Beklopfen des Schädels überall schmerzhaft. In 
rechter Seitenlage verhältnißmäßiges Wohlbefinden, beim Um¬ 
lagern auf den Rücken und auf die linke Seite 
Schwindel und Schwere im Kopfe. Keinerlei motorische oder 
sensible Störungen der Hirnnerven. Große Muskelschwäche. Patient 
apathisch, sehr wortkarg, antwortet erst nach längerer Pause. 
Gehversuch nicht durchführbar; sobald Patient nämlich aufstehen 
will, wird er von heftigem Schwindel und Brechreiz 
befallen. 

Ophthalmologischer Befund (Dr. Goldberg) : Pupillen mittelweit, 
auf Licht und Accommodation prompt reagirend. Keine Hemianopsie. 
Rechte Papille etwas unscharf, keine Schwellung, Arterienhauptäste 
stark sklerotisch mit Perivasculitis. 

Linke Papille weniger scharf begrenzt als rechts, oberer 
Rand leicht geschwollen, starke Gefäßsklerose und Perivasculitis. 
Arterien weit. 

AtrophisireDde Stauungspapille beiderseits. 

14. Februar. Patient hat Nachmittag wieder in linker 
Seitenlage erbrochen. Liegt sonst immer am Rücken oder 
in rechter Seitenlage, klagt über dumpfen Schmerz im ganzen Kopfe. 
Schwindel nur bei Lagewechsel. Zunehmende Apathie. 

15. Februar. Zunehmende Kopfschmerzen; rechte Seiten- 
und Rückenlage. 

16. Februar. Kopfschmerzen bestehen fort. Erbrechen bei 
linker Seitenlage. 

17. Februar. Patellarsehnen- und Achillessehnenreflexe etwas 
lebhafter. Kein Fußclonus. Phenomöne des orteils Babinski negativ, 
keine Sensibilitätsstörungen, starke Kopfschmerzen, besonders im 
Hinterhaupte. Keine Nackenstarre. 

21. Februar. Linke Lidspalte enger, linke Nasolabialfalte ver¬ 
strichen. Starker Brechreiz. Die Verständigung mit dem Patienten ist 
bereits sehr erschwert, er klagt nicht über Kopfschmerzen, nur über 
geringen Schwindel. Häufiges Schlucken, Rückenlage bevorzugt. 

22. Februar. Keine Veränderung. 

Ophthalmoskopischer Befund: Rechts : Papillengrenzen deut¬ 
licher, sonst wie am 13. Februar. Links: Der obere Rand der Papille 
weniger prominent als am 13. Februar. 

24. Februar. Patient befindet sich subjectiv wohler, kein 
Schwindel, kein Kopfschmerz, apathisch. Puls 84. 

25. Februar. Patient hat heute Nachts Krampfanfälle 
gehabt, war die ganze Nacht hindurch sehr unruhig, delirirte. An¬ 
dauernd normale Temperatur. 

26. Februar. Patient klagt wieder über Kopfschmerzen und 
Schwindel. Patellarreflexe leicht gesteigert, rechts etwas mehr als 
links. Pupillenreaction träge. Patient bekommt beim Aufsetzen sofort 
heftigen Brechreiz. Häufiges Gähnen, Schlucksen, Pals 120. An 
der linken Hand, besonders am Mittel- und Ringfinger, bemerkte man 
in der Ruhelage grobschlägige, langsam ablaufende Zuckungen. Un¬ 
willkürlicher Stuhl- und Harnabgang. Linksseitige Ptose geringer. 

27. Februar. Patient tagsüber ruhig. Keine Kopfschmerzen, 
somnolent, reagirt nur auf Anrufen. Pupillen mittelweit, träge 
reagirend. Patient bricht nicht. Häufiges Aufstoßen und tiefes Seufzen. 
Augenrollen, wobei der Blick manchmal längere Zeit starr nach 
links oben gerichtet bleibt. Cornealreflex herabgesetzt. Linksseitige 
Ptose nicht mehr nachweisbar. Die früher beobachtete Parese des 
Mundfacialis kaum angedeutet. Keine Nackenstarre, keine Klopf- 
Schmerzhaftigkeit des Schädels. Puls andauernd beschleunigt, 120. 
Pulswelle niedrig. Vertiefte Athmung 20. 

28. Februar, 3 Uhr früh Exitus letalis. 

Zusammenfassung. Ein seit 2 Jahren an vorüber¬ 
gehenden, leichten Kopfschmerzen leidender 33jähriger Mann 
erkrankt Mitte Jänner plötzlich an Erbrechen mit heftigem 
Schwindel, welcher Zustand circa 12 Stunden andauert. Nach 
diesem Anfalle befindet er sich bis auf ein dumpfes Gefühl 
im Kopfe 8 Tage hindurch vollständig wohl, so daß er seinem 
Berufe wieder nachgehen kann. Ende Jänner erkrankt er 
neuerdings an heftigem Schwindel und Erbrechen, welcher 
Zustand bis zu seiner Spitalsaufnahme am 6. Februar andauert. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 30. 


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Vom klinischen Befunde sei als bemerkenswerth hervor¬ 
gehoben : 

Kräftig gebautes Individuum, ohne Zeichen von Rachitis, 
keine Tuberculose. Leichte, indolente inguinale, axillare und 
cubitale Drüsenschwellungen. Eine flache, leicht pigmentirte 
Narbe neben dem Frenulum (Lues anamnestisch entschieden 
in Abrede gestellt). 

Das Krankheitsbild wird beherrscht von Schwindel 
und Erbrechen, welche Symptome sich als exquisit ab¬ 
hängig von der Körperlage erweisen. Besonders in der ersten 
Zeit der Beobachtung tritt regelmäßig Schwindel und 
Erbrechen ein, wenn Pat. von der rechten Seiten¬ 
oder Rückenlage sich auf die linke Seite um¬ 
lagert. Eine Veränderung am Pulse, an den Pupillen, auf¬ 
tretende Krämpfe konnten dabei nicht beobachtet werden. 
Infolgedessen Bevorzugung der rechten Seitenlage. 
Es besteht Asynergie cörebelleuse Babinski. Keine Ataxie in 
liegender Stellung. Hochgradiges Zittern der Beine beim Gehen. 
Auffallende Muskelschwäche vom Beginne der Be¬ 
obachtung an. Von Seite der Hirnnerven bis auf eine terminal 
auftretende vorübergehende linksseitige Ptose und Parese des 
linken Mundfacialis keine krankhaften Störungen. Kopf¬ 
schmerzen dumpf, anfangs nicht hochgradig, sub finem etwas 
zunehmend, sehr wechselnd , vorübergehend ins Hinterhaupt 
localisirt. Keine Nackenstarre. Beklopfen des Schädels anfangs 
nicht schmerzhaft, später besonders am Hinterhaupte und 
schließlich am ganzen Kopfe schmerzhaft. Seltener Lid¬ 
schlag. Keine Steigerung der Sehnen- und Periostreflexe; 
dieselben werden sub finem etwas lebhafter. Lebhafte Haut¬ 
reflexe. Phänomene des orteils Babinski negativ. Zwei Tage 
ante exitum des Nachts allgemeine Krämpfe und starke Un¬ 
ruhe, seither zuckende Bewegungen im 3. und 4. Finger der 
linken Hand. BeiderseitigeatrophisirendeStauungs- 
papille. Nach 4 wöchentlichem, fieberfreiem Krankheitsverlauf 
erfolgt unter zunehmender Benommenheit, erhöhter Puls¬ 
frequenz (120), vertiefter Athmung (20), häufigem Singultus 
am 28. Februar der Exitus letalis. 

Obductionsbefund (Assistent Dr. Landsteiner) : Die 
Schädelinnenfläche glatt, die harten Hirnhäute stark durch¬ 
feuchtet, von mittlerem Blutgehalt, stark getrübt, matt. Die 
meningealen Gefäße im Bereiche der Großhirnhemisphären viel¬ 
fach von opak-weißen Streifen umgeben. Ueber den Sulci zeigen 
sich die weichen Hirnhäute graugelblich. Auf dem Durchschnitt 
durch die Hemisphären sind die Seitenventrikel und 
der 3. Ventrikel mächtig erweitert. Ihre Innenfläche 
sehr dicht, das Ependym der Stammganglien sehr 
deutlich granulirt. Beim Aufheben des Kleinhirns 
wölbt sich aus dem Foramen Magendi eine ge¬ 
spannte, zartwandige, transparente Cysticercus¬ 
blase von Haselnußgröße vor. Beim Eröffnen des 
IV. Ventrikels sinkt die vorher gegen das Loch angepreßte Blase 
in den Hohlraum des IV. Ventrikels zurück und liegtfreiin 
demselben. Der Boden der Rautengrube zeigt sich von 
weißlichen, etwas durchscheinenden, ziemlich dichten, beim 
Anfühlen fast derben Auflagerungen zum größeren Theile 
bedeckt. Ganz ähnliche Auflagerungen finden sich an den 
Seitenwänden und dem Dache des IV. Ventrikels. Die Meningen 
den Sylvischen Gruben entsprechend verwachsen, weißlich ge¬ 
trübt. Der IV. Ventrikel nicht auffallend erweitert. Nach der 
Formolhärtung sieht man am Durchschnitt die verdickte Aus¬ 
kleidung des IV. Ventrikels als eine 1 Mm. breite Schichte 
eines fast sehnig weißen Gewebes. Kein Bandwurm. Nirgends 
Cysticerken auffindbar. 

Mikroskopischer Befund: Die verdickte Schichte des 
Ependyms läßt unter dem Mikroskope 2 Lagen erkennen, deren 
tiefere aus fast parallel angeordneten locker gefügten Gliafasern 
mit eingelagerten, wenig zahlreichen, zum Theil etwas länglichen 
Kernen besteht. Die obere Schichte besteht aus verfilztem, ziemlich 
grobfaserigem Gliagewebe und verästelten, ziemlich zahlreichen 
größeren Gliazellen. Die Fasern sind dick, starr, ähnlich den Fasern 


in einem Gliome. Stellenweise sind die Fasern in eine homogene 
Substanz mit knotigen Anschwellungen und mattblauer Färbung 
umgewandelt. In den spärlichen Gefäßen dieser Schichte finden 
sich zahlreiche polynucleäre Leukocyten. Die Meniiige an der ver¬ 
dickten Stelle des Kleinhirnes zeigt mikroskopisch ein zellarmes, 
ziemlich derbes Fasergewobe. In demselben neben Zellen mit läng¬ 
lichen Kernen einzelne polynucleäre Leukocyten. 

E p i k r i s e: Daß es sich im vorliegenden Falle um einen 
raumbeschränkenden Proceß im Schädelinneren handeln mußte, 
war nach den Zeichen intracranieller Drucksteigerung ohne 
weiteres klar. Es blieb nur die Frage offen, ob e3 sich um 
einen Tumor, insbesondere um einen Tumor der hinteren 
Schädelgrube, oder um einen idiopathischen Hydro- 
cephalus, respective Meningitis serosa Quincke 
handle. Beide Processe können sich nach Angabe der Autoren 
so vollständig gleichen, daß eine Unterscheidung überhaupt 
nicht möglich ist. Ausschlaggebend für die Diagnose wurde 
hier das constante Auftreten von Schwindel und 
Erbrechen bei Lagewechsel, d. h. bei Lagerung auf 
die linke Seite, sowie in geringerem Grade auch bei aufrechter 
Körperhaltung. Besonders während der ersten Zeit der Be¬ 
obachtung beherrschte dieses eigenthümliche Verhalten förmlich 
das Krankheitsbild. 

R. Schmidt 6 ) hat dieses Symptom in 2 Fällen von Klein¬ 
hirnhemisphärentumoren beschrieben, es als Nachbarschafts¬ 
symptom des Aquaeductus Sylvii, respective der Vena magna 
Galeni verwerthet und auf seine Bedeutung bei der Differential¬ 
diagnose zwischen Hydrocephalus einerseits und Tumoren der 
hinteren Schädelgrube andererseits hingewiesen. In dem einen 
Falle trat constant Erbrechen bei rechter Seitenlage ein 
(Angiosareom der linken Kleinhirnhemisphäre), in dem anderen 
Erbrechen, Schwindel und Ohrensausen bei linker Seitenlage, 
daher constante rechte Seitenlage (Tumor der rechten Klei'n- 
hirnhemisphäre). Die Tumoren übten im 1. Falle bei rechter, 
im 2. Falle bei linker Seitenlage dem Gesetz der Schwere 
folgend eine Belastung und consecutive Compression auf den 
Aquaeductus, respecti ve Vena magna Galeni aus und führten 
infolgedessen zu acuter intracranieller Drucksteigerung. Ein 
ähnliches Verhalten zeigte nach Sorgo 0 ) eine Patientin mit 
Gliom des linken Nervus acustieus; es ließen sich bei derselben 
jedesmal Kopfschmerzen in Rückenlage und rechter Seitenlage 
hervorrufen, während dieselben bei aufrechter Haltung des 
Oberkörpers verschwanden. Sorgo macht für dieses Verhalten 
die Lage des Tumors (an der Basis) und eine gewisse Beweg¬ 
lichkeit verantwortlich in dem Sinne, daß bei aufrechter Körper¬ 
lage der Druck auf das Gehirn am geringsten, bei horizontaler 
und bei rechter Seitenlage ein vermehrter Druck auf die hinter 
dem Tumor, respective rechts von demselben gelegenen Gebilde 
des Kleinhirnes und der Rautengrube ausgeübt und damit 
eine plötzliche Zunahme des Hydrocephalus internus bewirkt 
werde. 

Ein Patient Oppenheim’s 7 ) mit Tumor cerebelli hielt den 
Kopf so stark gesenkt, daß das Kinn die Brust berührte. Ver¬ 
suchte er ihn zu heben, so wurde er sofort von Schwindel 
und heftigem Kopfschmerz befallen. 

Das den angeführten Fällen ähnliche Verhalten bei 
unserem Patienten führte nun zur Annahme, daß ein Tumor 
in der hinteren Schädelgrube vorliegen müsse, dessen Sitz und 
eventuelle Beweglichkeit in demselben Sinne wie bei jenen bei 
bestimmter Körperlage (linke Seitenlage und geringeren Grades 
auch aufrechte Körperlage) eine Compression auf die Haupt¬ 
abzugswege für die Hirnlymphe ausübe. 


6 ) R. Schmidt, Bur genaueren Localisation der Kleinhirntumoren und 
ihrer Differentialdiagnose gegenüber acquirirtem chronischen Hydrocephalus 
internus. Wiener klin. Wochenschrift, 1898, Nr. 51. « 

6 ) J. Soego, Zur Klinik der Tumoren des Nerv, acusticus nebst Be¬ 
merkungen zur Symptomatologie und Diagnose der Kleinhirntumoren. Monats¬ 
schrift für Ohrenheilkunde, 1901, Nr. 7- 

7 ) Oppenheim, Lehrbuch der Nervenkrankheiten, Berlin 1902. 


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1902. 


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Wegen der Narbe am Penis, der indolenten Drüsen¬ 
schwellungen, des protrahirten, intermittirenden Verlaufes kam 
bezüglich der Aetiologie ein gummöser Proceß in Frage, ob¬ 
zwar das Freibleiben der basalen Hirnnerven bis zur Agone 
einen derartigen Proceß wieder sehr zweifelhaft machte. Die 
eingeleitete antiluetische Cur blieb auch vollkommen resultatlos. 

Der Obductionsbefund (siehe oben) liefert für das 
eigenthümlichePbänomen insofern eine vollständig befriedigende 
Erklärung, als die Möglichkeit der passageren Verlegung des 
Aquaeductus Sylvii, respective Foramen Magendi durch den 
frei beweglichen Cysticercus gegeben ist. Berücksichtigt man 
ferners die exquisite Abhängigkeit des Auftretens von Hirn¬ 
drucksymptomen bei bestimmter Körperlage, so erscheint es 
plausibler, die Ursache hiefür in einem passiven Vorgänge 
— Vorfällen der Blase nach dem Gesetz der Schwerkraft —, 
als in activen Bewegungen der Finne zu suchen; daß ein 
derartiger Lagewechsel mit in Betracht zu ziehen sei, erwähnt 
Hensen (1. e.), in dessen Falle (Cysticercus racemosus von Kirsch¬ 
große im IV. Ventrikel) nach dem Aufstehen ein heftiger 
Anfall von Erbrechen mit vehementen Kopfschmerzen eintrat. 
Bei einem Pat, Brecke’s 8 ) wurde auftretenden Schwindels wegen 
dauernde Bevorzugung der rechten Seitenlage beobachtet. 

Die sich aufJrängende Frage, warum dieses Phenomene 
gerade bei linker Seitenlage so exquisit in Erscheinung trat, 
ließ sich bei der Autopsie nicht beantworten. Man könnte sich 
vorstellen, daß vitale Verhältnisse der Finne — Festhaften an 
der Wand de3 IV. Ventrikels mittelst der Saugnäpfe nach 
Ausstülpung des Kopftheilcs — eine derartige Lagerung der¬ 
selben bewirkten, daß bei Rechtslage ein Vorbeisickern von 
Hirnlymphe ermöglicht war, während bei Linkslage die Blase 
sich vor das Foramen Magendi vorlagerte und dasselbe ab¬ 
schloß. Daß der Cysticercus sich thatsächlich ansaugen kann, 
erscheint nach dem Vorhandensein organischer Musculatur 
am Halse oder an der Schwanzblase nicht unmöglich, wenn 
auch eine zweifellose derartige Beobachtung nicht vorliegt. 
Ein- und Ausstülpungen des Kopfes und tastende Bewegungen 
desselben wurden von den Ophthalmologen wiederholt be¬ 
schrieben. u ) 

Eine zweite Möglichkeit wäre die, daß die Finne durch 
zarte Pseudomembranen auf der rechten Seite des IV. Ven¬ 
trikels leicht fixirt gewesen war, welche Fixation eine geringe 
Locomotion beim Lagewechsel zuließ. Diese zarten Pseudo¬ 
membranen konnten später eingerissen sein, als der Cysticercus 
durch den zunehmenden Hirndruck ins Foramen Magendi ein¬ 
gepreßt wurde. 


Haematokele retrouterina infolge von Extra¬ 
uterinschwangerschaft.- 

Drei Beobachtungen von Dr. Edgar Kurz in Florenz. 

(Schluß.) 

II. 

Frau E. C., 38 Jahre alt, erkrankte am 21. April 1899 gegen 
Morgen plötzlich mit kolikartigen Schmerzen im Leib, welche bald 
nachließen, während sich dagegen heftiger Schwindel, Schwarzwerden 
vor den Augen, Würgen, Ohnmachtsanwandlungen, kalter Schweiß 
und das Gefühl des herannahenden Todes einstellten. Ich fand 
Morgens 6 Uhr die Kranke leichenblaß, mit kalter Haut, fast puls- 
Iqs, die B.ulbi nach oben geflohen, im Zustand halber Ohnmacht. 
Das Krankheitsbild ließ nicht den geringsten Zweifel, daß eine 
schwere innere Blutung stattgefunden hatte. 

Die Untersuchung ergab gedämpften Percussionsschall ober¬ 
halb der Symphyse. Uterus antevertirt, vergrößert, empfindlich. Im 
linken Scheidengewölbe ein wie in Flüssigkeit ballotirender Tumor 


8 ) Cit. nach Hensen. 

®) Vergleiche : Thierische Parasiten von Mosler und Peipeb. Specielle 
Pathologie und Therapie. Notunagel, VII. Bd., Wien 1894. 


undeutlich zu tasten. Eine genauere bimanuelle Exploration wurde 
wegen des Zustandes der Kranken unterlassen. Diagnose: Innere 
Blutung infolge von Tubenruptur oder sogenanntem Tubenabort (bei 
dem es ja wegen der Destruction des Gewebes der Tube ohne eine 
kleine Ruptur auch nicht abgeht). 

Ein sofort gegebenes großes Klysma von physiologischer 
Kochsalzlösung wurde zum Theil resorbirt, zum Theil mit festen 
Skybalis vermischt, wieder entleert. Unter Anwendung der sonstigen 
üblichen Analeptica wurde der Puls allmälig wieder fühlbar; das 
Aussehen blieb collabirt und der Schwindel dauerte fort. Doch 
sprach die Kranke wieder und schilderte ihren Zustand als ein 
fortwährendes Fallen in den unendlichen Raum. Nach Verordnung 
fortgesetzter excitirender Behandlung entfernte ich mich, um das 
Nöthige zur Laparotomie vorzubereiten, da bei etwaiger Andauer 
der Blutung und Zunahme des Collapses offenbar die einzige Mög¬ 
lichkeit einer Rettung im operativen Einschreiten lag, wiewohl ich 
mir andererseits das Mißliche einer Operation unter solchen Um¬ 
ständen nicht verhehlte. 

Bei meiner Rückkehr fand ich zu meiner Ueberraschung die 
Kranke wesentlich besser. Der Puls hatte sich gehoben, in das 
Gesicht war wieder etwas Farbe zurückgekehrt. Die Augen lagen 
noch tief in den schwarzumränderten Höhlen, aber der Schwindel 
hatte bedeutend nachgelassen, Hände und Füße waren warm geworden 
und die Kranke fühlte sich wie ins Leben zurückgekehrt. 

Bis zum Abend batte die Besserung noch weiter zugenommen 
und die Nacht verlief ruhig. In den folgenden Tagen erholte sich 
Pat. ziemlich rasch und hatte nur über ein unbehagliches Gefühl 
im Unterleib, aber nicht über eigentliche Schmerzen zu klagen. 

Infolge der rasch eingetretenen Besserung war natürlich keine 
zwingende Indication zur Vornahme der Laparotomie mehr da, 
und es ist begreiflich, daß dieselbe, die bei Andauer oder Steigerung 
des Collapses als Ultimum refugium nusgeführt worden wäre, jetzt 
unterblieb, da weder allgemeine noch locale Symptome ihre Vor¬ 
nahme erheischten. Die Temperatur war jetzt und später stets 
normal. 

Die nachträglich vervollständigte Anamnese ergab folgende 
Daten: Pat. hat zweimal geboren, das letztemal vor 13 Jahren. 
Sie war nie krank gewesen, insbesondere hatte sie früher niemals 
Unterleibsbeschwerden oder Unregelmäßigkeiten der Menstruation 
gehabt. In den letzten Wochen vor Beginn der Erkrankung bestand 
Verstopfung und manchmal zeigte sich etwas Blut an den Fäces. 
In den letzten Tagen des März war die Regel zur normalen Zeit 
eingetreten, jedoch viel weniger stark als sonst. Pat. hatte sich 
während derselben körperlich sehr angestrengt und dabei einen 
heftigen Schmerz im Leib verspürt, der jedoch bald wieder verging, 
so daß sie der Sache keine weitere Bedeutung beilegte. Acht Tage, 
bevor die Regel sich hätte wieder einstellen sollen, war dann die 
innere Blutung mit ihren allarmirenden Symptomen aufgetreten. 
Aus den Genitalien fand zunächst kein Blutabgang statt. Die 
Besserung des Allgemeinbefindens machte bei ruhiger Bettlage 
ziemlich rasche Fortschritte. Die sichtbaren Schleimhäute zeigten 
bald wieder normale Injection. 

Bei der Untersuchung Ende April fand sich der Uterus ver¬ 
größert, antevertirt, fast unbeweglich, ganz nach rechts gedrängt 
durch einen teigigen, mäßig empfindlichen Tumor, der ihm im 
hinteren und linken Scheidengewölbe dicht anlag, ungefähr Faust¬ 
größe zeigte und die linksseitigen Adnexe in sich begriff, während 
die rechtsseitigen deutlich als normal zu tasten waren. Es bestand 
Neigung zu Verstopfung neben leichten Urinbeschwerden. Kein 
Colostrum in den Brüsten. 

Am 1. Mai trat eine vier Tage anhaltende Blutung aus den 
Genitalien ein, stärker als die gewöhnliche Regel. Es wurde kein 
Abgang einer Decidua bemerkt. Am 24. Mai kam wieder eine 
viertägige schwächere Blutung unter Uebligkeiten und allerlei 
Reflexerscheinungen, die von der Pat. im Gegensatz zu der Blutung 
am 1. Mai als Menstruation aufgefaßt wird. 

Die wegen des retardirten Stuhls nothwendigen Darm¬ 
irrigationen erregten Schmerzen und nervöse Beschwerden. Es ent¬ 
wickelten sich allmälig allerlei vasomotorische Störungen, verbunden 
mit allgemeiner Nervosität. 


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1393 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 30. 


1394 


Die Hämatokele wurde nach und nacli resorbirt. Anfang Juni 
zeigt sich der Uterus nach hinten verzogen und leicht fixirt; 
Bewegungen desselben schmerzhaft. Links ist die vergrößerte Tube 
als ein dicker, unregelmäßiger, empfindlicher, wenig beweglicher 
Strang zu tasten. Es bestehen außer allerlei nervösen Beschwerden 
auch Schmerzen im Kreuz, die in das linke Bein ausstrahlen, außer¬ 
dem andauernde Neigung zu Verstopfung. 

Die Menses traten in der Folge regelmäßig ein, meist unter 
vorhergehender Steigerung der nach der Erkrankung zur Entwickelung 
gelangten nervösen Reizbarkeit. Nur sehr langsam verkleinerte sich 
der Tubentumor. Allerlei locale und allgemeine Störungen dauerten 
das ganze Jahr 1899 und 1900 und bis ins Jahr 1901 fort, vor 
allem eine auch jetzt noch nicht ganz behobene Nervosität mit 
zeitweiliger melancholischer Verstimmung, Erscheinungen, die übrigens 
zum Theil auch auf eine schon seit einiger Zeit bestehende abnorme 
Beweglichkeit der Nieren zurückgeführt werden können. 

Ira Februar 1901 war die linke Tube noch als verdickt und 
empfindlich zu tasten, der Uterus aber in normaler Lage, antevertirt, 
beweglich. Eine Gravidität ist nicht mehr eingetreten. Die Menses 
sind regelmäßig. Durch lange Zeit war mit Unterbrechungen eine 
gynäkologische Behandlung, bestehend in Irrigationen, Ichthyol¬ 
tampons, Bädern etc., nothwendig gewesen, so daß ich mir oft, 
besonders auch im Hinblick auf den folgenden so rasch und voll¬ 
ständig auf operativem Wege zur Heilung gelangten Fall, die Frage 
vorgelegt habe, ob es nicht besser gewesen wäre, nach Hebung 
des Collapses die pathologischen Verhältnisse per laparotomiam zu 
ordnen, ja ob es nicht überhaupt das beste wäre, in allen solchen 
Fällen möglichst frühzeitig zu operiren, da ja die Operation keine 
wesentliche Gefahr bringt, während die spontane Heilung nur unter 
mannigfachen Gefahren und auch in den günstigsten Fällen unter 
langdauernden Gesundheitsstörungen erfolgt. 

III. 

Frau A. P., 25 Jahre alt, untersuchte ich am 31. März 1900 
in consilio. Die Kranke, deren Körper einen durchaus entwickelten 
Typus darbot (nur das Gesicht machte einen infantilen Eindruck), 
war äußerst anämisch. Die Gesichtsfarbe war gelblich-weiß, der 
Puls schwach und frequent. Es bestand ein mäßiger Meteorismus. 
Oberhalb der Symphyse ließ sich durch die Bauchdecken ein ziemlich 
harter, sich linkerseits handbreit nach oben erstreckender Tumor 
tasten. Bei der vaginalen Exploration fand sich der Uterus in diesen 
Tumor eingebettet, dessen Segmente hinteres, vorderes und linkes 
Scheidengewölbe nach abwärts Vortrieben. Aus den Brüsten ließ 
sich kein Colostrum ausdrücken. Es bestand kein Zweifel, daß hier 
eine kolossale Haematokele vorlag. 

Die mühsam aufgenomraene und wegen widersprechender An¬ 
gaben nicht ganz zuverlässige Anamnese ergab Folgendes: Pat. ist 
seit 6 Jahren verheiratet (respective verkehrt seit dieser Zeit 
geschlechtlich), hat nicht geboren. Die letzte Regel soll am 
6 . Februar eingetreten sein. Drei Tage nach dem Aufhören der¬ 
selben soll sich täglicher, einen Monat andauernder Blutabgang 
eingestellt haben. 

Am 7. März waren plötzlich sehr heftige Schmerzen in der 
linken Seite des Unterleibs aufgetreten, mit Todesblässe, Ohnmacht, 
kurz allen Symptomen einer schweren inneren Blutung. Pat. war 
zu Bett gebracht worden und hatte sich nach ein paar Stunden 
wieder einigermaßen aus dem Collaps erholt. Ein Arzt, der gerufen 
wurde, wollte drei Tage später eine Auskratzung des Uterus vor¬ 
nehmen, da er glaubte, es handle sich um einen Abortus. Die Aus¬ 
kratzung unterblieb zum Glück, weil die Temperatur plötzlich auf 
40 stieg. Er schlug nun eine Ausspülung der Gebärmutterhöhle 
vor, auf die sich die Pat. aber auch nicht einließ. Ein hierauf 
gerufener Specialist verordnete Scheidenspülungen und Ichthyol¬ 
tampons. 

Pat. blieb im Bett, fühlte sich sehr elend, hatte Beschwerden 
beim Uriniren und bei der Defäcation, die nur mit Hilfe von 
Klystieren möglich war, mäßige Schmerzen im Leib und subfebrile 
Temperaturen. 

Der College, der nun die Behandlung übernommen hatte, 
war mit meiner Diagnose: Haematokele nach geplatzter Graviditas 


tubae sinistrae ganz einverstanden. Weshalb die beiden anderen 
Aerzte die Diagnose nicht gestellt hattqp, ist bei der Klarheit dieses 
Falles eigentlich merkwürdig. 

In der ersten Hälfte des April war das Allgemeinbefinden ein 
recht schlechtes. Die gelbliche Verfärbung der Haut hatte zu¬ 
genommen. Der Appetit fehlte ganz und die hartnäckige Ver¬ 
stopfung sowie die Urinbeschwerden quälten die Kranke sehr. 
Manchmal erhob sich die nie ganz normale Temperatur auf 38"5. 

Da nicht anzunehmen war, daß dieses kolossale Extravasat 
sich spontan resorbiren werde, sondern zumal wegen der Fieber¬ 
erscheinungen viel eher, daß durch seine Verjauchung infolge von 
Einwanderung von Darmbakterien der Kranken schwere Gefahren 
drohen dürften oder zum mindesten ein unabsehbar langes Kranken¬ 
lager, so rieth ich entschieden zur Operation, die auch von der 
Pat. acceptirt wurde. Nachdem durch Klystiere und Abführmittel 
möglichst für Entleerung der Därme gesorgt war, wurde die Kranke 
in meine Klinik gebracht und dort am 14. April die hier allein 
in Frage kommende Laparotomie ausgeführt. 

Chloroformnarkose mit Kappeler’s Apparat (50 Grm. Chloro¬ 
form). Nach Eröffnung des Abdomens präsentirt sich eine mit 
schwarzen Blutcoagulis erfüllte Höhle, die nach oben gegen die 
Därme durch dicke Fibrinscbwarten beinahe abgekapselt ist. Es 
wird ungefähr ein Waschbecken voll dieser Coagula ausgeräumt, 
bis Uterus und Adnexe überhaupt zum Vorschein kommen. Die 
Adnexe rechterseits sind normal. In der Nähe der linken, in einen 
großen, unregelmäßigen Tumor verwandelten Tube findet sich in 
die Blutcoagula eingebettet das ungefähr dem dritten Monat ent¬ 
sprechende, den Embryo enthaltende Ei. Der im übrigen dickwandige 
Tumor zeigt an seiner oberen Fläche eine verdünnte, wie von innen 
usurirto Wand mit einem circa 5 Cm. langen Einriß. Das linke ver¬ 
größerte und ein Corpus luteum verum enthaltende Ovarium ist 
ganz mit dem Tumor verbacken. Nach Unterbindung der Spermatica 
im Ligamentum infundibulo - pelvicum wird der Tumor (sammt 
Ovarium) vom Uterus abgebunden und exstirpirt. Schließlich werden 
noch reichliche Mengen von Blutcoagulis aus der Excavatio vesico- 
uterina und aus dem Douglas ausgeräumt. Nach trockener Reinigung 
des ganzen Operationsgebietes wird die Bauchwunde durch einfache, 
alle Schichten fassende Drahtnähte geschlossen. 

Der Verlauf war vollkommen afebril. Am achten Tage wurden 
die Nähte entfernt. Ein nun plötzlich eintretendes Fieber mit 
starkem Herpes labialis ließ sich nur auf Koprostase zurückführen ; 
und thatsächlich sank die Temperatur nach Klystieren und Ricinus 
unter sehr reichlichen Entleerungen schnell auf die Norm. Offenbar 
hatten die vor der Operation gegebenen Laxantien wegen der 
Compression des Darms durch die große Hämatokele keine genügende 
Wirkung entfaltet. 

Pat. verließ nach einigen weiteren Tagen die Klinik in bestem 
Wohlbefinden. Die Anämie hob sich bei gutem Appetit in kurzer 
Zeit. Die Bauchnarbe ist auch später vollkommen resistent geblieben. 
(Eine Hernia lineae albae entsteht meiner Erfahrung nach bei 
normalen Bauchdecken nach der einfachen Naht nicht, obwohl ich 
gewöhnlich keine Bauchbinde tragen lasse. Bei schlaffen, atrophischou 
Bauchdecken und Diastase der Recti kann sie sich nach der ein¬ 
fachen wie nach der Etagennaht ausbilden, nach der letzteren 
gewiß leichter wegen der Strangulation und Anämisirung der Gewebe 
durch die vielen eng geschnürten Nähte, die noch obendrein nicht 
selten secundäre Eiterungen veranlassen. — Fast alle Bauchbrüche, 
die ich gesehen und zum Theil operirt habe, waren, und zwar 
auch bei Nulliparen mit vorher ganz normalen Bauchdecken, nach 
anderwärts unter Etagennaht ausgeführten Laparotomien entstanden.) 

Bei der Patientin traten die Menses am 25. Mai schmerzlos 
ein und blieben den Sommer über regelmäßig. Die letzte Menstruation 
zeigte sich am 12. August. Am 24. October fand ich den Uterus 
orangegroß, etwas nach rechts gelagert. Bauchnarbe stark pigmen- 
tirt, ebenso der Warzenhof. Colostrum in den Brüsten. Die Schwanger¬ 
schaft verlief normal und Pat. gebar rechtzeitig ein gesundes Kind. 

Der günstige Verlauf in diesem letzten Fall spricht 
gewiß auch für die auf der letzten Naturforseherversammlung 
zum Ausdruck gekommene Anschauung, daß die operative 

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1902. 


Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 30. 


1396 


Behandlung der Haematokele, und zwar sowohl der ganz 
frischen als der schon einige Zeit bestehenden doch wohl dem 
exspectativen Verfahren überlegen sein dürfte, zumal wenn 
man bedenkt, daß es sich hier nicht allein um die Resorption 
des Blutergusses und des Schwangerschaftsproducts, sondern 
auch um die Rückbildung ganz bedeutender pathologischer 
Veränderungen der Tube handelt. 

Die Vermeidung vieler Gefahren, die Abkürzung der 
Heilungsdauer, die Herstellung normalerer Verhältnisse im 
Becken, als die Natur sie nach langer Resorptionsarbeit schafft, 
scheinen mir doch schwerwiegende Momente zu sein, die zu 
Gunsten des operativen Eingriffs, und zwar wegen der leich¬ 
teren Beherrschung des Operationsfeldes des Eingriffes von 
den Bauchdecken aus, in die Wagschale fallen. Ich bin über¬ 
zeugt , daß sowohl der zweite von mir geschilderte Fall, in 
dem nach langdauernder Störung des Wohlbefindens Resorption 
eintrat, als auch der erste, in dem nach schwerer Krank¬ 
heit das verjauchte Extravasat zur Perforation kam, schneller 
und vollständiger durch die Laparotomie zur Heilung gebracht 
worden wäre. 


Experimentelle Untersuchungen 

über die 

Blutdruckmessungen mit dom Gärtner’schen 

Tonometer. 

Von Dr. Heinrich Wolf in Wien. 

Die Fehlerquellen des GÄRTNER’schen Tonometers. 

(Schluß.) 

Ich will nun die Bedeutung dieser Ergebnisse an einem 
Beispiele zeigen. Herr Docent Strasser und ich haben bei 
Untersuchungen an Gesunden und Kranken im elektrischen 
Lichtkasten starke Herabsetzung des Blutdruckes, mit dem 
GÄRTNEK’schen Tonometer gemessen, beobachtet. Meine Unter¬ 
suchungen beweisen, daß wir aus diesen Zahlen durchaus 
keinen Schluß ziehen könnten, weil der Finger hohen Wärme¬ 
graden ausgesetzt war. Ich glaube auch, daß bei anderen 
Eingriffen, wie z. B. Bädern, die Elasticität des Gewebes ver¬ 
ändert wird und dadurch die Ergebnisse der Tonometer¬ 
untersuchungen beeinflußt werden. 

Ich glaube durch die Untersuchungen genügend bewiesen 
zu haben, daß die Beschaffenheit der Gewebe des Fingers von 
großer Bedeutung für die Höhe des nothwendigen Druckes 
ist. Ich habe schon erwähnt, daß auch Gärtner in einem 
Falle diesen Umstand gewürdigt hat. Es ist auch möglich, 
ja sogar wahrscheinlich, daß die großen Unterschiede im Blut¬ 
drucke bei verschiedenen gesunden Soldaten, die Jellinek mit 
dem GÄRTNER’schen Tonometer gefunden hat, nämlich 85 Mm. 
bis 185 Mm., zum Theile solchen Verhältnissen zuzuschreiben 
sind. Leider hat er auf die Beschaffenheit der Haut nicht 
geachtet. 

Ich habe in diesem Sommer (1901) bei einer Patientin unge¬ 
wöhnlich hohe Tonometerzahlen (200—210) gefunden. Es be¬ 
stand weder Arteriosklerose, noch Nephritis, aber die Haut 
der Patientin war hart und derb wie Leder. 

Im 46. Band des Archivs für experim. Pathologie und 
Pharmakologie erschien eine Arbeit von Dr. Heinrich 
v. Recklinghausen über Blutdruckmessung beim Menschen, 
welche sich auch mit dieser Frage beschäftigt, v. Reckling¬ 
hausen kommt zu dem Ergebnisse, daß die Weichtheile keinen 
nennenswerthen Einfluß auf die Blutdruckmessung mit Com- 
pression der Weichtheile ausüben kann. Leider herrscht eine 
solche Unklarheit in den physikalischen Begriffen in jener Arbeit, 
daß Recklinghausen eigentlich das Gegentheil von dem be¬ 
wiesen hat, was er zu beweisen glaubte. Ich will zur Er¬ 
läuterung einige Sätze hier wörtlich anführen. 


Pag. 88: „Wir kommen bezüglich der Weichtheile der 
menschlichen Extremitäten zu dem Schlüsse, daß dieselben, 
solange sie normale Elasticität besitzen, keine eigene 
Gleichgewichtstendenz haben, keine die Druckmessung 
beeinflussende Spaunung oder Steifigkeit besitzen. Das wird 
manchem überraschend sein. Man muß aber bedenken, daß es 
sich bei diesen Versuchen nur um Verschiebungen sehr geringer 
Breite handelt (wenige Zehntelmillimeter), und daß die lebenden 
Weichtheile eine so ungeheure Verschieblichkeit und 
eine so vollkommene Elasticität besitzen, wie sie von 
keinem der sonst als elastisch bekannten Stoffe auch nur im 
entferntesten erreicht wird.“ 

Das letztere ist wohl etwas gewagt (Flüssigkeiten), 
doch da3 ist ja gleichgiltig. Ich möchte nur darauf hinweisen, 
daß Verschieblichkeit und Elasticität bei nichtflüssigen Körpern 
in contradictorischem Gegensatz stehen, daß es im Wesen der 
elastischen Körper liegt, in ihren ursprünglichen Zustand 
zurückzukehren. Sie müssen daher jeder Verschiebung ihrer 
Massentheilchen gegen einander einen Widerstand leisten. 

v. Recklinghausen ließ sich offenbar dadurch zu diesem 
falschen Schlüsse verleiten, daß er bei gleichzeitiger Messung 
am Oberschenkel und Oberarm bei demselben Menschen über¬ 
einstimmende Zahlen mit seinem Apparate erhielt, wiewohl 
der Umfang so verschieden ist. Ich finde darin eine petitio 
principii, indem er annimmt, daß die Werthe, die er erhielt, 
den wahren Blutdruck darstellen, was ja erst zu beweisen ist. 

Ich muß deshalb trotz dieser Untersuchungen meine Be¬ 
hauptung von der großen Bedeutung der Weichtheile aufrecht¬ 
halten. 

Das sind alles Dinge, die geeignet sind, die Werthe für 
den Blutdruck, mit dem GÄRTNER’schen Tonometer gemessen, 
zu erhöhen. Es gibt aber auch vielleicht eine Thatsache, die 
wohl imstande wäre, diese Werthe herabzusetzen. 

Es ist bekannt, daß die Untersuchungen mit dem Gärtner- 
schen Tonometer auch bei hochgradigen Anämien gelingen, ja, 
daß sich der Finger bei diesen Kranken lebhaft röthet. Gärtner 
erklärt dies damit, daß ja schon ein Tropfen Blutes offenbar 
genüge, um die Fingerbeere zu röthen. Ich glaube, daß er 
diese Behauptung nur bildlich gemeint hat, denn die Röthung 
ist eine so mächtige, daß gewiß eine verhaltnißmäßig große 
Menge Blutes dazu nothwendig sein dürfte. Ich finde eine 
Analogie in der Thatsache, auf die Bier in seiner Arbeit 
über den Collaternlkreislauf hinweist, daß bei Lösung des 
EsMARCH’schen Schlauches selbst bei offenen Arterien sich die 
vom Umschnürungsringe peripher gelegenen Theile der Haut 
stark röthen. 

Man mag das erklären, wie man will, offenbar ist es, 
daß, sei cs durch Erschlaffung der Blutgefäße oder durch 
andere Umstände, Bier nennt sie Blutgefühl, mehr Blut in 
diese Theile hineinströmt. 

Ich bin mir darüber klar, daß sich die Bedeutung dieser 
Erscheinung für die Werthe der Tonometermessung nicht ein¬ 
mal vermutbungsweise angeben läßt. 

Wenn ich also zusammenfasse, zu welchen Ergebnissen 
mich meine Untersuchungen geführt haben, so möchte ich 
sagen: „Wir messen mit dem GÄRTNER’schen Tonometer nicht 
nur den Blutdruck, sondern noch eine Anzahl von Einflüssen, 
deren Bedeutung für die Höhe der erhaltenen Werthe wir 
nicht anzugeben vermögen.“ 

In ähnlicher Weise hat dies schon Kornfeld aus¬ 
gesprochen. 

Da aber Professor Gärtner die Beziehungen zwischen 
Blutdruck und den am Tonometer erhaltenen Zahlen durch 
Versuche festzustellen versucht hat, so hielt ich mich ebenfalls 
verpflichtet, in dieser Richtung zu arbeiten. Ich will jedoch, 
bevor ich auf diese meine Untersuchungen eingehe, dieGÄRTNER- 
schen Versuche erwähnen. 

Gärtner experimentirte an runden Schwänzen weißer 
Hunde; er gibt im ganzen vier Versuche an. 


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Einen derselben habe ich bereits erwähnt. Gärtner hält 
ihn für bedeutungslos wegen der Beschaffenheit des Schwanzes. 

Er erhält folgende Zahlen: 



s 

s 


t- 




3 

3 


ai 





E 


8 




X 

c 



5C 



a 

3 


o 

H 

a 


1 

I. Versuch . . . 

104 

96 

10o 

100 


Wiiderholung nicht 

Hund (Cruralis) . | 

88 

76 

82 • 

70 

- 12 

möglich wegen 

Curare . . . . 

70 

60 

65 

60 

- 5 

Uedems d. Schwanzes 

II. Versuch . . . 







Morphium . . . 

140 

126 

133 

150 

+ 17 

Haut des Schwanzes 

Hund.i 

129 

117 

123 

137 

+ 14 

war ungt wohnlich 

Cruralis .... 

123 

111 

117 

132 

+ 15 

derb 

III. Versuch . . i 

188 

96 

142 

135 

- 7 


Carotis .... 

188 

17o 

179 

180 

+ 1 


Morphium . . . j 

176 

144 

160 | 

155 

— 5 


IV. Versuch . . 

112 

K'7 

113 1 

110 

_ 


Morphium . . . 

117 

99 

108 | 

106 

— 2 


Chloroform ... 

112 

98 

105 

107 




1(3 

83 

93 

87 

- ü 


Auf Grund dieser 

Wahlen 

kom 

mt Gärtner zu dem 


Schlüsse, daß sein Tonometer die mittleren Blutdruckwerthe 
— in der Carotis oder Cruralis gemessen — angebe. Ich 
werde auf diesen Theil der Frage noch später eingehen. 

Ich g aube aber nicht, und darin schließe ich mich voll¬ 
ständig der Anschauung Anderer an, daß der Druck in der 
Carotis oder Cruralis und in den kleinen Schwanzarterien nur 
an lähernd gleich sein könne. Angenommen, nicht zugegeben, 
daß die Vermehrung des Widerstandes in den kleinsten Arterien 
verschwindend klein gegen die Vermehrung in den Präcapillaren 
und Capillaren wäre, so kann man doch nicht behaupten, daß 
in der Fingerbeere eine nur einigermaßen bedeutende Arterie 
verlaufe. 

Die Versuche Gärtner’s haben aber noch einen großen 
Fehler. 

Beobachtete er die Werthe für den Blutdruck in der 
Carotis und am Tonometer zu gleicher Zeit, so stimmten die 
Werthe gar nicht, wohl aber dann, wenn man 4 — 6 Secunden 
vorher die Blutdrucklinie berücksichtigt. Das erklärt Gärtner 
damit, daß das Blut einige Secunden brauche, um in die 
Capillaren einzutreten. Er will dies mit Injectionen von Neben- 
nierenextract, welche ja bekanntlich große Blutdrucksteigerung 
erzeugen, beweisen. Nach meiner Meinung aber wäre hier dem 
persönlichen Ermessen zu viel Spielraum gelassen. 

Ich habe die Versuche Gärtner’s nachgeprüft. Hunde 
mit weißem Schwänze wurden chloroformirt, die Cruralis mit 
dem Manometer verbunden. Dann wurde auf den rasirten 
Schwanz ein elastischer Ring geschoben, um den zu beobach¬ 
tenden Bezirk zu verkleinern. Anämisirung nach Esmarch 
mit einer kleinen Gummibinde. Die Ergebnisse theile ich später 
zugleich mit denjenigen mit, die ich bei einer anderen Versuchs¬ 
anwendung gefunden habe. 

Von ganz besonderer Bedeutung aber sind, wie ich 
glaube, meine Versuche, die ich am abgestutzten Hundc- 
schwanz gemacht habe. 

Einem Hunde, der vorher zu den oben geschilderten 
Versuchen verwendet worden war, wurde unmittelbar am 
umschniirenden Ring der Schwanz glatt ahgeschnitten und 
die Arterie unmittelbar beobachtet. So konnte ich bei Herab¬ 
setzung des Druckes im Ringe sehen, bei welchem Manometer¬ 
stande das Blut aus dem offenen Lumen der Arterie heraus¬ 
trat. Ich glaube, daß diese Versuchsanordnung die genaueste 
und sicherste ist. 

Ich fand in diesen Fällen immer höhere Werthe als bei 
der Beobachtung der Hautröthung. Bei dieser Versuchsanord¬ 
nung war die Bedeutung der Ringgröße noch deutlicher (Fig. 3). 


Cnrvc. 



Fig. 3. Versuch vom 15. Mai 1900. Hun I. Chlorof irmnarkose. 
Beobachtung am gestutzten Handeschwanz. 

Die höheren Zahlen entsprechen den Beobachtungen bei Verwendung des 

großen Ringes. 





Blutdruck in 

der Cruralis 

| 



Großer Ring 

Kleiner Ring 


Versuch 

ü 

a 

a 


a 

5 




jS M 

53 


2‘ 

es 

j= 

Mittel 

s 

0 

'x 

3 

s 

's 

Mittel 




a 



S 

ä 



[Vor der Amputation .... 

140 


_ ■ 

_ 

130 

124 

127 

1 15. V. 

| 

150 

140 

124 

132 

— 

— 

— 

19oo 4 ) 

INach der Amputation . . . 

150 

— 

— 

— 

144 

130 

136 | 



180- 

152 

130 

141 



~ | 


Wir sehen also, daß 1. eine Uebereinstimmuog der Werthe 
am Manometer und dem Blutdruck nicht vorhanden ist, 2. daß 
die Uebereinstimmung jedoch besser wird bei Beobachtung der 
blutenden Arterie, 3. daß die Ringgröße von außerordentlicher 
Bedeutung für das Ergebniß ist. 

Ich habe in einwandfreier Weise nachgewiesen, daß die 
Tonometerzahlen und die Blutdruckwerthe nicht übereinstimmen. 
Ich möchte aber aus dem Vergleiche der GÄRTNER’schen Ver¬ 
suche und gewissen von mir gemachten Beobachtungen am 
Menschen diese Behauptung stützen. 

Gärtner behauptet, wie ich oben gesagt habe, daß man 
mit dem Tonometer die mittleren Blutwerthe messe. 

Ich habe nun folgende merkwürdige Beobachtung gemacht: 
Legt man die beiden Ringe des FEDERN’schen Apparates an 
einen Finger gleichzeitig in der Weise an, daß zwischen ihnen 
ein Hautstück frei ist, so kann man sehen, daß der Unterschied 
zwischen der Röthung der Fingerbeere und des centralen, 
zwischen den Ringen befindlichen Hauttheiles um 20 Mm. 
Quecksilber beträgt. 

Das ließe sich verschieden deuten. Es könnte sich z. B. 
um eine geringere Zusammendrückbarkeit des Fingergewebes 
am centralen Theile handeln. Ich halte es aber für sehr wahr¬ 
scheinlich, daß zur Zeit des größten Blutdruckes kleine Mengen 
Blutes in diesen Fingertheil getrieben werden. Hier ist das 
Blut aber durch den centralen Ring vom Blutstrome während 
der Diastole getrennt und steht daher nicht mehr unter dem 

4 ) Versuche ergaben übereinstimmende Ergebnisse. 


2 * 

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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 30. 


1400 


in den Arterien herrschenden Drucke. Es fehlt die treibende 
Kraft, um das Blut durch den peripheren Ring in die Finger¬ 
beere zu treiben. 

Die Bedeutung der maximalen Blutdruckschwankungen 
haben schon Grebner und Gbünbaum theilweise gewürdigt. 
Ich möchte aus dieser von mir erwähnten Beobachtung den 
Schluß ziehen, daß bei den Tonometermessungen am Menschen 
der maximale Blutdruck in den Werthen enthalten ist.' Da 
aber die von Gärtner gefundenen Zahlen geringer sind als der 
maximale Blutdruck, nach den obigen Ergebnissen aber otfenbar 
gerade dieser mit dem Tonometer gemessen wird , so ist die 
Uebereinstimmung mit dem mittleren Blutdrucke eine zufällige. 

Ich glaube nun bewiesen zu haben, daß auch die localen 
Zustände des untersuchten Fingers für das Ergebniß von großer 
Bedeutung sind. 

Meine Anschauungen, die ich aus meinen Untersuchungen 
gewonnen habe, sind folgende: 

I. Die Ringgröße ist nicht gleichgiltig. 

II. Wir erhalten beim Messen mit dem GÄRTNER’schen 
Tonometer nur relative Werthe, weder den maximalen, noch 
den mittleren, doch ist der maximale darin enthalten. 

III. Die mit dem GÄRTNER’schen Tonometer erhaltenen 
Zahlen haben im allgemeinen 5 ) nur im Vergleiche mit den 
früher oder später bei demselben Menschen gewonnenen eine 
Bedeutung. 

IV. Locale Einwirkungen auf die Hände können die 
Tonometerwerthe außerordentlich beeinflussen. 

V. Diese Ergebnisse gelten meines Erachtens zum Theile 
auch für jene Methoden der Blutdruckmessung, bei welchen 
man Theile der Extremität oder ganze Extremitäten um¬ 
schnüren muß. 


Referate. 


F. K. Kleine : Ueber die Resorption von Chininsalzen. 

Verf. hat Untersuchungen über die Resorption und Ausschei¬ 
dung des Chinins angestellt („Ztschr. f. Hygiene“, Bd. 28, pag. 459). 
Nachdem die Versuchspersonen Harn gelassen, erhielten sie Chinin 
mit der Weisung, innerhalb 24 Stunden ihren Harn in einzelnen 
Flaschen gesondert aufzufangen. In dem Harn wurde das Chinin 
durch Pikrinsäure gefällt, das Alkaloidpikrinat durch Kalilauge 
zersetzt, das Chinin mit Chloroform ausgeschüttelt und nach Ab¬ 
dunsten des Chloroforms und Trocknen bei 120° C. zur Wägung 
gebracht. Wurde das Chinin Morgens, nachdem die Versuchsperson 
, / 2 Stunde zuvor auf nüchternem Magen ein Brötchen gegessen 
hatte, per os gereicht und Aufnahme von Nahrung erst 2 Stunden 
nach dem Einnehmen des Chinins gestattet, so wurden 25—28% 
des Chinins in den folgenden 24 Stunden im Urin ausgeschieden. 
Zwischen 2 und 6 Stunden nach der Einführung ist die Ausschei¬ 
dung bereits auf der Höhe, so daß also die Hauptmenge im Magen 
resorbirt wird. Bei bestehender Störung der Magenverdauung wird 
der therapeutische Effect erheblich herabgesetzt Nahm der Patient 
Chinin bei gefülltem Magen, so konnte die Resorption wesentlich 
behindert sein. In Bezug auf die Anwendung des Chinins per 
cly8ma fand K., wenn die Patienten zunächst ein Reinigungsklystier 
und dann 2 Grm. Chinin in 100 Ccm. Wasser per anum erhielten, daß 
in den folgenden 24 Stunden 17‘5% durch den Harn wieder aus¬ 
geschieden werden. Die Resorption des Chinins ist also eine gute, 
was auch darin zum Ausdruck kommt, daß die Patienten Ohren¬ 
sausen bekommen. Bei einem Patienten, bei dem 7 Stunden nach 
dem Chininklystier eine Defäcation stattfand, wurde noch 17 Stunden 
lang Chinin im Urin ausgeschieden. Den nach dem Klystiere auf¬ 
tretenden Stuhldrang durch Hinzufügen einhüllender Vehikel zu 
bekämpfen, ist nicht rathsam, da dadurch die Resorption beein¬ 
trächtigt wird. Verf. hatte dagegen Erfolg bei Zusatz von einigen 


6 ) Ich leugne keineswegs, mit gewissen Einschränkungen (siehe oben 
erwähnten Fall), die große allgemeine Bedeutung der hohen Tonometerwerthe 
(über 200) bei der Diagnose der Atheromatose und Nephritis. 


Tropfen Cocain oder Opiumtinctur. In den Tropen ist es üblich, bei 
Leuten, welche Chinin per os nicht vertragen, subcutane Injectionen 
vorzunehmen, und zwar besteht die Ansicht, daß die halbe Dosis 
bei subcutaner Application das Nämliche leiste, wie die ganze 
per os gegeben. Bei der Anwendung von Chin. bimur. wurden in 
24 Stunden ca. 11%, bei der von Chin. mur. wenige Procente 
mehr ausgeschiedeu, was damit übereinstimmt, daß bei subcutaner 
Darreichung des Chinins Ohrensausen nicht auftritt. Auch durch 
den Darmlractus wird das subcutan gegebene Chinin nicht in 
größeren Mengen ausgeschieden, sondern das Chinin fällt zum großen 
Theil an Ort und Stelle aus und die Ausscheidung zieht sich lange 
Zeit hin. Dadurch kommt vielleicht die Dauerwirkung bei Malaria 
zustande. . G. 


Campbell Thomson (London): Acute Magenerweiterung. 

Verf. hat vier einschlägige Fälle beobachtet („Lancet“, 
October 1901). Im 1. Falle trat die Dilatation plötzlich im Verlaufe 
einer allmälig zunehmenden Pylorusstenose auf. Der Magen war 
cylindrisch, die kleine Curvatur bildete eine scharfe Curve, die 
große war abgerundet und reichte gerade bis zum Darmbeiukamm. 

Im 2. Falle, einem 26jähr. Manne, trat die Dilatation im An¬ 
schlüsse an eine Nierenoperation ein. Pylorus und Magenwand ließen 
keinerlei krankhafte Veränderung erkennen. Im 3. Falle (4 0 Jahre 
alte Frau) war eine Operation wegen Gallenstein gemacht worden, 
bei welcher sich keine Steine fanden, hingegen eine Vergrößerung 
der Gallenblase und ein Tumor des Pankreas. Am 6. Tage nach 
der Operation stellten sich die bedrohlichen charakteristischen 
Erscheinungen der acuten Magenerweiterung ein. Im 4. Falle (einer 
24jähr. Frau) entwickelte sich die acute Dilatation im Anschlüsse 
an eine Pneumonie des rechten Unterlappens und Pleuritis der 
rechten Seite. 

Ob die Erweiterung des Magens nur scheinbar ganz plötzlich 
entsteht oder allmälig zustande kommt, ist zweifelhaft. Man muß 
Fälle unterscheiden, in welchen die Erweiterung ohne nachweisbare 
Ursache zustande kam, solche, bei denen sich nach dem Tode noch 
andere Veränderungen fanden, schließlich Fälle, bei welchen die 
Dilatation auf einen chirurgischen Eingriff folgt und keine weitere 
Ursache vorliegt. 

Die wichtigsten Symptome bestehen in Auftreibung des 
Leibes, hauptsächlich der linken Seite des Leibes, und des unteren 
Theiles desselben, starkem Erbrechen, beträchtlicher Verminderung 
der Urinausscheidung, collapsartigem Zustande mit kleinem, beschleu¬ 
nigtem Pulse, beschleunigter Athmung, niedriger Temperatur, eigen- 
thümlicher, cylindrischer Gestaltung des Magens ohne Veränderung 
der Magenwand. Ueber die Ursache der Erweiterung sind die An¬ 
sichten verschieden. Manche Autoren glauben, daß nervöse Stö¬ 
rungen zu einer Lähmung der Musculatur des Magens führen 
können, andere sind der Ansicht, daß rapide Gasentwickelung die 
Ursache der Dilatation sei. Die Therapie muß versuchen, mit 
Hilfe des Magenschlauchs die Spannung zu mindern. Es empfiehlt 
sich die Ernährung per rectum. G. 

Gustav Heermann (Kiel): Ueber Caissonkr&nkheit. 

Verf. führt in prophylaktischer Hinsicht folgende Indicationen 
an („Sammlung klin. Vortr.“, Nr. 334) : 

Der Arbeiter muß eine für die Luft vollkommen durchgängige 
Nase besitzen und den VALSALVA’schen Versuch ausführen können. 

Perforationen des Trommelfells contraindiciren das Einsteigen 
unter erhöhtem Druck nur, wenn sie durch eine acute Pauken¬ 
höhlenentzündung bedingt sind. Chronische Otorrhoen bilden 
keine Gegenanzeigen, wenn der Arzt dem Arbeiter auch naturge¬ 
mäß eine sachverständige Behandlung seines Leidens anrathen, 
bezw. selbst angedeihen lassen wird. Arbeiter mit trockenen Per¬ 
forationen oder epidermisirter Paukenhöhle sind geradezu als be¬ 
sonders geeignet für Arbeiten für erhöhtem Druck anzusehen. 

Chronische Katarrhe der Paukenhöhle (Mittelohrschwerhörig¬ 
keit) geben keine Gegenindication ab. Im Gegentheil bessert sich 
bei ihnen die Schwerhörigkeit oft auffallend und auf längere Zeit 
durch den Aufenthalt unter erhöhtem Druck. Arbeiter mit laby- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 30. 


1402 


rinthärer Schwerhörigkeit sind nicht direct auszuschließen ; wohl 
aber sind sie besonders vom Arzt darauf aufmerksam zu machen, 
daß sie beim Ausschleusen die größte Vorsicht bezüglich der ge¬ 
nügenden Zeitdauer beobachten. Arbeiter mit eitrigem Nasensecret 
sind auch bei durchgängiger Nase auszuschließen. Im Uebrigeu ist 
auch in Rücksicht auf das Ohr die Forderung zu stellen, daß bei 
Arbeiten in einer Tiefe von über 15 Metern die Ausschleuszeit 
2 Minuten für 0‘1 Atmosphäre beträgt, und daß die Arbeiter bei 
solchen Drucksteigerungen entweder, was das Beste ist, am Arbeits¬ 
plätze casernirt werden, oder daß sie wenigstens denselben nicht 
früher als zwei Stunden nach dem Ausschleusen verlassen dürfen, 
damit sie beim Eintreten MENlERE’scher wie auch anderer Decom- 
pressionserscheinungen sofort recomprimirt werden können. Die 
praktische Erfüllung dieser Forderung scheint unschwer möglich, 
da man die Arbeiter ja schließlich auch nach dem Ausschleusen noch 
immer 1 bis lVa Stunden oberirdisch beschäftigen kann. G. 


Roloff (Halle): Ueber manuelle Reposition von Luxa¬ 
tionen ohne Narkose. 

An Stelle der von Hofmeister angegebenen Methode der 
Reposition von Schulterluxationen mittelst permauenter Gewichts¬ 
extension gibt Verf. ein auf demselben Princip beruhendes Verfahren 
an, das den Vortheil hat, ohne jeden Apparat einfach mit der 
Hand ausgeführt werden zu können, und das Verf. folgendermaßen 
beschreibt („Centralbl. f. Chir.“, 1902, Nr. 16): Der Fat. wird 
mit dem Rücken auf den Boden gelegt, man tritt auf die ver¬ 
letzte Seite, ergreift die Hand des luxirten Armes und beginnt 
langsam zu extendiren. Ganz allmälig steigert man die Energie 
des Zuges, doch bleibt sie immer nur gering; gleichzeitig geht 
man allmälig in Abduction, schließlich bis in annähernd verticale, 
d. h. der Körperachse parallele Stellung des Armes über. Den Zug 
übt man ohne besondere Kraftanstrengung durch leichtes Hinten¬ 
überlegen des Rumpfes aus. Ist die Abduction vollendet, so steht 
der Kopf meistens in der Pfanne, und indem man den Arm unter- 
Unterstützung des Kopfes von der Achselhöhle langsam senkt, ist 
die Reposition vollendet. 

Wichtig erscheint es, ruckweises Ziehen und unnöthige Palpation 
zu meiden, da sonst Muskelcontractionen entstehen, die das Ver¬ 
fahren unmöglich machen. Erleichtert wird die Erschlaffung der 
Musculatur durch Ablenkung der Aufmerksamkeit des Kranken. 

Das Verfahren ist in 10 Fällen ausgeführt worden und hat 
nur in 3 Fällen versagt. In den gelungenen Fällen betrug die 
Zeitdauer der Extension 7—13 Minuten. Ein Einschnappen des 
Kopfes war nicht zu bemerken, sondern der Kopf glitt allmälig 
in die Pfanne. Erdheim. 


A. Neisser (Breslau): Ueber Verguche, Syphilis auf 
Schweine zu übertragen. 

Die Versuchsreihe Neisser’s ist eine sehr ausgedehnte, sowohl 
in Beziehung auf die Zahl der geimpften Thiere, als auch auf die 
vielfach variirten Bedingungen, unter welchen diese Impfungen 
vorgenommen wurden. Letztere betreffend gelangten zur Anwendung: 
1. Injectionen mit Blut unbehandelter Syphiliskranker im frischen 
secundären Stadium; zwei der hiezu verwendeten 7 Schweine 
wurden überdies durch vorausgehende zweiwöchentliche Behandlung 
mit Phloridzin, bew. Alkohol erheblich geschwächt. 2. Subcutane 
Impfungen mit Gewebe von Syphilispatienten (5 Schweine). 3. Ver¬ 
reibung von Primäraffectsecret in die Haut (1 Schwein). 4. Vor¬ 
behandelnde Injection mit Serum von unbehandelten Syphilitikern 
und von Gesunden und Impfungen von Primäraffect resp. Injection 
von Blut (2 Schweine). Alle Impfungen verliefen resultatlos („Arch. 
f. Derm. u. Syph.“, Bd. 59), nur bei einem Schwein der II. Gruppe 
— Einnähung einer von einem mit Lues maligna behafteten Patienten 
stammenden, nässenden Papel in dieVagina — traten nach 5 Wochen 
ohne vorausgehende Induration an der Impfstelle und ohne Drüsen¬ 
schwellungen papulöse, zum Theil auch circinäre Efflorescenzeu auf, 
die nach ungefähr 3 1 j 2 Wochen ohne wesentliche Spuren verschwan¬ 
den, worauf unmittelbar ein acuter neuer Schub mit ausgesprochener 
Ring- und Guirlandenbildung und ausgesprochener Heilungstendenz 


einsetzte. Für die Syphilisnatur dieses Exanthems spricht: 1. Das 
Aussehen, die Entwickelung und das Fortschreiten der Efflorescenzen. 

2. Die Uebereinstimmung mit den Resultaten Hügel-Holzhauser’s. 

3. Die Exanthemform entspricht keinem sonst beim Schweine beob¬ 

achteten Hautausschlage. 4. Andere Ursachen des Exanthems (ins¬ 
besondere Mycelpilze) sind nicht nachweisbar. Gegen die Syphilis 
spricht das Versagen der Impfung bei in gleicher Weise mit dem 
gleichen Material geimpften Tuieren, ebenso die Thatsache, daß 
Ueberimpfungen von diesem Thiere auf andere (3) Schweine resul¬ 
tatlos blieben, und endlich der von Scholtz erhobene histologische 
Befund, der jedenfalls nicht als typisch- luetisch gelte n 
könne. Es ist daher die Frage, ob sich Syphilis auf Schweine 
übertragen lasse, noch durchaus offen, und der Autor kann sich 
derzeit der Beweisführung Hügeu’s und IIolzhauser’s nicht an¬ 
schließen. Deutsch, 


Sergent: Existence des anopheles en grand nombre 
dans une region d’ou le paludisme a disparu. 

Nach den Erhebungen des Verf. ist an den Uferu der Essonne, 
eines Nebenflusses der Seine, die Malaria vollständig verschwunden, 
obwohl dort Anophelesarten in großer Zahl Vorkommen ; die ge¬ 
fundenen Auopheles gehören den Gattungen Anopheles maculipennis 
(vel claviger) und Anopheles bifurcatus an. Es liegt also hier 
abermals der seltene Fall vor, daß das Verschwinden der Malaria 
nicht mit dem Verschwinden der Anopheles zusammenfällt, be¬ 
ziehungsweise nicht die Folge davon ist. Verf. wirft die Frage 
auf („Annales de l’Institut Pasteur“, 1901, pag. 811), ob das 
Vorhandensein von Anophelesarten eine Gefahr für die Einwohner 
jener Gegend in sich schließe, da ja häufig Malariakranke in jene 
Gegend kommen und die Plasmodien so auf gesunde Individuen 
übertragen werden könnten. Dr. S—. 


Viala (Paris): Les vacc&nations antirabiquefl a T Institut 
Pasteur en 1900. 

Dem Berichte Viala’s („Ann. de Plnstitut Pasteur“, 1901, 
pag. 445) entnehmen wir, daß im Pariser Iustitut im Jahre 1901 
1420 Personen der Schutzimpfung gegen Wuth unterzogen wurden. 
Von diesen sind 11 Personen an Lyssa gestorben; da aber eine 
derselben während der Behandlung, 6 Personen vor Ablauf von 
15 Tagen nach Beendigung der Behandlung, im Ganzen also 7 Per¬ 
sonen zu einer Zeit gestorben sind, da die Schutzimpfung noch nicht 
ihre Wirksamkeit entfaltet haben konnte, verbleiben für die Statistik 
4 Todesfälle = O'28 0 / o . Das Ergebniß der Behandlung war mithin 
im Berichtsjahre ein sehr günstiges und übertraf die meisten der 
Vorjahre. Dr. S—. 


Kleine Mittheilungen. 

— Die moderne Behandlung der Epheliden und Leberflecke 

erörtert Wegner („Ungar, med. Presse“, 1902, Nr. 4). Zwei 
Methoden kommen zunächst in Betracht, das Verfahren von Unna, 
der Resorcin anwendet, und das von Lassar, welcher eine Naph- 
tolschwefelpaste benützt. Resorcin bewirkt in 6 Tagen Schuppung. 
Der Kranke muß während der ganzen Behandlung das Zimmer 
hüten. Die Naphtolschwefelcur dauert unter Anwendung von 
Salicylpflaster bei Nacht 3 Tage, sie geschieht ambulant. Vom 
4. Tage angefangen, mit Beginn der Verfärbung der Haut, erfordert 
die Cur einen 4—5tägigen Aufenthalt im Spital oder zu Hause. 
Die Resorcincur ist also eine kürzere, demnach empfehlenswerther. 
Die Naphtolschwefelpasta wird täglich 15 Minuten bis 1 Stunde 
lang (bei Nacht ist Salicylpflaster empfehlenswerth), die Resorcin- 
pasta Tag und Nacht auf dem Gesicht gelassen, bequemer ist 
also die Naphtolcur. Nach Resorcinanwendung in der vorge¬ 
schriebenen Zeit können wir eine auf chemischer Reizung beruhende 
neue Pigmentation bekommen; unter der Naphtolschwefelcur tritt 
diese Pigmentation mit Bestimmtheit bei einer länger als 1 Stunde 
dauernden, fortwährenden Application auf; bei 13 Minuten bis 
1 Stunde dauernder, täglicher Anwendung eben derselben Pasta 
ist Pigmentation nicht zu beobachten. Dies spricht für die Naphtol- 


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schwefelcur. Das Resorcin verursacht am ersten Tage Mattigkeit, 
Schläfrigkeit und schon in der ersten Nacht da3 Gefühl der 
Spannung der Haut; schon am ersten Tage wird die Haut des 
ganzen Gesichtes erst roth und dann braun; auf dem sich ab- 
lösenden Epithel sind die alten Pigmentationen intensiv braun¬ 
schwarz. Demgegenüber verursacht die Naphtolcur nur langsam 
die den. eben erwähnten entsprechenden subjectiven und objectiven 
Symptome. Das Naphtol verdient also in dieser Beziehung den 
Vorzug. Mit Resorcin ist die Lösung des Gesichtsepithels in seinem 
ganzen Umfang auf einmal leichter zu erreichen als mit Naphtol. 
Bei Hyperpigmentationen gibt das Resorcin bessere Resultate, 
bei Comedoacne das Naphtol. Von Depigmentatoren kommt das 
Hydrogen, hyperoxydat. und das Chrysarobin in Betracht. Das 
Ilydrog. hyperoxyd. empfiehlt man in Form von Salben (Lanolin), 
es wirkt jedoch nur bei langer Anwendung. Verf. entfettet vor 
der Application des Mittels das Gesicht durch Waschung mit 
warmer Seifenlösung und drückt dann den in die oxydirende 
Flüssigkeit getauchten Schwamm über dem Fleck nochmals aus. 

— Ueber Darmerkrankungen und ihre Behandlung mit Honthin 
berichtet Goldmann („Reichs-Medizinal-Anzeiger“, 1901, Nr. 9). 
Er hat Honthin, d. i. keratinirtes Albumintannat, bei allen Arten 
von Darraerkrankungen in Anwendung gebracht. Das Präparat 
soll sich bei der' Behandlung acuter, subacuter und chronischer 
Darmstörungen als vollwerthiges, kräftig und nachhaltig wirkendes 
Darmadstringens bewähren; es zeigt nach Aussage des Verf. 
gleichzeitig eine ausreichend desinficirende Eigenschaft, ist selbst 
in größeren Dosen vollkommen unschädlich und hat weder auf 
den Appetit noch auf die Verdauung irgend welchen störenden 
oder beeinträchtigenden Einfluß. Honthin ist nach Ansicht des 
Verf. infolge seiner prompten und sicheren Wirkung zu den besten 
bei DarmerkrankuDgen indicirten Arzneimitteln zu zählen. 

— Von der Ansicht ausgehend, das unstillbare Erbrechen 
Gravider beruhe auf einer Vergiftung des Organismus, empfiehlt 
Condamin („Lyon med.“, 1902, Nr. 8), das Blut durch subeütane 
oder rectale Einverleibung von künstlichem Serum (physiologischer 
Kochsalzlösung) von den Toxinen zu befreien. Im einzelnen ge¬ 
staltet sich das Verfahren folgendermaßen : Absolute Ruhigstellung 
des Magens, vollständige Enthaltung von jeder festen oder flüssigen 
Nahrung während 8—10 Tagen. Tägliche Iujectionen von 3 bis 
4 Litern künstlichen Serums, am besten per rectum, eventuell 
unter Zusatz einiger Tropfen Opium. Nach 10 Tagen beginnt man 
die Nahrungsaufnahme mit einigen Tropfen Flüssigkeit und geht 
ganz allmälig zur gewöhnlichen Ernährung über, während man 
die Einläufe noch längere Zeit fortsetzt. In mehreren Fällen, in 
denen man schon zur Einleitung des künstlichen Aborts schreiten 
wollte, wurde durch diese Behandlung angeblich Heilung erzielt. 

— Zur Therapie des Carbunkels empfiehlt Stböll („Münch, 
med. Wschr.“, 1901, Nr. 45) für alle Fälle, in denen nicht ge¬ 
schnitten werden soll, folgende erprobte Behandlung: 


Rp. Acid. salicylic. 2 0 

Mellis crud.20'0 

Extract. arnic. flor.10 0 


qu. s. ut fiat nngueut. molle. 

S. Aenßerlich. 

Diese Salbe wird dick auf Borlint gestrichen, auf den noch 
geschlossenen Carbunkel breit aufgelegt, darauf fingerdick BauNs’sche 
Watte gelegt und mit Guttaperchapapier verbunden. Die Salbe 
wird jeden Tag erneuert, bis der Carbunkel aufbricht. Die Ent¬ 
zündung geht schon vorher in wenigen Tagen sehr zurück. Dann 
wird der Carbunkel täglich stark ausgedrückt, mit 3% Carbollösung 
gereinigt und wie bisher verbunden mit dem Unterschiede, daß 
unter der Salbe erst noch ein kleines Stückchen Borlint mit Carbol¬ 
lösung getränkt, aufgelegt wird. Sobald der Eiterpfropf zutage 
tritt, wird die Salbe weggelassen. Carboiverband. Nach Bloßlegung 
des Eiterpfropfes wird mit Jodoformgaze verbunden. Hat sich die 
Höhle mit Granulationen gefüllt, so wird täglich 10% Xero¬ 
formlanolin mit 5% Glycerin auf Lint gestrichen aufgelegt, 
wodurch schnell glatte und weiche Vernarbung er¬ 
zielt wird. 


— Mittheilungen über Exstirpation und Regeneration langer 
Röhrenknochen bei Osteomyelitis und Taberculose macht Berndt 
(„Münch, med. Wschr.“, 1902, Nr. 13). Er sah nach Totalexstir¬ 
pation langer Röhrenknochen in Fällen von Osteomyelitis und 
Tuberculose, bei denen durch Aufmeißelung keine Heilung erzielt 
worden war, eine kräftige Knochenneubildung eintreten, so daß 
sich die entfernten Knochen völlig vom Periost aus regenerirten. 
Auf Grund dieser Erfahrungen räth er, bei Amputationsfällen von 
Osteomyelitis und Knochentuberculose zunächst die Exstirpation 
des erkrankten Knochens oder Knochenabschnittes zu versuchen, 
und ist überzeugt, daß sich dadurch manche Amputation umgehen 
und manches scheinbar verlorene Glied erhalten und zu einem 
brauchbaren umgestalten läßt. 

— Das Jodipin ist seit seiner Entdeckung durch Hugo 
Wintebnitz Gegenstand häufiger Untersuchungen gewesen. Auf die 
Arbeiten von Winternitz sind zahlreiche Veröffentlichungen gefolgt, 
und zwar von Frese („Münch, med. Wschr.“, 1899, Nr. 213), 
Klingmüller („Berl. klin. Wschr.“, 1899, Nr. 25), Schuster 
(Ueber den therapeutischen Werth dos Jodipins, „Therapie der 
Gegenwart“, Mai 1900), Eulenburg (Vortrag auf der 72. Versamm¬ 
lung Deutscher Naturforscher, „Deutsche med. Wschr.“, 1900, Nr. 43), 
Nobl (Zur hypodermatischen Jodtherapie luetischer Spätformen, Bei¬ 
träge zur Dermatologie und Syphilis, Festschr. 1900), Rille (Wissen¬ 
schaftliche Aerztegosellschaft Innsbruck, Sitzung vom 19. Januar 
und März 1901), Welander (Ueber Jodkalium, Jodnatrium, Jod- 
albacid und Jodipin, „Archiv für Dermatologie und Syphilis“, Bd. 57, 
H. 1 u. 2) u. v. a. m. Alle diese Arbeiten bestätigen die Angaben 
von Winternitz zum größten Theil, erweitern dieselben, indem 
sie neue Verwendungen für Jodipin in Vorschlag bringen, und 
stimmen darin überein, daß das Jodipin einen sehr großen thera¬ 
peutischen Werth besitzt, und daß es ob seiner großen Vorzüge 
verdient, immer mehr in Anwendung gebracht zu werden. Das 
25%ige Präparat wird bei subcutaner Application tadellos aus- 
.gfiniitzt. .-Die Technik der Injection des Jodipin bietet keine 
besonderen Schwierigkeiten. Feibes („Derm. Zeitschrift“, IX) be¬ 
dient sich zu derselben als Nadel eines Troicarts, der sich mit 
Leichtigkeit in das subcutane Gewebe der Glntäalgegend einstoßen 
läßt. Bei einiger Geschicklichkeit erweist sich diese Operation als 
nicht schmerzhaft; eine Anästhesirang mit Chloräthyl erwies sich 
als überflüssig. Nach Zurückziehung der Nadel au3 dem Troicart 
vergewissere man sich zunächst, ob ein Blutgefäß getroffen ist; 
in diesem Falle wird das Instrument gänzlich zurückgezogen. Das 
auf Körpertemperatur vorgewärmte Jodipin wird dann unter sanftem 
Druck mit Leichtigkeit eingespritzt, die Nadel rasch zurückgezogen, 
die Einstichstelle mit dem Finger comprimirt und sofort etwas 
IIausmann’s Adhäsivum aufgestrichen; letzteres hat sich als ein 
ausgezeichnetes Verschlußmittel gegen das Aussickern des injicirten 
Jodipins .erwiesen. Da das Jodipin stets steril ist und keinerlei 
gewebsreizende Eigenschaften hat, sind Abscesse nicht zu besorgen. 
Eine Reinigung der Spritze ist nicht erforderlich, der Troicart 
wird nach dem Gebrauch jedesmal in Carbolwasser gelegt. Die In- 
jectionen sind im allgemeinen nicht besonders schmerzhaft. Hat 
man die Nadel nur sehr oberflächlich eingestochen, so beobachtet 
man des Oefteren bereits während der Injection eine harte, knotige 
Auftreibung, zuweilen sogar eine bläuliche Verfärbung an der 
Injectionsstelle. Dies ist eine irrelevante Erscheinung, die in ganz 
kurzer Zeit verschwindet. Ebenso verhalten sich gelegentlich zu 
beobachtende Oedeme. Hat man in einem kurzen Zeitraum große 
Quantitäten Jodipin eingespritzt, so kann man eine wohl auf 
Infiltration des Subcutangewebes mit Jodipin beruhende, durchaus 
nicht schmerzhafte Vergrößerung der betreffenden Hinterbacke in 
toto constatiren. In solchen Fällen läßt sich bei energischer Massage 
des betreffenden Theiles bald eine Verkleinerung bei gleichzeitig 
im Urin nachweisbarer verstärkter Jodausscheidung herbeiführen. 
F. hebt die Wirkung des Jodipin bei Syphilis maligna praecox, 
häufig recidivirenden Syphiliden und bei Affectionen des Nerven¬ 
systems ganz besonders hervor. 


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Literarische Anzeigen. 


Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Von Prof. 
Dr. Robert Tigerstedt. Zweite umgearbeitete Auflage. Mit 
143 theilweise farbigen Abbildungen im Text. Leipzig 1902, 
S. Hirzel. 

Der ersten Auflage dieses besten unter den Lehrbüchern der 
Physiologie ist rasch eine zweite gefolgt, die sich von der früheren 
wesentlich unterscheidet. Der Autor hat nur dasjenige berücksichtigt, 
was man als unsere Kenntnisse von den Leistungen des normalen 
menschlichen Körpers bezeichnen kann, und daher alles Pathologische, 
Pharmakologische, Vergleichend-Physiologische und die Histologie 
fortgelassen. Von der physiologischen Chemie, deren Abtrennung aus 
dem Gesammtgebiete der Physiologie unmöglich ist, haben die 
wichtigsten Capitel eine vorwiegend allgemein gehaltene Ausfüh¬ 
rung erfahren. Auch sonst hat T. hauptsächlich den Bedürfnissen 
des praktischen Arztes Rechnung getragen und mit bewunderungs¬ 
würdiger Klarheit seinen großen Stoff einem großen ärztlichen 
Publicum leicht verständlich gemacht. Ein Buch, das mit Einfach¬ 
heit der Darstellung so tiefes Eindringen in das Darzustellende 
vereinigt wie diese „Physiologie“ muß Aerzten und Studirenden 
wärmstens empfohlen werden. Br. 


Feuilleton. 

Lebensbilder aus halbvergangener Zeit. 

III. 

Johann David Ruland und seine Dreckapotheke. 

Von Dr. St. V. Vämossy in Preßburg. 

(Schluß.) 

Theca IV. De urina vaccina. Ad aurium dolorem 
Urina bubuli cum oleo et mirrha valet (Brunfelsius). Ad coi tum. 
Quando taurus postquam coiverit, minxerit, lutum permiscens quod 
sit ex urina, unge pudendum (Galenus). 

Theca V. De vituli stercore. Theca VI. De ovillo stercore. 
Theca VII. De vervecis vel arietis stercore sind ähnlichen Inhaltes. 
Ad epilepsiam. Arietis stercoris globuli 15 de serati sanant 
(Galend s). 

Theca VIII. De caprino stercore. Theca IX. De urina 
caprina et Theca X. De hirci stercore. Werden gegen die ver¬ 
schiedensten Krankheiten angewendet. 

Theca XI. De suis et porci stercore. Der Schweinedreck 
ist ein Specificum gegen allerlei Blutungen, so aus der 
Nase, den Lungen, dem Darm, der Gebärmutter etc. Landrinus ita 
scribit: Pro quodam ab aliis medicis desperato, qui crebro multum 
rejecit sanguinem accepi stercoris suilli Sanguinis patientis ana. 
Busyri recentis petum. Mixta dedi pro cibo Ecce postridie absumpt 
isto cibo sanus factus publice obambularit cum omnium admiratione. 
Ad ignem sacrum, erysipelas, in flaramationem, 
dolorem calidum. Stercus poredrum stercorum in aceto et 
adpositum est cura (Theophrastus Paracelsus). Theca XII. De 
u ri n a s u i 11 a. 

Theca XIII. De canis stercore. Der Hundedreck (graecum 
album) valet: Ad gntturis, colli apostema, squinentiam et faucium 
tumorem; ad anginam; ad uvulae casum; ad alvi constipationem. 
Finum caninum flagrantissimo canis sydero exceptum cum vino vel 
aqua potum adstringit alvum (Dioscorides). Ad ani fissuras, ad ani 
exitum, ad ani condylomata; ad ulcera humida exsiccanda; ad febres 
tertianos et periodicos; ad linguae ardorem; ad epilepsiam; ad 
capitis ulcera et scabiem infantum; contra variolas et morbillos ; 
ad dysenteriam et omnem fluxum sanguinis; ad colicam et nephri- 
tidem ; ad paralysin linguae; ad cancrum mamillarium mortificandum ; 
ad pleuritidem; ad praecorendum hydropem. Bibe stercus caninum 
pulveratum cum vino vel vero loetia (Anonymus). Ad Tympaniam, 


Die motorische Aphasie (L’aphasie motrice). Von Dr. F. Bern¬ 
heim. Paris 1901. 125 S. 

Der Aufsatz, der in den „Publications de La Parole, Institut 
de laryngologie et orthophonie“, Abtheilung für Rhinologie, Oto- 
logie, Laryngologie, erscheint, gibt eine eingehende Darstellung 
aller in Betracht kommenden Punkte, jedoch nicht gerade Neues. 
Die motorische Aphasie mit Störung der inneren Sprache verräth 
vornehmlich eine corticale Läsion, die reine motorische Aphasie 
mit ungestörter innerer Sprache, wo der LiCHTHEiM-DEJERiNE’sche 
Versuch positiv ausfällt, das Spontan- und Dictatschreiben ohne 
Agraphie geschieht, epileptische Anfälle fehlen oder viel seltener 
sind, ist subcortical. Infeld. 

An introduction to dermatology. By Norman Walker. 

Zweite vermehrte Auflage. John Wright & Cie., 1902. 

Eine kurze Darstellung der Hautkrankheiten, aus Vorlesungen 
hervorgegangen, für Studirende bestimmt. Befremdend wirkt die 
Eintheilung des Stoffes; es geht doch nicht an, unter den Circu- 
lationsstörungen der Haut die Pediculosis vestimentorum, in dem 
Hauptcapitel der „Infectives inflammations“, Cheiropompholyx, Mi¬ 
liaria, Lichen ruber, Psoriasis, Sklerodermie und anderseits Akne, 
Sykosis, Herpes tonsurans etc. kunterbunt abzuhandeln. Die in 
den Text gedruckten Abbildungen sind ausnahmslos vorzüglich, die 
farbigen Tafeln nur zum geringeren Theile zu loben. Grosz. 


hydropem et flatus Rp. Stercoris canis albi siccati in sole, hordei 
nigri aa. Cognantur neque dura mollescat hurdeum et cribro trans- 
missa ad mcd. bulliant, stent 6 horis, colentur. Bibat aeger mane, 
medidie et sero (Gryllus). Pro eo, qui non potest mingere. Album 
graecum misce cum vino calido pro pulticula. quam sub umbilico, 
applica supra vesicam, et judabitur. Theca XIV. De urina canis. 
Ad copitis ex ulcera. Valet urina vetus canina (Dioscorides). 
Ad nomas. Ad lepras et pruritus. Lotium caninum addito 
nitro, Lepras et prurigines tollit (Dioscorides). Ad ignem 
sacrum, ad cicatrices oculorum. 

Theca XV. De felium stercore. Contra scotoniam et 
epilepsiam. Ad pilorum casum, ad alopeciam, contra 
mensium fluorem. Theca XVI. De felium urina. Adauditum 
difficilem et deperditum, surditatem. Urinae catti guttae 
tres vel quattuor impositae mane et vesperi in aures sanant. Pro- 
batum Argentinae in vivo, qui decem annis surdus erat (Heyland). 

Theca XVII. De muris stercore. Ad dentium dolores. 
Cinis e murino fim) inditus valet (PliniüS sec.). Ad venerem 
stercus murinum venerem stimulat (Petrus Forestus). Ad alo- 
pecias, seu Capillorum defluvium. Muriura stercus cum 
aceto illitum juvat (Octavius Horatianus). Fimus mudinus detritus 
cum aceto et illitus prodest (Dioscorides, Galenus). Ut crescant 
capilli vel pili. Advesicae calculos; ad urinae diffi- 
cultatem. Ad laxandum alvum fimus muris vehementer 
laxat. Pro purgatione infantum. Si infans sit constripatus 
teratur stercus muris et parum de eo in umbilicum imittatur 
(Bayrus). Theca XVIII. De soricis stercore. Ad tumores 
et ci1 icam. 

Theca XIX. De equino stercore. Ad expellendura 
foetura et secundinam. Accipe stercus Equi comedentis 
Avenam, misce vini albi haustui calidumque propinato. Est remedium 
certum in pauperibus semper et feliciter probatura (M. Ruland sen.). 
Si fimus equi vaporetur mulieri, utrumque educit (Haly). Favilla 
fimi equini iuveterati partum mortuum ejicit (Plinius). Ad linguae 
ardorem. Fimum equinum misce cum haustii aqua rosarum et 
colatum da frigide. Probatum a me in castris Svidniquensibus ali- 
quoties (Ruland). Aliud remedium saepe ex pertum contra linguae 
ardorem: Ex stercore recenti equine exprime suecum, dulceretur 
cum Saccharo et saccharati hujus stercoris, de plenura cochleare 
aegro mane et vesperi ante cibum. Ad parotiden aurium 
apostema, ad auriculae dolorem, ad aurium 
vermes, ad proflavium sanguinis parium, ad 
sanguinis fluxum in vulneribus. Pro alvo sistenda 
equi fimi cinis in aqua potus valet (Plinius sec.). Contra icteritiam 
faciei et totius corporis. Ad pleuritidem Infundatur 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 30. 


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in vivo optimo stercus equinum, coletur, exprimatur et cum saccharo 
bibatur (Carthusianus). 

Theca XX. De asini stercore. Contra fluxum san¬ 
guinis narium. Ad sanguinis screatum; ad menstruum 
fluxum minium. Theca XXI. De asini urina. Ad scabiera et 
ulcera, ad calculum vesicae. Theca XXII. De apri stercore 
et Theca XXIII. De urina apri. Ad vesicae calculos et 
dolores, ad urinae incontinentiam, ad epilepsiam. 

Theca XXIV. De leporis stercore. Ad calculum renum 
et vesicae frangendum et expell endum (BrünfElsids) ; 
contra colicam, ad vulvae c o n s tr ic ti o n e m et ad 
facilem conceptionem Rp. coagulum et fimum leporis aa. 
Misce cum melle et pessarii loco adhibe tribus diebus at totidem 
noctibus. Ex interea singulis diebus mulier de rasura Eboris bibat. 
Ex quamvis antea sterilis fuerit deinceps tarnen concipiet (The¬ 
saurus paup.). Theca XXV. De leporis urina. Contra Hydropsin 
urina leporis bibita, hydropisin curat (Brunfelsius). Theca XXVI. 
De lupi stercore. Ad colicam iliacam et tormina. 
Theca XXVII. De capreae stercore Contra icteritiam ad 
menotona inmoderata. Adpodagram. 

Theca XXVIII. De galli et gallineae stercore. Pro ocu- 
lorum clasitate, ad ulcera, ad alvum constipatam, 
ad ustiones, combustiones et contra morsus canis 
rabiosi. 

Theca XXIX. De anserino stercore. Ad facilem partum. 
Stercus anseris cum aqua bibitum reddit facilem partum (Plinius). 
Ad ulcera, ad carnem putrid am in ambustione ad 
febres, ad panaritium etc. Ad icteritiam. Monarchus 
quidam ex ordine Mendicantium quotidie ante januam suam habuit 
circiter centum Ictericos, quos omnes sanavit, exhibendo per octo 
dies continuos mane et quidem jejune Drachmam huam stercoris 
Ansermi eum vino albo (Landrinus). Theca XXX. De columbino 
stercore. Ad pestilentem febrem, vesicatorium, operitivum, 
ruptorium; ad herniam ventotam; ne pili et capilli cadant, 
ad oculi maculas, ad scrophulas, Strumas, parotidas, 
ad carbunculos; ad ignem sacrum et omnes com¬ 
bustiones; ad faucium, ad capitis dolorem; ad podo- 
grae tumorem, ad colicam; ad ani providentiam 
contra suoditatem; ad calculos, contra diarrhoeam; 
ad uxeri tumorem in partu notum. 

Theca XXXI. De posseris stercore. Ad alvum obseratam. 
Posseris stercus conducit (Ruland). Ad dentium dolorem 
Passeris stercus cum oleo temperatum et in eam aurem, ex sua 
dontes dolent, inscillatum, dolorem anfert (Rhazes). 

Theca XXXII. De hirundinis stercore. Ad capillos deni- 
grandos. Suppositorium ad alvum laxandum. Rp. Ster¬ 
coris hirundinum, Mellis q. s. ut fiat suppositorium (Plinius Sec.). 
Ad mortum canis rabiosi. Fimus. Hirundinis decoctns et 
potatus confert Mortui canis rabiosi (Plinius). Theca XXXIII. 
De ciconiae stercore. Contra epilepsiam. Stercus ciconiae cum 
aqua florum tiliae bibitum, valet certo (Anonymus).- Contra 
podagram. Rp. Stercus ciconiae, axungiae porci aa. Miscentur 
(Kyzandos). Theca XXXIV. De pavonis stercore. Ad podagram, 
ad anthracem, contra epilepsiam. Theca XXXV. De cordi 
stercore. Contra dentium dolorem. Si dens cavus impleatur 
stercore cordi dentem sumpit et dolorum tollit (Brunfelsius) 
contra tussim. 

Den Schluß des 190 Seiten umfassenden Werkes bildet ein: 
Iudex morborum in pharmacopoea nostra curandorum per stercora 
et urina. 

Die Stercora et Urina waren im übrigen noch lange nach 
Ruland als Medicamente in Schwung. Ettmüller (Opera Medica, 
Thomus II, Genevae MDCCXXXVI) behandelt sie auch noch ziemlich 
ausführlich und ist von ihrer Wirksamkeit überzeugt. 

Bemerken möchte ich noch, daß in der Pharmacopoeia 
Aagustana, Editio 1694, folgende Preise angesetzt sind: Albi graeci 
uncia semis 2 Cruc., Columbini excrementi uncia semis 1 Cruc.; 
Pavonis excrementi uncia semis 2 Cruc. Im „Schatzgräber“, dem 
bekannten Sammelwerke Scheible’s, Band III und IV, findet sich 
der Neudruck von „K. F. Paulini’s heilsame Dreck Apotheke, 


wie ncmlich mit Koth und Urin die meisten Krankheiten und 
Schäden glücklich geheilet werden“ nach der vollständigen Auflage 
von 1714. Der „nuetzliche Vorbericht“ des Büchleins nennt mit 
Plinius u. a. auch unseren Johann David Ruland als „Erwener 
des heilsamen Mittels“ und bringt auch Recepte aus dem Buche 
Ruland’s im Texte. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

31. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für 

Chirurgie. 

Gehalten zu Berlin, 2.—5. April 1902. 

(Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) 

X. 

Heidenhain (Worms): Ueber Darmverschluß und Enterostomie 
bei Peritonitis. 

II. glaubt, daß eine große Zahl von Peritonitikern nicht an 
der Peritonitis, an der Sepsis, soudern an dem Darmverscbluß 
zugrunde gehen. Dieser entsteht bei Peritonitis nicht durch Adhä¬ 
sionen, sondern durch entzündliche Lähmung. In den 4 Fällen 
nun, wo er einen solchen Verschluß annahm, hat er oberhalb des 
supponirten Hindernisses eine Enterostomie mit eclatantem Erfolge 
gemacht. Nur 1 Fall ist ihm gestorben, weil er einen Douglas- 
absceß übersehen hat. Dabei, glaubt er, kann ein Patient sehr 
reichlichen Stuhlgang mit Abgang von Flatus und doch einen ent¬ 
zündlichen Darmverschluß haben, wie er es gesehen hat. Er warnt 
vor der Anlegung der Düundarmfistel nach Doyen. 

Sprengel (Braunschweig) kann sich nicht für die Enterostomie Heiden- 
hain’s entscheiden, da er der Meinung ist, daß meist mehrere Abknickungen 
und Verschlüsse des Darmes da sind, man müßte demnach mehrere Enterostomien 
machen, um Erfolg zu haben. In schweren Fällen würde dies der Patient kaum 
aushalten, in leichten ist die Operation unnöthig. 

Kocher gibt Sprengel im allgemeinen Recht, doch hält er den Vor¬ 
schlag Heidenhain's einer Nachprüfung für werth. 

Brunner (Münsteriingen): Experimentelle Untersuchungen über 
die durch Mageninhalt bewirkte Peritonitis. 

Bei Thierversuchen (Kaninchen), wobei er steril entnommenen 
Mageninhalt nach EwALü’schem Probefrühstück aus gesundem Magen 
in die Bauchhöhle brachte, sind fa3t alle Thiera leben geblieben. 
Wen der Mageninhalt von einem mit Ulcus behafteten Patienten ent¬ 
nommen war, so starben die Thiere, denen 30 und 40 Ccm. in 
die Bauchhöhle injicirt wurden, die anderen bliebon am Leben. 
Anders fielen die Versuche aus bei den Thieren, bei denen Salzsäure- 
armer Mageninhalt injicirt wurde; sie starben fast alle in 24 Stunden 
an acuter Peritonitis, u. zw. schon bei ganz geringen Mengen (1 Ccm.). 
Daraus folgt der klinische Schluß, daß z. B. beim Magencarcinom 
der Austritt geringer Mengen von Mageninhalt in die Bauchhöhle 
sehr infectiös sein muß, während er bei Ulcus weit weniger ge¬ 
fährlich für das Peritoneum ist. Ferner haben B.’s Untersuchungen 
erwiesen, daß Dünndarminhalt gefährlicher ist als Dickdarminhalt. 
Er hat auch therapeutische Versuche angestellt, deren Ergebniß 
ist, daß eine chirurgische Intervention so früh als möglich die 
beste Therapie ist. Was nun die Auswaschung der Bauchhöhle und 
Spülungen mit Kochsalzwasser anlangt, so hat er nur erreicht, daß 
die Thiere bis zu 5 Tagen lebten, um dann schließlich an Peritonitis 
zugrunde zu gehen, wenn der Mageninhalt anacid war. Mit 
schwachen antiseptischen Lösungen hat er ebenfalls keine Er¬ 
folge erzielt. Bei acidem Inhalt hat er bei sonst tödtlicher Dosis 
durch Spülung mit Kochsalzwasser Heilung erzielt. 

Anschütz (Breslau): Ueber den Ileus bei Darmcarcinom und 
den localen Meteorismus bei Dickdarmstenosen. 

Redner tritt der Frage näher, wie die bei Carcinom der 
Flexura lienalis oder sigmoidea auftretende Blähung des Cöcum 
zu erklären ist und erklärt den Mechanismus an einem Modell. 
Kuhn (Cassel): Ueber perorale Tubage. 

Demonstration von Instrumenten , Canülen zur Larynxtubage 
und Erklärung der Technik an Zeichnungen. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 30. 


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HOLLÄNDER (Berlin) demonstrirt den dritten Fall einer 
durch Castration geheilten, nicht puerperalen Osteo- 
malacie bei einer Frau. 

JAFFE (Posen) berichtet über einen Fall von isolirter 
Lähmung des Musculus quadratus menti durch Ver¬ 
letzung des Ramus marginalis mandibulae, resp. des Ramus colli, 
des letzten Astes des Facialis, der eine constante Anastomoso mit 
dem Ramus marginalis hat. Das ist von Wichtigkeit für die Schnitt¬ 
führung am Unterkiefer. 

Marx (Lubbeke): Die Wirkung des Chinins auf thierische Ge¬ 
webe. (Mit Demonstrationen.) 

Subcutane Chinininjectionen rufen umschriebene Nekrosen durch 
Gerinnung des Blutes in den Capillaren hervor. Ein Schwamm, 
getränkt mit einer 1 — 3°/o’£ en Chininlösung auf eine parenchymatöse 
blutende Fläche aufgelegt, stillt fast augenblicklich die Blutung 
und schafft trockene, bald gut granulirende Wundflächen. 

Anschließend an die neueste Empfehlung, das Carcinom durch 
Einimpfung der Malaria zu heilen, glaubt er die energische An¬ 
wendung des Chinins gegen inoperable Carcinome zur Anwendung 
zu empfehlen. 

König (Berlin) glaubt nicht, daß man über die Chininbehaudlung des 
Krebses viel zu discutiren braucht. 

Kehr (Halberstadt): Ueber den plastischen Verschluß von De- 
fecten des Choledochus durch gestielte Serosa Muscularis- 
lappen von Magen oder Gallenblase. 

K. geht erst auf die Entstehung von Choledochusdefecten 
ein, die bei steriler Galle selbst bei 3—4 Cm. langen Incisionen 
kaum eintreten, wenigstens hat er stets schnelle Heilung gesehen. 
Ist aber der Gallenfluß inficirt, so treten bald Nekrosen der Wund¬ 
ränder auf. Er hat deshalb in der letzten Zeit den Choledochus 
nicht mehr genäht, sondern Ilepaticusdrainage angelegt. Ist nun 
aber ein Defect in der Choledoclmswand entstanden, z. B. durch 
Verletzung desselben bei der Ligatur der Arterien, so thut man 
am besten, den Defect durch einen gestielten Serosa-Muscularis- 
lappen vom Magen oder der Gallenblase zu schließen, weil man 
sonst fast stets eine Stenose zu fürchten haben wird, wenn man 
den Defect durch Längsnaht schließt und die Quernaht wegen der 
großen Spannung nicht möglich ist. 


Notizen. 


Wien, 26. Juli 1902. 

(Tuberculose-Prophylaxe.) Das Ministerium des Innern 
hat an alle politischen Landeschefs einen Erlaß betreffend die Ma߬ 
nahmen zur Bekämpfung der Tuberculose gerichtet. Derselbe er¬ 
örtert nach Darlegung der leitenden Gesichtspunkte zunächst all¬ 
gemeine Vorschriften zur Bekämpfung der Tuberculose. Zur Ver¬ 
hütung dienen obligatorische und empfehlenswerthe Maßnahmen. 
Die ersteren bezwecken die Vernichtung des Sputums und tuber- 
culöser Secrete überhaupt und damit die Hintanbaltung der Weiter¬ 
verbreitung von Tuberkelkeimen, die Belehrung des Kranken und 
seiner Umgebung, das Verbot des Ausspuckens auf den Boden, die 
Anzeigepflicht der Todtenbeschauer, die hygienische Gebahrung in 
Heilanstalten , Curorten und Sommerfrischen, in Wohngemein¬ 
schaften aller Art u. a. m. Die empfehlenswerthen Maßnahmen be¬ 
tonen unter anderem die Wichtigkeit der Aufklärung und Belehrung 
der weitesten Bevölkerungsschichten über Entstehung und Bekäm¬ 
pfung der Tuberculose, die Nothwendigkeit einer entsprechenden 
Berufswahl Tuberculöser oder zur Tuberculose Veranlagter, die 
Vorsorge für öffentliche Salubrität, Hygiene und Reinlichkeit. 
Schließlich wird die Heilbarkeit der Tuberculose erörtert und auf 
die Nothwendigkeit der Errichtung von Lungenheilstätten hinge¬ 
wiesen. — Den Aerzten erwächst aus dem neuen Erlasse die Pflicht 
der Anzeige des Bestandes der Tuberculose in einem Haushalte 
oder einer Wohngemeinschaft a) im Falle de3 Ablebens eines 
tuberculosen Kranken, b) beim Wechsel der Wohnung oder Unter¬ 
kunft des Tuberculosen. 

(Auszeichnungen.) Primarius Dr. J. Toelg hat das Ritter¬ 
kreuz des Franz Joseph-Ordens erhalten. — Docent Dr. Max Neu¬ 


burger ist zum correspondirenden Mitgliede der Real Academia de 
Medieina y Chirugia in Barcelona ernannt worden. — Der Physikus 
von Gyulafehervar Dr. Bernhard Nathan und der praktische Arzt 
in Versecz Dr. Demetrovics haben das goldene Verdienstkreuz mit 
der Krone erhalten. 

(Ernennungen.) Die Privatdocenten an der deutschen Uni¬ 
versität in Prag Dr. Ludwig Knapp, Dr. Friedrich Kleinhaus 
und Dr. Hermann Schlosser sind zu a. o. Professoren, der Extra¬ 
ordinarius in Tübingen Dr. Theodor Paul ist zum Director im 
Kaiserlichen Gesundheitsamte in Berlin ernannt worden. — Der 
Privatdocent für Geburtshilfe an der Universität in Krakau und 
Professor der Geburtshilfe an der dortigen Hebammenlehranstalt 
Dr. Alexander Rosner hat den Titel eines a. o. Universitäts- 
Professors erhalten. — Der Landes-Sanitäts-Inspector Dr. Friedrich 
Wenisch ist zum Landesregierungsrathe und Landesreferenteu für 
Schlesien, der Polizei-Assistenzarzt im Stande der Wiener Polizei- 
Direction Dr. Josef Fröhlich zum Polizei-Bezirksarzte ernannt worden. 

(Karl Gerhardt f.) Auf seiner Besitzung Damberg ira Groß- 
herzogthume Baden ist am 20. d. M. der große Berliner Kliniker, 
Geheimer Medicinalrath Professor Dr. Karl Adolf Jakob Christian 
Gerhardt, in seinem siebzigsten Lebensjahre gestorben. Za 
Speyer geboren, hat Gerhardt in Wiirzburg studirt und daselbst 
im Jahre 1856 promovirt. Als Assistent Bamberger’s und Rinecker’s 
in Würzburg, Griesinger’« in Tübingen hat er sich die Grund¬ 
lagen seiner tiefen und umfassenden Bildung angeeignet und seine 
diagnostischen Fähigkeiten üben gelernt. Er habilitirtc sich 1860 
in Würzburg, wurde bereits 1861 Professor an der internen Klinik 
zu Jena, 1872 als Ordinarius nach Würzburg berufen und im Jahre 
1885 zum Nachfolger Frerichs’ in Berlin ernannt. Gerhardt be¬ 
saß hervorragendes diagnostisches Talent, scharfen Blick, gepaart 
mit ungewöhnlichem Können und die Gabe der Zusammenfassung 
scheinbar fernab von einander liegender Erscheinungen; darum ist 
auch sein „Lehrbuch der Auscultation und Percussion“, das bereits 
in sechster Auflage erschien, eine Fundgrube des Wissens und ein 
Berather ohnegleichen für den Studirenden und den Arzt, umso¬ 
mehr als sein Autor ein Meister im Erkennen wie im Lehren und 
Darstellen war. Gerhardt schrieb außerdem u. a. das „Lehrbuch 
der Kinderkrankheiten“ (1898, 5. Auflage), „Kehlkopfgeschwülste 
und Bewegungsstörungen der Stimmbänder“, „Die syphilitischen 
Erkrankungen des Kehlkopfes und der Luftröhre“, mehrere Artikel 
seines „Handbuches der Kinderkrankheiten“, sowie zahlreiche 
Artikel in medicinischen Fachblättern. — Mit Gerhardt ward 
eine Zierde der deutschen Medicin zu Grabe getragen. 

(74. Versammlung Deutscher Natur forscher und 
Aerzte.) Das Programm der diesjährigen Naturforscher-Ver¬ 
sammlung, die unter dem Vorsitze von Heubner (Berlin), van’t Hoff 
(Charlottenburg) und Chiari (Prag) vom 21. bis 26. September 
zu Karlsbad tagen wird, ist bereits fertiggestellt. Wir entnehmen 
demselben vorläufig, daß am 22. September die 1. allgemeine Sitzung 
im großen Saale des Schützenhauses stattfinden wird, in welcher 
Weber (Amsterdam), Voller (Hamburg) und Hofmeister (Stra߬ 
burg) Vorträge halten werden. Am 24. September findet eine Ge- 
sammtsitzung der beiden Ilauptgruppen statt. In der Gesammt- 
sitzung der medicinischen Hauptgruppe am 25. September fungiren 
als Referenten v. Leube (Würzburg) und Dreser (Elberfeld), in 
der Gesammtsitzung der naturwissenschaftlichen Hauptgruppe 
referiren 'Koch (Göttingen) und Remy (Berlin) über das Thema 
„Kreislauf des Stickstoffs“. In der 2. allgemeimen Sitzung werden 
Frh. v. Eiselsberg (Wien), v. Wettstein (Wien) und v. Müller 
(München) Vorträge halten. 

(Oberster Sanitätsrath.) In der Sitzung vom 19. d. M. 
wurde folgende Tagesordnung erledigt: Begutachtung der Zulässig¬ 
keit des Vertriebes fabriksmäßig erzeugter Arzneimittel in Tabletten - 
form. Gutachtliche Aeußerung über die Zulässigkeit des Vertriebes 
einiger kosmetischer Präparato, sowie über die Grundsätze, welche 
hinsichtlich der Herstellung und de3 Vertriebes kosmetischer und 
diätetischer Mittel auf Grund der Bestimmungen des Lebensmittel¬ 
gesetzes in sanitärer Hinsicht festzuhalten wären. Besetzungsvor¬ 
schlag für je eine erledigte Oberbezirksarztesstelle im Stande der 
1. f. Sanitätsbeamten in Mähren und Niederösterreich. Gutachten 


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über die Zulässigkeit der Ableitung der Fabriksabwässer einer Ver¬ 
zinnerei und Verzinkerei in ein Bachgerinne. Gutachtliche Aeuße- 
rung über die Eignung eines Privatlaboratoriums, sowie eineä in 
der Prosectur eines öffentlichen Krankenhauses befindlichen Labo¬ 
ratoriums zu bakteriologischen Untersuchungen. Gutachtliche Aeuße- 
rung über die Eignung bestimmter Wandtafeln über die Anatomie 
des Menschen zum Untei richtsgebrauche an Lehrerbildungsanstalten 
und Bürgerschulen. Besetzungsvorschlag für die neusystemisirte 
Stelle eines Prosectors im Stande der Prosectoren der Wiener k. k. 
Krankenanstalten. Gutachten über Zulässigkeit eines magnetischen 
Heilverfahrens. Am Schlüsse der Sitzung wurde ein Coraite zur 
Vorberathung über die Grundsätze des Entwurfes eines Epidemie¬ 
gesetzes gewählt. 

(Pensionsberechtigung von Districts- und Ge¬ 
rn e i nd e ä rz t e n.) In einer zu Prag am 8. Juli d. J. stattgehabten 
und von mehr als 300 Aerzten besuchten Versammlung der Districts- 
und Gemeindeärzte Böhmens wurde — wie uns berichtet wird — 
eine Resolution angenommen, in welcher an den Landtag mit der 
Bitte herangetreten wird, er möge die Bittschrift betreffend die 
Beschlußfassung eines Gesetzes, laut welchem den Gemeinde- und 
Districtsärzten eine Pension und für ihre Familien Versorgungs¬ 
bezüge zugesprochen werden sollten, welch letztere auch auf die 
schon jetzt hinterbliebenen Witwen und Waisen Geltung haben 
sollen, ehestens in Verhandlung nehmen und günstig erledigen. 

(Eubiotik.) Unter dem Titel „Ueber die Kun6t gesund 
und glücklich zu leben und Krankheiten zu verhüten“ ist im Ver¬ 
lage von Gustav Fischer in Jena ein lichtvoller, für Aerzte 
und Laien im gleichen Maße lesenswerter Vortrag erschienen, den 
P. K. Pel als Rector magnificus am 270. Stiftungstage der Uni¬ 
versität Amsterdam gehalten hat. Die Geschichte der Prophylaxe 
kurz streifend betont der Vortragende die Wichtigkeit dreier Factoren 
für das körperliche und geistige Wohl des MenscheD. Es sind: 
Mäßigkeit, Einfachheit und Arbeit. In wahrhaft fesselnder Weise 
schildert er die Lebenskunst „Eubiotik“ und schmückt seine ge- 


(Todesfälle.) Gestorben sind: Der Zahnarzt in Baden bei 
Wien Dr. Hans Dittrich, erst 35 Jahre alt; er war wegen seines 
umsichtigen Vorgehens anläßlich der auf dem Lloyddampfer 
„Berenice“ ausgebrochenen Pest mit dem goldenen Verdienstkreuze 
ausgezeichnet worden; in Berlin Oberstabsarzt Dr. Paul Kübler, 
Referent derMedicinalabtheiluog.ini preußischen Kriegsministerium, 
im jugendlichen Alter von 40 Jahren; in Paris der Arzt des dortigen 
Deutschen Hilfsvereines Dr. Ordenstein, als Opfer eines Mord¬ 
anschlages, im 68. Lebensjahre. 

Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 

Mit dieser Nummer versenden wir, für die Abonnenten 
der „Wiener Mediz. Presse“ als Beilage, das Juli-August- 
Heft der „Wiener Klinik“. Dasselbe enthält: „Erkran¬ 
kungen der Circulationsorgane.“ Anhang: Basedow’sche Krank¬ 
heit. Von Prof. Dr. Alois Monti in Wien. — Ferner liegt der 
gesammten Auflage ein Prospect der Deutschen Hartspiritus- 
und Chemikalien-Fabrik, Act.-Ges., Berlin-Grünan, über „Gua- 
jacetin“ bei. Wir empfehlen denselben der geneigten Beachtung 
unsrer Leser. 

Die Rubrik: „Erledigungen, ärztliche Stellen“ etc, 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite, 


Herr Dr. Ludwig Rosenberg, Vorstand der Kinderabtheilung 
im Kaiser Franz Josefs-Ambulatorium in Wien, schreibt: 

„Das Kufeke-Mehl hat mir in zahllosen Fällen glänzende Diensto 
geleistet, und ich verwende es mit Vorliebe bei Dickdarmkatarrhen, 
so wie auch als Zusatz zur Milch bei gesunden Kindern.“ 

Waare zu Versuchszwecken steht den Herren Aerzten gratis 
franco zur Verfügung. 

R. Kufeke, Wien, I., Nibelungengasse 8. 

Dr. Fries’ 8Che Privatheilanstalt für 


haltvolle Rede mit einer Fülle von Beispielen und Aussprüchen 
großer Männer aller Nationen. 

(Impfzwang.) Die steiermärkische Aerztekammer hat der 
Statthalterei in Graz eine Eingabe übermittelt, worin unter Hinweis 
auf die eminent nützliche Wirkung der Impfung das Ersuchen ge¬ 
stellt wird, zu Gunsten des in anderen Staaten bereits bestehenden 
Impfzwanges die nöthigen Schritte einzuleiten. 

(Statistik.) Vom 13. bis inclusive 19- Juli 1902 wurden in den 
C i v i ls pi t ä ler n Wiens 6647 Personen behandelt. Hievon wurden 1613 
entlassen; 116 sind gestorben (6‘70% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 51, egypt. 
Augenentzündung 8, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 8, Dysen¬ 
terie —, Blattern —, Varicellen 16, Scharlach 69, Masern 169, Keuchhusten 52, 
Rothlauf 38, Wochenbettfieber 4, Rötheln 6, Mumps 5, Influenza —, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 593 Personen gestorben 
(— 52 gegen die Vorwoche). 


Nerven-und Gemüthskranke, Morphinisten etc. 

— in Inzepsdorf bei Wien, --t- 


/« V M « m V mb Mp »»»»»»»» »»»»»»m-» 

Uipv$lla$ (fettlcibigkeit) 

P*Or« 3 r»Sr«rSOpKWOrBrSO JT »» JT » »»» » JT JHT »»»» 

Robitscber <tyria=Duelle l ”' •’«“«* T, 

1^******»*** 4p »Sri*»»» J^jrarararir UUJMtilltbareU Hilf 


bat beute einen 
unantastbaren Ruf 


und erzielt glänzende Heilerfolge! 





Farbenfabriken 

vorm. 

Friedr. Bayer & Co., 
Elberfeld. 


tannigen 

Prompt wirkend bei 
chronischer und acuter Enteritis, 
speciell der Kinder. 

Geschmackfrei, unschädlich, den 
Appetit nicht beeinträchtigend. 
Dos.: 0,25—0,50 — 1,0 g. 4—6mal tagt. 


Somaros« 


JIguriit 

Theobrominpräparat. 

Neues Diureticum. 

Ind.: Cardiale Hydropsieen; Ascites.— 
Nierenaffectionen, soweit das Nieren¬ 
epithel noch genügend functionsfähig ist. 
Dos.: 0,5—1 g.: pro die 3 g. 


Hervorragendes 
Roborans u. Stomachicum; 

vorzügliches Lactogogum. 


~ : ' In organischer Verbindung ElSen-SomatOSe insbesondere bei Chlorosis, Anämie, 

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Wien, den 3. August 1902. 


Nr. 31. 


XLIII. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart-Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ nnd 
die „Wiener Klinik', letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse" 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutsohmeisterplatz 2. 

medizinische 


Wiener 


Abonnementnpreise: „Wiener Mediz. Presse" mit „Allgem. 
Militärärztlicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
20 K, halbj. 10 K, viertel]- 5 Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk. , halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 K\ Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2 spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein 
Sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mecuz. Presse“ in Wien,!., Maximilianstr. 4. 


Presse. 


Begründet 1860. 


Redaction: Telephon Nr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

-.QJ8«- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 

Administration: Telephon Nr. 9104. 


INHALT: Originalien nnd klinische Vorlesungen. Beitrag zur Casuislik der Verletzungen des weiblichen Genitales. Von Dr. Gustav Woyer, Frauenarzt 
in Wien. — Aus der urologischen Abtheilung des städtischen Spitals in Triest (Primararzt Dr. Nicolich). Zur Casuistik der Fremdkörper der 
Harnblase und Harnröhre. Von Dr. Carlo Ravasini. — Aus der Abtheilung des Prof. Fbühwald an der Wiener allgemeinen Poliklinik. Zur Ver¬ 
wendung der Kindermelile in der Säuglingsernährung. Von Dr. Josef Reiciielt, Assistent. — Referate. A. Oppenheim (Berlin): Das Verschwinden 
der Leberdämpfung bei Meteorismus. — Pässler (Leipzig): Ueber einige seltenere Fälle von Migräne. — Bobuofk und Rudneff (Moskau): 
Staphylococcus als Ursache benigner Neubildungen. — W. v. Bechterew (St. Petersburg): Ueber Ermüdung der Sehnenreflexe und die diagnostische. 
Bedeutung dieses Symptoms bei nervösen Erkrankungen. — Wulzdorff (Berlin): Ueber die Verbreitung der Krebskrankheit im Deutschen 
Reiche. — A. Schücking (Pyrmont): Infusion durch die Nabelvene. — John C. Hemmetf.k (Baltimore): Beiträge zur Antiperistaltik des Darms. — 
M. Oppenheim (Wien): Ueber einen vom Pediculus pubis gebildeten Farbstoff. — Sawtsciienko und Mf.lkich (Kasan): Etüde sur l’immunite dans 
la fi^vre recurrente. — Kleine Mittheilnngen. Elektrotherapie bei Depressionszuständen. — Durch Roentgenstrahlen hervorgerufeue Ver¬ 
brennungen. — Zur Beschränkung der Secretion des Schnupfens. — Stypticin. — Caloniel in der Behandlung der Influenza. — Dionin — 
Literarische Anzeigen. Lehrbuch der Zahnheilkunde für praktische Aerzte und Studirende. Von Prof. Dr. Josef Ritter v. Metnitz. — S6miologie 
pratique des poumons et de la plevre. Par Henry Barbier. — Feuilleton. Berliner Briefe. (Orig.-Corresp.) VI. — Verhandlungen ärztlicher 
Vereine. Aus medicinischeti Gesellschaften Deutschlands. (Orig.-Ber.) — Notizen. — Nene Literatur. — Eingesendet. — Offene Correspondenz 
der Redaction und Administration. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse u gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Beitrag zur Casuistik der Verletzungen des 
weiblichen Genitales. 

Von Dr. Gustav Woyer, Frauenarzt in Wien. 

Trotzdem die Casuistik von Verletzungen der Vulva 
und Vagina eine außerordentlich reichhaltige ist, bietet dennoch 
fast jeder einzelne neue Fall gewisse Besonderheiten und 
interessante Zufälligkeiten, so daß mir die Veröffentlichung 
derartiger Beobachtungen gerechtfertigt erscheint. Im Nach¬ 
folgenden möchte ich 2 Fälle von solchen Verletzungen 
beschreiben, welche nicht zu den alltäglichen gehören. 

Die häufigste Ursache für das Zustandekommen von 
Scheidenverletzungen gibt der Coitus ab, sei es, daß ein allzu 
staikes räumliches Mißverhältniß zwischen dem männlichen 
Gliede und der Scheide besteht, sei es, daß in allzu unge¬ 
stümer, mitunter allzu exeentrischer Weise beim Coitus vor¬ 
gegangen wird. Solche Beobachtungen finden sich in der 
chirurgischen und gynäkologischen Literatur nicht so selten 
verzeichnet und dürften wohl jedem beschäftigteren Collegen 
schon vorgekommen sein. 

Seltener sind Fälle, in welchen eine Mißbildung des 
weiblichen Genitales die Ursache solcher Verletzungen wird, 
oder solche Fälle, in denen die Vulva und Vagina von einem 
anderen Trauma betroffen werden, und meine beiden nun 
zu beschreibenden Beobachtungen gehören in diese letztere 
Kategorie. Der erste Fall betrifft eine ganz eigenartige 
Vaginalverletzung, welche durch Coitus gesetzt wurde, der 
zweite Fall ist eine umfangreiche Verletzung des äußeren 
Genitales durch Trauma. 

Fall I. Anamnese: Es handelt sich um eine 29jährige 
Frau M. B., bei welcher am 5. November 1901 des Abends um 
8 Uhr der erste Coitusversuch ausgeiibt wurde. Die Frau verspürte 


beim Einführungsversuche des Membrura virile einen heftigen Schmerz 
und bemerkte sofort nach dem Coitusversuche reichlichen ßlut- 
abgang, welcher jedoch von ihr anfänglich für eine physiologische 
Erscheinung gehalten wurde. Erst nachdem die Blutung nach 
Verlauf von 3 Stunden noch immer in gleicher Intensität anhielt 
und sich Gähnen, Ohrensausen und Ohnmachtsanfälle einstellten, 
wurde um einen Arzt geschickt. Derselbe tamponirte provisorisch 
mit Jodoformgaze und veranlaßte meine Berufung. 

Ich sah die Patientin um Mitternacht und konnte folgenden 
Status erheben: 

Kräftig gebaute, wohlentwickelte Frau. Haut und die sicht¬ 
baren Schleimhäute ziemlich blaß. Wiederholtes Gähnen. Der Puls 
klein, leicht unterdrückbar, 100 Schläge in der Minute. Tempe¬ 
ratur normal. Die Frau klagt über Ohrensausen, fühlt sich sehr 
erschöpft. 

An der Innenfläche der Oberschenkel geronnenes Blut in 
größeren Mengen. Ein aus der Scheide ragender, vollkommen 
durchbluteter Jodoformgazestreifen wird entfernt, worauf eine 
genaue Besichtigung vorgenommen werden konnte; dieselbe ergab 
Folgendes: 

Die Vulva zeigt normale Entwickelungsverhältnisse. Der 
Introitus und der circuläre Hymenalsaum erweisen sich als voll¬ 
kommen intact. Der Hymenalsaum selbst ist 6ehr leicht dehnbar, 
so daß die beiden Blätter des Löffelspeculums ohne Schwierigkeiten 
in die Vagina eingeführt werden können. Aus der Scheide quillt 
inzwischen reichlich dunkles Blut hervor. Nach Einführung des 
Speculums zeigt sich nun folgender überraschender Befund, welcher 
die Ursache der abundanten Blutung sofort aufdeckt: 

Circa einen Centimeter hinter dem Introitus vaginae in der 
Mitte der hinteren Vaginal wand verläuft ein über kleinfingerdicker, 
hahnenkammartiger Wulst von ziemlich glatter Oberfläche, der 
ungefähr einen Centimeter über das Niveau der hinteren Scheiden¬ 
wand in das Lumen der Vagina vorspringt und sich nach aufwärts 
gegen die Portio zu in einer Länge von mehr als 3 Cm. erstreckt. 

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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 31. 


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Von diesem Wnlste sickert an seinem oberen Rande nur wenig 
Blut ab. 

Entsprechend dieser hahnenkammartigen Prominenz fand ich 
an der vorderen Vaginalwand dem beschriebenen Wulste gerade 
gegenüber eine kleinfingerbreite und ebenfalls mehr als 3 Cm. 
lange Rißwunde, aus welcher reichlich dunkles Blut abfloß. Ein 
spritzendes Gefäß konnte nicht gefunden werden, die Blutung war 
allem Anscheine nach eine rein parenchymatöse. 

Der obere Antheil der Vagina vom centralen Ende der 
beschriebenen wulstartigen Leiste bis zur Portio war glatt und 
ohne Besonderheiten. Die Portio selbst ist normal, das Orificium 
median gestellt, quer gespalten. Der Uterus befindet sich in normaler 
Anteflexionsstellung und zeigt eine leichte Andeutung von Bicornität. 
Die Adnexe sind normal palpabel und weisen keinerlei patho¬ 
logische Verhältnisse auf. 

Durch drei Seidenknopfnähte konnte die Blutung aus der 
Rißwunde in der vorderen Vaginalwand zum Stillstände gebracht 
werden, worauf ein Jodoformgazestreifen in die Vagina eingeführt 
wurde. Excitantien. Ruhelage. 

Die Frau erholte sich sehr rasch von dem erlittenen Blut¬ 
verluste. Am fünften Tage wurden die Nähte entfernt. Die Wunde 
war glatt verheilt. Es zeigte sich, daß der beschriebene, in das 
Vaginallumen vorspringende Wulst im Schwinden begriffen war, 
er war beiläufig auf die Hälfte seiner bei der ersten Untersuchung 
constatirten Höhe verkleinert. 

Der beschriebene Fall bietet nach der Schilderung des¬ 
halb ein besonderes Interesse, weil es sich nicht um eine 
der obgenannten gewöhnlichen Coitusverletzungen handelt, 
sondern seine Besonderheit liegt darin, daß diese Verletzung 
infolge einer vorhandenen Bildungsanomalie erfolgte. Es 
handelte sich nämlich, wie aus der Krankengeschichte er¬ 
sichtlich ist, um das Vorhandensein eines unvollkommenen, 
median gestellten Septums vaginae, welches bei dem Ver¬ 
suche, das Membrum tiefer einzuführen, von seinem Ansätze 
an der vorderen Vaginalwand in toto abgerissen wurde. Daß 
es sich in diesem Falle um diese Bildungsanomalie gebandelt 
hat, dafür spricht auch der Befund am Uterus, zumal ja 
solche Septa vaginae bekanntermaßen bei Uterus bicornis 
nicht allzu selten zu finden sind. 

Ich habe diesen Fall deshalb so ausführlich beschrieben, 
weil derartige Coitusverletzungen immerhin zu den größeren 
Seltenheiten gehören. 

Fall II. Dieser Fall betrifft eine Verletzung, welche in die 
Kategorie derjenigen Läsionen gehört, die durch Eindringen eines 
Fremdkörpers in das Genitale, durch Sturz, Schlag, Stoß u. s. w. 
hervorgerufen werden. Die Krankengeschichte ist im Folgenden 
wiedergegeben. 

Anamnese: Die 25 Jahre alte Frau R. S. stieg am 
20. October 1901 auf einen Stuhl, um auf einem Kasten etwas in 
Ordnung zu bringen; hiebei gerieth der Stuhl ins Wanken, fiel 
um, die Frau stürzte von ihm herunter und stieß sich im Fallen 
eines der emporstehenden Stuhlbeine in die Genitalgegend. Sie 
verspürte sofort einen sehr heftigen Schmerz, und es trat eine 
abundante Blutung aus dem Genitale auf. 

Zwei herbeigeholte Aerzte tamponirten , worauf die Blutung 
stand. Im Laufe der Nacht wurde jedoch der Tampon durchblutet 
und deshalb eine neuerliche Tamponade mit Jodoformgaze vor¬ 
genommen , wodurch die Blutung wieder zum Stillstand gebracht 
wurde. 

Als ich am nächsten Tage um 11 Uhr Vormittags zur 
Patientin geholt wurde, begann es langsam wieder durch den 
Tampon durchzubluten. Die Frau klagte über heftige Schmerzen 
im Abdomen und starken Harndrang, da sie seit dem Sturz nicht 
mehr Urin lassen konnte. Ich erhob nun folgenden Befund: 

Mäßig kräftig gebaute, äußerst anämisch aussehende Frau. 
Puls 140, leicht unterdrückbar. Temperatur normal. 

Bei Besichtigung des Abdomens zeigt sich die sehr stark 
gefüllte Harnblase bis zum Nabel reichend. Ueber dem äußeren 
Genitale ist ein Druckverband mit T-Binde befestigt. Die darunter 


befindliche Wattevorlage ist stark blutig. Nach Entfernung der 
Vorlage findet man einen stark durchbluteten Jodoformgazestreifen 
vor der Vulva; derselbe wird entfernt. Ein zweiter, ebenfalls ganz 
durchbluteter Jodoformgazestreifen wird aus der Vagina heraus¬ 
gezogen. Nach Entfernung dieses Streifens blutet es wieder außer¬ 
ordentlich heftig. Bei der nunmehr möglich gewordenen genauen 
Inspection zeigt sich nun Folgendes: 

Das Frenulura clitoridis ist durch einen seichten Einriß 
median gespalten, welcher Längsriß sich nach abwärts in einen 
beinahe 2 Cm. tiefen Querriß fortsetzt. Dieser Querriß verläuft 
unmittelbar unter der Symphyse oberhalb der Urethralmündung, 
und erscheint durch denselben die Urethra und ihre Mündung von 
ihrem vorderen Ansätze vollkommen abgelöst. Die Urethral¬ 
mündung und die Harnröhre selbst erweisen sich bei Einführung 
eines Katheters als unverletzt. Durch den Katheterisraus werden 
aus der, wie erwähnt, stark gefüllten Harnblase ungefähr 2 Liter 
lichtgelb gefärbten Harnes entleert. 

Der oben beschriebene quere Einriß theilt sich nun gabel¬ 
förmig. Nach links von der Urethralmündung gegen den Clitoris- 
schenkel zu erstreckt sich die Continuitätstrennung circa 4 Mm. 
lang und ziemlich seicht. Nach rechts erstreckt sich dieser die 
Urethra ablösende Riß sich vertiefend neben dem Ansätze der 
Vaginalwand weiter nach unten fort und verläuft in einer Länge 
von mehr als 3 Cm. in das paravaginale Zellgewebe, so daß durch 
denselben das Scheidenrohr an der rechten Seite von der Becken¬ 
wand förmlich abgelöst erscheint. Dieser Riß hat eine Tiefe von 5 Cm. 

Auch nach rückwärts zu gegen die hintere Commissur ist 
ein oberflächlicher Querriß zu constatiren, welcher sich in der 
hinteren Vaginalwand neben der Columna rugarum circa l 1 /^ Cm. 
weit fortsetzt. 

Die tieferen Partien der Scheide und die Portio erweisen 
sich als unverletzt. 

Die starke Blutung stammte hauptsächlich aus dem im Corpus 
cavernosum clitoridis befindlichen Einrisse. Außerdem blutete es 
nicht unbeträchtlich aus dem paravaginalen Zellgewebe; aus dem 
rechtsseitigen Wundwinkel an der hinteren Commissur spritzte eine 
Arterie. 

Zuerst wird die spritzende Arterie versorgt, sodann brachte 
ich die Blutung aus der Clitorisverletzung durch Umstechung zum 
Stehen. In den paravaginal eröffneten Zellgewebsraum wurde ein 
Jodoformgazestreifen eingeführt, mittelst zweier Nähte fixirt 
und sein Ende zur Wunde herausgeleitet. Nun wurde die Harn¬ 
röhre durch 4 Seidenknopfnähte wieder an ihrer normalen Stelle 
fixirt, weiters wurden die übrigen Verletzungen durch Naht exact 
versorgt. Nach vollendeter Naht stand die Blutung vollkommen. 
Excitantien. Ruhelage. 

Der weitere Verlauf gestaltete sich vollkommen glatt. Es 
trat keine Temperatursteigerung ein, die Wunden heilten per primam 
intentionera, am zweiten Tage wurde der Jodoformgazestreifen, am 
fünften Tage wurden die Nähte entfernt; nur in den ersten 4 Tagen 
mußte der Urin mittelst Katheters entleert werden. 

Abgesehen davon, daß Zerreißungen dieser Region durch 
Sturz auf einen in die Scheide eindringenden Gegenstand 
überhaupt zu den großen Seltenheiten gehören, bietet dieser 
Fall vermöge der ausgedehnten und schweren Verletzungen 
ein größeres Interesse und erschien mir deshalb der Veröffent¬ 
lichung werth. 

Ich will mich nicht weiter in literarische Auseinander¬ 
setzungen über diese beiden Fälle einlassen, denn es ist der 
Zweck dieser Publication nur der, die interessante Casuistik 
der Scheidenverletzungen um zwei, meiner Meinung nach 
einige Besonderheiten bietende Fälle zu bereichern. 

Diese beiden Fälle stammen aus der Privatpraxis meines 
Freundes und Collegen Herrn Dr. Carl Schawerda, und spreche 
ich ihm an dieser Stelle für die Zuziehung zu den Fällen und 
die Ueberlassung derselben zur Publication meinen Dank 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


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Aus der urolof/isehen Abtheilung des städtischen 
Spital es in Triest (Primararzt JJr. Nicolieh). 

Zur Casuistik der Fremdkörper der Harnblase 
und Harnröhre. 

Von Dr. Carlo Ravasini. 

Im Aufträge des Herrn Primararztes Dr. Nicolich habe 
ich die Fälle von Fremdkörpern der Harnblase und Harn¬ 
röhre, welche bis heute an der urologischen Abtheilung des 
Triester Civilspitales beobachtet worden sind, gesammelt. 
Ueber die mehr interessanten werde ich ausführlich berichten; 
die anderen will ich nur kurz erwähnen. 

I. Fall (1884). 73jähr. Prostatiker. Beim Selbstsondiren 
blieb ihm ein Stück eines Nelatonkatheters in der Blase. Dasselbe 
incrustirte sich mit Phosphateu, wodurch die Lithotripsie erforderlich 
wurde, welche mit den Steintrümmern den Katheter zerstückelt 
zutage beförderte. 

II. Fall (1890). 67jähr. Bauer erzählt, daß während der 
Arbeit ein Strohhalm ihm das Kleid durchstach und zufällig in 
die Harnröhre eindrang. Beim Versuche, den Strohhalm zu ent¬ 
fernen, brach ihm derselbe ab, und weitere Versuche, ihn herauszu¬ 
ziehen, bewirkten, daß derselbe tiefer in die Harnröhre verschwand. 
Beim Spitaleintritt gab Patient Schmerzen am Perineum und Harn¬ 
drang an; aus der Harnröhre tröpfelte etwas Blut. Am Bulbus 
tastete man eine Resistenz. Mit der Urethralzauge von Collin 
gelang es nach vielen Versuchen, einen 20 Cm. langen Strohhalm, 
der mehrfach um sich selbst gewunden war, zu extrahiren. Es ist 
klar, daß Patient sich den Strohhalm selbst iu die Harnröhre 
eingeführt hatte, um sexuelle Gelüste zu befriedigen ; die von ihm 
uns gemachte Erzählung ist reine Erfindung. 

III. Fall (1893). 25jähr. Arbeiter gab an, daß er sich 
10 Tage vorherwegen erschwerten Urinabflusses einen 10 Cm. langen 
Strohhalm in die Harnröhre eingeführt hätte. Durch ungeeignete 
Manöver zur Entfernung desselben drang er in die Blase ein und 
verursachte Blasenentzündung. Der Strohhalm wurde leicht mit 
dem Lithotriptor extrahirt. Seine beiden Enden waren mit Phos- 
phktsalzen bedeckt. Die Blasenbeschwerden hörten gleich auf; der 
erschwerte Urinabfluß, weswegen Patient angeblich den Fremdkörper 
sich eingeführt hatte, zeigte sich nicht; daher die Einführung 
offenbar zu onauistischen Zwecken geschehen war. 

IV. Fall (1894). 20jähr. Arbeiter klagte über Brennen in 
der Harnröhre und Schwierigkeit im Uriniren. Aus der Harnröhre 
tröpfelte röthlicher Schleim. Mit der Urethralzange von Collin wird 
leicht der Halm einer Virginiacigarre aus der Harnröhre entfernt. 

V. Fall (1896). 60jähr. Prostatiker. Zwei Monate vorher 
wurde ihm die Vasektomie ausgeführt, wodurch eine bedeutende 
Besserung der Beschwerden erzielt wurde, indem der Gebrauch der 
Sonde nicht mehr nöthig wurde und der Residualharn auf 100 Grm. 
Flüssigkeit sich beschränkte. Dieser Patient kam wieder und gab 
schwere Blasenbeschwerden an. Während einer Unteruchung mit 
der Steinsonde fühlte man etwas Reibung. Man führte den Litho¬ 
triptor ein und faßte etwas Weiches, was für Schleimhaut gehalten 
wurde. Aber beim Herausziehen des Lithotriptors sah man zwischen 
den Branchen desselben ein Stückchen eines Nelatonkatheters. Es 
wurden weitere fünf, vielfach mit Phosphaten bedeckte Stücke, 
welche im Ganzen eine Länge von 7 Cm. ausmachten, entfernt. 
Patient war darüber sehr erstaunt und hatte keine Ahnung, seit 
wann der Fremdkörper in der Blase sich befinde. Die Blasen- 
bescbwerden gingen zurück, aber Patient fieberte und klagte über 
Schmerzen in der linken Nierengegend. Die linke Niere wurde 
vergrößert gefunden und die Nephrotomie vorgeschlagen, welche 
vom Patienten nicht angenommen wurde. Nach 3 Monaten kam 
Patient wieder, im blühenden Zustande, und erzählte, daß sich an 
der Stelle, wo er die Schmerzen verspürt hatte, ein Absceß gebildet 
habe, der vom Arzte in Pirano geöffnet worden und bald darauf 
geheilt sei. Er entleert seine Blase bis auf wenige Gramm Harn; 
der Urin ist nur leicht getrübt. 

VI. Fall (1897). 52jähr. Bauer hatte sich wegen erschwerten 
Urinabflusses einen Federstiel in die Harnröhre eingeführt. Aus dem 


Meatus tröpfelte etwas Blut. Am Perineum, 4 Querfinger vor der 
Analöft'nung, palpirte man einen harten, in die Harnröhre vor¬ 
springenden Körper. Es wurde die Urethrotomia externa ausgeführt 
und mit größter Leichtigkeit ein ganz gewöhnlicher, 15 Cm. langer 
Federstiel herausgezogen. Das Ende mit dem metallenen Ansätze 
war am Perineum angesteramt, während das runde, glatte Ende 
in die Harnblase vorsprang. Harnröhre und Damm wmrden genäht 
und ein Dauerkatheter eingelegt. Nach wenigen Tagen wurde 
der Patient geheilt entlassen. 

VII. Fall (1897). 16jähr. Knabe zeigte Urininfiltration am 
Perineum und Scrotum. Aus der weiten und tiefen Ineisionswunde 
kam ein 5 Cm. langer Strohhalm zutage, den sich Patient in die 
Harnröhre eingeführt hatte, um dem Urinabflusse, der angeblich 
erschwert war, freieren Lauf zu verschaffen, eine Entschuldigung, 
der man so oft begegnet, wenn man sich vor Individuen befindet, 
die onanistisches Treiben verheimlichen wollen. Nach einigen Tagen 
kam ein zweites, 4 Cm. langes, mit Kalk incrustirtes Stück eines 
Strohhalmes zum Vorscheine. Nach 3 Monaten verließ Pat. geheilt 
das Spital. 

VIII. Fall (1897). Alter Prostatiker, ein Stück eines Nölaton- 
katheters blieb beim Selbstsondiren in der Harnröhre und wurde 
mit der Urethralzange von Collin entfernt. 

IX. Fall (1897). Bei einem alten Prostatiker verursachte 
ein in der Blase gebliebenes Stück eines Nelatonkatheters schwere 
Cystitis. Herr Dr. Nicolich hielt die Cystotomia suprapubica für 
angezeigt, wodurch Patient bald geheilt worden ist. 

X. Fall (1898). 18jähr. Mann wurde für blennorrhagische 
Harnröhrenstrictur aufgenommen. Nachdem der innere Harnröhren- 
sebnitt gemacht worden war, bemerkte man, als die metallene Leit¬ 
sonde aus der Harnröhre herausgezogen wurde, um dieselbe durch 
den geraden Führungsstab zu ersetzen, daß die weiche Leit- 
bougie in der Blase zurückgeblieben war, da die Schraube nicht 
mehr faßte. Versuche, den Fremdkörper aus der Blase herauszu¬ 
holen, blieben erfolglos. Auch konnte nicht der Verweilkatheter 
eingelegt werden. Nach einigen Tagen wurde neuerdings Urethro¬ 
tomia interna gemacht und nachher mit dem Lithotriptor die schon 
ganz mit Salzen incrustirte Bougie aus der Blase entfernt. 

XI. Fall (1899). 63jähr. Mann wurde im Jahre 1897 wegen 
linksseitigen Leistenbruches operirt. Dabei wurde, da der Bruch¬ 
sack sehr groß und verdickt war und vielfache Adhäsionen 
zeigte, die Blase, die divertikelartig in denselben hineinragte, 
incidirt und sodann mit Seide genäht. Am 22. April 1899 wurde 
Pat. auf unsere Abtheilung aufgenommen und gab folgende 
Anamnese an: Bis vor 9 Monaten hatte er sich völlig gesund 
befanden. Da begannen die Beschwerden, an welchen er auch bei 
der Aufnahme litt und welche in Schmerzen beim Uriniren, sowie 
in erschwertem Abfluß des Harns bestanden. Auch war die Fre¬ 
quenz gesteigert, indem der Kranke 7—8mal bei Tag, 3—4mal 
während der Nacht seine Blase entleeren mußte. Vor 4 Monaten hatte 
er mit blutigem Harne einen Stein entleert, den er uns mitbrachte. 
Dieser Stein besteht aus Phosphaten, ist 3'3 Cm. lang, an einem 
Ende 8 Mm., am anderen 2 Mm. dick und in zwei Theile ge¬ 
spalten, welche durch einen Seidenfaden zusammengehalten werden. 
Bei der Untersuchung der Blase mit der Steinsonde fühlte man 
einen Stein, der an der linken oberen Wand haftete und 2 J / 2 Cm. 
groß war. Man dachte, daß sich derselbe an den Fäden, mit 
welchen die Blase 2 Jahre vorher genäht worden war, gebildet 
hätte. Der Stein wurde mit dem Lithotriptor zertrümmert. Unter 
den Steintrümmern fand man zwei Stückchen Seide, welche offenbar 
dem Steine als Kern gedient hatten. 

XII. Fall (1900). 52jähr. Arbeiter führte sich einen 20 Cm. 
langen Strohhalm in die Harnröhre ein. Derselbe wurde mit dem 
Lithotriptor aus der Blase entfernt. 

Mit Ausnahme des Falles Nr. XI, wo der Fremdkörper 
von der Blasenwandung aus in die Harnblase gelangt war, 
wurde der Fremdkörper in den anderen Fällen durch die Harn¬ 
röhre eingeführt, und zwar entweder zu therapeutischem 
Zwecke oder von Seiten geistig heruntergekommener Individuen 
zur Befriedigung geschlechtlicher Lüste. (Schluß folgt.) 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 31. 


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Aus der Abtheilung des Prof. Frühwald an der 
Wiener allgemeinen Poliklinik. 

Zur Verwendung der Kindermehle in der 
Säuglingsernährung. 

Von Dr. Josef Reichelt, Assistent. 

Es ist zwar im Zuge unserer Zeit gelegen, daß ein 
Präparat das andere drängt, daß eines dem anderen wenig¬ 
stens für kurze Zeit Platz machen muß. Doch bleibt nur ein 
Theil dieser neuen Mittel, seien es Nährpräparate, seien es 
Medicamente, ein anderer verschwindet früher oder später von 
dem Schauplatze, und dann kommen oftmals wieder die durch 
dieselben verdrängten an die ihnen gebührende Stelle und werden 
von neuem erst wieder ihres wahren Werthes gewürdigt. So 
geht es den Nährmitteln, so den medicamentösen Präparaten 
in der Therapie. 

Wir haben bereits an anderer Stelle ’) darauf hingewiesen, 
daß mitunter vielleicht auf die Stellung der Indication bei 
Verabreichung von Präparaten nicht genügend Acht gegeben 
wird, und sich so manche Mißerfolge erklären. Frühzeitiges 
Aufgeben der Versuche, sobald nicht momentan glänzende 
Erfolge sich zeigen , führen gleichfalls oft zu falscher Beur- 
theilung. 

Auch bei der Verordnung von Nährpräparaten für Säug¬ 
linge wird oftmals so vorgegangen, wozu noch der Umstand 
hinzukommt, daß leider nur zu häufig von Seiten des Arztes 
die Auswahl eines solchen den Müttern allein überlassen wird 
und daher oft zu unrichtiger Zeit, oder nicht entsprechend 
bereitet, gegeben wird. Und gerade dies würde die Mühe ver¬ 
lohnen, und manch widrige und unangenehme Folgezustände 
von unzweckmäßiger Ernährung würden ausbleiben. 

Wenn nun ein oder das andere Präparat dieser Art 
trotz so mancher Hindernisse sich einen hervorragenden Platz 
in der Säuglingsernährung erworben und dauernd bewahrt 
hat, so spricht dies wohl nur für die Güte desselben, wobei 
man allerdings nicht übersehen darf, daß nirgends das Be¬ 
streben, an dem Alten zäh festzuhalten, in der Weise besteht, 
wie in der Kinderstube. 

Jede dieser Kindernahrungen, oder vielmehr Methoden 
zur Ernährung der Kinder, hat daher auch einen Kreis von 
Aerzten, welche auf Grund ihrer Erfahrungen sie empfehlen. 

So zählt auch die Ernährung mit der von Liebig an¬ 
gegebenen Milchmalzsuppe ihre Anhänger, sei es , daß diese 
in der ursprünglich von Liebig angegebenen Form, sei es, 
daß sie in Form der gebräuchlichen Extracte zur Anwendung 
kommt. 

Eines der bekanntesten dieser Art und der seit etwa 
30 Jahren bereits im Gebrauche stehenden, ist der von Hell 
in Troppau erzeugte Extract zur Bereitung von 
Liebig’s Milchmalzsuppe. 

Wir selbst geben dieses Mehl an der Kinderabtheilung 
der Wiener allgemeinen Poliklinik bereits seit einer Reihe 
von Jahren und konnten in der letzten Zeit auf Grund eines 
in munificentem Maße zur Verfügung gestellten Quantums von 
Hell’s Liebigextract neuerdings Versuche bei einer größeren 
Anzahl von Säuglingen vornehmen; wir verfügen so über eine 
längere Reihe von gleichzeitigen Beobachtungen. 

Für die freundliche Ueberlassung des Materiales für die¬ 
selben erlaube ich mir an dieser Stelle meinem Chef Professor 
Dr. Ferd. Frühwald meinen geziemenden Dank abzustatten. 

Es umfaßt die Reihe meiner Nährversuche — abgesehen 
von den vielen Hunderten von Fällen, in denen im Laufe der 
letzten Jahre an der Abtheilung dieses Präparat verordnet 
wurde — 26 Kinder im Alter von 2—20 Monaten und standen 
diese durch längere Zeit in Beobachtung. 

Daß wir bereits Kinder unter 3 Monaten — selbstver¬ 
ständlich unter gewissen , noch später zu erörternden Indica- 


') „Wiener med. Blätter“, 1902, Nr. 10. 


tionen — wählen konnten, wird hauptsächlich dadurch ermög¬ 
licht, daß es der Fabrik im Laufe der Zeit, in der sich dieselbe 
mit der Herstellung ihres Extractes zur Bereitung der Liebig- 
Suppe befaßte, gelungen war, eine Aenderung in der Zu¬ 
sammensetzung vorzunehmen, welche dem Präparate zum Vor- 
theile gereichte und die Schwerverdaulichkeit der Erzeugnisse 
dieser Art bedeutend verringerte. So wurden dem Extracte 
Pflanzeneiweiß und Nährsalze beigesetzt, wodurch dieses seiner 
Zusammensetzung nach der Muttermilch näher kommt als 
andere. Auch findet die Herstellung des Malzmehles aus ent¬ 
hülstem Malze statt. 

Eine weitere Verbesserung besteht darin, daß durch ein 
neues Maisch- und Backverfahren — das Backen erfolgt 
nämlich in strömendem Wasserdampf — Garantie für die 
Keimfreiheit des Präparates geboten wird, ein gewiß nicht 
zu unterschätzendes Moment. 

Ist nun auch die Zeit vorbei, wo man durch vergleichende 
Nebeneinanderstellung chemischer Analysen von künstlicher 
Nahrung und Muttermilch die vollständige Ersetzbarkeit und 
Gleichwerthigkeit der natürlichen Nahrung durch künstliche 
Compositionen beweisen zu können glaubte, so wird nunmehr 
doch jeder zugeben, daß die der verdünnten Kuhmilch ab¬ 
gehenden Bestandtheile und Eigenschaften, so namentlich die 
Kohlehydrate, die verschiedenartige Gerinnung u. a. m. sich 
durch mancherlei Beifügungen ergänzen lassen, und daß dies 
bei jüngeren Säuglingen in geringem Maße, bei älteren im 
größeren durch Hinzufügung von Producten, die man im All¬ 
gemeinen unter dem Namen Kindermehle zusammenfaßt, mit 
Nutzen geschehen kann , und daß diese namentlich auch für 
die Zeit der Entwöhnung mit Vortheil in Verwendung kommen. 

Und darum wird es nicht ganz ohne Interesse sein, die 
Zusammensetzung oberwähnten Nährmehles anzuführen. 

Es enthält Liebig’s Kindernahrung in Procenten: 

Proteinstoffe.16 

Kohlehydrate.76'4 

(davon 56% löslich) - *•! H 

Asche.2'4 

Cellulose.07 

Rohfett.07 

Feuchtigkeit.4'5 

Die Asche von 100 Grm. Liebig’s Extract enthält: 


Kali.500 

Natron.135 

Calcinm.370 

Magnesia. 93 

Eisen. 32 

Mangan.Spuren 

Phosphorsäure.753 

Chlor.248 

Schwefelsäure . 83 


So konnte man denn dieses Extract zur Bereitung der 
Liebigsuppe als Ersatz für die ursprünglich angegebene Nähr¬ 
methode Liebig’s einführen, und wie die lange Beobachtungs¬ 
zeit beweist, blieben die Erfolge nicht aus. 

Unsere jüngsten Versuche, die sich auf über 8 Monate 
erstreckten, bestätigten nur das von uns und Anderen abge¬ 
gebene günstige Urtheil über dieses Präparat. 

Es gelangte dasselbe zunächst bei gesunden Kindern 
zur Verwendung, sowie bei solchen, die zwar gesund, aber bei 
einer KubmilchnahruDg nicht recht mit dem Körpergewicht 
in die Höhe gehen wollten und in der Entwickelung zurück¬ 
blieben. In kurzer Zeit zeigte sich schon der gute Einfluß 
der Beigabe von Hell’s Liebigextract, derart, daß bald eine 
das Normale überschreitende Gewichtszunahme erzielt wurde; 
die Kinder gediehen prächtig, waren ruhig, frei von Koliken 
und erfreuten sich eines ungestörten Schlafes. Daraufhin 
allein schon könnte man dieses Präparat mit gutem Gewissen 
zur Einführung empfehlen, allein wir verlangen mehr von 
einem Kindermehle, da wir es ja nicht immer mit vollständig 
gesunden Säuglingen zu thun haben. Ja, es gelten geradezu 
als Prüfstein die Erfolge, welche man mit einem Nährproducte 
bei Verdauungsstörungen, bei Erkrankungen des Magens und 


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Darmtractes der Säuglinge erreicht, und dies umsomehr, als 
man bestrebt ist, jene Erkrankungen immer mehr mit Aus¬ 
schluß von Medicamenten , durch genaue Regelung der Diät 
zur Ausheilung zu bringen. 

So ließen auch wir uns bei den Kindern dieser Reihe 
bei Verabreichung von Hell’s Extract im allgemeinen von den 
Indicationen leiten, die für die Verordnung der Liebigsuppe 
gelten. 

Wir finden in dieser Gruppe Säuglinge mit schweren 
acuten Dyspepsien, hervorgerufen durch unzweckmäßige Er¬ 
nährung. Nach gründlicher Entleerung des ganzen Verdauungs- 
tractes durch Calomel, Wasser- oder Theediät durch 12—24 
Stunden, trat die Verordnung der Liebigsuppe ein, und bald 
besserte sich die Verdauung, das Erbrechen ließ nach und 
schwand bald gänzlich, die Stühle wurden wieder normal. 
Bei leichteren acuten, sowie bei subacuten und chronischen 
Dyspepsien begannen wir zumeist gleich mit der Anwendung 
der Liebigsuppe in Form de3 HELL’schen Extractes. Desgleichen 
auch bei den Verstopfung aufweisenden Erkrankungen dieser 
Art, jedoch mit dem Unterschiede, daß wir dort, wo es noth 
that, versuchten, den Fettgehalt etwas zu erhöhen. 

Schwere Erkrankungen an Enteritis, so auch oftmals 
Fälle von Enteritis follicularis sahen wir unter dem Gebrauche 
von Hell’s Liebigextract oft erstaunlich rasch zur Ausheilung 
gelangen. 

Bei Fettdiarrhoe — und da recht häufig auch bei Kindern 
unter 3 Monaten — wurde ebenfalls Liebigextract verabfolgt, 
doch mit dem Unterschiede, daß wir die Fettzufuhr möglichst 
einzuschränken suchten. Und auch da ließen sich die günstigen 
Erfolge erkennen, die mit dem Präparate unter diesen Bedin¬ 
gungen bei jungen Säuglingen zu erzielen sind, wenn auch 
andererseits bei der normalen Ernährung für uns als zweck¬ 
mäßigste Nahrung für Säuglinge unter 3 Monaten die Kuh¬ 
milch ohne Zusatz eines anderweitigen Nährpräparates gilt. 

Daß wir bei chronischen Verdauungsstörungen und 
namentlich bei den als Folgezustand auftretenden Atrophien 
Hell’s Liebigextract anwandteu und damit gute Erfolge er¬ 
zielten , manche Kinder, die verloren schienen, wieder her¬ 
stellten, sei ebenfalls hervorgehoben. 

Ohne nun des Genaueren einzugehen auf die Anführung 
säramtlicher Einzel berichte über die den Nährversuchen unter¬ 
zogenen Kinder, sowie die zahlreich vorgenommenen Wägungen 
an dieser Stelle genau registriren zu wollen, sei nur hervor¬ 
gehoben, daß wir, wie ja schon beim bloßen Zusehen zu con- 
statiren war, an sämmtlichen Kindern stets beträchtliche Zu¬ 
nahmen aufzuweisen hatten. Im Durchschnitte schwankt die täg¬ 
liche Zunahme von 15 bis 57 Grm. Auch waren diese Zunahmen 
nicht bloß vorübergehend, eine etwa durch Aenderung der 
Milch Verdünnung oder Milch Wechsel und ähnliche Einwirkungen 
bedingte Steigerung des Gewichtes, die bald stillsteht oder zu 
einem Rückschläge führt, sondern es war ein constantes, zu¬ 
meist gleichmäßiges Anwachsen des Körpergewichtes die ganze 
Zeit hindurch, in der wir die Kinder beobachten konnten, zu 
bemerken. Ungünstige Erfahrungen, so besonders in Hinsicht 
auf die mit Recht gefürchtete Rachitis, konnten wir nickt 
beobachten, welcher Umstand umsomehr hervorgehoben werden 
muß, als es uns möglich war, diese Kinder im späteren Alter, 
wenn sie, an anderen Leiden erkrankt, auf die Abtheilung 
gebracht wurden, in dieser Hinsicht zu controliren, worauf 
übrigens schon vor Jahren Passini hinwies. 

Auch sonst konnten wir keine üblen Nebenerscheinungen 
sehen, wie solche oftmals sich bei Verabieichung von Kinder¬ 
mehlen zeigen, und durch die unverdaute Stärke hervorgerufen 
werden. Die Entleerungen unserer Säuglinge waren frei von 
unverdauter Stärke; Stichproben, zu wiederholtenmalen unter¬ 
sucht, erbrachten neuerdings den-zutreffenden Beweis 

Die von uns verordnete Menge betrug eine Messerspitze 
bis 1 / 2 Kaffeelöffel mehrmals täglich bei Kindern unter 
3 Monaten, bei älteren Kindern begannen wir zumeist mit 
J / 2 Kaffeelöffel, um auf 1—2, eventuell bis 3 Kaffeelöffel zu 


steigen. Diese Menge wurde mit etwas Milch oder Milch * 
mischung gut verrührt, so daß keine Klümpchen sich mehr 
vorfanden, dann die übrige Milch hinzugegossen, zum Kochen 
erhitzt und einige Minuten aufgekocht. In dieser Art zu¬ 
bereitet, wurde die Nahrung von allen Kindern gern genommen 
und gut vertragen; höchstens daß es ab und zu nothwendig 
wurde, durch etwas Zuckerzusatz dem schon verwöhnten 
Geschmacke einiger Säuglinge Rechnung zu tragen. Da 
das sterilisirte Extract in luftdicht verschlossenen Glasflaschen 
in den Handel kommt, erhält es sich rein und verdirbt nicht; 
zudem ist auch sein Preis ein nicht allzu hoher, so daß es 
auch durch diese Eigenschaft sich leichter den Weg in die 
Praxis bahnte, als andere ähnliche Producte. 


Referate. 

A. Oppenheim (Berlin): Das Verschwinden der Leber¬ 
dämpfung bei Meteorismus. 

Verf. fand auf experimentellem Wege („Deutsche racd. Wschr.“, 
1902, Nr. 27), daß die Leberdämpfuug verschwunden sein kann, 
ohne daß Meteorismus äußerlich wahrnehmbar ist. Das Colon ver¬ 
mag in genügend geblähtem Zustande, wahrscheinlich auch schon 
in Abschnitten (Cöcum und Colon ascendens) die Leberdämpfungs¬ 
linie wesentlich zu verschieben. Dieses Phänomen bedeutet an sich 
nur einen localen Meteorismus, welcher selbstredend durch ver¬ 
schiedene Ursachen, mechanische oder entzündliche, bedingt sein 
kann. Tritt es im Anschluß an eine Perityphlitis auf, so kann es 
als Frühsymptom einer schleichend einsetzenden Peritonitis mit- 
verwerthet werden, denn es weist mit Wahrscheinlichkeit auf eine 
toxische Lähmung der dem Krankheitsproceß anliegenden Dick¬ 
darmpartie hin. 

Wesentlich getrübt wird der Werth dieses Symptoms dadurch, 
daß auch Opium und starke Morphiumdosen localen Dickdarm¬ 
meteorismus zur Folge haben, der noch nach dem Tode nachge¬ 
wiesen werden kann. 

Bezüglich der Lungen gilt Folgendes: Wenn sich die volu¬ 
minöse Leber um ihre Achse nach hinten wälzt und bei ihrer 
Fixation an der tiefsten Stelle nicht abwärts rücken kaun, so 
muß eie naturgemäß die Lungen entweder einengen oder ver¬ 
drängen. Da nun entzündliche Processe in abdomine oft von An¬ 
sammlungen in den Pleuren begleitet sind, auch gelegentlich dabei 
subphrenische Abscesse sich bilden können, so dürfte die Kenntniß 
dieser Lungenverschiebung differeutialdiagnostisch nicht ohne Be¬ 
lang sein. B. 

Pässler (Leipzig): Ueber einige seltenere Fälle von 
Migräne. 

Verf. beschreibt folgende bemerkenswerthe Fälle („Deutsche 
med. Wschr.“, 1902, Nr. 26): Ein sonst gesunder junger Mann, 
dessen Mutter an Migräne leidet, bekam unmittelbar nach einem 
Sturz zuerst einige Wochen hindurch häufige, aber ganz leichte, 
kaum charakteristische Migräneanfälle. Sodann stellten sich plötz¬ 
lich ohne jeden Uebergang vollständige Anfälle schwerer Art ein. 
Dieselben bestanden aus einer sensorischen Aura, die von einer 
mitunter noch in den eigentlichen Anfall bineinragenden visuellen 
Aura gefolgt oder seltener begleitet war. Auf die sensorische Aura 
folgte eine aphatische Sprachstörung. So lann begann der eigent¬ 
liche hemikranische Anfall mit Uebelkeit und Erbrechen reichlicher 
Mengen salzsäurefreier Flüssigkeit. Gleichzeitig traten die allraälig 
zunehmenden Kopfschmerzen auf, die zwar stets beiderseits vor¬ 
handen, aber auf der der vorausgegangenen Aura gegenüberliegenden 
Seite heftiger waren. Nicht bei allen Anfällen traten hiezu noch 
vasomotorische Störungen, bestehend in einer auf den Kopf be¬ 
schränkten anfänglichen Gefäßverengerung, mit späterer starker 
Erweiterung ohne Schweißsecretion. Neben der Gcfäßerweiterang sah 
man in einem Anfalle die Pupille auf der stärker von Kopfschmerz 
betroffenen Seite deutlich weiter als die andere. Reaction auf Licht 
und Convergenz normal. — Bei einem zweiten Patienten, einem 
39jähr. früheren Bleiarbeiter, der nur ganz vorübergehend einmal 


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an leichter Bleikolik gelitten hatte, jetzt keine auf Bleiintoxication 
mehr hinweisenden Erscheinungen bot (Fehlen des Bleisaums), waren 
seit 2 Jahren schwere nervöse Symptome aufgetreten. Sie bestanden 
in sehr häufigen Migräneanfällen, die regelmäßig die linke Seite 
einnahmen, vom Hinterkopf ausgingen und von eigenthtimlichen 
Störungen der Motilität begleitet waren, welche ausgesprochen das 
Symptomenbild der cerebellaren Ataxie boten. Zu einer Zeit, wo 
die Migräneanfälle fast täglich auftraten, fehlte die Bewegungs¬ 
störung auch in den Zwischenpausen zwischen den einzelnen 
Schmerzattacken nicht ganz, dagegen verlor sie sich sofort, als 
unter dem Einflüsse von Chinin und der Krankenhausbehandlung 
die Migräneaufälle schwanden. Mit dem Anfalle verbanden sich 
regelmäßig vasomotorische Symptome in Gestalt von Gefäßerweite¬ 
rung auf der befallenen Seite. Während der Periode der gehäuften 
Anfälle waren die Sehnenreflexe hochgradig gesteigert. L. 


Bobroff und Rudneff (Moskau): Staphylococcus als Ur¬ 
sache benigner Neubildungen. 

Als prädisponirendes Moment für die Entstehung von benignen 
Knochenneubildungen (Osteom, Osteochondrom) wurden von manchen 
Klinikern das Alter des Pat., die Erblichkeit und locale Reizung 
angegeben. 

Zwei Fälle von solchen Knochenneubildungen haben die beiden 
VerfF. bakteriologisch genau untersucht, indem von den unter asepti¬ 
schen Cautelen entnommenen Stücken der Neugebilde Culturen angelegt 
wurden, wobei ein sehr interessanter Befund erhoben werden konnte; 
es fand sich nämlich in beiden Fällen in den Geschwülsen Staphylo¬ 
coccus albus bei Abwesenheit irgendwelcher Symptome von Ent¬ 
zündung und, was besonders interessant ist, die größte Zahl der 
Mikroorganismen befand sich in der Tiefe der Neubildung näher 
zu ihrem Grunde an der Grenze des normalen Knochengewebes. 

Aus diesen Befunden ziehen die VerfF. den Schluß („Langen- 
beck’s Arch.“ Bd. 67, H. 1), daß in der Periode des Knochen¬ 
wachsthums infolge von Staphylokokkenreizung typische Knochen¬ 
neubildungen (Osteome und Osteochondrome) entstehen können. 

Erdheim. 


W. v. Bechterew (St. Petersburg): Ueber Ermüdung der 
'Sehnenreflexe und die diagnostische Bedeutung 
dieses Symptoms bei nervösen Erkrankungen. 

In manchen Fällen multipler Neuritis hat Verf. im Convalescenz- 
stadium hochgradige Verlangsamung der Patellarreflexe gefunden; 
mit dem Nachlassen des neuritischen Processes geht sie allmälig 
zurück. Jetzt („Neurol. Centralbl.“, 1902, Nr. 4) hat er in einzelnen 
Fällen von Myelitis des unteren Brustmarkes und der Lenden- 
anschwellnng zur Zeit des Nachlassens des myelitischen Processes 
eine Ermüdbarkeit des Reflexes gefunden, der schließlich völlig 
normale Reflexthätigkeit folgt. Analoges fand er in den Anfangs¬ 
studien der multiplen Neuritis und Tabes vor dem völligen Aus¬ 
setzen der Reflexe. Das Zu- und Abnehmen der Erscheinungen kann 
von Wichtigkeit sein, vielleicht auch die Erscheinung selbst in 
Verbindung mit anderen Symptomen. — Die erwähnten Erscheinungen 
sind wohl schon den meisten Untersuchern aufgefallen. Infeld. 


Wutzdorff (Berlin): Ueber die Verbreitung der Krebs¬ 
krankheit im Deutschen Reiche. 

Aus den in großem Maßstabe vorgenommenen Untersuchungen 
ergibt sich Folgendes („Deutsche med. Wochenschr.“, 1902, Nr. 10): 

Im Deutschen Reiche ist Dach Ausweis der amtlicheu Todes¬ 
ursachenstatistik von 1892—1898 die Krebskrankheit im Allgemeinen 
in erheblicher Zunahme begriffen, am meisten in Württemberg, im 
Hamburger Staatsgebiet, in der Provinz Posen und in Bayern links 
des Rheins, am wenigsten in der Provinz Hannover, im Königreich 
Sachsen, in Westfalen, Hessen und Ostpreußen; eine Abnahme ließ 
sich allein für Hohenzollern und Sachsen-Coburg-Gotha feststellen. 

Aus den im Jahre 1898 verzeichneten Todesfällen, auf die 
lebende Bevölkerung berechnet, zu schließen, ist die Krebskraukheit 
am verbreitetsten im Lübecker und im Hamburger Staatsgebiet, 


in Baden, Bayern rechts des Rheins, Berlin, Hessen, Württemberg, 
im Königreich Sachsen, in Braunschweig und im Bremer Staats¬ 
gebiet, am wenigsten verbreitet in Schaumburg-Lippe, der Provinz 
Posen, Sachsen-Coburg-Gotha, Westfalen, Westpreußen, Hohenzollern, 
Ostpreußen und in der Rheinprovinz. 

Abgesehen von den jüngsten Altersclassen der Bevölkerung, 
für welche wegen der Kleinheit der in Betracht kommenden Zahlen 
statistische Schlüsse nicht gezogen werden dürfen, hat in allen 
übrigen die Zahl der Krebstodesfälle erheblich stärker zugenommen 
als das Wachsthura der Bevölkerung. Die Annahme, daß an der 
Zunahme allein oder vorzugsweise das höhere Lebensalter betheiligt 
sei, entspricht nicht den statistischen Ergebnissen. 

Die Krebskrankheit befällt gegenwärtig die Bevölkerung in 
einem durchschnittlich jüngeren Lebensalter als früher. 

Von der Krebskrankheit werden Frauen häufiger als Männer 
befallen; doch nimmt diese Gefahr für die Männer stärker zu als 
für die Frauen. B. 


A. Schücking (Pyrmont): Infusion durch die Nabelvene. 

In einem Falle von tiefer Asphyxie, wo die SCHULTZE’schen 
Schwingungen ohne Erfolg geblieben waren, hat Sch. als letzten 
Versuch die Infusion einer Natriumfructosatlösung durch die 
Nabelvene vorgenommen. Er ließ zuerst 30 Grm. einer 0*5%igen 
Lösung in 0 - 7%ige Kochsalzlösung einlaufen, dann weitere 20 Grm., 
worauf eine erste schwache spontane Athmung, dann langsam 
mehrere Athemzüge erfolgten. Er unterstützte sodann die Athmung 
noch kurze Zeit durch Anwendung der SiLVESTER’schen Methode. 
Das Kind ist am Leben geblieben. 

Die Wirkung dieser Infusion ist dahin zu erklären, daß die 
Alkalisaccharate die Kohlensäure aufnehmen und dabei in Zucker 
und kohlensaures Natrium zerlegt werden. Beim asphyktischen 
Kind wird die Herzthätigkeit, welche unter dem Einflüsse des Na- 
triumfructosat erhöht wird, das durch Kohlensäureanhäufung gelähmte 
Athemcentrum unter günstigere Stoffwechselbedingungen bringen, 
zugleich wird die Lösung direct kohlensäurebefreiend auf das 
Athemcentrum wirken. Sch. empfiehlt („Centralbl. f. Gynäk.“, 1902, 
Nr. 23) die intravenösen Infusionen mit Alkalisaccharaten auch zur 
Wiederbelebung Ertrunkener und Erstickter. Fischer. 


John C. Hemmeter (Baltimore): Beiträge zur Antiperistal¬ 
tik des Darms. 

Es besteht eine Bewegung kleiner Theilchen beim Menschen 
vom Rectum zum Magen hin. Diese Bewegung wird unterstützt, 
wenn die Theilchen, Lycopodium, Stärkekörner, Bismuth. subnitr., 
in einer physiologischen Kochsalzlösung suspendirt eingespritzt 
werden. Die Bewegung wird gehindert oder gänzlich aufgehoben, 
wenn die injicirte Masse aus schwachen KCl- oder HCl-Lösungen be¬ 
steht („Arch. f. Verdauungskrankheiten“, Bd. VIII, II. 1—2). Diese 
Bewegung ist randständig, weil sich bei Schnitten durch den Darm 
und bei Sectionen menschlicher Leichen die Theilchen nur an der 
Peripherie und dicht am Epithel der Darmmucosa vorfinden. Das 
Aufwärtswandern der Theilchen zum Magen geht gleichzeitig mit 
dem centralen Abwärtssteigen der Fäcalmassen vor sich. Diese 
Thatsache kann mit Hilfe der X-Strahlen nach Eingüssen von Bis¬ 
muth. subnitr. in das Rectum von Katzen beobachtet werden, doch 
eignen sich kleine Thiere, wie weiße Mäuse und Ratten, noch 
besser zu diesen Untersuchungen. Gefärbte Theilchen von Säge- 
spähnen, Lycopodium oder Bismuth. können durch die Darrawand bei 
sehr kleinen Thieren, z. B. Mäusen, beobachtet werden. Diese Anti¬ 
peristaltik kann Ingesta nicht in Massen vorwärtsbewegen, deshalb 
kann sie auch nicht als eine Erklärung für die Verdauung der 
Nährklysmen angeführt werden. B. 


M. Oppenheim (Wien): Ueber einen vom Pediculus pubis 
gebildeten Farbstoff. 

Ueber Anregung Professor Ehrmann’s untersuchte 0. einen 
von den Morpionen gebildeten grünlichen Farbstoff, welcher sich 
in den Zellen des sogenannten Corpus adiposum findet; das letztere, 


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ein Netz- und Balkenwerk von Zellen, welchem theils die Aufgabe 
eines Stützorganes der Eingeweide, theils eines Aufspeicherungs¬ 
raumes zukommt, liegt in den Seitentheileu des Thorax zu beiden 
Seiten des Magens längs der Tracheenstigmata im Abdomen und 
unter dem Chitinpanzer der Extremitäten. Während sich das Fett 
dieser Zellen bei Behandlung mit Chloroform oder Aether löst, 
bleibt der Farbstoff unverändert, in concentrirter Essigsäure ver¬ 
schwindet die grüne Farbe bald, in Wasser oder concentrirter Kali¬ 
lauge erst nach Tagen. Concentrirte Salpetersäure führt rasch, alko¬ 
holische Jodlösung nach längerer Einwirkung Gelbfärbung herbei. 
Die Untersuchung auf Eisen ergab, daß es sich um einen eisen¬ 
freien Farbstoff handle, den die Morpiones aus ihrer Nahrung, 
dem menschlichen Blut, mittels eines ihren Speicheldrüsen entstam¬ 
menden Fermentes bilden. Das Biliverdin verhält sich in seinen 
chemischen Reactionen ziemlich ähnlich. Die Täches bleues wären 
dann so zu erklären, daß unter dem Einfluß des Fermentes der 
an der Bißstelle austretende Blutfarbstoff ebenso verändert wird, 
wie der vom Thiere aufgenommene. Der grüne Farbstoff erscheint 
dann durch die Epidermis als trübes Medium betrachtet stahlblau. 
Die Untersuchung ist gerade in dieser Beziehung noch nicht ab¬ 
geschlossen und es behält sich der Autor („Arch. f. Derm. u. Syph.“, 
Bd. LVII, 1901) die Fortsetzung derselben vor. Ungefähr ein Viertel 
der untersuchten Morpionen führte keinen Farbstoff (ebenso die 
jungen Thiere), es scheint daher, daß nicht allen Thieren die 
Fähigkeit zukommt, diesen Farbstoff zu bilden ; damit stünde dann 
die Erscheinung im Einklang, daß einzelne Individuen keine Täches 
bleues aufwiesen, auch wenn reichlich Pediculi pubis vorhanden sind. 

Deutsch. 


Sawtschenko und Melkich (Kasan): Etüde aur llmmunite 
dans la fievre recurrente. 

Verff. fanden auf Grund ihrer Experimente („Ann. de l’institut 
Pasteur“, 1901, pag. 497), daß sich im Organismus der an Re- 
currensfieber Erkrankten Substanzen bilden, die eine specifische 
Affinität zu den Spirillen haben, Agglutinine und immunisirende 
Substanzen. Die immunisirende Substanz, die durch die intracelluläre 
Verdauung der Spirillen entsteht, ist im Verein mit dem Alexin 
des Serums die Ursache der Zerstörung der Spirillen außerhalb 
des Organismus (in vitro); die Veränderungen, welche die Spirillen 
hiebei erleiden, sind den bekannten Vorgängen bei dem Pfeiffer- 
schen Phänomen analog. Die übrigen Schlußfolgerungen der Verff. 
sind ausschließlich von theoretischem Interesse und müssen im 
Original nachgelesen werden. Dr. S—. 


Kleine Mittheilungen. 

— Ueber Elektrotherapie bei Depressionszuständen soge¬ 
nannter functioneller Neurosen berichtet Smith („Allg. Ztschr. f. 
Psych. etc.“, 1902, Bd. 59, H. 1). Verf. verwendet unterbrochene 
elektrische Ströme, faradische oder sinusoidale Wechselströme eines 
Drehstrommotors. Die Anwendung dieser Ströme geschieht in einem 
lauen Bade, etwa 10 Minuten täglich, oder einen um den anderen 
Tag ; die Stromstärke wird nach der Toleranz des Kranken be¬ 
stimmt. Auch die elektrische Douche der Influenzmaschine, sowie 
die d’ARSONVAL’sche Autoconduction erweist sich nützlich. Die Be¬ 
handlung, nach welcher längere Ruhe angezeigt ist, wird durch 
Digitalis, Campher und besonders durch Validol erheblich unter¬ 
stützt. Vermeidung von Alkohol und Essig, vegetabilische Kost 
ist zu empfehlen. Verf. hat Aufnahmen gemacht, welche die Ueber- 
einstimmung der mit seiner Methode (Phonendoskopie) gewonnenen 
Herzumrisse mit denen des MoRiTZ’schen orthodiagraphischen 
Roentgenverfahrens zeigen; aus einer Reihe von Curven, in denen 
die Herzgröße bei verschiedenen Krankheiten täglich registrirt ist, 
geht hervor, daß der Herzvergrößerung jedesmal ein Depressions¬ 
zustand folgt. 

— An der Hand photographischer Aufnahmen beschreibt 
Beck („Medic. Record“, 1902, 13. Jan.) die verschiedenen Arten 

der durch Roentgenstrahlen hervorgerufenen Verbrennungen. 

Der Hauptunterschied zwischen den gewöhnlichen Verbrennungen 


und den durch die Roentgenstrahlen verursachten besteht in der 
spätereu Entwickelung der letzteren. Die Roentgenstrahlen haben 
eine eigentümliche, bis zur Bildung von Verbrennungen steigerungs¬ 
fähige Wirkung auf das Zellgewebe. B. verspricht dem Roentgen- 
strahlen-Heilverfahren eine sichere Zukunft. Der Patient muß indeß 
in jedem Falle auf die Gefahren der eventuellen Verbrennung 
aufmerksam gemacht werden. Die Behandlung der Roentgenstrahlen- 
verbrennung ist dieselbe wie die jeder anderen Verbrennung. Bei der 
einfachen Dermatosis (Verbrennungen ersten Grades) ist dio An¬ 
wendung der BuROw’schen Lösung eine äußerst wohlthuende. Für 
die Blasenform (zweiter Grad) ist ein Xeroformgazeverband nach 
Oeffnung und Entfernung der Blasen für die ersten Tage ange¬ 
zeigt. Für später empfiehlt der Autor eine 10%ig e Xeroform- 
Lanolinsalbe, die täglich gewechselt werden muß, vorausgesetzt, 
daß nur eine geringe Secretion vorhanden ist. Die nekrotische 
Form (dritter Grad) erfordert eine schleunige Entfernung der 
abgestorbenen Zellgewebe, während die Nachbehandlung wie eine 
gewöhnliche Wundbehandlung fortzuführen ist (Xeroformgaze). 

— Zur Beschränkung der Secretion des Schnupfens und 
zur Verengung der dilatirten Gefäße empfiehlt Escat („Ann. d. 
M6d. et Chir. inf.“, 1902, Nr. 2) folgende Medication: 


Rp. Atropin, sulf. 0 005 

Strychnin, sulf. 0'05 

Syr. cortic. aurant.100 0 

M. D. S. 2—3 Kaffeelöffel täglich. 

Local: Spray mit l°/ 0 Lösung von Cocain, hydrochl. in Aqa. 
laurocer. 2stündlich wiederholt, oder 

Rp. Menthol.0 05 

Cocain, hydrochl.0‘5 

Antipyrin.20 

Sacch. lact.80 

M. f. p. DS. Schnupfpulver. 


— Das Stypticirr empfiehlt R. Kaufmann („Monatsh. f. prakt. 
Dermat.“, 1902, Bd. 34, pag. 161) als locales Hämostaticum ins¬ 
besondere bei Blutungen der Harnröhre, welche infolge von 
instrumonteller Behandlung entstehen. Beim Endoskopiren drückt 
er mittels Tamponträgers in 2%*ge Stypticinlösung getauchte 
Watte gegen die blutende Fläche und hat, falls die Blutung nicht 
von einer entfernteren stricturirten Stelle herrührte, stets prompt 
die Blutung gestillt. Besonders werthvoll erwies sich das Stypticin 
als Hämostaticum bei Blutungen, welche nach Bougirungen, sowie 
bei Dilatationen nach Oberländer-Kollmann auftraten. K. führte 
in solchen Fällen in die Harnröhre früher Stäbchen von folgender 
Zusammensetzung ein : 

Rp. Stypticin. 003—004 

Ol. Cacao.1'5 

M. f. bacilli urethrales long. 10 Cm., crassit. 

4 Mm. 

Neuerdings wendet er statt 01. Cacao Gelatine in gleicher Dosis 
an, wodurch eine viel promptere und sicherere Blutstillung bewirkt 
wird. Die Patienten werden angewiesen, auf Orificium und die 
Glans penis Watte zu legen, die mittelst eines Guramibändchens 
oder eines Condoms befestigt wird, und müssen außerdem möglichst 
lange den Urin zurückhalten. K. glaubt auf Grund seiner Erfah¬ 
rungen, daß durch dieses Vorgehen stärkere Blutungen sicher ver¬ 
hütet werden. Versuche, durch Bestreichen der Bougies und 
Dilatatoren mit stypticinhaltiger Salbe prophylaktisch eine Blutung 
zu verhindern, führten nicht zum Ziel. Weiter leistete das Stypticin 
sehr nützliche Dienste zur Blutstillung nach Exstirpation kleiner 
Hautgeschwülste, wie Warzen und der Condylomata acuminata, 
sowie bei blutenden Geschwüren; ferner war das Stypticin in Form 
der 30°/ 0 igen Stypticinwatte und Stypticingaze geeignet zur Blut¬ 
stillung bei Phimosenoperationen, wo bei der Loslösung der Ver¬ 
wachsungen des inneren Präputialblattes mit der Glans leicht 
parenchymatöse Blutungen entstehen. 

— Das Calomel verwendet in der Behandlung der In¬ 
fluenza Bergmann („Revue de thör. m6d.-chir.“, 1902, Nr. 5). 
Er gibt das Mittel in Dosen von 0‘12 Grm. alle 2 Stunden bis 
zur stark abführenden Wirkung. Bei der gastro-intestinalen Form 
reicht er das erstemal 0 - 36 Grm., und wenn sich nach 6 Stunden 
noch keine Wirkung gezeigt hat, eine zweite gleich große Dose. 
Die erste Wirkung dieser Behandlung äußert sich in einem Abfall 


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des Fiebers nach der ersten Stuhlentleerung. Kopf- und Muskel- 
Schmerzen nehmen ab, das Allgemeinbefinden bessert sich. Die 
Calomelbehandlung ist bei allen Formen der Influenza indicirt. 

— Bei Erkrankungen des Auges empfiehlt sich die An¬ 
wendung des Dionin („Psych. neurol. Wschr.“, IV, Nr. 5): In 
allen Fällen, in denen man die heftigen Schmerzen lindern will, 
auf welche die bekannten localen anästhesirenden Mittel ohne 
Wirkung sind, so bei Keratitis, Iritis, Iridocyclitis, Glaukom u. a. 
In allen Fällen, in denen die Ernährung der Gewebe unterstützt, 
die Resorption von Exsudaten und Entzündungsproducten befördert 
werden soll, und in denen man eine sichere Atropinwirkung 
erzielen will. Ob man Dionin bei der Wundbehandlung, besonders 
bei Staaroperationen anwenden soll, ferner ob dem Präparat anti¬ 
septische Wirkung zukommt, um diese Fragen entscheiden zu 
können, werden noch mehr Beobachtungen nöthig sein. Dionin 
wird ordinirt als Augentropfen in 2 — 5°/oiger wässeriger Lösung; 
als Pulver angewendet, bringt man etwa eine kleine Messerspitze 
voll ins Auge. Wollfberg empfiehlt folgende Medication: 


Rp. Dionin.0 25 

01. Cacao.10 


Fiat massa, e qua form, bacilli Nr. 10. 

S. Täglich ein bis mehrere Stäbchen ins Auge 
zu bringen. 


Literarische Anzeigen. 

Lehrbuch der Zahnheilkunde für praktische Aerzte 
und Studirende. Von Prof. Dr. Josef Ritter v. Metnitz. 

Dritte verbesserte und vermehrte Auflage, mit 255 Holzschn. 
Wien-Berlin 1903, Urban & Schwarzenberg. 

Der größere Theil des Buches wird den theoretischen, rein 
wissenschaftlichen Abschnitten, der Anatomie und Histologie, der 
Entwickelung der Zähne und Kiefer und der Pathologie gewidmet. 
Hier wußte Metnitz sowohl seine eigenen reichen Erfahrungen, 
als auch die neuere und neueste Specialforschung zu verwerthen. 
Die Arbeiten von Loos, Schaffer, Römer, Lepkowski, Walk¬ 


hoff, Schech, Weiseb, Arkövy und von vielen anderen wurden 
herangezogen. Doch auch der praktische Theil hat zahlreiche Ver¬ 
mehrungen und Verbesserungen erfahren. Daraus resultirten sehr 
werthvolle Aenderungen und Umarbeitungen vieler Capitel: wir 
wollen hier nur die Besprechung der Periodontitis, der Behand¬ 
lung der erkrankten Pulpa, des Alveolarabscesses, der Porzellan¬ 
füllung etc. hervorheben. Der Endabschnitt (Prothese) gibt uns 
eine kurze klare Darstellung von den Grundprincipien der zahn¬ 
ärztlichen Technik, mit ausgiebiger Berücksichtigung der Regula¬ 
tionsarbeit, der Obturatoren für Gaumen- und Rachendefecte etc. 

Wer sich über den Werth des Buches informiren will, dem 
rufen wir folgende Zeilen aus einem Referate über die erste Auf¬ 
lage (1900) des Lehrbuches in Erinnerung: „Wissenschaftlicher 
Geist, Gründlichkeit, klare Uebersichtlichkeit und Sprache, nebst 
originellen Zügen charakterisiren dieses nicht nur dem gereiften 
Fachmanne nützliche, sondern und besonders der studirenden 
Jugend hochschätzbare handliche Lehrbuch. Die Ausstattung des 
Buches ist höchst elegant und gereicht den Verlegern zur Ehre.“ 
Der Referent aber war unser Altmeister Prof. Arkövy. 

_ D. D. S. 

Semiologie pratique des poumons et de la plevre. 

Par Henry Barbier. J. B. Bai liiere et fils, Paris 1902. 
Gegenüber den heutzutage immer mehr zur Geltung kommen¬ 
den Methoden der radiologischen, bakteriologischen, cytodiagnostischen 
und serodiagnostischeu Untersuchung hebt Barbier nachdrücklich 
und ausführlich den Werth der dem Arzte immer zur Verfügung 
stehenden physikalischen Untersuchungsmethoden hervor. Ausgehend 
von den physiologischen Grundlagen, werden die verschiedenen 
pathologischen Phänomene, welche Inspection, Palpation, Percussion 
und Auscultation ergeben, besprochen und ihr Zusammentreffen bei 
den verschiedenen Krankheiten erläutert. 

20 gute Textfiguren sind dem Werke beigefügt, welche das 
Verständniß desselben und die Vorstellung der betreffenden körper¬ 
lichen Verhältnisse in bedeutendem Maße erleichtern. 

L. Hofbader (Wien). ■ 


Feuilleton. 


Berliner Briefe. 

(Orig.-Corresp. der „Wiener Med. Presse“.) 

VI. 

Wenn icli Ihnen heute wieder in erster Linie über sociale 
Fragen des Aerztestandes zu berichten habe, so thue ich dies „der 
Noth gehorchend, nicht dem eigenen Trieb“; denn in der That 
nehmen diese hier immer noch — und wer weiß wie lange noch ? — 
den Löwenantheil des Interesses unserer Kreise in Anspruch. 
Vielleicht ein wenig zu viel, wenn man erwägt, daß dadurch das 
Interesse nur zu leicht von dem Gebiete der Wissenschaft abge¬ 
lenkt, oft recht kleinlichen und materiellen Angelegenheiten zuge¬ 
wendet wird, die doch schließlich immer auf die Existenzfrage hinaus¬ 
laufen. 

Daß die würdige, standesgemäße Existenz des Arztes vielfach 
schwierig und bedroht ist, bedarf keiner besonderen Beweisführung. 
Die Verstaatlichung eines großen Theiles der Praxis durch die 
Cassen unter minimalsten Honorarsätzen, die alljährlich wachsende 
Concurrenz durch massenhafte Neucreirung von Aerzten, welche 
die Abgangsziffer weit übersteigen, die Verminderung des allge¬ 
meinen Wohlstandes und Vertheuernng des Lebensunterhaltes bei 
gleichzeitiger Abnahme der Zahlungsfähigkeit vieler Kreise des 
Publicums — ich glaube, das genügt, um — auch ohne Propheten¬ 
gabe — einen gewissen Niedergang vorauszusagen. Aber ein be¬ 
deutender Krebsschaden, der am Wohle der Aerzte nagt, ist noch 
zu nennen: die wenigstens hier noch in hoher Blüthe stehende 
Curpfuscherei, die sich sogar bemüht, namhafte Aerzte zur 
„Beaufsichtigung“ uDd „Leitung“ ihres Unternehmens zu gewinnen, 
natürlich nur, um durch diese den Behörden gegenüber gedeckt 
zu sein und deren Namen für ihre Propaganda zu benutzen. Was 


hilft es, später gegen den Mißbrauch des Namens zu protestiren? 
Semper aliquid haeret. 

Gegen die Curpfuscherei ziehen denn auch immer 
energischer die hiesigen Aerzte zu Felde, theils in Zeitschriften 
und gemeinfaßlichen Publicationen, theils in Vereinen. Zwei 
Arten der Kriegsführung sind zur Zeit gleichzeitig in Gebrauch, 
die Volksaufklärung und die behördliche Verfügung. 
Zu ersterer hat sich der Aerztestand leider sehr spät entschlossen. 
Aus Geringschätzung der „Gemeinfaßfichen Belehrungen“ des 
Publicums über hygienische und prophylaktische Fragen, über 
das Wesen der Krankheiten und den Werth ärztlicher, sach¬ 
kundiger Hilfe hat er den curirenden Laien allzulange das Feld 
überlassen und diese haben die ihnen durch das Gewerbegesetz 
garantirte Curirfreiheit eifrig benützt. Auch ohne sich einen 
„ärztlichen Titel oder eine zur Täuschung des Publicums geeignete 
Bezeichnung“ beizulegen, haben sie die weitesten Kreise der 
Bevölkerung für ihre „Methoden“ gewonnen, und nun hält es sehr 
schwer, diese Kreise wieder für eine Würdigung der ärztlichen 
Kunst zu erobern. Wohl setzt diese jetzt endlich den unangebrachten 
vornehmen Stolz bei Seite, wohl ergreifen namhafte Mediciner die 
Feder, um populär zu schreiben. In Einzelschriften, in Kalendern, 
in der politischen und belletristischen Presse begegnet man jetzt 
berühmten Klinikern und Pathologen mit volkstümlichen Abhand¬ 
lungen, welche sich direct an den Nichtarzt wenden. Hat doch 
sogar der jüngst in Königsberg abgehaltene Aerztetag den ärzt¬ 
lichen Vereinen empfohlen, zur Aufklärung des Publicums in Wort 
und Schrift durch Vorträge, Benutzung der Tagespresse, Bro¬ 
schüren, Flugblätter etc. beizutragen. Aber es ist immer schwer, 
ein verloren gegangenes Terrain aufs neue zu besetzen, leichter 
ist es für die beati possidentes, es zu vertheidigen. Nun aber ist 
man einmal zur Offensive übergegangen, und es ist dieser eine 
Nachhaltigkeit, ein wirklicher Dauererfolg zu wünschen. Die 
Taktik haben uns unsere Gegner gelehrt — und man soll auch 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 31. 


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vom Feinde lernen. Zumal lerne man nichts Halbes zu thun, 
sondern kräftig und zielbewußt für Volksbelehrung und Volks¬ 
aufklärung zu wirken, den Werth ärztlich geleiteter, physikalisch 
diätetischer Heilmethoden und wissenschaftlicher Hygiene in das 
rechte Licht zu stellen, praktisch zu sein, den Zeitgeist aufmerksam 
zu verfolgen und sich ihm anzupassen, veraltete Schranken fallen 
zu lassen und, wie es v. Leyden gethan, Bewegungen, die man 
nicht hindern kann, dadurch, daß man sich an deren Spitze stellt 
und das Gute, das sie enthalten, der Wissenschaft zu eigen macht, 
in ein vernünftiges Fahrwasser zu leiten. Wenn alle Aerzte so 
denken und — ohne Cliquenwesen — einmüthig, wie die Natur¬ 
ärzte, Schulter an Schulter kämpfen, dann winkt ihnen noch jetzt 
die Siegespalme. Es ist noch nicht zu spät. 

Inzwischen aber sind auch die Behörden nicht müßig 
gewesen; vielmehr haben sie energisch nach dem altbewährten 
Grundsätze gehandelt: Greif niemals in ein Wespennest; doch 
wenn du greifst, dann greife fest! Der Cultusminister Dr. Stiidt 
hat unterm 28. Juni eine Verfügung an sämmtliche Regierungs¬ 
präsidenten und an den Polizeipräsidenten von Berlin erlassen, 
durch welche die Meldepflicht aller nicht approbirten Heilpersonen, 
der sogenannten Laienpraktiker oder Naturärzte, angeordnet wird. 
Dadurch lernt die Medicinalbehörde alle Personen, welche, ohne 
approbirt zu sein, die Heilkunde gewerbsmäßig ausüben, nach 
Namen, Wohnort, Vorleben, etwaigen Bestrafungen, Heilverfahren etc. 
kennen und ist imstande, ein Verzeichniß derselben anzulegen, sie 
besser zu überwachen und zu controliren. Wohnungswechsel und 
Verzug in andere Orte sind zu melden. Oeffentliche Anzeigen, 
welche über Vorbildung, Befähigung oder Erfolge zu täuschen 
geeignet sind oder prahlerische Versprechungen enthalten, sind 
verboten, ebenso Anzeigen von Gegenständen, Verfahren, Mitteln etc. 
zur Linderung oder Heilung, sobald denselben über ihren wahren 
Werth hinaus Wirkungen zugeschrieben werden oder das Publicum 
durch die Art der Anpreisung irre geführt wird. Ist auch nicht zu 
leugnen, daß dieser erste und provisorische Schritt zur Festnagelung 
und Bekämpfung des Curpfuscherthums noch unvollkommen ist, so 
■bedeutet er doch eine That und bei jichtiger Handhabung durch 
die ausführenden Organe einen Fortschritt. Die etwas elastischen 
Begriffe des Erlasses werden sicher durch die praktische Erfahrung 
noch Festigkeit erhalten, und keinesfalls kann man die von ver¬ 
schiedenen Seiten ausgesprochene Befürchtung theilen, die Cur- 
pfuscher seien durch diese Eintragung in eine officielle Liste 
gewissermaßen eine amtlich anerkannte, privilegirte Corporation 
geworden. Diese Liste bedeutet keine „halbe Approbation“, sondern 
einen auf die Curpfuscher ausgeübten Zwang, Farbe zu bekennen 
und ihre dunkeln Schlupfwinkel aufzugeben. 

Während Virchow, der die Teplitzer Cur mit Erfolg durch¬ 
geführt hat und sich wieder selbständig fortbewegen kann, zur 
Zeit in Herzburg völlige Genesung sucht, die aber leider durch 
senile Schwächezustände unterbrochen wird, hat der erst 69 Jahre 
zählende Gerhardt fern von Berlin, auf seinem Besitzthum die 
Augen für immer geschlossen. Mit ihm ist ein namhafter Pädiatriker, 
Laryngologe und Kliniker dahingegangen, der namentlich durch sein 
großartiges Handbuch der Kinderkrankheiten und durch seinen 
diagnostischen Scharfblick sich großen Rufes erfreute. — Eine eigen¬ 
artige Nachricht, Schweninger betreffend, überraschte die ärztlichen 
Kreise ganz unerwartet. Der Conflict wegen des Lichterfelder 
Krankenhauses war dadurch beendet, daß die Regierung durch 
v. Bergmann die chirurgische Abtheiluug mit einem völlig unab¬ 
hängigen Chef besetzte. Dieser scheinbaren Niederlage Schweninger’s 
ist aber eine Art Triumph desselben gefolgt. Er wurde zwar seiner 
Stellung als Leiter einer dermatologischen Abtheilung der Charite 
enthoben, erhielt jedoch zur Entschädigung dafür den Lehrauftrag 
als Professor der „Geschichte der Medicin“, sowie der „Pathologie 
und Therapie“. So hat sich denn wieder das Zünglein an der 
Wagschale seines Glückes auf seine Seite geneigt; er wird jetzt 
ruhiger und behaglicher dociren können, als es ihm inmitten der 
ihm keineswegs hold gesinnten Chariteärzte möglich gewesen. 

Noch ist der Milch krieg, dessen Zeuge die Reichshaupt¬ 
stadt seit Jahr und Tag ist, nicht zu Ende, obwohl die Chancen 
der sogenannten Milchcentrale, welche Berlin für theureren Preis 


schlechtere Milch liefern wollte, Dank der Beharrlichkeit der freien 
Milchhändler immer ungünstiger werden. Und schon entbrennt im 
Parlament, sowie in der Tagespresse ein Kampf um ein anderes 
Volksnahrungsmittel, das Fleisch, oder richtiger gesagt, um die 
Frage künstlicher Präservemittel. Die Regierung hat auf 
Grund der Gutachten des kaiserlichen Gesundheitsamtes die Ver¬ 
wendung von schwefligsaurem Natron, Borsäure etc. 
zur Erhaltung der rothen Farbe des Fleisches, zumal des Hack¬ 
fleisches, verboten. Die großen Fleischimporteure Amerikas haben 
zweifelsohne, ebenso wie manche Schlächter, das lebhafteste Interesse 
an der Aufhebung dieses Verbots, und bei ihren kolossalen Mitteln 
ist ihnen kein Opfer zu groß, um diese Aufhebung durchzusetzen. 
Nun haben Tonnicliffe und Rosenheim, sowie neuerdings Lieb¬ 
reich eifrig für die Unschädlichkeit und Harmlosigkeit jener 
Präservesalze plädirt, ja letzterer bezweifelt geradezu die Zuver¬ 
lässigkeit der Versuche im Reichsgesundheitsamt, welche Kionra u. A. 
angestellt haben. Rost , Rubner , Heffter und Sonntag, welche 
ebenfalls an dieser amtlichen Stelle die Frage experimentell an 
Menschen und Thieren studirt haben, kommen alle übereinstimmend 
zur Verwerfung solcher Präservemittel, und andere Autoren, wie 
Janke (Bremen), Stroscher (Leipzig), kommen zu gleichen Resul¬ 
taten. Die Präservesalze erhalten wohl an der Oberfläche die 
rothe Farbe, können aber die Vermehrung der Keime und die 
Zersetzungsvorgänge in der Tiefe nicht aufhalten und führen 
gerade dadurch zu einer Täuschung der Oonsumenten. Von einer 
Conservirung durch obige Mittel ist keine Rede. Im Gegentheil 
sind sie direct gesundheitsschädlich, können Uebelkeit, Erbrechen, 
Durchfall und Albuminurie hervorrufen, setzen die Ausnutzung 
der Eiweißnahrung herab, bewirken Fettverlust, steigern die Masse 
der Fäces und deren Stickstoffgehalt. Borsäure ist erst nach 8 bis 
9 Tagen vollständig wieder durch den Harn ausgeschieden. Kurz, 
diese Ergebnisse und die öffentliche Meinung sind gegen solche 
Zusätze. Man darf gespannt sein, wie sich die Angelegenheit 
weiter entwickelt. cvd 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 


A U 8 

medicinischen Gesellschaften Deutschlands. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Aerztlicher Verein in Hamburg. 

Engels: Ueber die Entstehung und Behandlung des PlattfuBes. 

Der normale Fuß bildet ein unregelmäßiges elastisches Ge¬ 
wölbe , das sich hinten auf das Fersenbein , vorne auf die Meta- 
carpusköpfchen stützt. Die Abflachung durch die Belastung ist ein 
complicirter Vorgang, bei dem die Drehung des Talus auf dem 
Calcaneus die Hauptrolle spielt. Diese Senkung erfolgt durch eine 
Rotation um eine schief von innen oben nach hinten außen gelegene 
Achse, wobei gleichzeitig der Calcaneus nach vorne unten rutscht. 
Die Vorgänge sind im Roentgenbild bei gleichen Verhältnissen, 
durch die vergleichbare Bilder erzielt werden, gut zu studiren. 
Ueberschreiten Senkung und Drehung die physiologischen Grenzen, 
dann entsteht der Plattfuß, gleichgiltig ob in der Entlastung wieder 
normale Verhältnisse hergestellt werden oder nicht. Die Vorstufe 
ist der Knickfuß, bei dem die Rotation des Taluskopfes nach innen 
verstärkt ist, die Senkung nach unten jedoch fehlt. Der höchste 
Grad ist der fixirte völlig platte Fuß, bei dem das Os naviculare 
mit seinem Tuberculum dauernd in das Niveau der Sohlenfläche 
hinabgesunken ist. Man hat vier Formen des Plattfußes zu unter¬ 
scheiden : 

1. Den congenitalen Plattfuß. Ziemlich selten. Behandlung : 
Schiene, redressirende Bewegungen, später Gehschiene; 2. den 
traumatischen Plattfuß. Valgusstellung nach Malleolarfractur und 
nach Subluxation infolge Zerreißung der medialen Bänder. Stützung 
des Malleolus internus durch eine laterale Schiene und Bandage, 
3. den paralytischen Plattfuß. Hauptsächlich nach Poliomyelitis 
anterior. Operation (Transplantation), sonst Stützung durch laterale 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 31. 


1440 


Schiene. Demonstration von 2 Apparaten; 4. den statischen Platt¬ 
fuß durch periodische oder dauernde Ueberlastung. Constitution: 
Chlorose, Gravidität, Einfluß acuter Krankheiten etc. Behandlung: 
Sohle allein oder Sohle mit Schiene; bei Neigung zu Subluxation 
nach außen und bei schweren rheumatischen Fällen Innenschiene 
(Marcinowsky) ; wenn fixirt, Behandlung im Heißluftapparat mit 
nachfolgendem Redressement; oder Cocaininjection in die Gelenke, 
wodurch die Schmerzen schwinden, die reflectorisch die Fixation in 
der abnormen Stellung bedingen; oder operative Verfahren. Als 
Sohlenmetall verwendet E. eine aus Magnesium und Aluminium be¬ 
stehende Legirung (Magnalium) mit Stahlverstärkung. 

Verein der Aerzte in Halle a. 8. 

Sobernheim: Ueber ein neues Verfahren der Schutzimpfung 
gegen Milzbrand. 

Vortr. hat im Laufe der letzten 2 Jahre die Wirksamkeit 
des Milzbrandserums sowohl im Laboratoriumsversuch, wie unter 
praktischen Verhältnissen einer eingehenden Prüfung unterworfen 
und dabei überaus günstige Ergebnisse gewonnen. Das Serum 
wurde theils für sich allein zu rein passiver Immunisirung benutzt, 
theils in der combinirten Anwendung gleichzeitig mit gewissen Mengen 
einer leicht abgeschwächten Milzbrandcultur injicirt. Es wurde von 
Pferden, Rindern und Schafen gewonnen. Es zeigte sich, daß ge¬ 
ringe Serummengen (10 Cm.) schon ausreichten, um Schafe und 
Rinder gegen die Infection mit hochvirulenten Milzbrandbakterien 
(Cultur oder Blut) sicher zu schützen. Durch einen Versuch an 
Schafen konnte weiterhin festgestellt werden, daß die vorbehan¬ 
delten Thiere nicht nur gegen Impfmilzbrand, sondern in gleicher 
Weise auch gegen die Verfütterung von Milzbrandsporen Immunität 
erworben hatten. Auch eine gewisse Heilkraft schien dem Serum 
zuzukommen, indem es gelang, bereits inficirte Thiere (Schafe) 
nachträglich durch Seruminjection zu retten bezw. deren Tod sehr 
erheblich zu verzögern. Praktische Erfahrungen wurden in größerem 
Umfange, namentlich in der Provinz Pommern, gesammelt. Die Zahl 
der ausgeführten Impfungen betrug ca. 2700. Die Impfungen 
wurden ausschließlich an Rindern vorgenommen. Anfänglich wurde 
die reine Serumimmunisirung, später nur noch die combinirte Form 
angewendet. Impfverluste waren niemals zu verzeichnen. Sämmtliche 
Thiere vertrugen den Eingriff ohne nennenswerthe örtliche oder 
allgemeine Erscheinungen. Der Erfolg war durchweg ein äußerst 
günstiger. Ueberall, wo der Milzbrand schon längere Zeit herrschte 
oder plötzlich ausgebrochen war, konnte er durch die Impfung 
sofort zum Stillstand gebracht werden. Auch erkrankte Thiere 
wurden durch Injection größerer Serummengen vom Tode gerettet. 
Dei* Impfschutz erwies sich als beständig und hielt während der 
Dauer der bisherigen Beobachtungszeit, 9 Monate, an. 

Das Milzbrandserum, und zwar besonders in der Form der 
combinirten Anwendung von Serum und Cultur, dürfte somit wohl 
als Schutzimpfungsmethode zur Bekämpfung des Milzbrandes ernst¬ 
hafte Berücksichtigung beanspruchen. 


Notizen. 


Wien, 2. August 1902. 

(7 4. Versammlung deutscher Naturforscher und 
Aerzte in Karlsbad.) Dem Programme der diesjährigen 
Naturforscherversammlung entnehmen wir, unseren vorwöchent¬ 
lichen Bericht fortsetzend, Folgendes : In der I. Allgemeinen 
Versammlung spricht F. Hofmeister (Straßburg) „Ueber den 
Bau des Eiweißmolecüls“, Weber (Amsterdam) „Der Malayische 
Archipel“ und A. Voller (Hamburg) „Grundlagen und Methoden 
der elektrischen Wellentelegraphie“ ; in der II. Allgemeinen Ver¬ 
sammlung Frh. v. Eiselsbeeg „Die Bedeutung der Schilddrüse für 
den Haushalt der Natur“, R. v. Wettstein „Der Neo-Lamarckismus“, 
0. v. Miller „Die Naturkräfte im Dienste der Elektrotechnik“. 
Im Anschlüsse an den Vortrag Voller’s sind praktische Vor¬ 
führungen drahtloser Telegraphie in Aussicht genommen. In der 
Gesammtsitzung beider Hauptgruppen spricht E. Suess (Wien) 


„Ueber das Wesen der heißen Quellen“, J. W. Meyerhoffer (Berlin) 
„Die cbem.-phys. Beschaffenheit der Heilquellen“, J. Ruff (Karlsbad) 
„David Becher, der Karlsbader Hippokrates“. Das Verhandlungs¬ 
thema der gemeinschaftlichen Sitzung der naturwissenschaftlichen 
Hauptgruppe lautet: „Der Kreislauf des Stickstoffs“. .Ferner 
referiren Koch (Göttingen): „Bodenbakterien- und Stickstofffrage“, 
Remy (Berlin): „Stickstoffbindung durch Leguminosen“. — Die 
Referenten in der gemeinschaftlichen Sitzung der medicinischen 
Hauptgruppe über das Thema „Die physiologische Albuminurie“ 
sind v. Leube (Würzburg) und Dreser (Elberfeld). Die übrige 
Zeit ist den Arbeiten in den 28 Abtheilungen Vorbehalten. — Von 
Oesterreichern und Ungarn, deren Betheiligung heuer eine überaus 
reiche ist, haben Vorträge angemeldet: Ganghofner (Prag) und 
Richter (Wien) „Plötzliche Todesfälle im Kindesalter“, Fischel 
(Prag) „Ueber den gegenwärtigen Stand der experimentellen Terato¬ 
logie“, Fink (Karlsbad) „Die Erfolge der Karlsbader Kur bei Gallen¬ 
steinkranken“, Hochenegg (Wien) „Ueber Gallenblasenoperationen“, 
Sternberg (Wien) „Ueber Operationen an Diabetischen“, Beer 
(Wien) „Versuche und Demonstrationen zur Lehre von der Re- 
fraction und Accommodation der Wirbelthieraugen“, Foges (Wien) 
„Zur Lehre von den secundären Geschlechtscharakteren“, Kohn 
(Prag) „Die Paraganglien“, Reach (Karlsbad) „Ueber rückläufige 
Fortbewegung von Darminhalt“, Wien (Aachen) „Ueber die 
Empfindlichkeit des Ohres für Töne verschiedener Höhe“, Gintl 
(Karlsbad) „Ergebnisse der im Jahre 1900 — 1901 vorgenommenen 
phys.-chem. Untersuchungen des Karlsbader Sprudels“, Stransky 
(Wien) „Ueber discontinuirliche Zerfallsprocesse am peripherischen 
Nerven“, Münzer (Prag) „Zur Lehre vom Neuron“, Sternberg 
(Wien) „Zur Physiologie des menschlichen Centralnervensystems“, 
Chiari (Prag) „Ueber die Beziehungen zwischen der Autodigestion 
des Pankreas und der Fettgewebsnekrose“, Fischer (Prag) „Idio¬ 
pathische Pachymeningitis“, Gschwoner (Wien) „Ueber Diffe- 
renzirung der Diphtheriebacillen“, Horst (Wien) „Pyämie durch 
Streptothrix“, Joannovicz (Wien) „Ueber die Ausschaltung der 
Milz aus dem Portalkreislauf“, Kraus (Wien) „Ueber ein acut 
wirkendes Bakterientoxin“, Kraus und Sternberg „Ueber ein 
durch Hämolysine hervorgerufenes Krankheitsbild“, Kretz (Wien) 
„Ueber die paradoxe Reaction“, Stangl (Wien) „Pathologie der 
Nebenorgane des Sympathicus“, Sternberg (Wien) „Ueber die 
Folgen der Einverleibung todter Tuberkelbacillen“, Ehrmann 
(Wien) „Die Beziehung der Sklerodermie zu den autotoxischen Ery¬ 
themen, Demonstration von Injectionspräparaten der Initialsklerose“, 
Goldmann (Brenneberg) „Die Anchylostomiasis“, v. Jaksch (Prag) 
„Ein Beitrag zur Kenntniß des pathologischen Stoffwechsels“, 
Mayer (Karlsbad) „Diabetes mellitus“, F. Pick (Prag) „Ueber das 
glykogenlösende Ferment der Leber“, Singer (Wien) Ueber 
spastische Obstipation“, Wichnowski (Prag) „Die vasomotorischen 
Wirkungen der Analgetica“, Zanietowski (Krakau) „Ueber den 
Einfluß von Alboferin auf Blutdruck und Nervenerregbarkeit“, 
Neuburger (Wien) „Das Problem der Trophik des Nerven¬ 
systems“, Brenner (Linz) „Die operative Behandlung des callösen 
Magengeschwüres“, Frh. v. Eiselsberg (Wien) „Ueber Invagi- 
nation“, Preindlsberger (Sarajevo) „Ueber Steinoperationen“, 
Schloffer (Prag) „Ueber embolische Verschleppung von Pro- 
jectilen“, Zuckerkandl (Wien) „Prostataoperationen“, Eisenberg 
(Wien) „Beiträge zur conservativen Behandlung der Frauenkrank¬ 
heiten“, Frank (Olmütz) „Beitrag zur operativen Behandlung der 
Myome in der Gravidität“, v. Bökay (Budapest) „Ueber den 
Werth der Lumbalpunction bei der Behandlung des Hydrocephalus 
bei Kindern“, Hochsinger (Wien) „Ueber hereditäre Syphilis ohne 
Exanthem“, Kassowitz (Wien) „Infantiles Myxödem, Mongolismus 
und Mikromelie“, Monti (Wien) „Heilserumexantheme“, Pineles 
(Wien) „Das congenitale und infantile Myxödem“, Anton (Graz) 
„Ueber Degenerationen im Großhirne“, Hirschl (Wien) „Geo¬ 
graphische Verbreitung der Paralyse“, v. Wagner (Wien) „Neurol.- 
psych. Mittheilungen“, Bondi (Iglau) „Ueber die Erkrankungen 
des Auges nach einer schweren Masernepidemie“, Elschnig (Wien) 
„Augenspiegelbefunde bei inneren Erkrankungen“, Alt (Wien) 
„Experimentelle Untersuchungen über Otosklerose“, V. Urban- 
tschitsch (Wien) „Katalytische Behandlung des Ohres“, Freund 


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1441 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 31. 


1442 


(Wien) „Physikalische Therapie der Hautkrankheiten“, Grosz 
(Wien) „Gonorrhoe-Complication“, Spiegler (Wien) „Kenntniß des 
Pigmentes“, Schiff (Wien) „Therapeutische Erfolge mit Roeutgen- 
strahlen“, Ullmann (Wien) „Wirkung der constanten Wärme auf 
Krankheitsprocesse“, v. Metnitz (Wien) „Kieferrachitis“, Sikkinger 
(Brünn) „Zahnpflege in der Armee“, Jolles (Wien) „Chemische 
Blutuntersuchung“. —Am 24. September findet, gleichfalls zu Karls¬ 
bad, die VII. Jahresversammlung des Vereines abstinenter Aerzte des 
deutschen Sprachgebietes statt. Vorträge halten: Kassowitz (Wien) 
„Nahrung und Gift“, Frick (Zürich) „Behandlung fieberhafter Krank¬ 
heiten ohne Alkohol“, Wulffert (Berlin) „Die eigene Abstinenz 
und der fremde Alkoholgenuß als Unterstützungsmittel im Daseins¬ 
kämpfe der Individuen und Völker“. — Das Vergnügungsprogramm 
der Versammlung umfaßt u. A.: Die Festvorstellung im Theater 
und Orpheum, das Festessen im Stadtpark, die festliche Beleuchtung 
der Stadt Karlsbad, Ausflüge nach Teplitz, Aussig, Marienbad 
und Franzensbad. — Anmeldungen für die Naturforscherversamm- 
hmg sind an den geschäftsführenden Schriftführer, Spitalsdirector 
Dr. A. Heermann in Karlsbad zu richten. 

(Internationaler Congreß für Geburtshilfe und 
Gynäkologie zu Rom.) Das Programm dieses vom 15. bis 
21. September d. J. zu Rom stattfindenden Congresscs lautet: 
„Ueber die medicinischen Indicationen zur Einleitung der Geburt“ 
Barton Cook Hibst (Philadelphia), IIofmeier (Würzburg), Pinard 
(Paris), Rein (St. Petersburg), Schauta (Wien), Simpson (Edin¬ 
burgh); „Die Hysterektomie in der Behandlung des Wochenbett¬ 
fiebers“ Fehling (Straßburg), Leopold (Dresden), Treub (Amster¬ 
dam), Tuffier (Paris); „Die Genitaltuberculose“ Amann (München), 
Martin (Greifswald), Veit (Leyden); „Die chirurgische Behandlung 
des Uteruskrebses“ Culleb (Baltimore), Freund (Berlin), Jonnesco 
(Bukarest), Pozzi (Paris), Wertheim (Wien). Außerdem haben u. a. 
Vorträge angemeldet: Sellheim (Freiburg): „Ueber Diagnose 
und Behandlung der Genitaltuberculose“; Laserstein (Berlin): 
„Neues Blutstillungsverfahren bei Haemorrhagia post partum“ ; 
PiNCUS (Danzig): „Die Atmokausis in der Therapie der puerperalen 
Streptokokkenendometritis“ ; Theilhaber (München): „Der Einfluß 
der Nervosität auf Menorrhagie und Leukorrhoe ; Amann (München): 
„Transperitoneale Exstirpation des krebsigen Uterus mit Drüsen 
und Beckenbindegewebe“; Pfannenstiel (Gießen): „Behandlung 
der Verlagerungen des Uterus und der Vagina“. 

(Internationale Gesellschaft für Chirurgie.) Die 
Sociötö Beige de Chirurgie beabsichtigt, zu ihrem am 8. September 
d. J. zu Brüssel stattfindenden Congresse die angesehensten Ver¬ 
treter der Chirurgie aller Staaten einzuladen, um bei diesem 
Congresse eine internationale Gesellschaft für Chirurgie zu gründen. 
Diese hätte die Aufgabe, alle großen Fragen der Chirurgie nach 
einem gemeinsam aufgestellten Programme zu studiren und in 
ihren Versammlungen in Verhandlung zu ziehen. 

(V. D eu t s c h er S am ar it ertag ) Am 1. und 2. Juli d. J. 
hat zu Posen — wie uns von dort berichtet wird — unter dem 
Vorsitze des Oberstabsarztes Dr. Düms (Leipzig) der V. Deutsche 
Samaritertag stattgefunden und durch den Vortrag v. Bergmann’s 
über „Die Bedeutung des ärztlichen Standes für das Rettungswesen“ 
eine besondere Bedeutung erlangt. Nach v. Bergmann sprach 
George Meyer (Berlin) über „Rettungswesen in Städten“ unter 
Zugrundelegung der Einrichtungen der Berliner Rettungsgesellschaft 
und der für das Centralcomite des preußischen Rettungswesens 
geltenden Grundsätze. Dann folgte ein Vortrag Zimmer’s (Zehlen¬ 
dorf) über „Organisation der weiblichen Krankenpflege“ und ein 
Vortrag Davidsohn’s (Schneideraühl) über den „Rettungsdienst im 
Eisenbahnverkehr“. Den Schlußvortrag hielt Bode (Berlin) „Ueber 
die Unterbringung und Versorgung von bewußtlosen Personen und 
Krampfkranken im Rahmen der Aufgaben des Rettungswesens“. 

(Pensionsbehandlung derAbth eil ungsvorstände 
an den Wiener k. k. Krankenanstalten.) Zufolge Aller¬ 
höchster Entschließung vom 28. Juni d. J. werden jene Vorstände, 
die mit dem zurückgelegten 70. Lebensjahre von amtswegen mit 
ihrem ganzen, zuletzt genossenen Gehalte (eventuell Personalzulage) 
in den Ruhestand zu versetzen sind, und welche, sobald sie das 
65. Lebensjahr erreicht haben, in den Ruhestand versetzt werden 


können, der weiteren Begünstigung des Lehrpersonals der vom 
Staate erhaltenen Lehranstalten theilhaftig, wonach je drei in ihrer 
Dienstleistung zurückgelegte Jahre für vier gezählt werden. 

(Das internationale Centralbureau zur Be¬ 
kämpfung der Tuberculose) wird seine erste Conferenz vom 
22. bis 26. October in Berlin abhalten. Die hervorragendsten Ver¬ 
treter der Tuberculosewissenschaft und -Praxis aus Oesterreich, 
Frankreich, England, Rußland und Amerika haben ihre Theilnahme 
an den Verhandlungen in Aussicht gestellt. 

(DieBenützung der Receptblätter von Apotheken) 
zu ärztlichen Verordnungen wird von dem ärztlichen Bezirks¬ 
vereine Leipzig-Land als standesunwürdig bezeichnet, weil durch 
solche Gebräuche bei Laien die irrige Ansicht bekräftigt werden 
könnte, daß die Aerzte an dem von den Apothekern zu erwarten¬ 
den Mehrgewinne Antheil haben. 

(Statistik.) Vom 20. bis inclusive 26. Juli 1902 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 6320 Personen behandelt. Hievon wurden 1427 
entlassen; 163 sind gestorben (6'70°/o d es Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 42, egypt. 
Angenentzündung 3, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 6, Dysen¬ 
terie—, Blattern—, Varicellen 15, Scharlach 41, Masern 125, Keuchhusten 43, 
Rothlauf 34, Wochenbettfieber 1, Rötbein 4, Mumps 3, Influenza —, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 526 Personen gestorben 
(— 67 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Mailand der bekannte 
Chirurg Professor Dr. Eduard Porro, 60 Jahre alt; in Kopen¬ 
hagen der Professor der Pathologie an der dortigen Universität 
Dr. Karl Marings Reiss im 73. Lebensjahre; in Philadelphia der 
Professor der Anatomie Dr. C. W. Gleison ; in London der Pro¬ 
fessor der medicinischen Klinik am King’s College Dr. J. Curnow. 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 


Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
Postversendnng. Die Preise der Einbanddeoken sind folgende: für die „Med. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
„Therapie der Gegenwart“: K 1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Postversendnng. 

Die Rubrik: „Erledigungen , ärztliche Stellen“ etc . 
befindet sich auf der vorletzten Inseraten-Seite, 


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XLIII. Jahrgang. 


Wien, den 10. August 1902. 


Nr. 32. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik', letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse" 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 


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Abonnementepreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Miiitärärztlicner Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
20 K, halbj. 10 K, viertel]• 5 A'. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk. , halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 A"; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. = 60 A berechnet. Man abonnirt im Anslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein 
Sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „wiener Mecuz. Presse“ in Wien, I., Maximilianstr. 4. 


medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Redaction: Telephon Kr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

-.oje.- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 
Administration: Telephon Nr. 9104. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Die Verdaulichkeit der Speisen nach mikroskopischer Untersuchung der Fäces. Von Specialarzt 
Dr. F. Schilling in Leipzig. — Aus der urologischen Abtheilung des städtischen Spitals in Triest (Primararzt Dr. Nicolich). Zar Casuistik der 
Fremdkörper der Harnblase und Harnröhre. Von Dr. Carlo Ravasini. — Referate. Hammer (Heidelberg): Die Heilstättenbehandlung der 
Tuberculo.se. — Rudolf Riegner (Berlin): Ueber die Indicationen zur chirurgischen Behandlung ulceröser Lungenprocesse. — N. Ashihara (Breslau) : 
Ueber das Lnpuscarcinom. — Bandelier (Cottbns): Ueber die diagnostische Bedeutung des alten Tuberculins. — Maximilian Bondi (Iglau): 
Spontane Aufhellung einer durch das Eindringen eines Fremdkörpers in den Glaskörperraum erzeugten Cataracta traumatica (Cataracta fugax). — 
Jesensky (Prag): Der bacterielle Antagon’smus in der Mundhöhle and seine Bedeutung für den menschlichen Organismus. — Caiianesco (Botusan) : 
Contribution ä l’ötude de l'autopiirifieation microbienne du vagin. Experiences sur les animaux. — Lignieres: Sur le bacille pesteux et Ies 
injections intraveineuses massives de s6rum Roux-Yeksin dans le traitement de la peste. — Kleine Mittheilnngen. Alkoholinjectionen bei 
inoperablen Angiomen. — Intravenöse Injection von Argentum colloidale Crede (Collargol) bei septischen Erkrankungen. — Heilmittel bei Hemi- 
cranie. — Bisrautose. — Behandlung der Lepra. — Dionin. — Eiterungen im kleinen Becken. — Strychnin als Cardiotonicnm. — Literarische 
Anzeigen. Die Deutsche Klinik am Eingänge des zwanzigsten Jahrhunderts. In akademischen Vorlesungen herausgegeben von Prof. Dr. E. v. Leyden 
und Docent Dr. F. Klemperer. — Leitfaden für Operationen am Gehörorgan. Von Prof. Dr. F. Trautmann, Geh. Med.-Rath, Generalarzt a. D„ dirig. 
Arzt der Abtheilung für Ohrenkranke an der königl. Charite. — Kurzes Lehrbuch der Krankheiten der oberen Luftwege. Von Prof. Dr. Holger 
Mygind. — Feuilleton. Zur Reform des Hebammenwesens. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. Aus französischen Gesellschaften. 
(Orig.-Ber.) — Notizen. — Nene Literatur. — Eingesendet. — Offene Correspondenz der Redaction und Administration. — Aerztliclie 
Stellen. — Anzeigen. 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter. vollständiger. An ga be der^\ 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Die 

Verdaulichkeit der Speisen nach mikroskopi¬ 
scher Untersuchung der Fäces. 

Von Specialarzt Dr. F. Schilling in Leipzig. 

Die Verdaulichkeit der Speisen ist ein anscheinend 
populäres und doch durchaus wissenschaftliches Thema, das 
noch eine Reihe unaufgeklärter und strittiger Punkte enthält, 
über welche die bisher in erster Reihe geübte chemische 
Methode der Kothanalyse keine Entscheidung gebracht hat. 
Ich habe deshalb auf dem bisher wenig betretenen Wege der 
Mikroskopie der Fäces versucht, dieser Frage näher zu treten, 
und gestatte mir in Folgendem die Resultate meiner Arbeit 
hier in Kürze zu unterbreiten. 

Als unbedingtes Erforderniß sah ich es an, wenn die 
Untersuchungsresultate Anspruch auf allgemeine Giltigkeit 
haben sollten, daß erstens die Fäces gemischter Kost ent¬ 
stammten und zweitens die totale Fäcesmenge Tag für 
Tag zur Untersuchung gelangte; dabei waren zugleich normales 
Gebiß, ungestörte Verdauung und genügende culinarische Vor¬ 
bereitung der Speisen außer der gewohnten Lebens- und Er¬ 
nährungsweise unbedingte Voraussetzung. Auf diese Weise 
fehlte dem Verfahren der Charakter eines Experimentes, und 
damit kam der anderen Autoren gemachte Vorwurf, durch 
einseitige Ernährung mit bloßem Fleisch, Ei, Kartoffel 
oder Wirsingkohl die Ausnutzung gestört zu haben, in 
Wegfall. 

Die mikroskopische Untersuchungsmethode hat den un¬ 
bestreitbaren Vortheil, daß sie die abgehenden Speisereste 
gewissermaßen in ihrer Natürlichkeit, in ihrer natürlichen 
Gestalt, Farbe und Form zeigt. Bei der chemischen Analyse 
wird als resorbirt das Quantum, welches zwischen Aufnahme 


und Abgabe in Urin und Stuhl übrig bleibt, angesehen *); dabei 
bleibt aber der Darmkoth, welcher in den Verdauungssecreten, 
den Gallensäuren und dem Gallenfärbstoff, Mucin und Darm- 
epithelien besteht, unberücksichtigt, obschon er nach Hermann 
und Prausnitz nicht gering sein soll, andererseits ist nicht 
aller ausgeschiedene Stickstoff als resorbirtes Eiweiß und nicht 
der gesammte Aetherextract als aufgenommenes Fett an¬ 
zusehen. 

Den wesentlichsten Bestandtheil bei jeder Fäcesmenge 
bilden zweifellos pflanzliche Residuen, doch dürfen von den 
25—375 Grm. festen Stoffen, die in einer täglichen Dejection 
von 100—150 Grm. Gewicht nach Abzug von 75% Wasser 
enthalten sind, die animalischen keineswegs vernachlässigt 
werden, wie jedes mikroskopische Präparat beweist. Welcher 
Gewichtstheil auf Verdauungssecrete, Gallenfarbstoff, Mucin 
und Darmepithelien kommt, läßt sich durch die Wage nicht 
ermitteln, weil wir kein Verfahren kennen, Nahrungsmittel 
und Darmkoth zu trennen; aber unerheblich ist er sicher¬ 
lich nicht. 

Die Untersuchung muß die gesammten Rückstände der 
täglichen Dejection berücksichtigen, damit ihr nicht einzelne 
Bestandteile entgehen. Die Fäces werden deshalb in einer 
Conservenbüchse aufgefangen, Urinbeimischung ferngehalten. 
Die weitere Präparation geschieht in der Weise, daß die 
Kothsäule in einem größeren Glasgefäß, unter öfterem Wasser¬ 
zufluß und Umschütteln gelöst und die erweichte Masse durch 
ein feines Drahtsieb gegossen wird: nun hat man einen 
groben Siebrückstand und ein am Boden des 
Spülwassers sich absetzendes Sediment vor sich. 
Der grobe Rückstand wird auf einem Teller ausgebreitet und 
mikroskopirt, soweit die makroskopische Besichtigung nicht 
zur Diagnose ausreicht; dem Sediment entnimmt man mit 

‘) Manche Tabellen setzen fälschlicher Weise (len Gehalt der resorbirten 
Menge gleich. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 32 


1460 


der Pipette in verschiedenen Schichten Proben auf schonendste 
Weise für die mikroskopische Diagnose. Die durch das Er¬ 
weichen und Abspülen geruchlos gewordenen Residuen repräsen- 
tiren die unverdauten Substanzen. Wer in der Mikrobotanik 
und Mikroanatomie Bescheid weiß, findet sich bald zurecht 
in der Deutung der Befunde, obwohl die Verdauung gewaltige 
Veränderungen an den meisten Substanzen hervorgerufen hat; 
er wird nicht Apfelsinenschläuche mit Parasiten, Skiereiden 
und Steinzellen mit Darmgries verwechseln und Korkzellen 
oder Papierfetzen nicht als besondere Gebilde ansprechen. 
Auch wird er, wenn in Lehrbüchern Kleberzellen als Stärke¬ 
körner bezeichnet sind und Zwiebelscheibenzellen mit Darm¬ 
epithel verwechselt sind, leicht eine Correctur eintreten lassen. 

Der Gegensatz von verdaulich ist unverdaulich. Nicht 
Alles, was mit den Fäces abgeht, ist unverdaulich. Verdauung 
und Resorption gehen mit einander parallel; bei einem Zuviel 
des Eingeführten, mag es Fleisch, Milch, Ei oder Kartoffel 
sein, gehen Mengen unverwerthet ab. Die subjectiven Em¬ 
pfindungen, welche die Verdauung im Magen und Darm be¬ 
gleiten und bei den verschiedenen Individuen in ihrer Inten¬ 
sität wechseln, mit anderen Worten die Vertragbark eit 
kann nicht als Maß9tab angesehen werden, wie es im gewöhn¬ 
lichen Leben so häufig geschieht, obwohl sie für den Einzelnen, 
zumal wenn er Patient ist, keineswegs gleichgiltig ist. Auch 
die Ausheberungsversuche, welche v. Leübe an Kranken und 
Penzoldt an Gesunden ausgeführt haben und welche die 
meisten Aerzte bei ihren alltäglichen Ordinationen zugrunde 
legen, geben nur ein Bild von der Verweildauer im Magen, 
dessen Digestionskraft in den letzten Jahren starken Zweifeln 
begegnet ist. Die eigentliche Verdauung oder, wie v. Voit 
bereits betont, die Ausnützung erfolgt im Darme und sie 
bleibt allein als Richtschnur für die Bezeich¬ 
nung verdaulich und unverdaulich übrig. 

Die Fäcesmenge gibt das beste Maß für die Verdaulich¬ 
keit der eingeführten Nahrung ab und die unausgenutzten 
Rückstände das Object des Unverdauten. Rdbner’s Versuche, 
den Tagesbedarf durch ausschließliche Mengen von Fleisch, 
Brot, Erbsen oder Wirsingkohl zu decken, bieten eine un¬ 
natürliche Ernährungsweise und Ueberlastung des Darmes. 
Tägliche Kothmengen von 927 Grm. bei alleiniger Erbsenkost, 
von 635 Grm. bei bloßer Kartoffelernäbrung und von 1092 Grm. 
bei Rübenzufuhr können keinen zuverlässigen Aufschluß über 
die natürliche Ausnutzungsgröße geben, da unmöglich der 
Darm Zeit und Gelegenheit findet, seine Secrete mit solchen 
ingerirten Massen in Contact zu bringen. Rübner selbst sagt, 
daß der Wirsingkoth und Rübenstuhl fast wie reiner Wirsing¬ 
kohl und reine Rüben ausgesehen hätten. 

Um die Excremente, welche einer Mahlzeit oder einer 
Tageskost entsprechen, schnell aufzufinden und von früheren 
oder später nachfolgenden Residuen zu differenziren, hat man 
Färbemethoden eingeführt, v. Voit benützt zu diesem Zwecke 
Milch, welche den bekannten Milehstuhl gibt; indessen verträgt 
nicht Jedermann Mengen von 1500 Grm. Milch, ohne Durch¬ 
fall zu bekommen; andere verwenden Preisselbeeren, noch an¬ 
dere Pflanzenkohle. Schmidt lobt Carmin in Oblate. Methylen¬ 
blau läßt den Anfangs in natürlicher Farbe auftretenden 
Stuhl bald an der Luft blau werden. Bei Thieren bedient 
man sich der Knochen, der Korkstückchen, der Kieselsäure 
oder des Talkes und der Steinnußspähne. Ich habe anfangs 
3—4 große Backpflaumen, dann Rosinen- und Mandelkuchen, 
später Kümmelsuppe, da ich nach Genuß von Kuhkäse stets 
den Kümmel an der Außenfläche der Fäcessäule fand, ange¬ 
wandt, bin aber zuletzt bei dem Wabenhonig stehen geblieben. 
Wollte ich genau wissen, welche Residuen dem Kalbshirn, 
der gebratenen Gänseleber oder dem Briesel entstammten, so 
wurde mit dem Kalbshirn, der Gänseleber und dem Briesel 
eine mit Wabenhonig bestrichene Semmel verzehrt. Die 
Waben kleben so fest mit den Residuen zusammen, daß man 
sie auf der Schnittfläche der Kothsäule sofort wieder er¬ 
kennt. 


Ehe ich zu meinen Untersuchungsergebnissen übergehe, 
muß ich noch einen Satz hinsichtlich des Turnus der Speise¬ 
entleerung, welcher den bisherigen Anschauungen widerspricht, 
hier anführen. Es hat sich die Thatsache ergeben, daß bei 
geregelter Lebensweise und gemischter Kost, 
wenn purgativ wirkende Substanzen, z. B. rohes 
Obst, in größerer Menge nicht genossen waren, die 
Rückstände stets erst am nächstnächsten Tage 
Austritt verlangen. Die Speisen bedürfen also 36—48 
Stunden, selten kürzere Zeit, auf ihrer Wanderung vom 
Munde bis jenseits des Afters. Nenne ich diesen täglichen 
Stuhl Normalstuhl, so markirt er sich als trockene, braune und 
deutlich gekerbte Skybala. Nimmt aber der Stuhl zur letzten 
Hälfte oder bei dem letzten Drittel eine weiche Consistenz 
und helle Farbe an, so entstammt dieser Theil bereits den 
Speisen des vergangenen Tages. Folgt auf den Morgen- noch 
ein Abendstuhl, weil treibende Speisen oder Getränke im 
Laufe des Tages genossen wurden, so wird der Stuhl breiig 
und enthält deutlich sichtbare unverdaute Nahrungsreste. 
Manche treibende Substanzen werden schon nach 6—8 Stunden 
oder gar früher ausgestoßen. Kurz, die von mir aufgestellte 
Regel vom Normalstuhl wird umgestoßen oder der Stuhl 
wird anormal, sobald die Kost einseitig ist, Fleisch oder 
Ei oder geringe Kothbildner oder Vegetabilien als zuviel 
Kothlieferanten oder stark treibende Stoffe Aufnahme finden. 

Daß die Vegetabilien den Haupttheil der Fäces aus¬ 
machen, ist bekannt. Je mehr Jemand sich vegetarisch nährt, 
desto länger wird die Kothsäule, desto wässeriger und heller 
das Aussehen. Salate, Schnittbohnen, Sauer- und Rothkraut, 
Erbsen, Linsen und Schwarzbrot mehren das Stuhlquantum 
auffallend, und v. Liebig sagte, daß er die Diagnose auf 
Pumpernickelkoth in Gegenden, in denen Pumpernickel ver¬ 
zehrt würde, bereits hinter den Hecken stellen könne. Aber 
auch die Animalien hinterlassen Residuen, selbst die drei 
Hauptrepräsentanten: Fleisch, Milch und Ei machen davon 
keine Ausnahme. Was bei den gebräuchlichen vegetabilischen 
und animalischen Nahrungsmitteln unresorbirt abgeht, werden 
wir gleich sehen. 

Vorher will ich noch auf einige Citate übergehen, welche 
Beweis dafür abgeben, welche verschiedene Ansichten auch 
bei bekannten Autoren über die Verdaulichkeit einzelner Sub¬ 
stanzen herrschen. 

Penzoldt hält rohes Fleisch für leichter verdaulich als 
gebratenes und gekochtes; andere Aerzte behaupten, daß 
kaltes und warmes Fleisch gleich au9nutzbar sei, noch andere 
glauben, daß ein Zusatz von Essig und Sahne die Verarbei¬ 
tung im Darm erschwere. Kühne erklärt rohe Eier für schwer 
verdaulich. Nach Fleischer wird Kalbshirn und Kalbsbrös¬ 
chen und Rollschinken weniger ausgenutzt als andere Fleisch¬ 
arten ; Trypsin löse langsam und nicht vollständig Kalbshirn 
und Kalbsbriesel. v. Voit, Rübner und Wiel erklären die 
Hirnsubstanz für schlecht resorbirbar, da sie viel Fett ent¬ 
halte. Politis fand nach Hirnfütterung bei Thieren 43 Procent 
trockenen Koth und von 50 Grm. Ochsenhirn nur 14 Grm. re- 
sorbirt. Leube stellte Kalbshirn und Kalbsbriesel in die 
2. Classe der Verdauungsscala. Diese widersprechenden An¬ 
gaben geben zu denken; mögen auch individuelle Schwan¬ 
kungen bestehen, solche Differenzen können thatsächlich nicht 
vorliegen, wenn ein gleichmäßiger Untersuchungsgang bei 
diesen Nahrungsmitteln verfolgt wird. Schmidt wendet zur 
Diagnostik leichter Darmerkrankungen eine Fleischprobekost 
mit 100 Grm. Hackfleisoh an und schließt auf eine Magen¬ 
störung, wenn viel Bindegewebsreste abgehen, und auf Darm¬ 
störung, wenn mit bloßem Auge erkennbare Muskelreste aus¬ 
geschieden werden. Der Farbenunterschied zwischen rothem und 
schwarzem oder weißem Fleische, wie ihn das praktische Leben 
macht, ist keineswegs ein durchwegs gütiger Maßstab für 
die Verdaulichkeit, da der Farbenunterschied nach Kühne 
vom Eindringen von Blutfarbstoff herrührt. Unter den Fischen 
hat der Salm rothes Fleisch wie das Rind, doch ist das 


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1469 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 32. 


1470 


Heilungsbestrebungen nicht unberücksichtigt gelassen. — Den Schluß 
von Lieferung 52 bildet „Ueber Impotenz“ von P. Fürbringer. 
Seine Vorlesung ist den Bedürfnissen des Praktikers angepaßt und 
hebt mit trefflicher Kürze alle Einzelheiten dieses praktisch so 
wichtigen Gebietes hervor. ßr. 


Leitfaden für Operationen am Gehörorgan. Von 
Prof. Dr. F. Trautmann, Geh. Med.-Rath, Generalarzt a. D., 
dirig. Arzt der Abtheilung für Ohrenkranke in der königl. 
Charite. Mit 27 Abbildungen im Text. Berlin 1901, Verlag 
von August Hirschwald. (Bibliothek von Co ler.) 

Dem schmächtigen Büchlein von kaum 104 Druckseiten merkt 
man äußerlich wahrhaftig den reichen Inhalt nicht an, den es 
thatsächlich birgt. Denn nicht nur die Technik der Operationen 
am Gehörorgane wird, durch prächtige Abbildungen unterstützt, 
klar erörtert, sondern auch die Indicationen für jede einzelne 
Operation werden nach Thunlichkeit besprochen. Und zwischen 


Feuilleton. 


Zur Eeform des Hebammenwesens. 

Die eingreifenden Umwälzungen, welche die letzten Decennien 
des abgelaufenen Jahrhunderts auf dem Gebiete der praktischen 
Geburtshilfe gebracht haben, sowie die eingehendere Beschäftigung 
mit den socialärztlichen Problemen, die heute allerorts so lebhaft 
discutirt werden, haben die Frage nach der Zukunft des Hebammen¬ 
standes immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. 
Hat ja vor nicht gar langer Zeit z. B. ein Wiener ärztlicher 
Verein die Forderung ausgesprochen, daß die obligatorische Bei¬ 
ziehung eines Arztes zu jeder Geburt gesetzlich festgelegt werde. 
Die in solchen Wünschen zutage tretenden Bestrebungen, ferner 
der immer häufiger eintretende Ersatz von Hebammen durch 
Wochenbettpflegerinnen, insbesondere aber das für die nächsten 
Jahre zu erwartende reichlichere Zuströmen der Frauen zum ärzt¬ 
lichen Berufe lassen es voraussehen, daß die Stellung der Hebammen 
in dem eben beginnenden Jahrhundert wesentlichen Aenderungen 
entgegengeht. Und wenn wir auch von dem oben angeführten 
Postulate absehen, dem eingestandenermaßen materielle Beweggründe 
nicht ferne liegen, so rechtfertigen doch eine ganze Reihe von Mi߬ 
ständen, wie sie heute bestehen, zur Genüge die vielen Rufe nach 
Reformen. Es soll hier nicht auf jenen Theil der Recriminationen 
eingegangen werden, die unter dem Titel „Hebammenübergriffe“ 
einen ständigen Punkt ärztlicher Klagen bilden und insbesondere 
das Verhältniß zwischen ausübendem Arzt und ausübender Hebamme 
betreffen ; es soll im Folgenden nur auf einige jüngst lautgewordene 
Stimmen hingewiesen werden , welche jene Schäden zur Sprache 
bringen, die dem Hebammenmateriale, seinem Unterricht und seiner 
Fortbildung anhaften und welche hierin Wandel zu schaffen sich 
bemühen. Und eben diese Reformrufe gehen von warmen und er¬ 
probten Freunden des Hebammenstandes aus, die, von der Noth- 
wendigkeit des Standes durchdrungen, ihn gerade dadurch schützen 
und erhalten wollen, daß sie ihm zwar feste Grenzen ziehen, inner¬ 
halb derselben ihn aber möglichst tüchtig und in dem Kampf ums 
Leben möglichst gesichert sehen wollen. 

In Anerkennung aller der vielen und erfolgreichen Verbesse¬ 
rungen, welche in den letzten zwei Jahrzehnten auf dem Gebiete 
des Hebammenwesens erzielt wurden, will II. W. Freund 1 ) be¬ 
scheiden nur von einer „weiteren“ Reform des Hebammenwesens 
sprechen. Das Um und Auf derselben sieht er aber in der Umge¬ 
staltung des Unterrichtes, dessen Devise entsprechend den heutigen 
geänderten Verhältnissen zu lauten habe: Die Schülerinnen sollen 
in der Leitung n orm aler Geburten so vollkommen herangebildet 
werden, daß sie Abnormitäten auf der einen Seite nicht verschulden, 
auf der andern Seite zeitig erkennen. Zugleich verlangt er für den 
Hebammenunterricht die Aufhebung der Lehrfreiheit, welche einzig 


*) Vorschläge zur weiteren Reform des Hebammenwesens. Von Professor 
Dr. Hermann W. Freund. Leipzig und Wien 1902. Franz Den ticke. 


durch läßt uns der Autor einen Blick werfen in den reichen Schatz 
seiner Erfahrung. Dies ist ihm aber nur möglich geworden, indem 
er bei vollkommener Beherrschung des Stoffes sich einer concisen 
und dennoch durchsichtigen Ausdrucksweise befleißigt hat. 

Eitelberg. 

Kurzes Lehrbuch der Krankheiten der oberen Luft¬ 
wege. Von Prof. Dr. Holger Mygind. Mit 65 Abbildungen. 
Berlin 1901, Oscar Co bl ent z. 

M.’s Buch wird seinem Titel durchwegs gerecht; es skizzirt 
in guter Aufeinanderfolge und klarer Darstellung die Pathologie 
und Therapie der Krankheiten des oberen Respirationstractes. Der 
Inhalt gliedert sich in drei Hauptabschnitte. Der erste enthält eine 
anatomische Einleitung und einige physiologische Bemerkungen, 
der zweite behandelt die allgemeine Aetiologie, Symptomatologie, 
Diagnostik und Therapie, der dritte alles speciell Erwähnenswerthe. 
Die Abbildungen sind Reproductionen nach Originalphotographien 
und Originalwandzeichnungen. Ln. 


und allein die fehlende Einheitlichkeit im Ilebammenunterricht 
wieder hersteilen könnte. Wenn z. B. an der einen Stelle die Noth- 
wendigkeit und Nützlichkeit präliminarer Scheidenausspülungen 
gelehrt wird, an anderer Stelle aber dieselben als verwerflich 
hingestellt werden, resultire eine Verwirrung, welche durch eine 
einheitliche Hebammenordnung nicht mehr auszugleichen ist. So 
treffend auch der Leitsatz Freund’s ist, der zugleich als beste 
Begriffsbestimmung der heutigen Hebammenpflichten anzusehen ist, 
so sehr wir auch die innere Berechtigung des zweitausgesprochenen 
Wunsches anerkennen, müssen wir uns doch sagen, daß der Autor 
in dem Streben nach dem Besteu eines übersehen hat, daß die 
Schule allein für die praktische Ausübung des Hebammen¬ 
berufes nicht maßgebend ist oder wenigstens nicht maßgebend bleibt. 
Die Schule setzt sich eben auch hier durchs ganze Leben fort, die 
späteren Lehrer heißen „praktische Aerzte“ und die Einheitlichkeit 
des Lehrplanes scheitert bald an dem heute noch auf dem Lande 
und in der Großstadt nicht genügeud ernst geschulten Aerzte- 
materiale. Wo der Arzt sich nachlässig desinficirt, wird auch 
die Hebamme bald die guten Lehren der Anstalt vergessen haben ; 
wenn sie vom Arzte sieht, daß er den CREDis’schen Handgriff sobald 
wie möglich ausführt, um nur weiterzukoramen, wird auch für sie 
die abwartende Methode bald eine bloße Schulregel heißen. Darum 
gilt das Wort: wie der Herr, so der Knecht sicherlich auch für 
das Verhältniß vom Aerzte- und Hebammenstand. Ein jeder Aerzte- 
stand wird den Hebamraenstand haben, der seiner werth ist. 

Was die Auswahl des Hebamraenmateriale3 betrifft, sind den 
Forderungen, die Freund im speciellen Theile seiner Arbeit stellt, 
Brennecke’s 2 ) treffliche Ausführungen an die Seite zu stellen. 
Großen Optimismus, hier eine Aenderung schaffen, insbesondere 
die hier in Betracht kommenden materiellen und socialen Hemm¬ 
nisse ausschalten zu können, zeigt keiner der Autoren, und wir 
müssen Brennecke vollauf Recht geben, wenn er die Ursachen 
hiefür iu der heute noch allgemeinen Unterschätzung der hygienischen 
und nationalökonomischen Bedeutung eines zuverlässigen Hebammen¬ 
wesens sieht. Als Unterrichtsdauer wünscht Freund wenigstens 
9 Monate. Im Lehrstoff hat die Antisepsis, sowie das Stellen einer 
richtigen geburtshilflichen Diagnose die Hauptrolle zu spielen, 
während nach der operativen Richtung (Wendung) der heutige 
Lehrstoff einer entschiedenen Einschränkung bedarf. Freund betont 
des Weiteren den hohen Werth, welchen die Beiziehung der Heb¬ 
ammen als Zuschauerinnnen von gynäkologischen Operationen, ins¬ 
besondere von Bauchschnitten besitzt. Abgesehen von der peinlichsten 
Ausübung der aseptischen Maßnahmen, welche der Hebamme hier 
vor Augen geführt werden, liegt der hauptsächliche instructive 
Zweck in der Autopsie des Zusammenhanges der lebenden Organe, 
den kein gehärtetes und kein künstliches Präparat ersetzen kann. 
Auf die Wichtigkeit der Leitung poliklinischer Geburten durch die 
Hebammenschülerin hat auch der Referent bereits wiederholt hin- 


2 ) Vereinigung deutscher Hebammenlehrerund Wochnerinnenasyl-Direc- 
toren. „Centralbl. f. Gyn.“, 1902, Nr. 9. 


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1902.— Wiener Medizinische Presse. — Nr. 32. 


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gewiesen. Volle Anerkennung wird ferner der Wunsch Freond’s 
finden, die Hebammen den poliklinischen Sprechstunden beizuziehen. 
„Hier lernen sie eine zu untersuchende Person rasch zweckmäßig 
lagern, säubern, desinficiren und katheterisiren. Sie lernen Instrumente 
zureichen und assistirend halten. Sie lernen hier die zahlreichen 
Folgen schlecht geleiteter Entbindungen und Wochenbetten, die 
vielen Dammrisse mit den consecutiven Ausflüssen , Katarrhen, 
Schmerzen, Lageveränderungen; die häufigen Reste entzündlicher 
Puerperalkrankheiten, die üblen Folgen des zu frühen Aufstehens 
im Wochenbett (Hängebauch, vorzeitige Senescenz etc.). Was wollen 
alle guten Lehren gegen solche täglich sich vorwurfsvoll auf¬ 
drängende Befunde sagen?“ Hier können sie die verschiedenen 
Erscheinungsformen der Syphilis, die noch so häufig zu eigenem 
und fremdem Schaden von den Hebammen übersehen werden, kennen 
lernen ; hier können sie im Kampfe gegen das Carcinom zu den 
wirksamsten Mitarbeiterinnen dadurch herangezogen werden, daß 
sie die frühzeitige Erkennung der Krebserkrankung im Volke 
fördern helfen. In der der Hebammenschule weiters anzufügenden 
Abtheilung für gesunde und kranke Kinder soll die Schülerin eine 
rationelle Kinderernährung, sowie die frühzeitige Erkennung der 
wichtigsten Säuglingskrankheiten (nicht deren Behandlung) lernen. 
Daß unser Autor für die Wiederholuugscurse in warmen Worten 
eintritt, bedarf wohl keiner besonderen Betonung; er sieht aber 
darin auch ein Mittel, die Verjüngung des Hebammenstandes zu 
fördern, wenn den alten Hebammen hiebei ihre Rückständigkeit 
näher vor Augen geführt wird. Bei dieser so wünschenswerthen 
Verjüngung, deren Nothwendigkeit ebenso wichtig ist, wie die 
in der Armee eingeführte, haben aber jene Maßnahmen mit einzu¬ 
greifen , welche die sociale Lage der Hebammen zu sichern be¬ 
stimmt sind. Referent kann auf diesen Theil der FREUND’schen 
Ausführungen hier nicht weiter eingehen; daß die Aerzte für 
die auf diesem Gebiete angestrebten Reformen gewiß warm ein- 
treten werden, haben sie jederzeit bewiesen. 

Während wir im Vorangegangenen allen Vorschlägen 
Freund’s aus vollem Herzen zustimmen konnten, wird der im 
Schlußabschnitt seiner Broschüre enthaltene Vorschlag nicht ver¬ 
fehlen, eine lebhafte Discussion, und Referent möchte glauben, ge¬ 
rechtfertigte Ablehnung hervorzurufen. Als Remedium gegen das 
Pfnscherinnenwe6en, das am besten in jenen Gegenden gedeiht, 
wo bei dünn gesäeter Bevölkerung wenig Aerzte und Hebammen 
ihr Fortkommen finden, schlägt Freund vor, eine neue Classe von 
Hebammen zu schaffen, welcher die operative Geburtshilfe wie 
Aerzten gelehrt und gestattet wäre. „Man würde damit einen 
wilden Zweig veredeln, man würde die activen Hilfsbestrebungen, 
welche furtim von Unberufenen versucht werden, durch Darbietung 
zweckdienlicher Mittel in sichere verwandeln, einen ungesetzlichen 
schädlichen Act also jedesmal in einen legalen und nützlichen um¬ 
wandeln!“ Aus den tüchtigsten Schülerinnen eines Curses wären 
die „höheren“ 3 ) Hebammen auszusuchen, weitere 9 Monate zu ihrem 
Unterrichte zu verwenden, dessen Hauptgegenstand die operative Ge¬ 
burtshilfe wäre. Zu solchen „Hebärztinnen“ wären die Frauen 
besserer Stände williger und zahlreicher zu haben, als für den 
heutigen Hebammenberuf. Und darin läge nach Freund auch ein 
Ausweg in der Aerztinnenfrage. 

Die Frauenfrage sei im Grunde nur eine Frauenversorgungs¬ 
frage. Auch für die Erwerbsfähigkeit kommen „Angebot und Nach¬ 
frage“ in Betracht. Und nur in der Geburtshilfe bestehe eine wirkliche 
Nachfrage nach weiblichem Beistand. Schaffen wir, sagt unser Autor, 
einen Stand von Hebärztinnen, so fällt für diesen die Gymnasial- oder 
sonstige Vorbildung weg, das Thätigkeitsfeld ist ein den Frauen be¬ 
kanntes mit andauernder Nachfrage. Dieser Stand schiebe sich zwischen 
Aerzte und Hebammen; erstere erleiden keine größere Concurrenz 
als durch Hebammen und Aerztinnen zugleich, die Hebammen aber 
haben die Möglichkeit, immer mehr im neuen Stande aufzugehen. 

Soweit Freund. Wenn es dem Referenten gestattet ist, an 
diesem Orte Einwendungen zu erheben, so kann dies in wenigen 
Worten geschehen. Um das Pfuscherinnen wesen in einzelnen Ge¬ 
genden zu bekämpfen, soll ein Stand geschaffen werden, dessen 
Begrenzung nach der ärztlichen Seite sehr vage, gewiß nur dazu 
geeignet wäre, das Pfuscherthum zu legalisiren. Von dem weiblichen 


Arzte verlangen wir das volle Ausmaß der Vorbildung und das 
volle Ausmaß der in dem medicinischen Studium zu erwerbenden 
Kenntnisse. Dieses Ausmaß allein kann das namentlich in der Ge¬ 
burtshilfe wichtige Gefühl der Verantwortlichkeit schaffen ; bei den 
„höheren“ Hebammen würde das Gebiet der zugestandenen Rechte 
einen weit größeren Umfang erreichen, als das der auferlegten 
Pflichten, die erst in längerem Studium und in längerer Kranken¬ 
hauspraxis voll und ganz zur Erfassung kommen. Die Hebärztinnen 
würden in schwierigen und Erkrankungsfällen den ärztlichen Ge¬ 
burtshelfer nicht unnöthig machen, in sehr vielen Fällen aber 
Schaden stiften, wie es bei unzureichenden Kenntnissen nicht anders 
möglich ist. Besteht wirklich bei geburtshilflicher und gynäkolo¬ 
gischer Hilfeleistung die lebhafte Nachfrage nach weiblichen Kräften, 
dann werden die Aerztinnen, denen heute wohl fast alle Länder 
offen stehen, Thätigkeit finden und, da sie entsprechend vorgebildet 
sind, auch segensreich wirken können. Besteht aber in einzelnen 
Gegenden Hebammen- und Aerztemangel, dann wird sich der Staat 
der Pflicht ausgiebiger Subventionen nicht entziehen können, deren 
Kosten gewiß nicht größer sind als die der Heranbildung eines 
neuen Hebammenstandes. 

An specifisch österreichische Zustände knüpfen die Wünsche 
Torggler’s und Roschmann’s 4 ) an; sie fordern vor Allem eine 
Verstaatlichung der Gebäranstalten, um dem Zweiseelenwesen der 
Hebammenschulen, für deren Theorie der Staat, für deren Praxis 
die Länder zu zahlen haben, mit seinen zahlreichen Mißständen, 
ein Ende zu machen. Torggler und Roschmann verlangen eine 
zweijährige Ausbildung, die Kasernirung der Schülerinnen, die Er¬ 
richtung je einer zweiten Unterrichtsanstalt in Böhmen und Nieder¬ 
österreich. Die Forderungen nach einer der Gebäranstalt ange¬ 
gliederten gynäkologischen Abtheilung, nach einer Poliklinik und 
nach Wiederholungscursen sehen wir auch hier wiederkehren. 

Diese an verschiedenen Orten laut werdenden Mahnungen 
nach Reformen im Hebammenwesen werden nicht verstummen, ehe 
die Regierungen mit Ernst und auch materiellen Qjjfern an die 
Lösung der besprochenen Fragen gehen. Die großen Differenzen, 
welche die Morbiditäts- und Mortalitätszahlen der öffentlichen An¬ 
stalten und jene der Privatpraxis zeigen, sollten doch zur Genüge 
beweisen, daß die Sorge um diesen Zweig der Volksgesundheit 
ebenso wichtig ist, wie die um industrielle und agrarische Interessen. 
Klingen ja auch Ehlers’ 6 ) mühevolle statistische Untersuchungen 
über die Sterblichkeit „im Kindbett“ in den Schlußsatz aus, daß 
eine Besserung der Puerperalmortalität einzig und allein von einer 
besseren Ausbildung des geburtshilflichen Personales und der socialen 
Sicherstellung desselben zu erwarten ist. Fischer. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Aus französischen Gesellschaften. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Med. Presse“.) 

Society de Th^rapeutique. 

Robin : Colchicinvergiftung. 

Ein Gichtleidender nahm täglich vier bis fünf Pillen, deren 
jede 1 Mgrm. Colchicin enthielt. Nachdem er diese Medication 
durch mehrere Monate hindurch fortgesetzt hatte, traten plötzlich 
Vergiftungserscheinungen auf: Aphonie, Diarrhoe und Anurie, 
schmerzhafte Contractionen der Musculatur. Der Kranke wurde ent¬ 
sprechend behandelt, und nach zwei Tagen waren die Vergiftungs¬ 
erscheinungen geschwunden, jedoch traten mehrere Tage später die 
acuten Gichtanfälle wieder auf. 

Pouchet fragt, warum nicht sofort nach dem Auftreten der Diarrhoe 
die Colchicindarreichung eingestellt wurde, da erfahrungsgemäß die Diarrhoe 
der Vorbote der Vergiftungssymptome ist. 

Robin antwortet, daß der Patient die Colchicinpillen ohne Wissen und 
Controle eines Arztes nahm. 


3 ) Wer denkt hiebei nicht an die nobilitas obstetricum der alten Römer ? 
*) Zur Reform der Hebammenschulen, „Wr. klin. Wschr.“, 1901, Nr.51. 
b ) Die Sterblichkeit „im Kindbett“ in Berlin und in Preußen 1877 
bis 1896. Stuttgart 1900, Enke. 


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Mosse: Oie Kartoffelcur bei chirurgischen Complicationen des 
Diabetes. 

Bei einem Mann and einer Frau, alten Diabetikern, trat eine 
Phlegmone der unteren Extremität auf; trotz zahlreicher Incisionen 
gelang es nicht, den phlegmonösen Proceß zum Rückgang zu bringen. 
Als den Diabetikern statt Brot Kartoffeln gegeben wurden (1000 bis 
1500 Grm pro Tag), heilte die Phlegmone rasch und die übrigen 
diabetischen Symptome besserten sich. 

Der günstige Einfluß der Kartoffel auf den Diabetes ist in 
erster Linie dem Reichthum derselben an Kalisalzen zuzuschreiben, 
doch scheint es, daß die sich ebenfalls in der Kartoffel vorfindenden 
Manganverbindungen auch eine gewisse Rolle spielen. 

Pouchet glaubt nicht, daß die Kalisalze den Diabetes günstig beein¬ 
flussen, da sonst bei Darreichung des vom Körper am leichtesten assimilirten 
Kalisalzes, des Kaliumcitrats, noch bessere Resultate sich zeigen müßten. 
Manganate kommen in allen Vegetabilien vor, daher ihnen eine besondere Wir¬ 
kung bei Kartoffelnahrung nicht zugescbrieben werden kann. Es scheint vielmehr, 
daß die Amylumsubstanzen der Kartoffel diese günstige Wirkung hervorbringen. 

Robin erinnert daran, daß dem Natriumcitrat eine besonders günstige 
Beeinflussung der Zuckerharnruhr zugeschrieben wird. Er selbst sah bedeutende 
Verminderung der Glykosurie nach Gebrauch von Seignettesalz als Purgans 
(Kalium und Natrium tartaricum). 

Acad^mie des Sciences. 

Bordier und Lecomte : Die Wirkung direct angewendeter Ströme 
von hoher Frequenz auf Thiere. 

Bei der directen Anwendung der Ströme von hoher Frequenz 
auf den Menschen spürt derselbe gar nichts; man hat dies durch 
die Annahme zu erklären versucht, daß sich die Ströme auf der 
Körperoberfläche vertheilen, ohne in das Innere des Körpers ein¬ 
zudringen. B. und L. entkräften diese Behauptung, da es ihnen 
gelang, Thiere (Kaninchen, Meerschweinchen und Ratten) zu tödten. 
Sie verwendeten manchmal zwei Metallringe, deren einer um den 
Hals, der andere um den Bauch gelegt wurde, in den anderen 
Fällen führten sie eine Elektrode in den Mund und die andere 
in das Rectum; mittels der letzteren Methode erfolgte der Tod 
beim Kaninchen in 15, beim Meerschweinchen in 7 Minuten, bei 
der Ratte in 40 Secunden. Der Tod erfolgt offenbar durch Lähmung 
der nervösen Centreu. Die Versuche sind eine neue Bestätigung 
derer von d'Arsonval. 

d’Arsonval bemerkt, daß er bei Thieren ähnliche Resultate erzielte 
wie B. und L. Es iat ein Irrthum zu glauben, daß die Ströme von hoher 
Frequenz beim Menschen weder Zuckungen, noch ’ Schmerzen hervorbringen 
können ; die Toleranz des Organismus für die Ströme wächst mit der Vermehrung 
der Frequenz beträchtlich, doch nur bis zu einem gewissen Grade. Treten 
Zncknngen und Schmerzen auf, so ist dies ein Zeichen, daß der Strom für die an¬ 
gewendete Frequenz zu dicht ist, oder daß der Apparat schlecht regulirt wird. 

Bra: Ein Parasit im Blute der Epileptiker. 

Im Blute von 70 Epileptikern fand sich während des Au¬ 
falles und nach demselben ein Mikroorganismus in Diplokokkcn- 
und Kettenkokkenform. Der Streptococcus färbt sich mit Anilin¬ 
farben gut, schlecht nach Gbam ; er wächst auf verschiedenen 
Nährböden (Bouillon, Gelatine, Kartoffel); er findet sich im Blute 
von Kaninchen, welchen intravenöse Injectionen mit Reinculturen 
gemacht wurden. 

Societe de Chirurgie. 

Picque; Thrombophlebitis der Vena mesaraica superior, Gan¬ 
grän des Darmes. 

Die Affection ist sehr selten, da bisher nur 12 Fälle publicirt 
wurden. In dem einen Falle Picque s handelte es sich um einen 
Kranken, der 20 Tage lang Diarrhoe hatte; dann bestand durch 
3 Tage Stuhlverstopfang, hierauf traten blutige Stühle auf. Es 
wurde ohne bestimmte Diagnose laparotomirt und ein Anus praeter¬ 
naturalis angelegt. Der Kranke starb, und es zeigte sich bei der 
Autopsie eine Thrombophlebitis der Mesaraica sup. mit Gangrän 
des Darmes. Beim zweiten Kranken wurde die Diagnose Darm¬ 
verschlingung gestellt; bei der Laparotomie fand sich Gangrän 
des Darmes ohne die geringste Einschnürung; erst bei der Autopsie 
zeigte sich die Thrombose der Mesaraica superior, die sich bis 
zur Vena portae fortpflanzte. 


Notizen. 


Wien, 9. August 1902. 

(Rudolf Virchow) wird — wie uns aus Berlin be¬ 
richtet wird — mit Rücksicht auf seinen geschwächten Gesund¬ 
heitszustand vom Lehramte zurücktreten. 

(Habilitationen.) Dr. Otto Grosser hat sich für Ana¬ 
tomie, Dr. Roland Grassberger für Hygiene an der raedicinischen 
Facultät der Universität in Wien habilitirt. 

(Personalien.) Dem Oberbezirksarzte in Völkermarkt 
Dr. Victor Hussa ist der Ausdruck der Allerhöchsten Zufrieden¬ 
heit bekannt gegeben worden; der Bezirksarzt Dr. Max Winter 
ist zum Oberbezirksarzts, der Sanitätsconeipist Dr. Emerich Forst¬ 
reiter zum Bezirksarzte, der Sanitätsassistent Dr. Richard Christoph 
zum Sanitätsconcipisten, sämmtlich in Niederösterreich, ernannt 
worden. 

(Aerztliches Berufsgeheimniß.) Aus Budapest wird 
uns geschrieben: Eine Deputation, bestehend aus dem Universitäts¬ 
professor Ketly, dem kön. Rathe Sigmund Adler, dem Abgeord¬ 
neten Hadzsy, dem Privatdocenten Hochhalt und dem General- 
secretär Ferdinand Flesch , hat bei dem Justizminister vorge¬ 
sprochen, um eine Abänderung des Strafgesetzes in dem Srnne zu 
erreichen, daß die auf die Discretionspflicht bezüglichen Bestimmungen 
eine deutlichere Fassung erfahren. Ein unlängst erflossenes oberst¬ 
gerichtliches Urtheil, das einen Arzt zur Lüftung eines Berufs¬ 
geheimnisses zwang, ist für das Zustandekommen der erwähnten 
deputativen Fürsprache maßgebend gewesen. 

(Deutsche Universitätsfrequenz.) Die Frequenz der 
deutschen Universitäten hat sich im abgelaufenen Sommersemester 
in folgender Weise gestaltet: Berlin 5b76, München 4430, Leipzig 
3608, Bonn 2408, Freiburg 1861, Breslau 1827 , Hallo 1727, 
Heidelberg 1640, Tübingen 1496, Göttingen 1371, Marburg 1362, 
Kiel 1203, Würzburg 1198, Straßburg 1132, Gießen 1016, Er¬ 
langen 1004, Königsberg 968, Münster 877, Greifswald 825, 
Jena 766 und Rostock 551. Die Gesammtsumrae der Studirenden 
betrog daher an den 21 deutschen Universitäten zusammen 36.946. 

(Aus Berlin) wird ans gemeldet: Am physiologischen In¬ 
stitute wurde eine neurobiologische Abtheiluug errichtet uud die 
Leitung derselben dem praktischen Arzte Dr. Oskar Vogt über¬ 
tragen. Die Aufgabe dieser Anstalt für Gehirnforschung soll darin 
bestehen, die Leistungen anderer wissenschaftlicher Institute er¬ 
gänzend, auf dem Gebiete der Nervenanatomie, Nervenphysiologic 
und Psychologie solche Erscheinungen des einen dieser Wissens¬ 
gebiete, welche gerade von specieller Bedeutung für die anderen 
sind, sowie ärztlich wichtige normale Erscheinungen vom Stand¬ 
punkt des Arztes und umgekehrt für die Wissenschaft des Normalen 
werthvolle pathologische Phänomene mit Rücksicht auf dieso be¬ 
sondere Bedeutung systematisch durchzuarbeiten. 

(Verbreitung der Geschlechtskrankheiten in 
Preußen.) Die im Jahre 1900 veranlaßten statistischen Erhebungen 
über Geschlechtskrankheiten in Preußen habon ergeben, daß sich 
am 30. April 1900 von je 10.000 erwachsenen Personen 18’46, 
von je 10.000 Männern 28 - 20, von ebensoviel Frauen 9*2 4 wegen 
Geschlechtskrankheiten in Behandlung approbirter Aerzte befanden. 
In Berlin kamen auf 10.000 Einwohner 141’94 männliche bezw. 
45 73 weibliche Kranke. Zwischen 58 91 (19 44) und 33*25 (9 95) 
bewegt sich die Krankenz,ahl in den Regierungsbezirken Wiesbaden, 
Hannover, Düsseldorf und Breslau. Die niedrigste Procentzahl 
weisen die Bezirke Münster, Osnabrück und Sigmaringen auf. Auf 
die 107 größeren Städte des Staates, deren Einwohnerschaft 23*78 
(bezw. 23'58) der gesammteu Bevölkerung ausmacht, entfallen 
78*51% (78'04) aller ermittelten Kranken. Enorm ist die Ver¬ 
breitung der Geschlechtskrankheiten in vielen Universitäts-, Hafen-, 
Handels- und Industriestädten, besonders wo gleichzeitig Garnison 
vorhanden ist. Wir finden Königsberg mit 163 71, Wilhelmshaven 
mit 215*16, Frankfurt a. M. mit 150'49, Essen mit 126*18°/oo 
der gesammten männlichen Bevölkerung. Den Hauptantheil an den 
Erkrankungen hat der Tripper (53*72), dann folgt primäre und 
secundäre Syphilis mit 27*63, tertiäre mit 12 83, weicher Schanker 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 32. 


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mit 6*92%. Bei den Frauen tritt die Syphilis, bei den Männern 
der Tripper mehr in den Vordergund. 

(Der 11. i n t ern a t i o n ale Co n g r eß zu r Pr o ph y 1 a x e 
der Syphilis) und der venerischen Krankheiten findet — wie 
bereits gemeldet — vom 1. bis 6. September in Brüssel statt. 

(Ein „Wel tcongreß für T u bereu lose“) soll im An¬ 
schlüsse an die geplante Weltausstellung zu St. Louis im Jahre 1904 
stattfinden. 

(S cli a rl a ch - P r ophylaxe.) Zur Verhütung der Weiter¬ 
verbreitung des Scharlachs durch die Schule ist in Graz folgender 
Modus eingeführt worden : Im Falle der Erkrankung eines Schul¬ 
kindes wird der Schulbesuch der betreffenden Classe für 5 Tage 
verboten, jedoch erst nach 9 Tagen, nachdem das erkrankte Kind 
die Schule verlassen hat. 

(L X. Jahresbericht des St. Josef -Kinderspitales.) 
Am Ende des Jahres 1900 waren in der Anstalt 53 Kinder ver¬ 
blieben. Im Jahre 1901 wurden 989 Kinder aufgenommen. Es 
standen daher 1042 in Behandlung. Hievon wurden geheilt ent¬ 
lassen 779, gebessert 54, ungehcilt 7 ; gestorben sind 152, somit 
ein Gesammtabgang von 992. Mit Ende 1901 verblieben 50 Kinder. 
Das Sterblichkeitsprocent betrug im allgemeinen 14‘58. Im Ambu¬ 
latorium wurden 18.059 Kinder behandelt. Es wurden somit im 
Jahre 1901 im ganzen 19.230 Kinder behandelt. An Diphtherie und 
Croup wurden incl. 11 \om Vorjahre zurückgebliebenen 285 Kinder 
behandelt; davon starben 45. Die Sterblichkeit betrug somit 15■ 79°/ 0 , 
abzüglich 5 sterbend iiberbrachter Kinder 14%. 

(Comite zur Veranstaltung ärztlicher Studien¬ 
reisen in Bade- und Curorte.) Der Generalsecretär Herr 
Dr. W. II. Gilbert, Baden-Baden, theilt uns mit, daß auf vielfach 
geäußerten Wunsch hin der Termin zur Anmeldung für die Studien¬ 
reise bis zum 15. August a. c. verlängert worden ist. 

(Glückliches England!) Die „Allg. med. Centr.-Ztg.“ 
meldet: Dr. Josef DaVies, einer der Armenärzte in Swansea (Eng¬ 
land), hat sein Amt niedergelegt mit der Begründung, daß sein 
Gehalt von 2000 Mark pro Jahr ihm pro Fall gerade 25 Pfennige 
einbringe und daß während der Wintermonate sein Gehalt gänzlich 
durch Fuhrkosten absorbirt worden sei. 

(Forensisches.) Die Frage principieller Natur, ob das 
Wort „Specialist“ einen arztähnlichen Titel darstellt, ist — wie 
die „Münch, med. Wschr.“ meldet — dieser Tage vom Oberlandes- 
gerichtJena in verneinendem Sinne entschieden worden. Ein Specialist 
für Massage, der diesen Titel schon seit 20 Jahren führt, war auf 
Veranlassung des dortigen Aerztevereins mit einem Strafmandat 
bedacht worden, weil nacli Ansicht des genannten Vereins das 
Wort „Specialist“ derart aufgefaßt werden könne, als ob derjenige, 
der diesen Titel führt, ärztl cb approbirt wäre. Gegen den Straf¬ 
befehl wurde Widerspruch erhoben, dem das Eisenacher Schöffen¬ 
gericht nicht entsprach. Die Berufung beim Landgericht hatte 
den Erfolg, daß dieses auf kostenlose Freisprechung erkannte. 
Gegen dieses Urtheil erhob die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel 


der Revision beim Oberlandesgerichte in Jena, das aber dem Land¬ 
gericht Eisenach Recht gab und den Specialisten freisprach. 

(Verein fürKinderforschu ng.) Die IV. Versammlung 
dieses Vereines fand am 1. und 2. August zu Jena statt. Vor¬ 
träge haben gehalten: Gützmann (Berlin): „Die sprachliche Ent¬ 
wicklung des Kindes und ihre Hemmungen“. Schreuder (Haag): 
„Ueber Kinderzeichnungen“; Herm. Krukenberg (Liegnitz) : „An¬ 
staltliehe Fürsorge für Krüppel“ ; Zimmer (Zehlendorf) : „Zur 
Frage der religiösen Entwicklung des Kindes“ ; Strohmayer 
(Jena): „Die Epilepsie im Kindesalter“. 

(Statistik.) Vom 27. Juli bis inclusive 2. August 1902 wurden in den 
Ci vilspitälern Wiens 6193 Personen behandelt. Hievon wurden 1391 
entlassen ; 136 sind gestorben (8‘90% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 49, egypt. 
Augenentzündung 5, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 3, Dysen¬ 
terie—, Blattern—, Varicellen 13, Scharlach 37, Masern 124, Keuchhusten 54, 
Rothlauf 35 Wochenbettfieber 2, Rötheln 1, Mumps 6, Influenza —, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 537 Personen gestorben 
(+ 47 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorbeu sind: In Wien Dr. Franz Sen - 
tinella, 56 Jahre alt; in Deutsch-Landsberg Dr. Hermann Kummer ; 
in Trebnitz der dortige Bezirksarzt Dr. Wenzel Pa&ik ; in Prerau 
Dr. Emanuel Dostal ; in Franzensbad Dr. Gustav Loimann ; in 
Berlin Dr. Emanuel Herszky , ein vielversprechender College, im 
28. Lebensjahre; in Tabarz der Professor der inneren Medicin in 
Halle Dr. Friedrich Reineboth, 35 Jahre alt. 

Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 

Die Rubrik: „Erledigungen, ärztliche Stellen“ etc . 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 


Herr Dr. Norbert Swoboda zu Budweis schreibt den 27. Fe¬ 
bruar 1900: 

„Ihr Kindermehl, dessen Güte ich durch 2 Jahre als Secun- 
dararzt der Wiener Findelanstalt erprobt habe, verwende ich auch 
in der Privatpraxis sehr oft und stets mit besserem Erfolge als 
viele andere Präparate.“ 

Waare zu Versuchszwecken steht den Herren Aerzten gratis 
franco zur Verfügung. 

R. Kufeke, Wien, I., Nibelungengasse 8. 


Syrupus Aromaticus „Süsses Chinin“ erzielen. 

20 Gramm meines Präparates genügen , um den Geschmack von ro Gramm 
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Wien, den 17. Anglist. 1902. 


Nr. 33. 


XLIII. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
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lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
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Presse. 


Begründet 1860. 

Redaction: Telephon Nr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

-.oje.- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


Administration: Telephon Nr. 9104. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Ueber Ausgänge und Prognose der Neurosen des peripheren Kreislaufsapparates. Von Dr. II. Herz in 
Breslau. — Die Verdaulichkeit der Speisen nach mikroskopischer Untersuchung der Fäces. Von Specialarzt Dr. F. Schilling in Leipzig. — 
Referate. Riedel (Jena): Wie oft fehlt die typische Dämpfung in der rechten Fossa iliaca bei Appendicitis? — L. Lokwenfkld (München): 
Ueber Narcolepsie. — E. Wormser (Basel): Zur klinischen Bedentung der Retroflexio uteri mobilis. — Lengemann (Breslau): Ueber eine operative 
Heilung von Gastritis phlegmonosa diffusa. — Trautenroth (Bochum) : Ueber die Pylorusstenose der Säuglinge. — L. Leven (Elberfeld): Wann 
können wir die Gonorrhoe als geheilt ansehen ? — W. Sciioltz (Breslau): Bemerkung zu vorstehender Arbeit. — L. Leven (Elberfeld): Weitere 
Bemerkungen zur Frage der Gonorrhoeheilung. — Brouha (Liege): Sur les proprietes du serum des cancereux au point de vue des anticorps des 
levures. — Kleine Mittheilungen. Die Kartoffelcur des Diabetes mellitus. — Qoaglio’s künstliche kohlensaure Bäder. — Massage der Leber. — 
Bromipin. — Erzielung localer Blutleere. — Literarische Anzeigen. Lehrbuch der Kinderheilkunde für Aerzte und Studirende. Von Dr. Bernhard 
Bkndix, Privatdocent an der Universität Berlin. — Handbuch der Therapie innerer Krankheiten in sieben Bänden. Herausgegehen von Professor 
Dr. F. Penzoldt und Prof. Dr. R. Stintzing. — Neue Untersuchungen über die Seekrankheit. Von Dr. Franz Weitlaner. — Feuilleton. Pariser 
Brief. (Orig.-Corresp.) IV. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. 20. Congreß für innere Medicin. Gehalten zu Wiesbaden, 15. — 18. April 1902. 
(Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) X. — Aus medicinischen Gesellschaften Deutschlands. (Orig.-Ber.) — 
Notizen. — Neue Literatur. — Eingesendet. — Offene Correspondenz der Redaction und Administration. — Aerztliche Stellen. — 
Anzeigen. 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse“ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Ueber Ausgänge und Prognose der Neurosen 
des peripheren Kreislaufsapparates. 

Von Dr. H. Herz in Breslau. 

Es gibt- acute, respective subacute Fälle von vasomoto¬ 
rischer Ataxie, die zur völligen Ausheilung gelangen, 
z. B. in der Pubertät, im Klimakterium, nach einmaligen 
seelischen Erschütterungen. Daß auch Fälle, die jahrelang 
bestanden haben, schließlich wieder völlig normales Verhalten 
zeigen, ist zum mindesten sehr selten. 

Im allgemeinen bleibt die Labilität des Gefäßsystems, 
einmal entwickelt, als dauernder, gewissermaßen constitu¬ 
tioneil gewordener Zustand bestehen. Es gibt Leute, 
bei denen die infolge dessen auftretenden Störungen sehr ge¬ 
ring sind, so daß der Arzt sie nur fast durch Zufall ent¬ 
deckt. Meist aber kommt es, gleich im Beginne des Leidens 
oder während des Verlaufs, doch irgendwo zu einer der ge¬ 
schilderten lästigeren Manifestationen desselben, oder es 
stellt sich schon von vorneherein ein ganzes Heer von Be¬ 
schwerden ein. 

Der Verlauf ist der Regel nach dann so, daß bei ge¬ 
eigneter Lebensweise und Therapie, gelegentlich aber auch 
bei fortwirkenden Schädigungen infolge einer Art Gewöhnung 
oder infolge gewisser Ableitungen (Blutungen, beträchtlicher 
Secretionen) die starken Beschwerden nach einiger Zeit nach- 
lassen. Die Kranken fühlen sich dann Jahr und Tag entweder 
völlig wohl oder sie nehmen doch die noch vorhandenen ge¬ 
ringen Belästigungen und Beschränkungen nach den voran¬ 


gegangenen Qualen relativ zufrieden hin. In der großen Mehr¬ 
zahl der Fälle, oft nach Jahren, wenn die alten oder neue 
Schädigungen einwirken, kommt es doch wieder zu neuen 
Klagen, oft von ganz anderer Localisation und Art als 
früher, so daß die Kranken etwas ganz Neues acquirirt zu 
haben glauben. Uud schließlich macht die neue Affeetion den¬ 
selben Verlauf durch wie die alte. 

Seltener sind glücklicherweise jene Fälle, wo gewisse 
Attaquen nicht mehr sistiren, oder eine Störung so schnell die 
andere ablöst, daß die Kranken sich nicht erholen können. 
Manche dieser Unglücklichen lassen dann in einer Art Apathie, in 
völliger Hoffnungslosigkeit alles über sich ergehen ; die meisten 
aber verfallen der schwersten Neurasthenie. Wenn man 
die oft sehr lange Geschichte vieler dieser Kranken genau 
verfolgt, so ergibt sich mit Sicherheit, daß bei ihnen die vor¬ 
handenen nervösen Begleiterscheinungen, besonders auch auf 
psychischem Gebiete, nicht den Boden darstellen , auf welchem 
die vasomotorische Ataxie erwachsen ist, sondern eine Folge 
sind der mannigfachen Leiden der Kranken, des jahrelangen 
vergeblichen Kampfes gegen dieselben, der verzweifelten 
Stimmung, der fortwährenden Unruhe des Organismus. Diese 
Neurasthenie ist keiner Besserung fähig, wenn es nicht schlie߬ 
lich noch gelingt, der vasomotorischen Störungen einiger¬ 
maßen Herr zu werden. Webber 1 ) hat daher nicht Unrecht, 
wenn er diejenigen Neurastheniker, bei denen in kurzen 
Zeiten ein außerordentlicher Wechsel in den Pulscurven auf- 
tritt, zu den schwersten rechnet. 

Außer diesem ernsten Endausgange der vasomotorischen 
Ataxie können auch erhebliche Veränderungen in der 


’) Webber, „Boston medical jonrn.“, 3. Mai 1888. 


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Structur der Gefäße und der versorgten Gewebe 
aus diesen Kreislaufsstörungen resultiren. 

Was die versorgten Gewebe betrifft, so verursachen 
die anfallsweise auftretenden Kreislaufsstörungen ja gewisse Er¬ 
nährungsstörungen derselben, doch sind dieselben meist nicht 
sehr bedenklicher Art. Leute mit Kopfcongestionen z. B. neigen 
entschieden zum Haarausfall, der manchmal nach einer Reihe 
von Attaquen ganz rapid eintritt. Solis-Cohen beschreibt bei 
seinen Kranken Anomalien der Fingerenden und -nägel, die 
ich auch, allerdings sehr viel seltener, als jener Autor, sah: 
entweder ein keulenförmiges Fingerende mit breitem und 
plattem Nagel oder ein spitzzulaufendes Fingerende mit langem 
und in der Quere gekrümmtem Nagel, beide von sehr ver¬ 
schiedener Farbe und Zeichnung. Eine gewisse Verdickung 
der Haut findet sich oft an Stellen, wo häufige Congestionen 
stattgefunden haben, z. B. bei sogenannter Erythromelalgie ; 
bei venöser Hyperämie ist die Haut oft weich, eigentümlich 
faltbar. 

Dagegen scheint es mir, wie oben schon angedeutet, 
nicht gerade wahrscheinlich, daß die Störung der Blutver¬ 
sorgung bei der Synkope und Asphyxie so weit gehen kann, 
daß nur infolge derselben schwere Ernährungsstörungen, etwa 
in Form der Gangrän bei den unter Raynaud’s Namen zu¬ 
sammengefaßten Krankheitsbildern, eintreten könnten. Aus 
den vorliegenden Beobachtungen (siehe Näheres bei Cassirrr 
1. c.) geht ja allerdings hervor, daß in zahlreichen Fällen von 
RAYNAUD’scher Krankheit eine große Labilität des Nerven¬ 
systems besteht, und bezüglich der Beobachtungen dieser 
Äffection ohne Gangrän — schon Raynaud hat solche gemacht 
— ist es mir höchst zweifelhaft, ob sie sich von der vaso¬ 
motorischen Ataxie, wie sie hier geschildert ist, werden trennen 
lassen. Aber ich möchte keine weitere Folgerung daraus 
ziehen, als daß die vasomotorische Ataxie ein prädisponirendes 
Moment in der Pathogenese der sogenannten symmetrischen 
Gangrän spielt. 

Daß es zahlreiche Fälle von dieser Erkrankung ohne 
Gefäßsymptome an anderen Körpertheilen gibt, würde die 
Krankheit nur ins Gebiet der localisirten vasomotorischen 
Neurosen verweisen. Aber es besteht auch keinerlei Beziehung 
zwischen Intensität und Dauer der Kreislaufsstörung und dem 
eintretenden Brande; gerade die schwersten und am häufigsten 
wiederkehrenden Paroxysmen von localer Asphyxie führen 
sehr gewöhnlich gar nicht oder nur zu kleinen Substanzver¬ 
lusten. Ich glaube auch nicht, daß der Kreislauf in den be¬ 
fallenen Gebieten absolut aufgehoben ist, selbst dort, wo die 
so wichtige mechanische Beihilfe des Gewebes ganz fehlt. 
Endlich gibt es, wie schon Weiss hervorhebt, auch ohne vaso¬ 
motorische Störungen typische symmetrische Gangrän. 

Letztere kann nur zustande kommen, wenn gewisser¬ 
maßen die chemische Thätigkeit der Gewebe, ihre Fähigkeit, 
die zugeführten Stoffe zu verarbeiten, gelitten hat; die me¬ 
chanische Thätigkeit wird dabei auch leiden, und es kommt 
dann zur Einstellung des örtlichen Kreislaufes auf einer 
möglichst geringen Höhe (locale Synkope), oder der im Ge¬ 
webe liegende Factor des Kreislaufs versagt mehr oder minder 
ganz (locale Asphyxie). Warum die Gewebe jene assimilato¬ 
rische Fähigkeit verlieren, das kann sehr verschiedene Gründe 
haben: es kann auf allgemeinen Stoffwechselverhältnissen 
beruhen, die zugleich die vasomotorische Labilität erzeugen; 
es kann von ungenügender Kraftzufuhr seitens des Central¬ 
nervensystems kommen (Erkrankung gewisser Rückenmarks¬ 
apparate), wobei örtliche Gefäßanomalien (in der nervösen 
.Versorgung oder arteriosklerotische Veränderungen) nur als 
disponirende Ursachen in Betracht kommen; es kann durch 
Gifte, die im Blute kreisen, erzeugt werden (Ergotin). Ich 
kann näher auf diese Verhältnisse nicht eingehen. 

Aus Obigem ergibt sich, daß sich unter die RAYNAUD’sche 
Krankheit recht verschieden zu beurtheilende Zustände 
rubriciren lassen. 


Langsamer, aber wohl öfter als die Anfälle, führen die 
oben geschilderten constanten Erscheinungen bei vasomoto¬ 
rischer Ataxie zu Störungen in der Gewebsernährung. Be¬ 
sonders ist es die dauernde Form der Cyanose, sei es daß sie 
primär, sei es, daß sie nach häufigen Congestionen auftritt 
(s. o.), die hier in Betracht kommt. Die Folgen für das Ge¬ 
webe sind schließlich etwa dieselben, wie wenn allgemeine 
Stauung bestände. Ich brauche daher nur an die Folgen der 
venösen Blutüberfüllung in der Leber, dem Magendarmtractus, 
der Niere, dem Uterus, dem Gehirn, den Extremitäten zu 
erinnern: an all diesen und anderen Organen wird man die 
entsprechenden Veränderungen nach langer Dauer der vaso¬ 
motorischen Ataxie finden können. — Ich verweise ferner 
nochmals auf die chronischen Albuminurien unserer Kranken, 
welche ebenfalls, wenn auch erst nach langem Bestehen, zu 
schwerer Ernährungsstörung im Nierengewebe führen können, 
während die transitorische Albuminurie wohl im allgemeinen 
viel leichter zu beurtheilen ist. 

Die auffälligsten Structurveränderungen aber zeigen 
recht oft mit der Zeit — unsere Krankheit erstreckt sich ja 
häufig über Jahrzehnte — die Gefäße selbst. 

Zunächst die Venen. Hier lenken die Erweiterungen 
unsere Aufmerksamkeit auf sich: von den großen Extremitäten¬ 
venen mit ihren ungeheuren varicösen Ausbuchtungen bis zu 
den kleinen oberflächlichen Gefäßchen, die bei ihrer Erweite¬ 
rung wie ein Kranz den unteren Umfang des Thorax um¬ 
ziehen, wären venöse Gefäßrohre jedes Calibers als Sitz dieser 
Dilatation aufzuzählen. Sie beweisen, daß örtliche Erschwe¬ 
rungen des Kreislaufs wohl viel häufiger und viel ver¬ 
breiteter sind, als man es annehmen möchte; denn an allen 
diesen Stellen dürfte die FortschafFung des Blutes durch die 
venösen Röhren zeitweise oder dauernd ungenügend gewesen 
sein. Allerdings spielt als zweiter wichtiger Factor hier jene 
angeborene Schwächung des Gefäßapparates mit, die itü ätio¬ 
logischen' Theil besprochen ist’. Auf die zahlreichei Folgen 
der Venenerweiterungen brauche ich wohl nicht einzugehen. 

Es scheint, daß häufige Stauung auch das Entstehen 
oder wohl richtiger das Wachsthum von sehr verschieden¬ 
artigen Gefäßgeschwülsten begünstigt. 

Hier muß an die Hämorrhoiden erinnert werden, von 
denen ein Theil nach den Befunden von Reinbach 2 ) zu den 
echten Geschwülsten (Angiomen) gehört. Sollte weitere Unter¬ 
suchung ergeben, daß auch die meisten der kleineren Hämor¬ 
rhoidalknoten echte „Geschwülste“ darstellen und nicht 
Varicen, die sich allmälig in Angiome verwandeln, wie man 
sonst gewöhnlich annahm: so ergibt doch die l^inische Beob¬ 
achtung, daß allgemeine und örtliche Kreislaufsstörungen für 
das Wachsthum und für die Neigung zu Blutung an. diesen 
„Geschwülsten“ von oft ausschlaggebender Bedeutung sind. 

Der wichtigste Endausgang der vasomotorischen Ataxie 
findet sich an den Arterien in Form der Sklerose. 

Keine Erkrankung ist wohl mehr geeignet, als gerade 
die Arteriosklerose, die Bedeutung von Functionsanomalien 
für die Entwickelung organischer Veränderungen zu demon- 
striren. Bei der ungemeinen Wichtigkeit dieses Folgezustandes 
allzu großer vasomotorischer Labilität muß ich wenigstens 
die leitenden Gesichtspunkte aus der Pathogenese der Arterio¬ 
sklerose besprechen 

Nach Thoma 3 ), dessen Ansichten ja weite Verbreitung 
gefunden haben, ist die Verdickung der Intima, der erste 
anatomische Ausdruck der Erkrankung, eine Folge der Er¬ 
weiterung eines Gefäßes, sobald dieselbe nicht mehr durch 
Contraction der Media ausgleichbar ist; dadurch soll die 


a ) G. Reinbach, Beiträge zur klin. Chirurgie, Bd. XIX, Heft 1. 

3 ) R. Thoma, Ueber die Erkrankungen der Gefäßwandungen als Ursachen 
und als Folgen von Circulationsstörungen. 70. Verhandlung der Gesellschaft 
deutscher Naturforscher und Aerzte, Düsseldorf 1898. Derselbe, Das elastische 
Gewebe der Arterienwand und seine Veränderungen bei Sklerose und Aneurysma¬ 
bildung. Festschrift zur Feier des 50jährigen Bestehens der medicinischen Ge¬ 
sellschaft zu Magdeburg, 1898. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 33. 


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drohende Verlangsamung der Strömung ausgeglichen (siehe 
übrigens die Anmerkung über diesen Punkt im ersten Theile 
dieser Arbeit) und ein Schutz gegen Gefäßzerreißungen ge¬ 
schaffen werden. Die Contractionsfähigkeit der Media aber 
muß überall leiden, wo sie durch häufige Schwankungen des 
Gefäßkalibers besonders in Anspruch genommen wird. Thoma 
und seine Schüler haben mit Recht darauf hingewiesen, daß 
die normaler Weise oft auffällig starke Dickenzunahme der 
Intima an der Arteria uterina und lienalis von den wechselnden 
Strömungsverhältnissen in den versorgten Organen (bei der 
Menstruation, der Gravidität; bei der Verdauung) abhängt. 
Dieselben Schwankungen haben wir aber in ausgeprägtester 
Weise bei den hier geschilderten nervösen Zuständen vor uns, 
und so ist das allmälige Entstehen des geschilderten Endaus¬ 
ganges wohl verständlich. 

Auf viel breiterer Grundlage hat Rosenbach seine 
Lehren über die Genese der Arteriosklerose aufgebaut, indem 
er alle Functionen der Gefäßwand berücksichtigt, also außer 
den erwähnten die Triebkraft, welche die Arterien wand be¬ 
sonders beim Versagen der protoplasmatischen Thätigkeit dem 
Blutstrom verleihen kann; die Fortleitung von Wellen in 
der Gefäßwand, die zugleich mit solchen an der Oberfläche 
der Blutsäule als ungemein wichtige Signalsysteme bei jedem 
einzelnen Pulsschlage regulirend auf den Kreislauf wirken ; 
die chemische Thätigkeit der Gefäßwand. Ueberall, wo durch 
größere (oder auch qualitativ von der Norm abweichende) 
Reize vermehrte Anstrengungen von ihr gefordert werden, 
sind die Bedingungen zur Arteriosklerose gegeben. Es erfolgt 
zunächst Gewebsvermehrung, Hypertrophie und Hyperplasie, 
die aber in der Regel auf die Dauer auch nicht genügt; dann 
kommt es zur Insufficienz, zu degenerativen Vorgängen und zu 
Ablagerung wenig activer Stoffe (Kalk), die nur die Continuität 
unterhalten, an Stelle der normalen Gewebsbestandtheile. 

Die gewöhnlichste Form der chronischen Arteriosklerose, 
beruhend auf einem Ausfall an Arbeitsleistung im Protoplasma¬ 
gebiet, der durch die Triebkräfte der Gefäßwand compensirt 
werden soll, interessirt uns zunächst nicht. Für uns wichtig 
ist es, die Folgen sehr häufig veränderter Anforderungen an 
den örtlichen Kreislauf zu verfolgen, gleichviel ob dieselben 
durch oft wechselnde Function der Apparate oder durch ab¬ 
norme nervöse Regulation gestellt werden. Bei jedem der¬ 
artigen Reiz ändert sich das Gefäßcaliber und die Blutge¬ 
schwindigkeit, vor allem auch die oben erwähnte Wellen¬ 
bewegung in der Gefäßwand und an der Oberfläche der Blut¬ 
säule. Werden diese Schwankungen zu oft wiederholt, kreuzen 
sich sogar Impulse, die entgegengesetzten Anforderungen ent¬ 
sprechen, also die bestehende Bewegung brüsk aufhalten, „so 
müssen die den schroffsten Uebergängen ausgesetzten Mem¬ 
branen in sehr beträchtlicher Weise einer Erschütterung des 
intermolecularen Zusammenhanges unterworfen sein. 

Die Theilchen erreichen nicht die Gleichgewichtslage, 
sondern werden noch bei stärkster Beschleunigung in einer 
Richtung sofort in die entgegengesetzte übergeführt, und so 
entsteht jener Gegensatz zwischen anziehender und beschleu¬ 
nigender Kraft, den wir als Reibungswiderstand bezeichnen, 
und der durch Wärmebildung stets zu einer Lockerung der 
primären Anziehungsgröße zwischen den Theilchen führt. 

Um diesen Zusammenhang wieder herzustellen oder, 
richtiger, weil die Reize für die Erhaltung des Zusammen¬ 
hanges entsprechend größer sind, .... entsteht die Hyper¬ 
trophie der Theile, die die Mehrarbeit dauernd garantirt“ 
(Rosenbach). An die Hypertrophie schließen sich dann eventuell 
die weiteren Veränderungen in der oben angedeuteten Weise an. 

Betrachtet man von diesem Gesichtspunkte aus die Ver¬ 
hältnisse bei vasomotorischer Ataxie, so erscheint es nur 
wunderbar, daß Arteriosklerose nicht häufiger und eher das 
Endresultat wird, als es in der That der Fall ist. Auch das 
aber läßt sich bei Betrachtung der Rolle verstehen, welche 
diese häufigen Gefäßschwankungen bei der Entstehung der 


meisten Arteriosklerosen spielen: sie geben ein disponirendes 
Moment, bestimmen die Localisation der Erkrankung. Die 
eigentliche Ursache aber liegt für gewöhnlich in der Störung 
der oben ausführlich geschilderten Thätigkeit des Protoplasmas 
für den Kreislauf, die durch die Triebkraft der Gefäße aus¬ 
geglichen werden soll. Diese protoplasmatische Thätigkeit ist 
aber bei der vasomotorischen Ataxie nur in jener Minderzahl 
von Fällen gestört, wo regionäre Cyanose beobachtet wird. 
Für die Compensation der Caliberschwankungen allein genügt 
sehr lange oder gar immer die Hypertrophie, ohne daß es 
zur Degeneration kommt. 

Die Erfahrung lehrt Folgendes. Bei dem größten Theile 
unserer Kranken läßt sich auch nach vieljähriger Beobachtung 
keine Arteriosklerose deutlich nachweisen. Ich kenne Leute, 
besonders Frauen, deren Anamnese ergibt, daß sie Jahrzehnte 
lang — in einem Falle 40 Jahre lang — an vasomotorischen 
Phänomenen leiden, und bei denen doch keine anatomische 
Veränderung des Gefäßapparates festzustellen ist. 

Bei einer beträchtlichen Minderheit aber kommt es 
schließlich doch zu einer solchen, und zwar nach verschieden 
langer Zeit. Es ergibt sich nicht ganz selten, daß Leute, die 
man in vorgerückten Jahren mit ausgebildeter Arteriosklerose 
in Beobachtung bekommt, schon vor Jahrzehnten Störungen 
der Circulation darboten, die berühmte Diagnostiker für nervös 
erklärt hatten. Es liegt durchaus kein Grund vor, in allen 
diesen Fällen einen Irrthum in der Diagnose anzunehmen, 
vielmehr ist die Entstehung der Destruction nach langen 
functionellen Anomalien nach Obigem wohl verständlich. 

In anderen Fällen kann man den Uebergang im Laufe 
der Jahre beobachten, in ganz seltenen stellt er sich mit auf¬ 
fälliger Geschwindigkeit ein. 

Fall 34. St., Kaufmann, 56 Jahre. Kräftiger Mann, sehr über¬ 
arbeitet. Consultirt mich im Mai 1899 wegen allgemeiner Erregtheit 
und Unterleibsbeschwerden: anfallsweises Brennen und Fülle im 
Leibe, aufsteigendes Hitzegefühl, Flatulenz stellen die hauptsäch¬ 
lichsten Beschwerden dar. Die Untersuchung ergibt eine sehr 
wechselnde Leberanschwellung, Auftreibung des Leibes durch Gase, 
geringe Hämorrhoiden, kalte Füße und einen heißen Kopf; Retinal¬ 
gefäße deutlich liyperämisch. Herz damals ganz gesund. August 
1899: Verschlimmerung der Nervosität. Der Schlaf ist durch Un¬ 
ruhe sehr gestört. Patient klagt über zeitweises Stechen in der 
Herzgegend bei Aufregungen, kann aber ohne Beschwerden gehen 
und steigen. Keine objective Herz- und Gefäßerkrankung nach¬ 
weisbar. Am 24. Januar 1900 stellt sich in der Nacht eine mehrere 
Stunden lang zunehmende Hemiparese links ein, ohne Insult (Throm¬ 
bose eines Hirngefäßes). In einigen Wochen Rückbildung zur Norm. 
April 1900 Lungenembolie mit anschließender, sehr hartnäckiger 
Pleuritis. Seitdem entwickelten sich immer deutlicher die arterio¬ 
sklerotischen Veränderungen an Herz und Gefäßen heraus. 

Ich habe bei diesem Kranken bis zum Eintritt der 
Hemiparese nur eine nervöse Störung angenommen. Natürlich 
kann man, wie auch in vielen anderen Fällen, zweifeln, ob 
die für nervös gehaltenen Symptome nicht bereits als Initial¬ 
symptome der Arteriosklerose zu betrachten sind. Wer meinen 
Auseinandersetzungen gefolgt ist, wird wenigstens die Mög¬ 
lichkeit, wenn nicht die Wahrscheinlichkeit zugestehen müssen, 
daß kein Irrthum in der Diagnose vorlag, der Endausgang 
erfolgte bei dem älteren Manne sehr rasch. 

Zwischen diesen Fällen und jenen, die erst nach 40 Jahren 
zur Sklerose führen, gibt es natürlich alle Zwischenstufen. 

Hier liegt die größte Schwierigkeit, wenn es sich darum 
handelt, bei vasomotorischer Ataxie eine Prognose quoad 
vitam zu stellen. Zwar auf die Thatsache, daß im vorgerück¬ 
ten Alter bei vielen dieser Kranken schließlich Arterio¬ 
sklerose auftritt, braucht man in praxi nicht allzu viel Rück¬ 
sicht zu nehmen: es ist im Allgemeinen nicht ärztliche Auf¬ 
gabe , Kranke mit einem Schreckgespenst zu ängstigen, das 
in so weiter Ferne liegt und sich oft noch dazu als nichtig 


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erweist. Aber die bange Frage bleibt in jedem Falle, ob nicht 
schon in absehbarer Zeit jene Veränderung im Gefäßsystem 
eintreten kann, wenn auch glücklicherweise der Erfolg zeigt, 
daß sie in der Mehrzahl der Fälle ausbleibt. 

Gewisse Anhaltspunkte lassen sich doch geben. Männer 
scheinen viel mehr zur Verkalkung auf dieser Basis zu neigen, 
als Weiber. Sehr wichtig ist auch das Alter, in dem die 
ersten Erscheinungen auftreten. Nervöse Getäßsymptome, die 
jenseits des fünfzigsten Lebensjahres beginnen, sind doch bedenk¬ 
lich, da sie oft schnell zu Arteriosklerose führen, falls sie 
nicht schon der Ausdruck derselben sind, ln den Zwanziger¬ 
jahren oder früher einsetzende circulatorische Störungen sind 
zwar zunächst in der Regel ganz unbedenklich, aber manche 
dieser Leute sterben, wenn die Labilität des Kreislaufs¬ 
systems bestehen bleibt, doch in der Blüthe der Jahre, da 
nach einigen Jahrzehnten das Gefäßsystem destruirt ist. Am 
günstigsten schien mir die Periode zwischen 30 und 50 
Jahren als Anfangszeit: Sklerose tritt in diesen Fällen gar 
nicht oder doch gewöhnlich nur in langsamer, relativ gut¬ 
artiger Form auf. Auch möchte ich nicht die Bemerkung 
unterlassen, daß in dieses Alter das Klimakterium fällt, bei 
Frauen deutlich, aber auch bei manchen Männern nicht zu 
verkennen: es kommt vor, daß nach Ueberstehen dieser Zeit 
die nervösen Gefäßsymptome spurlos verschwinden. 

Recht groß ist ferner die Gefahr bei Leuten,. in deren 
Familien Arteriosklerose oft vorkommt: manchmal ist die 
Labilität des Gefäßsystems und die Neigung zu Arterio¬ 
sklerose gemeinsames Erbtheil vieler Individuen derselben 
Familie. 

Endlich lassen sich aus Art und Verlauf der nervösen 
Phänomene selbst wichtige prognostische Anhaltspunkte ge¬ 
winnen. An weniger lebenswichtigen Körpertheilen (Extre¬ 
mitäten) auftretende Kreislaufsstörungen geben, selbst wenn 
Sklerose erfolgen sollte, viel weniger zu Bedenken Anlaß, als 
Kreislaufsschwankungen an den Gefäßen des Herzens oder 
des Gehirns, besonders wenn solche sich jahrelang wieder¬ 
holen. Vor allem aber ist natürlich die Beobachtung wichtig, 
ob spontan oder durch zielbewußte Therapie die Anfälle zu 
beseitigen oder wenigstens in mäßigen Schranken zu halten 
sind. Geringe Labilität des Gefäßapparates, wie sie bei vielen 
Leuten lange besteht, scheint, wenn überhaupt, nur recht ge¬ 
ringe Disposition zur Erkrankung der Wand zu bieten. Die 
heftigen Schwankungen des Calibers sind das Ausschlag¬ 
gebende; sistiren sie an einem Organ ganz oder fast ganz, 
lassen sich wenigstens jahrelange Pausen erzielen, so ist im 
Allgemeinen die Prognose eine günstige. 

Naturgemäß gesellen sich die arteriosklerotischen Er¬ 
scheinungen allmälig zu den nervösen, und die Entscheidung, 
ob jene schon vorhanden sind, ist nicht immer leicht. Viele 
unserer Kranken, besonders Aerzte, können die Angst, daß 
schon ein organisches Leiden besteht, nicht loswerden, und in 
der That ist häufige Controle wohl nöthig. Es soll hier nur 
betont werden, daß alle Symptome, welche nur für Labilität 
des Gefäßsystems sprechen, allein nicht zur Diagnose Sklerose 
genügen; es müssen die bekannten und anderweitig trefflich 
geschilderten Erscheinungen der Sklerose am Herzen, am 
Pulse, an den Organfunctionen u. s. w. hinzutreten, ehe man 
diese im Ganzen ominöse Erkrankung annehmen kann. 

Symptome und Folgen der Arteriosklerose brauche ich 
hier natürlich nicht zu schildern. Nur möchte ich hervorheben, 
daß durch sie die Neigung zu Blutungen, die der vasomoto¬ 
rischen Ataxie an sich eigen ist, noch sehr steigt. Schon bei 
sehr geringer Sklerose scheinen dann z. B. die Congestivzu- 
stände nach dem Kopfe zu Gehirnblutungen führen zu 
können. Manche scheinbar räthselhafte Apoplexie in relativ 
jugendlichem Alter dürfte hier ihre Erklärung finden. 


Die 

Verdaulichkeit der Speisen nach mikroskopi¬ 
scher Untersuchung der Fäces. 

Von Specialarzt Dr. F. Schilling in Leipzig. 

(Fortsetzung.) 

Gehen wir jetzt zu den einzelnen Beobachtungen über. 
Die dem Geflügelfleisch anhaftenden Hautfetzen gehen mit den 
Federresten, welche deutlich erhalten bleiben, unverdaut ab. 
Zu stark gebratenes Fleisch , wie es als knusprig gebraten 
bei Krammetsvögeln und Rebhühnern beliebt ist, wird unver- 
werthet ausgeschieden; die Muskelfasern nehmen dabei ein ge¬ 
zacktes Aussehen an. Die bei dem Abnagen des Fleisches 
verschluckten Rippenstückchen, die oft länger als 1%—2 Cm. 
sind, haben ein grauschwarzes Ansehen; sie wie die Zwirns¬ 
fäden , welche zur Befestigung der Füllung bei Tauben 
dienen, gehen unverändert ab. Bei Patienten, deren 
Verdauung geschont werden soll, müssen des¬ 
halb Rippen nebst Haut vom Fleisch entfernt 
werden. Vom weich gekochten Huhn oder der Taube gehen 
grobe Stücke gewöhnlich nicht fort, vom gebratenen die 
derben Krustenreste. Puter und Truthahn nähern sich ihnen 
hinsichtlich der Rückstandsmenge, doch sind die mikroskopisch 
nachweisbaren, in Zerfall begriffenen Muskelfibrillen zahl¬ 
reicher. Die Ente besitzt wenig fettes Fleisch, hinterläßt 
aber kleinere Fleischstückchen. Die Mastgans dagegen mit 
ihrer derben Fettschwarte und reichen Fetteinlagerung in 
die Musculatur, die bis zu 45% steigen kann, liefert grobe 
Stücke, zumal wenn sie mit Weißkraut gegessen wird; noch 
größer ist die Rückstandsmenge nach Genuß geräucherter, 
schlüpfriger und schwer zu beißender Gänsebrust. Wildvögel 
zeichnen sich zwar durch Fettarmuth aus, dagegen finden 
sich mikroskopisch reichliche Ueberreste vom Fleisch. 

Vom Kalbfleisch, um mich dem Fleische der Schlacht- 
thiere zuzuwenden, behauptet Wiel, daß es eine zartere 
Faser als Rindfleisch besitze und leichter verdaulich sei. Dies 
bezweifle ich; wenn auch seine Muskelfaser dünn ist, so enthält 
es dagegen reichlich und wasserreiches Bindegewebe, so daß es 
schon schwer zu kauen ist. Kalbfleisch behält man am längsten 
im Munde von allen Fleischarten, ehe der Bissen verschluckt 
wird. Gekochtes Kalbfleisch bietet dem Untersucher stets 
grauweiße Fetzen, die sich als mit Pflanzengefäßbündel ver¬ 
filzte Fleischreste entpuppen. Kalbsbraten hat eine feste Kruste, 
die als gezackte Musculatur abgeht. Die Weichtheile des 
Kalbes, die Zunge, das Herz, die Leber, die Lunge, die 
Nieren, das Gehirn und Briesel liefern ebenfalls fäcale Be- 
standtheile. Lungenhache rechne ich nicht zu den außer¬ 
ordentlich leicht zu verdauenden Speisen, da es Knorpel und 
elastische Fasern enthält. Bei Hirn und Briesel richtet sich 
der Rückstand nach der Zubereitung. Wird Hirn mit den 
Häuten in Schnitten gebacken, so finden sich stets Blättchen 
und Gefäßreste; werden aber Häute und Gefäße entfernt und 
wird das gekochte Hirn durch ein Sieb getrieben, dann trifft 
man nur kleinkörnige, fetthaltige Reste im Sediment. In 
letzterem Zustande genossen, ist es Magenkranken wohl be¬ 
kömmlich, obwohl Wiel behauptet, daß es denselben des 
Fettes wegen schlecht bekäme, und es ein gedankenloser 
Schlendrian sei, dasselbe so häufig den Reconvalescenten zu 
empfehlen. Wenn Politis bei Hunden 43% Trockensubstanz 
im Kothe erhält, so liegt die Schuld an der zu großen, auf 
einmal zugeführten Menge. Zwar enthält das Gehirn, soweit 
die chemische Analyse bisher Schlüsse zuläßt, viel Eiweiß 
und Leimbildner, darunter Protagon, Nuklein, Neurokeratin 
und Bindegewebe mit 69% Wasser, aber Fettsäuren nur in 
der weißen Hirnmasse und Neutralfette im Bindegewebe 
zwischen den Nervenröhren. Briesel als Suppenfleisch enthält 
viel Bindegewebe mit Blutgefäßen, die sich bis in die kleinsten 
Läppchen fortsetzen und zähe, faserige Reste liefern; wird es 
vom Bindegewebe befreit, in feine Stückchen geschnitten und 


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nach dem Kochen durchs Sieb gerührt, dann fehlen grobe 
Re3te. 

Rind- und Schweinefleisch wird am häufigsten gegessen, 
roh, gekocht und gebraten. Wenn Stützer und Popoff sagen, 
daß rohes Fleisch am schnellsten verdaut wird, so behaupte 
ich, daß gekochtes besser verdaut wird; die makro- und mikro¬ 
skopischen Residuen sind geringer in letzterem Falle. Wird 
gewürztes Filet mit Weißbrot verzehrt, so fand ich keine 
groben Fetzen, schon aber bei gleichzeitigem Genuß von 
Schwarzbrot. Durchweg besitzt Rindfleisch viel Binde- und 
Fettgewebe, gewöhnlich wird Gemüse gleichzeitig verzehrt, 
mit deren Residuen vereinigt von Schleim umhüllte. braun- 
rothe Fetzen abgehen. Gar häufig fand ich nach dem Ver¬ 
zehren gewiegten Fleisches Knochenstückchen mit scharfen 
Schnittflächen, deren Inneres wie angenagt aussieht. Knorpel, 
Sehnenreste und Gefäßstümpfe bilden den gewöhnlichen Neben¬ 
befund. Zur Wurst werden die minderwerthigen Fleischsorten 
verwendet; verzehren wir sie roh oder im gebratenen Zu¬ 
stande , so gelangen zugleich meist rohe Schalenreste eben¬ 
falls in den Darmcanal, die unverdaut abgehen. Fettes Schweine¬ 
fleisch bringt stets grobe Rückstände wieder zum Vorschein. 
Der derb geräucherte Rand des rohen Schinkens fehlt nie, 
zäher, fetter Schinken zeigt noch seine rothe Farbe in den 
Abgängen. 2 ) Gekochter Schinken verhält sich günstiger als 
roher. Nach Genuß von Sülze werden Knorpelstücke unver¬ 
ändert ausgeleert. Blutwurst besteht aus Fett, Blutkruor und 
Zunge, von allen finden sich Reste wieder. 

Hammelfleisch ist zwar fettreich, enthält sogar bis zu 
20% Fette bei gemästeten Thieren; indessen werden die 
Muskelbündel nicht so stark von Bindegewebe durchsetzt 
und die Fettmaschen werden nicht so grob wie bei dem 
Schweinefleisch. Im Allgemeinen wird es gut verdaut, nur 
der kalte-' Braten', dessen Fett zu Talg erstarrt und nicht in 
der Körperwärme* schmilzt, steht in der Verdaulichkeit zurück. 
Je mehr Schnittbohnen dazu verzehrt werden, desto mehr 
häufen sich die Ueberbleibsel. Im Großen und Ganzen darf 
man den warmen Hammelbraten nicht dem Kalb- oder Rind¬ 
fleisch nachstellen. 

Ueber Pferdefleisch, dessen Consum mit dem Verbote des 
Papstes Gregor III. nachließ, fehlen mir Versuchskenntnisse. 
Fleischrückstände sind an der gelben Farbe des Fettes zu 
erkennen. 

Hinsichtlich der Verdaulichkeit des Wildfleisches, mag 
es sich um Hirsch, Reh oder Hase handeln, nähert sich meine 
Ansicht der herrschenden. Das Fleisch enthält dünne Fascien, 
wenig Fett, mehr nur längs des Verlaufes der großen Ge¬ 
fäße. Die Muskelfaser ist zwar fest, doch nicht derb. Das 
Spicken mit Fett lockert das Gefüge. Nur kleinste Par¬ 
tikelchen gehen mit fort, dagegen fehlen vom Speck, der 
zum Spicken dient, nie die eingeschrumpften Flocken. Schrot¬ 
körner und Haare finden sich stets trotz gründlichen Wässerns 
des Fleisches. 

Der Fisch besitzt wasserreiches Fleisch, das aber leicht 
verdaulich ist; niemals sah ich grobe Rückstände weder nach 
Hecht noch nach dem fetten Aal. Nur kaltes Fleisch, in 
Form von Cotelett gegessen, kommt in groben Resten theil- 
weise wieder zum Vorschein. Die Fischhaut geht in leder¬ 
artigen Fetzen ab, wenn sie mitgegessen war; bei dem Aal 
findet man die gelbe geräucherte Innenhaut reichlich mit 
Fetttropfen besetzt. Nach Atwater ist Fischfleisch so ver¬ 
daulich wie Rindfleisch, ich halte Fisch fleisch für 
leichter verdaulich, auch wenn die mikroskopischen 
Befunde reichlicher ausfallen. Nach Popoff soll die Umwand¬ 
lung in Pepton langsamer erfolgen. Schuppen, Gräten und 
Wirbelknöchelchen sind stets in den Fäces vorhanden. Die 
Schuppen der einzelnen Fische sind so charakteristisch, daß 
man die entsprechende Fischart noch daraus diagnosticiren 


2 ) Schmidt bestätigt lediglich mit seiner Nichtempfehlung des rohen 
Fleisches hei Darmstörnngen meine Beobachtung. 


kann. Oel als Zusatz zu Sardinen erschwert die Digestion 
durchaus nicht, auch hinterläßt der fettreiche Aal nicht mehr 
Residuen als die Forelle. 

Ueber die genießbaren Krusten- und Musehelthiere läßt, 
sich nichts Besonderes berichten, bei Krebs und Hummer lassen 
sich keine groben Fleischreste auffinden, nur verschluckte 
Krustenreste und Haare. Die Auster ohne Bart hinterläßt 
kleine kalkharte Gebilde, die zum Aufbau der harten Muschel 
dienen. 

Der mikroskopische Zerfall aller Muskelthiere erfolgt in 
wechselnder Weise. Nach Stutzer soll zunächst bei dem 
Kochen eine Längsspaltung und bei der Verdauung eine 
Querspaltung der Muskelfibrille eintreten. Szydlowski unter¬ 
scheidet vier Stadien des Zerfalles; zunächst soll die Quer-, 
dann die Längsstreifung schwinden, dann trete gleichzeitig 
Körnung auf und zuletzt bleibt eine Scholle übrig: ich fand 
alle Stadien zu gleicher Zeit in den Präparaten, bald schwindet 
die Längs-, bald die Querstreifung u. s. w. und mehr. Körnung 
findet sich bereits mit dem Schwinden der Streifung und 
darauf hat man bald eine gelbe, an den Rändern eingerissene 
und abgestumpfte stucturlose Masse vor sich. Fischreste 
nehmen weniger Gallenfarbstoff auf. Bei dem Fisch- und 
Wild fleische finden sich die reichsten, mikro¬ 
skopisch wahrnehmbaren Fibrillenreste, aber 
geringsten makroskopisch wahrnehmbaren Ueberbleibsel. 

Von den Eiern ist zu sagen, daß Caviar oder Fischeier 
keine Spuren hinterlassen. Hühnereier liefern außer Schalen und 
Eihautresten eine mikroskopisch wahrnehmbare grauweiß- 
fettige Masse; ob sie roh oder weich gekocht waren, machte 
keinen Unterschied. Spiegelei hat stets harte Krusten mit 
schwarzen angebrannten Punkten. 

Nach Milch, wenn sie in größerer Menge getrunken wird, 
geht der bekannte fette, caseinhaltige Stuhl ab, der, wie früher 
erwähnt wurde, zur Abgrenzung öfter benutzt wird. Die Rück¬ 
stände bestehen aus Caseinklumpen und Fett in Tropfenform 
und Nadeln. Käse verhält sich wie Casein der Milch; die 
harte Kruste getrockneter Käse geht unverändert ab. Ist der 
Roquefortkäse mit verschimmeltem Brot verrieben, welches 
ihm den eigenen Geschmack verleiht, dann trifft man Schalen¬ 
reste des Roggensamens wieder. Kümmel als Geschmacks- 
zusatz, Staniol als Enveloppe der feineren Sorten und Stroh¬ 
reste von den Trockenhürden der Landkäse werden regel¬ 
mäßig aufgefunden. 

Die Cerealien, insbesondere Roggen und Weizen — 
weniger gehe ich auf Hafer und Gerste, Mais, Buchweizen 
und Hirse ein — liefern in dem Mehl, den verschiedenen 
Grützarten und den Graupen die Surrogate zum Brot und 
bekannten anderen Gebäcken, Speisen, Suppen und Suppen¬ 
einlagen. Kein Tag vergeht, daß nicht von ihnen genossen 
wird; selbst der mit Schleimsuppen genährte Patient entleert 
im Stuhle Frucht- und Samenschalenreste, da bei dem Mahl- 
processe die Absonderung der Kleie von dem Endosperm nie 
vollständig gelingt, und alle Gebäcke vom Weiß- bis Schwarz¬ 
brot geringere oder größere Massen enthalten. Schwarzbrot, 
noch mehr Grahambrot und Pumpernikel enthalten reichlich 
Ueberreste; der eigenthümliche Geschmack, der den groben 
Brotsorten eigen ist, rührt von Kleber her. Regelmäßig mehrt 
sich nach Mahlzeiten mit solchem Brot die Fäcesmenge, so 
daß sie auf das Zwei- bis Dreifache anwächst, zugleich wird 
der Stuhl feucht, gäbrt und ist weniger fest. Die derbe Brot¬ 
rinde, welche bei dem Backen entsteht, hebt sich als erweichte 
Bröckelchen von bräunlicher Farbe in den fäcalen Ausschei¬ 
dungen ab und zeigt deutlich noch die Haare des Scheitels 
der Roggen- und Weizenfruchtschale. Daß der Kleber voll¬ 
ständig unverdaulich sei, wie es gewöhnlich heißt, muß ich 
bezweifeln; ich fand viele Zellen, deren Zellwand zum Theil 
oder ganz entfernt war, in Zerfall begriffen. Conitantinidi 
hat ebenfalls die Resorptionsfähigkeit im Kleber-Weizenbrot 
erwiesen. Es muß die derbe Zellwand eröffnet sein, was 
allerdings bei der Schlüpfrigkeit des Klebers während des 

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Mahlprocesses schwer gelingt. Der Kinderdarm leistet hiebei 
mehr als der des Erwachsenen. Die Epidermis der Hafer¬ 
schale ist an der ganzen Oberfläche behaart. Gerste wird an 
der Spelze mit ihren geschlängelten Zellwänden und den 
halbmondförmigen Steinzellen erkannt. Graupen und Reis 
hinterlassen spärliche Fragmente; kalter Reis, wie er als 
Apfelreis verzehrt wird, hinterläßt sogar halbe Bruchstücke. 
Gelegentlich fand ich nach Maizenasuppe noch eine Anzahl 
wenig gequollener Stärkekörner neben Fleisch- und Pflanzen¬ 
resten. 

Leguminosen gehen meist in ganzen Exemplaren ab, wenn 
sie in größerer Menge verzehrt werden. Sie sind zu klein, 
um genügend bei dem Kauen zerkleinert zu werden. Auch 
das Püree von Linsen und Bohnen bringt noch Cotyledonar- 
reste, Endospermzellen und Schalenbruchstücke. Palissaden 
und Hypodermzellen treten in Gruppen oder vereinzelt auf. 
Bei Gemischen von Cerealienmehl mit Leguminosenmehl läßt 
sich die Zugehörigkeit der einzelnen Fragmente noch in den 
Fäces erkennen, da die Bohnen in den Stützzellen charakte¬ 
ristische Oxalatkrystalle enthalten und die Zellwände der 
Getreideschalen in Längsrichtung getüpfelt sind. 

(Schluß folgt.) 


Referate. 

Riedel (Jena): Wie oft fehlt die typische Dämpfung 
in der rechten Fossa iliaca bei Appendicitis ? 

Wer das reiche, unendlich wechselvolle Bild der Appendicitis 
nicht kennt, wird immer diagnostische Fehler machen. Es sollte 
immer wieder auf deu atypischen Verlauf dieser Affection hinge¬ 
wiesen werden, auf jene zahlreichen Fälle, die ohne Bildung des 
typischen Exsudates, oft unter ileusartigen Erscheinungen einlier- 
gehen, ohne daß ein mechanisches Ilinderniß besteht („Berl. klin. 
Wschr.“, 1902, Nr. 31). Ein gesunder Appendix wird wohl niemals 
Ausgangspunkt einer Krankheit, die wir als acute Appendicitis 
bezeichnen; nur wenn ein spitzer Fremdkörper in den Appendix 
eintritt und ihn rasch perforirt, können Erscheinungen sich ent¬ 
wickeln, die etwas Aehnlichkeit haben mit denjenigen, die entstehen, 
wenn ein ganz unverwachsener, chronisch kranker Wurmfortsatz 
acut unter der Wucht der entzündlichen Attaque perforirt; für 
gewöhnlich wird der Appendix vorbereitet auf die entzündliche 
Attaque durch eigene Leistung. Zwei Veränderungen sind es, die 
den Ausschlag geben: Im meist ganz gesunden Appendix entwickelt 
sich ein Kotlistein und arrodirt ihn an circumscripter Stelle; 
selten tritt er im chronisch kranken Appendix, häufiger im tuber- 
culösen auf. Der Appendix erkrankt ein anderesmal schleichend 
an zunehmender Bindegewebswucherung zwischen den tubulären 
Drüsen. Letztere werden mehr und mehr auseinander gedrängt 
und zerstört, bis sie schließlich nur noch in wenigen Exemplaren 
oder auch gar nicht mehr existiren. Eine einfache Schicht von 
niedrigen Cylinderzelleri überzieht dann das unterliegende Binde¬ 
gewebe, das mehr und mehr den Charakter weicher Granulationen 
annimmt. Endlich gehen auch die Cylinderepithelien verloren, der 
Appendix ist nur noch von Granulationen ausgekleidet, die sich 
weiterhin erhalten oder auch vollständig zusammenfließend die 
Obliteration des Wurmfortsatzes bedingen können. Weil diese 
„Appendicitis granulosa“ oft an circumscripter Stelle besonders 
intensiv auftritt, führt sie schleichend und symptomlos zur Bildung 
von Stricturen und umschriebenen Obliterationen des Appendix 
(Stenosen). Umgekehrt führt unter meist stürmischen Symptomen 
der Kothsteiu zur Bildung von Stricturen und Stenosen; der 
Kotbstein wird durch heftige distalwärts von demselben einsetzende 
entzündliche Attaquen ins Cöcum geworfen; „nach vollkommen 
erfolgreichem Anfalle“ entwickelt sich die ringförmige Narbe am 
früheren Standorte des Steines. 

Krümmungen und Schlängelungen, resp. Abknickungen des 
Appendix sind zum größten Theile durch die eben beschriebenen 
Veränderungen bedingt, zum Theil auch durch Adhäsionen, ent¬ 


standen um den bereits erkrankten Wurmfortsatz. Zu diesen im 
Inneren des Fortsatzes sich abspielenden Vorgängen gesellt sich 
nun als Leistung seines serösen Ueberzuges und desjenigen der 
benachbarten Organe (Bauchwand, Netz, Darm) ebenfalls schleichend 
und symptomlos die eben erwähnte Adhäsion. Die Prognose des 
acuten Anfalles von Appendicitis hängt in erster Linie davon ab, 
ob der chronisch kranke Wurmfortsatz von demselben in Adhäsionen 
eingehüllt war oder nicht. 

Der Ausgangspunkt der Attaque dürfte nach R. zumeist in 
einer Blutung zwischen die stets vorhandenen Granulationen gelegen 
sein. Sind keine alten Adhäsionen vorhanden, dann fehlt ein 
Infiltrat. Schlägt sich der Appendix vor dem Cöcum zur Leber 
hinauf und perforirt au dem vorderen Rande, dann entsteht hoch 
oben ein Tumor. 

Liegt der Appendix lateral, so haben wir bald Infiltrat 
oberhalb der Spina nach hinten hin, der Kranke wird empfindlich 
oberhalb des hinteren Beckenrandes, er krümmt sich nach der 
rechten Seite hin, zeigt also gleiche Erscheinungen wie der Kranke 
mit Appendix hinter dem Cöcum (extraperitoneal). Nicht selten 
entwickelt sich vor der Niere eine nierenartige Geschwulst, wenn 
das distale Ende des Processus noch weiter nach oben rückt und 
dort perforirt. Erreicht sein distales Ende die Concavität der 
Leber, den Raum zwischen vorderem oder hinterem Lappen, so 
entwickelt sich der Absceß tief hinter dem Rippenbogen. Senkt 
sich die Spitze des Appendix noch weiter nach hinten, dort, wo 
die hintere Masse der Leber der rechten Niere aufliegt, so hat 
der Kranke Aussicht auf subphrenischen Absceß mit nachfolgender 
Pleuritis dextra; letztere leitet ausnahmsweise die ganze Scene 
ein, wenn Patient von seiner Appendicitis überhaupt nichts merkt, 
was auch vorkommt. Alle diese Kranken mit lateralwärts gelagertem, 
gut in Adhäsionen eingeschlossenem Appendix haben ebenso wenig 
als die mit retrocöcal liegendem deutliche Erscheinungen von Seiten 
des Bauches; letzterer treibt sich anfangs wenig oder gar nicht 
auf, Erbrechen ist selten oder fehlt ganz, der Puls bleibt langsam 
und voll, wenn auch die Temperatur erhöht ist. Erst wenn der 
Absceß unter hohe Spannung geräth und retroperitoneal sich aus¬ 
dehnt oder auch der Mittellinie sich nähernd retroperitoneal ins 
Duodenum perforirt, tritt hohes Fieber auf mit kleinem raschen 
Pulse. Nicht selten sind Perforationen nach vorne in die freie 
Bauchhöhle, weil das Netz im lateralen Theile des Bauches fehlt, 
dort also nicht die gleichen schützenden Eigenschaften entwickeln 
kann, wie bei Lage der Appendix vor und nach unten vom 
Cöcum, wo das Netz als der eigentliche Lebensretter wirkt. Eine 
Dämpfung durch Exsudat kann nun nicht entstehen beim Appendix, 
der nicht in Adhäsionen eingehüllt ist, sie kann nicht nachweisbar 
sein, wenn der Appendix, weit von der Fossa iliaca entfernt, 
perforirt, sie verschwindet wieder, wenn Luft in den Absceß 
eintritt. B. 

L. Loewenfeld (München): Ueber Narcolepsie. 

Als Narcolepsie bezeichnet man eine nervöse Affection, welche 
bisher nur in 2 Fällen rein beobachtet worden ist — zuerst 1880 
von Geline au, welcher den Symptomencomplex bei einem 38jähr. 
Mann beobachtet und als selbständiges Krankheitsbild aufgestellt 
hat, und sodann in einem Falle, welchen Verf. selbst beobachtet 
hat („Münch, med. Wschr.“, 1902, Nr. 25). Derselbe betraf einen 
17jähr. jungen Mann. Die Symptomatologie beschränkte sich in 
beiden Fällen in der Hauptsache auf zwei Gruppen von Störungen : 
Bei Tage auftretende Schlafzustände von kurzer Dauer und Hemmung 
der motorischen, speciell der locomotorischen Functionen vor¬ 
wiegend , wenn nicht ausschließlich durch gewisse gemüthliche 
Erregungen. Die Kranken schliefen bei Tage im Sitzen wie im 
Gehen, bei jeder Beschäftigung, auch während der Mahlzeiten ein. 
Die einzelnen Schlafanfälle währten in der Regel nicht läDger 
als mehrere Minuten und es gelang dabei immer sehr leicht, 
durch Anrufen, Rütteln und ähnliche Proceduren den Patienten 
zu erwecken. Gemüthliche Erregungen führten nicht zum Eintritt 
von Schlafzuständen, sondern nur zu Muskelerschlaffung. Neben 
den Hemmungszuständen, die mit Schwäche und Einknicken der 
Beine einhergingen, kamen auch andere Zustände vor, in denen 


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es sich um eine vorübergehende Unfähigkeit zur Stellungsver¬ 
änderung, d. h. eine Art allgemeiner kataleptischer Starre des 
Körpers handelte. Dabei bestand Unfähigkeit zu schreien, und 
das Gesicht behielt den Ausdruck des Lachens. Verf. ist der 
Ansicht, daß die Schlafanfälle auf Uebererregbarkeit des vaso¬ 
motorischen Schlafcentrums beruhen, während als Sitz des Hem¬ 
mungsvorganges, durch welchen die Muskelerschlaffung bei emotio¬ 
nellen Vorgängen in den beiden Fällen herbeigeführt wurde, die 
subcorticalen, insbesondere die spinalen motorischen Ccntren ange¬ 
nommen werden müssen. Therapeutisch erwies sich hypnotische 
Suggestion erfolgreich. N. 


E. Wormser (Basel): Zur klinischen Bedeutung der Retro- 
flexio uteri mobilia. 

Verf. faßt seine Ausführungen („Münch, med. Wschr.“, 1902, 
Nr. 27) in folgenden Schlußsätzen zusammen: 

Die uncomplicirte, mobile Retroflexion macht bei absolut 
gesunden Frauen in der Mehrzahl der Fälle keine Beschwerden, 
braucht deshalb auch keinerlei Behandlung, außer etwa im Falle 
von Gravidität. Die Beschwerden, über welche von Frauen mit mobiler 
Retroflexion geklagt wird, haben in der Überwiegenden Mehrheit 
der Fälle zweierlei Ursachen : entweder rühren sie von Complicationen 
her, die oft nicht leicht nachweisbar sind, oder sie bilden den 
Ausdruck einer mehr weniger deutlich ausgeprägten Störung des 
Nervensystems. In beiden Fällen ist die Retroflexio als solche an 
den Symptomen unschuldig. Die Behandlung hat demnach ihr 
Hauptaugenmerk auf Heilung der Complieation, resp. der Nervosität 
zu richten; erst wenn diese Therapie fehlschlagen sollte, ist der 
Versuch einer Lagecorrectur zu unternehmen. • N. 

Lengemann (Breslau): Ueber eine operative Heilung von 
Gastritis phlegmonosa diffusa. 

Während die bis nun mitgetheilten Fälle von Gastritis phleg¬ 
monosa diffusa wegen der consecutiven Peritonitis alle tödtlich 
verliefen, theilt Verf. einen Fall, der auf der Klinik von v. Mikulicz 
operirt wurde und günstig verlief, mit („Mitth. a. d. Grenzgeb. d. 
Med. u. Chir.“, Bd. 9, H. 4 u. 5). 

Es handelte sich um eine 18jähr. Pat., welche peritonitische 
Erscheinungen darbot und bei der die Diagnose auf perforirtes Ulcus 
ventriculi gestellt wurde. Bei der Laparotomie fand sich eine diffuse, 
pralle Infiltration der vorderen Magenwand mit fibrinösen Auflage¬ 
rungen : in der Bauchhöhle trüb-seröse Flüssigkeit; kein perfo- 
rirendes Ulcus. Nachdem die Flüssigkeit ausgetupft und die Bauch¬ 
höhle mit warmer Kochsalzlösung ausgewaschen worden , bedeckte 
Mikulicz die vordere, infiltrirte Magenwand mit einem Tampon 
aus Jodoformgaze, führte 3 sterile Tampons in die Bauchhöhle ein 
und legte einen feuchtwarmen Umschlag auf die Magengegend. Pat. 
überstand die Operation gut. Die Temperatur sank am 4. Tage, 
was als Zeichen des Stillstandes der Entzündnug an diesem Tage 
vom Verf. aufgefaßt wird. Seit der Operation trat kein Erbrechen 
mehr ein. Vollständige Heilung. Erdheim. 

Trautenroth (Bochum): Ueber die Pylorusstenose der 
Säuglinge. 

Der vom Verf. beobachtete und dann operirte Fall beweist 
zur Genüge, daß bei Kindern eine angeborene, wirkliche, organische 
Pylorusstenose Vorkommen kann und daß ein operativer Eingriff 
die einzige Therapie, die Aussicht auf Erfolg hat, darstellt. 

Es handelte sich um einen Säugling, der sofort in den ersten 
Tagen nach dem Säugen Unruhe zeigte und lautes Schlucken hatte; 
am 10. Tage trat zum erstenmal Erbrechen auf und seitdem hörte 
dasselbe nicht mehr auf. Außerdem bemerkte die Mutter einige 
Tage später eine Geschwulst unter dem linken Rippenbogen, die 
sich nach abwärts und aufwärts bewegte. Die Geschwulst trat dann 
mehrmals im Tage auf und verschwand immer, nachdem das Kind 
erbrochen hatte. Stuhl war retardirt. Urinmenge sehr gering. Das 
Kind nahm an Körpergewicht bedeutend ab (2 1 /., Pfund), so daß 


eine Operation nothwendig wurde, um das Kind vom Hungertode 
zu retten. 

Bei der nun vom Verf. am 39. Lebenstage vorgenommenen 
Operation fand sich ein hühnereigroßer Tumor in der Pylorus- 
gegend, welcher trotz der Narkose nicht verschwand. Nach Er¬ 
öffnung des Magens konnte constatirt werden, daß der Pylorus für 
eine 3 Mm. dicke Sonde nicht durchgängig war, weshalb sofort 
eine Gastroenterostomia antecolica anterior nach Wölfler ausge¬ 
führt wurde. Trotz des hochgradigen Collapses erholte sich das 
Kind bald; Darreichung der Brust 3 Stunden nach der Operation, 
die erste Stuhlentleerung erfolgte am Tage nach der Operation. 
Das Kind erbrach nicht mehr und entwickelte sich dann normal. 

Auf Grund dieses glücklich verlaufenen Falles tritt Verf. für 
die chirurgische Behandlung als die einzige wirksame Therapie 
in Fällen von organischer Pylorusstenose bei Säuglingen ein 
(„Mitth. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir.“, Bd. 59, H.4 u. 5). Außer 
diesen Fällen gibt es aber noch Fälle von reiner, spastischer 
Stenose, bei welcher man mit der internen Therapie gewöhnlich 
auskommt, die freilich große Geduld und Ausdauer erfordert. Doch 
bietet die functioneile Natur des Leidens an sich keine Contraindi- 
cation gegen operatives Vorgehen, das umso eher in Frage kommt, 
als nach dem gegenwärtigen Stande unseres Wissens eine sichere 
Differentialdiagnose zwischen organischer und spastischer Stenose 
nicht immer möglich sein wird. 

Während aber für den Spasmus pylori die Pylorusplastik 
oder Divulsion des Pylorus genügen dürfte, kommt für die orga¬ 
nische Stenose die Gastroenterostomie als die einzige zuverlässige 
und allgemein anwendbare Operationsmethode in Betracht. 

Erdheim. 

L.Leven (Elberfeld): Wann können wir die Gonorrhoe 
als geheilt ansehen? 

W. Scholtz (Breslau): Bemerkung zu vorstehender Arbeit. 

So typisch der Gonokokkenbefund bei der acuten Gonorrhoe 
ist, so schwer ist die Entscheidung, ob nach Behandlung einer 
acuten oder chronischen Gonorrhoe die Heilung wirklich erzielt 
ist oder nicht. Im eventuell vorhandenen Secrete oder in den Fäden 
findet man nach der Darstellung Leveu’s („Arch. f. Derm. u.Syph.“, 
Bd. 55) 1. reine Epitheldesquamation mit und ohne Anwesenheit 
von Bakterien; 2. Leukocyten mit und ohne Anwesenheit von Bak¬ 
terien ; 3. Epithel und Leukocyten mit und ohne Anwesenheit von 
Bakterien. Zur Beurtheilung dieser Befunde stehen als dem Gonococcus 
zugehörig zu Gebote: a) Entfärbung nach Gram; diese Methode 
läßt nach Ansicht des Autors hier im Stiche, weil sie kein den 
Gonococcus isolirt färbendes Verfahren darstellt; b) intracellulare 
Lagerung, ausschließlich innerhalb von Leukocyten; auch dieses 
Kriterium verwischt sich bei der großen Zahl der verschiedenen 
beigemischten Keime ; c) Züchtung und Reincultur sind beide noch 
zu umständlich und zeitraubend; es bleibt demnach d) bloß das 
Verhalten zum Epithel der in Betracht kommenden Organe; in 
dieser Beziehung lehrt der Verlauf des Trippers, daß bei der 
frischen Infection mit Gonokokken starke Eiterung (massenhafte 
Auswanderung von Leukocyten) eintritt; nach kurzer Behandlung 
nimmt die Eiterung ab, die Gonokokken werden spärlicher oder 
schwinden ganz (treten aber beim Aussetzen der Behandlung in 
diesem Stadium wieder auf), Epithelzellen zeigen sich; in dem 
Maße, als die Leukocytenmenge abnimmt, nimmt die Epitheldesqua¬ 
mation zu, so daß in einzelnen Fällen die reine Epitheldesquama¬ 
tion, in anderen diese im Vereine mit geringen Eitermengen (Leu¬ 
kocyten) bestellen bleibt. Da die reine Epitheldesquamation auch 
bei Vorhandensein der verschiedensten Keime sich nie in eine eitrige 
Secretion umwandelt, so glaubt L. folgern zu können, daß das 
Auftreten bezw. die beharrliche Fortdauer der Eite¬ 
rung nur auf das Vorhandensein des (auch nicht 
mehr nachzuweisenden) Gonococcus zurückzuführen 
sei. Aus dies hypothetischen Annahme resultirt dann eine Strenge 
der Forderungen bezüglich des Eheconsenses, die von anderen 
Autoren nicht verlangt wird. 

W. Scholtz aus der Schule Neisser’s, der mit der Mehrzahl 
der Syphilidologeu den Eheconsens nur von der durch wiederholte 

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Wiener Medizinische Presse. 


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Untersuchung (mikroskopisch und culturell) auf verschiedene Rei¬ 
zungen hin constatirten Abwesenheit des Gonoeoceus abhängig 
macht, hebt hervor, daß auch Leukocyten enthaltende Urinfilainente 
zum allergrößten Theile nicht mehr auf Gonokokken zuriickzuführen 
sind , da ihre Träger sich in der Ehe zum allergrößten Theile 
als nicht mehr infectiös erweisen (bloß 10% im Maximum beruhen 
auf Gonokokken). Die reine Epitheldesquamation mit reichlichem 
Bakteriengehalt, die übrigens keinen häufigen Befund bildet, beweise 
eben nur, daß die Schleimhaut sich annähernd wie in der Norm ver¬ 
halte. Die GRAM’sche Färbung sei zuverlässig und brauchbar, da sich 
die Untersuchung störende Bakterien beseitigen lassen, wenn man 
1—2 Tage vor der Untersuchung desinlicirende Lösungen zur In- 
jection verwendet. Schließlich sei auf die chemische und mechanische 
Provocation großes Gewicht zu legen. Deutsch. 


L. Leven (Elberfeld): Weitere Bemerkungen zur Frage 
der Gonorrhoeheilung. 

Zur weiteren Stütze der in der eben referirten Arbeit nieder¬ 
gelegten Anschauung, daß das Vorhandensein von Leuko¬ 
cyten bei der chronischen Gonorrhoe das Nochvorhanden¬ 
sein von Gonokokken erweise, beruft sich der Autor („Arch. 
f. Derm. u. Syph.“, Bd. 59) auf die Ausführungen Wossidlo’s in 
Bezug auf die Anschauungen über chronische Gonorrhoe und 
Eheconsens. Das Nichtauffinden von Gonokokken im Secrete oder 
in den Filamenten beweise die Abwesenheit derselben nicht mit 
voller Sicherheit, und es könnten bei tief sitzenden Veränderungen 
die Filamente dauernd frei von Gonokokken sein und es käme, 
wenn man auf den Fadenbefund hin den Eheconsens ertheile, zu 
schweren Infeetionen in der Ehe, da sich bei sogenannter asep¬ 
tischer chronischer Urethritis plötzlich nach Dilatationen wieder 
Gonokokken zeigen. Auch Finger betone, daß der negative, bakte¬ 
riologische Befund zum Eheconsens nicht genüge, solange Eiter¬ 
körperchen die beredten Zeugen noch bestehender 
Entzündung seien. Im weiteren gelangt der Autor nochmals 
zur ausführlichen Begründung der Annahme, daß es nicht das 
reiche Bakteriengemisch sein könne, welches die Eiterung erzeuge, 
resp. unterhalte, und kommt wie früher zu dem Schlüsse, daß in 
uncomplicirten Fällen das Auftreten von Leukocyten höchstwahr¬ 
scheinlich an das Vorhandensein von Gonokokken geknüpft sei. 

Deutsch. 

Brouha (Liege): Sur les proprietäs du serum des 
cancereuz au point de vue des anticorps des 
levures. 

Wenn die Annahme der Autoren, daß das Carcinom durch 
liefen (Blastomyceten) erzeugt wird, richtig ist, so müßten nach 
dem heutigen Stande der Wissenschaft im Blute Carcinomatöser 
Antikörper, Agglutinine und sensibilisirende Substanzen (Ehrlich’s 
Zwischenkörper oder Immunkörper, Copula, Präparator etc.) ent¬ 
halten sein. Malvoz hat nun gezeigt, daß dies bezüglich der 
Agglutinine nicht der Fall ist. Verf. fand bei seinen Untersuchungen 
(„Centralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde und Infections- 
krankheiten“, Bd. 30, FL 25), daß das Serum Carcinomatöser keinen 
Zwischenkörper für Hefen enthält. Den Einwand, daß zu den Ver¬ 
suchen nicht jene Hefe verwendet wurde, die in dem betreffenden 
Falle Erreger der Geschwulst war, widerlegt Verf. In diesen Er¬ 
gebnissen erblickt Verfasser mit Recht ein schwerwiegendes Moment 
gegen die Annahme einer ätiologischen Bedeutung der Hefen für 
das Carcinom lind schließt, daß dieselbe auf Grund dieser Befunde 
ebenso wie auf Grund der in jüngster Zeit bekannt gewordenen 
histologischen Untersuchungen immer unwahrscheinlicher werde. 

Dr. S—. 

Kleine Mittheilungen. 

— Die Kartoffelcur des Diabetes mellitus empfiehlt Müsse 
(„Bullet, de l’acad. de med.“, 1901, Nr. 41). Er gibt 500 — 3000 Grm., 
im Durchschnitt 1000—1500, oder 2%—3mal so viel, als Brot 
für den betreffenden Fall erlaubt wäre. Der Vortheil dieser Diät 
erhellt aus den chemischen Bestandteilen der Kartoffel gegenüber 


dem Brot, nämlich Wasser 73% (Brot 36*5), Eiweiß 2*8 (Brot 7), 
Fett 0 2 (0*2), Kohlehydrate 23*2 (55*3), Salze 0*8% (1*0); in der 
angegebenen Dosis erhält der Diabetiker also 6mal so viel Wasser 
und beinahe 3mal so viel Salze in Gestalt der Kartoffeln, als er 
im Brote gehabt hätte. Diese Salze sind meist Kalisalze, und da 
diese im Organismus zu Kaliumcarbonaten umgesetzt werden, so 
bietet die Kartoffel eine Art natürlicher Alkalitherapie. Natron ist nach 
sonstigen Erfahrungen weniger wirksam. Verf. hat 20 Diabetiker 
dem Kartoffelregime unterworfen und hat nur einen Mißerfolg 
erlebt. Bei allen übrigen, außer dem einen, stellte sich rasche 
subjective Besserung ein, in staunenerregender Weise verminderte 
sich der Durst und die Zuckerausscheidung, selbst bis zum Schwinden 
des Zuckers, Die Krankengeschichten illustriren die erhebliche 
Besserung. In einem Falle verminderte sich auch der bestehende 
Eiweißgehalt des Urins. Merkwürdigerweise wurde auch die Wund- 
hciluug bei einigen chirurgischen Diabe.tesfällen in deutlicher und 
ungeahnter Weise begünstigt. Von der Behandlung mit Bierhefe 
oder mit Pankreas hat Verf. nie Erfolge gesehen. Die durch 
Kartoffeldiät gebesserten Pat. wurden auch durch eine Cur in 
Vichy günstig beeinflußt; der eine refraetäre Fall stieg dagegen 
in Vichy auf den doppelten Zuckergehalt. Die Kartoffeldiät wirkt 
nach alledem, wenn auch nicht ausnahmslos, so doch in der Regel 
günstig auf den Diabetiker. 

— Ueber Quaglio’s künstliche kohlensaure Bäder zur 
Selbstbereitung liegen zahlreiche Publicationen überaus namhafter 
Autoren (v. Pettenkofer, v. Wixckel, Schott, Eulenburg) vor, 
die sämmtlich für die Vortrefflichkeit und Bequemlichkeit dieser 
Methode der Kohlensäureapplication im Bade sprechen. Man bereitet 
das künstliche kohlensaure Bad auf chemischem Wege, aus doppelt¬ 
kohlensaurem Natron und Salzsäure; in dem Badewasser ist 
schließlich so viel Kohlensäure absorbirt, als das Wasser bei der 
gegebenen Temperatur und dem herrschenden Luftdruck absorbiren 
kann, jedenfalls mehr, als wenn man freie gasförmige Kohlensäure 
einleitete. Die Salzsäure ist so verdünnt, daß an eine Verätzung 
durch dieselbe überhaupt nicht zu denken ist. Der Hauptvortheil 
der künstlichen Bäder liegt darin, daß sie bequem und rationell 
zu Hause gebraucht werden können, was für einen schwer Herz¬ 
kranken oftmals einen nicht zu unterschätzenden Factor darstellt, 
da ihm die Gefahren und Unannehmlichkeit der Reise erspart 
bleiben und er auf das wichtige therapeutische Agens nicht ver¬ 
zichten muß. Die Badewanne, gleichviel ob sie aus Holz, Blech, 
Zink oder Slein besteht, wird von den QuAGLio’schen Bädern nicht 
angegriffen. Das QuAGLio’sche Bad ist anfangs alkalisch, wodurch 
zunächst die Haut des Badenden entfettet wird, so daß die Kohlen¬ 
säure energisch einzuwirken vermag. Die Kohlensäure entwickelt 
sich succes6ive im ganzen Badewasser, entweicht also nicht durch 
Aufbrausen an die Luft (diese verschlechternd), sondern wird vom 
Badewasser absorbirt. Bei diesen kohlensauren Bädern kann der 
Badende die Kohlensäure auf jeden bestimmten kranken Körper- 
tbo.il besonders intensiv einwirken lassen, indem er das Ausflu߬ 
röhrchen des beliebig dirigirbaren Gummihebers gegen die be¬ 
treffende Stelle hält und so eine äußerst wirksame Gasmassage 
ausübt. Zu einer rationellen Cur sind in der Regel 24—30 Bäder 
(alle 2-3 Tage ein Bad) nöthig. Da die natürlichen kohlensauren 
Thermen außer der Kohlensäure noch verschiedene mineralische 
Bestandthcile enthalten, welche die Wirkung der Kohlensäuro 
wesentlich unterstützen, werden auch Quaglio’s kohlensaure Bäder 
in Verbindung mit den medicinisch wichtigsten Substanzen her¬ 
gestellt, und zwar unterscheidet man: 1. Quaglio’s kohlensaure 
Normalbäder bei Neuralgien (Ischias), Rheumatismus, Gicht, bei 
Serophulose, Frauenleiden und bei Krankheiten des Herzens. 

2. Quaglio’s kohlensaure Eisensalz- (sog. Stahl-) Bäder bei Anämie, 
Basedow 'scher Krankheit und Leiden der weiblichen Sexualorgane. 

3. Quaglio’s kohlensaure Schwefelbäder bei Lues und Neuralgien. 

4. Quaglio’s kohlensaure Jodbäder bei Lucs und Serophulose; 
ferner werden verordnet: 5. Quaglio’s kohlensaure Fichtennadel- 
extraetbäder. 6. Quaglio’s kohlensaure Tanninbäder und 7. Quaglio’s 
kohlensaure Mutterlaugenbäder. 

— Die Massage der Leber erörtern Gilbert und Zere- 
boullet („Centralbl. f. inn. Med.“, 1902, Nr. 19). Sie besprechen 


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zunächst die Technik. Natürlich erfordert die Massage der Leber 
und der Gallenwege ein schonendes, zartes Vorgehen. Die directe 
Lebermassage vermag auf die Lebercirculation, auf das Herz und 
die allgemeine Circulation einzuwirken. Verff. haben nun diese 
Verhältnisse bei verschiedenen Leberaffectionen studirt und auf 
Grund der Resultate die Indicationen und Contraindicationen auf¬ 
gestellt. Gute Erfolge erzielt man in allen Fällen, in welchen der 
Portalkreislauf behindert ist. Man kann sie demnach anwenden 
bei passiven Lebercongestiouen, abhängig von Herzleiden, bei 
venösen Cirrhosen mit oder ohne Ascites, bei biliären und selbst 
pigmentären Cirrhosen. Man wird einen bemerkenswerthen Rück¬ 
gang aller Erscheinungen erwarten können. Gallensteinerkrankung, 
gewisse Fälle von katarrhalischem Icterus scheinen bisweilen 
günstig für die directe Lebermassage. Sie erleichtert den Abfluß 
der Galle, verringert die Symptome und begünstigt die Heilung. 
Hiezu kommt noch die einfache Cholämie, in Fällen, welche von 
Leberhypertrophie begleitet sind. In gewissen Krankheiten, bei 
denen man eine functionelle Leberstörung voraussetzen kann, und 
besonders beim Diabetes ist die directe Lebermassage oft indicirt. 
Vielleicht anwendbar ist sie auch bei Gicht. Contraindicationen 
sind unbedingt: Leberecbinococcus, Leberabsceß, Leberkrebs, Fett- 
cirrhose u. A. Hier kann sie direct gefährlich werden (Asystolie, 
Gastrointestinalblutungen etc.). 

— Das Bromipin ist nach Baucke eine chemische Verbindung 
des Broms mit dem durch seine leichte Verdaulichkeit bekannten 
Sesamöl, in der sich Brom an die Fettsäure des Oeles additioneil 
angelagert hat. Die Verbindung ist haltbar und erinnert bezüglich 
ihres Geruches und Geschmackes in keiner Weise an Brom. Sie 
kommt in zwei Formen in den Handel, als 10°/ 0 iges und als 
33»/,%ige8 Bromipin. Ersteres stellt eine hellgelbe, ein wenig dicke, 
ölige Flüssigkeit dar von l - 008 spec. Gewicht bei 20° C. Das 
hochpercentige Präparat ist ein zähes, dickes Oel von hellbrauner 
Farbe, von einem spec. Gewicht von 1*311 bei 20° C. Wegen 
seiner Consistenz läßt es sich nicht gut einnehmen, man verordnet 
es daher in Kapseln ä 2 Grm. oder applicirt es per rectum 
(„Psych.-neurol. Wsclir.“, IV, Nr. 5). Der therapeutische Effect 
des Bromipins beruht zum großen Theil darauf, daß ein sehr 
erheblicher Procentsatz des in ihm enthaltenen Broms mit abge¬ 
lagert und erst an der Ablagerungsstätte durch Oxydation, sowie 
durch Einwirkung des alkalischen Blutes und der alkalischen 
Gewebssäfte nach und nach abgespalten wird. Ein weiterer Vorzug 
besteht darin, daß es den Verdauungstractus selbst bei lange fort¬ 
gesetztem Gebrauch nicht belästigt. Von allen Autoren wird hervor- 
gehoben, daß bei Darreichung von Bromipin die hartnäckigen 
Erscheinungen von Seiten der Haut in Gestalt von Akneknoten 
und Pusteln fast gänzlich fehlen. Bromipin wird vorzugsweise bei 
der Behandlung der Epilepsie angewendet. Bromipin ist ferner zu 
empfehlen bei nervösen Beschwerden der verschiedensten Nerven¬ 
krankheiten und der Neurasthenie. 

— Zur Erzielung localer Blutleere empfiehlt Felix Bock 
(„Ther. Monatsh.“, Mai 1902) für kleinere Operationen (Naht, 
Entfernung von Fremdkörpern, Incision von Panaritien etc.), sich 
der kleinen Gummiringe zu bedienen, wie sie bei den Flaschen¬ 
verschlüssen der Seltersflaschen gebraucht werden, und zwar nicht 
die mit einem centralen Loch versehenen, meist für Bierflaschen¬ 
verschlüsse benützten Gummischeiben, sondern die etwa 4 Mm. 
dicken Gummiringe, deren äußerer Durchmesser circa 1 1 / 2 Cm. 
und deren Lichtung circa 7 Mm. beträgt. Dieselben können mit 
Leichtigkeit von der Fingerspitze aus über den Finger bis zur 
Basis rollend gestreift werden. Ueber eine entzündete oder ver¬ 
letzte Stelle wird der Ring durch Abheben des Gummis hinüber¬ 
geführt. Durch das Herüberstreifen des Ringes über den Finger 
wird das Blut vollkommen aus dem Finger verdrängt; nachdem 
der Ring angelegt ist, ist jeder Blutzufluß zum Finger unmöglich. 
Nach Beendigung der Operation wird man den Ring, bei der 
Billigkeit des Materials, einfach mit der Scheere zerschneiden. Bei 
durch Entzündung stark verdickten Fingern, wie zuweilen bei 
Periostitis, ist der Gummiring nicht anwendbar. 


Literarische Anzeigen. 


Lehrbuch der Kinderheilkunde für Acrztc und Studirende 
von Dr. Bernhard Bendix, Privatdocent an der Universität 
Berlin. Dritte, vermehrte und verbesserte Auflage. Berlin und 
Wien 1902, Urban & Schwarzenberg. 

Drei Jahre nach Erscheinen der BENDix’schen Bearbeitung 
des alten UffELM.- vNNschen Handbuches der Kinderheilkunde ist 
bereits eine Neuauflage des Buches nothwendig geworden, die als 
„dritte Auflage“ des BENDix’schen Lehrbuches vorliegt. Die bei 
Besprechung der letzten Auflage her/orgehobenen Vorzüge des 
Buches sind dieselben geblieben, eine fließende Diction und die 
auf reichen Erfahrungen basirende Sicherheit in der Behandlung 
des Stoffes, die Stellungnahme bei strittigen Fragen, die dem 
Rathbedürftigen eine Directive geben soll, ohne controverse An¬ 
sichten zu übergehen, all das gibt dem Lehrbucho den Charakter 
eines guten, empfehlenswerthen Buches. 

Für eine sicherlich bald nöthig erscheinende vierte Auflage 
würde sich eine Umordnung des Stoffes insoferne empfehlen, als aus¬ 
gesprochen infectiöse Organerkrankungen, wie Diphtherie der Nase, 
der Vulva, Laryngitis crouposa, Keuchhusten, besser im Abschnitte : 
Infectionskrankheiten als unter den entsprechenden Organerkran¬ 
kungen besprochen würden. Das allzu conservative Festhalten an 
den Dentitionskrankheiten, denen auch für die Entstehung der 
Eklampsie und der Convulsionen zuviel in die Schuhe geschoben 
wird, wurde schon bei Besprechung der letzten Auflage bemerkt. 
Daran hat der Autor nichts geändert. 

Das BENDix’sche Lehrbuch, dem der Verlag eine vorzügliche 
Ausstattung angedeihen ließ, wird sicherlich mit seiner Neuauflage 
die bereits erworbenen Sympathien noch mehren. Neurath. 


Handbuch der Therapie innerer Krankheiten in sieben 
Bänden. Herausgegeben von Prof. Dr. F. PenZOldt und Prof. 
Dr. R. Stintzing. Dritte umgearbeitete Auflage: Jena 1902, 
Gustav Fischer. 

Die Regel, daß gute Bücher nicht veralten, hat ihre Aus¬ 
nahmen wie jede Regel. Ein therapeutisches Werk muß heutzutage 
desto rascher veralten und umgearbeitet werden, je besser, d. h. 
je actueller es ist, und je mehr es dem Stande der Therapie in 
der Zeit seines Erscheinens Rechnung trägt. Weil die Therapie 
sich in unseren Tagen rasch und mächtig entwickelt, bleibt ein 
nicht revidirtes, einschlägiges Werk bald weit zurück, es veraltet. 
Dieser Thatsache haben die Herausgeber des bereits weitbekannten 
und verbreiteten „Handbuchs der Therapie innerer Krankheiten“ 
Rechnung getragen und tbatkräftig unterstützt von ihren Mitarbeitern 
die dritte Auflage ihres großen Werkes in Angriff genommen. Die 
beiden ersten Bände liegen uns bereits vor. Sie umfassen : I. Band. 
„Die Behandlung der Infectionskrankheiten“. A. Gärtner : „Ver¬ 
hütung der Uebertragung und Verbreitung ansteckender Krank¬ 
heiten“, H. Büchner: „Schutzimpfung und andere individuelle 
Schutzmaßregeln“, v. Ziemssen : „Allgemeine Behandlung der In¬ 
fectionskrankheiten“, Vierordt : „Behandlung der Masern, des 
Scharlachs, der Gesichts- und Kopfrose“, L. Pfeiffer : „Behand¬ 
lung und Prophylaxe der Blattern“, F. Ganghofer : „Behandlung 
der acuten Infectionskrankheiten mit vorwiegender Betheiligung 
der oberen Luft- und Speisewege“, Th. Rumpf und Kartulis: 
„Behandlung der acuten Infectionskrankheiten mit vorwiegender 
Betheiligung des Darms“, H. v. Ziemssen, Gebhardt und Gumprecht: 
„Behandlung der acuten Infectionskrankheiten mit vorwiegender 
Allgeraeininfection“, Ed. Maragliano: „Behandlung der Malaria¬ 
krankheiten“, H. P. Lie : „Behandlung der Lepra“, C. Garr£ : 
„Behandlung von Milzbrand, Rotz , Aphthenseuche und Aktinomy- 
kose“, V. Babes: „Behandlung der Wuthkrankheit beim Menschen“, 
G. Merkel: „Behandlung der Trichinenkrankheit“, K. Bürkner : 
„Behandlung der bei Infectionskrankheiten vorkommenden Ohr- 
affectionen“, 0. Eversbusch : „Behandlung der bei Infectionskrank¬ 
heiten vorkommenden Augenkrankheiten“. II. Band: E. Pfeiffer 
und Frh. v. Mering : „Behandlung der Stoffwechselkrankheiten“, 


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M. Mendelsohn , C. Schönbobn und M. Litten : „Behandlung der 
Erkrankungen des Blutes und der blutbereitenden Organe“, Ledder- 
hose : „Chirurgische Behandlung der Milz“, Biedert und v. Angerer : 
„Behandlung der Erkrankungen des Lymphsystems“, Bürkner und 
Everbusch: „Behandlung der bei Stoffwechsel-, Blut- und Lymph- 
krankheiten vorkommenden Ohr-und Augenerkrankungen“, C. Binz: 
„Allgemeine Behandlung der Vergiftungen“, E. Schuchardt : „Be¬ 
handlung der Vergiftungen mit Brom und Jod, Stickstoffoxyd, 
Ammoniak und Arsen“, W. Mayer: „Vergiftungen mit Laugen und 
ätzenden Salzen“, Gumprecht, Moeli und Heinz: „Vergiftung 
durch künstliche Kohlenstoffverbindungen“, Erlenmeyer: „Be¬ 
handlung des chronischen Morphinismus und Cocainismus“, TüCZEK : 
„Behandlung des Ergotismus, der Pellagra und des Lathyrismus“, 
R. Heinz : „Behandlung der Vergiftung durch Schlangengift und 
durch verdorbene Nahrungsmittel“, Everbusch : „Behandlung der 
bei Vergiftungen vorkommenden Augenkrankheiten“. 


Feuilleton. 

Pariser Brief. 

(Orig.-Corresp. der „Wiener Med. Presse“.) 

IV. 

Ich will einmal unentgeltlich Reclame machen, aber nur im 
Auslande; in Frankreich besorgt das Dr. Garnault schon selber. 
Ich will Ihnen nämlich vom Impfexperimente Dr. Garnault’s be¬ 
richten, das hier in Paris einige Zeit das große Publicum einiger¬ 
maßen interes8irt hat. Unser College, der sich bisher mit einer 
Specialitftt' -beschäftigt hat und seinerzeit, wenn auch vergeblich, 
den Versuch gemacht hat, die-Massagetherapie des Dr. Bbaun in die 
Rhinologie einzuführen, hat seit der letzten Publication Prof. Koch’s, 
auf dem Tuberculosecongreß in London nicht mehr Ruhe und 
Rast gehabt, und sich wahrscheinlich von der Vorsehung auserlesen 
geglaubt, diese für das Menschengeschlecht gefährliche Theorie von 
der Differenz der Rinder- und Menscheutuberculose in die Flucht 
zu schlagen. Kaum hatte er den Originalbericht Koch’s gelesen, 
kaum hatte er Zeit gehabt, einen befreundeten Journalisten zu 
avisiren, als er auch schon den Zug nach Berlin nahm und da¬ 
selbst dem Prof. Koch vorschlug, an ihm eine Impfung mit Rinder- 
tuberculose vorzunehmen, um so, wie soll ich sagen, durch das 
Menschenexperiment die Richtigkeit seiner Theorie nachzuweisen. 
Selbstverständlich, wie man es dem Todesmuthigen noch auf dem 
Pariser Bahnhofe hätte versichern können, refusirte Koch das An¬ 
erbieten. Garnault war aber in seinem Eifer nicht mehr aufzu¬ 
halten. Nach Paris zurüekgekehrt, impfte er sich selber. Alle Zeitungen 
brachten Interviews und Photographien, nur packte die Impfung 
nicht. Nach 6 Wochen neue Impfung, nur diesmal tiefer. Diesmal 
neben Interviews und Photographien auch eine große, überall an¬ 
gekündigte Vorlesung Garnault’s mit Demonstrationen. In einem 
Saale, der mehrere tausend Hörer faßt, wie es scheint, ein 
spärlich gesäetes Publicum, eine kurze Notiz in den Zeitungen und 
jetzt nur noch mein verhallender Bericht. Und wenn nun Dr. Gar¬ 
nault wirklich tuberculös wird, was wird Koch machen ? Grau¬ 
sames Räthsel. — 

Die schöne Zeit bringt Reiseideen, die großartigste kam aber 
dem Dr. Carriere vor 4 Jahren, als er die Idee hatte, die Aerzte- 
reisen in die Curorte auszuarbeiten. Dr. Carriere sagte sich, daß 
es in Frankreich viele Curorte gäbe, die den Aerzten unbekannt 
wären, daß auf diese Weise dem Lande, den Aerzten und den 
Patienten ein Dienst zu erweisen wäre, wenn man die Aufmerk¬ 
samkeit der Praktiker auf die großen Vortheile, die eine richtig 
eingeleitete Badecur bietet, lenken konnte. Die Eisenbahnen, die 
Hotels hatten bei diesem Arrangement ebenfalls ihre Vortheile und 
so arrangirte Dr. Cassoe de la Carriere im Verein mit Professor 
Landouzy vor 4 Jahren die erste Badereise zu äußerst billigen 
Bedingungen für Aerzte, die einen solchen Erfolg hatte, daß seither 
jährlich eine neue Reise in eine andere Gegend Frankreichs 
stattfand. 


Alle Vorzüge der früheren Auflagen: streng sachgemäße 
Einteilung, Uebersichtlichkeit, Instructivität, vorzügliche Darstel¬ 
lungsweise durch bewährte Fachleute, ausreichende Literaturan gaben, 
kurz jede Vollkommenheit eines umfassenden Sammelwerkes kenn¬ 
zeichnen auch die dritte Auflage dieses über alles Lob erhabenen 
Handbuches. Wir behalten uns die Besprechung der weiteren 
Bände vor. Br. 

Neue Untersuchungen über die Seekrankheit. Von 
Dr. Franz Weitlaner. Wien 1902. 

Die Seekrankheit ist nach Verf.’s Ansicht ein Trauma, „hervor¬ 
gehoben durch wiederholte Druckdifferenzen der flüssigen und 
weichen Elemente im Körper gegenüber den festeren“, und zwar 
sind es die Verticalschwankungen des Schiffes, die als Ursache 
angesehen werden, für deren Messung Verf. einen Apparat angibt. 

L. Hofbauer (Wien). 


Die Quellen und Curorte sind so gelegen, daß sie gruppen¬ 
weise besichtigt werden können, und so war es möglich in ver- 
hältnißmäßig kurzer Zeit den so überaus reichen Quellenschatz 
Frankreichs kennen zu lernen. Bei einer Reise wurde das Becken 
von Vichy und dessen Umgebung studirt, bei einer anderen Reise 
die weltbekannten Heilorte der Pyrenäen, bei einer dritten wurden 
der Thermalschätze der Alpen demonstrirt, und heuer gilt die Reise 
den Jahrhunderte alten Quellen der Vogesen (Vittel-Plombieres etc.). 
In einer kurzen Vorlesung ad hoc, in einer in loco stattfindenden 
Demonstration werden die Indicationen und Eigenthümlichkeiten 
der betreffenden Mineralquellen und Heileinrichtungen besprochen. 
Selbstverständlich sorgt die Gemeinde für den besten Empfang, die 
Hoteliers für das beste Unterkommen und das Comit6 für die mög¬ 
lichste Beschränkung der Spesen. Für durchschnittlich Frcs. 300 
kann man sich durch 15 Tage eine Ferienreise gönnen, die wie 
keine andere das utile cum dulci verbindet. 

Wenn auch, wie gesagt, -der •• didaktische wissenschaftliche 
Zweck der oberste ist, so ist ein sozusagen nationalökonomischer 
Hintergedanke nicht zu verkennen. Der französische Arzt war bisher 
über die Schätze, die er in seinem Vaterlande finden konnte, eigent¬ 
lich sehr schlecht orientirt. Aus Routine, oder weil er es nicht 
besser wußte, sandte er seine Clienten im Sommer in die aus¬ 
ländischen Curorte (Baden-Baden , Wiesbaden, Karlsbad, Hom¬ 
burg, Spa). Die französische hydrologische Gesellschaft sah sich 
mit Recht genöthigt, sich gegen diesen Usus zu erheben und 
nach Thunlichkeit Abhilfe zu schaffen. Es ist ihr das Lob nicht 
abzusprechen, sich energisch bemüht zu haben und in kurzer Zeit 
die Aufmerksamkeit der Praktiker auf einen Punkt gelenkt zu 
haben, der ihnen bisher entgangen war. Ich fürchte, daß in Zu¬ 
kunft Bourbon den Bädern in Nauheim so energisch Concurrenz 
machen wird, wie Vichy unserem Karlsbad. Die reichere anämische 
Clientei wird statt nach Spa eher nach dem Mont-D’ or oder nach 
Brides und Forges dirigirt werden. 

Ist aus diesem Beispiele für die österreichisch-ungarischen 
Unterthanen nicht auch etwas zu lernen. Weshalb wird man in 
den Wiener Kliniken nicht darauf aufmerksam gemacht, daß in 
der Monarchie klimatotherapeutisch-hydrologisch alles vereint ist, 
was der Praktiker für seine Patienten braucht. Aber wer denkt 
daran, diese Schätze auszubeuten; wo findet sich irgend eine ärzt¬ 
liche Unternehmung, die Küste der Adria zur Heilung der Tuber¬ 
culose auszubeuten ? Professor Albert konnte leicht dem unglück¬ 
lichen Rigorosanten rathen: Werden’s Badearzt! in seinen Vor¬ 
lesungen übersah er es, die Orte anzugeben, wohin die anderen, 
die Eliterigorosanten, in Zukunft die Patienten zu schicken hatten. 
Ab uno disce omnes. 

Und wenn ich schon beim Reisecapitel bin, so will ich es 
ganz erschöpfen und Ihnen Mittheilung machen, daß Dr. Jayle 
ebenfalls das Princip, in angenehmer, billiger und nützlicher Weise 
zu reisen, benützt, um seine Universitätsreisen zu organisiren. Im 
vorigen Jahre wurden einige französische, belgische und deutsche 
Universitäten (Lüttich, Bonn, Heidelberg, Nancy) besucht, wo 
überall die Kliniken, Laboratorien, Museen unter Leitung der be¬ 
treffenden Vorstände den Excursionisten gezeigt wurden. Heuer 


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findet die zweite Reise im September statt, and umfaßt der Ausflug 
die italienischen Universitätsstädte (Genua, Florenz, Pisa, Rom, 
Turin). Der Vortheil dieser Reisen ist, da die Fremden an Aus- 
flüglern ein ziemliches Contingent stellen, der, daß die engen poli¬ 
tischen Vorurtheile abgestreift und die Idee einer allgemeinen 
wissenschaftlichen Zusammengehörigkeit sich praktisch manifestirt. 
Es ist das aber namentlich ein Vortheil für den französischen Arzt, 
der im engen politischen Nationalismus intolerant zu werden droht. 

Die Ernennung der Primarii und Docenten hat seit einiger 
Zeit zu Kritiken Anlaß gegeben, die mehr gegen den Modus, näm¬ 
lich den Concurs, als gegen die Ernannten sich richtete. Wer in 
Frankreich ehrgeizig ist und in der Medicin zu Titeln und Stel¬ 
lungen gelangen will, muß sich darüber zeitig klar werden, sozu¬ 
sagen gleich bei der Inscription, denn die französische Einrichtung 
gibt ihm hiezu nur einen Weg, nämlich den des Concurses, und 
diese Coneurse beginnen schon an der Schwelle der medicinischen 
Studien. Man muß sich zunächst von dem Gros der Inscribirten 
separiren dadurch, daß man gleich im ersten oder zweiten Jahre 
trachtet, Externe des hopitaux zu werden und später aus der 
Reihe der Externen sich in die Elite der Studenten, in das Corps 
der Internen zu erheben. Wer diese beiden Coneurse nicht be¬ 
stehen kann, absolvirt seine Curse fern vom Professor, fern vom 
Kranken, vielleicht auch fern vom Spital. Sicherlich bleibt er auch 
fern von Titeln und Ehren. 

Wenn vielleicht gegen diese beiden Coneurse nichts Anderes 
einzuwenden ist, als daß die Hauptbedingungen zum glücklichen Be¬ 
stehen derselben Fleiß, gutes Gedächtniß und glänzende Dialektik 
sind, so kann man sich mit dieser Einrichtung zufrieden geben, 
theoretisch wenigstens, obgleich praktisch eine große Zahl von 
Berücksichtigungswerthen dabei geschädigt wird. Die Kritik aber 
richtet sich nun dagegen, daß das ganze weitere Fortkommen des 
Arztes vom Coneurse abhängt. Und immer wieder führen die drei 
guten Eigenschaften, Fleiß, Gedächtniß, Suada zum Ziele, das heißt 
zür Steifung dör Pflttdrit,' "öffentlichen Aerator, Professoren. Wo 
bleibt hiebei die Beurtheilung des persönlichen Wertkes der Garn 
didaten? Wie erkennt man, was seine Originalität taugt? — 
Eine Auslesungsweise, die gut ist für Schüler, ist sie es auch für 
Lehrer ? 

Dabei wird die Concurrenz immer schwerer, die Vorbereitung 
immer länger. Im ständigen Lernen des schon Gelernten verliert 
die Elite der medicinischen Profession die beste Zeit zum eigenen 
Schaffen, und wenn die Kämpfer am Ziele sind, dann ist die kräftigste 
Arbeitszeit nutzlos für den Fortbau der Wissenschaft verloren 
gegangen. 

Wenn noch bei solchen Concursen auch das oberste Princip 
der Gerechtigkeit walten würde ! Aber leider, trotz aller Einrichtungen, 
die Beeinflussung der Concurs Commission zu verhindern, wird der 
auffallendste Favorhismus geübt, und so hat man bei zwei Concursen 
hintereinander leider sehen können, daß einzelne Richter, durch die 
schamlosen Praktiken outrirt, ihre Demission als Commissäre ge¬ 
geben haben. 

So also ist der scheinbar beste Weg — vielleicht der 
schlechteste. Wodurch den bestehenden Modus ersetzen? Zwei Mög¬ 
lichkeiten sind offen: Entweder den Concurs zu ändern und ihn 
den modernen Anforderungen anzupassen, oder ihn abzuschaffen 
und durch die bei uns geübte, ich möchte sagen, freie Auslese 
zu ersetzen. Ich glaube, der republikanische Geist empört sich gegen 
diese Idee. Pa. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

20. CoDgreß für innere Medicin. 

Gehalten zu Wiesbaden 15.—18. April 1902. 

(Collectiv-Ber. der r Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) 

X. 

Steyrer (Graz): Ueber osmotische Analyse des Harns. 

Vortr. berichtet über Gefrierpunktsbestimmungen im Harn in 
Thierversuchen und Beobachtungen am Menschen, sowohl Nieren¬ 
kranken wie Kranken mit Ureterfistel oder nur einem Ureter, und 


theilt die Details der Veränderungen der molecularen Concentration 
des Harns mit, die danach eintreten. Die physikalischeUntersuchungs- 
methode hat den Vortheil, daß sie die chemische Analyse des 
Harns in solchen Fällen überflüssig macht. 

Scholz (Graz): Zur Lehre vom Cretinismus. 

Vortr. berichtet über ungünstige Erfolge bei der Behand¬ 
lung des kindlichen Cretinismus mit Schilddrüsenpräparaten. Ein 
Längenwachsthum der Knochen trat nicht ein , Vergiftungserschei¬ 
nungen waren nicht zu beobachten, aber große körperliche Hin¬ 
fälligkeit und Zunahme der geistigen Apathie, Abmagerung, die, 
wie Stoffwechselversuche ergaben, auf Fetteinschmelzung beruht. 
Durch diesen Mißerfolg der Therapie kann also nicht mehr ange¬ 
nommen werden, daß die Athyreosis die Ursache des Cretinismus 
sei. Diese Beobachtungen sind das Gegenstück zu den günstigen 
der Schilddrüsentherapie bei Myxödem, sowohl dem jugendlichen 
wie dem der Erwachsenen, die Sch. aus eigenen Erfahrungen be¬ 
stätigen kann. 

Blum (Frankfurt a. M.) betont die Uebereinstimmnng dieser Beobach¬ 
tung am Menschen mit den Thierversuchen, in denen die Athyreosis auch 
durch Schilddrüse nicht beeinflußt werden kann. Bei Myxödem ist sie offen¬ 
bar nur deshalb wirksam, weil die krankhaften Ablagerungen eingeschmolzen 
werden. 

Naunjn (Straßburg) betont, daß die Mißerfolge der Schilddrüsentherapie 
beim endemischen Cretinismus im Gegensatz zu der günstigen Beeinflussung 
des sporadischen stehen. Ein dreijähriges Mädchen seiner Beobachtung ist aus 
einer Cretin zu einem gut entwickelten, wohlgewachsenen Kinde geworden, es 
nimmt seit 10 Jahren ununterbrochen Schilddrüsen, weil mit Aussetzen der¬ 
selben sofort wieder bedenkliche Erscheinungen auftreten. 

Kraus (Graz) hat bei Myxödem dieselben günstigen Erfolge wie überall, 
dagegen sehr schlechte Erfolge bei Cretinismus. 

Franz Müller (Godesberg): Morphinismus und dessen Behand¬ 
lung. 

Vortr. empfiehlt neben einem psycho therapeutischen Verfahren, 
das jeden Zwang vermeidet und dcftTKranken zur allmäligen Ent¬ 
sagung zu bewegen sucht,' eine medicamentöse Behandlung mit 
einem Thee, dessen wichtigste Bestandteile Coffein, Cocain, Chinin 
und Digitalis sind. 

Goebel (Bielefeld): Serumtherapie des Morbus Basedowii. 

Unabhängig von Lanz und Möbius ist Vortr. dahin gelangt, 
Milch und Serum von schilddrüsenlosen Hammeln und Ziegen zu 
verweuden. Fünf Monate nach der Thyreodectomie, der keine 
Cachexie folgte, wurde die Milch der Ziege entnommen. Eine Kranke 
trank die Milch 7 Monate lang, später auch Serum von dieser Ziege. 
Die subjectiven Beschwerden sind dadurch immer mehr zurück- 
getreten, als schon nach der Milch allein. Die Vergrößerung des 
Herzens ist geringer geworden, die Pulsfrequenz gesunken. 

Bluiuenthal (Berlin) bestätigt die Erfolge dieser Therapie, die bereits 
früher von ihm, gemeinsam mit Borckhaiidt publicirt worden ist. 

Blum (Frankfurt a. M.) erinnert an seine Arbeiten auf diesem Gebiete. 
Es gibt eine Immunität, sowohl gegen das freie wie gegen das gebundene 
Gift der Schilddrüse. Wenn das Thyreotoxalbumin nicht mehr zurückgehalten 
wird, so ist das der Ausdruck der Insufflcienz der Schilddrüse. Der einzig 
rationelle Weg der Therapie ist ein Serum gegen dieses Thyreotoxalbumin. 
Die bisherigen Erfolge, die berichtet wurden, sind nur Folgen der Milch¬ 
ernährung der Kranken unter Hintansetzung der Fleischnahrung. 

Paul Mayer (Karlsbad): Ueber das Verhalten der drei stereo 
isomeren Mannosen im Thierkörper. 

Experimentelle Untersuchungen über das Verhalten stereo iso¬ 
merer Kohlehydrate im Organismus sind bis jetzt nur mit Zucker 
der 5. Kolilestoffreihe ausgeführt worden. Von erheblich größerem 
Interesse muß ein Studium über den Einfluß der Confignration bei 
den Hexosen sein. Die vorliegenden Untersuchungen, welche mit 
den drei Mannosen ausgeführt wurden, haben ergeben, daß die 
spiegelbildisomeren Formen hinsichtlich ihrer Ausnützung im Thier¬ 
körper sich durchaus verschieden verhalten. Es wurde des weiteren 
der bemerkenswerthe Befand erhoben, daß ein Theil der Mannosen 
auf dem Wege durch den Organismus eine Umwandlung in Ginkose 
anführt, und daß die Größe dieser physiologischen Umwandlung 
von der Configuration abhängt. Endlich wurde festgestellt, daß 
alle drei Mannosen, auch die nicht gährnngsfähige linke Mannose, 
Glykogenbildner sind. Durch diese Thatsache ist die Anschauung, 
daß nur die gährungsfähigen Zucker der Glykogenbildung fähig 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 33. 


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sind, -endgiltig widerlegt. — Die Fähigkeit der Zucker, sich im 
Thierleib in einander umzulagern, wirft ein Licht auf manche 
bisher noch dunkle Punkte in der Lehre vom Zuckerumsatz, wie 
beispielsweise auf die gelegentliche Ausscheidung von Lävulose, 
sowie auf die Entstehung des Milchzuckers in der Brustdrüse. 

Clemm (Darmstadt): Die Bedeutung verschiedener Zucker im 
Haushalte des gesunden und kranken Körpers. 

Vortr. hat früher nachgewiesen, daß bei Speichelverdauung, 
wenn dieselbe bis zu drei Tagen einzuwirken vermag, nicht der 
Doppelzucker Maltose, sondern die ihn zusammensetzenden zwei 
Moleküle Dextrose das Endproduct der Diastasirung bilden. Weiterhin 
fand er, daß die Pankreasptyaline verschiedener Thierarten nicht 
nur hinsichtlich ihrer quantitativen, sondern auch hinsichtlich ihrer 
qualitativen, i. e. bezüglich der aus Stärke von ihnen gebildeten 
Zuckerarten, sich von einander unterscheiden. Endlich ergab sich, 
daß wahrscheinlich bakterielle Einwirkung aus Stärke statt der 
Glykose die Galaktose, den Aldehyd des Dulcits also statt jenes 
des Glucits, entstehen ließ. Da andere Untersucher aus verschiedenen 
Monosacchariden und ihren stereoisomeren Alkoholen durch Kar¬ 
toffeltriebe, Chlorophyllkörner und entstärkte Laubblätter die ge¬ 
wöhnliche Stärke sich bilden sahen, da bekanntermaßen aus Dextrose 
wie aus Lävulose das nur Harnzucker liefernde Glykogen entsteht, 
ist es nicht allzu befremdlich, wenn auch umgekehrt aus Stärke 
verschiedene Monosaccharide abspaltbar sind, je nach der Natur der 
auf sie einwirkenden Enzyme oder Fermente. Bei der gesteigerten 
Magendrüsenthätigkeit im Initialstadium der Tuberculose werden 
saftflußhemmende und säurebindende Zucker am Platze sein, bei 
vorgeschritteneren Fällen kommt nur noch die auf die bereits dar¬ 
niederliegende Drilsenthätigkeit des Magens wenig einwirkende 
Lävulose in Betracht. Bei Saftlosigkeit des Magens ist ferner zu 
beachten, daß Doppelzucker durch verlängerte Einwirkung des 
Speichelptyalins in ihre Moleküle einfacher Zucker im Magen zer¬ 
fallen könnten, wodurch, da in allen Fällen mindestens zur Hälfte 
Dextrose entstünde, deren nachtheilige Beeinflussung der Magen- 
thätigkeit alsdann wieder zu berücksichtigen wäre. 


Aus 

medicinischen Gesellschaften Deutschlands. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Medicinische Gesellschaft zu Magdeburg. 

Sendler : Ueber den Zeitpunkt der Operation bei Perityphlitis. 

Allgemein bindende, schematische Vorschriften lassen sich 
nicht geben. Die umstrittenste Controverse dreht sich um die 
eigentliche Frühoperation, d. h. um die Operation innerhalb der 
ersten 12 bis 24 Stunden, auch beim ersten Anfall, welche von 
einer Gruppe von Chirurgen gefordert wird, während die Mehr¬ 
zahl in Anbetracht der Thatsache, daß eine gewisse Zahl von Er¬ 
krankungen des Wurmfortsatzes nach dem ersten Anfall ausheilt, 
zunächst ein abwartendes Verfahren für zulässig hält, aber verlangt, 
daß der operative Eingriff von vorneherein ins Auge gefaßt wird, 
da jederzeit Verhältnisse eintreten können, welche denselben ver¬ 
langen. Unbedingt erheischt die sofortige Operation die vom Wurm¬ 
fortsätze ausgehende acute Perforationsperitonitis. Wie bei anderen 
Perforationsperitonitiden kommt man auch hier mit dem Eingriff 
häufig zu spät und der Kranke erliegt rasch der peritonealen 
Sepsis; seltener sind Erfolge zu erzielen. Zu operiren ist ferner 
bei jeder nachgewiesenen Eiterung, auch bei der ersten Attaque. 
Wenn möglich, soll der Eingriff vor Eintritt peritonitischer Rei¬ 
zung ausgeführt werden, sonst nach Ablauf derselben, da dann die 
Gefahr des Uebergreifens auf gesunde Theile der Bauchhöhle durch 
die Bildung von Verklebungen eine geringere wird. Solche Kranke 
sind aber auf das Genaueste zu beobachten. So lange das Allge¬ 
meinbefinden befriedigend, der Puls gut ist und die localen Er¬ 
scheinungen nicht zunehmen, mag abgewartet werden; treten aber 
bedrohliche Erscheinungen auf: erneutes Erbrechen, Anstieg der 
Temperatur, kleiner, beschleunigter Puls, verfallener Gesichtsaus¬ 
druck, dann ist sofort zu operiren. Im allgemeinen kommt es hier 


auf die Temperatur weniger an, als auf den Puls, ganz besonders 
ominös ist das Auftreten eines kleinen, raschen Pulses bei niedriger 
Körpertemperatur. Daß manche dieser Fälle auch ohne Operation 
die Gefahr iberstehen, beweist nichts gegen die Richtigkeit der 
Indication. Das Gesagte gilt nicht nur für die um den Wurmfort¬ 
satz localisirte Eiterung, sondern auch in gleichem Maße für 
die progrediente fibrinös-eitrige Peritonitis, den retroperitonealen 
Absceß und die retroperitoneale Phlegmone und den Beckenabsceß. 
Alle diese Fälle sind operativ zu behandeln, sobald die Diagnose 
gestellt ist. Controvers ist die Frage, ob bei acuter Eiterung jedesmal 
die Entfernung des Wurmfortsatzes erzwungen werden soll. Einer 
extremen Gruppe von Chirurgen steht auch hier eine große Zahl 
anderer gegenüber, welche der Meinung sind, daß bei den eitrigen 
Formen der Perityphlitis die Aufgabe zunächst darin besteht, dem 
Eiter einen Ausweg zu verschaffen und damit der Gefahr einer 
fortschreitenden Peritonitis zu steuern. Kann man den Appendix 
ohne zu große Schwierigkeiten erreichen, so soll man ihn natürlich 
entfernen, weil man auf diese Weise gründliche Arbeit macht; 
das wühlende Suchen nach ihm ist und bleibt aber höchst gefährlich 
und daher zu unterlassen. Die recidivirenden Formen der Peri¬ 
typhlitis stellen Scheiuheilungen dar und sind sämmtlich zu operiren, 
gleichgiltig, ob ein Exsudat zurückgeblieben ist oder nicht. Wenn 
möglich, ist die Operation in das freie Intervall zu verlegen, ge¬ 
macht muß sie werden, sobald nur ein einziger Rückfall einge- 
treteu ist, denn niemand kann vorher sagen, was der nächste 
Anfall bringt, und erst mit der Entfernung des Wurmfortsatzes 
ist der Kranke über die Gefahr gestellt. 


Physikalisch-medicinische Gesellschaft in Würzburg. 
Johannes Müller: Ueber den Umfang der Eiweißverdauung im 
menschlichen Magen unter normalen und pathologischen 
Verhältnissen. 

Müller hat im Verein mit L. Schröder und E. Heinrich 
eine Reihe von Beobachtungen unternommen. Es wurde als Probe - 
mählzeit Rindfleisch verwandt, das küchenmäßig gesotten und fein¬ 
gehackt iu einem Theil der zugehörigen Fleischbrühe vorgesetzt 
wurde. Nach einer Stunde Expression und Analyse des gewonnenen 
Mageninhalts, indem in einem aliquoten Theil desselben auf der 
Centrifuge das Gelöste von dem Ungelösten durch mehrfaches Aus¬ 
waschen sorgfältig getrennt und darauf von jedem Theil durch 
Stickstoffbestiramung der Eiweißgehalt ermittelt wurde. Die so ge¬ 
wonnene Verhältnißzahl gibt den Minimalwerth der stattgehabten 
Verdauung an, der in Wirklichkeit durch Resorption von Seiten 
der Magenwand und durch schnellere Abfuhr der gelösten Producte 
in den Darm sich höher beläuft. Bei Genuß von 100—200 Grm. 
Fleisch wurden auf diese Weise bei acht Gesunden nach einer 
Stunde 15—35°/ 0 , im Mittel 28°/ 0 des Eiweiß gelöst gefunden, 
welche Zahl die bei Thierversuchen constatirte übertrifft, so daß 
man in Uebereinstimmung mit den Resultaten der exacten Thier¬ 
versuche von Schmidt sowie Ellenberger und Hofmeister an¬ 
nehmen darf, daß die Lösung des Nahrungseiweißes normalerweise 
hauptsächlich durch den Magensaft bewirkt wird. Beachtenswerth 
ist, daß trotz der weitgehenden Proteolyse bei Gesunden nach 
einer Stunde nie freie HCl gefunden wurde; meist bestand sogar 
ein beträchtliches HCl-Deficit. 

Interessant war auch der Einfluß gleichzeitig genossener 
Stärke auf die Eiweißverdauung. Bei sonst gleicher Versuchsan¬ 
ordnung wurde regelmäßig eine größere Proteolyse festgestellt, wenn 
die Versuchspersonen zum Fleisch eine Reiszulage erhalten hatten. 
Im Mittel wurden jetzt 35% Fleisch nach einer Stunde gelöst 
gefunden. Augenscheinlich erklären sich diese Befunde nach den 
Angaben von Schiff und Pawlow durch die Absonderung eines 
wirksameren Magensecrets. Bei Kranken mit Superacidität und 
auch einfacher Supersecretion wurde die Eiweißverdauung enorm 
beschleunigt gefunden, am stärksten aber bei gleichzeitiger Pylorus¬ 
stenose. Ein solcher Kranker hatte nach einer Stunde 92% des 
Fleisches gelöst. Dagegen war die Proteolyse bei chronischer 
Gastritis mit Subacidität und Carcinoma ventriculi, wie zu erwarten, 
sehr niedrig. 


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Notizen. 


Wien, 16. Angust 1902. 

(Personalien.) Der a. o. Professor der pathologischen 
Anatomie in Wien Dr. Heinrich Albrecht ist zum Prosector am 
Willielminenspitale , zum Nachfolger Fournier’s an der Lehrkanzel 
für Dermatologie und Syphilis in Paris ist der Professor am Spitale 
St. Antoine Dr. Gaucher ernannt worden. 

(M i 1 i t ä r ä r z 11 i c h e 8.) Ob.-St.-A. I. CI. Dr. Wenzel Novak 
ist in den Ruhestand versetzt und ihm bei diesem Anlasse der 
Generalstabsarztes Charakter verliehen worden; Ob.-St-A. I. 01. 
Dr. Dominik Linardiö hat bei dem gleichen Anlasse den Franz 
Joseph-Orden erhalten; Ob.-St.-A. II. CI. Dr. Adolph Spiegel ist 
zum Militär-Sanitätscomite transferirt, Ob.-St.-A. II. CI. Dr. Paul 
Myrdacz zum Commandanten des Garnisonsspitales in Mostar, 
Ob.-St.-A. II. CI. Dr. Eugen Pokorny zum Commandanten des 
Garnisonsspitales in Ragusa ernannt worden. — Ob.-St.-A. I. CI. 
Dr. Marcus Rancin ist in den Ruhestand versetzt und ihm bei 
diesem Anlasse der Ausdruck der Allerhöchsten Zufriedenheit be¬ 
kannt gegeben worden. — Ob.-St.-A. II. CI. Dr. Anton Kirchner ist 
als derzeit untauglich auf ein Jahr beurlaubt, Stabsarzt Dr. Anton 
Barta zum Chefarzte der Cavallerie-Truppendivision in Krakau 
ernannt worden. 

((Forensisches.) Ueber einen Proceß, der sich vor Kurzem 
in London abgespielt hat und geeignet ist, zu beweisen, daß auch 
ärztliches Wohlthun oftmals schnöden Undank erntet, berichtet die 
„Deutsche med. Wschr.“: Ein Arzt hatte mehrere Jahre lang eine 
Krankenpflegerin umsonst behandelt; die Kranke, die offenbar 
hochgradig hysterisch war, beschuldigte ihn schließlich, er habe 
sie zur Morphinistin gemacht, verklagte ihn und verlangte eine 
hohe Entschädigungssumme, da sie infolge ihres durch die falsche 
Behandlung herbeigefübrten Mo:phinismus nicht mehr imstande 
sei, ihr Brot zu erwerben. Nachdem die Geschwornen zwei Tage 
lang die ganz haltlosen Beschuldigungen angehört hatten, unter¬ 
brachen sie den weiteren Fortgang der Verhandlungen, indem sie 
erklärten, was immer für Gründe noch angeführt werden könnten, 
könne ihre Ueberzeugung von der völligen Haltlosigkeit der An¬ 
klage und der Unschuld des Arztes nicht umstoßen. Der Arzt ver¬ 
ließ, wie der Richter sich ausdrückte, das Gerichtsgebäude völlig 
unbescholten und glänzend gerechtfertigt, aber, da die Klägerin 
mittellos ist, muß er selbst die Kosten tragen. Diese Kosten aber 
belaufen sich auf 15.000 Mark. Glücklicherweise bewährte sich 
die Hilfsbereitschaft der englischen Aerzte. Es hat sich sofort eine 
Commission gebildet, um die zur Bestreitung der Gerichtskosten 
nöthige Summe aufzubringen. 

(Acrztliches Berufsgeh eimniß.) Der „Allg. med. 
Centr.-Zfg. u entnehmen wir den Bericht über einen forensischen 
Fall, der sich kürzlich in Nürnberg ereignet hat. Er diene als 
Beleg dafür, wie in Deutschland im Gegensätze zu — anderwärts 
die Frage des ärztlichen Berufsgeheimnisses aufgefaßt wird. Eine 
Witwe, die ein Kind geboren hatte, zerstückelte dasselbe und ver¬ 
barg die Theile in einem Topfe unter dem Bett. Die Frau starb 
nach einiger Zeit unter Vergiftungserscheinungen. Der die plötzlich 
erkrankte Frau behandelnde Arzt soll die zerstückelte Kindesleiche 
bemerkt, seine Entdeckung aber t ersehwiegen haben, weil er sich 
andernfalls gegen § 300 des Strafgesetzbuches über den Schutz 
von Privatgeheimnissen vergangen haben würde. Die Staatsanwalt¬ 
schaft gab dem Arzte Recht und lehnte dessen Strafverfolgung ab. 

(Ein nordeuropäischer Naturforschercongreß) 
hat — wie uns gemeldet wird — in der 2. Juliwoche zu Helsing- 
fors in deutscher Sprache getagt. Derselbe zerfiel in 11 Sectionen: 
1. Mathematik und Astronomie, 2. Physik und Meteorologie, 
3. Chemie, 4. Geologie, 5. Geographie und Hydrographie, 6. Zo¬ 
ologie , 7. Botanik, 8. Anatomie, Physiologie und medicinische 
Chemie, 9. pathologische Anatomie und Bakteriologie, 10. Medicin 
und Chirurgie, 11. Odontologie. Von bemerkenswerthen Vorträgen 
dieses Congresses nennen wir: Leche (Stockholm) : „Neuere Strö¬ 
mungen auf dem Gebiete der Descendenzlehre u ; Knipowitsch 
(Petersburg): „Die physisch geographischen Verhältnisse im nörd¬ 


lichen Eismeer“; Thiele (Kopenhagen): „Die Principien der Be¬ 
obachtungslehre“; Johannsen (Christiania): „Die Sterblichkeit im 
ersten Lebensjahre“; Tigerstedt (Helsingfors): „Zur Psychologie 
der naturwissenschaftlichen Forschung“; Arrhenius (Stockholm): 
„Die kosmischen Consequenzen des MAXWELL’schen Strahlungs- 
druckes“ ; Sederholm (Helsingfors): „Die Entstehung des Ur 
gebirges“. 

(Ein internationaler Congreß für Irrenpflege) 
wird in der Zeit vom 1. bis 7. September d. J. zu Antwerpen 
stattfinden. Sein Programm umfaßt folgende Fragen : 1. Welche 
Grundlagen und welchen Werth hat die gegenwärtige häusliche 
Anstaltspflege der Irren in wissenschaftlicher, humanitärer und 
finanzieller Beziehung? 2. Welche Geisteskranken gehören in 
die häusliche Pflege und welche in Anstalten? 3. Auf welchen 
wissenschaftlichen und ökonomischen Grundlagen ist die Organi¬ 
sation der landwirtschaftlichen Irrencolonien und die der Anstalten 
aufzubauen? 4. Welche sind die Gründe, die zur Errichtung neuer 
Irrencolonien nöthigen, und wie führt man eine derartige Errich¬ 
tung durch? 

(Centralverein deutscher Zahnärzte.) Dieser Verein 
hielt am 4. und 5. August d. J. unter dem Vorsitze Miller’« 
(Berlin) seine diesjährige Jahresversammlung ab. Mit der Versamm¬ 
lung war eine odontologische Ausstellung im Festsaale der Aka 
demie der Wissenschaften verbunden. 

(InternationalePharmakopoe.) Am 15. September d. J. 
wird in Brüssel eine internationale Conferenz stattflnlen, welche die 
Schaffung einheitlicher Normen für stark wirkende Arzneimittel zu 
berathen hat. 

(Eine Ausstellung für hygienische Milch Ver¬ 
sorgung) wird vom 2.—10. Mai 1903 zu Hamburg unter Mit¬ 
wirkung des deutschen milchwirthschaftlichen Vereines stattfinden. 

(XIV. Intern, medicinisclicr Congreß zu Madrid.) 
Das vorläufige Programm des vom 23.—30. April 1903 stattftudenden Congrt-sses 
enthält u. a. folgende Vorträge und Referate: Positiver Werth anatomischer 
Messungen für die ethnische Bestimmung der Individuen. Sergi (Rom), Live 
(Rom), Manouvhier (Paris). — Structur der Nervenzelle. Golgi (Pavia), Fusabi 
(Turin), Holmgren (Stockholm). — Waldeyee (Berlin): Die Strnctur des 
Sperma. — PhysiologLcbe Wirkung des Saccharins. Ist dasselbe aus Nahrungs¬ 
mitteln und Getränken zu entfernen und lediglich als therapeutisches Mittel 
anzuwenden? Pcerta y Rodenas. — Experimentelle pankreat ische 
Glykosurie. Diaz del Villau, Albertoni (Bologna), Bottazzi (Florenz). — 
Parasitismus in den Neubildungen. Mahciiiafava (Rom). — Beziehungen zwischen 
der chemischen Zusammensetzung und der physiologischen Wirkung der Arznei¬ 
mittel. Nogukha, Brunton (London), Cerveuo (Palermo), Bardet und Roms 
(Paris). — Nutzen und Gefahren der Cocainisirung des Rückenmarks in der 
Medicin und Chirurgie. Pi y Su.ner (Barcelona). Tuffier (Paris), Postempaki 
(Born). — Mechanismus der physiologischen und therapeulischen Wirkung der 
llypnotica und Narkotica. Peset y Cervera (Valencia), Chirone (Neapel). — 
Die endovenöse Therapie. Rossoni (Rom). Rummo (Palermo). — PfcauaiER (Nizza!. 
Die klinischen Formen der Lungentuberculose und ihre therapeutischen [ndi- 
cationen. Die Syphilis und ihre balneotherap , 'utische Beha idlung. Taboada, 
Soffiantini (Acquarossa), Keller (Rheinfelden). — Die Tuberculose und ihre 
balneotheiapeutische Behandlung. Lacobt, Cazanz (Eaux-Bonnes). — Die sub- 
cutanen Injeclionen, ihre pharmaceutiBche Bezeichnung und Uebereinkunft über 
die Redacliou einer einheitlichen Pharmakopoe dieser Präparate. Alcobilla, 
Bufalini (Florenz). — Nothwendigkeit und Nutzen der Arzneimittel von be¬ 
stimmter therapeutischer Kraft; Annahme eines allgemeinen Verfahrens ihrer 
Gewinnung, Darstellung und Würdigung. Ude. — Aetiologie und Prophylaxe 
des Sumpffiebers. Barbero, Celli (Rom), Ascoli (Rom). — Pathogenese der 
Herzarhylhmie. Espinay Capo, Castellino (Neapel). — Aetiologie und Therapie 
der Pellagra. Devoto (Pavia). — Die Diät beim Typhus. Queirolo (Florenz). — 
Ueber das Eingreifen der Psychiatrie in der verbesserten Behandlung der 
Verbrecher. Martinez, Lombroso (Turin). — Therapeutischer Werth der Serum¬ 
behandlung der Dip’ therie. Llorente y Matos, CoMBY(Paris), Cervesato (Bologna), 
Concetti (Rom). — Behandlung des Klumpfußes. Angel, Broca (Paris), Lorenz 
(Wien), Ghillini (Bologna). — Behandlung der Gelenkstuberculose. Ribera y Sans, 
Lannelongue (Paris), Hoffa (Berlin). — Säuglingsernährung. Calatraveno, 
Rousseau-Saint-Philippe (Bordeaux), Guaita (Mailand). — Der Tripper vom social- 
mediciniscben Standpunkt. Mendoza , Finger (Wien), Bektarelli (Mailand), 
Profeta (Genua), Mibelli (Parma). — Parasyphilitische Krankheiten. Retrospective 
Diagnostik der Syphilis. Bombin, Ducrey (Pisa). — Behandlung des Pruritus. 
Azua. •— Die Purpura. Azua. — Postoperativer Tod. Ribera, Giordano (Venedig), 
Biondi (Siena). — Indicationen des chirurgischen Eingreifens bei Magenkrank¬ 
heiten. Cardenal (Barcelona), Novaba (Genua), Ceccherelli (Parma), Hartmann 
(Paris). — Habvey Reed: Einpflanzung des Ureters in das Rectum. — Chirur¬ 
gische Behandlung der Erkrankungen der Thränenwege. CastresanA y Got 
coechea , Reymond (Turin), Tartufebi (Bologna), Lapersonne und Rocuon-Dd- 
vignaud (Paris). — Ursachen der Taubstummheit. Verdös (Barcelona), Castex 
(Paris), ScnMiKGELow (Kopenhagen). — Ist die cbirurgi-che Behandlung des 


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Kehlkopfkrebses jeder Art und in allen seinen Phasen oder Perioden vom 
social-medicmischen Standpunkt aus angezeigt? Sota y Lastba (Sevilla). — 
Behandlung und Verschluß von Zähnen mit kranker Pulpa. Habdan (Chicago). — 
Wesen und Behandlung der alveolaren Pyorrhoe. Hopewell Smith (London), 
Yocnoeb (Chicago), Damians (Barcelona). — Behandlung der Placenta praevia. 
Candela (Valencia), Pestalozza (Florenz), Leopold (Dresden). — Indicationen 
und Resultate der Opotherapie in der Gynäkologie. Javle (Paris). — Conser- 
vative Chirurgie der Adnexerkrankungen. Fabgas (Barcelona), Tbeub (Amsterdam), 
Palmer Dddley (New-York), Mangiagalli (Pavia). — Lösung des Problems der 
Tuberculose im Heer. Traller. — Einfluß des Soldatenlebens auf die Ent¬ 
wickelung von Nervenkrankheiten, speciell von Psychosen. Salinas. 

(Zell am See und Umgebung,) Wanderbilder aus dem 
Pinzgau von Hans Grube r, illustrirt von E. T. C o m p t o n. 
Diese vom Verschönerungs- und Fremdenverkehrsverein Zell am 
See herausgegebene Schrift gibt unter Beifügung zahlreicher Abbil¬ 
dungen eine geordnete Uebersicht über die Spaziergänge, Thal- 
und Bergfahrten des ganzen Gaues. Wir empfehlen allen Collegen, 
die Zell am See besuchen, sich diese Broschüre vom genannten 
Vereine senden zu lassen. 

(Statistik.) Vom 3. bis inclusive 9. August 1902 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 6222 Personen behandelt. Hievon wurden 1377 
entlassen ; 134 sind gestorben (8'86% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civälbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
.der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 29, egypt. 
Angenentzündung —, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 4, Dysen¬ 
terie—, Blattern—, Varicellen 6, Scharlach 37, Masern 89, Keuchhusten 33, 
Rothlauf 30 Wochenbett lieber 2, Rötheln 2, Mumps 1, Influenza —, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 548 Personen gestorben 
(— 25 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Wien Dr. Albert Matzel 
im Alter von 82 Jahren; in Leoben der Bezirksarzt d. R. Dr. J. 
Gübata, Ritter des Franz Joseph-Ordens, im 83. Lebensjahre; 
in Berlin der Geheime Sanitätsrath Dr. Otto Braehmer, 64 Jahre alt. 


Neue Literatur. 

(Der Redaction Zur Besprechung pinggeaadte Bücher.) 

E. V. Leyden und F. Klemperer, Die deutsche Klinik am Eingänge des 
,, XX. Jahrhunderts. Lief. 48—52. Wien und Berlin 1902, Urban & 

Schwarzenberg. 

id# Schneidemflhl , Die animalischen Nahrungsmittel III.—V. (Schluß)-Ab- 
theilung. Wien und Berlin 1902, Urban & Schwarzenberg. 

F. Blumenthal, Pathologie des Harnes am Krankenbett. Wien und Berlin 

1903, Urban & Schwarzenberg. 

A. Bing, Die otol.-diagn. Bedeutung der Stimmgabel. Wien nnd Berlin 1903, 
Urban & Schwarzenberg. 

A. Monti, Kinderheilkunde in Einzeldarstellungen. H. 17/ 18- Wienund Berlin 
1902, Urban & Schwarzenberg. 

Max Herz, Lehrbuch der Heilgymnastik. Wien und Berlin 1903, UrbaD 
& Schwarzenberg. 

E. Zuckerkand], Atlas der topographischen Anatomie des Menschen. IV. Heft. 

Wien und Leipzig 1902, Wilhelm Braumüller. — K 12.—. 

P. V. Pel, Ueber die Kunst, gesund nnd glücklich zu leben. Jena 1902, Gustav 
Fischer. — M. 50-—. 

C. Mnzco, 11 medico pratico.* Milano 1902, U. Hoepli. 

<3. Antonini. La Pellagra. Milano 1902, U. Hoepli. 

N. Valentini, Chemica legale. Milano 1902, U. Hoepli. 

Peters, Die neuesten Arzneimittel und ihre Dosirung. 3. Auflage. Leipzig und 
Wien 1902, Franz Deu ticke. — K 7 20. 

Internationale Beiträge zur Inneren Medicin. Ernst v. Leyden zur Feier 
seines 70jährigen Geburtstages. Bd. 1 u. 2. Berlin 1902, August Hirsch¬ 
wald. 

Roltleder H., Die Masturbation. 2. verbesserte Anfl. Berlin 1902, Fischer’s 
medic. Buchhandlung. — M. 6.—. 

H. Kehr, Berger nnd Welp, Beiträge zur Bauchchirurgie. Berlin 1902, 
Fischer’s medic. Buchhandlung. 

A. Onodi, Die Anatomie und Physiologie der Kehlkopfnerven. Berlin 1902, 
Oscar Coblentz. 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 


Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
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Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
„Therapie der Gegenwart“ : K 1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Postversendung. 


Die Rubrik: „Erledigungen , ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 

Ht Wir empfehlen diese Rubrik der speciellen Beachtung unserer 
geehrten Leser; in derselben werden öfters — neben der Publioation von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auch für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein können’,, welche an eine 
Aenderung des Comicils oder ihrer Verhältnisse nicht gedacht haben. -aMI 



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Wien, den 24. August 1902. 


Nr. 34. 


XLIII. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 biB 3 Bogen Groß-Quurt-Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik', letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse“ 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 


Wiener 


Abonnementupreise: „Wiener Mediz. Presse" mit „Allgem. 
Militärärztlicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
20/r, halbj. io A', viertel]. 5 K. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk., halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 AT; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2 spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien, I., Maximilianstr. 4. 


medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Redaction: Telephon Nr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

-«9j0»- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


Administration: Telephon Nr.9104. 


INHALT: Originalicn und klinische Vorlesungen. Ein Fall von ERii-GoLDELAMM'scher Krankheit (myasthenische Bulbärparalyse — Myasthenia gravis 
pseudoparalytica Jolly). Mitgetheilt von Dr. Julius Priszner in Leva (Ungarn). — Die Verdaulichkeit der Speisen nach mikroskopischer Unter¬ 
suchung der Fäces. Von Specialarzt Dr. F. Schilling in Leipzig. — Referate. Max Busch (Willmanstrand): Ueber das Wesen und den anatomischen Sitz 
der Gastralgie. — Jacobi (Klausenburg): Ueber das Erscheinen von Typbusbacillen im Urin. — Jakub (St. Petersburg): Heizerkrankungen als Indication 
zur künstlichen Schwangerschaftsunterbrechung. — Blos (Karlsruhe): Ueber die Entzündungen des Wurmfortsatzes. — Ernst Fraenkel (Breslau): 
Die Appendicitis in ihren Beziehungen zu den Erkrankungen der weiblichen Sexnalorgane. — E. Lesser (Berlin): Ueber die Lichtbehandlung von 
Hautaffectionen nach der FiNSEN'schen Methode. — F. B. Solger (Berlin) : Ueber Rhinophyma. — Girard: Röle des trichoc6phales dans l'infection 
de Tappendice ileo-coecal. — Kleine Mittheilungen. Toxische und therapeutische Eigenschaften des Blutserums von Epileptikern. — Behandlung 
der Gonorrhoe mittelst des citronensanren Silbers (Itrol). — Die Hydrotherapie der Schlaflosigkeit. — Dormiol bei Geisteskranken. — Literarische 
Anzeigen. Pathologie des Harnes am Krankenbett für Aerzte und Studirende. Von Privatdocent Dr. Ferdinand Blumenthal. — Les empoisonne- 
ments criminels et accidentels. Par P. Brouardel, Doyen de la Facult6 de Medecine de Paris, Membre de l’institut. — Verhandlungen ärzt¬ 
licher Vereine. 31. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Gehalten zu Berlin, 2.-5. April 1902. (Collectiv-Ber. der „Freien 
Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) XI. — Notizen. Die Krankencasse der Wiener Bankbeamten. — Nene Literatur. — Ein¬ 
gesendet. — Offene Correspondenz der Redaction und Administration. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse u gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 


Ein Fall von Erb-Goldflammscher Krankheit 

(myasthenische Bulbärparalyse — Myasthenia gravis pseudo¬ 
paralytica Jolly). 

Mitgetheilt von Dr. Julius Priszner in L6va (Ungarn). 


Im Laufe des vorigen Jahres hatte ich Gelegenheit, eine 
Kranke zu beobachten, deren Krankheitsverlauf gewiß zu der 
Annahme berechtigt, daß es sich bei ihr um das zuerst von 
Goldflamm beschriebene Krankheitsbild gehandelt habe. — 
Mit Rücksicht auf die nicht gar große Zahl der bisher publi- 
cirten einschlägigen Fälle, erlaube ich mir über den Fall, 
wie er sich mir während der fast 8 Monate langen Beob¬ 
achtungsdauer darbot, in Folgendem zu berichten. 


K. J., ein 36jähr. Bauernweib aus einem benachbarten Dorfe, 
kam am 14. Mai 1901 zum erstenmal in meine Behandlung. Von 
ihrem Bie begleitenden Manne wird mir mitgetheilt, daß die Frau 
schon seit mehreren Wochen an Speichelfluß, Schlingbeschwerden, 
erschwerter, unverständlicher Aussprache leide, — abgemagert und 
auffallend schwach geworden sei. Die Schlingbeschwerden sollen 
in den letzten Tagen sich derart gesteigert haben, daß feste 
Speisen gar nicht, Flüssigkeiten nur langsam und tropfenweise 
geschluckt werden können. Den MüDd habe sie immer voll Speichel, 
so daß sie ständig ein Tuch zum Auffangen und Wegwischen des 
überfließenden Speichels Vorhalten müsse. Sie werde namentlich in 
.den späteren Tagesstunden so schwach, daß ihr auch leichte 
»rauchsgegenstände aus der Hand fallen. Des Morgens seien 
itliche Beschwerden geringer. 

jy?£fober persönliche und familiäre Verhältnisse der Kranken, 
und Verlauf der Krankheit konnte ich mit Beihilfe des 
l^fOlgendes erfahren: 

der Kranken leben und sind gesund. Vater 76, 
»Jahre alt. Eine Schwester starb im 26. Lebensjahre an 




galoppirender Schwindsucht. Pat. hat dreimal geboren — 2 Kinder 
sind durch Unfall um ihr Leben gekommen, ein jetzt lOjähriger 
Knabe ist gesund. Abortirt hat sie nie. Sie war immer mäßig, 
arbeitsam und lebhaften Temperaments. 

Vor 4 Jahren, angeblich nachdem sie einige Tage früher 
im Freien bei kühlem Regenwetter Wäsche gewaschen, bemerkte 
Pat., daß das linke obere Augenlid sich hinabgesenkt und sie 
mit dem Auge weniger gut sehe. Auf elektrische Behandlung sei 
das Auge dann nach einigen Wochen wieder gut geworden. 

Zwei Jahre lang habe sie dann in ihrem Befinden keine 
auffallende Veränderung wahrgenommen. Nur bemerkte sie, daß 
sie zeitweilig das linke Auge weniger gut als das rechte öffnen 
konnte, und daß sie nach ihrer gewohnten Arbeit sich mehr ermüdet 
fühlte als vordem. 

Vor 2 Jahren bemerkte Pat. zuerst, daß sie beim Sprechen 
und Schlingen sich anstrengen müsse, auch daß sie den Mund 
immer voll Speichel habe. Auch der Umgebung fiel es auf, 
daß ihre Aussprache sich eigenthümlich verändert habe, daß sie 
schleppend und weniger verständlich geworden sei. Das linke 
obere Lid senkte sich wieder so tief, wie zu Beginn ihrer Er¬ 
krankung , doch auch das rechte Auge konnte sie weniger gut 
als früher öffnen. Hiezu traten dann Schwäche und Abmagerung 
des ganzen Körpers. An schwere Arbeit gewöhnt, konnte sie 
allmälig kaum ihre häuslichen Arbeiten verrichten. Hatte sie sich 
länger beschäftigt, so fielen ihr oft auch leichte Gegenstände aus 
der Hand. Manchmal gab es Tage, oft nur Stunden, da alles 
besser ging, wieder ein anderesmal steigerten sich Sprach- und 
Schlingbeschwerden, wie auch die Körperschwäche ganz bedeutend. 
Dieser Zustand hielt einige Wochen an ; dann wurde es für längere 
Zeit wieder ganz gut. Pat. konnte wieder gut schlingen und 
sprechen; Speichelfluß hörte auf; die Körperkraft nahm zu ; sie konnte 
wieder ihrer gewohnten Beschäftigung nachgehen. Das rechte Auge 
konnte sie wieder offen halten , das linke jedoch blieb auch weiter 
halb geschlossen. Ihr Zustand wechselte später öfter. Bald fühlte 
sie sich ganz gesund, bald hatte sie wieder ihre Beschwerden, 

1 * 

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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 34. 


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doch so arg wie jetzt soll es früher nie gewesen sein. Ueber 
Kopfschmerzen, Schwindel hat Pat. nie geklagt, das Bewußtsein war 
immer frei — Stuhl- oder Harnbeschwerden waren nie vorhanden. 

S t a t. praes. Pat. ist von kleiner Statur, gracilem Knochenbau. 
Haut trocken, blaß. Keine Oedeme. Fettpolster ganz geschwunden. 
Muskeln des Nackens, der Oberarme, Adductoren fühlen sich wie 
dünne Stränge an. Daumen und Kleinfingerballen ganz abgeflacht. 
Hals dünn, Kehlkopf hervorragend. Brustkorb mittellang, mäßig 
gewölbt. Rippen stark hervortretend, Bauch eingesunken, bei 
leichtem Auflegen der Hand deutliche Pulsation der Bauchaorta, 
Brust und Bauchorgane bis auf Herabgesunkensein der rechten 
Niere normal. 

T. 36 - 8, P. 96, klein, weich, rythmisch. Respiration 22, 
seicht. Harn frei von Eiweiß und Zucker. 

Pat. geht langsam, mit müden, kurzen Schritten, doch ohne 
Schwanken durchs Zimmer. Der Kopf ist ein wenig nach rück¬ 
wärts geneigt; Haltung schlaff. In der rechten Hand hält sie ein 
Schnupftuch, mit dem sie zeitweilig die Lippen trocken wischt. 
Das linke obere Lid ist fast ganz hinabgesunken, so daß die 
Lidspalte kaum 2 Mm. weit erscheint. Rechts besteht auch Ptosis, 
doch ist die Lidspalte nur zur Hälfte verengt. Die Stirne ist quer 
gerunzelt, Gesichtsrausculatur im Uebrigen schlaff. Nasolabialfalten 
beiderseits nur angedeutet, Mund halb geöffnet, Lippen mit Speichel 
benetzt. Die beiderseitige Ptosis und Schlaffheit der Gesichts- 
musculatur verleihen dem Gesichte einen schläfrigen, müden Aus¬ 
druck. 

Wird Pat. aufgefordert, die Augen zu öffnen, so neigt sie 
den Kopf noch mehr nach rückwärts und runzelt die Stirne. Be¬ 
wegung der Bulbi nach oben ist beschränkt. Pupillen sind gleich¬ 
weit und reagiren auf Lichteinfall träge. 

Die Gesichtsmusculatur ist beiderseits paretisch. Gesichtsaus¬ 
druck ständig gleich. Pfeifen, Blasen unmöglich. Die Zunge kann 
weder vorgestreckt, noch seitlich bewegt werden; wird sie jedoch 
vorgesogen, so, erfolgt das Zurückziehen prompt. Versucht die Kranke 
ihre Zunge zu bewegen, so tritt leises Zittern in derselben auf. 

Die Sprache ist näselnd, gedehnt. Einzelne Silben werden 
unverständlich, andere verschwommen, wie eingespeichelt ausge¬ 
sprochen. Namentlich die Aussprache von Consonanten ist erschwert. 
K kann gar nicht ausgesprochen werden, es klingt wie h. 

Noch erschwerter ist das Schlingen. Wasser vermag Pat. nur 
tropfenweise zu schlucken; sie neigt dabei den Kopf nach rück¬ 
wärts. Einen Bissen Brot, der ihr gereicht wird, kaut sie lange, 
sie führt dann einen Finger in den Mund, um den Brei nach 
rückwärts zu schieben; nach fruchtlosen Versuchen zu schlingen, 
holt sie ihn wieder heraus und sagt, es gehe nicht, da ihr Hals 
wie zusammengeschnürt sei. Schneuzt sich die Kranke, so hört es 
sich, da die Luft durch den Mund entweicht, wie ein Hauchen 
an. Husten und Niesen erfolgen auch ganz kraftlos. 

Die Muskelkraft der Pat. ist gering; ihr Händedruck wird 
bei mehrmaligem Wiederholen immer schwächer; zum Schluß vermag 
sie die ihr gereichte Hand gar nicht mehr zu drücken. Sensibilität 
mit Ausnahme der Rachengebilde und Epiglottis normal, Berührung 
der hinteren Rachenwand und Epiglottis ruft keine Würgbewegung 
oder Husten hervor. Patellarreflex abgeschwächt. 

Trotzdem Pat. wegen ihrer Schlingbeschwerden kaum Nahrung 
zu sich nehmen kann, klagt sie doch weniger über Hungergefühl 
als über den sie quälenden Speichelfluß. 

Der Zustand der Kranken, die ich dann bis zum 17. Juni 
jeden 2. oder 3. Tag sah, blieb, abgesehen von geringen Schwan¬ 
kungen, während dieser Zeit ziemlich gleich. An manchen Tagen 
war die Sprache deutlicher, das Schlingen leichter, auch fühlte 
sich die Kranke, wie sie angab, kräftiger, doch bis zum nächsten 
Erscheinen, oft schon während ihres Verweilens bei mir, wurden 
Sprache und Schlingen erschwerter und der Kräftezustand wieder 
geringer. Ptosis und Speichelfluß blieben constant. Da Pat. von 
der angewandten Therapie, Jodkali-Hypophospbit (wovon sie wegen 
ihrer Schlingbeschwerden übrigens nur wenig nehmen konnte), 
allgemeine Faradisation, laue Bäder, keinen Erfolg sah, wollte 
sie es mit einer Badecur versuchen; ich empfahl ihr das nahe¬ 
gelegene Eisenbad Vihnye. 


Am 24. Juli stellte sich Patientin wieder vor. Sie war soeben 
von Vihnye zurückgekehrt, wo sie 8 Tage verbracht hatte. Sie 
theilte mir mit, daß sie, nachdem sie aus meiner Behandlung ge¬ 
treten, sich noch einige Tage so schwach gefühlt habe, daß sie 
den Vorsatz, ins Bad zu reisen, aufgeben mußte, dann habe sich 
jedoch ihr Zustand rasch gebessert. Sie konnte wieder feste Speisen 
schlingen; nach 3 Wochen hatte sich ihr Kräftezustand derart 
gehoben, daß sie nicht nur für die ihrigen, sondern, da es gerade 
zur Erntezeit war, auch noch für einige Feldarbeiter das Mittagraahl 
und Nachtmahl bereiten konnte. Sie fühle sich ganz gesund und 
‘sei nur, weil es ihr Mann strenge gefordert, zu einer 8tägigen Cur 
nach Vihnye gereist. 

Der Zustand der Pat. hatte sich in der That erstaunlich 
verändert. Gesichtsfarbe gesund, Ausdruck lebhaft, Körperformen 
voller. Haltung und Gang gar nicht schwerfällig. Aussprache nicht 
mehr näselnd. Articulation fehlerlos. Speichelfluß hat vollständig 
aufgehört. Pat. hat beim Schlingen keinerlei Beschwerden; die Zunge 
ist nach allen Richtungen gut beweglich. Händedruck ist kräftig, 
bei mehrmaligem Wiederholen nicht schwächer werdend. Ptosis 
rechts ganz geschwunden. Nur die linksseitige Ptosis besteht 
weiter fort. 

Ende September ist der Zustand ein gleich guter, Pat. be¬ 
schäftigt sich den ganzen Tag mit häuslichen Arbeiten. 

Am 9. Januar 1902 erscheint Pat. wieder bei mir. Sie bietet 
dasselbe triste Bild wie im Monate Mai. Hochgradige Schwäche 
und Abmagerung; Ptosis beiderseits. Speichelfluß. Unvermögen zu 
schlingen. Fast unverständliche, näselnde Sprache. Vor ungefähr 
4 Wochen habe sich zuerst das rechte obere Lid hinabgesenkt 
und Schlingbeschwerden eingestellt. Bald haben sich dann auch 
die übrigen Beschwerden hinzugesellt. Seit einigen Tagen fühle 
sie die Brust beengt und den Hals wie zusammengeschnürt. In 
der verflossenen Nacht sei das Zusammengeschnürtsein des Halses 
so qualvoll gewesen, daß sie fast erstickt sei. T. 36 9, P. 104, 
klein, weich, nicht aussetzend. Resp. 22, oberflächlich. .Im Urin 
kein Zucker, kein Eiweiß. Rachen, Kehlkopf frei. In dhn Brust - 
Organen nichts Abnormes. 

Am 11. Januar Nachmittags wurde ich schleunigst zur Pat. 
geholt. Sie hatte seit 2 Tagen Athembeschwerden, die im Laufe 
der vergangenen Nacht einigemal sich derartig steigerten, daß sie 
zu ersticken drohte. In den Vormittagsstunden sei die Athmung 
wieder freier geworden, seit Mittag jedoch sei Pat. wieder dem 
Ersticken nahe. 

Ich fand Pat. hochgradig erschöpft, blaß, den Rücken ge¬ 
stützt, auf dem Bette sitzend. Mit tonloser, fast unverständlicher, 
öfter aussetzender Sprache theilt sie mir mit, daß sie ersticken 
müsse, sie habe die Brust voll und könne nicht aushusten. Sie 
habe Angst. Meine Frage, ob sie Stechen verspüre, verneint sie. 

T. 36‘6, P. 120, klein, aussetzend, Athmung oberflächlich. 
Rasselgeräusche über den Lungen; keine Dämpfung, kein bron¬ 
chiales Athmen; von der Ferne hörbares Rasseln in der Luftröhre. 
Die sonst geduldige Pat. zeigt eine eigenthümliche Unruhe ; sie 
steigt vom Bette und läßt sich, von ihrem Manne gestützt, einigemal 
durchs Zimmer führen. Erschöpft, setzt sie sich dann wieder aufs 
Bett. Auf Anwendung eines Senfpapiers über der Brust und Reiben 
der Glieder mit Senfspiritus wird die Athmung ein wenig freier, 
der Puls jedoch bleibt auch weiter klein, beschleunigt und aus¬ 
setzend. Ich verabreiche noch ein Wein-Milchclysma; es wird 
zurückbehalten. 

Am nächsten Morgen wurde mir berichtet, daß die Kranke* 
gegen Mitternacht wieder in Erstickungsnoth gerieth, zu röcheln 
begann, doch bei vollem Bewußtsein ihren Mann zu sich winkte 
und mit dessen Hilfe vom Bette stieg; nach einigen Schritten, 
die sie von ihm gestützt durchs Zimmer machte, fiel sie dann 
plötzlich leblos nieder. 

Als ich Pat. zum erstenmal sah, schien es mir zweifellos, 
daß ich es mit einem Fall von chronischer Bulbärparalyse 
zu thun habe. Die prägnanten bulbären Symptome, Sprach-, 
Schlingbeschwerden , Speichelfluß, lähmungsartige Schwäche 
der Gesichtsmusculatur mit Ausnahme der Stirne, Erschwert¬ 
sein der exspiratorischen Bewegungen, wie Husten, Niesen, 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 34. 


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wiesen auf Atrophie und Schwund der am Boden des vierten 
Ventrikels gelegenen Kerne des Facialis, Hypoglossus, Glosso- 
pharyngeus und wahrscheinlich auch des Vagus hin. Mit 
Rücksicht auf die Atrophie und Schwäche der Gesammt- 
musculatur mußte ich mich jedoch fragen, ob neben der 
chronischen Bulbärparalyse nicht auch eine progressive spinale 
Muskelatrophie bestehe; wenn ja — welcher von beiden Pro¬ 
cessen der primäre sei —, oder ob diese Atrophie und Schwäche 
nicht etwa Folge des Inanitionszustandes sei, in dem sich 
Pat. seit Wochen befand. Im Status praes. war es nur die 
hochgradige Ptosis links, die weniger ausgesprochene rechts, 
die sich nicht recht in den Symptomencomplex der supponirten 
chronischen Bulbärparalyse einfügen ließ. Die Annahme, daß 
die Ptosis vielleicht in keiner engen Beziehung zu dem 
übrigen Symptomencomplexe stehe, mußte schon mit Rück¬ 
sicht darauf, daß sie nicht nur links, sondern auch rechts 
bestand, daß, wenn sie auch links ständig blieb, rechts im 
Auftreten und Schwinden mit den übrigen Symptomen Schritt 
hielt, fallen gelassen werden. Die Angabe, daß bei der Pat. 
ein ähnlicher, wenn auch minder schwerer Zustand schon 
öfter wochenlang bestanden habe, dann wieder für längere 
Zeit geschwunden sei, würde auch gegen eine organische 
Bulbärerkrankung gesprochen haben; es lag indeß nahe, daran 
zu denken, daß es sich nicht um ein vollständiges Schwinden, 
sondern nur um ein zeitweiliges Besserwerden der für die 
Kranke und ihre Umgebung am leichtesten wahrnehmbaren 
Symptome dieser mit Schwankungen einhergehenden chronischen 
Krankheit gehandelt habe. Da der Status, abgesehen von 
kleinen Schwankungen, vom 14. Mai bis 17. Juni ein gleicher 
blieb, zweifelte ich weiter gar nicht daran, daß Pat. an 
progressiver Bulbärparalyse leide. 

Der überraschende Wechsel, der in dem Befinden der 
Pat. innerhalb der folgenden 5 Wochen sich vollzog, über¬ 
zeugte mich jedoch, daß sowohl die anamnestische Angabe, 
daß bei der Pat. ein derartiger schwerer Zustand schon öfter 
wochenlang bestanden habe und dann geschwunden sei, wie 
auch die beiderseitige Ptosis bei der Beurtheilung des Falles 
berücksichtigt hätten werden müssen. Da bis auf die links¬ 
seitige Ptosis sich sämmtliche Symptome vollständig zurück¬ 
gebildet hatten, konnte an eine organische Bulbärerkrankung 
nicht weiter gedacht werden. Ebensowenig konnte ein anderes 
organisches Leiden des Nervensystems vorliegen. War es 
nicht Hysterie, so konnte es nur eine Neurose sein, die mit 
einer temporären functioneilen Schädigung der gleichen 
Nervenelemente, wie die Bulbärparalyse, resp. die spinale 
progressive Muskelatrophie, einhergeht. 

In dieser Unklarheit, in der ich mich nun dem Fall 
gegenüber befand, brachte mich Herr Prof. Jendrassik in Buda¬ 
pest auf die richtige Fährte. Im Monate September bot sich 
mir Gelegenheit, mit ihm über den Fall zu sprechen; er 
meinte sofort, daß es sich um eine myasthenische Bulbär¬ 
paralyse handeln dürfte. 

Ich gestehe, daß mir früher von einer derartigen Krank¬ 
heit nichls bekannt war; was ich theils durch mündliche 
Mittheilung von Herrn Prof. Jendrassik , theils aus der mir 
leider nur spärlich zu Gebote gestandenen Literatur über 
Myasthenia pseudoparalytica erfahren konnte, überzeugte 
mich jedoch von der Richtigkeit der Annahme Prof. Jendras- 
sik’s. Die bei meiner Pat. später wieder aufgetretenen bulbär- 
paralytischen Erscheinungen, dann die in den letzten Tagen 
sich häufenden und auch das Ende herbeiführenden Er¬ 
stickungsanfälle setzen, glaube ich, die Richtigkeit dieser 
Diagnose über allen Zweifel. Im ganzen Verlaufe und seinen 
terminalen Erscheinungen gleicht mein Fall am meisten dem 
von Vernicke und Mendel im Jahre 1893 beobachteten. 
Auch bei diesem prävalirten die bulbären Symptome gegen¬ 
über der allgemeinen Asthenie, doch war der Verlauf viel 
kürzer. 

Ich bin mir dessen bewußt, daß ich den Fall nur mit 
seinen grobklinischen Symptomen geschildert und Neues, das 


zur Klärung des Wesens dieser eigenartigen Krankheit dienen 
könnte, nicht mitgetheilt habe. Auch das Verdienst, den Fall 
richtig erkannt zu haben, kann ich für mich nicht in An¬ 
spruch nehmen. Wenn ich mich dennoch veranlaßt sah, über 
denselben zu berichten, so geschah es einerseits wegen der 
Seltenheit des Leidens, andererseits um die Aufmerksamkeit 
jener Collegen, denen dieses in dem letzten Jahrzehnt zur 
Differenzirung gelangte Krankheitsbild noch nicht bekannt 
war, gegebenenfalls auf dasselbe hinzulenken. 

Die 

Verdaulichkeit der Speisen nach mikroskopi¬ 
scher Untersuchung der Fäces. 

Von Specialarzt Dr. F. Schilling in Leipzig. 

(Schluß.) 

Gehen wir jetzt zu den Gemüsen über, so verstehe ich 
hierunter nicht nur grüne Blätter, sondern auch andere 
Pflanzentheile, Stengel, Wurzeln, Knollen, Schoten, Samen, 
selbst Beeren, Obst, Gurken und Citronen. Sie zeichnen sich 
weniger durch ihren Nährgehalt aus, wenn man von den 
Kartoffeln, den Nüssen, den Samen und Pilzen absieht, sondern 
enthalten in den Blättern, Wurzeln und Stengeln viel Wasser, 
weniger Stärke, Zucker, Salze und Säuren. Je gröber die 
Gemüse auf den Tisch kommen, desto größer werden die 
Rückstandsmengen. Ein zu Staub geriebenes und weich ge¬ 
kochtes Blatt wird anders verarbeitet als grüne Rapunzel, 
grüner Blattsalat, rohes Obst oder in Würfel geschnittene 
Carotte. Junge Cellulose wird zweifellos verdaut, gar oft 
habe ich in zarten Lamellen größere freie Felder gesehen; 
auch Weiske hat dies in seinen Versuchen erwiesen. Eine 
andere Frage, die sich an die Celluloseverdauung knüpft, ist 
nur die, ob Verdauungssäfte oder Mikroben den Zerfall be¬ 
dingen. Derbe, verfilzte und cuticularisirte Zellen sind un¬ 
verdauliche Substanzen, die von ihnen eingeschlossenen Stoffe, 
Stärke, Fett, Zucker, Salze und Säuren, kommen dem Körper 
nicht zu Gute; mechanische Zerkleinerung, Quellung in 
Wasser und Siedehitze sprengen die Zellkapsel nicht ge¬ 
nügend. Wenn Möller behauptet, daß Stärke nur in Trümmern 
im normalen Stuhle vorkommt, so muß ich dem widersprechen. 1 ) 
Färbt Jod und Schwefelsäure die Zellwand nicht mehr blau, 
so kann man die Grenze der Verdaulichkeit als überschritten 
betrachten. Einzelzellen, Parenchym mit resistenten Gefä߬ 
bündeln, Spiral-, Troppen- und Tüpfelgefäße, Bastfasern, 
Skiereiden und Steinzellen liegen reichlich am Boden des Sedi¬ 
mentes. Die einzelnen Blattgemüse, Spinat, Kohl- und Kraut¬ 
arten, Rapunzel und Endivien und Suppengemüse, welche ich 
nicht einzeln aufzählen will, hinterlassen Fäserchen und Blatt¬ 
reste , deren Herkunft sich dem Kenner an den Spalt¬ 
öffnungen bald verräth. Selbst der zarte Blumenkohl, welcher 
dem Patienten als erstes Gemüse zur Suppe gestattet wird, 
hinterläßt Spiralgefäßbündel. Rosenkohl und Braunkohl lassen 
sich als Puräeform in der Krankenkost wohl verwenden, wenn 
alle groben Rippen und Stiele -entfernt, die Blätter gekocht und 
nach dem Kochen durch ein Sieb gedrückt sind. Der Stengel 
besitzt derbe Fasern, der Rhabarber starke Gefäßbündel, die 
Schoten unreife Samen und Hülsen, die Schnittbohnen Hülsen 
und Häutchen mit charakteristischen Haaren und die un¬ 
reifen grünen Erbsen ganze Schalenreste und Cotyledonen- 
zellen. 

Von den Kartoffeln fand ich stets kleine hell weiße 
Bröckelchen, stets gequollene Stärkezellen und Schalen¬ 
stückchen , die trotz sorgfältiger Präparation in der Küche 
haften bleiben und mitgegessen werden, wenn ganze Kartoffel 
auf den Tisch kommen. Bratkartoffeln liefern derbe Krusten, 

’) Auch Czekny constatirte bei Kindern, die von der Milchkost zur 
künstlichen Ernährung übergingen, 3—4 Tage lang unveränderte Stärkekörner 
oder Kleisterzellen (Des Kindes Ernährung, 1901, Heft 2). 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


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kalter Kartoffelsalat bringt grobe Rückstände. Rubner macht 
einen Unterschied zwischen gekochten ganzen Kartoffeln, 
Püree und gerösteten Kartoffeln, der sicherlich besteht. Thü¬ 
ringer Klösse hinterlassen reichliche Stärkezellen. Die zarte 
Carotte behält ihre rothe Farbe und die charakteristischen 
Chromatophoren, welche Krystallen ähnlich sehen; ihr sehr 
nahe steht in der Verdaulichkeitsscala die junge weiße Rübe. 
Grobe Fragmente weist Kohlrabi, Kohlrübe, Sellerie und 
Meerrettig auf. Das Radieschen bewahrt sogar seine rothe 
Farbe noch. Zwiebel erkennt man an den Zellen mit charak¬ 
teristischen Krystallen, angebrannte Zwiebelstückchen sind 
derb und unverändert. 

Von den Beeren gehen unreife Exemplare unverändert 
ab; reifere sind an der Schale, an den eigentümlich geformten 
Kernen und Fleischresten zu erkennen. Haare, Blüthenreste 
und halbirte Schalen schwimmen stets auf dem Spülwasser. 
Die Johannisbeere enthält außer Schläuchen charakteristische 
Skiereiden, die sich nirgends in gleicher Form wiederfinden. 
Stachel- und Himbeeren tragen Haare auf der äußeren Haut. 
Die Erdbeere hat unverdauliche Steinchen. Von den Rosinen 
und Weinbeeren gehen stets Fetzen ab; die Kernform unter¬ 
scheidet die verschiedenen Arten. Rohes Obst geht unver¬ 
ändert, wie der Bissen geformt wurde, ab. Auch vom Apfel¬ 
mus bleiben grobe Reste übrig. Getrocknetes Obst ist zäher, 
die dicke Schale mit partiell ausgelaugter Oberhaut, an der 
polygonale Zellen und Lenticellen sichtbar werden, Fleisch- 
Stückchen, Kerngehäuse und Kerne findet der Untersucher 
stets wieder. Die Tomate verhält sich ähnlich, ebenso das 
Steinobst, die Kirsche, Pflaume, Dattel und Pfirsiche, Olive, 
Feige, Melone und Ananas gehen so gut wie unverdaut ab. 
Die Banane und Gurke verändert sich wenig, die Apfelsine 
veiräth sich durch den fächerigen Bau des Mesokarpes und 
die saftführenden Bläschen mit Rosetten und hexagonalen 
Prismen. 

Die von den Vegetariern wegen ihres Fettgehaltes sehr 
gepriesenen Nüsse, Hasel- und Walnüsse kommen dem Darme 
wenig zu Gute. Nur die Eßkastanie macht eine Ausnahme, 
wenn sie zerschnitten, geröstet oder als Puröe zubereitet ist; 
doch auch dann wird sie lange nicht in dem Maße wie die 
Kartoffel ausgenutzt. Mit den Mandeln geht es wie mit den 
Nüssen, die Fettresorption ist minimal. 

Von den Pilzen, sei es Steinpilz, Champignon, Trüffel, 
Morchel oder Pfifferling, die meist dem Fleisch an die Seite 
gesetzt wurden, läßt sich nur sagen, daß die Stückchen, wie 
sie abgebissen oder abgeschnitten oder in welcher Zuberei¬ 
tung sie auch immer genossen sind, nur wenig ausgelaugt, 
angenagt und an dünnen Stellen ausgefasert ausgeschieden 
werden. Außer Stickstoff, welcher nicht gleich Eiweiß, das 
nur zu 2—4% darin vorhanden ist, zu setzen ist, finden sich 
darin noch Amidosäuren. Sie enthalten viel Wasser und 
zählen eher zu den schmackhaften Gemüsen als das Fleisch. 
Das Gefüge ist so dicht wie ein Filz, so daß die Zähne und 
Verdauungssäfte wenig Angriffspunkte finden. Lederartige 
Stücke von schwarzer Farbe deuten auf ihren Abgang hin ; 
elliptische Sporenzellen mit Stacheln zeichnen die Trüffeln 
aus, sandige Bestandtheile die schwarze Morchel. 

Die Gewürze übergehe ich, die wegen ihres Gehaltes 
an flüchtigen Oelen und Bitterstoffen nur Geschmacks- und 
Geruchsmittel sind und zugleich die Magen- und Darmdrüsen 
zur Secretion anregen, da die derben Cellulosemassen unver¬ 
daut abgehen und gar nicht als Nahrungsmittel in Betracht 
kommen. 

Selbst der geröstete und gemahlene Kaffeesamen hinter¬ 
läßt Residuen, wie der Kaffeesatz in jeder Tasse zeigt. Vom 
Cacao vermißt man nie die MiTSCHERLiCH’schen Schläuche, 
die Kernzellen, Epidermisreste, Fetttropfen und Fett- 
krystalle. 

Zum Schluß will ich noch kurz der Fremdkörper ge¬ 
denken , eines Capitels, das ebenfalls der Mikroskopiker der 
Fäces zu verzeichnen hat. Eine ganze Menge unverdaulicher 


fremder Substanzen passirt mit den Speisen den Magen und 
Darm und kommt geschwärzt wieder mit den Nahrungs¬ 
residuen zum Vorschein. Hieher zählen die Enveloppes für 
Conserven und Speisen, die zum Transport und Schutz vor 
dem Austrocknen dienen, Staniol, Papierstreifen, Bindfaden, 
Strohhalme, Kork und Holzstückchen. Vom Wild findet man 
Schrotkörner und Haare, nach Beefsteak Knochensplitter, 
nach Geflügel Federn, Rippenstückchen und Zwirnsfäden, nach 
Krebs braune Kruste und nach Austern harte Schale. Obst¬ 
kerne und graue Schale sind ein gewöhnlicher Befund. Auch 
Sand und Erde haften den Gemüsen und Pilzen, Maden dem 
Obste und Käse an, Mehlmilben haften am schlechten Mehl, 
Kalkschalen am Ei, Schalenreste an der Kartoffel, Bindfaden 
an den Rouladen. Nicht auffällig ist es, daß Barthaare bei 
Schnurbärtigen, Tabakblätter bei Rauchern und Theeblätter 
bei Theetrinkern gelegentlich abgehen. Hastige Esser ver¬ 
schlucken sogar Wurstschalen, Steine von Obst und Wal¬ 
nußschalenstückchen. Blau und roth gefärbte Fäden, die im 
Gesichtsfelde hie und da auftreten, erhalten ihre Färbung 
von pflanzlichen Farbstoffen, die nach der sauren oder alkali¬ 
schen Reaction der Fäces wechseln. 

Resumire ich kurz das Ergebniß meiner Untersuchungen, 
so ergibt sich ohne Weiteres, daß alle Nahrungsmittel, sobald 
sie nicht im Wasser oder in den Verdauungssäften löslich 
sind oder nicht gelöst werden, Rückstände in größerer oder 
geringerer Menge hinterlassen. Mit der Menge der eingeführ¬ 
ten Speisen mehren sich die ausgeschiedenen Fäcesmengen. 
Das Digestionsvermögen hat eine ganz bestimmte Grenze; 
wird sie in der Zufuhr überschritten, dann gehen an sich 
verdauliche Stoffe unausgenützt ab. Das gilt vom Fleisch wie 
vom Ei und von den Vegetabilien. 

Was bei dem Fleisch das Binde- und Fettgewebe, ela¬ 
stische Fasern, Knorpel, Knochen, Haut, Haare und Schuppen 
sind, findet sich bei den Vegetabilien — wenn auch reich¬ 
licher — als cuticularisirtes, verholztes und verkorktes Ge¬ 
webe , Bastzellen, Skiereiden und Gefäßbündel. Reichliche 
Pflanzenkost hindert mechanisch und durch Anregung der 
Peristaltik der Ausnutzung der animalischen Substanzen. 

Von den Schlachtthieren hinterläßt die fette Gans, 
fettes Schweinefleisch, Rind- und Kalbfleisch weniger Hammel¬ 
fleisch, gröbere Residuen. Kalt verzehrtes Fleisch steht dem warm 
genossenen wesentlich in der Verdaulichkeit nach. Huhn, Taube, 
Puter und Truthahn, ebenfalls Wild, liefern wenig grobe 
Brockel. Gekochtes Geflügel übertrifft das gebratene an Ver¬ 
daulichkeit. Rohes Fleisch hinterläßt sichtbare Reste. Fisch¬ 
fleisch macht eine Ausnahme, indem nur kalter Fisch Rück¬ 
stände solcher Art liefert. Mikroskopische Zerfallsproducte 
lassen sich bei allen Fleischarten auffinden; sie mehren sich 
nach Wild und Fisch. Gehirn und Briesel richten sich in 
der Ausnutzung nach der Zubereitung. Auch Milch produ- 
cirt fäcale Bestandtheile, die genossene Menge bedingt die 
Quantität. 

Die Vegetabilien bilden die Hauptmasse der Fäces. 
Junges Gewebe wird gelöst, derbe Zellcomplexe widerstehen 
der Digestion. Wenn auch im Allgemeinen animalische Kost 
schlackeDarm zu nennen ist, so hinterlassen Mehlsuppen, 
Reis, Aufläufe und Biscuit ebenfalls minimale Kothmassen. 
Mikroskopische Residuen hinterlassen alle, auch die leichtest 
verdaulichen Stoffe, wie Reis, Mehl und Kartoffel, so daß bei 
gemischter Kost stets isolirte oder in Complexen noch ver¬ 
einigte Stärkezellen aufzufinden sind. Entgegen Möller be¬ 
haupte ich, wie vanLedden, Hülsebosch, daß auch nach 
Genuß aufgeschlossener Stärke Stärkezellen, 
nicht bloß Bruchstücke aufzufinden sind. Kalte Speisen hinter¬ 
lassen mehr Reste als warme. 

Das Wort „Verdaulichkeit“ ist durch Resorptionsfähig¬ 
keit zu ersetzen. Kochkunst, mechanische Verarbeitung, Ge¬ 
wohnheit, richtige Mischung der Animalien mit Vegetabilien 
und geregelte Lebens- und Ernährungsweise beeinflussen die 
Resorption aufs deutlichste. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 34. 


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Der Herbivore verarbeitet mehr Cellulose als der Mensch; 
die Resultate der Thier versuche entsprechen nicht den 
Digestionsbefunden der Omnivoren, selbst Kleber wird 
verdaut. 

Die Schlacken enthalten nicht nur unverdauliche, sondern 
eine Menge verdaulicher, aber nicht verdauter Stoffe. Die 
Menge der letzteren hängt sowohl von der Vorbereitung der 
Speisen in der Küche und der Mundverdauung, als von der 
regelmäßigen Lebensweise und der ungestörten Digestion des 
Einzelnen ab. Mit bloßem Auge erkennbare Fleischreste 
lassen nicht ohne Weiteres den Schluß zu, daß eine ernste 
Darmstörung vorliegt; ebenso wenig gilt stets der Satz, daß 
größere Mengen unverdauter Nahrung eine Darmerkrankung 
beweisen. Bei Schlingern und mangelhaftem Gebiß ist dieses 
Vorkommen kein seltenes. 


Referate. 

Max Busch (Willmanstrand): Ueber das Wesen und den 
anatomischen Sitz der Oastralgie. 

Verf. hat sich auf Grund seiner Untersuchungen folgende 
Erklärung des Mechanismus des Werdens und Vergehens eines 
Magenkrampfes zurecbtgelegt („Arch. f. Verdauungskrankheiten“, 
Bd.VIII, H. 6 ). Im Reizzustande des Sympathicus, als dessen Symptom 
stets die Hyperästhesie desselben auftritt, sind außer den sensiblen 
Fasern immer auch eine Anzahl anderer der zahlreichen Functionen 
dieses Nerven in pathologische Erregung versetzt. Unter Umständen 
tritt nun, trotz der hemmenden Wirkung der sensiblen Erregung, 
in den motorischen Fasern des Sympathicus, welche die Magen¬ 
wandganglien beeinflussen, das sind wahrscheinlich die Ganglia semi- 
lunaria, eine so starke pathologische Erregung ein, daß Magen¬ 
krampf erfolgt. Dadurch drückt der prall gespannte Magen die 
hyperästhetischen Ganglia semilunaria fest gegen die Aorta und cs 
entsteht ein heftiger, oft in andere Geflechte, besonders nach oben • 
ausstrahlender Schmerz. Hiedurch werden reflectorisch die hemmen¬ 
den Fasern des Vagus erregt, welche allmälig die Ueberhand ge¬ 
winnen , was zuerst an kurzen Eröffnungen der Cardia ersichtlich 
ist, die geringe Gasmengen entweichen läßt, bis schließlich völlige 
Erschlaffung der Ringmuskeln eintritt, der Krampf unter zunehmen¬ 
dem Luftaufstoßen sich löst. Jetzt hört gewöhnlich auch der spontane 
Schmerz der gedrückten Ganglien auf, was auch nicht anders zu 
erwarten ist, denn man macht häufig die Erfahrung, daß durch den 
Fingerdruck auf eine hyperästhetische Stelle des Sympathicus all¬ 
mälig die Hyperästhesie abnimmt und verschwindet. Unter Um¬ 
ständen, wenn die intramusculären Geflechte der Magenwand hyper¬ 
ästhetisch sind, können auch diese Geflechte durch den Druck der 
contrahirten Museulatur mit schmerzhaft erregt werden. Br. 

Jacobi (Klausenburg): Ueber das Erscheinen von Typhus- 
baciilen im Urin. 

Bei 35 Typliuskranken hat Verf. 173 einzelne Untersuchungen 
ausgeführt („Deutsches Arch. f. klin. Med.“, 1902, Bd. 72, II. 5 u. G). 
Der Typhusbacillus wurde in 20% der untersuchten Fälle nach¬ 
gewiesen. Der Urin war in 13 Fällen ständig albumenfrci, bei 
14 Kranken war zeitweise ein mäßiger Eiweißgehalt, bei 8 Kranken 
ständig Albumen nachweisbar. Von diesen 8 Kranken waren bei 
vieren Cylinder im Urin, in 3 Fällen unter diesen vieren auch 
Blut. J. folgert aus seinen Untersuchungen, daß Typhusbacillen 
zumeist bloß in solchen Fällen im Urin erscheinen können, in 
welchen die Niere erkrankt ist und Albumen durchläßt. Doch muß 
unbedingt zugegeben werden, daß die Typhusbakteriurie zumeist 
wohl mit Albuminurie, oft sogar mit Nephritis auftritt, daß sie 
aber auch ohne diese Affectionen Vorkommen kann. Es ist fraglich, 
wieso die Typhusbacillen in solchen Fällen, wo' keine Albuminurie 
vorhanden ist, in den Urin gelangen. Die Thierexperimente geben 
hierüber keinen Aufschluß. Die pathologisch-histologischen Unter¬ 
suchungen erklären den Durchtritt von Typhusbacillen durch die 


Niere, durch die Befunde von Bacillenherden in der Rindensubstanz 
der Nieren von Typhusleichen. Diese Herde fangen mit einer 
Embolie der kleinsten Gefäße an und führen dadurch in dem 
umgebenden Nierengewebe zu einer circumscripten Nekrose, in 
welche dann die Bacillen auswaudern. Diese Herde können unter 
gewissen Umständen mit den Nierencauälchen in Communication 
gelangen und dadurch zu einer Bakteriurie führen. 

Wir sind angewiesen, solche Bacillenherde in den Nieren zu 
supponiren, in Fällen wo die Bakteriurie spät, erat im Stadium 
der Reconvalescenz auftritt. Die Typhusbakterie verursacht ge¬ 
wöhnlich keine subjectiven Symptome; führt sie zur Cystitis, dann 
sind die Symptome des Blasenkatarrhs vorhanden. Die Ilarntrübung 
steht im Verhältnisse zur Zahl der im Urin vorhandenen Bakterien. 
Es empfiehlt sich, größere Urinmengen zur Untersuchung zu be¬ 
nutzen , weil dadurch weniger positive Fälle übersehen werden 
können. 

J. fand die Typhusbacillen am 8 ., 12., 16., 17. und 22. Krank¬ 
heitstage 5 zur Zeit der Bakteriurie waren immer schon Roseolen 
vorhanden. Daraus ergibt sich mit Wahrscheinlichkeit der embolische 
Ursprung der Bakteriurie. Bezüglich der Prognose ist die Typhus¬ 
bakteriurie ohne Bedeutung,- ihr diagnostischer Werth ist gering. 
Eine umso größere Wichtigkeit besitzt sie vom prophylaktischen 
Standpunkte, denn mit dem Urin ausgeschiedeue Bacillen können 
ebenso die Ursache einer Infection bilden, wie die mit dem Stuhle 
austretenden. Es ist daher, wie der Stuhl, so auch der Urin jedes 
Typhuskranken während des ganzen Verlaufes der Krankheit und 
auch während der Reconvalescenz der Desinfection zu unterziehen. 

L. 

Jakub (St.Petersburg): Herzerkrankungen als Indication 
zur künstlichen Schwangerschaftsunterbrechung. 

Verf. gelangt zu folgenden Schlußfolgerungen, die allerdings nicht 
vollkommen einwandsfrei sind („Russki Wratsch“, 1902, Nr. 7): Herz¬ 
fehler bilden eine ernste, nicht selten auch sehr gefährliche Compli- 
cation der Schwangerschaft. Mädchen mit weit vorgeschrittenem 
Herzfehler, besonders bei mangelhafter Compcnsation, ist die Heirat 
zu widerrathen, wobei allerdings die sociale Stellung der Kranken 
zu berücksichtigen ist. Frauen, die bereits geboren haben (1—2raal), 
müssen sich vor einer weiteren Schwangerschaft in Acht nehmen. 
Bei den ersten Zeichen von Compensationsstörung bei einer 
Schwangeren ist, ohne Zeit mit therapeutischen Maßnahmen zu 
verlieren, sofort zur künstlichen Unterbrechung der Schwanger¬ 
schaft zu schreiten. (Auch diese Maßnahme wird wohl von Fall 
zu Fall früher oder später einzutreten haben, eventuell überhaupt 
zu verhüten sein. Es gibt eine Reihe von normal beendigten 
Graviditäten Herzkranker, bei denen während der Schwangerschaft 
wiederholt Herzinsufficienzerscheinungen eingetreteu und wieder 
geschwunden sind. Hier ist daher ganz besonders sorgsames Indi- 
vidualisiren nothwendig. Ref.) Bei Mehrgebärenden ist, falls die 
vorhergehenden Schwangerschaften mit schweren Erscheinungen 
von Seiten des Herzens einhergegangen waren, zur Operation 
auch dann zu schreiten, wenn die Compensation eine ziemlich 
befriedigende ist. Am zweckmäßigsten ist es, die Operation inner¬ 
halb der ersten vier, bezw. im Beginne des fünften Schwanger¬ 
schaftsmonates vorzunehmen. Am zuverlässigsten und am sichersten 
werden dabei Wehen durch einen intrauterinen Kolpeurynter hervor¬ 
gerufen. Die Anwendung von Chloroform ist nicht nothwendig. 
Bei rechtzeitig eintretender Geburt ist bei mit Herzfehlern behafteten 
Gebärenden die zweite Periode des Geburtsactes durch Anlegung 
der Zange oder durch irgend eine andere entsprechende Operation 
zu kürzen. Die Anwendung von Secale cornutum in der Nach¬ 
geburtsperiode ist zu vermeiden. Frauen, die mit Herzfehlern be¬ 
haftet sind, müssen während der Schwangerschaft, der Gebart und 
der Nachgeburtsperiode unter steter Beobachtung eines Arztes 
sein. Eine mit Herzfehlern behaftete Frau muß nach der .Geburt 
mindestens 14 Tage zu Bett bleiben. Brn. 


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Nr. 34. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — 


Blos (Karlsruhe): Ueber die Entzündungen des Wurm¬ 
fortsatzes. 

Verf. theilt seine zum Theil sehr interessanten Beobachtun¬ 
gen, die bei der Behandlung von 100 Fällen von Appendicitis 
auf der Abtheilung des Prof. v. Beck im städtischen Krankenhause 
in Bezug auf Diagnose und Therapie gemacht wurden, mit. 

Bei der Begutachtung der Fälle hat sich die Untersuchung 
auf das Vorhandensein der Schmerztrias von Dieulafoy: 
der Hyperästhesie der Haut, des reflectorischen Widerstandes der 
Bauchmusculatur (Defense musculaire) und der Schmerzhaftigkeit 
des Mac BuRNEY’schen Punktes sehr gut bewährt ; wo die Schmerz¬ 
trias vorhanden war, hat sich stets peritoneale Eiterung gefunden. 
Von besonderer Bedeutung ist die Hauthyperästhesie, die leicht isolirt 
festgestellt werden kann. Verf. ist daher der Meinung („Beitr. 
z. klin. Chir. u , Bd. 32, Nr. 2), daß die Schmerztrias für das thera¬ 
peutische Handeln zur Annahme einer Indicatio vitalis berechtigt. 

Verf. konnte die bereits von anderer Seite gemachten Erfah¬ 
rungen bestätigen, daß die Prognose der Appendicitis desto gün¬ 
stiger sich gestaltet, je kürzer die Zeit ist, die seit dem Eintritte 
der Perforation verstrichen ist. Da aber das Moment der Perfora¬ 
tion oft nicht zu bestimmen ist, bekennt sich Verf. als Anhänger 
des Satzes, der in der Pariser chirurgischen Gesellschaft ausge¬ 
sprochen wurde und der lautet: „Es gibt keine interne Behandlung 
der Appendicitis und das bewaffnete Zuwarten ist gefährlich.“ In 
11 Fällen, die innerhalb der ersten 14 Stunden in das Kranken¬ 
haus aufgenommen wurden, wurde sofort die Operation ausgeführt 
und alle sind durchgekommen, obwohl alle eitrige Peritonitiden 
waren. Am 2. Tage der Erkrankung sind von 9 Fällen 6 gestorben, 
am 2. Tage post perforationem von 12 Fällen 8; vom 3. Tage der 
Erkrankung an waren von 30 Fällen nur noch 7 zu retten u. s. w. 

Nur in ganz „leichten“ Fällen, d. h. solchen, bei welchen 
weder die Schmerztrias von Dieulafoy vorhanden war, noch das 
Allgemeinbefinden schwer gestört gefunden wurde, wurde exspec- 
tativ behandelt. Zog sich der Anfall in die Länge, dann wurde 
ebenfalls zur Operation geschritten. Der zweite Anfall wurde sofort 
chirurgisch behandelt. 

Bei Kindern ist nach den Erfahrungen des Verf. die Prognose 
ganz besonders schlecht, daher sollte bei ihnen primär operirt 
werden, gleicbgiltig, ob die Erkrankung leicht oder schwer einsetzt. 

Die interne Behandlung in den sog. leichten Fällen bestand 
vor Allem in absoluter Bettruhe und strenger Diät, eventuell 
Nahrungsenthaltung für 24 Stunden, bis der Darm entleert war. 
Zweitens wurde versucht, der Entzündung durch Alkoholumschläge 
um den Leib entgegenzuwirken. Dieselben haben sich auch sehr 
gut als schmerzstillendes Mittel bewährt, so daß jedes Sedativum 
entbehrlich wurde. Drittens wurde eine ableitende Behandlung ent¬ 
weder durch Ricinusöl von oben oder mittelst Oeleinläufen von 
unten durchgeführt. Die Opiumbehandlung verwirft Verf. 
als irrationell in der Therapie der Appendicitis, da sie die Per¬ 
foration nicht verhindert und die Schwere des Allgemeinbefindens 
maskirt, daher die Operation hintanhält, bis es zu spät wird. 

In der Nachbehandlung der operirten Fälle hat sich das 
Atropin besonders gut bewährt, indem es die schmerzstillenden 
Eigenschaften des Morphins mit einer günstigen Beeinflussung der 
Darmmotilität vereinigt. Die Indication für die Darreichung von 
Atropin gaben ab: die postperitonitische Darmatonie, der postperi- 
tonitische mechanische Heus und drittens die postoperative Darm¬ 
atonie nach kalter Amputation. Die Wirkung war stets eine auf¬ 
fallende, die quälenden Spannungsschmerzen schwanden und es 
stellte sich Schlaf oder Beruhigung ein. Die Dosen schwankten 
zwischen 1 und 5 Mgrm. Hingegen hatte auf der Höhe der Ent¬ 
zündung das Atropin keine Wirkung. Erdheim. 


Ernst Fraenkel (Bresian): Die Appendicitis in ihren 
Beziehungen zu den Erkrankungen der weib¬ 
lichen Sexualorgane. 

Während man früher eine besondere Prädilection der Er¬ 
krankung für das männliche Geschlecht annahm, haben zuerst 
französische und amerikanische Gynäkologen auf die Häufigkeit 


der Appendicitis auch beim Weibe und auf ihren Zusammenhang 
speciell mit Adnexprocessen hingewiesen. 

Die Fortleitung entzündlicher Processe vom Cöcum und 
Wurmfortsatz zu den rechtsseitigen Adnexen sowohl in descendiren- 
der wie ascendirender Weise kann intra- und extraperitoneal er¬ 
folgen. Intraperitoneal: a) durch die Blut- und Lymphgefäße des 
Lig. appendiculo-ovaricum; b) durch die bei eitrigen Adnexitiden 
ebenso wie bei appendiculären Eiterungen, häufigen Verwachsungen 
mit Dünndarmschlingen und die in den Adhäsionen neugebildeten 
Gefäße; c) auf dem Wege des directen Contactes. Extraperitoneal: 
a) durch das subseröse Zellgewebe im Lig. appendiculo-ovaricum auf 
das parametrane Bindegewebe; b) durch das Zellgewebe zwischen 
den Mesenterialplatten des Cöcum und des Meseuteriolum des 
Appendix; c) bei gänzlicher oder theilweise extraperitonealer Lage¬ 
rung des Cöcum uud Wurmfortsatzes auf das retroperitoneale Zell¬ 
gewebe der Beckenschaufel in das kleine Becken hinein. 

Es kann sowohl die Appendicitis, wie die Adnexitis primär 
sein und es wird Fälle geben, wo diese Unterscheidung oft selbst 
nach der Operation unmöglich ist. Außer den Erkrankungen der 
Uterusanhänge sind eine Reihe von Douglasabscessen, ferner Para- 
metritiden nicht nur puerperaler, sondern auch nicht puerperaler 
Natur auf den Appendix zu beziehen. Ebenso wie eine rechtsseitige 
Pyosalpinx wird auch eine Parametritis bei jungfräulichen oder 
nicht entwickelten, kein Zeichen von Sepsis, Gonorrhoe, Tuber- 
culose etc. bietenden Individuen häufig auf Appendicitis zurück¬ 
zuführen sein. 

Nicht selten sind Complicationen der Appendicitis mit Ovarial¬ 
und Parovarialcysten, sowie die bei beiden auffallend frequent be¬ 
obachtete Sticltorsion. Hier kommen wahrscheinlich eine Reihe 
mechanischer Momente: vermehrte Action der Bauchpresse bei 
Würg- und Brechbewegungen, vermehrte Darmperistaltik, wechselnde 
Gasfüllung der Därme in Betracht. Oft wird auch eine bestehende 
Retroversio-flexio durch perimetritische Adhäsionen an der Rück¬ 
fläche des Uterus als Folge und Complication von Appendicitis zu 
erklären sein. o-; 

Bezüglich des von Edklbohls betonten Zusammenhanges von 
Wanderniere und Appendicitis nimmt Fraenkel („Sammlung klin. 
Vorträge“, Nr. 323) einen ablehnenden Standpunkt ein, ebenso 
bezüglich der von demselben Autor behaupteten constant durch¬ 
führbaren palpatorischen Bestimmung des krankhaft veränderten 
oder gesunden Wurmfortsatzes. 

Das Auftreten von Blasencomplicationen bei Appendicitis, 
die unter Umständen auch der einzige Ausdruck einer latenten 
Appendicitis sein können, fordert dazu auf, bei räthselhaften, 
durch keinen Befund am Urogenitalapparate erklärbaren Symptomen 
bei der Harnentleerung nach einer Affection des Proc. vermif. 
zu suchen. In ähnlicher Weise können auch wiederholte, zuweilen 
fieberhafte Anfälle von Schmerz, hauptsächlich im rechten Hypo¬ 
gastrium, kurz vor oder während der Menstruation bei Individuen, 
die früher ganz oder nahezu normal menstruirten, der Ausdruck 
einer larvirten Appendicitis sein. 

Therapeutisch gilt heute der Grundsatz, daß bei j eder wegen 
Erkrankung der weiblichen Sexualorgane und insbesondere wegen 
entzündlicher oder eitriger Adnexaffection vorgenommenen abdomi¬ 
nalen Cöliotomie der Wurmfortsatz, wenn dies ohne Trennung 
schützender Verwachsungen möglich, schonend aufgesucht und — 
wenn erkrankt — mit entfernt werden soll. Ebenso muß bei jeder 
Laparotomie zwecks Appendixentfernung der Zustand des Uterus 
und seiner Adnexe, soweit dies ohne Trennung schützender Ver¬ 
wachsungen möglich, controlirt bezw. corrigirt werden. 

Fischer. 

E. Lesser (Berlin): Ueber die Lichtbehandlung von Haut- 
affectionen nach der FiNSEN’schen Methode. 

Die angewendeten Bogenlampen besitzen eine Stärke von 
30.000—40.000 Normalkerzen, eine Spannung von 48—50 Volt und 
eine Stromstärke von 70—80 Ampere („Zeitschr. f. diät. u. phys. 
Ther.“, Bd. 5, H. 6). Zwischen zwei Linsen am distalen Ende des 
Rohres ist eine circa 30 Cm. lange Schicht vou destillirtem Wasser 
eingeschaltet, welche zur Absorption der Wärme dient und von 


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einem Mantel stets circulirenden Wassers umgeben ist. Die Linsen 
müssen von Bergkrystall sein, da Glaslinsen den größten Theil 
der chemischen Strahlen absorbiren würden. Die zu bestrahlende 
Hautpartie wird in den Focus, resp. etwas vor denselben gebracht. 
Die trotz der kühlenden Schicht immer noch ziemlich reichlich 
vorhandenen Wärmestrahlen sind möglichst zu absorbiren, die zu 
bestrahlende Partie ist möglichst blutleer zu machen, damit die 
Wirkung des Lichtes bis in eine gewisse Tiefe dringt. Beides 
wird durch die Compressorien erreicht; zwei in ein Metallgestell 
gefaßte Bergkrystallplatten oder -Linsen, zwischen denen dauernd 
kaltes Wasser circulirt. Man muß convexe, plane und concave 
Compressorien haben, je nach der Beschaffenheit der zu bestrahlen¬ 
den Hautpartie. Besonders da, wo die Haut dem Knochen dicht 
aufliegtj an der Stirn, dem Schädel, dem Jochbein, ist die An¬ 
wendung von concaven Druckgläsern nöthig, da durch convexe 
Druckgläser an diesen Stellen ein zu starker Druck ausgeübt 
werden würde. Die Behandlung wird in folgender Weise vor 
genommen: Der Kranke wird auf ein Ruhebett gelagert und die 
zu bestrahlende Partie der Ilaut — meist handelt es sich um 
einen Theil des Gesichts — theils durch Schieben des Ruhebettes 
und durch Heben oder Senken des Kopfendes desselben, theils 
durch Ausziehen oder Verkürzen des Concentrators in den Focus 
gebracht. Um die Haut vor jeder Erhitzung zu schützen, wird 
die Austrittslinse mit einer siebartig durchlöcherten Metallkapsel 
bedeckt, die nur einen geringen Theil des Lichtes durchtreten 
läßt, der aber hinreichend ist, um die Einstellung zu ermöglichen. 
Dann wird die Drucklinse aufgesetzt und nun die durchlöcherte 
Kapsel entfernt. Von großer Wichtigkeit ist es, daß kein zu 
starker Druck ausgeübt wird, und daß ferner das Licht nicht auf 
Theile fällt, welche nicht mit der kühlenden Linse in Berührung 
sind. In beiden Fällen kann es zu Gangrän kommen. Die Com- 
pression muß durch die Hand ausgeübt werden; hiezu ist ein 
speciell geschultes Wärterinnenpersonal erforderlich. Die Versuche, 
die Compressorien durch Verbände zu fixiren, haben sich als 
unzweckmäßig erwiesen. Die Wärterinnen und die Aerzte müssen 
mit dunklen Schutzbrillen versehen sein. Die sorgfältigste Des 
infection ist selbstverständlich: Das Auge des Patienten wird, 
wenn eine ihm naheliegende Partie bestrahlt wird, durch einen 
Verband und mit einem Stückchen dicken, gelben Papiers geschützt. 
Subjectiv darf der Patient kein starkes Brennen empfinden ; sowie 
das der Fall ist, ist es ein Zeichen, daß etwas nicht in Ordnung 
ist, daß z. B. Licht neben die Druckstelle fällt. Oft ist es nöthig, 
die Umgebung der Druckstelle mit kleinen in Borlösung getränkten 
Wattebäu8chchen vor den seitlichen Lichtstrahlen zu schützen. 
Die Zeit der Belichtung währt im Allgemeinen eine Stunde, bei 
besonders empfindlichen Patienten eine halbe Stunde. Unmittelbar 
nach der Belichtung ist an der betreffenden Stelle außer einer 
lividen Verfärbung und einer ganz leichten Schwellung nichts zu 
bemerken; erst nach einigen, oft erst nach 10—12 Stunden zeigt 
sich die Reaction in Form einer bis zehnpfennigstückgroßen Blase. 
Gewöhnlich ist die Epidermis in der Umgebung der Druckstelle 
blasig emporgehoben, so daß die Blase einen ringförmigen Charakter 
hat. In den nächsten Tagen bildet sich auf der stark hyperämischen 
Stelle eine Kruste, und nach Verlauf von 1 — iy 2 Wochen ist die 
entzündliche Reaction abgeklungen. Die Größe der jedesmal be¬ 
lichteten Stellen entspricht einem Kreise von 1—1 1 / 2 Cm. Durch¬ 
messer. Hieraus ergibt sich, daß zur Heilung eines einigermaßen 
ausgedehnten Lupus eine große Zahl von Bestrahlungen und dem¬ 
entsprechend eine lange Zeit erforderlich ist. Die Behandlung 
eines ausgedehnten Gesichtslupus nach Finsen dauert ein und 
zwei Jahre. Keine andere Methode aber gibt so unbedeutende 
Narben wie die Lichtbehandlung, weil bei keiner anderen Methode 
das gesunde Gewebe so verschont wird, wie bei dieser. G. 

F. B. SOLGER (Berlin): Ueber Rhinophyma. 

Die operative Beseitigung eines Rhinophyma gab das Un¬ 
tersuchungsmaterial ab. Das Ziel, das sich der Autor hiebei steckte 
(„Arch. f. Derm. u. Syph.“, Bd. 67, 1901), lag hauptsächlich darin, 
zu entscheiden, in welcher Weise sich die Talgdrüsen zur Ge¬ 


schwulstbildung verhielten, ob sie sich lediglich mit Hypertrophie 
bezw. Hyperplasie betheiligten oder ob es sich um Driisenneubildung 
im Sinne des von Barlow scharf definirten Adenoma sebaceum 
handle. Sowie nun andere Autoren die Talgdrüsen beim Rhino¬ 
phyma bloß hypertrophisch oder hyperplastisch gefunden hatten, 
ergab auch hier die Untersuchung Drüsen, die sich von den nor¬ 
malen durch nichts als durch erweiterte Ausführungsgänge und 
durch vergrößerte und vermehrte Lappenbildung unterschieden ; 
die vorhandenen Infiltrate bestehen aus Plasmazellen. Iu Bezug auf 
die Ursache der Drüsenhypertrophie schließt sich S. der Annahme 
Dohi’s an, welche dahin geht, daß dieselbe auf Grund einer vege¬ 
tativen Störung, einer Angioneurose, entstehe. Darin wird der Autor 
dadurch bestärkt, daß er kürzlich bei einem Angiom der Rückenhaut 
als Nebenbefund Talgdrüsenhypertrophie constatirte. Merkwürdiger¬ 
weise führt er auch die von Barlow eben wegen Mangels von 
Drüsenzunahme ausgeschiedenen Fälle für sich ins Treffen, die wohl 
klinisch den Typus des Adenoma sebaceum boten, histologisch 
aber sich als Fibrome oder Teleangiektasien erwiesen. 

Deutsch. 

Girard: Röle des trichocephales dang l’infection de 
l’appendice ileo-coecal. 

Metschnikoff hat vor einiger Zeit in einer Sitzung der 
Akademie der Medicin in Paris auf die wichtige Rolle hingewiesen, 
die häufig gewisse Eingeweidewürmer, Askariden und Trichocephalen, 
in der Aetiologie der Appendicitis spielen. Girard veröffentlicht 
nun einen Fall („Annales de l’institut Pasteur“, 1901, pag. 440), 
der ihm zu beweisen scheint, daß die Anwesenheit dieser Parasiten 
im Darm nicht nur das Bild der Kolik des Wurmfortsatzes, sondern 
auch eine wirkliche Entzündung desselben hervorrufen kann. Es 
handelte sich um ein 8jähriges Mädchen, das im Anschluß an eine 
Diphtherie während seines Spitalsaufenthaltes plötzlich unter den 
Erscheinungen einer Appendicitis erkrankte. Da der Zustand der 
Kranken sich immer mehr verschlimmerte, wurde die Laparotomie 
vergenommen-. Bei der Operation fand sich eine diffuse Peritonitis; 
der Wurmfortsatz schien normal zu sein, wurde aber vorsichts¬ 
halber resecirt. Die Untersuchung des Wurmfortsatzes ergab, daß 
sich in seinem Innern zwei Trichocephalen befanden, von welchen 
der eine mit seinem vorderen Ende in die Schleimhaut des Appendix 
eingedrungen war. Dieser erwies sich im allgemeinen als völlig 
normal, ohne Zeichen einer frischen oder abgelaufenen Entzündung, 
nur an der Stelle, an der der Trichocephalus eingedrungen war, 
fand sich in der Umgebung desselben eine acute Entzündung; hier 
waren auch reichlich Bakterien, darunter zahlreiche Streptokokken, 
nachweisbar. Verf. nimmt an, daß dieselben durch den Parasiten 
in die Schleimhaut verschleppt worden sind und so hier eine Ent¬ 
zündung hervorgerufen haben. Die Peritonitis dürfte in diesem 
Falle nach der Ansicht des Verf. allerdings nicht durch die Appen¬ 
dicitis, die ganz circumscript war, zu erklären sein, sondern einen 
genitalen, wahrscheinlich blennorrhagischen Ursprung gehabt haben. 
Verf. schließt sich auf Grund seiner Beobachtung dem Vorschläge 
Metschnikoff’s an, in allen Fällen, in denen der Verdacht auf 
Appendicitis besteht, den Stuhl auf das Vorhandensein von Ento- 
zoen zu untersuchen und in jenen Fällen, in denen es möglich ist, 
eine Abtreibungscur (mit Santonin gegen Ascariden, mit Thymol 
gegen Trichocephalen) vorzunehmen , sowie die Diät entsprechend 
zu regelu. Dr. S—. 


Kleine Mittheilungen. 

— Ueber toxische und therapeutische Eigenschaften des 
Blutserums von Epileptikern und seine praktischen Anwendungen 
berichtet Coni („Centralbl. für Nervenheilkunde u. Psych.“, 1902, 
Nr. 3). Verf. hat versucht, die Epilepsie durch Einspritzung eines 
Serums zu heilen, das aus dem Blut anderer Epileptiker (schwerer 
Erkrankter) gewonnen war. Die Versuche blieben zunächst erfolglos. 
Verf. versuchte nuumehr eine Immuuität durch wiederholte Serum- 
einspritzuugen herbeizuführen und verwandte hiezu sowohl das 
Serum anderer Epileptiker als das eigene Serum des Kranken. 
Bisher hat Verf. 10 Epileptiker mit diesen wiederholten Serum- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 34. 


1540 


einspritzungen behandelt, und zwar 6 mit fremden, 4 mit dem 
eigenen. Die Behandlung war vollständig erfolglos nur iu 2 Fällen 
von hereditärer Epilepsie, die sich unter den Zeichen allgemeiner 
Vergiftung sogar verschlechterten, bis die Einspritzungen wieder 
ausgesetzt wurden. In den übrigen 8 Fällen wurde eine Besserung 
der Krankheitserscheinungen, auch des geistigen Verhaltens und 
des Ernährungszustandes, erreicht. Diese war in 3 Fällen nur 
vorübergehend, in 3 Fällen anscheinend andauernd und in 2 Fällen 
so bedeutend, daß diese als geheilt zu bezeichnen sind (vollständige 
psychische Umwandlung). Controlversuche mit dem Blutserum 
Gesunder ergaben, daß dieses für Epileptiker indifferent ist. Das 
von demselben Epileptiker stammende Serum wirkt auf die ver¬ 
schiedenen Kranken verschieden ein. Daraus geht hervor, daß die 
individuellen Verhältnisse des Kranken die Verschiedenartigkeit 
der Wirkung bedingen. Die Wirkung des Serums beruht nach 
Annahme des Verf. auf einer Anregung des Stoffwechsels durch 
specifische, in dieser Richtung wirkende Bestandtheile des Serums. 

— Ueber die Behandlung der Gonorrhoe mittelst des 
citronensauren Silbers (Itrol) berichtet v. Karwowski („Med. 
Wschr.“,1902, Nr. 19 u. 20). Faßt man seine Resultate zusammen, 
so zeigt sich, daß bei acuter Gonorrhoe zum völligen Schwinden 
der Gonokokken durchschnittlich 13, bezw. 33 Tage (bei Diät¬ 
fehlern) erforderlich sind. Bei subacuter durchschnittlich 12 Tage, 
in den chronischen Fällen endlich durchschnittlich 14 Tage. Bei den 
nicht zu Ende behandelten Fällen war bedeutende Abnahme der 
Gonokokken zu constatiren. Derartige Erfolge kann man als zu¬ 
friedenstellende bezeichnen in Anbetracht dessen, daß in allen bis 
zu Ende behandelten Fällen Schwinden der Gonokokken und Aus¬ 
heilung, wenn auch in ungleicher Zeit, stattfand. Die Complicationen 
und längere Behandlungsdauer lassen sich zur Genüge aus ver¬ 
schiedenen Umständen erklären. Als einen Fehler des Itrols muß 
man seine geringe Löslichkeit (1 : 3800, bezw. 0’052 : 200) be¬ 
zeichnen, was seine Anwendung in concentrirten Lösungen mittelst 
der GuYON’schcn oder ÜLTZMANN’schen Spritze ausschließt. Wenn 
stärker procentuirte Lösungen angezoigt erscheinen, eignet sich 
Tirol räusgezeicÄnet in SaTbenforin, • und zwar zur Anwendung mit 
der ToMASsOLi’schen Salbenspritze. 

— Die Hydrotherapie der Schlaflosigkeit erörtert Laqueur 
(„Heilkunde“, 1901, Nr. 12). Es sind nur beruhigende Formen 
der Wasserapplication zu wählen. An erster Stelle steht die feuchte 
Ganzpackung. Sie wird in der Weise ausgeführt, daß Abends der 
ganze Körper des Pat. vom Hals bis zu den Füßen in ein großes, 
in kaltes Wasser getauchtes Laken eingeschlagen wird; das 
Ganze wird mit einer großen wollenen Decke bedeckt; außerdem 
wird auf den Kopf zur Vermeidung von Congestionen eine ein¬ 
fache kalte Corapresse oder die WiNTERNiTz’sche Kühlkappe auf¬ 
gelegt. Schläft der Pat. darin ein, so kann man ihn ruhig die 
ganze Nacht in der Packung liegen lassen, im anderen Falle 
entfernt man sie nach s / i Stunden. Abkühlende Proceduren sind 
danach streng zu meiden. Die Anwendung der feuchten Ein¬ 
packung ist in allen Fällen von Schlaflosigkeit infolge von nervöser 
Unruhe bei Neurasthenikern, bei anämischen Kachektischen und 
sonst in der Ernährung heruntergekommenen Personen, ferner 
auch bei Fieberkranken indicirt. Wird die Ganzpackung nicht 
vertragen, so läßt man die Einpackung nur bis zur Achselhöhle 
hinauf reichen und hüllt den obersten Theil der Brust und die 
Schultern noch besonders in eine Kreuzbinde ein. Am besten 
wirken prolongirte lauwarme, resp. warme Vollbäder von 33 bis 
37° C. und 1 / i — ’/^tündiger Dauer. Die Bäder brauchen nicht 
unmittelbar vor dem gewollten Einschlafen applicirt zu werden, 
man kann sie 1—2 Stunden vorher, in einzelnen Fällen auch 
noch früher geben. Nur empfiehlt es sich, daß der Pat. nach 
dem Bad sofort zu Bett geht, oder doch wenigstens sich möglichst 
ruhig verhält und keine größere körperliche oder geistige Arbeit 
mehr verrichtet. Sie können auch durch prolongirte lauwarme 
Sitzbäder ersetzt werden, die besonders in den Fällen indicirt 
sind, wo es sich um gesteigerte sexuelle Erregbarkeit als Ursache 
der Schlaflosigkeit handelt. In diesen Fällen sind kurze, kalte 
Sitzbäder, wie man sie sonst zuweilen als ableitendes Mittel gegen 
Schlaflosigkeit gebraucht, contraindicirt. Hier sind auch die kurzen 


kalten Fußbäder (von höchstens 2 Minuten Dauer), die fließenden 
Fußbäder (4—5 Minuten Dauer) und die erregenden (feuchtwarmen) 
Umschläge um die Waden zu erwähnen. Die Fußbäder leisten 
gerade da gute Dienste, wo kalte Füße die Ursache der Schlaf¬ 
losigkeit sind. Sind rheumatische Schmerzen und Neuralgien schuld 
an der Schlaflosigkeit, dann können auf die schmerzenden Stellen 
applicirte Dampfcompressen, denen dann nachtsüber ein Priess- 
NiTZ’scher Umschlag folgt, die Schmerzen lindern. 

— Das Dormiol bei Geisteskranken hat Angelo di Nola 
angewandt („Policlinico“, 1901, Bd. VIII). Er fand im Verlaufe 
seiner Beobachtungen Folgendes: Das Dormiol ist ein Schlafmittel, 
welches die Beachtung der Irrenärzte verdient. Sein günstiger 
Einfluß kann sich oft in jenen Fällen geltend machen, in denen 
die anderen Medicamente (Sulfonal etc.) versagen. Das Dormiol 
kann in seiner Wirkung, was den hypnotischen Effect anbelangt, 
mit dem Chloral verglichen werden, ohne jedoch dessen bedenk¬ 
liche Nebenwirkungen zu besitzen. Es ist deshalb besonders in 
jenen Fällen angezeigt , in denen der Kreislauf auch nur in 
geringem Maße gestört ist, sei es durch Veränderung der Gefä߬ 
wände oder durch Herzklappenfehler. Der längere Gebrauch des 
Dormiols scheint keine Angewöhnung fürchten zu lassen, oder 
gar schädliche Wirkungen, wie beim Chloral (Chloraüsmus), hervor¬ 
zurufen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß das Dormiol die Frequenz 
der epileptischen Anfälle vermindert. 


Literarischb Anzeigen. 

Pathologie des Harnes am Krankenbett für Aerzte 
und Studirende. Von Privatdocent Or. Ferdinand Blumen¬ 
thal. Berlin 1903, Urban & Schwarzenberg. 

Der vorliegende, 435 Seiten umfassende Band zerfällt in zwei 
Theile. Im I. Theil werden (Cap. I—XIII) neben den allgemeinen 
Eigenschaften des Harnes die einzelnen chemischen (anorganischen 
und organischen) Substanzen (Herkunft,- Ausscheidungsverhältnisffe 
nebst erläuternden Bemerkungen über die physiologischen und patho¬ 
logischen Stoffwechsel Vorgänge, ihr Nachweis etc.) abgehandelt. 
Capitel XIV enthält den Nachweis der wichtigsten Medicamente im 
Harne. Capitel XV Harnconcremente. Capitel XVI bringt eine kurze 
Abhandlung über functioneile Nierendiagnostik (u. a. Kryoskopie 
von Dr. P. F. RionTEft). Der II. Theil enthält die Harnbefunde 
bei den einzelnen Krankheiten (Infections-, Blut- , Stoffwechsel-, 
Leber-, Magen-, Darm-Krankheiten u. s. w.). Die zahlreichen, nicht 
schematischen Abbildungen von Harnsedimenten sind durchwegs 
ausgezeichnet gelungen und äußerst instructiv. Verf. gibt unter 
Benützung der bekannten Werke von Salkowski, v. Noorden, 
Huppert etc. und an der Hand der neuesten, möglichst kritisch 
gesichteten Literatur, die er vollständig zu beherrschen scheint, 
sowie auf Grundlage reichlicher, eigener Erfahrung vielerlei dia¬ 
gnostische und therapeutische Wmke, wodurch die Darstellung des 
Stoffes ein besonderes, klinisch praktisches Gepräge erhält. Dem 
Buche, welches in klarem, knappem Style verfaßt ist, kann man 
quoad Verbreitung und Werthschätzung die günstigste Prognose 
stellen. V. St. 


Les empoisonnements criminels et accidentels. Par 
P. Brouardel , Doyen de la Faculte de Mßdecine de Paris, 
Membre de l’Institut. Avec figures intercalöes dans le texte. 
Paris 1902, J. B. Bailiiere et fils. 

In der Einleitung zu dem eigentlich nur 3 Abtheilungeu 
umfassenden Werke wird die legislative und wissenschaftliche 
Definition des Wortes Gift und jene der Vergiftung unter Hinweis 
auf französische Autoren gegeben und die Möglichkeit der Classi- 
ficirung von verschiedenen Gesichtspunkten aus erörtert. Sie schließt 
mit einem flüchtigen historischen Ueberblick der Vergiftungen bei 
Griechen und Römern, im Mittelalter und in der Neuzeit. Der erste 
Abschnitt über criminelle Vergiftungen macht uns mit 
der Statistik der Vergiftungen in Frankreich (1825—1897), der 
geographischen Vertheilung auf die einzelnen Departements (mit 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 34. 


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Uebersichtskarte) und der Natur der Gifte bekannt (1. Capitel)’; 
es werden die Giftmischer, die seitens ärztlicher Experten zu 
sammelnden Verdachtsmomente und die Anklagemöglichkeiten (2. Ca¬ 
pitel), die anzustellenden Untersuchungsmethoden (3. Capitel), die 
Absorptions- und Eliminationsvorgänge bei Giften (4. Capitel) und 
besonders eingehend alle jene Fragen, welche den ärztlichen Sach¬ 
verständigen vorgelegt werden können, besprochen (5. Capitel). Sehr 
kurz ist der zweite Abschnitt über Selbstmorde durch 
Gifte gehalten, während der dritte die accidentellen Ver¬ 
giftungen (raedicamentöse, zufällige und alimentäre) 
etwas breiter behandelt. Nahezu die Hälfte des ganzen Buches ist 
mit Actenstücken (pieces annexes) über verschiedene vor¬ 
gekommene Vergiftungen und mit legislativen Erlässen der 
französischen Regierung ausgefüllt. Das Werk ist dazu be¬ 
fähigt, den Toxikologen einen tiefen Einblick in französische Ver¬ 
hältnisse zu gestatten. Nevjnny. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

31. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für 

Chirurgie. 

Gehalten zu Berlin, 2.—5. April 1902. 

(Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) 

XI. 

Tavel (Bern): Ueber die Wirkung des Antistreptokokkenserums. 

T. betont vor Allem, daß das Serum nicht antitoxisch, son¬ 
dern nur antibakteriell wirkt. Bei 76 Fällen von Erysipel, Sklerom, 
Meningitis, Pneumonie, Streptomykose bei Tuberculose, Phlegmone 
bei perityphlitisehem Absceß etc. wurden Heilungen oder Besse¬ 
rungen erzielt. Bei schweren Fällen, in denen die Leukocytose 
fehlt, hat auch das Antistreptokokkenserum keinen Erfolg gehabt. 

Ritter (Greifswald): Ueber die natürlichen schmerzlindernden 
Mittel des Körpers. 

R. hat durch Experimente die klinischen Erscheinungen be¬ 
stätigt, daß das auftretende Oedera bei Entzündungen stets die 
anfänglichen Schmerzen herabgesetzt hat, ebenso wie er klinisch be¬ 
obachtete, daß die BiER'sche Stauungshyperämie die Schmerzen 
stets gelindert hat. Seine Untersuchungen haben ergeben, daß die 
Hyperämie stets die Schmerzen lindert, und er bezeichnet deshalb 
das Blut und das Serum als die dem Körper innewohnenden natür¬ 
lichen schmerzlindernden Mittel. Wir werden deshalb gut thun, 
diese. Hyperämie künstlich zu erzeugen und zu vermehren. 

R. F. Müller (Berlin): Sensibilitätsstörungen der Haut bei chirur¬ 
gischen Erkrankungen innerer Organe. 

Demonstrationen an Tafeln, die die verschiedenen Hautzonen 
darstellen, die bestimmten RUckenmarkssegmenten entsprechen und 
deren Schmerzhaftigkeit mit den Erkrankungen ganz bestimmter 
innerer Organe im Zusammenhänge steht. Redner beleuchtet die 
klinische und diagnostische Wichtigkeit dieser Dinge an verschie¬ 
denen Beispielen aus der Praxis. 

Küster (Marburg): Ueber Periarthritis humero-scapularis (Bur¬ 
sitis subacromialis). 

Im Allgemeinen legt man dieser Erkrankung wenig oder gar 
keine Bedeutung bei, doch steht K. nicht auf dem Standpunkt, 
daß es sich um ein unbedeutendes Leiden handle, weder was die 
Zahl, noch was die Symptome anlangt. Er hat wenigstens 70 Fälle 
gesehen. K. gibt dann einige anatomische Erläuterungen und weist 
besonders darauf hin, daß die Sehne des M. supraspinatus über 
dem Gelenk unter der Bursa subacromialis hinwegläuft, wozu er 
anatomische Präparate vorlegt. Was nun die klinischen Erscheinungen 
anlangt, so glaubt er, daß wir meist, wenn wir die Diagnose ge¬ 
stellt haben, der chronischen Form der Bursitis gegentiberstehen, 
da die übrigen Erscheinungen der Schultererkrankung oder Ver¬ 
letzung die der acuten Bursitis verdecken. Er ist überzeugt, daß 
in vielen Fällen, wo wir nach Schulterluxation oder Contusion eine 


traumatische Neuritis annehmen, eine Bursitis subacromialis vorliegt. 
Bei den chronischen Fällen, in denen eine mehr oder weniger starke 
Ankylose vorhanden ist, hat er von der gewaltsamen Sprengung 
derselben, die mit lautem Krachen vor sich geht, gute Resultate 
gesehen, so daß ein Kranker schon nach einer Stunde den Arm 
selbständig schmerzlos, ganz hoch heben konnte. Die acuten Er¬ 
scheinungen mit großer Schmerzhaftigkeit behandelt er mit Jod- 
tincturpinselungen und Verbänden, bis die Schmerzhaftigkeit ver¬ 
schwunden und eine Gelenksteifigkeit eingetreten ist, die dann auf 
die geschilderte Weise gelöst wird. 

Heusner (Barmen): Dauererfolge bei Streckung der Kniegelenks- 
contractur mit Sehnenüberpflanzung. 

H. erinnert an die Fälle von Ueberpflanzung der Sehne des 
Semitendiuosus und Biceps auf den Quadriceps, die er im ver¬ 
gangenen Jahre vorgestellt hat, und berichtet, daß in dem einen 
Falle , wo er nur die Bicepssehne eingepflanzt hat, O-Beinstellung 
und Innenrotation eingetreten ist. Er kann daher diese Methode 
nicht empfehlen. Seitdem hat er wieder 3 Fälle von Ueberpflanzung 
gemacht, einen Fall von Ueberpflanzung bei acutem Gelenkrheu¬ 
matismus, den er vorstellt. Hier sind Biceps und Semimembranosus 
überpflanzt worden. Den Semimembranosus empfiehlt er wegen 
seiner besseren Ernährung vor dem Semitendinosus. 

Engels (Hamburg): Demonstration einer Oberschenkelprothese 
mit in gebeugter Stellung tragfähigem Kniegelenk an einem 
Kranken. 

Die in jeder Stellung gute Tragfähigkeit und Feststellung der 
Prothese beruht im Wesentlichen darauf, daß eine künstliche 
Quadricepssehne bei jeder Beugung zwischen zwei Rollen festge¬ 
klemmt wird. 

Samter (Königsberg): Die Wundheilung nach Bruchoperation. 

Seine guten Erfolge bei 33 Fällen führt S. auf die von ihm 
angewandte absolute Ruhigstellung zurück. 

Samter (Königsberg): Ueber Exarticulation des. % FuBesi mit 
Zirkelschnitt. 

In den letzten 2 Jahren hat S. diese Operation 8mal aus¬ 
geführt und kann die Methode, die längst verlassen ist, wieder 
empfehlen, nachdem er sie durch Abmeißelung der Knöchel ver¬ 
bessert und so einen guten, tragfähigen Stumpf erhalten hat. 

Eckstein (Berlin): Ueber Hautparaffinprothesen. 

E. nimmt Hartwachsparaffin, welches einen Schmelzpunkt von 
50—60° hat, und glaubt dadurch alle unangenehmen und gefähr¬ 
lichen Nebenerscheinungen der Vaselin- oder Paraffinprothesen zu 
vermeiden. Vorstellung von Patienten. 

Vulpius (Heidelberg): Zur KenntniB der Myositis ossificans 
traumatica. 

Zwei Theorien der Entstehung der Myositis ossificans trau¬ 
matica stehen einander gegenüber: Die Entstehung aus abgerissenem 
und in den Muskel verpflanztem Periost und die Entstehung im 
Muskel selbst. V. hat einen Fall operirt, aus dem klar hervor¬ 
geht, daß die Entwickelung im Muskel selbst die wahrscheinliche 
ist, indem es sich um eine traumatische Knochencyste im Muskel 
nach Fall handelte. Demonstration des Präparates. 

Kölliker (Leipzig): Die operative Behandlung der Sprengel- 
schen Deformität. 

K. nimmt bei Hochstand der Scapula den oberen Rand und 
äußeren Winkel unter Schonung der Incisur fort. 

Honsell (Tübingen): Ueber aseptischen und antiseptischen 
Salben- und Pflasterverband. 

Vortr. empfiehlt den Pflasterverband bei allen Wunden, bei 
denen nicht absolute Verklebung, sondern größere Secretion bei 
sonst aseptischem Verlauf zu erwarten ist. Der Pastenverband von 
Bruns ist einem künstlichen Schorf vergleichbar. 

LEDDERHOSE (Straßburg) berichtet über einen Fall von 
intraperitonealer Blasenruptur mit Ausgang in Heilung, 
trotzdem erst am 16. Tage die Laparotomie gemacht wurde. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 34. 


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WÖRNER (Gmünd): Demonstration eines Präparates 
von beginnendem Gallenblasencarcinom, welches 
nach Exstirpation der Gallenblase wegen Empyems derselben sich 
vorfand. 

In den tiefen Schichten der Gallenblase fanden sich noch 
verschiedene carcinomatöse Infiltrationen vor. Das Empyem, dem 
Patientin das Leben zu verdanken hat, ist durch Verschluß des 
Ductus cysticus durch den haselnußgroßen Tumor entstanden. 

Lenzmann (Duisburg): Ueber einen Fall von totaler Gangrän 
des Cöcums infolge von Appendicitis. 

Die Appendicitis ging hinter dem Ileum in die Höhe und 
umschnürte das Cöcura vollständig. Trotzdem keine Spur von Peri¬ 
tonitis vorhanden war, ging das Kind zugrunde, wie L. annimmt, 
an Toxinämie. 


Notizen. 


Wien, 23. August 1902. 

Die Krankencasse der Wiener Bankbeamten. 

Der Kampf, den die Wiener Aerzteschaft seit Monaten gegen 
die Krankencasse der Wiener Bankbeamten führt, ist in ein neues 
Stadium getreten. Vor wenigen Tagen haben nämlich die Aerzte 
des Verbandes der Genossenschafts-Krankencassen Wiens folgende 
Mittheilung des Verbandsvorstandes erhalten: 

„Wir beehren uns Ihnen mitzutheilen, daß die Krankencasse 
der Wiener Bankbeamten ab 15. August 1902 in ein Vertrags- 
verhältniß mit unserem Verbände treten wird. Es haben daher deren ver¬ 
sicherungspflichtige Mitglieder (d.h. solche, deren Einkommen 
1600 Kronen nicht überschreitet. — Red.) vom vorbezeichneten Tage ab 
Anspruch auf ärztliche Behandlung und auf Verabfolgung von Medica- 
menten und genießen dieselben Rechte wie alle anderen verbandsange¬ 
hörigen Cassenmitglieder. Dabei bemerken wir, daß sich die versicherungs- 
pflichtigen Mitglieder mittelst einer Karte legitimiren müssen, auf welcher 
am oberen Rande mit rother Stampiglie das Wort „versicherungspflichtig“ 
vorgedruckt ist. Diese Mitglieder bleiben so lange versicherungspflichtig, 
als sie sich im Besitze der Legitimationskarte befinden. Was nun die 
freiwilligen Mi tgli eder anbelangt, so erfolgt deren Aufnahme nach 
einer von der Casse der Wiener Bankbeamten veranlaßten ärztlichen Unter¬ 
suchung, wofür seitens der Casse ein Honorar von 2 Kronen 
bezahlt wird. Die aufzunehmenden freiwilligen Mitglieder haben sich 
an den betreffenden Rayonsarzt mit einem von der Casse ausgestellten 
Aufnahmsfoimular zu wenden, welches seitens des Arztes entsprechend 
ausgefüllt an die Casse zurückzusenden ist, worauf die Honorirung er¬ 
folgt. Die freiwilligen Mitglieder unterliegen bloß der ärztlichen 
Controle, welche entweder über Wunsch der Casse oder des Verbandes 
vorzunebmen ist. Diese Mitglieder haben aber weder Anspruch auf 
ärztliche Hilfe, noch auf die Verabfolgung von Medica- 
menten und therapeutischen Behelfen, sowie auf den Spitals¬ 
transport.“ 

Es dürfte Collegen geben, die mit diesem Ausgange des 
Falles „Krankencasse der Wiener Bankbeamten“ zufrieden sein 
werden, da doch nur die versicherungspflichtigen Mitglieder dieser 
Casse freie ärztliche Hilfe und Medicamente erhalten sollen. Wir 
aber zweifeln nicht daran, daß auch dieser unleugbare Erfolg 
der Wiener Aerzteschaft den Anlaß zu stürmischen Recriminationen 
im Verbände der Aerzte Wiens, sowie in der Aerztekammer geben 
wird. — Wie wir erfahren, hat der Vorstand des „Vereines der 
Cassenärzte Wiens“ in einer an das Präsidium der Wiener Aerzte¬ 
kammer gerichteten Eingabe um Weisungen bezüglich des Ver¬ 
haltens seiner dem „Verbände der Genossenschafts-Krankencassen“ 
angehörenden Mitglieder angesucht. In seiner Sitzung vom 13. August 
hat dieser Verein mit Rücksicht darauf, daß die Aerztekammer 
derzeit keine Plenarversammlungen abhalten kann, folgenden Be¬ 
schluß gefaßt: 

„Da unter den obwaltenden Verhältnissen nicht sichergestellt 
ist, ob die Aerzte des Verbandes die Behandlung der Mitglieder 
der Bankbeamtenkrankencasse übernehmen dürfen, sind die ver¬ 
sicherungspflichtigen Mitglieder obgenannter Casse inso- 
lange zu behandeln, als nicht die Aerztekammer und die Organi¬ 
sation der Wiener Aerzteschaft dieses unser Verhalten mißbilligen. 
Hingegen lehnen wir die Untersuchung und Controle 


der freiwilligen Mitglieder ab, da wir durch unseren Ver¬ 
trag nicht dazu verpflichtet sind.“ 

Wir werden über die weitere Entwickelung dieser Angelegen¬ 
heit berichten, geben jedoch schon jetzt nochmals der Ansicht Aus¬ 
druck, daß der derzeitige Ausgang einen Sieg der Wiener Aerzte¬ 
schaft über die Casse der Bankbeamten bedeutet. 


(Universitätsnachrichten.) Der Professor der Derma¬ 
tologie an der Universität in Leipzig Dr. Gustav Riehl ist zum 
ordentlichen Professor der Dermatologie und Syphilis an der Uni¬ 
versität in Wien ernannt worden. — Mit der provisorischen 
Leitung der durch die Berufung des Hofrathes Professor Dr. Max 
Gruber an die Münchener Universität verwaisten Lehrkanzel ist 
der derzeitige erste Assistent am Wiener hygienischen Institute 
Professor Dr. Abthur Schattenfroh betraut worden. — Der her¬ 
vorragendste Vertreter der experimentellen Psychologie in Deutsch¬ 
land Professor Dr. Wilhelm Wündt feierte am 16. August seinen 
70. Geburtstag. 

(Auszeichnungen.) Die Berliner Gesellschaft für Psy¬ 
chiatrie und Nervenkrankheiten hat den Hofrath Dr. Richard Freih. 
v. Krafft-Ebing zu ihrem Ehrenmitgliede ernannt. — Dr. Georg 
Kapsamer hat das Commandeurkreuz des Gregor-Ordens, der Ober¬ 
bezirksarzt in Salzburg, Sanitätsrath Dr. Franz Pöll anläßlich 
seiner Versetzung in den Ruhestand den Franz Joseph-Orden er¬ 
halten. 

(Aerztestatistik und Med ici n s t u d i u m.) Auf je 
10.000 Einwohner kommen nach einer Zusammenstellung von PaiN- 
zing in der „Zeitschrift für Socialwissenschaft“ in Deutschland 
5'1 Aerzte, in Oesterreich 4*1, in Ungarn 2’8, in Italien 6*3, der 
Schweiz 61, in Frankreich 3*9, Spanien 7*1, Belgien 5'2, Eng¬ 
land 6*1, Schottland 7*7, Irland 5'6, Norwegen 5*3, Schweden 2*7, 
Dänemark 6-4, Europ. Rußland 2'7, in Berlin (1900) 14*1, Wien 
(1896) 13-0, Budapest (1896) 16*4, Paris (1896) 9*7, 'Brüssel 
(1897) 14-7, London (1895) 12*8, Madrid (1899) 24*4. — Der 
Rückgang der Zahl der Studenten der Medicin an den deutschen 
Hochschulen ist auch im letzten Semester recht augenfällig ge 
wesen. Die Gesammtziffer der Mediciner an den deutschen Univer¬ 
sitäten betrag im Sommersemester 1897 noch 8141, jetzt beträgt 
sie nur noch 6749, so daß also in diesen fünf Jahren eine Ab¬ 
nahme von 1392 oder fast 20% eingetreten ist. 

(Wilhelminen-Spital.) Am 18. d. M. ist mit der Auf¬ 
nahme kranker Kinder in den neuen Abtheilungen im Wilhelminen- 
spitale begonnen worden. Dieses nunmehr erweiterte Krankenhaus 
wird folgenden Krankenbelegraum bieten : 1. für interne Kranke, 
Erwachsene, im alten Gebäude, 130 Betten; 2. für interne kranke 
Kinder in einem neuen Pavillon 42 Krankenbetten und ein Wasser¬ 
bett ; 3. für chirurgisch und orthopädisch zu behandelnde Kinder 
in einem neuen zweiten Pavillon gleichfalls 42 Betten und ein 
Wasserbett; 4. für an Infectionskrankheiten (Keuchhusten, Schaf¬ 
blattern, Masern, Diphtherie, Scharlach) leidende Kinder in den 
von den übrigen Spitalsräumen und Administrationsgebäuden voll¬ 
ständig getrennten und abgelegenen 19 neuen Pavillons 188 Betten; 
zusammen 404 Betten. Ferner wird ein medicinisches Ambulatorium 
für Erwachsene, ein medicinisches und ein chirurgisches orthopä¬ 
disches Ambulatorium für Kinder in einem hiefür hergestellten 
besonderen Gebäude gehalten werden. 

(Forensisches.) Das „Centralblatt für Gynäkologie“ be¬ 
richtet über die Verurtheilung eines Arztes in M. wegen Körper¬ 
verletzung durch ein Intrauterinpessar. Der Obturator besteht ans 
einem gebogenen versilberten Stäbchen, welches in zwei federnden 
Enden auseinandergeht. Diese federnden Enden werden mit Hilfe 
eines hohlen Führungsstabes so gelegt, daß sie, auseinanderspringend, 
sich dort in den Uterus einlegen, wo die Tuben sich ansetzen, so 
daß das Stäbchen nicht herausfallen kann. Am anderen Ende trägt 
das Stäbchen einen Ring, der durch eine Platte gedeckt werden 
kann. Der Erfinder pries seinen „Obturator“ als unschädlich und 
als Schutzmittel gegen Conception. Dieser Obturator hat es aber, da 
er als Abtreibungsmittel fungirte, bewirkt, daß die Geburtenziffer 
in M. von 8244 im Jahre 1891 auf 7224 im Jahre 1900 (trotz 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 34. 


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Vermehrung der Bevölkerung durch Zuzug) sank. Schwere Zufälle 
erzeugte dieser Obturator für die Trägerinnen auch dadurch, daß 
der federnde Theil in dem Uterus zerbrach. 

(Congreß für Gynäkologie und Geburtshilfe.) 
Die IV. Session dieses Congresses findet vom 15.—21. September 
d. J. in Rom statt. Dem Präsidium gehören die Professoren 
Pasquali, Morisani, Mangiagalli, Pestalozza an. — Secretär 
für Oesterreich ist Docent Dr. Ludwig Mandl, 
Wien, I., Wo 11 zeile 1. Folgende Themata stehen zur Ver¬ 
handlung: I. Medicinische Indicationen zur Hei vorrufung der Früh¬ 
geburt. II. Die Hysterectomie in der Behandlung des Puerperal¬ 
fiebers. III. Die Genitaltuberculose. IV. Chirurgische Behandlung 
des Uteruskrebses. Der Mitgliedsbeitrag (25 Francs für die Congreß- 
theilnehmer, 10 Francs für Familienmitglieder derselben) ist an 
Herrn Dr. Cesare Micheli (Roma, Via Rasalla 127) oder an den 
Secretär einzusenden. Um der Begünstigungen auf den italienischen 
Bahnen, welche zwischen 40°/o und 60% betragen, theilhaftig zu 
werden, wird ersucht, gleichzeitig eine Visitkarte einzusenden, 
auf welcher die Abfahrtsstation, sowie die italienische Grenzstation 
und die Reiseroute nach Rom genau angegeben ist. 

(Deutscher Verein für öffentliche Gesundheits¬ 
pflege.) Die Tagesordnung der vom 17. bis 20. September d. J. 
zu M ti neben stattfindenden 27. Versammlung des genannten 
Vereines umfaßt folgende Vorträge: A. Gärtner (Jena): Die 
hygienische Ueberwachung- der Wasserläufe, K. Grassmann (München): 
Der Eintluß der Curpfuscher auf Gesundheit und Leben der Be¬ 
völkerung, E. Roth (Potsdam): Wechselbeziehungen zwischen Stadt 
und Land in gesundheitlicher Beziehung, Emmerich (München): 
Das Bäckergewerbe vom hygienischen Saodpunkt für den Beruf 
und die Consumenten, Ebeling (Dessau): Bericht über die Frage¬ 
bogen betreffend die Fürsorge für bestehende und die Beschaffung 
neuer kleiner Wohnungen , Abel (Berlin) und Olshausen (Ham¬ 
burg): Feuchte Wohnungen: Ursache, Einfluß auf die Gesundheit 
und Mittel zur Abhilfe. 

(Die jährliche Versammlung der Societe Beige 
de Chirurgie) findet am 8., 9. und 10. September d. J. in Brüssel 
statt. Es kommen nachstehende drei Fragen zur Sprache: 1. Die 
Behandlung der Appendicitis, A. Bboca (Paris). A. Galllt (Brüssel), 
C. Roux (Lausanne), Sonnen bürg (Berlin), 2. Die Behandlung von 
Gliederbrüchen, A. Depage (Brüssel), Rottschild (Frankfurt), 
Th. Tuffier (Paris). 3. Die Operationsasepsis in Bezug auf Vor¬ 
bereitung der Hände, des Operationsfeldes, des Verbands- und 
Nähtematerials, Walravens (Brüssel). 

(Statistik.) Vom 10. bis inclusive 16. August 1902 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 6089 Personen behandelt. Hievon wurden 1331 
entlassen ; 130 sind gestorben (8'91% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 27, egypt. 
Augenentzündung 1, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 8, Dysen¬ 
terie 1, Blattern—, Varicellen 5, Scharlach 20, Masern 62, Keuchhusten 49, 
Rothlauf 17, Wochenbettfieber 4, Rötheln 1, Mumps 4, Influenza 1, follicul. 


Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa — 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 569 Personen gestorben 
(+ 21 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Schwanberg der ehemalige 
Professor für Embryologie an der Wiener Universität Dr. Leopold 
Samuel Schenk im 62. Lebensjahre; in Triest Dr. Karl Seyberth, 
71 Jahre alt; in Meran der Nestor der dortigen Curärzto Dr. Franz 
von Tappeiner im hohen Alter von 86 Jahren; er war durch 
viele Jahre der meistbeschäftigte Arzt von Meran und ein hoch¬ 
angesehener College, der sich auf verschiedenen Wissensgebieten 
erfolgreich bethätigt hat; in Budapest der dortige Professor der 
medicinischen Facultät Dr. Paul Plosz; in Paris der a. o. Pro¬ 
fessor und Honorar-Chirurg des Hotel Dieu Dr. Pollaiton. 

Ersatz für Leberthran. Bekanntlich ist das Einnehmen von Leberthran 
und seiner Com Positionen infolge des schlechten Geruches, des fettigen Nach¬ 
geschmackes, seiner besonders in der wärmeren Temperatur leichten Zersetz¬ 
barkeit und des dadurch entstandenen widerlichen Geschmackes unangenehm, 
nicht selten brechreizend, speciell aber bei kleinen Kindern Darm- und Magen¬ 
störungen uud Durchfälle erregend. Jahr's zus. Jod-Ferratin-Pastillen bieten 
den Herren Aerzten und Patienten einen willkommenen Ersatz für den oft 
mit Widerwillen gebrauchten Leberthran. Sie ersetzen ihn und seine Compo- 
sitionen in allen Fällen, wo derselbe angezeigt wäre. Jahb's Pastilli Jodo- 
Ferratini comp, werden Kindern 2—4 Stück, Erwachsenen 6—9 Stück täglich 
gegeben, wobei saure Speisen und rohes Obst zu vermeiden sind. In Original- 
Schachteln zu je 20 Stück verpackt, sind Jaur's zus. Jod-Ferratin-Pastillen 
zum Preise von 2 K 50 h in den meisten Apotheken erhältlich. 

Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 

Die Rubrik: „Erledigungen, ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der vorletzten Inseraten-Seite. 


Herr Med. univ. Dr. Th. Jahl, Pilsen, schreibt mir am 
23. October 1900 unter Anderem: 

„Bei den beim Zahnen auftretenden Diarrhöen leistete Ihre 
Kufeke-Mehlsuppe vorzügliche Dienste, sowohl bei Kindern, die 
mit Ammenmilcb, als auch nach Soxhlet genährt wurden. In allen 
Fällen ließ ich Ihre Mehlsuppe nur mit Wasser bereitet geben, 
und constatire, daß selbe von den Kindern willig und gerne 
genommen wurde. Jedenfalls hat sich ihr Kindermehl in den ver¬ 
suchten Fällen sehr gut bewährt und ziehe ich es jeder inneren 
Medication vor.“ 

Waare zu Versuchszwecken steht den Herren Aerzten gratis 
franco zur Verfügung. 

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epithel noch genügend functionsfähig ist. 

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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 34. 


1548 


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lontnvol wandt: bei Frauenleiden und Chlorose, bei Gonor- 

^ J 1 hoe, bei Krankheiten der Haut, der Yerdauungs- 

und Circulations-Organe, bei Lungentuberkulose, bei Hals*, Nasen* 
und Augenleiden , sowie bei entzündlichen und rheumatischen 
Affectionen aller Art, theils infolge seiner durch experimentelle 
und klinische Beobachtungen erwiesenen reducirenden, seda¬ 
tiven und an ti parasitären Eigenschaften, theils durch seine die 
Resorption befördernden und den Stoffwechsel steigernden 
Wirkungen. 

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2—9 Tabletten pro die. 

CnU4Us\IU „Ichthyol-Eisen , geruch- und geschmacklos, in 
..lürncninoi • Tabletten ä 0,1 grm., enth. 3y 2 % organ. gebund. 

7 Eisen, indicirt bei Chlorose u. Auaemie, in Ori¬ 

ginalschachteln zu 50 Tabletten. Dosis: 2—9 Tabletten pro die. 

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iP.ntnnTnrm fonicumformaldehydatum), vorzügliches Darm- 

H ? Antiseptikum, angewandt: 

bei Kindern: 0,25—0,50 grm. pro dosi, 3—4 X täglich, in Hafer¬ 
schleim oder Cacao, 

bei Erwachsenen: 1—2 grm. pro dosi, 3—4 X täglich. 

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2000 Aq. dest.), 

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bei Ozaena und Diphtherie (Pinselungen 0,5—2:100 Aqu. dest.) 
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ans gesetzlich geschützt sind, stehen den Herren Aerzten gern zur Verfügung 

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XLIII. Jahrgang._Wien, den 31. Aagnst 1902. 


Nr. 35. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ ersehe,n„ jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart-Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik“, letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse" 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 


Wiener 


Abonnementepreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Militärärztlicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
20 ^, halbj. 10 K, viertel]. 6 K. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halb]. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk., halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8^; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein 
Sendung des Betrages_per Postanweisung an die Administr. 
der „wiener Mediz. Presse“ in Wien,!., Maximilianstr.4. 


medizinische Presse. 


Begründet 1860. 

Bedaction: Telephon Kr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

-»oje«- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bnm. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


Administration: Telephon Br. 9104. 


INHALT: Originalien and klinische Vorlesungen. Theoretisches über das Wesen und die Behandlung des Fiebers. Von Prof. Dr. Abthub Biedl. — 
Ueber eine seltene Complication bei Leukämie. Von Dr. Richabd Helleb in Salzburg. — Referate. Aus der Bonner chirurgischen Klinik (Director 
Geheimrath Prof. Dr. Schede). H. Gbaff: Ueber die Spontanluxationen des Hüftgelenks im Verlauf von acuten Infectionskrankheiten. — Joseph 
Bayer (Köln): Ueber präcipitirte Geburten und ihre Folgen für die Wöchnerin. — Emil Guttmann (Breslau): Klinisch-statistische Beiträge zur 
Aetiologie der hochgradigen Kurzsichtigkeit. — Ostmann (Marburg): Die Bedeutung der tuberculösen Belastung für die Entstehung von Ohren¬ 
krankheiten bei Kindern. — Geobg Kösteb (Leipzig): Ein Beitrag zur Lehre von der Facialislähmung etc. — C. Hibsch und C. Beck (Leipzig): 
Studien zur Lehre von der Viscosität (inneren Reibung) des lebenden menschlichen Blutes. — M. Reichahdt (Chemnitz): Zur pathologischen 
Anatomie der Chorea minor. — Axel Cedebebeutz (Helsingfors): Beiträge zur Kenntniß des Bubo inguinalis und dem Werth einiger Bubo- 
Behandlungsmethoden. — K. Kreibich (Wien): Ueber Geschwülste bei Xeroderma pigmentosum Kaposi, als Beitrag zur Kenntniß des Medullarkrebses 
der Haut. — Tschistowitsch et Yocbkewitsch (Petersburg): De la morphologie du sang des foetus de lapin et de cobaye et de l’influence de 
l’infection de la femelle gravide sar le sang de ses foetus. — Kleine Mittheilungen. Die operative Behandlung des Lungenbrandes. — 
Tannalbin. — Darmantiseptica. — Soxhlet's Nährzucker. — Zur Behandlung der Unterschenkelgeschwüre. — Alboferin. — Die Action des Queck¬ 
silbers auf das syphilitische Gewebe. — Intraarachnoideale Einspritzungen mit Cocain. — Literarische Anzeigen. Der Proceß der Wundheilung 
mit Einschluß der Transplantation. Von F. Marchand , Professor der allgemeinen Pathologie und der pathologischen Anatomie in Leipzig. — Die 
Anatomie und Physiologie der Kehlkopfnerven. Mit ergänzenden pathologischen Beiträgen. Im Aufträge der ungarischen Akademie der Wissen¬ 
schaften auf Grnnd eigener Untersuchungen bearbeitet von Prof. A. Onodi. — Beichten eines praktischen Arztes. Versehen und Fehlschlüsse. 
Erinnerungen von W. Weressajew. — Feuilleton. Das Verhältniß der Aerzte in Oesterreich zu den Krankencassen. Von Dr. Max Ellmann in 
Wien. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. 20. Congreß für innere Medicin. Gehalten zu Wiesbaden, 15.—18- April 1902. (Collectiv-Ber. 
der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) XI. — Aus französischen Gesellschaften. (Orig.-Ber.) — Notizen. — Nene Literatur. — 
Eingesendet. — Offene Correspondenz der Redaction und Administration. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse u gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Theoretisches über das Wesen und die Be¬ 
handlung des Fiebers. 

Von Professor Dr. Arthur Biedl.*) 

In der Fieberlehre, welcher meine folgenden Erörte¬ 
rungen gelten, zeigt sieh in der letzten Zeit wieder wie ehe¬ 
dem ein Gebrauch, welcher fast zur Tradition geworden ist, 
daß neben klinischen und experimentellen Untersuchungen 
positiver Art auch vielfach der kritischen Besprechung ge¬ 
fundener Thatsachen ein breiterer Raum gewährt wird. Dieser 
in der Literatur unzweifelhaft zu Tage tretende Sachverhalt 
kann uns bei dem heutigen Stande unseres Wissens keines¬ 
wegs befremden. Eine eingehende Beschäftigung mit der 
Fieberfrage ergibt nämlich sofort, daß nicht so sehr die ein¬ 
zelnen Thatsachen es sind, an welchen es uns fehlt, sondern 
daß uns das einigende Band mangelt, welches die einzelnen 
Thatsachen vereint oder zumindest das auffällige Mißver- 
hältniß beseitigt, welches zwischen der beinahe unübersehbaren 
Menge von Thatsachen besteht, die wir über das Fieber 
wissen, und der verschwindend geringen Summe von wirk¬ 
lichen Erkenntnissen, welche den Fieberproceß dem Ver¬ 
ständnisse erschließen können. 

Dieses Bestreben, gesicherte Anhaltspunkte in der Auf¬ 
fassung des Fiebers zu gewinnen, führte nun zur Besprechung 
und zu einer eingehenden Sichtung der Arbeitsrichtung, bei 


*) Vortrag, gehalten am III. österr. Balneologen-Congreß in Wien. — 
Stenogramm der „Wiener Med. Presse“. 


welcher keine neuen Thatsachen mehr gesammelt, sondern die 
alten auf ihre Richtigkeit und Werthigkeit geprüft und zu 
einem Gesammtbilde vereint wurden. So erwarten sie denn 
auch dem entsprechend keinen Einblick in neue Thatsachen, 
keine Ergebnisse eigener neuer Untersuchungen oder nur zum 
geringen Theile Nachprüfungen, vielmehr wird meine Auf¬ 
gabe darin bestehen, Ihnen zu zeigen, ob und inwieweit es 
auf Grund des heutigen Standes unseres Wissens möglich 
ist, auf Grund älterer und neuerer Erfahrungen den Fieber¬ 
proceß in seinem Wesen zu erfassen und eventuell für die 
Behandlung des Fiebers einen festen Stützpunkt zu gewinnen. 

Befremdend dürfte es auf den ersten Blick erscheinen, 
daß ich meine Erörterungen damit beginne, daß ich den ge¬ 
rade in Discussion stehenden Begriff des Fiebers vertheidigen 
und vielleicht beweisen muß. In diesem Kreise von Praktikern 
wird mir diese Aufgabe nicht schwer. Jeder von uns kennt 
einen als Fieber bezeichneten Symptomencomplex, erkennt 
und differenzirt ihn besser als viele andere am Krankenbette 
klinischen Erscheinungen gegenüber, welche vieles Gemein¬ 
same mit dem Fieber haben, welche vor allem das Haupt¬ 
merkmal des Fiebers, nämlich die Steigerung der Eigenwärme 
aufweisen. Und trotzdem ist gerade von der Klinik der Vor¬ 
schlag ausgegangen, den Fieberbegriff fallen zu lassen. 

Auf dem Kongresse für innere Medicin im Jahre 1896 
gelangte Unverricht auf Grund von Argumenten, welche 
späterhin discutirt werden sollen, zu dem Schlüsse, daß der 
Fieberbegriff fallen zu lassen sei, oder dafe man, wenn man 
dies nicht thun wolle, unter Fieber einfach die Temperatur¬ 
steigerung verstehen müsse, womit die Behauptung ' auf¬ 
gestellt erscheint, daß jede Temperatursteigerung ohne Rück¬ 
sicht auf ihren Entstehungsmechanismus als Fieber zu be- 

1 * 

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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 35. 


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zeichnen wäre. Dem Vorschlag Unverricht’s ist bisher nicht 
Folge gegeben worden, und er wird meines Erachtens in 
Zukunft, wenn Unverricht’s Argumentationen von neuen 
Gesichtspunkten aus besser als bisher widerlegt sein werden, 
auch theoretisch nicht mehr discutirt werden. 

Ein Kliniker, Fritz Müller, hat über Unverricht’s 
Vorschlag die treffende Bemerkung gemacht, daß, wenn wir 
heute den Fieberbegriflf vergessen würden, ein Arzt kommen 
würde, der das Gemeinsame bei Infectionskrankheiten finden, 
sehen und erkennen würde, und daß derselbe daraus einen 
Begriff des Fiebers formuliren würde. Diese Bemerkung zeigt 
zur Evidenz, daß der klinische Fieberbegriff vollkommen 
feststeht und daß er allen Angriffen gegenüber Stand hält. 

Die Klinik kennt einen eigenartigen Complex von Er¬ 
scheinungen, welchen sie als Fieber bezeichnet, und nur dieser 
Symptomencomplex, nicht aber die Temperatursteigerung allein 
ist unter Fieber zu verstehen. Man wird mir einwenden, daß 
von diesem Standpunkte auch abgewichen wurde. Das will 
ich als richtig zugeben. Doch geschah dies nur zeitweilig, 
vorübergehend, ich möchte sagen, der Mode wegen, einmal, 
als die sogenannte objective Fiebermessung, die klinische 
Thermometrie, ihren siegreichen Einzug gehalten hatte, wo 
man mit Feststellung von Temperatursteigerung bei Kranken 
Fieberformen aufgestellt hat, welche kein Fieber waren, z. B. 
das Nervenfieber, Dentitionsfieber, Urethralfieber u. dgl. m. 
Noch einmal ist von dieser Auffassung abgewichen worden, 
und zwar in neuerer Zeit, als man durch voreilige oder un¬ 
genügend motivirte Uebertragung von experimentellen Er¬ 
gebnissen an Thieren auf den Menschen den Fieberbegriff 
construirt hat. So ruft beispielsweise die Verletzung des 
Streifenhügels bei Kaninchen eine Temperatursteigerung hervor, 
von welcher wir noch nicht einmal sicher wissen, ob sie als 
Fieber anzusprechen ist. Nicht nur die in analogen Fällen von 
Hirblutungen, Herderkrankungen u. s. w., sondern auch die bei 
den heterogensten Nervenkrankheiten auftretenden Temperatur¬ 
steigerungen wurden unter Berufung auf dieses Tbierexperi- 
ment als Fieber bezeichnet. Von dieser Abweichung abgesehen, 
hält die nüchterne klinische Beobachtung an dem Fieberbe¬ 
griffe in solchem Maße fest, die diagnostische Abgrenzung 
desselben gegenüber anderen Affectionen ist eine so klare, daß 
die Klinik nicht in Gefahr geräth, den Fieberbegriff aufzu¬ 
geben , nur der Theorie zu Liebe, nur deswegen, weil die 
Theorie bisher noch nicht imstande ist, den wirklichen Fieberbe¬ 
griff genau zu definiren, und nicht in der Lage ist anzu¬ 
geben, was eigentlich Fieber ist. 

Wir müssen also von diesem Standpunkte ausgehend 
erklären , daß der Fieberbegriff gesichert ist. Meines Erach¬ 
tens soll auch bei dem Unterrichte der Medicin Studirenden 
dieser Standpunkt in der Weise Berücksichtigung finden, daß 
man dem Mediciner nicht früher Vorlesungen über Fieber 
halte, als er nicht Fieberkranke in großer Zahl gesehen hat. 
Erst dann, wenn er genügende klinische Erfahrungen gesammelt 
hat, kann man ihm theoretische Vorlesungen über Fieber 
bieten. 

Es geht also von dem gefestigten Fieberbegriff an uns 
die Forderung heran, zu sagen, was das Wesen des Fiebers 
ist, jenes einigende Band zu finden, welches die heterogenen 
Symptome des Fiebers verknüpft. Die Erforschung des patho¬ 
logischen Processes, der Summe von Abweichungen von der 
Norm muß natürlich zunächst die Ursachen für die Entstehung, 
dann aber auch den Weg berücksichtigen, auf welchem die 
gegebene Ursache das Zustandekommen des Symptomencom- 
plexes veranlaßt. 

Die Entwickelung der medicinischen Forschung im ver¬ 
gangenen Jahrhundert brachte es mit sich, daß die Erfor¬ 
schung des Entstehungsmechanismus, die sogenannte Patho¬ 
genese, viel weiter vorangeeilt ist als die Ermittlung der 
Fieber Ursachen, die Aetiologie. Sämmtliche alte Fiebertheorien 
hatten nur die eine Aufgabe, jene einfach zusammenfassende 
Formel zu finden, in welcher der Entstehungsmechanismus 


aller dem Fieberbilde zugehörigen Symptome enthalten ist. 
Man wußte ja, daß eine Fieberursache vorhanden sein muß, 
und man hat sie auch stillschweigend vorausgesetzt. Man hat 
sich die gesuchte Formel mit einem Schlage noch vereinfacht, 
als man im Hauptsymptom, der Temperatursteigerung, dem 
Calor praeter naturam, das Wesen des Fiebers zu erblicken 
glaubte. Indem man diese Annahme acceptirte, hat sich die 
Sache bedeutend vereinfacht. Denn die Beantwortung der 
Frage „wie kommt die Temperatursteigerung zustande?“ hat 
das Fieberproblem gelöst. 

Die eingehende Beschäftigung mit dem thierischen Wärme¬ 
haushalt, die Erforschung des Vorganges der Wärmeabgabe 
und Wärmeproduction hatte naturgemäß eingehende Studien 
der Wärmeökonomie des Organismus im Fieber zur Folge, 
hatte aber auch direct auf den Modus hingewiesen, wie das Fieber 
entsteht. Man fand nämlich, daß die Temperatursteigerung 
der Ausdruck für die Störung der Wärmebilanz ist; das war 
also jetzt die Zauberformel, welche man so lange gesucht 
hatte. 

Wenn man sie aber einer näheren Betrachtung unter¬ 
zieht , so sieht man, daß sie leider nicht eine Formel war, 
sondern gleich eine Mehrzahl von Formeln. Man konnte sich 
die Störung der Wärmebilanz vorschieden vorstellen. Erstens 
konnte man sagen, daß eine Steigerung der Wärmeproduc¬ 
tion vorhanden sei, welcher die Wärmeabgabe nicht nach- 
kommen kann, zweitens, daß die Wärmeabgabe primär ver¬ 
ringert und die Production gleich geblieben sei, oder endlich 
drittens, daß beide Processe in ungleichem Verhältnisse ge¬ 
stört seien , und zwar die Production der Wärme vermehrt 
und die Wärmeabgabe verringert sei. Es ist natürlich und 
selbstverständlich, daß man, wenn man eine Bilanz aufstellt 
und einen Factor vergrößert, beziehungsweise den negativen 
verringert, immer zu einem Plus kommen muß. Es ist also 
klar, daß jede Theorie, welche auf irgend eine dieser An¬ 
nahmen basirt war, das Fieberproblem, wobei unter Fieber 
nur die Temperatursteigerung zu verstehen ist, zufrieden¬ 
stellend lösen mußte. 

Die Prüfung der thatsächlichen Verhältnisse hat leider 
für den vorurtheilsfreien Beobachter sehr schwere Ent¬ 
täuschungen gebracht. Es gelang nämlich, bei der Unter¬ 
suchung von fiebernden Menschen und Thieren zu zeigen, daß 
sowohl die Wärmeproduction vermehrt ist — wie dies Lieber¬ 
meister angenommen hat —, als auch die Wärmeabgabe ver¬ 
mindert ist — wie Traube annahm —, daß beide Processe 
in ungleichem Maße betheiligt sind. Es ließ sich aus dem 
Studium der Wärmeökonomie bei Fiebernden für jede Theorie 
eine Stütze finden, je nachdem man verschiedene Formen und 
verschiedene Stadien des Fiebers untersucht hat. Ich will 
nicht näher ausführen, daß bei einem Schüttelfrost die 
Wärmeabgabe verringert ist, indem die Hautgefäße sich con- 
trahiren, gleichzeitig an den sichtbaren Muskelzuckungen die 
Mehrproduction von Wärme deutlich zutage tritt. Ich brauche 
nicht zu erwähnen, daß auf der Fieberhöhe mehr Production 
mit vermehrter Abgabe vorhanden ist. Der betreffende Orga¬ 
nismus heizt und öffnet sämmtliche Thüren und Fenster. Ich 
brauche wohl auch nicht hinzuzufügen, daß in der Defervescenz 
das Umgekehrte der Fall ist. Ich möchte nur darauf hin weisen, 
daß der Störung der Wärmeregulation kein Typus zugrunde 
liegt; in verschiedenen Fieberformen und Stadien ist eben 
eine ganz verschiedene Störung vorhanden. 

Schon aus dem Ausgeführten geht hervor, daß alle diese 
Theorien zwar nachweisen können, wie die Temperatursteige¬ 
rung zustande kommt, aber nicht, worin das Wesen der 
Temperatursteigerung besteht. Wenn ich nun noch hinzu¬ 
füge , daß alle diese Theorien ein Moment im Fieber über¬ 
haupt nicht berücksichtigt haben — ich meine die constante 
Eigenwärme —, so zeigt sich ihre Unzulänglichkeit am deut¬ 
lichsten. 

Sie haben weder die Constanz der Fieberwärme, noch 
aber Etwas berücksichtigt, das direct der Annahme einer 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 35. 


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gestörten Wärmeregulation widerspricht, nämlich die That- 
sache, daß der Fieberkranke wirklich regulirt. Das sieht 
ja jeder Kliniker, indem er Fiebercurven macht, das constatirt 
er, wenn er beobachtet, daß trotz Tag- und Nachtschwan¬ 
kungen eine Febris continua vorhanden ist als Ausdruck für 
die präcise wirkende Regulation. Der Fieberkranke regulirt 
aber auch excessiven Anforderungen gegenüber, und daß er 
regulirt, geht auch daraus hervor, daß, wenn man ihn mit 
einem Antipyreticum behandelt, seine Eigenwärme wieder 
ansteigt. 

Schon darin können wir einen Beweis dafür erblicken, 
daß das Wesen des Fiebers nicht in einer Störung der 
Wärmeregulation bestehen kann, wir werden vielmehr zu der 
sehr nahe liegenden Annahme gedrängt, daß die Störung der 
Wärmeregulation nur der Weg ist, welchen der Organismus 
in verschiedenen Fällen verschieden einschlägt, um zu einem 
gemeinsamen Endpunkte, nämlich zur Fieberhöhe zu ge¬ 
langen. 

Dieser Sachverhalt wurde zuerst von Liebermeister aus¬ 
gesprochen. Er sagte: „Im Fieber ist die Temperatur des 
Organismus auf ein höheres Niveau eingestellt.“ Wenn wir 
diese Auffassung Liebermetster’s acceptiren, dann erhellt sich 
wie mit einem Schlage die ganze Sachlage. Wir verstehen sofort, 
warum der Organismus verschiedene Mittel der Regulation in 
Anwendung bringt, wenn wir annehmen, daß seine Einstellung 
eine geändert hohe ist, wenn der Organismus möglichst 
trachtet, die wirkliche Temperatur mit der vorhandenen Ein¬ 
stellung in Einklang zu bringen. 

Es ist richtig, daß der Kranke mit Schüttelfrost weniger 
Wärme abgibt oder mehr producirt, das ist aber nicht das 
Primäre, primär ist vielmehr die hohe Einstellung. Jetzt 
wendet der Organismus alle Mittel an, um zu einer Höhe 
hinaufzukommen, welche seiner Einstellung entspricht. Ist 
dann einmal die Höhe erreicht, dann regulirt der Fieber¬ 
kranke um diese Höhe herum, und gerade diese Thatsache 
ist der Grund für Liebermeister’s Auffassung gewesen. Er 
hat gezeigt, daß der Fiebernde nicht abgekühlt wird, wenn 
er in ein kaltes Bad gebracht wird. Beginnt nämlich die Ab¬ 
kühlung und fällt die Temperatur nur um einige Zehntel, 
so beginnt der Fieberkranke sofort zu zittern. Liebermeister 
hat also daraus die Schlußfolgerung gezogen, daß beim Fieber 
die Eigenwärme hoch eingestellt und nebenbei die Produc¬ 
tion vermehrt ist. Die erste Annahme Liebermeister’s wurde 
von Filehne und seinen Schülern vielfach experimentell ge¬ 
prüft und ist zu einem gesicherten Besitz der Fieberlehre 
geworden. Die Auffassung Liebermeister’s wird auch von 
Löwit in seinem Lehrbuche der allgemeinen Pathologie ver¬ 
treten. 

Worin besteht der Nachweis der geänderten Einstellung? 
Die Untersuchungen von Filehne und seinen Schülern geben 
dafür genügend methodische Anhaltspunkte. Gibt man einen 
normalen Menschen in ein kühles Bad, so wird er, wenn die 
Eigenwärme zu sinken beginnt, zu frieren anfangen und unwill¬ 
kürliche Muskelzuckungen, auch früher schon Vasoconstriction 
in der Haut zeigen, er wird sämmtliche Mittel, welche dem 
normalen Organismus zu Gebote stehen, also die physikalische 
und chemische Regulation auf bringen, um seine Temperatur 
zu erhalten, um gegen das drohende Sinken derselben anzu¬ 
kämpfen. 

Gibt man einen Fieberkranken, z. B. mit über 39°, in 
ein kühles Bad, so wird er sich genau gleich verhalten , aber 
nicht erst, wenn er auf 37° angelangt ist, sondern bereits bei 
39°, d. h. kommt er in das Bad und verliert einige Zehntel, 
so beginnen bereits die Zeichen der Gegenregulation. 

Das Gleiche in umgekehrter Form findet bei der Ueber- 
hitzung statt. Gibt man einen Gesunden in ein warmes Bad, 
so wird er eine Weile ganz ruhig bleiben, so lange die 
Körpertemperatur normal ist. Fängt aber die Temperatur an 
zu steigen, so beginnt er zu schwitzen, d. h. es treten die 


Zeichen der Gegenregulation zutage. Der Fieberkranke im 
warmen Bade schwitzt auch, wenn die Körpertemperatur über 
seine Einstellung hinaufgeht, also beispielsweise 39° über¬ 
steigt. 

Die letztere Methode der Messung der Einstellung gegen¬ 
über Erhitzung ist vielleicht nicht ein wandsfrei, es wäre 
richtiger, eine vermehrte Wärmeproduction ins Auge zu fassen, 
aber leider sind diesbezüglich wenig Untersuchungen vor¬ 
handen. Man könnte den Fieberkranken mit calorienreicher 
Nahrung übermäßig ernähren oder ihn Muskelarbeit leisten 
lassen und nach sehen, ob er auch wie ein normaler Mensch, 
wenn er übermäßig ernährt wird, mehr Wärme abgibt. Diese 
Versuche sind nur vereinzelt angestellt worden, sprechen aber 
jedenfalls im angegebenen Sinne. Es ist begreiflich, daß man 
bei Fieberkranken derartige Versuche nicht machen wird. 

Ich habe in Gemeinschaft mit dem Herrn Docenten 
Strasser auf der Abtheilung des Herrn Hofrathes Professor 
Winternitz in der k. k. allgemeinen Poliklinik in Wien mich 
in einigen Versuchen über die Wärmeregulation beim normalen 
Menschen und beim Fieberkranken zu orientiren bestrebt. 
Unsere Versuche befinden sich derzeit noch im Stadium des 
Beginnes ; ich kann aber trotzdem heute schon sagen, daß die 
Regulirung beim normal en Menschen gewiß eine sehr feine 
ist, gewiß aber vielfach überschätzt wird. Es besteht nämlich 
deutlich eine Differenz in der Regulation zwischen Regulation 
gegen Kälte und gegen U eberhitzung. 

Bei der Kälteregulation sieht man Folgendes: Kommt 
ein normaler Mensch in ein kühles Bad , so sieht man, daß 
er gegenregulirt, Muskelzuckungen bekommt, wenn die Tem¬ 
peratur um zwei Zehntelgrade sinkt, bei manchen Individuen 
freilich erst, nachdem sie um 7—8 Zehntel gesunken ist. 
Wenn man aber einen gesunden Menschen überhitzt, so be¬ 
ginnt er erst dann zu schwitzen, wenn er um einen Grad 
überhitzt ist. Diese Erscheinung ist auf den ersten Blick be¬ 
fremdend , findet aber eine zufriedenstellende Erklärung in 
Folgendem: 

Die Gegenregulation bei der Abkühlung ist nicht eine 
Reaction direct auf die Herabsetzung der Eigenwärme, sondern 
ein Reflex auf den Kältereiz der Hautnerven, während bei 
der Ueberhitzung die Hautnerven scheinbar für minimale 
Grade nicht so empfindlich sind. Immerhin ergibt sich daraus 
die Nothwendigkeit, genaue Untersuchungen beim normalen 
Menschen anzustellen, um nachzuweisen, wie sich die Sache 
beim Fieberkranken verhält. 

Im Großen und Ganzen geht schon aus den Versuchen 
von Stern hervor, daß bei dem Fieberkranken die Regulation 
in demselben Sinne, wenn auch nicht mit derselben Feinheit 
wie beim normalen, functionirt. Damit ist, wie ich glaube, 
die Auffassung Liebermeister’s exact gestützt. Indem ich 
nun noch hinzufüge, daß wir mit dieser Auffassung zu einem 
leichteren Verständnisse des Fiebers gelangen, gestatte ich 
mir, noch Folgendes hervorzuheben: 

Der Fieberkranke im Schüttelfrost hat Vasoconstriction, 
Muskelzuckung. Traube hat angenommen, daß die Vasocon¬ 
striction und der Schüttelfrost die Bedingungen des Fiebers 
sind. Nach der Anschauung Liebermeister’s sind nicht der 
Schüttelfrost und die Vasoconstriction das Primäre, sondern 
der Betreffende hat Vasoconstriction und Schüttelfrost, weil 
er bereits fiebert. 

Genau umgekehrt verhält es sich bei der Defervescenz. 
Gewöhnlich sagt man: Dieser Patient schwitzt, er wird also 
entfiebern; aber richtiger ist: er schwitzt, weil er entfiebert, 
er schwitzt, weil er trachtet, die normal niedrige Einstellung 
zu erreichen, indem er zur Herabsetzung der Temperatur alle 
Schleusen öffnet. (Schluß folgt.) 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 35. 


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Ueber eine seltene Complication bei Leukämie. 

Von Dr. Richard Heller in Salzburg. 

Obgleich Blutungen zu den nicht zu seltenen Complica- 
tionen bei Leukämikern gehören, so scheint mir der zu 
schildernde Fall doch von einigem Interesse zu sein, da die 
zu besprechende Blutung durch ganz besondere Umstände be¬ 
dingt war und außerdem ein Verfahren zur Stillung derselben 
in Anwendung gebracht wurde, das meines Wissens bisher 
noch nicht beschrieben ist. 

Der betreffende Patient kam am 7. Mai 1901 zu mir und 
zwar mit der Angabe, daß er an Leukämie leide, die bei ihm 
schon vor ca. 2 Jahren an einer Klinik in Wien constatirt wurde, 
daß er mit dieser Erkrankung längere Zeit in Behandlung ge¬ 
standen und derzeit eine Arsen ikcur mitmache, wobei er sich 
relativ wohl fühle. 

Während seiner Behandlung sei einigemale ein Kleinerwerden 
des Milztnmors beobachtet worden, ebenso seien Schwankungen 
in der Verhältnißzahl der weißen Blutkörperchen zn den rothen 
eingetreten. Seine Leukämie hätte ihn nicht veranlaßt, einen Arzt 
anfzusuchen, wenn nicht bei ihm bedeutende Beschwerden von 
Seiten eines vor ca. 3 Monaten operirten Empyemes der linken 
Highmorshöhle aufgetreten wäre. Die Operation wurde nach Cooper 
gemacht und die Kieferhöhle nach Extraction des 2. Backenzahnes 
vom Alveolos aus eröffnet, gleichzeitig von der Nase aus eine 
Oeffnung geschaffen, um die Durchspülung besser zu ermöglichen. 

Der Patient erzählt, daß anschließend an die Operation eine 
heftige Blutung eingetreten sei, die aber durch Tamponade in 
nicht allzulanger Zeit zum Stehen gebracht wurde. Anschließend 
an diese Operation sei er durch längere Zeit (ca. 1 Monat) behan¬ 
delt worden, wobei sich bei den Ausspülungen in den letzten 
Wochen übelriechender Eiter ergossen habe. Er verließ dann Wien, 
nm eine Stelle in Salzburg anzutreten und ließ sich die Aus¬ 
spülungen von seiner Schwester machen. Obgleich er die Spülungen 
öfter des Tages, und wie ich mich selbst überzeugen konnte, mit 
großer Gewissenhaftigkeit und Reinlichkeit vornahm, so nahm der 
jauchige Ausfluß aus der Fistelöffnung nichtsdestoweniger immer 
mehr zu und steigerte sich in der letzten Zeit derart, daß seine 
Umgebung sich über den üblen Geruch, den er verbreitete, beklagte 
und er fast völlig appetitlos geworden war. Da außerdem in der 
letzten Zeit ein constanter unerträglicher Gesichts- und linksseitiger 
Kopfschmerz auftrat, so fühlte er sich lebhaft beunruhigt und bat 
mich, neuerdings eine vollständige Untersuchung vorzunehmen. 

Anamnestisch ist außer den oben genannten Erkrankungen nichts 
zu erwähnen, da der Patient bis zu der Zeit, wo er durch seine 
Anämie, die Zunahme seines Leibesumfanges und das Druck¬ 
gefühl, das ihm der Milztumor verursachte, veranlaßt, die Klinik 
aufsuchte, immer gesund gewesen sein will. 

Patient ist 32 Jahre alt, klein, von zartem Knochenbau. 
Panniculus adiposus fast ganz geschwunden. Allgemeine Decken sehr 
blaß, sichtbare Schleimhäute hochgradig anämisch, laryngoskopisch 
außer derselben hochgradigen Anämie der Schleimhaut, des Larynx 
und der Trachea nichts Abnormes. 

Leichte Oedeme an den Knöcheln. 

Pupillen gleich weit, reagiien prompt auf Licht und Accom- 
modation. 

Im Gesicht scheint die linke Wange stärker vorgewölbt als 
die rechte. 

Am Halse nichts Abnormes. 

Thorax lang, leicht tonnenförmig nach unten erweitert. 

Die Percussion und Auscultation der Lungen ergibt in auf¬ 
rechter Stellung normale Verhältnisse. 

Herzdämpfung nach links etwas verbreitert, Spitzenstoß im 
fünften Intercostalraum J / 2 Cm. außerhalb der Mammillarlinie deutlich 
fühlbar. 

Die Auscultation über dem Herzen ergibt ein hauchendes, 
systolisches, anämisches Geräusch. Nonnensausen über den großen 
Halsvenen. Abdomen hauptsächlich in den unteren Partien vorgewölbt. 

Die Leberdämpfung reicht in der Mammillarlinie vom Ober¬ 
rand der 6. Rippe bis fingerbreit unter den Rippenbogen. Der Rand 


derselben ist bei tiefer Inspiration palpabel. Die Milzdämpfung 
reicht von der Wirbelsäule bis an die linke Sternallinie nach vorne 
und bis 2 Finger breit unter dem Nabel nach abwärts. Die Milz 
ist als derber Tumor vollständig abzutasten. Im Abdomen geringe 
Mengen freier Flüssigkeit. 

Die Blutuntersuchung zeigt den Befund einer lienalmyelo- 
genen Leukämie, wobei im gefärbten Präparat vorherrschend poli- 
nucleäre Leukocyten, eosinophile Zellen, jedoch keine kernhalti¬ 
gen rothen Blutkörperchen zu finden waren. Ebenso besteht bei 
Vorhandensein von Mikro- und Makrocyten keine ausgesprochene 
Poikilocytose. Das Verhältniß der weißen zu den rothen schwankt 
zwischen 1:8 und 1:5. Bei Besichtigung der Mundhöhle sieht 
man im linken Oberkiefer dem oben erwähnten Alveolus entsprechend 
eine beiläufig 2 Mm. im Durchmesser haltende Oeffnung, aus der 
jauchiger, mißfärbiger Eiter quillt. Ebenso entleert der Patient 
beim Schneuzen denselben mißfärbigen Eiter. Rhinoskopisch zeigen 
beide Nasenhälften, besonders die linke, das Bild einer chronischen 
Rhinitis. 

Bei der Durchleuchtung erscheint die Oberkieferhöhle voll¬ 
kommen dunkel. Ich spülte die Höhle mit einer Lysollösung aus 
und versuchte hierauf die Wandungen derselben mit einer Sonde 
abzutasten, wobei ich auf einen Widerstand von annähernd teigiger 
Beschaffenheit stieß. 

Da sich während der Sondirung abermals jauchiger Eiter 
ergoß, so machte ich eine neuerliche energische Ausspülung, wobei 
sich eine mißfärbige flottirende Masse in der Fistelöffnung zeigte. 
Da ich dieselbe für abgestoßene Gewebstheile hielt, so ging ich 
vorsichtig mit einer Pincette ein, um dieselben eventuell zutage 
fördern zu können. Es gelang mir auch, und ich zog zu meinem 
großen Erstaunen einen 22 Cm. langen, vollkommen verjauchten 
Tamponstreifen, der offenbar bei der Tamponade der blutenden 
Höhle seinerzeit tibersehen wurde, heraus. Ich hatte diese Lösung 
offen gestanden nicht erwartet, da der Patient lange Zeit in täg¬ 
licher fachmännischer Behandlung gestanden war und man doch 
voraussetzen mußte, daß genau nach der Ursache dieser sich stetig 
steigernden Verjauchung gesehen hätte werden sollen. 

Nach 6tägiger energischer Spülung war der jauchige Aus¬ 
fluß geschwunden, die Secretion nur eine sehr mäßige, die subjec- 
tiven Beschwerden vollkommen aufgehoben, so daß sie den Patienten 
kaum mehr wesentlich belästigten und ich daran dachte, die 
Fistelöffnung sich schließen zu lassen. 

Der Patient machte sich die Ausspülung morgens selbst, 
nachmittags machte ich sie ihm. So ließ die Secretion fast voll¬ 
ständig nach, als ganz unerwartet am 26. Mai, als er sich aus¬ 
spritzte, eine leichte Blutung auftrat. Ich tampouirte, worauf die 
Blutung sofort stand. Da der Patient bereits die ganze Zeit keinen 
Tampon gehabt, so war ihm das Gefühl lästig und er entfernte 
sich am 26. abends ohne meine Erlaubniß den Tampon, legte sich 
zu Bette und schlief die Nacht durch, ohne daß sich irgend etwas 
ereignet hätte. Des anderen Morgens ging er seiner Beschäftigung 
nach, als plötzlich um 11 Uhr vormittags eine heftige Blutung aus 
der Höhle auftrat. Der Patient versuchte durch Einspritzen von 
kaltem Wasser die Blutung zum Stehen zu bringen, was nicht ge¬ 
lang. Um 12 Uhr erschien er bei mir, wobei ich bei der Inspec- 
tion einen continuirlichen, pulsirenden Blutstrom aus der Höhle 
dringen sah. Ich spülte zunächst mit Eiswasser, dann tamponirte 
ich abermals die Höhle und wartete 3 Stunden zu. Die Tamponade 
hielt und ich empfahl dem Patienten absolute Ruhe. Unbegreiflicher¬ 
weise entfernte sich der Patient am 28. gegen Morgen den Tam¬ 
pon, worauf eine kolossale Blutung auftrat, so daß sich nicht nur 
das Blut federkielstark stoßweise in die Mundhöhle ergoß, sondern 
auch nach oben durch die Nase herausfloß. Ich tamponirte aber¬ 
mals die Höhle vollständig aus und überdies die Nase nach Beloqüe, 
wobei ich statt des BELOQUE’schen Instrumentes einen weichen Porges- 
katheter benützte, um ja keine Schleimhautverletzungen zu setzen. 
Nachdem dies geschehen, wurde der Patient in das Sanatorium 
Dr. Gaigher überfuhrt, da er nach den gemachten Erfahrungen 
unbedingt einer strengen und constanten Ueberwachung bedurfte. 
Leider erwies sich meine Hoffnung, die Blutung zum Stehen ge¬ 
bracht zu haben, als trügerisch. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 35. 


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Am 28. abends begann das Blut immer stärker durch den 
vorderen Tampon zu sickern, so daß wir uns entschlossen, von 
neuem zu tamponiren. Es wurde abermals nach Beloque mit einem 
biegsamen Katheter tamponirt, und zwar derart, daß wir den 
hinteren Tampon so groß machten, daß er den Nasenrachenraum 
ausfüllte, dann die Nasengänge selbst tamponirten und vorne mit 
einem großen Tampon möglichst fest abschlossen. Von der Mund¬ 
höhle aus hatte der Tampon gehalten. Die Nacht verlief ziemlich 
ruhig; bei der Morgenvisite aber klagte Patient über einen uner¬ 
träglichen Druck in der Kieferhöhle, gleichzeitig sahen wir, daß 
wieder Blut durch den Tampon gesickert war. Nach dem Grund¬ 
satz quieta non movere entschlossen wir uns noch zuzuwarten, 
da die Menge des Blutes eine geringe war. Leider nahm das 
Durchsickern bis Nachmittag immer zu, und wir sahen, daß auch 
diese Tamponade die Blutung nicht hatte stillen können. Der Pa¬ 
tient spuckte ununterbrochen frisches Blut aus, und bei der Be¬ 
sichtigung des Rachens sah man dasselbe in zwei feinen Streifen 
an der hinteren Rachenwand herabrieseln. Bei der verzweifelten 
Lage entschlossen wir uns, da der Patient durch den kolossalen 
Blutverlust bedeutend geschwächt und der Puls sehr schlecht war, 
nochmals zu tamponiren. Wir griffen, nachdem wir Verschiedenes, 
so die Ausgießung der Höhle mit Gelatine ins Auge gefaßt, end¬ 
lich zu einer neuen Art von Tamponade nach Beloque mit elasti¬ 
schem Kautschukschlauch. Es wurde ein fester, dünner Kautschuk- 
schlauch Uber einen Porgeskatheter gezogen, derselbe durch die 
Nase, Rachen, und Mundhöhle herausgeführt, dann ein sehr starker 
Tampon, der aus Gaze gefertigt war und mit Penghawar gefüllt 
war, daran sicher befestigt, der Tampon mit dem Finger in den 
Nasenrachenraum geschoben, dann der Kautschukschlauch durch 
Anziehen des aus der Nase ragenden Endes stark gedehnt, die 
Nasengänge mit Penghawar stark tamponirt und vorne abermals 
ein gleichartiger Tampon festgebunden. Nachdem dieser sicher ge¬ 
knüpft war, wurde der Kautschukschlauch nachgelassen, so daß 
er vermöge seiner Elasticität die beiden Tampons kräftig gegen 
einander zog. 

Diese Tamponade hielt der Blutung stand, ' üüd ieh mödftte 
sie gerade bei derartigen Fällen von vorhinein empfehlen, da der 
Zug der elastischen Ligatur ein sehr bedeutender ist und die 
Tampons sich absolut nicht lockern können, sondern im Gegentheil 
immer mehr gegen einander gepreßt werden. 

Selbstredend müssen die Tampons groß genug sein, da sie sonst 
sobald sie feucht werden nach vorne oder rückwärts schlüpfen 
können. 

Die Tamponade von der Mundhöhle aus hielt ebenfalls stand, 
nachdem wir sie dadurch unterstützten, daß wir den Patienten 
überdies auf einen mit Penghawar gefüllten Ballen beißen ließen. 

Am 29., 10 Uhr abends, begann Nasenbluten aus der rechten 
Seite, das sich bei der Inspection als eine spritzende Arterie des 
Septums erwies. Die Arterie wurde mit dem Galvanokauter ver- 
schorft und dann auch die rechte Seite tamponirt. Am Morgen 
des 30. zeigte sich Oedem der linksseitigen Gesichtshälfte und 
des Auges, im Uebrigen war keine neue Blutung erfolgt. 

Nachdem nun nach fast 5tägiger Anstrengung endlich Ruhe 
eingetreten war, blieb der Patient noch 4 Tage mit den Tam¬ 
pons, und wir hatten die Freude, nach Entfernung derselben 
keine weitere Blutung mehr zu haben. 

Das Oedem ging nach Entfernung der Tampons rasch zurück, 
ebenso verheilte ein ca. erbsengroßer Decubitus am linken Nasen¬ 
flügel der sich unter dem Druck der elastischen Ligatur gebildet 
hatte, sehr rasch. 

Während der ganzen Zeit war der Patient mit Milch, Eiern 
und Somatose genährt worden und es stellte sich sofort Appetit 
ein. Bereits am 3. Tag nach der Entfernung der Tampons konnte 
er das Bett verlassen. 

Selbstredend hatte die Anämie bedeutend zugenommen, der 
Puls hob sich jedoch bald wieder, zumal die Nahrungsaufnahme 
eine vollkommen ausreichende war. Bei dem kolossalen Blutverlust, 
den der Patient erlitten, war es interessant, neuerdings Blutunter¬ 
suchungen anzustellen. Es zeigten sich hiebei im gefärbten Präparat 
zanlreiche kernhaltige Rothe und eine deutliche Poikilo- 


cytose, ein Befund, der von nun ab, so lange ich den Patienten 
beobachten konnte, constant blieb. Am 6. Juni verließ der Kranke 
das Sanatorium und blieb noch 10 Tage in häuslicher Pflege, ohne 
daß eine weitere Blutung eingetreten wäre. Der Ausfluß aus der 
Oberkieferhöhle war nach kurzer Zeit wieder schleimig geworden, 
die Fistelöffnung verkleinerte sich. Patient gibt an, daß ihm das 
Empyem keinerlei Beschwerden mache. Er ging dann abermals 
seiner Beschäftigung nach und stellte sich mir im Verlaufe des 
Sommers noch öfters vor, wobei ich zunehmenden Milztumor, Oedem 
der Beine und zunehmenden Ascites beobachten konnte. Im Monate 
August sah ich den Patienten zum letztenmal, die Oedeme an den 
Beinen waren geschwunden, der Ascites zurückgegangen, der Blut¬ 
befund der gleiche. 

Er verließ Salzburg, um in einer anderen Stadt einen 
Posten anzunehmen und starb, wie mir mitgetheilt wurde, im Herbst 
ganz plötzlich, ohne daß sich noch irgendwelche Blutungen ge¬ 
zeigt hätten. 

Es scheint mir in diesem Falle keinem Zweifel zu unter¬ 
liegen, daß die lebenbedrohende Blutung offenbar durch den 
in der Höhle vergessenen Tamponstreifen verursacht wurde, 
sei es, daß durch die andauernde Verjauchung die Schleim¬ 
haut und Gefäßwandungen nekrotisirt waren, sei es, daß sich 
nach Entfernung des Tampons Granulationen bildeten, die 
spontan zu bluten anfingen. 

Jedenfalls aber möchte ich betonen, wie dringend noth- 
wendig es ist, Tamponstreifen, die in die Oberkieferhöhle ein¬ 
geführt werden , mit einer Seidenligatur an einen Zahn zu 
befestigen, da man daduich derartigen Vorkommnissen be¬ 
stimmt Vorbeugen wird. 

Außerdem glaube ich nochmals auf die elastische Tam¬ 
ponade hinweisen zu dürfen, die auch in anderen ver¬ 
zweifelten Fällen vielleicht noch ihren Dienst leisten wird. 
Herrn Dr. Gaigheii, der in außerordentlicher Liebenswürdigkeit 
mich in jeder Hinsicht bei dem Falle unterstützte, sage ich 
hiemit meinen verbindlichsten Dank. 


Referate. 


Aus der Bonner chirurgischen Klinik (Director 
Geheimrath Prof. Dr. Schede). 

H. Graff: Ueber die Spont&nluxationen des Hüft¬ 
gelenks im Verlauf von acuten Infectionskrank- 
heiten. 

Typhus, Scharlach, Masern, Diphtherie, Influenza, Pneumonie, 
Gonorrhoe, puerperale Sepsis u. a. m. können durch Gelenkerkran¬ 
kungen, meist seröse Exsudate, selten eitrige, complicirt sein. 
Viel seltener, doch schon den ältesten Schriftstellern bekannt, sind 
schwere Gelenkzerstörungen, insbesondere jene Formen, die Bichat 
zuerst spontane Luxationen hieß. Graff („Deutsche Ztschr. für 
Chirurgie“, Bd. 62, H. 5/6) gibt uns eine Uebersicht über die 
Theorien, welche diese Erscheinung erklären sollen, und betrachtet 
sie au der Hand von vier Beobachtungen aus der Bonner Klinik 
(ein Fall typhösen, einer puerperalseptischen und zwei Fälle osteo¬ 
myelitischen Ursprungs). Ein ziemlich constanter Befund an den 
Gelenken ist 1. verhältnißmäßig geringe Veränderung am Gelenk¬ 
kopf, zuweilen Knorpeldefecte oder Knorpelwucherungen, zuweilen 
Abplattung und Verkleinerung, nie Zerstörung. 2. Verflachung der 
alten Pfanne und Ausfüllung mit schwieligen, schwartigen Massen, 
die sich durch ihre besondere Derbheit, Festigkeit und Härte aus¬ 
zeichnen. 3. Schrägstellung oder directe Steilheit des oberen 
Pfannendachs. Ein einfacher Gelenkhydrops dürfte nur in seltenen 
Fällen die alleinige Ursache einer Gelenkluxation sein; es müssen 
wohl noch begünstigende Veränderungen am oberen Pfannendach 
vorhanden sein, seien es angeborene oder wahrscheinlicher patho¬ 
logisch erworbene. Die Therapie kann natürlich nur die unblutige oder 
die blutige Reposition ■sein. IIoffa gelang vier Monate nach Schar¬ 
lach, Schede drei Monate nach Masern die unblutige Reposition; 
es läßt sich das auf dem SCHEDE’schen Operationstisch recht gut 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 35. 


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machen, nicht durch die Kraft der Hände. Nie darf man erfolg¬ 
losen Repositionsversuchen unmittelbar die Extension anschließen : 
das gibt fast stets Infection! Man muß 2—3 Wochen warten. 
Schede macht den LANGENBECK’schen Resectionsschnitt und behan¬ 
delt die Wunde offen; er legt eine Combination von Streck- und 
Gypsverband an ; nach etwa sechs Wochen bei ungestörtem Wund¬ 
verlaufe bleibt der Gypsverband weg, und Streckverband mit Vor¬ 
nahme passiver Bewegungen setzen die Behandlung fort , dazu 
kommt die Apparatbehandlung (Iliiftgelenkschaukelapparate.) 

R. L. 

Joseph Bayer (Köln): Ueber präcipitirte Geburten und 
ihre Folgen für die Wöchnerin. 

B.’s Statistik umfaßt im Ganzen 59.169 Geburten. Auf diese 
kommen 704 präcipitirte, sogenannte Sturzgeburten, doch schwanken 
die Procentsätze aus den verschiedenen Anstalten, wo Statistiken 
vorliegen, zwischen 0*58% und 2 , 8%. („Volkmann’s kl. Vortr.“, 
Nr. 289). 

An den 59.169 Geburten mit 704 Sturzgeburten betheiligten 
sich chronologisch Hagenberger mit 8036 : 73, Reinhard mit 
3390:23, Bidder und Sutujin mit 1998:20, Henning mit 
4094:114, Matthaei mit 1114:10, v. Winckel mit 12.117:212, 
v. d. Goltz, mit 4337:57, Koch mit 3775 : 37, Moser mit 
1853:22, Heraucodrt mit 6250:61, Hellhake mit 3803:47 
und Bayer mit 8402:48. Die Beobachtungszeit schwankte zwischen 
1 und 21 Jahren. Prädisponirend für präcipitirten Verlauf der 
Geburt wirken: Phthisis pulmon., Catarrhus intestinalis febrilis, 
Lues. Unter den 48 sturzgeborenen Kindern waren 10 frühgeboren, 
5 macerirt. Auffallend ist, daß Il-parae mit Vorliebe betroffen 
werden; die Ursachen sind noch nicht aufgeklärt. Begreiflicher ist, 
daß wegen des geringeren Volumen Mädchen häufiger sturzgebo¬ 
ren werden; unter den 48 Fällen kamen 27 Mädchen auf 21 Knaben. 
Der Umstand, daß recht häufig mit dem Hervorstürzen des Frucht¬ 
wassers auch gleich das Kind geboren wurde, bringt den Verf. zu 
der Anschauung, als ob vorzeitiger Blasensprung zu Sturzgeburt 
prädisponire, was jedenfalls nicht mit den Thatsachen überein- 
stimrat. Prädisponirend wirkt auch geringe Beckenneigung. Die 
meisten überraschten Kreißenden gebaren im Stehen (273), dann 
kamen die, welche im Sitzen (149) oder Hocken (85), oder im 
Liegen (81), im Gehen (67), am seltensten im Knien (14) ge¬ 
baren. Keine nahm spontan die Knieellenbogenlage ein. Das Win¬ 
terhalbjahr prädisponirt zu Sturzgeburt: in den zwei Quartalen 
vom 1. October bis letzten März kamen je 117, in den zwei 
Sommerquartalcn nur 111 und 69 präcipitirte Geburten vor. Zwil¬ 
lingssturzgeburten, namentlich des zweiten Zwillings, hat Verf. 
nur einmal in der Literatur auftreiben können, überhaupt fand er 
nur 9 gut beschriebene, während bei 11 weiteren genauere An¬ 
geben fehlen. 

Blutungen, Nachgeburtsstörungen und Weichtheilverletzungen 
waren nicht auffallend häufiger als bei regelmäßigen Geburten. 
Wochenbetterkrankungen waren häufiger, aber nicht schwerer bei 
den 48 Fällen eigener Untersuchung. 

1 starb an Herzinsufficienz, von den übrigen 47 hatte 1 Fieber 
wegen Bronchitis, 1 wegen Retention der Lochien, 1 spitze Con¬ 
dylome und Fieber, 1 Mastitis und Parametritis, 1 Fieber aus 
unbekannter Ursache, 2 wegen Diätfehler, 2 wegen Subinvolutio, 
Damm- und Scheidenriß, 2 Puerperalgeschwüre und Fieber, 3 Endo¬ 
metritis puerperalis und Fieber, 3 Fieber infolge manueller Pla- 
centarlösung, 13 hatten Dammrisse, 4 mit Fieber. 

Verf. zieht den Schluß, daß es keine Selbstinfection gebe; 
nur wo Untersuchung stattgefunden hatte oder Eingriffe von außen 
nöthig gewesen waren, erfolgte Fieber. N. 


Emil Guttmann (Breslau): Klinisch-statistische Beiträge 
zur Aetiologie der hochgradigen Kurzsichtig¬ 
keit. 

Das Material G.’s umfaßt 3688 Myopen, darunter 1000 Pa¬ 
tienten mit hochgradiger Myopie. („Arch. f. Ophthalm.“, 1902, Bd. 54, 
H. 2.) Die Ergebnisse lauten: An den hochgradigen Myopiefällen 


ist das männliche Geschlecht mit 36% , das weibliche mit 64% 
betheiligt, letzteres also fast doppelt so stark als das männliche, und 
da die Gesammtzahl der männlichen und weiblichen Augenkranken 
ziemlich gleich ist, ist das Weib beinahe doppelt so stark zur hohen 
Myopie disponirt. (Umgekehrt ist das Verhältniß bei der Myopie 
geringerer Grade.) Drei Viertel der Fälle gehören der genuinen 
Myopie an, und nur ein Viertel findet sich bei Leuten, welehe vom 
15. Jahre ab intensive Naharbeit getrieben haben.. An der hoch¬ 
gradigen Arbeitsrayopie zeigen sich beide Geschlechter fast gleich 
betheiligt, an der genuinen das weibliche mehr als doppelt so stark 
wie das männliche. Von den hochgradigen Myopiefällen des männ¬ 
lichen Geschlechts steht der dritte Theil in Zusammenhang mit 
Naharbeit, von denen des weiblichen Geschlechts nur der fünfte. 
Das weibliche Geschlecht ist mehr als doppelt so stark wie das 
männliche zur genuinen Myopie disponirt. Die Weiber neigen 
doppelt so stark als die Männer zu den höchsten Graden der starken 
Kurzsichtigkeit. Diese höchsten Grade finden sich unter den Nah¬ 
arbeit treibenden Männern wesentlich seltener als unter denen mit 
genuiner Myopie. Complicationen des Augengrundes finden sich bei 
28% aller hochgradig Kurzsichtigen; das weibliche Geschlecht ist um 
mehr als die Hälfte stärker dazu disponirt als das männliche. Von 
den Complicationen ist die häufigste das Vitium maculae corneae, 
selten die Netzhautablösung. Die größte Zahl der Complicationen 
findet sich im fünften Lebensdecennium, demnächst im vierten und 
sechsten. Die hohe genuine Myopie ist bei Männern um die Hälfte 
stärker zu Complicationen disponirt als die hohe Myopie der Nah¬ 
arbeiter. Bei dem größten Theil aller Fälle von hochgradiger 
(sowohl genuiner als functioneller) Kurzsichtigkeit ist keine Ver¬ 
erbung von den Eltern nachzuweisen. G. 

Ostmann (Marburg): Die Bedeutung der tuberculösen 
Belastung für die Entstehung von Ohrenkrank¬ 
heiten bei Kindern. 

Die tuberculöse Belastung fördert die Entstehung und übt 
einen ungünstigen Einfluß auf ‘den Ablatff der entstandenen Ohr¬ 
erkrankung aus, und zwar um so mehr, je schwerer die Belastung 
ist („Münch, med. Wschr.“, 1902, Nr. 29). 

Es fragt sich, welches die geheimnisvollen Fäden sind, die 
wir zwischen der tuberculösen Belastung der Kinder und ihren 
Erkrankungen des Ohres gezogen sehen. Die Ohrenerkrankungen 
als solche sind nicht tuberculös; das können wir für die größte 
Zahl mit Bestimmtheit behaupten ; denn in der Mehrzahl der Fälle 
handelte es sich um chronisch-katarrhalische Erkrankungen des 
Mittelohrs und um ausgeheilte Entzündungen; nur für die wenigen 
fortbestehenden Eiterungen könnten Zweifel bestehen. Das Binde¬ 
glied zwischen der Tuberculöse der nächsten Blutsverwandten und 
den Ohrenerkrankungen der Kinder ist in erster Linie in der 
durch die tuberculöse Belastung bedingten erhöhten Vulnerabilität 
der Nasen- und Rachenschleimhatit, einschließlich des in ihr ein¬ 
geschlossenen adenoiden Gewebes, in zweiter Linie in der geringen 
Widerstandskraft des Gesammtorganismus der Kinder gegen schä¬ 
digende Einflüsse zu suchen. 

Nur bei Annahme dieser Bindeglieder läßt sich das aus der 
statistischen Untersuchung hervorgegangene Resultat klinisch er¬ 
klären, daß die tuberculöse Belastung nicht allein die Entstehung 
von Ohrenkrankheiten fördert, sondern auch einen ungünstigen 
Einfluß auf den Ablauf der entstandenen Ohrenerkrankung ausübt, 
und zwar um so mehr, je schwerer die Belastung ist. L. 


Georg Köster (Leipzig): Ein Beitrag zur Lehre von 
der Facialislähmung etc. 

Aus zahlreichen klinischen und experimentellen Beobachtungen 
K.’s geht hervor („Deutsch. Arch. f. klin. Med.“, 1902 , Bd. 72, 
H. 5 u. 6), daß bis jetzt die secretorische Abhängigkeit der mensch¬ 
lichen Thränendrüse vom Sympathicus noch keineswegs als sicher 
feststehend zu betrachten ist. Wenn auch die Mehrzahl der Fälle 
eiue mehrfache Deutung zuläßt, so scheinen doch vereinzelte Beob¬ 
achtungen und besonders die Thränenstörungen nach operativer 
Schädigung des Halssympathicus für einen Einfluß des Sympathicus 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 35. 


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auf die Thränensecretion zu sprechen. Wenn dieser Einfluß wirklich 
besteht, so ist er jedenfalls für den Beobachter schwerer nachzu¬ 
weisen als der des Facialis auf die Thränenabsonderung. Sollte 
sich durch weitere, für den Sympathicus positiv ausgefallene Beob¬ 
achtungen die bis jetzt nur bis zu einem gewissen Grade wahr¬ 
scheinlich gemachte Innervation der Glandula lacrimalis durch den 
Sympathicus bestätigen, so hätten wir in Analogie der Speichel¬ 
drüsen eine Doppelinnervation vor uns. Sowie die Speicheldrüsen 
zugleich von markhaltigen Fasern aus dem N. facialis resp. glosso- 
pharyngeus und von marklosen Sympathicusfasern seeretorisch 
innervirt werden, so würde dann auch die Thränendrüse zugleich 
dem secretorschen Einfluß eines markhaltigen und eines mark¬ 
losen Nerven unterstehen. Daß der markhaltigc Secretionsnerv der 
Thränendrüse beim Menschen der Facialis (resp. Glossopharyngeus) 
ist, hat Verf. in seiner Arbeit überzeugend dargethan. Zukünftige 
Untersuchungen müssen ergeben, ob der Sympathicus zugleich mit 
dem Facialis auf die Drüse wirkt, oder ob beide Nerven in einem 
antagonistischen Verhältnisse zu einander stehen. L. 


C. Hirsch und C. Beck (Leipzig): Studien zur Lehre von 
der Viscosität (inneren Reibung) des lebenden 
menschlichen Blutes. 

In der Mehrzahl der untersuchten Fälle von Nephritis war 
eine Erhöhung der Viscosität des Blutes nicht zu constatiren. Die 
in mehreren Fällen festgestellte hochgradige Herabsetzung der 
Viscosität findet ihre Erklärung iu der bestehenden Hydrämie. In 
3 Fällen fand sich eine gesteigerte innere Reibung des Blutes 
(12 - 5°/ 0 des Materiales). In einem Falle von genuiner Schrumpf¬ 
niere war die innere Reibung fast aufs Doppelte gestiegen, ln 
keinem der Fälle bestand eine bemerkenswerthe Hydrämie. Die 
Kranken hatten keine Oedeme („Deutsch. Arcli. f. klin. Med.“, 
1902, Bd. 72, H. 5 u. 6). In dem angeführten Falle von genuiner 
Schrumpfniere und in einem weiteren Falle beobachteten die Verff. 
die Steigerung der Viscosität nach dem Ausbruche urämischer 
Erscheinungen. Dieses Verhalten bedarf weiterer klinischer und • 
experimenteller Nachprüfung. Die alte BRiGHT’sche Hypothese, daß 
die Ilerzhypertrophie bei Nephritis durch eine gesteigerte directe 
Erregung des Herzmuskels ausgelöst werde, läßt sich mit dem 
gegenwärtigen Stande unserer Kenntnisse am besten in Einklang 
bringen. Br. 

M. Reichardt (Chemnitz): Zur pathologischen Anatomie 
der Chorea minor. 

Verf. hat zwei einschlägige Fälle klinisch beobachtet und 
anatomisch untersucht („Deutsch. Arch. f. klin. Med.“, 1902, ßd. 72, 
H. 4 u. 5). Im 1. Falle schloß sich die Chorea eng einer rheuma¬ 
tischen Gelenkerkrankung an und verlief, eine agonale Temperatur¬ 
steigerung ausgenommen, fieberlos; sie war in den letzten 8 Tagen, 
bei Nachlassen der choreatischen Bewegungen, von einer Psychose 
begleitet. Im 2. Falle trat die Chorea als Recidiv einer früheren 
Chorea auf, verlief stürmisch und führte innerhalb 6 Tagen zum 
Tode; das Sensorium war bis zum Tode frei. — Die Befunde R.’s 
liefern eine weitere Stütze für die Annahme, daß die Chorea minor 
auf infectiöser Grundlage entstehen kann. Beweisend erschienen in 
den Fällen des Verf.’s eine vorhandene Endocarditis und Pericarditis, 
Bakterienbefunde und materielle Veränderungen im Gehirn, die 
wohl als Folge einer Toxinwirkung angesehen und in Beziehung 
zu der Bewegungsstörung und den psychischen Erscheinungen ge¬ 
bracht werden dürfen. Dabei läßt es sich wohl denken, daß unter 
Umständen die anatomische Untersuchung in Fällen von Chorea 
versagt, welche trotzdem dieser infectiös-toxischen Gruppe zuzu¬ 
rechnen sind. Weit weniger befriedigend gestaltet sich das Ergeb- 
niß der beiden Fälle, wenn man sich der Frage zuwendet, auf welche 
anatomische Grundlagen die choreatischen Bewegungsstörungen zu 
beziehen sind. Sind sie eine Folge der entzündlichen Reizung 
des Gehirnes, so gestattet die diffuse Ausbreitung der Entzündung 
nicht, einen Schluß zu ziehen, von welcher Stelle die Bewegungen 
ausgelöst werden. Man ist im Allgemeinen geneigt, den Sitz dieser 
motorischen Reizung in die Centralwindungen zu verlegen, im An¬ 


schlüsse an die Erfahrung, daß in einigen Fällen von acuter und 
chronischer Meningo-Encephalitis, corticaler Tuberculose u. s. w. 
dieser Gegenden choreiforme Bewegungen auftraten. Es ist in 
dieser Hinsicht bemerkenswerth, daß die Rinde in den R.’schen 
Fällen wenig verändert war, und daß die Ganglienzellen auch in 
entzündeter Umgebung intact gefunden wurden. Werden aber durch 
zahlreiche Untersuchungen der basalen Ganglien und der Binde¬ 
arm bahnen des Kleinhirns die von R. beschriebenen Degenerationen 
in diesen Partien bestätigt, daun wird sich die Frage nach der 
Localisation der Choreabewegungen vielleicht einmal im positiven 
Sinne entscheiden lassen. G. 


Axel Cederereutz (Heisingfors): Beiträge zur Kenntniß 
des Bubo inguinalis und dem Werth einiger 
Bubo-Behandlungsmethoden. 

In mindestens % aller Bubo inguinalis-Fälle kann die vene¬ 
rische Ursache der Affection nicht festgestellt werden. In etwa % 
aller Fälle von nach Ulcus molle entstandenen Leistenbubonen sind 
die Drüsenschwellungen bilateral. Sonst vertheilen sich die nach 
Ulcus molle entstandenen Bubonen ziemlich gleich auf die beiden 
Seiten, mit einer geringen Bevorzugung der linken Seite. Die so 
genannten abortiven Bubobehandlungsmethoden sind zu unterlassen. 

So weit als möglich sind die Bubonen conservativ-exspeetativ 
zu behandeln. Sehr empfehlenswerth sind hiebei: Heiße Sandsäcke, 
Spiritusverbände (mit unterlegter Zinkpaste), essigsaure Thonerde¬ 
umschläge und in den allerersten Stadien Eisblasen („Therapie 
der Gegenwart“, 1902, Nr. 8). 

Bei eingetretener Eiterung — und besonders in Fällen, wo 
nur eine einzelne Drüse vereitert ist, ist eine kleine Incision mit 
nachfolgender Injection (eine oder mehrere) von Argentum nitri- 
cum-Lösung l°/o bis 2% (Lang) oder — in den meisten Fällen 
noch lieber — Jodoformvaseline 10% zu empfehlen. Etwa % oder 
% der so behandelten Bubonen heilen ohne größere operative 
Eingriffe. Die durchschnittliche Heilungsdauer dieser Fälle kann 
auf etwa zwei Wochen geschätzt werden. Als ultimum refugium ist 
die breite Incision mit Auskratzung und Jodoformgazetamponado 
oder die Totalexstirpation der Drüsen vorzunehmen. Die durch¬ 
schnittliche Heilungsdauer der so operirten Bubonen kann auf vier 
bis sechs Wochen geschätzt werden. N. 

K. Kreibich (Wien): Ueber Geschwülste bei Xeroderma 
pigmentosum Kaposi, als Beitrag zur Kenntniß 
des Medullarkrebses der Haut. 

Das verarbeitete Material entstammt drei an der Klinik beob¬ 
achteten Fällen, von deren genauer klinischer Beschreibung darum 
abgesehen wird, weil sie sich iu nichts von den seinerzeit von 
Kaposi entworfenen Bildern unterscheiden. Bei der Untersuchung 
kam es dem Autor („Arch. f. Derm. u. Syph.“, Bd. 57, 1901) 
hauptsächlich darauf an, nachzuweisen, iu welchem Verhältniß die 
Geschwülste des Xeroderms und das Ulcus rodens zueinander 
stünden. Wenn auch das äußere Ansehen der beiden Erkrankungen 
zumeist außerordentlich differirt, so sprach doch in klinischer Hin¬ 
sicht einmal die Benignität, dann aber die Analogie der senilea 
Haut mit der des Xeroderms dafür, daß sich auch im Aufbau zu¬ 
mindest große histologische Aehnlichkeiten ergeben müßten. Tliat- 
säehlich konnte K. den Typus, den er seinerzeit als charakteristisch 
für das Ulcus rodens bezeichnet hatte, hier wiederum finden; auch 
hier nimmt die Epithelzelle beim Uebergang in die Geschwulstzelle 
Spindelform an , ihr Protoplasma ist gering, ihr stark färbbarer 
Kern länglich, auch hier sind die Geschwulstläppchen entweder durch 
Lücken vom Stroma getrennt oder durch deutliche, pallisadenartig 
angeordnete Cylinderzellen nach außen begrenzt. Da die so zur 
Geschwulstzelle veränderte Epithelzelle nicht verhornt, sondern 
nekrotisirt, so folgt daraus, daß der flache Hautkrebs in den meisten 
Fällen ein medulläres Carcinom ist (medullär in Bezug auf die 
Beschaffenheit des Krebsparenchyms). 

Diese Form der Zelldegeneration ist vielleicht durch die von 
Hansemann als Anaplasie bezeichnete Veränderung des Zellcharakters 
erklärt, könnte aber auch darin ihren Grund haben, daß die Ge- 

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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 35 


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schwulst aus einer Wucherung der tiefsten Zellreihen hervorgeht, 
welche noch nicht so weit differenzirt sind, daß sie verhornen 
müssen ; im Gegensätze dazu geht das Cancroid (Hornkrebs) aus 
einer Wucherung der oberen Retezellen hervor. So erscheint das 
flache Epitheliom entweder als Hornkrebs oder als Medullarkrebs. 
Die untersuchten Xerodermgeschwülste waren sämmtlich Medullar- 
krebse, nur ein von der Nasenhaut stammendes Knötchen zeigte den 
Bau der von Jarisch als Trichoepitheliome bezeichneten Tumoren, 
indem dieselben nicht vom oberflächlichen Epithel stammen, sondern 
iD Beziehung zu den Haarbälgen stehen. 

Bezüglich der Behandlung vertritt K. das Princip, den 
Kranken mit einer sicher recidivfreien Narbe, die die geringste 
flache dünne Entstellung verursacht, zu entlassen. Schon aus 
dieser Fassung ist ersichtlich, daß er der Aetzung, Schabung, 
LöfFelung u. s. w. mehr das Wort redet als der Excision mit an¬ 
schließender Plastik; wenn er auch die letztere nicht verwirft, so 
gilt sie ihm doch erst in zweiter Linie. Bekanntlich zog auch 
Kaposi die Aetzmittel dem chirurgischen Verfahren vor. 

Deutsch. 


TSCHISTOWITSCH et YOüRKEWITSCH (Petersburg): De la mor* 



vide sur le sang de ses foetua. 

Es ist aus zahlreichen in der Literatur vorliegenden Angaben 
bekannt, daß bei Infection der Mutter im Blute kreisende Bakterien 
und Toxine durch die Placenta in das Blut des Fötus übergehen, 
ja unter Umständen den Tod desselben zur Folge haben können. 
Die VerfF. wollten nun die Veränderungen, die unter diesen Um¬ 
ständen im Blute des Fötus auftreten, studiren und untersuchten 
zu diesem Behufe Kaninchen und Meerschweinchen („Annales de 
l’Institut Pasteur“, 1901, pag. 753). Es handelte sich darum fest- 
zustcllen, ob bei Infectionen der Mutter im Blute des Fötus in 
gleicher Weise wie in dem der Mutter Veränderungen der Zahl 
der Leukocyten im Sinne einer Hypo- oder P[ypej‘}eu.k,QcytQse auf: 
treten. Zu diesem Zwecke erwies es sich als nothwendig, zunächst 
das Blut normaler Föten von Kaninchen und Meerschweinchen einer 
genauen Untersuchung zu unterziehen. Bei den weiteren Unter¬ 
suchungen im Verlaufe von Infectionen der Mutter ergab sich nun, 
daß das fötale Blut keine Veränderungen aufweist , während sich 
im mütterlichen Hypo- oder Hyperleukocytose findet. Die VerfF. er¬ 
klären sich diesen Befund dadurch, daß bei der geringen Zahl’von 
Leukocyten, die bereits normaler Weise im fötalen Blut während 
seines intrauterinen Lebens vorhanden ist, auch die Fähigkeit der 
phagocytären Verteidigung gegen Infection oder Intoxication nur 
sehr gering entwickelt ist. Dr. S—. 


Kleine Mittheilungen. 

— Die operative Behandlung des Lungenbrandes erörtert 
Lenhartz („Mitth. a. d. Grenzgebieten d. Med. u. Chir.“, Bd. IX, 
H. 3). L. hat im Ganzen 25 Fälle von Lungenbrand mit Rippen- 
resection und Pneumotomie behandelt; davon sind 13 geheilt und 
12 gestorben, und zwar: 3 an der gleichzeitigen Lungentuber- 
culose, 3 an Sepsis, bezw. mehrfacher Gangrän, 1 Fall an allge¬ 
meiner Schwäche; bei einer Frau (einer 54jährigen Säuferin) war 
ein großer Theil der rechten Lunge sequestrirt, bei 2 Kranken 
bildeten sich eigenartige Empyeme aus und bei den letzten 2 be¬ 
standen multiple Herde, bezw. diffuse Lungengangrän. Die geheilten 
Fälle lehren, daß selbst bei sehr ausgedehnter brandiger Zerstörung 
der Lunge durch den operativen Eingriff eine vollständige und 
dauernde Heilung in verhältnißmäßig kurzer Zeit erreicht werden 
kann. Schon die unmittelbaren Folgen der Operation sind geradezu 
verblüffend. Fast mit einem Schlage hört die Putrescenz des Aus¬ 
wurfs auf, die Auswurfsmenge nimmt rasch ab und meist folgt 
auch die Entfieberung. Bei kleineren — wallnuß-, hühnerei- bis 
apfelgroßen — Höhlen wird nach der Reinigung und Abstoßung 
des nekrotischen Gewebes der Hohlraum durch das Nachrücken 
der elastischen Umgebung ausgefüllt; bei größeren Höhlen dürfte 


eine Neubildung von normalem Lungengewebe nicht ausgeschlossen 
sein; die Bestimmung der Lage und Größe des Hohlraums, die 
Entscheidung, ob eine oder mehrere Höhlen bestehen, ist oft recht 
schwierig oder unmöglich, die Höhlensymptome können ganz 
fehlen. Das Roentgenbild kann gelegentlich nützen. Vor der Probe- 
punction warnt L. 

— Ueber Tannalbin (Knoll) liegen einige neuere Publi- 
cationen vor. So berichtet u. A. Hellet W. Thompson über vor¬ 
zügliche Resultate, die er mit Tannalbin bei Enterocolitis der 
Kinder erzielt hat. Er warnt vor der Anwendung des Opiums im 
Kindesalter eindringlich ; seit der Einführung des Tannalbins gebe 
es keine Entschuldigung mehr, Opium in der Kinderpraxis zu 
verordnen. Auch W. H. Kahrs befürwortet warm die Behandlung 
der Darmkrankheiten mit Tannalbin. Bei einigen Fällen von Kinder¬ 
diarrhoe konnten binnen 24, bezw. 48 Stunden Diarrhöen zum 
Stillstand gebracht werden, welche lange Zeit der Behandlung 
mit den bestbekannten Präparaten getrotzt hatten. 

Als Darmantiseptica erscheinen empfehlenswerth („Centralbl. 
f. d. ges. Therapie“, 1902, Nr. 7): 


Rp. Argent. colloid.0‘3 

Sacchari lactis.3 0 

Glycerini, 


Aq. destill. aa. q. sat. 

Ut f. pilul. Nr. XXX. 

D. S. 3mal täglich vor den Mahlzeiten je 
2 Pillen zu nehmen. 

ferner 

Rp. Guajacoli benzoic.10 0 

01. foeniculi.gtts. V. 

M. f. massa, e qua formentur pastill. Nr. XX. 
D. S. 3mal täglich nach der Mahlzeit 1 bis 
2 Pastillen zu nehmen. 


auch 

Rp. Resorcini resublim., 

Bismuth. salicyl.aa. 5 0 

Natr. sulfur., 

Pulv. rad. rhei .aa. 10 0 

Sacchari lactis. . 15'0 


M.'f. p. D. S. 3mal täglich eine Messerspitze 
voll zu nehmen. 


ebenso 

Rp. Calc. carbon. praecip.0'5 

Bismuth. subgallic.0'2 


M. f. p. Dtr, tal. dos. Nr. XII. 

D. S. 3stündlich 1 Pulver zu nehmen. 

oder 

Rp. Naplithalini, 

Sacchari .aa. 50 

01. bergamott.. 0 03 

M. f. p. Divido in dos. aeq. Nr. XX. 

D. S. 2stündlich 1 Pulver zu nehmen. 

schließlich 

Rp. Mentholi. l'O 

Tinct. cort. aurant.10 0 

D. S. 3mal täglich nach dem Essen 15 Tropfen 
zu nehmen. 


— Ueber SOXHLET’S Nährzucker berichtet A. Klautsch 
(„Centralbl. f. Kinderheilkunde“, 1902, Nr. 7). Der Nährzucker 
ist ein weißes, staubfeines, etwas hygroskopisches Pulver, welches 
sich in Wasser sehr leicht zu einer schwach gelblich gefärbten, 
etwas opalisirenden Flüssigkeit löst, die einen schwachen Malz¬ 
geruch und Geschmack besitzt. Der Nährzucker ist etwas süßer 
als Milchzucker, aber nur y 4 mal so süß wie Rohrzucker. Zur 
Herstellung der Säuglingsrailch wird für die ersten Monate des 
Kindes die Kuhmilch mit 2 Theilen einer 10°/ 0 igen Nährzucker¬ 
lösung versetzt; allmälig, mit steigendem Nahrungsbedürfniß und 
fortschreitendem Alter des Kindes, steigert man dann einerseits 
die Nährzuckermenge bis auf das Doppelte und verringert anderer¬ 
seits die Wassermenge. Diese Milchnährzuckermischung wird dann 
in der üblichen Weise in kleinen, den einzelnen Mahlzeiten ent¬ 
sprechenden Flaschen im SOXHLET-Apparate sterilisirt. Daß man 
auf eine tadellose Beschaffenheit der zur Verwendung gelangenden 
Kuhmilch sehen muß, ist dabei selbstverständlich. Denn es wird 
nie gelingen, eine untaugliche, minderwerthige Kuhmilch durch 
Nährzuckerzusatz und Sterilisation in eine gute, vollwerthige zu 
verwandeln. Mit diesem Präparate hat Kl. so gute Erfolge erzielt, 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 35. 


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daß er dasselbe als eine ideale Säuglingsnahrung bezeichnet. Aehn- 
lich lauten die Erfahrungen von Feucht („Münch, med. Wschr.“, 
1902, Nr. 2). 

— Zur Behandlung der Unterschenkelgeschwüre empfiehlt 
W. Zeuner („Deutsche med. Wschr.“, 1902, 20) folgende Lösung: 

Rp. Sol. Calcar. hypocblor.3'0 : 300 0 

D. S. filtr. Verbandwasser. 

Von dieser Lösung wird ein wenig in eine Untertasse gegossen 
und damit ein Stück mehrfach zusammengelegte Verbandgaze 
gut befeuchtet. Dieses durchtränkte Gazeläppchen wird auf das 
Ulcus gelegt, darüber kommt ein Stück Gummipapier und dann 
wird der Unterschenkel von den Zehen an bis zum Knie durch 
eine Tricotbinde von 10 Cm. Breite ziemlich fest eingewickelt. 
Dieser ganze Verband ist gewöhnlich nur zweimal des Tages, 
Morgens und Abends, frisch zu machen. In über 100 Fällen von 
Ulcus cruris hat Z. in den letzten 3 Jahren recht erfreuliche 
Erfolge mit dem angegebenen Verfahren erzielt. 

— Ueber die mit Alboferin erzielten Erfolge bei secundären 
Syphilisanämien berichtet Julius Vecsev („Aerztl. Centralzeitung“, 
1902, 15 u. 16). Er befürwortet die Anwendung dieses Eiweiß- 
Eisen-Phosphormittels, insbesondere in den hartnäckigen Fällen, 
die mit Darmerscheinungen und neurasthenischen Zuständen combinirt 
sind. V. theilt 9 Fälle mit, in denen er befriedigende, theilweise 
sogar vorzügliche Resultate erzielte. Schmeckt Alboferin schon pur 
gar nicht unangenehm, so ist es in Form des Milchcacao voll¬ 
kommen einwandfrei, nicht weniger in Form der Alboferin-Choeo- 
lade-Tabletten, welche nicht mit Chocolade überzogen, sondern 
mit derselben innig gemengt sind. 

— Die Action des Quecksilbers auf das syphilitische 
Gewebe erörtert Justus („Areh. f. Dermat. u. Syph.“, Bd. 67, 
H. 1 u. 2). Derselbe wies durch mikroskopische Untersuchung der 
syphilitischen Papel und des breiten Condyloms vor und während 
der Quecksilberbehandlung nach, daß die Quecksilberbehandlung 
auf die einzelnen Zellen- und Gewebsbestandtheile, aus welchen 
die Efflorescenz zusammengesetzt ist, so einw.irkt, daß ein Ab’ 
nehmen und Schwinden der zelligen Infiltration zustande kommt. 
Des weiteren ist es ihm gelungen, nachzuweisen, daß das Queck¬ 
silber in den syphilitischen Efflorescenzen als Quecksilber albumirt 
gegenwärtig ist und auf die Heilung derselben einen localen Einfluß 
ausübt. 

— Eine Reihe von intraarachnoidealen Einspritzungen mit 
Cocain gegen schmerzhafte Nervenkrankheiten hat Marinescu aus¬ 
geführt („Spitalul“, 1902, Nr. 1 u. 2). Es genügen 0-005 bis 
0‘01 Cocain, um bei Ischias, Myelitis, Hemiplegie etc. Schmerz¬ 
losigkeit zu erzielen. Bei den Myelitikern werden die Schmerzen 
oft dauernd beseitigt, während bei den verschiedenen tabischen 
Schmerzen die Resultate wechselnd sind. M. ist der Ansicht, daß 
diese Injectionen durch Beeinflussung der Hinterstränge wirken; 
sie gelangen nicht bis zum Bulbus, was durch Einspritzung von 
Methylenblau experimentell nachgewiesen wurde. 


Literarische Anzeigen. 

Der Proceß der Wundheilung mit Einschluß der 
Transplantation. Von F. Marchand, Professor der all 
gemeinen Pathologie und der pathologischen Anatomie in 
Leipzig. Mit 108 Abbildungen. Stuttgart 1901, Verlag von 
Ferdinand Enke. 

Nachdem Verf. eine übersichtliche Darstellung der Geschichte 
der Lehre von der Wundheilung gegeben hat, bespricht er die 
Arten der Wundheilung und kommt zu dem Schlüsse, daß die alte 
Eintheilung der Wundheilungsvorgängc in die beiden Hauptkate¬ 
gorien der Heilung „per primam“ und „per secundam intentionem“ 
auf Grund der neueren histologischen Untersuchungen sich nicht 
beibehalten läßt, da die Vorgänge, die man früher darunter ver¬ 
standen hat, für uns größtentheils eine ganz andere Bedeutung er¬ 
halten haben. In Anlehnung an die alte Eintheilung empfiehlt Verf., 
die einfache Regeneration des Epithels nach Continuitätstrennungen, 
die directe Vereinigung der Wunden ohne Substanzverlust und die 


Heilung unter dem Schorf als Primärheilungen oder directe 
Heilungen zusammenzufassen gegenüber den gewissermaßen 
auf einem größeren Umwege herbeigeführten Heilungen der Wunden 
mit umfangreichem Substanzverlust, welche eine langwierige Ge¬ 
websneubildung erfordern und als Secundärheilungen oder 
indirecte Heilungen [a) ohne eitrige Entzündung, b) mit 
Eiterung, c) secundäre Schorfheilung] zusammengefaßt werden 
können. 

Im speciellen Theil schildert Verf. genau die Heilung der 
Wunden an den verschiedenen Geweben und Organen, sowie die 
Transplantation der verschiedenen Gewebe und der drüsigen Organe 
bei Menschen und Thieren. 

Eine große Zahl von Abbildungen, die größtentheils nach 
eigenen Präparaten angefertigt wurde, erleichtert das Verständniß 
der Wundheilungsvorgänge. Das Buch ist als Lieferung 16 der 
„Deutschen Chirurgie“ erschienen. Erdheim. 

Die Anatomie und Physiologie der Kehlkopfnerven. 

Mit ergänzenden pathologischen Beiträgen. Im Aufträge der 
ungarischen Akademie der Wissenschaften auf Grund eigener 
Untersuchungen bearbeitet von Prof. A. Onodi. Berlin 1902, 
Oscar Coblentz. 

Die Anatomie und Physiologie der Kehlkopfnerven bildet 
noch immer das meist umstrittene Gebiet der gesammteu Nerven- 
lehre. Trotz emsiger und eingehender Forschungen von Seite an¬ 
erkannter Fachmänner ist es bisher nicht gelungen, eine einheit¬ 
liche, allgemein acceptirte Lehre von der Innervation des Kehl¬ 
kopfes in anatomischer und functioneller Hinsicht festzustellen, 
und fast hat es den Anschein, daß es in absehbarer Zeit darin noch 
nicht besser werden wird. 

Immerhin ist es ein verdienstvolles Werk, daß Onodi , der 
sich seit einer langen Reihe von Jahren der Erforschung dieses 
Nervenabschnittes mit hingebungsvollem Eifer gewidmet hatte, es 
unternahm, die Resultate seiner eigenen Untersuchungen sowohl, 
als auch die anderer Forscher in obgenanntem Buche zusammen¬ 
zustellen und so ein Uebersichtsbild dessen zu bieten , was bisher 
erreicht wurde. Das Buch, welches die gesammte ältere und die bis in 
die jüngste Zeit reichende Literatur berücksichtigt und die Ansichten 
und Forschungsergebnisse aller Forscher neben einander stellt, bildet 
ein werthvolles Orientirungswerk für Jeden, der sich auf dieses 
schwierige Gebiet begibt, sei es, um zu erfahren, welches der gegen¬ 
wärtige Stand der Lehre ist, sei es, um selbst werkthätig forschend 
einzugreifen. 

Es kann unmöglich hier eine detaillirte Aufzählung der ein¬ 
zelnen von Onodi beigebrachten Thatsachen und kritisch be¬ 
leuchteten Schlüsse, die er aus denselben zog, erfolgen, dieselben 
müssen im Originale in extenso gelesen und gründlich studirt 
werden. Den Eindruck, den wir beim Studium dieses Buches 
empfangen haben, können wir dahin zusammenfassen, daß das Buch 
mit großer Sorgfalt, Sach- und Fachkenntniß gearbeitet ist und 
sowohl dem Autor, als auch der ungarischen Akademie der Wissen¬ 
schaften, die ihm hiezu den Auftrag ertheilte, zur Ehre gereicht. 

Roth. 

Beichten eines praktischen Arztes, Versehen und 
Fehlschlüsse. Erinnerungen von W. Weressajew. Deutsch 
von Karl v. Gütschow. Leipzig 1902, Leipziger Verlags¬ 
comptoir. 

Ungeheures Aufsehen erregten die im Herbste vorigen Jahres 
in Petersburg erschienenen „Erinnerungen von Weressajew“ und 
der nach Tausenden zählende Absatz war ein Beweis, daß das 
Erscheinen des Buches ein literarisches Ereiguiß von ganz seltenem 
Vorkommen war. Infolgedessen entschloß sich das Leipziger Ver¬ 
lags-Comptoir mit Recht zur Herausgabe der „Erinnerungen“ in 
deutscher Sprache und noch dazu in sehr billiger Volksausgabe 
(Mk. 1-50). 

Es ist allerdings eine eigene Sache, wenn in unserem Zeit¬ 
alter ein unerschrockener Kämpe den Math hat, den Schleier vom 
Bilde zu Sais zu lüften. Mit wahrhaft verblüffender Offenheit geißelt 
der Verf. die offen zutage liegenden Mängel und Schäden des 

2 * 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. B5 


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medicinischen Studiums, der Sehulmedicin und der ganzen ärztlichen 
Praxis, deren Geheimnisse mit überängstlicher Sorgfalt bis jetzt 
gehütet wurden. Ergreifend sind die Schilderungen von Kranken¬ 
geschichten und Operationen, rührend die Selbstanklagen, die 
der Verf. gegen sich erhebt, von wohlthuender Wärme und Offen¬ 
heit die klare Zeichnung der intimsten Fragen aus dem Gebiete 
der medicinischen Wissenschaft, die sowohl den Fachmann wie den 
Laien auf das lebhafteste bewegen. 

Wkressajew enthüllt jedoch unsere Berufsgeheimnisse nicht, 
um das Vertrauen der Laien weit zur medicinischen Wissenschaft 
und deren Vertretern zu erschüttern, sondern um auf Gruüd dieser 
Geheimnisse den Laien zu erklären, warum gewisse Mängel und 
Lücken sowohl im medicinischen Studium als aueh in der ärztlichen 
Praxis vorläufig noch bestehen müssen; und aus dieser Erklärung 
deducirt er die Apologie der medicinischen Wissenschaft und deren 
Vertreter. Sagt doch der Verfasser: „Daß die Laien nicht imstande 
sind, die aufgeworfenen Zweifel zu lösen, ist vollständig richtig. 
Aber die Laien haben ein Recht darauf, daß diese Fragen gelöst 
werden, und sich für die Lösung zu interessiren : die Fälle be¬ 
rühren sie zu sehr.“ Weiter sogar: „Eine öffentliche Erörterung 
aller dieser Fragen bietet meiner Meinung nach die einzige Garantie 
einer befriedigenden Lösung derselben; wenn die Aerzte allein 
die Entscheidung fällen sollten, so läge die Möglichkeit einer 
größeren oder geringeren Einseitigkeit vor.“ 


Feuilleton. 

Das Verliältniß der Aerzte in Oesterreich zu 
den Krankencassen. 

Von Dr. Max Eil mann in Wien. *) 

Die Arbeiterkrankenversicherung in Oesterreich beruht auf 
dem Gesetze vom 30. März 1888, ist demnach um 5 Jahre jünger 
als die in Deutschland. Die Aerzte begrüßten dieses Gesetz als 
einen großen socialen Fortschritt mit Freuden, und es ist zum 
Theile ihren Bemühungen zuzuschreiben, wenn manche Bestim¬ 
mungen in diesem Gesetze zu Gunsten der Versicherten ausfielen. 
Es war z. B. geplant, zu bestimmen , daß unverheiratete Frauen 
keinen Anspruch auf Entbindungsgeld haben sollen, und daß die 
Cassen bei Geschlechtskrankheiten kein Krankengeld ausbezahlen 
müssen. Aerztliche wissenschaftliche Corporationen und Bezirks¬ 
vereine wiesen in Petitionen an das Parlament auf das inhumane 
und sanitär Bedenkliche dieser Bestimmungen hin, und diese Ein¬ 
schränkungen fielen weg. 

Die Aerzteschaft Oesterreichs konnte zu jener Zeit selbst¬ 
verständlich nicht voraussehen, welchen Einfluß dieses Gesetz auf 
die wirthschaftliche Lage der Aerzte haben sollte; erhoben ja 
damals in Deutschland die Aerzte erst vereinzelt Klage. Auch 
konnte die Ausdehnung, die die Versicherung haben würde, mangels 
genauerer Daten nicht bestimmt werden, und war thatsächlich anfangs 
die Zahl der Versicherten, ähnlich wie in Deutschland, eine geringe. 
So stieg z. B. bei der Wiener ßezirkskrankenca6se die Zahl der 
Versicherten von 41.000 im Jahre 1889 auf 152.000 im Jahre 
1899. Im Uebrigcn wäre bei der damals gänzlich fehlenden Organi¬ 
sation der Aerzte wohl nichts zu erreichen gewesen. Andererseits 
bestanden in Oesterreich, sowie in Deutschland schon längst private 
Krankencassen, z. B. die Veteranenvereine und die „Heiligenvereine“, 
die zum Theil neben Krankengeld auch freie ärztliche Hilfe boten, 
ferner die „allgemeinen Arbeiter-Kranken- und Unterstützungs- 
Cassen“, die Ende der Sechziger-Jahre mit der Ausbreitung der 
socialdemokratischen Bewegung als wirksames Organisationsmittel 
gegründet wurden und durchwegs neben Krankengeld freie ärzt¬ 
liche Hilfe gewährten. Diese letzteren Cassen sind durch das Gesetz 
als Vereinscassen mit dem Rechte der obligatorischen Versicherung 
ausgestattet worden , sind daher die ältesten Arbeiter Kranken¬ 
cassen in Oesterreich. Diese Cassen boten manchem Arzte einen 

*) Vortrag, gehalten am 3. Juli 1902 zu Königsberg i. P. in der 
II. Hauptversammlung des „Verbandes der Aerzte Deutschlands zur Wahrung 
ihrer wirthschaftlichen Interessen“. — „Med. Reform“, Nr. 29 u. 30. 


Das Buch verräth belletristische Manier, und es gehört that¬ 
sächlich Genialität dazu, nach siebenjähriger ärztlicher Thätigkeit 
so schwere und verwickelte Fragen, wie den klinischen Unterricht, 
Versuche an Menschen und Thiereu, die ärztliche Honorarfrage 
und eine Unzahl anderer belletristisch und mit der schärfsten Logik 
behandeln zu können. 

Ich habe selten ein Buch mit so lebhaftem Interesse und so 
großer Spannung geleson wie das Buch Werbssajew’s, und ich 
kenne überhaupt kein Buch, welches ein so treues Roentgenbild 
des wunden ärztlichen Herzens darstellen würde. Niemand, den nur 
irgend welche Beziehungen mit der ärztlichen Welt binden, wird 
das wahrhaft sensationell mit dem Herzblut des Verf.’s ge¬ 
schriebene Buch ohne vollste Befriedigung aus der Hand legen 
und nicht ausrufen: Ja, so ist es, so und nicht anders, hier muß 
Wandel geschaffen werden ! — Minister werden im Buche den Weg 
finden, den sie bei der Reform der medicinischen Rigorosen eiuzu- 
schlagen haben, Examinatoren werden erfahren, welchen Werth 
ihre Steckenpferde haben, Antivivisectionisten und Kneippisten 
werden zum Bewußtsein gelangen, ob sie mit Recht gegen unsere 
Wissenschaft mit den Zähnen fletschen, die Gymnasialabiturienten, 
welche Herkules am Scheidewege gleichen, werden eher die Wahl 
ihres Berufes treffen können, den Arzt dagegen wird ein jedes 
Wort in diesem merkwürdigen Buche aufs Lebhafteste interessiren. 

Dr. S. Schön-Ladniewski. 


willkommenen Nebenerwerb bei verhältnißmäßig geringen An¬ 
sprüchen ihrerseits; die Erscheinung des Cassenarztes, der ganz 
oder größtentheils auf die Casse angewiesen ist, ist erst eine Folge 
des Krankencassengesetzes. 

Da die Zahl der Versicherten namentlich in den Industrie- 
centren constant zunahm, mußte mit der Zeit die Unzufriedenheit 
der Aerzte zutage treten, zumal nicht nur eine materielle, sondern 
auch eine große moralische Schädigung des Standes sich bemerkbar 
machte. 

Das österreichische Krankencassengesetz unterscheidet sich 
in manchen wesentlichen Punkten vom deutschen, und muß das 
bei Beurtheilung der Verhältnisse berücksichtigt werden. So sind 
z. B. die Cassen verpflichtet, durch mindestens 20 Wochen Kranken¬ 
geld zu zahlen anstatt 13 in Deutschland, das Krankengeld 
beträgt 60% anstatt 50% des ortsüblichen, resp. versicherten 
Taglohnes bis zur Lohnhöhe von 4 K. Doch kann die Unter¬ 
stützung, wie es bei vielen Cassen thatsächlich ist, bis auf 1 Jahr 
ausgedehnt werden und mehr als 60% betragen. Ebenso ist eine 
mehrfache Versicherung in unbegrenzter Höhe gestattet. In den 
Reservefond sollen 20% der Einnahme hinterlegt werden, bis 
derselbe die doppelte Höhe der Jahresausgaben erreicht. Die für 
die Aerzte wichtigsten Bestimmungen sind aber die, daß alle in 
einem versicherungspflichtigen Betriebe beschäftigten Arbeiter und 
Beamte ohne Rücksicht auf die Lohn- oder Gehalt¬ 
höhe versicherungspflichtig sind. Die politische Behörde 
kann aber Arbeiter und Beamte mit ihrer Zustimmung von der 
Versicherungspflicht entheben, falls sie bei Krankheit Anspruch 
auf Fortbezug ihres Lohnes oder Gehalts durch mindestens 
20 Wochen haben. Es läßt sich leider nicht angeben, wie viel 
Beamte und Arbeiter mit einem höheren Einkommen als 2400 K 
= 2000 Mk. versichert sind; sicher ist es, daß am flachen Lande 
sehr viele solcher Beamte, die im Krankheitsfall ohnehin meist 
auf einen bestimmten Arzt angewiesen wären, der fast immer der 
Cassenarzt ist, versichert erscheinen. Die zweite wichtige Bestim¬ 
mung ist, daß ein Jeder, wes Standes oder Berufes immer 
er sei, als freiwilliges Mitglied einer Bezirks- oder 
Vereinskrankencasse beitreten kann. Nur haben die Cassen das 
Recht, das 35. Lebensjahr als Altersgrenze zu fixireo. In Wien 
hat z. B. die allgemeine Arbeitcrkraukencasse bei Männern das 
50., bei Frauen das 40. Jahr als Grenze festgesetzt. Nicht einmal 
die vorausgehende ärztliche Untersuchung ist im Gesetze zur 
Bedingung gemacht, wenn auch gestattet, und wird auch nicht 
immer vorgenommen. Ferner kann ein jedes versicherungspflichtig 
gewesene Mitglied unter Umständen durch Weiterzahlen der Bei¬ 
träge freiwilliges Mitglied der Casse bleiben. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 35 


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ln Oesterreich gibt es vier Arten von Arbeiterkrankencassen. 
(Eine fünfte Art, die Baukrankencassen, haben keine Bedeutung.) 

I. Die Bezirkskrankencassen, die so ziemlich den 
deutschen Ortskrankencassen entsprechen. Sie sind meist territorial 
nach Gerichtsbezirken abgegrenzt. Bei ihnen müssen alle Arbeiter, 
die bei keiner der folgenden Cassen versicherungspflichtig sind, 
versichert werden. Zu erwähnen ist dabei, daß in Oesterreich alle 
in einem Betriebe beschäftigten Arbeiter bei einer und derselben 
Casse versichert werden, und daher weder die Cassen, noch die 
Arbeiter eine Auswahl treffen. Die Bezirkskrankencassen, 570 an 
Zahl (im Jahre 1900), haben zusammen 1,036.000 Mitglieder oder 
41% sämmtlicher Versicherten, daher durchschnittlich 1800 Mit¬ 
glieder. Bei der Wiener Bezirkskrankcncasse waren 1900 145.000 
Personen versichert. Diese Cassen haben gewöhnlich das schlechtest 
bezahlte Versicherungsmaterial, und sind daher ihre Leistungen 
auch am niedrigsten. Es macht siel» jetzt das Bestreben geltend, | 
diese Cassen zu centralisiren und womöglich nach Ländern zu 
vereinigen. So hat z. B. die Wiener Casse mehrere kleine Provinz¬ 
eassen in letzter Zeit in sich aufgenommen. Die Aerzte stehen 
diesem Bestreben nicht feindlich gegenüber, da viele kleine Cassen, 
oft wegen der hohen Verwaltungskosten, mit großen Schwierig¬ 
keiten kämpfen. 

II. Betriebskrankencassen, an Zahl, nicht aber an 
Mitgliedern die stärksten. 1343 Betriebskrankencassen hatten nur 
663.000 oder circa 26 - 5% der Versicherten und durchschnittlich 
490 Mitglieder. Bei vielen dieser Cassen sind gleichzeitig die 
Familienangehörigen auf Arzt, viel seltener auch auf Medicamente 
versichert, so z. B. bei den Bahnen, den Wiener Straßenbahnen, 
großen Ziegelwerken etc. Die Zahl der auf Arzt versicherten 
Familienangehörigen ist nirgends angegeben. 

III. Genossenschaft-skrankencassen entsprechend 
den iDnungskraukencassen. Sie werden auf Beschluß der betreffen¬ 
den Genossenschaft errichtet und sind für alle in dem Gewerbe 
beschäftigten Arbeiter obligatorisch. Sie haben nur 14'7% aller 
Versicherten, das ist 367.000 Mitglieder. Im Durchschnitt hat 
eine jede dieser 877 Cassen 418 Mitglieder. Fast die Hälfte ist 
bei den Wiener Cassen versichert. Da diese Cassen meist nur in 
größeren Städten errichtet werden können und bei ihrer geringen, 
über die ganze Stadt zerstreuten Mitgliederzahl nur schwer genügende 
und geeignete ärztliche Hilfe bieten könnten, vereinigen sich mehrere 
solcher Cassen manchen Ortes zu einem Verbände. In Wien z. ß. 
sind 55 solcher Cassen im „Verbände der Genossenschafts-Kranken- 
cassen Wiens“ vereinigt, und hat sich diesem Verbände auch die 
allgemeine Arbeiterkrankencasse angeschlossen, so daß dieser Ver¬ 
band über 231.000 Mitglieder (1900) besitzt, wohl die größte 
derartige Corporation. 

IV. Die Vereinskrankencassen. Ein Theil derselben 
besteht schon über 30 Jahre. Nur 146 an der Zahl, hatten sie 
doch 17% aller Versicherten und bei einer Gesammtmitgliederzahl 
von 428.000 durchschnittlich 2930 Mitglieder. Die größte dieser 
Cassen ist die Wiener allgemeine Arbeiterkrankencasse, die Ende 
1900 125.000 Mitglieder aufwies. 

Die Verwaltung dieser Cassen liegt vollständig in den Händen 
der Versicherten, während bei den Bezirks- und Genossenscbafts- 
Krankencassen die Arbeitgeber zu einem Drittel in der Verwaltung 
vertreten sind. 

Die Knappschaftscassen (Bruderladen), die auch Alters-, 
Invaliditäts- und Witwenversicherung haben, sind hier nicht berück¬ 
sichtigt, da die officiellen Berichte nur die früher erwähnten Cassen 
behandeln. Für die Bruderladen besteht ein eigenes Gesetz. 

Die Stellung der Aerzte ist in dem Gesetze nirgends präcisirt, 
es wird überhaupt nicht von Aerzten, sondern nur von ärztlicher 
Hilfe gesprochen. Kein Wunder, daß die Krankencassen diesen 
Mangel auszunutzen suchen. Doch wird darin hoffentlich bald Wandel 
geschaffen werden. 

Bei einem Theil der Cassen, so z. B. bei der Wiener Bezirks- 
krankencasse, sind die Aerzte ähnlich wie Beamte stabilisirt und 
können nur bei Verletzung des Vertrages oder auf disciplinarera 
Wege entlassen werden. Diese Casse ist meines Wissens (einige 
Betriebskrankencassen ausgenommen) die einzige, die für die Aerzte 


einen Pensionsfond geschaffen hat. Bei vielen Cassen werden die 
Aerzte gegen schriftliche Vereinbarung angestellt und können 
gegen meist dreimonatliche Kündigung, oft auch kurzer Hand, 
ohne Grund entlassen werden. So ist es in Wien z. B. vor¬ 
gekommen, daß ein Arzt, der bei der allgemeinen Arbeiterkranken¬ 
casse 25 Jahre fungirt hat, zu seinem Dienstjubiläum ein Dank¬ 
schreiben und bald darauf die Kündigung erhielt. Solche häufig 
ganz unmotivirte, oft auf persönliche Einflüsse zurückzuführende 
Entlassungen beim Verbände der Genossenschafts-KrankeDcassen 
Wiens haben die Organisation der Aerzte dieses Verbandes, den 
Verein der CasseDärzte Wiens, bisher leider die einzige Organi¬ 
sation von Cassenärzten in Oesterreich, dazu gedrängt, ein Ueber* 
einkommen mit dem Verbände zu treffen, welches solcher Willkür 
ein Ende bereiten könnte. Seit circa 4 Jahren sind die Aerzte 
des Verbandes insofern stabilisirt, als sie nur unter gewissen, 
genau fixirten Bedingungen gekündigt oder entlassen werden können, 
z. B. bei Dienstvergehen, Wohnen außerhalb des zugewiesenen 
Rayons etc., und ist die Berufung an ein Schiedsgericht zulässig, 
in welches der Verband den Vorsitzenden und 3 Beisitzer, die 
Aerzte nur 3 Beisitzer entsenden. Dem Verbände ist aber auch 
dieses Schiedsgericht zu viel, während die Organisation bestrebt 
ist, die Competenz desselben zu erweitern und dio Zusammen¬ 
setzung insofern zu ändern, als der Vorsitzende eine keiner der 
Parteien angehörende Persönlichkeit sein soll. Aber auch dieses 
mit der Organisation seiner Aerzte abgeschlossene Ueberein- 
kommen wird von dem Verbände, dessen Vorstandsmitglieder in 
der Wiener socialdemokratischen Bewegung eine führende Rolle 
spielen, nicht respectirt, und hat der Verband den jüngst 
angestellten Aerzten ohne Vorwissen der Organisation ein geändertes 
Uebereinkommen zur Unterschrift vorgelegt, ohne daß bisher eine 
Remedur hätte geschaffen werden können, ein charakteristisches 
Beispiel, wie Cassenvorstände die für sich und ihre Genossen auf¬ 
gestellten Principien bei Aerzten angewendet wissen wollen. Sonst 
ist die Institution, $ipes ,,Schiedsgerichtes nur bei wenigen Bahn- 
krankencassen in Verwendung. Aus dem Bisherigen ist zu ersehen, 
daß von einer rechtlich oder gar gesetzlich gesicherten Stellung 
der Aerzte bei den Krankencassen nicht gut die Rede sein kann, 
zumal da auf die Bestimmungen des Ucbereinkommens die Aerzte- 
kammern keinen Einfluß nehmen können. Erst in der letzten Zeit 
ist es der niederösterreichischen Kammer gelungen, zu bewirken, 
daß die Aerzte ihres Sprengels die Verträge mit den Cassen 
vorher der Kammer zur Genehmigung vorlegeu, was ziemlich 
leicht ging, da die Cassen auf dem flachen Land meist keine 
große Auswahl unter den Aerzten treffen können und auch die 
Organisation bei der geringen Anzahl der Aerzte wirksam ein- 
greifen kann. 

Die Bezahlung der Aerzte ist ebensowenig wie ihre Stellung 
eine gleichmäßige. Meist besteht das Pauschalsystem. Die meisten 
Cassen leisten für Nachtvisiten und Entbindungen eine Entschädi¬ 
gung, in Wien z. B. 3 K für eine Nachtvisite und 10 K für eine 
Entbindung. Nur wenige kleine Cassen bezahlen die Einzelleistungen, 
größere manchmal für außerhalb des Sitzes der Casse zerstreut 
wohnende Mitglieder, für die einen Arzt zu pauschaliren nicht 
der Mühe werth ist. Freie Aerztewahl gewährt fast keine Casse, 
so ist in Wien z. B. nur eine Vereinscasse vorhanden, deren Mit¬ 
glieder aus kaufmännischen Angestellten bestehen, und die es 
ihren Mitgliedern freistellt, sich auf ärztliche Behandlung und 
Medicamente mit zu versichern, oder gegen ein um die Hälfte 
höheres Krankengeld selbst die Ileilkosten zu bezahlen. 

Es ist wohl allgemein bekannt, daß die österreichischen Aerzte- 
kammern und ein großer Theil der Aerzte für freie Aerztewahl 
eintritt. Weniger bekannt dürfte es aber sein, daß heute eine freie 
Aerztewahl ohne neuerliche Schädigung der Aerzte nicht durch¬ 
führbar ist. Da nach dem österreichischen Gesetze ein jeder einer 
Bezirks- oder Vereinskrankencasse beitreten kann, so wäre, im Falle 
die freie Aerztewahl eingeführt würde, eine ungeheure Einengung 
der freien Praxis zu befürchten, da ein jeder, der die Wahl unter 
mehreren hundert Aerzten hätte und nicht auf einen bestimmten, 
ihm unbekannten oder nicht vertrauenswürdigen Arzt angewiesen 
wäre, sich für ein Minimum auf Arzt nebst Medicamenten und 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 35. 


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Krankengeld versichern lassen würde. Wie wenig aber bei dem 
heutigen System der pauschalirten Aerzte eine Versicherung auf 
Arzt und Medicamente ohne Krankengeld zieht, beweist die 
Wiener Bezirkskrankencasse, welche die Angehörigen ihrer Mit¬ 
glieder gegen GO h = 50 Pfg. monatlich versichert. Bei 145.000 
Mitgliedern im Jahre 1900 machten nur 30 Frauen und 34 Kinder 
der Mitglieder von dieser Art der Versicherung Gebrauch. Das 
Memorandum der Aerztekammern hat daher, um eine Schädigung 
der Aerzte zu verhüten, nicht nur freie Aerztewahl, sondern auch 
Begrenzung der Beitrittspflicht und des Beitrittsrechtes gefordert. 

Was die Ansichten der jetzt angestellten Cassenärzte über 
die freie Aerztewahl anlangt, läßt sich mangels einer Organisation 
derselben nichts Genaues angeben. Sicher ist, daß ein Theil der¬ 
selben aus Furcht um ihr Einkommen dagegen ist. Der Verein der 
Cassenärzte Wiens, der von 115 in Wien angestellten Aerzten des 
Verbandes 110 zu seinen Mitgliedern zählt, hat in einer allgemeinen 
Aerzteversammlung sich rückhaltslos für freie Aerztewahl ausge¬ 
sprochen. Zugegeben aber muß werden, daß nicht alle Mitglieder 
dafür sind. Für die meisten Aerzte des Vereins ist maßgebend, 
daß die Abhängigkeit von einem kein Wohlwollen für die Aerzte 
bekundenden, für die ärztliche Thätigkeit kein Verständniß zeigen¬ 
den CassenVorstand eine geradezu unerträgliche geworden ist. 
Gegen den Hochmuth und Druck des Vorstandes könnte jedoch eine 
kräftige Organisation, zumal wenn sie an den anderen Aerzten 
einen Rückhalt hätte, mit der Zeit aufkommen. Aber gegen die 
Anmaßung und Rücksichtslosigkeit der einzelnen Mitglieder, die die 
Abhängigkeit der Aerzte von den Cassen benutzen, sind wir macht¬ 
los, und wir fühlen den Zwang, Kranke, die von vorneherein mi߬ 
trauisch oder selbst dem Arzte böse gesinnt sind, behandeln zu 
müssen, als eine tiefe Demüthigung und Beeinträchtigung der ärzt¬ 
lichen Würde. Thatsächlich werden jetzt der Aerztestand und ein¬ 
zelne Aerzte nicht nur von Mitgliedern, sondern auch von Cassen- 
vorständen in diffamirendster Weise öffentlich herabgesetzt. 

Die C a 8 s e n stehen fast ausnahmslos der freien Aerztewahl 
feindlich gegenüber. So sagt die Wiener Bezirkskrankencasse 
(Jahresbericht für 1899): „Die freie Aerztewahl wäre der 
bestimmte (!) Ruin einer jeden Casse, die der obligatorischen 
Versicherung zu dienen hat.“ Ferner (1900): „Das System der 
Cassenärzte ist durchaus gut, ja unter Mitberücksichtigung der 
cassenökonomischen Seite der Frage, das einzig richtige, dem die 
Gegnerschaft nur aus dem Vorurtheile(I) des Publicums und Standes- 
und Erwerbsfragen der Aerzte erwächst.“ Viel schärfer und unter 
allerlei Verdrehungen der Thatsachen und Beleidigungen der Aerzte 
spricht sich der socialdemokratische Verband der Genossenschafts- 
Kran keucassen Wiens dagegen aus. In einem Artikel ihres Wort 
führers und Rechtsconsulenten Dr. Verkauf („Arbeiter-Ztg.“, 
21. Juli 1901) heißt es unter anderem: „Für eine wirkliche In¬ 
teressenvertretung der Aerzte wäre es nun naheliegend gewesen, 
die praktischen Aerzte nicht aus ihrer letzten Zuflucht (!), den fixen 
Anstellungen, zu vertreiben, sondern für eine bessere Honorirung 
und eine geringere Inanspruchnahme derselben einzutreten.“ Das 
sagt der Vertreter der größten Krankencasse Oesterreichs, die am 
allerschlechtesten in Oesterreich zahlt und die Aerzte ganz 
unglaublich überlastet. Und ein Jahr später spricht dieselbe 
Casse der gesetzlichen Interessenvertretung der Aerzte das mora¬ 
lische und gesetzliche Recht ab, sich in die Angelegenheiten 
zwischen Cassen und ihre Aerzte einzumischen. Deutschland, speciell 
Leipzig hat Schule gemacht. 

Doch darf man nicht glauben, daß diese Stellung der Kran- 
kencassen, und namentlich der von Socialdemokraten geleiteten, 
Parteisache ist. Es hat schon mancher Arbeiter gefühlt, daß der 
heutige Zustand unhaltbar ist und ist schon der Ruf nach freier 
Aerztewahl erhoben worden. Der Brünner socialdemokratische Ab¬ 
geordnete H y b e s hat in der allgemeinen Aerzteversammlung zu 
Brünn am 25. April 1900 gesagt: 

„Das ist ein Zustand, der für eine civilisirte Gesellschaft 
überhaupt nicht paßt, der einfach ganz unglaublich ist. Was man 
von den Aerzten heute verlangt, und welche ärzt¬ 
liche Behandlung man heute den Arbeitern bietet, 
ist geradezn ein Schandfleck der gegenwärtigen Civilisation. 


Das sind Zustände, bezüglich deren die Aerzte und die 
Arbeiter sich jedenfalls vereinigen müssen und be¬ 
züglich deren eine Remedur endlich geschaffen werden 
m u ß. u 

Die Cassen aber lehnen ein Zusammenarbeiten mit den Aerzten 
und eine Remedur mit Hohn und Spott ab. Es macht sich das 
Hochgefühl der Macht geltend, welches die Cassen Vorstände über 
die Aerzte haben, und das preiszugeben sie sich nicht herbeilassen 
wollen. Es spielt auch wohl die bei Arbeitern so oft wahrgenom¬ 
mene Mißachtung und Geringschätzung der geistigen und speciell 
der ärztlichen Arbeit eine Rolle. 

Haben diese Zustände schon au und für sich die Unzufrieden¬ 
heit der Aerzte hervorrufen müssen, so ist die meist geradezu 
klägliche Honorirung geeignet, den Unmuth zu verschärfen. 

(Schloß folgt.) 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

20. Coügreß für innere Medicin. 

Gehalten zu Wiesbaden 15.—18. April 1902. 

(Collectiv-Ber. der „Freien Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“.) 

XI. 

Blum (Frankfurt a. M.): Ueber Nebennierendiabetes. 

Vortr. hat früher schon mitgetheilt, daß in der Nebenniere 
eine Substanz enthalten ist, die in den Kreislauf gebracht schon 
in ganz kleinen Dosen Glykosurie zu erzeugen vermag. Die Sub¬ 
stanz ist identisch mit dem eisengrünenden, ammoniakalische Silber¬ 
lösung reducirenden Bestandtheil der Nebenniere, der auch den Blut¬ 
druck zu steigern vermag. Suprarenin und Adrenalin besitzen auch 
die zuckertreibende Kraft. Brucktheile von Milligrammen dieser 
Stoffe oder der Inhalt einer einzigen Nebenniere genügten,^ um beim 
Kaninchen bis fast 6% Dextrose im Urin erscheinen zu lassen. 
Bei Hunden, die ausschließlich mit Fleisch ernährt wurden, wurde 
bis 4°/ 0 Traubenzucker im Urin gefunden. Die Glykosurie dauert 
2—3 Tage an. Durch fortgesetzte Injectionen von Nebennierensaft 
kann inan es zu einem continuirlichen Zuckerfluß, einer richtigen 
Zuckerharnruhr bringen. 

Den Angriffspunkt für das zuckertreibende Agens der Neben¬ 
niere glaubt Bl. in die Leber verlegen zu müssen. Hungerhunde 
nämlich, deren Glykogenvorrath man als erschöpft ansehen mußte, 
schieden nichts, oder doch nur sehr wenig von Dextrose auf die 
Einspritzung hin aus; mit Fett gefüttert gaben sie allerdings dann 
wieder Dextrose in reichlicher Menge ab. Es besteht eine große 
Wahrscheinlichkeit, daß die Nebenniere für manche Formen des 
menschlichen Diabetes ätiologisch in Betracht kommt, speciell der 
Bronzediabetes dürfte durch eine Störung in der Nebennierenthätig- 
keit bedingt sein, wofür die Aehnlichkeit der experimentellen Er¬ 
scheinungen mit dem klinischen Bilde spricht. 

M. Bial (Kissingen): Ueber den Modus der Glykuronsäure-Aus- 
Scheidung. 

Diese Säure wurde bisher nur im Urin und im Blut gefunden. 
B. hat dieselbe in normalen Fäcen nachgewiesen, in besonders be¬ 
quemer Weise zusammen mit 0. Huber nach Mentholdarreichung 
aus den Fäces isolirt. Demnach unterliegt die Anhäufung im 
Blut und entsprechend die Ausscheidung in den Harn den Zufällen 
der Resorption. Das spricht gegen die Theorie von P. Mayer, 
welcher die Vermehrung der Glykuronsäure-Ausscheidung auf 
Schwächung der Körperoxydationskraft bezieht. In solchen Fällen, 
Dyspnoe, Diabetes etc., gelingt allerdings die Probe auf Glykuron- 
säure, Orcinreaction nach Säurespaltung leicht, aber wie B. meint, 
nicht wegen Vermehrung der gepaarten Glykuronsäuren, sondern 
wegen leichterer Spaltbarkeit derselben in diesen Harnen. Denn 
B. konnte bei der Erhöhung der Säurespaltung durch Eisenchlorid 
die gepaarten Glykuronsäuren auch im normalen Harn demon- 
strabel machen, durch Gelingen der Orcinreaction danach. Schlie߬ 
lich theilt B. noch mit, daß er Anhaltspunkte dafür hat, bei ge- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 35. 


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wissen Thieren den Transport der Glykuronsäure in den Darm 
der Galle znzuweisen. 

F. Mayer (Karlsbad): In den von ihm früher mitgetheilten Fällen 
•war eine Vermehrung der Glykuronaäure-Ausscheidung sicher vorhanden, denn 
sie waren in der Bromphenylbydrazinverbindung dargestellt, welche aus nor¬ 
malem Harn nicht gelingt. Mindestens '/s Grm. muß vorhanden sein. Der 
normale Harn enthält dagegen nur 0 04 Grm. Die Auffassung der Glykuron- 
säure-Ansscheidong als ein Product der unvollkommenen Oxydation des 
Zuckers ist durch den Nachweis der Resorptionsfähigkeit der Glykuronsäure 
nicht widerlegt. 

lHal: Die Bromverbindung der Glykuronsäure gelingt immer nur aus 
abgespaltenem Glykuron ; die Schlußfolgerung auf eine Vermehrung ist also irrig. 

H. Vogt (Straßburg i. E.): Ueber Phloridzindiabetes und alimentäre 
Glykosurie. 

Bei Thieren, die durch gleichmäßige intravenöse Glukoseinjectiou 
mit Zucker überschwemmt waren, ruft Phloridzindiabetes . eine 
vermehrte Zuckerausscheidung hervor. Für eine Beeinflussung der 
Nieren spricht weiterhin, daß Phloridzindiabetes auch auf die 
Wasser- resp. Salzsecretion einwirkt (Diurese mit Gefrierpunkts¬ 
änderung des Harns). Bei gleichmäßiger intravenöser Rohrzucker¬ 
infusion kann auch die Ausscheidung dieses Zuckers durch Phlo¬ 
ridzindiabetes gesteigert werden, ohne daß es dabei zu einer Gla- 
kose-Ausscheidung kommt. 

Lennhoff (Berlin): Ueber traumatische Nierensenkung. 

Verletzungen verschiedener Art können Senkung der Nieren 
zur Folge haben. Eine der selteneren Ursachen ist starke Muskel¬ 
anspannung des ganzen Körpers. Redner beschreibt aus der Litten- 
schen Poliklinik sechs ziemlich gleichartige Fälle, bei denen die 
rechte oder linke Niere sich gesenkt hat, infolge einer ruck weisen 
starken Muskelanspannung zum Verhindern des Umfallens beim 
Tragen eiuer Last und ähnliches. Vier der Fälle, Männer, hatten 
einen hohen Becher-Lennhoff 'sehen Index, bei welchem die Nieren 
von außen leicht zugänglich sind. Die beiden anderen, Frauen, 
hatten niedrigen Index, bei ihnen waren die Beschwerden aber 
auch umso größer. Gegen letztere genügt meist eine geeignete 
Bauchbinde; Redner zeigt einige von ihm selbst construirte Binden, 
die nach Angaben des Arztes leicht von Laien angefertigt werden 
können. 

Aus französischen Gesellschaften. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Med. Presse“.) 

Soci^tö Mödicale des Höpitaux. 

Renon: Latente Aortitis syphilitica und viscerale Neuralgien. 

Die Beschwerden des Kranken bestanden in Anfällen von 
heftigen visceralen Schmerzen, die Leber- oder Nierenkoliken ähnlich 
waren. Das Auftreten einer ein Jahr vorher nicht vorhandenen 
Aorteninsufficienz machte die Diagnose wahrscheinlich; bestätigt 
wurde dieselbe durch den Erfolg der specifischen Behandlung, 
welche binnen Kurzem alle Symptome beseitigte. Ob die Ursache 
der heftigen Schmerzen in einer Compression der Nervenbündel 
durch die Verdickung der Aortenwände oder in einer Reizung zu 
suchen ist, ist schwer zu entscheiden. Vielleicht spielen die Schmerzen 
bei den syphilitischen Aortitiden dieselbe Rolle wie die Schmerzen 
bei den verborgenen Aortenaneurysmen (Hüchard). 

Variot: Einfache Hypertrophie des Gehirnes. 

Ein Kind von 16 Monaten mit einem Kopfumfange von 
54 Cm. stirbt 24 Stunden nach seiner Aufnahme in das Kranken¬ 
haus. Die Körpertemperatur vor dem Tode beträgt 43°. Bei der 
Section ist keine Ursache der Hyperthermie zu finden; die Ver¬ 
größerung des Schädels ist durch eine abnorme Größe des Gehirnes 
(1640 Grm.) bedingt; die Seitenventrikel sind nicht dilatirt und 
der Liquor cerebro-spinalis nur wenig vermehrt; die Gehirnhäute 
sind normal, ebenso die Gehirnwindungen. 

Nageotte: Cytodiagnose des Liquor cerebro-spinalis bei einigen 
Nerven- und Gehirnerkrankungen. 

Von 36 Epileptikern hatten 35 einen normalen Liquor cerebro¬ 
spinalis ; bei einem einzigen fand sich eine reichliche Lympho- 
cytose, doch hatte derselbe außer seinen Anfällen noch Zeichen 


einer schweren organischen Nervenkrankheit. Der Liquor cerebro¬ 
spinalis war ebenso bei mehreren mit acuter Paranoia, Manie, 
Verfolgungswahn, Hypochondrie behafteten Kranken normal. Hin¬ 
gegen zeigten von 6 Paralytikern 4 eine beträchtliche Leukocytose. 
Ferner fand sich bei einem erst vor 2 Monaten von Schlage Ge¬ 
rührten eine allerdings unbedeutende Leukocytose. 

Widal bemerkt, daß man im normalen Liquor cerebro-spinalis immer 
vereinzelte Lymphocyten findet (zwei oder drei im Gesichtsfelde), ohne daß 
man daraus auf eine Leukocytose schließen dürfe. Widal konnte bei einer 
luetischen Meningitis und in einem Falle von luetischer Hemiplegie Leuko¬ 
cytose finden; ebenso bei einem Kranken, der ein Jahr vorher ein Geschwür 
hatte und jetzt das RoBEBTsoN’sche Phänomen zeigte, ferner bei einem 
Typhuskranken, der zugleich an Hirnerscheinungen litt und im secundären 
Stadium der Syphilis sich befand. Hingegen fand er bei zehn schon lange 
Syphilitischen, die keine Gehirnsymptome darboten, keine Leukocyten. 

Joffroy fand bei einem Kranken, der seit mehreren Jahren an luetischer 
MeDingo-Myelitis litt, eine Leukocytose des Liquor cerebrospinalis; es gibt 
demnach Fälle von syphilitischen Läsionen der nervösen Centren, die von 
einer Leukocytose des Liquor cerebro-spinalis begleitet sind. 

Widal: Ansammlung von Typhusbacillen an den Injections- 
stellen bei einer Typhuskranken. 

Bei einer 24jährigen Typhusreconvalescentin entwickelten 
sich unter der Haut des Abdomens und der linken Hüfte ein 
Absceß und drei kleine Knötchen, die alle den Stellen entsprachen, 
an denen Coffein oder Serum subcutan einverleibt worden war. 
Aus dem Absceßeiter und aus den Knötchen, die eine ölige Flüssig¬ 
keit enthielten, ließ sich der Typhusbacillus züchten; dieser konnte 
nur im Wege des Blutkreislaufes an den durch die Injection ge¬ 
schädigten Gewebstheilen haften geblieben sein. 

Diese Beobachtung beweist, daß die kleinste Schädigung 
des Gewebes die Niederlassung der im Blute kreisenden Bacillen 
begünstigt. 

Merklen sah 3 Fälle von schwerem Typhus, bei denen man keine 
Coffe'ia- oder Seruminjection machen konnte, ohne daß an der Injectionsstelle 
ein Absceß auftrat. Die ausnehmend schweren Fälle heilten, so daß man sich 
fragen muß, ob die Absceßbildung nicht als günstiges Vorzeichen angesehen 
werden muß. 


Soci^tä de Biologie. 

Castaigne und Rathery: Histologie des Exsudates und Durch¬ 
gängigkeit der Pleura bei den rheumatischen Pleuritiden. 

Die Culturen waren mit Ausnahme eines Falles, in dem wir 
den von Achalme beschriebenen Bacillus fanden, negativ, ebenso 
die Impfungen der Kaninchen. Der histologische Befund war nicht 
immer gleich: In einer Gruppe von Fällen gab es nur polynucleäre 
Zellen, dazwischen vereinzelte Lymphocyten und einige große 
mononucleäre nebst einer oder zwei Endothelialzellen. In einer 
zweiten Gruppe waren die Endothelzellen das vorherrschende 
Element, und es fanden sich nebenbei noch poly- und mononucleäre 
Zellen nebst zahlreichen rothen Blutkörperchen. 

Um die Durchgängigkeit der Pleura zu untersuchen, wurde 
Methylenblau und Salicylnatron in die Pleura und später ins 
subcutane Zellgewebe eingespritzt. In allen Fällen wurde von 
Seiten der Pleura ebenso rasch resorbirt wie auf dem hypoder- 
matischen Wege. 

Dopter bemerkte in einem Falle von Pleuritis im Gefolge eines acuten 
Gelenksrheumatismus eine Verminderung der rothen Blutkörperchen, Ver¬ 
mehrung der Leukocyten mit deutlicher Polynucleose, eine große Zahl von 
Endothelzellen. In den Präparaten fand sich kein Bakterium. 

Sabrazes und Mathis : Histologie des Blutes bei Syphilis, Tabes 
und progressiver Paralyse. 

Im Primärstadium der Syphilis ergab die Untersuchung stets 
eine leichte Verminderung der Anzahl der rothen mit Vermehrung 
der weißen Blutkörperchen. Im Secundärstadium zeigt sich die 
Leukocytose besonders in einer Vermehrung der polynucleären 
neutrophilen Zellen, während die eosinophilen nur in der Minder¬ 
zahl sind. Die Quecksilberbehandlung bewirkt eine Vermehrung 
der rothen und weißen Blutkörperchen und eine Zunahme der 
Färbekraft des Blutes. Im Tertiärstadium nähert sich das Blut 
der Norm. 

Bei den Kindern mit acquirirter oder hereditärer Syphilis 
findet man Verminderung der rothen Blutkörperchen und Ver- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 35. 


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mehrung der polynucleären neutrophilen Zellen und der Lympho- 
cyten. 

Bei den Tabikern findet man Abnahme der Färbekraft des 
Blutes und leichte neutrophile Polynucleose. Die Paralytiker im 
Stadium der Euphorie neigen zur Vermehrung de- Blutkörperchen 
und zur Eosinophilie. 

Loewy: Aenderungen der Zusammensetzung des Blutes durch 
die Chloroformanästhesirung. 

Es wurde bei Menschen und Thieren die Zahl der Blut¬ 
körperchen vor, während und nach der Narkose bestimmt. Außer¬ 
dem wurde die Blutuntersuchung 24 oder 28 Stunden nach dem Er¬ 
wachen wiederholt. Die Chloroformirung der Thiere wurde im 
Mittel durch eine Stunde fortgesetzt. 

Das Hauptergebniß der Untersuchungen ist eine quantitative 
Aenderung der polynucleären neutrophilen Zellen. Während und 
nach der Narkose tritt neutrophile Hypoleukocytose mit mäßiger 
Vermehrung der mononucleären Zellen auf; nach Verlauf einiger 
Stunden tritt dagegen neutrophile Polynucleose auf, die 24 Stunden 
nach dem Erwachen ihr Maximum erreicht. 

Die Zahl der eosinophilen polynucleären Zellen steht in um¬ 
gekehrtem Verhältniß zur Zahl der neutrophilen. 


Notizen. 


Wien, 30. August 1902. 

(Die Krankencasse derBaukbeamten) hat, wie uns 
gemeldet wird, an die Statthalterei das Ersuchen gestellt, jenen 
Kammerbesehluß aufzuheben, nach welchem die Annahme einer 
Stelle bei dieser Krankencasse als standeswidrig bezeichnet wird. 
Die Behörde hat den Act der Kammer zur Aeußerung zugemittelt, 
und wird in der am 2. September d. J. stattfindenden Kammer¬ 
versammlung über die abzugebende .Aeußcrnng.. berathen wenden. 
— Die Entscheidung der Behörde mag wie immer ausfallen, der 
Krankencasse wird es, Dank der Solidarität der Aerzte , in 
keinem Falle gelingen, gegen den Willen der Kammer Aerzte zu 
erlangen, ebenso wie dies den Meistercassen nicht gelungen ist, 
obzwar die diesbezüglichen Beschlüsse von 15 Aerztekammern auf¬ 
gehoben worden sind. 

(Universitätsnachrichten.) Der a. o. Prof. Dr. Ewald 
Hering ist zum ordentlichen Professor der allgemeinen und experi¬ 
mentellen Pathologie an der deutschen Universität in Prag er¬ 
nannt worden. — Der a. o. Professor der Physiologie an der Uni¬ 
versität in Graz Dr. Oskar Zoth ist zum Ordinarius dieses Faches 
an der Universität in Innsbruck ernannt worden. — Die neu 
errichtete Lehrkanzel für Hautkrankheiten in Freiburg i. B. hat 
Dr. E. Jacobi erhalten. — Die Professur für Laryngologie zu 
Heidelberg ist Prof. Dr. Juracz übertragen worden. 

(Personalien.) Der Director der Heilanstalt Alland Doctor 
Alexander R. v. Weissmayr ist von der Leitung der genannten 
Anstalt zurückgetreten, um die Direction eines ähnlichen Institutes in 
Arco zu übernehmen.— Der Director der Kaiser Franz Joseph-Landes- 
Heil- und Pflegeanstalt in Mauer-Oehling Dr. Joseph Kragatsch hat 
den Titel eines Regierungsrathes, der Inspectionsarzt der Wiener 
freiwilligen Rettungsgesellschaft Dr. Ignaz Lamberg das goldene 
Verdienstkreuz mit der Krone erhalten. — Den Bez^ksärzten 
Dr. Josef Haunold in Mähr.-Trübau und Dr. Ludwig Schwarz 
in Mähr.-Schönberg ist der Titel und Charakter eines Oberbezirks¬ 
arztes verliehen, der Bezirksarzt in Prerau Dr. Franz Hnilica 
zum Oberbezirksarzte ernannt worden. 

(VII. Oesterreichischer Aerztekammertag.) Am 
7. und 8. September d. J. findet — wie bereits gemeldet — der 
VII. Oesterreichische Aerztekammertag unter dem Präsidium der 
Bukowinaer Aerztekammer als der geschäftsführenden Kammer zu 
Czcrnowitz statt. Die Präsenzliste enthält die Vertreter sämmt- 
licher Aerztekammern mit Ausnahme jener von Vorarlberg.— Wir 
werden über den Verlauf des Kammertages, auf dessen Programm 
zahlreiche Themen von praktischem und socialem Interesse stehen, 
ausführlich berichten. 


(Die Kindersterblichkeit in Oesterreich) ist nach 
der Darstellung von Prinzing („Allg. statist. Arch. u ) eine recht 
hohe; sie betrug 1891/95 24’6 auf 100 Lebendgeborene, gegen 
22 2 in Deutschland, 20’5 in Preußen, 27-2 in Bayern, 18'3 in 
Italien. Die Schwankungen waren im österreichischen Staate seit 
1830 nicht sehr erhebliche; am höchsten, 26’2, bezw. 26’4, waren 
die Ziffern in den Nothjahren 1846—50 und in der wirtschaft¬ 
lichen Krise 1873. Unter den einzelnen Landostheilen stehen am 
günstigsten da; Dalmatien, das Küstenland, Krain, Tirol und Vor¬ 
arlberg, am ungünstigsten Böhmen und Oberösterreich. Von den 
Factoren, welche die örtlichen Verschiedenheiten bedingen, ist am 
meisten ausschlaggebend die Art der Ernährung. Die geringe 
Kindersterblichkeit bei der slavischen Bevölkerung (1891—95 
zwischen lS^ 0 /,, im dalmatinischen Bezirke Makarska und 34 , 5°/ 0 
im galizischen Bezirke Grodek) ist in erster Linie auf das allg 
mein übliche Stillen zurückzuführen; bei den Deutschen schwankten 
die Ziffern zwischen 19*4°/o in Vorarlberg und 39 , 9°/ 0 im böhmi¬ 
schen Bezirke Friedland. Die große Zahl von Sterbefällen der 
Säuglinge in Galizien und der Bukowina erklärt sich durch die niedere 
Lebenshaltung der Bevölkerung. In den Ackerbauländern ist die 
Kindersterblichkeit im allgemeinen niedriger als in den Industrie 
gegenden; eine besondere schädliche Wirkung äußern die Textil- 
und Glasindustrie, vor allem die Frauenarbeit in den Fabriken. 
Dabei ist in der letzten Zeit in den Industrieländern eine Abnahme, 
in den Ackerbauländern eine Zunahme der Säuglingssterblichkeit 
zu beobachten. 

(DieAufnahmsbezirke für die niederösterreichi¬ 
schen Landes-Irrenanstalten) werden bis auf weiteres, 
wie folgt, bestimmt: Für die niederösterreichische Landes-Irren- 
anstalt Wien: die Wiener Gemeindebezirke I bis XI und XX, 
dann die Wiener Bahnhöfe (für dort Aufgegriffene); für die Irren¬ 
anstalt Klosterneuburg: die Wiener Gemeindebezirke XII, 
XIII, XIV und XVIII, dann die politischen Bezirke Baden, Florids¬ 
dorf, Korneuburg, Mödling, Waidhofen an der Thaya, und das 
Gebiet der Stadt Klosterneuburg; für Kierling-Gu gging: die 
Wiener Gemeindebezirke XV, XVI, XVII und XIX, dann die politi¬ 
schen Bezirke Bruck an der Leitha, Unter-Gänserndorf, Gmünd, 
Mistelbach, Ober-Hollabrunn und Tulln (mit Ausnahme der Stadt 
Klosterneuburg); für die Anstalt inMauer-Oehling: die Stadt¬ 
bezirke Wiener-Neustadt und Waidhofen a. d. Ybbs, dann die poli¬ 
tischen Bezirke Amstetten, Hietzing-Umgebung, Horn, Krems, Lilien¬ 
feld, Melk, Neunkirchen, Wiener-Neustadt, Pöggstall, St. Pölten, 
Scheibbs und Zwettl. Für die Bestimmung des Aufnahmsbezirkes, 
welchem ein in eine niederösterreichische Landes Irrenanstalt ab¬ 
zugebender Geisteskranker zugehört, ist dessen ständiger Wohnort 
maßgebend. Wenn die Transportirung eines Geisteskranken in die 
Irrenanstalt, in deren Aufnahmsbezirk sich sein ordentlicher Wohn¬ 
sitz befindet, unüberwindlichen Schwierigkeiten begegnet, so kann 
ausnahmsweise die Ueberstellung eines solchen Kranken in die 
seinem Aufenthaltsorte nächstgelegene Landes-Irrenanstalt bewilligt 
werden. 

(A u f gaben d e r K ran k e n cas 8 e n imKampfe gegen 
die Geschlechtskrankheiten.) Ueber dieses Thema sprach 
— wie uns aus Berlin berichtet wird — in der Versammlung der 
Vorstände und Verwaltungsbeamten Berlins und der Vororte am 
12. d. M. der Dermatologe Blaschko. Er will bei der inter¬ 
nationalen Conferenz über die venerischen Krankheiten zu Brüssel 
folgende Thesen vertheidigen: Zur Zeit nehmen die Geschlechts¬ 
kranken eine benachtheiligte Ausnahmestellung unter den andern 
Cassenpatienien ein. Diese Bestimmungen des deutschen Kranken- 
cassengesetzes sind leider in das dänische und schwedische Gesetz 
übergegangen, dagegen haben sie im österreichischen und dem 
demnächst zu erlassenden ungarischen Gesetz keine Aufnahme gt 
funden. Dagegen wären gerade für die oft langwierigen Geschlechts¬ 
krankheiten der Empfang von Krankengeld, resp. die Krankenhaus¬ 
behandlung sehr wichtig. Die Dauer sämmtlicher Cassenleistuugen 
soll nicht auf bestimmte Zeit von 13 oder 26 Wochen beschränkt 
sein, sondern die ganze Dauer der Krankheit einschließlich der 
llecidive umfassen. Es gäbe einzelne freie Hilfscassen, die bei 
einem Rückfall nicht nur kein Krankengeld, sondern nicht einmal 


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die übrigen Cassenleistungen gowälirten. Den der Krankenhauspflege 
bedürftigen Geschlechtskranken muß solche auf Wunsch gewährt 
werden, wenn die localen Verhältnisse es zulassen; weniger leistungs¬ 
fähigen Cassen muß zu diesem Zwecke eine staatliche Beihilfe ge¬ 
währt werden. Ein Zwang zur Krankenhausinternirung des Patienten 
kann nur im dringendsten Nothfalle ausgeübt werden, wenn nämlich 
eine directe Infectionsgefahr für andere vorliegt, wie z. B. bei den 
Angehörigen der Nahrungs- und Genußmittelbranche, Barbieren, 
Friseuren und einigen anderen Gewerben. Die Krankencassen sollen 
berechtigt sein, für ihre geschlechtskranken Mitglieder Vorschriften 
zu erlassen, durch welche eine dauernde ärztliche Ueberwachimg 
des Patienten auch in der recidivfreien Zeit ermöglicht wird. Durch 
Errichtung ärztlicher Ambulatorien, verbunden mit Sanatorien soll 
eine bessere Ausbildung der Aerzte, welche in den damit verbun¬ 
denen Polikliniken sich praktisch bethätigen können, auf dem Ge¬ 
biete der Geschlechtsleiden angestrebt und ermöglicht werden. Es 
muß den Krankencassen gestattet sein, die erforderlichen Ausgaben 
für Belehrung der gesunden Cassenmitglieder zum Zwecke der 
Syphilisprophylaxe zu machen. 

(Gefälschte Doctordiplome.) An der Universität zu 
Barcelona sind — wie uns gemeldet wird — Betrügereien entdeckt 
worden. Mehrere Personen sollen falsche medicinische oder juristi¬ 
sche Doctordiplome erhalten haben. Der Rector der Universität 
wird eine Prüfung aller innerhalb der letzten 25 Jahre an der 
Universität verliehenen Titel verlangen. 

(R e d a c t i o n e 11 e s.) Die durch Ableben des Prof. Reineboth 
in Halle erledigte Redaction der „Zeitschrift für Krankenpflege“ 
werden vom 1. October d. J. an Prof. Dr. Rudolf Kobert und 
Dr. Hermann Kramer in Rostock übernehmen. 

(Ein me rk w ürd iger „Dr uck f eh 1 er“.) In Nr. 197 des 
„Schwarzwälder Bote“ fand sich folgende Anzeige: „Wir suchen 
zum sofortigen Eintritt einen tüchtigen, nicht zu jungen Arzt. Lohn 
bei sehr guter Verpflegung zunächst bis 300 Mk. pro Jahr. Er¬ 
holungsheim Neustädtle, Bahnstation Waiblingen.“ Eine ob dieser 
Ungeheuerlichkeit an die Besitzerin des Erholungsheims, die Ver¬ 
waltung der Stuttgarter Ortskrankencasse, gerichtete Anfrage wurde 
dahin beantwortet, daß ein „Druckfehler“ vorliege, insofern es sich 
nicht um die Anwerbung eines Arztes, sondern um die eines „land- 
wirthscliaftlichen Knechtes“ handle. 

(Statistik.) Vom 17. bis inclusive 23. August 1902 wurden in den 
C i v i lspit älern Wiens 6092 Personen behandelt. Hievon wurden 1329 
entlassen ; 119 sind gestorben (8'21% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 46, egypt. 
Augenentzündung 4, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 15, Dysen¬ 
terie—, Blattern—, Varicellen 8, Scharlach 47; Masern 76, Keuchhusten 53, 
Rothlauf 28, Wochenbettfieber —, Rötheln 1, iiiumps4, Influenza—, follicul. 
Bindehaut-Entzündung—, Meningitis cerebrospin.—, Milzbrand 2, Lyssa—, 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wieu 553 Personen gestorben 
(—16 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Füufkirchen der Primar¬ 
arzt des dortigen städtischen Spitales Dr. Friedrich Schwarz, 
54 Jahre alt; in BeregszAsz der dortige Physikus Dr. Nikolaus 
Komäromy im Alter von 59 Jahren; in Abas-Tuman im Kaukasus 
der Generalstabsarzt der russischen Armee Dr. Adolf von Remmert. 


„Sanitas“, gesetzlich geschützte, zerlegbare, hygienische Sprungfeder- 
Matratze. Diese vom k. u. k. Hof- und Kammerlieferanteu Sändor Järay, 
Wien, V., Margarethenstrafs 96, erzeugte Matratze ist derartig gearbeitet, 
daß solche zugleich Sprungfederrahmen und Obermatratze bildet. Letztere ist 
abhebbar und dadurch der große Vortheil geboten, Kranke von einem Ort 
zum anderen bringen zu können, ohne sie aus dem Bette nehmen zu müssen. 
Die federleichte Handhabung gestattet, sie innen vollständig zu reinigen und 
ist daher absolut staubfrei. Heilanstalten, Privatkliniken und Sanatorien 
kann die Anschaffung dieser hygienischen Matratzen nicht genug warm 
empfohlen werden, zumal die Preise derselben sehr mäßige sind. 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 


Der gesammten Auflage liegen bei: Ein Prospect der 

Farbenfabriken Friedr. Bayer & Co. in Elberfeld über „Tanni- 
gen“, ein Prospect der chem. Fabrik Kalle & Co. in Biebrich 

a. Rh. über „Bismutose“. Wir empfehlen diese der geneigten 
Beachtung unsrer Leser. 


Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
Postversendung. Die Preise derElnbanddeoken sind folgende: für die „Med. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
„Therapie der Gegenwart“: K 1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Postversendung. 


Die Rubrik: „Erledigungen, ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sieh auf der vorletzten Inseraten-Seite. 

ME~ Wir empfehlen diese Rubrik der speciellen Beachtung unserer 
geehrten Leser; in derselben werden öfters —neben der Publication von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auch für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein können, welche an eine 
Aenderung des Domicils oder ihrer Verhältnisse nicht gedacht haben. ^Ml 


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Aerztliche Gutachten: 

Prof. Dr. €rn*t Tischer (Strassburg): 

Die Wirkung des „Pertussins“ war eine überraschende; wenn¬ 
gleich ich nicht gerade sagen kann, dass der Keuchhusten sich ln 
einigen Tagen in einen einfachen Katarrh verwandelte, so wurden 
die Anfälle so milde, der Schleim so locker, dass das Erschreckende 
des Keuchhustens, das Blauwerden und die drohende Erstickung, voll¬ 
ständig wegfielen. 

Dr. mode!, kgl. Bezirksarzt a. D. (Weissenburg) : 

Nach dem Gebrauch des Pertussin war es mir beim Erwachen 
plötzlich, als athmete ich die freie herrliche Luft auf einem Alpen- 
Gipfel. Diese Leichtatlunigkeit fiel mir besonders auf, der ich in¬ 
folge langjähriger Br„nchialkatarrhe an merklichem Emphysem leide. 

Dr. Dlfred lliäller (Neuhausen): 

Mein tTrtheil geht dahin, dass das Pertussin ein Mittel ist, das 
in kürzester Zeit den mit Recht so gefürchteten Keuchhusten in 
einen ungefährlichen und fast unmerkbaren Bronchialkatarrh über¬ 
zuführen vermag. Ich kenne zur Zeit kein anderes Mittel, welches 
sich des gleichen Vorzuges rühmen dürfte. 

Dr. €ricl! R. von matzner (Birkfeld, Steierm.): 

Die drei mit Pertussin behandelten Bronchitiden, davon zwei 
bei Kindern, zählten zu den schwersten Formen und jedesmal er¬ 
wies sich Ihr Präparat als von ausgezeichneter Wirkurg; der starke 
Hustenreiz nahm in wenigen Stunden beieits ab und die Secretion 
begann sich bald zu verringern, die Temperatur fiel ab. 

Dr. StÖSSlter, leit. Arzt d. lothring. Sanatoriums (Alberschweiler): 

Ihr Pertussin habe ich in 8 Fällen angewendet und zwar davon 
in 2 Fällen mit hervorragendem, im 3. mit h idlichem Erfolg. Alle 
3 Fälle waren solche der schwersten Schwindsucht. Ich nehme 
schon jetzt an, dass Pertussin bei uns nicht mehr ausgehen wird. 

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von Dr. J. STILLING, 

Professor an der Universität Strassburg. 

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XLIIl. Jahrgang. 


Wien, den 7. September 1902. 


Nr. 36. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik', letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
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die Administration der „Wiener Medizinischen Presse" 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 


Wiener 


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Militäräiz'lieber Zeitung“ und „Wiener Klinik - Inland : Jährl. 
*o A', halbj. io A‘, viertelj. 5 A\ Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk., halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 K\ Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2Bpaltige Nonpareille-Zeile oder deren Kanm 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslände bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Rin 
Sendung des Betragesjier Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mecuz. Presse" in Wien.l, Maximilianstr.4. 


medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Redaction: Telephon Nr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

-.QSg.- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 
Administration: Telephon Nr.9104. 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse “ gestattet. 


RUDOLF VIRCHOW f 

13. October 1821 — 5. September 1902. 

Wir haben ihn verloren. Nicht heute erst, denn jener Unfall, der den greisen Ge¬ 
lehrten unmittelbar nach der internationalen Fdes.s^ij^So. Geburtstages betroffen, er 1 
deutete das — Ende. Wir mußten ihn schvvindBff^iheh derTSWmfassenden Geist, da seinfe 
Hülle der Auflösung verfallen war, und mit den verhallenden Tönen des festlichen Jubels 
vermischte sich die laute Klage, die Virchow’ S nahenden Heimgang aller Welt gekündet. 
Nach hartem Ringen ist er unterlegen. Virchow ist nicht mehr. 

»Ein Heros der Arbeit ist dieser Mann, ein ragendes Beispiel dafür, daß der Feuer¬ 
eifer und die Thatkraft der auserkorenen Vollnatur dem Anstürme des Lebens diamanten¬ 
gleich widerstehen und im Ringen um die Palme des Ruhmes stets von neuem auflodern 
und erstarken.« 

Kaum ein Jahr ist dahingerauscht, seit wir diese Zeilen geschrieben. Auch er mußte 
zur Ruhe gehen, der im Leben Ruhe nie gekannt, und schier unfaßbar scheint es heute Allen, 
die dieses Erdenwallen bewundernd geschaut, daß es zu Ende sei. Denn an des Menschen¬ 
lebens äußerster Grenze war des großen Naturforschers Arbeitsfreudigkeit ungebrochen, der 
Thatkraft gleich des rüstigsten Mannes. 

Was er geschaffen in den Decennien unermüdlicher Forschung, was er der Wissen¬ 
schaft bedeutet, der er sein Leben rückhaltlos geweiht, was Pathologie, Anthropologie und 
Hygiene ihm verdanken, in allen Zungen des Erdballs wird es heute verkündet von der 
großen Schaar seiner Schüler, die jetzt selbst schon Meister geworden, und den Schülern 
seiner Jünger. Zu nahe aber stehen wir noch dem Grabe Virchow’s, um voll und ganz zu 
erfassen, was er uns gewesen; seine Würdigung ist der Geschichte der Naturforschung Vor¬ 
behalten, die das Wirken Rudolf Virchow’s, des Schöpfers der Cellularpa'thologie, in nimmer 
verwitternden Lettern verewigen wird neben den unvergeßlichen Namen Alexander Humboldt 
und Hermann Helmholts. 

Trauernd steht das unabsehbare wissenschaftliche Heer an der Bahre des verewigten 
Führers, der — ein Princeps scientiarum — niemals vergessen ließ, er sei in erster Reihe 
medicinischer Schriftsteller. So sei denn auch der Publicistjk, die dem Dienste der Wissenschaft 
obliegt, gestattet, ein Lorbeerreis niederzulegen auf diesen Sarg, der so Unersetzliches birgt. 


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1603 


1902. 


Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 36. 


1604 


Originalien und klinische Vorlesungen. 


Beobachtungen über den Einfluß von Alboferin 
auf Blutdruck und Nervenerregbarkeit bei 
Nervenkranken. 

Von Dr. Zanietowski in Swoszowice. 

Zu den viel besprochenen und dennoch dunklen Fragen 
gehört in der Pharmakodynamik der Einfluß von verschiedenen 
Eisenpräparaten auf die Beschaffenheit des Blutes, und wir 
finden in neueren Zeiten so viele Theorien und Hypothesen, 
daß man sogar eine Blutkörperchenvermehrung und eine rasche 
Erhöhung des Hämoglobingehaltes nach Einnahme von destil- 
lirtem Wasser gesehen haben wollte. Noch interessanter ist 
die Frage, inwiefern sich der Blutdruck unter dem Einfluß 
einer logischen Eisentherapie verhalten kann, und e3 sind 
wohl darüber sehr spärliche Mittheilungen erschienen, unter 
welchen wir gleich die Beobachtung von Kornfeld erwähnen 
müssen, „ein Rückgang des krankhaft gesteigerten Blutdruckes 
zur Norm“ entspreche bei Eisentherapie „einer Besserung des 
Allgemeinbefindens“. Wir sind auch derselben Ansicht wie 
Kornfeld , daß es sich heute noch schwer feststellen läßt, 
welche Factoren im Einzelnen an der Herabsetzung des Blut¬ 
druckes betbeiligt sind; wir wiederholen aber, was schon oben 
erwähnt wurde, daß eine kritische Sammlung von einzelnen, 
wenn auch in ihrer Genese nicht immer klaren Beobachtungen 
eine der wichtigsten Grundlagen des Fortschrittes bildet. 

Außer der oben erwähnten , verhältnißmäßig wenig er¬ 
läuterten, aber doch scharf beobachteten Beziehung des Blut¬ 
druckes zu den pharmakodynamischen Eigenschaften des Eisens 
gibt es noch manche beinahe gar nicht berührte Fragen, welche 
doch an und für sich ohne weiteres sehr interessant sind. Ist 
es mehr oä^ftenigäl ^ah^daß*'d«r'BlnWfttfk^^rA'usdruck 
der jeweils ife Nervensystem herrschenden Erregung anzusehen 
ist, so wäre es doch interessant, direct nachzusehen, wie sich 
während der Eisentherapie die physiologischen Eigenschaften 
des Nervensystems verhalten, und zwar diejenigen zwei wich¬ 
tigsten Functionen, welche wir mit dem Namen von Erreg¬ 
barkeit und Leitungsgeschwindigkeit bezeichnen. 
Da wir uns nun seit längerer Zeit mit vergleichenden Erreg¬ 
barkeitsmessungen nach eigenerMethode beschäftigt hatten, 
und da in neueren Zeiten zur Messung der Leitungsgeschwin¬ 
digkeit der Erregung am Krankenbette das vortreffliche „Neura- 
möbimeter“ von Hofrath Exner und Prof. Oberstkiner con- 
struirt wurde, dem wir eine kleine automatische Einrichtung 
zu elektrischen Experimenten zufügten, hielten wir es für 
unsere Pflicht, mit den oben erwähnten Methoden der inter¬ 
essanten Frage nachzuforschen und das, was wir gesehen, wie 
wenig es auch sein mag, den wohlwollenden Lesern mitzutheilen. 

Als Material zu unseren Versuchen wählten wir unter 
Anderem eine Reihe von Neurosen und eine Reihe von 
Anämien; die erste Reihe sollte zur Vervollständigung der 
schönen KoRNFELü’schen Versuche dienen; die zweite Reihe 
entstand durch Zufall dadurch, daß wir im Sanatorium des 
Schwefelbades „Swoszowice“ ein gewisses Quantum von anämi¬ 
schen Personen in ärztlicher Beobachtung hatten, bei denen eine 
tägliche Blutdruckmessung und Erregbarkeitsbestimmung 
während der elektrotherapeutischen Behandlung oder während 
der ärztlichen Ordination leicht durchzuführen war. Wir be¬ 
merken es gleich bei dieser Gelegenheit, daß schon von älteren 
Forschern ein guter Einfluß verschiedener Eisenbestandtheile 
der sogenannten „Schwefelbäder“ auf Anämie bestätigt wurde 
(Turssin, Robiquet, Struwe u s. w.); wir konnten dasselbe in 
noch hervorragendster Weise bei combinirter externer Wasser- 
cur und interner Eisentherapie bestätigen. Zu der externen 
Wassercur haben wir das vorzügliche, obwohl wenig bekannte 
Quellenwasser vom Schwefelbad „Swoszowice“ gebraucht, dessen 
Eigenschaften dadurch hervorragend sind, daß sie viel reicher 


an Eisen und Schwefelwasserstoff sind, als andere 
ähnliche Quellen (Pistyan in Ungarn, Teplitz in Böhmen, 
Mehadia u. s. w.). Zu der internen Eisentherapie haben wir 
unter verschiedenen anderen Mitteln deswegen mit Vorliebe 
Alboferin gebraucht, da aus verschiedenen wissenschaft¬ 
lichen Publicationen solche Eigenschaften deutlich hervor¬ 
gingen, wie leichte Löslichkeit, rasche Aufnahme bei Steigerung 
der Acidität des Magensaftes, Mangel an Nebenwirkungen 
der Acidalbumine und vorzügliche Nähreigenschaften nebst 
Veranlassung zur Gewichtszunahme und zum Stickstoffzusatze, 
was wohl in Malnutritionszuständen von anämischen und nervös 
erschöpften Personen von Belang ist. 

Nach dieser kurzen Einleitung schreiten wir zur Be¬ 
schreibung der eigentlichen Versuche, mit der Bemerkung 
jedoch, daß wir nur das Wichtigste in großen Zügen 
schildern werden, und daß wir mehr Gewicht auf die Lenkung 
der Aufmerksamkeit des Lesers auf interessante Gebiete des 
Wissens legen, als auf ausführliche, tabellarische Einzelnheiten, 
die mehr ermüden als beweisen. 

Es ist wohl eine vom Standpunkt der Theorie ganz ver¬ 
ständliche Sache, daß die Beschaffenheit des Blutes in 
engster Beziehung zu der Erregbarkeit des Nervensystems 
steht. Wir würden es auch für ganz möglich halten, daß eine 
abnorme Erregung des ganzen Nervensystems unter dem Ein¬ 
flüsse verschiedener Mittel, welche die Blutbeschaffenheit ver¬ 
ändern, sich auch mehr oder weniger parallel entwickeln wird. 
Die in der Einleitung erwähnte Arbeit von Kornfeld hat 
uns experimentelle Beweise dafür geliefert, daß der im 
Organismus jeweils herrschende Blutdruck, den der Verfasser 
mit kritischem Blick als den Ausdruck der jeweils im Nerven¬ 
system herrschenden Erregung bezeichnete, mit der Besserung 
der Blutbeschaffenheit durch Eisentherapie durchaus nicht ein¬ 
deutigen Schwankungen unterliegt. Diejenigen, welche die 
erwähnten Versuche nicht kennen, erinnern wir nur, daß diese 
Aenderungen des Blutdruckes keineswegs allein auf Rechnung 
des Hämoglobingehaltes oder Eisengehaltes zu setzen sind; 
im Gegentheil hat Kornfeld einen Mangel an Proportionalität 
zwischen den Gliedern dieser beiden Reihen bewiesen. Dafür 
gilt es aber für sicher, daß mit Eintritt der Besserung der 
Blutbeschaffenheit eine Herabsetzung des Blutdruckes 
erfolgt, und zwar in doppeltem Sinne , als Herabsetzung des 
allgemeinen, in der Ruhe auf sphygmomanometrischem 
Wege ermittelten Blutdruckes, als auch eine Verminderung 
der durch einfache Leistungen bewirkten Blutdrucksteigerung. 
Diese beiden Blutdruckverminderungen sind wohl Zeichen, 
daß der allgemeine anormale Blutdruck und die durch ver¬ 
schiedene Arbeitssorten bewirkte anormale Blutdrucksteigerung 
unter dem Einfluß der die Blutbeschaffenheit verbessernden 
Eisentherapie zur Normalen zurückkehren. 

Daß die oben erwähnten Erscheinungen, welche wohl 
richtig als Zeichen der günstigeren Arbeitsökonomie des Or¬ 
ganismus bezeichnet wurden, sich bei Alboferinverwen- 
dung in hervorragender Weise zeigen werden, erschien uns 
wohl a priori ganz natürlich, um desto mehr, als nach früheren 
Ansichten und Beobachtungen Alboferin so günstig auf 
die ganze Oekonomie des Organismus, auf das allgemeine Wohl¬ 
befinden, auf die rasche Gewichtszunahme und die vollständige 
Rückbildung krankhafter Processe wirkt. Es wird aber nichts 
sehr Frappantes und Neues sein, wenn wir hier einerseits er¬ 
wähnen, daß unsere Versuche mit Alboferin einen sehr 
günstigen Einfluß nicht nur auf das subjective Wohlbefinden 
von Nervenkranken bewiesen haben, sondern auch eine parallel 
verlaufende Verminderung des abnorm gesteigerten Blut¬ 
druckes, und der zu jeder Thätigkeit erforderlichen abnormen 
Anstrengung. Was aber anderseits beachtenswerth sein mag, 
ist die Thatsache, daß es bei unseren Versuchen an anämischen 
Personen gelungen ist, die zweite Hälfte des oben erwähnten 
theoretischen Baues zu vollenden. Man könnte nämlich den 
Vorwurf machen, daß bei Neurosen die Kraft der Suggestion 
so stark ist, daß die Besserung durch das Bewußtsein, ein 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 36. 


1606 


Gegenstand therapeutischer Behandlung zu sein, verursacht 
ist. Ein abnormer Blutdruck einer abnorm erregbaren Person 
wäre nur dadurch in den oben beschriebenen Versuchen zu 
einer gewissen Norm zurückgekehrt, weil die psychischen 
Factoren das Ihrige gethan haben; so könnte man sagen. 
Wenn wir aber nun diejenigen Fälle in Betracht nehmen, wo 
anämische Kinder oder chlorotische Mädchen mit sehr niedrigem 
Puls, schwacher Herzthätigkeit und sehr kleinem Blutdruck 
in der Radialarterie, unter dem Einfluß einer längeren 
Alboferincur einen stärkeren Puls und einen größeren 
Blutdruck zeigen, so ist wohl von Suggestion keine Rede; 
wir müßten ja annehmen, daß in der ersten Reihe von krank¬ 
haften Zuständen (Neurosen) eine ganz andere Wirkung der 
psychischen Factoren hervortritt als in der zweiten Reihe 
(Anämie und Chlorose), und es kann wohl unter ausschließlich 
psychischem Einfluß bei einem Kinde eine Besserung der 
Stimmung entstehen, nicht aber eine Verminderung oder eine 
Erhöhung des Blutdruckes, je nachdem wir mit Neurose oder 
Anämie zu thun haben. 

Dieser zweideutige Erfolg der Alboferincur dient 
eben als Beweis, daß in verschiedenen Krankheiten der abnorme 
Druck unter dem Einfluß der Eisentherapie dies- oder jenseits 
zur Norm allmälig zurückkehrt, sei es als Verminderung 
oder als Vermehrung der Zahlenwerthe des Sphygmomano¬ 
meters, die an und für sich nichts bedeuten, aber im großen 
Ganzen betrachtet, auf die allseitige Wirkung der Heilfactoren 
Licht werfen. Welche eben die wichtigsten sind, die hiebei 
eine Rolle spielen, ist wohl noch schwer zu entscheiden; 
jedenfalls scheint es uns doch sehr plausibel zu supponiren, 
daß unter verschiedenen chemischen JBestandtheilen des Blutes 
Phosphor insofern eine wichtige Rolle auf Blutbeschaflen- 
heit und Nervenerregung spielt, als er für die Ernährung des 
Nervensystems und die bessere Ausnützung der Eiweißkörper 
im Organismus sorgt. Hierin liegt auch der Werth von 
Albofer'in, da dürch den reichlichen Gehalt an Phosphor 
in Verbindung mit Eisen und Eiweiß im Organismus ent¬ 
weder die subnormale Quantität dieser Bestandtheile ergänzt, 
oder auch die starke Ausgabe zum Gleichgewicht gebracht 
wird, was in beiden Fällen, sowohl im subjectiven Wohl¬ 
befinden der Patienten, als auch in den objectiven Veränderungen 
von Blutdruck und Nervenerregung seinen Ausdruck findet. 

Wie wir es schon in der Einleitung bemerkt hatten, 
war es von vornherein interessant, nachzuforschen, ob unter 
dem Einflüsse der Alboferincur die Erregbarkeit des 
Nervensystems, deren Veränderungen in den Blutdruck¬ 
schwankungen ihren Ausdruck finden, sich nicht auf d i r e c t e m 
Wege nachweisen lasse. Die Sache ist an und für sich nicht 
so einfach. Abgesehen davon, daß die Erregbarkeit des Nerven¬ 
systems von mannigfachen Ursachen abhängig ist, schwankt 
diese Function des Nervensystems bei einem und demselben 
Individuum zwischen großen Grenzen. Wir hatten es auch 
ausdrücklich im Jahre 1899 bei Gelegenheit einer größeren 
elektrodiagnostischen Arbeit betont, daß es jedem Elektro- 
therapeuten bekannt ist, wie die an verschiedenen Tagen und 
sogar an demselben Tage, an demselben peripherischen Nerv 
derselben Versuchsperson erhaltenen Resultate große Ver¬ 
schiedenheiten zeigen. Wir hatten aber gleich hinzugefügt, 
daß diese Unregelmäßigkeiten, welche man durch erregbar¬ 
keitsverändernde elektrotonische Wirkung des reizenden 
Poles oder durch Widerstandsveränderungen der Gewebe zu 
erklären sucht, viel kleiner sind, wenn man zu Erregbarkeits¬ 
bestimmungen kurze Stromschlüsse braucht. Dieser Grund 
war auch einer der zahlreichen, worauf wir uns gestützt 
hatten, indem wir zu Erregbarkeitsbestimmungen unsere 
„Methodeder Condensatorentladungen“ empfahlen. Im December- 
heft der „Breslauer Zeitschrift für Elektrotherapie“ (1901) 
äußerten wir uns darüber in folgenden Worten: „Sowohl am 
normalen Menschen wie auch an gesunden Nerven eines j 
kranken Menschen ist die Regelmäßigkeit von Erregbarkeits- | 
bestimmungen mittelst Condensatorentladungen frappant; I 


im Gegentheil wiederum war immer in unseren Versuchen 
jede kleinste Erregbarkeitsschwankung beim kranken Menschen 
ein sicheres Zeichen einer Krankheitsexacerbation, einer 
momentanen Latenz oder überhaupt eines progressiven oder 
regressiven Verlaufes.“ Diese kurze Bemerkung war gewiß 
hier am Platze, um dem Leser zu erläutern, warum wir in 
den Versuchen über Erregbarkeitsveränderungen unter dem 
Einflüsse der Alboferintherapie die „Condensator- 
methode“ wählten als solche, welche nicht nur während 
des Experiments eine reine Zuckung ohne Schmerz und Elektro¬ 
lyse hervorruft, sondern auch den Widerstand des Leiters 
nicht verändert und dadurch für die Genauigkeit einer 
sicheren Diagnose bürgt. 

Einzelne Details über die oben erwähnte Methode selbst 
und über die damit schon erhaltenen Resultate wird der 
neugierige Leser in der „Wiener klinischen Rundschau“ 
(1899), in der Breslauer „Zeitschrift für Elektrotherapie“ 
(1899—1902), im Berliner „Neurologischen Centralblatt“, 
in den Pariser „Annales d’Electrobiologie“ (1901) u. s. w. 
finden können. Wir können hier höchstens dem Leser eine 
Skizze des Apparates beifügen und ohne weiteres daran 
erinnern, daß dieselbe Methode in kurzen, blitzartig wirkenden 
Entladungen eines Condensators besteht; sowohl die Capacität 
des Condensators, als die Zeit der Entladung und die Wirk¬ 
samkeit der Stromstärke hängen von gewissen Verhältnissen 



Fig. 1. 


ab , auf die wir nicht eingehen können und die auf gewisse, 
dem klinischen Experimente am besten entsprechende Momente 
zurückgeführt sind. Kurz und gut sind aber die einzelnen 
Erregbarkeitsmessungen viel strieter und erlauben uns, einer¬ 
seits die normalen Grenzen derselben viel enger zu fassen, 
andererseits wiederum die abnormalen Schwankungen viel 
genauer zu beweissen. 

Wir schreiten sogleich zu einem experimentellen Bei¬ 
spiele, um die Sache zu erläutern, und zwar, um dem Leser 
Zeit und Mühe zu ersparen, zu einem Beispiel aus den uns 
momentan interessirenden Alboferinversuchen. 

Nehmen wir an, daß wir mit einem Kinde zu thun haben 
(und solche hatten wir eben Gelegenheit in größerer Menge 
zu beobachten), bei dem außer Blutarmuth gleichzeitig ein 
Nervenleiden besteht. Wir gehen hier nicht auf einzelne 
specielle Symptome ein. auch nicht auf allgemeine Ernährungs¬ 
störungen und nachtheilige Entwickelungsmomente, und be¬ 
tonen bloß aus dem uns interessirenden Standpunkte, daß 
bei einem solchen Kinde die Nervenerregbarkeit beinahe 
nie normal ist. Entweder sind es Individuen mit äußerst 
erregbarem Nervensystem, das zwar schwach, aber 
auch empfindlich ist, oder wiederum Individuen mit träger Ver¬ 
dauung , schwachem Puls und kleiner Energie des 
N ervensystems. Nehmen wir nun z.B. den „Nervus facialis“. 
Bei einem gesunden Individuum schwankt seine Erregbarkeit 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


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nach den bisherigen üblichen klinischen Tabellen zwischen 
110 und 132 Millimeter des faradischen Rollenabstandes 
oder zwischen l'O und 2 5 Milliamperes des galvanischen 
Stromes; was aber die Condensatorentladungen anbelangt, 
zeigten unsere früheren Versuche, daß die normale Erregbar¬ 
keit in verhältnißmäßig kleinen constanten Grenzen links 
und rechts von 18 Volts schwankt (bei Verwendung des 
Normalcondensators O'Ol M. F.) und nur dann größere 
Veränderungen äußert, wenn sie schon anormal ist. Diese 
Veränderungen können sehr groß sein , wie wir es ermittelt 
haben (Minimum 9 Volts bei Tetanie und Maximum 54 Volts 
bei Facialparalyse) oder können auch sehr unbedeutend in den 
Vordergrund treten und werden daun mit Hilfe anderer 
elektrodiagnostischer Methoden nicht erkannt und in die 
breiten Rahmen der conventioneilen „normalen Erregbarkeit“ 
eingeklammert. Zu dieser zweiten Kategorie zählen wir die 
an Anämie und irgend einer Nervenaffection gleichzeitig 
leidenden Kinder. Die Anämie war entweder so hervorragend, 
daß wir gleich eine rationelle Alboferineur verordneten, 
nebst anderem individuell angepaßtem Verhalten des Kindes 
und der Umgebung, oder sie trat auch in den Hintergrund 
derart, daß nervös disponirte Kinder, aber mit keinen recht 
bemerkbaren Blutaffectionen. erst nach gewisser Reihe nervöser 
Anfälle oder gewisser Zeit unruhigen Schlafes und mangeln¬ 
den Appetites an einer Anämie erkrankten. Wir griffen 
in dem letzten Fall auch zur Alboferineur nebst Ver¬ 
wendung anderer Mittel, und konnten nach einigen Wochen 
bis einigen Monaten, je nach Geduld und Consequenz der 
Autotherapie, immer eine Besserung des allgemeinen Wohl¬ 
befindens constatiren, oder sogar eine complete Heilung, je 
nach Schwere der complicirenden Blutaffection. Aber kehren 
wir nun zu unserem Beispiel mit N. facialis zurück. Nach dem 
Gesagten ist es leicht zu vermuthen, daß sowohl in der ersten 
Kategorie der oben erwähnten Fälle, als auch in der zweiten 
die Erregbarkeit zwar nicht nach den bisher üblicbbfi 
Tabellen „anormal“ genannt werden könnte, aber auch dem 
idealen constanten Medium der optimalen Zahlen fein war. 
Wir konnten also immer bei anämischen Kindern mit kleinem 
Puls und träger Muskeltbätigkeit eine sehr niedrige Erreg¬ 
barkeit beobachten , die zwar manchmal nicht viel von den 
normalen faradischen Grenzen abzuweichen schien, aber doch, 
mit Condensatorentladungen untersucht, eine immer viel 
größere Spannung als 30 Volts (0 01 M. F.) benöthigte. Erst 
im Laufe der Cur konnten wir eine gleichzeitige Zunahme 
von Blutkörperchen, eine Verstärkung des Pulse3 und eine 
allmälige Steigerung der Nervenerregbarkeit beobachten, 
die sich immer mehr der optimalen Zahl von 20 Volts näherte. 
Dies war umso merkwürdiger, als man bei einem schlecht 
ernährten und mageren Kinde, wegen kleinen Widerstandes der 
Haut und der oberflächlichen Muskeln , viel eher vermuthen 
konnte, eine Muskelzuckung mit sehr niedrigem Stromwerthe 
hervorrufen zu können ; es zeigte sich nun im Gegentheil, daß 
trotz des kleinen Widerstandes der oberflächlichen Gewebe 
die darunter liegenden motorischen Nervenzweige mangels 
Ernährung mit normal beschaffenem Blut an der physiologischen 
Function der Erregbarkeit gelitten hatten. Eine Restitution 
der Blutbeschaffenheit konnte erst das große Ganze der Kreis¬ 
lauf- und Nervenfunctionen gleichzeitig und allmälig zur 
Norm bringen. 

Im Gegensatz zu den obigen Fällen hatten wir wiederum 
mit solchen Kranken zu thun, bei welchen, wie gesagt. 
Angstgefühl, Herzklopfen, gesteigerte Reizbarkeit bei gleich¬ 
zeitig leichter Ermüdbarkeit in den Vordergrund traten. 
Daß bei solchen Kranken die allgemeine Erregbarkeit des 
Nervensystems erhöht war, im Gegentheil zu den oben er¬ 
wähnten Fällen, war leicht zu vermuthen. 

Wir sprechen selbstverständlich nicht von solchen Neu¬ 
rosen wie Hysterie, wo eine Zuckung oder ein Krampt 
unter der bloßen Suggestion eines elektrischen Stromes ent¬ 
stehen kann; wir erwähnen Lloß diejenigen Krankheiten, wo 


eine Steigerung der allgemeinen Reflexerregbarkeit 
oder vielleicht eine mangelhafte Ausbildung der 
Hemmungsapparate in den Vordergrund trat, wie wir es 
z. B. bei einigen Fällen von uncomplicirter Chorea, bei in¬ 
fantiler Eklampsie, bei einer Reihe von neurasthenischen 
Beschwerden u. s. w. bestätigen konnten. Besonders in dieser 
letzten Kategorie konnte man oft eine Zuckung der willkür¬ 
lichen Muskeln mit so kleiner Condensatorentladung hervor¬ 
rufen , daß sie gewissermaßen an die von uns beschriebenen 
Tetaniefälle erinnerte, bei welchen 9—15 Volts (O'Ol M. F.) 
zur Minimalzuckung ganz ausreichten. 

Unter dem Einfluß der Alboferineur, die leider erst 
dann angefangen wurde, als bei einem nervösen Kinde anä¬ 
mische Symptome in den Vordergrund traten, kehrte nun 
diese abnorm große Erregbarkeit allmählich zur erwähnten 
Norm. bei gleichzeitiger Besserung der Blutbeschaffenheit 
und Verminderung des früher abnorm gesteigerten Blut¬ 
druckes zurück. 

Es zeigte sich also im großen Ganzen, daß die Alboferin- 
cur durch Besserung der Blutbeschaffenheit in beiden Kategorien 
von Nervenfällen derart auf die allgemeine Erregbarkeit 
wirkte, daß sie die abnorm gesteigerten Zahlen von Blut¬ 
druck und Nervenerregbarkeit verminderte oder vice versa 
diese beiden Functionen in aufsteigender Richtung, wenn man 
sich so ausdrücken darf, zur Norm brachte. Wir haben zwar 
soeben nur ein Beispiel des N. facialis angegeben und die 
ErregbarkeitsSchwankungen desselben auf 10—30 V. er¬ 
mittelt; es ist aber selbstverständlich, daß solche Schwan¬ 
kungen auch bei anderen Nerven sich leicht beweisen lassen, 
und zwar sowohl in der empfindlichsten Gruppe des 
Accessorius, Musculo - cutane us und N. ulnaris, 
wie in der mittleren Gruppe (Medianus, Peroneus) und 
der wenig empfindlichen Gruppe (Tibialis, Radialis). Wir 
können sogar sagen , daß in einigen Fällen , nicht nur" ver¬ 
mittelst Condensatorentladungen , sondern ' mit Hilfe anderer 
üblicher Methoden der Einfluß der Alboferineur auf die Nerven¬ 
erregbarkeit manchmal zu beweisen war. Bei reizbaren 
Neurasthenikern war z. B. der Mittelwerth der faradischen 
Erregbarkeit des Ulnaris manchmal höher als 135, des 
Radialis immer höher als 115, des Peroneus circa 120 Mm. 
der üblichen Scala gleich; im Gegentheil war bei anämischen 
und schwachen Kindern mit kleinem Puls das Minimum bei 
den oben erwähnten drei Nerven oft niedriger als 120 Mm., 
90 Mm., 100 Mm.; erst unter dem Einfluß der Alboferineur 
näherten sich diese Zahlen dies- oder jenseits den normalen 
Mittelwerthen von 130, 105, 115 Mm. 

Wie gesagt, lassen sich diese Schwankungen manchmal 
leichter, manchmal mit größeren Schwierigkeiten beweisen, 
je nach der Intensität der Krankheit und Empfindlichkeit der 
elektrodiagnostischen Methode; wir haben auch deswegen die 
Condensatormethode und den leicht zugänglichen und bei Reiz¬ 
zuständen leicht erregbaren Nervus facialis mit Vorliebe ge¬ 
braucht und im oben erwähnten Beispiele an erster Stelle 
citirt. Da wir schon bei den Zahlen sind, so können wir gleich 
erwähnen, daß die mit den Erregbarkeitsveränderungen gleich¬ 
zeitig vorkommenden Blutdruckschwankungen je nach Inten¬ 
sität des Falles beiderseits von 90 Mm. Quecksilber in 
der Radialarterie variirten; es glich also der Blutdruck circa 
100 bis 120 Mm. bei sehr reizbaren Personen und fiel all¬ 
mälig bis 90 oder 80 Mm. zurück, wobei gleichzeitig die Erreg¬ 
barkeit kleiner und die Blutkörperchenzahl größer ward 
(2,000.000 bis 3,600.000—4,500.000); umgekehrt stieg „ceteris 
paribus“ dieser Blutdruck von circa 70 Mm. Quecksilber bis 
90 unter dem Einfluß der Cur bei schwachen anämischen 
Kindern, wobei auch die Erregbarkeit in derselben Richtung 
ameliorirt wurde. Mit Vorliebe gebrauchten wir für Blutdruck¬ 
messungen die Schläfe, besonders bei Kindern, weil dann 
ohne Schwierigkeiten beinahe gleichzeitig die Facialiserregbar- 
keit und der sphygmomanometrische Versuch durchzuführen war; 
sodann fallen die oben erwähnten Zahlen insofern anders aus, 


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als das Medium je nach dem Alter zwischen 97 Mm. und 
115 Mm. Hg schwankt. 

Daß die Blutkörperchenzahl in beiden Kategorien von 
untersuchten Fällen unter dem Einfluß der Cur nur in 
einer Richtung sich veränderte, wie wir es oben erwähnt, 
und von 2 Mill. bis 3,600.000—5,500.000 stieg, unab¬ 
hängig von den progressiven oder regressiven Ver¬ 
änderungen der Erregbarkeit und des Blutdruckes, ist wohl 
an und für sich selbstverständlich und braucht keine nähere 
Erläuterung. (Schluß folgt.) 


Theoretisches über das Wesen und die Be¬ 
handlung des Fiebers. 

Von Professor Dr. Arthur Biedl. 

(Schluß.) 

Diese Auffassung von Liebermeister ist es, welche von 
Unverricht entschieden bekämpft wurde. Der Ausgang des 
Kampfes konnte keinem Zweifel unterliegen. Unverricht hat 
es verstanden, die Schwächen des Gegners herauszufinden, 
und eine solche Schwäche hat Liebermeister gehabt. Diese 
betraf aber nicht den Hauptgedanken, sondern einen neben¬ 
sächlichen Umstand. Er stand nämlich auf dem Boden der 
Erkenntnisse seiner Zeitgenossen und hat seine richtigen Ge¬ 
danken mit der heute als unrichtig erkannten Vorstellung 
verknüpft, daß die Temperatursteigerung der Mittelpunkt ist, 
von welchem aus alle Symptome des Fiebers zu erklären 
sind. Die erweiterte pathologische Erkenntniß hat gezeigt, 
daß die einzelnen Symptome im Fieber, nämlich die Störungen 
des Stoffwechsels, der Respiration, des Centralnervensystems, 
der Se- und Excretion, nicht Folgen oder nur zum geringsten 
Theile Folgen der Temperatursteigerung, sondern Folge- 
erschelnungfeti "der Fieberursache sind. Unverricht hat 1 in 
dieser Richtung Libbermeister’s Annahme widerlegt, aber die 
Grundidee Liebermeister’s halte ich dadurch nicht für tangirt. 

Ein zweiter Punkt des Angriffs Unverricht’s betrifft die 
vermehrte Wärmeproduction, welche ebenfalls von Lieber¬ 
meister angenommen worden war. Diese Annahme hat aber 
Liebermeister selbst schon widerlegt, indem er den Satz von 
der veränderten Einstellung aufgestellt hat. 

Was aber die eigentlich leuchtende Idee Liebermeister’s 
anlangt, kann Unverricht dagegen kein neues Argument Vor¬ 
bringen. Er verweist auf eine geistreiche, aber wenig zu¬ 
treffende Bemerkung Cohnheim’s, auf die ich später zurück¬ 
kommen werde, ferner auf den Umstand, daß, wenn es richtig 
wäre, daß der Fieberkranke auf einen hohen Grad einge¬ 
stellt ist, er diesen auch festhalten müßte. Dem gegenüber 
hat schon Löwit bemerkt, daß dies gar nicht nothwendig ist. 
Der Fieberkranke muß nicht fortwährend seine Einstellung 
festhalten, wichtig ist nur die Thatsache, daß er nur das 
hohe Niveau herum regulirt. Es ist nebensächlich, ob die 
Regulation prompt ist, es ist ja leicht begreiflich, daß der 
Apparat für die Regulation im Fieber genau so leidet wie 
die sonstigen Functionen des Organismus. Wenn nur die 
Regulation dem Sinne nach wie beim Gesunden erfolgt, ist 
Liebermeister’s Auffassung richtig. Liebermeister will seine 
Auffassung nicht als Erklärung, sondern als eine Umschreibung 
der Thatsache angesehen wissen, ich erblicke aber in Lieber¬ 
meister’s Anschauung einen auf klärenden Thatbestand, be¬ 
sonders dann, wenn man diese Auffassung mit der ätiologischen 
Betrachtung des Fiebers verknüpft. 

Einer solchen Auffassung des Fiebers hat schon Lövv t 
vorgearbeitet, indem er sagte, daß das Fieber eine Vergiftung 
sei, in welcher das Hauptmerkmal der Vergiftung die ge¬ 
steigerte Eigenwärme sei. Die in neuerer Zeit eingeschlagene 
ätiologische Forschungsrichtung, welche so schöne Früchte ge¬ 
zeitigt hat, bedeutet auch in der Fieberlehre einen wesent¬ 
lichen Fortschritt. Sie hat mit Nachdruck darauf hingewiesen, 


daß im Fieber eine Intoxication zu erblicken sei. Das ist für 
die am häufigsten zu beobachtende Fieberform, das Infections- 
fieber, klar und deutlich. 

Wir wissen, daß die Infectionskrankheiten durch Inva¬ 
sion kleinster Lebewesen erzeugt werden, und die allgemein 
geltende Annahme geht dahin, daß diese in ihrem Leibe oder 
durch vitale Processe des Stoffwechsels oder durch ihre 
Wechselwirkung mit den Zellen oder Säften des Organismus 
Gifte erzeugen, welche zur Intoxication, zur Infectionskrank- 
heit führen. Den verschiedenen Infectionserregern und Toxinen 
kommen verschiedene Wirkungen zu, ja die Art der Wir¬ 
kung ist bis zu einem gewissen Grade auch specifisch. Trotz¬ 
dem gibt es eine große Gruppe von Bakterien, ja, ich möchte 
fast sagen, alle Bakterien und Toxine haben eine gemeinsame 
Wirkungsweise. Dazu gehören die Entzündung und Eiterung 
und dazu gehört in einzelnen Fällen die Aenderung der Cir- 
culation und Respiration und auch die Erzeugung des Fiebers. 
Es thut auch nichts zur Sache, daß es bis heute nicht gelungen^ 1 
ist, ein einheitliches Fiebergift darzustellen. Die Bemühungen, 
die von verschiedenen Seiten ausgegangen sind, dieses zu finden, 
sind bisnun erfolglos geblieben, und auch das von Centanni 
dargestellte thermostabile Gift ist nicht eine pyrotoxische 
Substanz. Das alterirt aber unsere Auffassung über das Fieber 
gar nicht. Wesentlich ist der Nachweis der Intoxication. 

Um ein analoges Beispiel zu erwähnen, sei auf Folgendes 
hingewiesen: Wir kennen den Symptomencomplex der Erstickung. 
Da halten wir an der ätiologischen Einheit und an der Zu¬ 
sammengehörigkeit der einzelnen Symptome unverwandt fest, 
trotzdem man weiß, daß die verschiedensten Momente dazu 
führen können. Für das Infectionsfieber gilt das Gleiche. 

Was das sogenannte aseptische oder traumatische Fieber 
anbelangt, so ist bei diesem auch in vielen Fällen der Nach¬ 
weis der Intoxication geführt oder eine solche zumindest 
wahrscheinlich gemacht worden. Ausgedehnte Thierexperi- 
ment«..;haben gezeigt,i, daß mit heterogenem Blute, Organ 
extracten, Gewebetrümmern, auch mit chemischen Individuen, 
wie Eiweißkörpein und Abbauproducten derselben, beispiels¬ 
weise Peptonen, Albumosen, Temperatursteigerung erzeugt 
werden kann, obwohl es nicht in allen Fällen sicher ist, daß 
diese Temperatursteigerung wirklich auch Fieber ist. Immer¬ 
hin zeigt die ätiologische Forschung die Einheit des Fiebers 
als Intoxication, wenn es auch nicht gelungen ist, das Fieber¬ 
gift als einheitlich darzustellen. 

Nun kommen wir zu folgendem Punkt. Wenn wir an 
der Intoxication festhalten, entsteht sofort die Frage: Wo 
greift das Fiebergift an? Vielfach ist die Meinung verbreitet, 
daß man den einheitlichen Fieberbegriff nur halten könne, 
wenn man einen einheitlichen Angriffspunkt desselben, wo¬ 
möglich sogar einen anatomisch localisirbaren Angriffspunkt 
nachzuweisen imstande wäre. Von dieser Betrachtung aus¬ 
gehend, hat man mit sehr großer Begeisterung von mancher 
Seite die Entdeckung des Wärmecentrums begrüßt. 

Aronsohn und Sachs haben im Jahre 1884 gezeigt, daß 
nach Verletzung des Corpus striatum beim Kaninchen eine 
Temperatursteigerung eintritt. Damit war wie mit einem 
Schlage ein Mittelpunkt gewonnen, von welchem aus sämmt- 
liche Fiebersymptome zu erklären waren. Daß ein Mißerfolg 
schon einmal beobachtet worden war, als man die Meinung 
hegte, die erhöhte Temperatur sei die Ursache des Fiebers, 
hätte eigentlich vor voreiligen Conclusionen warnen sollen; 
daran hatte man aber vergessen. Man brauchte sich nur bei 
der Annahme des Wärmecentrums vorzustellen, daß ein 
Gift da ist und dieses Gift das Wärmecentrum reizt; darauf¬ 
hin erfolge nun eine vermehrte Production von Wärme 
u. s. w., kurz alles, was man Fieber nennen kann. 

Doch diese Meinung konnte sich nicht lange halten. 
Nähere Untersuchungen der Folgen des Wärmestiches haben 
nämlich ergeben, daß diese Temperatursteigerung kein Fieber 
ist, und Richter und Filehne haben nachgewiesen, daß das 
Thier, an welchem der Wärmestich ausgeführt ist, nicht 

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regulirt wie ein Fieberkranker. Wenn man das Thier abkühlt, 
so treten keine Zeichen einer geänderten Einstellung ein. Und 
nun war gezeigt, worin das Wesen des Wärmestiches besteht. 
Das Centralnervensystem ist gewissermaßen die oberste Instanz, 
von welcher aus der Proceß der Wärraeproduction dominirt 
wird. Es ist klar, daß die Störung im Centralnervensystem 
auch Aenderungen im Zustande der Regulationsapparate 
herbeizuführen imstande ist. Es ist aus sowohl klinischen 
als experimentellen Beobachtungen bekannt, daß auch bei Ver¬ 
letzung des Centralnervensystems Hypothermie und Hyper¬ 
thermie Vorkommen , welche aber kein Fieber sind. Mit dem 
Nachweise, daß die Einstellung fehlt, ist auch jede Grundlage 
für die von manchen Autoren vertretene Anschauung ent¬ 
zogen, daß das Fieber eine functionelle oder sogar eine locali- 
sirte Neurose ist. Wir haben im besten Falle höchstens eine 
nähere Kenntniß über die Hyperthermie gewonnen, sonst nichts. 

Wenn es nun nicht gelungen ist, von einem einheitlichen 
Mittelpunkte aus das Fieber zu erklären, so müssen wir ver¬ 
suchen, ob es mit der Annahme geht, wie wir dies bei anderen 
Vergiftungen zu thun pflegen, daß die Vergiftung und das 
Fieber ein Complex von einzelnen Erscheinungen sind, die 
gar keinen einheitlichen Mittelpunkt haben. Wir können das 
Fieber als eine Intoxication betrachten, auf welche der Orga¬ 
nismus mit einer Reihe von Intoxicationserscheinuugen reagirt. 
Die nächste Aufgabe der Forschung ist dann, festzustellen, 
inwieweit diese Annahme einer Intoxication überhaupt zu¬ 
trifft und inwieweit die Art des Organismus und des Giftes 
hiebei eine Rolle spielen. 

Schon bei dem heutigen Stande unseres Wissens können 
wir demnach das Fieber als eine Intoxication definiren, bei 
welcher die cardinalen vitalen Thätigkeiten in 
tiefgreifender Weise beeinflußt werden. Zu diesen 
gehören die mächtige Aenderung des Stoff¬ 
wechsels (quantitativ und qualitativ); abnorme 
Zersetzungen treten im Organismus des Fiebern¬ 
den auf; ich erinnere an die febrile Körpercon- 
sumption, an den toxogenen Eiweißzerfall; es 
tritt eine Aenderung, eine Störung im Central¬ 
nervensystem auf, eine functionell und anato¬ 
misch nachweisbare Veränderung in der Respi¬ 
ration, in der Secretion und Excretion, Störun¬ 
gen von cardinalen Functionen des Organismus, 
und zu diesen ist auch die geänderte Einstellung 
zu zählen. 

Cohnheim bemerkt, daß der Auffassung Liebermeister’s 
ein mystischer Beigeschmack zukomme, indem man annehmen 
müßte, daß der Organismus mit einem Schlage förmlich die 
menschliche Natur ändern würde und eine seiner angeborenen 
Eigenschaften in die eines Vogels verwandeln könnte. Diese 
Bemerkung kann durch die Anführung analoger Fälle wider¬ 
legt werden. Es ist das nicht mehr oder weniger mystisch 
als die plötzliche Umwälzung im Kohlehydratstoffwechsel, 
wenn wir einem Thiere das Pankreas exstirpiren , und nicht 
weniger mystisch als der plötzliche Verlust der angeborenen 
Wachsthumsfähigkeit, wenn wir bei Thieren die Schilddrüse 
entfernen. Es ist also mit dieser Bemerkung der eigentliche 
Sachverhalt nicht geklärt. 

Daß die Einstellung ein fundamentaler Mechanismus ist, 
geben wir ohneweiters zu, es ist aber nicht einzusehen, 
warum er unter pathologischen Verhältnissen nicht umgestellt 
werden könnte. Wir haben vielmehr einen Anhaltspunkt für 
die Annahme, daß eine solche Umstellung möglich ist. Ich 
brauche nur darauf hinzu weisen, daß es eine Reihe von To¬ 
xinen oder Bakterien gibt, welche in einer Zahl von Fällen 
Temperatursteigerung, also Fieber erzeugen, in einer anderen 
Reihe von Fällen bei größeren Dosen das Gegentheil zur 
Folge haben, nämlich ein Absinken der Temperatur und Collaps. 
Wir wissen, daß auch beim Menschen derartige Erscheinungen 
zur Beobachtung kommen: die foudroyante Sepsis der alten 
Aerzte, die septische Infection mit unzweifelhafter Bakterien¬ 


invasion, mit fortwährend niedrigen Temperaturen. Hier ist die 
Einstellung auf die umgekehrte Seite geändert. 

Interessante Befunde von Krehl haben ergeben, daß 
bei Vögeln der Verlauf der Infectionskrankheiten nicht mit 
Fieber, sondern mit Temperaturherabsetzung einhergehen kann. 
Hier ist also wieder die Umkehrung einer angeborenen Eigen¬ 
schaft des Vogels in die eines Säugethieres vorhanden. 

Es sei ohneweiters zugegeben, daß wir das Wesen der 
geänderten Einstellung nicht kennen. Hier müssen wir aber 
wie bei vielen anderen pathologischen Processen auf eine Auf¬ 
klärung seitens der Physiologie warten. Wenn man uns 
sagen wird, warum der Mensch und das Säugethier constante 
Temperaturen, Wärmegrade bestimmter Höhe haben, warum 
die Temperatur des Menschen 37°, die des Hundes 39° und 
die des Huhnes 41° beträgt, und wenn man mit dem Worte 
„Einstellung“ etwas mehr sagen wird als den kurzen Aus¬ 
druck : die Einstellung ist die Relation zwischen der Wärme¬ 
ausgabe und der Wärmeeinnahme, wird man der Frage 
ungleich näher treten können. Wir müssen also in diesem 
Sinne Liebermeister’s veränderte Einstellung so lange als eine 
umschreibende Bezeichnung betrachten, so lange wir nicht 
bezüglich der normalen Einstellung besser aufgeklärt sind. 

Die veränderte Einstellung und eine zweite, sehr räthsel- 
hafte, nur in ihren Aeußerungen bekannte Thatsache, nämlich 
die Aenderung des Stoffwechsels, insbesondere der toxische 
Eiweißzerfall, sind markante Zeichen dafür, daß der Orga¬ 
nismus auf die Vergiftung in bestimmter Weise reagirt, und 
diese Zeichen sind einer klinischen und experimentellen Prüfung 
zugänglich. 

Wenn die Methode der Abkühlung und Ueberhitzung 
und die Prüfung der Symptome der Gegenregulation in jedem 
Falle sich eingebürgert haben wird, dann werden wir schärfer 
und besser als bisher das Fieber von Temperatursteigerungen 
abgrenzen können. 

Nur programmgemäß will ich mit einigen Worten auf 
die Behandlung des Fiebers von diesem theoretischen Gesichts¬ 
punkte aus eingehen. Ein Blick auf die Geschichte der Me- 
dicin lehrt, daß die Fiebertherapie stets auf der jeweilig 
gangbaren Theorie aufgebaut ist oder sein wollte. Nach meiner 
Meinung soll die wissenschaftliche Therapie diesen Curs jeder¬ 
zeit und weiterhin einhalten, denn die Empirie wird fort¬ 
während neue Mittel ersinnen, und vom Standpunkte der 
Theorie sollen wir die Therapie auf die Basis theoretisch ge¬ 
wonnener Erkenntniß stellen. Von diesem Standpunkte aus 
kennen wir nur ein Princip der Fieberbehandlung, das ist die 
Verhütung, Beseitigung und Bekämpfung der Vergiftung. 

Dieses Ziel kann auf zweifache Weise erreicht werden. 
Entweder wir führen Substanzen in den Organismus ein, welche 
das Fiebergift an greifen und es unschädlich machen, bevor es 
zur Intoxication geführt hat, oder, wenn eine solche bereits 
vorhanden ist, eine weitere Ansammlung des Fiebergiftes ver¬ 
hütet. Die ätiologische Forschung hat uns nicht nur mit den 
Toxinen, sondern auch mit den Substanzen bekannt gemacht, 
welche man als Antitoxine bezeichnet, welche im Stande sind, 
das Infectionsgift zu paralysiren. Wenn Sie sich also vorstellen 
können, daß wir mit der Einführung des Antitoxins das Gift 
binden, bevor es angegriffen hat, haben Sie die Erklärung 
seiner Wirkung. Experimentelle Untersuchungen über die 
Wirkung der Antitoxine haben nun ergeben, daß diese Sub¬ 
stanzen physiologisch inactiv sind, sie greifen nirgends an, 
ihre Wirkung kann also nur darin bestehen, daß sie die 
Gifte im Körper paralysiren. Diese Therapie könnte man als 
antitoxische bezeichnen. Dieser Therapie widerspricht, 
was ich nebenbei bemerken will, auch die Thatsache nicht, 
daß die Antitoxine specifisch sind, denn fast in jedem Bakterien- 
toxin ist eine Componente mit enthalten, welche Fieber er¬ 
zeugt , so auch im Antitoxin die gegen das Toxin wirkende 
entfiebernde Componente. 

Dieser Therapie gegenüber gibt es eine zweite, welche 
ich kurz alo toxantagonistische Therapie bezeichnen 


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möchte, eine Therapie, welche einsetzt, wenn die Vergiftung 
bereits eingetreten ist. Nicht das Gift als solches wird para- 
lysirt, sondern eine Substanz eingeführt, welche dort angreift, 
wo das Gift angegriffen hat, und imstande ist, die gestörte 
Function zur Norm zurückzuführen. Eine solche Panacee für 
das ausgebrochene Fieber besitzen wir nicht, und es steht 
leider schon mit Rücksicht auf die große Menge von Ver¬ 
giftungserscheinungen nicht zu erhoffen, daß wir eine solche 
finden werden. 

Aussichtsvoll erscheint es aber, wenigstens für einzelne 
Componenten der Fiebervergiftung solche antagonistisch wir¬ 
kende Substanzen zu suchen. Ich glaube, daß es nicht nöthig 
ist, darauf aufmerksam zu machen, daß diese Idee, dieses 
Princip der antagonistischen Behandlung nicht identisch ist 
mit der symptomatischen Behandlung. Die symptomatische 
Therapie ist für den Kranken und für den Arzt wichtig 
und unerläßlich, und man wird immer die Erscheinungen des 
Fiebers, den toxischen Eiweißzerfall sowie die Erscheinungen 
von Seiten des Herzens, des Nervensystems, des Respirations¬ 
apparates u. s. w. bekämpfen. Ueber das Maß und die Methode 
wird immer nur der Praktiker im Zusammenhalte mit der 
Situation und der persönlichen Erfahrung entscheiden. Unter 
antagonistischer Therapie ist aber nicht die Bekämpfung der 
Symptome, sondern die Bekämpfung der Functionsstörung, 
welche zu diesen Symptomen geführt hat, zu verstehen. 

Leider besitzen wir bisher antagonistisch wirkende Sub¬ 
stanzen nur für eine Componente, das ist die Temperatur¬ 
steigerung. Aus den Untersuchungen von Filehne geht her¬ 
vor, daß manche Arzneimittel, nämlich die Antipyretica, wirk¬ 
lich als antagonistisch wirksam zu betrachten sind. Ob die 
Antipyretica durch Vermehrung der Abgabe oder Verminderung 
der Production der Wärme wirken, wurde bereits vielfach 
untersucht. Filehne hat als erster den Gedanken gehabt, 
nachzuforschen, ob nicht durch die Einwirkung der Fieber¬ 
mittel die Einstellung geändert werde, ob nicht der Tempe¬ 
raturabfall durch eine andere Einstellung der Körpertemperatur 
bewirkt werde. Es zeigte sich, daß für Antipyrin und Kairin 
dies Geltung hat. Wenn man einem Fieberkranken eine Dosis 
Antipyrin verabreicht, welche ihn auf 37° herabbringt, und 
ihn in ein warmes Bad setzt, so bleibt er auf 37° und 
schwitzt, er bleibt auch in einem kühlen Bade auf 37 0 und 
zittert. Er regulirt also um 37° herum. 

Nach der Annahme, daß das Antipyreticum durch Ver¬ 
mehrung der Abgabe wirkt, wäre es erst recht nicht zu be¬ 
greifen, warum es bei Gesunden gar keine Wirkung entfaltet, 
und zweitens wäre es nicht zu verstehen, warum der Fieber¬ 
kranke im warmen Bade immer noch seine 37° beibehält, ob¬ 
wohl er jetzt mit Hilfe der Einschränkung der Abgabe die 
günstige Gelegenheit hätte, wieder in seiner Temperatur hinauf¬ 
zukommen. Der Fieberkranke kommt erst dann wieder in seiner 
Temperatur hinauf, wenn die Wirkung des Antipyreticums 
geschwunden ist. 

Antagonistisch wirkende Substanzen gegen die übrigen 
Componenten der Fiebervergiftung, besonders gegen den toxi¬ 
schen Eiweißzerfall, besitzen wir leider nicht. Hoffen wir, daß 
die nächste Zeit in dieser Richtung bessere Erfolge er¬ 
zielen wird. 


Referate. 


K. Faber (Kopenhagen): Ueber Darmdyspepsie. 

Eine große Zahl von Kranken, welche als magenkrank gilt, 
ist eigentlich darmkrank. Ihre Beschwerden, in erster Linie die 
Cardialgie, das Aufstoßen, Anorexie, Uebelkeit, Erbrechen, weiter¬ 
hin gewisse nervöse Symptome, wie Kopfschmerzen, Depression, 
Schlaflosigkeit, Schwindel werden reflectorisch vom Darme aasge¬ 
löst. Die meisten dieser Pat. haben längere oder kürzere Zeit vor 
Auftreten der sogenannten gastrischen Symptome an Obstipation 
gelitten; von vielen wurde allgemeine Schonungsdiät, speciell 


Milchdiät, ohne Nutzen, häufig sogar unter Verschlimmerung des 
Zustandes angewandt. In solchen Fällen schwinden die Beschwerden 
bei cellulosereicher Nahrung, Einschränkung der Fleischspeisen 
und Vermeidung von Milch und Milchspeisen, welche meist Obsti¬ 
pation verursachen und schlecht vertragen werden. Gleichzeitig 
wird die Stuhlentleerung durch tägliche kleine Dosen 01. ricini 
oder Klysmata geregelt. Mitunter, speciell am Anfänge der Behand¬ 
lung, sind tägliche Oelklystiere von Nutzen („Arch. f. Verdauungs- 
krankhoiten“, Bd. 8, H. 1 u. 2). 

Bei Fällen von Darmdyspepsie kann auch Hyperacidität vor¬ 
handen sein. Beweisend erscheint die Uebereinstimmung dieses 
Symptomencomplexes mit der Bandwurmkrankhoit. Unter II Fällen 
hat F. 6mal eine Hypersecretion im Magen gefuuden, welche 
4mal nach Abtreibung der Wurmtänia schwand. Die Differential¬ 
diagnose zwischen Ulcus ventriculi und Darmleiden ist häufig erst 
nach längerer Beobachtung möglich; wichtig ist, ob die Obsti¬ 
pation vor den gastrischen Symptomen bestanden hat und ob die 
Beschwerden Beziehungen zum Füllungszustand des Darmes er¬ 
kennen lassen. Die Reflexhyperästhesien sollen beim Ulcus zwischen 
Mamma und Nabel, bei Darmdyspepsie unterhalb des Nabels zu 
finden sein. N. 

Springer (Prag): Ein neuer Deckverband. 

Bei plastischen Operationen werden vielfach Stoffe verwendet, 
die das Ankleben der Verbandgaze an den Nahtenden oder den 
überpflanzten Läppchen verhindern sollen (Guttapercliapapier, 
Billrothbattist etc.), die aber den Nachtheil haben, unter der Steri- 
lisirung in ihrer Beschaffenheit zu leiden. Im Paraffin fand Verf. 
ein vorzügliches Ersatzmittel, das er folgendermaßen verwendet 
(„Centralbl. f. Chir.“, 1902, Nr. 24): 

In einen flachen Topf mit kochendem Wasser wird ein 
kleines Stückchen Paraffin von 45—47° C. Schmelzpunkt geworfen 
und das Wasser noch ca. 10 Minuten lang gekocht, damit das 
Paraffin sicher steril wird. Wenn das Wasser bis auf 40° abge¬ 
kühlt wird, gerinnt das Paraffin an der Oberfläche zu einer dünnen 
Kruste, worauf dieselbe noch auf dem Wasser schwimmend mit 
einer glühenden Nadel durchlocht wird. Die Kruste wird dann 
herausgehoben, nach Bedarf zugeschnitten und mit 2 Pincetten auf 
die Wunde gelegt. 

Das Häutchen ist, weil durchlocht, für die Secrete durch¬ 
lässig, verhindert sicher das Ankleben der Gaze, zerfließt bei 
Körpertemperatur nicht und hat vor anderen Deckstoffen den 
großen Vortheil, sicher steril zu sein. Erdheim. 

G. i. Winter (Sortavaia): Beiträge zur operativen Behand¬ 
lung der Epilepsie. 

Von der Annahme ausgehend, daß die epileptischen Anfälle 
durch die Gehirnanämie verursacht werden (was durch die Phy¬ 
siologie und eine Beobachtung von Doyen während einer Operation 
bestätigt wurde), empfahlen verschiedene Chirurgen die Resection 
desSympathicus, um die Contraction der Gehirnarterien zu verhindern 
und auf diese Weise die epileptischen Anfälle zu heilen. Die Ope¬ 
ration hat also eine theoretische Berechtigung; außerdem kommt 
in Betracht, daß der Sympathicus auch sensible Fasern führt, 
welche die in den Gedärmen entstandenen Reizungen in das Gehirn 
fortpflanzen ; durch Unterbrechung dieser Leitung könnte möglicher¬ 
weise in manchen Fällen die Ursache für die Anfälle ausgeschaltet 
werden. 

Verf. hat 8 Fälle von alter Epilepsie mittelst der beider¬ 
seitigen totalen Resection des Sympathicus (aller 3 Halsganglien 
nach Jonnesco) behandelt und bespricht die Resultate auf Grund 
von 122 operirten Fällen aus der Literatur („Langenbeck’s Arch.“, 
Bd. 76, H. 4). Danach sind als dauernd geheilt (3 Jahre ohne 
Anfall) 6'6°/ 0 , als vorläufig geheilt (1—2 Jahre anfallsfrei) 13'9°/ 0 > 
als gebessert (Anfälle seltener) 18‘9°/o > gestorben (nicht als Folge 
der Operation) 7 - 5%, als ungeheilt 54'9 0 /o zu betrachten. 

Wenn also auch die Resultate nicht glänzend sind, sind sie 
noch immer besser als die mittelst anderer Methoden erzielten 
Erfolge. Erdheim. 

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E. Sobotta (Berlin): Vergleiche über die Wirksamkeit 
verschiedener Bandwurmmittel. 

Aus einer verhältnißmäßig geringen Zahl v m Beobachtungen 
zieht S. folgende Schlüsse („Therap. Monatshefte“, 1902, Nr. 8): 
Pelletieriuum tannicum versagte in den 6 Fällen, in denen es zur 
Anwendung kam, vollständig, trotzdem es in Fall 5 und 6 toxische 
Erscheinungen zur Folge hatte. Filixextract erwies sich in Dosen 
von 7—8 Grm. als ein wirksames Bandwurmmittel, das in mehreren 
Fällen, in denen Pelletierin versagt hatte, zum Erfolge führte. Die 
Dosis von 7—8 Grm. Filixextract genügt für den Erwachsenen, 
wenn man schon vorher für ausgiebige Entleerung des Darmes 
sorgt, bei Neigung zu Verstopfung mit dieser Fürsorge schon 
einige Tage vor der Cur beginnt. Wenn man bald nach dem Ein¬ 
nehmen des Filixextractes durch Abführmittel für schleunige und 
reichliche Darmentleerungen sorgt, so hat man Intoxication nicht 
zu befürchten. Toxische Erscheinungen sind nach diesen Dosen 
von Filixextract nicht beobachtet worden, weder bei einem Diabe¬ 
tiker, noch bei einer Person, die sich aus äußeren Gründen 
nicht die nöthige Ruhe gönnen konnte; weder bei Einleitung der 
Cur durch Ricinusöl (bis zu 24 Grm.), noch bei gleichzeitiger An¬ 
wendung von Filixextract und Ricinusöl. Es bleibt dahingestellt, 
ob die gleichzeitige Verwendung von Ricinusöl und Filixextract 
thatsächlich die Ursache der Vergiftungen ist. Jedenfalls läßt sich 
die Filixbandwurmcur auch ohne gleichzeitige Ricinusgaben erfolg¬ 
reich durchführen. Die schleunige Entfernung des Filixextractes 
aus dem Darmcanal läßt sich auch durch andere Abführmittel, 
z. B. Senna (weniger gut durch Natrium sulfuricum), erreichen, wenn 
eine vorbereitende Entleerung durch Ricinusöl vorangegangen ist. 
Fastdn vor der Cur ( ! / a Tag) erleichtert den Erfolg wegen Leer¬ 
haltung des Darmes. Eine Schwächung des Organismus ist durch 
dieses kurze Fasten nicht zu befürchten. Eine Vorbereitungscur 
(Häring u. dgl.) ist überflüssig. N. 


Aus dem pathologischen Lnstituf der Universität 
Leipzig (Professor Marchand). 

Hans Nösske : Untersuchungen über die als Parasiten 
gedeuteten Zelleinschlüsse im Carcinom. 

Von allen angeblichen Parasitenfunden im Carcinom, die in 
jüngster Zeit beschrieben wurden, machen die Befunde Plimmer’s 
den gewissenhaftesten Eindruck. Das veranlaßte Marchand zu einer 
Nachprüfung, mit der er Nösske betraute. In sehr klaren und 
sachlichen Erörterungen, gestützt auf zahlreiche, sorgfältige mikro¬ 
skopische Untersuchungen, bei denen Plimmer’s Anweisungen als 
Leitfaden dienten, setzt Nösske („Deutsche Ztschr. für Chirurgie“, 
Bd. 64, H. 4) auseinander, daß, ebenso wie die Nachprüfungen und 
kritischen Betrachtungen anderer Veröffentlichungen Negatives er¬ 
gaben, auch Plimmer’s Befunde nicht als constante zu erachten 
sind und es ihnen an Beweiskraft mangelt, um als Krebsparasiten 
ätiologische Bedeutung zu gewinnen. Nösske betont, daß einmal 
viele Forscher Befunde neu veröffentlichen, weil sie die früheren 
Arbeiten nicht genügend berücksichtigten, somit die scheinbare 
Fülle von Befunden in Wahrheit erheblich zusammenschrumpft, 
andererseits der Wissenschaft eine sichere Kenntniß von den ver¬ 
schiedenen Degenerationserscheinungen in den Zellen normaler und 
pathologischer Gewebe mangelt, vielmehr eine große Unklarheit 
darüber heute herrscht, mithin irrigen Speculationen die Wege 
geebnet sind. R. L. 


Jonas (Liegnitz): Die Wichtigkeit der Nasenanomalien 
für die innere Medicin; ihre sociale und foren¬ 
sische Bedeutung. 

Es gibt kaum eine Nase, die wir in anatomischer und functio- 
neller Hinsicht als völlig ideal bezeichnen können; ihr äußerer 
oder innerer Zustand beruht auf individueller Veränderung oder 
auf ererbter Varietät (Lamarck, Darwin). Der Gesammtorganismus 
oder irgend ein Theil desselben wird durch Nasenanomalien mehr 
oder weniger beeinflußt („Deutsche Aerzte-Ztg.“, 1902, Nr. 16). 

Diejenigen Nasenanomalien sind für die innere Medicin die 
wichtigsten, von deren Vorhandensein der Kranke keine Ahnung 


hat (latente Stenosen). Die Erkrankungen des Nervensystems sind 
nur zu einem kleinen Theile als idiopathische aufzufassen. Für 
die Aetiologie der Psychopathien sind die Nasenanomalien von 
der größten Wichtigkeit. Das umgekehrte Verhältniß ist das seltenere. 

In der Psychiatrie und in der gerichtlichen Medicin ist bei 
der Beurtheilung des Geisteszustandes mehr wie bisher die Mög¬ 
lichkeit einer primären und peripheren Entstehungsursache der 
Psychopathien zu berücksichtigen. Von der Bedeutung, welche die 
Nasenanomalien für die Gesammtmedicin haben, ist der Candidat 
der Medicin zu unterrichten. Das Verlangen, jeder Arzt soll von 
der allgemeinen Bedeutung der Nasenanomalien unterrichtet werden, 
will nicht die specialistische Thätigkeit der Rhinologen beschränken, 
sondern ist geeignet, dieselbe in jeder Hinsicht zu fördern. Das 
wissenschaftliche und staatliche Interesse verpflichtet die Landes¬ 
regierungen, festzustellen, welche Rolle die Nasenanomalien bei 
Vergehen und Verbrechen, bei Trunksucht und bei Geisteskrank¬ 
heiten spielen. B. 


K. Glaessner (Berlin): Zur topischen Diagnostik der 
Magengeschwülste. 

Verf. gelangt auf Grund seiner Beobachtungen an 13 Fällen 
zu folgender Schlußfolgerung („Berl. klin. Wschr.“, 1902, Nr. 29): 
Wenn uns die übrigen Hilfsmittel bezüglich der Localitätsdiagnose 
einer Magengeschwulst als — Palpation — Auscultation — Auf¬ 
blähung des Magens und Darms — Diaphanoskopie etc. im Stiche 
lassen, so ist es noch immer möglich, die Oertlichkeit der Ge¬ 
schwulst aus der chemischen Untersuchung, der Messung des Pepsin- 
und Labgehaltes mit großer Wahrscheinlichkeit zu eruiren. Ist Lab 
und Pepsin gleich stark vermindert, so werden wir einen Fundus¬ 
tumor, ist das Lab im Gegensatz zum Pepsin gut erhalten, einen 
Pylorustumor anzunehmen haben. Daß dies nicht nur für die 
Diagnose, sondern auch für das operative Handeln von großer 
Bedeutung sein kann, bedarf keiner weiteren Auseinandersetzungen. 

l; - 


Riechelmann (Berlin): Eine Krebsst&tifttik vom patholo¬ 
gisch-anatomischen Standpunkte. 

Durch die Sectionen steigt die Zahl der zur Kenntniß kom¬ 
menden Carcinome um 21-94%. Ein Theil der Zunahme der Car- 
cinome ist auf die größere Zahl der Menschen zu beziehen, die in 
das krebsfähige Alter kommen, ein zweiter Theil auf die Verbes¬ 
serung der Diagnosen, ein dritter Theil auf das Auftreten der 
anatomischen Diagnose in den Statistiken ; ob danach noch etwas 
für die wirkliche Zunahme des Krebses übrig bleibt, müßte erst 
eruirt werden („Berl. kl. Wschr.“, 1902, Nr. 32). 

Der schlechte Ernährungszustand, die Kachexie, bei Carcinomen 
ist bedingt: a) durch Verhinderung der Aufnahme oder der Ver- 
werthung der Nahrung; b) durch die Ulceration und Verjauchung 
des Tumors; c) durch Sitz und Zahl der Metastasen. N. 

Eiselt (Prag): Tod nach Cortex rad. punicae granat. 

Einem 42jähr. Manne, der an Taenia sagin. litt, wird mit 
der Sonde, da die früher eingenommene Arznei erbrochen wurde, 
ein Decoct von 150 Grm. macerirter Granatwurzel eingegossen 
(„Oasop. cesk. lekar.“ , 1902, Nr. 19). Gleich darauf neues Er¬ 
brechen, das trotz Eispillen nicht zu stillen war, nach */ 2 Stunde 
auffallender Kräfteverfall, Ohnmächten, Pulsbeschleunigung, so daß 
zum Ausspülen des Mageninhaltes mit lauem Wasser geschritten 
wurde , da an der Echtheit der Arznei gezweifelt wurde. Nach 
einem Klysma Abgang eines J / 2 Meter Bandwurms, später unwill¬ 
kürliche Entleerungen, das Bewußtsein getrübt, es folgen Collapse, 
die vergebens mit Kampfer Aetherinjectionen, warmen Einpackungen, 
Coguac, künstlicher Athmung bekämpft wurden, und Dach 10 Stunden 
Exitus. 

Die Gerichtsobduction ergab, daß die Ursache des Todes eine 
Lungenentzündung war, die durch Aspiration des Erbrochenen bei 
getrübtem Bewußtsein zustande kam. Stock. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 36. 


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Kleine Mittheilungen. 

— Ueber Kaltwasserbehandlung des febrilen Delirium 
tremens schreibt Salvant Folgendes („Gaz. des Eaux“, 1901, 
Nr. 230). Besteht im Beginne des Anfalles eine Rectaltemperatur 
von mehr als 39°, dann sind Bäder anzuwendeu, und zwar von 
18° C.; bei schlechter Herz- und Arterienbeschaffenheit, oder wenn 
der Collaps auch nur angedeutet ist, wählt man eine Temperatur 
von 25 — 28° C. Während des Bades soll der Kopf des Patienten 
fortwährend mit dem Badewasser übergossen werden; es ist auch 
angezeigt, warme Getränke und Stimulantien zu geben. Die Dauer 
des Bades variirt von 5—10 Minuten. Es ist besser, die Bäder 
öfter zu geben, etwa alle 3 Stunden, als sie allzu lange auszu¬ 
dehnen. Man setzt die Bäder so lange fort, bis die Hyperthermie 
und das Delirium aufhört. Schon nach einigen Bädern zeigen sich 
die günstigen Wirkungen. Der Arzt muß diese Behandlung persönlich 
leiten und während des ganzen Bades den Puls controliren. Wenn 
der Kranke das Bad verläßt, muß er zur Wiedererwärmung ins 
Bett gebracht werden, wobei auch warme Getränke und alkohol¬ 
freie Stimulantien gute Dienste leisten. Sind die Anfälle geschwunden, 
so wird die Reconvalesccnz in gewöhnlicher Weise behandelt. In 
leichteren Fällen oder wenn die Temperatur unter 39° C. bleibt, 
genügen meistens laue Bäder; letztere erweisen sich auch dann 
als zweckmäßig, wenn kalte Bäder contraindicirt sind, also bei 
schweren Complicationen seitens des Herzens, Endo Pericarditis, 
Myocarditis, Arteriosklerose, Diabetes etc.; in allen diesen Fällen 
geben laue Bäder ausgezeichnete Resultate. Gegen Collapssymptome, 
die manchmal im Anschlüsse an prolongirte kalte Bäder auftreten, 
gebe man Stimulantien. 

— Ueber Hämolpräparate berichtet Matzner (Heilkunde“, 
1902, Nr. 5). Hämol- und Hämogallolpräparate wurden in dem 
Laboratorium Kobert’s dargestellt und von einer Reihe seiner 
Schüler genauest studirt. Kobert ging von der Ansicht aus, daß 
vom menschlichen Verdauungstractus aus von anorganischen, oder 
locker organisch gebundenen Verbindungen für gewöhnlich weder 
Eisen, noch Mangan resorbirt werde, daß aber solche Eisen¬ 
präparate, ohne daß sie resorbirt zu werdeu brauchen, doch eine 
gewisse locale, günstige Wirkung entfalten können, indem sie 
entweder die im Darmcanal vorhandene H a S binden, oder bei 
reichlicher Mucinanwesenheit den Darm unter Bildung von Mucin- 
eisen davon zu befreien helfen, oder endlich, indem sie die anämische 
Magendarmschleimhaut hyperämisch und dadurch für das mit der 
Nahrung zugeführte Eisen aufnahmsfähig machen. Das Eisenhämol 
wird durch rasches Trocknen des durch Verbindung von Eisen 
mit Hämoglobin dargestellten Eisenparahämoglobin erzeugt. Es 
gibt im Wesentlichen trotz des höheren Eisengehaltes keine 
besseren Resultate in Bezug auf Intensität und Schnelligkeit der 
Wirkung als das einfache Hämol. Das Jodquecksilberhämol enthält 
12*35°/ 0 metallisches Quecksilber und 28 , 68°/ 0 Jod, gebunden an 
Hämol, ist ein braunrothes, in Wasser unlösliches Pulver. Arsen - 
hämol enthält auf 100 Theile Hämol 1 Theil arseniger Säure und 
stellt ein braunes Pulver dar, welches in seinen chemischen und 
physikalischen Eigenschaften den Metallhämolen sehr nahe steht. 
Bartelt empfiehlt Pillen folgender Zusammensetzung: 


Rp. Arsenokaemoli.5'U 

Succi liquirit. pulv.1'25 


Mncilag. gum. arab. q. s. 

ut fiant pil. Nr. L. 

Obduce lacca. 

S. 3 Pillen pro Tag; jeden 4. Tag um 1 Pille 
steigen bis 10 pro Tag. 

Bromhämol hat einen Gehalt von 2 - 7°/ 0 an Brom in organischer 
Bindung; infolgedessen kommt es im menschlichen Körper ver- 
hältnißmäßig nur sehr langsam zur Abspaltung des Brom. 

— In der Behandlung des Schnupfens gibt es nach pugnat 
(„Rev. med. de la Suisse rom.“, 1902, Nr. 5) eine Abortivmethode 
und eine palliative Behandlung. Als Abortivmittel empfiehlt P. 
stündliche Einathmungen des BRAND’schen Mittels: Acid. carbol. pur., 
Liq. Anim, caust. aa. 5 Grm., 90°/ 0 igen Alk. 10 Grm , Aq.dest. 15 Grm., 
und außerdem eine mehrfache Pinselung der Nasenschleimhaut 
mit Nebennierenextract. Ist der Schnupfen schon voll entwickelt, so 
sind Einblasungen l°/oiger Cocaiumischungen, eventuell mit Menthol 


zusammen sehr wohlthuend. Auch in solchen Fällen thut oft Neben¬ 
nierenextract sehr gut. Die von Spiess empfohlenen Orthoform- 
einblasungen hat P. nicht benutzt. 

— Das Chinolinwismuthrhodanat Edinger (Crurin. purum 
pro injectione) als Antigonorrhoicum bespricht Jacobi („Deutsche 
med. Wschr.“, 1901, Nr. 52). Er sagt darüber Folgendes: Wir 
besitzen in diesem Präparat ein Mittel, welches, ohne zu irritiren, eine 
kräftig gonokokkentödtende Wirkung besitzt, welches dabei von 
vornherein stark secretionsbeschränkend wirkt und schon dadurch 
geeignet erscheint, den Verlauf der Gonorrhoe abzukürzen, was in 
einer Reihe von Fällen ganz zweifellos der Fall war. Des weiteren 
verliefen die beobachteten Fälle, besonders die Erstinfectionen, so 
auffallend milde, die Patienten hatten so wenig Schmerzen, resp. 
schmerzhafte Erectionen, daß man dies nicht als Zufälligkeit auf¬ 
fassen darf, sondern auch hierin eine recht wichtige, günstige 
Wirkung unseres Mittels sehen muß. Wenn man ferner bemerkt, 
daß Complicationen zum mindesten nicht häufiger, wie es scheint, 
aber seltener auftreten als bei anderen Behandlungsmethoden, so 
haben wir hier einen weiteren, und zwar einen der wichtigsten 
Vortheile unseres Mittels zu constatiren. Nimmt man schließlich 
hinzu, daß Injectionen mit Chinolinwismuthrhodanat viel weniger 
Zeit in Anspruch nehmen als die von Neisser empfohlenen protra- 
hirten Protargolinjectionen, ein Umstand, der dadurch besonders 
ins Gewicht fällt, daß wir von ambulanten und unzuverlässigen 
Patienten viel eher erwarten dürfen, daß sie 2—3mal täglich je 
3 Minuten Crurin iujiciren, als daß sie mehrere Injectionen von 
10—25 Minuten langer Dauer ausführen, wodurch wir also eine 
größere Sicherheit für eine wirksame therapeutische Beeinflussung 
der Gonorrhoe besitzen, so dürfte auch dieses Moment Bei der 

Beurtheilung und Schätzung unseres Mittels schwer ins Gewicht 
fallen. 

— Experimentelle und klinische Erfahrungen über die temporäre 
Abklemmung der Karotiden publicirt Crile („Ann. of Surgery“, 
April 1902). Verf. beschreibt 18 Fälle von Operationen an Menschen, 
bei dönfcn mittelst einer Klätnmer eine oder't>etde‘Kärotideü'w3hreTid 
der Dauer der Operation abgeklemmt und das Operationsfeld 
dadurch blutleer gemacht worden war. lOmal wurden beide, 5mal 
eine Carotis communis abgeklemmt, in 3 Fällen wurde nur eine 
Carotis externa abgeklemmt. Das Alter der von 1897—1901 

operirten Kranken schwankte zwischen 7 Monaten und 69 Jahren. 
Kein Todesfall trat infolge der Abklemmung auf, die Circulation 
stellte sich in allen Fällen sofort nach Abnahme der Klemme 

wieder her; auch trat später keine nachweisbare Schädigung, der 

Gefäße oder der Circulation auf. Hirnsymptome wurden weder 
während der Operation noch später beobachtet. Wurden beide 
Karotiden abgeklemmt, so brauchte man weniger von dem zur 
Narkose verwendeten Anästheticum. Die Athmung wurde bei Ab¬ 
klemmung beider Karotiden zuweien behindert, doch genügte es 
stets, eine oder beide Karotiden wieder aus den Klemmen zu 
lösen, um die Athmung wieder herzustellen. Die Operationszeit 
wurde sehr abgekürzt, da das Operationsfeld blutleer war; ein 
weiterer Vortheil bei den Operationen im Munde war, daß kein 
Blut in die Luftwege einfließen konnte. Die Klammern lassen sich 
durch sehr kleine Schnitte in wenigen Minuten anlegen. 


Literarische Anzeigen. 

- Lehrbuch der Heilgymnastik. In Vorlesungen von Dr. Max 
Herz, Privatdocent an der Universität in Wien. Mit 209 Abb. 
Berlin und Wien 1903, Urban & Schwarzenberg. 

Die Heilgymnastik ist als Methode alt, als wissenschaftlich 
begründete Disciplin noch sehr jung. Zu den tüchtigsten und ernsten 
Arbeitern auf dem von Egge und Pflug noch stiefmütterlich be¬ 
arbeiteten Terrain zählt der Autor des vorliegenden Lehrbuches. 
Es ist kein Zufall, daß ein Internist, dessen Leistungen auf anderen 
Gebieten unseren Lesern bekannt sind, sich dem Studium dieses 
Theiles der noch nicht überall als akademiefähig anerkannten 
Mechanotherapie zugewendet hat; die zahlreichen Berührungspunkte, 
I welche die physikalischen Heilmethoden mit den Erkrankungen des 


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1902.— Wiener Medizinische Presse. — Nr. 36. 


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Nervensystems, der Circulations-, Respirations- und Verdauungs¬ 
organe gewonnen haben, rechtfertigen diese Erscheinung im voll¬ 
sten Maße. 

Das Buch, für welches der didaktisch vielfach thätige Autor 
die Vorlesungsform gewählt bat, ist in seinen theoretischen Ab¬ 
schnitten als mustergiltig zu erklären. Wer in Zukunft das Wesen 
und die Bedeutung der Gymnastik kennen zu lernen beabsichtigt 
— und es dürfte die Zeit nicht fern sein, wo dies von jedem ge¬ 
bildeten Arzte vorausgesetzt werden wird —, wird des HERZ’schen 
Buches nicht eutrathen können. Klarheit der Diction, volle Beherr¬ 
schung des vielfach spröden Stoffes, glückliche Anordnung desselben 
sind die Vorzüge eines Werkes, das auf jeder Seite von der aus¬ 
gezeichneten physiologischen und physikalischen Bildung des Ver¬ 
fassers Zengniß gibt. 

Vielleicht steht der praktische Th eil des HERZ’schen Buches 
nicht vollständig auf der Höhe der theoretischen Capitel. Max Herz, 

F euilleton. 

Das Verliältniß der Aerzte in Oesterreich zu 
den Krankencassen. 

Von Dr. Max Ellmann in Wien. 

(Schluß.) 

In Oesterreich waren 1900 2,496.000 Versicherte, also un¬ 
gefähr 10% der Bevölkerung. Die Ausdehnung der Versicherungs¬ 
pflicht auf weitere Kreise ist unausbleiblich, jetzt schon angekün¬ 
digt und wird von Aerzten und Aerztekammern selbst verlangt 
(„Memor.. der Aerztekammern“, pag. 15). Ferner verlangen die 
Aerzte die Versicherung der Familienangehörigen („Memor.“, 
pag. 23, Dr. Klein : „Standesangelegenheiten“, pag. 8, Doctor 
Steiner: „Wiener med. Presse“, 1901, Nr. 42, 46, 48). Doch 
stehen di,e Cassen dieser Art der Versicherung bisher kühl gegen¬ 
über. Sie fürchten wahrscheinlich nicht so sehr die höheren Aerzte- 
kosten als die Höhe de3 Medicamentencontos. 

Auf die 2,496.000 Versicherten entfielen 1901 1,260.000 be¬ 
zahlte Krankheitsfälle, das sind 50'5% Morbidität. Die Morbidität in 
Oesterreich ist constant höher als die in Deutschland, eine Folge 
der schlechten Lebensverhältnisse der Arbeiter. Die Zahl der aus¬ 
bezahlten Krankentage betrug 21,290.000. Dafür bezogen die Aerzte 
7,100.000 K — 6,060.000 Mk. oder pro Kopf und Jahr 2’85 K = 
2’43 Mk. gegen 3'63 (Dr. L. Ppeiffer, Weimar) in Deutschland 
und 0'31 K — 0 - 27 Mk. für den Krankentag gegen 0 f 50 in Deutsch¬ 
land. In Procenten der Einnahmen ausgedrückt, betrugen die 
Aerztekosten 15*1 °/ 0 gegen 16'4% in Deutschland, der Unterschied 
ist demnach relativ genommen nicht groß, absolut dagegen erhalten 
die Aerzte in Oesterreich nur circa die Hälfte von dem, was die 
deutschen Collegen erhalten. Es ist mir leider nicht möglich, die 
Maxima und Minima anzugeben. Wie tief aber das Honorar sinken 
kann, beweisen die Verhältnisse bei dem schon mehrfach erwähnten 
Wiener Verband der Genossenschafts-Krankencassen. 

Der Verband zahlte 1900 bei 231.000 Mitgliedern an Aerzte 
327.000 K = 297.900 Mk. In dieser Summe sind nicht nur die 
pauschalirten Gehälter für die b e h a n d e 1 n d e n Aerzte enthalten, 
sondern auch die Bezahlung für Extraleistungen , für erste Hilfe 
an fremde Aerzte und rund 25.000 K = 21.000 Mk. für die 
3 Chef-und 2 Revisionsärzte, also für ärztliche Controlorgane. 
Nehmen wir jedoch die ganze Summe zur Grundlage der Berech¬ 
nung, so entfallen pro Kopf uud Jahr 1*40 K = 1*20 Mk., oder 
für rund 2,300.000 bezahlte Krankentage je 014 K = 0-12 Mk. 
für den Krankentag. Die Verbandscassen gaben 5 - 36% der Ein¬ 
nahmen für Aerzte und 11%, also das Doppelte, für Verwaltung 
aus. Die andere große Wiener Casse, die Bezirkskraukencasse, 
zahlt besser, aber noch immer unter dem Durchschnitt. Bei ihr 
entfallen für 145.000 Mitglieder 300.000 K auf die Aerzte, also 
2 - 10 K pro Kopf und Jahr. Auf den Krankentag berechnet 
(900.000 Krankentage), erreicht sie mit 0’30 K fast den Durch¬ 
schnitt in Oesterreich (0’31 Ä'). Da nun die Wiener Cassen 20% 


welchem wir die Aufstellung eines neuen, vorzüglichen Systems 
der Gymnastik und die Construction ausgezeichneter heilgymnastischer 
Apparate verdanken , ist eben ein Neo-Mechanotherapeut, welcher, 
die breite Heerstraße der Orthodoxen verlassend, auf Richtwegen, 
durch Gestrüpp und über Geröll seinem Ziele zustrebt. So ist denn 
mancher seiner Schritte noch unsicher; was er aber thut und 
schreibt, trägt den Stempel strenger Wissenschaftlichkeit uud voller 
Ueberzeugung. 

Das mustergiltig ausgestattete Buch wird in den Kreisen der 
Mechanotherapeuten alt- und neuschwedischer Schule manche Gegner¬ 
schaft erfahren. Uns ist es trotz einzelner Differenzen von eigenen 
Anschauungen bezüglich der Technik der manuellen Widerstands¬ 
gymnastik lieb und werth; Studirenden und Aerzten wird es als eines 
der wenigen Werke sicherlich willkommen sein, welche die Kenntniß 
der Heilgymnastik in jener Sprache vermitteln, die ihnen geläufig 
ist, in der Sprache der Wissenschaft. Büm. 


sämmtlicher in Oesterreich versicherten Mitglieder umfassen, ist es 
begreiflich, daß sie bei der schlechten Bezahlung die Durchschnitts¬ 
ziffer stark herunterdrücken. Im übrigen ist in fast allen Industrie- 
centren die Bezahlung eine ähnliche. 

Es fehlen leider irgend welche Anhaltspunkte, um die Be¬ 
zahlung der Einzelleistung zu berechnen, da viele Momente, wie 
z. B. die Behandlung der arbeitsfähigen Kranken, der Ausge¬ 
steuerten, nicht in Rechnung gezogen werden können mangels stati¬ 
stischer Angaben. 

Ich will es versuchen, die Einzelleistung bei dem genannten 
Verbände annähernd zu berechnen. Rund 2,000.000 Krankentage 
bei 91.000 Erkrankungen, wenn man die Spitalsverpflegstage und 
Doppeltversicherung abrechnet. Dazu die Behandlung von 80.000 
arbeitsfähigen Kranken und ca. 470.000 Krankentage bei ausge¬ 
steuerten Mitgliedern. Da jeder Kranke mindestens zweimal wöchent¬ 
lich behandelt werden muß, viele jeden zweiten, oft auch jeden 
Tag, so dürften rund 1,200.000 Einzelleistungen incl. Operationen, • 
Geburtshilfe etc. wohl noch weit unter der “wirklicken'‘Leistung 
bleiben. Das macht für die Einzelleistung 0*27 K = 0*23 Mb; : ■' 

Wie es bei Pauschalhonorirung und ungleich abgetheilten 
Rayons nicht anders möglich ist, ist die Vertheilung der Arbeit 
und der Bezahlung ungleichmäßig und oft im unrichtigen Verhältniß. 
Das Anfangsgehalt der Aerzte beim Wiener Verband beträgt z. B. 
140—160 K monatlich, das ist ca. 120—130 Mk., und steigt inner¬ 
halb 15 Jahre je nach der Gehaltsclasse auf 200—240 K oder im 
Maximum 200 Mk. Die Specialärzte beginnen mit 200 K und er¬ 
halten nach 15 Jahren 300 K = ca. 250 Mk. 

Wie tief bei diesem Pauschalsystem das Honorar für die 
Einzelleistung sinken kann, ist aus den genauen statistischen Daten 
aus einem der beschwerlichsten und ausgedehntesten Rayons Wiens 
zu ersehen. Bei einer Rayonsausdehnung von % Stunden bergauf, 
unter den schwierigsten Terrainverhältnissen, sind vom betreffenden 
Arzte im Jahre 1901 13.600 Einzelleistungen gemacht worden, 
wofür er 1920 K— 1640 Mk. erhielt, oder 0’14 K — 0'12 Mk. 
für die Einzelleistung. Er hatte insgesammt 2700 Krankheitsfälle 
behandelt, also 0 - 70 K= 0‘60 Mk. für den Krankheitsfall erhalten. 
Zur schlechten Jahreszeit mußte er oft 30 und selbst mehr Visiten 
an einem Tage machen, während an vielen Tagen 80—100 
Kranke die Ordination aufsuchten. Es gibt selbstverständlich Rayons, 
in welchen die Aerzte weniger belastet sind und wegen längerer 
Dienstzeit etwas höheres Honorar haben, es gibt aber auch Rayons, 
in welchen die Belastung noch größer zu sein scheint; leider liegen 
keinerlei genauere Daten vor. 

In Berücksichtigung dieser Umstände bat die Organisation 
der Cassenärzte in einem Memorandum im Mai 1901 energisch die 
Vermehrung der ärztlichen Stellen gefordert. Diese wurde vom 
Verbände im Juli zugesagt; seit 1. Januar 1902 bezieht der Ver¬ 
band von den Verbandscassen höhere Beiträge — bisher ist aber 
kein neuer Arzt angestellt worden. Man wartet bis zum Herbste. 
Die Bestrebungen der Organisation um bessere Bezahlung der Aerzte 
waren bisher von keinem Erfolge begleitet. 

Es wird, wie aus alledem erhellt, namentlich in den großen 
Industriecentren den Aerzten für eine geringfügige Bezahlung eine 


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ungeheure Arbeitslast aufgebürdet, ist ja z. B. in Wien fast der 
dritte Theil der Bevölkerung versichert. 

Eine weitere wichtige Frage für die Aerzte Oesterreichs ist 
die der freiwilligen Mitglieder. Im Jahre 1899 (für 1900 fehlen 
bisher Angaben) waren nach den officiellen Berichten nur 118.000 
freiwillige Mitglieder bei den obligatorischen Krankencassen. Diese 
Summe dürfte aber kaum richtig sein. So führen z. B. die Genossen- 
schafts-Krankencassen in Wien keinen Ausweis über die Mitglieder, 
welche aus den versicherungspflichtigen Betrieben ausgetreten sind 
und, oft schon viele Jahre selbstständigen Berufen nachgehend, 
ihre Beiträge weiterzahlen. Am stärksten sind diese freiwilligen 
Mitglieder bei der Allgemeinen Arbeiterkrankencasse in Wien ver¬ 
treten. Ende 1900 waren bei derselben 88.000 versicherungs¬ 
pflichtige und 37.000 freiwillige Mitglieder. Diese recrutiren sich 
zum Theil aus früher obligatorisch versichert gewesenen Mitgliedern, 
die ohne ärztliche Untersuchung weiter Mitglieder bleiben, obwohl 
sie oft anderswo versicherungspflichtig geworden sind, oder, was 
häufig vorkommt, nur wenige Tage in einem Betriebe gearbeitet 
haben oder wenigstens angemeldet waren, um eine ärztliche Unter¬ 
suchung zu umgehen. Ferner sind Arbeiterfrauen versichert, aber 
aucli zahlreiche wohlhabende Gewerbetreibende, Hausherren und 
Fabrikanten. Ist ja der Obmann dieser großen Krankencasse ein 
freiwilliges Mitglied und Fabrikant. Obwohl die freiwilligen Mit¬ 
glieder, wie aus Folgendem erhellt, die Casse schwer belasten, 
sind ihre Beiträge zur Casse um 30% geringer als die der ver¬ 
sicherungspflichtigen, da sie nur die Beiträge der letzteren entrichten 
ohne den 30%igen Zuschlag der Unternehmer. Die 88.000 ver¬ 
sicherungspflichtigen Mitglieder haben 1900 einen Ueberschuß von 
417.000 K— 355.000 Mk., also 4'73 K — 4 Mk. pro Kopf er¬ 
geben, die 37.000 freiwilligen ein Deficit von 289.000 K — 247.000 
Mark, also 8'20 K = 7 Mk. pro Kopf, sie haben also um 12'93 A' 
schlechter abgeschlossen als die versicherungspflichtigen. Es erhielten 
die Aerzte für die Behandlung dioser 125.000 Mitglieder mit 
mindestens 90.000 Erkrankungen 159.000 K, die freiwilligen Mit¬ 
glieder oberem Geschenk von doppelter Höhe. Es ist wohl klar, 
daß unter diesen Verhältnissen für die Aerzte kein Geld vorhanden 
ist. Obwohl diese Casse auf abschüssiger Bahn ist, sträuben sich 
obligatorische und freiwillige Mitglieder gegen eine Erhöhung der 
Beiträge der freiwilligen Mitglieder. 

Interessant dürfte es wohl auch sein, über die Erfahrungen, 
die in Wien bezüglich des Zusammenhanges zwischen der Höhe 
des Krankengeldes und der Krankentage gemacht wurden, zu be¬ 
richten. Es hat sich gezeigt, daß bei fast allen Cassen eine Er¬ 
höhung des Krankengeldes eine ruckweise Erhöhung der Kranken- 
tage mit sich bringt. Hier zwei Tabellen, die von Cassen des 
Wiener Verbandes herrühren. 


Schuhmacher-Krankencasse: 



Krankenstand 

Krankentage 


1895 

2832 

51.938 


1896 

2761 

54.495 

1897 

1897 

3912 

81.020 

Krankengeld von 132 A auf 

1898 

3943 

76.715 

1'80 K erhöht. 

1899 

4021 

80.472 



Tisc 

liler-K ranke 

n casse: 


Krankenstand 

Krankentage 


1893 

3206 

79-070 


1894 

3092 

82.964 

1895 

1895 

3700 

99.466 

Krankengeld von 1 20 K auf 

1896 

3834 

101.817 

1-80 K erhöht. 

1897 

4321 

123.804 



Dabei ist zu bemerken, daß die Mitgliederzahl dieser Cassen 
seit Jahren constant bleibt und daß die Nachuntersuchungen durch 
die Chef- und Revisionsärzte jährlich zugenommen haben. Ebenso hat 
die Allgemeine Arbeiterkrankencasse in Wien diese Erfahrung 
machen müssen, als sie eine Ergänzungsversicherung bis zur vollen 
versicheruugsfähigen Lohnhöhe von 4 K einführte. Anfang 1899 
zahlte sie an die höher Versicherten 97’26% mehr aus, als ihrer 
Mitgliederzahl nach rechnungsmäßig auf sie entfallen sollte, Ende 
1899 noch immer 40% mehr. Seit 1. Januar 1902 ist in Wien 
ein neuer ortsüblicher Tarif von den Behörden festgesetzt worden, 
und alle Cassen, welche dementsprechend ein höheres Krankengeld 


festsetzen mußten, klagten, wie ich aus den Mittheilungen der be¬ 
treffenden Obmänner erfahren habe, über das Anwachsen des 
Krankenstandes, der die Ca83en zu erschüttern droht. So wttnschens- 
werth eine Annäherung des Krankengeldes an den wirklichen Ver¬ 
dienst wäre, stehen diese Erfahrungen der Verwirklichung des 
Wunsches entgegen. 

Es ist wohl nach alledem die Frage aufzuwerfen, ob die 
Cassen auch für ihre Mitglieder so wenig leisten wie für die Aerzte. 
Das ist selbstverständlich je nach der Casse verschieden. Für das, 
was eine große Casse leistet, will ich den Wiener Verband der 
Genossenschafts-Krankencassen anführen mit seinen im Gesetze 
nicht geforderten Leistungen. Die Cassen des Verbandes bieten 
zum großen Theil Krankengeld bis zu einem Jahre. Ein jedes 
Mitglied hat gegebenenfalls Anspruch auf eine Badecur in Baden, 
Pistyän, Hall und Karlsbad, und haben 1900 320 Mitglieder davon 
Gebrauch gemacht. Ferner wurden in 2 dem Verbände gehörenden 
Reconvalescentenhäusern 760 Mitglieder durch 4—6 Wochen ver¬ 
pflegt und erhielten 1400 Mitglieder Landaufenthalt bewilligt. Es 
steht den Kranken zur Verfügung: eine vollkommen eingerichtete 
(private) Kaltwasserheilanstalt, eine Anstalt für Mechanotherapie, 
Massage und Heißluftbäder , Roentgentherapie und Fangobäder. 
Jetzt geht man an die Errichtung eines Tuberculosenheimes. Es sind 
14 Specialärzte, darunter 2 Universitätsprofessoren und 7 Docenten 
thätig. Wenn man bedenkt, daß für den ganzen therapeutischen 
Apparat, das ist für Aerzte inclusive Chef-, Revisions- und Special- 
ärzte, Medicamente, therapeutische Behelfe, Reconvalescentenpflege, 
Laiencontrole und einen Theil der Verwaltung bisher nur 7*4 // = 
ea. 6 Pfg., seit 1. Januar 1902 8‘4 h = 7 Pfg. pro Woche und Kopf 
bezahlt wurden, dann ist es begreiflich, daß für Aerzte nur wenig 
übrig bleiben kann. Aehnlich sind die Leistungen anderer großer 
Cassen. Die Krankheitskosten pro Mitglied nnd Jahr betrugen in 
Oesterreich im Jahre 1900 16 K = 13’65 Mk. gegen 15*71 Mk. 
in Deutschland. Die Bezirkskrankencassen hatten mit 13*1 K die 
geringsten, die Vereinskrankencassen mit 19*3 K die höchsten 
Kosten’.' Die Genossenschäftscassen zahlten 15’3 K pro Mitglied, 
die Betriebscassen 18-76 K. Die großen Wiener Cassen zahlen 
selbstverständlich mehr. Die Wiener Bezirkskrankencasse 14*7 K , 
die Genossenschäftscassen des Verbandes durchschnittlich 19 K, die 
Allgemeine Arbeiterkrankencasse sogar 25’20 K. 

In Oesterreich wird wie überall über die Höhe des Medica- 
mentencontos geklagt und wird die schlechte Bezahlung der Aerzte 
von vielen Cassen und auch anderen Factoren damit in Zusammen¬ 
hang gebracht. 1900 wurden für Medicamente und therapeutische 
Behelfe 5,357.000 K ausgegeben oder 2*13 K pro Kopf = 1*90 Mk. 
und 0 - 24 K — 0 - 20 Mk. pro Krankheitstag. 

Der Wiener Verband hat bei seinem großartigen therapeu¬ 
tischen Apparat incl. Badecuren 1*54 K pro Kopf und 015 K pro 
Krankentag ausgegeben. 

Wir müssen aber nun auch auf andere Krankencassen über¬ 
gehen. Die Lehrlingscassen haben keine Bedeutung und können 
vernachlässigt werden. 

Seit ca. 2 Jahren sind die Gewerbegenossenschaften berechtigt, 
für alle ihnen zugehörigen Meister obligatorische Meisterkranken- 
cassen zu errichten und ihren Mitgliedern freie ärztliche Behand¬ 
lung zu gewähren. Von diesem Rechte haben sofort eine 
Reihe von großen Genossenschaften Gebrauch gemacht, in Wien 
z. B. die Gastwirthe, Juweliere, Friseure, Schuhmacher, Kleider¬ 
macher, Tischler etc. Mit einem Schlage sollte den Aerzten ein 
großer Theil der freien Praxis bei meist besser situirten Personen 
entzogen werden. Das war selbst den Geduldigsten zu viel. Am 
21. November 1900 fand eine allgemeine Aerzteversammlung in 
Wien statt und wurde die Annahme einer Stelle bei einer Meister- 
krankencasse für unstatthaft erklärt und die Aerztekammer und 
die Organisation zu energischem Vorgehen gegen Verräther auf¬ 
gefordert. Die Aerztekammer sammelte von den Aerzten Erklärungen 
ab, in denen sie sich ehrenwörtlich verpflichteten, keine derartige 
Stelle anzunehmen. Von 93% der Aerzte liefen diese Reverse 
ein. Für 51 ausgeschriebene Stellen erhielten die Meisterkranken 
cassen nur 30 Offerten, die Hälfte davon von auswärtigen Aerzten. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 36. 


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Derzeit fungiren nur 5 Aerzte bei diesen Cassen, und sind dieselben 
boykottirt. Die Folge dieser Bewegung war zunächst, daß die 
Meistercassen die Arztwahl ganz frei gaben und nur Controlärzte 
haben wollten, welche man ihnen ohne bestimmte Garantie, daß 
daraus nicht behandelnde Aerzte werden sollten, nicht geben konnte. 
Und nun hat die Regierung in Berücksichtigung der Erregung 
unter den Aerzten und wohl auch infolge des Mißlingens dor Be¬ 
mühungen, Aerzte zu erhalten, eine Gesetznovelle ausgearbeitet und 
den Aerztekammern vorgelegt, wonach die Meisterkrankencassen 
keine ärztliche Behandlung ihren Mitgliedern bieten dürfen. Das 
war der erste Sieg, den die Aerzteschaft Oesterreichs durch 
energisches und zielbewußtes Vorgehen errungen hat mit Hilfe der 
Aerztekammern und der Organisation. 

Als im Jahre 1894 die Aerztekammern geschaffen wurden, 
gaben sich die Aerzte sanguinischen Hoffnungen hin. Diese Hoff¬ 
nungen sollten sich nicht sobald erfüllen. Der gesetzliche Wirkungs¬ 
kreis der Kammern ist ein beschränkter und wurde durch die Be¬ 
hörden noch mehr eingeengt. Als die Vorarlberger Kammer es 
für standeswidrig erklärte, bei einer bestimmten Arbeiterkranken- 
casse eine Stelle anzunehmen, sistirte die Statthalterei diesen Be¬ 
schluß. Ebenso hob die Statthaltern in Böhmen den Beschluß der 
dortigen Kammern auf, daß eine Stelle bei den Meisterkranken- 
casscn nicht angenommen werden dürfe. In Niederösterreich besteht 
jedoch dieser Beschluß noch aufrecht. Dagegen bewilligte die nieder¬ 
österreichische Statthalterei nicht die Statuten einer Vereinscassc, 
die auf Veranlassung der Aerztekammer freie Aerztewahl einführen 
wollte. Trotz so vieler Hindernisse arbeiteten die Aerztekammern daran, 
die Frage der Arbeiterkrankencasse zu klären. Eine wahre Flut 
von Schmähungen ging auf die Kammern nieder von Seite vieler 
Cassen und Arbeiterorgane, weil sie es gewagt haben, nicht alles 
in schönster Ordnung zu finden und für die Interessen der Aerzte 
einzutreten. Das Resultat dieser Arbeiten ist das Memorandum der 
österreichischen Aerztekammern in Angelegenheit der Arbeiter- 
krankencassen-Reform, nachdem die Aerztekammern schon früher 
in einer 'von der "Regierung veranstalteten Etiqußte ihre Ansichten 
klargelegt hatten. Das Memorandum wurde der Regierung und den 
Abgeordneten übermittelt, und in jüngster Zeit wurde die Lage der 
Cassenärzte im Parlamente erörtert, und zwar von Abgeordneten 
verschiedener Parteien in einer für die Aerzte überaus freundlichen 
Weise. In der Sitzung vom 8. April 1902 beantwortete der Mini¬ 
sterpräsident eine Interpellation folgendermaßen: 

„Ich anerkenne rückhaltsl os die Verdienste, welche 
sich der gesammte österreichische Aerztestand durch 
die Mitwirkung bei der Durchführung der obligatorischen Kranken¬ 
versicherung erworben hat, umsomehr, als sich diese Mitwirkung 
vermöge verschiedener Verhältnisse zum Theil zu einer für die 
Aerzte opfervollen gestaltet hat und dabei Unzukömm¬ 
lichkeiten zutage getreten sind, deren Beseitigung oder 
Milderung vom Aerztestand nicht mit Unrecht gefordert 
wird. Gleichwohl darf nicht verkannt werden, daß die gesetz¬ 
liche Regelung der Aerztefrage in Beziehung zu den 
Krankencassen mannigfache Schwierigkeiten bereiten wird, weil hiebei 
auch auf die Interessen der übrigen Factoren, insbesondere auf die 
Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Träger der Kran¬ 
kenversicherung gebührend Bedacht zu nehmen sein wird. 
Aus diesem Gesichtspunkte wird der Versuch gemacht werden 
müssen, den Abschluß von allen billigen Anforderungen ent¬ 
sprechenden Verträgen zwischen den Aerzten und den 
Krankencassen über die Besorgung des ärztlichen Dienstes 
unter Mitwirkung der Aufsichtsbehörden über die Kran¬ 
kencassen , beziehungsweise der zuständigen autonomen 
Vertretungen des Aerztestandes gesetzlich anzubahnen. 
Die Einleitung einer bezüglichen Action mußte sich naturgemäß 
verzögern, weil sie zweckmäßig nur im Zusammenhänge mit der 
geplanten, durchgreifenden Um- und Ausgestaltung der 
Arbeiterversicherung, für welche die Vorarbeiten bereits im 
Zuge sind, erfolgen kann. Ich bemerke noch, daß auch den 
Aerztekammern Gelegenheit gegeben werden wird, vor 
Einbringung des Gesetzentwurfes im Reichsrathe sich zu den 
Grundzügen desselben zu äußern.“ 


Also der zweite Erfolg, den die Aerzte errungen haben. Zum 
erstenmale ist den Aerzten ein Lob gespendet worden, das im Wider¬ 
spruch steht zu den Vorwürfen vieler Cassen, zum erstenmal ist 
officiell anerkannt worden, daß die Cassen keine „Goldquellen“ für 
die Aerzte sind, sondern denselben Opfer auferlegen. Dem Verlangen 
der Aerzte, daß die Kammern Einfluß nehmen bei dem Abschluß 
der Verträge, ist willfahrt worden. Da aber auch die Behörden 
dabei mitwirken sollen und auf die „Leistungsfähigkeit der Träger 
der Krankenversicherung“ gebührend Rücksicht genommen werden 
soll, ist Vorsicht geboten; ist ja einerseits bisher von den Behörden 
wenig Entgegenkommen den Aerztekammern gezeigt worden und 
ist andererseits von Cassenleitungen ernstlich behauptet worden, 
eine Erhöhung der Beiträge der Mitglieder um 1 Heller für die 
Woche lasse sich nicht durchführen, da der Arbeiter das nicht leisten 
könne. Dieser Gesetzentwurf wird aber nicht nur die Aerztekam¬ 
mern, sondern auch den Arbeite-, Industrie- und Versicherungs- 
beirath beschäftigen, Körperschaften, in denen Arbeiter und Unter¬ 
nehmer vertreten sind, nicht aber Aerzte. Die Aerzte sind daher 
gezwungen, vorläufig noch selbst für sich zu sorgen. Und eben in 
letzter Zeit war Gelegenheit zur Selbsthilfe gegeben. Eine Wiener 
Vcreinscasse, deren Mitglieder aus kaufmännisch Angestellten besteht, 
wollte freiwillige Mitglieder jedes Standes aufnehmen. Obwohl sie 
facultativ freie Aerztewahl gegen höheres Krankengeld gewährt, 
lud die Aerztekammer sämmtliche dieser Casse angestellte Aerzte vor 
und verpflichtete sie, die Stellen niederzulegen, falls die Casse ihre 
Absicht nicht aufgibt — und die Casse gab nach. Ebenso konnte die 
neugegründete Casse der Bankbeamten in Wien, welche die Frauen 
der Mitglieder als freiwillige Mitglieder zuläßt, infolge Widerstandes 
der Aerztekammer und der Organisation bisher keine Aerzte be¬ 
kommen. *) 

Die Thätigkeit der Wiener Aerztekammer wird durch den 
Central verband der Wiener Aerzte nach Kräften unterstützt. Aller¬ 
dings ist diese Organisation bisher noch mangelhaft, obwohl alle 
ärztlichen Vereine derselben angehören. Fast die Hälfte der ^er^je 
stellt noch außerhalb der Organisation. Pie Casaftnärzte .sind Es 
auf die oben erwähnte Ausnahme nicht organisirt, und haben gferape 
die Cassenärzte bisher auf dem Gebiete der Arbeiterkrankencassen 
fast gar nichts gearbeitet. Die Aerzte entbehren eines Organes, 
welches in diesen Fragen führen könnte, und trotz der Bemühungen 
einiger Collegen ist die Gründung eines solchen Blattes nicht Uber 
die erste Idee hinausgekommen. 

In der Provinz beschäftigen sich die localen Vereine immer 
mehr und mehr mit den wirtschaftlichen Fragen des Aerztestandes 
und bilden Verbände, die wohl bald zu einem Reichsverbande 
führen werden. . > 

Die Forderungen, die die Aerzte bei der Reform des Krankcn- 
cassengesetzes aufstellen, gipfeln in folgenden Punkten: 

1. Begrenzung der Versicherungspflicht und des Versicherungs- 
rcchtes auf ein bestimmtes Einkommen. 

2. Gesetzliche Bestimmung, daß die Cassen freie Aerztewahl ein¬ 
führen dürfen. 

3. Einflußnahme der Aerztekammern auf die Verträge der Cassen¬ 
ärzte, auf die ärztlichen Instructionen, Schaffung von Schieds¬ 
gerichten, in welchen die Kammer ihren Vertreter hat. 

Weiter wird gefordert: Beitrag der Cassen zur Altersversiche¬ 
rung der Aerzte, Einbeziehen von bisher nicht versicherten Schichten 
unter einer gewissen Einkommengrenze, Einführung einer Alters¬ 
und Invaliditätsversicherung für Arbeiter. Eine Vereinigung aller 
Versicherungszweige und Centralisirung der Cassen nach Ländern 
mit einem Reichsversicherungsamt wird von vielen Aerzten, die 
die Frage studirt haben, aber auch von einigen großen Cassen 
gefordert. 

Der Kampf, den die Aerzte Oesterreichs um ihre Existenz 
zu führen haben, ist ein äußerst heftiger, und haben sie es mit 
einem wenig rücksichtsvollen Gegner zu thun. Der Kampf bat bisher 
zu einigen Erfolgen geführt, die ohne energisches Auftreten nicht 
zu erreichen gewesen wären. Der Kampf kommt aber auch indirect 

’) Bekanntlich wurde für die vers ich er u n gs p fl ich ti g en Mit¬ 
glieder dieser Casse inzwischen der Ausweg ihres Beitrittes zum Verbände der 
Genossenschafts-Krankencassen gefunden. — Red. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 36. 


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der ganzen Bevölkerung zugute. Die desolaten wirthschaftlichen 
Verhältnisse der Aerzte haben dazu geführt, daß für die allernächste 
Zeit ein bedenklicher Aerzteraangel droht. Schon heute deckt der 
Zufluß nicht mehr den Abgang. Die Zahl der Mediciner an allen 
7 Facultäten Oesterreichs ist von 5275 im Jahre 1891 auf 2555 
im Jahre 1901 gesunken und bald wird die Bevölkerung diesen 
Segen des Krankenversicherungsgesetzes za spüren haben. Wahr¬ 
scheinlich hat diese Thatsache auch auf die Regierung Eindruck 
gemacht. Bis aber der Aerztestand mit Ruhe in die Zukunft wird 
blicken können, wird noch mancher Kampf ausgefochten werden 
müssen. Jetzt macht sieh immer mehr und mehr die Thatsache be¬ 
merkbar, daß die Aerzte nach den vielen Opfern, die sie dem 
Gesammtwohl gebracht haben, nicht länger gesonnen sind, die 
Humanität anderer mit ihrem eigenen Ruin zu bezahlen. Es kommt 
den Aerzten aber auch immer mehr zum Bewußtsein, daß ihnen 
nur eines helfen kann: 

Hebung des Standesbewußtsoins und der Soli¬ 
darität der Aerzte. 


Notizen. 

Wien, G. September 1902. 


Budolf Virchow f. 

Unmittelbar vor Schluß des Blattes trifft die er¬ 
schütternde Nachricht vom Tode Virchow’s ein. Am 
gestrigen Tage — 5. September — 2 Uhr nachmittags 
ist er in Berlin verschieden. 

Das angstvoll Erwartete, es hat sich vollzogen. 
Die Naturwissenschaften, an ihrer Spitze die Medicin 
..und ihre Diener, , die Aerzte, sind in tiefe Trauer ver¬ 
senkt. Sie beklagen den Heimgang des großen Forschers, 
des allumfassenden Gelehrten, des geliebten Lehrers 
und des besten Menschen. 

Fiducit! 

Wir werden es versuchen, der Bedeutung des großen 
Todten in unserer nächsten Nummer gerecht zu werden. 


(Wiener Aerztekammer.) In der am 2. d. M. statt¬ 
gehabten Vollversammlung referirte Dr. Stricker namens 
des Krankencassencomites über eine von der n. ö. Statthalterei 
verlangte Aeußerung betreffs einer Eingabe der Krankencasse 
der Wiener Bankbeamten, in welcher die Statthalterei als 
Aufsichtsbehörde ersucht wird, die Beschlüsse der Wiener Aerzte¬ 
kammer vom 21. Januar und 25. Februar 1902 als ungesetzlich 
aufzuheben. Referent führt aus, daß mit dem ersteren Beschlüsse 
es für standeswidrig erklärt wurde, bei der Krankencasse der 
Wiener Bankbeamten irgend eine ärztliche Stelle anzunehmen, in- 
solange die Annahme einer solchen nicht unter von der Kammer 
geprüften nnd gutgeheißenen Bedingungen möglich ist. Mit dem 
zweiten Beschlüsse wurde die Annahme einer solchen Stelle bei 
allen neu zu gründenden Hilfscassen, welche ihren Mitgliedern 
unentgeltliche ärztliche Behandlung beistellen, für standeswidrig 
erklärt. In der vom Referenten beantragten Aeußerung wird die 
in der Eingabe der Casse aufgestellte Behauptung, daß durch diese 
Beschlüsse das Arbeiter-Krankenversicherungsgesetz vom 30. März 
1888 in seiner Wirkung und thatsächlichen Ausführung vereitelt 
wurden, als unrichtig und unbegründet bezeichnet, weil durch die 
Beschlüsse der Kammer den versicherungspflichtigen, 
bezw. von der Versicherungspflicht nicht befreiten Bankbeamten 
die Möglichkeit nicht genommen wurde, ihrer Versicherungspflicht 


wie bisher bei der Bezirkskrankeucasse nachzukommen. Die Grün¬ 
dung der Bankbeamten-Krankencasse sei demnach keine social¬ 
politische Nothwendigkeit gewesen, und durch die Beschlüsse der 
Kammer sollte nur verhindert werden, daß nichtversicherungs¬ 
pflichtige w o h 1 h ab en d e Personen durch Gründung von Krankcn- 
cassen mit unentgeltlicher ärztlicher Behandlung die von den Aerzten 
gegenüber den Bedürftigen jederzeit und bereitwillig geübte Huma¬ 
nität in gröblicher Weise mißbrauchen. Die Aeußerung schließt mit 
dem Ersuchen, die Statthalterei möge die Beschwerde der Kranken¬ 
casse als unbegründet, bezw. ohne Klagelegitimation cingebracht, 
abweisen. Dem Referate wurde einhellig zugestimmt. — Weiters 
berichtete Dr. Stricker namens des Krankencassen-Comites über 
Zuschriften des Vereines der Cassenärzte, in welchen der 
in Nr. 34 der „Wr. Med. Presse“ publicirte Beschluß der Cassen¬ 
ärzte des Verbandes der Genossenschaftskrankencassen anläßlich 
des Abschlusses eines Vertragsverhältnisses zwischen dem Verbände 
und der Krankencasse der Wiener Bankbeamten mit- 
getheit und um Stellungnahme der Kammer zu dieser Angelegen¬ 
heit ersucht wird. Nach längerer und eingehender Borathung wurde 
folgender Antrag des Krankencassen Comites und des Vorstandes 
einstimmig angenommen : „Die Wiener Aerztekammer nimmt die 
Erklärung des Vereines der Cassenärzte Wiens vom 5. August 1902 
mit Befriedigung entgegen und erwartet, daß die Aerzte des Ver¬ 
bandes der Genossenschaftskrankencassen die Interessen des Standes 
gegenüber dem Cassenverbande in entschiedener Weise wahren 
werden.“ — Sodann berichtete Präsident Dr. Heim über die auf 
die Tagesordnung des am 7. und 8. September in Czernowitz statt¬ 
findenden VII. Aerztekammertages gesetzten Anträge und wird er¬ 
mächtigt, bezüglich der Aenderung des Aerztekammergcsctzes 
und des Preßgesetzentwurfes von der Kammer formulirte 
Anträge zu stellen und zu vertreten, auf welche zurückzukommeu 
wir uns Vorbehalten. — Ueber eine von der Genossenschaft der 
Zahntechniker in Niederösterreich an den Präsidenten und au 
die geschäftsführende Kammer gerichtete Zuschrift, betreffend die 
Ber^thWlg der Frage., der, Regelung der Befug^jsse.. der Zahnärzte 
und Zahntechniker am Kammertag wird beschlossen, auf den 
Vorschlag der geschäftsführenden Kammer wegen Veranstaltung 
einer Enquete von Zahnärzten und Zahntechnikern durch die Wiener 
Kammer nicht einzugehen, da die Abhaltung einer solchen Enquete 
ausschließlich Sache der Regierung wäre und die Aerztekammern 
gesetzlich nur die Interessen der Aerzte zu vertreten haben. 

(Zum VII. Aerztekammertage.) Die vom Aerzte- 
kammer-Comit6 an alle Kammern gerichtete Umfrage hat, wie das 
„Oesterr. Aerztekammerblatt“ mittheilt, folgendes Resultat ergeben: 
1. Bezüglich der Erhöhung der Disziplinarstrafen bis zur dauernden 
oder zeitweisen Praxis-Entziehung sprachen sich aus: da¬ 
gegen: die beiden Sectionen der böhmischen Kammern, die Kam¬ 
mern von Ost- und Westgalizien, von Krain, Mähren, Oberöster¬ 
reich, Schlesien; dafür: die Kammern von Istrien, Kärnten, 
Niederösterreich, Salzburg, Steiermark, Deutsch- und Italienisch- 
Tirol, Triest, Vorarlberg, Wien. — 2. Bezüglich der Errichtung 
eines Ehrengerichtshofes neben dem Ehrenrathe: dagegon: 
alle Kammern, welche gegen 1 sich aussprachen und außerdem die 
steiermärkische mit der Bemerkung „vorläufig“; dafür: ebenso 
wie bei 1. und außerdem die oberösterreichische mit der Bemerkung 
„als Berufungsinstanz“. — 3. Bezüglich der Aufuahme einer 

Aerzteordnung in das Gesetz nach dem Entwürfe der Wiener 
Kammer: dafür: die böhmische Section der böhmischen Kammer, 
die schlesische und die Triester (alle drei, jedoch mit Abände- 
rnngen), die Bukowinaer (jedoch mit Trennung vom Kammergesetze), 
die westgalizische, istrianische, Kärntner, Krainer, oberösterreichische, 
Palienisch-tiroliscbc, Vorarlberger und Wiener; bloß die Aufhebung 
des Berufszwanges wünscht die ostgalizische Kammer. Keine 
Aeußerung hierüber gaben ab: die deutsche Section der böhmischen 
Kammer, die mährische, niederösterreichische, Salzburger, steier¬ 
märkische und deutsch-tirolische Kammer. — Ueber keinen Punkt 
hat sich die Kammer von Görz und Gradisca geäußert. 

(Universitätsnachrichten.) Die mit dem Titel und 
Charakter eines ordentlichen Professors bekleideten a. o. Professoren 
Dr. Josef Thomayfr und Dr. Johann Deyl sind zu ordentlichen 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 36. 


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Professoren der speciellen medicinischen Pathologie und Therapie, 
beziehungsweise der Augenheilkunde an der böhmischen Uni¬ 
versität in Prag ernannt worden. — Dem Professor der inneren 
Medicin an der böhmischen Universität in Prag Hofratli Doctor 
Th. Eiselt ist anläßlich seiner Uebernahme in den bleibenden 
Ruhestand die Allerhöchste Anerkennung bekanntgegeben worden. 

— Dr. Brühl hat sich für Ohrenheilkunde, Dr. Müller für 
Pharmakologie an der Berliner Universität, Dr. Pertz für Chi¬ 
rurgie in Frei bürg i. B., Dr. Gnudi für medicinische Pathologie 
in Bologna, Dr. Gaiti für chirurgische Pathologie in Modena, 
Dr. Maliutin für Oto-Rhino-Laryngologie in Moskau habilitirt.— 
Dr. G. E. K bieg kr ist zum ordenllichcn Professor der Chirurgie am 
llarvey Medical College in Chicago ernannt worden. 

(Eine internationale Gesellschaft für Chirurgie.) 
Die belgische Gesellschaft für Chirurgie, deren jährlicher Congreß 
in Brüssel vom 8 .—11. September 1902 gehalten wird, hat die 
hervorragendsten Chirurgen aller Länder eingeladen, an dem Con- 
gresse theilzunehmen, und beantragt , eine internationale Gesell¬ 
schaft für Chirurgie zu gründen. Zur Discussion gelangen folgende 
Gegenstände : 1. Die Behandlung der Appendicitis (Ref. 
Broca, Paris 5 Sonnenburg, Berlin; Roox, Lausanne; Gallet, 
Brüssel). — 2. Die Bell a nd Iu ng der Knochenbrüche der 
Glieder (Ref.: Tuffier, Paris; Rothschild, Frankfurt a. M.; 
Hannecart, Brüssel). — 3. Die operative Asepsis, nämlich 
die Vorbereitung der Hände und des Naht- und Ligatur-Materials 
(Ref.: Walravens, Brüssel). 

(VerurtheilungeincsArztes wegen fahrlässiger 
Körperverletzung.) Ein Stettiner Arzt hatte, wie die „Allg. 
med. Central Ztg.“ berichtet, einem Bierfahrer 1 Grm. Cocain ver¬ 
schrieben, das der Patient in der Apotheke holen und zu der 
nächsten Consultation mitbringen sollte. Das Mittel sollte dann vom 
Arzt aufgelöst und zu schmerzstillenden Einspritzungen verwendet 
werden. Der Patient nahm das Cocain aber am Abend vorher mit 
einemmale ein. Die Wirkung blieb nicht aus; es stellton sich 
Beklemmungen und heftiger Durst ein, dann folgte ein kleiner 
Tobsuchteanfall und schließlich stürzte der Kranke, nur nothdtfrftig 
bekleidet, zur Wohnung des Aretes. Da dieser aber keine Nacht- 
glocko hatte, wurde der Mann durch Vermittelung der Sanitäts¬ 
wache nach dem KrankeDhause gebracht, wo er nach Anwendung 
der Magenpumpe bald wiederhergestellt war. Gegen den Arzt 
wurde die Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung erhoben. In 
der. Verhandlung behauptete der Arzt, er habe dem Kranken ein¬ 
geschärft, das Mittel mitzubringen, dieser bekundete dagegen eidlich, 
es sei von einem Mittel zum Einnehmen die Rede gewesen. Der 
Gerichtshof kam zu der Ansicht, daß der Arzt nicht alle Sorgfalt 
zur Verhütung etwaigen Unheils angewendet habe, und verurtheilte 
ihn zu 100 Mark Geldstrafe. 

(Ein Opfer des Anti-Alkoholismus.) Die „Allgem. 
med. Central-Ztg.“ entnimmt der „Köuigsb. Ztg.“ folgende Historie: 
Der Oberstabsarzt Dr. Matthaei, der in Danzig die Abstinenzbewegung 
in Fluß gebracht hat und seit Jahren in Wort und Schrift den 
Alkoliolismus bekämpft, hat sich bemtissigt gesehen, seinen Abschied 
zu nehmen, um sich seinen gemeinnützigen Bestrebungen hinfort 
ungestört widmen zu können. Man hält die Agitation gegen den 
Alkoholismus mit der Stellung eines activen Sanitätsofficiers offenbar 
nicht für vereinbar, deshalb wurde Dr. Matthaei letzthin mehrfach 
airf^die Bestimmung hingewiesen, wonach Angehörige des Militär¬ 
standes zur Veröffentlichung von Druckschriften der Erlaubniß der 
Vorgesetzten Behörde bedürfen. Ferner wurde ihm verboten, in 
Vereinen Vorträge zu halten. — Wir geben, die Verantwortung 
unserer Quelle überlassend, diese Mittheilungen mit allem Vorbehalt 
wieder. Eine amtliche Aufklärung wäre jedenfalls wünschenswerth. 

(Eine seltene V e r g i ft un gs a r t.) In „Loire raöd.“ be¬ 
richtet Dr. Travertieii über folgenden Fall : Vier Personen wurden 
unmittelbar nach Weingenuß von Erbrechen und heftigen Leib¬ 
schmerzen befallen. Erst eres währte mehrere Tage, um plötzlich 
zu sistiren. Erhebungen ergaben, daß das Fäßchen, aus welchem 
der Wein stammte, vier Monate vorher mit einer Kupferpipe ver¬ 
sehen worden war, die früher an einem Gefäße befestigt gewesen, 
das eine arsenhälligc Lösung enthalten hatte. 


(Statistik.) Vom 24. bis inclusive 30. August 1902 wurden in den 
Ci vilspitälern Wiens 6118 Personen behandelt. Hievon wurden 1403 
entlassen; 154 sind gestorben (9'9% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 40, egypt. 
Augenentzündung 1, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 13, Dysen¬ 
terie —, Blattern —, Varicellen 10, Scharlach 30, Masern 42, Keuchhusten 43, 
Rothlauf 30, Wochenbettfieber 3, Rötheln 3, Mumps 2, Influenza —, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —, 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 511 Personen gestorben 
(— 42 gegen die Vorwoche). 


INHALT: Rudolf VincHOwf. 13. October 1821 — 5. September 1902.— 
Originalien und klinische Vorlesungen. Beobachtungen über den Einfluß 
von Alboferin auf Blutdruck und Nervenerregbarkeit bei Nervenkranken. Von 
Dr. Zanietowski in Swoszowice. — Theoretisches über das Wesen und die Be¬ 
handlung des Fiebers. Von Prof. Dr. Abthub Biedl. — Referate. K. Fabeb 
(Kopenhagen): Ueber Darmdyspepsie. — Spbingeb (Prag): Ein neuer Deck¬ 
verband. — G. J. Winter (Sortavala): Beiträge zur operativen Behandlung der 
Epilepsie. — E. Sobotta (Berlin): Vergleiche über die Wirksamkeit ver¬ 
schiedener Bandwurmmittel. — Aus dem pathologischen Institut der Universität 
Leipzig (Prof. Marchand). Hans Nösske : Untersuchungen über die als Parasiten 
gedeuteten Zelleinschlüsse im Carcinom. — Jonas (Liegnitz): Die Wichtigkeit 
der Nascnanomaliea für die innere Medicin; ihre sociale und forensische Be¬ 
deutung. — K. Glaessner (Berlin): Zur topischen Diagnostik der Magenge¬ 
schwülste. — Riechelmann (Berlin): Eine Krebsstatistik vom pathologisch¬ 
anatomischen Standpunkte. — Eiselt (Prag): Tod nach Cortex rad. punicae 
granat. — Kleine Mittheilungen. Kaltwasserbehandlung des febrilen Deliriam 
tremens. — Hämolpräparate. — Behandlung des Schnupfens. — Chinolin- 
wismuthrhodanat Edinger (Crurin purum pro injectione). — Abklemmung der 
Karotiden. — Literarische Anzeigen, Lehrbuch der Heilgymnastik. In Vor¬ 
lesungen von Dr. Max Herz, Privatdocent an der Universität in Wien. — 
Feuilleton. Das Verhältniß der Aerzte in Oesterreich zu den Krankencassen. 
Von Dr. Max Ellmann in Wien. — Notizen. Rudolf Vibchow +. — Neue 
Literatur. — Eingesendet. — Offene (Korrespondenz der Redaction und 
Administration. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 

Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 

Mit dieser Nummer versenden wir einen Prospect der 
ehern. Fabrik Kalle & Co. in Bieberich a. Rh. über „Bismutose“, 
ein hervorragendes Darmadstringens und Protectivum. Wir* 
empfehlen denselben der geneigten Beachtung unsrer Leser. * 

Die Rubrik: „Erledigungen , ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 


Herr Dr. Wilhelm Bloch , Bezirks-Krankencassen-Arzt zu 
Graslitz, schreibt den 22. October 1899: 

„Ihr von mir allen anderen Präparaten vorgezogenes Kinder¬ 
mehl habe ich während meiner 14monatlichen Praxis im Carolinen- 
Kinderspital in Wien kennen und schätzen gelernt, es oft in der 
Spitals- und Privatpraxis in Wien sowohl, als auch in der Provinz 
empfohlen und gute Erfolge erzielt. Ich wende es selbst auch bei 
meinem nun 5 Monate alten Kinde an und bin damit sehr zufrieden.“ 
Waare zu Versuchszwecken steht den Herren Aerzten gratis 
franco zur Verfügung. 

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RUDOLF VIRCHOW f 


XLIII. Jahrgang. 


Wien, den 14. September 1902. 


Nr. 37. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart-Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik', letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse" 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutsohmeisterplatz 2. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
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mit 50 Pf. = 60 A berecTinet. Man abonnirt im Auslande bei 
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der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien, I., Maximilianstr. 4. 


Medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Redaction: Telephon Xr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

-.eje-- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 
Administration: Telephon Xr. 9104. 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse“ gestattet. 


In der Einleitung seines auf dem XII. internationalen 
medicinischen Congresse zu Moskau 1897 gehaltenen Vortrages 
über „die Continuität des Lebens als Grundlage der modernen 
biologischen Anschauung“ wirft Virchow die Frage auf, 
welche Veränderungen das kommende Jahrhundert bringen 
würde. Soweit es sich um die höchsten Probleme, um das 
Verhältniß des Menschen zu der Welt, des Menschen zu 
seinen Umgebungen, um sein eigentliches Wesen handle, sei 
die Medicin, als eine der vernehmlichsten Wissenschaften 
vom Menschen, vor Allem zu einer 
klaren Antwort verpflichtet, und er stellt 
sich die Frage, ob das gegenwärtige 
Jahrhundert dem kommenden so vor¬ 
gearbeitet habe, daß „unsere Nachfolger 
auf einem sicheren Boden stehen werden, 
wenn sie unseren Schritten folgen“. 

Seine Antwort lautet: „Ja, wir haben 
diesen sicheren Boden gewonnen. Für 
uns Alte ist es kein Gegenstand der 
Sorge, was unsere Nachfolger auf diesem 
Boden erreichen werden. Unser persön¬ 
liches Interesse beschränkt sich darauf, 
zu wissen, daß wir die hauptsächlichsten 
Hindernisse beseitigt haben, welche das 
wissenschaftliche Denken und Handeln 
bedrohten.“ 

Diese Antwort durfte Virchow 
geben; er hatte wie kein Anderer vor¬ 
gebaut und Hindernisse aus dem Wege 
geräumt, die der Entwickelung der 
Medicin entgegenstanden; der ungeahnte 
Fortschritt, den die Medicin in der 
zweiten Hälfte des vorigen Jahrhundertes 

gemacht , ist zum großen Theile auf das Wirken Vjrchow’s 
zurückzuführen. 

Dem modernen Arzte, dem das pathologisch-anatomische 
Denken selbstverständlich erscheint, der die medicinischen 
Studien bereits auf der Grundlage der pathologischen Ana¬ 
tomie und allgemeinen Pathologie betrieb, fällt es schwer, 
das Wirken Virchow ’s in seiner ganzen Bedeutung zu er¬ 
messen. Er muß es versuchen, sich in jene Zeit zurückzu¬ 
versetzen, da die Lehre von der Urzeugung noch allgemeine 


Geltung hatte, da man die Zellen aus Blastemen hervorgehen, 
pathologische Gewebe durch Exsudation plastischer Stoffe 
entstehen ließ und die schwierigsten Probleme auf dem Wege 
der Specnlation zu lösen versuchte. Erst als sich die Er- 
kenntniß durchrang, daß die pathologische Anatomie die 
Grundlage der Medicin sein müsse, und daß nur sie klare 
Vorstellungen von dem Wesen der einzelnen Krankheitsbilder 
verschaffen könne, wurde die Medicin eine Naturwissenschaft 
im wahren Sinne des Wortes. 

Durch mehrere hervorragende Män¬ 
ner im 18. und im Beginne des 19. Jahr¬ 
hundertes war der Boden vorbereitet 
worden, auf welchem zunächst Roki¬ 
tansky das großartige Gebäude der 
pathologischen Anatomie aufführte; mit 
Recht wurde Rokitansky von Wunder¬ 
lich als der Schöpfer der anatomischen 
Pathologie, von Virchow als der erste 
wahre descriptive pathologische Anatom 
bezeichnet. 

Virchow selbst hatte sich bereits in 
jungen Jahren, im Alter von 23 Jahren, 
der pathologischen Anatomie zuge¬ 
wendet und durch rastlose Arbeit das von 
Rokitansky begonnene Gebäude in herr¬ 
lichster We'se ausgebaut. Rokitansky’s 
und Virchow’s Verdienst war es, daß 
die pathologische Anatomie thatsächlich 
das Fundament der Medicin geworden. 

Schon frühzeitig, 1846, vertrat 
_ Virchow den Gedanken, daß „die patho¬ 
logische Anatomie eine selbständige 
Wissenschaft sein müsse, welche, um 
ihre Bedeutung als Grundlage der praktischen Medicin zu 
erhalten, von dem Todten zu dem Lebendigen zurückkehren 
und sich zur pathologischen Physiologie gestalten müsse“. 
Dieses Ziel zu erreichen, war Virchow’s Lebensaufgabe, die 
er in langen Jahren unermüdlicher und überaus fruchtbarer 
Arbeit zu erfüllen suchte und auch erfüllt hat. Der patho¬ 
logischen Anatomie und allgemeinen Pathologie jene hohe 
Stellung auf dem Gebiete der medicinischen Wissenschaften 
zu sichern, war sein Streben, das er noch .hn " Vorjahre auf 

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1643 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 37. 


der 4. Tagung der von ihm begründeten „Deutschen patho¬ 
logischen Gesellschaft“ in Hamburg mit den Worten kenn¬ 
zeichnete: „Was die Stellung der Pathologie inmitten der 
Gesammtmedicin anlangt, so müssen wir uns noch nachdrück¬ 
licher als bisher bemühen, die Auffassung, daß die patho¬ 
logische Anatomie eine biologische Disciplin sei, zur Geltung 
zu bringen. Die Grenzen zwischen ihr und den eigentlichen 
Naturwissenschaften müssen schwinden. Denn es gibt keine 
Errungenschaft der pathologischen Anatomie, die sich nicht 
unter biologische Gesichtspunkte bringen ließe. Umgekehrt 
sind die auf ihrem Wege gewonnenen Erfahrungen für die 
gesammte Biologie von großer Wichtigkeit. Erst durch die 
Kenntniß der Pathologie wird sich letztere nach vielen Seiten 
hin die richtige Einsicht verschaffen.“ 

Daß die pathologische Anatomie thatsächlich dieses hohe 
Ziel erreichte, hat Virchow durch seine Arbeiten bewirkt, 
vor Allem durch sein Hauptwerk, die im Jahre 1858 erschienene 
Cellularpathologie. 

Vor dem Erscheinen dieses Werkes hatten noch die von 
Schleiden und Schwann aufgestellte Blastemtheorie und die 
Krasenlehre Rokitansky’s allgemeine Geltung. 

Harvky hatte den Satz ausgesprochen „omne vivum ex 
ovo“, womit gesagt sein sollte, daß im Ei alle Bildungsstoffe 
vorhanden wären. Damit war die Lehre von den Blastemen 
oder plastischen Stoffen gegeben, die Organisation erschien 
als die Umordnung der in den Blastemen enthaltenen Stoffe. 
Auf dem Grunde dieser Lehre war auch Schwann’s Zelltheorie 
aufgebaut, der die Organisation als organische Krystalli- 
sation auffaßt. Der Lehre von der Generatio spontanea oder 
aequivoca war hiedurch eine neue Stütze erwachsen. 

Diese Annahme wurde von Virchow gestürzt. Durch 
mühevolle Forschungen und mikroskopische Untersuchungen 
gelangte er endlich zu der Vorstellung, daß die Vita communis, 
das Gesamrotleben des ganzen Körpers, nur die Summe der 
Einzelleben seiner Theile darstellt und daß die die einzelnen 
Organe zusammensetzenden Elemente der eigentliche Sitz des 
Eigenlebens sind. Er erkannte, daß die Zellen sich nicht, wie 
es die ScHWANN’sche Lehre erforderte, aus den Blastemen ent¬ 
wickeln, also keine organische Krystallisation seien, sondern 
daß jede Zelle eine Vorgängerin, eine Mutterzelle, haben 
müsse. Er stellte daher schon 1855 dem früher erwähnten 
Satze Harvey’s (omne vivum ex ovo) den Satz gegenüber 
„omnis cellula e cellula“, den er 1858 in dem schon genannten 
Werke „Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf 
physiologische und pathologische Gewebelehre“ (Vorlesungen 
über Pathologie, I. Bd.) eingehend begründete. 

Die neue Lehre erfreute sich nicht sofort allgemeiner 
Anerkennung, sie wurde vielmehr im Laufe der Jahre 
von verschiedenen Seiten angegriffen und bestritten. Diese 
Kämpfe sind wohl zum Theil noch in frischer Erinnerung, es 
wäre überflüssig, neuerdings auf sie einzugehen. Wir wollen 
nur erwähnen, daß — soweit es sich um die Lehre von 
der Entzündung handelte — vor allem Cohnheim gegen die 
Lehre Virchow’s, daß nämlich die Eiterzellen von den Gewebs¬ 
zellen abstammen, auftrat. Auf Seite Virchow’s stand damals 
Stricker. „Auf der Naturforscherversammlung, die 1869 zu Inns¬ 
bruck abgehalten wurde, bin ich für die Lehren Virchow’s 

mit neuen Argumenten eingetreten.Ich trat damals 

nicht als Gegner der Lehre Cohnheim’s von der Auswanderung, 
aber als ein Gegner der destructiven Behauptungen Cohnheim's 
in Bezug auf die Lehren Virchow’s auf.“ Nur in einem 
Punkte wich Stricker von Virchow ab, indem er behauptete, 
die Eiterzellen gingen nicht nur aus den Zellen des Gewebes, 
sondern auch aus der Zwischensubstanz hervor. Stricker war 
aber dabei niemals ein Gegner Virchow’s, im Gegentheil, er 
verehrte und schätzte ihn hoch. „Dem großen Gedankengang 
der ViRCHOw’sehen Lehre,“ sagte er in seinen Vorlesungen, 
„widersprach ich nicht, ich behauptete nur, daß die Eiter¬ 
zellen nicht nur aus dem hervorgehen, was wir bis jetzt 


Zellen nennen, sondern auch aus dem, was zwischen ihnen 
liegt. Aber dieses selbst, die Zwischensubstanz, ist aus den 
Zellen hervorgegangen, auch die Zwischensubstanz wird von 
Zellen gebildet, nur befinden sich dieselben in einer anderen 
Lebensphase.“ 

Heute können wir wohl feststellen, daß keiner der An¬ 
griffe , die gegen die ViRCHOw’sche Lehre gerichtet wurden, 
dieselbe zu erschüttern vermochte. 

Als in allerjüngster Zeit zahlreiche Substanzen im mensch¬ 
lichen und thierischen Blutserum von mannigfacher, biologisch 
höchst bedeutsamer Wirksamkeit bekannt wurden und die¬ 
selben auch praktisch große Wichtigkeit erlangten (wie die 
Antitoxine in der Serotherapie, die Agglutinine und Praecipitine 
in der Serodiagnostik), glaubten einzelne Forscher, diese That- 
sachen nur im Sinne der Humoralpathologie erklären zu 
können. Aber auch hier kam immer mehr und mehr die Er- 
kenntniß zur Geltung, daß diese Substanzen Zeilderivate seien, 
eine Auffassung, die am deutlichsten in Ehrlich’s Seiten¬ 
kettentheorie zum Ausdruck kommt. Virchow selbst nahm 
bereits Stellung dagegen , „daß man daraus (i. e. aus dem 
Auftreten dieser Substanzen im Serum) etwas eilige Schlüsse 
auf die Bedeutung, ja auf die Wiedererneuerung der humoral¬ 
pathologischen Doctrin gezogen hat.“ — Die Cellularpathologie, 
jenes „wunderbare, blendende Bild der ganzen Pathologie“ 
(Klebs) , hat thatsächlich die Blastemtheorie und Humoral¬ 
pathologie gestürzt; befriedigt konnte Virchow an seinem 
Lebensabende sagen: „Dieser Satz (omnis cellula e cellula), 
der auch auf das Ovulum zutrifft, ist durch harte Arbeit im 
Laufe des gegenwärtigen Jahrhunderts gewonnen worden und 
er hat schon jetzt über alles Erwarten reiche Frucht getragen.“ 

Die schönste Frucht dieser Lehre hat allerdings Virchow 
selbst in seinem 1863 erschienenen, leider unvollendet ge¬ 
bliebenen Werke „Die krankhaften Geschwülste^ -(-Vorlesungen* 
über Pathologie, 2., 3. u. 4. Bd. Onkologie) gepflückt, das 
bahnbrechend für die Auffassung der Tumoren war. In Aus¬ 
führung seiner Zelltheorie stürzte er die bis dabin herr¬ 
schende Lehre von der Abstammung der Tumorelemente aus 
einem vom Blut gelieferten Exsudat (durch eine Art Urzeu¬ 
gung) und wies die Unrichtigkeit der Lehre von einer Epi¬ 
genesis aus Rohblastemen nach. „Ich selbst,“ sagte er später, 
„habe Jahre meines Lebens dazu verwendet, die einzelnen 
Arten der Neoplasmen genetisch zu studiren und namentlich 
ihre Anfänge klarzulegen. Nicht ein einziges Neoplasma 
ist übrig geblieben, welches durch eine Generatio spontanea 
aus irgend welchen nicht organisirten Stoffen abgeleitet werden 
könnte. Ja, es hat sich sogar gezeigt, daß kein einziges Neo¬ 
plasma Zellen enthält, welche nur ihm eigenthümlich, im 
strengeren Sinne specifisch sind, daß also auch kein Neo¬ 
plasma sui generis existirt. Ich betrachte es als einen bleibenden 
Gewinn meiner Arbeiten, daß wir jetzt wissen, daß jede auch 
noch so abweichend erscheinende Bildung in ihren Elementen, 
in ihren histologischen Bestandtheilen die Reproduction 
normaler, typischer Elemente und Gewebsbestandtheile ist.“ 

Ebenso werthvoll erwies sich die Cellularpathologie auch 
auf vielen anderen Gebieten der pathologischen Anatomie, die 
Virchow im Laufe der Jahre bearbeitete. Es ist thatsächlich 
unmöglich , auf die große Zahl seiner Arbeiten einzugehen, 
gibt doch, wie Schwalbe in der Vorrede der von ihm heraus¬ 
gegebenen Bibliographie Virchow’s mit Recht bemerkt, die¬ 
selbe zugleich einen Abriß der Geschichte der Medicin und 
Anthropologie in den letzten 60 Jahren. Es sei hier nur auf 
seine grundlegenden Arbeiten über Leukämie, Phlebitis, 
Thrombose, Embolie, Infectionskrankheiten, Amyloidose und 
viele andere hingewiesen. 

Aber nicht nur die pathologische Anatomie, ganz be¬ 
sonders auch die Anthropologie verdankt Virchow 
mächtige Förderung; zahllose Arbeiten zeugen für seine her¬ 
vorragende Thätigkeit auf diesem Gebiet. Wir erinnern hier 
nur an seine berühmten „Untersuchungen über die Entwicke¬ 
lung des Schädelgrundes in gesundem und krankem Zustande 


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und über den Einfluß derselben auf Schädelform , Gesichts¬ 
bildung und Gehirnbau“, in welchen er die große Bedeutung 
des Os tribasilare für die Entwickelung des Schädels und Ge¬ 
hirnes nachwies und zeigte, wie Störungen in der Entwicke¬ 
lung des Schädelgrundes zu Störungen in der Entwickelung 
des Schädeldaches führen; auf diese Weise suchte er den 
Zusammenhang zwischen Schädelform, Gesichtsbildung und 
Gehirnbau zu ergründen. Sehr bedeutend waren auch seine 
Abhandlungen „Ueber einige Merkmale anderer Menschen¬ 
rassen am Schädel“ und „Ueber die ethnologische Bedeutung 
des Os malare bipartitum“. In gleicher Weise wäre noch eine 
große Anzahl von Arbeiten zu nennen, wir wollen aber hier 
nur noch auf die enorme Zahl von Schädelmessungen und 
Schädelbeschreibungen hinweisen, die von Virchow ausgeführt 
wurden und die ein unschätzbares Material für Forschungen 
auf dem Gebiete der vergleichenden Schädellehre bilden. 

Virchow hat des weiteren auch auf dem Gebiet der 
Hygiene eine hervorragende Thätigkeit entfaltet, ein Ge¬ 
biet, auf das ihn die großen Epidemien des Jahres 1898, 
Cholera und Hungertyphus, hindrängten. Er selbst schreibt 
darüber: „Durch eine Reihe besonderer Umstände wurde ich 
frühzeitig berufen, an der Lösung wichtiger Fragen theilzu- 
nehmen. Bald im amtlichen Aufträge, bald durch den Zufall 
der Ereignisse, bald in freiwilliger Entschließung. Angesichts 
bedeutender Erscheinungen kam ich dahin , eine Reihe ver¬ 
wickelter Probleme zum Gegenstände meiner Studien zu 
machen, welche mit meinen sonstigen Arbeiten manchmal einen 
sehr losen Zusammenhang hatten. Eine ganze Reihe der 
schwersten Epidemien ist unter meinen Augen verlaufen. 
Harte Calamitäten, von denen ganze Bevölkerungen heimge¬ 
sucht wurden, habe ich als officieller Berichterstatter zu er¬ 
forschen gehabt. Krieg, Hunger und Pestilenz wurden der 
Gegenstand meiner Betrachtungen.“ 

Bald gelangte er dazu, eine vollständige Reform des 
Medicinalwesens und Einberufung eines Congresses von Sach¬ 
verständigen zu diesem Behufe zu fordern; er beantragte die 
Gründung eines deutschen Reichsministeriums für öffentliche 
Gesundheitspflege und Schaffung einer einheitlichen Medicinal- 
gesetzgebung für ganz Deutschland. Virchow war unermüdlich 
thätig für die Hebung des Volkswohles und Besserung der 
hygienischen Verhältnisse; zahlreiche Arbeiten legen für sein 
erfolgreiches Wirken in dieser Richtung Zeugniß ab. Von 
besonderer Bedeutung waren seine Bemühungen um die 
Schaffung einer zweckentsprechenden Canalisation für Berlin 
und um die Städtereinigung überhaupt; speciell mit der Frage 
der Canalisationen befaßte er sich sehr eingehend. Ebenso 
sehen wir ihn auf dem Gebiete der Schulhygiene thätig; er 
befaßte sich mit der Frage einer zweckmäßigen Ventilation 
und Heizung der Schulzimmer und regte damals bereits die 
Bestellung von Schulärzten an. In hervorragender Weise be¬ 
schäftigte sich Virchow mit der Seuchenlehre; es darf ferner 
nicht unerwähnt bleiben, daß er auch an der Ausbildung des 
Militärsanitätswesens regen Antheil nahm: 

Neben dieser überaus umfangreichen und umfassenden 
literarischen Thätigkeit widmete sich Virchow auch der Heraus¬ 
gabe groß angelegter wissenschaftlicher Unternehmungen. 
So sei in erster Linie sein: „Archiv für pathologische Ana¬ 
tomie und Physiologie und für klinische Medicin“ genannt, 
dessen erster Band im Jahre 1847 erschien. Feiner sind hier 
anzuführen die Verhandlungen der physikalisch-medicinischen 
Gesellschaft in Würzburg (1850—1862), der Jahresbericht 
über die Leistungen und Fortschritte in der gesammten Medicin 
(seit 1851) und das Handbuch der speciellen Pathologie und 
Therapie (1854—1876). 

Die vorliegende Skizze mußte nothgedrungen lückenhaft 
bleiben, da es unmöglich ist, das gesammte Wirken Virchow’s 
in wenigen Blättern erschöpfend zu schildern. Aber auch diese 
kurze Uebersicht läßt die Schwere des Verlustes ermessen, 
den die Wissenschaft und die ganze Menschheit durch den 


Tod Virchow’s erlitten. Ein Trost ist uns geblieben. „Die 
wissenschaftlichen Entdeckungen großer Männer“ — sagt 
Thomas Henry Bukle — „verlassen uns nie; sie sind unsterblich.“ 

Dr. Carl Sternberg (Wien). 

* * 

* 

Rudolf Virchow wurde am 13. October 1821 zu Schievel- 
bein in Pommern geboren, absolvirte seine medicinischen Studien 
am Berliner Friedrich-Wilhelms-Institut in den Jahren 1839—1843 
und promovirte 1843 mit der Inauguraldissertation „De rheumate 
praesertim corneae“. 1844 zum Assistenten der Charitä-Proseetur, 
die unter Robert Froriep’s Leitung stand, ernannt, wurde Virchow 
1846, also erst 25 Jahre alt, dessen Nachfolger. 1847 habilitirte 
er sich an der Berliner Universität für pathologische Anatomie und 
gründete mit Benno Reinhardt sein nachher so hervorragendes 
„Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und für kli¬ 
nische Medicin“, von welchem am 4. August d. J. das 2. Heft des 
169. Bandes ausgegeben worden ist. 

Im Jahre 1848 erhielt Virchow seitens des preußischen Cultus- 
ministeriums den Auftrag, die in Oberschlesien ausgebrochene 
Hungertyphus-Epidemie zu studiren. Die „Mittheilungen über die in 
Oberschlesien herrschende Typhusepidemie“ (Berlin 1848), welche er 
nach seiner Rückkehr schrieb, enthielten statt der üblichen humanitären 
hygienischen Phrasen neben tüchtigen Studien über Land und Leute 
eine freimüthige Darlegung der Unterlassungssünden der Regierung 
und Vorschläge zu eingreifenden social-politischen Reformen. Anfangs 
Juni 1848 gab er mit Lf.ubuscher ein med.-polit. Blatt: „Medi¬ 
cinische Reform“ heraus, welches u. a. die Errichtung eines 
Deutschen Reichsministeriums für öffentl. Gesundheitspflege, Auf¬ 
hebung des Friedrich-Wilhelms Institutes forderte, aber schon Ende 
Juli 1849 der Reaction weichen mußte. Die Stelle eines Ab¬ 
geordneten, wozu ihn 1848 ein preuß. Wahlkreis berufen, mußte 
er ablehnen, weil er das gesetzmäßige Alter noch nicht erreicht 
hatte. Als sich nun der durch seine Reformvorschläge der reactionären 
Regierung mißliebig Gewordene 1849 an den Februarwahlen be¬ 
theilige, wurde er seiner Prosectur enthoben, und selbst als er auf 
Fürbitte seiner Verehrer im Amte belassen wurde, geschah es nur 
mit dem Vorbehalte der Widerruflichkeit seiner Begnadigung. Unter 
solchen Umständen nahm Virchow die zuerst durch Scanzoni ange¬ 
regte Berufung nach Würzburg als ord. Professor der pathol. 
Anatomie an; doch kehrte er 1856 als ord. Professor der pathol. 
Anatomie, der allgem. Pathologie und Therapie und Director des 
neu errichteten pathol. Instituts nach Berlin zurück. In Würzburg 
betheiligte sich Virchow an der Redaction der „Verhandlungen der 
physik.-med. Gesellschaft in Würzburg“, studirte 1852 , im Auf¬ 
träge der bayerischen Regierung, die Hungersnoth im Spessart 
und übernahm in demselben Jahre auf Ersuchen Eisenmann’s mit 
diesem und Scherer die Redaction der CANSTATT’schen Jahres¬ 
berichte über die Fortschritte der gesammten Medicin in allen 
Ländern, die er seit 1867 unter dem Titel: „Jahresbericht über 
die Leistungen und Fortschritte in der gesammten Medicin“ mit 
Aug. Hirsch herausgab; außerdem redigirte er das „Handbuch der 
speciellen Pathologie und Therapie“ (3 Bde., Erlangen 1854 —1862) 
und gab seit 1866 mit Franz v. IIoltzendorff die „Sammlung 
gemeinverständlicher wissenschaftl. Vorträge“ heraus. 1859 ging er, 
von der norwegischen Regierung berufen, zum Studium des Aus¬ 
satzes nacli der Westküste von Norwegen. Seit 1861 Mitglied des 
Berliner Stadtverordneten-Collegiums, wurde Virchow 1862 in das 
preußische Abgeordnetenhaus gewählt, war einer der Gründer und 
Führer der Fortschrittspartei und seit 1880 auch Mitglied des 
Deutschen Reichstages. Als Vorstandsmitglied des „Berliner Hilfs¬ 
vereins für die Armee im Felde“ 1866 und 1870/1871 organisirte 
er mit nicht geringen persönlichen Anstrengungen die ersten 
preußischen Sanitätszüge und wirkte beim Bau des Barackenlazareths 
auf dem Tempelhofer Felde bei Berlin mit. Auch auf den Bau des 
neuen städt. Krankenhauses im Friedrichshain, der städt. Irren¬ 
anstalt zu Dalldorf bei Berlin, des städt. Barackenlazareths in 
Moabit bei Berlin, auf die Canalisation Berlins, auf die neue Gesetz¬ 
gebung über Thierseuchen, über Fischerei übte er hervorragenden 


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Einfluß. Er schrieb n. A. den „Generalbericht über die Arbeiten der 
städt. Deputation zur Reinigung und Entwässerung Berlins“ (1873).. 
Er war seit 1870 einer der Mitgründer und mehrfach Präsident 
der Deutschen und Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethno¬ 
logie und Urgeschichte. 1879 machte er eine Reise in die Troas, 
deren Ergebnisse er als „Beiträge zur Landeskunde in Troas“ 
(1879) und „Alttrojanische Gräber und Schädel“ (1882) publicirte. 
Frucht einer Reise nach Spanien und Portugal im Herbste 1880 
ist der Artikel im 84. Bde. seines Archivs : „Der Aussatz auf der 
iberischen Halbinsel“, einer Reise nach England der Aufsatz im 
96. Bde. desselben: „Die Craigentinny Farm bei Edinburg“. 

Die Zahl seiner wissenschaftlichen Arbeiten ist kaum über¬ 
sehbar. Die zu seinem 80. Geburtstage bei Reimer erschienene 
ViHCHOW-Bibliographie, welche die Titel seiner sämmtlichen 
Arbeiten enthält, umfaßt 7 Druckbogen. Er war Mitglied der wissen- 
schaftl. Deputation für das Medicinalwesen im Cultusministerium, der 
techn. Deputation für das Veteriuärwesen im landwirtschaftlichen 
Ministerium, Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften u. s. w., 
seit 1874 auch Geh. Medicinal-Rath. Er schrieb: „Gesammelte Ab¬ 
handlungen zur wissenschaftlichen Medicin“ (Frankfurt a. M. 1856 ; 

2. Ausg. Berlin 1862) — „Untersuchungen über die Entwickelung 
des Schädelgrundes“ (Berlin 1857) — „Die Cellularpathologie in 
ihrer Begründung auf physiol. und pathol. Gewebslehre“ (Ib. 1858; 
4. Aufl. 1871; fast in alle europäischen Sprachen übersetzt; zu¬ 
gleich als 1. Bd. der „Vorlesungen über Pathologie“, deren 2. und 

3. Bd. und 4. Bd., 1. Hälfte „Die (leider nicht vollendeten) krank¬ 
haften Geschwülste“, Ib. 1863 —1867, bilden — „JohannesMueller. 
Eine Gedächtnißrede“ (Ib. 1858) — „Goethe als Naturforscher“ 
(Ib. 1861) — „Vier Reden über Leben und Kranksein“ (Ib. 1862) 
— „Ueber die nationale Entwickelung und Bedeutung der Natur¬ 
wissenschaften“ (Ib. 1865) — Die Erziehung des Weibes für 
seinen Beruf (1865) — „Gedächtnißrede auf Johann Lücas 
Schoenlein (Ib. 1865) — „Lehre von den Trichinen“ (Ib. 1865; 
3. Aufl. 1866) — „Ueber den Hungertyphus“ (1868) — „Ueber 
Gesichtsurnen“ (1870, Vortrag, gehalten in der Gesellschaft für 
Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte) — „Die Siamesischen 
Zwillinge“ (1870, Vortrag in der medicinischen Gesellschaft zu 
Berlin) — „Ueber die Chlorose und die damit zusammenhängenden 
Anomalien im Gefäßapparate, insbesondere über Endocarditis puer- 
peralis“ (vorgetragen in der Sitzung der Berliner geburtshilflichen 
Gesellschaft vom 12. Juni 1870, Berlin 1872) — „Die Aufgabe 
der Naturwissenschaften in dem neuen nationalen Leben Deutsch¬ 
lands“ (1871) — „Ueber einige Merkmale niederer Menschenrassen“ 
(Abhandlung der königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 
1875) — „Sectionstechnik“ (1876; 2. Aufl. 1883) — „Die Freiheit 
der Wissenschaft im modernen Staate“ (1877) — „Beiträge zur 
physischen Anthropologie der Deutschen, mit besonderer Berück¬ 
sichtigung der Friesen“ (Abdruck aus den Abhandlungen der königl. 
Akademie derWissenschaften, 1876; 2. Abdruck 1877) — „Gesammelte 
Abhandlungen aus dem Gebiete der öffentlichen Medicin und der 
Seuchenlehre“ (2 Bde., Berlin 1879) — „Abhandlung über den 
Schädel des jungen Gorilla“ (Monatsbericht der königl. Akademie 
der Wissenschaften, 1880; Sitzungsbericht 1882) — Virchow und 
Guttstadt: „Die Anstalten der Stadt Berlin für öffentliche Ge¬ 
sundheitspflege und für den naturwissenschaftlichen Unterricht“ 
(Berlin 1886). Hiezu kommen 37 Aufsätze in den ersten 7 Bänden 
der „Verhandlungen der physikalisch-medicinischen Gesellschaft in 
Würzburg“ 1850—1856 (zum Theil in den gesammelten Abhandlungen 
für wissenschaftliche Medicin wieder abgedruckt), 210 Aufsätze 
in seinem Archiv für pathol. Anatomie, die drei ersten Abschnitte 
im 1. Bande seines Handbuches der speciellen Pathologie und 
Therapie, die Referate in Canstatt’s Jahresberichten (über die ge- 
sammte pathol. Anatomie in den Jahren 1852, 1853, 1854, über die 
chronischen, namentlich dyskrasischen und endemischen Krankheiten 
in den Jahren 1856—1860 incl.), die Jahresberichte über das 
Leichenhaus der Charitö in den „Charit6-Aunalen“, zahlreiche Artikel 
in medicinischen Fach blättern; ferner die „Berichte an die „Aca- 
d6mie des Sciences“, Vorträge über Pfahlbauten, über Rückenmark, 
Heilkräfte des Organismus, Affen- und Menschenschädel in der von 
ihm mit v. Holtzendorff herausgegebenen Sammlung gemeinver¬ 


ständlicher wissenschaftlicher Vorträge, zahlreiche Reden im 
preußischen Abgeordnetenhause, bei den Versammlungen der 
Deutschen Naturforscher und Anthropologen und in verschiedenen 
wissenschaftlichen oder wohlthätigen Vereinen. 

Aus den in diesen Verötfentlichungen niedergelegten For¬ 
schungsresultaten seien folgende hervorgehoben 1 ): Die Widerlegung 
der RoKiTANSKY’schen Krasenlehre, der CRUVEiLEiER’schen Ansicht 
von der Phlebitis, der CRAiGiE-BENNETT’schen Auffassung der 
Leukämie als eiterige Blutveränderung, die grundlegenden For¬ 
schungen über Leukämie, Thrombose, Embolie und Infection, den 
Nachweis, daß der vermeinte Kern des Knorpelkörperchens eine 
Zelle, die angebliche Zellmembran eine Kapsel sei, daß auch im 
reifen faserigen Bindegewebe Zellen persistiren, daß die Knorpel-, 
Knochen- und Bindegewebskörperchen gleichwerthig seien, daß in 
den pathologischen Geweben keine specifischen Zellen, sondern nur 
physiologische Typen Vorkommen, daß die Producte der Syphilis 
nicht chronologisch, sondern nach ihrer hyperplastischen oder speci¬ 
fischen Natur zu classificiren seien; ferner die morphologisch 
auch heute noch gerechtfertigte Sonderung der Producte des Tu¬ 
berkelvirus in scrophulöse und tuberculöse; die ersten Beobachtungen 
über Contractilität menschlicher Zellen (an den Lymphzellen einer 
Ilydrokeleflüssigkeit, an den Knorpelzellen eines Enchondroms), die 
Entdeckung der Kalkmetastase, der Scheide der Hirngefäße (1851, 
2 Jahre vor Robin), der Jodreaction der Corpora amylacea, der 
amyloiden Degeneration des Knorpels, der Lymphdrüsen, der bisher 
für Alveolarcolloid gehaltenen multilocularen Echinococcusgeschwulst, 
der Pneumonomykosis aspergillina und sarcinica, der interstitiellen 
Encephalitis und Myelitis bei Todt- und Neugeborenen, der trüben 
Schwellung der Magendrüsenepithelien bei acuter Phosphorvergiftung, 
der Entwickelung des einfach chronischen (corrosiven) Magen¬ 
geschwüres, der Bildungsweise des Angioma cavernosum; ferner 
der eine der besten Stützen der Umhüllungstheorie erschütternde 
Beweis, daß die rothen Blutkörperchen erst nachträglich in die 
schon fertige Zelle gelangen, die Abtrennung des Schleimgewebes, 
des Nervenkittes von den übrigen Bindesubstanzen als selbständige 
Gewebskategorien, die erste klare Schilderung der Neubildung (Hetero- 
topie) grauer.Hirnsubstanz, die Umgestaltung und der feinere Aus¬ 
bau der Geschwulstlehre, die genauere Kenntniß der durch vor¬ 
zeitige Nahtverknöcherungen bedingten abnormen Schädelformen, die 
sachgemäße Beschreibung der Entstehung des Malum senile der 
platten Schädelknochen, die Beobachtung der Anomalien des Gefä߬ 
apparates bei Chlorotischen, die Beiträge zur forensischen Unter¬ 
suchung trockener Blutflecken, die Entstehungsgeschichte, die feinere 
Anatomie und die Benennung Haematoma durae matris; der Nach¬ 
weis, daß aus den Muskeltrichinen nicht, wie Leuckart anfangs 
glaubte, Trichocephalus dispar, sondern ein davon verschiedenes 
Thier hervorgehe, daß der Genuß trichinenhaltigen Fleisches direct, 
ohne Dazwischenkunft eines Zwischenwirthes, inficiren könne, daß 
die jungen Trichinen innerhalb der Muskelpriraitivbündel nicht in 
Gefäßen lägen, die Unterscheideung zwischen Ruhr und Darm¬ 
diphtherie, zwischen pathologischem Pithekismus und pithekoidem 
Atavismus, die schärfere Definition des Atavismus überhaupt als 
discontinuirliche Vererbung, die Klärung der Ansichten über Städte¬ 
reinigung, die Bereicherung der Geschwulst- und Mortalitäts-Statistik, 
die genauere Kenntniß der pathologischen Pigmente und ihrer 
Entwickelung, des Icterus, die Ursachen der Uterusflexionen, des 
Knochenwachsthums, der Rachitis, des Cretinismus, die Aufstellung 
der Metaplasie, die frühzeitige Opposition gegen die Uebertreibungen 
der Grundwassertheorie, gegen einige die Cholera betreffende An¬ 
sichten Pettenkofer’s, die Aufklärung über Ursache und Folgen 
der Verkürzung der Schädelbasis, die Entdeckung des häufigeren 
Vorkommens des Stirnfortsatzes am Schläfenbein und der katarrhinen 
Beschaffenheit der Nasenbeine bei niederen Menschenrassen, die 
genauere Beschreibung der Schädel mit doppeltem Wangenbein, der 
Nachweis, daß der Neanderthalschädel nicht die Zeichen einer 
niederen Rasse, sondern vielmehr der Krankheit trage, die von ihm 
veranstaltete ergebnißreiche Zählung der deutschen Schulkinder nach 

*) Wir folgen hier Scheuthauer’s Darstellung im „Biographischen Lexikon 
der hervorragenden Aerzte aller Zeiteu und Völker“ von Gurlt-Hirsch (Wien- 
Leipzig, Urban & Schwarzenberg). 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 37. 


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eiDem die Combinationen von Haut-, Iris- und Haarfarbe arafassenden 
Schema, die Untersuchungen der Pfahlbauten der Mark und Pom¬ 
merns (Julin, am Persanzigsee), die Erklärung der verglasten 
Burgen, der Versuch, die Platyknemie (die seitliche Zusammen¬ 
gedrücktheit des Schienbeins) durch Muskelwirkung zu erklären und 
es so begreiflich zu machen, daß sie nicht nur bei Negritos und 
den Höhlenbewohnern der Steinzeit, sondern auch bei wander¬ 
rüstigen halbcivilisirten Hirten und Nomaden der Troas und Trans- 
kaukasiens vorkommt, die Vermuthung, daß die Germanen schon 
bei der Einwanderung in ihre jetzigen Wohnplätze keine einheit¬ 
liche Rasse mehr gewesen, die Zurückdatirung der ersten Einfuhr 
eisernen Geräthes nach Deutschland vor Christi Geburt, ja in die 
voretrurische Zeit, auf Grundlage von Eisengeräth, das man in auf 
deutschem Boden ausgegrabenen, jenen von Felsina ganz gleichen 
Bronze-Eimern (situlae) gefunden hatte ; die physische Geographie 
(besonders Petrographie und Geotektonik) Kleinasiens, sowie früher 
Oberschlesiens, des Spessart, der Rhön, Unterfrankens; die wesent¬ 
liche Förderung unserer Kenntnisse von der Geschichte des Aus¬ 
satzes, der Hospitäler, der Medicin, besonders der deutschen in der 
ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. In weiteste Kreise drang seine 
Cellularpathologie, die er nicht als System, sondern als allgemeines 
biologisches Princip betrachtet wissen will; sie hat die pathologische 
Forschung auf das letzte Formelement aller lebendigen Erscheinung, 
auf die Zelle, als ihr Ziel hingewiesen und damit ebenso groben 
neuropathologischeu und Exsudat-Theorien, wie das Ziel überfliegen¬ 
den atomistischen Speculationen den Boden entzogen; der Sturz der 
Zellenumhüllungstheorie, Studien über Capillaren- und nervenlose 
Gebiete, die neugewonnenen Erfahrungen über einzellige Thiere und 
Pflanzen, die Kenntniß von der Persistenz der Zellen des faserigen 
Bindegewebes, von der Gleichwerthigkeit der Bindesubstanzzellon, von 
ihrer Theilung mußten der Schöpfung der Cellularpathologie voran¬ 
gehen ; darum hat aber auch weder die Protoplasmentheorie, noch 
die genauere Kenntniß der Bindgewebszellen, noch Karyomitosis, 
noch entzündliche Emigration am Wesen der Cellularpathologie 
etwas verändert, nur einige morsch gewordene Stützen wurden 
durch bessere ersetzt. Rokitansky wurde erst durch die Emigra¬ 
tionslehre unbedingter Anhänger der Cellularpathologie. 

Im Jahre 1893 veröffentlichte Virchow im Aufträge und auf 
Kosten der Regierung eine Darstellung des pathologisch-anatomischen 


Unterrichtes für das Sammelwerk „Die deutschen Universitäten“, 
das von Letit anläßlich der Chicagoer Weltausstellung heraus¬ 
gegeben worden ist. — Von den zahlreichen Publicationen des 
letzten Decenniums seien hervorgehoben: „Die Gründung der Ber¬ 
liner Universität und der Uebergang von dem philosophischen in 
das naturwissenschaftliche Zeitalter“ (Rectoratsrede 1893); „Hundert 
Jahre allgemeine Pathologie“ (Festschrift zum 100jährigen Stiftungs¬ 
fest der Kaiser Wilhelms-Akademie 1895); „IIuxley- Vorlesung über 
die neueren Fortschritte in der Wissenschaft und deren Einfluß 
auf Medicin und Chirurgie“ (London 1898); „Unser Jubelband“ 
(Virchow’s Archiv, 150. Bd.); „Ueber den Werth des pathologischen 
Experiments“. 

Im Jahre 1891 wurde Virchow’s 70. Geburtstag festlich be¬ 
gangen. Eine Festschrift mit Beiträgen der früheren und derzeitigen 
Assistenten des Berliner pathologischen Institutes (Hoppe-Seyler, 
Recklinghausen, Klebs, M. Roth, Ponfick, Liebreich, Salkowski, 
Orth, Jürgens, Grawitz, Israel, Langerhans, Hansemann) so¬ 
wie eine goldene Medaille sind die hervorragendsten Acte dieser 
Feier, die sich 1893 gelegentlich seines 50jährigen Doctor- 
jubiläums und 1901 anläßlich der Feier seines 80. Geburtstages 
wiederholte. Die Ovationen, welche dem greisen Gelehrten an¬ 
läßlich dieses Tages seitens der gesammten wissenschaftlichen 
Welt, sowie der Aerzteschaft Berlins, welcher er stets die größten 
Sympathien entgegenbrachte, bereitet wurden, sind noch in Aller 
Erinnerung. 

Man hat Virchow am 12. October 1901 zum letztenmale in 
der Oeffentlichkeit gesehen. Der Mann, der am Vorabende seines 
80. Geburtstages mit bewunderungswürdiger Ausdauer den Strapazen 
eines vielstündigen Begrüßungsfestes standhielt und unermüdlich die 
endlosen Ansprachen erwiderte, wurde wenige Wochen später auf 
das Krankenlager geworfen. Am 4. Januar 1902 fiel Virchow beim 
Verlassen eines Berliner Straßenbahnwagens — es ist nicht ent¬ 
schieden, ob durch Unfall oder infolge eines apoplectischen Insultes 
— zu Boden und zog sich eine Schenkelhalsfractur zu. Seither 
konnte sich Virchow nicht mehr vollständig erholen. Die Symptome 
der Arteriosklerose traten in den Vordergrund, bald waren nephritiscbe 
Erscheinungen zu constatiren, und am 5. September, 2 Uhr Mittags, 
entschlief der größte deutsche Pathologe. 


Referate. 

Aus der I. tned. Universitätsklinik in Berlin . 

E. v. Leyden und F. Blumenthal : Vorläufige Mittheilungen 
über einige Ergebnisse der Krebsforschung. 

Die Verff. berichten („D. med. Woehenschr.“, 1902, Nr. 36) 
über Versuche, betreffend die Pathologie des Krebses, die Ueber- 
tragbarkeit desselben und eventuelle Aussichten therapeutischer 
Maßnahmen. Die Uebertragung menschlichen Carcinoms auf 
Thiere ist auch ihnen nicht gelungen, wohl aber mehrfach Krebs¬ 
übertragung von einem Hunde zum anderen. Zu therapeutischen 
Versuchen wurden Tumoren krebskranker Hunde exstirpirt, zer¬ 
kleinert und verflüssigt und Kaninchen wochenlang eiugespritzt; 
mit dem Serum dieser Kaninchen wurde nach mikroskopischer 
Feststellung des epithelialen Charakters des Tumors ein kranker 
Hund behandelt, dessen Tumor sich im Verlaufe einiger Wochen 
erweichte und verflüssigte und endlich ganz verschwand. 

Ferner wurde aus dem frisch exstirpirten Carcinomtumor 
eines Hundes durch Zerquetschung und Extraction ein Serum 
bereitet und einem anderen Hunde injicirt, bei welchem der Thierarzt 
unheilbares Carcinom diagnosticirt hatte. Es war je ein pflaumen¬ 
großer Tumor oberhalb des Rectums und in dessen unterem Theile 
palpabel. Nach 2 Monaten Erweichung und Verkleinerung eines 
Theiles der Tumoren; nach 5 Monaten waren die Tumoren bis 
auf einen kleinen Rest geschwunden, dessen mikroskopische Unter¬ 
suchung epitheliales Carcinomgewebe ergab. 


Analoge therapeutische Versuche wurden nunmehr an krebs- 
kranken Menschen vorgenommen. Aus den aseptisch exstirpirten 
und frisch übergebenen menschlichen Tumoren wurde wie oben 
ein Serum bereitet und injicirt. Die Injectionen wurden bei 
inoperablen, ganz hoffnungslosen Pat. vorgenommen, nachdem 
Controlversuche am Thiere ihre Unschädlichkeit erwiesen hatten, 
und gut vertragen, ohne den Verlauf und Ausgang der Fälle zu 
beeinflussen. 

Folgende, von den Verff’. mitgethcilte Fälle seien in extenso 
wiedergegeben. 

I. 69jähr. Frau, welche an Carcinom der Urethra mit Betheiligung der 
Blase litt. Durch die sehr starken Schmerzen beim Urinlassen und fortdauern¬ 
des Drängen war Patientin sehr geschwächt. Puls klein; Herztöne rein, aber 
schwach. Aussehen nicht gerade kachektisch. Die Ernährung stieß auf Wider¬ 
stand. Die Patientin war so schwach, daß sie nur ein paar Stunden aufstehen 
konnte. Kein Oedem. Der Urin enthielt neben Eiterkörperchen sehr zahlreiche 
Carcinomzellen. Der fast apfelgroße barte Tumor lag unterhalb des Blasen¬ 
halses. Von der Außenseite der Urethra nach der rechten Seite griff er auf 
die Lymphdrüsen der rechten Inguinalgegend über. — Die Patieutin vertrug 
die Einspritzungen sehr gut. Im Verlaufe der Injectionen besserte sich der 
Urin. Die carcinomatösen Zellen waren fast verschwunden. Eiterzellen blieben 
übrig. Patientin klagte weniger, ernährte sich besser und hatte ein besseres 
Aussehen. Sie starb plötzlich in einem Anfall von Herzschwäche. Bei der 
Autopsie fanden sich höhnen- bis pflaumengroße Carcinoraknoten in der 
Urethra und Blase. Das Herz war klein und schlaff, fast alle Organe normal. 
Nirgends Metastasen. Auch die Drüsen der rechten Inguinalgegend 
waren weder geschwollen, noch infiltrirt. 

Der II. Fall betraf eine ältere Frau mit Uteruscarcinom, Carcinom der 
Ovarien und starkem Vorfall. Die Injectionen wurden einige Monate lang 
gemacht. Bei der Autopsie fand sich ein Uterus- und Ovarialcarcinom. 
Nirgends aber waren Metastasen nachweisbar. 

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Im III. Falle handelte es sich um eine 42jährige Frau mit nicht 
operablem Carcinom des Uterus. Sie kam in höchst decrepidem Zustande in 
die Charite, konnte vor Schwäche nicht gehen und lag deshalb dauernd zu 
Bett. Sie erhielt zuerst Einspritzungen von Ziegenserum, d. h. von Ziegen, 
welche wochenlang mit Tumorextract vorbehandelt waren. Später bekam sie 
Tumorextract. Unter dieser Behandlung besserte sich der Allgemeinzustand. 
Der Tumor schien stellenweise zu zerfallen. Ein merkliches Fortschreiten des 
Tumors konnte in den 10 Monaten ihres Aufenthalts in der Charite nicht 
constatirt werden. Die Schmerzattacken, welche Verff. zwangen, die Pat. 
daneben mit großen Dosen Morphium zu behandeln , sind geringer geworden, 
obwohl sie zeitweilig noch ziemlich heftig auftreten. Pat. vermochte während 
der Behandlung wiederholt auf Stunden das Bett zu verlassen, fürchtet sich 
aber immer noch vor den Schmerzattacken. Als sie hereinkam, war schon 
von an derer Seite die Prognose quoad vitam den Angehörigen derart gestellt 
worden, daß dieselben täglich den Exitus erwarteten. Alles in allem geht es 
jetzt der Pat. ei lieblich besser als bei ihrem Eintritt. Von einer Heilung 
kann allerdings bisher nicht gesprochen werden. —m. 


Aus der königl. chirurgischen Universitätsklinik 
zu Bonn und St. Johannes-Hospital (Geheimrath 

Schede). 

V. Schmieden: Die Erfolge der Nierenchirurgie. 

Um eine statistische Uebersiclit über die hauptsächlichsten 
Erfolge und Fortschritte unserer Nierenchirurgie zu geben und 
die eigenen Erfahrungen Schede’s aus seinem reichen Material 
darzulegen, unternimmt es Schmieden („Deutsche Zeitschr. f. Chir. u , 
Bd. 62, II. 3/4, pag. 205—312), einen Ueberblick über 1118 Nephrek¬ 
tomien , 700 Nephrotomien , 54 Pyelolithotomien , 34 Nierenresec- 
tionen, 114 Spaltungen paranephritischer Abscesse und 53 Probe¬ 
freilegungen ohne Nierenschnitt, also insgesammt über 2100 Nieren- 
operatioDen, zu geben. Er beklagt dabei, daß so häufig in den 
Publicationen das Schicksal der Operirten nach Jahren außer Acht 
gelassen wird ; insbesondere hinsichtlich der Nierentuberculose wäre 
dies belehrend, weil es eine solche sicher primär gibt. Der Lumbal¬ 
schnitt ist die meist gewählte Operationsmethode und gewinnt 
immer mehr an Boden; sie ist in ihren Enderfolgen gewiß der 
transperitonealen Methode überlegen. Schede hat z. B. unter 
92 Operationen nur 4mal transperitoneal operirt, Israel niemals. 
Die Mortalität des Lumbalschnittes ist von 43 9% i m ersten 
Decennium der Operation, d. i. 1869—1880, auf 17% im Jahr¬ 
zehnt 1890/1900 gesunken; die des Abdominalweges von 55% 
auf 19*4. Bei abdominaler Methode überwiegt der Tod im Collaps, 
an Peritonitis und an Verblutung, während Tod durch Krankheit 
der anderen Niere bei den extraperitoneal ausgeführten Operationen 
überwiegt. Es kann also der Zustand der anderen Nieren per 
abdomen besser erkannt werden; doch steht dieser Vortheil wieder 
zurück, weil Fehlen oder congenitale Atrophie der anderen Niere, 
sowie feinere Structurveränderungen , z. B. Tuberculose, auch per 
abdomen nicht immer erkannt wurde und wird. Schede operirt 
principiell lumbal und orientirt sich über die andere Niere in 
zweifelhaften Fällen meist durch Probefreilegung der gesund 
scheinenden Niere, d. i. ein Eingriff, der, aseptisch ausgeführt, 
ungefährlich ist. Der Lumbalschnitt gewährt vor Allem die Mög¬ 
lichkeit, die Operationswunde ganz , oder theilweiso offen zu lassen 
und jede Eiterretcntion unschädlich zu machen, wie Schede stets 
verfuhr. Die Schnittführung Schede’s ist eine schräge, nur bei 
Nephropexie gerade; ausgedehnten Gebrauch macht er von der 
Resection der 12. Rippe (subperiostal). 

Was die Fistelbildung der Operationswunde anlangt, so kommt 
sie nach Nierenexstirpation sehr selten vor; nur die Tuberculose 
verdirbt die Statistik in diesem Punkt. Nach den conservativen 
Nierenoperationen sind Fisteln weit häufiger. Von den Erkran¬ 
kungen sind hinsichtlich der Fisteln die Sacknieren am ungünstigsten. 

Zur Operation soll man durchaus gesicherte Diagnose nicht 
absolut verlangen. Auffälliger Weise finden sich unter den chirur¬ 
gischen Nierenkranken viel mehr Frauen als Männer. 

Die Nephrektomie erzielt jetzt 17*4% Mortalität bei 
einem alle Altersclassen umfassenden Material (auch 175 Kinder 
bis 15 Jahre); sie ist bei Kindern und Erwachsenen fast gleich, 
was um so bedeutungsvoller ist, als die Kinder meist wegen maligner 
Neubildungen zur Operation kamen. Die Operation ist heute wissen¬ 
schaftlich begründet, hinreichend geprüft und in ihren Gefahren 


und Erfolgen genügend bekannt. Secundär, d. h. nach voraus¬ 
gegangener Nephrotomie, hat Schede 9 mal die Nieren entfernt 
(5 IIydronephro8en, 1 Pyonephrose und 3 Tuberculosen). Unter 
92 Operationen erlebte einer 3 unheilbare Fisteln bei 3 Tuber¬ 
culosen. Das Hauptcontingent der Nephrektomie liefern die malignen 
Tumoren. Recidivfreiheit noch nach 3 Jahren ist nur in 6T% aller 
Fälle constatirt. Im unmittelbaren Anschluß an die Operation war 
Collaps die häufigste Todesursache. Am bösartigsten erwiesen sich 
die weichen Sarkome, nicht die Strumae aberratae suprarenales. 
Bei malignen Tumoren ist Fettkapsel mit Lymphknoten auszu¬ 
räumen unerläßlich. Weitere Indication zur Nierenentfernung ist 
die Tuberculose; ist eine Niere tuberculös, die andere gesund, 
muß unbedingt nephrektomirt werden; Schede hat unter 19, die 
die Operation tiberstanden — 76% der Operirten — 12 Dauer¬ 
heilungen, die 11—5 Jahre zurückliegen. Diese Operirten bedurften 
aufmerksamster Nachbehandlung hinsichtlich der Blase und des 
allgemeinen Ernährungszustandes. Bei der Hydronephrose ergaben 
sich 81*5% Genesung; die secundäre Exstirpation zeitigte dabei 
bessere Ergebnisse als die primäre. Bei Pyonephrose ist die 
Genesungsziffer 76*8°/ 0 ; secundäre Exstirpation ist dabei erst recht 
günstiger. Die von Hydronephrose und Pyonephrose durch Ektomie 
Geheilten pflegen gesund zu bleiben. Mit der Steinniere, deren 
Exstirpation % Genesungen ergab, ist die letzte Hauptindication 
zu Nephrektomie genannt. Seltenere Anzeigen sind Verletzungen, 
Ureterenfisteln, benigner Tumor, cystische Entartung ; Exstirpation 
einer Wanderniere gilt heute als schwerer Kunstfehler, auch Echino¬ 
coccus scheidet aus den Indicationen aus. Einzelfälle (Gumma, 
Aneurysma etc.) übergehe ich im Referat. 

Unter den conservativen Methoden steht die Nephrotomie im 
Vordergrund; vielleicht wird sie thatsächlich häufiger gemacht 
als die Nephrektomie, wenn auch ihre Literatur geringer ist, und 
sie ist jedenfalls ein unentbehrlicher und segensreicher Eingriff. 
700 Fälle ergaben 81*9% Genesung } wobei zu bedenken, daß 
diese Operation zuweilen der Nephrektomie „ihre ärgster! Sorgen¬ 
kinder“ abnehmen muß. Fisteln bleiben oft zurück und können 
secundär Exstirpation erheischen. Indicirt ist Nephrotomie bei 
Pyonephrose, wobei das Resultat mehr von der Nachbehandlung 
als von der Operation abhängt; die Operation überstanden 81*5%, 
dauernd geheilt blieben nur 34*7%. Nephrolithiasis und Pyelo¬ 
nephritis fallen mehr und mehr in das Gebiet der Nephrotomie; 
die Erfolge sind bei Steinniere davon abhängig, ob es gelingt, 
die Niere primär durch Naht zu heilen. Dieses günstige Moment 
fällt natürlich bei Pyelonephritis weg. Von den 211 aus diesen 
Indicationen Nephrotomirten starben nach der Operation 20*4%, 
während 58*3% völlig und ohne Fistel geheilt wurden. 8% ver¬ 
fielen der secundären Nephrektomie. Bei Hydronephrose erzielte 
die Nephrotomie nur 35*2% definitive Heilungen, steht also da 
der Nephrektomie nach. Nephrotomie wegen Tuberculose hat nur 
in verzweifelten Fällen Berechtigung, wo radicale Entfernung 
möglich ist. Günstiger ist der Erfolg bei Echinococcus. Gelegent¬ 
liche Erfolge sind bei Nephritis, besonders hämorrhagischer, erzielt 
worden. Dann können noch Nephralgien und diagnostische Zwecke 
Anlaß zur Nierenspaltung geben. Die Probefreilegung der 
Niere kann nicht warm genug empfohlen werden ; lumbal und 
aseptisch ausgeführt, ist sie ebenso gefahrlos als segensreich. 
Die Spaltung paranephritischer Abscesse gab gute 
Resultate. Die Nephropexie ist bei Wanderniere unentbehrlich 
geworden und führt in etwa 60% der Fälle bei 0% Operations¬ 
verlust zur Dauerheilung. So ist die Nierenchirurgie noch kein 
abgeschlossenes Gebiet, doch stehen ihr neue Fortschritte unter 
neuen Gesichtspunkten in Aussicht. R. L. 


Lennander (Upsala): Acute (eitrige) Peritonitis. 

Nach einem kurzen anatomischen und physiologischen Ueber¬ 
blick über die Bauchhöhle bespricht Lennander („Deutsche Ztschr. 
für Chirurgie“, Bd. 63, H. 1/2) monographisch die eitrige Peri¬ 
tonitis. Er beginnt mit der Aetiologie; abgesehen von äußeren 
in die Peritonealhöhle eindringenden Wunden, von Berstung der 
Eingeweide oder abgesackter intraperitonealer Eiterherde, kommt 


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acute Peritonitis auch durch Continuitätsinfection von einem inficirten 
Organ oder von einem extraperitonealen Herde oder durch häma¬ 
togene Infection zustande. Daun werden die pathologisch¬ 
anatomischen Bilder vorgeführt; klinisch muß man abgekapselte 
und nicht abgekapselte Eiterherde streng scheiden. Für die 
schützenden Adhäsionen ist das große Netz von höchster Bedeutung. 
Der häufigste Ausgangspunkt einer diffusen Peritonitis ist ohne 
Zweifel die Appendicitis. Die so häufige Darraparese dürfte directe 
Infectionsfolge (Schädigung der Nerven durch Toxine) sein, bedingt 
aber vermehrte allgemeine Intoxication durch Resorption giftigen 
Darminhaltes und vermehrte allgemeine Infection durch Uebergang 
der Darmmikroben in Lymph- und Blutbahn. Auf Resorption eines 
in die Bauchhöhle frei ausgetretenen, toxischen Inhalts beruht auch 
der Shock, der in seltenen Fällen zum Tode führt. Damit zur 
Symptomatologie gekommen, unterscheidet Denn ander allge¬ 
meine Infectionserscheinungen localinflammatorische. Temperatur, im 
Rectum gemessen, ist meist erhöht; Achselhöhlentemperatur zu¬ 
weilen normal oder erniedrigt! Je größer die Differenz zwischen 
beiden Temperaturen, desto schlechter die Prognose; sub morte 
Differenzen von 2—3 0 ! Auch anhaltend hohe Temperaturen 
verdienen Beachtung. Raschen Puls bei tiefer Temperatur hält man 
für schlimm, das ist richtig, nur muß man sich erinnern, daß ein 
kleiner, weicher und schneller Puls den mehr ausgebreiteten In- 
fectionen angehört. Sehr wichtig ist die Urinuntersuchung auf 
Eiweiß, Indican u. s. w. Sediment spricht für Nephritis, also all¬ 
gemeine Infection. Zunge soll weich und feucht sein. Allgemein¬ 
eindruck ist von Bedeutung. Die spontane Schmerzhaftigkeit scheint 
vom Antheil des Peritoneum parietale an der Entzündung abzu¬ 
hängen, denn den visceralen Organüberzügen fehlen sensible Nerven. 
Spontaner Schmerz und Druckempfindlichkeit sind für das Auffinden 
des Ausgangspunktes wichtig. Eigenthümlich brettharte Spannung 
der Bauchmuskel ist oft das erste Anzeichen einer Perforation 
(döfense musculaire der Franzosen). Erbrechen ist meist nur im Be¬ 
ginn da, oft Singultus. Soweit Empfindlichkeit auch gegen sehr 
leisen Druck reicht, soweit pflegt die Parietalserosa an der Ent¬ 
zündung betheiligt zu sein. Die unteren Theile des Thorax sind 
stets mit Rücksicht auf subphrenische Abscesse zu untersuchen. 
Probepunctionen sind wohl ungefährlich, aber entbehrlich. Dif¬ 
ferentialdiagnostisch kommt eigentlich nur mechanischer 
Ileus in Betracht; nur im Beginne ist die Unterscheidung sicher, 
weil dem beginnenden Ileus anfallsweise Schmerzen in regelmäßiger 
Periodicität eigen sind, ferner localer Meteorismus und localer 
Druckschmerz. Temperatursteigerung fehlt auch im Rectum. Sonst 
kommen Verwechslungen vor mit acuten Magen- oder Darment¬ 
zündungen, beginnendem Typhus, intraperitonealen Blutungen, Throm¬ 
bose in Vena iliaca oder portarum, beginnender Cerebrospinalmenin¬ 
gitis mit acuten Abdominalsymptomen und Pleurits diaphragmatica. 
Die Prognose wird wesentlich von der rechtzeitigen Diagnose 
besonders der abgekapselten Eiterherde abhängen. Die Therapie 
zerfällt in medicamentöse und operative. Bequeme Rückenlage, 
keinerlei Nahrungszufuhr per os, gegen den Durst früh und abends 
600—1000 Grm. Kochsalzlösung subcutan , Opium rectal bis zur 
Schmerzfreiheit, Eis oder Prießnitz, vom 3. bis 4. Tage kleine Wasser- 
klystiere gegen den Durst, später Nährklystiere. Stuhlgang ersetzt 
man anfangs am besten durch digitale Entleerung der Scybala, 
dann Oelklystiere von höchstens 100—150 Ccm., später Wasser- 
klystiere von 200—300 Ccm. und milde Laxantien per os; stärkeres 
Pressen ist verboten. Häufige Rectaluntersuchnngen lassen recht¬ 
zeitig Beckenexsudat erkennen. Operirt muß werden, sobald Ber- 
stung eines Organes oder Abscesses diagnosticirt ist, ebenso in 
jedem Falle, in dem durch interne Therapie nicht Besserung Stunde 
für Stunde ruhig und gleichmäßig zur Heilung fortschreitet. Ab¬ 
führmittel im Beginne darf man nur anwenden, wenn Brüchigkeit 
der Darmwand oder gar Durchbruch auszuschließen ist. Throm¬ 
bose der Schenkelvenen verhütet man durch Hochstellen des Bett¬ 
endes, wobei durch Kopfkissen doch die Lumbalgegend am tiefsten 
liegt, um 10—40 Cm., Kochsalzinfusionen und zweckentsprechend 
angewandte Herztonica. 

Die Operation bezweckt das Exsudat zu entleeren und das 
Secret durch Drainage abzuleiten. Gelingt das durch Incision per 


rectum oder per vaginam, so gibt es in der Chirurgie keinen ein¬ 
facheren und segensreicheren Eingriff. In allen übrigen Fällen, in 
denen sich kein Beckeuabsceß per rectum oder vaginam vorwölbt, 
bedarf es speciell chirurgischer Hilfe. R. L. 


Darier (Paris): Behandlung der Ablösung (decollement) 
der Netzhaut. 

Nachdem das Auge gut cocainisirt und aseptisch gemacht, 
der Kranke horizontal auf sein Bett gelegt und die constante 
Stromsäule von 9 kleinen GAiFFE’schen Elementen mit ihrem 
Rheostat und Galvanometer auf ein sehr stabiles Möbelstück ge¬ 
stellt worden ist, geht Verf. zum elektrolytischen Einstich über, 
indem er sich der von M. Abadie empfohlenen zweischneidigen 
Platiniridiumklinge bedient; sie ist mittelst eines isolirten Fadens 
mit dem positiven Pole der Säule verbunden, während der negative 
Pol auf den Arm gelegt wird („Concours mödicale“, 1902, Nr. 5). 
Nachdem das Auge so stark wie möglich mit einer Befestigungs- 
pincette herausgehoben worden ist, um die Gegend der Sclerotica, 
welche mit der Ablösung in Verbindung steht, soviel wie möglich 
bloßzulegen, wird die Klinge auch rückwärts so weit wie möglich 
eingeführt, um die Augenwimpernfortsätze zu vermeiden. 

Verf. dringt ungefähr 2—3 Mm. tief ein, und indem er eine 
Drehbewegung mit dem Messer mache, veranlaßt er das Heraus¬ 
laufen der unteren Netzhautflüssigkeit. Hierauf läßt er den Strom 
so langsam stärker werdend durchgehen, daß keine Zuckungen 
eiutreten; wenn der Strom bei 4 oder 5 Milliampere angekommen 
ist, läßt man ihn 2 oder 3 Minuten lang wirken. Während 
der letzten Minute zieht man die Nadel sehr langsam zurück, der¬ 
art, daß im Moment des Herausziehens nur die Spitze noch einen 
Augenblick mit der Wunde in Berührung bleibt. Der Strom wird, 
dem langsamen Herausnehmen der Nadel folgend, ebenfalls allmälig 
verringert. 

Nach beendigter Elektrolyse wird eine subconjunctivale In- 
jection von einer vollen Spritze nachstehender Lösung 1 CmJ vom 
Einstich entfernt gemacht: 


Rp. Chlornatrium.10 Grm. 

Quecksilber-Cyanür. . 0005 „ 

Destillirtes Wasser.10 0 „ 


Das Ancoin, das zur größtmöglichen Schmerzlosmachung 
dieser Injection sehr nöthig ist, wird am vortheilhaftesten vorher 
injicirt, da es durch die großen Chlornatrium-Dosen niederge¬ 
schlagen wird. Man läßt die Caniile stecken und kann derart die 
Injection der Salzlösung fast schmerzlos ausführen. Sind sehr 
heftige Schmerzen oder eine sehr ausgeprägte Chemosis vorhanden, 
so setzt man 2 oder 3 Blutegel an die Stirne. Die Rückenlage 
muß streng eingehalteu und der Verband erst am 4. Tage abge- 
uommen werden. In den meisten Fällen ist man dann durch ein 
vollkommenes Anheilen der Netzhaut überrascht. Manchmal gibt 
es eine kleine Reaction, etwas Iritis und Störungen des Glaskörpers. 
Es müssen um die Augenhöhle herum Atropin-Einträufelungen und 
Quecksilber-Einreibungen gemacht werden, und sobald die Röthung 
nachgelassen hat, müssen die subconjunctivalen Injectionen wieder 
vorgenommen werden, aber verdünnter als vorher. 

In einigen Fällen erreicht man nur ein theilweises Recollement. 
Es müssen dann erneute Elektrolysen gemacht werden, sobald keine 
Eutzündungserscheinungen mehr vorhanden sind. Wenn endlich 
nach vier- oder sechswöchentlichen vergeblichen Anstrengungen die 
Netzhautablösung sich wieder einstellt, kann man den Versuch mit In¬ 
jectionen in den Glaskörper machen. Die ganze, nur allzu zahlreiche 
Reihe der chronischen Netzhautablösungen bietet leider noch allen 
Behandlungen Trotz und führt zum Schlüsse eine vollständige Zer¬ 
störung des Auges herbei. G. 

Länderer (Stuttgart): Oie Hetolbehandlung und ihre 
Gegner. 

Die Wirksamkeit der Hetolbehandlung und ihre Unschäd¬ 
lichkeit ist von zahlreichen unparteiischen Forschern bestätigt 
worden. Die Einwände der Gegner beruhen zum Theil auf unge- 

2 * 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 37. 


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nügender Beherrschung der Methode. Wie L. bereits früher hervor¬ 
gehoben hat, ist es nicht die intravenöse Injection, die die Methode 
complicirt. Die intravenöse Injection ist bei einigem guten Willen 
leicht zu bemeistern. Die wirkliche Schwierigkeit ist, wenigstens 
für vorgeschrittenere Fälle, die Dosirung. Ein hochangesehener 
Laryngologe, der seit 2 Jahren mit Hctol arbeitet, verlangt bei 
den labilen somatischen Verhältnissen der Tuberculösen eine weit¬ 
gehende Individualisirung und äußerst vorsichtige Dosirung und 
verwirft aufs Eindringlichste „schablonenhaften Gebrauch des 
Mittels“. Im Uebrigen rechnet er das Hetol zu denjenigen Be¬ 
kannten, denen „man in der Regel langdauernde freundliche 
Beziehungen nachrühmt, d. h. solche, die umsomehr gewinnen, je 
länger man sie kennt“. Außer dem groben Schematisiren ist ein 
schwerer Fehler, der in weiten Kreisen gemacht wird, daß ganz 
ungeeignete, zu weit vorgeschrittene Fälle zur Prüfung des Hetols 
gewählt werden. Eine Reihe von Autoren injiciren erst dann 
Hetol, wenn sie alle anderen Mittel vergeblich versucht haben. 
Selbstverständlich will auch das Hetol vorwiegend an Fällen ge¬ 
prüft werden, wo Allgemeinzustand und örtlicher Befund noch 
die Möglichkeit einer Heilung zulassen. Eine Reihe von Autoren 
stimmt darin überein, daß der Schwerpunkt der Heilbehandlung 
in die Privatpraxis zu verlegen sei, und daß sie zur Entlastung 
der Sanatoriums- und Heilstättenbewegung heranzuziehen sei, denn, 
daß die Heilstätten, trotzdem ihre Zahl jetzt auf über 100 ge¬ 
stiegen ist, völlig außer Stande sind, alle der Behandlung bedürfenden 
Tuberculösen zu versorgen, ist keine Frage, auch wenn man den 
pessimistischen Anschauungen Weicker’s über die letzten Ergebnisse 
der Freiluftbehandlung nicht beipflichten will. 

Die Vorurtheile gegen die Hetolbehandlung mögen allmälig 
verschwinden, wünscht L. („Deutsche Med.-Ztg. u , 1902, Nr. 40). 
Sie beruhen nur auf Unkenntniß der Methode. Sie werden schwinden, 
wenn weite ärztliche Kreise sich wirklich vertraut gemacht haben 
mit der Hetolbehandlung, mit ihrer Technik und mit ihrem 
Wirkungskreis. G. 

Krone (Todtmoos): Ein Beitrag zur Hetolbehandlung 
der Tuberculose in der Landpraxis. 

Verf. hält nach seinen bisherigen Erfahrungen die Zimmt- 
säurc für ein Präparat, das eine eigenartige günstige Einwirkung 
auf entzündliche Processe überhaupt — in Sonderheit aber auf 
tuberculose Processe — besitzt. Hat man die intravenöse Injection 
einmal richtig gelernt, dann gehört sie nicht zu den größten 
Schwierigkeiten und bereitet auch den Patienten — vorausgesetzt, 
daß die Injection wirklich intravenös und nicht subcutau gemacht 
wird — keine Unannehmlichkeiten. K. hat unter vielleicht 1500 Ein¬ 
spritzungen nicht eine Infection oder unangenehme Nebenwirkung 
gesehen. Für Kranke, die sich vor dem Stich fürchteten und für 
entfernt vom Wohnsitze des Arztes Wohnhafte hat K. die inner¬ 
liche Darreichung des Hetol anzuwenden versucht. 

Die einfachen Sanguinalpillen hatte er bei Chlorose, Neur¬ 
asthenie und Schwächezuständen mit gutem Erfolge angewandt 
und sie leicht verdaulich, gut verträglich und appetitanregend 
gefunden. Sie schienen geeignet, als Grundlage für die innerliche 
Darreichung von Hetol zu dienen. Jede Pille enthielt O’OOl Hetol. 
Verf. begann seine Versuche zunächst an Scrophulösen und Tuber¬ 
culösen im ersten Stadium. Die Dosis wurde dem einzelnen Falle 
angepaßt; er ließ gewöhnlich mit 1 Pille pro die beginnen und, 
dem Fall entsprechend, nach einigen Tagen steigen. Im Durch¬ 
schnitt hat K. von 3 zu 3 Tagen eine Pille mehr nehmen lassen, 
Kinder bis 3, Erwachsene bis 6 Pillen täglich. 

Er gab sodann das Hetolsanguinal auch bei bereits etwas 
weiter vorgeschrittener Tuberculose, und auch hier war eine, wenn 
auch sehr langsam von Statten gehende, so doch ersichtliche 
Besserung nach Wochen zu constatiren. L. 

H. Strauss (Berlin): Zur Functionsprüfung der Leber. 

Verf. hat („Deutsche med. Wschr.“, 1901, Nr. 44 u. 45) die 
kranke Leber nach dreierlei Richtungen hin untersucht, und zwar 
in ihren Beziehungen 1. zu Entgiftungsvorgängen; 2. zum Eiwei߬ 


stoffwechsel ; 3. zum Kohlehydratstoffwechsel. Es ergab sich, daß 
der Umfang der Harnstoff- und NH 3 -Bildung bei Lebererkrankungen 
des Menschen für die vorliegende Fragestellung nicht verwerthbar 
ist, da beim Menschen auch in anderen Organen eine ausreichende 
Harnstoffbildung bei Ausfall der Leberfunction statthaben kann 
und die vermehrte NH 3 -Ausscheidung bei mangelnder Leberthätig- 
keit auf einer abnormen Säuerung des Organismus eben infolge 
dieses Ausfalls der Leberthätigkeit beruht. Beachtenswerth scheinen 
die Verhältnisse bezüglich der 1. Frage zu sein. Unter 8 Leber¬ 
kranken fand St. nämlich bei 6 nach Zulage von 20 Grm. butter¬ 
saurem Natron zu einer constanten Kost eine Vermehrung der 
flüchtigen Fettsäuren im Urin, ein Befund, der mit früheren, von 
ihm und anderen Autoren erhobenen in Einklang stellt. Erfolg¬ 
reicher war die Prüfung des Kohlehydratstoffwechsels bei Leber¬ 
krankheiten. Bei 29 Leberkranken fand er 26mal nach Eingabe 
von 100 Grm. Lävulose eine, meist unter 1 °/ 0 , aber auch mehr 
betragende Ausscheidung dieses Zuckers im Urin, während von 
58 Lebergesunden nur 6 alimentäre Lävulosurie zeigten. Verf. 
spricht dieser alimentären Lävulosurie bei Leberkranken eine große 
Bedeutung für die Erkenntniß des Functionsausfalls der Leber 
zu, im Gegensatz zu der von ihm bereits früher und auch jetzt 
wieder bekämpften Bedeutung der alimentären Dextrosurie bei 
Leberaffectionen. B. 


Kann (Berlin): Zur Aetiologie der Alopecia praema¬ 
tura simplex. 

Die Unzulänglichkeit der bisherigen Erklärungsversuche 
entlockt dem Autor nichts weniger als stichhältige Argumente, als 
deren Folie, insbesondere was Kokken und Bakterien betrifft, die 
alten Germanen ebenso herhalten müssen wie die Zigeuner und 
Feuerländer; auch Anämie und Gastricismen bilden ungenügende 
Ursachen. Dann erst wirft der Autor die Frage auf („Monatsheft 
f. prakt. Dermat.“, XXXIII, H. 11)^ unter welchen Bedingungen ein 
Organ normal functionire. Die von ! Natur aus normale Anlage ist 
in der Regel vorhanden; wodurch leidet also die Lebensfähigkeit 
bezw. Fortentwicklung? Zweifellos hat der Autor Recht —- und die 
Theorie ist nicht neu —, wenn er behauptet, ein Organ müsse 
seine Functionen ausüben, um nicht der Inactivitätsatrophie zu ver¬ 
fallen ; ebenso spielt gewiß die Abhaltung der Reize, Licht, Luft 
und Wetterschwankungen , eine bedeutende Rolle, und die Inner- 
virung mag thatsächlich unter dem Druck des enganschließenden 
Hutes leiden und weiters das „Nervensystem“ als solches in unserer 
„nervösen“ Zeit seinen Einfluß auf den Haarboden geltend machen. 
Dagegen ist die Art und Weise der Darstellung all dieser Einflüsse 
in wenig wissenschaftlicher Weise dargethan. Die Therapie darf 
nicht in der schematischen Anwendung von Haarcuren bestehen, 
sondern „muß den ganzen Menschen und die tieferen 
Ursachen ins Auge fassen (das heißt je nach den früheren 
Auslassungen des Autors, siehe Feuerländer, Zigeuner u. dgl., 
Rückkehr zum Urzustände), dann werden auch die Resul¬ 
tate der Behandlung weniger trostlos sein.“ 

Deutsch. 


B. Hellich (Prag): Beiträge zur normalen und patho¬ 
logischen Anatomie des menschlichen Rücken¬ 
marks. 

1. Im normalen und pathologischen Rückenmarke findet man 
sehr oft mit SCHWANN’scher Scheide versehene Nervenfasern , die 
an Neuromen erinnernde Anhäufungen bilden. Das sind Nerven 
aus der Pia, die den centralen Gefäßen folgen und mit ihnen in 
die graue Substanz gleiten, wo sie in den CLARx’schen Säulen 
enden („Sbornik klinick^“, Bd. III, H. 4). Diese Vertheilung der 
pialen Nerven, wiewohl abnormal, ist nicht so selten und wurde 
öfters als ein pathologischer Tumor beschrieben. 

2. Unter der lumbalen Anschwellung des Rückenmarks werden 
ziemlich regelmäßig in den vorderen Wurzeln ebenso wie in den 
Wurzelfasern spinale Ganglienzellen vorgefunden, die eine Fort¬ 
setzung der vorderen Rückenmarkswurzeln bilden. 


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3. An denselben Stellen unter der lumbaren Anschwellung 
wird im äußeren und inneren Winkel des vorderen Hornes eine 
Gruppe von Ganglienzellen vorgefunden, die gut begrenzt sind und 
auf den ersten Blick auffallen. Ihre Ausläufe verfolgen die größeren 
Bündel der Wurzel nervenfasern, in welchen sie allmälig oder auch 
bis in den vorderen Wurzeln aufgehen. Das ist eine Gruppe sen¬ 
sitiver Zellen. Stock. 

Kleine Mittheilungen. 

— Nach der Darstellung Ungar’s („Münch, med. Wschr.“, 
1902, Nr. 24) besteht der Werth der Darreichung von Phosphor 
bei Rachitis darin, daß er, rechtzeitig bei früh gestellter Diagnose 
angewandt, die Ausbildung schwererer Veränderungen am Knochen¬ 
system verhüten kann. Außerdem beeinflußt er den allgemeinen 
Körperzustand günstig und insbesondere auch den Laryngospasmus. 
Die Lösung von 0*001:100, theclöffclweise gegeben, oder 0*01: 100, 
zu 10 Tropfen pro dosi, hält Verf. für viel zu schwach, um eine 
therapeutische Wirkung zu entfalten. Verf. will nach wie vor den 
Phosphor in der bisher üblichen Dosis geben, entweder 0 0005 
pro die als Einzeldosis, ohne Unterschied des Alters, oder 2mal 
täglich eine entsprechend kleinere Menge. Am liebsten verwendet 
Verf. eine Lösung 0*01 P in 100 01. olivar. oder 01. amygdalar., 
welche nach den Vorschriften von Soltmann aus einer Staram- 
lösung von 1 : 500 hergestellt wird. Von dieser Lösung läßt Verf. 
täglich einen halben bis einen ganzen Theelöffel, also etwa 
0*0002—0*0004 Grm. verabreichen. Die Verordnung des Phosphor- 
leberthrans hat er seit vielen Jahren aufgegeben, weil er von dem 
widerlich riechenden und schlecht schmeckenden Mittel eine bessere 
Wirkung nicht erwarten konnte, wohl aber die schädliche Wirkung 
des namentlich im Sommer leicht ranzig werdenden Leberthrans 
auf den Verdauungstractus fürchtete. Neuerdings hat Binz das 
Sesamöl als Lösungsmittel des Phosphors empfohlen. 

— Einen Fall von Heilung einer Meningitis tuberculosa 
erörtert Thomalla („Berliner klin. Wschr.“, 1902, Nr. 24). Die 
medicamentöse Behandlung bestand in der Darreichung von Creosot. 
Th. stieg in wenigen Tagen von 3mal täglich 0*1 Creosot auf 
3mal täglich je 3 Kapseln ä 0*5 und ließ diese Quantität sodann 
circa 9 Monate lang einnehmen, so daß Patient im ganzen circa 
2200 Kapseln ä 0 5 verbraucht hat. Daß der Krauke, ohne auch 
nur einmal an einer Magenverstimmung zu laboriren, dieses kolossale 
Quantum Creosot verbrauchen konnte, schreibt Verf. dem bekannten 
Stomachicum Extract. Chinae Nanning zu, wovon dauernd 3mal 
täglich 15 Tropfen in Portwein gereicht werden. 

— Ueber die Behandlung der Seborrhoe macht brocq 
(„Journ. de möd.“, 1902, Nr. 11) beachtenswerthe Bemerkungen. 
Das Haar ist einem physiologischen Wechsel unterworfen und 
fällt regelmäßig in höherem Grade in den Monaten Mai und 
September aus. Im Allgemeinen wird man Waschungen in häufiger 
Wiederholung anwenden müssen. Zur speciellen Behandlung der 
Seborrhoe empfiehlt B. die Anwendung folgender Salbe: 


Rp. Hydrarg. oxyd. flavi. 0'75 

Vaselini puri.20'0 


die man allabendlich und wenn die Schuppenbildung aufgehört 
hat, nur 2mal wöchentlich mittelst eines mit Watta umwickelten 
Zündhölzchens in die Kopfhaut einreibt. Des Morgens reibt man 
mittelst Watta etwas Theerwasser (1:6) ein. Gegen die Trocken¬ 
heit der Haut empfiehlt sich häufige Befeuchtung mit folgender 


Tinetur: 

Rp. 01. ricini.30'0 

Tinct. jaborandi, 

Tinct. Chinae, 

Tinct. Rosmarini.aa. 8*0 


— Die therapeutische Bedeutung des Ichthyolsalicyls 

erörtert B. Kohden („Allg. int. med. Rundschau“, 1902, Nr. 6). 
Auf Verf.’s Anregung hin wurde von der Ichthyol-Gesellschaft eine 
neue Ichthyolcombination dargestellt. Die Verarbeitung wurde 
dadurch erleichtert, daß es gelang, das Ichthyol auch in Pulver¬ 
form zuzubereiten. Ichthyolsalicyl wird mit 25%, 33%% und 
50% salicylsaurem Natrium präparirt, und ist das 25%ige ein 
dunkelbraunes, das 50%ige Präparat ein hellbraunes Pulver. Ichthyol¬ 


salicyl ist hygroskopisch, in Wasser nicht völlig klar löslich. Am 
wenigsten hygroskopisch ist das Präparat, welches am meisten 
salicylsaures Natron enthält. Umgekehrt verhält es sich mit der 
Löslichkeit, denn es löst sich das Ichthyolsalicylpulver mit dem 
geringsten Gehalt an salicylsaurem Natrium am besten. Dem 
Ichthyolsalicyl ist eine therapeutische Bedeutung zuzuerkennen, 
sowohl was die Behandlung äußerer, als auch einer Anzahl innerer 
Krankheiten anbelangt, es kommt zur Verwerthung des Weiteren 
in der Urologie und Gynäkologie. Wenn es darauf ankommt, das 
Ichthyolsalicyl in Lösung zu erhalten, so muß man sich des Präpa¬ 
rates mit 25% salicylsaurem Natrium bedienen. Im Uebrigen 
empfiehlt R. für äußere und insbesondere für innere Zwecke das 
Präparat mit 50% Gehalt von salicylsaurem Natrium. Für den 
äußeren Gebrauch kommt nun eine Verbindung in Betracht, der 
man einen hervorragenden Werth zusprechen muß, da sie von 
einer außerordentlich großen Resorptionsfähigkeit ist und in hohem 
Grade antiseptische, entzündungswidrige, auflösende und zertheilende 
Eigenschaften besitzt. Es ist die 10—20%ige Verbindung mit 
D er m os ap o 1, dem Leberthranseifenbalsam. Mit dieser Verbindung 
hat B. bei Acne rosacea, Anthrax, Balanitis , Ekzema, Perniones, 
Ulcus cruris, Scabies, Psoriasis, Sykosis, sowie bei gynäkologischen 
Affectionen ausgezeichnete Erfolge gesehen. 

— Die Therapie der Angina gestaltet sich nach Mosse 
(„D eutsche Klinik“, Nr. 44) folgendermaßen: Bei katarrhalischen 
Formen lasse man das Zimmer hüten. Bei stärkeren Beschwerden 
PßiESSNiTz’sche Umschläge um den Hals, die am Tage 2—3stündlich 
zu wechseln sind und Nachts liegen bleiben. Gurgeln mit Tinctura 
Ratanhiae, einen halben Theelöffel auf ein Glas Wasser. Stärkere 
Schmerzen bei der lacunären Form gebieten das Zergehenlassen 
von kleinen Eisstückchen im Mund und empfehlen die Anwendung 
der sogenannten Anginapastillen nach Avellis, die Antipyrin und 
Cocain in kleinen Dosen enthalten, und von denen man täglich 
mehrmals ein Stück auf der Zunge zergehen läßt. Will man bei 
lacunärer Angina überhaupt gurgeln lassen, so nehme man Ab- 
1 stand vom chlorsauren Kali und wende Chlorwasser an, mit gleichen 
Theilen Wassers verdünnt, oder in derselben Verdünnung das 
Kalkwasser. Angenehm wirken Gurgelungen mit lauwarmem 
Kamillen- oder Salbeithee. Gegen die Allgemeinerscheinungen und 
auch , um eine Art Prophylaxe gegen die rheumatischen Nach¬ 
krankheiten auszuüben, gebe man eins der antirheumatischen Mittel 
unter gleichzeitiger Einführung eines schweißtreibenden Thees, 
Kamillen-, Flieder- oder Hollunderbltitenthee. Nach Abklingen der 
Angina verordne man ein desinficirendes Mundwasser. Verf. nimmt 
das MiLLER’sche in folgender Zusammensetzung: 

a) für dauernden Gebrauch: 

Rp. Acid. benzoic. . . .. 3 0 

Tinct. Ratanh. 15 0 

Alcohol. absolut.lOO'O 

01. menth. pip. gtt. XX. 

M. D. S. 1 Kinderlöffel in '/ 2 Weinglas Wasser. 

b) Zum vorübergehenden Gebrauch bei entzündlichen Zu¬ 
ständen : 

Rp. Saccharin. 2*5 

Acid. benzoic. 3 0 

Tinct. Ratanh. 150 

Alcohol. absolut.100 0 

01. Menth, pip. l - 0 

M. D. S. 1 Theil auf 10 Theile Wasser eine 

Minute im Munde umzuspülen. 

— Ueber die Anwendung von „Hygiama“ in der Kinder¬ 
praxis berichtet Aronson („Deutsche Aerzte-Ztg. u , 1902, Nr. 11). 
Dasselbe erinnert in Aussehen und Geschmack an Cacao und wird 
von allen Kindern gern genommen. Es enthält 21*22% Eiweißstoffe, 
10*046% Fett, 49’10% lösliche Kohlehydrate, 11*33% unlösliche 
Kohlehydrate, 3*55% Nährsalze (mit 1*0285% Phosphorsäure) und 
4 - 748 % Wasser. Abgesehen von einer großen Anzahl von Ver¬ 
suchen in der Praxis, welche mit diesem Präparat vorliegen und 
durch ihre günstigen Resultate zu weiteren anregten, liegen auch 
einige Stoffwechselversuche aus dem städtischen Kraukenhause in 
Frankfurt a. M. von der Abtheilung v. Noorden vor. Die meisten 
Untersuchungen beziehen sich auf die Anwendung des Präparates 
bei krankhaften Zuständen von Erwachsenen. Bei Störungen des 


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1902.— Wiener Medizinische Presse. — Nr. 37. 


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Kindesalters, insbesondere constitutioneller Natur, und bei acuten 
und chronischen Magen- und Darmerkrankungen bedürfen wir 
gleichfalls häufig einer leicht verdaulichen, concentrirten Nahrung, 
wie sie uns in „Hygiama“ gegeben ist. 

— Die vaginale Anwendung der BRAUN’schen Blase in 
der Geburtshilfe bespricht Voigt („Arch. f. Gynäk.“, 1902, Bd. 66, 
H. l) auf Grund von 510 mit dieser in der königl. Frauenklinik 
zu Dresden behandelten Geburten. Er faßt die hiebei gemachten 
Erfahrungen in folgenden Sätzen zusammen: Der BRAUN’sche 
Kolpeurynter, vaginal angewendet, dient 1. zur Erhaltung des 
Fruchtwassers bei erhaltener wie bei gesprungener Blase, 2. zur 
Vorbereitung der Weichtheile, 3. zur Verstärkung bereits vor¬ 
handener Wehen. Vorbedingungen für seine erfolgreiche Anwen¬ 
dung sind das Bestehen regelmäßiger, wenn auch schwacher 
Wehen und die richtige Wahl in der Größe, sowie die straffe 
Füllung des Ballons. Zur Anregung von Wehen und zur Eröffnung 
eines narbig stenosirfen Muttermundes eignet sich die vaginale 
Anwendung der BRAUN’schen Blase nicht. Zu einer Tamponade 
der Scheide bei Placenta praevia ist sie nicht so zuverlässig, wie 
Gazestreifen oder Wattekugeln. Der Kolpeurynter macht eine 
ganze Zahl von geburtshilflichen Operationen unnöthig und schafft 
für die etwa nothwendig werdenden günstige Vorbedingungen; 
ebendieselbe Wirkung läßt seine Anwendung bei normalem Becken 
in geeigneten Fällen rathsam erscheinen. Die Kolpeuryse beeinflußt 
den Wochenbettsverlauf nicht ungünstig, läßt im Gegentheil da¬ 
durch, daß sie geburtshilfliche Operationen unnöthig macht, bezw. 
erleichtert, die Prognose günstiger erscheinen. Aus denselben 
Gründen ist sie auch für das Leben der Kinder von günstigem 
Einfluß. 


Literarische Anzeigen. 

Encyklopädie der mikroskopischen Technik mit be¬ 
sonderer Berücksichtigung der Färbelehre. Heraus¬ 
gegeben von Professor Dr. Paul Ehrlich, Dr. Rudolf Krause, 
Dr. MaxMosse, Dr. Heinrich Rosin und Prof. Dr. Carl Weigert. 

Berlin und Wien 1903, Urban & Schwarzenberg. 

Zum erstenmale wird dem Mikroskopiker ein auf breiter Basis 
angelegtes Nachschlagewerk vorgelegt, welches in überraschender 
Vollständigkeit alle für die Mikrotechnik wichtigen Daten aus der 
Anatomie und Entwickelungsgeschichte, aus der Pathologie und Bak¬ 
teriologie sowie aus der Zoologie und Botanik zusammenstellt. 
Es umfaßt thatsächlich die gesammte mikroskopische Technik mit 
Ausnahme der Mineralogie und der Pharmakognosie und gibt eine 
Uebersicht über die Chemie und Physik der benützten Reagentien 
und Farbstoffe. Die Absicht der Herausgeber, ein Bild von dem 
Stande dieser Disciplin am Beginn des 20. Jahrhunderts zu geben, 
erfüllt sich in glüsklicher Weise. Die erste uns heute vorliegende 
Abtheilung, welche die Bogen 1—25 umfaßt, ist eine Musterarbeit 
an Fleiß und Uebersichtlichkeit; eine große Anzahl von Capiteln 
ist geradezu classisch zu nennen, und das Studium der allgemeinen 


Feuilleton. 

Der Preßgesetzentwurf und die Aerzte. 

In ihrer September-Versammlung hat sich die Wiener Aerzte- 
kammer mit der Regierungsvorlage, betreffend das Preßgesetz, be¬ 
schäftigt, welche demnächst im Parlamente zur Verhandlung 
gelangen soll. Wir publiciren im Folgenden das von der Kammer 
und seither auch vom Kammertage angenommene ausgezeichnete 
Referat des Collegen Dr. Heinrich Adler , welches zwei Puncta 
dolorosa des ärztlich-socialen Lebens zu saniren bemüht ist. 


Der Entwurf eines neuen Preßgesetzes, welchen die Regierung 
im Abgeordnetenhause in der Sitzung vom 11. Juni vorgelegt hat, 
enthält 3 Paragraphe, welche von Interesse für die Aerzteschaft 
sind. Diese Paragraphe lauten: 


Artikel, namentlich der Artikel „Färbungen“ und „Fixation“, ist 
für jeden Mikroskopiker von der größten Wichtigkeit. Auch der 
Abschnitt „Embryologische Technik“ ist eine Fundgrube von 
interessanten Winken und Beobachtungen, die nicht bloß für den 
Embryologen, sondern auch für den wissenschaftlich arbeitenden 
Arzt von Wichtigkeit sind. Nicht minder gelungen sind die Artikel 
„Blut“ und „Fibrinfärbung“. 

Ein so umfassendes Werk war bisnun wohl nicht vorhanden, 
und wenn die beiden anderen Abtheilungen der heute vorliegenden ent¬ 
sprechen, so haben Herausgeber und Verlagshandlung, welche das Werk 
in splendider Weise ausstattet, einen vollen Erfolg errungen. Ir. 

Leitfaden der Therapie der inneren Krankheiten 
mit besonderer Berücksichtigung der therapeu¬ 
tischen Begründung und Technik. Ein Handbuch 
für praktische Aerzte. Von' Dr. J. Lipowski. Berlin 1901, 
Julius Springer. 

In der Vorrede des Büchleins betont der Verf., daß er in 
der Anlage, der Wahl des Stoffes und der Darstellung lediglich 
seiner Idee, seiner Vorstellung und seinen praktischen Erfahrungen 
folgte, und schließt dieselbe mit dem Satze : „Ut desint vires, tarnen 
ex laudanda voluntas.“ Bei dieser ausgesprochenen Subjectivität des 
Verf. ist es schwer, objective Kritik zu üben. So richtig es ist, 
daß in Werken über Therapie auch eigene Erfahrung zu Worte 
kommt und reine Compilationen, mögen sie noch so vollständig und 
reichhaltig sein, ohne praktischen Werth sind, so ist es doch nicht 
gerechtfertigt, nur subjective Anschauungen und Erfahrungen dem 
nach Belehrung verlangenden Praktiker zu bieten. Die imposante 
Reihe der Erfahrung, welche eine derartige Subjectivität allein 
rechtfertigen würde, scheint der Verf. denn doch nicht zu besitzen, 
wodurch der Werth seines Buches einigermaßen beschränkt wird. 
Der Titel erweckt Erwartungen, denen das Buch nicht gerecht zu 
werden vermag. Es sind durchaus nicht alle in Betracht kommenden 
Erkrankungen in dem Buche abgehandelt, so z. B. von Infections- 
krankheiten nur Masern, Scharlach, Diphtherie, Typhus, Gelenks¬ 
rheumatismus, von Magenkrankheiten nur Geschwür, Ektasie und 
Krebs etc. Die Darstellung ist ungleichmäßig, neben großer Breite, 
die sich oft mehr auf ätiologische wie allgemein pathologische Er¬ 
wägungen erstreckt, auch Knappheit, wo sie vielleicht nicht ganz 
am Platze ist (so sind der Pleuritis 3 Seiten gewidmet), und ließen 
sich mehrfache Beispiele dieser Art anführen. Ein berühmter Kliniker 
des XVIII. Jahrhunderts, Stoll, hat erklärt, daß er die gesammte 
interne Therapie auf den Raum eines Fingernagels niederschreiben 
wolle; heute gilt dieser Satz nicht mehr — und man muß von einem 
Autor, der einen Leitfaden der Therapie interner Krankheiten 
herausgibt, eine gewisse Vollständigkeit und Gleichmäßigkeit der 
Behandlung des Stoffes fordern. Hätte der Verf. jedes Capitel seines 
Werkes mit der gleichen Sorgfalt ausgearbeitet wie das Capitel 
über Krankenkost, so wäre die Literatur thatsächlich um ein gutes 
Buch bereichert; so bleibt nur die „laudanda voluntas“. 

Kahane. 


n§ 34. Wer in einer Druckschrift eine Ankündigung veröffentlicht, 
welche in einer die Sittlichkeit verletzenden Form den Geschlechtsver¬ 
kehr oder die Vorbeugung oder Heilung von Geschlechtskrankheiten zum 
Gegenstände hat, ist wegen Uebertretung mit Arrest von einem Tage bis 
zu sechs Wochen zu bestrafen, womit eine Geldstrafe bis zu K 1000 
verbunden werden kann.“ 

„§ 35. Wer in einer Druckschrift die Ankündigung eines Heil¬ 
mittels, welches durch amtliche Kundmachung verboten wurde, oder von 
Losen und Lospapieren, welche im Inlande nicht zugelassen sind, ver¬ 
öffentlicht, ist wegen Uebertretung an Geld mit K 10—500 oder mit 
Arrest von einem Tage bis zu vier Wochen zu bestrafen.“ 

„§ 36- Wer eine, offenbar gehässigen Beweggründen entspringende, 
mittelbare oder unmittelbare Aufforderung zur Meidung des geschäft¬ 
lichen Verkehres mit bestimmten Kreisen von Industriellen, Gewerbe¬ 
treibenden, Kaufleuten, Advocaten, Aerzten, Apothekern, Hebammen u. A. 
durch eine Druckschrift veröffentlicht, ist wegen Uebertretung an Geld 
mit K 50—2000 zu bestrafen.“ 

In der Rede, mit welcher der Ministerpräsident die Vorlage 
des Preßgesetzes einbegleitete, faßte er den Zweck desselben in 
die Worte zusammen : „Schutz der Grundlagen des Staates“, und 
als solche bezeichnet er: den Schutz des monarchischen Principes, 


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der Integrität des Staates, des Gottesbegriffes, der Sicherheit der 
Rechtsprechung und der guten Sitte. Niemand wird bestreiten, 
daß auch die öffentliche Gesundheit eine der Grundlagen des Staates 
ist; wenn daher gezeigt wird, daß an dieser Grundlage durch 
Mißbrauch der Presse gerüttelt werden kann, so wird nicht ge- 
zweifelt werden können, daß der Schutz derselben gleichfalls zu 
den Aufgaben des Preßgesetzes gehört. 

Eine mißbräuchliche Benützung des Annoncentheiles der 
Presse — und nur von diesem Theile ist hier die Rede — bedroht 
die öffentliche Gesundheit nach zweifacher Richtung: 

1. Durch Ankündigung ärztlicher Hilfe seitens zur Praxis 
in Oesterreich berechtigter Personen; 

2. durch Ankündigung von Heilmitteln und von ärztlicher 
Hilfe seitens zur Praxis in Oesterreich nicht berechtigter Personen. 

Ad 1. Seit dem Bestände der Aerztekammern in Oesterreich 
kämpfen dieselben unausgesetzt einen Kampf gegen die Ankündi¬ 
gung ärztlicher Hilfe in den Zeitungen. Sie thun dies zunächst in 
der Ueberzeugung, daß ein Bedürfniß nach derlei Ankündigungen 
nicht vorliegt; denn an Aerzten besteht kein Mangel: kein Patient 
hat irgendwelche Mühe, einen Arzt zu finden. Der Zweck der 
ärztlichen Annonce ist daher nur der, das Publicum auf eine 
besondere Qualification des annoncirenden Arztes aufmerksam zu 
machen. Darin liegt aber eine Irreführung des Publicums. Denn 
die ärztliche Hilfe ist nicht eine Waare von verschiedener Qualität; 
jeder Arzt leistet — das liegt ja im Wesen seines Berufes — dem 
Kranken gegenüber sein Bestes; alle Aerzte haben den gleichen 
Studiengang zurückgelegt. Es soll nicht geleugnet werden, daß 
es Unterschiede in manchen Qualitäten der Aerzte gibt, daß ein 
Arzt auf irgend einem Gebiete eine größere Erfahrung oder eine 
größere Geschicklichkeit besitzt, als der andere; denn die Menschen 
sind ja nicht Maschinen. 

Aber die Annonce bietet nicht die geringste Gewähr für 
tieferes Wissen und besseres Können. Ja, es ist notorisch, daß 
gerade diejenigen Aerzte, welche als Männer der Wissenschaft 
oder durch praktische Tüchtigkeit hervorragen, auf eine Annonce 
verzichten, weil sie fühlen, daß sich dieselbe mit der Würde des 
ärztlichen Standes nicht verträgt; und es ist weiters notorisch, daß 
die annoncirenden Aerzte nach keiner Richtung hin, weder wissen¬ 
schaftlich noch praktisch, ihre nicht annoncirenden Collegen über¬ 
ragen. Die annoncirenden Aerzte, von denen die weitaus größere 
Mehrzahl die Heilung von Geschlechtskrankheiten ankündigt, be¬ 
haupten , daß für das Publicum das Bedürfniß nach ärztlichen 
Annoncen vorhanden sei, weil der an einer Geschlechtskrankheit 
Leidende aus Verschämtheit Anstand nimmt, sich an seinen Hausarzt 
zu wenden. Dieses Argument trifft aber nicht zu ; denn, abgesehen 
davon, daß die Clientei der annoncirenden Aerzte im Großen und 
Ganzen aus Personen besteht, welche einen „Hausarzt“ überhaupt 
nicht haben, stehen ja dem Kranken außer dem eventuellen 
„Hausarzte“ noch ungezählte andere zur Verfügung; wenn der 
Patient zum erstbesten Arzte geht, ist er gewiß nicht schlechter 
daran als beim Annonceur. 

Die Wiener Aerztekammer hat aber auch die Ueberzeugung, 
daß die ärztliche Annonce eine doppelte Gefahr für das Gesund¬ 
heitswohl der Bevölkerung in sich birgt. Zunächst die der brief¬ 
lichen Behandlung. 

Die briefliche Behandlung wird von den meisten Annonceuren 
angeboten; ja es gibt Aerzte, welche fast ausschließlich auf eine 
solche reflectiren, z. B. Wiener Aerzte, welche in ausländischen 
Blättern annonciren. Die briefliche Behandlung ist aber, abgesehen 
davon, daß sie unmöglich eine wissenschaftliche und gewissenhafte 
sein kann, weil sie auf die elementare Voraussetzung der ärztlichen 
Behandlung, die Untersuchung des Kranken, verzichtet, geeignet, 
unter Umständen directen Schaden anzurichten. Auch der gebildetste 
Laie ist nicht imstande, sein Leiden mit jener Genauigkeit zu 
schildern, welche dem Arzte eine vollkommene Einsicht in die 
Krankheit ermöglicht: er vergißt vielleicht ein ihm nebensächlich 
scheinendes, aber für die Erkennung der Krankheit wichtiges 
Symptom, oder er übertreibt die Bedeutung eines anderen, un¬ 
wichtigen ; so muß denn der Arzt ins Blaue hinein curiren und 
entweder eine ganz indifferente „Behandlung“ einleiten, welche 


dem Kranken wohl nicht schadet, aber ihn möglicherweise davon 
abhält, rechtzeitig gewissenhafte ärztliche Hilfe zu suchen, oder 
eine wirkliche „Cur“ zu unternehmen, welche möglicherweise dem 
Kranken direct Schaden zu bringen geeignet ist. 

Mit Recht wendet sich daher der Erlaß des Ministeriums 
des Innern vom 19. Februar 1901, Z. 9911 ex 1900, intimirt 
mit Statthaltereierlaß vom 18. März 1901 , gegen die brief¬ 
liche Behandlung, freilich, ohne gleichzeitig durch Aufstellung 
von Strafbestimmungen ein Mittel zu bieten, dieses, das öffentliche 
Gesundheitswohl gefährdende Vorgehen zu unterdrücken. Der im 
Erlasse angedeutete, „durch“ das Aerztekammergesetz eröffnete 
Weg, auf welchem diesem Vorgehen begegnet werden soll, fuhrt, 
wie die Erfahrung lehrt, wegen der Unzulänglichkeit der der 
Aerztekammer nach diesem Gesetze zustehenden Disciplinarmittel, 
nicht zum Ziele. 

Eine zweite Gefahr erblickt die Kammer darin, daß nach 
ihrer Ueberzeugung die großen Kosten, welche eine Annonce, 
wenn sie wirksam sein soll, verursacht, eine gewissenhafte Be¬ 
handlung des Kranken geradezu verhindert. Wir wollen zwar 
nicht behaupten — obgleich sehr ehrenwerthe Collegen von dieser 
Ueberzeugung durchdrungen sind —, daß es aunoncirendo Aerzte 
gibt, welche durch laisser aller eine längere Behandlungsdauer 
der sich ihnen anvertrauenden Patienten sich zu sichern suchen. 
Gewiß aber ist, daß der Annonceur, weil seine Thätigkeit sich 
sozusagen im Geheimen abspielt, weil er durch die Art seiner 
„Geschäftsführung“ nicht in der Lage ist, sich durch Empfehlung 
von Patient zu Patient eine stabile Clientei zu erwerben, geradezu 
darauf hingeleitet wird, jeden einzelnen Patienten nach Möglichkeit 
auszunützen. Daher die bei Annonceuren übliche Forderung der 
Vorausbezahlung einer Cur, die umso verwerflicher ist, als ja der 
Arzt nicht weiß, wie lange die Krankheit dauern, und welche 
Arbeit und Mühe sie ihm verursachen wird. 

Die meisten Annonceure halten bloß Ordinationsstunden, sie 
üben keine Hauspraxis, denn die Krankheit soll ja geheim bleiben ; 
die natürliche Folge ist das Bestreben, den Patienten so lange 
als möglich in der ambulatorischen Behandlung zu belassen, während 
die Verweisung des Kranken auf die Bettruhe rascher und sicherer 
zum Ziele führen würde, ja in sehr vielen Fällen absolut noth- 
wendig ist. 

Die meisten Annonceure machen dem Patienten Versprechungen, 
welche zu erfüllen sie nicht in der Lage sind; kein Arzt kann 
dem Patienten garantiren, daß es möglich sein werde, eine Krank¬ 
heit „ohne Berufsstörung“ oder innerhalb einer gewissen Frist, 
oder „schmerzlos“ oder unter Anwendung bestimmter Mittel, oder 
ohne zurückbleibende Gesundheitsstörung zu heilen ; geschieht dies 
dennoch, so liegt darin eine Ausbeutung, eine Irreführung des 
Patienten, welche, wenn sie ihn davon abhält, rationelle ärztliche 
Hilfe zu suchen, einer Schädigung seiner Gesundheit gleichkommt. 

Wenn also nachgewiesen ist, daß die ärztliche Annonce 
einerseits einem Bedürfnisse nicht entspricht, andererseits aber 
unter Umständen materielle und gesundheitliche Nachtheile für 
die Bevölkerung nach sich zu ziehen geeignet ist, so erscheint es 
gewiß vollkommen gerechtfertigt, sie vollständig zu verbieten, 
mindestens aber im Preßgesetze gewisse Einschränkungen aufzu¬ 
stellen, wie das Verbot der Anführung von Krankheiten und das 
Verbot der reclamhaften Ankündigung der Heilung von Krank¬ 
heiten überhaupt, nicht nur von Geschlechtskrankheiten. Diese 
Argumentation findet aber noch ihre Unterstützung in der Er¬ 
wägung, daß die ärztliche Annonce, indem sie die ärztliche Kunst 
auf das Niveau der Waare herabdrückt, das Ansehen des ärztlichen 
Standes herabsetzt, und daß sie jenen Aerzten gegenüber, welche 
die Würde ihres Standes hochhalten, eine illoyale, sie in ihren 
materiellen Interessen schädigende Concurrenz darstellt. Der Staat 
aber hat ein lebhaftes Interesse und darum die ernste Pflicht, die 
Erwerbsverhältnisse eines Standes zu schützen, auf dessen gewissen¬ 
hafte, selbstlose und opferwillige Mitwirkung er in der Verwaltung 
des öffentlichen Sanitätswesens angewiesen ist. 

Von diesem Gesichtspunkte aus würde sich folgende Fassung 
empfehlen: 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 37. 


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„§ 34. Wer in einer Druckschrift Ankündigungen ver¬ 
öffentlicht, welche in einer die Sittlichkeit verletzenden Form 
den Geschlechtsverkehr zum Gegenstände haben, wer ferner 
in einer Druckschrift Ankündigungen ver¬ 
öffentlicht, welche die ärztliche Hilfe eines, 
wenn auch zur Ausübung der Praxis in den im 
Reichsrath e vertretenen Königreichen und 
Ländern berechtigten Arztes unter Anführung 
von Krankheiten oder unter reclamhafter An¬ 
preisung seiner Thätigkeit anbieten, ist wegen 
Uebertretung mit Arrest von 1 Tag bis zu 6 Wochen zu 
bestrafen, womit eine Geldstrafe bis zu K 1000 verbunden 
werden kann.“ 

Ad 2. In § 35 liegt eine dankenswerte Rücksichtnahme auf 
das Gesundheitswohl der Bevölkerung. Leider aber ist die Regie¬ 
rung bei der Abfassung desselben auf halbem Wege stehen ge¬ 
blieben. Er fixirt Geld- oder Arreststrafen für die Ankündigung 
eines Heilmittels, „welches durch amtliche Kundmachung verboten 
ist“. (Es sollte wohl heißen: „dessen Feilhaltung und Verkauf 
verboten wurden“.) Verboten sind nun das Feilhalten und der 
Verkauf von Geheimmitteln, das sind Arzneizubereitungen, für 
welche nach Verordnung des Ministeriums des Innern und des 
Handels vom 17. September 1883, R.-G.-Bl. Nr. 152, die vom 
Erzeuger ausgestellte Bereitungsvorschrift zur Einsicht der Aerzte 
in der Apotheke nicht vorliegt, oder für welche aus der vor¬ 
gelegten Bereitungsvorschrift die Substanz des Arzneimittels nicht 
mit Bestimmtheit in qualitativer und quantitativer Hinsicht er¬ 
kenntlich ist. 

Gegen das Geheimmittelunwesen führt nun die Regierung — 
man kann sagen: seit unvordenklichen Zeiten — einen, wie der 
Erfolg zeigt, vergeblichen Kampf. 

Schon das Allerh. Patent vom 25. November 1775 verbietet 
den Verkauf eines Arcanums. Und ganz besonders in den letzten 
Jahren ist eine Reihe von Regierungserlässen erflossen, welche 
sich mit dem Geheimmittelunwesen beschäftigt. 

Trotz dieser Erlässe blüht heute das Geheimmittelunwesen 
üppiger denn je; Beleg hiefür ist eine in den Acten 'der Aerzte- 
kammer befindliche Sammlung von Zeitungsausschnitten und Druck¬ 
schriften, welche mühelos zusammengetragen worden ist und leicht 
zu einem dickleibigen Convolut vermehrt werden könnte. 

Es ist nun leicht ersichtlich, daß durch den Verkauf von Geheim¬ 
mitteln nicht nur das Volk betrogen wird — denn der Werth der¬ 
selben steht in gar keinem Verhältnisse zu ihrem Preise —, sondern 
daß auch sein Gesundheitswohl in hohem Grade geschädigt wird. 
Denn viele Kranke werden von der Hoffnung auf Genesung durch 
ein Geheimmittel — und ein solches flößt dem Kranken mehr Ver¬ 
trauen ein als ein bekanntes Mittel — davou abgehalten, recht¬ 
zeitig ärztliche Hilfe zu suchen ; sie versäumen dadurch den Zeitpunkt, 
in welchem der Arzt ihr Leiden noch zu meistern vermag. Daß 
ein Geheimmittel wirklich zur Heilung führt, ist ja fast ganz aus¬ 
geschlossen ; der Erzeuger eines Geheimmittels ist in der Regel nicht 
Arzt, und, ist er auch Arzt, so kennt er weder den Kranken, noch 
dessen Krankheit; es liegt im Wesen des Geheimmittelgeschäftes, 
daß der Erzeuger des Geheimmittels dasselbe als bei den verschie¬ 
denartigsten, wenn nicht allen Krankheiten wirksam empfiehlt. 

Aber die Gefahr einer Schädigung der Volksgesundheit liegt 
nicht nur in der Ankündigung und dem Verkauf von Geheimmitteln, 
sondern in der Ankündigung von Medicamenten überhaupt, woferne 
die Ankündigung — und wenn dieselbe einen geschäftlichen Werth 
haben soll, muß dies ja der Fall sein — eine reclamehafte ist 
und die Wirksamkeit des Medicaments bei einer oder mehreren 
Krankheiten angibt. Denn, mag auch die Angabe über die Wirkung 
des Heilmittels eine zutreffende sein, so fehlt ja dem Kranken die 
Einsicht in die Natur seiner Krankheit und daher das Urtheil 
darüber, ob das Mittel seinem Zustande angemessen ist. Der Kranke 
glaubt, an einer bestimmten Krankheit zu leiden und wendet das 
zur Bekämpfung dieser Krankheit empfohlene Mittel an — in 99 
von 100 Fällen wird er sich in seinen Hoffnungen getäuscht sehen, 
sicherlich Geld, vielleicht aber auch kostbare Zeit verloren haben. 


Wenn sich daher der Preßgesetzentwurf mit dem Verbote 
der Ankündigung „verbotener“ Heilmittel begnügt, so ist diese 
Bestimmung schon deshalb werthlos, weil es in der Hand des Ge¬ 
heimmittelfabrikanten liegt, seinem Fabrikate den Charakter als 
Geheimmittel durch Vorlage der Bereitungsvorschrift zu nehmen, 
welche dem Apotheker und dem Arzte bekannt wird, nicht aber 
auch zur Kcnntniß des Publicums gelangt, für dieses also ein Ge¬ 
heimmittel bleibt, an welches sich die Hoffnung auf eine zauber¬ 
hafte Wirkung knüpft. 

Zu einem wirksamen gesundheitlichen Schutz des Publicums 
gehört sonach nicht nur das Verbot der Ankündigung eines Ge- 
heiramittels, sondern auch das Verbot der Ankündigung irgend 
eines Arzneimittels, wenn dieselbe Angaben über dessen Wirkung 
bei krankhaften Zuständen enthält. 

* * 

* 

Allein noch viel gefährlicher für das öffentliche Gesundheits¬ 
wohl als die Ankündigung von Heilmitteln ist die Ankündigung 
der Behandlung von Krankheiten durch zur Praxis in Oesterreich 
nicht berechtigte Personen, die Curpfuscherei. Die gewerbsmäßig 
betriebene Curpfuscherei wird allerdings bestraft, ihro Ankündigung 
ist aber nicht verboten. Unzweifelhaft ist aber das Preßgesetz der 
geeignetste Ort, ein solches Verbot auszusprechen und dadurch 
wenigstens theilweise die Curpfuscherei zu unterdrücken, welche an 
dem finanziellen und gesundheitlichen Marke des Volkes zehrt und 
niemals so schamlos in die Oeffentlichkeit getreten ist wie heutzu¬ 
tage. In Zeitungen, Flugblättern und Büchern liest man die un¬ 
glaublichsten Anzeigen von in- und ausländischen Curpfuschern. Als 
Beleg hiefür möge unsere Sammlung von Annoncen aus Zeitungen 
und Flugblättern dienen. Als besonders charakteristisch seien fol¬ 
gende Annoncen erwähnt: 

Ein Herr „K. T., Specialist“ in Wien, anonncirt: „Keine 
Operation mehr! Bruchleideude begehen ein Verbrechen an ihrer 
Gesundheit, wenn sie sich nicht sofort mit meiner Erfindung be¬ 
kanntmachen . . .“ Die Annonce enthält weiters die lakonische 
Mittheilung: „Erhielt goldene Medaille!“ und die dem Laien natür¬ 
lich imponirende Behauptung : „Habe vor Herrn Professor Güssen- 
bäuer demonstrirt“, während sie weislich verschweigt, daß der 
„Erfinder“ von Professor G. — hinauscomplimentirt worden ist. 

— Ein Herr G. T. in P. kündigt an: „Kropf und Blähhals werden 
durch ein vollkommen unschädliches Mittel gänzlich vertrieben . .“ 

— Eine „Privatklinik“ in der Schweiz verspricht in Zeitungsbeilagen 
die Heilung von Hautkrankheiten auf brieflichem Wege. — Ein 
Herr P. in Paris kündigt die „Heilung der veralteten Brüche ohne 
Operation mittelst vitalistischer Behandlung“ an. — Für das be¬ 
rüchtigte Buch des Curpfuschers Bilz, wie für das concurrirende 
seines gewesenen Commis Platen wird in ständigen Zeitungsannoncen, 
Flugblättern, auf der Straße vertheilten Broschüren die unver¬ 
schämteste Reclame getrieben. — In den Auslagen mancher Buch¬ 
händler — es gibt Specialisteu für das Fach — sieht man Natur¬ 
heilbücher in Massen, angeblich zur Belehrung der Bevölkerung, in 
Wahrheit aber nur dazu dienend, um für den Verfasser Reclame 
zu machen oder unter einem scheinheiligen Gewände Erotik zu 
treiben. Es ist am Ende menschlich begreiflich, daß ein Kranker, 
bei dem die ärztliche Kunst versagt, sich dem Naturheilschwindel 
in die Arme wirft; diesen sollte aber die verdiente Strafe selbst 
dann treffen, wenn er dem Kranken nicht directen Schaden zufügt, 
weil er bewußt den bemitleidenswerthen Kranken ausbeutet, bezie¬ 
hungsweise soll diese Ausbeutung, soweit als möglich, von vorne- 
herein verhindert werden. Von einem „guten Glauben“ des Cur¬ 
pfuschers an seinen „Beruf“ kann niemals die Rede sein, weil jede 
vernünftige Voraussetzung für diesen guten Glauben fehlt. Der für 
die Krankenbehandlung nothwendige Einblick in den Bau, die 
Lebensthätigkeiten und die Erkrankungen des menschlichen Orga¬ 
nismus ist nicht ein Geschenk, das dem Gottbegnadeten vom Himmel 
in den Schoß fällt, sondern er muß durch Fleiß und Arbeit er¬ 
worben werden. Die Naturärzte rühmen sich ihrer „Erfahrung“. 
Aber cs gibt keine „Erfahrung“ ohne Erkenntniß. Und wenn ein 
Mensch hundertmal täglich auf die Uhr schaut, — dadurch allein 
wird er nimmermehr ihren Bau und ihre Gebrechen erkennen und 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 37. 


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diese zu beseitigen wissen. Er muß dies eben gelernt haben. Daß 
diese einfache Wahrheit selbst in intelligenten Kreisen nicht erkannt 
wird, ist schier unbegreiflich. Unser Strafgesetz trifft nur die ge¬ 
werbsmäßige Ausübung der Curpfuscherei; die Ankündigung ist 
aber der positivste Beweis für Gewerbsmäßigkeit, welche sich ja 
gerichtsordnungsmäßig so schwer erweisen läßt; das Verbot der 
Ankündigung wäre also durchaus gerechtfertigt. 

In der That fehlt es — ganz abgesehen vom Strafgesetze, 
§ 343 — nicht an Regierungserlässen, welche sich gegen die 
Curpfuscher wenden. Normirt ja schon das Sanitätshauptnormativ 
(Patent vom 10. April 1773) kurzweg deren — Abschaffung aus 
den Erblanden. Der moderne Curpfuscher reist aber nicht mehr 
auf Jahrmärkten herum, er behandelt brieflich und bedient sich 
zu seiner Reclame der Druckerpresse. Der inländische Curpfuscher 
rißkirt dabei allerdings gelegentlich den Conflict mit dem Straf¬ 
gesetze, der ausländische aber — bei uns gilt auch der ausländische 
Arzt als Curpfuscher, und er verdient diesen Namen in der That, 
woferne er „brieflich“ curirt — findet für sein Ausbeutergeschäft 
absolut kein Hinderniß, und so wandern sicher alljährlich große 
Summen ins Ausland: damnum emergens für die armen Patienten, 
lucrum cessans für die österreichische Aerzteschaft. Das wirksamste 
Mittel zur Unterdrückung der Curpfuscherei wäre die Aufnahme 
einer Bestimmung in das Preßgesetz, welcher gemäß ärztliche Hilfe 
anbietende Ankündigungen von ausländischen und von inländischen 
Nichtärzten verboten sind. 

Der Staat Hamburg hat am 1. Juni 1900 eine Verordnung 
erlassen, welche sich gegen den Heilmittelschwindel und die Cur¬ 
pfuscherei wendet, und welche vorzugsweise wegen ihres § 2 hier 
citirt wird. Zu § 1 ist zu bemerken, daß in Deutschland durch die 
Reichs-Gewerbeordnung die Ausübung der Heilkunde freigegeben, 
also die Möglichkeit der Bekämpfung der Curpfuscherei sehr erheb¬ 
lich eingeschränkt ist. Die Hamburger Verordnung lautet wie folgt: 

㤠1. Oeffentliche Anzeigen von nicht approbirten Personen, 
welche sich mit der Ausübung der Heilkunde befassen , sind ver¬ 
boten , soferne sie über Vorbildung, Befähigung oder Erfolge der 
genannten Personen zu täuschen geeignet sind, oder prahlerische 
Versprechungen enthalten. 

§ 2. Die öffentliche Ankündigung von Gegenständen, Mitteln, 
Vorrichtungen und Methoden, welche zur Verhütung, Linderung 
oder Heilung von Menschen- oder Thierkrankheiten bestimmt sind, 
ist verboten: 

1. falls den Gegenständen, Mitteln, Vorrichtungen und Me¬ 
thoden besondere, über ihren wahren Werth hinausgehende Wir¬ 
kungen beigelegt werden, oder das Publicum durch die Art ihrer 
Anpreisung irregeführt oder belästigt wird, oder 

2. falls die Gegenstände, Mittel, Vorrichtungen oder Methoden 
ihrer Beschaffenheit nach geeignet sind, Gesundheitsschädigungen 
hervorzurufen. 

Handelt es sich um Geheimmittel oder Geheimeuren , so ist 
deren öffentliche Ankündigung unter allen Umständen , einerlei ob 
die unter 1, 2 genannten Bedingungen zutreffen, verboten. 

§ 3. Die öffentliche Ankündigung von Gegenständen, Mitteln, 
Vorrichtungen und Methoden, welche zur Verhütung der Empfäng¬ 
nis , zum Hervorrufen geschlechtlicher Erregungen oder zur Be¬ 
seitigung der Folgen geschlechtlicher Ausschweifungen bestimmt 
sind, ist verboten. 

§4. Zuwiderhandlungen gegen die §§ 1—3 werden mit Geld¬ 
strafen bis zu Mk. 150 oder mit entsprechender Haft bestraft.“ 

Eine dem § 1 analoge Verordnung des Regierungspräsidenten 
von Schleswig datirt vom 6. Mai d. J. 

Nach diesen Auseinandersetzungen würde sich folgende Fas¬ 
sung empfehlen: 

„§ 35. Wer in einer Druckschrift die Ankündigung von 
Losen und Lospapieren veröffentlicht, die im Inlande nicht 
zugelassen sind, oder von Heilmitteln, deren Feil¬ 
haltung und Verkauf verboten wurden, wer 
ferner in Druckschriften — mit Ausnahme von 
rein wissenschaftlichen — Ankündigungen von 
Arzneimitteln unter gleichzeitiger Angabe ihrer 
Wirkung bei bestimmten Krankheiten veröffent¬ 


licht, wer endlich Ankündigungen veröffent¬ 
licht, welche das Angebot ärztlicher Behand¬ 
lung von Seite solcher Personen enthalten, 
welche zur Ausübung der ärztlichen Praxis in 
den im Reichsrathe vertretenen Königreichen 
und Ländern nicht berechtigt sind, ist wegen Ueber- 
tretung an Geld mit K 10—500 oder mit Arrest von einem 
Tage biß zu 4 Wochen zu bestrafen.“ 


Nach diesen Ausführungen stellt Referent den Antrag: Die 
Kammer wolle beschließen: Es seien an die hohe Regierung und 
die beiden Häuser des Reichsrathes Petitionen zu richten, in welchen 
um Abänderung der Regierungsvorlage betreffend das Preßgesetz 
im Sinne des obigen Referates gebeten wird. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Aus 

medicinischen Gesellschaften Deutschlands. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Medicinische Gesellschaft in Leipzig. 

Köster: Ueber die ätiologischen Beziehungen der Chorea zu 
Infectionskrankheiten, insbesondere zu rheumatischen 
Affectionen. 

Vortr. berücksichtigt nur die Chorea minor (Sydenham), mit 
Ausschluß aller anderen, besonders der degenerativen Formen der 
Erkrankung, und gibt zunächst ein kritisches Referat über die 
Ansichten der Autoren. Dann nimmt er selbst Stellung zu der 
Frage. Er steht auf dem Standpunkte, daß man außer Fällen von 
Chorea, die ätiologische Beziehungen zu Infectionskrankheiten haben, 
auch solche beobachtet, die zweifellos nicht infectiöser Natur sind: 
manf kann dieselbe also der Epilepsie vergleichen, die genuin auf- 
treten oder auch durch toxische und andere Schädlichkeiten ver¬ 
ursacht sein kann. Wie man sich nun das Verhältniß denken soll, 
in dem die Chorea zu der zugehörigen Infection steht, ob sie als 
Theilerkrankr.ng oder als Nacherkrankung aufgefaßt werden soll, 
ist unentschieden: als endgiltig abgelehnt ist Kirk’s Hypothese 
zu betrachten, daß es sich dabei um Embolie von Bakterien im 
Gehirn handle; gegen oder für eine andere Hypothese, die Toxin¬ 
theorie, läßt sich bis jetzt kein Sectionsmaterial geltend machen. 
Die Art der Infectionskrankheit betreffend, die entweder der Chorea 
vorausgegangen war oder nach deren Ausbruch auftrat, beobachtete 
auch Vortr. das Ueberwiegen der rheumatischen Infectionen, ganz 
besonders, wenn man dieselben mit Wollenberg als sogenannte 
„kleine rheumatische Erkrankungen“ auf eine Reihe von Erkältungs¬ 
krankheiten ausdehnt, wie Schnupfen, Bronchitis u. a. m. Bei dem 
zweifellos nicht infectiösen Rest denkt sich der Vortr. das Zu¬ 
standekommen der Chorea begünstigt durch Unterernährung und 
psychisches Trauma, was zu der Auffassung als einer „psycho¬ 
motorischen Reflexneurose“ (Soltmann) stimmt. Sein eigenes Material 
gruppirt K. in folgender Uebersicht: Von 121 Fällen waren 86 
infectiöser Natur = 71*15°/ 0 , 35 nicht infectiös = 28’85%. Von 
Infectionen kommen in Betracht: Pneumonie einmal, Impfung einmal, 
Scharlach zweimal, Scharlach und Gelenkrheumatismus einmal, 
Masern zweimal, Masern und Gelenkrheumatismus einmal, Schnupfen, 
Schnupfenfieber (und „Influenza“) siebenmal (dieser und alle 
folgenden Fälle können unter dem erweiterten Begriff’ „rheumatische 
Ursachen“ zusammengefaßt werden), Schnupfenfieber und Endo- 
carditis einmal, Schnupfen und Angina zweimal; Schnupfen, 
Laryngitis und Angina zweimal; Schnupfen, Bronchitis und Gelenk¬ 
rheumatismus dreimal; Schnupfen, Bronchitis, Angina, Gelenk¬ 
rheumatismus zweimal; Schnupfen, Gelenkrheumatismus und Endo- 
carditis dreimal; Angina sechzehnmal, Angina und Laryngitis 
einmal; Angina und Endocarditis neunmal; Angina und Gelenk¬ 
rheumatismus sechsmal; Angina und Gelenkrheumatismus und Endo- 
cardi'tis sechsmal; Gelenkrheumatismus und Endocarditis sechsmal; 


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Gelenkrheumatismus sechsmal; Endocarditis einmal; Gelenkrheu¬ 
matismus und Bronchitis einmal; Otitis media dreimal; Bronchitis 
dreimal. Die nicht infectiösen Fälle lassen sich folgenderweise ein- 
theilen : Vier Fälle wiesen große zerklüftete Tonsillen auf und hatten 
('.in Geräusch an der Herzspitze; in 6 Fällen ließ sich hysterische 
Pseudochorea nicht vollkommen sicher ausschließen, 2 Fälle erregten 
durch ihr Alter (45 und 59 Jahre) den Verdacht, daß es sich 
vielleicht doch um einen degenerativen Proceß handeln konnte, 
sonach bleiben noch 23 Fälle übrig, unter denen neunmal ein 
erlittener Schreck beschuldigt wurde, während sich sonst keine 
Ursache ermitteln ließ. 


Schlesische Gesellschaft für vaterländischeCultur in Breslau. 

Mann: Zur Symptomatologie der beginnenden Tabes unter spe- 
cieller Berücksichtigung der Augensymptome. 

Vorfcr. hat in der Augenklinik sämmtliche Nervenfälle, die 
daselbst wegen Augenerscheinungen behandelt wurden, untersucht. 
Es waren 165 Fälle von Tabes dorsalis und 200 Fälle, bei denen 
Augensymptome vorhanden waren, ohne daß sich eine bestimmte 
Nervendiagnose stellen ließ. Vortr. glaubt, daß die Augensymptome 
zu den frühesten und sichersten Symptomen der beginnenden Tabes 
zu rechnen seien, während das Fehlen des Patellarreflexes die Be¬ 
deutung nicht habe, die ihm zugeschrieben werde. Zu den Augen¬ 
symptomen gehören: 1. die reflectorische Pupillenstarre; 2. die 
Lähmung der Augenmusculatur; 3. die Opticusatrophie. Die reflec¬ 
torische Pupillenstarre kommt in 60—80% der Tabesfälle vor, 
sie ist also ebensowenig wie das WESTPHAL’sche Symptom des 
fehlenden Patellarreflexes ein absolut constantes Symptom. Unter 
den 165 Fällen war* 40mal r= 24 2% der Patellarreflex erhalten, 
in zehn Fällen sogar gesteigert. Bei 48 Fällen aus der Privat¬ 
praxis war der Patellarreflex in 23% erhalten, in 21% die Pupillen- 
rcaction. Das letztere Symptom, das Fehlen der Pupillenreaction, 
hat also eine größere Constanz. Es ist aber auch eines der frühesten 
Symptome: unter den 165 Fällen waren 35 (21%) mit ataktischen 
Störungen — in der Zeit dieser Störungen tritt das Pupillensym¬ 
ptom bereits auf. Das Symptom der reflectorischen Pupillenstarre 
kommt auch anderen Erkrankungen zu. In 136 Nervenfällen, in 
denen es vorhanden war, waren nur 92 (67%) auf Tabes zu be¬ 
ziehen, 33% kamen anderen Affectionen zu, so: Lues cerebri, pro¬ 
gressiver Paralyse, Tumoren, Gehirnblutungen, alkoholischer Neuritis. 
Es kann also bei Pupillenstarre nur eine % Wahrscheinlichkeits¬ 
diagnose gestellt werden. Das letzte Viertel wird durch die luetische 
Infection in der Anamnese gegeben. Das poliklinische Material ist 
hiefür ungeeignet, da es fast grundsätzlich die Infection ableugnet; 
anders das Material der Privatpraxis. Von 42 Fällen wurde nur 
zweimal Lues iu der Anamnese geleugnet. — Die Ungleichheit der 
Pupillen (Anisocorie) war in 20% vorhanden, sie kommt aber 
unter den verschiedensten Verhältnissen vor. Ein ferneres Symptom 
ist die Lähmung der Augenmuskeln. Meist handelt es sich um 
einen Muskel, gelegentlich auch um mehrere. Es tritt Doppeltsehen 
auf. In manchen Lehrbüchern wird das Symptom als bei 40—50% 
aller Fälle vorkommeud angegeben. Auch dieses ist ein frühes 
Symptom, es ist aber gleichfalls nicht ganz sicher, denn es kommt 
auch auf rheumatischer und neuritischer Basis vor. Das dritte und 
schwerste Symptom ist die Opticusatrophie. Nach einer SlLEX’schen 
Statistik macht sie 15% aller Tabesfälle aus. Die Zusammenstellung 
des Vortr. ergab einen höheren Procentsatz (33%%) bei 55 Fällen. 
Etwa % aller Fälle zeigen dieses Symptom. Die Sehnervenatrophie 
soll einen hemmenden Einfluß auf die anderen Symptome haben. 
Nach dem untersuchten Material kann davon keine Rede sein. Die 
Lehre, die aus den statistisch-klinischen Untersuchungen des Vortr. 
zu ziehen ist, ist die Aufforderung zu frühzeitigster Augenunter¬ 
suchung. Zur einwandsfreien Diagnose gehört: 1. Ein Augensym¬ 
ptom ; 2. Aufklärung über Lues; 3. irgend eines der anderweitigen 
Symptome : Blasenstörungen, Schmerzen, Reflexstörungen. Wichtig 
sind die Schmerzen im Initialstadium, besonders die lanciuirenden. 
Erschwerend sind die Fälle mit Steigerung der Patellarreflexe nach 
einer Zeit der Abschwächung. Ein wichtiges Symptom ist ferner 


die von Hitzig gefundene Sensibilitätsstörung am Rumpf. Sie kommt 
häußg mit den erwähnten Augenstörungen zusammen vor. Sie geht 
um den ganzen Thorax gürtelförmig herum und reicht vorn von 
der zweiten Rippe bis zum Processus xiphoideus. — g. 


Notizen. 

Wien, 13. September 1902. 

Der VII. österreichische Aerztekammertag. 

i. 

Am 7. und 8. d. M. hat zu Czernowitz im Sitzung6saale 
des Bukowinaer Landtages der VII. Aerztekammertag unter Anwesen¬ 
heit von Delegirten fast sämmtlieher österreichischer Kammern statt- 
gefuuden. Wir lassen den Bericht über die wichtigsten Beschlüsse 
desselben folgen. 

I. Aenderung des Aerztekammergesetzes. 

Die Discussion war nach den Hauptgesichtspunkten ange¬ 
ordnet : 

Einführung von Aerztelisten, in welche Derjenige, der die 
ärztliche Praxis ausüben will, vor Antritt der letzteren seine Ein¬ 
tragung zu erwirken hat; die Einbeziehung der politischen Amts¬ 
ärzte in die Kammerpflicht, die Abänderung des Wahlmodus in die 
Kammer, die Erweiterung der Disciplinargewalt der Kammern, be¬ 
stehend in der Befugniß zur Praxisentziehung, und die Schaffung 
eines Ehrengerichtshofes und Trennung des Ehrenrathes vom Vor¬ 
stande. 

Als Grundlage der Specialberathung wurde der vom ver¬ 
einigten Revisionscomitö der Präsidenten der Wiener, niederöster¬ 
reichischen, mährischen und ostgalizischeu Kammer vorgeschlagene 
Entwurf angenommen, während der von der Wiener Kammer selbst¬ 
ständig aufgestellte und juristisch begutachtete Entwurf einer Aerzte- 
ordnung und eines Kammergesetzes in der Erwägung, daß eine 
Aerzteordnung noch einer gründlichen Vorberathung in den einzelnen 
Kammern bedürfe, fallen gelassen wurde. 

Für die Nothwendigkeit der Schaffung einer Aerzte¬ 
ordnung sprachen sich alle Delegirte aas. 

Die angeführten Abänderungsvorschläge wurden bis auf die 
Anträge, betreffend die Bildung eines Ehrengerichtshofes ange¬ 
nommen. 

Mit Rücksicht auf die beschlossene Erweiterung der 
Disciplinargewalt der Kammern (Praxisentziehung) wurde 
zwar die Nothwendigkeit eines Ehrengerichtshofes oder einer ähn¬ 
lichen Instanz als Schutzwehr für die von der schärfsten Strafe 
Betroffenen anerkannt, die von der Wiener Kammer vorgeschlagene 
Organisation einer solchen Institution aber als nicht vollständig und 
sohin höchst reformbedürftig bezeichnet, weshalb diese Frage vor¬ 
erst noch den einzelnen Kammern, die sich damit noch gar nicht 
beschäftigt haben, zur Vorberathung zugewiesen wurde. 

Bemerkenswerth ist das Stimmenverhältniß, welches 
bei der Abstimmung über die Erweiterung der Disciplinargewalt 
der Kammern erzielt wurde. Stimmenverhältniß der Anwesenden: 
pro 9, contra 5; der Kammern: pro 11, contra 7. 

II. Vertretung des ärztlichen Standes in den gesetz¬ 
gebenden Körperschaften. 

In der sehr lebhaften Debatte hob Delegirter Dr. Brenner 
(Brünn) insbesonders hervor, daß die Standesinteressen der Aerzte 
in den gesetzgebenden Körperschaften soviel wie gar nicht ver¬ 
treten seien. Im mährischen Landtage befindet sich kein einziger 
Arzt, und sei auch keine Aussicht, einen Arzt in den Landtag zu 
bekommen. Es sei dies ein Uebelstand, der selbst von den nicht¬ 
ärztlichen Abgeordneten sehr schwer gefühlt werde. Trotzdem 
fänden sich aber gar keine Mittel zur Abhilfe. Der Arzt, wenn er 
gewählt werden wolle, müsse sich in den Wahlkampf stürzen, und 
sei er einmal gewählt, so halte er sich seiner Partei gegenüber so 
verpflichtet, daß er die Vertretung der ärztlichen Standesinteressen 
in den Hintergrund zu setzen bemüssigt sei. Man könne sich zwar 
keinen sicheren Erfolg von einer Virilstimme in den Landtag ver- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 37. 


1670 


sprechen, dazu sei der jetzige Zeitpunkt noch nicht danach ange- 
than; dagegen sei es die Pflicht und ein Bedürfniß der ärztlichen 
Vertretungskörper, die Öffentlichkeit auf die schlechte Interessen¬ 
vertretung des ärztlichen Standes in den gesetzgebenden Körper¬ 
schaften aufmerksam zu machen. 

Redner beantragt zu diesem Zwecke die Annahme nach¬ 
stehender Resolution: 

„Der VII. Österreichische Aerztekammertag bedauert, 
daß der ärztliche Stand in den gesetzgebenden Körperschaften 
bisher keine Vertretung gefunden hat, und spricht die Hoffnung 
aus, daß die Aerzteschaft in einer viel regeren Weise speciell 
an der Wahlbewegung sich betheiligt, in der Absicht, sich 
in diese Körperschaften wählen zu lassen.“ 

Im gleichen Sinne sprach auch Delegirter Dr. Festenborg 
(Lemberg) und brachte noch den Wunsch zum Ausdrucke, daß mit 
allen Mitteln auch dahin gestrebt werde, für die Aerzte eine bessere 
Vertretung im Reichsrathe zu erlangen. Die vom Delegirten Dr. 
Brenner beantragte Resolution wurde angenommen. 

III. Regelung des Verhältnisses zwischen Versiche¬ 

rungsärzten und Versicherungsanstalten. 

Folgende Anträge der Innsbrucker Kammer wurden ange¬ 
nommen : 

1. Die Aufnahmsuntersuchungen bei Lebensversicherungen 
sollen in der Wohnung des Arztes vorgenommen werden, und sollen 
die Parere, wenn keine besonderen Leistungen verlangt werden, 
ohne Rücksicht auf die Höhe der Versicherungssumme mit mindestens 
10 Kronen honorirt werden; 

2. sollten zur Abfassung der Aufnahmsparere ein oder mehrere 
Besuche bei der Partei verlangt werden, so sind diese Besuche 
von der Anstalt zu honoriren. 

Bezüglich der Volksversicherungen wurde jeder einzelnen 
Kammer bezüglich der ärztlichen Untersuchung und der Honorirung 
der Atteste die Vereinbarung mit der betreffenden Gesellschaft 
nach ihrem eigenen Gutdünken überlassen. 

IV. Gleichmäßige Einforderung der Kammerbeiträge. 

Beschluß: Aerzte, welche im Laufe eines Jahres aus einem 
KammerspreDgel in einen andern übersiedeln, haben in dem Sprengel, 
den sie verlassen, den Kammerbeitrag für das Quartal, in dem 
die Uebersiedlung erfolgt, zu bezahlen, in der neuen Kammer 
dagegen vom Beginne des auf die Uebersiedlung folgenden Quartals. 

V. Einholung von Facultätsgutachten vor der Ver- 
urtheilung von Aerzten wegen Kunstfehlern. 

Beschluß: Es sei an das Justizministerium mit der Bitte 
heranzutreten, daß die gerichtliche Untersuchung wegen eines 
Kunstfehlers erst nach Einholung eines gerichtsärztlichen Gut¬ 
achtens eingeleitet und das Urtheil erst dann gefällt werde, wenn 
über den Fall ein Facultätsgutachten eingeholt ist. — Dieser 
Vorgang sei nicht nur für das Straf-, sondern auch bei Unter¬ 
suchungen im Civilverfahren anzuwenden, wobei in letzterem Falle 
die Aerzte sich bereit erklären, für die Kosten des Vorverfahrens 
aufzukommen. 

VI. Schaffung eines Ministeriums für Sanitäts 
angelegenheiten. 

Beschluß: Die ostgalizische Aerztekammer wird ersucht, auf 
Grund der Ausführungen ihres Delegirten am VII. Kammertage 
eine Petition um Schaffung eines Ministeriums für Sanitätsangelegen¬ 
heiten auszuarbeiten, welche nach Einholung der Zustimmung aller 
Kammern an beide Häuser des Reichsrathes zu überreichen ist. 


(S. v. Basch.) Vor wenigen Tagen hat ein bescheidener Ge¬ 
lehrter sein 65. Lebensjahr vollendet, gleichzeitig mit dem 25jährigen 
Jubiläum seiner Ernennung zum Extraordinarius. Unsere Leser 
kennen Basch aus zahlreichen seiner in diesen Blättern publicirten 
Arbeiten und Vorträge, die freilich nur einen minimalen Bruchtheil 


der Arbeitsleistung des unermüdlichen Forschers und Lehrers dar¬ 
stellen. Aus Carl Ludwig’s und Ernst Brücke’s Schule hervor¬ 
gegangen, widmete Basch sein Leben hingebender physiologischer 
Forschung, und sein wiederholt transferirtes, zuletzt in einem Winkel 
der alten „Wiener Gewehrfabrik“ etablirtes kleines Laboratorium 
für experimentelle Pathologie war der Ausgangspunkt einer unab¬ 
sehbaren Reihe ausgezeichneter Arbeiten, die Basch theils allein, 
theils im Verein mit seinen zahlreichen Schülern daselbst ausge¬ 
führt hat. Ein Meister der so schwierigen Technik des Thier¬ 
versuches, hat Basch so manchem arbeitslustigen jungen Forscher 
die Wege gewiesen, und unter seiner Leitung haben derzeit hervor¬ 
ragende Internisten, Chirurgen, Urologen und Dermatologen der 
Wiener Schule grundlegende Arbeiten geliefert. Seine eigenen Publi- 
cationen zeichnet jene Exactheit aus, die Carl Ludwig zu der 
Bezeichnung „Mathematik in Worten“ voranlaßte, als er das Haupt¬ 
werk des Jubilars, „Die Physiologie und Pathologie des Kreislaufs“, 
besprach. Nicht minder hervorragend ist Basch’s erst kürzlich 
edirtes Werk „Ueber Arteriosklerose“, welches die Bilanz seiner 
langjährigen experimentellen Arbeiten auf dem Gebiete der Kreis¬ 
laufsbahn zieht. Als Arzt genießt Basch, welchem vor wenigen 
Monaten erst Titel und Charakter eines Ordinarius verliehen worden 
ist und dessen Laboratorium demnächst ein würdiges Heim im bis¬ 
herigen physiologischen Institute finden soll, vorzüglichen Ruf; er 
gilt mit Recht für einen unserer besten Diagnostiker und Thera¬ 
peuten der Herz- und Gefäßkrankheiten. Sein Sphygmomanometer 
zur klinischen Blutdruckmessung hat dem Namen des trefflichen 
Physiologen und Arztes, der in Marienbad seit einem Vierteljahr¬ 
hundert sommerliche Praxis ausübt, Weltruf vermittelt. Möge er 
auch fernerhin, bis an des Menschenlebens äußerste Grenze Befrie¬ 
digung finden in den Ergebnissen seiner Arbeit, in der Verehrung 
seiner Schüler, in der Anerkennung der wissenschaftlichen Welt. 

(Universitätsnachrichten.) Ernannt wurden : Der Pri vat- 
docent für experimentelle Psychologie Dr. Friedrich Schumann in 
Berlin zum Professor, der Physieus Dr. Hildebr&ndt in Ham¬ 
burg zum a.o. Professor inMarb urg i. H., Fräulein Dr. R. Marteo 
zum Professor der Anatomie in Mailand. — Dr. Wilhelm Anton 
hat sich für Otologie und Rhinologio an der deutschen, Dr. Karl 
Vymola für dieselben Fächer au der böhmischen Universität in 
Prag habilitirt. 

(Personalien.) Dem Primarärzte des städtischen Civil- 
spitales in Pola Dr. Georg Antichievich ist das Ritterkreuz des 
Franz Joseph-Ordens verliehen worden. — Der Oberstabsarzt II. CI. 
Dr. Florian Löhnert, Garnison-Chefarzt in Ung.-Weißkirchen, ist 
in den Ruhestand versetzt und ihm bei diesem Anlasse der Aus¬ 
druck der Allerhöchsten Zufriedenheit bekanntgegeben worden. — 
Der prov. Corvettenarzt Dr. Guido Faidiga ist zum effeetiven Cor- 
vettenarzte ernannt worden. 

(XIV. Internationaler medicinischer Congreß 
in Madrid.) Den Besuchern dieses Congresses sind eine Reihe 
von Begünstigungen in Aussicht gestellt, und zwar haben Fahr¬ 
preisermäßigungen gewährt: die nordspanische Eisenbahn, die Bahn 
von Madrid nach Saragossa und Alicante, sämmtliche französische 
Eisenbahnen, Navigatione generale italiana, Compagnia „Puglia“, 
„Napolitana“ und „Siciliana“, sämmtliche 50°/o, die spanische 
transatlantische Compagnie 33%. Die „Voyages Pratiques“ (Paris, 

9 rue de Rome) ertheilen unentgeltlich Auskunft über alle die 
Reise betreffenden Fragen. Das Wohnungsbureau in Madrid (Bureau 
de Logements, Faculte de M6decine, Madrid) besorgt auf Ersuchen 
passende Wohnungen. — Vorträge, die ins definitive Programm 
aufgenommen werden sollen, sind bis 1. Januar 1903 beim General- 
secretariat anzumelden. 

(Statistik des Alkoholismus in Niederösterreich.) 
Laut amtlicher Statistik über die im Jahre 1901 in Evidenz gestandenen 
notorischen Trunksüchtigen sind im genannten Verwaltungsgebiete 
insgesammt 2385 solche Trunksüchtige ausgewiesen worden, gegen¬ 
über 2255 im Vorjahre und 2198 im Jahre 1899. Von denselben 
entfielen 1371 (1256 Männer, 115 Weiber) auf Wien und 1014 
(925 Männer, 89 Weiber) auf das übrige Verwaltungsgebiet. Dem 
Alter nach standen 5 unter 20 Jahren, 767 zwischen 20 und 40 ? 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 37. 


1672 


1324 zwischen 40 nnd 60 Jahren, während 271 über 60 Jahre 
alt waren. Bei den übrigen ist das Alter nicht ermittelt worden. 
Vorwiegend Branntwein tranken 1827, Wein 431 und Bier 75 der in 
Evidenz Genommenen. Von den ausgewiesenen Trunksüchtigen sind 
210 durch Trunksucht erwerbsunfähig geworden, 178 um den 
ganzen Besitz gekommen und 408 der Armenpflege anheimgefallen. 
930 sind als notorische Trunkenbolde, welche die Ordnung stören 
und öffentliches Aergerniß geben, und 859 als solche, welche wegen 
im Trünke begangener Handlungen mit der Polizei oder dem Straf¬ 
gerichte in Conflict geriethen, bezeichnet. 

(Nachweis von Bacillen in der Straßenatmo¬ 
sphäre.) Zu diesem Zwecke beabsichtigt der New-Yorker Straßen- 
reinigungs-Commissär John M. Woodbury die Luft in den Straßen 
New-Yorks zu photographiren. Er nimmt an, daß das Departement 
mit Hilfe von Photographien imstande sein wird, die Luft zu analy- 
siren und dann den Zustand derselben zu verbessern. Zu diesem 
Zwecke sind bereits in verschiedenen Theilen der Stadt einen 
Quadratfuß große Gelatineplatten aufgestellt worden, welche dazu 
dienen sollen, die Krankheitserreger aufzufangen. Nachdem die 
Platten genügend lange exponirt sind, sollen sie untersucht und 
photographirt werden. Einstweilen ist das Verfahren nur als Ver¬ 
such zu betrachten, indessen hofft sein Erfinder, daß ein perma¬ 
nentes Laboratorium eingerichtet werden wird, wenn sich die ersten 
Resultate als erfolgreich erweisen. 

(Verbreitung der Lepra in Deutschland.) Nach 
Mittheilungen des kaiserlichen Gesundheitsamtes waren am Schlüsse 
des Jahres 1901 im Deutschen Reiche 37 Leprakranke bekannt 
(gegen 32 im Vorjahre). Davon entfielen auf Preußen 25 (gegen 
20 im Vorjahre), auf Hamburg 8 (gegen 11 im Vorjahre), auf 
Bayern 2, auf Mecklenburg-Schwerin 1 und auf Elsaß-Lothringen 1. 
In Preußen sind im Jahre 1901 zu dem bisherigen Bestand 6 Kranke 
hinzugekommen, die sämmtlich in Krankenhäusern verpflegt werden; 
ein Kranker ist ausgewandert. Von der Zahl der zugegangenen 
Kranken haben sich 3 die Krankheit in überseeischen Ländern zn- 
gezogen. In Hamburg sind im Jahre 1901 3 Kranke in Zugang 
gekommen, 1 Kranker ist gestorben, 5 sind weggezogen. Von der 
Gesammtzahl der im Berichtsjahre in Hamburg beobachteten Aus¬ 
satzkranken waren 4 Deutsche und 10 Ausländer. In allen Fällen 
ist die Quelle der Ansteckung in überseeischen Ländern, darunter 
8mal in Brasilien, zu suchen. 

(Statistik.) Vom 31. August bis incl. 6- September 1902 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 6067 Personen behandelt. Hievon wurden 1338 
entlassen; 139 sind gestorben (9 4% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkernng Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 32, egypt. 
Augenentzündung 3, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 9, Dysen¬ 
terie 1, Blattern—, Varicellen 15, Scharlach 12, Masern 36, Keuchhusten 47, 
Rothlanf 16, Wochenbettfieber 2, Rötheln 1, Mumps —, Influenza —, follicul. 
Bindehaut-Entzündung—, Meningitis cerebrospin.—, Milzbrand—, Lyssa—, 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 559 Personen gestorben 
(+ 48 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Berlin der praktische 
Arzt Geh. Sanitätsrath Dr. Hebmann Schlesinger , 68 Jahre alt; 
in Innsbruck der bekannte Berliner Augenarzt Dr. Albert Graefe, 
der auch auf ärztlich-socialem Gebiete eine erfolgreiche Thätigkeit 
entfaltet hat, im 43. Lebensjahre. 


Die Kunst der Aerzte hat in vielen Krankheitsfällen nicht nur mit 
der Krankheit selbst, sondern oft ebensoviel mit einem gewissen Eigensinn 
des Patienten zu rechnen, der, ungeachtet der strengsten Weisungen des 
Arztes, nicht die moralische Kraft besitzt, sich den Genuß von Speisen und 
Getränken zu versagen, die ihm im normalen Gesundheitszustände zum unent¬ 
behrlichsten Lebensbedürfniß geworden sind. Das gilt namentlich bei starken 
Bier- und Weintrinkern. Dämon Alkohol läßt seine Anhänger nicht so leicht 
lenken, und so mancher im besten Heilungsverlaufe befindliche Krankheits- 
proceß ist schon durch vorzeitigen Genuß von geistigen Getränken in gefähr¬ 
lichster Weise gestört worden. Unsere Zeit weiß aber für Alles ein Remedium. 
Um bei dem eben erwähnten speciellen Falle zu bleiben, sei da auf den 
ausgezeichneten Medicinalwein Tonlno der Firma Simetta & Blau, Wien, 
I., Griechengasse 8, hingewiesen. Dieser, von der chemischen Controle der 
Untersuchnngsanstalt für Nahrungs- und Genußmittel geprüfte Wein entspricht 
allen Vorschriften der Pharmakopoe für Diabetiker, Magenleidende, Schwäch¬ 
liche und Beconvalescenten und sein Genuß kann zu keinerlei Complicationen 
führen, die im Krankheitsfalle der Genuß von Naturwein im Gefolge hat. 


Tonino ist nicht nur für Kranke und Reconvalescenten ein stärkendes und 
erquickendes Getränk, sondern auch für vollkommen gesunde Personen durch 
seine blutreinigenden Eigenschaften höchst empfehlenswerth. Der Ausspruch 
der Aerzte lautet in dieser Hinsicht vollkommen übereinstimmend. 


INHALT: Rudolf Vibchow f. — Referate. Aus der I. med. Univer¬ 
sitätsklinik in Berlin. E. v. Leyden und F. Blumenthal: Vorläufige Mittheilungen 
über einige Ergebnisse der Krebsforschung. — Aus der königl. chirurgischen 
Universitätsklinik zu Bonn und St. Johannes-Hospital (Geheimrath Schede). 
V. Schmieden: Die Erfolge der Nierenchirurgie. — Lennandek (Upsala): Acute 
(eitrige) Peritonitis. — Dabiek (Paris): Behandlung der Ablösung (döcolle- 
ment) der Netzhaut. — Landereb (Stuttgart): Die Hetolbehandlung und ihre 
Gegner. — Krone (Todtmoos): Ein Beitrag zur Hetolbehandlung der Tuber- 
culose in der Landpraxis. — H. Strauss (Berlin): Zur Functionsprüfung der 
Leber. — Kann (Berlin): Zur Aetiologie der Alopecia praematura simples. — 
B. Hellich (Prag): Beiträge zur normalen und pathologischen Anatomie des 
menschlichen Rückenmarks. — Kleine Mittheilungen. Darreichung von 
Phosphor bei Rachitis. — Heilung einer Meningitis tuberculosa. — Behand¬ 
lung der Seborrhoe. — Die therapeutische Bedeutung des Ichthyolsalicyls. — 
Die Therapie der Angina. — Die Anwendung von „Hygiama“ in der Kinder¬ 
praxis. — Die vaginale Anwendung der BßAUN’schen Blase. — Literarische 
Anzeigen. Encyklopädie der mikroskopischen Technik mit besonderer Berück¬ 
sichtigung der Färbelehre. Herausgegeben von Professor Dr. Paul Ehrlich, 
Dr. Rudolf Krause, Dr. Max Mosse, Dr. Heinrich Rosin und Prof. Dr. Carl 
Weigert. — Leitfaden der Therapie der inneren Krankheiten mit besonderer 
Berücksichtigung der therapeutischen Begründung und Technik. Ein Hand¬ 
buch für praktische Aerzte. Von Dr. J. Lipowski. — Feuilleton. Der Preß- 
gesetzentwmf und die Aerzte. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. Aus 
medicinischen Gesellschaften Deutschlands. (Orig-Ber.) — Notizen. Der 

VII. österreichische Aerztekammertag. — Nene Literatur. — Eingesendet._ 

Offene Correspondenz der Redaction und Administration. — Aerztliche 
Stellen. — Anzeigen. 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 


Einzelne Nnmmern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
Postversendung. Die Preise derEinbanddeoken sind folgende: für die „Med. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
„Therapie der Gegenwart“: K 1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Postversendung! 


Die Rubrik: „Erledigungen , ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 

Mt Wir empfehlen diese Rubrik der speciellen Beachtung unserer 
geehrten Leser; in derselben werden öfters — neben der Publioation von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auoh für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein können, welohe an eine 
Aenderung des Domioils oder ihrer Verhältnisse nicht gedacht haben. *SM 



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XLIII. Jahrgang. Wien, den 21. September 1902. 


Nr. 38. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik“, letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse“ 
in Wien, I., MaximilianstraOe Nr. 4, zu richten. Für 
die Bedaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 


Wiener 


Abonnementopreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Militärärztlicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jahrl. 
20 K, halbj. 10 Ä, viertel]• 5 K. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk-, halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 K\ Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. = 60 b berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien, I., Maximilianstr. 4. 


Medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Bedaction: Telephon Ir. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

-« 9 $ 8 »- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban k Schwarzenberg in Wien. 
Administration: Telephon Ir.9104. 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse u gestattet. 


Zur 74. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. 

Karlsbad 21.—27. September 1902. 


Und wieder zieht der Herbst ein in die Lande, die Traube reift, das Laub hat sich verfärbt — da 
tönt der Ruf an die deutschen Aerzte und Naturforscher zur Sammlung bei dem Erntefeste, das alljährlich fast 
— seit achtzig Jahren — die Gelehrten deutscher Zunge für eine Woche vereint zu der Geister friedlichem 
Wettkampf. Gern folgen sie dem Rufe, der sie bald an den grünen Rhein, bald an der Ostsee Strand, in der 
Wissenschaft große Metropole wie in aufstrebende Städte Deutschlands und Oesterreichs, hart an den Fuß der 
Alpen, bald an der Elbe gastliche Ufer führt, und doppelt freudig folgen heute sie der Ladung, da es gilt, den 
Boden zu betreten, der, wie kein zweiter so im Erdenrund, von der Gnadenspenderin Natur geweiht ward zur 
Heilstätte der Menschheit. 

Zum zweitenmale haben die deutschen Naturforscher und Aerzte die Thermenstadt Karlsbad zu ihrem 
Vereinigungsorte gewählt. Vor vierzig Jahren — anno 1862 — da eben auch vier Decennien seit dem Tage ver¬ 
strichen waren, an welchem der Physiologe Oken und der Botaniker Graf Sternberg zu Leipzig die Natur¬ 
forscher-Versammlungen begründet, hat Karlsbad sie in seinen Mauern begrüßt, und heute, da ihre Vereinigung 
den achtzigsten Geburtstag feiert, ziehen sie wieder ein in das herrliche Thal der Tepl und sein Juwel, das 
glänzende Weltbad. Wie groß und schön haben sie sich entwickelt in diesen vierzig Jahren, die Gesellschaft 
deutscher Naturforscher und Aerzte sowohl, wie die Stadt, die ihnen heute jubelnden Empfang bereitet! Dereinst 
ein Häuflein Gelehrter, stellt die Naturforscher-Versammlung derzeit eine stattliche Reihe gleichzeitig tagender, 
mit einander Fühlung nehmender Einzelcongresse dar, die nach außen hin die mächtigen Glieder eines Giganten 
repräsentiren; vor vierzig Jahren ein aufstrebendes, frequentirtes Bad, sind die Thermae Carolinenses heute eine 
große Curstadt von internationaler Bedeutung, in welcher ein Stab fürtrefflicher Aerzte wirkt und eine unab¬ 
sehbare Menge von Kranken aller Zonen und Zungen Heilung sucht. 

Auf therapeutischem Boden werden die deutschen Aerzte und Naturforscher tagen. Mögen ihre 
Verhandlungen, auf welche die schmerzliche Erinnerung an Rudolf Virchow , den Nestor der Gesellschaft 
deutscher Naturforscher und Aerzte, einen tiefen Schatten wirft, fruchtbringend sein, würdig der Geschichte ihrer 
Institution, würdig der Stätte, die sie soeben festlich begrüßt mit dem Rufe 

Salve sciential 


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1691 


1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 38. 


1692 


Originalien und klinische Vorlesungen. 


Aus der II. chirurgischen Abtheilung im k. k. Allge¬ 
meinen Krankenhause (Vorstand: Prof. v. Mosetig- 

Moorhof). 

lieber Appendicitis und ihren Zusammenhang 
mit Traumen. 

Von Dr. Sigmund Erdheim, em. Assistenten der Abtheilung. 

Da in neuerer Zeit vielfach die Tendenz bemerkt wird, 
dem Trauma eine wichtige Bedeutung bei der Entstehung der 
Appendicitis zuzuschreiben und mehrere Autoren (Small *) u. A.) 
die Meinung aussprachen, daß die leichten Traumen viel 
häufiger, als man bis nun annahm, Ursache für Appendicitis 
abgeben, erscheint es gerechtfertigt, einige Fälle zu ver¬ 
öffentlichen, die ein gewisses Licht auf die sogenannte trau¬ 
matische Entstehung der Appendicitis werfen. Es mehren sich 
■die Fälle, in welchen die Aerzte als Sachverständige zur 
Begutachtung von Appendicitiden, die durch Trauma bewirkt 
sein sollen, herangezogen werden, und in Anbetracht dessen 
hat Sonnenburg 2 ) darauf hin gewiesen, wie wichtig es wäre, 
wenn eine einheitliche Beurtheilung des Traumas als ätio¬ 
logisches Moment für die Erkrankungen des Wurmfortsatzes 
platzgreifen würde. 

Neumann 8 ) hat aus der Klinik Prof. v. Braman 10 Fälle 
veröffentlicht, bei welchen er das Trauma als Entstehungs¬ 
ursache der Appendicitis ansieht, und kommt zu dem Schlüsse, 
daß sowohl ein directes, als auch ein indirectes Trauma 
imstande sei, an einem gesunden Processus vermiformis eine 
Entzündung hervorzurufen. In der weitaus größten Anzahl 
der Fälle, heißt es in der Arbeit weiter, kann das Trauma 
einen gesunden Processus vermiformis nur zur Erkrankung 
bringen, wenn er einen Kothstein oder dem Aebnliches enthält. 
Mit Recht hat nun Sonnenburg darauf hingewiesen, daß 
ein Processus vermiformis, der Kothsteine enthält, kein 
gesunder Wurmfortsatz mehr ist, da nach unserer jetzigen 
Anschauung von der Pathologie der Appendicitis der Koth¬ 
stein im Verlaufe der Schleimhautentzündung sich bildet, 
ihr Product darstellt. 

Nothnagel 4 ) vertritt bei Besprechung der Aetiologie 
der Appendicitis den Standpunkt, daß ein Trauma die Perfo¬ 
ration oder die Ruptur eines schon längst erkrankten Pro¬ 
cessus vermiformis beschleunigen kann, und daß es mög¬ 
lich ist, daß ein diese Gegend direct treffendes Trauma ge¬ 
legentlich ein ähnliches Krankheitsbild ohne vorherige Er¬ 
krankung des Wurmfortsatzes schaffen kann; dieses Krank¬ 
heitsbild habe aber mit der echten Appendicitis nichts gemein 
und sei nur ein circumscripter peritonitischer Proceß, der 
seiner Veranlassung nach an jeder anderen Stelle im Peri¬ 
toneum sich entwickeln konnte. Auch Sonnenburg (1. c.) hat 
in einem in der Sitzung der freien Vereinigung der Chirurgen 
Berlins gehaltenen Vortrage betont, daß wir es in den Fällen 
von sogenannter Appendicitis traumatica stets mit einem 
bereits früher erkrankten Organ zu thun haben. In der 
Discussion, die diesem Vortrage folgte, schloß sich auch 
Bergmann 6 ) dieser Ansicht an. 

Zur weiteren Stütze dieser Ansicht erlaube ich mir 
die folgenden Fälle mitzutheilen und im Anschluß daran 
die Begutachtung solcher Fälle in civil- und strafrechtlicher 
Hinsicht zu besprechen. 

Fall I. Am 20. März 1900 wurde ich vom Collegen Dr. R. 
zu einem Falle, der seit einem Tage in seiner Behandlung stand, 
pro consilio gebeten. Die Anamnese lautete folgendermaßen: Der 
8jährige Knabe war früher immer gesund und erlitt am 17. März 

») „Med. Record“, 1898, Ref. „Centralbl. f. Grenzgeb.“, 1899. 

а ) „Deutsche med. Wschr.“, 1901, 38. 

s ) „Langenbeck's Arch.“, Bd. 62. 

4 ) Erkrankungen des Darmes und des Peritoneums. Wien 1898. 

б ) „Centralbl. f. Chir.“, 1901, 50- 


beim Turnen ein Trauma, und zwar derart, daß er niederfiel and 
ein Knabe ihm dabei einen Fußtritt iri die rechte Bauchseite ver¬ 
setzte. Der Knabe verspürte sofort Schmerzen im Bauche, erholte 
sich aber bald und ging von der Schule zu Fuß nach Hause. Die 
Schmerzen hielten am Abend und am nächsten Tage an, der Knabe 
hatte keinen Appetit, legte sich aber nicht zu Bett; die Mutter 
bemerkte, daß der Knabe blaß aussehe. 

Am 19. März konnte der Knabe das Bett nicht mehr ver¬ 
lassen; da die Bauchschmerzen sehr heftig wurden und Erbrechen 
eintrat, wurde College Dr. R. geholt, welcher eine Auftreibung 
des Bauches constatirte. Da der Zustand am 20. März sich ver¬ 
schlimmerte und College Dr. R. eine Operation für indicirt hielt, 
wurde ich zur Begutachtung des Falles gebeten. 

Ich fand am 20. März Abends den Knaben ganz verfallen, 
mit halonirten Augen; Puls war sehr beschleunigt, Zunge trocken. 
Patient klagte über heftige Schmerzen im ganzen Bauch. Bei der 
Untersuchung constatirte ich eine gleichmäßige, ballonartige Auf¬ 
treibung des ganzen Abdomens, das auf Druck sehr empfindlich 
war; die größte Schmerzhaftigkeit bestand in der rechten Bauch¬ 
seite. Im Abdomen fand sich freie Flüssigkeit; infolge Zwerchfell¬ 
hochstandes litt der Knabe an ziemlich bedeutender Dyspnoe. 

Die Diagnose diffuse Peritonitis war unter diesen Ver¬ 
hältnissen klar, und es handelte sich nur darum, die Ursache 
derselben zu eruiren. Obwohl das Trauma ein so heftiges 
war und auch der Verlauf der Krankheit nach dem Trauma 
sich derart gestaltete, daß man eine Darmruptur mit con- 
secutiver, allgemeiner Peritonitis annehmen konnte, hat mich 
die in der rechten Bauchseite vorherrschende Schmerzhaftig¬ 
keit an den Wurmfortsatz als Ausgangspunkt der Entzündung 
denken lassen. Ich zog daher bei der Mutter des Kindes 
eingehende Erkundigungen ein, ob das Kind vielleicht früher 
einmal einen Anfall von Blinddarmentzündung durchgemacht 
hätte. Die Mutter leugnete anfangs entschieden jede Krank¬ 
heit, gab aber zum Schluß auf sehr eindringliches Befragen 
zu, daß das Kind sich oft „den Magen verdorben“, nicht 
immer alle Speisen vertragen und manchmal nach dem Essen 
erbrochen habe, ohne aber je bettlägerig gewesen zu sein. 

Diese Angaben der Mutter waren für mich entscheidend 
bei der Beurtheilung des Falles, und ich nahm eine latent 
verlaufene Appendicitis an, welche infolge des Traumas zur 
diffusen Peritonitis geführt hat. 

Der Knabe wurde noch im Laufe des Abends in das 
Krankenhaus auf die Abtheilung des Prof. v. Mosetig über¬ 
führt, wo Dr. Oelwein um 12 Uhr Nachts die Laparotomie 
in Chloroformnarkose vornahm. 

Der Status praesens vor der Operation entsprach dem früher 
geschilderten, nur der Puls war noch mehr beschleunigt und klein 
(Puls 150). Die Bauchhöhle wurde mittelst eines dem Ligamentum 
Pouparti parallelen Schnittes an der rechten Seite eröffnet, worauf 
sich aus der Cöcalgegend eine Menge dicken Eiters und aus der 
Lebergegend eine größere Menge trüben, serösen, mit Fibrinflocken 
vermengten Exsudates entleerten. In der Eiterhöhle fand sich der 
kurze, stark verdickte Processus vermiformis, an dessen Spitze 
eine Perforationsöffnung mit einem Kothstein zu sehen war. 

Der Processus vermiformis wurde in typischer Weise resecirt 
und eine Contraincision auf der linken Seite angelegt, worauf sich 
auch von hier trübes Serum entleerte. Die Incisionsöffnungeu 
wurden offen gelassen, die Bauchhöhle auf beiden Seiten mit 
Jodoformgaze drainirt. 

Am Tage nach der Operation besserte sich der Zustand des 
Patienten ein wenig, am 22. März trat aber eine neuerliche Ver¬ 
schlimmerung ein, Erbrechen chocoladefarbiger Massen, Singultus, 
Puls wurde kaum fühlbar, Sensorium benommen und um 1 / i l Uhr 
trat der Exitus ein. 

Die Obductionsdiagnose lautete: Diffuse eiterige Peritonitis 
nach Perforation des Processus vermiformis, Resection der unteren 
Hälfte des Processus vor 2 Tagen bei schon bestehender Peritonitis. 
Erweiterung und chronische Entzündung der oberen Hälfte 
des Processus vermiformis mit partieller Ulceration der Schleim¬ 
haut; zwei Kothsteine in diesem Theile. Fettige Degeneration der 


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1902. — Wiener * Medizinische Presse. — Nr. 38. 


1694 


Leber und Nieren, geringe Erweiterung der Ureteren und des 
Nierenbeckens (infolge Druckes von Seite des Jodoformtampons 
im kleinen Becken). 

Es handelte sich also thatsächlich in unserem Falle um 
eine alte Appendicitis, obwohl das Kind früher keinen eigent¬ 
lichen Appendicitisanfall hatte; der bei der Operation und 
dann bei der Obduction erhobene Befund von Kothsteinen 
und Verwachsungen bestätigte dies zur Genüge. Am Kranken¬ 
bette schien es auf den ersten Blick allerdings, als ob hier 
der erste Anfall einer Appendicitis, und zwar auf trau¬ 
matischer Grundlage, vorliege; erst auf mehrmalige Nachfrage 
konnten die „leichten Magenbeschwerden“ eruirt werden, die 
als Zeichen einer latent verlaufenen Appendicitis aufgefaßt 
wurden. Hätte man auf diese leichten Beschwerden keine 
Rücksicht genommen, wäre man leicht versucht gewesen, 
dem Trauma die Entstehung der Appendicitis „an einem 
der Anamnese nach ganz gesunden Processus vermiformis“ 
zuzuschreiben. 

Es würde sich daher bei der Erhebung der Anamnese 
in allen Fällen von sogenannter Appendicitis traumatica 
empfehlen, sein Augenmerk nicht nur darauf zu richten, ob 
ein wirklicher Anfall von Blinddarmentzündung voraus¬ 
gegangen ist, sondern auch, ob die vagen Beschwerden 
(Appetitlosigkeit, Ueblichkeiten und Erbrechen nach dem 
Essen, weiters ein Gefühl von Schwere im Bauche), die von 
den Laien als die Erscheinungen eines Magenkatarrhs ge¬ 
deutet werden, die aber häufig die einzigen Anzeichen einer 
latent bestehenden Appendicitis darstellen, früher schon 
öfter auftraten. In den meisten der veröffentlichten Kranken¬ 
geschichten (Schottmüller 6 ), Neumann) ist dieses Moment 
nicht berücksichtigt, daher wurden die Fälle für acute 
Appendicitiden gehalten, obwohl aus dem Befunde bei der 
Operation leicht constatirt werden konnte, daß die patho¬ 
logischen Veränderungen am Wurmfortsatz schon vor dem 
Trauma vorhanden gewesen sein dürften; offenbar waren 
die Erscheinungen nur so gering und standen mit der letzten 
Krankheit nach Ansicht der Patienten nicht im Zusammen¬ 
hang, so daß die Patienten es nicht für wichtig genug hielten, 
ohne specielle Frage dem Arzte davon Mittheilung zu machen. 

Ueber die Entstehungsweise der acuten Peritonitis in 
den traumatischen Fällen sind verschiedene Ansichten aus¬ 
gesprochen worden. Während Schottmüller der Meinung ist, 
daß der Kothstein, der schon vor dem Trauma vorhanden 
war und bereits ein Druckgeschwür im Processus vermiformis 
hervorgerufen hat, bei dem Trauma die Wand des Processus 
ganz durchreißt, so daß der unter hohem Drucke gestandene 
Eiter in die freie Bauchhöhle herausgeschleudert wird, glaubt 
Neumann, daß es nicht nothwendig zu einer Zerreißung der 
ganzen Wanddicke kommen muß, dazu sei der Processus 
vermiformis zu klein und zu beweglich ; seiner Anschauung 
nach wird infolge des Traumas die Schleimhaut zwischen 
Stein und äußerer Bauchwand eingepreßt, und es kommt 
nur zu einem kleinen Riß, der eine günstige Eingangspforte 
für die Darmbakterien bildet. 

Obwohl in den bisher veröffentlichten Fällen von 
Appendicitis traumatica sehr häufig Kothsteine gefunden 
wurden, glaube ich dennoch nicht fehlzugehen, wenn ich 
annehme, daß ihnen die große Bedeutung, die ihnen von 
einer Seite zugeschrieben wurde, nicht zukommt. Sie sind 
meiner Meinung nach nur ein Indicator dafür, daß der 
Proceß alten Datums ist, während die Propagation des ent¬ 
zündlichen Processes ähnlich zu erklären wäre, wie in den¬ 
jenigen Fällen von Appendicitis, in welchen kein Trauma 
vorausgegangen ist. Wir sehen oft, daß bei Appendicitis, zu 
einer Zeit, wo das Exsudat keine Tendenz zum Fortschreiten 
mehr bat, es nach Darreichung eines Abführmittels zu einer 
Steigerung der Fiebererscheinungen und neuerlicher Zunahme 


8 ) Epityphlitis traumatica. „Mittli. aus den Grenzgeb. für Med. und 
Chir.“, Bd. 6. 


des Exsudats kommt; man nimmt in solchen Fällen an, daß 
durch die regere Peristaltik die bereits gebildeten, jedoch 
nicht sehr festen Adhäsionen um den Entzündungsherd an 
einer Stelle eingerissen wurden, so daß der Entzündungs- 
proceß auf die benachbarten Theile des Peritoneums sich 
ausgebreitet hat. Dieselbe Rolle wie die Peristaltik spielt 
hier in noch höherem Maße das Trauma, wobei es wegen 
der größeren Gewalt leichter zur Zerreißung auch fester 
Adhäsionen kommen kann. 

In einem gewissen Procentsatz der Fälle von Appen¬ 
dicitis sehen wir Geschwüre, ohne daß Kothsteine gleichzeitig 
vorhanden seien, und es ist nicht einzusehen, warum gerade 
bei dem durch Trauma bewirkten Fortschreiten des Entzündungs- 
processes ein Kothstein unbedingt eine Rolle spielen muß. 

Hingegen kann ich Neumann vollständig beipflichten, 
wenn er dem Verhalten des Patienten nach dem Trauma 
eine große Bedeutung für die raschere Ausbreitung des Ent- 
zündungsprocesses zuschreibt. Neumann beobachtete, daß in 
denjenigen Fällen, in welchen der Exitus unter den heftigsten, 
allgemein peritonitischen Erscheinungen eintrat, die Behand¬ 
lung nicht die richtige war; die Patienten gingen nach der 
Verletzung noch herum, machten noch längere Fahrten in 
schlecht federndem Wagen, nahmen Abführmittel oder setzten 
sich anderen Schädlichkeiten aus, die nicht geeignet waren, die 
Adhäsionen um den frisch erweiterten Entzündungsherd zu 
festigen und denselben zu begrenzen. Auch in unserem Falle 
benahm sich Patient ähnlich; er ist 2 Tage nach der Ver¬ 
letzung noch herumgegangen, obwohl er sich bereits krank 
fühlte; dementsprechend war auch die Peritonitis über das 
ganze Bauchfell ausgebreitet. Es erscheint daher von besonderer 
Wichtigkeit, wenn man die Patienten bald nach der Ver¬ 
letzung in Behandlung bekommt, für Ruhiglagerung derselben 
Sorge zu tragen und, wenn die äußeren Verhältnisse es nur 
irgendwie gestatten, die Operation sobald als möglich aus¬ 
zuführen. 

Außer dem hier besprochenen Falle sind auf der Ab¬ 
theilung v. Mosetig von circa 90 in den letzten Jahren 
operirten Fällen von Appendicitis noch zwei andere in Be¬ 
handlung gestanden, bei welchen das Trauma in der Anamnese 
eine wichtige Rolle spielte. Der eine der Fälle verdient in 
extenso mitgetheilt zu werden. 

Fall II. F. H., 17jähriger Bäckergehilfe, aufgenommen am 
29. September 1901, gibt an, früher immer gesund gewesen zu sein; 
von Seiten des Magens und des Darmes hat Patient nie irgend 
welche Beschwerden gehabt. Vor l l / 2 Jahren erkrankte Patient 
8 Tage nach einem Sturze vom Rade unter heftigen Schmerzen 
im Bauche, Stuhlverhaltung, Erbrechen (ohne Fieber!) und suchte 
damals in Deutschland ein Spital auf, das er näher zu bezeichnen 
nicht imstande war. Die behandelnden Aerzte sollen bei ihm 
innere Verletzungen constatirt haben. Es wurden häufig Irrigationen 
gemacht, wobei sich jedesmal größere Mengen Eiters entleert haben 
sollen. Einige der behandelnden Aerzte hatten ihm damals eine 
Operation vorgeschlagen, in die er aber nicht eingewilligt hat. 
Nach 9wöchentlicher Behandlung im Spital and 3monatlicher Be¬ 
handlung zu Hause fühlte er sich wohl und konnte seiner Beschäfti¬ 
gung nachgehen. Am 29. September erkrankte er plötzlich mit 
Schneiden im Bauch, Erbrechen schleimiger Massen, Schüttelfrost 
und hohem Fieber. Patient wurde auf die IV. medicinische Ab¬ 
theilung aufgenommen und nach 2 Tagen auf die Abtheilung 
Prof. v. Mosetig transferirt. 

Stat. praes.: Kräftiger, dem Alter nach entsprechend ent¬ 
wickelter Bursche, Temp. 37‘7, Puls 84. Abdomen in den unteren 
Partien etwas vorgewölbt, die Bauchmusculatur stark gespannt, 
die Berührung des Abdomens in den unteren Partien sehr schmerz¬ 
haft. Stuhlverhaltung, Aufstoßen, Erbrechen. 

Bei der am 4. October vorgenommenen Laparotomie fand 
sieb entzündlich infiltrirtes, mit dem Cöcum verwachsenes Netz, 
das abgetragen wurde. Bei der weiteren Präparation fand sich 
ein Absceß, der entleert wurde. Der Processus vermiformis war 
nach unten gelagert und daselbst verwachsen. Resection des Pro- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


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cessus in typischer Weise. Der Wurmfortsatz war verdickt, die 
Schleimhaut entzündet, unweit der Spitze fand sich eine nekrotische 
Partie. Der Wundverlauf gestaltete sich normal und Pat. wurde 
am 28. October geheilt entlassen. 

Soweit die etwas unklare Anamnese eine Deutung des 
Falles gestattet, wäre die Entstehung der Appendicitis auf 
ähnliche Weise zu erklären, wie dies Sonnenburg (1. c.) in 
dem von ihm in extenso mitgetheilten Falle thut. Infolge 
des Traumas sind Blutungen in der Gegend des Cöcums und 
des Processus vermiformis entstanden, die dann zu Adhäsionen 
um diese Gebilde geführt haben. Die Fixation des Wurm¬ 
fortsatzes führte zu einer erschwerten Entleerung seines 
Inhaltes, dann zu Circulationsstörungen, bis schließlich ein 
Schleimhautgeschwür entstand. Das Trauma hat also die 
Bedingungen zur Entwickelung des Entzündungsprocesses 
geschaffen, ohne aber selbst die acute Appendicitis erzeugt 
zu haben. 

Fall III. E. B., aufgenommen 17. März 1900, gibt au, vor 
vier Wochen einen Sturz vom Rade erlitten zu haben. Acht Tage 
darauf erwachte er unter Schmerzen im Bauche, die seitdem nicht 
verschwanden. Seit dem Sturze soll auch Appetitlosigkeit bestehen. 
Bei der Untersuchung des Patienten fand sich ein Absceß in der 
Ueocöcalgegend, welcher durch eine einfache Incision entleert 
wurde. Sowohl die Anamnese als auch der Befund bei der Ope¬ 
ration sind so lückenhaft, daß an eine Deutung des Falles nicht 
gedacht werden kann. 

Endlich möchte ich mir erlauben, noch einen Fall mit- 
zutheilen, welcher beweist, wie leicht man Täuschungen in 
Bezug auf das Verhältniß zwischen Trauma und Appendicitis- 
anfall unterworfen ist. Da die Collegen auf der Abtheilung 
wußten, daß ich mich für die Fälle von Appendicitis auf 
traumatischer Grundlage interessire, machte mich einer der 
Collegen darauf aufmerksam , daß er in den letzten Tagen 
einen Patienten aufgenommen habe, bei welchem eine Appen¬ 
dicitis im Anschluß an einen Fall entstanden sei. Mit Weg¬ 
lassung der uns nicht interessirenden Daten theile ich hier 
die Anamnese mit, die bei genauer Erhebung zu ganz anderen 
Schlüssen in Bezug auf die Aetiologie führte. 

W. G., 13jähr. Schüler, aufgenommen 7. März 1902, litt 
bereits im November v. J. an Schmerzen in der rechten Bauchseite, 
und damals konnte der behandelnde Arzt eine schmerzhafte Resistenz 
am Darmbeinteller coustatiren. Die damalige Krankheit dauerte 
bis Januar 1902, darauf bis März Wohlbefinden. Am 5. März 
traten ohne jede bekannte Ursache Ueblichkeiten und Erbrechen, 
sowie Schmerzen im Bauch auf, so daß Patient an diesem Tage 
die Schule nicht besuchen konnte. Am Abend desselben Tages 
rutschte Pat. aus und fiel auf das linke Knie, wobei er keine 
Schmerzen im Abdomen empfand. Am nächsten Tage fühlte sich 
Patient bereits ganz wohl und war auf dem Wege in die Schule, 
als er plötzlich Erbrechen und 2 Stunden darauf Schmerzen im 
Bauche bekam. Bei der Aufnahme wurde eine geringe Auftreibung 
des Bauches constatirt, Druckschmerzhaftigkeit in der Gegend des 
Blinddarmes. Temperatur normal. Bei der am 8. März vorgenommenen 
Laparotomie wurde der Processus vermiformis zwar verdickt, aber 
nirgends angewachsen gefunden. Typische Resection des Wurm¬ 
fortsatzes. Der Processus vermiformis war 7 Cm. lang, Peritoneal- 
Überzug glatt; das Lumen war von einer harten Kothsäule aus- 
gefüllt; die Wand in der unteren Hälfte auf circa 1 Cm. verdickt, 
die Schleimhaut daselbst geröthet und geschwellt. Pat. wurde am 
22. März geheilt entlassen. 

Obwohl es also auch in diesem Falle anfangs den An¬ 
schein hatte, als ob hier eine Appendicitis traumatica vor¬ 
liege, stellte es sich bei genauer Nachfrage heraus, daß wir 
es hier mit der zweiten Attaque einer alten Appendicitis zu 
thun haben, und daß das Trauma nicht einmal dazu bei¬ 
getragen hat, diese Attaque auszulösen, da die ersten Erschei¬ 
nungen der frischen Entzündung bereits einen Tag vor dem 
Trauma auftraten. 

Auf Grund der eigenen Beobachtungen und der Fälle 
aus der Literatur sind wir daher berechtigt, dem Ausspruche 


Sonnenburg’s zuzustimmen, daß ein gesunder Pro¬ 
cessus vermiformis durch ein noch so schweres 
Trauma nicht zur Entzündung, Perforation, 
Gangrän geführt wird, und daß die Fälle von 
sogenannter Appendicitis traumatica keine 
frischen Entzündungen, sondern nur acute 
Exacerbationen latent verlaufender Krankheiten 
dar stellen. Infolge seiner relativ geschützten Lage, seines 
geringen Lumens und seiner dicken Wandungen ist der Pro¬ 
cessus vermiformis eigentlich noch weniger traumatischen 
Perforationen ausgesetzt, als andere Darmtheile, die flüssigen 
und gasförmigen Inhalt beherbergen. 

Aber auch unter der Annahme, daß ein gesunder Wurm¬ 
fortsatz durch ein noch so kräftiges Trauma nicht acut 
erkranken kann, wird die gerichtsärztliche Begutachtung der 
sogenannten traumatischen Fälle keine einfache und leichte 
sein. Bei derselben werden verschiedene Momente Berück¬ 
sichtigung finden müssen, je nachdem, ob der Fall ein 
forensischer oder ein Haftpflichtfall (Unfallversicherung) ist. 

Wenn es sich um einen forensischen Fall von Appen¬ 
dicitis handelt, so wird die traumatische Erzeugung einer 
acuten Peritonitis aus einer chronischen, latent verlaufenden 
Appendicitis zwar je nach dem Ausgang der Krankheit 
unter den Begriff „schwere körperliche Verletzung“ oder 
„Todtschlag“ subsumirt werden müssen, im letzteren Falle, 
wird aber von gerichtsärztlicher Seite stets darauf hinge¬ 
wiesen werden müssen, daß die „eigenthümliche Körper¬ 
beschaffenheit“ des Verletzten e3 bewirkt hat, daß das statt¬ 
gehabte Trauma solche schwere Folgen nach sich gezogen 
hat, und daß bei einem gesunden Organ dasselbe Trauma 
diese Krankheit nicht erzeugt hätte. 

Wenn ein unserem Fall I analoger Fall die Folge eines 
Unfalles im Betriebe wäre, dann würde die Begutachtung 
desselben vom Standpunkte des Unfallversicherungsarztes 
keine besonderen Schwierigkeiten bieten. Da die rieuere'Recht- 
sprechung in der Unfallpraxis eine derartige ist, daß die 
acuten Verschlimmerungen einer chronischen Krankheit mit 
der Begründung, daß der Unfall eine mitwirkende Ursache 
für die Erwerbsbeeinträchtigung sei, auch entschädigt werden, 
so würde in einem ähnlichen Falle die Unfallversicherung 
die vollständige Haftung für sämmtliche Folgen der in das 
acute Stadium überführten Appendicitis, resp. der Peritonitis, 
übernehmen müssen. Wenn Sonnenburg (1. c.) der Ansicht 
ist, daß nicht durch den Unfall selber eine zu Tode führende 
Krankheit entstand, und daß man nicht sagen kann, „daß 
der Tod der an Perforations-Peritonitis erkrankten Patienten 
die Folge des Unfalles sei“, und daraus die Befreiung der 
Versicherungsanstalt von der Haftpflicht deduciren wollte, 
so muß ich dem widersprechen, da doch auch die Unfall¬ 
versicherung für die Folgen einer durch einen Betriebsunfall 
entstandenen Incarceration einer alten freien Hernie haftbar 
gemacht werden kann. 

Schwieriger würde sich die Begutachtung gestalten, 
wenn die zeitliche Aufeinanderfolge und der causale Zusammen¬ 
hang zwischen Trauma und Krankheitserscheinungen kein so 
offenbarer wäre, wie in den Fällen von acut entstandener 
Peritonitis. 

Zum Schlüsse kann ich nicht umhin, auf die Gefahr 
hin, für reactionär gehalten zu werden, darauf hinzuweisen, 
daß in der letzten Zeit in allzu liberaler Weise bei der 
Begutachtung von Betriebsunfällen dem Trauma ein zu weit¬ 
gehender Einfluß auf die Entstehung der verschiedensten 
Krankheiten zugeschrieben wird. Es erscheint mir als ein 
großes Unrecht, einer so segensreichen Institution, wie es die 
Unfallversicherung ist, solche ungerechtfertigte Opfer aufzu¬ 
erlegen, die für die Dauer die Existenz dieser Institution 
ernstlich bedrohen könnten. Wenn wir zu den Folgen der 
verschiedensten Continuitätstrennungen, für welche die Unfall¬ 
versicherungen haftbar sind, dann außer den traumatischen 
Neurosen, der traumatischen Tabes und multiplen Sklerose, 


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den Darmstenosen, Magengeschwüren, den traumatischen 
Knochen- und Gelenkstuberculosen, den Carcinomen und 
Sarkomen, noch jede Appendicitis und ähnliche Erkrankungen 
auf ein Trauma zurückzuführen versuchen werden, überlasten 
wir damit mit Unrecht die Unfallversicherung und nützen 
damit wenig der Humanität. In der jüngsten Zeit ist es fast 
zur allgemeinen Gewohnheit geworden, Krankheiten auch 
auf zeitlich weit zurückliegende Traumen (Unfälle), wenn 
die letzteren auch noch so gering waren, zurückzuführen, und 
jeden Tag erscheinen Mittheilungen über neue traumatische 
Krankheiten. Das Publicum hat für derartige mögliche Ver- 
werthung von Unfällen bereits ein sehr feines Gefühl und 
wird durch die verschiedensten Berather fortwährend darauf 
aufmerksam gemacht. Da ohnedies unter Laien die Tendenz 
besteht, die verschiedensten Krankheiten auf Traumen (Ueber- 
heben, schwere Arbeit, Stoß etc.) zurückzuführen, kann es 
gar nicht Wunder nehmen, daß ein Mann, der sich einen 
Yortheil davon verspricht, an ein vielleicht wirklich vor 
längerer Zeit stattgefundenes Trauma sich erinnert und 
schließlich wirklich der Meinung wird, daß seine Krankheit 
vom Trauma herrühre. In der jüngsten Zeit macht sich 
übrigens bereits eine gesunde Reaction diesbezüglich fühlbar, 
indem von mehreren Seiten (Dirska 7 ), Ritter 8 * ), Gross¬ 
mann °) u. A.) gegen diese Ueberhandnahme des „traumatischen 
Einflusses“ protestirt wurde, und es ist zu hoffen, daß in 
der Zukunft diese Meinung immer mehr durchdringen wird. 

Um nun auf die Begutachtung der Appendicitisfälle 
nach Trauma zurückzukommen, so wäre vor Allem, um der 
Wahrheit am nächsten zu kommen, zu fordern, daß der 
Beweis des unmittelbaren Anschlusses der Krankheit an das 
Trauma in unzweideutiger Weise geführt werde (wie es 
Kaufmann 10 ) für die Unfallbrüche verlangt). Weiters wäre 
bei Haftpflichtfällen zu fordern, daß der Beweis eines Unfall¬ 
ereignisses oder außergewöhnlicher Anstrengung, wie sie sonst 
bei dem betreffenden Berufszweige nicht üblich ist, ebenfalls 
erbracht werde; die gewöhnlichen Anstrengungen im Berufe 
und die dabei entstandenen Schädlichkeiten sollten von der 
Haftpflicht ausgeschlossen worden (Kaufmann). Leichte Traumen 
kommen in jeder Anamnese vor, und es muß als entschieden 
zu weitgehend betrachtet werden, wenn Small (1. c.) eine 
heftige Contraction der Bauchdecken als genügende Ursache 
für die Entstehung einer Appendicitis ansieht und dabei von 
der Vorstellung ausgeht, daß die Contraction der Bauch¬ 
decken Darminhalt in den Processus vermiformis hineinpreßt, 
der Inhalt dann durch Reizung und Infection zur Entzündung 
des Processus vermiformis führt. Wenn diese Meinung durch- 
dringen sollte, müßten consequenter Weise auch fast alle 
Gallenstein-, Nierensteinkolikanfälle, Koliken bei beweglicher 
Niere, schließlich sogar ein vorgefallener, eingeklemmter 
Hämorrhoidalknoten als traumatisch begutachtet werden, dies 
kann aber unmöglich die Absicht sogar der liberalsten Deuter 
des Begriffes „Unfall“ sein. 


Aus der III. med. Abtheüung der A*. A. Rudolf- 
}Stiftung (Primararzt Dr. Hader). 

Ueber Indicationen zur Therapie mit „Vial's 
tonischem Weine“. 

Von Dr. Adolf Brok, Abtheilungsassistent. 

Vor einigen Monaten entschloß ich mich, den von L. u. H. 
Vial & Ulmann hergestellten Vial’s tonischen Wein auf 
der Abtheilung zu erproben. Für die Inangriffnahme der 
Versuche waren mehrere Umstände bestimmend: Die ent¬ 


7 ) „Deutsche med. Wschr.“, 1900, Nr. 41 u. 52. 

8 ) Zur ätiologischen Bedeutung des Traumas („Deutsche med. Wschr.“, 

1902, Nr. 6). 

®) „Wiener Med. Presse“, 1902, Nr. 7—9. 

,0 ) Die Entschädigung der Unterleibsbrüche. Wien 1900. 


sprechende Zusammensetzung dieses Weines, dann der Um¬ 
stand, daß mir eine so große Menge dieses Weines zur 
Verfügung gestellt wurde, so daß eine größere Anzahl von 
Fällen beobachtet werden konnte, und endlich die im Aus¬ 
lande über Vial’s tonischen Wein veröffentlichten Erfahrungen. 
Während nämlich dieser Wein schon seit Jahren in Frank¬ 
reich und Deutschland in Verwendung steht, habe ich in 
Oesterreich außer einer günstigen Beurtheilung in der „Heil¬ 
kunde“ keine Notiz darüber gefunden. Die günstigen Resul¬ 
tate, die ich mit diesem Weine an zahlreichen Fällen der 
Abtheilung zu beobachten Gelegenheit hatte, veranlassen 
mich zu dieser Publication. 

Was die Zusammensetzung des Weines anbelangt, 
so besteht derselbe seinen Hauptbestandteilen nach aus: 
Kalklactophosphat, Alkaloiden der Chinarinde und einem 
leicht assimilirbaren Fleischextract in altem spanischen Weine. 
Der Geschmack desselben ist der eines guten Malagaweines 
mit einem leicht bitteren Nachgeschmack. 

Die Darreichung dieses Weines habe ich in zahlreichen 
Fällen veranlaßt, die in drei Gruppen eingetheilt seien: 

1. Schwere Infectionskrankheiten und Reconvalescente 

nach diesen. , 

2. Tuberculöse Kranke. 

3. An Magen- und Darmbeschwerden verschiedenster Art 
leidende Kranke. 

Aus der ersten Gruppe möchte ich hauptsächlich Typhus- 
und Pneumoniekranke hervorheben. Hier habe ich Vial’s 
tonischen Wein sowohl während der Krankheit, als auch in 
der Reconvalescenz angewendet. In zwei Typhusfällen habe 
ich von Anfang der Krankheit an nebst Milch Vialwein 
verabreicht, und zwar so. daß dreimal täglich je 30 Grm. 
Vialwein abwechselnd mit Milch gegeben wurden. Bei diesen 
zwei Typhuskranken habe ich keine Klagen über irgend 
welche Beschwerden nach dem Gebrauche von Seite der 
Kranken vernommen. Der Wein wurde sehr gern genommen, 
ja eine Kranke wurde sehr ungehalten, als ich ihr bei vor¬ 
geschrittener Reconvalescenz diesen Wein strich. Auch bei 
Pneumonien habe ich Vialwein in größerer Menge (5mal 
täglich 30 Grm.) verabreicht. Nebst Digitalis und diesem 
Wein bekamen die Patienten meistens keinen Alkohol. Ich 
möchte da eine Krankengeschichte ganz kurz raittheilen: 

M. K., 42 Jahre alt, wurde auf die Abtbeilung gebracht mit 
den Angaben von Seite seiner Angehörigen , daß er vor 8 Tagen 
mit rechtsseitigem Stechen und Schüttelfrost erkrankt sei. Die 
sofort vorgenommene Untersuchung ergab eine über die ganze 
rechte Seite ausgebreitete Pneumonie. Der Pat. war stark herab¬ 
gekommen, etwas benommen. Temp. 38'8, Puls sehr klein, regel¬ 
mäßig, Frequenz 120. Ich verordnete demselben sofort 1 Grm. 
Digitalis und 100 Grm. Cognac. Trotzdem bekam Pat. Nachts 
einen Collapsanfall mit Temperatur 36°. 

Es mußten ihm mehrere Campherinjectionen verabfolgt werden. 
Der Pat. erholte sich bis Früh, die Temperatur stieg wieder auf 
38'6° an. Trotzdem blieb der Puls immer noch klein. Die Tempe¬ 
ratur blieb durch 2 Tage auf der gleichen Höhe. Am Morgen des 
3. Tages neuerlich ein Collapsanfall mit Temp. 36‘2. Nach mehreren 
Campherinjectionen Besserung. Die Temperatur stieg zur Höhe 
von 38*5 0 . Ich verordnete von diesem Tage an neben 1 Grm. 
Digitalis 5mal täglich 30 Grm. Vialwein. Das Fieber dauerte noch 
8 Tage; kein Collapsanfall mehr. Nach 8 Tagen völlige Ent¬ 
fieberung. Ich entzog dem Pat. den Wein. Pat. hatte keinen 
Appetit, war sehr schwach und nahm kaum 1 / 2 Liter Milch zu 
sich. Nachdem derselbe auch am 2. Tage keine Nahrung ver¬ 
langte, gab ich ihm neuerdings 3mal täglich 2 Eßlöffel Vialwein. 
Durch 2 Tage bemerkte ich keine Besserung seiner Appetenz; 
erst am 3. Tage verlangte er von mir ein Huhn, welches er ohne 
Beschwerden vertrug. Von diesem Tage an steigerte sich sein 
Appetit, doch verlangte der Patient vor jeder Mahlzeit den Wein, 
den ich ihm 8 Tage hindurch gab, und zwar solange, bis der 
Kranke zu seiner gewohnten Kost zurückkehrte. Pat. erholte sich 
immer mehr; plötzlich bekam er eine Furunculose; es traten in 

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großer Menge größere and kleinere Furunkel auf, die gespalten 
wurden; gleichzeitig Fiebersteigerung und Appetitlosigkeit. Ich 
gab neuerdings durch einige Tage Vialwein; Pat. bekam wieder 
Appetit, welcher die ganze Beobachtungsdauer hindurch anhielt, 
und verließ, nachdem auch die Furunculose geschwunden war, 
geheilt und angeblich mit 5 Kgrm. Gewichtszunahme die Anstalt. 

Seit dieser Zeit habe ich bei Pneumoniekranken noch 
2 Tage nach der Entfieberung 3mal täglich 30 Grm. Vialwein 
verordnet. 

Was die zweite Gruppe betrifft, habe ich den Vialwein 
vorzugsweise bei tuberculösen Kranken mit Fieber nicht 
unter 39° und mit vollständiger Appetitlosigkeit angewendet," 
dann bei Tuberculösen ohne Fieber mit fast vollständigem 
Appetitmangel und drittens bei Tuberculösen mit hochgradigen 
Diarrhöen. In der ersten Reihe dieser Fälle — hochgradiges 
Fieber — habe ich wohl häufig keine Besserung des Appetits 
bei der Darreichung beobachtet, habe dieselbe aber auch 
durch Anwendung von anderen Stomachicis nicht erzielt. 
Doch waren andererseits auch Fälle, wo sich nach kurzem 
Gebrauche (2—3 Tagen) der Appetit besserte und zur normalen 
Höhe steigerte. 

Viel günstiger waren aber die Erfolge bei fieberfreien, 
appetitlosen tuberculösen Kranken. In diesen Fällen hat mich 
der Vialwein fast nie im Stiche gelassen , auch dann nicht, 
wo ich andere Stomachica ganz umsonst angewendet habe. 
Es waren circa 20 solche Fälle, denen ich Vialwein gab; 
von diesen möchte ich einen kurz erwähnen, da er bis heute 
unter meiner Controle steht. 

H. D., 28 Jahre alt, früher Wärterin im hierortigen Kranken¬ 
hause, kam Ende des Jahres 1901 zu mir mit der Klage, sie 
habe sehr starkes linksseitiges Stechen, Schmerzen auf der Brust 
und starken Husten mit spärlichem Auswurf. 

Da sie bei mir schon längere Zeit mit Ulcus tubercul. 
laryngis in Behandlung stand, und ich außerdem wußte, daß die 
linke Lungenspitze ebenfalls tuberculös ergriffen sei, so war mir 
klar, daß jetzt eine Ausbreitung des Processes stattfand. Ich unter¬ 
suchte die Kranke, fand eine beiderseitige Apicitis und rieth ihr, 
sie möge zu ihrer Mutter aufs Land fahren und sich gut nähren. 
Diesen Rath befolgte die Patientin. Nach 14 Tagen kam sie mit 
der Bitte zu mir, ich möge ihr ein Mittel gegen den vollständigen 
Appetitmangel verschreiben. Ich verordnete ihr ein Stomachicum 
ohne Erfolg. Während 2 Monaten habe ich bei ihr fast alle 
Stomachica in Anwendung gebracht, der Appetit stellte sich nicht 
ein, die Patientin magerte ab und verlor 6 Kgrm. an Gewicht. 
Zu dieser Zeit bekam ich den Vialwein, gab ihr eine Flasche 
mit der Anweisung, sie möge eine Viertelstunde vor dem Mittagmahl 
und Nachtmahl je 2 Eßlöffel davon nehmen und mir über den 
Erfolg berichten. Nach 14 Tagen schrieb sie mir, daß sie nach 
zweitägigem Gebrauche schon mehr Appetit bekam und jetzt alles 
esse. Ich schickte ihr noch eine Flasche. Nach 2 Monaten sah 
ich sie wieder. Sie theilte mir mit, daß sie jetzt den Wein nur 
dann gebrauche, wenn sie keinen Appetit habe, was in der letzten 
Zeit zweimal der Fall war. Pat. sah gut aus und nahm gegen 
früher 2 Kgrm. zu. Die subjectiven Beschwerden gingen alle 
zurück. Auch objectiv constatirte ich insoferne eine Besserung, 
als der Proceß Stillstand. Ich sehe die Patientin von Zeit zu Zeit, 
sie sieht recht gut aus und nimmt den Vialwein nur dann, wenn 
sie appetitlos ist. 

Auch bei tuberculösen Kranken mit hochgradigen Diar¬ 
rhöen hat mir Vialwein dadurch gute Dienste geleistet, 
daß ich bei fast vollständiger Entziehung der Nahrung und 
Anwendung von Antidiarrhoicis den Kranken sowohl ein 
angenehmes, als auch durch seinen Eiweißgehalt kräftigendes 
Mittel darreichen konnte. Diese Patienten vertrugen das 
Mittel ohne jegliche Störung. 

In die dritte Gruppe möchte ich jene Fälle einreihen, 
wo seitens des Verdauungstractes, speciell des Magens, 
Störungen bestanden. Abgesehen von den schweren Erkran¬ 


kungen und functioneilen Störungen, sind es besonders Kranke, 
bei welchen objectiv nichts gefunden werden kann, die aber 
von einem Arzte zum anderen gehen, über ihren geringen 
Appetit klagen und vom Arzte ein Medicament verlangen. 
Jeder Praktiker weiß, wie schwer diese Fälle zu behandeln 
sind und wie viele Enttäuschungen man dabei erfährt. Aber 
auch hier möchte ich, wenn es die Verhältnisse des Patienten 
gestatten, Vialwein versuchen, da ich einzelne Fälle zu beob¬ 
achten Gelegenheit hatte, wo ich von diesem Präparate ganz 
schöne Resultate sah. In dieser Beziehung ist mir besonders 
ein Kranker aufgefallen. 

Ch. L., 44 Jahre alt, Eisenbahubediensteter, kam Ende April 
auf die Abtheilung. Die Anamnese ergab, daß er seit 4 Monaten 
geringen Appetit habe und stets abmagere. In der letzten Woche 
steigerte sich der Appetitmangel so, daß er nur mehr etwas Suppe 
und Tkee zu sich nehmen konnte; alles andere verursachte ihm 
Widerwillen und Druck im Magen. Der Patient hat mir zugleich 
eine ziemliche Anzahl von Medicamenten gezeigt, die er ange¬ 
wendet hatte. Trotzdem besserte sich sein Appetit nicht und er 
magerte stark ab. Nachdem objectiv nichts nachweisbar war, der 
Patient auch auf der Abtheilung fast keine Nahrung mit Aus¬ 
nahme von etwas Milch zu sich nahm, verordnete ich ihm Vial¬ 
wein. Am 2. Tage verlangte er von mir etwas zu essen. Ich gab 
ihm Milch, Eier und Suppe. Während der nächsten Tage steigerte 
sich der Appetit unter Anwendung von Vialwein soweit, daß der 
Kranke nach 10 Tagen seine gewohnte Kost (Rindfleisch, Gemüse 
und Mehlspeise) ohne Beschwerden genoß. Nach 3 Wochen wurde 
der Patient gut aussehend aus dem Spitale entlassen. 

Bei acuten Magenkatarrhen und Magengeschwüren habe 
ich von Milchdiät und Vialwein niemals einen Nachtheil 
gesehen. Bei Intestinalkatarrhen, sowohl acuten als auch 
chronischen, habe ich in der letzten Zeit nebst Anwendung 
von Antidiarrhoicis und Beschränkung der Diät besonders 
dann Vialwein verordnet, wo die Patienten großes Verlangen 
nach Nahrung hatten. Mit dem Hinweise, daß in diesem 
Weine Nährstoffe vorhanden sind, waren die Patienten zu¬ 
frieden, und auch ich war es, da ich diesen Kranken doch 
eine gewisse Menge von Eiweißsubstanzen ohne Schaden 
zuführen konnte. 

Nebst diesen 3 Gruppen von Fällen, in welchen ich 
Vialwein systematisch verordnete, habe ich denselben häufig 
Reconvalescenten nach den verschiedensten Krankheiten dann 
gegeben, wenn dieselben über Appetitmangel klagten oder 
in ihrer Ernährung stark herabgekommen waren. Besonders 
waren es Reconvalescenten nach pleuritischen Exsudaten und 
Gelenksrheumatismen. Von diesen Fällen möchte ich auch 
einen hervorheben. 

B. F., 34 Jahre alt, wurde wegen Exsudatum pleuriticum sin. 
punctirt. Nach der Punction hatte derselbe gegen jede Nahrungs¬ 
aufnahme einen solchen Widerwillen, daß er zuletzt nicht einmal 
Milch verlangte. Ich überredete ihn, er möchte öfters Vialwein 
nehmen. Nach einigen Tagen stellte sich der Appetit wieder ein 
und der Patient erholte sich rasch. Beim Verlassen des Kranken¬ 
hauses verlangte er von mir das Recept dieses Weines mit der Be¬ 
merkung, daß nur dieser Wein ihm den Appetit wiedergegebon habe. 

Auch bei gastrischen Krisen der Tabiker wurde Vial¬ 
wein ohne Beschwerden vertragen. 

Wenn ich mir daher aus dem Vorhergesagten irgend¬ 
welche Schlüsse zu ziehen erlaube, so wären es die, daß 
Vialwein durch seine Zusammensetzung mit Erfolg als 
ernährendes, Appetit erregendes und zum Theil auch excitiren- 
des Mittel an ge wendet werden kann. 

Da ich zu diesen Resultaten durch Verordnung de3 
Vialweines bei mehr als 60 Kranken gekommen bin, hoffe 
ich, daß dieselben auch von Anderen baldigst bestätigt werden. 


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1701 


1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 38 


1702 


Beobachtungen über den Einfluß von Alboferin 
auf Blutdruck und Nervenerregbarkeit bei 
Nervenkranken. 

Von Dr. Z&nietowski in Swoszowice. 

(Schluß.) 

Bevor wir zu den Schlußbemerkungen kommen , müssen 
wir noch eine kleine Reihe von Versuchen erwähnen, die zwar 
nicht an allen beobachteten Fällen durchgeführt werden konnte, 
aber nichtsdestoweniger gewisse wichtige Ansichtspunkte liefert. 
Es handelt sich nämlich um die bisher verhältnismäßig wenig 
berücksichtigte Function der Nerven 1 eitung. So lange die 
bisherigen physiologischen Methoden eine Reihe von Apparaten, 
wie rotirende Trommeln, elektrische Signale u. s. w., erforderten, 
waren Experimente am Krankenbette nicht leicht und auch 
deswegen beinahe ganz vermieden. Als zur Messung der soge¬ 
nannten „Reaction“ (persönlichen Gleichung) nach Zeich¬ 
nungen der Proff. Exner und Obersteiner das vorzügliche 
„Neuramöbimeter“ vom Universitätsmechaniker Castagna 
in Wien construirt wurde, und als zahlreiche Experimente 
über den Einfluß der Thätigkeit, der Erziehung, der Pharmako¬ 
therapie u. s. w. auf die Reactionsfähigkeit der Hirnrinde mit 
positivem Erfolg durchgeführt wurden, lenkten wir unsere 
Aufmerksamkeit auf die Möglichkeit, eine kleine Modification 
für elektrodiagnostische Zwecke einzuführen, welche aus beiden 
Figuren ersichtlich ist. 



Fig. 2 


Die Proben, welche wir damals durchfühlten und so¬ 
wohl mündlich in einer Sitzung der Krakauer Aerztekammer, 
als schriftlich („Posener Nowiny“ , 1902, XIV., 3., Krakauer 
Jubiläums-Festschrift Nr. 5, 1900) demonstrirten, überzeugten 
uns, daß die Zeit, welche zwischen dem elektrischen Reiz und 
der Reaction verläuft, in sehr großen Grenzen schwankt. Diese 
Schwankungen hängen freilich von verschiedenen psychischen 
Ursachen ab, wie Aufmerksamkeit, Ermüdung, Gewohnheit 
u. s. w.; man kann jedoch bei einem an die Methode durch 
eine Serie von Proben gewöhnten Individuum verhältnißmäßig 
in kleinen Grenzen variirende, constante Zahlen erhalten. 
Von diesen constanten Zahlen differiren in hohem Grade die 
Ergebnisse einer elektrodiagnostischen Untersuchung bei Nerven¬ 
kranken, und zwar längs einer Scala, deren erster Punkt bei 
einigen Hundertstel Secunden anfängt, und deren Schluß 
einige ganze Secunden (z. B. bei Tabes) beträgt. Daß bei der 
letzten Kategorie von Fällen das Neuramöbimeter nicht aus¬ 
reichte und wir manchmal eine rotirende Trommel brauchen 
mußten , gehört hier nicht zur Sache; die mit Alboferin be¬ 
handelten Fälle von Anämie (mit Nervenkrankheiten com- 
plicirt), die uns hier interessiren und die wir auf Nerven¬ 
leitungsfähigkeit zu prüfen Gelegenheit hatten, gehörten immer 
zu den ersten Stadien der erwähnten Symptomen - Stala. Die 
Versuche wurden derart angestellt, daß der Untersucher 
sowie beim primären neuramöbimetrischen Experimente ver¬ 
mittelst einer Handhabe eine vorher eingelegte berußte Glas¬ 
platte zog, wodurch eine gespannte, lOOmal in der Secunde 
schwingende Feder zum Losschnellen gebracht wurde und auf 
der erwähnten Platte eine Wellenlinie schrieb, deren einzelne 
Erhebungen VlOO Secunde entsprachen. Während aber bei den 
früheren Versuchen der Kranke sofort nach dem akustischen 
Eindruck de3 Tons der schwingenden Feder einen Knopf 
niederdrückte, geschah dies in unseren Versuchen erst dann, 
als eine gewisse sensorische oder motorische Reaction unter 
dem Einfluß eines im Moment der ersten Federschwingung 
automatisch geschlossenen elektrischen Stromes entstand. 


Somit war die auf der berußten Platte geschriebene 
Welle nicht mehr ein Zeichen der Zeit, welche zwischen dem 
akustischen Eindruck und einer willkürlichen Handbewegung, 
sondern der Zeit, welche zwischen dem automatisch applicirten 
elektrischen Reize und dem motorischen oder sensorischen 
Effecte verflossen war; eine solche Curve nannten wir zum 
Unterschied von der erwähnten neuramöbimetrischen 
Welle: elektroneuramöbimetrische Curve. 

Das Gesagte wird wahrscheinlich genügen, um zu er¬ 
klären, daß an Kindern derartige Versuche nicht sehr leicht 
durchführbar sind, und wir können deswegen nur das hervor¬ 
heben , was wir an älteren Personen oder an intelligenten 
Mädchen schon gesehen und noch in weiterer Folge genau 
nachzuprüfen beabsichtigten. 

Es ist nun im großen Ganzen leicht verständlich , daß 
bei gleichzeitig an Anämie und irgend einer abschwächen¬ 
den Neurose leidenden Patienten, von welchen ich bloß einige 
zu Untersuchungen wählte und so lange die Reactionszeit er¬ 
mittelte, bis durch Gewohnheit und Mangel an Ueberraschung 
eine gewisse Constanz der Versuchszahlen eintrat, unter dem 
Einfluß einer längeren Alboferincur nicht nur das allgemeine 
Wohlbefinden und die Nervenerregbarkeit ameliorirt waren, 
sondern auch gleichzeitig damit die träge „Reactionszeit“ 
immer energischer wurde. Dies betrifft sowohl die neuramöbi- 
metrische, als die elektroneuramöbimetrische Curve. Es waren 
also sowohl in der Perceptions- und Apereeptions- 
dauer des Schalles, wie in der Fortpflanzungs¬ 
geschwindigkeit des motorischen oder sensorischen Reizes 
constante progressive Veränderungen sichtbar; im ersten Fall 
wurde die3 von concreten Zahlen der Plattenwelle be 
wiesen, welche immer mehr von einem ungefähren Werthe 
von 02" zum Werthe 0 13—005" heranrückten; im zweiten 
Falle wiederum einfach dadurch, daß ohne Berücksichtigung 
der concreten Zahlen die allgemeine Differenz der Werthe bei 
Doppelreizung, z. B. in der Achselhöhle und am Handgelenk, 
immer kleiner war. Auch wurde bei drei Fällen gelegentlich 
eine Verminderung der „latenten Zeit“ in der myographisehen 
Zuckungscurve beobachtet. Dieser complicirten Reihe von 
Versuchen, welche, obgleich noch in den Anfängen befindlich, 
gewisse Aussichtspunkte liefert, fehlt noch diejenige Reihe, 
welche uns wahrscheinlich zeigen würde, daß bei Individuen 
mit sehr erregbarer Reizbarkeit und gleichzeitig bestehender 
Anämie unter dem Einfluß einer rationellen Eisencur nicht 
nur, wie wir gesehen, abnormer Druck und abnorme Erreg¬ 
barkeit allmälig zur Norm zurückkehren, sondern auch äußerst 
energischer Willensimpuls gewissermaßen beruhigt wird. 

Ohne die ganze Frage persönlich bei Seite zu lassen, 
scheinen wir berechtigt zu sein, auch andere Aerzte zu 
weiteren Experimenten zu bewegen, und zwar sowohl in der 
interessanten Richtung der Alboferinverwendung und der 
Eisentherapie im Allgemeinen, als auch in der wissenschaft¬ 
lichen Richtung von concreten vergleichenden Erregbarkeits¬ 
messungen und Nervenleitungsbestimmungen, die Manches all¬ 
mälig erklären können. So wenig wir auch in diesen beiden 
Richtungen bisher gebracht haben, so glauben wir doch sicher 
sagen zu können, daß eine gewissenhafte Untersuchung mit 
concreten Methoden und eine rationelle Al boferineur Jeden 
zu ähnlichen Ergebnissen führen wird. 

Aus dem oben erwähnten doppelten Standpunkte müssen 
wir auch unsere Beobachtungen in ein kurzes Resu me zu¬ 
sammenfassen. 

Warum wir uns mit der Frage von Erregbarkeits- und 
Blutdruckveränderungen bei anämischen Kranken zu be¬ 
schäftigen beabsichtigten, haben wir mehrmals erwähnt; die 
erste Frage war beinahe gar nicht, die zweite sehr wenig in 
der Literatur berücksichtigt. Warum wir mit neuen elektro¬ 
diagnostischen Methoden arbeiteten, wurde auch erläutert; ein 
directer, concreter Weg, wenn auch mit Schwierigkeiten ver¬ 
bunden , schien uns sowohl für die Frage der Eisentherapie, 
als für die Elektrodiagnostik selbst am meisten berechtigt. 

2 * 

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1703 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 38 


1704 


Warum wir endlich mit Vorliebe Alboferin zu unseren 
Versuchen brauchten, wurde auch in der Einleitung be¬ 
sprochen, wobei sowohl die Indicationen dieses leicht löslichen, 
an Eisen und Phosphor reichhaltigen und als Alkalialbuminat 
resorbirbaren Mittels betont wurde. Es bleibt nur übrig zu 
fragen, zu welcher Schlußfolgerung wir gekommen sind, und 
zwar aus dem doppelten, eben erwähnten Standpunkte. Was 
Alboferin an und für sich anbelangt, können wir nun die 
Experimentenreihe von Reichelt über Chlorose (12 Fälle), 
Lungenkatarrh (14 Fälle), Scrophulose (4 Fälle); von 
Kluczycki über einen Fall von Carcinoma ventriculi und 4 Fälle 
von Chlorose; von Fuchs 14 Fälle von primärer Anämie 
(Chlorose) und secundärer Anämie, sowie die Erfahrungen 
von Woerz, sowie die der übrigen Autoren 1 ), die den 
therapeutischen Werth des Alboferin geprüft haben, derart er¬ 
gänzen, daß wir diejenige Reihe von Kranken hinzufügen, bei 
welchen nebst Anämie auch Nervenkrankheiten zu 
beobachten waren. Diese Combination von Blutkrankheit und 
Nervenbeschwerden bei jungen Scrophulösen oder zarten 
Kindern und bei älteren neurasthenischen Personen war von 
dem uns interessirenden Standpunkte relativ wenig berück¬ 
sichtigt; deswegen wollen wir zu den obigen Versuchsreihen 
unseren, obwohl kleinen Beitrag hinzufügen, welcher laut dem 
officiellen Bericht des Schwefelcurortes „Swoszowice“ (bei 
Krakau) 47 Nervenfälle mit 208 Beobachtungen umfaßt. Darin 
sind die oben erwähnten Privatpraxisfälle von Chorea minor 
und der Fall von Eklampsie nicht mitgercchnet; es finden sich 
aber darunter 7 Fälle von Neurasthenie mit vorwiegender 
„Cephalaea“, 4 Fälle von Paralysen, 4 Fälle von Tabes, 
1 Fall von MoRVAN’scher Krankheit, 2 Fälle von Syringo¬ 
myelie, 6 Fälle von Parästhesien und anderen Empfin- 
dungsveiänderungen bei Neurasthenikern und Potatoren und 
30 Fälle von verschiedenen Neuralgien, die mit Anämie com- 
plicirt waren. Wenn wir nun die negativen Resultate bei 
Syringomyelie, Morvan und Tabes bei Seite lassen, so erhalten 
wir die oben erwähnte Zahl von 47 Fällen mit mehr oder weni¬ 
ger p o s i ti v em Einfluß der Alboferincur, welcher sich nicht 
nur in Blutverändeiungen äußerte, sondern auch in progres¬ 
siven oder regressiven Schwankungen des Blutdruckes und der 
Nervenerregbarkeit seinen Ausdruck fand. Diese positiven 
Resultate einer eombinirten externen Schwefelcur mit interner 
Alboferintherapie bei oben erwähnten Krankheiten haben uns 
auch dazu bewogen, nach einigen Versuchsproben diese Therapie 
weiter zu benutzen. Deswegen finden wir auch wahrschein¬ 
lich in dem diesjährigen Berichte des Curortes einen größeren 
Zahlenwerth von positiven Curresultaten bei Nervenfällen, 
als es früher der Fall war. So finden wir z. B. im Jahre 
1862 bloß 9 Nervenfälle, im Jahre 1870 1 / 16 Theil der ganzen 
Statistik und im Jahre 1889 schon 1 / c Theil der ganzen Summe. 

Diese allmälige Progression steht wohl im Zusammen¬ 
hang mit der Entwicklung der Pharmakodynamik, welche 
uns immer bessere Mittel liefert und neue Aussichtspunkte 
des Wissens eröffnet. Die im vorigen Jahre beobachtete Zahl 
von 47 Patienten, welche schon beinahe 1 / i der Summe von 
positiven Resultaten beträgt, hat uns nicht nur Wichtiges 
über den Einfluß einer rationellen Therapie bewiesen, sondern 
auch gezeigt, daß die Symptomatologie der Reconvalescenz 
gar nicht eindeutigst. 

Es gibt also, wie wir gesehen haben, entweder eine all¬ 
mälige Blutdrucksteigerung und Erregbarkeitserhöhung bei 
Kindern mit schwachem Puls und kleiner Reizbarkeit oder 
auch im Gegentheil eine Verminderung des abnormen Blut¬ 
druckes, der zur Arbeit geforderten Energieleistung und der 
nervösen motorischen und sensorischen Reizbarkeit bei Indi¬ 
viduen mit hypernormaler Erregbarkeit. 

') Korczynski („Przeglad lekarski“, 1902, 17). — Meitner („Aerztliche 
Monatschrift“, 1901. 11)- — Meitner („Aerztliclie Centralzeitung“, 1901, 28).— 
Blum („Kliü.-therap. Wochenschrift“, 1901, 28). — Friedländer („Wiener 
med. Blätter“, 1901, 17). — Kölbl („Wiener med. Blätter“, 1901, 21). 


Diese antagonistischen Veränderungen sind aber nur 
Ausdrücke eines und desselben Symptomes, einer 
regressiven oder progressiven Restitution zur Norm, welche 
immer mit progressiven Blutveränderungen im Sinne der 
Amelioration der Blutbeschaffenheit, mit wenig oder mehr 
bedeutender Zunahme des Körpergewichtes, mit Verschwinden 
des Schwächegefühls und Steigerung des Wohlbefindens, je 
nach Individualität der Person und der Krankheit, unter dem 
Einflüsse der Alboferincur verbunden war. 

Diese Summe von Ergebnissen im Auge haltend, haben 
wir auch in großen Zügen das geschildert, was wir als 
constant betrachteten; ermüdende Tabellen haben wir ver¬ 
mieden und nur diejenigen Zahlenwerthe angegeben, welche 
vielleicht für spätere Forscher als gewisse Orientirungs- 
punkte werden dienen können; auch theoretische Ab¬ 
schweifungen haben wir bei Seite gelassen, da besonders in 
der Frage der Eisentherapie so viele Ansichten herrschen, 
daß sie hier an Ort und Stelle die Klarheit der unparteilichen 
Versuche beeinträchtigen könnten. Es wird vielleicht genügen, 
zu erwähnen, daß von einer wissenschaftlichen Autorität jüngst 
schöne Resultate über Ferrum lacticum, pomatum u. s. w. 
beschrieben wurden, während gleichzeitig eine andere Autorität 
bewies, daß z. B. Ferrum lacticum vollständig im Verdauungs¬ 
canal zurückbleibt. Nur eine Theorie haben wir „en 
passant“ berührt, und zwar die Suggestionstheorie, da es uns 
nicht sehr plausibel erscheint, daß ein Eisenpräparat bei Nerven¬ 
kranken, die an Anämie leiden, je nach dem organischen Bedarf 
Blutdruck und Nervenerregung dies- oder jenseits unter rein 
suggestivem Einfluß regulire. 

Wie es auch vom theoretischen Standpunkte aus sein mag, 
sind die oben beschriebenen positiven Resultate der 
Alboferincur erfreulich, die weitere Nachforschung er¬ 
wünscht und eine engere Verknüpfung von theoretischen Ver¬ 
suchen mit praktischem Heilverfahren für Wissenschaft find 
Therapie nützlich. Es war auch unser einziges Ziel, die Auf¬ 
merksamkeit des Lesers auf ein Mittel zu lenken, von welchem 
schon mehrmals wiederholt wurde, daß es eine vorteilhafte 
Beeinflussung des Nervensystems hervorruft, und zwar durch 
Beseitigung nervöser Erscheinungen, Nachlaß von Schmerzen, 
Schwinden von Angstgefühlen, Wirkung des Nerventonus auf 
Magensäfte, Appetenz u. s. w. (Reichelt , Meitner , Kölbl). 
Zu diesen subjectiven Erscheinungen fügen wir nun 
einige objective Beobachtungen, mit dem Wunsche, es 
mögen diese mit Hilfe der interessante Resultate liefernden 
wissenschaftlichen Methoden von späteren Forschern nachge¬ 
prüft werden. 

Literatur: A. Technische Literatur. Zanietowski, Graphische Studien 
über Erregbarkoitsverhältnisse im Elektrotonus. Akad. d. Wissensch. in Wien. 
1897, CVI. — Ueber Summation. Wiener klin. Wochenschr. 1897. — Ueber 
einen neuen Apparat. Zeitschr. f. Elektrotherapie. 1900- — Ueber klinische 
Verwerthbarkeit von Condensatorentladungen. Wiener klin. Rundschau, 1899. 
Wiener klin. Wochenschr. 1897. Zeitschrift f. Elektrotherapie, 1899, 1900, 1901 
(Breslau). Neurol. Centralbl. (Berlin 1902). Archives d’Electrobiologie (Paris 
1902) u. 8. w. Referirt von: Wulff (Reichsanzeiger), Eberth (Techn. Mittheil;), 
Zoth (Centr. f. Physiol.), Cohn (Neurol. Centr.), Doumer (Archives d’Electrothfcr.), 
Cohn (Jahresbericht f. Neurologie), Bergone (Arcb. d'Electricitß) u. s. w. Basch 
(Centr. f. Physiol.), Einer und Obersteiner (Pflüger’s Arch., Bonn), Kornfeld 
(Klin.-ther. Wochenschr. 1900). — B. Alboferinliteratur. Hofrath Prof. 
Korczynski, Director der I. Krakauer Univ.-Klinik Przeglad lekarski, 17, 1902), 
Bemerkung über die mit Alboferin erzielten Erfolge. — Fuchs (Wr. klin. 
Wochenschr., 1902, Nr. 9), Aus der II. med. Abtheilung des k. k. allg. Kranken¬ 
hauses in Wien (Hofrath Prof. Dr. v. Dräsche), Klinische Erfahrungen über 
Alboferin. — Reichelt (Wr. klin. Rundschau, 1901, Nr. 22—24l, Aus der 
Abtheilnng für Kinderkrankheiten des Prof. Fbühwald an der Wiener allg. 
Poliklinik, Zur Eisentherapie. Ergebnisse der therap. Anwendung des Alboferin. 

— v. Kluk-Kluczycki (Med.-chir. Centralbl., 1901, Nr. 14), Aus dem k. k. 
Wilhelminenspitale in Wien. Primarius Director Dr. Toelg. Klinische Versuche 
mit Alboferin. — v. Woebz (Wr. klin. Rundschau, 1901, Nr. 20), Versuche 
mit Alboferin. — Meitner (Aerztliche Centralzeitung, 1901, Nr. 28), Ueber 
Eisenpräparate in der Säuglingszeit und im frühen Kindesalter. Alboferin. 

— Blum (Klin.-therap. Wochenschr., 1901, Nr. 28), Erfahrungen über die 
therapeutische Wirkung eines neuen Eisenphosphormittels, Alboferin. — Vecsey 
(Aerztliche Cenlralzeitung, 1902, Nr. 15 u. 16), Zur Syphilistherapie. — Meitner 
(Aerztliche Monatsschrift, 1901, Nr. 11), Zur Bewerthung des Alboferin bei 
Malnutrition. — Friedländer (Wr. med. Blätter, 1901, Nr. 17), Ueber den 


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1705 


1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 38. 


1706 


neuesten Nährstoff Alboferin. — Kölbl (Wr. med. Blätter, 1901, Nr 21), Unter¬ 
suchungen über den therapeutischen Werth de3 Alboferin. — Dr. Fritz & Dr. 
Sachsse, Dr. Reichelt (Wr. mrd. Blätter, 1901, Nr. 27), Zur Eisentherapie. Er¬ 
widerung an Dr. A. Jolles. 

Referate. 

Hermann Cohn (Breslau): Methodische Sehübungen bei 
Sehschwache. 

Es handelt sich zumeist um schielende Augen; während das 
nicht schielende Auge S = 1 hat, zeigt das schielende häufig nur 
S = x / 20 oder selbst = i/ 60 ; aber ein Grund für diese Sehschwäche 
ist meist gar nicht mit dem Spiegel zu finden. Besonders häufig 
kommt diese Sehschwache bei hyperopischen schielenden Augen 
vor. Aber auch bei sehr vielen nicht schielenden hyperopischen 
Personen findet man die einäugige, oft sehr beträchtliche Herab¬ 
setzung der Sehschärfe ohne krankhaften Spiegelbefund, also un¬ 
erklärte Amblyopie. Oft wissen die Kranken, daß das eine Auge 
von Jugend auf „so gut wie nichts“ sieht, oft erfahren sie es erst 
bei der augenärztlichen Prüfung, namentlich wenn es das linke 
Auge betrifft. Man kann aber die Patienten bald überzeugen, daß 
sie durchaus nicht „so gut wie nichts sehen“. 

Zur Uebung solcher sehschwacher Augen hat Verf. („Deutsche 
Aerzte-Zlg.“, 1902, H. 1) Brillen anfertigen lassen, welche ihren 
Zweck bei einigem guten Willen der Kranken sehr bequem er¬ 
füllen. Während die Brille zunächst ein starkes Convexglas 
-+- 20'0 für das sehschwache Auge erhält, ist an Stelle des anderen 
Brillenglases eine von drei Drähten begrenzte, aus mehrfach über- 
einandergelegter schwarzer Seide gebildete Wand an das Gestell 
angenäht. Die Brille muß aber in jedem einzelnen Falle ganz ge¬ 
nau nach dem Gesicht des betreffenden Kranken vom Opticus zu¬ 
rechtgemacht werden; der obere und der äußere Rand der Wand 
sind geradlinig; aber alles kommt darauf an, daß der halbkreis¬ 
förmige mediane Rand so zugeschnitten wird, daß auch im inneren 
Winkel vom gesunden Auge nicht das Geringste gesehen werden 
kann. Sonst täuscht sich der Kranke selbst und liest mit dem guten 
Auge; der Patient und der Arzt müssen sich sorgsam überzeugen, 
daß auch nicht ein Lichtschimmer in das gesunde Auge dringt. 
Gerade davon ist der Erfolg der Cur abhängig. Seitdem C. in dieser 
Weise üben läßt, hat er eine sehr große Zahl guter Erfolge beob¬ 
achten können. Meist fängt er mit + 20’0 an, nach vier Wochen 
tauscht er, wenn bereits kleine Schrift mühsam mit + 16'0 ent¬ 
ziffert wird, das Glas in + 16‘0 um. Meist kann dann schon täg¬ 
lich zweimal fünf Minuten geübt werden; nach vier Wochen gibt 
Verf. -f 12'0 und so allmonatlich schwächere Convexgläser, bis 
nach Jahresfrist mit + 3 - 0 oder + 2’0, welches der Hyperopie des 
Auges entspricht, feinste Schrift gelesen wird. Daß man in den 
Fällen, wo nur ganz excentrisch fixirt wird, sich keinen großen 
Hoffnungen hingeben darf, ist selbstverständlich; aber bei vielen 
Fällen von Sehschwäche mit guter centraler Fixation werden bei 
monatelanger, täglicher, in der beschriebenen Weise durchgeführter 
Uebung Aerzte und Kranke sehr erfreuliche Erfolge beobachten. 

_ L. 

Max Wolff (Berlin): Perlsucht und menschliche Tuber- 
culose. 

Aus den Untersuchungen W.'s („Deutsche med. Wschr.“, 
1902, Nr. 32) in einem von ihm beobachteten Falle folgt: 

Nach dem klinischen Verlauf sowie nach dem Sectionsergebniß 
kann es keinem Zweifel unterliegen, daß hier ein Fall von schwerer 
Perlsucht beim Kalbe vorlag, hervorgebracht durch das von einer 
primären Darmtuberculose des Menschen herstammende Impf¬ 
material. Die durch die Impfung entstandene Erkrankung beim 
Kalbe zeigte alle Kriterien der spontanen Perlsucht. Es ist hienach 
zum erstenraale gelungen, in einem Falle von primär im Darm 
auftretender Tuberculose beim Menschen, also in einem Falle, der 
alle von Koch für die experimentelle Entscheidung der Frage 
gestellten Forderungen erfüllt, den Nachweis zu liefern, daß diese 
Tuberculose auf das Kalb übertragen werden kann, daß also in 
diesem Falle beim Menschen eine Perlsucht im Sinne Koch’s Vor¬ 
gelegen hat. G. 


H. Neumann (Berlin): Bemerkungen zur BARLOW’schen 
Krankheit. 

Die BARLOw’sche Krankheit ist als eine chronische Vergiftung 
mit Stoffen, die sich aus der Nahrung bilden, aufzufassen („Deutsche 
med. Wschr.“, 1902, Nr. 26), und zwar bilden sich in der bei uns 
gewöhnlichen Form die Gifte durch zu starke Erhitzung aus 
normalen Stoffen der Milch, wahrscheinlich aus ihren Eiweißstoffen. 
Augenblicklich scheint die BARLOw’sche Krankheit in Berlin ziem¬ 
lich häufig zu sein, indem eine bestimmte fabrikmäßig erhitzte 
Milch durch weiteres Erhitzen im SoxHLET’schen Apparat in dem 
erwähnten Sinne giftige Eigenschaften erhält. Die Behandlung der 
BARLOW’schen Krankheit hat durch Darreichung roher oder vor¬ 
sichtig pasteurisirter Milch die weitere Zufuhr giftiger Stoffe abzu¬ 
schneiden; die Darreichung von Vegetabilien hat den Zweck, die 
Blutschädigung schneller auszugleichen. Aus dem klinischen Bilde 
der BARLOW’schen Krankheit sind die Darmstörungen und die 
abortiven Formen mit Nierenblutung besonders hervorzuheben. Es 
ist wahrscheinlich, daß sich aus der Nierenblutung eine chronische 
Nierenentzündung entwickeln kann. —n. 


Karl Kober (Breslau): Zur Frage der Uterusruptur in 
frühen Monaten der Schwangerschaft. 

Die Ausräumung eines Abortes geschehe nie, bevor Wehen 
eingetreten sind („Münch, med. Wschr.“, 1902, Nr. 36). 

Eine forcirte Dilatation des Uterus ist wegen der Gefahr 
schwerer Gewebszerreißungen zu unterlassen; statt dessen mag in 
den frühen (ersten 3) Monaten der Gravidität die allraälige Dila¬ 
tation durch Laininaria, in den späteren durch Metreuryse Ver¬ 
wendung finden. 

Sind Wehen vorhanden und ist genügende Erweiterung ein¬ 
getreten, aber war die Ausstoßung der Frucht eine nur unvoll¬ 
kommene, dann empfiehlt sich für die Entfernung der zurückge¬ 
bliebenen Massen zunächst die Verwendnng des Doppellöffels. Sollte 
er sich nicht wirksam erweisen, dann mag die Ciirette in ihr Recht 
treten; nur ist der Gebrauch von breiten, stumpfen Intrumenten 
erforderlich. N. 


Karewski (Berlin): Die Behandlung des Prolapsus ani 
der Kinder mit Paraffininjectionen. 

Veraltete Fälle von Darmprolapsen, die vorher mit anderen 
Methoden erfolglos behandelt worden waren, wurden vom Verf. 
mit Paraffininjectionen behandelt. Die guten Resultate, die er dabei 
erzielte, bestimmen ihn, dieses Verfahren auch zur Behandlung von 
Darmvorfällen bei Erwachsenen vorzuschlagen („Centralbl. f. Chir.“, 
1902, Nr. 28). 

Das Verfahren gestaltete sich folgendermaßen: Nachdem die 
Kinder 2 Tage mittels Abführmitteln gehörig entleert waren, erhielten 
sie am Nachmittage vor der Einspritzung 1—2 Grm. Wismuth, um 
den Darm ruhig zu stellen. Der Prolaps wurde nach Desinfection 
des Operationsfeldes reponirt und unter Leitung des in den Mast¬ 
darm eingeführten Fingers oberhalb des Anus zwischen äußerer 
Haut und Schleimhaut von einer Einstichstelle her ein Ring von 
Hartparaffin (Schmelzpunkt 56—58°) gebildet. Die Defäcation wurde 
durch weitere Verabreichung von Wismuth während der nächsten 
24 Stunden verhindert. 

Unter 8 nach dieser Methode behandelten Fällen ist ein Mi߬ 
erfolg zu verzeichnen. Infection ist in keinem Falle eingetreten. 

Erdheim. 


Kehr (Halberstadt): Ueber den plastischen Verschluß 
von Defecten der Gholedochuswand. 

Obwohl große flächenhafte Defecte der Choledochuswand nur 
in den seltensten Fällen gesetzt werden und, wenn dies eintritt, 
es gewöhnlich einen stark dilatirten Choledochus betrifft und daher 
eine Ausheilung durch Vernarbung keine Verengerung des Lumens 
zur Folge hat, kam Verf. doch einigemale in die Lage, wegen zu 
befürchtender Verengerung des Choledochus einen Defect in der 
Wand plastisch zu decken. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 38. 


1708 


Die Erfahrungen, die Verf. mit der plastischen Operation machte, 
waren gute, indem die Oeffnung dauernd geschlossen blieb und die 
Galle ungehindert in den Darm entleert wurde. Zur Deckung be¬ 
nützte Verf. in 2 Fällen einen gestielten Muskellappen, den er aus 
der Pylorusgegend des Magens entnahm und nach einer Drehung 
in den Defect einnähte. Die Schleimhaut des Magens wurde dabei 
nicht eröffnet und der Substanzverlust im Magen linear vernäht. 
Wie die Obduction der einen an Pneumonie gestorbenen Patientin 
zeigte, heilte der Lappen gut ein. Der zweite, nach dieser Methode 
operirte Fall wurde geheilt. 

In einem weiteren Falle nähte Verf. in das Loch im Cliole- 
dochus ein Stück Netz aus der Umgebung ein, welches auch ein¬ 
heilte. Außerdem schlägt Verf. vor („Langenbeck’s Archiv“, 
Bd. 67, IL 4), bei erhaltener gesunder Gallenblase einen gestielten 
Lappen aus derselben zu entnehmen, wobei man den Vortheil hat, 
an der Innenseite des Lappens einen Schleimhautüberzug zu er¬ 
halten ; der Stiel des Lappens ist an den Gallenblasenhals zu ver¬ 
legen, damit die Ernährung des Lappens durch den medialen Ast 
der Art. cystica in genügender Weise besorgt wird. Erdheim. 

Buri (Basel): Ein Fall von chronischer Primeldermatitis. 

Die Primeldermatitis bildet in der dermatologischen Literatur 
der letzten Jahre keine seltene Erscheinung. Der vom Autor 
(„Monatsschr. f. Derraat.“ XXXIII, Nr. 10) geschilderte Fall legt 
nur aufs neue dar, wie lange sich auch bei sorgfältiger Beobach¬ 
tung das ursächliche Moment der Erkenntniß entziehen kann, wenn¬ 
gleich im Verlaufe der über ein Jahr andauernden Erkrankung 
wiederholt zutage trat, daß das Leiden, mit der Entfernung der 
Patientin aus dem Hause (Badereise) oder solange die Kranke das 
Bett hüten mußte, entweder völlig schwand oder sich doch auf 
dem besten Wege der Heilung fand, um dann neuerdings aufzu¬ 
flammen. Die Diagnose war gemacht, als die Augen des beige¬ 
zogenen Consiliarius (Jadassohn) auf die am Fenster gezogenen 
Primula obconica-Stöcke fielen. Wenngleich nach Entfernung der¬ 
selben noch einzelne Schübe auftraten , so ist die Ursache davon 
in den vorausgehenden, schweren Alterationen der Haut wohl ge¬ 
geben. Für Primeldermatitis spricht weiters auch die typische 
Localisation, Rücken- und Seitenflächen der Finger, Handrücken, 
Gesicht und Hals, -Stellen, die in erster Linie mit dem Primelgift 
in Berührung kommen mußten, schließlich auch das plötzliche 
Auftreten der entzündlichen Schwellungen, sowie weiters endlich 
der Umstand, daß das „cessante causa cessat effectus“ hier doch 
in die Augen sprang. Bei der Diagnose handelt es sich wohl 
darum, daß man bei acuter Dermatitis schließlich auch an diese 
Ursache wird denken müssen. Deutsch. 


Charles P. Emerson (Basel): Der Einfluß des Carcinoms 
auf die gastrischen Verdauungsvorgänge. 

Das Carcinomgewebe enthält Körper, die, wie andere Eiwei߬ 
körper, Salzsäure zu binden vermögen. Ein Zusatz kleiner Mengen 
frischen Krebsgewebes zu einem künstlichen Verdauungsgemisch 
(Pepsin — Salzsäure — Fibrin) hat eine raschere, bezw. vermehrte 
Bindung der Salzsäure zur Folge („Deutsch. Arch. f. klin. Med.“, 
1902, Bd. 72, H. 5 u. 6). Im Carcinomgewebe ist ein Ferment 
vorhanden, das sowohl im Brutschrank, wie auch im menschlichen 
Magen Eiweiß verdauen, und zwar großenteils in solche Producte 
umwandeln kann, welche über die Albumosenstufe weiter hinaus¬ 
gehen. Dieses Ferment ist auch bei Anwesenheit von Salzsäure 
wirksam. Es ist möglich, daß ein Theil des von diesem Ferment 
verdauten Materials von dem Carcinomgewebe und der-Flüssigkeit, 
die dieses enthält, herstammt. E. stellt zur Zeit Analysen in dieser 
Richtung an. G. 


Alsen (Königsberg i. p.): Zur Therapie der chronischen 
Kieferhöhlenempyeme. 

Verf. eröffnet das Antrum zunächst von der Fossa canina 
aus, dann durchstößt er mit einem abgebogenen scharfen Löffel 
die nasale Wand im mittleren Nasengange und erweitert die Oeffnung 


unter Controle des in die betreffende Nasenseite eingeführten kleinen 
Fingers der anderen Hand nach vorn zu dergestalt, daß sie be¬ 
quem für den Zeigefinger durchgängig wird. Nachdem die ganze 
Wundhöhle mit dem scharfen Löffel ausgekratzt wurde, so daß 
sie von der gesammten polypös gewucherten Schleimhaut nebst 
echten Polypen, Granulationen, sowie etwaigen cariösen Knochen 
oder Sequestern befreit ist, wird zur Drainage ein großer Jodoform- 
gazestreifen von der Kieferhöhle aus durch die nasale Gegenöffnung 
geführt und zum Schlüsse die orale Wunde durch dichte, sorg¬ 
fältig angelegte Nähte, die durch Schleimhaut und Periost geführt 
werden, vernäht („Arch. f. Laryng.“, Bd. XII, pag. 227). Die Hei¬ 
lung erfolgte, abgesehen von einer unbedeutenden Eiterung der 
Stichcanäle, fast immer per primam. Unter 11 so operirten Fällen 
handelte es sich 7mal um reine Kieferhöhlenempyeme, und zwar 
einseitige; einmal bestand eine doppelseitige Eiterung zugleich bei 
Miterkrankung des Siebbeines auf beiden Seiten; zwei Kranke 
wiesen eine Combination mit Stirnhöhleneiterung auf. Keine Art 
der bisher geübten Kieferhöhlenoperationen ist als eine radicale 
zu bezeichnen. Eine solche müßte die völlige Verödung der Höhle 
durch Narbengewebe zur Folge haben. Verf. hält jedoch sein 
Operationsverfahren für empfehlenswert, weil es rascher und be¬ 
quemer zu dem überhaupt erreichbaren Ziele führt. G. 


H. Steinert (Leipzig): Ueber den Intentionskrampf der 
Sprache, die sogenannte Aphthongie. 

Verf. hat an einem an Gedächtnißschwäche leidenden Patienten 
folgende Sprachstörung beobachtet („Münch, med. Wschr.“, 1902, 
Nr. 27) : Wenn der Kranke sprechen wollte, so wurde dies meist 
durch den Eintritt eines eigentümlichen Krampfes verhindert, 
nach dessen Ablauf erst der Sprechact vor sich ging. Es traten 
zunächst unwillkürliche Contractionen, besonders in den beim 
Sprechact unmittelbar oder mittelbar betheiligten Muskelgruppen 
auf. Der Patient entblößte die Zähne leicht durch Zurückziehen 
der Lippen, zog die Brauen hoch, öffnete die Augen weit, seltener 
kniff er sie zu, die Bulbi drehte er nach einer Seite oder nach 
oben. Der Kopf wurde stark gegen die Brust gebeugt, auch leicht 
gedreht, wobei die Sternocleidomastoidei sich aufs Aeußerste 
spannten, die Musculatur des Mundbodens wurde bretthart und 
zeigte häufig ein clonisches Auf- und Niedersteigen, während 
der Kehlkopf sich ebenfalls hob und senkte. Das Platysma 
spannte sich an, der Omohyoideus sprang einigemal in kurz ab¬ 
laufenden clonischen Contractionen vor. Durch eine Zahnlücke 
konnte man beobachten, wie die Zunge sich bald drehte, bald an 
die Zähne oder den harten Gaumen sich preßte, bald kräftig ins 
Innere der Mundhöhle zurückgezogen wurde. Auch schnalzende 
Laute bewiesen hie und da die Betheiligung der Zunge an dem 
Krampfvorgang. An der Athembehinderung während des Anfalles 
war übrigens auch die Spannung der eigentlichen Athemmusculatur 
betheiligt; die Athmung war während des Anfalles regelmäßig 
sistirt, die Athempause wurde höchstens durch vereinzelte kurze 
Athemzüge unterbrochen. In besonders schweren Anfällen ergriff 
der Krampfzustand fast die gesammte Körpermusculatur, jeder 
Muskel war gespannt, die Fäuste geballt, die Arme und Beine 
machten kurze atypische Bewegungen. — Es handelte sich hier 
nicht um Stottern — denn hier tritt der Articulationskrampf erst 
auf, wenn die Articulation des Lautes bereits begonnen hat, son¬ 
dern um einen coordinatorischen Intentionskrampf der Sprache, 
der auch als Aphthongie bezeichnet worden ist. In der Ruhe der 
Krankenhausbehandlung schwanden die Krampferscheinungen bis 
auf einen geringen Rest, kehrten aber, sowie der Kranke dem 
gewöhnlichen Leben zurückgegeben war, bald mit der früheren 
Intensität wieder. L. 

E. v. Niessl (Leipzig): Ueber Stauungserscheinungen im 
Bereiche der Gesichtsvenen bei der progressiven 
Paralyse. 

Nach Ausscheidung anderer, mit Gesichtscyanose einhergehen¬ 
den Krankheiten kann man durch Differentialdiagnose in der 
Cyanose und im Oedem der Augenlider bei jeder Psychose einen 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 38. 


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Wink erkennen, an progressive Paralyse zu denken, wobei man 
sich erinnern muß, daß dieselbe an Intensität schwanken, niemals 
aber in eine arterielle Hyperämie Umschlägen darf („ßerl. klin. 
Wschr.“, 1902, Nr. 35). Das Wesen der progressiven Paralyse ist 
in einer Gefäßlähmung der verschiedensten Aetiologie zu suchen. 
Erst Stauung, Bildung des Hyalin, Entartung der Gefäßwand, dann 
der Ganglienzelle. Diese stirbt auch ab, wenn die Gefäßwand noch 
nicht anatomisch sichtbar entartet ist, an mangelnder Ernährungs¬ 
fähigkeit durch die Gefäßwand. Die durch die insulären Zweige 
der Arteria fossae Sylvii und Arteria corporis callosi ernährten 
Ganglienzellen sterben zuerst ab, weil bei der normaler Weise so 
schwierigen Blutversorgung schon die leichteste Innervationsstörung 
der Gefäßmusculatur und Veränderung der Gefäßwand zu Ernäh¬ 
rungsstörungen genügen. Diese Gefäßgebiete sind auch identisch 
mit denen, deren regelmäßig wiederkehrendes Befallensein von Ent¬ 
artung Wernicke constatirt hat. „Fast allen Fällen gemeinsam“, 
hebt Wernicke hervor, „ist ein merklicher Faserschwund der Insel, 
der BROCA’schen Windung und der unteren Gebiete der Central¬ 
windungen, sowie auch klinisch die Sprachstörung und eine Parese 
des Faciolingualisgebietes fast allen Fällen zukommt.“ L. 


Kleine Mittheilungen. 

— Die Behandlung der Kehlkopftuberculose gestaltet sich 
nach Pbice-Brown („Journ. of Laryngol.“ — „Deutsche Med.-Ztg.“, 
1902, Nr. 66) in folgender Weise: Möglichst wenig sprechen, 
Staub meiden, schroffem Temperaturwechsel aus dem Wege gehen. 
Tabak ist aufzugeben, Alkoholica stark zu verdünnen. Bei Schluck¬ 
beschwerden nur weiche Nahrung und Olivenöl, um die Passage 
schlüpfrig zu machen. Bei Ulcerationen halbweiche oder dickflüssige 
Nahrung (da dünnflüssige leicht in den Kehlkopf hinein gelangt). 
Unter Umständen ist es für den Patienten leichter, vornübergebeugt 
flüssige Speisen durch ein Röhrchen aufzusaugen. Klimawechsel 
ist nicht empfehlenswerth bei sehr weit vorgeschrittenen Fällen. 
Ist die Lungentuberculo8e vor der Kehlkopftuberculose prädomi- 
nirend, so wähle man Höhenklima mit dünner, trockener Luft; 
ist die Kehlkopfaffection das Vorwiegende, so empfiehlt sich ein 
längerer Aufenthalt an der See oder eine größere Seereise. Je 
nach der Form, unter welcher die Tuberculose im Kehlkopf 
erscheint, ist die Localbehandlung zu modificiren. Man findet 
anämische, hyperämische Zustände, Infiltrationen, Ulcerationen, 
Nekrosen und tuberculöse Neubildungen. Bei anämischen Zuständen 
empfehlen sich Sprays von Menthol (Thymol, Kreosot, Guajakol), 
Albolene in 1—5% Stärke oder Darminhalationen mit Menthol, 
Eucalyptus, Kreosot u. s. w., denen einige Tropfen von Chloroform 
zugefügt werden mögen. Hyperämische Zustände des Larynx bei 
Tuberculose sind häufiger, als im allgemeinen bekannt ist. Wo 
der Patient häufig hustet, sowie bei Miliartuberculose findet man 
die Schleimhaut meist intensiv roth. Mildere Inhalationen sind bei 
diesen Zuständen indicirt. Die größte Meinungsverschiedenheit be¬ 
steht bezüglich der Behandlung tuberculöser Infiltrationen. Die 
Einen widerstreben entschieden allen operativen Eingriffen, bevor 
spontan eine Ulceration entstanden ist; es sei denn, daß stenotische 
Symptome ein actives Vorgehen nothwendig machen. Andere wollen 
gute Resultate gesehen haben von linearen Incisionen, durch welche 
man auf die erkrankten Theile direct Medicamente auftragen 
könne. Lake schneidet die interarytänoiden Verdickungen fort und 
amputirt mit der heißen Schlinge die infiltrirte Epiglottis. Gougen- 
heim schnitt bei Infiltrationen der hintereu Commissur den Ary- 
knorpel fort, da er den Sitz der Erkrankung in das Gelenk zwischen 
Ary- und Ringknorpel verlegte. Chappelle u. A. machen submucöse 
Injectionen von Kreosot, Menthol, Wintergrünöl oder Guajacol 
(1 Tropfen pro dosi) in die Infiltrate, je eine Injection wöchentlich. 
Bei geschwürigem Zerfall wird seit langem Milchsäure gebraucht, 
in Stärke von 10—100%, mit oder ohne Einreibung, stets nach 
vorheriger Cocainisirung. Lennox-Browne empfiehlt 20% Menthol¬ 
olivenöl, Curette für Ulcerationen; zur Verhinderung der Blutung 
nehme man Adrenalin. Steht die Blutung, dann reibe man den 
Grund mit verdünnter Milchsäure ein. Dieses Verfahren wird von 
manchen Autoren nicht gebilligt. 


— Ueber die Gefäßwirkung der Körper der Digitalisgruppe 

berichten Gottlieb und Magnus („Arch. f. experim. Pathol. u. 
Pharmak.“, Bd. 47). Die Experimentatoren führen den Nachweis, 
daß für die Drucksteigerung der Digitalis außer einer Verstärkung 
der Herzthätigkeit noch eine Verengerung der Gefäße als Ursache 
in Frage kommt. Das letztere wurde lange vermuthet. Die Con- 
traction der Gefäße ist durch periphere Wirkung bedingt und 
kann entweder, wie bei Digitoxin, eine allgemeine sein oder, wie 
bei Digitalin, Strophantus, Convallaria u. s. w., sich auf das 
Splanchnicusgebiet beschränken. In letzterem Falle weicht das 
Blut nach der Körperperipherie aus, und auf die peripheren Gefäße 
wirken drei Einflüsse ein: Die direct contrahirende Wirkung des 
betreffenden Medicaments, die passive Dehnung, welche die Gefäße 
durch das aus den Eingeweiden verdrängte Blut erfahren, und 
eine activc reflectorische Erweiterung, welche durch die Ver¬ 
engerung der Bauchgefäße ausgelöst wird. Der erste dieser Einflüsse 
wird durch die beiden anderen übercompcnsirt. Dieser regnla- 
torischen Erweiterung der peripheren Gefäße bei gleichzeitiger 
Verengerung des Splanchnicusgebietes kommt eine Bedeutung auch 
für die Herzthätigkeit zu. Die allgemeine Gefäßverengerung bei 
Digitoxin setzt dem Herzen einen hohen Widerstand entgegen. 
Bei Strophantus und seinen Verwandten öffnen sich die Gefäße 
in der Peripherie, um einen Theil der aus den Bauchorganen 
verdrängten Blutmenge aufzunehmen, und damit tritt eine theilweise 
Entlastung des Herzens gegenüber den gesteigerten Ansprüchen 
ein. Allen Digitalis ähnlich wirkenden Körpern aber ist gemeinsam, 
daß sie eine Beschleunigung 'des Blutstroms bedingen durch Zu¬ 
nahme des Druckgefälles und durch Verengerung des Strombettes. 
Es ergibt sich von selbst, welcher Einfluß dadurch auf Stauungen 
ausgeübt werden muß, wenn das Blut aus den Unterleibsorganen 
nach der Peripherie hinausgedrängt und der Blutstrom beschleunigt 
wird. Dadurch wird auch die Verbesserung der Nierenfunction 
erklärlich. Daß die Gefäßverengerung dom Herzen eine beträcht¬ 
liche Mehrarbeit aufbürdet, ist freilich ebenfalls dadurch klar, 
aber es wächst auch durch Digitalis die Leistungsfähigkeit des 
Herzens. 

— Als Aphrodisiaca erscheinen empfehlenswerth („Centralbl. 
f. d. ges. Ther.“, 1902, Nr. 5): 

Rp. Cornutin. citric.015 

Argill. alb.7'0 

Mncil. gumm. tragacanth. q. sat. ut f. pilul. 

Nr. X. 

D. S. 2mal täglich eine Pille zu nehmen. 

Rp. Mentholi . 01 

Extr, cimicifug. fluid.ad 25 0 

D. S. 3mal täglich 20 Tropfen. 

Rp. Aur. chlorat. 0‘5 

Aq. destill.ad 20‘0 

Dtr. ad vitr. nigr. 

D. S. 3mal täglich 20 Tropfen, bis auf 3mal 
täglich 50 Tropfen zu steigen. 

Rp. Extr. fluid, staphysagriae. 7'5 

Extr. damian. 300 

Aq. destill.ad 150 0 

D. S. 3mal täglich 1 Eßlöffel voll zu nehmen. 

Rp. Caryophyll., 

Croc. Orient., 

Zingiberis.aa. 40 

Moschi, 

Ambr. gris.aa. 0‘4 

M. f. p. Div. in dos. aeq. Nr. XII. 

D. S. Früh und Abends 1 Pulver zu nehmen. 

Rp. Extr. fluid, muir. puam.150 

D. S. 3mal täglich 20 Tropfen. 

Rp. Strychnin, nitr., 

Phosphori.aa. 0015 

Extr. cannab. indic. 012 

Limatur. ferr.2 0 

Rad. rhei chin. 04 

Extr. quassiae q. sat. ut f. pil. Nr. XXX. 

D. S. 3mal täglich eine Pille vor dem Essen 
zu nehmen. 

— Zwei Stoffwechselversuche über die Wirkung der Oel- 
klystiere von E. Koch („Berl. klin. Wschr.“, 1902, Nr. 40) führten 
zu dem Resultate, daß diese keinen Verlust an ausnutzbarem 
Material infolge zu schneller, vorzeitiger Entfernung des Darm- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 38. 


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inhaltcs bedeuten, wie man dies a priori mit einiger Wahrschein¬ 
lichkeit hätte annehmen können. Oeleingießungen beeinflussen im 
Gegentheil den Stoffwechsel nach jeder Richtung hin günstig, 
indem sie einmal die Stickstoff 1 - und die Fettresorption steigern 
und indem zum anderenmale das per rectum eingeführte Oel als 
Nahrungsfett viel erheblicher zur Verwendung und Ausnutzung 
kommt, als man dies bislang angenommen hatte, da ja die meisten 
Autoren glauben, daß in keinem Falle mehr als 10 Grm. Fett 
pro die bei der Ernährung per rectum resorbirt wurden. 

— Zur Chirurgie des metastatischen Nierenabscesses 
berichtet Jaffe („Mittheil, aus d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir.“, 
1902, pag. 613). Verf. berichtet über fünf von ihm operirte Fälle 
von isolirtem, metastatischem Nierenabsceß in einer Niere vor 
ihrem Durchbruch in das perinephritische Gewebe oder in das 
Nierenbecken. Der Krankheitsherd in den einzelnen Fällen war: 
Tonsillarabsceß, eiterige Parotitis, mittelschwerer Karbunkel, unbe¬ 
deutende Furunculose, Gonorrhoe ohne Mitbetheiligung der Blase 
oder des Nierenbeckens. Nachdem die primäre Erkrankung zumeist 
geheilt, bezw. in Heilung war, trat oft ein Schüttelfrost auf. 
Danach zunächst geringes Fieber, das allmälig stärker wurde und 
einen hektischen Charakter annahm (Morgens, Vormittags eventuell 
subnormale Temperatur, Abends 39 — 40°). Der Urinbefund war 
zumeist negativ, in einigen Fällen fanden sich Spuren von Eiweiß, 
einige hyaline Cylinder. Die dabei bestehenden Kreuzschmerzen 
sind sehr gering. Ist die Niere palpirbar, so ist eine auffallende 
Druckschmerzhaftigkeit vorhanden. Keine Schmerzen bei Bewe¬ 
gungen des Oberkörpers nach der Seite oder nach hinten. Keine 
ausstrahlenden Schmerzen nach dem Oberschenkel oder den Geni¬ 
talien. In 4 Fällen wurden im Eiter Staphylokokken gefunden. 
Verf. hat in 4 von den 5 Fällen die Spaltung des Nierenabscesses 
mit Erfolg ausgeführt. Er empfiehlt in gleichartigen Fällen aufs 
eindringlichste diese Operationsmethode. 

— Zur Frage über die Heilung der Hirnwunden schreibt 
Chenzinski („Centralbl. f. allg. Pathol. u. pathol. Anat.“, Bd. XIII) 
Folgendes: Bei einem 28jährigen Studenten, der sich zweimal im 
Verlaufe von 2 Jahren eine Schußwunde in den Schädel beigebracht 
hatte und 2 Tage nach dem zweiten Schüsse starb, ergab die 
Section eine alte, den Trepanationsdefect verdeckende Narbe in 
der rechten Schläfengegend und davor am rechten Ohr den frischen 
Defect. Bei Herausnahme des Gehirns fand sich an der Basis des 
linken Stirnlappens, im äußeren Theil der Sylvischen Furche, 
unter verdickter, getrübter Pia eine Bleikugel, von dem ersten 
Selbstmordversuch vor 2 l /. 1 Jahren herrührend. Ein Wundcanal 
verlief quer durch beide Stirnlappen bis zur Basis des linken, 
indem der letzte Theil desselben rechtwinklig abgeknickt war. 
Die genaue Untersuchung des den Wundcanal umgebenden ver¬ 
narbten Gewebes ergab die Bildung eines Granulationsgewebes, 
welches aus dem die Gefäße begleitenden proliferirendera Binde¬ 
gewebe hervorgegangen war. Der Vernarbungsproceß war offenbar 
nach 27 Monaten noch nicht abgeschlossen; da sich noch gefä߬ 
reiches Granulationsgewebe im Lumen der Canäle fand, kann man 
annehmen, daß schließlich das ganze Lumen derselben von Binde- 
gewebsnarben ausgefüllt worden wäre. Die Neuroglia breitete sich 
in breiter Zone um die Narbe herum aus, ohne selbst an der 
Narbenbildung theilzunehmen. 

— Günstige Erfahrungen mit Jodtinctur bei Erysipel be¬ 
schreibt Tanfiljew („St. Petersb. med. Wschr.“, 1902, Nr. 26). 
Er empfiehlt sie deshalb sehr warm und zieht sie allen übrigen 
Mitteln vor. Ist die von Erysipel afficirte Hautpartie eine kleine, 
so bepinselt sie Verf. ganz und einen Theil der anliegenden 
gesunden Haut mit Jodtinctur. Ist dagegen die afficirte Hautpartie 
eine sehr große, so wird nur ihre Peripherie und die anliegende 
gesunde Haut in Form eines 4 Cm. breiten Streifens bepinselt. 
Die Pinselungen wurden wenigstens 3mal täglich vorgenommen. 
In den meisten Fällen wirkte die Jodtinctur geradezu abortiv, ln 
den schwereren Fällen gelang es, den Krankheitsproceß in einigen 
Tagen zum Stillstände zu bringen. 


Literarische Anzeigen. 

Das Gesichtsfeld bei functioneilen Nervenleiden. Von 

Prof. Dr. A. R. V. Reuß. Mit 17 Figuren. Leipzig und Wien 

1902, Franz Deuticke. 

Diese Arbeit interessirt nicht allein den Augenarzt, sondern 
auch den Neurologen und vielleicht in noch höherem Grade den 
Bahnarzt, sowie den Amtsarzt i. e. Gerichtsarzt. Wenn von trau¬ 
matischer Neurose gesprochen wird, so lächeln die Letzteren und 
denken sich : Der Kranke (?) schwindelt und der Arzt fällt hinein. 
Ein Theil dieses Mißtrauens fällt auch auf den Augenarzt, denn 
sein Votum ist bei solchen vor Gericht gelangenden Fällen oft von 
ausschlaggebender Bedeutung. Der Oculist ließ sich jedoch durch 
Einwürfe, daß bei der Aufnahme des Gesichtsfeldes man Simulation 
oder doch wenigstens Aggravation ausgesetzt sei nicht beirren, setzte 
seine Untersuchungen und Beobachtungen fort und trachtete Symptome 
herauszufinden, welche uns bei Beurtheilung des Falles weniger 
von dem guten Willen des Subjectes abhängig machen und unserem 
Gutachten auch die wissenschaftlichen Zeichen der Objectivität 
aufprägen. Ein Ausfluß dieser Gedankenrichtung ist wohl die oben 
genannte Arbeit, die sehr lesenswerth ist. Sie bringt vor allem 
85 Krankengeschichten, i. e. hauptsächlich Gesichtsfelder von Per¬ 
sonen, die ein Trauma erlitten haben und vom Autor selbst peri- 
metrirt wurden. 

Bevor er diese Gesichtsfeldschemata einer klinischen Be 
urtheilung unterzieht, gibt er uns Gesichtsfeldbilder (in Ziffern) von 
10 normalen Fällen, aus denen zu erkennen ist, daß ziemlich be¬ 
deutende Verschiedenheiten Vorkommen und daß man mit der Be¬ 
merkung „anomales Gesichtsfeld“ sehr vorsichtig sein muß. Es 
werden dann die Gesichtsfelder bei Hysterie (concentrische Ein¬ 
schränkung, oscillirendes Gesichtsfeld), bei Neurasthenie (Verschie- 
bungs und Ermüdungstypus) besprochen, und bringt v. Redss seine 
Gesichtsfeldbilder bei Neurasthenie, die als Zeichen der Ermüdung 
Spiralen aufweisen, welch letztere er als typisches Symptom auffaßt. 

R. erklärt auch, warum die Spiralen von Anderen nicht ge¬ 
funden wurden dadurch, daß das Gesichtsfeld nur einmal aufge¬ 
nommen wurde, man z. B. von 0—345 ging und dann die Punkte 
durch eine Linie verband. Geht man aber weiter, so sieht man, 
was eigentlich bei Erinüdungsgesichtsfeldern zu erwarten, daß die 
Punkte in den einzelnen Meridianen nicht aufeinanderfallen, sondern, 
wenn man sie verfolgt, Spiralen bilden bis zu einer Stelle, wo 
eine geschlossene Linie entsteht. Die Spiralen können viele Touren 
bilden. Referent hat diese Spiralen ebenfalls beobachtet und ge¬ 
zeichnet, aber sie nicht soweit verfolgt wie der Autor und ihnen 
wohl mit Unrecht keine solche Bedeutung beigemessen, er nahm 
sie als einfache Consequenz der Ermüdung hin und begnügte sich 
mit der Constatirung derselben. Referent muß aber v. Reuss Recht 
geben, wenn er seinen Spiralen Bedeutung zuschreibt und sie 
gleichsam als objectives Zeichen auffaßt. 

Es finden sich noch zahlreiche Bemerkungen und Winke, 
die der geübte Untersucher im Perimetriren nur vollauf bestätigen 
kann, und Referent kann nur nochmals den Collegen diese Broschüre 
zur Lectüre empfehlen. Königstein. 


Atlas und Grundriß der Psychiatrie. Von Privatdocent 
Wilhelm Weygandt (Lehmann’s medicinischc Handatlanten, 
Bd. XXVII). Mit 24 farbigen Tafeln und 276 Textabbildungen. 
663 S. München 1902, J. F. Lehmann. 

Das vorliegende Buch unterscheidet sich von ähnlichen in 
zwei Hinsichten. Erstens durch den ausführlichen Text und zweitens 
durch die Mannigfaltigkeit der Abbildungen : es ist ein reich 
illustrirtes Lehrbuch der Psychiatrie. Verf., der sich durch psycho¬ 
logische und klinische Forschung bekannt gemacht hat, folgt im 
Wesentlichen der philosophischen Richtung Wondt’s und der 
klinischen Kraepklin’s. Die Abbildungen beschränken sich nicht 
auf Porträts und Attitüden, sondern betreffen alles Demonstrir- 
bare, z. B. Abnormitäten an einzelnen Körpertheilen, pathologisch¬ 
anatomische Präparate, Histologisches, Curven, Erzeugnisse von 


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Geisteskranken, Situationspläne u. s. w. Es sei hervorgehoben, daß 
das Buch auch über alle praktischen Fragen der Psychiatrie Aus¬ 
kunft gibt. Die Ausstattung ist von den andern Lehmann’schen 
Atlanten her bekannt und verdient alles Lob. Infeld. 

Das Buch vom Impfen. Für Medicinalbeamte, Impfärzte, 
Aerzte, Studierende der Medicin und Behörden verfaßt von 
Dr. J. Borntraeger. Leipzig 1901 , II. Hartung & Sohn. 

Ein Buch, das nicht nur den im Titel erwähnten Berufs¬ 
schichten, sondern vor allem den Naturheilärzten und offenen und 
versteckten Impfgegnern warm empfohlen werden kann. Eine 
fesselnd geschriebene, kurze historische Einleitung geht der Schilde- 


Feuilleton. 

Ein Ministerium für Sanitätsangelegenheiten. 

Dem VII. österreichischen Aerztekaramertage lag der Antrag 
der ostgalizischen Kammer, betreffend die Schaffung eines Mini¬ 
steriums für Sanitätsangelegenheiten in Oesterreich vor, welcher 
die einmüthige Zustimmung des Tages gefunden hat. Der Antrag¬ 
steller wurde beauftragt, eine diesbezügliche Petition auszuarbeiten 
und allen Kammern zuzusenden. Damit ist der erste Spatenstich 
erfolgt zum Abbau der bureaukratischen Mauern, durch welche in 
Oesterreich — und nicht in unserem Vaterlande allein — das 
Sanitätswesen eingeengt wird. Daß es trotz dieses Umstandes, trotz 
der Thatsache, daß die letzte Entscheidung in Angelegenheiten der 
öffentlichen Gesundheitspflege dem Juristen zustcht, bei uns ge¬ 
rade im letzten Decennium einen so bedeutenden Aufschwung ge¬ 
nommen hat, danken wir den ausgezeichneten Männern, welche 
derzeit in Oesterreich an der Spitze des Sanitätswesens stehen, 
Männer, deren Wissen, Erfahrung und Thatkraft geeignet ist, das 
volle Vertrauen Jener fiir sich in Anspruch zu nehmen, welche 
die Zügel des administrativen Dienstes in Händen haben. Der An¬ 
trag der ostgalizischen Kammer ist daher ein prophylaktischer, 
und Jeder, dem die Zukunft des staatlichen Sanitätswesens am 
Herzen liegt, wird ihn warm begrüßen. 

Wie ein rother Faden zieht durch die Staatsverwaltung der 
Grundsatz, daß die ärztlichen Sanitätsbeamten nur eine consul- 
tative Stimme haben, während die Entscheidung sich in den 
Händen von Nichtärzten befindet. „Bei der ersten Instanz, den 
Bezirksämtern — sagt der Antrag — können die Bezirksärzte 
ihrem Chef, das ist dem Bezirkshauptmanne, über die nothwendigen 
Anordnungen und Verfügungen nur Vorstellungen unterbreiten, 
und nur ihm steht das Recht zu, diese Verfügungen anzu¬ 
ordnen, wobei er sich gar nicht an die Meinung des Bezirksarztes 
zu halten braucht und ganz nach seinem eigenen Gutdünken 
handeln kann. Es steht zwar dem Bezirksarzte das Recht zu, 
in Fällen, wo Gefahr im Verzüge ist, eine Anordnung zu 
treffen, er muß dies jedoch nicht nur zur Kenntniß des Bezirks¬ 
hauptmannes bringen, sondern auch begründen, uud diesem steht 
das Recht zu, eine solche vom Bezirksarzte getroffene Verfügung, 
wenn auch an demselben Tage, aufzuheben. Da hat der Steuer¬ 
inspector schon eine andere Stellung; denn der hat das Recht, 
diejenigen Verfügungen, welche er für nöthig erachtet, zu treffen, 
welche der Bezirkshauptmann nicht aufheben, sondern höchstens 
mit eigenen Bemerkungen an die höhere Stelle leiten kann. 

„Bei der zweiten Instanz, d. i. den Landesbehörden, haben 
wir zwar einen Landessanitätsreferenten, der Statthaltereirath ist 
oder einen dem gleichkommenden Rang hat und der Chef des 
ganzen Bureaus für Sanitätsangelegenheiten ist, doch ist auch seine 
Stellung nur eine berathende, denn abgesehen davon, daß er nicht 
berechtigt ist, irgendwelche Anordnungen zu erlassen, müssen alle 
seine Referate, bevor sie den weiteren Amtsweg wandeln, vorher 
von einem rangälteren Statthaltereirathe approbirt werden, und erst 
nachher entscheidet der Landeschef in der concreten Angelegen¬ 
heit, oder, wenn es ein wichtiger Fall ist, kommt die Sache noch 
vor das Plenum der Statthaltereiräthe, und sowohl diese als auch 


rung des Wesens, der Bedeutung, der Folgen und Nebenwirkungen 
der Impfung voraus; überall wird ein vollkommen objectiver Stand¬ 
punkt und reiches statistisches Material zur Grundlage genommen. 
Dabei wird das Thema in dem wirklich knappen Rahmen weniger 
Blätter ganz erschöpfend behandelt, und jede den Praktiker wie 
den Theoretiker interessirende Einzelheit findet Besprechung. In 
den weiteren Capiteln finden die maßgeblichen Bestimmungen uud 
gerichtlichen Entscheidungen über das Impfen Raum, die für unsere 
österreichischen Verhältnisse nur theoretisches Interesse haben ; 
weiters eine Zusammenstellung des für die Ausführung der Impfungen 
besonders Wissenswerthen. 

Das Buch ist gut und sei wärrastens empfohlen. 

Neurath. 


der Chef treffen die endgiltige Entscheidung und sind gar nicht au 
die Meinung des Sanitätsreferenten gebunden; und so sehen wir 
recht oft, daß diese Entscheidung von den Anträgen des Sanitäts¬ 
referenten mitunter grundverschieden ist. Dieselben Verhältnisse 
herrschen bei der letzten oder dritten Instanz, d. i. dem Ministerium 
des Innern. Erst in den letzten Jahren ist der Vorstand der Abthei¬ 
lung für Sanitätsangelegenheiten Sectionschef, d. i. er hat den Rang 
und Titel eines Sectionschefs; der wirkliche Sectionschef, welcher 
die Sachen entscheidet, ist aber ein Jurist. 

„Eine derartige Einrichtung kann man unmöglich als zweck¬ 
entsprechend bezeichnen. Man kann ein sehr guter Beamter, ein 
ausgezeichneter Jurist und sonst ein hochgebildeter Mann sein, und 
trotzdem kann man von Sanitätsangelegenheiten nicht den rechten 
Begriff haben. Ja, wir alle wissen es aus Erfahrung nur zu gut, 
welche verkehrten Anschauungen und crassen Vorurtheile, was die 
Medicin anbelangt, nicht nur bei den niederen Classen der Bevöl¬ 
kerung, sondern auch unter den gebildeten Ständen herrschen. 
Nur diesem Umstande ist es zu verdanken, daß solche für einen 
Mediciner unbegreifliche Entscheidungen Vorkommen können, wie 
die Entscheidung von erweiterter Befugniß für einen Zahntechniker 
oder die Ermächtigung eines Bauern zur Heilung von Beinbrüchen. 
Ich glaube, wenn man einen Arzt zum Justiz-* oder Minister des 
Innern machen würde, so würde er sich doch, trotzdem er nicht 
Jurist ist, dazu nicht herbeilassen, einem Winkelschreiber eine er¬ 
weiterte Befugniß zur Führung von Preßprocessen oder einem 
Bauer eine Concession zu Brückenbauten zu ertheilen. 

„Die Medicin hat schon lange aufgehört, nur Heilkunst zu 
sein, sie ist ebenso eine Wissenschaft wie jede andere, welche 
einen ganzen Mann' verlangt und keinen Dilettantismus verträgt. 
Wenn eine solche Einrichtung in der Staatsverwaltung, wie die 
obenerwähnte, schon früher nicht richtig war, so muß man sie 
jetzt, bei dem kolossalen Aufschwünge, den die medicinischen 
Wissenschaften in den letzten Jahrzehnten genommen haben, als 
eine dem Zwecke durchaus nicht entsprechende bezeichnen. 

„Man hat es für nöthig befunden, neue Ministerien neben 
den seit Jahren bestehenden zu schaffen, so das Ministerium für 
Ackerbau, Eisenbahnen, und jetzt heist es, daß die Schaffung eines 
Verkehrsministeriums erwogen wird — wir glauben, daß das Leben 
und die Gesundheit der Staatsbürger wenigstens ebenso wichtig 
sind, wie die Eisenbahnen und die Verkehrsmittel, deshalb müssen 
wir die Ansicht aussprechen, daß die Schaffung eines Ministeriums 
für Sanitätsangelegenheiten ebenso wichtig ist, ja wir erachten es 
für eine Nothwendigkeit. 

„Wird ein solches selbständiges Ministerium geschaffen, welches 
zwar auch aus Aerzten und Juristen zusammengesetzt sein müßte, 
wo aber den letzteren nur eine consultative Stimme zukommen 
würde, so wird auch die Stellung der Sanitätsbeamten erster und 
zweiter Instanz eine andere, was der Entwickelung des Sanitäts¬ 
wesens nur zum Nutzen und Vortheile gereichen kann.“ 

Soweit der Antrag der ostgalizischen Kammer, dessen schlichte 
Begründung eindrucksvoller ist als manch formvollendeter Motiven- 
bericht. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 38. 


1716 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Aus französischen Gesellschaften. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Med. Presse“.) 

Society mödicale des höpitaux. 

Gaucher und Crouzon: Ernährungsstörungen bei Syphilis. 

Bei dreizehn secundär, einem primär und einem tertiär Syphi¬ 
litischen ergab die Urinuntersuchung ungenügende Harnstoffaus¬ 
scheidung sowie Verminderung der Stickstoffverarbeitung, so daß 
man trotz der geringen Anzahl der untersuchten Kranken behaupten 
kann, daß bei der Syphiliserkrankung ebenso wie bei den chroni¬ 
schen Vergiftungen und den Autointoxicationen der Stoffwechsel 
verlangsamt ist. Die Verlangsamung ist in der secnndären Periode, 
der activsten toxisch infectiösen, deutlicher ausgeprägt, als in den 
beiden anderen Perioden. 

Variot : Zungen-, Lippen-, Kehlkopfparalyse corticalen Ursprungs, 
Idiotie vortäuschend. 

9jähr. Kind, von den Eltern als Idiot betrachtet, kann 
den Mund nicht schließen; Speichelfluß; die Zunge kann nicht vor¬ 
gestreckt werden ; die Sprache fast unverständlich, ohne eigentliche 
Aphasie ; Schluckbewegungen erschwert, leichte Parese des Gaumen¬ 
segels, keine Stimmbandlähmung. Das Kind versteht alles, was 
man ihm sagt. Von Seite der Extremitäten mit Ausnahme einer 
Contractur der linken oberen Extremität keine motorischen Störungen. 
Reflexe gesteigert. Fast jede Nacht tritt ein epileptiformer Anfall 
mit Incontinentia urinae auf. 

Anknüpfend an zwei identische Fälle von Bouchaud und 
Oppenheim, bei denen man bei der Autopsie die bulbären Kerne 
intact, die Windungen der RoLANiVschen Zone atrophisch fand, 
hält Variot auch den Ursprung der Krankheit bei dem Kinde für 
cortical. 

Vaquez: Störungen der Pupillenreaction und Läsionen der Aorta. 

Bei zwei mit Aorteninsufficienz behafteten Kranken läßt sich 
bilaterale Myosis und ARGYLL-RoBERTSON’sches Phänomen bei voll¬ 
ständigem Fehlen der Patellar- und Achillessehnenreflexe constatiren. 
Bei einem dritten Patienten des Vortragenden besteht neben der 
Aortenläsion Ungleichheit der Pupillen und RoBERTSON’sches Phä¬ 
nomen, doch sind die Sehnenreflexe intact. Der letzte Kranke ist 
syphilitisch, bei den beiden ersten ist Syphilis, nicht nachweisbar. 

Diese Fälle bestätigen die von Babinski mitgetheilten, auf 
welche dieser seine Behauptung stützt, daß die Syphilis der haupt¬ 
sächlichste Erreger der Pupillenveränderungen ist, welche die 
Aortenläsionen so häufig begleiten. Vaquez schlägt vor, diesen 
Symptomencomplex mit dem Namen Syndrom von Babinski zu 
bezeichnen. Der Symptomencomplex kann den syphilitischen Ur¬ 
sprung von Aorteuläsionen aufklären, so daß die geeignete Therapie 
eingeleitet werden kann; auch kann man, dadurch zum Unter¬ 
suchen der Sehnenreflexe angeregt, gewissen Fällen von Tabes, 
deren Frühsymptome nnter dem geschilderten Bilde verlaufen, auf 
die Spur kommen. 

Lannois: Das Blei in den Organen der Bleivergifteten. 

L. ließ einen sehr schwachen elektrolytischen Strom durch die 
Asche von Körpertheilen passiren, welche Methode imstande ist, 
ein Zehntel Milligramm Blei nachzuweisen. So konnte L. nach- 
weisen, daß das Blei sich bei den Bleivergifteten hauptsächlich 
in den Knochen und im Gehirn festsetzt. Daraus ergibt sich, daß 
die Encephalopathia saturnina der directen Einwirkung des Bleis 
auf die nervösen Centren zuzuschreiben ist. 

Milian: Syphilitischer Kopfschmerz und Lumbarpunction. 

Bei 8 Syphiliskranken, die an Kopfschmerz litten, wurde 
der Liquor cerebrospinalis untersucht; zweimal fand sich eine be¬ 
trächtliche Vermehrung der Zahl der weißen Blutkörperchen. Der 
Kopfschmerz war demnach in diesen beiden Fällen durch Reizung 
der Menningen infolge des starken Druckes des Liquor cerebro¬ 
spinalis hervorgerufen. 


Widal meint, daß die vorgebrachten Thatsachen dafür sprechen , daß 
die Untersuchung des Liquor cerebrospinalis bei Syphiliskranken von großem 
Interesse ist, selbst wenn nur das Symptom der Kopfschmerzen besteht. W. fand 
bei einem vor 10 Jahren syphilitisch Inficirten, an Kopfschmerz Leidenden 
nur eine mäßige Lymphocytose. — Im Liquor eines syphilitischen Hemi- 
plegikers mit heftigen Kopfschmerzen fand sich eine starke Lymphocytose; 
ebenso bei einer syphilitischen Meningitis der Convexität. — Interessant ist 
auch, daß das syphilitische Virus am Beginne der secnndären Periode leichte 
meningeale Reizerscheinungen hervorruft, deren Natur nur mittelst derlumbaren 
Punction zu erkennen ist. 

Guillain beobachtete mit Marie einen von den heftigsten Kopfschmerzen 
geplagten Syphiliskranken des secundären Stadiums, bei dem die Schmerzen 
schwanden, nachdem 10 Ccm. Flüssigkeit durch Lumbarpunction abgeflossen 
waren. Im Liquor fanden sich nur wenige Lymphocyten. 


Sociötö de biologie. 

Serege (Vichy): Ueber den Harnstoffgehalt der Leberlappen in 
den verschiedenen Stadien der Verdauung. 

Im Hungerstadium ist der Harnstoff in der ganzen Leber 
gleichmäßig vertheilt. Während der gastrischen Verdauung steigt 
der Harnstoffgehalt im linken Lappen; während der pancreato- 
intestinalen Verdauung hingegen ist der Percentgehalt an Harn¬ 
stoff im rechten Leberlappen ein größerer. 

Wie aus diesen Thierexperimenten hervorgeht, functionirt jeder 
Leberlappen in den verschiedenen Verdauungsstadien separat, wobei 
der linke Lappen mit dem Magen und der rechte mit dem Pankreas 
und den Eingeweiden zusammenarbeitet. 

Gilbert und Herrscher: Farbe des Blutserums bei inter¬ 
stitieller Nephritis und bei experimenteller Ligatur der 
Ureteren. 

In 27 von 32 Fällen von interstitieller Nephritis hatte das 
Blutserum eine deutliche gelbe Färbung und gab meistens positive 
GMELiN’sche Reaction. Zugleich batte die Haut einen Stich ins 
Gelbliche, manchmal war sie deutlich gelb. Die Urinmengen jedoch 
waren reichlich und blaßgelb. 

Bei der herrschenden Unkenntniß der wahren Natur der sero- 
chromen Elemente und ihrer Beziehungen zu den biliären Pigmenten 
ist die Erklärung dieses Symptomencomplexes sehr schwierig. Es 
kann sich einerseits um eine Cholämie mit subikterischer Verfärbung, 
andererseits um Retention der normalen Färbesubstanz des Serums 
infolge Undurchgängigkeit der Nieren handeln. 

Die Vortragenden schließen sich der letzteren Ansicht an. 
Nach Unterbindung der Ureteren bei zwei Hunden trat eine Färbung 
des Serums analog der bei interstitieller Nephritis beobachteten auf. 

Die Frage, ob die serochromen Elemente mit den Gallen¬ 
pigmenten identisch sind, so daß es sich um einen renalen Icterus 
und eine renale Cholämie handeln würde, oder nicht, muß derzeit 
unentschieden bleiben. 


Acadömie de Mödecine. 

Lancereaux: Plötzlicher Tod gastrischen Ursprunges. 

61jähr. Mann, neuropathisch und dyspeptisch, stirbt nach 
einem Diätfehler in cardialer Syncope. Am Herzen keine Läsion 
zu finden; es kann daher der Tod nur eingetreten sein, indem 
das Circulations- oder Respirationscentrum reflectorisch gehemmt 
wurde. 

Serestre: Prophylaxe der Diphtherie durch Präventiv-Serum- 
einspritzungen. 

Die Kinder werden, wenn auch nur für 3—4 Wochen, immun, 
ohne daß jemals ungünstige Nebenwirkungen durch die Injection 
auftreten. Es ist daher Pflicht des Arztes, die Kinder einer Familie, 
in der ein Diphtheritisfall aufgetreten ist, ebenso die Kinder in 
Schulen, Krippen, Spitälern, falls in diesen Instituten Diphtherie 
auftrat, zu immunisiren. 

Linossier : Forensische Biutbestimmungen mittelst coaguliren- 
der Sera. 

Bis jetzt galt die Meinung, daß jedes derartige Serum spe- 
cifisch sei, wenn auch nicht für eine Thierclasse allein, so doch für 
ganz nahe verwandte Classen, so z. B. daß das. Serum, welches 


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1717 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 38 


1718 


Menschenblut coagulirt, außerdem noch das Blut der Affen fällt, 
nicht aber das Blut anderer Thiere. L. fand nun, daß diese Speci- 
ficität nicht vorhanden sei. Das gegenüber Menschenblut specifische 
Serum coagulirt auch das Blut des Rindes, des Pferdes, des Hundes, 
des Schweines, des Kaninchens und des Huhnes ; doch ist die Reaction 
beim Menschenblut unvergleichlich empfindlicher. Außerdem zeigte 
sich, daß sehr verdünnte Lösungen viel besser reagiren, so daß 
eine tausendfach verdünnte Blutlösung immer nur durch das speci¬ 
fische Serum und kein anderes coagulirt wurde. 


Acadämie des Sciences. 

Lepine und Boulud: Asphyktische Glykosurie. 

Es gelang aus dem Urine und dem Blute asphyktisch ge¬ 
machter Hunde Leukomaine zu extrahiren, die, in geringer Menge 
dem normalen Blute beigemengt, die Glykolise hemmen, lnjicirt 
man diese Substanzen Kaninchen subcutan, so entsteht eine mehrere 
Tage andauernde Glykosurie. Diese diabetogenen Leukomaine lassen 
sich auch aus der Vena femoralis eines Hundes extrahiren, dessen 
Aorta einige Stunden vorher unterbunden wurde. Ihre Bildung 
steht offenbar mit dem Mangel der Sauerstoffzufuhr in Zusammen¬ 
hang. 

Besredka: Active Vaccination gegen Pest, Cholera und Typhus. 

Die passive Immunisirung besteht in der Injection eines 
Serums, das die specifischen Antikörper enthält, die active 
Immunisirung in der Einverleibung der betreffenden Bacillen, die 
in ihrer Wirksamkeit abgeschwächt wurden. Die erstere wirkt 
sofort, ist aber nur von kurzer Dauer, während die zweite länger 
dauert. Daher stammt die Idee, beide Arten von Immunisirung zu¬ 
gleich zu verwenden (Calmette und Salimbani); es erwuchsen 
jedoch daraus keine besonderen Vortheile. 

Von der Voraussetzung ausgehend, daß die Mißerfolge auf 
eine zu große Quantität des Serums zurückzuführen waren, stellte 
B. eine Mischung von Mikroben und Serum her, welche nach 
24 Stunden wiederholt ausgewaschen wurde, um das Serum voll¬ 
kommen zu elirainiren. Die Bacillen müssen durch Erhitzen auf 
58—60° unschädlich gemacht werden, die Pestbacillen vor der 
Mischung mit Serum, der Choleravibrio und Typhusbacillus nach 
der Entfernung der letzten Spuren des Serums. 

B. schlägt für diese mit dem Serum behandelten und durch 
Hitze unschädlich gemachten Mikroben den Namen Vaccinen vor. 

Die Antipestvaccine ist absolut unschädlich, ihre Injection 
ruft keinerlei Krankheitssymptom hervor. Mäuse werden 24 Stunden 
nach der Injection refractär gegen die Einverleibung von tödtlichen 
Dosen von Pestbacillen; diese Immunität hält zwei Monate an. 
Die Immunität nach Injection von Anticholera- und Antityphus¬ 
vaccinen läßt sich noch nach 8 Wochen constatiren. —n— 


Notizen. 


Wien, 20. September 1902. 

Die 74. Versammlung der Gesellschaft deutscher 
Naturforscher und Aerzte. 

Karlsbad, 21.—27. September 1902. 

Allgemeine Tagesordnung: 

Sonntag, 21. September: 

Vormittags 10 —12 Uhr: Sitzungen des Vorstandes und 
des wissenschaftlichen Ausschusses sowie der Vorstände der 
beiden Hauptgruppen, der Einführenden und Schriftführer 
der Abtheilungen im Curhaus. 

Nachmittags 1 / 2 S Uhr: Gemeinsames Mittagessen Obge¬ 
nannter im Stadtpark. 

Abends S 1 / 2 Uhr: Promen ade-Concert im Schützen¬ 
haus. 


Montag, 22. September: 

Vormittags 10 Uhr: Erste allgemeine Versamm¬ 
lung im großen Saale des Schützenhauses. 

1. Begrüßungsansprachen. 

2. Vorträge: a) F. Hofmeister (Straßburg): Ueber den Bau 

der Eiweißmoleküle. 

b) M. Weber (Amsterdam): Der Malayische 
Archipel und die Geschichte seiner Vor¬ 
welt. 

c) A.VoLLER(IIamburg): Grundlagen und Me¬ 
thoden der elektrischen Wellentherapie (so¬ 
genannter drahtloser Telegraphie). 

Nachmittags: Abtheilungssitzungen. 

Abends 7 Uhr: Festvorstellung im Th eate r und Orpheum 
(Schützenhaus). 

Dienstag, 23. September: 

Vormittags 8 Uhr: Frühstück auf der Alten Wiese, ge¬ 
geben von den dortigen Hausbesitzern. 

Vor- und Nachmittags: Abtheilungssitzungen. 

Abends 6 Uhr: Festessen im Stadtpark. 

Mittwoch, 24. September: 

Vormittags S' 1 /^ Uhr: Geschäftssitzung der Gesellschafts¬ 
mitglieder im großen Saale des Schützenhauses. 
Vormittags 10 Uhr: Gesammtsitzung beider 
Hauptgruppen (ebenda). 

Vorträge: a) E. Suess (Wien): Ueber das Wesen der heißen 
Quellen. 

b) W. Meyerhoffer (Berlin) : Die chemisch-physi¬ 
kalische Beschaffenheit der Heilquellen. 

c) J. Rüff (Karlsbad): David Becher, der „Karls¬ 
bader Hippokrates“ (1725 — 1792). 

Nachmittags: Abtheilungssitzungen. 

„ 5 Uhr: Festessen, gegeben von der 

Stadt Karlsbad. 

Abends 7 Uhr: Festliche Beleuchtung der Stadt. 
Donnerstag, 25. September. 

Vormittags 9 Uhr: Gemeinschaftliche Sitzung der medi- 
cinisclien Hauptgruppe im Saale des Schützenhauses : 
Physiologische Albuminurie (Reff.: v. Leube-W tirzburg, 
DRESER-Elberfeld). 

Vormittags */ 2 10 Uhr: Gemeinschaftliche Sitzung der 
naturwissenschaftlichen Haupt gruppe im Cur¬ 
haus: Kreislauf des Stickstoffs (Reff.: KOCH-Göttingen, 
REMY-Berlin). 

Nachmittags: Abtheilungssitzungen. 

Abends 7 1 / 2 Uhr: Festreunion im Curhaus. 

Freitag, 26. September. 

Vormittags 10 Uhr: Zweite allgemeine Versamm¬ 
lung im großen Saale des Schützenhauses. 

1. Vorträge: a) A. Frh. v. Eiselsberg (Wien): Die Bedeu¬ 

tung der Schilddrüse für den Haushalt der 
Natur. 

b) R. v. Wettstein (Wien): Der Neo-Lamarckis- 
mus. 

c) D. v. Miller (München): Die Naturkräfte 
im Dienste der Elektrotechnik. 

2. Schlußansprachen. 

Samstag, 27. September. 

Ausflüge nach Franzensbad und Marienbad (Aerzte); Teplitz, 

Aussig (Naturforscher). 

* * 

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1719 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 38. 


1720 


Aus Karlsbad wird uus geschrieben: Stadt und Aerzteschaft 
rüsten eifrigst zum Empfange der deutschen Naturforscher; die 
Curstadt beginnt das Festkleid anzulegen, und allenthalben wird 
die rührigste Tbätigkeit entfaltet, unser schönes Karlsbad zu 
schmücken für die Aerzte Deutschlands und Deutsch-Oesterreichs. 
Ihrer harrt als Willkommsgruß eine literarisch werthvolle Gabe, 
die „Festschrift“, welche in prächtiger Hülle interessante Bei¬ 
träge aus der Feder unseres Stadtphysikers Dr. Ahnelt, des Pri¬ 
mararztes Dr. Fink, Stabsarztes Dr. Schmidinger, Dr. Mlady, 
Dr. Becher u. A. birgt. Wer die für europäische Verhältnisse bei¬ 
spiellose Entwickelung Karlsbads zum internationalen Weltbade 
studiren will, dem wird durch diese Festschrift ein willkommener 
Behelf geboten. Zunächst wird uns der Curort im Jahre 1652 „mit 
153 absonderlichen Badtstttblein“ vorgeführt. Das erste Capitel be¬ 
handelt den Boden der Stadt und seine Thermen. Der Aufbau des 
Bodens, die Tektonik Karlsbads, das Thermalgebiet und die Ge¬ 
schichte der Heilquellen werden in präciser Schilderung und mit 
Hilfe zahlreicher Illustrationen dargestellt. Das Capitel „Aus Karls¬ 
bads vergangenen Tagen“ bespricht die Gründung der Stadt und 
ihre Privilegien, Alt-Karlsbader Badeleben, Ueberschwemmungen, 
Feuersbrünste und Kriege. Die vornehmsten Besucher des „weit 
und breit beruffenen Carls-Bades“ sind seit dem Jahre 1569 ver¬ 
zeichnet, unter ihnen Philippine Welser, Wallenstein, König 
Friedrich I. von Preußen, Peter der Große, Leibniz, Kaiserin 
Elisabeth Christine mit ihrem vierjährigen Töchterlein Maria The¬ 
resia, Kaiser Karl VI., Kaiserin Maria Ludovica, Geliert, Goethe, 
Kaiser Franz I. und Kaiserin Maria Louise, Fürst Metternich und 
viele Andere, welche die Geschichte nennt. Dieses Capitel ist beson¬ 
ders reich mit Abbildungen nach alten Kupfern ausgestattet. Es 
folgen die „Bau-Entwickelung“ , „Badeanstalten und Brunnen- 
colonnaden“, „Sprudelsalzerzeugung und Mineralwasser-Versendung“, 
die musterhaften hygienischen Einrichtungen, das Schulwesen und 
eine Curstatistik. Im Jahre 1828 zählte man 3713 Curgäste, 1901 
51.454. Aus der tabellarischen Zusammenstellung geht hervor, daß 
eine 28tägige Curzeit oder Aufenthaltsdauer zwar die gebräuch¬ 
lichste ist, daß aber vor vierzig Jahren die vier- bis fünfwöchent¬ 
liche Curzeit die überwiegende war, während derzeit eine drei- 
bis vierwöchentliche die häufigste ist. Das Stadtarchiv, die Biblio¬ 
thek und das Museum enthalten interessante Werke und Objecte, 
letztere die Goethe-Müller’sche Steinsammlung. „In Wald und Berg“ 
betitelt sich das folgende Capitel, welches neben wissenschaftlichen 
Abhandlungen das reizende Stück Erde in schönen Abbildungen 
vor Augen bringt. Culturhistorisch interessant ist der Abschnitt über 
die Vergangenheit und Gegenwart der Karlsbader Gewerbe; ferner 
sind einige Daten Uber Karlsbader bildende Künstler mitgetheilt. 
Das Schlußcapitel „Bibliographie“ zählt die reiche medicinische und 
naturwissenschaftliche Literatur und die wissenschaftlichen Arbeiten 
Karlsbader Aerzte auf. 

Wir werden über die wissenschaftliche Ausbeute und die 
Aeußerlichkeiten der Karlsbader Tage eingehend berichten. 


Der VII. österreichische Aerztekamiuertag. 

ii. 

VII. Rechtsvcrhältniß zwischen den Cassenärzten 
und K ran k encassen. 

Es wurde folgende Resolution angenommen: „Der VII. öster¬ 
reichische Aerztekammertag spricht sich dahin aus, daß er die 
Forderungen, welche in dem im Jahre 1901 der k. k. Regierung 
überreichten Memorandum zur Geltung gebracht wurden, als voll¬ 
kommen berechtigt anerkennt, und daß er von der k. k. Regierung 
erwartet, daß diese Forderungen entsprechende Berücksichtigung 
finden werden.“ 

VIII. Der neue Preßgesetzentwurf. 

Beschluß: Es soll in einer Petition an die Regierung und 
die beiden Häuser des Reichsrathes die Abänderung der Regierungs¬ 
vorlage betreffend das Preßgesetz angestrebt werden. Die §§34 
und 35 sollen im Sinne des Antrages der Wiener Kammer (vergl. 
Feuilleton in Nr. 37 d. „Wiener Med. Presse“) abgeändert werden. 


IX. Honorar frage. 

Da nach der Erklärung des Delegirten der deutschen Section 
der Kammer in Prag diese Angelegenheit von einigen Kammern 
noch in Vorberathung steht und somit alle Honorartarife der 
Kammern noch nicht vorliegen, welcher Umstand eine einheitliche 
Regelung der Honorarfrage absolut unmöglich macht, wird be¬ 
schlossen : Es habe an die Kammern neuerlich der Auftrag zu er¬ 
gehen, die in ihren Sprengeln stehenden Tarife, soferne sie es 
noch nicht gethan haben, an die deutsche Section der böhmischen 
Kammer einzuschicken, deren Vertreter auf einem der nächsten 
Kammertage das Referat erstatten soll, in welcher Weise die 
Honorarfrage auf Grundlage dieser neu vorhandenen Daten zu 
regeln sei. 

X. Standesordnung. 

Der von der steiermärkischen Kammer als Vorlage für den 
VII. Kammertag ausgearbeitete Entwurf einer gemeinsamen Standes¬ 
ordnung wird mit einigen Abänderungsvorschlägen angenommen 
und beschlossen, die Kammern seien zu ersuchen, diesen Entwurf 
in Berathung zu ziehen und, mit den eventuellen Zusätzen versehen, 
wieder an die steiermärkische Kammer zurückzuleiten, welche so¬ 
dann einem der nächsten Kammertage einen endgiltig revidirten 
Entwurf einer gemeinsamen Standesordnung zur Beschlußfassung 
vorlegen soll. 

XI. Gesetzliche Regelung der Befugnisse der Zahn¬ 
ärzte und Zahntechniker. 

Zu diesem Gegenstände präcisirt der Vertreter der Wiener 
Kammer den Standpunkt seiner Kammer wie folgt: 

Die Uebergriffe der Zahntechniker in das Gebiet der Zahn¬ 
heilkunde sind so alt als diese selbst, und die vergangenen Jahr¬ 
zehnte zeigen einen fortwährenden Kampf zwischen den beiden 
Parteien, der durch mehrfache Verordnungen eingedämmt, aber nie 
ganz zum Stillstände gebracht werden konnte. Neue Nahrung wurde 
demselben dadurch zugeführt, daß das Gewerbe der sogenannten 
Zahntechnik zu einem concessionirten gemacht wurde, in wenig 
überlegter Weise, weil sich, was ja allen Zahnärzten im vorhinein 
klar war, baldigst herausstellte, daß ein selbständiges Ausüben des 
Gewerbes ohne Uebergriffe in rein ärztliches Gebiet ein Ding der 
Unmöglichkeit ist. Nun hatte aber der concessionirte Zahntechniker 
durch seine Concession das Recht erhalten, das Gewerbe zu be¬ 
treiben, fand sich jedoch durch die bestehenden Gesetze gegen 
Curpfuscherei in jeder Richtung behindert — was war natürlicher, 
als daß sich zuerst einzelne, dann fast alle Zahntechniker über die 
ihnen durch die Gesetze gezogenen Grenzen hinwegsetzten und, ge¬ 
stützt durch die Toleranz der maßgebenden Behörden, die Cur¬ 
pfuscherei im Großen betrieben, ja schließlich als ihr gutes Recht 
in Anspruch nahmen. Daher kommt es, daß jeder Schritt der 
Zahnärzte, diesem ungesetzlichen Treiben ein Ende zu machen, als 
Verfolgung und Bedrohung der Existenz betrachtet wurde. — Die 
Geschichte der vergangenen Jahrzehnte lehrt, daß jede Verordnung, 
durch welche den Zahntechnikern kleine Zugeständnisse gemacht 
wurden, baldigst wieder aufgehoben werden mußte, weil maßlose 
Uebergriffe die Folge derselben waren. Die sogenannten Zahntechniker 
sehen dies auch vollkommen ein, wie aus allen ihren Eingaben und 
Vorschlägen hervorgeht, und weil sie wissen, daß die Zahn- und 
Kieferersatzkunde ohne Zahnheilkunde nicht betrieben werden kann, 
sondern ein integrirender Bestandtheil derselben sein muß, so drehen 
sie einfach die Sache um: sie wollen den Zahnärzten das Recht 
des Zahnkieferersatzes nehmen, beanspruchen aber andererseits für 
sich die Berechtigung zur Vornahme aller zahnärztlichen Ver¬ 
richtungen ; sie wollen sich mit einem Worte, gestützt auf ihren 
Gewerbeschein, an die Stelle diplomirter Zahnärzte 
setzen. 

Würde diesem Verlangen nachgegeben werden, so würde eine 
ganz neue, in keinem Staate der Welt bestehende Kategorie von 
Sanitätspersonen geschaffen und viele Hunderte von Aerzten zu 
Gunsten eines , als solches nicht existenzfähigen, neu geschaffenen 
Gewerbes auf das Empfindlichste geschädigt. Die Zahn- und Kiefer¬ 
prothese kann aber unmöglich in die Reihe der kosmetischen Ge¬ 
werbe gestellt werden, sie erfordert ärztliche Vorbildung und ope- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 38. 


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rative Eingriffe und kann deshalb nur als Hilfsgewerbe bestehen. 
Aus diesem Grunde beantragt die Wiener Aerztekammer, der Aerzte- 
kammertag wolle die von der Wiener Kammer gemachten Vorschläge 
ganz und unverändert annehmen. 

Der Kammertag erklärt sich mit den Forderungen, die die 
Wiener und die geschäftsführende Kammer im Namen aller Kammern 
der Regierung gegenüber in einer erschöpfenden Petition zum Aus¬ 
drucke brachten, einverstanden und erwartet von der Regierung, 
daß sie denselben im Interesse der Beilegung des derzeitigen Mi߬ 
verhältnisses Rechnung tragen werde. 

* * 

* 

Zur geschäftsführenden Kammer für das Jahr 1903 wurde 
die Öberösterreichische Aerztekammer gewählt und als 
Kammertagsort Linz bestimmt. 


(Wiener medicinische Facultät.) Der soeben aus¬ 
gegebene Lectionskatalog für das Wintersemester 1902/1903 
kündigt an der med. Facultät 332 Vorlesungen und Curse an, welche 
von 31 ordentlichen, 48 außerordentlichen Professoren und 111 Privat- 
docenten, resp. Assistenten abgehalten werden. Auf die einzelnen 
Disciplinen vertheilen sich die angekündigten Collegien wie folgt: 


D i s c i p 1 i n 

0. Prof. 

A. o. Prof. 

Docenten, 

resp. 

Assistenten 

Zahl der 
Vor¬ 
lesungen 

Geschichte d. Medicin . . . 


_ 

2 

3 

Anatomie u. Histologie . . . 

3 

2 

1 

14 

Physiologie. 

2 

1 

2 

9 

Allg. Pathol. u. path. Anatomie 

3 

4 

1 

24 

Heilmittellehre. 

1 

1 

2 

9 

Interne Medicin. 

5 

10 

35 

71 

Chirurgie. 

3 

5 

17 

46 

Ohrenheilkunde. 

1 

1 

6 

17 

Augenheilkunde ...... 

2 

4 

10 

33 

Gynäkologie u. Pädiatrik . . 

3 

7 

19 

38 

Hautkrankheiten n. Syphilis . 

3 

5 

7 

27 

Psychiatrie. 

2 

3 

6 

19 

Staatsarzneikunde u. Hygiene 

2 

3 

2 

11 

Angewandte med. Chemie . . 

1 

1 

1 

10 

Veterinärkunde. 

— 

1 


1 

Summe . . . 

31 

48 

111 

332 


Nicht lesen werden im kommenden Semester 2 Extraordinarii und 
2 Privatdocenten. — Die Facultät zählte im abgelaufeneD Sommer¬ 
semester 909 ordentliche Hörer (gegen 948 im Sommersemester 
des Vorjahres), darunter 20 Frauen, 75 (106) außerordentliche 
Hörer, 452 (413) Frequentanten und 5 (8) Hospitantinnen. Die 
Gesammtzahl der Mediciner betrug 1441 gegen 1475 im Vor¬ 
jahre. Die größte Zahl der ordentlichen Hörer recrutirte sich aus 
Niederösterreicb, Mähren, Böhmen, Serbien, Ungarn und Rußland, 
das Maximum der außerordentlichen Hörer aus Niederösterreich, 
der Frequentanten aus Amerika. 

(Universitäts-Nachrichten.) Am 9. d. M. hat die 
Eröffnung des staatlichen Serum-Institutes in Kopenhagen statt¬ 
gefunden , dessen Leitung Prof. Salomonsen innehat. — Ernannt 
wurden: Doc. Dr. E. Hertel zum a. o. Professor in Jena, Dr. 
K. Strzyzzowski zum a. o. Prof, der med. Chemie in Lausanne, 
Dr. Th. G. Ashton und Dr. J. L. Saling er zu Professoren der 
med. Klinik in Philadelphia, Dr. G. L. Noyes zum Professor 
der Augenheilkunde am Missouri Medical College in Saint Louis, 
Dr. 0. Garcia zum Professor der allgemeinen Pathologie in Sara¬ 
gossa, der Docent der militärmedicinischen Facultät in Sa net 
Petersburg Dr. Gendre zum a. o. Professor der Physiologie. — 
Habilitirt haben sich: Dr. E. Veratti für Histologie in Pa via, 
Dr. L. Gordini für Geburtshilfe und Gynäkologie in Bologna, 
Dr. G. Velo für „operative Medicin“ in Neapel. 

(Zur Nachahmung.) Die Administration des neugegrün¬ 
deten Tagblattes „Die Zeit“ hat, wie die Wiener Aerztekammer 
raittheilt, an diese eine Zuschrift gerichtet, in welcher die „Zeit“ 
erklärt, gegen die ärztliche Standesehre verstoßende Inserate nicht 
aufnehmen zu wollen, und solche, bei denen dies klar ersichtlich 


war, ohneweiters zurückgewiesen zu haben. Weiters ersucht die 
Administration um eine gutachtliche Aeußerung über die Zulässig¬ 
keit einiger Inserate. Der Vorstand der Wiener Aerztekammer hat 
diese Zuschrift mit besonderer Befriedigung zur Kenntniß genommen 
und dieselbe meritorisch beantwortet. 

(Wiener Medicinal-Kalender.) Der 26. Jahrgang des 
bekannten Wiener Medicinal- Kalenders (Verlag von Urban & 
Schwarzenberg) ist soeben zur Ausgabe gelangt. Auch die 
neue, für 1903 bestimmte Ausgabe dieses überaus handlichen 
Aerztekalenders enthält ein gut redigirtes Recepttaschenbuch, 
eine Art therapeutischen Lexikons in nuce, mit zahlreichen Winken 
für Krankenpflege, Diätetik etc. und einer reichen Auswahl von 
Beispielen für die Verschreibung bewährter, neuerer und neuester 
Medieamente, eklektisch zusammengestellt. Von besonderer Wich¬ 
tigkeit für den praktischen Arzt sind die Abschnitte „Pharmako¬ 
logie nach Indicationen“, „Symptomatologie und Therapie der 
wichtigsten acuten Intoxicationen“, „Uebersicht der officinelleu und 
nicht officinelleu Arzneimittel, ihrer Dosiruug und Anwendung, so¬ 
wie ihrer Preise“, „Die wichtigsten Nährpräparate“, „Receptforraeln 
für die Cassen- und Armenpraxis“, „Maximaldosen für Kinder und 
Erwachsene“ etc., und das Interesse der Aerzte dürften die Capitel 
„Anleitung zur Untersuchung von Se- und Excreten und des Blutes“ 
sowie „Therapeutische Technik“ in Anspruch nehmen, welch letzteres 
die wichtigsten, vom Arzte zu leistenden manuellen Eingriffe be¬ 
spricht. Eine Darstellung des Wiener ärztlichen Vereinslebens, ein 
Verzeichniß der Krankenanstalten und Aerzte Wiens, die Repro- 
duetion wichtiger gesetzlicher Bestimmungen, eine kleine Balneologie 
mit Aufzählung der Bade- und Curorte nach ihrer Indication, ein 
mit Papier durchschossenes Kalendarium und das tägliche Notizbuch 
completiren das hübsch ausgestattete Büchlein , welches mit Recht 
die Bezeichnung eines ärztlichen Vademecums erhalten hat. 

(Ausstoßung und Boykottirung eines Arztes 
durch einen Aerzteverein.) Gleich anderen Vereinen hat 
der Aerzteverein zu Kiel für „Verfehlungen“ seiner Mitglieder 
deren Ausschließung in den Statuten vorgesehen. Im Jahre 1899 
wurde, wie „Med. Ref.“ berichtet, dem Arzte X., Mitgliede des Vereines, 
eine Consultatiou mit dem Homöopathen K. und Zuweisung von 
Patienten an diesen zur Last gelegt. Er wurde zur Verantwortung 
gezogen und die Beschwerden über ihn dem auf Grund der „Standes¬ 
ordnung“ zusammengesetzten Schiedsgericht zur Untersuchung über¬ 
wiesen. Bevor jedoch die Verhandlungen des Schiedsgerichtes beendet 
waren, trat Arzt X. aus dem Verein aus. Dessenungeachtet wurde er 
durch Beschluß der Generalversammlung aus dem Verein ausge¬ 
schlossen. Außerdem untersagte der Vorstand des Vereines den 
Mitgliedern eine zukünftige Consultation mit ihm. X., der in Kiel 
eine Privatklinik für Augen-, Ohren- und Nasenleiden betreibt, 
wurde naturgemäß in seinem Betriebe hiedurch schwer geschädigt, 
fühlte 8ich durch die ihm gewordene Behandlung verletzt und 
klagte den Aerzteverein. Das Landgericht hat die Klage abge¬ 
wiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht 
diese Entscheidung dahin abgeändert: „Es wird festgestellt, daß 
das zwischen den Parteien bestandene Rechtsverhältniß durch den 
erfolgten Austritt des Klägers aus dem Verein der in Kiel und 
Umgegend prakticircnden Aerzte beendigt und der Beklagte nicht 
berechtigt gewesen ist, den Kläger nach diesem Zeitpunkt aus dem 
Verein auszuschließen. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. 
Die Kosten werden gegen einander aufgehoben.“ Gegen dieses 
Urtheil haben beide Thcilc Revision eingelegt. Das Reichsgericht 
hat einen Theil des Berufungsurtheils aufgehoben und die Sache 
zu nochmaliger Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz 
zurückverwiesen. Interessant an diesem Falle ist vor allem, daß 
vom Landgericht im Widerspruch mit Entscheidungen anderer 
Senate erkannt ist, daß der ärztliche Beruf kein Gewerbe ist; wohl 
aber wird er dazu, wenn sich mit ihm wie bei dem Kläger der 
Betrieb einer Privatkrankenanstalt (Klinik) verbindet. 

(Cigarrenasche gegen Insectenstiche.) Von dem 
Salmiakgeist, dessen günstige Wirkung auf frische Insectenstiche 
allgemein bekannt ist, kann man auf Wanderungen vielfach keinen 
Gebrauch machen, aus dem einfachen Grunde, weil derselbe nicht 
zur Hand ist. Ein einfacheres Mittel, um die infolge eines Insecten- 


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1723 


1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 38. 


1724 


stichcs auftretenden Schmerzen und die Anschwellung der gestochenen 
Stellen zu verhüten, bezw. zu beseitigen, wenn der Stich noch 
verhältnißmäßig frisch ist, bietet, wie das „Pharm. Centralbl.“ 
berichtet, die Cigarrenasche, die meist eher zur Hand ist als der 
Salmiakgeist. Man bringt etwas Asche von einer Cigarre, oder 
Cigarrette oder aus einer Pfeife auf die Stichstelle, fügt einen 
Tropfen reinen Wassers (im Nothfall auch Bier, Wein , Kaffee) 
hinzu und reibt den entstehenden Brei tüchtig auf die Stelle ein. 
Am besten ist es natürlich, frische Tabaksasche zu verwenden, da 
dieselbe infolge des kurz vorher erfolgten Ausglühens am besten 
Garantie dafür bietet, daß eine Verunreinigung ausgeschlossen ist. 
Die Wirkung der Tabaksasche beruht auf dem Gehalt an Kalium¬ 
carbonat, das die von dem Insect beim Stechen in die kleine 
Wunde beförderten kleinen Mengen von Säure abstumpft. 

(Statistik.) Vom 7. bis inclusive 13- September 1902 wurden in den 
C i vilspitälern Wiens 6165 Personen behandelt. Hievon wurden 1348 
entlassen; 121 sind gestorben (8 23% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 39, egypt. 
Augenentzündung —, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 5, Dysen¬ 
terie 2, Blattern—, Varicellen 6, Scharlach 25, Masern 26, Keuchhusten 41 
Rothlauf 26, Wochenbettfieber 2, Rötheln —, Mumps 2, Influenza —, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —, 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wieu 622 Personen gestorben 
(+63 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Bad Salzbrunn der 
Brunnen- nnd Badedirector Dr. Julius Hoffmann im 60. Lebens¬ 
jahre; in Warschau der Docent für Geburtshilfe und Gynäkologie 
Dr. Switelski ; in Montreal der Professor der Chirurgie Doctor 
J. Brunelle. 


Kohlensäure Soole-Bäder ä la Nauheim können leicht überall nun 
dargestellt werden durch die betreffenden Badetabletten, welche Dr. Sf-dlitzky 
in Hallein über Aufforderung vieler Aerzte, insbesondere von Nervenklinikern, 
erzeugt; es sind diese Tabletten eine willkommene Bereicherung für die balneo- 
logische Therapie. 


INHALT: Zur 74. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. 
Karlsbad, 21.—27. September 1902. — Originalton und klinische Vor¬ 
lesungen. Aus der JI. chirurgischen Abtheilung im k. k. Allgemeinen Kranken¬ 
hause (Vorstand: Prof. v. Mosetig-Moorhof). Ueber Appendicitis und ihren 
Zusammenhang mit Traumen. Von Dr. Sigmund Erdheim, em. Assistenten der 
Abtheilung. — Ans der III. med. Abtheilung der k. k. Rudolfstiftung (Primararzt 
Dr. Mader). Ueber Indicationen zur Therapie mit „Vial’s tonischem Weine“. 
Von Dr. Adolf Brok, Abtheilungsassistent. — Beobachtungen über den Einfluß 
von Alboferin auf Blutdruck und Nervenerregbarkeit bei Nervenkranken. Von 
Dr. Zanietowski in Swoszowice. — Referate. Hermann Cohn (Breslau): Me¬ 
thodische Sehübungen bei Sehschwache. — Max Wolff (Berlin): Perlsucht 
und menschliche Tuberculose. — H. Neumann (Berlin): Bemerkungen zur 
BARLow'schen Krankheit. — Karl Kober (Breslau): Zur Frage der Uterusruptur 
in frühen Monaten der Schwangerschaft. — Karewski (Berlin): Die Behandlung 
des Frolapsus ani der Kinder mit Paraffininjectionen. — Kehr (Halberstadt): 
Ueber den plastischen Verschluß von Defecten der Choledochuswand. — Buri 
(Basel): Ein Fall von chronischer Primeldermatitis. — Charles P. Emerson 
(Basel): Der Einfluß des Carcinoms auf die gastrischen Verdauungsvorgänge. — 
Alben (Königsberg i. P.): Zur Therapie der chronischen Kieferhöhlen¬ 
empyeme. — H. Steinert (Leipzig): Ueber den Intentionskrampf der Sprache, 
die sogenannte Aphthongie. — E. v. Niessl (Leipzig): Ueber Stauungserschei¬ 
nungen im Bereiche der Gesichtsvenen bei der progressiven Paralyse. — 
Kleine Mittheilungen. Die Behandlung der Kehlkopftuberculo.se. — Ueber 
die GefäßwirkuDg der Körper der Digitalisgruppe. — Aphrodisiaca. — Stoff¬ 
wechselversuche über die Wirkung der Oelklystiere. — Chirurgie des mela- 
statischen Nierenabscesses. — Heilung der Hirnwunden. — Jodtinctur bei 
Erysipel. — Literarische Anzeigen. Das Gesichtsfeld bei functioneilen 
Nervenleiden. Von Prof. Dr. A. R. v. Reuss. — Atlas und Grundriß der Psy¬ 
chiatrie. Von Privatdocent Dr. Wilhelm Weygandt. — Das Buch vom Impfen. 
Für Medicinalbeamte, Impfärzte, Aerzte, Studirende der Medicin und Behörden 
verfaßt von Dr. J. Bobntbaeger. — Feuilleton. Ein Ministerium für Sanitäts¬ 
angelegenheiten. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. Aus französischen 
Gesellschaften. (Orig.-Ber.) — Notizen. Die 74. Versammlung der Gesell¬ 
schaft deutscher Naturforscher und Aerzte. — Der VII. österreichische Aerzte- 
kammertag. — Neue Literatur. — Eingesendet. — Offene Correspondenz 
der Redaction nnd Administration. — Aerztiiche Stellen. — Anzeigen. 

Verantwortlicher Redactenr: Docent Dr. Ludwig Braun. 

Mit dieser Nummer versenden wir, für die Abonnenten 
der „Wiener Mediz. Presse“ als Beilage, das September- 
October-Heft der „W iener Klin ik“. Dasselbe enthält: 

„Der chronische Gelenksrheumatismus und seine Behandlung.“ 

Von Dr. L. Wiek (Badgastein) und Dr. Anton Bum (Wien). 


Einzelne Nummern der ,Wr, Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
Postversendung. Die Preise derEinbanddeoken sind folgende: für die „Med. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
„Therapie der Gegenwart“: K 1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Postversendnng. 

Die Rubrik: „ Erledigungen , ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der «weitert, Inseraten-Seite. 

MC* Wir empfehlen diese Rubrik der speoiellen Beachtung unserer 
geehrten Leser; in derselben werden öfters — neben der Publioation von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auch für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein können , welche an eine 
Aenderung des Domieils oder ihrer Verhältnisse nioht gedacht haben. *91 


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Nr. 39. 


XLIII. Jahrgang._Wien, den 28. September 1902. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart-Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik“, letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse" 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 


Wiener 


Abonnementopreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Militärärztlicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
20 y, halbj. 10 K, viertelj. 5 A". Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk., halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 AT; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2 spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein 
Sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse" in Wien, I., Maximilianstr. 4. 


Medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Redaction: Telephon Kr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

-»Q$8*- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


Administration: Telephon Hr.9104. 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der 


Quelle „ Wiener Medizinische Presse u gestattet. 


74. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. 

Karlsbad 21.—27. September 1902. 


Aus der Chirurg . Abtheilung des bosn.-hereeg. 

Landesspital es zu Sarajevo. 

Ueber Steinoperationen. 

Von Primararzt Dr. Josef Preindlsberger. *) 

Bis zum Beginne der antiseptischen Wundbehandlung 
fußten die Methoden der Steinoperationen auf den alten 
historischen Ueberlieferungen und nur ab und zu wurde ein 
schüchterner Versuch gemacht, diese altgewohnten Pfade zu 
verlassen. E 9 waren die perinealen Methoden, die fast aus¬ 
schließlich zur Anwendung gelangten. Seit der antiseptischen 
Aera wurden diese perinealen Methoden, wenn sie auch noch 
immer Anhänger besitzen, immer mehr und mehr verdrängt. 

Jetzt dreht sich die Frage, wie eine Steinoperation 
vorgenommen werden soll, im Wesentlichen darum, ob man 
die abdominale Schnittmethode oder die Zertrümmerung vor¬ 
ziehen soll. 

Wenn wir auch unter den Chirurgen, die eine eigene 
größere Erfahrung besitzen, im Allgemeinen über die Wahl 
der Operationsmethode eine Uebereinstimmung finden, so be¬ 
stehen dabei doch manche nicht unwesentliche Meinungs¬ 
verschiedenheiten . 

Ich glaube nicht, daß es heute noch so sehr subjective 
Erwägungen sind, von denen die Chirurgen bei der Indi- 
cationsstellung für die Sectio alta oder die Lithotripsie 
geleitet werden, sondern daß es sich dabei um die Ver¬ 
schiedenheiten des Beobachtungsmateriales handelt. So sind 
für die Grenzen zwischen Sectio alta und -Lithotripsie das 
Alter des Patienten, die chemische Zusammensetzung des 
Concrementes und die Beschaffenheit der Harnorgane ma߬ 
gebend. 

Bei der Sectio alta bestehen mehr weniger von einander 
abweichende Anschauungen in der Nachbehandlung, in der 
Ausführung der Blasennaht oder Drainage der Blase und 
der Verwendung des Dauerkatheters. 

Wenn durch die Publicationen der letzten Jahre auch 
keine endgiltige Beantwortung dieser Fragen erreicht wurde, 


*) Auszugsweise vorgetragen in der Abtheilung für Chirurgie der 74. Ver¬ 
sammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte in Karlsbad. 


so haben dieselben doch wesentlich zur Klärung mancher 
noch strittiger Punkte beigetragen. 

Vor Allem möchte ich auf die verschiedenen Indications- 
stellungen hinweisen, welche durch das Alter bedingt sind. 

Die meisten in Europa wirkenden Chirurgen, verhalten 
sieh bei der Ausführung der Lithotripsie im Kindesalter 
sehr zurückhaltend und halten dieselbe, wie der erfahrene 
Ultzmann, nur in den seltensten Fällen für gestattet. Frisch, 
Zuckereandl scheinen dieselben nach ihren jüngsten Publi¬ 
cationen im Kindesalter nicht ausgeführt zu haben. Löwen¬ 
hardt (Congreß der deutschen Gesellschaft für Chirurgie 
1899) scheint in einigen Fällen die Lithotripsie bei Kindern 
ausgeführt zu haben, doch gibt er weder das Alter der 
Patienten, noch die chemische Zusammensetzung der Con- 
crGmcntG än. 

Alexandroff („Centralbl. f. Chir.“, 1901, Nr. 16, Ref.) 
bat 282 Lithotripsien bei Kindern im mittleren Alter von 
43 Jahren gemacht mit 2‘4°/o Mortalität. Die durchschnitt¬ 
liche Größe der Blasensteine war 1*5—2 0 Cm. Durchmesser. 

Krassnobajew (ibid.) führte 117 Lithotripsien bei Kindern 
im durchschnittlichen Alter von 4 - 2 Jahren aus. 

Adams (Ref. „Wiener klin. Wochenschr.“, 1901, Nr. 44) 
hat in Indien 206 Steinoperationen ausgeführt, darunter häufig 
Lithotripsien bei Kindern. 

Bei den im Oriente an Kindern ausgeführten Litho¬ 
tripsien kommt, abgesehen von der, wie es scheint, in Indien 
häufig angewendeten „perinealen Lithotripsie“, die ja 
doch eine Combination der perinealen Schnittmethode mit 
der Zertrümmerung darstellt, die anthropologisch bekannte 
Thatsache der bei Orientalen frühzeitig entwickelten äußeren 
Genitalien in Betracht. So erwähnt Adams, daß er bei Kindern 
von 14 Jahren bereits den für Erwachsene bestimmten Litho¬ 
triptor größten Calibers verwenden könne. Buxton Brown 
warnt vor der Uebertreibung der in Indien prakticirenden 
Chirurgen in der Ausführung der Lithotripsie im Kindes¬ 
alter und erklärt ihre guten Resultate durch die viel 
größere Toleranz, welche die Blase und die Harnröhre der 
Indier instrumenteilen Insulten darbietet. 

Bei den Fellahs in Aegypten sind die Genitalien sehr 
frühzeitig entwickelt und werden bei den Kindern von den 
Müttern sehr häufig mit allen möglichen Mitteln mechanisch 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 39. 


1740 


gereizt, um sie zu einer raschen und möglichst großen Ent¬ 
wickelung zu bringen, die ihnen eine Erhöhung de3 späteren 
sexuellen Genusses verschaffen soll; ferner haben die Fellahs 
die Gewohnheit, sich nach dem Uriniren den Penis mit Sand 
abzureiben und die letzten Tropfen Urins aus der Harnröhre 
durch melkende Manipulationen herauszupressen. Dr. Hey¬ 
mann, der seit vielen Jahren in Cairo lebt und dem ich diese 
Mittheilungen verdanke, meint, daß diese Manipulationen 
vielleicht die oft enorme Entwickelung der Genitalien bei 
den Fellahs erklären könnten. 

Ich habe mir diese anthropologischen Bemerkungen 
deshalb gestattet, weil ich glaube, daß hiedurch die aus¬ 
gedehnte Anwendung der Lithotripsie bei Kindern in den 
Tropen ermöglicht erscheint. 

Ueber meine eigenen Erfahrungen bei Lithotripsie der 
Kinder werde ich mir erlauben, weiter unten zu berichten; 
v. Frisch hält die Ausführung der Sectio alta bei kleinen 
Concrementen für einen Anachronismus; ich glaube nicht, 
daß diese Bemerkung auch für das früheste Kindesalter 
Geltung haben kann. Ebenso ist seine Ansicht, daß das 
höhere Lebensalter zweifellos am häufigsten von Lithiasis 
betroffen wird, nur für sein Material richtig, da wir aus 
anderen großen Statistiken andere Daten besitzen. 

Es sind ja zwei Altersperioden für das Auftreten der 
Lithiasis zu unterscheiden: das Kindesalter und die Sene- 
scenz; zwischen diesen beiden Perioden ist die Lithiasis 
seltener, und stammen die Beobachtungen der Pubertät wohl 
in vielen Fällen aus dem Kindesalter. Ich unterlasse es, 
hierüber statistische Daten anderer Autoren anzuführen und 
verweise unter anderen auf die Handbücher von Ultzmann, 
Güterbock, König etc. Die wesentlichen Vortheile der Litho¬ 
tripsie gegenüber der Sectio alta: die geringere Mortalität, 
die kürzere Heilungsdauer rechtfertigen zweifellos die Bevor¬ 
zugung dieser Methode dort, wo keine Gegenanzeigen bestehen, 
d. h. wo dieselbe gar nicht oder nur mit größeren Gefahren 
für das Leben des Kranken ausführbar ist. 

Als Gegenanzeigen für die Lithotripsie gelten jetzt 
wohl allgemein: Größe des Concrementes, Fixation desselben 
in der Blasen wand (Divertikelsteine), Unwegsamkeit der 
Urethra für das Instrument; ob bei schwerer Cystitis die 
Lithotripsie oder die Sectio alta, beide in Verbindung mit 
Verweilkatheter, zur Anwendung gelangen sollen, wird, wie 
ich glaube, von den speciellen Verhältnissen des Falles ab- 
hängen. Dabei ist zu erwägen, daß die Sectio alta gewiß 
den schonenderen Eingriff“ bei durch schwere Entzündungen 
geschädigter Blasenwand und den kürzer dauernden Eingriff 
darstellt, während die Nachbehandlung und Heilungsdauer 
größere Ansprüche an die Widerstandskraft eines geschwächten 
Organismus stellt. 

Durch den Vergleich der Mortalitätsstatistiken bei diesen 
schwersten Fällen von Lithiasis in Bezug auf die beiden 
Methoden gelingt es kaum, einen brauchbaren Schluß zu 
ziehen, und es differiren gerade in dieser Frage die meisten 
Autoren. 

Die Technik der Lithotripsie an dieser Stelle zu be¬ 
sprechen , darf ich wohl für überflüssig halten; ich selbst 
habe mich an die classischen Vorschriften Guyon’s gehalten 
und dieselben auch an seiner Klinik kennen gelernt; daß 
heute jeder Chirurg den Regeln der Antisepsis und Asepsis 
folgt, ein geeignetes Instrumentarium benutzt und auch eine 
entsprechende vorbereitende Behandlung der erkrankten Blase 
vornimmt, darf wohl als selbstverständlich angenommen 
werden. Ueber die Localanästhesie zur Lithotripsie, die 
Spinalanalgesie, über die anästhesirende Wirkung der von 
Vigneron angegebenen, von Zdckerkandl und von Frisch 
neuerlich empfohlenen Antipyrininjectionen in das Rectum 
besitze ich bis jetzt keine eigenen Erfahrungen. 

Die Art der Narkose hängt wohl vor Allem bei Er¬ 
wachsenen von der Empfindlichkeit der Blase ab und ist 
individuell verschieden; ich möchte hiebei auf die von Guyon 


empfohlene und häufig geübte Narkose im ersten Stadium 
derselben: „chloroforme ä la Reine“ hinweisen; dabei erwähnt 
er aber, daß es in manchen Fällen auch durch die tiefste 
Narkose nicht gelingt, die Blasencontractionen zu verhindern, 
und daß dann nichts anderes übrig bleibt, als die Operation 
zu unterbrechen. 

Bei der Ausführung der Sectio alta gibt die Frage 
der Blasennaht, die Art derselben und die Anwendung des 
Verweilkatheters noch heute Veranlassung zu eingehenden 
Discussionen. Vereinzelt scheint wohl das Vorgehen Assen- 
delft’s zu sein, der noch principiell keine Naht und keine 
Drainage anwendet, wobei er ganz ausgezeichnete Resultate 
mittheilt (bei 600 Fällen von Sectio alta 2 6% Mortalität). 

Es wird mir stets unvergeßlich bleiben, wie ich in 
einem Provinzspitale Rußlands ein Zimmer betrat, wo mehrere 
Steinkranke lagen, bei denen nach Sectio alta offene Wund¬ 
behandlung durchgefübrt wurde; die Luft des Krankenzimmers 
unterschied sich kaum von der eines schlecht gehaltenen 
Urinoirs, und es scheint mir nicht nachahmenswerth, jene 
unangenehmen Folgen der offenen Wundbehandlung, wie 
Ekzem der Bauchdecken, Decubitus, die wir sonst ja nach 
Möglichkeit vermeiden, als Regel zu acceptiren. 

Bei den verschiedenen Vorschlägen für Nahtmethoden 
halte ich es für das Wesentlichste, daß eine exacte Naht mit 
Seidenknopfnähten ausgeführt wird, wobei das Mitfassen der 
Schleimhaut sorgfältig vermieden wird. 

Ob die Naht einreihig oder zweireihig angelegt wird, 
ist ziemlich belanglos. Nach meinen Erfahrungen ist es vor- 
theilhaft, die Blasenwand nach der Naht mit einer oder zwei 
Nähten an die Musculi recti zu fixiren, nicht in der Er¬ 
wartung, dadurch einen besseren Verschluß der Blasenwunde 
herbeizuführen, sondern um das Hinabsinken der leeren Blase 
zu verhindern; dadurch wird der Hohlraum im Cavum Retzii 
verkleinert und Blut- und Secretansammlung dort verhindert. 
Diese zuerst 1886 von Preigh Smith angegebene und später 
von Rasumofsky weiter ausgebildete Ventrofixation wird auch 
von anderen Operateuren, wie von Zückerkandl, empfohlen. 

Brenner’s Schnürnaht, welche wohl die einfachste 
Methode darstellt, leidet unter dem Nachtheile, daß es zur 
nekrotischen Abstoßung des durch die Naht gefaßten Gewebes 
kommen kann; aus diesem Grunde halte ich auch die fort¬ 
laufende Naht nicht für empfehlenswerth. Die von Jüvara 
und Balacescu angegebene Methode ist wohl zu complicirt 
und wegen des zur separaten Schleimhautnaht verwendeten 
Catguts nicht unbedenklich. (Catgut wird bekanntlich nur im 
Gewebe und nicht in der mit Epithel ausgekleideten Blase 
resorbirt.) 

Ueber die Methode von Rasumofsky, die darin besteht, daß 
keine versenkten Nähte angelegt werden, sondern daß Silber¬ 
drahtnähte, Blasenwand und Bauchdecken gleichzeitig fassend, 
die erstere an die letztere fixiren, besitze ich keine eigenen 
Erfahrungen; ebenso habe ich bei Lithiasis nie die quere 
Eröffnung und Naht, wie sie Romm angab, geübt. 

Rydygier’s intraperitoneale Eröffnung und Naht der 
Blase geht von der Annahme und Thatsache aus, daß das 
zur Naht verwendete Peritoneum rascher verklebe; der bei 
dieser kühnen und wohl nur bei aseptischem Blaseninhalt 
unbedenklichen Methode gewonnene Vortheil steht wohl kaum 
im Verhältniß zu den Gefahren dieser Nahtmodification. Die 
Erfolge der vollständigen Blasennaht scheinen in der letzten 
Zeit in der Hand mancher Operateure sehr günstige zu sein, 
ich möchte dabei aber doch bemerken, daß der Begriff „prima 
intentio“ nicht von allen Seiten in gleicher Weise aufgefaßt 
zu werden scheint, da sich sonst Unterschiede in den per- 
centuellen Verhältnissen zwischen 83% und 9% (Frisch 1. c.) 
kaum erklären ließen. 

Für die Indicationsstellung zur completen Blasennaht 
bestehtauch noch keine vollständige Uebereinstimmung. Kukula 
suchte durch die bakteriologische Untersuchung des Harnes 
vor der Operation die Bedingungen zu finden, welche den 


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1741 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 39. 


1742 


Chirurgen bei der Ausführung der completen, partiellen 
Naht oder der offenen Wundbehandlung leiten sollen. 

So werthvoll die Resultate dieser Untersuchung in 
bakteriologischer Beziehung auch sein mögen, so ist die 
Durchführung derselben kaum unter allen Verhältnissen 
möglich, und ich glaube, daß die Ansicht v. Frisch’s, der die 
Blasennaht nur in den schwersten Fällen von Cystitis unter¬ 
läßt , jetzt am meisten Anhänger finden dürfte. Delagram- 
matica, der die Menge der Bakterien im Harne nicht für 
ausschlaggebend für den Erfolg der Blasennaht hält, stellt 
wohl zu viel Contraindicationen auf: 

1 . Unmöglichkeit der Anwendung eines Verweilkatheters. 

2 . Prostatiker mit Harnretention. 

3 . Bläsentuberculose. 

4. Gefahr secundärer Blutungen nach Exstirpation von 
Blasentumoren. 

5. Erkrankung der höheren Harnwege. 

6 . Urämische. 

Eine Erkrankung leichten Grades der höheren Harn¬ 
wege wird bei bestehender Cystitis nicht immer auszuschließen 
sein und wohl auch selten bei länger bestehender Cystitis e 
lithiasi fehlen. 

Carlier kennt keine Contraindicationen für die totale 
Blasennaht, als zu tief gehende Erkrankungen der Blase oder 
der Urethra. 

In Bezug auf die Nachbehandlung der Blasennaht wird 
auch heute meist der Verweilkatheter angewendet, dessen 
Nachtheile durch die Entlastung der Blase und die Möglich¬ 
keit, die Cystitis in schonender Weise zu bekämpfen, auf¬ 
gewogen werden. 

Am internationalen Congreß in Paris theilte Carlier 
mit, daß er bei Kindern keinen Verweilkatheter an wende, 
und Nicolich verwendet denselben nie, wobei er allerdings 
die complete Blasennaht nur bei aseptischem Harne ausführt. 

Legueü brach in derselben Sitzung für den Verweil¬ 
katheter eine Lanze; er näht immer mit Catgut; dabei 
bemerkte er, daß die Blasennaht bei Kindern immer gelinge, 
bei Erwachsenen selten. 

Bei der sehr lebhaften Discussion über diesen Gegen¬ 
stand behielten aber doch die Vertreter der Behandlung mit 
dem Verweilkatheter die Oberhand. Ich verwende in der 
Regel den Verweilkatheter 6 —7 Tage; wird die Blasennaht 
insufficient, muß nachträglich die Heberdrainage angewendet 
werden, so ist nach meinen Beobachtungen in manchen Fällen 
die gleichzeitige Anwendung des Verweilkatheters empfehlens- 
werth; ebenso fand ich bei der Entfernung der Heberdrainage 
die neuerliche Einführung des Verweilkatheters vortheilhaft, 
um die Bauchdeckenwunde rascher zur Verheilung zu bringen. 
Bei kleinen Kindern habe ich wiederholt nach Blasennaht 
prima intentio ohne Verweil katheter erreicht, dessen An¬ 
wendung an dem häufigen Verstopftwerden des kleinen 
Lumens, an der leicht auftretenden Urethritis und an der 
Unruhe des Kindes scheitert. 

Ich habe in der Regel nach Sectio alta wegen Lithiasis 
die complete Blasennaht ausgefübrt und nur ausnahmsweise 
die DiTTEL’sche Heberdrainage benutzt; wird die Naht 
insufficient, so tritt dieses Ereigniß gewöhnlich erst am 
6.—8. Tage nach der Operation ein, zu einer Zeit, wo die 
Gefahr der Infection durch den austretenden Harn zweifellos 
geringer ist; allerdings verwende ich ausnahmslos die Drainage 
des prävesicalen Raumes mit einem abgenähten sterilen Gaze¬ 
streifen , der am 5.—6. Tage entfernt wird. Bei der Ent¬ 
fernung des Gazestreifens findet sich meist in geringer Menge 
Blut oder einige Tropfen Eiter, ohne daß dadurch die primäre 
Verheilung des übrigen Antheiles der in 3 Etagen vernähten 
Bauchdeckenwände gestört wird. Ueber meine Resultate der 
Blasennaht werde ich mir erlauben, weiter unten zu berichten. 

Die Sectio alta führe ich stets in Beckenhochlagerung, 
bei mäßig gefüllter Blase ohne den PETER’schen Mastdarm¬ 
ballon aus; wo es möglich, wird durch einige Zeit eine be¬ 


stehende Cystitis vorher behandelt; bei Kindern ist diese 
präparatorische Behandlung ohne Narkose selten durchführbar, 
und ich beschränke mich dann auf die Ausspülung der Blase 
unmittelbar vor der Operation. 

Ueber die Zweckmäßigkeit der Heberdrainage in manchen 
Fällen kann wohl kein Zweifel bestehen, und ist die Anwen¬ 
dung des DiTTEL’schen Knierohres, der TRENDELENBURG’schen 
T-Canüle, oder des GüYON’schen Doppeldrains von der Gewohn¬ 
heit des Operateurs abhängig. Apparate, wie der von Kar- 
kovsky mit einem Gummidoppelballon und Aufsaugen des 
Harnes durch einen BüNSEN’schen Aspirator dürften ebenso¬ 
wenig Anhänger finden, wie die Methode Dasaro’s, der eine 
dreifache Drainage anwendet: 2 Röhrchen direct in die 
Ureteren, ein drittes in die Blase. 

Die Ausführung der Sectio alta ist eine typische Ope¬ 
ration und bedarf wohl keiner Besprechung; ich führe bei 
Lithiasis stets die Längsincision in der Linea alba aus und 
schiebe nach einigen oberflächlichen Messerzügen im prävesi¬ 
calen Gewebe mit demselben die Peritonealfalte zurück, die 
meist gar nicht zur Ansicht gelangt. Der übrige Theil 
der Operation hängt im Wesentlichen mit der eingangs 
besprochenen Nahtmethode zusammen. 

(Fortsetzung folgt.) 


Zur geschichtlichen Entwickelung der Schul¬ 
hygiene. 

Von Dr. med. Richard Landau, städtischer Schularzt in 

Nürnberg. *) 

• 

Die Grundlage aller Schulhygiene bildet unzweifelhaft 
ein geordnetes Schulwesen. Nun reichen die Anfänge der 
Schule zwar bis auf die Zeit Karls des Großen zurück, der 
von den Geistlichen Kenntniß des Schreibens, Rechnens und 
Singens verlangte und im Jahre 780 verordnet^, daß bei 
jedem Kloster eine Schule errichtet werde, auch 813 das 
Concil zu Mainz veranlaßte, den Eltern einzuschärfen , daß 
sie ihre Kinder zur Schule schickten. Aber diese viel verheißen¬ 
den Anfänge geordneten Schulwesens gingen mit diesem weit¬ 
blickenden Herrscher zu Grabe, und die rückläufige Bewe¬ 
gung, welche nur unter Otto I. (936—973) eine Hemmung 
erfuhr, führte dazu, daß 1291 z. B. im Kloster zu St. Gallen 
weder der Abt, noch ein Mönch schreiben oder lesen konnte. 
Freilich ist gerade um dieselbe Zeit in dem Erzbischof 
Engelbert von Cöln der Schule ein freundlicher Förderer er¬ 
standen, und wir begegnen den ersten Stadtschulen 1262 zu 
Lübeck, 1267 zu Breslau, 1281 zu Hamburg; ihnen folgten 
im XIV. Jahrhunderte jene zu Nordhausen (1319), zu Weimar 
(1337), zu Rostock (1337), zu Stettin (1390) und zu Leipzig 
(1395). Es pflegten sogenannte Schriefschulen zu sein, welche 
besonders das Schreiben und das Abfassen von Handelsbriefen 
lehrten, vielleicht auch Geographie, Geschichte, Lesen und 
Rechnen, also jedenfalls geringe Ansprüche an die Schüler 
stellten. Mädchenschulen gab es zuerst in den Niederlanden, 
in Deutschland zuerst zu Mainz 1240 und zu Speyer 1362. 
In der Folge errichtete die von Gerhard Brode begründete 
Brüderschaft des gemeinschaftlichen Lebens, zu der auch 
Thomas a Kempis zählte, zahlreiche Schulen zu Münster, 
Osnabrück, Erfurt, Cöln u. s. f. Doch gebührt Martin Luther 
das Verdienst, zuerst den Schulzwang gefordert zu haben; 
in seiner 1524 erschienenen Schrift „An die Rathsherren 
aller Städte Deutschlands“ heißt es: „Darum halte ich dafür, 
daß die Obrigkeit schuldig ist, die Unterthanen zu zwingen, 
ihre Kinder zur Schule zu halten.“ Indeß hinderten gerade 
die an die Reformation sich anschließenden Kämpfe und 
Kriege die Entwickelung der Schule, und der 30jährige Krieg 

*) Vortrag, gehalten in der Abtheilung für Geschichte der Medicin der 
74. Versammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte zu 
Karlsbad. 


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1743 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 39. 


1744 


machte den Boden dafür völlig unfruchtbar. Erst nach Wieder¬ 
kehr des Friedens begann man wieder an die Schule zu denken, 
und man bemühte sich, die Eltern wieder zum Schulbesuch 
der Kinder zu zwingen — meist mit geringem Erfolge, weil 
den Eltern selbst das Yerständniß für die Schule verloren 
gegangen war. Nachdem in Sachsen bereits 1724 Curfürst 
Friedrich August eine neue Schulordnung, welche die Ein¬ 
richtung ordentlicher Sommerschulen und die Schulpflicht der 
weiblichen Jugend gesetzlich festgelegt hatte, erlassen hatte, 
nahm sich wenig später in Preußen Friedrich der Große des 
Schulwesens auf das Wärmste an; er ließ 1763 sein General¬ 
landschulreglement veröffentlichen, stieß jedoch bei dessen 
Durchführung beim Adel, in Stadt und Land auf die größten 
Schwierigkeiten. Bereits 1733 erschien die Darmstädter Schul¬ 
ordnung, welche für jede Stunde unentschuldbaren Schulver¬ 
säumnisses einen Kreuzer Strafe festsetzte und diese Straf¬ 
gelder armen und fleißigen Schulkindern zufließen ließ. 

Die preußische Schule wurde dann unter Friedrich 
Wilhelm II. 1794 als Staatsschule erklärt, ohne daß nun die 
Klagen über die Mißstände in den Schulen verstummt wären; 
klagte doch z. B. ein Bericht des Oberconsistoriums der Cur- 
mark an das Oberschulcolleg noch 1799 über den Mangel 
an Brennholz zur Beheizung der Schulstuben! Erst als 1817 
Friedrich Wilhelm III ein besonderes Ministerium für Cultus 
und Unterricht ins Leben rief und Stein an dessen Spitze 
stellte, machte sich in der Durchführung des Schulzwanges 
eine Besserung bemerkbar; aus jener Zeit stammt der Begriff 1 
Schulpflichtigkeit neben dem der militärischen Dienstpflich- 
tigkeit. 

Was für Preußen Friedrich der Große und seine beiden 
Nachfolger dem Schulwesen, waren für Oesterreich Maria 
Theresia und Josef II. Die Kaiserin unterschrieb 1774 die 
vom Abt Felbinger von Sagan entworfene Schulordnung, 
welche in allen Dörfern, Flecken und Städten die Errichtung 
von Trivialschulen anbefahl, für Mädchen möglichst geson¬ 
derte Anstalten, und schon 1777 gab es allein in Böhmen 
500 Trivialschulen; ja, Maria Theresia bestimmte ein Drittel 
ihrer Dominialeinkünfte für Schulzwecke. 

So mehrten sich seit der Mitte des XVIII. Jahrhunderts 
die staatlichen Schulordnungen — von 1745 ist die von Hol¬ 
stein, von 1752 die von Bremen, von 1753 die von Braun¬ 
schweig, von 1765 die von Frankfurt a. M., von 1770 die 
von der Oberlausitz u. s. w. In Bayern besserte sich das 
Schulwesen erst, als der Jesuitenorden aufgehoben worden 
war; drei Jahre später, 1778, erließ Curfürst Maximilian 
Josef seine Verordnung für die bürgerliche Erziehung der 
Stadt- und Landschulen, und 1802 wurde die allgemeine 
Schulpflicht in Bayern nochmals eindringlichst eingeschärft. 
Doch verstrichen überall Jahrzehnte, bis der Schulzwang 
wirklich durchgeführt war und der Staat die Fürsorge für 
das Schulwesen als eine seiner vornehmsten Aufgaben aner¬ 
kannte. Die Sturmfluth des Jahres 1848, an der gerade Lehrer 
einen nicht geringen Antheil nahmen, trug zu dieser Wand¬ 
lung wesentlich bei. 

Bei dieser Sachlage unterliegt es keinem Zweifel, daß 
während des Alterthums und des Mittelalters von einer Schul¬ 
hygiene keine Rede sein kann, daß vielmehr erst seit wenig 
mehr als seit einem Jahrhundert dieser Zweig der öffentlichen 
Gesundheitspflege Beachtung seitens der Behörden fand und 
wissenschaftlich erörtert wurde. Nur hie und da flackert 
vorher aus dem öden Felde der Schulgesundheitspflege schüchtern 
ein Flämmchen hervor, um rasch und unbemerkt wieder zu 
verglimmen. So habe ich z. B. in einer „Sammlung aller 
Sanitätsverordnungen für das Fürstenthum Weimar bis zum 
Ende des Jahres 1802“ vergebens nach dem Wort Schule ge¬ 
sucht; auch die Durchsuchung von Rexard, Sammlung der 
Gesetze Frankreichs, vom Jahre 1812, war durchaus ergeb- 
nißlos. Die älteste amtliche Aeußerung, welche ich in Bezug 
auf Schulhygiene entdecken konnte, enthält eine Pestverord¬ 
nung der Stadt Luzern von 1594, welche Reber aus dem 


Archive der Stadt Luzern veröffentlicht hat. Da findet sich 
auf Blatt 52/55 eine „Ordnung in schulen ze halten in Pesti- 
lenzischen Zytten, sollent die Schulmeister abschriften davon 
haben“. Sie verlangt Lüftung des Schulzimmers während der 
Nacht zugleich mit Räucherung, Sauberhaltung der Scbul- 
stuben und der Schuljugend, Verbot der Verunreinigung durch 
Excremente außerhalb des „verordneten ort“, Abkürzung der 
Unterrichtszeit, Vorsorge gegen Qeberfüllung des Schul¬ 
raumes , Aufmerksamkeit des Lehrers auf das persönliche 
Wohlbefinden der Kinder und Entfernung aller Krankheits¬ 
verdächtigen. Die Verabreichung von Präservativa, „wie auch 
Wol an ettlichen Orten gebracht“ wird freiem Ermessen an¬ 
heimgegeben , doch Anzeige hilflos erkrankter Schüler beim 
Schultheiß und Schulschluß „wäre es sach, das die pestilen- 
zische Sucht unter die schüler käme“ wird gefordert. In 
deutschen Pestordnungen aus jener Zeit habe ich umsonst 
ähnliche zweckdienliche und weitgehende Bestimmungen ge¬ 
sucht, was um so merkwürdiger ist, als wohl alle Menschen¬ 
ansammlungen als verderblich zu Pestzeiten bezeichnen. So ge¬ 
denkt „eines erbarn Raths der Stadt Nürmberg verneute Gesetz 
und Ordnung inn gegenwertigen Sterbsleufften dies MDLXXXV. 
Jars auffgericht“ und des Verbots „sich aller Kirchen, des 
Rathauss, der Bäder, auch anderer gemeinschafften vnd Ver¬ 
sammlungen der Menschen zu enthalten“, und Crato von 
Craffthaim räth in seiner „Ordnung der Praeservation, wie 
man sich zu Zeit der Infection verwahren“, der Stadt Breslau 
1553 gewidmet und 1585 erneuert „damit aber niemand vr- 
sach zu der Infection oder vergifftung geben / solt man die 
Badstuben / Bier- vnd Weinheuser / auch andere Ort / da inn 
warmen Stuben viel zusammen körnen / abschaffen“. Aehn- 
lich heißt es in den Pestordnungen von Bamberg, von Stra߬ 
burg , von Wittemberg u. a. m. — die einzige löbliche Aus¬ 
nahme scheint der „auss bevehl des Hoch würdigen Fürsten 
vnsers gnedigen Herrn von Wyrtzburg“, durch dessen Physici 
und Leibärzte 1563 hergestellte „Kurtzer Unterricht wie sich 
in disen eingefallenen gefehrlichen Sterbsleufften zu halten 
und wie demselben zuvorkommen“ zu sein; da heißt es näm¬ 
lich „man sol sich auch in solchen leufften alle Versamm¬ 
lungen in Kyrchen, Schulen, Baden etc. eußern vnd ent¬ 
halten“. 

Die eingangs erwähnten älteren Schulordnungen ent¬ 
halten nur wenige Bemerkungen über das Alter der Schul¬ 
pflichtigen , über den Unterrichtsplan, über den Schutz der 
Gesundheit vor allzu harten Schulstrafen oder über Pflege 
der Leibesübungen, welche auch Martin Luther schon hoch 
geschätzt hat. Sonst sind sie mehr bedacht, durch Kirchenbesuch 
und Katechismuslernen die Seelen zu erläutern, als gesunde 
Menschen heranzubilden. 

So sagt die Braunschweigische Kirchenordnung von 
1543, welche die Errichtung von Mädchenschulen anordnete, 
„man lasse die Kinder auch spielen, damit sie wieder desto 
fleißiger zum Lernen kommen“. 

Die Wittemberger Kirchenordnung von 1533 setzt für 
Mädchenschulen ausdrücklich 4—5 Unterrichtsstunden täglich 
fest, vertheilt auf Vor- und Nachmittage, so daß die Nach¬ 
mittage des Mittwochs und Sonnabends unterrichtsfrei blieben. 

Die Hessen- und Cassel’sche Schulordnung von 1656 
warnt vor Uebermaß der Prügelstrafen und bepfiehlt, „nicht 
aufs Haupt, viel weniger ins Gesicht oder auf die Schläfen, 
sondern auf die Glieder, wo sie hingehören und nicht schäd¬ 
lich sind“, Stock und Ruthe anzuwenden. Eine ähnliche Ver¬ 
ordnung existirt aus der Curpfalz vom 16. September 1766, 
und in Preußen mußte noch eine Cabinettsordre vom 14. Mai 
1825 vor Ausdehnung der Schulstrafen bis zu Mißhandlungen, 
welche der Jugend auch nur im Entferntesten Schaden an der 
Gesundheit zufügen könnten, warnen. Ein Badisches General- 
decret vom 8. October 1776 verbietet gänzlich das Schlagen 
„wegen etwa nicht genugsam gelernten oder gefaßten Lehren“. 
Johann Peter Frank, von dem wir noch hören werden, weiß 
über eine ganze Reihe thatsächlicber Belege für Gesundheits- 


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1745 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 39. 


1746 


Schädigungen, an Kindern von Lehrern durch Schläge verübt, 
zu berichten. 

Den Beginn der Schulpflicht setzte die Minden-Ravens- 
burgsche Schulordnung von 1754, welche in Preußen dem 
Generallandschulreglement vorausging, auf das 5. und 6. 
Lebensjahr fest; die Schulordnung aus Maria Theresias Zeiten 
bestimmte zum Schuleintritt das 6. Jahr, während 1805 in 
Oesterreich das 8.—12. Lebensjahre von der Schule bean¬ 
sprucht wurde. Die Oberlausitzer Ordnung von 1770 hatte 
den Eltern anbefohlen, ihre Kinder vom 5.—6. Jahre an, 
spätestens vom 8. Jahre an bis wenigstens zum 14. Jahre zur 
Schule zu schicken. Die Württemberger Ordnung von 1773 
begrenzte die Schulpflicht vom 6.—14. Jahr, Bayern 1802 
vom 6.—12. Jahr. Mecklenburg verlangte 1817 den Schul¬ 
eintritt mit zurückgelegtem 5. Lebensjahr, während die Braun¬ 
schweiger Ordnung von 1753 das vollendete 4. Jahr schon für 
genügend erachtet hatte. 

Dieser dürftigen Fürsorge des Staates für die Schulen 
entsprach der unhygienische Zustand der Schulstuben. Strack 
schildert diesen in Preußen zu Ende des XVIII. Jahrhunderts 
folgendermaßen: „In sehr vielen Schulen war nur eine einzige 
Stube; in derselben wohnte der Schulmeister mit seiner Familie 
und seinen Hühnern ; in derselben trieb er seine Schneiderei 
und Weberei u. dgl.“ — in Oesterreich gab es um 1770 sogar 
Lehrer, welche nebenbei ein Gastwirtbsgewerbe betrieben! —, 
„in derselben mußte er unter dem Lärm und Schmutz seiner 
Haushaltung 50—60 Kinder unterrichten, die theilweise unter 
dem Tisch und den Bänken Platz zu nehmen genöthigt waren. 
In manchen Orten waren Hirten und Nachtwächter in Besitz 
des Schulamtes“. Vom Schulwesen im Würzburgischen im 
XVIII. Jahrhunderte sagt v. W essenberg : „Schulgebäude 
fehlen entweder oder die vorhandenen waren im elendesten 
Zustande. Die Jugend war meist zum größten Nachtheil für 
Gesundheit, Unterricht und Sittlichkeit in ein finsteres, enges 
Behältniß zusammengebracht.“ Worin zuweilen die Unter¬ 
weisung und Fürsorge für die Kinder bestand, läßt ein Be 
stätigungsrescript der zu Pforzheim und Stein eingeführten 
Schulordnung vom 30. December 1768 ahnen; denn danach 
soll sich kein Schulmeister unterstehen, die Schulkinder 
während der Schulstunden zu seinen eigenen Geschäften, als 
Verschicken, Holz- und Wassertragen u. dgl. m. zu ge¬ 
brauchen. Und den Mangel jeglichen Verständnisses für schul¬ 
hygienische Anordnungen verräth die Ausführung des General¬ 
landschulreglements in einigen Dörfern Pommerns; um die 
vorgeschriebenen täglichen drei Schulstunden mit der ge- 
gewohnten Benützung der Kinder zur Feldarbeit zu verein¬ 
baren, hielt man im Sommer Schulunterricht früh von 5 bis 
8 Uhr oder mittags von 12—3 Uhr oder abends von 5 bis 
8 Uhr. 

Merkwürdig ist, daß der Verbesserung des Unterrichts¬ 
raumes zuerst in Rußland gebührende Aufmerksamkeit ge¬ 
schenkt wurde. Wie Frank erwähnt, erließ die für den 
geistigen Fortschritt ihrer Unterthanen treu besorgte Kaiserin 
Katharina II., die deutsche Fürstentochter, welche 1762 
ihrem ermordeten Gatten folgte, eine Verordnung, in der es 
heißt: „In jeder Schule soll darauf gesehen werden, daß die 
Zimmer jederzeit rein gehalten und alle Tage ausgekehret 
werden , und daß die Luft im selbigen durch Oeffuung der 
Fenster, welche im Sommer den ganzen Tag über, im Winter 
aber jeden Tag auf eine kurze Zeit offen stehen sollen, ver¬ 
ändert werde, damit die Kinder nicht von der dumpfen Luft 
in den Zimmern an ihrer Gesundheit Schaden leiden.“ 

Einen ersten Versuch der individuellen Schulhygiene 
enthält die Oberlausitzer Schulordnung, welche schon 1770 
vorschrieb, beim Schreiben der Kinder auf Sitzweise und 
Haltung der Feder zu achten. Weit später kam man wieder 
auf diese Anregung zurück. So spricht ein Erlaß der Regierung 
zu Trier vom 10. August 1836 von den Rückgratverbiegungen 
in der Schule und empfiehlt als Verhütungsmaßregel, die 
körperliche Unthätigkeit beim Sitzen während des Unter¬ 


richtes zeitweise durch Körperbewegungen zu unterbrechen, 
und ein Erlaß der Regierung zu Minden vom 8. Mai 1838 
führt wohl zum erstenmale die Rückgratsverkrümmungen der 
Schulkinder auf ungeeignete Schulbänke zurück. In demselben 
Jahre wandte diesem Punkt der Schulhygiene auch Bayern 
seine Aufmerksamkeit zu und erstreckte sie auch auf die 
Schonung der Augen; denn die bayerische Verordnung vom 
26. October 1838 trug den Kreisregierungen auf, Fürsorge zu 
treffen, daß schon bei der Wahl, bei der Anlage und bei der 
Einrichtung der Schullocalitäten Rücksicht auf die Augen 
genommen und dahin gewirkt werde, daß die der Schule 
gegenüberliegenden Gebäude nicht einen Anstrich empfingen, 
welcher der Sehkraft der jugendlichen Augen schädlich 
werden könne; ingleichen seien sämmtliche Lehrer und 
Aufseher aller Erziehungs- und Unterrichtsanstalten zu be¬ 
auftragen , nicht allein durch zweckmäßiges Belehren die 
Schonung und Schärfung des Gesichtssinns zu fördern, sondern 
auch dahin zu wirken, daß nicht in der Schule selbst durch 
übermäßiges Beheizen, durch falsche Aufstellung von Sitz¬ 
pulten, Wandtafeln, Karten u. dgl. m , durch grelle Abwechslung 
von Licht und Schatten, durch schiefe, zusammengedrückte 
Haltung des Körpers beim Sitzen, durch zu anhaltendes Lesen 
und Schreiben, durch blasse Tinte und kleinen schwachen 
Druck oder schlechtes Papier und ähnliche Dinge die Nei¬ 
gung zur Kurzsichtigkeit verstärkt oder die vorhandene 
weiter ausgebildet werde; Brillentragen sollte aber den Schülern 
nur erlaubt sein, wenn sie durch ein ärztliches Zeugniß nach¬ 
wiesen, daß es ihnen räthlich und nützlich sei. Eine Verord¬ 
nung vom 2. December 1840 schließt sich diesem Erlasse an, 
der ein gewiß sehr vernünftiges hygienisches Programm be¬ 
deutet. 

Eine Spur von individueller Hygiene findet sich auch 
in dem Schulmethodus, den 1801 für Sachsen-Gotha Hadn 
bearbeitet hat, indem er den Lehrern empfiehlt, vom Ver¬ 
halten bei Blattern, Masern u. s. w. zu den Schülern zu 
sprechen. Endlich ist daran zu erinnern, daß ein badisches 
Edict von 1834 unter den Unterrichtsgegenständen die Ge¬ 
sundheitslehre nennt. Dabei verdient erwähnt zu werden, daß 
schon Basedow, der 1774 zu Dessau sein weltberühmtes 
Philanthropinum gegründet hatte, wünschte, daß man den 
Kindern zwar die Schamhaftigkeit als stärkste Schutzwehr 
der Keuschheit erhalten müsse, sie aber doch vor dem 10. bis 
12. Jahre über die Zeugung von Mensch und Thier belehren 
müsse, nicht umständlich, aber ernsthaft. 

(Schluß folgt) 


Hereditäre Friihsyphilis ohne Exanthem. 

Von Dr. Carl Hochsinger in Wien. *) 

Bei der angeborenen Syphilis darf nicht — wie bei der 
erworbenen — die Diagnose von dem Bestehen eines Exanthems 
abhängig gemacht werden. Es sei diesbezüglich über eine 
Gruppe von 17 congenital-syphilitischen Kindern berichtet, 
bei welchen klinisch nachweisbare viscerale und osteochon- 
dritische Erkrankungen (Pseudoparalysen) vor dem Auftreten 
des Exanthems bestanden, ganz abgesehen von der niemals 
fehlenden Affection der Nasenschleimhaut. Bei einer weiteren 
Gruppe von Fällen, 14 an Zahl, deren Alter zwischen 7 und 
24 Tagen zur Zeit der ersten Vorstellung schwankte, und 
welche alle mindestens ein halbes Jahr lang beobachtet wurden, 
fehlte dauernd jedes Exanthem. In diesen Fällen bestanden 
bloß angeborene luetische Affectionen der Eingeweide und 
der Knochenknorpelgrenzen nebst hyperplastischer Rhinitis. 
Hier muß auf den Gegensatz zwischen der erworbenen und 
angeborenen Frühsyphilis bezüglich des Auftretens der Exan- 


*) Vortrag, gehalten in der Abtli. für Kinderheilkunde der 74. Ver¬ 
sammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte in Karlsbad. 

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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 39. 


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theme und auf die Thatsache hingewiesen werden, daß bei 
der angeborenen Infection Eingeweide- und Knochenerkran¬ 
kungen, wenn solche vorhanden sind, immer früher entstehen, 
als Hautaffectionen. 

Dieser Antagonismus zwischen Eingeweide- und Haut¬ 
affectionen bei angeborener Syphilis ist auf entwickelungs¬ 
geschichtlichem Wege zu erklären, weil sich der Drüsen¬ 
körper der Haut erst zu Ende der Fötalperiode entwickelt. 
Hingegen sind die Eingeweidedrüsen wegen ihrer frühzeitigen, 
schon intrauterin eingeleiteten Function und die langen Röhren¬ 
knochen wegen ihres raschen Längenwachsthums in der Fötal¬ 
periode als Orte eines starken Säfteaffluxes von vorneherein 
für die Attraction des Syphilisvirus prädestinirt. Daraus 
erklärt sich das frühzeitige Ergriffen werden der Eingeweide 
und der Knochenknorpelgrenzen im Fötalzustande und das 
relativ erst späte Erkranken der Haut (in der Regel erst 
extrauterin). Hat sich gegebenen Falles das Syphilisvirus in 
den Eingeweiden und Knochenknorpelgrenzen während der 
Fötalperiode bereits erschöpft, dann kann es unter besonderen 
Verhältnissen auch Vorkommen, daß ein Exanthem dauernd 
vermißt wird. Insbesondere lassen 3 Fälle aus der Privat¬ 
praxis, welche vom ersten Lebenstage angefangen monatelang 
weiter beobachtet wurden, viscerale und Knochenaffectionen 
boten, aber dauernd frei vom Exanthem blieben, keinen Zweifel 
darüber aufkommen, daß es eine exanthemlose hereditäre 
Frühsyphilis gibt. 6 dieser exanthemlosen Fälle waren länger 
als ein Jahr lang in Evidenz, einer sogar 12 Jahre lang. Der 
letzterwähnte Fall zeigte sogar im Alter von 7 Jahren Er¬ 
scheinungen einer Syphilis hereditaria tarda (periostale Tophi). 

Bezüglich der Frage, ob in solchen Fällen das Aus¬ 
bleiben des Exanthems etwa durch die sofort nach Stellung 
der Diagnose „Syphilis“ eingeleitete Quecksilberbehandlung 
zu erklären ist, muß daran festgehalten werden, daß eine 
Coupirung des Exanthems nicht leicht anzunehmen ist, weil 
erstens die Erfahrungen, welche man mit der Präventiv¬ 
behandlung bei der erworbenen Syphilis gemacht hat, gegen 
die Möglichkeit einer solchen Exanthemcoupirung sprechen, 
und zweitens, weil bei einer anderen, früher namhaft gemachten 
Gruppe von 17 Fällen, welche auch gleich nach der Geburt 
wegen visceraler und Knochenerkrankung antisyphilitisch be¬ 
handelt wurden, trotzdem im Laufe der ersten 10 Wochen 
ein Exanthem zum Ausbruche kam. Ich begnüge mich mit 

Feuilleton. 

Die Karlsbader Naturforscherversammlung. 

(Orig.-Corresp. der „Wiener Med. Presse“.) 

I. 

Karlsbad, 22. September 1902. 

Die berühmte Sprudelstadt am Tepl-Flüßlein hat von jeher 
eine Ehre darin gesucht, nicht bloß die vielen Tausende von Kranken, 
dio hier Heilung oder doch Besserung ihrer Leiden suchen, gast¬ 
lich aufzunehmen , so daß sie sichs wohl sein lassen und gern — 
als treues Stammpublicum — wiederkehren. Vielmehr hat Karls¬ 
bad stets, und von Jahr zu Jahr mehr, neben diesem ganz be¬ 
rechtigten materiellen Standpunkte den ideellen eingenommen, Natur¬ 
wissenschaften und Heilkunde in ihren Vertretern zu ehren, indem 
es sichs zur Ehre schätzte, wissenschaftliche Congresse zu sich 
zu laden. Gewiß ist das Gefühl der Dankbarkeit mit maßgebend 
gewesen, aber nicht minder das Verständniß und Gefühl für die 
Bedeutung der Wissenschaft. Das von der Natur wie ein Schmuck¬ 
kästchen ausgestattete Bad ist aber auch wie dazu geschaffen. Und 
da seine Behörden und Bürger mit den Aerzten wetteifern, eine 
wahrhaft fürstliche Gastfreundschaft zu üben, kommen die Con¬ 
gresse gern. 

So sind wir auch wieder hier, um, nachdem die circa 50.000 Pa¬ 
tienten größtentheils abgereist sind, eine Woche lang Vorträge zu 
hören, actuelle Themata zu discutiren, mit dem Meinungsaustausch 


der Feststellung der Thatsache, daß es eine exanthem¬ 
lose hereditäre Frühsyphilis gibt, welche aber 
durchaus nicht mit der Parasyphilis Foubnier’s zusammen¬ 
geworfen werden darf, sondern auch echte, wahre und sicher auch 
virulente Syphilis ist. Des Weiteren muß ich darauf hin weisen, 
daß unter diesen Verhältnissen die Existenz einer heredi¬ 
tären Spätsyphilis ohne vormalige Früherscheinungen 
im Säuglingsalter bezweifelt werden muß, weil es sich 
in Fällen dieser Annahme immerhin um Individuen gehandelt 
haben kann, bei denen sich die ersten Syphilisausbrüche 
ausschließlich in den Eingeweiden und in den Knochen¬ 
knorpelgrenzen localisirt haben könnten, wie dies auch mein 
früher erwähnter Fall lehrt. In solchen exanthemlosen Fällen 
kann aber die angeborene Infection auch von Aerzten leicht 
übersehen werden, was bei den exanthematischen Formen der 
angeborenen Syphilis doch kaum denkbar ist. 

Ich möchte noch auf die Unterschiede in Bezug auf die 
Fleckenexantheme bei der acquirirten und der hereditären 
Syphilis hin weisen und stelle das Vorkommen einer einfachen, 
flüchtigen Roseola, wie sie die acquirirte Syphilis unter Um¬ 
ständen hervorbringt, bei der angeborenen Erkrankung in 
Abrede; bei den ersten Fleckenexanthemen der hereditären 
Syphilis handelt es sich niemals um flüchtige Efflorescenzen, 
sondern stets um scheibenförmige, bald in Pigmentirung über¬ 
gehende, glänzende Fleckbildungen. Bei «sicher gestellter Dia¬ 
gnose der hereditären Syphilis, gleichviel, in welchen Organen 
dieselbe localisirt ist, muß man unverzüglich die Be¬ 
handlung des Falles in Angriff nehmen. Es wäre verfehlt, 
den Ausbruch eines Exanthems abzuwarten, weil ein solches 
nicht immer auftreten muß, und weil es, wie meine Fälle 
bewiesen haben, auch gelingen kann, solche rein visceral und 
ossal localisirte Formen der hereditären Infection durch sofort 
eingeleitete antisyphilitische Behandlung zur Heilung zu 
bringen. 

Nächst der Coryza syphilitica kommen als nichtexanthe- 
matische, klinisch erkennbare Frühmanifestationen die Osteo¬ 
chondritis unter der Form der Pseudoparalyse und die diffuse 
Lebersyphilis in Betracht. Bei den exanthemfrei verharrenden 
14 Säuglingen war erstgenannte Affection 8mal, die letzt¬ 
erwähnte 7mal zu constatiren. Sechsmal war die Leber allein, 
fünfmal das Knochensystem allein ergriffen. Die Milz war 
in allen Fällen vergrößert. 


zugleich persönliche Beziehungen zu erneuern oder neue anzuknüpfen, 
Anregungen zu empfangen und zu geben. Und da man bekanntlich 
nach dem Grundsätze handeln muß: „Wirst du wo gut aufge¬ 
nommen , darfst du nicht gleich wiederkommen“, haben wir seit 
unserem letzten Besuche über ein Menschenalter (40 Jahre) ver¬ 
streichen lassen. 

Die Stadt und einige ihrer Vororte haben sich festlich zu 
unserem Empfang geschmückt, und so zogen wir denn gestern bei 
herrlichstem Sonnenschein, welcher die herbstliche Kühle milderte, 
durch eine „Via triumphalis“ von schwarz-gelben und schwarz- 
roth-goldenen Fahnen, von Guirlanden und Ehrenpforten ein, um 
alle Einzelheiten Karlsbads zu begrüßen, wie man alte gute Freundo 
und Bekannte wiedersieht. Aber auch mit Vielen, denen man gerade 
nur bei solchem Anlasse wieder die Hand drücken kann, gab es 
ein fröhliches Wiedersehen. Freilich, so mancher ging auch inzwischen 
still zum Orkus hinab, zumal der langjährige treue Besucher, 
geniale Führer und Mitarbeiter, geistvolle Redner Virchow , der 
sonst nie fehlte und nun für immer den Blicken entschwunden ist. 

Die diesjährigen Festgaben, über welche ich Ihnen schon vor¬ 
läufig berichten konnte, sind zwei so stattliche, reich ausgestattete 
Bände, so fesselnd an Inhalt, so elegant und modern im künstlerischen 
Schmuck und im typographischen, daß man sie bewundernd, ja fast 
über solchen Luxus den Kopf schüttelnd, zur Hand nimmt. Jedes Jahr 
staunen wir mehr über das Gebotene. Diesmal gestehen wir, daß 
es künftigen Congressen kaum möglich sein dürfte, es zu über¬ 
bieten. Der Inhalt des 1. Bandes ist Ihren Lesern bereits bekannt; 
der zweite, ebenfalls geschmackvoll ausgestattete Band von nahezu. 


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1749 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 39. 


1750 


400 Seiten, welchen Kisch herausgegeben hat, beschäftigt sich mit 
den übrigen böhmischen Bädern (Marienbad, Franzensbad, Teplitz, 
Gießhübl, Bilin, Krondorf etc.), die der Verfasser mit Recht als 
einen balneologischen Mikrokosmos bezeichnet, eine an Varianten 
reiche Zahl von Heilquellen auf engstem geologischen Gebiete, wie 
sie sich sonst nirgends vorfindet. Es bedarf keines Wortes darüber, 
daß Sachkenntniß und angenehme Darstellung auch hier das Beste 
bieten. Nennen wir noch ein vom Stadtchemiker Sipöcz und Bade¬ 
arzt Dr. Ruff verfaßtes, sehr hübsches Schriftchen „Karlsbad von 
Einst und Jetzt“, das uns der Stadtrath überreichen ließ, so müssen 
wir sagen: Der Willkomm ist würdig und gut. 

Der heutige Tag galt der feierlichen Eröffnung des Congresses. 
Der Saal des „Schützenhauses“ war bald von Damen und Herren 
gefüllt, und auf der Bühne, auf der sich abends nur „Specialitäten“ 
produciren, spielte sich diesmal die Begrüßung ab. An den „Speciali¬ 
täten“ dürfen wir Mediciner keinen Anstoß nehmen ; stehen doch 
Viele von uns im Dienste einer, allerdings wissenschaftlichen 
Specialität, in der wir es zu einer wahren Kunstfertigkeit ge¬ 
bracht haben. 

Enorm lang, fast iy 2 Stunden, dauerten die „Einleitenden 
Worte“, viel zu lang für eine solche Formalität, bei der Kürze, 
kräftige Herzlichkeit, geistvolle Sentenzen, knappe Rück- und Aus¬ 
blicke völlig genügen würden. Dem ersten Geschäftsführer folgte 
der österreichische Cultusminister Exc. Dr. VON Hartl , der die 
„voraussetzungslose“, nur der Wahrheit dienende Wissenschaft 
feierte. Seine Rede athmete Freimuth, zeigte einen weiten Horizont, 
eine abgeklärte Weltanschauung und gipfelte in einer Erinnerung 
an Goethe, Karlsbads einstigen großen Curgast. Mögen die schönen, 
erhebenden Aeußerungen sich auch stets in der That bewähren! 
Exc. Dr. Studt, der preußische Cultusminister, den wir unter den 
Ehrengästen bemerkten, schien dem, was sein österreichischer 
College mit so warmen Worten als sein Programm entwickelte, 
sympathievoll zuzuhören. In Wien wird man die Mittheilung des 
österreichischen Unterrichtsministers freudig vernehmen, daß der 
Neubau des Wiener Allgemeinen Krankenhauses die 
kaiserliche Sanction erhalten hat und nunmehr gesichert ist. Es 
sprachen noch der Sections-Chef R. v. Kusy in Vertretung des 
Ministeriums des Innern, der Bürgermeister, der Rector der Uni¬ 
versität Prag, Prof. v. Jaksch im Namen des Centralvereins 
deutscher Aerzte in Böhmen und der Vorsitzende der Gesellschaft 
deutscher Naturforscher und Aerzte, Prof. Heubner , der über die 
Thätigkeit der Gesellschaft berichtete und der im abgelaufenen 
Vereinsjahre verstorbenen hervorragenden Mitglieder, darunter 
Ziemssen’s, Gerhardt’s und Virchow’s — in recht trockener 
Form — gedachte, und dann trat man in die Tagesordnung. 

Leider bin ich nicht in der Lage, dem Gescbäftsausschusse 
und dem Preßcomite besonderes Lob zu spenden. Zunächst die Wahl 
der Redner und der Themata! Nicht die Berühmtheit oder Ge¬ 
diegenheit allein qualificirt zum Redner in einem großen Saale, 
vor einem im besseren Sinne gemischten Publicum. Es gehört dazu 
ein kräftiges, volles Organ, eine deutliche Aussprache, eine mit der 
nöthigen Gelehrsamkeit sehr wohl zu verbindende Gabe, klar und 
leicht verständlich selbst schwierige Probleme zu lösen, für Ge 
bildete, auch wenn sie der Disciplin des Redners fern stehen, 
interessant, fesselnd, faßlich zu sprechen. Deshalb müssen auch 
die Themata ein allgemeines, actuelles Interesse haben; sie dürfen 
sich nicht in Details verlieren, die der Zuhörer allenfalls im Colleg 
als selbstverständlich hinuimmt. 

Von alledem war kaum eine Spur; der erste Redner blieb 
ganz, der zweite fast ganz unverständlich, nur den dritten ver¬ 
stand man überall. Die beiden Ersterwähnten sprachen in der Stimm¬ 
stärke und im Tonfall, wie sie bei einer persönlichen Unterhaltung 
oder in einem kleinen Auditorium zulässig sind. An diesen Mißgriff 
des Vorstandes schloß sich ein weiterer Uebclstand, der uns Be¬ 
richterstatter betraf. Wir waren zwischen die Coulissen und — 
horrible dictu — hinter die Redner placirt; man hatte uns nur 
wenig Plätze und keine gedruckten Autoreferate zur Verfügung 
gestellt, wie wir Vertreter der Presse uns denn überhaupt nicht 
des gebührenden Entgegenkommens erfreuten. Aus allen diesen 


Gründen bin ich trotz gespannter Aufmerksamkeit nur schwer im¬ 
stande gewesen, den Reden zu folgen, und muß ich mich deshalb 
kurz fassen. 

F. Hofmeister (Straßburg) verbreitete sich in einer intimen 
Unterhaltung „Ueber den Bau des Eiweiß-Molecüls“. Ich bezweifle, 
ob Viele seinen für Chemiker gewiß recht interessanten, gelehrten 
Auseinandersetzungen über die Fortschritte in der Klärung der 
Eiweißfrage, über die Spaltungsvorgänge im Organismus, über neue 
Gesichtspunkte betreffs der Constitution des Eiweißes, über die 
Eiweiß-Derivate etc. folgen konnten, ob ihnen die Monomixosäuren, 
die Zusammensetzung jedes Eiweiß-Molecüls aus 125 Kernen , die 
mosaikartigen Combinationen, welche sich aus diesen Complexen 
ergeben, klar geworden sind. Und wie interessant für Alle hätte 
sich alles dies gestalten lassen, wenn der Redner es verstanden 
hätte, mit scharfen Strichen und in lebendiger Darstellung die 
Bedeutung dieser Fragen für die physiologischen und patholo¬ 
gischen Lebensvorgänge zu entwickeln. — „Es hat nicht sollen 
sein!“ 

Eine wilde Flucht nach dem Buffet un'd dann? Vier Fünftel 
der Zuhörerschaft eilte nach der Pause ganz in Gottes freie 
Natur hinaus. Als der zweite Redner M. Weber (Amsterdam) über 
den „Malayischen Archipel und die Geschichte seiner Thierwelt“ 
zu sprechen begann, gähnten im Saale furchtbare Lücken. Er war 
stark gelichtet; aber die Dagebliebenen, die nunmehr wenigstens 
eine frische, anschauliche Schilderung jener exotischen Fauna er¬ 
hofften , wurden recht grausam enttäuscht. Gewiß ist Weber ein 
tüchtiger, gelehrter Forschungsreisender; vielleicht weiß er auch 
im engeren Kreise gut zu plaudern. Was er hier bot, war, soweit 
man es bei dem Mezza voce verfolgen konnte, ungemein trocken. 
Immerhin waren einige seiner Mittheilungen über die frühere und 
jetzige Thierwelt von Celebes und Borneo, von den Moluccen, Java 
und Sumatra, über den einstigen antarktischen, Asien und Austra¬ 
lien verbindenden Continent, über die Wanderungen, Wandelungen 
und Mischungen der dortigen Thierwelt belehrend. Wieder ver¬ 
schwanden , eingedenk der Worte: Lasciate ogni speranza, so 
Manche. 

Die Ausharrenden aber wurden belohnt. Denn A. Voller (Ham¬ 
burg) verstand es, über „Grundlagen und Methoden der elektrischen 
Wellentelegraphie“ wirklich wie ein Volksredner und Volkslehrer 
zu sprechen. Die „Drahtlose Telegraphie“ , die wir dem genialen 
jungen Marconi verdanken, und die Slaby als Ingenieur, sowie 
Braun (Straßburg) als Forscher nur verbessert haben, beruht 
natürlich wie jede Neuerung auf dem, was frühere Physiker theo¬ 
retisch geleistet haben. Das ist in keiner Wissenschaft anders, und 
auch der Erfinder steht nur auf den Schultern seiner Vorgänger. 
Faraday, Maxwell, Helmholtz, Hertz hatten die Lehre von 
den elektrischen Wellen, welche eine völlige Umwälzung unserer 
Auffassung vom Wesen der Elektricität mit sich brachte, so fundirt, 
den Boden so vorbereitet, daß Marconi nur mit praktischem Ge¬ 
schick zu säen und zu ernten brauchte. Wie Voller nun die 
Theorie der uns jetzt klarer gewordenen elektrischen Vorgänge 
auch Nicht Fachmenschen verständlich darzustellen wußte, war ein 
oratorisches und pädagogisches Meisterstück. Recht schwierige Dinge, 
wie die elektrische „Verschiebung“, die Wechselströme, die Be¬ 
deutung der Oscillation, die Wellenlehre, die Aetherschwingungen, 
die Erregung und Widerstände des Fritters und der Uebertragung 
auf „gleichgestimmte“ Objecte — kurz, recht grundgelehrte Dinge 
wußte er der Zuhörerschaft spielend zu entwickeln. Hübsch ge¬ 
lungene Experimente erläuterten schließlich das gesprochene 
Wort. 

Inzwischen war es 3y 2 Uhr geworden. Ueber 5 Stunden hat 
diese Eröffnungssitzung gedauert! Furchtbar, aber wahr! Nun, das 
Publicum übt in solchen Fällen stumme Kritik , indem es einfach 
„wegbleibt“ , wenn die Sache nicht geschickter angefangen wird. 
Jedes Genre ist erlaubt, nur nicht das Unverständliche, Langweilige, 
Ermüdende. oo 


2 * 

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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 39. 


1752 


Aus den Abteilungen 

der 

74. Versammlung deutscher Naturforscher und 

Aerzte. 

Karlsbad, 21.—27. September 1902. 

(Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) 

I. 

Abtheilung für innere Medicin, 

Puchberger (Wien): Bemerkungen zu einer neuen Methode der 
Vitalfärbung der Blutplättchen des Menschen. 

Vortr. berichtet über die Ergebnisse der Nachprüfung der 
von Levaditi angegebenen Methode zur Darstellung der Blutplätt¬ 
chen durch Färbung mittelst Brillantkresylblau. Man findet damit 
beim gesunden Menschen die Blutplättchen theils als runde, theils 
als eckige homogene Körper, denen eine lebhafte amöboide Bewe¬ 
gung eigen ist. Zumeist enthalten sie dunkle Granula im Centrum 
oder unregelmäßig vertheilt. Nach einigen Minuten siebt man eine 
compacte, stark blau gefärbte Masse halbmondförmig sich abtrennen 
von dem kugelig zurückbleibenden hyalinen Hauptkörper. Auch 
bei myelogener Leukämie haben sich diese Gebilde mit den gleichen 
Eigenschaften gefunden. 

Käst (Prag): Hämatologlsche Befunde In einem Falle von 
Knochenmarkcarcinomatose. 

Nach einer Amputatio penis wegen Carcinom war eine mul¬ 
tiple Metastasenbildung in den inneren Organen entstanden, welcher 
der Kranke erlag. Im Blute desselben fanden sich Veränderungen 
wie bei myelogener Leukämie. Die Section stellte auch zahlreiche 
Knochenmarkmetastasen fest, welche augenscheinlich der Ausgangs¬ 
punkt der auffälligen Blutänderung waren, wie sie bisher in solchem 
Falle noch nicht bekannt sind. Doch hat sich aus dem Blutbefunde 
selbst mit Sicherheit entnehmen lassen, daß es sich um keine selb¬ 
ständige Leukämie gehandelt hat. 

Mintz (Warschau): Tiefsitzende Divertikel der Speiseröhre. 

Vortr. theilt einen neuen Fall mit, den er bei einem 51jähr. 
Mann beobachtete. Die Krankheit hat zwei Jahre gedauert, bis der 
Kranke an Inanition zugrunde gegangen ist. Section ist nicht gemacht 
worden. Vortr. stützt die Diagnose hauptsächlich auf das Ergebniß 
eines Roentgenbildes, das links von der Wirbelsäule einen ausge¬ 
dehnten Schatten über dem Zwerchfell zeigt. Die Schlauchsonde 
gelangte nie in den Magen, der stagnirende Inhalt über der Stenose 
ließ alle Zeichen der Magenverdauung vermissen. 

Walko (Prag): Zur Behandlung der Superacidität. 

Vortr. empfiehlt Olivenöl in Dosen von 150—300 Grm. täg¬ 
lich durch Schlundsonde oder per os. Er hat nach mehrwöchent¬ 
licher Behandlung wesentliche Besserung und selbst Heilung gesehen. 
Keine Beeinträchtigung der Magenverdauung. Die Salzsäureabschei- 
dung wird vermindert und verzögert. Auch bei spastischen Stenosen 
des Verdauungscanals hat sich ihm diese Behandlungsmethode be¬ 
währt, ferner auch bei frischem Ulcus ventr., wo das Oel einen Schutz 
gegen die Aetzwirkung des übersauren Magensaftes bildet. Das 
Oel ist dem Atropin und dem Natr. bicarb. in diesen Fällen weit 
überlegen, die nur zum Ersätze herangezogen werden können. 

WEISS (Karlsbad): Die physikalischen Zeichen des Dickdarms 
und ihre Bedeutung für den Stoffwechsel. 

Vortr. behauptet, daß der Dickdarm des gesunden Menschen 
eine feststehende Form habe, die er durch Palpation genau er¬ 
mittele: Längen- und Dickendurchmesser, Krümmung u. dgl. der 
einzelnen Theile des Dickdarms. Mit der Formveränderung geht 
alleraal eine Störung der Function, eine Erkrankung der Drüsen u. dgl. 
einher, so daß Diarrhoen und andere Dickdarmerkrankungen 
durch die palpatorische Diagnose von Formanomalien zu erkennen 
seien. Sogar die ßubjectiven Beschwerden der Kranken lassen sich 
daraus errathen. 

Bum äußert Zweifel an der Richtigkeit der Behauptungen und Schlu߬ 
folgerungen des Vortragenden. 


Kumpf (Milistadt) : Zur Pathologie und Therapie der Enteroptose. 

Vortr. glaubt einen für Nephroptose charakteristischen Schmerz¬ 
punkt gefunden zu haben: bei Druck auf die hintere Bauchdecke 
mit ausgestreckten Fingern in der Höhe einer Linie, die vom Nabel 
bis zur größten Curvatur des Rippenbogens gezogen ist. Vortr. 
sieht die Nephroptosis als einen Folgezustand der Senkung des 
Dickdarms an, dessen Verlauf palpatorisch genau festzustellen ist, 
wenn er auf mechanische Reize durch Contraction reagirt. K. hat 
die so ermittelte Lage des Colons stets durch Aufblähung per 
rectum controlirt. Die Nephroptose hat er bei 300 Untersuchungen 
von Lebenden in 32% gefunden, immer häufiger werdend mit 
dem Ansteigen des Lebensalters. Das letztere hat sich auch bei 
Leichenuntersuchungen bestätigt gefunden, wo sich Nephroptose 
in 42% fand. Nicht die Flexura hepat. ist dasjenige Stück des 
Colon, das sich am häufigsten senkt, sondern das Mittelstück des 
Quercolons. 

Aufrecht betont gleichfalls die große Häufigkeit des GLKNARDschen 
Krankheitsbildes, das in der Praxis noch lange nicht genügend bekannt und 
gewürdigt sei. Er findet es bei 80 — 85% seiner Patienten. 

Goldmann (Brenneberg): Die Anchylostomiasis. 

Diese Krankheit ist eine Gefahr für den Bergmannsstand 
und bedeutet eine schwere wirtschaftliche Schädigung. Vortr. 
demonstrirt photographische Abbildungen der Entwickelungsstadien 
des Parasiten vom Ei bis zum ausgebildeten Wurm. Ein Zwischen¬ 
träger ist bisher noch nicht bekannt. Die Infection erfolgt in der 
Grube durch die Luft auf dem Wege des Verdauungscanals. Vortr. 
ist es gelungen, in seinem Bezirk die Morbidität von 80 auf 12% 
herabzudrücken. Prophylaktisch empfehlen sich folgende Maßregeln: 
Uebertünchen der Holzzimmerung in den Gruben mit Kalkwasser, 
Verbot des Essens in den Gruben, Wechsel der Kleider und Baden 
nach Verlassen derselben, Auffangung und sofortige Desinfection 
des Fäces. Therapeutisch räth Vortr. zu Extr. fil. mar. bis zu 15 Grm., 
auch Thymol bewährt sich sehr. Wichtig ist eine Vorcur mit Ca- 
lomel, Nachcur mit Terpentinöl, um das erneute Ansetzen des ab¬ 
getriebenen Wurmes zu verhüten. 


Abtheilung für Chirurgie . 

Kuhn (Kassel): Ueber pulmonale Narkose. 

Vortr. betont zunächst, daß noch lange nicht Aufmerksam¬ 
keit genug darauf verwandt worden ist, wie und wo das Narko- 
ticum zu den Nervencentren gelangt, macht darauf aufmerksam, 
wie bei directer Einführung des Narkoticums in die Lunge durch 
die Tracheotomie wunde (Trend slenburg) die Narkose auffällig 
ruhig verläuft und empfiehlt dann die durch Tubage direct in die 
Lunge geleitete perorale oder pernasale Narkose, deren Vor¬ 
züge absolute Ruhe, wenig Chloroform, schnelles Wiedereinschlafen 
bei unterbrochener Narkose sind. Die Gefahr der Ueberdosirung 
ist gering. Würgen und Erbrechen fällt fort, Spasmus glottidis ist 
nicht möglich, Aspiration von Schleim ist nicht zu fürchten. Redner 
beschreibt noch die üblichen Narkosenmethoden, die eventuellen 
Hilfsmittel bei Asphyxien, künstliche Athmung, Sauerstoff etc. 

Derselbe: Kein Würgen und Erbrechen bei Narkosen und 
Laparotomien. 

K. macht dem Narkotiseur in allen Fällen das Erbrechen 
während der Narkose zum Vorwurf, da es stets ein Zeichen man¬ 
gelnder Narkosentiefe ist, und empfiehlt nochmals die Narkose 
durch Tubage. 

Discussion: v. Eiseisberg (Wien) fragt, wieviel Narkosen der Vor¬ 
tragende gemacht hat (ca. 50). 

Länderer (Stuttgart) glaubt nicht, daß z. B. ein Potator sich das Ver¬ 
fahren Kuhn’s gefallen lässt. 

Kuhn : Der Patient muss natürlich annarkotisirt, z. B. mit Bromäthyl, 
sein, dann kann man zu der Methode mit Chloroform übergehen. 

v. Eiseisberg glaubt nicht, daß die Tubage so einfach ist, besonders 
bei einem bereits Annarkotisirten. 

Fink (Karlsbad) wünscht einen Fall zu sehen. 

Wohlgemuth (Berlin) bezweifelt, daß irgend ein Narkoseverfahren im¬ 
stande ist, das Erbrechen ganz zu verhindern. Er hat sich in den letzten 
Jahren bei Gelegenheit seiner Arbeiten über die von ihm eingeführte Sauer- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 39. 


1754 


stoffchloroformnarkose sehr intensiv mit der Narkosenfrage beschäftigt und 
ist auf Grund seiner Erfahrungen zu dem Schlüsse gelangt, daß nicht das 
Narkotisiren und nicht die Art der Einführung es in der Hand hat, das Er¬ 
brechen zu verhindern. Dasselbe ist ganz individuell, kann bei kleinsten 
Dosen ebenso gut eintreten wie bei großen. 

Neugebauer (Mähr.-Ostrau): Erfahrungen über Medullarnarkose. 

N. hat sogar mit kleinsten Dosen und sorgfältigster Sterili¬ 
sation des Tropacocain und der Instrumente alle die bekannten, 
unter Umständen sehr ängstlichen Intoxicationserscheinungen erlebt 
und ist bei seinen Studien über die Ursache derselben zu dem 
Schlüsse gelangt, daß sie nur für die Operationen an den unteren 
Extremitäten, wo allgemeine Narkose nicht gut angeht, Anwendung 
finden, sollte, wenn langdauernde und tiefe Narkose nothwendig ist. 

Discussion: Preindlsberger (Sarajewo) hat in circa 30 Fällen 
nie eine Störung, geschweige denn eine schwere Intoxication erlebt. Bei Ope¬ 
rationen am Damm bat er stets wie Neugebauer vollkommene Analgesie ge¬ 
habt , bei den Herniotomien nicht immer. Er glaubt, daß nach der Injection 
vollkommene Beckenhochlagerung die Narkose wesentlich unterstützt. 

Schultze (Duisburg): Beiträge zur Sterilisation. 

Demonstration von Gläsern für die Sterilisation von Seide 
und eines aseptischen Irrigators. 

Borchard (Posen): Seltenere Folgezustände nach schweren 
Schädelverletzungen. 

B. hat nach diesen Verletzungen in einem Falle 1 *5°/ 0 Zucker 
und l'2°/ 0 Eiweiß gefunden, die nach 12 Stunden schwanden, 
12 Stunden später Blutkörperchen und Cylinder im Urin. In einem 
zweiten Fall, der zugrunde ging, ähnlicher Befund. Die Section 
ergab im 4. Ventrikel nichts, dagegen Trübungen in den Glomeruli 
und geraden Harncanälchen. Vortragender beleuchtet die einfache, 
nach Schädelverletzungen sofort auftretende Glykosurie und dann 
die mit Albuminurie vergesellschaftete, die in der Schädigung der 
Nieren ihren Grund hat, nicht den geringsten Zusammenhang mit 
Diabetes hat, sondern auf Circulationsstörungen in den Nieren 
basirt. Auch darf deshalb ein später auftretender Diabetes durch¬ 
aus nicht auf die Verletzung zurückgeführt werden. Ein Versuch 
alimentärer Glykosurie fiel auch bei seinem Fall negativ aus. 

Discussion: Stolper (Breslau) hat ähnliche Zustände bei Rücken¬ 
marksverletzungen gefunden. 

Zum Vortrage Neugebauek bemerkt er, daß er nicht glaubt, daß der 
Typus der von N. aufgestellten Analgesie stets derselbe ist, daß nicht immer 
zuerst die Analgesie am Damm auftritt und erwartet erst weitere Beobach¬ 
tungen. 

v. Hacker (Innsbruck): Ersatz von Schädeldefecten durch unter 
der Kopfschwarte verschobene oder umgeklappte Periost¬ 
knochenlappen. 

Gestielte Lappen, die mit der Periostfläche auf den Defect 
gelegt werden. Seine Resultate sind sehr günstige gewesen. Vor¬ 
tragender gibt einen Rückblick über die bisher üblichen osteoplasti¬ 
schen Knochenoperationen von Ollier, J. Wolff, v. Langenbeck, 
Rydygier, Bier, Müller, König etc. Er kommt dann auf die 
BARTH’schen Untersuchungen zu sprechen, die nach seiner Ansicht 
mit Vorsicht auf den erwachsenen Menschen anzuwenden sind, und 
beschreibt dann die Technik seiner „subaponeurotischen Osteo¬ 
plastik“. 

Discussion: Länderer (Stuttgart) glaubt, daß für große Defecte 
die Heteroplastik am Platze sein wird, mit der er gute Erfolge aufzu¬ 
weisen hat. 

v. Eiseisberg (Wien) hat Versuche mit theilweisem Erfolge von Re¬ 
implantation von Knochen gemacht. Das implantirte Knochenstück, welches 
wohl resorbirt wird, dient aber jedenfalls als Leitfaden für den Knochen¬ 
nachwuchs. Er berichtet über einen Fall von Radiusdefect, der durch einen 
Leichenknochen ersetzt worden ist. 

Neugebauer erwidert Stolper, daß über die Sacralanalgesie schon 
zahlreiche Beobachtungen vorliegeu , die stets das 4. Sacralsegment als 
zuerst analgesirtes festgestellt haben. Es liegt also doch nahe, daß dann 
in der Folge das 3., 2. etc. Sacralsegment analgetisch werden. Ob da nun 
zuerst der Conus oder die Wurzeln analgesirt werden, ist wohl gleichgiltig. 

Springer (Prag): Ueber Operationsresultate bei Hasenscharte 
und Wolfsrachen. (Mit Demonstration.) 

Bericht über 53 Fälle aus dem Franz Josef-Kinderspital in 
Prag. Sie operiren Gaumenspalten nicht mehr im ersten Lebens¬ 
jahre wegen der nicht zu vermeidenden Enteritiden, Hasenscharten 


nicht vor dem 6. Monat. Von 31 revidirten Fällen kein Todesfall, 
8 nicht geheilte Fälle. Das kosmetische Resultat ging nicht immer 
mit dem functionellen Hand in Hand. Nicht ganz geheilte Kinder 
sprechen oft besser als ideal geheilte. Dem sogenannten „gothi- 
schen Gaumen“ glaubte er nicht viel Gewicht in Bezug auf 
schlechtes functionelles Resultat beilegen zu sollen. 

Discussion: v. Hacker (Innsbruck) operirt mit ScHLEiCH'scher Infil¬ 
tration in sitzender Stellung. 

v. Büngner (Hanau) empfiehlt das KüsrER’sche Verfahren mit Ver¬ 
längerung des Zäpfchens, von dem er den Eindruck hat, daß das Resultat ein 
sehr günstiges ist. 

Riedel (Jena) macht auch die Hasenscharten am hängenden Kopfe 
und hat seitdem kein Kind mehr an Pneumonie verloren. 

v. Eiseisberg (Wien) hat auch mit der KüSTER'schen Methode trotz 
des guten anatomischen nicht viel gute functioneile Resultate erzielt. Er 
macht auf das Verfahren von Arhotuouth - Lane aufmerksam, Umklappen 
eines großen, von dem Alveolarfortsatz gelösten Gaumenlappens und Verbin¬ 
dung desselben mit dem Spaltrand der anderen Seite, welches er zwar nur in 
einem Falle mit negativem Resultat angewendet hat, aber für sehr werth der 
Nachprüfung hält. 

Länderer (Stuttgart): Operative Behandlung der Lungentuber- 
culose. 

Die Erfahrung, bei Empyemen durch Thorakoplastik bessere 
mechanische Verhältnisse zu schaffen, hat ihn nach dem Vorgänge 
von Spengler etc. auf den Gedanken gebracht, auch die tuber- 
culösen Lungenabscesse und Cavernen durch Thoraxresection zu 
bessern. 6 Fälle hat er so operirt mit theilweise sehr gutem Re¬ 
sultat. In Bezug auf die Technik will er nur vor der Stelle der 
großen Gefäße und des Herzens warnen, weil man hier stets eine 
pulsirende Narbe bekommt. Tuberculöse Gewebe soll man so wenig 
als möglich berühren wegen der Gefahr der Miliartuberculose. Was 
die Wahl der Fälle anlangt, so werden stationäre Fälle natürlich 
bessere Resultate geben als die acuten. Die Unterlappentuberculosen, 
die für die innere Therapie wohl die schlechtesten sind, empfehlen 
sich dadurch besonders zur Operation. 

Zum Schlüsse macht er noch einmal darauf aufmerksam, 
daß der Grund der mangelnden Heilung fast aller tuberculösen 
Processe, der Lungen- und Gelenkaffectionen in der Unmöglichkeit 
oder schlechten Disposition zur Narbenschrumpfung zu suchen ist. 
Man sehe dies häufig bei der Coxitis, die dann plötzlich heile, 
allerdings mit Verkrümmung, wenn durch Epiphysenlösung oder 
Spontanluxation die Narbenschrumpfung ermöglicht ist. 

Discussion: Hofmeister (Tübingen) kann über einen Fall be¬ 
richten, nichttuberculöse Caverne im Uaterlappen, der für die von Lahderer 
betonte, durch Resection der Rippen ermöglichte narbige Schrumpfung be¬ 
weisend ist. Nach Resection der Rippen — es sollte zweizeitige Operation 
gemacht werden — war, als die Eröffnung der Caverne gemacht werden 
sollte, dieselbe verschwunden; die Lunge hatte sich trichterförmig eingezogen. 

Borchard (Posen) hält die Beobachtangszeit für viel za kurz. Er 
macht auf die Bemerkungen Quincke’s auf dem Hamburger Congreß aufmerk¬ 
sam, der die Heilungsmöglichkeit von der Zahl der Cavernen und ihrem Auf¬ 
finden abhängig macht. 

Länderer will auch nicht behauptet haben, daß die Fälle mit viel 
Cavernen durch Aufsuchen und Punktiren zur Heilung gebracht werden sollen. 

WlSSHAUPT (Teplitz - Schönau) berichtet über einen Fall 
von Riesenwuchs der Mamma in der Gravidität, der 
durch Ablation der Mamma geheilt wurde. Demonstration der 
Photographien. Die arnputirten Mammae wogen 5800 und 6700 Grm. 

Preindlsberger (Serajewo): Weitere Mittheilungen über Lithiasis 
in Bosnien. 

Sie betrifft vorwiegend die jugendliche christliche Bevölke¬ 
rung. Die Beobachtungen haben sich in den letzten zwei Jahren 
um 95 Fälle vermehrt. Vortr. zeigt die Präparate, die Reproduc- 
tionen der Steine in prachtvollen Aquarellen und die Instru¬ 
mente, welche die dortigen „Steinschneider“ gebrauchen. 

Derselbe: Ueber Steinoperationen. 

P. berichtet, daß im Orient anders als im Occident die Litho- 
tripsie schon bei den Kindern sehr häufig angewendet wird, weil 
die äußeren Genitalorgane dort schon derartig entwickelt sind, daß 
z. B. bei einem 14jährigen Individuum der größte, für Erwachsene 
bestimmte Lithotripter angewendet werden konnte. Er hat bei 
135 Kindern 93mal die Sectio alta, in den übrigen Fällen die 


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Lithotripsie gemacht. In einigen Fällen mußte er der Lithotripsie 
die Sectio alta oder Urethrotomia externa anschließen. 

Unter den Präparaten ist ein durch Sectio alta gewonnenes 
hervorzuheben, welches eine Spontanzertrümmerung eines circa 
hühnereigroßen Steines darstellt. P. macht auf die dabei ange¬ 
nommene Sprengwirkung der Bakterien und ihrer Producte auf 
merksam. (Erscheint in extenso an anderer Stelle dieses Blattes.) 

Abtlieilung für Geburtshilfe und Gynäkologie. 

Sellheim (Freiburg i. B.): Diagnose und Behandlung der Genital- 
tuberculose. 

Indicien, welche die tuberculöse Natur entzündlicher Processe 
im weiblichen Becken oft sehr wahrscheinlich machen, sind 
die Erkrankung nahestehender Angehöriger, mit welchen die be¬ 
treffenden Individuen zusammenlebten, und der Nachweis der Tuber- 
culose in anderen Organen. Mit multiplen Bildungsfehlern behaftete 
Personen sind häufig tuberculös, der umgekehrte Schluß, daß ein 
in seiner Aetiologie dunkler Entzündungsproceß in den Genitalien 
wegen der gleichzeitig am Körper vorhandenen, vielfachen ana¬ 
tomischen und physiologischen Bildungsfehler für Tuberculöse 
sehr verdächtig sei, bestätigte sich bei operativen Eingriffen vielfach. 
Sicherheit in der Diagnose bringt die locale Untersuchung. 
Außer den bei der Exploration des Abdomens schon auffallenden 
charakteristischen Eigentümlichkeiten wird der Hauptwerth auf den 
Nachweis der mit der Genitaltuberculose fast regelmäßig zusammen 
vorkommenden Beckenbauch felltuberculose gelegt, der 
sich durch die von Hegar angegebenen, für Tuberculöse fast 
pathognomonischen Knötchen bei der inneren Untersuchung mit 
großer Sicherheit erbringen läßt. Diese Knötchen finden sich vor Allem 
an der hinteren Fläche der Ligamenta lata, der Ligamenta sacro- 
uterina und der hinteren Fläche des Uterus. Eine sehr ausge -1 
sprochene Rosenkranzform der Tube besonders mit sehr harter 
Consistenz der Knoten findet sich bei der Tuberculöse häufig. Die 
Anwesenheit eines Knotens in der Pars uterina ist ein zuver¬ 
lässiges Zeichen für die tuberculöse Erkrankung. Die mikroskopische 
Untersuchung der Uterusschleimhaut ist bei Tuberculöse der 
Tuben und des Beckenbauchfells immer nöthig. Außer seinem diagnosti¬ 
schen Werth ist der Nachweis der Uterustuberculose auch imstande, 
die Prognose und Therapie zu modificiren. Unter Anwendung dieser 
Mittel hält Vortr. die Diagnose einer tuberculösen Er¬ 
krankung der weiblichen Genitalien in den meisten 
Fällen für möglich, im Gegensatz zu den aus anderen 
Kliniken geäußerten Meinungen. — Nach Erörterung 
der Indicationen für ein palliatives oder operatives Eingreifen 
werden die therapeutischen Erfolge an der Hand von 
Nachuntersuchungen über 65 in den letzten 8 Jahren in 
der Freiburger Frauenklinik behandelte tuberculöse Personen ge¬ 
prüft. Der Erfolg der palliativen Behandlung, die in 
28 Fällen durchgeführt wurde, war sowohl in Bezug auf das Ver¬ 
schwinden der Beschwerden, auf die Wiedererlangung der Arbeits¬ 
fähigkeit und in Bezug auf den Eintritt einer relativen Ausheilung 
der erkrankten Organe zufriedenstellend. Von den 37 operativ 
behandelten Fällen war bei den nachuntersuchten Frauen 
das Resultat ebenfalls gut. Am besten waren die radical Operirten 
daran. Es wird daher, wenn man einmal gezwungen 
ist, zu operiren, die Entfernung der erkrankten 
Adnexe sammt Uterus mittelst abdominaler Coelio- 
tomie anzustreben sein. Diese günstigen Erfolge stimmen 
mit den Erfahrungen überein, die man bei tuberculösen Herden 
an anderen Körpertheilen gemacht hat, wenn man dieselben mit 
dem Messer wie eine bösartige Geschwulst entfernte.. 

Discussion. v. Rosthorn (Graz): Die Erkenntniß der Genitaltuber¬ 
eulose hat in dem letzten Jahrzehnt immer mehr an Interesse gewonnen. Die 
Veränderungen der Form aber, welche durch die Tuberculöse z. B. an dem 
Eileiter hervorgernfen werden, sind so variabel, daß sich ein bestimmtes Bild 
nicht entwerfen läßt; die Rosenkranztube findet sich durchaus nicht immer. 
Eine Diagnose, welche sich auf den Tastbefund gründet, wird daher häufig 
negativ ausfallen. Der Befund des Uterussecrets ist, wenn Bacillen in dem¬ 
selben gefunden werden, natürlich beweisend, in diesen Fällen handelt es sich 
aber gewöhnlich um weit, vorgeschrittene Fälle; findet man aber keine Bacillen, 
so ist dieses nach keiner Richtung verwerthbar. Es ist daher vor Allem die 


Anamnese, die hereditäre Belastung etc. in Betracht zu ziehen. Kommt infan¬ 
tiler Habitus, sowie Hypoplasie des Uterus hinzu, so wird die Diagnose an 
Wahrscheinlichkeit gewinnen, besonders wenn nie eine gonorrhoische Infection 
bestanden hat. Die beschriebenen Knötchen sind häufig sehr schwer zu tasten. 
Intensive Verwachsungen, auf deren Vorhandensein bei Tuberculöse Gewicht 
gelegt wurde, sind kein differentiell verwerthbares Zeichen. Es bedarf großer 
Sorgfalt der Untersuchung und längerer Beobachtung, um einen tuberculösen 
Fall sicher zu erkennen. Die Therapie soll bei vorgeschrittener Genitaltuber¬ 
culose eine operative sein und ist möglichst radical zu wählen. Ueber Dauer¬ 
resultate bei palliativer Behandlung hat v. Rosthohn keine Erfahrung. 

Jung (Greifswald): Die Schwierigkeit der Diagnosenstellung wird noch 
dadurch vermehrt, daß auch die Tuberculininjection, welche in Greifswald zur 
Sicherstellung der Diagnose herangezogen wurde, häufig versagt, so in einem 
Falle von weit vorgeschrittener Genitaltuberculose. Andererseits fanden sich 
bisweilen in der durch Abrasio entfernten Uterusschleimhaut Tuberkelbacillen 
in Fällen, die keineswegs tuberculös aussahen. Der örtliche Befund ist wenig 
maßgebend. Die Knötchen an der hinteren Uteruswand, welche bei der Rectal- 
Untersuchung zu fühlen sein sollen, fehlen oder sind nicht nachweisbar in 
Fällen, in denen starke Verwachsungen der Exsudate bestehen, hingegen ist 
der Knoten am Isthmus der Tube häufig leicht nachweisbar. 

Schatz (Rostock): Während man früher die Bauchfelltuberculose für 
spontan nicht heilbar hielt, sah Schatz ohne Operation in 2 Fällen Heilung 
eintreten. Trotzdem ist auch er Anhänger des operativen Eingriffes bei Tuber- 
culose des Peritoneum. Findet man hiebei die Tube erkrankt, so muß sie mit¬ 
entfernt werden, da sie einen Herd bildet, von dem häufig eine Neuinfection 
des Peritoneum stattfindet. 

Seilheim stimmt in der Schwierigkeit, aber nicht in der Unmöglichkeit 
der Diagnosenstellung mit dem Vorredner überein, betont jedoch, daß vor 
Allem die Rosenkranzform des Eileiters häufiger, namentlich in der Narkosen¬ 
untersuchung nachweisbar ist, als man gewöhnlich annimmt. 

WlNTERNITZ (Tübingen-Stuttgart) demon8t.rirt ein plastisches 
Modell zur Erläuterung des fötalen Kreislaufes. Dasselbe besteht 
in einem fötalen Herzen von 5—6facher Vergrößerung, an dem 
die Hauptunterschiede zwischen fötalem und extrauterinem Kreislauf 
gezeigt werden können: Die Communication zwischen rechtem und 
linkem Vorhof durch das Foramen ovale, die Valvula Eustachii 
und der Ductus arteriosus Botalli. Das Modell ist so auf einem 
Gestell angebracht, daß es während der Demonstration leicht um 
die senkrechte Achse gedreht werden kann. W. wurde veranlaßt, 
dieses Modell anzufertigen, weil er bei den Vorlesungen über 
theoretische Geburtshilfe die Erfahrung gemacht hat, daß die 
Hilfsmittel zur Demonstration des fötalen Kreislaufes lückenhaft 
sind, und daß die Abbildungen allein zur Klärung dieser schwer 
verständlichen Verhältnisse nicht vollständig ausreichen. Die Ver¬ 
vielfältigung des Modelles „Fötales Herz“ hat das medicinische 
Waarenliau8 in Berlin übernommen. 

Eisenberg (Wien): Beiträge zur conservativen Behandlung der 
Frauenkrankheiten. 

Nach den gewaltigen Erfolgen der operativen Gynäkologie, 
welche vielfach zu einer zu weiten Ausdehnung der Indications- 
8tellung für operative Eingriffe führte, gewinnt in der letzten Zeit 
die conservative Behandlung der gynäkologischen Erkrankungen 
die so gebührende Beachtung. So schränkte die Vaporisation der 
Uterusschleinlhaut vielfach die Indicationsstellung für die Total¬ 
exstirpation ein. Bei chronisch entzündlichen Processen im kleinen 
Becken sind nach Ansicht von Eüsenberg prolongirte, heiße Aus¬ 
spülungen — er läßt 30—-40 Liter möglichst heißes Wasser verwenden 
für vaginale und rectale Ausspülungen — imstande, die Resorption 
von Exsudaten herbeizuführen, und zwar sowohl extra-, als auch 
intraperitonealer Exsudate. Das Exsudat darf jedoch nicht frisch 
sein, Fieber darf nicht bestehen, falls unangenehme Nebenerschei¬ 
nungen vermieden werden sollen. Zur Unterscheidung, ob ein 
Exsudat alt ist, ist die Untersuchung des Blutes auf seinen Leuko- 
cytengehalt von Wichtigkeit, da bei frischen Exsudaten eine Ver¬ 
mehrung der Leukocyten nachweisbar ist; besteht diese, so ist 
von der Heißwasserdouche Abstand zu nehmen. Die besten Resultate 
geben die postpuerperalen Eiteransammlungen, aber auch selbst 
bei perityphlitischen Exsudaten kann die Behandlung mit Erfolg 
angewendet werden; ein sehr großes perityphlitisches Exsudat 
gelangte bei dieser Behandlung zur Resorption. 

Bei chronischen Adnexerkrankungen kann man gleichfalls 
gute Resultate erzielen, falls im Eileiter sich keine Flüssigkeits- 
an8ammlung findet. Ist Eiter im Eileiter vorhanden, so kann die 
Anwendung der Heißwasserdouche Gefahr bringen, Fieber, Schmerzen 
können wieder eintreten, neue Exsudate sich bilden. Das Vor- 


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handensein einer Pyosalpinx bildet also eine Contraindication für 
die Anwendung der vaginalen prolongirten Ansspülungen. Hingegen 
sieht man gute Resultate bei chronischer Oophoritis, Perioophoritis, 
Salpingitis. Besonders deutlich ist die Besserung der subjectiven 
Beschwerden. Bei chronischer Perimetritis und Parametritis, sowie 
bei der Retroflexio fixata ist die vaginale Douche ein gutes Vor¬ 
bereitungsmittel für die Massagebehandlung. Eine große Anzahl von 
Fällen läßt sich so schneller bessern, als durch die operative Be¬ 
handlung. Anatomisch werden die Frauen nicht geheilt, aber sie 
werden beschwerdefrei. Die Zeitdauer der Ausspülung beträgt 
zwischen 10—25 Minuten. 

Seilheim 3ah günstige Erfolge, wenn man geringere Mengen Flüssig¬ 
keit, circa 6 Liter, langsam in die Scheide einlaufen läßt; er betont die Noth- 
wendigkeit, nur fieberfreie Frauen mit heißen Ausspülungen zu behandeln. 

Hahn empfiehlt für den gleichen Zweck vaginale Thermophore. 

Abtheilung für Kinderheilkunde. 

F. Siegert (Straßburg): Ueber die Ernährungstherapie des 
kranken Säuglings. 

Gegenüber, resp. neben dem ganz allgemein bisher herr¬ 
schenden Princip, die Nahrung des kranken Säuglings 
stets adäquat zu gestalten dem jeweiligen Stande 
der Leistung seiner Verdauungsdrüsen, empfiehlt 
Siegert das andere, bisher noch nicht systematisch ange¬ 
wendete und noch wenig ausgebaute Princip, durch Beibehaltung 
der unveränderten Nahrung den specifischen physiologischen Reiz 
aller Verdauungsdrüsen unverändert beizubehalten, sowie durch Ver¬ 
wendung von Erregern derselben und von Fermenten der Ver¬ 
dauung als Zusatz oder bei der Vorbereitung der Nahrung die 
Verdauungsarbeit adäquat zu gestalten der norma¬ 
len, unveränderten Nahrung. 

Nach eingehender Berücksichtigung des modernen Standes der 
Physiologie der Verdauung mit specieller Rücksicht auf die Errun¬ 
genschaften der letzten Jahre and unter Zurückweisung einiger irr- 
thümlicher Anschauungen über die Mechanik der Verdauung betont 
Vortragender die Nothwendigkeit der physiologischen Reizung der 
Verdauungsdrüsen und die Möglichkeit ihrer Unterstützung durch 
systematische Verwendung der vom Magen, wie Pankreas gelieferten 
Secrete als Zusatz zur Nahrung — Salzsäure, Pepsin, Pankreas- 
extracte —, resp. zu deren Vorbereitung Labferment, Peguin. Auch 
die erregende Bedeutung der Säure auf die Thätigkeit der Dünn¬ 
darmverdauung, ferner des Fleischextractes, der dextrinirten Mehle, 
wird noch nicht genügend gewürdigt. Durch genaue Ueberwachung 
der Verdauungsstörungen auf Grund der zuerst von Biedert ange¬ 
regten Fäcesuntersuchung erhalten wir die Indicationen zur Ver¬ 
wendung der Secretionserreger und Regulatoren, wie sie an ein 
paar praktischen Beispielen illustrirt werden. 

Aber zur vollen Leistung der physiologischen Therapie der 
Verdauungsstörungen bedarf es noch eingehender Untersuchungen 
der Physiologie und Pathologie der Verdauung des saugenden Thieres 
und des Säuglings. 

Discussion: Eschericll (Wien) macht darauf aufmerksam, dass 
E. Pfeiffer einer der ersten war, der bei Darniederliegen der Verdauung 
die Verdauungskraft des Magens durch Fermente (Pankreas) vorge3chlagen hat. 
Auch hat E. selbst einmal ein derartiges Verfahren ausgearbeitet, auch mit 
dem Peguin hat er selbst in letzter Zeit gute Erfahrungen gemacht, aber nur 
in solchen Fällen, wo ein mechanisch reizendes Moment die Ursache der Ver¬ 
dauungsschädigung war. Zur Anregung der Magensaftsecretion ist gleichfalls 
schon lange Kalbfleischbrühe angewendet worden. Nicht genügend berücksich¬ 
tigt scheint E. von Siegert zu sein, daß auch der Saugact als mechanisches 
Moment für die Secretionsanregung in Betracht kommt. 

Siegert (Straßburg) betont, daß er einen systematischen Ausbau der 
von ihm vorgeschlagenen Methode anregen wollte. Die Annahme, daß der 
Saugact ein mechanisches Reizmittel für die Secretion abgebe, halte er für 
einen Irrthum Pfadndlkr's, der mit den Experimenten Pawlow's im Wider¬ 
spruch stände. 

Escherich (Wien): Die Versuche Pawlow’s seien an jungen Hunden 
angestellt und daher nicht ohne weiteres auf den Magen des Säuglings 
zu beziehen. Um die Versuche Pfaundler’s als Irrthum bezeichnen zu können, 
dazu müßten dieselben erst nachgeprüft, resp. widerlegt werden. 

Schlossmann (Dresden): Ueber Technik und Bedeutung calori- 
metrischer Bestimmungen bei der Ernährung von Kindern. 

Die calorimetrische Untersuchungsmethode, deren Bedeutung 
wohl im Allgemeinen genügend gewürdigt wird, hat sich in der 


Praxis noch wenig Eingang zu verschaffen gewußt, obschon der 
Arzt heute gewohnt ist, mit Methoden zu arbeiten, die mindestens 
die gleichen technischen Fertigkeiten erfordern. Hieran mag zum 
Theil die Complicirtheit, vielleicht auch der hohe Preis schuld 
sein, den die calorimetrischen Bestimmungsapparate zeigten. Neuer¬ 
dings haben wir jedoch in dem HEMPEL’schen Apparat einen sol¬ 
chen kennen gelernt, bei dem alle diese Einwände und Hinderungs¬ 
gründe hinfällig werden. 

Es wird der complete, etwa 250 Mk. kostende Apparat ein¬ 
gehend beschrieben und dargelegt, wie die einzelnen zur Verbren¬ 
nung kommenden Nahrungsmittel oder Ausscheidungsstoffe des 
Körpers hiezu vorbereitet werden. Vor Allem sind umfassende 
Untersuchungen über die Milch gemacht worden. Es wurden dabei 
folgende Werthe gefunden: 

1 Gramm Milchzucker . . 3’862 

1 „ Kuhmilchfett . . 9 246 

1 „ Frauenmilchfett . 9-392 

Den N der Kuhmilch ergibt pro Gramm einen Wärmefactor 
von 3879, d. h. diejenige Menge N-haltige Substanz der Kuhmilch, 
die gerade 1 Grm. Stickstoff enthält, gibt 3979 Calorien. Während 
dieser Werth für die Kuhmilch feststeht, ergeben die Frauenmilch- 
Stickstoffbestimmungen etwas schwankendere Werthe. Es findet 
sich jedoch hier für die Mehrzahl der Fälle ein Factor von 416. 
Aus diesen Zahlen ergibt sich, daß 1 Grm. Frauenmilcheiweiß 
etwa 6*55 Calorien haben würde. Dieser Werth ist entschieden zu 
hoch, und erscheiut hienach die CAMERER’sche Annahme, daß 
sich in der Frauenmilch noch unbekannte Substanzen finden, die 
sehr stickstoffarm sind, von neuem gestützt. Was den Brennwerth 
der Frauenmilch anbetrifft, so schwanken unsere Untersuchungen 
zwischen 876 und 567 Calorien, die erstere Milch hatte 5T°/ 0 , 
die letztere 1'6% Fettgehalt. 

Zum Schluß wird auf einen umfassenden Stoff- und Kraft¬ 
wechsel hingewiesen, bei dem ein 6 Monate altes Kind je 5 Tage 
mit verdünnter Sahne, Frauenmilch, Buttermilch und Buttermilch 
mit Sahne ernährt wurde. Bei diesem Versuche findet man die 
Thatsache, daß der kindliche Organismus auch ganz gewaltige 
Mengen von Eiweiß, wenn dasselbe nur in einer leicht verdaulichen 
Form, wie in der Buttermilch, gereicht wird, verdaut. Auch zeigt 
sich , daß der calorimetrische Nutzeffect bei der Buttermilchernäh¬ 
rung sogar noch ein größerer ist, als bei der Ernährung mit 
Frauenmilch, indem von dem letzteren Falle von 2700 eingeführ¬ 
ten Calorien sich 221, im ersteren Falle von 2985 nur 155 Ca¬ 
lorien im Stuhl wiederfanden. Entsprechend ist die Zunahme 150, 
bezw. 210 Grm. Das Nähere ist aus der folgenden kurzen Tabelle 
ersichtlich. 

Kind Merbitz, 6 Monate alt. 

20tägiger Stoff- und Kraftwechselversuch. 

(Je 5 Tage.) 


Gramm N, im Koth Calorien im Koth 
Nahrung m. d. Naiirung aus- m.d. Nahrung aus- Zunahme 
eingeführt geschieden eingeführt geschieden 


Sahno . 

726 

076 

2069 

122 

90 

Grm. 

Frauenmilch . . . 

876 

1-60 

2700 

221 

150 

n 

Buttermilch . . . 

23-54 

1-82 

2985 

460 

155 

n 

Buttermilch u. Sahne 

2339 

3-07 

4259 

460 

50 

n 


Hecker: Die sogenannte Abhärtung der Kinder. 

Die heute besonders in gebildeten Kreisen sehr verbreitete 
Art, Kinder mittelst verschiedener Kaltwasserproceduren „syste¬ 
matisch“ abzuhärten, ist nicht nur unzweckmäßig, sondern vielfach 
direct gesundheitsschädlich. Vortr. erhärtet das durch eine Reihe 
von Fällen, in denen Kinder mit schweren Anämien, Bronchial¬ 
katarrhen, Pneumonien, Darm- und nervösen Affectionen lediglich 
durch Sistirung der Kaltwasserprocedur vollständig geheilt wurden. 
Um ein besseres Urtheil über Werth und Unwerth derartiger Ab¬ 
härtung zu gewinnen, stellte Vortr. Nachforschungen an 50 Kindern 
seiner Clientei an. 

Von diesen 50 waren 25 im 1. Lebensjahre, 7 nach dem 
1. Lebensjahre und 18 gar nicht systematisch abgehärtet. Vortr. 
unterscheidet zwischen mild Abgehärteten (nimmt täglich 
Waschung, kühles Bad oder Abreibung) und streng Abgehfir- 


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teten (kalte Uebergießung oder Kaltwasserprocedur mehr als ein¬ 
mal täglich). 

1. Wirkung der Abhärtung auf die Disposition 
zuErkältungskrank beiten: Von 16 nicht Abgehärteten waren 
5 = 31 %, von 13 mild Abgehärteten 5 = 38%, von 21 streng Ab¬ 
gehärteten 13 = 62% ausgesprochen empfänglich für Erkältungen. 

Auffallender ist das Verhältniß noch bei Säuglingen. Von 
15 streng abgehärteten Säuglingen waren 11 = 73% empfänglich. 

2. Wirkung auf das Nervensystem. Bei milder Ab¬ 
härtung 3mal günstige und 4mal ungünstige, bei strenger Abhär¬ 
tung 4mal günstige und 8mal ungünstige Wirkung. 

3. Wirkung auf die Psyche. Von 15 streng Abgehär¬ 
teten über 2 Jahren waren 7 abnorm reizbare, nervöse Kinder ; 
unter den nicht Abgehärteten war keines übertrieben lebhaft oder ab¬ 
norm reizbar. 

4. Einfluß auf den allgemeinen Gesundheitszu¬ 
stand und die allgemein e Krank heitsdisposition. Von 
15 nicht Abgehärteten blieben 8=53% in dem ersten Lebensjahr voll¬ 
ständig gesund, von 13 mild Abgehärteten 7=53%, wogegen von 
21 streng Abgehärteten nur 4 = 19% als gesunde Kinder sich ent¬ 
wickelten, 14 davon = 66% machten schwere Erkrankungen durch 
und blieben richtige Sorgenkinder. 

5. Abhärtung und adenoide Vegetationen. Ade¬ 
noide Vegetationen finden sich 

bei nicht Abgehärteten in 20% 

„ mild „ „ 30% 

n 8tren S n » 40 % 

der Fälle. 

Die übertriebene Abhärtung kann zu schweren Schädigungen 
führen und zwar findet man schwere Anämien, Erkrankungen des 
Gesammtnervensystems, wie Neurasthenie, Anorexie, Clamor nocturnus 
psychische Reizbarkeit, Veränderung des Charakters etc. Sie ge¬ 
währt nicht nur keinen Schutz vor Erkältungen, sondern erhöht 
sogar die Disposition hiezu; sie führt zu allen möglichen chroni¬ 
schen Darmerkrankungen und bewirkt bei intercurrenten Krankheiten 
einen schweren Verlauf derselben. 

Körperliche Abhärtung ist nothwendig, nur geschehe sie durch 
natürliche adäquate Mittel, welche wirklich geeignet sind, die 
Widerstandskraft gegenüber Unbilden des Klimas zu erhöhen. 

Solche Mittel sind nicht die sportartig betriebenen kalten 
Güsse und Waschungen etc., sondern in erster Linie Luft (keine 
Schlafsäcke, Bloßliegenlassen, Nackt- und Barfußlaufen etc.), ferner 
richtig angepaßte Kleidung, Wasser nicht kälter und nicht häufiger, 
als es sich mit dem Wohlbefinden verträgt. 

Jede Abhärtung erfolge allmählich und unter sorgsamster Beo¬ 
bachtung der Individualität des Kindes. Kein Abhärtuugsscliema ! 
Säuglinge sind überhaupt nicht abzuhärten, sondern warm zu 
halten. 

Anämische und nervöse Kinder dürfen nicht im gewöhnlichen 
Sinne „abgehärtet“ werden. 

Discussion: Heubner (Berlin) hält gleichfalls die Ueberlegung der 
Abhärtung junger Kinder für außerordentlich wichtig und hält es für noth¬ 
wendig, energisch Protest gegen das planlose Abhärtungssystem der Laien zu 
erheben. Aehnlich wäre es mit der Anwendung der Soolbäder bestellt. 

Schmidt-Monnard (Halle) hat häufig Gelegenheit Kinder zu sehen, 
die nach dem Princip des Natnrheilverfahrens erzogen werden und findet 
häufig, daß die Kinder, die am meisten abgehärtet werden, die elendesten sind. 

Escherich (Wien) weist auf die günstigen Abhärtungserfolge bei 
englischen Kindern hin. 

Hochsinger (Wien) hält die Umfrage bei den Müttern über die Ent¬ 
scheidung nach der Güte des Verfahrens nicht für recht brauchbar und 
beobachtet öfter einen Zusammenhang von adenoiden Vegetationen im Sinne 
der Mehrung mit den Abhärtungsmethoden. 

Förster (Dresden): Die Kinder, welche nach der Umfhtge durch die 
Abhärtung geschädigt sein sollen, könnten dieser auch ohne dieselbe ver¬ 
fallen sein. 

Baginsky (Berlin): Säuglinge sind nicht abzuhärten. Dia Vegetationen 
stehen in .keinem Zusammenhänge mit Abhärtungsmethoden. 

v. Ranke (München) hebt hervor, daß für die Abhärtungsmethode häufig 
der Grund in einer schwachen Constitution der Eltern zu suchen sei, die da 
glauben , durch derartige Curen ein stärkeres Geschlecht als sie selbst heran¬ 
ziehen zu können. •:’! 

Hecker (München) (Schlußwort) sieht die günstigen Erfolge der 
englischen Erziehung darin, daß dieselbe nur ad äquate Verfahren anwende. 


Durch die Umfrage bei den Müttern habe Redner sich nicht über die Erfolge 
oder Mißerfolge der Abhärtung orientiren wollen, sondern nur ein Urtheil be¬ 
kommen wollen, wieviel Kinder überhaupt abgehärtet werden. 

J. Comby (Paris): Die interne Behandlung der tuberculösen 
Peritonitis. 

Im Anschluß an eine frühere Mittheilung (im „Archive de 
med. des enfants“, 1899, pag. 726) über eine Spontanheilung einer 
tuberculösen Peritonitis bei einem 11jährigen Mädchen referirt 
Comby über die weiteren Beobachtungen, welche gleichfalls ohne 
chirurgischen Eingriff mit vollkommener Genesung verliefen. Der 
erste Fall betraf ein 8 1 / 2 jähriges Mädchen, das außer der Perito- 
nealtuberculose mit reichlichem Exsudat (Ascites) einen Herd in 
der rechten Lunge und eine Knochenerkrankung am Zeigefinger 
der rechten Hand, sowie eine Entzündung des linken Ellenbogen¬ 
gelenkes aufwies. Das Kind war stark abgemagert, appetitlos, 
dauernd fiebernd. Innerhalb 8 Monaten trat allein durch hygie¬ 
nische und medicamentöse Maßnahmen vollkommene Heilung ein. 
Im zweiten Falle handelte es sich um ein lOjähriges Mädchen. 
Dasselbe war fieberfrei. Mäßiger Ascites, aber deutliche Drüsen- 
Schwellungen, die den Eindruck veritabler Tumoren machten. Schon 
nach einem Monate auffallende Besserung, im Verlaufe von 8 Mo¬ 
naten blühender Gesundheitszustand. Der dritte Fall betraf einen 
7jährigen Knaben, der an einer trockenen, fibrinösen Peritonitis 
tuberculosa erkrankt war. Hochgradiger Meteorismus des Bauches, 
heftige Schmerzen, Nachweis deutlicher Knoten, auffallende Blässe 
und Abmagerung des Kindes führten zur Diagnose. Nach wenigen 
Monaten vollkommene Heilung. 

Comby hält sich ganz besonders durch den Umstand zur Ver¬ 
öffentlichung dieser günstigen Erfolge für berechtigt, weil durch 
die einseitige Empfehlung der Laparotomie beinahe der Glaube an 
eine Heilung der tuberculösen Peritonitis ohne Operation verloren 
gegangen ist. Wenn bei den beiden ersten Formen (mit Ascites) 
vielleicht die Operation gleichberechtigt neben der inneren Behand¬ 
lung steht, so ist letztere bei der fibrinösen Form sogar vorzu¬ 
ziehen. Der Schlußsatz Comby’s gipfelt in den Worten, daß ein 
großer Theil von Fällen von Peritonitis tuberculosa des Kindes- 
und Jünglingsalters heilbar ist einzig und allein durch hygienische 
Maßnahmen. 

Ein Bild über die Resultate der einfachen internen Behand¬ 
lung im Vergleich zu denen, welche die Chirurgie liefert, gewinnt 
man durch die Lectüre einer diesbezüglichen Zusammenstellung 
in den „Archive de med. des enfants“, 1902, pag. 40. Die Factoren, 
welche die interne Behandlung der Peritonitis tuberculosa aus¬ 
machen, setzen sich zusammen aus: absoluter Bettruhe, wochen- 
und monatelang , Sorge für frische Luft und Sonnenlicht (offene 
Fenster, nach Süden gelegene Zimmer, bei gutem Wetter Aufent¬ 
halt im Freien in portativen Betten oder besonderem Kranken¬ 
wagen) , Berücksichtigung der Diät (Milch, Eier, rohes Fleisch, 
Fleischsaft, Gemüsepur6e), Aufenthalt auf dem Lande, an der See 
(auch im Winter). Von medicamentösen Mitteln kommen in Betracht: 
Leberthran mit oder ohne Creosot, Glycerin, phosphorsaurer Kalk ; 
ferner außerdem Creosotölklystiere, Einreibungen des Abdomens 
mit Jod oder grüner Seife. 

Disenssion: ßaginsky (Berlin) ist auch der Meinnag, daß der interne 
Arzt in den meisten Fällen von tub. Meningitis ebensoviel Verreichen kann als 
der Chirurg. Unter allgemeiner Behandlung ist die Schmierseifeneinreibung zu 
verwenden. 

Hochsinger (Wien): Seine Erfahrungen bezüglich der Operation sind 
ungünstig; drei in der Privatpraxis wegen tub. Peritonitis operirte Fälle sind 
gestorben. Trotzdem rathe er in den Fällen, wo der Leibesumfang schnell 
wächst, die Kinder rapid verfallen, zur Operation, da dieselbe, wenn auch 
keine Heilung, so doch eine momentane Erleichterung schaffe. 

Monti (Wien) hält die Formen von Tub. subacuta peritonei für die 
Operation geeignet, die Fälle mit stärkeren Verwachsungen für ungeeignet. 
Die See beeinflusse die Tub. peritonei günstig für eine gewisse Zeit, aber nach 
Monaten oder Jahren bekommen die Kinder trotzdem irgendwo neue Herde. 
Monti hält eine allzu sanguinische Hoffnung auf die interne Behandlung für 
nicht berechtigt. 

Ganghofner (Prag) konnte bei localer Behandlung nebst Berücksichti¬ 
gung der allgemeinen Ernährung u. s. w. auch nach Jahren den Bestand der 
Heilung constatiren. Jedenfalls könne man abwarten und brauche nicht ohne 
weiteres die Fälle dem Chirurgen überweisen. 


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1761 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 39. 


1762 


Schlossmann (Dresden): Ueber Tuberculose im frühen Kindes¬ 
alter. 

1. Die Häufigkeit der Tuberculose im frühen Kindesalter, 
besonders im Säuglingsalter, schwankt innerhalb beträchtlicher 
Grenzen nach den Mittheilungen, die von den verschiedenen Autoren 
und aus verschiedenen Orten stammen, doch scheint es, als ob bei 
einem und demselben Material große Unterschiede in Bezug auf die 
Häufigkeit der tuberculösen Affeetionen im Säuglingsalter Vorkom¬ 
men. Wirtschaftliche Krisen, die eine schlechtere Ernährung in 
der Schwangerschaft und des Volkes überhaupt bedingen, er¬ 
scheinen indirect die Häufigkeit der Tuberculose im Säuglingsalter 
zu begünstigen. 

2. Im Säuglingsalter über wiegt die r e i n e Tuberculose, die 
mit anderen Infectionen nicht vergesellschaftet ist. 

3. In vielen Fällen verläuft die Tuberculose im Säuglings¬ 
alter vollkommen fieberfrei. 

4. In weitaus der Mehrzahl aller Fälle vermag man im 
Sputum, bezüglich in dem durch Auswischen oder Ansaugen ge¬ 
wonnenen Schleime bei Säuglingen Tuberkelbacillen nicht mikro¬ 
skopisch nachzuweisen. Auch im Stuhl gelingt es nur ganz aus¬ 
nahmsweise, Tuberkelbacillen zu finden. Bei negativem mikrosko¬ 
pischen Fund ergibt zuweilen die Verimpfung des Auswurfs auf 
Meerschweinchen noch positive Erfolge. 

5. Das einzige diagnostische Hilfsmittel, um die Tuber¬ 
culose im Säuglingsalter mit Sicherheit festzustelleu, ist das 
Tuberculin. 

6. Sachgemäß ausgeführt, ist die Tuberculinprobe bei Säug¬ 
lingen a) vollkommen unschädlich, b) ein diagnostisches Hilfs¬ 
mittel , das vollkommen eindeutige Resultate ergibt. Aus diesen 
Gründen ist die Benutzung des Tuberculins besonders in Säug¬ 
lingsanstalten nicht nur gestattet, sondern sogar nothwendig (In- 
fection der Ammen, bezw. anderer Kinder durch saugende Tuber- 
culöse). 

7. Primäre Tuberculose des Verdauungstractes (Mesenterial¬ 
drüsen und Därme) ist von Sch. nie beobachtet worden, sie dürfte 
nach seinen Erfahrungen ein äußerst seltenes Verkoramniß sein, wenn 
sie überhaupt je einwandfrei festgestellt ist. Die Diagnose solcher Ver¬ 
änderungen darf nie makroskopisch, sondern nur mikroskopisch 
(Tuberkel oder Tuberkelbacillen) oder durch den Thierversuch 
festgestellt werden. Die großen Drüsen der Atrophiker, die man 
häufig intra vitam durch die Decken des Abdomens durchfühlt, 
und die sich bei der Section finden , sind Hyperplasien, die mit 
Tuberculose nicht ohneweiteres zusammenzuwerfen sind. 

8. Der Verdauungstractus des Säuglings erscheint nur schwer 
inficirbar. Die Erfahrung lehrt, daß auch häufiges Verschlucken 
von Tuberkelbacillen (Speichel der Mutter) nicht zu einer primären 
Darm- oder Mesenterialdriisen-Tuberculose führt. Erst massenhafte 
Einfuhr von Tuberkelbacillen ergibt Tuberculose des Magens , des 
Darms und der Mesenterialdrüsen (Tuberculose der Tonsillen, 
Durchbruch der Tuberculose in den Oesophagus). 

9. Die Erkrankung der Mesenterialdrüsen ist nicht immer 
bedingt durch Einwanderung der Tuberkelbacillen vom Darm aus, 
sondern kann auch durch directe Propagation mittels des Lymph- 
stromes erfolgen, indem die Lymphdrüsen durch das Zwerchfell 
secundär von den Bronchialdrüsen aus inficirt werden. 

10. Charakteristisch für die Tuberculose des Säuglingsalters 
ist die frühzeitige intensive Erkrankung der Bronchialdrüsen, zu¬ 
mal der au der Bifurcation. Ob dies jedoch den primären Sitz der 
Erkrankung darstellt, steht nicht für alle Fälle fest, da zuweilen 
der primäre Herd in den Tonsillen sichergestellt werden kann. 
Der Eingang der Tuberkelbacillen dürfte überhaupt zuweilen in 
den Tonsillen und in der Nasenrachenschleimhaut zu suchen sein. 

11. Auch bei ganz jungen Säuglingen, bei denen die Krank¬ 
heit in den ersten Lebenswochen zum Ausbruch kommt, haben wir 
eine Infection post partum als die Regel anzunehmen. In solchen 
Fällen erweisen sich die portalen Lymphdrüsen als nicht infectiös 
bei der Verimpfung. 


12. Anatomisch überwiegt die subacute Form der Tuber¬ 
culose. Ausgedehnte Verkäsung mit Cavernenbildungen sind durchaus 
keine Seltenheiten, hingegen bildet das Vorkommen von tubercu- 
löser Meningitis, überhaupt von tuberculöser Affection des Gehirns 
sowie die Knochentuberculose eine Ausnahme. 

13. In jedem Falle von Tuberculose im Säuglingsalter ge¬ 
lingt es, bei genügender Nachforschung festzustellen, daß das Kind 
in enge Berührung ifcit einer tuberculösen Person gekommen ist. 
Die tuberculöse Infection durch Milchgenuß spielt in der Aetiologie 
der Säuglingstuberculose in Deutschland keinerlei Rolle. 

Ebstein (Prag) hat die Tuberculose im frühesten Säuglingsalter nur 
äußerst selten gesehen, auch wenn Mütter oder Ammen Spitzenherde nach- 
weisen ließen. Waren aber die Mütter an progredienter Tuberculose erkrankt, 
so verfielen auch die Kinder meist derselben. Die Tuberculose des Kindesalters 
ist für gewöhnlich nicht ererbt, sondern durch Infection acquirirt. Mit Aus¬ 
nahme bei der ulcerirenden Form tuberculöser Bronchitis ist ihm der Nachweis 
von Tuberkelbacillen auch bei exquisiter Tuberculose nicht immer gelangen. 
Im ersten Lebensalter ist die Tuberculose der Darmdrüsen noch kein Beweis, 
daß dieselbe primär vom Darm ausgehen muß. 

Seitz (München) hat im frühen Kindesalter Darmdrüsentubercnlose sehr 
selten gesehen. 

Baginsky (Berlin) entsinnt sich überhaupt kaum, einen Fall von 
Darmdrüsentubercnlose gesehen zu haben , wo nicht die Bronchialdrüsen er¬ 
krankt waren. Die Tuberculose der Säuglinge häuft sich von 3 Monaten an ; 
wenn primäre Darmtuberculose vorhanden war, so waren die Kinder älter. 
Eine diagnostische Tuberculinimpfung möchte B. nicht empfehlen. 

. Escherich (Wien) hat selbst mit der von Hütinkl empfohlenen Magen¬ 
ausspülung zum Nachweis der Tuberkelbacillen im Inhalt Tuberkelbacillen 
nie gefunden. Tuberculinimpfung ist ein gutes diagnostisches Mittel, aber über 
den Sitz des tuberculösen Herdes gibt es keinen Aufschluß. 

SchloOmann (Dresden) hat niemals etwas Ungünstiges bei der Taber- 
culinimpfung gesehen. Er hat dieselbe auch bei den Ammen verwendet, 
und fand bei 50% positive Reaction; aus diesem Grunde konnten dieselben 
allerdings nicht alle von der Stillung ausgeschlossen werden, die Reaction gab 
aber Veranlassung zu weiterer genauer Beobachtung und Untersuchung 
derselben. ' 

Hecker (München) hält auch den klinischen Befund (Blässe, allmälige 
Erkrankung, Gewichtsstillstand u. s. w.) für ausreichend zur Sicherung der 
Diagnose. Die Tuberculinimpfung hält er für nicht statthaft. 

•' Eine Ansheilung der Tuberculose auch im Sänglingsalter hat er öfter 
beobachtet. 

Ebstein (Prag). Die Tuberculinimpfung ist werthvoll. Heilungen im 
Säuglingsalter hat E. nie gesehen, wohl aber im späteren Kindesalter. 

Flschl (Prag) hält die Diagnose der Säuglingstuberculose für sehr 
schwierig, da diese Kinder zu Lebzeiten meist nur Ernährungsstörungen auf¬ 
weisen. Von Tuberculininjectionen ist F. kein Freund. 

Schloßmann (Dresden) betont nochmals die Ungefährlichkeit der 
Tuberculininjectionen. Er wendet das alte Tub. Kochii in Dosen von i / 2 bis 
1 Mgr. an und kommt in allmäliger Steigerung auf 1 Dgrm. 

Brunning: Ueber Genitaltuberculose. 

Br. berichtet im Anschluß an zwei Beobachtungen aus dem 
Leipziger Kinderkrankenhaus über 45 Fälle von Tuberculose der 
weiblichen Genitalien im Kindesalter. Das Alter der Kinder schwankte 
zwischen 4 Monaten und 15 Jahren; die meisten Fälle wurden im 

1.—5. und im 10.—15. Lebensjahre beobachtet. 

Es kamen zur Beobachtung : 

1. Fälle mit Tuberculose der äußeren Genitalien allein ; 

2. Fälle mit Tuberculose der inneren Genitalien allein; 

3. Fälle mit gleichzeitiger Tuberculose der äußeren und 
inneren Genitalien. 

Am häufigsten waren die Fälle mit Tuberculose der inneren 
Abschnitte des Genitalschlauches. Meist handelte es sich um secun- 
däre Tuberculose im Verlauf tuberculöser Peritonitis. (Die ausführ¬ 
liche Arbeit ist erschienen in der „Monatsschrift für Geburtshilfe 
und Gynäkologie“.) 


Abtheilung für Augenheilkunde. 

A. Elschnig (Wien): Ueber ophthalmoskopische Befunde bei 
Anämie auf Grund langjähriger Beobachtungen. 

Erfindet 1. bei acuter posthämorrhagischer Anämie 
(schweren Fällen): Arterien und Venen der Netzhaut gleichmäßig 
erweitert, sehr blaß , an den gleichfalls blassen Papillen oft kaum 
wahrnehmbar; Oedem der Papille und angrenzenden Netzhaut; 
Hämorrhagien und Degenerationsherde in der Netzhaut sind die 
Regel. 


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1763 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 39. 


1764 


Bei einem Falle von plötzlicher Erblindung beider 
Augen nach Intestinalblutung fand Elschnio außer dem beschrie¬ 
benen „anämischen“ Verhalten der Gefäße ein der Embolie der Cen¬ 
tralarterien ähnliches Bild, aber zahlreiche Hämorrhagien. 

2. Bei chronischer Anämie: Netzhautgefäße gleich 
wie vorher, häufiger aber sind die Venen weiter, die Arterien ver¬ 
engt. Netzhautveränderungen (Blutungen, Degenerationsherde) sind 
spärlicher, fehlen öfters in leichteren Fällen. 

Bei Anchylostomiasis fand Elschnig nur einmal spär¬ 
liche Netzhautblutungen. 

3. Bei Chlorose fehlen immer schwerere Netzhautverände¬ 
rungen, nur die „anämische Beschaffenheit“ der Gefäße und zartes 
Oedem der Papille-Retina sind fast regelmäßig vorhanden. 

4. Bei pernieiöser Anämie sind die Gefäße meist 
normal calibrirt, nur blässer, der Augengrund von zahlreichen, 
meist kleinen Hämorrhagien tibersät; weiße Herde kommen sel¬ 
tener vor. 

5. Bei Leukämie fast immer (unter 12 Fällen llmal 
beiderseits) höchstgradigc Erweiterung und Schlängelung der Venen, 
weniger der Arterien, blasse Blutsäule, Oedem der Papille; in 
der Netzhaut spärliche , blasse Hämorrhagien , größere grauliche 
Trübungsflecke, seltener scharf abgegrenzte weiße Herde. Gleicher 
Befund wurde einmal bei acuter Leukämie erhoben. Bei 
Pseudoleukämie fehlen typische Netzhautveränderungen. 

Schließlich führt Elschnig an, daß er seit kurzem das Auf¬ 
treten körniger Störung in den Netzhautgefäßen bei Druck 
auf das Auge eingehender studirt und sehr große Verschiedenheiten 
in der Raschheit des Eintrittes derselben, die offenbar von der 
Agglutinationsfähigkeit der Erythrocyten abhängt, consta- 
tiren konnte. Ein abschließendes Urtheil über den balneologiscli- 
diagnostischen Werth dieses Phänomens wird erst bei länger 
fortgesetzten Untersuchungen möglich sein. 


Notizen. 


Wien, 27. September 1902. 

Die Karlsbader Naturforscher-Versammlung. 

Die abgelaufene Woche gehörte der Versammlung deutscher 
Naturforscher und Aerzte in Karlsbad. Ihr ist unsere heutige 
Nummer gewidmet. Dank dem trefflichen Zusammenwirken 
unserer Referenten und der wohlorganisirten Berichterstattung 
der „Freien Vereinigung der deutschen medicinischen Fach¬ 
presse“ sind wir in die Lage versetzt, unseren Lesern schon 
heute ein übersichtliches Bild der Verhandlungen der ersten 
Tage der Versammlung zu bieten, deren wissenschaftlicher 
Schwerpunkt in den Arbeiten der Abtheilungen zu suchen 
ist. Der Verlauf der Versammlung, an welcher überaus zahl¬ 
reiche österreichische Aerzte theilgenommen haben, muß als 
durchaus befriedigend bezeichnet werden. Wieder hat sich 
die Einrichtung der zeitweiligen Vereinigung theils aller, 
theils mehrerer Abtheilungen der medicinischen Hauptgruppe 
zu gemeinsamer Arbeit bewährt, sowie die Einladung einzelner 
Abtheilungen zu solchen Vorträgen in anderen Sectionen, 
welche das Interesse mehrerer Disciplinen voraussetzen. Für 
das Behagen und die Zerstreuung der Theilnehmer und ihrer 
Damen sorgten die gastfreie Curstadt und ihre Vertreter, unter 
ihnen in erster Reihe die Karlsbader Collegen. 

Als Vorort für die nächstjährige Versammlung wurde 
Kassel gewählt. 

* * 

* 

In Karlsbad hielt am 23. September die „Freie Vereinigung 
der deutschen med. Fachpresse“ ihre diesjährige Generalversamm¬ 
lung ab, in welcher nach Erledigung administrativer Gegenstände 
und Vorberathung einer Statutenänderung zum Vororte für das 
Jahr 1903 Berlin, in den Ausschuß Eulenburg, Posnek (Berlin), 
Spatz (München), Herrnheiser (Prag) und Adler (Wien) gewählt 
wurden. 


Die ärztliche Studienreise in Böhmen. Aus Krondorf-Sauerbrunn wird 
uns am 16. September berichtet: Unter Fährung des Prof. Ott trafen mittelst 
Sonderzuges von Teplitz heute Vormittags circa 250 Aerzte als Theilnehmer 
der II. ärztlichen Studienreise zu den böhmischen Brunnen in Krondorf- 
Sauerbrunn ein und besichtigten die Quelle und die Wasserversendungsein- 
richtungen eingehend. Dieselben spendeten den großartigen Einrichtungen des 
Etablissements ungeteilten Beifall und setzten nach einstündigem Aufenthalte 
die. Fahrt fort. 


INHALT: Zur 74. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. 
Karlsbad, 21. —27. September 1902. Aus der Chirurg. Abtheilung des bosn.- 
hereeg. Landesspitales zu Sarajevo. Ueber Steinoperationen. Von Primararzt 
Dr. Josef Prf.indlsbergkr. — Zur geschichtlichen Entwickelung der Schul¬ 
hygiene. Von Dr. med. Biciiard Landau, städtischer Schularzt in Nürnberg. — 
Hereditäre Frühsypliilis ohne Exanthem. Von Dr. Carl Hochsinger in Wien. — 
Feuilleton. Die Karlsbader Naturforscherversammlung. (Orig.-Corresp.) I. — 
Verhandlungen ärztlicher Vereine. Aus den Abtheilungen der 74. Ver¬ 
sammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. Karlsbad, 21.—27. Sep¬ 
tember 1902. (Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fach¬ 
presse“.) I. — Notizen. Die Karlsbader Naturforscherversammlung. — 
Nene Literatur. — Eingesendet. — Offene Correspondenz der Redaction 
und Administration. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 


Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
Postversendung. Die Preise derEinbanddeoken sind folgende: für die „Med. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
„Therapie der Gegenwart“: K 1.60 (1 Mark 40 Pf.) inel. Postversendung. 


Die Rubrik: „Erledigungen, ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 

MC* Wir empfehlen diese Rubrik der speciellen Beaohtung unserer 
geehrten Leser; in derselben werden öfters — neben der Publioation von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auch für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein können, welohe an eine 
Aenderung des Domioils oder ihrer Verhältnisse nicht gedacht haben. '3MI 


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XLIII. Jahrgang.- 

Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeder 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“.und 
die „Wiener Klinik J , letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikön- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse" 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 


Wien, den 5. October 1902. 


Nr. 40. 


Wiener 


AI mneuie , se: „Wiener Mediz. Presse" mit „Allgem. 
Mi'itäräiz. 1 “ner Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland : Jährl. 
20 Ä, halbj. 10 A', viertelj. 5 A’. Ausland: Für daä Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk. , halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 K; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Kaum 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein 
Sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien, I, Maximilianstr. 4. 


Medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Organ für praktische Aerzte. 

-.Qjg.- 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


E«daction: T*iephon Hr. 13.849. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Administration: Telephon Nr.9104. 


INHALT: öriginalien und klinische Vorlesungen. Bemerkungen zur Pathologie und Therapie des Diabetes mellitus. Von Prof. Dr. Carl v. Noorden 
in Frankfurt a. M. — Ueber eine seltene Complication der chronischen Gonorrhoe nebst Beiträgen zur pathologischen Anatomie der männlichen 
Urethra. Von Dr. Sif.ofbied Gross in Wien. — Zur Anatomie und Pathologie der Gallenorgane und des Pankreas. Von Dr. v. Büngner in 
Hanau. — Aus der Chirurg. Abtheilung des bosn.-herceg. Landesspitales zu Sarajevo. Ueber Steinoperationen. Von Primararzt Dr. Josef Preindls- 
berger. — Zur geschichtlichen Entwickelung der Schulhygiene. Von Dr. med. Richard Landau, städtischer Schularzt in Nürnberg. — Referate. 
Krönlein (Zürich) r Ueber den Verlauf jdes Magencarcinoms bei operativer und nicht operativer Behandlung. (Eine Bilanzrechnung.) — Scholtz 
(Königsberg): Ueber den Einfluß der ßoentgenstrahlen auf die Haut iu gesundem und krankem Zustande. — N. N. Kirikow und K. J. Korobkow 
(St. Petersburg): Ueber die Leukocytose bei der HANOT'schen Krankheit (hypertrophische, ikterische Lebercirrhose). — W. Spindler (St. Petersburg): 
Neue Erfolge in der Anwendung der localen Anästhesie. — Eugen Holländer (Berlin): Der Lupus erythematodes. — E. Wf.lander (Stockholm): 
Einige Worte über die Remanenz des Quecksilbers im menschlichen Körper. — W. Kopytowski und Wielowcyski (Warschau): Beitrag zur Klinik 
und pathologischen Anatomie der Pityriasis rubra Hebrae. — P. Rissmann (Osnabrück): Ueber die schnelle Erweiterung der Cervix mit dem 
Dilatatorium von Bossi. — W. Poten (Hannover): Die quere Eröffnung des Bauchfells, besonders bei der abdominellen Entfernung des Uterus¬ 
krebses. — Wilms (Leipzig): Tragfähiger Amputationsstumpf. — Kleine Mittheilungen. Die Gefahr der Chloroformnarkose. — Die Behandlung 
der Lungenblutung. — Tätowirung an Stelle der Augenprothese. — Resection des Nervus pudendus internus zur Behandlung de3 hartnäckigen 
Vaginismus. — Herba violae tricoloris bei hartnäckiger Acne vulgaris. — Formaliu als Conservirungsmittel des Harns. — Literarische Anzeigen. 
Specielle Diagnose der inneren Krankheiten. Ein Handbuch für Aerzte und Studirende von Wilhelm Leube. — Anleitung beim Stadium des 
Baues der nervösen Centralorgane im gesunden und kranken Zustande. Von Dr. Heinrich Obersteiner, o. ö. Professor und Vorstand des neuro¬ 
logischen Institutes an der Wiener Universität. — Gynaecologia Helvetica. Herausgegeben von Dr. O. Beuttner. — Feuilleton. Die Karlsbader 
, Naturforscherversammlung. (Orig.-Corresp.) II. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. Aus den Abtheilungen der 74. Versammlung deutscher 
Naturforscher und Aerzte. Karlsbad, 21.—27. September 1902. (Cofl.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen raed. Fachpresse“.) II. — 
Notizen. — Neue Literatur. — Eingesendet. — Offene Correspondenz der Redaction nnd Administration. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 

Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse “ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Bemerkungen zur Pathologie und Therapie 
des Diabetes mellitus. 

Von Prof. Dr. Carl V. Noorden in Frankfurt a. M. *) 

M. H.! Ich beabsichtigte, hier einige Punkte aus der 
diätetischen Therapie des Diabetes zur Sprache zu bringen, 
die alle eine erhebliche praktische Bedeutung haben und 
zum Theil mit Fragen im Zusammenhang stehen, die gerade 
in letzter Zeit die wissenschaftliche Forschung viel beschäftigt 
haben, so daß hier Theorie und Praxis in einander über¬ 
greifen. Ich möchte aber heute die Theorie bei Seite lassen 
und nur über die praktischen Erfahrungen am Krankenbette 
berichten, umsomehr, als wir hier in Karlsbad auf dem 
classischen Boden der empirischen Behandlung des Diabetes 
mellitus stehen, von wo aus seit vielen Jahrzehnten unaus¬ 
gesetzt neue und wichtige Anregungen zur Bekämpfung der 
unheilvollen Krankheit ausgegangen sind. 

Der erste Punkt betrifft die Frage der Eiweißzufuhr. 
Es ist seit langem bekannt, daß aus Eiweißkörpern im 
Körper Zucker entstehen kann, und daß der Diabetiker — 
wenigstens in schweren Fällen — auch große Mengen von 
Zucker ausscheidet, die vom Eiweiß abstammen; wie der 
Zucker aus dem Eiweiß entsteht, wird lebhaft discutirt und 
erscheint gerade jetzt schwerer zu beantworten, als wir alle 
vor etwa 5—10 Jahren dachten. Der Einfluß der Eiweißkost 


*) Vorlrag, gehalten in der Abtheilung für innere Medicin der 74. Ver¬ 
sammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte in Karlsbad. 


und der Eiweißzersetzung auf die Glykosurie läßt sich in 
allen schweren Fällen von Diabetes mit Leichtigkeit demon- 
striren, am besten wenn man die Kohlenhydrate völlig aus¬ 
geschlossen hat. Bleibt dann noch die Glykosurie bestehen, 
so gelingt eine weitere Verminderung derselben, eventuell 
eine völlige Beseitigung der Glykosurie durch Beschränkung 
der Eiweißzufuhr. Erneute Steigerung der Eiweißzufuhr ruft 
dann die Glykosurie wieder hervor. Bleiben alle übrigen 
Ernährungs- und Beobachtungsbedingungen genau die gleichen, 
so kann man durch Wechsel der Eiweißzufuhr dies Auf und 
Ab der Glykosurie beliebig oft her vorrufen, wobei man aber 
die Beobachtung macht, daß nicht etwa einer bestimmten 
Eiweißmenge eine bestimmte Zuckerausscheidung entspricht; 
vielmehr wechselt dieses Verhältniß von Fall zu Fall und auch 
im einzelnen Falle in den verschiedenen Phasen der Beob¬ 
achtung. 

Nachdem schon früher Cantani auf Grund solcher Er¬ 
fahrungen vor übertriebenem Fleischgenuß gewarnt, haben 
im Laufe des letzten Decenniums namentlich Naunyn, ich 
selbst, Lenne und neuerdings auch Kolisch diese Warnung 
schärfer präcisirt. Soweit schwerere Fälle in Betracht kommen, 
scheint mir die allgemeine ärztliche Piaxis der Forderung: 
nicht zu viel Eiweißnahrung, befriedigend Rechnung zu tragen ; 
anders aber bei leichteren Fällen. Bei der gewöhnlichen Dia¬ 
betikerkost nehmen die Patienten, wenn sie nicht ganz besondere 
Anweisungen über die Höhe der Eiweiß-, bezw. Fleischzufuhr 
erhalten haben, geradezu unglaubliche Mengen von Albumi- 
naten zu sich; man begegnet bei ihnen Stickstoffmengen von 
30—40 Grm. im Tagesharn, was einer Eiweißzufuhr von 
200—260 Grm. am Tage entspricht. Ich muß Lenne und 
Kolisch durchaus beistimmen, wenn sie eine derartige Höhe 

2 * 


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1779 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 40. 


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des Eiweißumsatzes nicht nur für unnöthig, sondern geradezu 
für schädlich erklären. Denn die Toleranz für Kohlenhydrate 
ist bei hoher Eiweißzufuhr in der Regel, auch in leichteren 
Fällen, viel geringer als bei niedriger Eiweißzufuhr. Als 
ein freilich ungewöhnlich prägnantes Beispiel diene folgende 
Beobachtung: Ein öOjähriger Diabetiker vertrug bei geringer 
Eiweißzufubr (12—15 Grm. N im Tagesharn), 100 Grm. Brot, 
ohne mehr als Spuren von Zucker auszuscheiden. In der folgen¬ 
den Woche erhielt der Patient als Zulage so viel Fleisch, 
daß der Harnstickstoff auf 28—32 Grm. anstieg ; sofort meldete 
sich wieder die Glykosurie, und zwar bis zur Menge von 
15 Grm. am Tage. Als der Patient darauf wieder zur früheren 
Diät zurückkehrte, sank die Glykosurie in wenigen Tagen 
wieder auf Null ab. Wenn man also darauf Werth legt, den 
Diabetikern so viel, aber nicht mehr Kohlenhydrate zuzuführen, 
als sie eben vertragen können, muß man auch in leichteren 
Fällen die Eiweißzufuhr in vernünftigen Grenzen halten. Es 
scheint, daß man durch fortgesetzt sehr hohe Eiweißgaben 
die Toleranz für Kohlenhydrate auf die Dauer schädigen kann. 

Die zweite Frage betrifft die Qualität des Eiweißes. 
Nach der Entdeckung, daß die Kohlenhydratgruppen nicht 
in jeder Eiweißart in gleicher Menge vorhanden seien, und 
in der — wie es scheint — nicht voll gerechtfertigten An¬ 
nahme, daß diese Gruppen die Quelle des Harnzuckers in 
schweren Fällen von Diabetes seien, hat man die verschiedensten 
Eiweiße auf ihre Beziehungen zur Glykosurie der Diabetiker 
geprüft, ohne aber bisher zu einem einheitlichen Resultate ge¬ 
kommen zu sein, so daß sich auf Grund der bisherigen, spär¬ 
lichen, wirklich exacten Beobachtungen noch nicht sagen läßt, 
ob das Milcheiweiß, das Eierklar, das Fleischeiweiß, das vege¬ 
tabilische Eiweiß die Glykosurie am meisten begünstigt. Ich 
habe dieser Frage seit etwa einem Jahre sehr eingehende 
Studien gewidmet, weil mir eine genaue Kenntniß dieser 
Dinge für die praktische Therapie sehr wichtig erschien. Als 
durchschnittliches Resultat der an mehr als 20 Patienten 
gemachten Beobachtungen habe ich folgende Scala aufzu¬ 
stellen : Am wenigsten führt Eierklar zur Glykosurie, dann 
folgen — ohne wesentliche Verschiedenheit untereinander — 
Pflanzeneiweiß, Casein und die natürliche Mischung von Eier¬ 
klar mit Eigelb in dem Verhältniß, wie sie in den Hühner¬ 
eiern vorhanden sind; hierauf folgt in einigem Abstande das 
Muskeleiweiß, wobei ein Unterschied zwischen den verschiedenen 
Provenienzen (also Fleisch von Säugethieren, Vögeln, Fischen) 
bisher nicht zu erkennen war. Ausdrücklich habe ich nun 
hervorzuheben, daß dies nur eine durchschnittliche Er¬ 
fahrung ist, denn die einzelnen Fälle verhalten sich durchaus 
verschieden; die Individualität des Patienten ist viel ma߬ 
gebender als die Eigenart des Eiweißkörpers. Man kann also 
nicht sagen: dieses Eiweiß begünstigt die Glykosurie mehr 
als jenes, sondern man muß sagen: in diesem besonderen 
Falle von Diabetes wird aus dem Eiweißkörper A mehr 
Zucker gebildet und in den Harn übergeführt als aus dem 
Eiweißkörper B. So verfüge ich z. B. über mehrere Fälle, 
wo bei absolut strenger Diät die Glykosurie von relativ 
hohen Werthen (d. h. P5 —2%) bis auf wenige Zehntel-Procent 
absank, als das sämmtliche Fleisch durch entsprechende Mengen 
von Eierklar ersetzt wurde (gleicher N-Gehalt der Fleisch¬ 
kost und der Eierklarkost), um sofort wieder anzusteigen, 
als man zu anderen Eiweißkörpern überging, z. B. zu Nutrose, 
oder zum Fleisch zurückkehrte. Andere Patienten reagirten 
auf den Austausch von Fleisch- und Eierkost oder von 
Fleisch und Roborat so gut wie gar nicht. In vielen Ver¬ 
suchen haben wir nun die eigenthümliche Beobachtung ge¬ 
macht, daß die Glykosurie sich jedesmal verhältnißmäßig 
günstig verhielt, wenn nur ein einzelner Eiweißkörper in 
der Kost enthalten war, also z. B. nur Fleisch, oder nur 
Eierklar oder nur vegetabilisches Eiweiß oder nur Milch¬ 
eiweiß. Sobald man aber diese Eiweißkörper mischte — wie 
sie ja in der gewöhnlichen Kost des Diabetikers gemischt 
dm gereicht werden —, so verschlechterte sich die Glykosurie 


sofort in auffallendster Weise; z. B. schied ein jugendlicher 
Diabetiker in der Fleischperiode durchschnittlich 20 Grm. 
Zucker täglich aus, in der Eierklarperiode durchschnittlich 
8 Grm.; als wir dann halb Fleisch, halb Eierklar gaben, 
erhöhte sich die Glykosurie auf 30 Grm. täglich. Dies ist 
eine höchst auffallende und so viel ich sehe, bisher noch nicht 
bekannte Thatsache, für die man noch keine Erklärung geben 
kann. 

Für die Praxis können diese Studien noch nicht sehr 
fruchtbar gemacht werden; denn selbst wenn man — wie 
es nothwendig wäre — für jeden Fall besonders bestimmen 
würde, welches Eiweiß am besten, welches am schlechtesten 
vertragen wird, muß man sich doch nicht einbilden, daß 
man mit einer bestimmten Form von Eiweiß die Ernährung 
in praxi durchführen kann. Das ginge nur, wenn man es mit 
einem Falle zu thun hätte, wo gerade das Fleischeiweiß 
erheblich besser als alle anderen Albuminate vertragen wird. 
Das sind aber gerade die seltensten Fälle. In Bezug auf 
Eiereiweiß, vegetabilisches Eiweiß, Casein, Plasmon, Nutrose etc. 
kommt man aber bald nach Tagen, bald nach Wochen an 
eine Grenze der Aufnahmefähigkeit, die gebieterisch Aenderung 
erheischt, wenn man nicht schwere Störungen der Appetenz 
und der Verdauung heraufbeschwören will. Außerdem scheint 
mir der wirkliche, praktisch-therapeutische Gewinn 
nicht so groß zu sein, daß er die Entbehrungen wett macht, 
die man durch eine solche einseitige Kost den Patienten 
auferlegt; ich habe auch, abgesehen von einer etwas geringeren 
Glykosurie, nicht gefunden, daß der Allgemeinzustand der 
Patienten bei Beschränkung auf gewisse Eiweißkörper besser 
war, als wenn man die verschiedenen Eiweißkörper in der 
üblichen Weise mischt. 

Als dritte Frage möchte ich kurz besprechen, wie man 
sich angesichts des Nachweises, daß Fettzufuhr die Aus¬ 
scheidung der Acetonkörper erhöht, in der Praxis zu der 
Fetternährung der Diabetiker stellen soll. Unter allen Nah¬ 
rungsfetten erhöht die Butter am stärksten die Ausscheidung 
der Acetonkörper; dieä dürfte mit dem Gehalte an niederen 
Fettsäuren Zusammenhängen, wie schon aus Versuchen von 
Schwärz wahrscheinlich war und wie es durch die Versuche 
von Mohr und Loeb (aus meiner Krankenabtheilung) bewiesen 
scheint. Durch Zufuhr von 56 Grm. Buttersäure stiegen die 
Acetonkörper (also Oxybuttersäure und Aceton, als Aceton 
berechnet) um 21 Grm. Der Werth, um den die Acetonkörper¬ 
ausscheidung in den einzelnen Fällen durch Zufuhr von Butter 
und anderen Fetten in die Höhe getrieben wird, ist äußerst 
verschieden; in leichteren Fällen gering, ist der Einfluß in 
schweren Fällen manchmal so groß, daß auf je 12—15 Grm. 
Butterzulage 1 Grm. Acetonkörper entfallen (zumeist in Form 
von Oxybuttersäure). Die anderen, an niederen Fettsäuren 
armen Speisefette scheinen um circa */ 4 — 1 / 3 weniger stark 
die Acetonkörperausscheidung zu erhöhen. Im Princip ist es 
unter diesen Umständen wohl rathsam, anderen Fetten, der 
Butter gegenüber, den Vorrang in der Diabetikerkost einzu¬ 
räumen ; doch stößt es praktisch auf große Schwierigkeiten, 
da kein anderes Fett so vielfacher Anwendung fähig ist und 
auf die Dauer so gut vertragen wird wie das Milchfett. 
Man kann sich dadurch helfen, daß die Butter sehr gut aus¬ 
gewaschen wird, wodurch ihr ein großer Theil der niederen 
Fettsäuren entzogen wird. In der Praxis hat man leider die 
Furcht vor einer durch Fett- und insbesondere Butterzufuhr 
drohenden Acidosis sehr übertrieben. Ich habe in den letzten 
Monaten viele Patienten gesehen, denen man die Fette und 
vor Allem die Butter auf das strengste verboten hatte. Da 
man ihnen gleichzeitig nur sehr wenig Kohlenhydrate ge¬ 
währte und da man allen Grund hat, eine übertriebene Eiwei߬ 
zufuhr zu verhindern, so muß man wirklich fragen, wovon 
denn diese Patienten nach der Meinung ihrer Berather noch 
leben sollen. Gegen die Einseitigkeit und Unüberlegtheit 
solcher Verbote möchte ich hier entschieden Stellung nehmen. 
Ohne eine gewisse, nicht allzu geringe Fettzufuhr, kommt 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 40. 


1782 


man beim Diabetiker, den man bei Kräften halten will, auf 
die Dauer gar nicht aus. Man wird auch hier zwischen den 
Extremen laviren müssen, und da habe ich zur Beruhigung 
allzu großer Aengstlichkeit vor Acetonkörperintoxication doch 
Folgendes hervorzuheben: 

1. Ein wesentlicher Einfluß der Fettzufuhr auf die 
Acetonkörper beginnt selbst in schweren Fällen erst, wenn 
die Fett-, bezw. Butterzufuhr etwa 150 Grm. am Tage wesentlich 
übersteigt. 

2. Beim Verzicht auf diese Fettmenge würde zwar die 
Ausscheidung der Acetonkörper etwas vermindert werden, 
aber die Differenz ist nicht so groß, daß sie eine so tief 
in die Gesammternährung einschneidende Verordnung, wie 
das Fettverbot eine ist, rechtfertigen könnte. Das Plus an 
Acetonkörpern wird bei fortgesetztem Alkaligebrauche leicht 
aus dem Körper herausgeworfen, so lange als die Krankheit 
nicht in ein zügellos fortschreitendes Stadium getreten ist. 

3. Die Steigerung der Acetonkörper durch höhere Fett¬ 
zufuhr markirt sich besonders in den ersten Zeiten hoher 
Fettzufuhr und ist also bei kurzen Versuchsreihen, wie sie 
bisher mitgetheilt sind, am auffallendsten. Wenn der Fall 
in seiner Gesammtheit nur einigermaßen günstig liegt, sinkt 
nach 8—10 Tagen trotz hoher Fettzufuhr die Acetonaus¬ 
scheidung wieder auf die gleichen oder noch niedrigeren 
Werthe, als die man bei geringer Fettzufuhr zu verzeichnen 
hatte. 

Ich glaube, daß man durch die theoretischen, sehr 
wichtigen und sehr interessanten Studien über die Beziehungen 
der Fettkörper zu den Acetonkörpern sich noch nicht abhalten 
lassen braucht, an den bisher gütigen Ernährungsgrundsätzen 
festzuhalten. 

Der vierte und letzte Punkt, den ich besprechen möchte, 
betrifft die Frage der Kohlenhydraternährung der Diabetiker. 
Daß verschiedene Kohlenhydrate sehr verschieden auf die 
Glykosurie einwirken, ist seit langem bekannt und ins¬ 
besondere durch Külz eingehend studirt worden. In praktischer 
Hinsicht ist nur das eine bedeutungsvoll, daß die Lävulose 
sehr viel besser vom Diabetiker ausgenützt wird, als alle 
anderen, in unseren Nahrungsmitteln vorkommenden Kohlen¬ 
hydrate. Fast gar keine Beachtung hat man bisher der Frage 
gewidmet, ob ein und dasselbe Kohlenhydrat, insbesondere 
das Stärkemehl, verschieden ausgenützt wird, je nachdem in 
welcher Form es dargereicht wird. Im Allgemeinen pflegt 
man die einzelnen stärkemehlhaltigen Substanzen nach ihrem 
Kohlenhydratgehalte gegeneinander abzuschätzen; so ist es 
z. B. in den Tabellen von Külz, Naünyn und von mir ge¬ 
schehen. Es werden z. B. 80 Grm. Hafer, 70 Grm. Reis, 300 Grm. 
Kartoffeln je 100 Grm. Weißbrot gleich geschätzt, weil die 
genannten Mengen etwa gleichviel, d. h. circa 60 Grm. Stärke¬ 
mehl enthalten. Auf diesem Gebiete scheinen mir aber doch 
noch weitere Untersuchungen erforderlich. Ich habe im letzten 
Jahre sehr ausgedehnte Untersuchungen über die Toleranz 
der Diabetiker für ein gewisses Nahrungsmittel, den Hafer, 
gemacht. Da stellte sich nun die bemerkenswerthe Thatsache 
heraus, daß in sehr vielen, besonders in schweren Fällen von 
Diabetes der Hafer mindestens doppelt so gut vertragen 
wurde, wie äquivalente Mengen von Brot. Man kann hieraus 
aber keine allgemein gütige Regel ableiten, denn die einzelnen 
Fälle verhielten sich durchaus verschieden, in einigen wurde 
sogar bei Haferzufuhr mehr Zucker ausgeschieden als unter 
Darreichung von Brot mit gleichem Stärkegehalt. In anderen 
Fällen aber stellte sich das paradoxe Verhältniß heraus, daß 
unter allmälig steigender Haferzufuhr die Glykosurie nicht 
nur nicht anstieg, sondern in dem Maße, wie der Hafer in 
der gesammten Kost die Vorherrschaft erlangte, sich sogar 
verminderte, natürlich unter gleichzeitiger Abnahme der 
Acetonurie. Da war z. B. ein Fall, wo bei absolut strenger 
Diät die Glykosurie immer noch 30—40 Grm. erreichte und 
die Acetonurie 15—2 Grm. betrug; als dann die gewöhn¬ 
liche strenge Diät durch große Mengen Hafer (200 Grm.!), 


daneben Eiereiweiß, reichlich Butter, ferner etwas Fleisch¬ 
brühe , Thee und Kaffee ersetzt wurde, fiel nach vorüber¬ 
gehender Steigerung die Glykosurie bis nahezu auf Null ab 
und das Aceton verschwand bis auf Spuren. Der Fall steht 
durchaus nicht vereinzelt da; ich werde vielmehr an anderer 
Stelle noch über mehr als ein Dutzend ähnlicher Fälle be¬ 
richten. Die Erfahrung ist übrigens nicht ganz ohne Analogien. 
Ich erinnere daran, daß schon vor sehr langer Zeit v. Döhrinq 
mittheilte, daß er bei vorzugsweiser Reiskost nicht nur nicht 
ein Steigen, sondern sogar eine Verminderung der Glykosurie 
beobachtet habe; neuerdings berichtet Mosse ähnliches über 
die Ernährung der Diabetiker mit Kartoffeln; ferner ist auch 
die Erfahrung von Winternitz hieher zu rechnen, daß bei aus¬ 
schließlicher Milchdiät die Glykosurie häufig stark absinke 
oder sogar verschwinde, in Fällen, wo Beschränkung der 
Kohlenhydrate nicht zum Ziel geführt habe. Ich kann aus 
eigener Erfahrung sowohl für Reisdiät, wie für Kartoffel¬ 
fütterung und für Milchdiät diese Beobachtungen theilweise 
bestätigen, muß aber erstens hervorheben, daß ebenso wie 
bei Haferfütterung die guten Resultate doch nur in einzelnen 
Fällen hervortreten, und zweitens, daß die Resultate mit den 
anderen soeben erwähnten Nahrungsstoffen doch bei weitem 
nicht so schlagende sind, wie gerade bei Haferkost. 

Es ist sehr schwer, auf Grund unserer heutigen Kennt¬ 
nisse über die Bedingungen der diabetischen Glykosurie die 
Frage zu beantworten, worauf jene eigenthümliche und para¬ 
doxe Erscheinung beruht. Ich halte es nicht für unmöglich, 
daß die Beigabe anderer, im Hafer enthaltener Stoffe, etwa 
der Salze, dem steigernden Einflüsse der Kohlenhydrate auf 
die Glykosurie entgegenarbeiten. Wir sind damit beschäftigt, 
entsprechende Untersuchungen anzustellen und vor Allem 
auch noch weitere Arten von stärkehaltigen Nahrungsmitteln 
zum Vergleiche heranzuziehen. Auf einen Punkt möchte ich 
aber schon jetzt aufmerksam machen; die besonders günstigen, 
Toleranz steigernden Resultate der Haferfütterung wurden 
nur da erzielt, wo der Hafer in der Kost bei weitem vor¬ 
herrschte, und nur dann, wenn neben dem Hafer gar 
kein anderes Kohlenhydrat gegeben wurde. So¬ 
bald man etwa im Diätzettel Hafer mit Brot, Hafer mit 
Milch, Hafer mit Früchten etc. zusammenmischt, wird die 
Glykosurie zum mindesten nicht gebessert, häufig sogar ver¬ 
schlechtert. Wir finden hier also die gleiche Erscheinung 
wdeder, der wir schon einmal begegneten, als von dem Einfluß 
der verschiedenen Eiweißkörper auf die Glykosurie die Rede 
war. Die Deutung des Resultates ist dadurch aber keines¬ 
wegs leichter gemacht. 

Anfangs habe ich die Entdeckung, daß man durch über¬ 
wiegende Haferkost in schweren Fällen von Diabetes die 
Glykosurie und die Acetonurie enorm herabdrücken und die 
Toleranz für Stärkemehl enorm steigern könne, natürlich auf 
das lebhafteste begrüßt, und ich glaubte, daß man damit aus 
vielen Schwierigkeiten der Diabetesdiät sich heraushelfen 
könne. Leider hat aber die starke Haferfütterung, zu deren 
Unterstützung wir in der Regel entweder Eierklar oder 
Roborat hinzunehmen, auch ihre schweren Nachtheile. Zu¬ 
nächst geht es den Patienten freilich ausgezeichnet; nach 
einiger Zeit, etwa 10—14 Tagen, ist man aber genöthigt, die 
Diät gründlich zu ändern, weil die Patienten sie nicht mehr 
durchführen können. Dann macht man aber die unangenehme 
Erfahrung, daß die Toleranz für andere Arten von Nahrungs¬ 
mitteln, z. B. für Brot, nicht wesentlich gestiegen ist; die 
Glykosurie steigt sehr schnell wieder an. Noch schneller und 
unheimlicher steigt aber die Menge der Acetonkörper an, 
sobald man zu der gewöhnlichen Diabetesdiät, mit mittleren 
Mengen von Kohlenhydrat (etwa 80—100 Grm. Brot) zurück¬ 
kehrt. Ich habe noch niemals solche jähe Steigerungen der 
Acetonmengen von wenigen Dekagramm, ja sogar Centigramm 
auf mehrere Gramme täglich erlebt, wie bei der Rückkehr 
von Haferfütterung zur gewöhnlichen milden Diabetesdiät. 
Der Zustand verschlechterte sich dabei mehreremale so, daß 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 40. 


1784 


man mit der Möglichkeit eines Comas zu rechnen hatte. Dies 
ließ sich zwar immer noch abwenden, aber ich muß doch 
sagen, daß die Freude, die ich im Anfänge über die Ent¬ 
deckung hatte, dadurch wesentlich abgeschwächt worden ist. 
Es ist ja freilich zu hoffen und wohl auch mit Bestimmtheit 
zu erwarten, daß man aus der Erweiterung solcher Unter¬ 
suchungen und Beobachtungen lernen wird, das Nützliche zu 
verwerthen und die Nachtheile zu vermeiden. So interessant 
diese Studien in theoretischer Hinsicht sind, so wird doch in 
praktischer Hinsicht einstweilen durch sie noch nicht an den 
altbewährten Grundsätzen der Diabetestherapie gerüttelt, in 
denen eine weitgehende, aber individuell verschieden zu be- 
messende Beschränkung der Kohlenhydrate die weitaus 
wichtigste Rolle spielt. 


Ueber eine seltene Complication der 
chronischen Gonorrhoe 

nebst Beiträgen zur pathologischen Anatomie der männ¬ 
lichen Urethra. 

Von Dr. Siegfried Groß in Wien.*) 

Unsere Kenntnisse über die pathologisch-anatomischen 
Veränderungen bei der chronischen Gonorrhoe der männlichen 
Harnröhre stützen sich vornehmlich auf die bezüglichen Unter¬ 
suchungen von Neelsen und Finger. Die Resultate, zu welchen 
diese Autoren gelangt sind, stimmen in den wichtigsten 
Punkten gut überein ; im Wesentlichen beschreiben sie die 
Veränderungen im subepithelialen Bindegewebe, die Meta¬ 
plasie des Epithels, entzündliche Erscheinungen in und um 
die Lacunen und die LiTTRE’schen Drüsen, die bei längerem 
Bestände zu Schrumpfungsvorgängen an der Schleimhaut und 
ihren Anhängen führen können. 

Die Beobachtung, über welche ich hier berichten will, 
ermöglichte zunächst, diese anatomischen Bilder an einem in 
vivo excidirten Gewebsstücke einer Nachprüfung und Er¬ 
gänzung zu unterziehen; sie bietet aber auch ein besonderes 
Interesse dadurch, daß — so weit die Literatur lehrt — eine 
derartige Localisation einer chronisch-gonorrhoischen Ent¬ 
zündung bisher nicht beschrieben wurde. 

Herr P. consultirte mich im November 1901 wegen seiner 
chronischen Gonorrhoe. Die Infection war vor 1% Jahren 
erfolgt, seither steht Patient fast ununterbrochen in special¬ 
ärztlicher Behandlung; trotz derselben sind in dieser Zeit 
Exacerbationen wiederholt aufgetreten. Die Untersuchung 
ergibt das Bestehen eines geringen schleimigen gonokokken- 
hältigen Secretes. Bei genauer Palpation der Harnröhre 
konnte an der Unterseite derselben, unmittelbar hinter dem 
Sulcus coronarius ein über erbsengroßes Knötchen getastet 
werden, das der Urethra fest und unverschieblich aufsitzt. 
Wird das Präputium stark zurückgeschoben und derart das 
Frenulum angespannt, so wölbt der fragliche Knoten dasselbe 
bogenförmig vor. Entzündliche Reaction, Schmerzhaftigkeit 
fehlen vollständig. Eine Communication nach außen bestand 
niemals, ist auch zur Zeit nicht nachweisbar, ebensowenig 
läßt sich von dem Knoten gegen das Orificium urethrae hin 
irgend eine strangförmige Fortsetzung oder dergleichen nach- 
weisen. Von Zeit zu Zeit waren Größen Veränderungen des 
Knotens deutlich erkennbar. 

In der Annahme, daß dieser Knoten in ätiologischem 
Zusammenhänge mit der bestehenden chronischen Gonorrhoe 
sei, speciell daß durch zeitweilige Entleerung seines Inhaltes 
die Recrudescenz des gonorrhoischen Processes bedingt sei, 
schlug ich dem Patienten die operative Entfernung des Ge¬ 
bildes vor, in welche derselbe einwilligte. Bei der Operation 
wurde schichten weise in die Tiefe präparirt und das der 


*) Vortrag, gehalten in der Abtheilung für Dermato-Syphilidologie der 
74. Versammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerete in Karlsbad. 


Urethra unmittelbar aufliegende Knötchen ziemlich leicht 
aus dem angrenzenden, schwielig verdickten Gewebe aus¬ 
geschält. Heilung per primam. 

Das excidirte Knötchen wurde nach Härtung in Alkohol 
in Serienschnitte zerlegt. Schon die erste flüchtige Durch¬ 
sicht der Serie lehrte, daß der Geschwulst ein außerordentlich 
mannigfach verzweigtes Gangsystem zugrunde liegt, welches 
von der urethralen Fläche derselben ausgehend das ganze 
Corpus cavernosum durchsetzt. Die Gänge sind auf den ein¬ 
zelnen Querschnitten von verschiedener Größe und Gestalt, 
auch ihre Zahl variirt in den Abschnitten der Serie; gleich¬ 
wohl kann man sich leicht davon überzeugen, daß sämmtliche 
Gänge miteinander in Communication stehen und ein einheit¬ 
liches Gebilde darstellen. 

Jeder einzelne Gangquerschnitt ist von einer dichten 
Rundzelleninfiltration in Form eines breiten Saumes um¬ 
schlossen. Die beschriebenen Gänge besitzen drüsige Anhänge. 
Dieselben finden sich häufig an dem blinden Ende eines 
Ganges, resp. Gangdivertikels, besitzen einen acinösen Aufbau, 
zeigen hohe, in den verschiedensten Phasen der Schleim- 
production befindliche Cylinderzellen. Sie liegen stets außer¬ 
halb der Gänge, gewöhnlich mitten in der die Gänge um¬ 
kleidenden Infiltrationszone. 

Mit Rücksicht auf ihre tiefe Lage, den acinösen Aufbau, 
endlich mit Rücksicht darauf, daß sie in das Gangsystem 
einmünden, sind sie wohl mit den LiTTRE’schen Drüsen zu 
identificiren. Sogenannte intraepitheliale Drüsen konnten nicht 
gefunden werden. 

Die Untersuchung des Gebildes lehrt also, daß es aus 
vielfach gebuchteten und verzweigten Gängen besteht, die 
sich zu einem kurzen, in die Urethra mündenden Gange ver¬ 
einigen. Die Gänge selbst entsprechen zweifellos den Mor- 
GAGNi’schen Lacunen. Das eigenthümliche Auswachsen der 
MoRGAGNi’schen Lacunen und ihre vielfache Verzweigung ist 
entweder angeborener weise vorgebildet, oder vielleicht durch 
den entzündlichen Proceß bedingt gewesen. Knötchenartige 
Bildungen an der Urethra kommen im Verlaufe einer Gonorrhoe 
nicht selten vor: als paraurethrale Entzündungen, als soge¬ 
nannte Follikel, als Periurethritis. Mit keiner dieser Affectionen 
kann die vorstehende Beobachtung identificirt werden. 

Wir müssen annehmen, daß das eigenthümliche klinische 
und anatomische Bild durch die besonderen vorgebildeten 
Verhältnisse (Divertikel der Urethra) unter Vermittlung des 
gonorrhoischen Entzündungsprocesses zustande gekommen ist. 

Die genaueren klinischen und anatomischen Details 
sollen in einer speciellen Mittheilung des Falles Darlegung 
finden. 


Zur Anatomie und Pathologie der Gallenorgane 
und des Pankreas. 

Von Dr. v. Büngner in Hanau. *) 

Die Forderung, die heute mit Recht an die chirurgische 
Behandlung der Gallensteine gestellt wird, begnügt sich nicht 
nur mit der Entleerung der Steine, sondern verlangt auch 
eine Freilegung des ganzen Choledochus und Inspection seiner 
Durchgängigkeit. Diese Forderung nun und praktische Erwä¬ 
gungen haben mich dazu veranlaßt, an 58 Leichen Erwachsener 
neue anatomische Untersuchungen über den Verlauf des Duct. 
choledochus, des Duct. Wirsungianus und deren Beziehungen 
zu einander anzustellen. 

Das Resultat dieser Untersuchungen war folgendes: 

Der Choledochus verlief fast stets — in 25% der 
Fälle — durch die Substanz des Pankreas hindurch und nur 
ausnahmsweise — in 5% der Fälle — am Kopf desselben 
vorbei. Dabei durchsetzte er den Kopf des Pankreas in durch- 

*) Vortrag, gehalten in der Abtheilung für Chirurgie der 74. Versammlung 
der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ae rate in Karlsbad. — Coll.-Ber. 
der „Fr. Verein, der deutschen medioinischen Fachpresie“. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 40. 


178G 


schnittlich 2 Cm. Länge. Der im Pankreas liegende Theil 
des Choledochus war so fest in das Gewebe desselben einge¬ 
schlossen , daß er auf stumpfem Wege nicht aus demselben 
herauspräparirt werden konnte. 

Der Choledochus vereinigte sich fast nie — nur in 
1—2°/o der Falle — mit dem Wirsungianus, sondern Chole¬ 
dochus und Wirsungianus mündeten beinahe immer — in 
98—99% der Fälle — getrennt in das Duodenum. Dabei 
erfolgte die Mündung beider Gänge in durchschnittlich 0‘2 Cm. 
Entfernung von einander am Boden des in der Papilla duo- 
denalis liegenden Diverticulum Vateri. Das relative Lage- 
verhältniß beider Gänge vor der Mündung verhielt sich ver¬ 
schieden, doch wurde der Wirsungianus in der Regel vom 
Choledochus überkreuzt. 

Der Wirsungianus verlief gewöhnlich ungetheilt. Nur 
in 10% der Fälle gab er einen Nebengang ab, der in ver¬ 
schiedener Entfernung vom Hauptgange isolirt in das Duo¬ 
denum einmündete. 

Das Ergebniß dieser Untersuchungen weicht in mancher 
Beziehung von den althergebrachten anatomischen Lehren 
ab. Was bedeutet dasselbe für die Praxis? 

1. Die Thatsache, daß das Endstück des extraduodenalen 
Theiles des Choledochus fast stets in die Substanz der Bauch¬ 
speicheldrüse eingebettet ist, lehrt: a) die operative Freilegung 
des Choledochus ist ohne blutige Verletzung des Pankreas 
meist nur bis zur Eintrittsstelle desselben in dieses, nicht 
aber bis zum Eintritt desselben in die Darmwand möglich, 
b) So lange wir annahmen, daß der Choledochus in der Regel 
am Kopfe des Pankreas vorbeiläuft, konnten wir folgern, 
daß derselbe durch eine Vergrößerung des Pankreaskopfes — 
sei es infolge entzündlicher Veränderungen, sei es infolge 
von Geschwulstbildung — nur verschoben und erst bei sehr 
erheblicher Vergrößerung comprimirt werden könnte. Jetzt, 
wo wir wissen, daß der Choledochus fast immer durch den 
Knopf des Pankreas hindurchtritt, wird es begreiflich, weshalb 
eine Compression des Hauptgallenganges bei allen denjenigen 
Krankheitsprocessen, welche zu einer pathologischen Ver¬ 
größerung des Pankreaskopfes führen, gewöhnlich unaus¬ 
bleiblich ist. Je nach dem Grade der Compression werden 
wir deshalb nicht nur bei den Krankheiten des Gallensystems, 
sondern auch bei denjenigen des Pankreas meistens alle die¬ 
jenigen Symptome im klinischen Bilde in die Erscheinung 
treten sehen, welche uns die Retention und Resorption der 
Galle mit ihren Folgeerscheinungen anzeigen. Nur werden 
dabei im Gegensatz zu den isolirten Krankheiten des Gallen¬ 
systems natürlich auch diejenigen Erscheinungen auftreten, 
welche mit einer Retention des Pankreassaftes einherzugehen 
pflegen. 

2. Die Thatsache, daß Choledochus und Wirsungianus 
sich fast nie, wie wir früher als Regel annahmen, vereinigen, 
sondern getrennt von einander münden, lehrt Folgendes: 

Die Verlegung des einen Ganges muß nicht naturnoth- 
wendig diejenige des anderen nach sich ziehen. Vielmehr 
werden wir erwarten müssen, daß Processe, welche isolirt 
im Choledochus spielen, nur Krankheitserscheinungen von 
Seiten dieses Ganges, Processe, welche isolirt im Wirsungianus 
spielen, nur solche von Seiten des letzteren zur Erscheinung 
bringen; es wird also bei Verlegung des Wirsungianus die 
Galle, bei solcher des Choledochus der Pankreassaft frei in 
den Darm abfließen können. 

Anders liegen die Verhältnisse, wenn Krankheitsprocesse 
vorliegen, welche nicht in den Gängen selbst spielen, sondern 
die zu beiden Gängen in Beziehung stehende Ampulle der 
Papilla duodenalis, das Diverticulum Vateri ergreifen. Schwillt 
bei Duodenalkatarrh die Oeffnung der Ampulle zu, lagert sich 
ein größerer Gallenstein vor seinem Eintritt in den Darm 
derart in die Ampulle, daß er dieselbe obturirt, oder wird 
endlich die Mündung der Ampulle durch ein Duodenalcarcinom 
an dieser Stelle verschlossen, kurz handelt es sich um Pro¬ 
cesse, welche die Papille als solche und damit die an sich 


getrennten Ausmündungen beider Gänge verstopfen, dann 
wird die Secretion der Galle und des Pankreassaftes stocken, 
beide werden sich in den Gängen vor dem Hinderniß zurück¬ 
stauen und klinisch werden nicht nur die Symptome der 
Gallenretention, sondern auch diejenigen der Pankreassaft¬ 
retention zur Beobachtung kommen. Ja, wir werden umso¬ 
mehr annehmen müssen, daß in solchen Fällen auch die 
Secretion des Pankreassaftes in den Darm aufhören muß 
und Symptome hervortreten, welche eine Verlegung des 
Wirsungianus erkennen lassen, als — wie oben angegeben — 
der Wirsungianus gewöhnlich ungetheilt verläuft, die Ab¬ 
zweigung eines isolirt in den Darm mündenden Nebenganges 
desselben mithin zu den Ausnahmen gehört. 


Aus der Chirurg. Abtheilung des bosn.-herceg . 
Landesspitales zu Sarajevo. 

Ueber Steinoperationen. 

Von Primararzt Dr. Josef Preindlsberger. 

(Fortsetzung.) 


In 8 Jahren hatte ich Gelegenheit, 135 Fälle von Lithiasis 
zu behandeln, darunter 6 Weiber; meist gehörten dieselben 
dem jugendlichen Alter an. 


Im Alter 

von 

1- 5 . 

. . . = 23 Fälle 

77 

77 

» 

5—10 . 

. . . = 34 

n 

n 

r> 

n 

10—20 . 

. . . = 41 

r> 

77 

77 

77 

20—30 . 

. . . = 10 

77 

n 

77 

n 

30—40 . 

. . . = 8 

n 

n 

n 

77 

40—50 . 

. . . = 8 

n 

r) 

77 

77 

50—60 . 

. . . = 6 

77 

77 

n 

» 

60—70 . 

. . . = 2 

w 

77 

n 

77 

70—80 . 

. . . = 2 

77 

7) 

n 

17 

80—90 . 

. . . = 1 

7) 


von den 6 Weibern standen im Alter von 5—10 = 1 Fall, 
10—20 = 2 Fälle, 20—30 = 2 Fälle, 40—50 = 1 Fall. 

Die Sectio alta gelangte 93mal zur Ausführung, und zwar 
im Alter von 1— 5 Jahren = 12 Fälle 


7 ) 

n 

77 

5—10 

77 

= 30 

77 

mit 

2 Todesfällen 

7 ) 

r 

n 

10—20 

77 

= 33 

77 

n 

3 

n 

n 

77 

20—30 

77 

— 5 

77 

» 

3 

77 

n 

77 

30—40 


= 3 

77 

n 

1 Todesfall 

77 

77 

77 

40—50 

» 

= 5 

77 

11 

2 Todesfällen 

77 

77 

77 

50—60 

» 

= 3 

77 



77 

77 

7) 

60-70 

7) 

= 1 Fall 



7) 

77 

n 

70—80 

77 

- 1 

77 

r 

1 Todesfall. 


Die Mortalität nach Sectio alta aus der letzten Zeit 
beträgt nach Güterbock bis zum 15. Lebensjahre 23’6%, für 
Erwachsene 19-6%. Kukula 33'3%, Garcin 24'5%, Tuffier 
27%, Dittl 20%, v. Frisch 12 : 7%, Zdckerkandl 13 5%, 
Barlino 15 6%, Milton 28% und ganz vereinzelt günstig 
Assendelft 3’02% 

Man nimmt im Allgemeinen an, daß die Resultate bei 
Kindern und bei alten Leuten am ungünstigsten sind; wenn 
ich meine Fälle, die nach der Operation einen letalen Aus¬ 
gang hatten, näher betrachte, so finden wir im Sections- 
befunde dafür die Erklärung. Es handelte sich durchwegs 
um schwere Complicationen, sei es infolge der Narkose allein 
oder wegen hochgradiger Erkrankung der höheren Harnwege. 

Die Narkose bei Lithiasiskindern ist meist so schlecht, 
die Asphyxien dabei so häufig, daß ich mich bemüht habe, 
die Operationsdauer so sehr als möglich abzukürzen; lOmal 
wurden schwere Asphyxien beobachtet ; als deren Folge wurden 
in 4 Fällen schwere Lungenaffectionen, und zweimal wahr¬ 
scheinlich durch die bei offener Blasen wunde erforderliche 
künstliche Respiration, welche gewiß inficirten Harn in die 
Gewebe preßte, Harninfiltration beobachtet. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 40. 


1788 


Zweimal ist dem Versuche, bei Kindern die Lithotripsie 
auszuführen, dem die Sectio alta angeschlossen wurde, der 
ungünstige Ausgang zuzuschreiben. 

In dem einen Falle gelang die Lithotripsie, aber als es 
zur Evacuation kam, trat schwere Asphyxie ein, und es 
mußte, um die Operation rasch zu vollenden, die Blase eröffnet 
werden, um das vollständig zertrümmerte Concrement zu ent¬ 
fernen ; bei der künstlichen Respiration wurde, wie oben er¬ 
wähnt, gewiß inficirter Harn in das prävesicale Gewebe gepreßt. 

Der zweite Fall betraf ein dreijähriges Kind mit schwerer 
Bronchitis, die eine mehrwöchentliche Behandlung erforderte. 

Ich versuchte in oberflächlicher Narkose die Lithotripsie, 
doch leistete das harte Concrement der Zertrümmerung Wider¬ 
stand. Beim Herausziehen des Lithotriptors blieb dieser in 
der Pars pendula fixirt und mußte ich die Urethrotomie vor¬ 
nehmen, um das Instrument zu degagiren; es fand sich, daß 
die Branchen desselben nicht vollständig geschlossen waren, 
da ein Steinsplitter eingeklemmt war. Ich führte darauf die 
Sectio alta aus; von der Urethrotomiewunde aus entwickelte 
sich eine Harninfiltration, der das schwache Kind erlag, 
während die Bauchdeckenwunde reactionslos blieb. 

In den übrigen Fällen handelte es sich, wie die am 
Schlüsse in den Krankengeschichten angeführten Obductions- 
befunde beweisen, um schwere Nieren- und Nierenbecken- 
affeetionen, wobei einmal ein congenitaler Mangel einer Niere 
bestand, oder um andere schwere Complicationen. 

Ein Blick auf die Größe, resp. das Gewicht der Con- 
cremente, und die anamnestisch so weit als möglich eruirbare 
Dauer der schweren Steinsymptome erklärt uns die häufige 
ascendirende Erkrankung des Harnapparates. 

Eine längere Vorbereitungscur bei den kleinen Patienten, 
die sich, oft von den qualvollsten Schmerzen geplagt, vor¬ 
stellen, ist selten möglich. 

In der letzten Zeit ließ ich die Dauer der Operation 
notiren und betrug dieselbe lmal 7 Minuten, lmal 10 Minuten, 
lmal 13 Minuten, 2mal 15 Minuten, lmal 17, 18 und 20Minuten. 

Ich erwähne diese Daten, weil von mancher Seite der 
Perinealschnitt wegen der kürzeren Dauer noch vorgezogen wird. 

Nach meinen Erfahrungen an von anderer Seite operirten 
Patienten sind schwere Stricturen nach Sectio perinealis bei 
Kindern nicht so selten, und ich glaube, daß die perineale 
Methode nur dort eine Berechtigung hat, wo wegen äußerer 
Verhältnisse die Sectio alta nicht möglich ist. Diese Gründe 
scheinen z. B. für Ciiristovich in Saloniki Geltung zu haben, 
der oft ohne jede Assistenz am Lande operirt; unter 34 Ope¬ 
rirten berichtet er selbst über 4 Fälle, wo durch lange Zeit 
Fisteln bestanden, und 3 Fälle, die lange an Incontinenz 
litten; den einzigen Nachtheil sieht er in der regelmäßigen 
Durchtrennung eines Vas deferens. 

Kokoris, der über die Operationen aus der Klinik 
Maughina in Athen berichtet, bevorzugt bei Kindern auch 
die perinealen Schnittmethoden und führt die Sectio alta im 
Kindesalter nur bei sehr großen Steinen aus, wobei die Blasen¬ 
wunde nur sehr selten genäht wird. 80mal führte ich die 
complete Blasennaht aus, darunter 21mal mit Suspension; 
28mal trat prima intentio ein, worunter ich eine Wund¬ 
heilung ohne die geringste locale Reaction, ohne Abgang 
auch nur eines Tropfens Harn durch die Wunde verstehe. 

Mehreremale erfolgte die primäre Verheilung der Blasen¬ 
wunde bei mäßiger Eiterung aus dem prävesicalen Raum; 
diese Fälle sind nicht bei den 28 mitgerechnet. Da ich es 
nur von Interesse halte, wie oft eine prima intentio gelingt, 
führe ich an dieser Stelle nicht jene Beobachtungen an, wo 
die Naht theilweise insufficient wurde und kürzere oder längere 
Zeit dadurch die Wundheilung verzögert wurde. Die kürzeste 
Wundheilung betrug 3mal 5 Tage, der längste Spitalsauf¬ 
enthalt in einem mit schwerem Decubitus complicirten Falle 
152 Tage, der Durchschnitt 33'4 Tage. 

Der Dauerkatheter gelangte 59mal zur Anwendung, 
Knierohr und Dauerkatheter lömal, das Knierohr allein 


lOmal; ohne Drainage der Blase und ohne Dauerkatheter 
wurden 11 Fälle behandelt. 

Bei kleinen Kindern ist, wie ich in der Einleitung be¬ 
merkte, die Anwendung des Dauerkatheters gar nicht oder 
nur kurze Zeit anwendbar und da bleibt nichts anderes 
übrig, als von vorneherein eine Blasendrainage zu verwenden 
oder der Sufficienz der Blasennaht zu vertrauen. 

In 77 Fällen fand sich Cystitis schwereren, in 11 Fällen 
leichten Grades; in den schwersten Fällen, 13mal, führte ich 
von vorneherein die partielle Naht mit Knierohr und einmal 
keine Naht aus. 

Von den 80 Fällen mit completer Naht starben 9, von 
den 13 Fällen mit incompleter Naht 3; ich glaube aber nicht, 
daß hieraus Schlüsse für die Wahl der einen oder anderen 
Methode gezogen werden können. 

Wenn man die Blasennaht nur auf die Fälle beschränken 
will, wo der Harn klar ist, dann wird man überhaupt selten 
in die Lage kommen, dieselbe auszuführen, und von vorne¬ 
herein auf eine Abkürzung der Wundheilung verzichten 
müssen. 

Bei schwerer Cystitis ist zweifellos die Drainage der 
Blase vorzuziehen , aber auch diese schützt vor den Nieren- 
complicationen kaum mehr als der Dauerkatheter; es kann 
sich bei der Indication für Naht oder Drainage nach meiner 
Ansicht nur darum handeln, ob man durch die Drainage 
der Blase gleichzeitig der Gefahr der prävesicalen Phlegmone 
Vorbeugen will; ich glaube, daß man bei Ausführung der 
completen Blasennaht und gleichzeitiger Drainage des Cavum 
Retzii, resp. des prävesicalen Hohlraumes, der nach Ablösung 
der Blasenwand von der Symphyse gebildet wird, dieser 
Gefahr begegnen kann. 

Die Peritonealfalte kam 33mal deutlich zur Ansicht, 
sie wurde 3mal bei großen Steinen, die eine Verlängerung 
des Schnittes in der Blase erforderten, oder bei schwieliger 
Verwachsung verletzt und vernäht; in keinem der 3 Fälle 
war dieser Zwischenfall von üblen Folgen begleitet. 

Die Lithotripsie gelangte in 15 Fällen 18mal zur Aus¬ 
führung , 9mal war sie beabsichtigt und konnte nicht aus¬ 
geführt werden. 

Von den Fällen, wo die Lithotripsie vorgenommen wurde, 


standen im 
von 

Alter 

5—10 Jahren. 

2 Fälle 

n 

10—20 

D . 

4 „ 

n 

20—30 

n . 

3 , 

» 

30-40 

n ..,••• 

1 Fall 

» 

40—50 

n . 

1 „ 

» 

60—70 

» . 

1 » 

n 

70—80 

)) . 

1 » 

Bei diesen 13 Fällen trat lmal Exitus 

ein; es handelte 


sich um einen 57jährigen Patienten, der bereits vor der Ope¬ 
ration hoch fieberte; nach mehrtägigen Blasenausspülungen 
ging die Temperatursteigerung herab, ohne daß aber der 
Patient afebril wurde; wegen der heftigen Beschwerden ent¬ 
schloß ich mich doch zur Vornahme der Operation. Am 
2. Tage trat Collaps und Exitus ein. Bei der Autopsie fand 
sich eine Cystitis mäßigen Grades, dagegen eine von einem 
Prostataabscesse ausgegangene Pericystitis und Phlegmone 
des Beckenzellgewebes. Die vor der Operation vorgenommene 
Untersuchung per rectum hatte für diese Complication keinen 
Anhaltspunkt gegeben. 

In den Fällen, wo die Lithotripsie nicht ausgeführt 
werden konnte, war das Verhältniß zwischen der Weite der 
Urethra und dem Lithotriptor ungünstig, derselbe hätte nur 
mit stärkerer Verletzung der Urethra eingeführt werden 
können; diese Fälle sind bei der Besprechung der Sectio alta 
erwähnt und dort speciell 2 Todesfälle angeführt. 

Zwei weitere Fälle von Lithotripsieversuchen verdienen 
deshalb eine Erwähnung, weil sie die Grenzen derselben im 
Kindesalter besonders deutlich illustriren. In dem einen Fall 
gelang es nach dem ersten Fassen des harten Oxalatsteines nicht, 


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1789 


1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 40 


1790 


die Branchen des Lithotriptors zu schließen und das Instru¬ 
ment konnte nicht zurückgezogen werden. Bei der sofort 
angeschlossenen Sectio alta fand sich ein kleiner Steinsplitter 
eingekeilt, nach dessen Entfernung das Instrument geschlossen 
und entfernt werden konnte. 

Bei dem zweiten Falle ließ sich der harte Stein nicht 
zerbrechen und mußte ebenfalls die Sectio alta angeschlossen 
werden. 

Beide Fälle hatten im Uebrigen einen glatten Verlauf; 
in beiden Fällen versuchte ich nach der Operation, die circa 
haselnußgroßen Steine mit dem Lithotriptor Charriere Nr. 14 
zu zerbrechen; es gelang nicht (es handelte sich um Oxalat¬ 
steine). 

Die Heilungsdauer nach Lithotripsie je nach der er¬ 
forderlichen Notwendigkeit der Behandlung der Cystitis 
betrug 3—44 Tage, im Durchschnitte 12 Tage. Ich muß dabei 
erwähnen, daß ich selten in der Lage bin, die ambulatorische 
Nachbehandlung auszuführen, da die Patienten meist von 
auswärts kommen und deshalb länger im Spitale behalten 
werden müssen, als dies unbedingt erforderlich wäre. 

In einem Falle bei einem Kinde vermuthete ich einen 
im Blasenhalse fixirten Stein ; bei der Sectio alta fand sich 
die Blase leer und der Stein fand sich bei der Sectio mediana 
in einer Nische hinter der Prostata; der Patient war von 
einem Curpfuscher mit Perinealschnitt operirt worden, und 
hatte sich der kleine, etwa haselnußgroße Stein offenbar in 
dem nicht ganz verheilten Wundcanal gebildet. Dieser Fall 
bildet den Uebergang zu den Urethralsteinen, von denen wir 
17, eine verhältnißmäßig große Zahl, zu beobachten Gelegen¬ 
heit hatten; nach Gütekbock sind Harnröhrensteine selten, 
doch erwähnt derselbe Autor, daß an manchen Orten, wie 
z. B. im St. Thomas-Hospital zu London, bei männlichen 
Patienten circa 20% der beobachteten Lithiasisfälle Urethral¬ 
steine waren. 

Von meinen 17 Fällen betrafen die meisten das früheste 
Kindesalter: 

1— 5 Jahre.8 Fälle 

5-10 2 „ 

10-20 „.4 „ 

20—30 „ 1 Fall 

30-40 „.1 „ 

50—60 1 „ 

Mehrmals traf ich bei Kindern einen ganz typischen 
Befund, dessen Beschreibung ich bisher noch nicht kannte. 
Es handelte sich in diesen Fällen um Kinder, bei denen eine 
mehrtägige Harnretention durch kleine, im Eicheltheil der 
Harnröhre fixirte Steine verursacht war. Das Scrotum hatte 
die Form einer orangengroßen Kugel angenommen, seine 
Haut war leicht geröthet, gespannt und ödematös; als ich 
den ersten derartigen Fall sah, glaubte ich, daß diese 
Schwellung, die wohl gewiß eine beginnende Harninfiltration 
darstellte, sich spontan nicht zurückbilden werde, und war 
vorbereitet, Incisionen vornehmen zu müssen. Nach Extraction 
des Steines bildete sich das Oedem des Scrotums in wenigen 
Tagen vollständig zurück. Es dürfte sich in diesen Fällen 
wohl ohne Zweifel um eine beginnende Harninfiltration 
gehandelt haben; die enorme Spannung der Blasen- und 
Urethralschleimhaut bei der mehrtägigen Harnretention hatte 
wahrscheinlich zu kleinen Dehiscenzen der Schleimhaut am 
Blasenhalse (?) geführt, und es wurde etwas Harn in das Ge¬ 
webe gepreßt. Bei dem Umstande , daß der Harn in diesen 
Fällen keine septischen Stoffe enthielt, blieb die Infection 
und Eiterung aus; nach Entfernung des Concrementes, das 
den freien Abfluß des Harnes hinderte, entfiel die Ursache 
für .das entzündliche Oedem und dieses bildete sich zurück. 

Unter den 17 Fällen fand sich das Concrement 6mal in 
der Pars perinealis, 4mal in der Pars pendularis, Gmal in 
der Pars glandularis, lmal in der Fossa navicularis, 2mal 


gingen die Steine spontan ab, lmal wurde kein Eingriff vor¬ 
genommen, lmal wurde der Stein gleichzeitig bei Incision 
eines periurethralen Abscesses extrahirt, lmal war vor der 
Extraction die Vornahme der Spaltung eines phimotischen 
Präputium erforderlich, 2mal wurde die Extraction mit einer 
Pincette, 6mal mit dem Urethralöffel vorgenommen, lmal 
wurde der Stein in die Blase gestoßen und mit dem Lithotriptor 
zertrümmert, 3mal gelangte der äußere Harnröhrenschnitt zur 
Ausführung; nach dem Harnröhrensclinitt wurde die Naht 
vorgenommen, es erfolgte aber nur einmal eine prima intentio. 

Die Sectio lateralis gelangte in einem Falle zur Aus¬ 
führung , wo in die Urethra eingekeilte Steine bereits zu 
ausgedehnter Harninfiltration geführt hatten, wobei es sich 
um einen 77 Jahre alten Patienten handelte, bei dem infolge 
von Myelitis eine hochgradige Contractur der Beine bestand 
(Fall Nr. 60); der Patient ging 6 Wochen nach der Operation 
an Marasmus zugrunde (siehe Obductionsbefund). 

Einmal fand sich als Ursache eines perinephritischen 
Abscesses ein Nierenstein; nach Spaltung des Abscesses und 
Eingehen mit dem Finger durch die morsche Nierensubstanz 
wurde aus dem Nierenbecken ein typisch die Form der 
Nierenkelche nachahmendes Concrement mit der Kornzange 
extrahirt. Der Fall verlief nach längerer Eiterung günstig. 

Eine erwähnenswerthe und seltene Beobachtung scheint 
mir folgender Fall zu bieten. 

Spiro B., 30 Jahre alt, aus Ravno im Bezirke Bugojno, 
gelangte am 25. Mai 1901 zur Aufnahme. 

Anamnese: Patient gibt an, seit 10 Jahren krank zu sein ; 
seit dieser Zeit bestehe auch eine Fistel in der linken Scrotal- 
seite, aus der sich früher Harn, jetzt nur Eiter entleere. 

Status praesens: Nach links von der Raphe des Scrotum 
befindet sich eine linsengroße, trichterförmig eingezogene Fistel- 
öffuung, aus der sich tropfenweise milchig gefärbtes Secret ent¬ 
leert. In der linken Scrotalseite tastet man frei beweglich knapp 
unter der Scrotalhaut mehrere Concremeute, darunter ein größeres 
walnußgroßes, ein kirschengroßes, mehrere kleinere. 

Die Untersuchung der Urethra und der Blase mit der Stein¬ 
sonde (Charriere Nr. 24 passirt leicht) ergibt kein Concrement. 

Operation in Narkose: Die in die Fistel eingeführte Sonde 
gelangt in eine schlaffe Höhle und läßt die Steine nachweisen. 
Spaltung der Sackwand und Bloßlegung der Innenfläche, die eine 
epidermisartige Oberfläche zeigt, jedoch keine Communication mit 
der Urethra besitzt. Tamponade der Wundhöhle, nachdem die 
Concremente extrahirt und ein Stück der Innenwand excidirt war. 

Es fanden sieh 4 Steine, 2 größere, von denen der eine 
deutliche Würfelform, der andere die Form einer abgestutzten 
Pyramide zeigte, die beiden kleineren hatten annähernd Bohnen¬ 
form und -Größe. Die chemische Analyse eines der Steine ergab: 
Kerne: Urate, Magnesiumammonpho3phat; Rinde: Magnesium¬ 
ammonphosphat, ziemlich viele Urate, wenig Calciumcarbonat und 
Phosphat. 

Die mikroskopische Untersuchung der Sackwand ergab die 
Structur, wie sie sich etwa bei einem papillenreichen Dermoid 
mit starker Verhornung der oberflächlichen Epidermisscbichte findet. 

Die Erklärung dieses merkwürdigen Fundortes für Urat¬ 
steine ist nicht ohneweiters gegeben. 

Wenn sich in der Nähe der Harnröhre ein Concrement 
im Gewebe findet, so handelt es sich in der Regel um ein 
solches, das nach Entzündungsprocessen der Harnröhrenwand 
aus dieser ausgetreten ist; dabei bleibt die neugebildete 
Höhle im Gewebe mit der Harnröhre in Verbindung und es 
ist eine Vergrößerung der Concremente durch die Bespülung 
mit Harn möglich ; aber selbst über solche Befunde finden sich 
nur einzelne Fälle in der Literatur beschrieben, und liefert 
meine oben mitgetheilte Beobachtung eines in einer retro- 
prostatischen Nische gelegenen Concrementes nach früher von 
anderer Seite ausgeführter Sectio perinealis mit persistirender 
Fistel einen Beitrag. 

3 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 40. 


1792 


Gegen diese Aetiologie spricht in unserem Falle die 
Auskleidung der Wand mit Epithel und das Fehlen der 
Communication mit der Harnröhre. 

Eine andere Möglichkeit wäre in dem Vorhandensein 
eines congenitalen Harnröhrendivertikels gegeben, wie sie eine 
Abbildung von v. Bramann (Handbuch der praktischen Chirurgie 
von Mikulicz, Bergmann, Bd. III, pag. 589) wiedergibt; wir 
müssen da annehmen, daß anfangs eine Communication mit 
der Urethra bestand, die sich später, nachdem es zur Concre- 
mentbildung in dem Divertikel gekommen war, vielleicht 
durch entzündliche Veränderungen abschnürte. Die epidermis- 
artige Beschaffenheit der inneren Oberfläche des Sackes könnte 
auch auf den jahrelang bestandenen Reiz durch die Con- 
cremente zurückgeführt werden. 

In der mir zugänglichen Literatur habe ich einen ähn¬ 
lichen Fall nicht gefunden. 

Weiters möchte ich noch in Kürze über einen Fall von 
Spontanzertrümmerung eines Steines in der Blase berichten. 

v. Frisch, der dieses seltene Ereigniß viermal beobachtete, 
erwähnt die von Ultzmann und Heller hiefür gegebene 
Theorie; nach diesen Autoren soll die spontane Zertrümme¬ 
rung eines Concrementes nur dadurch ermöglicht sein, daß 
zwischen den compacten Schichten der Harnsäure sich noch 
solche von lockerem harnsauren Ammoniak finden. 

v. Frisch meint, daß man als wesentlichsten Factor 
für die Entstehung der Spalten den Wachsthumsdruck der 
in die feinen Risse eindringenden und sich daselbst rasch 
vermehrenden Bakteriencolonien anzusehen habe. 

Ich fand bei der Sectio alta, die an einem 18jährigen 
Mann (Fall 31) vorgenommen wurde, einen in zwei annähernd 
gleichgroße Stücke gebrochenen Stein mit dem Gesammt- 
gewicht von 51 Grm. und von Hühnereigröße, dessen Bruch¬ 
fläche deutlich muschelig war. 

Die chemische Analyse ergab: Kern: vorwiegend Urate, 
wenig Carbonat und Phosphat; Mittelschichte: Vorwiegend 
Phosphate, wenig Urate und Calciumcarbonat; Rinde: Vor¬ 
wiegend Magnesiumammonphosphat, mäßige Menge Calcium¬ 
carbonat und Phosphat. Es bestand in dem vorliegenden Falle 
eine Cystitis und der gewiß bakterienreiche Harn würde nach 
der v. Frisch ’schen Theorie zur Erklärung der Aetiologie 
genügen. Zweimal beobachtete ich bei Weibern Vesicovaginal- 
fisteln und Urethrovaginalfisteln. 

Der eine Fall betraf eine 42jährige Islamitin, die nach zahl¬ 
reichen, vorher anstandslos verlaufenen Geburten, bei der letzten 
sehr protrahirten Geburt einige Zeit nach derselben einen großen 
Blasenstein per vaginam entleerte. Der Stein war in diesem Falle 
ein Geburtshiuderniß gewesen; die Quetschung der Blasenwand 
zwischen Symphyse und Stein durch den austretenden Kopf hatte 
zur Nekrose eines Stückes der Blasenwand geführt, als deren 
Folge eine große Vesicovaginalfistel zurückblieb; die Patientin 
konnte sich zu einer plastischen Operation nicht entschließen. 

Der andere Fall betraf ein 14jähriges Mädchen, bei dem 
ein Stein abgegangen war, seitdem war sie incontinent; bei der 
Untersuchung fand sich ein fast vollständiger Defect der unteren 
Harnröhrenwand, der fast bis an den Blasenhals reichte und vom 
vorderen Ende der Urethra nur ein etwa 1 x j % Cm. langes Stück 
übrig ließ. 

Es gelang mir, durch eine plastische Operation die Fistel 
zum Verschlüsse zu bringen und Continenz zu erzielen. 

Ueber einige andere Folgen von Lithiasis, resp. der 
wegen dieser Erkrankung von Curpfuschern vorgenommenen 
Eingriffe habe ich an anderer Stelle berichtet. 

(Fortsetzung folgt.) 


Zur geschichtlichen Entwickelung der 
Schulhygiene. 

Von Dr. med. Richard Landau, städt. Schularzt in Nürnberg. 

(Schluß.) 

Mit dieser letzteren Bemerkung bin ich von dem auf 
gesetzlicher Grundlage ruhenden Thatsachenmaterial schon in 
die wissenschaftliche Bearbeitung der einschlägigen Fragen 
gerathen. 

Nicht nur Martin Luther und Basedow haben frühzeitig 
für diese Interesse gezeigt, sondern auch andere namhafte 
Schulmänner, von denen Schiller die bekannten Pädagogen 
Melanchthon, Comenius, Ratichius, Pestalozzi u. A. m. auf¬ 
führt ; er rühmt aus mir unbekannten Quellen den Italienern 
Tilefo und Vegius nach, bereits um die Mitte des XV. Jahr¬ 
hunderts die Beseitigung des Nachmittagsunterrichts verlangt 
zu haben, um in den schulfrei gewordenen Stunden dem von 
geistiger Anspannung ermatteten Körper im Spielen, Fechten, 
Reiten und Laufen Erholung zu verschaffen. Doch sind das 
sehr vereinzelte Stimmen, welche sich nicht Gehör und der 
Schulhygiene keinen Platz erobern konnten. 

Allgemein bekannt ist, daß Johann Peter Frank , wie 
er im Allgemeinen die erste umfassende Darstellung der 
öffentlichen Gesundheitspflege in seinem sechsbändigen „System 
einer vollständigen meaicinischen Polizey“ geliefert hat, so 
im Besonderen zuerst unter den Aerzten eine wissenschaft¬ 
liche Darstellung der Schulhygiene versuchte. Im zweiten 
Bande des genannten Werkes, der 1780 zu Mannheim bei 
C. F. Schwan, kurfürstl. Hofbuchhändler, erschien, beschäftigt 
sich der dritten Abtheilung zweiter Abschnitt mit „Schulen 
und Unterricht der Jugend in Rücksicht auf das Wohl der 
Kinder und des Staates“ unter dem sinnigen Leitspruch: 

„Ihr lehrt Religion, ihr lehrt sie Bürgerpflicht, 

Auf ihres Körpers Wohl und Bildung seht ihr nicht!“ 

Als seine Aufgabe stellte sich Frank „den Einfluß ver¬ 
schiedener Fehler in der Lehrart auf die allgemeine Gesund¬ 
heit der Jugend und dann einige andere ebenso wichtige 
Betrachtungen über gewisse von der Polizey für die Sicher¬ 
heit der Kinder zu besorgende Punkte zu entwickeln, welche 
die genaueste Aufmerksamkeit obrigkeitlicher Personen ver¬ 
dienen“, und er begreift darunter die Beschaffenheit der Schulen 
selbst, die Lehrer, die ihrer Aufsicht anvertraute Jugend, deren 
Bestrafung und allgemeine Behandlung, sowie ihre Sitten, 
„soweit sie einen besonderen Einfluß auf das öffentliche Ge¬ 
sundheitswohl haben“. Schon in einem vorausgehenden Capitel 
„von zu früher Anspannung der Jugend“ hatte er den zu 
frühen Schulbesuch, wie ihn alte Schulordnungen gesetzlich 
heischten, herb getadelt; selbst ein Alter von 6 Jahren scheint 
ihm zu jung zu sein, und er fordert wenigstens die Aus¬ 
scheidung der zarteren Kinder. Dabei bemerke ich, daß bereits 
Bartholomäus Metlinger zu Augsburg, der Verfasser des 
ersten deutschen Lehrbuches der Kinderkrankheiten, das 
1474 zuerst erschien, das vollendete sechste Lebensjahr für 
recht befand, um die Kinder „einem meister zu empfehlen, 
der sy etwas lerne“. Frank verlangte ferner, daß Kinder unter 
acht Jahren nicht vor 9 Uhr oder Uhr morgens und nicht 
vor 2 Uhr nachmittags zur Schule gingen und sowohl vor¬ 
mittags als auch nachmittags je eine Stunde weniger Un¬ 
terricht haben sollten als die älteren Kinder. Diese For¬ 
derungen ähneln den neuesten derartigen Wünschen von 
Schmuziger, der den Schulbeginn für das 7., 8. und 9. Lebens¬ 
jahr im Sommer auf 8, im Winter auf 9 Uhr festgesetzt 
haben will. Weiter fordert Frank im Vortrag der Lehrsätze 
einen nützlichen Wechsel, „so daß weder die Einbildungskraft, 
noch das Gedächtniß mit einer und der nämlichen Sache über- 
lästigt, sondern allzeit zu einiger Erholung zwischen den Vor¬ 
trägen Platz gelassen werde“, und als erster wünscht er wohl 
der Schuljugend im Sommer Hitzferien, so daß die Nach¬ 
mittagsschule entweder um die Hälfte gekürzt wird oder 

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1793 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 40. 


1794 


erst um 5 Uhr beginnt. Endlich ersehnt sich Fbank ein Gesetz, 
„um die zarte Jugend vor dem voreiligen Zwange zu diesem 
oder jenem der Gesundheit und dem guten Wacbsthum der¬ 
selben schädlichen Handwerke oder Gewerbe“ zu schützen. 

Was die Schulstube anlangt, soll sie in ihrer Größe 
der Schülerzahl entsprechen; durch die Ausdünstungen der 
Kinder und ihrer Kleidung, zumal der nassen, werde sonst, 
wie Frank sich drastisch ausdrückt, „die Schulstube in kurzer 
Zeitfrist zu einer sehr ungesunden Badstube, in deren unge¬ 
sunden Dünsten Lehrer und Lehrlinge gleiche Gefahr für 
die Gesundheit zu laufen haben“. Ein Hauptbedingniß für 
jede Schulstube nennt er das Licht; dieses muß durch Er¬ 
höhung der Fenster von oben herab auf den Schreibtisch 
fallen und soll nur von links und hinten, nie von vorn und 
von allen Seiten einfallen. Das Schulhaus soll möglichst an 
einem erhabenen und möglichst luftigen Ort stehen, gegen 
Osten gewandt, ohne Fenster an der Südwand; nötbig sind 
Ventilationslöcher an der Decke, oder es kann an jedem Fenster 
eine Eckscheibe durch eine durchlöcherte Platte von Blech 
ersetzt sein. Jede Schule muß mit einigen Aborten versehen 
sein. Für den Winter müssen genügende Heizvorrichtungen 
vorgesehen sein, wobei die Bemerkung Frank’s von Interesse 
ist, daß zu seiner Zeit noch an manchem Ort jedes Kind den 
auf ihn entfallenden Theil Brennholzes, das sogenannte Scheit¬ 
holz, selbst zur Schule bringen mußte. Einen netten Einblick 
in das Schulwesen von damals gewährt auch Frank’s Tadel, 
daß namentlich auf dem Lande Lehrerfrauen oft, um Holz 
zu sparen, ihre Wäsche nahe um den Ofen in der Schulstube 
trocknen und so den Schülern die Luft verderben. Die Schul¬ 
stube sei stets reinlich zu halten; nach dem Unterricht seien 
Fenster und Thüren wenigstens 1 / 3 Stunde zu öffnen. Auch 
die Nachtheile schlechter Schulbänke kennt Frank und er¬ 
wähnt eines Geistlichen , der durch eine mangelhafte Schul¬ 
banklehne bucklig wurde. Die Lehrer sollen auf die Schreib¬ 
haltung achten, besonders auch die Lehrerinnen in Strick- und 
Nähschulen auf guten Sitz, zumal da noch der schädliche 
Einfluß „einer engen Schnürbrust“ hinzukomme, und, wie 
aus unseren Tagen muthet Frank’s Frage an: „Sollte es 
nicht einen Theil der Instruction der weiblichen Lehrerinnen 
ausmachen, daß sie kein Mädchen in so schädlichem Panzer 
annehmen und immer auf ihre gerade Stellung, sowie auf 
mehrere Abwechslung in dieser sehen möchten?“ 

Daß Frank gegen die harten Schulstrafen eifert, habe 
ich schon gesagt. Seine schulhygienische Fürsorge erstreckt 
sich ferner auch auf KrankheitsVerhütung. Alle Kinder mit 
Krätze oder bösem Kopf seien vom Schulbesuch zurückzu¬ 
weisen, ebenso Kinder, die kaum von den Pocken genesen sind 
oder gar noch die Schürfe an sich tragen; ja, seiner Zeit 
vorauseilend, wünscht Frank, daß kein Kind in den Schulen 
aufgenommen werden soll, welches nicht die Pocken auf eine 
natürliche oder künstliche Art bekommen und überstanden 
habe — ähnlich wie heute in Deutschland beim Schuleintritt 
ein Impfschein beizubringen ist. Endlich sollen die Lehrer 
der Sauberkeit der Schüler und Schülerinnen Aufmerksamkeit 
schenken, so daß „die Eltern der Kinder, welche nicht immer 
wohl gekämmt, von Ungeziefer gesäubert und gewaschen zur 
Schule kommen“ , gewarnt und mangels Erfolges der Schul¬ 
commission angezeigt würden. 

Um die Onanie unter den Schulkindern, die, wie schon 
1778 der hannoverische Leibarzt Zimmermann nachwies, so¬ 
wohl bei Knaben als bei Mädchen sehr häufig sei und außer¬ 
ordentlich zur Nachahmung sich eigne, zu verhüten, ver¬ 
langte Frank Trennung der Geschlechter in den Schulen: 
„Tische und Bänke müssen den Augen des Lehrers nichts ver¬ 
bergen können“; die Kinder sollen nicht zu dicht aneinander 
sitzen und dürfen die Aborte nur einzeln besuchen. Alles, was 
da Frank sagt, erinnert fast Wort für Wort an die bekannten 
Ausführungen Cohn’s vom Jahre 1894. 

Schließlich vergißt der Schulhygieniker Frank auch 
nicht, zur Erholung des angestrengten Geistes für die Schüler 


Ruhetage zu fordern, die freilich nicht durch Schularbeiten 
wieder verkümmert werden dürften. Die damals üblichen 
Herbstferien will er auf die heißen Sommerwochen verlegt 
wissen. Gymnastischen Uebungen redet er eifrigst das Wort 
und eilt damit Guths-Muths voraus, der 1793 seine Gymna¬ 
stik für die Jugend schrieb. Frank lobt das Kegelschieben, 
das Ballwerfen, das Schwimmen u. s. w. und fordert öffent¬ 
liche Spielplätze für die Jugend vor den Städten, damit sich 
mit dem Zwange, zu spielen, frischer Luftgenuß verbinde; 
er weiß sogar Beispiele solcher Einrichtungen, die sich wohl 
bewährten, zu nennen. 

Mit Absicht habe ich so ausführlich mich mit Frank’s 
Schulhygiene beschäftigt; denn man vergleiche seine An¬ 
schauungen und Forderungen mit denen von heute, und man 
wird entweder Frank’s vorauseilenden Geist anerkennen oder 
die träge Entwicklung seiner Ideen durch Zeitgenossen und 
Spätere bewundern müssen! Wie wenig mehr wissen wir 
heute in den Grundzügen dem alten Meister beizufügen! Wie 
klein müssen wir in unseren Fortschritten ihm gegenüber 
erscheinen! 

In der That war Frank mit seinen schulhygienischen 
Ansichten seiner Zeit vorausgeeilt. Allerdings fand er Genossen, 
zu denen E. B. G. Hebenstreit gehört. Dieser verlangte, den 
öffentlichen Schulen eine solche Einrichtung zu geben, welche 
der Gesundheit der Jugend ebenso wie der Ausbildung ihres 
Verstandes und ihres sittlichen Charakters so viel als nur 
immer möglich angemessen sei. Schon Hebenstreit warnte 
vor dem Alkoholgenuß in der Jugendzeit, wie schon kurz 
vor ihm Hufeland den Alkoholmißbrauch bekämpft hatte; 
er warnte vor Theaterbesuch und Romanlectüre und empfahl 
besondere Aufmerksamkeit der physischen Erziehung der 
weiblichen Jugend, für die weichliche und verzärtelte Er¬ 
ziehung, unablässiges Sitzen, warme Getränke, Schnürbrüste 
und Schuhe mit hohen Absätzen lauter Mißbräuche seien. 
Aehnliche Gedanken sprach zwei Jahre vorher (1804) Johann 
Schmidtmüller aus, welcher der Schule zwar kein besonderes 
Capitel widmet, aber sagt: „ Daß für einen zweckmäßigen 
Unterricht gesorgt sein muß, daß das Schulgebäude durch 
schlechte Anlage und Bauart, durch Mangel an Reinlichkeit 
und guter Luft den Lernenden nicht physisch schädlich 
werden dürfe, daß von Seiten der Obrigkeit keine solchen 
körperlichen Züchtigungen gestattet werden dürfen, welche 
nur einen Sklavensinn in den Kleinen entwickeln oder wohl 
auch ihrer Gesundheit naehtheilig sind, sollte in unseren 
Tagen kaum mehr einer Erinnerung bedürfen.“ Er selbst 
freilich spricht bei der hygienischen Betrachtung der öffent¬ 
lichen Gebäude wohl von Gefängnissen und Zuchthäusern, 
kein Wort aber von Schulen. Ein warmer Freund ist Schmidt¬ 
müller dem Baden der Schulkinder und äußert den Wunsch, 
daß der über das Baden nöthige Unterricht ein Gegenstand 
des Schulunterrichtes sein solle. 

Erwähnenswerth ist auch, daß das populär geschriebene 
Büchlein des Bückeburger Arztes Bernhard Christoph Faust, 
welches als „Gesundheitskatechismus zum Gebrauche in den 
Schulen und beym häuslichen Unterrichte“ 1794 erschien, in 
vielen Auflagen und vielen Uebersetzungen gedruckt wurde 
und in mehr als 150.000 Exemplaren verkauft worden sein 
soll, die Nothwendigkeit betont, nicht nur „die kenntniß- 
reiche, nachforschende Seele durch Nachdenken und Unter¬ 
richt verständig“ zu machen, sondern auch „den Körper 
durch Leibesübungen und körperliche Spiele stark“ zu machen 
und überhaupt der Schulgesundheitspflege allenthalben Be¬ 
achtung schenkt. So heißt es bei dem Lob der Reinlichkeit: 
„Es wäre wohl ein sehr gutes Gesetz in den Schulen, daß 
die Schulkinder von Anfangs Mays bis Ende September 
wöchentlich einigemahle unter der Aufsicht des Schullehrers 
ordentlich badeten.“ Reine Luft, saubere Kleidung, Er¬ 
füllung des größeren Schlafbedürfnisses werden für die Schul¬ 
kinder gefordert; als erlaubtes Getränk gilt nur Wasser — 
denn Wein und andere hitzige Getränke „schaden gar sehr 

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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 40. 


1796 


der Gesundheit, dem Wachsthurae, dem Verstände und dem 
künftigen Glücke der Kinder“ und „die Kinder und jungen 
Menschen , die Branntwein trinken, werden ungesund , ver¬ 
krüppelt, dumm, grob, faul und lasterhaft, und sie verderben 
an Körper und Seele“. Was haben unsere neueren Alkohol¬ 
gegner vonDEMME bis Frick, Combe und Kende Treffenderes über 
den Schaden des Alkohols auf das kindliche Entwickelungs¬ 
leben zu sagen gewußt?! Auch der Schädlichkeit des Tabaks 
für die Jugend, die ich andernorts *) gekennzeichnet habe, 
wird von Fadst schon gedacht. Wie klug ist der Satz : „In 
den Schulen werden durch die Kinder oft ansteckende Krank¬ 
heiten über einen ganzen Ort verbreitet“, — „Menschen, die 
solche Kranke pflegen, müssen sich aus Schulen und Kirchen 
entfernt halten; diese Pflicht haben auch die Kinder und 
Hausgenossen des Kranken.“ Auch Kinder mit Krätze und 
Kopfgrind will Faust um der Gefahr willen, die sie den 
übrigen bringen, aus der Schule ferngehalten wissen. 

Vielfach wörtlich stimmt mit Faüst’s Büchlein überein 
der anonyme „Entwurf zu einem Gesundheitskatechismus für 
die Kirchen und Schulen der Grafschaft Schaumburg-Lippe“ 
von 1793. Doch gedenkt dieser auch des Schulhauses, das 
eine freie, offene, hohe Lage haben, trocken, geräumig und 
in einem guten, wohnbaren Zustande sein soll; die Schul- 
stuben sollen hell, luftig, groß, hoch und trocken sein; der 
Fußboden soll gedielt, nicht „von Leimen oder Steinen“ sein. 
Dabei steht das wahre Wort: „Erkennten die Menschen die 
Wahrheit, so würden sie aller Orten sich willig entschließen, 
auf gemeinschaftliche Kosten und durch gemeinschaftliche 
Arbeiten, wie die Bienen am Bienenstock, gute, gesunde 
Schulhäuser für ihre lieben Kinder zu bauen; die Baukosten 
werden durch den Nutzen zehnfach ersetzt.“ Auch dieser Ent¬ 
wurf wünscht den Kindern, „die bis jetzt nur Unterricht für 
den Geist erhalten und dabey so viele müssige Zeit haben“, 
Unterricht „in freyer Luft in Leibesübungen und in körper¬ 
lichen Spielen“. Ja, er stellt wohl zuerst den Satz auf: „Die 
Aerzte würden sich ein großes Verdienst um den Menschen 
erwerben, wenn sie freywillig das gute, menschenfreundliche 
Geschäft übernähmen, den Menschen und vorzüglich den 
Schullehrern einen gründlichen Unterricht über den Gesund¬ 
heitskatechismus zu ertheilen.“ 

Um dieselbe Zeit wird von pädagogischer Seite der 
Wunsch laut, den Kindern Gesundheitslehre vorzutragen. 
„Die Nothwendigkeit des Unterrichtes der Jugend in den 
wichtigsten Kegeln zur Erhaltung der Gesundheit,“ erklärte 
1793 Johann Adam Schmerler, Rector der gemeindlichen 
Schule in Fürth, „ist wohl nicht dem geringsten Zweifel aus¬ 
gesetzt und von allen vernünftigen Erziehern eingesehen 
worden“, und er weiß aus den Jahren 1770—1791 acht 
diesem Zwecke dienende Bücher von Junker, Kühn, Platner, 
Stijven u. s. w. zu nennen, die nur zu gelehrt oder zu breit 
gehalten seien ; Schmerler rühmt sich : „Ich habe die Gesund¬ 
heitslehre meinen Schülern schon längst vorgetragen und 
glaube nach meiner Erfahrung so viel behaupten zu dürfen, 
daß der diätetische Unterricht gut unterwiesenen Kindern 
von 8—12 Jahren auf diese Art vorgetragen und verständ¬ 
lich gemacht werden kann. Für Kinder, welche jünger sind, 
scheint mir ein zusammenhängender diätetischer Unterricht 
weniger zweckmäßig zu sein.“ 

All der gute und vortreffliche Samen, der in diesen 
Aeußerungen niedergelegt ist, schien zu verkümmern , statt 
nach Gebühr herrliche Früchte zu zeitigen. Die Zeit brachte 
ihnen kein genügendes Verständniß entgegen, obschon sie die 
Zeit der geistigen Erleuchtung durch Schiller, Goethe u. s. w. 
gewesen ist. Vielleicht trugen die unseligen politischen Ver¬ 
hältnisse einen guten Theil Schuld daran. Thatsache ist 
jedenfalls, daß 1836 der aus Böhmen gebürtige preußische 
Medicinalbeamte Karl Ignaz Lorinser dringlichst eine Re¬ 
form des Schulwesens „zum Schutze der Gesundheit der 


‘) R. Landau, Nervöse Schulkinder. Hamburg u. Leipzig 1902, L. Voss. 


Schüler“ verlangte und mit seinem Mahnruf die allgemeinste 
Aufmerksamkeit wachrief. Denn seine kleine Schrift rief in 
halb Europa eine lebhafte Polemik hervor, „an der sich zahl¬ 
reiche Aerzte und Schulmänner betheiligten, so daß gegen 
70 Streitschriften dafür und dagegen erschienen“ (Gurlt). Vor 
allem tadelte Lorinser die Vernachlässigung der körperlichen 
Ausbildung und forderte die Kürzung des Stundenplanes und 
Einschränkung der Hausaufgaben. Trotzdem ändert sich wenig, 
und noch 1858 schrieb D. G. M. Schreber in seiner Schrift 
„Ein ärztlicher Blick in das Schulwesen“ das zornige Wort: 
„Der Körper ist und bleibt die Wurzel des geistigen Lebens¬ 
baumes und der irdisch-menschlichen Existenz!“ Den frühen 
Schulbesuch der Kinder schalt er eine „Versündigung an der 
Generation“, den Unterricht bei ungenügender Gehirnentwick¬ 
lung, nämlich vor Ablauf des siebenten Lebensjahres, „ein 
Saft und Kraft vernichtendes Lernjoch“. Vom Schulgebäude 
forderte Schreber nicht bloß freie und gesunde Lage, Vor¬ 
handensein einer ordentlichen Ventilation, besten Trinkwassers 
u. s. w., sondern auch den Besitz eines Spiel- und Turnplatzes. 
Kein Kind solle länger als zwei Stunden ununterbrochen 
sitzen; Pausen von 10 oder 15 Minuten seien ungenügend; 
vielmehr müsse nach zweistündigem Sitzen Fürsorge für eine 
allseitige ausgleichende Körperthätigkeit getroffen sein. Mit 
militärischer Strenge will Schreber auf gesundheitsgemäße 
Körperhaltung geachtet wissen; zu solchem Zwecke bedarf 
die Schulbank der Rückenlehne und des Fußtrittes, einer 
geradkantigen Arbeitstafel, da eine runde richtigen Sitz ver¬ 
hindert , und der Körper muß mit voller Breite dem Tische 
zugewandt sein, so daß eine beide Schultern verbindende 
Linie der Tischkante parallel läuft; der Rücken muß ge¬ 
streckt sein, beide Arme müssen bis zur Ellenbeuge als 
Stützen des Oberkörpers aufliegen, die Beine dürfen nicht 
übereinander geschlagen werden; die Tafelhöhe soll der 
Magengegend des straff sitzenden Kindes entsprechen. Für 
Bücher und Hefte verlangt Schreber Geradlage. Allwöchent¬ 
lich will er Spaziergänge der Schüler und der Schülerinnen 
mit ihren Lehrern unternommen wissen, und für beide Ge¬ 
schlechter fordert er obligatorischen Turnunterricht. Der 
ganze Unterricht müsse der Entwickelung der Psyche ange¬ 
paßt werden, zu welchem Zwecke jeder Lehrer sachgemäß 
vorzubilden sei. 

Die Pflege der kindlichen Sehkraft hatte nicht zuerst in 
Schreber, sondern schon früher (1845) in dem Dresdener 
Augenarzt Johann Heinrich Beger einen beredten Anwalt 
gefunden. 

Der von Schreber der Schulbank gewidmeten Sorgfalt 
schlossen sich Fahrener und Farow 1865 an; besonders die 
Schädigung der kindlichen Wirbelsäule durch ungeeignete 
Schulbänke studirten 1861 Klopsch, 1862 Eulenburg und 
1872 Schildbach. 

Gleichzeitig mit Schreber trat für die Hebung der Schul- 
gesundbeitspflege Louis Pappenheim, damals Privatdocent in 
Berlin, ein und forderte sanitäre Ueberwachung der Schulen. 

Im 6.—8. Jahrzehnt des XIX. Jahrhunderts wuchs dann 
die Literatur über Schulhygiene beträchtlich an, wie aus der 
von Friedrich Falk gegebenen Uebersicht erhellt. Falk selber 
erörterte die hygienischen Ansprüche an das Schulhaus, das 
Schulzimmer und das Inventar und trat für das Turnen, 
auch das Mädchenturnen, lebhaft ein, das er für mehr als 
zehnjährige Kinder im Sommer durch Schwimmunterricht er¬ 
setzen möchte. In den Kreis seiner Betrachtungen zieht Falk 
auch den Unterrichtsplan und den Unterrichtsbetrieb und be¬ 
fürwortet schließlich eine schulhygienische Aufsicht durch die 
Aerzte. In letzterer Hinsicht pflichtete ihm 5 Jahre später 
der Schweizer Turnlehrer J. Zürcher in Aarau bei, der diese 
schulhygienische Aufsicht einer aus Schulmännern und Aerzten 
zusammengesetzten Commission überweisen will. Als deren 
Untersuchungsgegenstände führt er an: die Luft im Schul¬ 
locale , seine Belichtung, seine Sitze, die körperliche Bewe¬ 
gung und die geistige Anspannung der Zöglinge, die Straf- 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 40. 


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arten, die Unterrichtsmittel, das Trinkwasser, die Aborte und 
das körperliche Befinden der Kinder im Allgemeinen. Das 
Turnen schlägt Zürcher vor, in den untersten Classen durch 
Bewegungsspiele zu ersetzen. 

Damit sind wir in die gegenwärtige und letzte Phase 
der historischen Entwickelung der Schulgesundheitspflege ein¬ 
getreten. Es ist bekannt, daß den beamteten Aerzten in der 
That die hygienische Ueberwachung der Schulen anbefohlen 
wurde; darüber hat Feilchenfeld im Jahre 1893 zusammen¬ 
fassend berichtet. Schließlich begann man Schulärzte eigens 
aufzustellen, anfangs im Nebenamte (Frankfurt a. M. 1883), 
später im Hauptamte (Breslau, Dresden, Leipzig, Wiesbaden 
u. s. w.). Zur Zeit sind in zahlreichen Städten des In- und 
Auslandes Schulärzte aufgestellt und thätig. 

Es erübrigt nur noch, nachdem ich mich hauptsächlich 
mit den Zuständen im deutschen Sprachgebiete bisher be¬ 
schäftigt habe, mit einigen Worten des Auslandes zu ge 
denken. Auch dort ist sowohl staatliche Fürsorge als ärzt¬ 
liches Interesse für die Schule noch sehr jungen Alters, 
jüngeren noch als in Deutschland und Oesterreich. 

Rühmend hervorzuheben ist, daß der Turnunterricht in 
Dänemark schon 1814, in Schweden schon 1828 obliga¬ 
torischer Unterrichtsgegenstand wurde. 

Frankreich verordnete am 15. März 1850, daß die 
Aufsicht über die freien Schulen — Schulzwang gab es nicht 
— sich auf Hygiene und Salubrität zu erstrecken habe; ein 
Circular des Unterrichtsministers vom 10. Mai 1851 erläuterte 
diese Aufsicht dahin, daß der Schule aus der Nachbarschaft 
kein Schaden erwachsen dürfe, und daß in Schulpensionaten 
die Schlafsäle genügend groß und luftig wären, die Nahrung 
hinreichend; doch fand eine regelmäßige ärztliche Unter¬ 
suchung nicht statt. 1855 folgte eine Verordnung, die Schul- 
aborte zu desinficiren. Ein Erlaß vom 30. Juli 1858 be¬ 
schäftigte sich mit dem Schulbau und berücksichtigt Bau¬ 
platz, Schulzimmer, Fenster, Ventilation; ein geschlossener 
Hof oder Spielplatz erscheint wünschenswerth. Auf die Schul¬ 
bankfrage wurde nicht Rücksicht genommen. 

In den Sechzigerjahren erwarb sich dann die Commission 
des Logements insalubres einiges Verdienst, als sie bei ihren 
Untersuchungen in Paris auch die Schulen in sie einbezog. 
Ein Gesetz vom 30. October 1886 führte die ärztliche Schul- 
inspection ein, welche aber nur in den großen Städten wirk¬ 
lich durchgeführt ist; so waren 1889 für die Pariser Primär¬ 
schulen 126 Aerzte angestellt, zu denen 1892 drei Aerztinnen 
gekommen sind. 

Dem Schulhausbau wurde früher als in Frankreich in 
Belgien hohe Aufmerksamkeit gewidmet. Der Ministerial- 
erlaß betreffs des Baues der Gemeindeschulen von 1852 be¬ 
schäftigt sich mit Terrain und Bauart einer Schule, mit ihrer 
inneren Ausstattung, mit der Größe der Schulzimmer, ihrer 
Ventilation, Beheizung, Belichtung, mit Schulhöfen und Spiel¬ 
plätzen, mit den Aborten, mit dem Schulmobiliar und beleuchtet 
alle diese Fragen durch 29 große lithographirte Tafeln, so 
daß Martell Frank, der 1853 an das bayerische Staats¬ 
ministerium über seine Studienreise durch Frankreich und 
Belgien zu berichten hatte, diese Ministerialerlässe als Kanon 
für alle Fragen auf diesem Gebiete bezeichnete und schmerz¬ 
liche Vergleiche mit den Münchener Schulen mit ihrer schlechten 
Ventilation und Beheizung bei überfüllten Räumen zog. Schul¬ 
ärzte wirken wenigstens in Antwerpen seit 1874. 

In England forderte § 110 der Towns Improvement 
Clauses Act von 1847 bei Schulneubauten Vorlage des Bau¬ 
planes an die Ortspolizeibehörden, welche bei der Prüfung 
hauptsächlich auf gute Ventilationsanlage merken sollten. 
Für solche Schulen, welche auf staatliche Unterstützung An¬ 
spruch erheben, beanspruchte der Privy Council, daß das Ge¬ 
bäude gut beleuchtet, gesund gelegen, gut ventilirt und ent¬ 
wässert sei und jedem Kinde ein Luftraum von 10 Cubikfuß 
im Schulzimmer zukomme. Aehnliche Bestimmungen enthält 
auch das Gesetz von 1876. Eine ärztliche sch ul hygienische 


Ueberwachung blieb bis in die neueste Zeit unbekannt, und 
erst in der Gegenwart hat sich namentlich in London eine 
wesentliche Besserung darin gezeigt. 

In den übrigen europäischen Ländern ist erst in der 
Gegenwart der Sinn für die Schulhygiene lebendig geworden, 
und es gibt z. B. in der Schweiz und Ungarn bekanntlich 
musterhafte Einrichtungen. Holland hat Schulärzte seit 1865. 
Ganz vernachlässigt ist die Schulhygiene wohl noch im Orient, 
auch in Spanien und Italien. 

In Nordamerika sind die Schulaufsichtsbehörden 
nicht staatliche, sondern freigewählte Organisationen. Doch 
nimmt in Washington schon seit 1855 ein Arzt an der Sehul- 
inspection theil und berichtet über die Gesundheitsverhält- 
nisse. Zu New-York erschien auch bereits 1854 eine Schrift 
„Principles of scool architecture“ von A. Barnard , die sich 
wesentlich mit der Schulbankfrage beschäftigt. Gegenwärtig 
wird namentlich in Argentinien und in Chile viel Ersprie߬ 
liches für die Schulgesundheitspflege geleistet. Ein naeh- 
ahmenswerthes Stück Schulhygiene bildet der in Amerika 
ertheilte Enbaltsamkeitsunterricht, den in Nordamerika jetzt 
etwa 16 Millionen Schulkinder genießen. 

Daß von anderen außereuropäischen Ländern Japan 
gegenwärtig regen Antheil an der Schulhygiene nimmt, ist 
bekannt. 

So hat sich die Schulgesundheitspflege in kurzer Zeit 
nach langem Brachliegen ziemlich rasch Bahn gebrochen, und 
namentlich im deutschen Vaterlande wird ihr die verdiente 
Werthschätzung endlich zu Theil. Der alte Satz „Mens sana 
in corpore sano“ muß wieder zu Ehren gelangen, und an dieser 
hohen 'Aufgabe mitzurathen und mitzuthaten, ist ein hervor¬ 
ragend schöner Anspruch an die wissenschaftliche Heilkunde. 
Denn die Früchte solcher Arbeiten kommen den Kindern zu 
Gute, und für unsere Kinder ist das Beste gerade gut genug! 

Literatur. 1. Karl Strack, Geschichte des deutschen Volksschul¬ 
wesens, Gütersloh 1872- — 2. Funke, Polizeigesetze des Kgr. Sachsen, 1847, 
Bd. III. — 3. Döllingek, Medicinalwesen in Bayern, 1847. — 4- Eulenburg, 
Medicinalwesen in Preußen, 1874- — 5. J. P. Frank, System einer vollst. 
medicin. Polizey, Mannheim 1780. — 6- B. Chr. Faust, Gesundheitskatechis¬ 
mus, Leipzig 1794. — 7. Entwurf zu einem Gesundheitskatechismus für die 
Kirchen und Schulen der Grafschaft Lippe, Bückeburg 1793. — 8. J. A. 
Schmerler, Gesundheitslehre für Kinder, Nürnberg 1793. — 9- J. A. Schmidt¬ 
müller, Handbuch der Staatsarzneikunde, Landshut 1804. — 10- E. B. G. 
Hebenstreit, Lehrsätze der medicin. Polizeywissenschaft, Wien 1806. — 11- K. J. 
Lorinser, Zum Schutze der Gesundheit in den Schulen, 1836. — 12. J. H. 
Beger , Die Kurzsichtigkeit in ihrer Beziehung zur Lebens- und Erziehungs¬ 
weise der Gegenwart, Dresden 1845. — 13. L. Pafpenheim , Handbuch der 
Sanitätspolizei, Berlin 1858/59. — 14. D. G. M. Schreker, Ein ärztlicher 
Blick in das Schulwesen, Leipzig 1858. —’15- Friedrich Fai.k, Die sanitäts- 
polizeiliche Ueberwachung höherer und niederer Schulen, Leipzig 1868. — 
16. J. Zürcher, Die Sünden der modernen Schule, Aarau 1873. — 17. Oester- 
len, Handbuch der Hygiene, Tübingen 1876. — 18. Uffelmann, Darstellung 
der öffentlichen Gesundheitspflege in außerdeutschen Ländern, Berlin 1878. — 
19. Karl Götel , Die öffentliche Gesundheitspflege in den außerdeutschen 
Ländern, Leipzig 1878. — 20. A. Hirsch, Ueber die historische Entwickelung 
der öffentlichen Gesundheitspflege, Berlin 1889. — 21. A. Gottstein, Ge¬ 
schichte der Hygiene im XIX. Jahrhundert, Berlin 1901. — 22. W. Feilciien- 
feld, Der Arzt in der Schule, Leipzig 1893. — 23. H. Schiller, Die Schul¬ 
arztfrage, Berlin 1899. — 24. K. Roller, Das Bedürfniß nach Schulärzten 
für höhere Lehranstalten, Hamburg 1902. 


Referate. 

Krönlein (Zürich): Ueber den Verlauf des Magencar- 
cinoms bei operativer und nicht operativer Be¬ 
handlung. (Eine Bilanzrechnung.) 

Um über die Bedeutung der operativen Behandlung des 
Magencarcinoms ein sicheres Urtheil zu gewinnen, genügt die ein¬ 
fache Feststellung der unmittelbaren Operationsresultate, der Mor¬ 
talitätsziffern für die verschiedenen Eingriffe, nicht. Vielmehr müssen 
folgende Fragen beantwortet werden : Ob der Magenkrebs durch 
das Messer des Chirurgen wirklich heilbar ist, oder ob jede Ope¬ 
ration des Magenkrebses nur die Bedeutung eines Palliativ Verfahrens 
besitzt, welche das Leben zwar nicht zu retten, aber zu verlängern 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 40. 


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vermöge; oder endlich, ob auch diese Erwartung nicht zutreffe 
und wir uns zufrieden geben müssen, wenn wenigstens das Leben 
der Carcinomkranken durch die Operation erträglicher gestaltet 
wird. Ueber all diese Punkte müssen sich die praktischen Aerzte 
und die Internisten im Klaren sein, da sie es sind, die von den 
Patienten zuerst consultirt werden und nur in dem Falle, daß 
diese Fragen im günstigen Sinne beantwortet werden , können die 
Aerzte mit gutem Gewissen die Patienten den Chirurgen zuweisen. 

Verf. hat sich der Mühe unterzogen, alle in seiner Klinik in 
Behandlung gewesenen Fälle von operirtem oder nicht operirtem 
Carcinom des Magens nachzuuntersuchen und legt als Resultat 
seiner mühevollen Arbeit folgende Bilanzrechnung vor („Langen- 
beck’s Archiv“, Bd. 67, H. 3): 

1. Das Magencarcinom führt ohne Operation 
durchschnittlich nach ca. 1 Jahr zum Tode. 

2. Die Gastroenterostomie verlängert das Leben 
des Carcinomkranken durchschnittlich um 3 Monate. 

3. DioGastrectomie verlängert, sofern sie vom 
Itecidiv gefolgt ist, das Leben durchschnittlich um 
14 Monate. 

Wenn also auch die Leistungsfähigkeit der Operation eine 
bescheidene zu neunen ist, darf man doch nicht vergessen, in welch 
spätem Zustande die Carcinomkranken dem Chirurgen zugeführt 
werden. 9 Monate hat der Pat. durchschnittlich sein Carcinom 
herumgetragen; durchschnittlich sind ihm also noch 3 Monate Lebens¬ 
dauer gegönnt, und für diesen geringen Einsatz von 3 Monaten 
eines Jammerlebens gewinnt er die begründete Hoffnung, sein Leben 
um 3—14 Monate zu verlängern und die letzten Lebensmonate, 
wie wir dies bei Gastroenterostomirten und Gastrektomirten gewöhn¬ 
lich sehen, viel angenehmer zu gestalten. Außerdem ist es auch 
möglich, daß er bei frühzeitig ausgeführter Operation dauernd ge¬ 
heilt bleibt. Unter den nach untersuchten Gastrektomirten fanden 
sich 13 am Leben (darunter 1 Fall im 8. Jahre mit der Gastrek- 
tomie, 1 im 4., 2 im 3., 3 im 2. und 6 im 1. Jahre). 

Wenn also die Gastrektomic noch ausführbar ist, hat der Pat. 
auch Hoffnung auf Dauerheilung, und es ist daher Sache des prak¬ 
tischen Arztes, durch frühzeitige Diagnose und baldige Ueberweisung 
an den Chirurgen diese Hoffnung zu realisiren. Erdheim. 

Scholtz (Königsberg): Ueber den Einfluß der Roentgen- 
strahlen auf die Haut in gesundem und krankem 
Zustande. 

Verf. fand auf experimentellem Wege („Arch. f. Derm. u. 
Syph. u , Bd. 59, H. 1— 3), daß die Roentgenstrahlen selbst — nicht 
die elektrischen Entladungen — den allein oder doch wesentlich 
wirksamen Factor bilden. Die Wirkung auf die Haut findet nicht 
nur an ihrer Eintritts-, sondern auch an der Austrittsstelle statt; 
die nur wenig penetrationsfähigen Strahlen erwiesen sich hinsicht¬ 
lich der Hautwirkung gerade als die wirksamsten. Die Roentgen¬ 
strahlen wirken vorzugsweise oder ausschließlich auf die Haut, 
während andere Organe und Gewebe nur in geringem Grade be¬ 
einflußt werden. Selbst bei intensivster Bestrahlung macht sich die 
Wirkung klinisch stets erst nach mehreren Tagen geltend und ihren 
Höhepunkt erreicht sie in der Regel erst nach einigen Wochen. 
Eine baktericide Wirkung kommt den Strahlen jedenfalls nur in 
unbedeutendem Maße zu und dürfte bei der therapeutischen An¬ 
wendung kaum eine Rolle spielen. Experimentell erzeugte Impf- 
tuberculose im subcutanen Gewebe wurde durch Bestrahlungen 
nicht wesentlich beeinflußt. Was dio durch die Roentgenstrahlen 
hervorgerufenen histologischen Veränderungen angeht, so zeigte 
sich, daß diese primär und vornehmlich oder ausschließlich die 
zelligen Elemente der Haut betreffen, die einer langsamen Degene¬ 
ration verfallen, während Bindegewebe, elastisches Gewebe, Muscu- 
latur und Knorpel nur wenig und secundär alterirt werden. In 
erster Linie macht sich die Degeneration au den Epithelzellen 
geltend, in geringerem Maße an den Zellen der drüsigen Organe, 
der Gefäße, der Musculatur und des Bindegewebes. Sobald sie einen 
gewissen Grad erreicht hat, kommt es zu entzündlichen Reactions- 
erscheinungen mit starker Gefäßerweiterung, seröser Durchtränkung 


des Gewebes, Randstellung der Leukocyten und reichlicher Aus¬ 
wanderung weißer Blutkörperchen. Schließlich dringen die Leuko¬ 
cyten in Masse in die degenerirten Zellcomplexe ein und führen 
deren vollständige Zerstörung herbei. Für die Weiterentwicklung 
und die langsame Abheilung der Ulcerationen sind die Gefäßver¬ 
änderungen wahrscheinlich von großer Bedeutung. — Auf die 
kranke Haut ist die Wirkung der Bestrahlungen eine analoge. 
Beim Lupus betreffen die Degenerationsvorgänge speciell auch die 
Riesen- und die epitheloiden Zellen der Lupusknötchen; die eigent¬ 
liche Ausheilung kommt wesentlich durch die reactive Entzündung 
und Hyperämie zustande. Das principiell Wichtige und Eigenartige 
der Behandlung besteht darin, daß sich infolge der in den Lupus¬ 
knötchen selbst auftretenden Zelldegeneration die reactive Ent¬ 
zündung gerade auf die kranken Partien concentrirt. — An der 
Hand des Materiales der Breslauer Klinik — bei mehr als 200 
Kranken — fand S. sodann: Beim Lupus vulgaris leistete die 
Methode vielfach, so namentlich bei schweren Erkrankungen der 
Nase und der Lippen, mehr als andere, nicht bloß in kosmetischer 
Beziehung, sondern auch bezüglich der definitiven Ausheilung. Auch 
beim Lupus erythematosus wurden recht befriedigende, anscheinend 
freilich nicht dauerhafte Resultate erzielt. Bei Krankheiten des be¬ 
haarten Kopfes und des Bartes (Favus, Trichophytie, Sykosis und 
Folliculitis barbae) bestand die Hauptwirkung in der tadellosen 
Enthaarung; zur definitiven Heilung erwies sich aber eine geeignete 
Nachbehandlung erforderlich. Bei Acne vulgaris und rosacea waren 
die Erfolge nur mäßige, recht günstige dagegen oft bei Ekzemen, 
bei denen namentlich das Jucken rasch schwand. Bei Psoriasis 
wurde in den meisten Fällen eine fast vollständige, in einigen 
eine wirklich vollständige Abheilung der Efflorescenzen erreicht. 

G. 

N. N. KlRIKOW und K. 1. K0R0BK0W (St. Petersburg): Ueber die 
Leukocytose bei der HANOT’schen Krankheit 
(hypertrophische, ikterische Lebercirrhose). 

Unter 6 Fällen von HANOT’scber Krankheit wurde Hyper- 
leukocytose nur in einem Fall gefunden, der durch Lungentuber- 
culose complicirt war (9800—15.600). Der mittlere Leukocyten- 
gehalt bei dieser Kranken (bei 6 Bestimmungen) betrug 9600. In 
5 Fällen bestand Hypoleukocytose mit folgenden Mittelwerthen : 
6860 (14 Best.), 3970 (12 Best.), 1590 (12 Best.), 2410 (1 Best.), 
6290 (15 Best.). — Der letzte Fall betraf einen Halbwüchsling, 
bei dem die Krankheit in der Kindheit begonnen hatte. Von den 
letzten 5 Fällen näherte sich in zweien, darunter bei dem Halb¬ 
wüchsling, der Leukocytengehalt nicht selten der Norm. Die Zu¬ 
nahme der Leukocytose in den ersten Stunden nach dem Mittagessen 
(nach Untersuchungen in 4 Fällen, darunter auch der Halbwüchsling) 
war unbeständig und im Allgemeinen schwach ausgeprägt, dabei 
bestand keine deutliche Abhängigkeit vom Verdauungsproceß. Be¬ 
ständiger war (bei 3 Kranken) eine mäßige Zunahme der Leuko¬ 
cyten nach Spermininjectionen; diese Zunahme war bei dem Halb¬ 
wüchsling sicher bedeutender als die Nachraittagssteigerung. Im 
Allgemeinen war die Leukocytose bei der HANOT’schen Krankheit 
herabgesetzt. Was den ständigen Leukocytengehalt des Blutes 
betrifft, so zeigen von 17 Fällen (des Verfassers und anderer aus 
derselben Klinik) 12 Kranke Hypo- und Ortholeukocytose und nur 
5 richtige Hyperleukocytose. Die Hyperleukocytose weist augen¬ 
scheinlich auf eine jüngere Erkrankung oder mehr acuten Verlauf, 
auf Complicationen, auf einen gleichzeitigen anderen Krankheits- 
proceß oder auf die Entwickelung von schwerem Icterus hin. Der 
Ortholeukocytose nahekommende Verhältnisse, ebenso wie eine 
mehr normale Reaction auf Einflüsse, die gewöhnlich die Leuko 
cytose erhöhen, sind augenscheinlich solchen Kranken eigen, die 
auch auf der Höhe der Krankheit ihre Kräfte besser bewahren, 
deren Organismus kräftig zu reagiren und sich schnell zu bessern 
vermag. Die Fähigkeit der leukocytären Reaction ist im Allge¬ 
meinen schlechter erhalten bei Kranken mit geringem ständigen 
Leukocytengehalt. Der Leukocytengehalt geht nicht parallel dem 
Gehalt an Erythrocyten oder Hämoglobin. Die Processe der Leuko¬ 
cytose stehen bei der HANOT’schen Krankheit wahrscheinlich in 
Beziehung zum Zustand der lymphatischen und blutbildenden Organe, 


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1801 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 40. 


1802 


vielleicht ganz besonders der Milz. Der Gehalt an Erythrocyten 
(5—2»/ 2 Millionen) und Hämoglobin (85 — 45%) ist gewöhnlich 
herabgesetzt. In 4 Fällen betrugen die Mittelzahlen der Erythro¬ 
cyten : 3412 Taus. (4 Best.), 4760 Taus. (5 Best.), 3314 Taus. 
(7 Best.) und 3857 Taus. (7 Best.) bei dem Halbwüchsling. — 
Die entsprechenden Mittelwerthe für das Hämoglobin waren: circa 
60% (5 Best.), circa 80% (6 Best.), circa 70% (3 Best.) und 
circa 60% (8 Best.) bei dem Halbwüchsling. Eine bedeutendere 
chlorotische Blutveränderung bestand also nicht. Bei der 5. Kranken 
war der Hämoglobingehalt 45% (1 Best.). Die relative Leuko- 
cytose in 4 Fällen mit Hypoleukocytose betrug: 1 : 497, 1 : 1200, 
1 :2085 und 1:613 bei dem Halbwüchsling. Bei Verminderung 
der Erythrocyten und gleichzeitigem Fehlen absoluter Hyperleuko- 
cytose kann relative Hyperleukocytose (bis 1 : 250—180) beob¬ 
achtet werden. . B. 


W. Spindler (St. Petersburg): Neue Erfolge in der An¬ 
wendung der localen Anästhesie. 

Verf. betont („Wratschebnaja Gazetta“, 1902, Nr. 14), daß 
die unbedeutende Dauer der Anästhesie die ScHLEiCH’sehe Methode 
der localen Anästhesie mittelst Cocain in der Praxis oft unanwend¬ 
bar mache. Auch die bisherigen Ersatzmittel, wie Tropacocain, 
Eucain-B., hätten darin keinen Vorzug vor Cocain. Durch ver¬ 
gleichende Versuche am eigenen Körper und bei zwei Wärtern 
hat Spindler festgestellt, daß bei Injection von 5 Ccm. 0*2%iger 
Lösungen die Anästhesie 

bei Cocain nur 10—15 Minuten dauert, 
bei Tropacocain 10—15 Minuten, 
bei Eucain-B. 10—12 Minuten und 
bei Acoin 45—50 Minuten. 

Bei Benützung 0’l%iger Lösung war die Anästhesie nicht 
viel kürzer. Bei den ersten drei Präparaten trat die anästhesirende 
Wirkung sofort ein, bei Acoin erst nach nahezu 1 Minute. Die 
Injectionen waren vollkommen schmerzlos, nur bei der 0'2%igen 
Acoinlösung verursachte sie ein leichtes Brennen. Eine l%ige Acoin- 
lösung bewirkte an der Injectionsstelle Schmerz, die Anästhesie 
war aber andauernder. Die Quaddel, die sich an der Injections¬ 
stelle bildete, war bei Acoin größer als bei den anderen drei Prä¬ 
paraten. Nachschmerz wurde bei Anwendung von Acoin nicht be¬ 
merkt, während bei Cocain und Tropacocain Brennen von längerer 
Dauer, bei Eucain-B. Schmerz von 24 Stunden Dauer constatirt 
wurde. 

Die Resultate dieser Versuche veranlaßten Verf., das Cocain 
durch Acoin nach folgendem Recept zu ersetzen : 


Rp. Acoini. 01—0 2 

Natr. chlorat. 0'8 

Aq. dest.lOO'O 


Mit Hilfe dieser zuerst von Trolldenier vorgeschlagenen 
Lösung war es möglich, vollkommen schmerzlose Operationen aus¬ 
zuführen, welche mehr als 15 Minuten erforderten. Die lange 
Dauer der Anästhesie konnte gut ausgenützt werden zur Entfernung 
von Tumoren, bei Amputationen etc. Sehr gute Dienste leistete 
Acoin bei Neuralgie. Zähne können nach Injection von 1—2 Ccm. 
einer l%igen Acoinlösung in das Zahnfleisch fast schmerzlos ge¬ 
zogen werden. Bei Trachoma follicularis benutzte S. eine 0*5- bis 
1 %ige Acoinlösung zur Injection in die Conjunctiva palpebrarum, 
um mit der KNAPp’schen Pincette die Follikel schmerzlos auszu¬ 
drücken und vorübergehende Ablagerungen gründlich zu reinigen. 
Bei Anwendung der Acoinlösung war es auch möglich, leicht an 
die Stellen im Augenwinkel zu gelangen, die sonst für die Pincette 
schwer zugänglich sind. Die Reation ist hiebei ziemlich stark, 
nach 3—5 Tagen nimmt aber das Auge wieder das normale Aus¬ 
sehen an. Nach Trolldenier besitzt das Acoin eine so große 
bakterientödtende Kraft, daß schon eine 0‘l%ige Lösung das 
Wachsthum verhindert und daß l%ige Lösungen von Bakterien 
frei bleiben. Sp. hat gefunden, daß sich auf Ol—0‘2%igen Lösungen 
nach Verlauf einiger Wochen Schimmelpilze bilden. Auf jeden Fall 
bedeutet die Anwendung von Acoin einen großen Fortschritt auf 
dem Gebiete der localen Anästhesie. G. 


Eugen Holländer (Berlin): Der Lupus erythematodes. 

Die Krankheit des unzweckmäßig benannten Lupus erythema¬ 
todes wird hervorgerufen durch eine specifische Erkrankung der 
drüsigen Apparate der Haut und Schleimhaut, sowohl der Schwei߬ 
drüsen, als auch der Talg- und Schleimdrüsen. Sind nur die ober¬ 
flächlichen Haarfollikeldrüsen erkrankt, so gelingt es unschwer, 
diese noch durch die bekannten Mittel zu zerstören. Sitzen aber 
die Krankheitskeime erst in den tieferen Schweißdrüsen und den 
tiefen Talgdrüsen, so wird zunächst, z. B. nach einer Kauterisation, 
nur das oberflächlich gelegene Product zerstört, aber die in 
der Tiefe sitzenden Drüsenfundi bleiben erhalten und produciren 
die schädliche Noxe, welche ihrerseits bald wieder die typische 
Reaction erzeugt. Auf diese Weise erklärt sich ungezwungen das 
Recidiv nach einer Kauterisation. Auf diese Weise erklärt sich 
auch der ausbleibende Erfolg nach allen Manipulationen, welche 
einen entzündlichen und desquamativen Proceß der oberen Haut¬ 
schichten anstreben. Auf diese Weise erklärt sich das Recidiv nach 
Exstirpation durch Stehenbleiben der subcutanen Drüsenschläuche. 
Eine naheliegendere Erklärung für die Combination der Er¬ 
krankung mit Erfrierungen als durch eine Anomalie der secre- 
torischen Hautthätigkeit ist bisher nicht gegeben. Auf diese Weise 
auch ganz allein bekommen wir ein Verständniß für den merk¬ 
würdigen Verlauf der Spontanheilung. Die bloße Thatsache, daß 
nach jahrelangem Bestehen eine spontane Ausheilung erfolgt, bei 
welcher dann ein Untergang der Schweißdrüsen constatirt werden 
konnte, welche in den Uebergangsformen von Infiltration fettiger 
Degeneration und vollkommener Atrophie beobachtet wurden, hätte 
die Aufmerksamkeit auf den Causalnexus leiten müssen. Wie nun 
im Speeiellen die Erkrankung der secernirenden Hautdrüsen ge¬ 
staltet ist, darüber kann man bisher nur Vermuthungen aussprechen. 
Ob es sich um eine Pathologie der Drüsensecrete handle, oder ob 
vielleicht eingedrungene Erreger eine Rolle spielen, muß zunächst 
noch in suspenso bleiben. Jedenfalls kann man sich leicht vorstellen, 
daß eine Anomalie der secretorischen Thätigkeit der Drüsen 
den Reiz abgibt für die Bildung der sichtbaren Hautveränderungen ; 
sehen wir doch auch sonst constante und typische Gewebsreactionen 
auf bestimmte chemische Reize („Berl. klin. Wschr.“, 1902, Nr. 30). 
Es muß die nächste Aufgabe sein, in den Talg- und Schweißdrüsen 
nach solchen Erregern zu suchen, da sehr vieles für den Charakter 
einer infectiösen Granulationsgeschwulst spricht. Ungezwungen klärt 
sich das ganze Bild der primären Erkrankung und die Betheiligung 
der Talgdrüsen, die Prädisposition, die eine Erkrankung dieser, 
die Seborrhoe, schafft und die ganze Auffassung des Entdeckers der 
Krankheit als Seborrhoea congestiva, wenn wir nicht nur die Talg¬ 
drüsen, sondern sämmtliche drüsige und folliculäre Organe der 
Haut als Eingangspforten und gleichzeitig Austrittscauäle der 
Krankheit ansehen. N. 


E. Welander (Stockholm): Einige Worte über die Re¬ 
manenz des Quecksilbers im menschlichen 
Körper. 

Bereits in einer früheren Arbeit (1886) hatte Welander die 
Ansicht ausgesprochen und zu erhärten gesucht, daß das Queck¬ 
silber während der Remanenzzeit unter irgend einer löslichen Form 
sich im Blute oder den Körpersäften finde, entgegen den Befunden 
anderer Autoren, die das Hg an andere Gewebe, insbesondere an 
die Nieren, gebunden erachteten. Die erste Gelegenheit zur genauen 
Untersuchung dieser Verhältnisse bot sich dem Autor 1900, und 
der diesbezügliche Bericht liegt in der Festschrift Neümann vor. 
Ueber einen weiteren Fall handelt die vorliegende Arbeit („Arch. 
f. Derm. u. Syph.“, 1901, Bd. 57). Sechsundzwanzig Tage nach Ab¬ 
schluß einer in der Application von grauen Säckchen bestehenden 
Quecksilbercur in der Dauer von 22 Tagen war eine Pat. ver¬ 
storben, die an zerfallenden Gummen des weichen Gaumens, Ne¬ 
krose des Oberkiefers, gummöser Periostitis der Basis cranii etc. 
gelitten hatte. Zur Untersuchung auf Quecksilber wurde etwas 
Blut aus dem Herzen, ein Stück ganz ausgewässerter, ein 
Stück zum Theil ausgewässerter und ein Stück gar 
nicht ausgewässerter Niere verwendet. Auch hier fanden sich 


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1803 


1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 40. 


1804 


ganz analog dem früher untersuchten Falle nicht nur im Blute 
und der blutreichen Niere, sondern auch in der ausgewässerten 
Niere recht große Mengen Quecksilbers, natürlich in der nicht aus¬ 
gewässerten mehr, weil sich hier zu dem in der Niere enthaltenen 
Hg noch das im Blute befindliche hinzuaddirte. 

Sicher findet sich daher Quecksilber, entgegen der ursprüng¬ 
lich vertretenen Ansicht, nicht nur im Blute, sondern auch in den 
Nieren, und zwar scheint es höchst plausibel, daß das Nieren¬ 
epithel das Hydrargyrum in sich aufuimmt und allmälig seine 
Elimination vorbereitet; der mikroskopische Nachweis von Hg in 
den Epithelien mißlang zwar, aber die Nierenveränderungen (Cy- 
lindrurie, Albuminurie), die zuweilen während der Quecksilberappli- 
cation auftreten, würden für die Betheiligung der Epithelien sprechen. 

Nachträglich hatte der Autor noch Gelegenheit, verschiedene 
Organe zweier verstorbener Kinder auf den Quecksilbergehalt zu 
untersuchen, die im Allgemeinen die Ansicht bestätigten, daß der 
Quecksilbergehalt des Blutes der größere, der der untersuchten 
Organe (Niere, Lunge) der kleinere sei. Daß sich in der ausge¬ 
wässerten Lunge des zweiten mit Quecksilbersäckchen behandelten 
Kindes eine Menge Hg-Kügelchen fanden, läßt den Autor 
mit der Frage schließen, ob dies dem inhalirten Quecksilber zu¬ 
zuschreiben sei. Deutsch. 

W. KOPYTOWSKI und WlELOWCYSKI (Warschau): Beitrag zur 
Klinik und pathologischen Anatomie der Pity¬ 
riasis rubra Hebrae. 

Das Materiale für die vorliegende Untersuchung bilden drei 
in 12wöchentliehen Abständen einem an Pityriasis rubra erkrankten 
Manne, der übrigens bald darauf der Krankheit, bezw. einer inter¬ 
currenten Pneumonie erlag, entnommene Ilautstückchen. Die ent¬ 
zündlichen Veränderungen betreffen die Papillarschicht und die 
obere Schicht der Cutis und bilden entweder vereinzelte, meist aber 
zusammengeflossene Herde, in den tieferen Cutispartien folgt die 
Entzündung Haarbälgen, Gefäßen oder Schweißdrüsen; die Ent¬ 
zündungsherde der Papillarschicht bestehen aus Leukocyten, größeren 
epitheloiden Zellen und Farbstoffzellen, in den tiefer gelegenen 
Entzündungsherden gesellen sich dazu noch Riesenzellen. Im Be¬ 
reiche der Haarbälge (Haare fehlten) zeigte sich eine ganze Reihe 
von Veränderungen, die schließlich zur Bildung von Milien führen. 
Worauf die Autoren („Arch. f. Derm. u. Syph.“, Bd. 57, 1901) das 
Hauptgewicht legen, ist die Untersuchung in bakteriologischer Hin¬ 
sicht. Da Jadassohn in den Lymphdrüsen eines an Pityriasis rubra 
verstorbenen Kranken Tuberkelbacillen gefunden hatte, so wurden 
Hautstückchen unmittelbar nach der Excision Meerschweinchen in die 
Peritonealhöhle gebracht, die Impfung verlief negativ, wie auch die 
Färbung auf Tuberkelbacillen ein negatives Resultat ergeben hatte. 
Auch die Obduction des verstorbenen Kranken ergab keine An¬ 
haltspunkte für Tuberculose. Dagegen fanden die Autoren in der 
Cutis, an den von Entzündung freien Stellen, an den Seiten der 
Haarscheiden , der Schweißdrüsen und dort, wo fixe Bindegewebs- 
stellen angehäuft waren, vereinzelte oder gruppenweise liegende 
Kokkenmassen. Die Kokken färben sich leicht mit Anilinfarbstoffen, 
entfärben sich weder bei GßAM’scher noch bei W EiGERT’scher Fär¬ 
bung. Auf Agar entstanden Colonien grauweißlicher Punkte, die 
schließlich einen dicken, weißen Belag bildeten und sich als Rein- 
culturen von Diplokokken (zuweilen Tetrakokken) darstellten, welche 
an Größe die Gonokokken etw r as übertrafen. Culturen solcher Art 
wurden bei verschiedenen Impfungen von verschiedenen Körpergegen¬ 
den immer in gleicher Weise erhalten. Wenngleich die Impfung auf 
Meerschweinchen negativ verlief, so glauben die Autoren doch den 
aufgefundenen Coccus in unmittelbaren Zusammenhang mit der Er¬ 
krankung bringen zu sollen; seine Gegenwart veranlasse in den 
oberflächlichen und tieferen Hautschichten eine Herdentzündung, 
deren Producte den entzündlichen, infectiösen Granulomen analog 
seinen ; an diese entzündlichen Veränderungen schließe sich secundär 
Atrophie der Talgdrüsen und Haarbälge, Atrophie der Papillen 
und schließlich Verdünnung der Haut, zumal ihres Epithels, an. 
Diese Atrophia fibrosa cutis bildet den Endausgang des Krankheits- 
processes. Deutsch. 


P. Rissmann (Osnabrück): Ueber die schnelle Erweite¬ 
rung der Cervix mit dem Dilatatorium von 
BOSSI. 

Den günstigen Erfahrungen Leopold’s reiht R. weitere solche 
an, die er in 3 Fällen von Eklampsie (1 Todesfall) erhalten hat. 
Der letal ausgegangene Fall beweist nur, daß in der schnellen 
Erweiterung nach Bossi ebensowenig wie in den DüHRSSEN’schen 
Incisionen oder in der Sectio caesarea ein Heilmittel gegen eine 
schon länger bestehende Eklampsie zu erblicken ist. Bezüglich der 
Anwendung des Bossi’schen Instrumentes empfiehlt der Autor, mit 
dem Speculura die Portio einzustellen und anzuhaken. Wenn der Nonius 
etwa die Zahl 5 anzeigt, kann der hintere Scheidenhalter entfernt 
werden, während die Hakenzange sofort nach dem Einführen ab¬ 
genommen werden kann („Centralbl. f. Gyn.“, 1902, Nr. 28). 

Zu einer Verdünnung der Muttermundränder kommt es nicht; 
sie bleiben dick und es fehlt das, was wir mit dem Wort „Ver¬ 
streichen“ bezeichnen. Darum wird man auch nicht mit Sicherheit 
Voraussagen können, daß kein Cervixriß entstehen wird, wenn man 
die sofortige Entbindung der Dilatation folgen läßt. Ein solcher 
Cervixriß hat in der Klinik bei guter Assistenz nicht viel zu sagen; 
für die Verhältnisse der allgemeinen Praxis aber empfiehlt es sich 
darum, nach Herausnahme des Dilatatoriums zunächst abzuwarten, 
einen Kolpeurynter einzulegen und je nach Stärke und Häufigkeit 
der Wehen sein Verhalten einzurichten. 

Außer bei der Eklampsie wird das Dilatatorium auch bei der 
Einleitung der künstlichen Frühgeburt und bei der Abortusbehand- 
lung sich als nützlich erweisen. Fischer. 


W. Poten (Hannover): Die quere Eröffnung des Bauch¬ 
fells, besonders bei der abdominellen Entfernung 
des Uteruskrebses. 

Eine der Hauptgefahren der von Wertheim geübten Radical- 
operation des Uteruskrebses liegt darin, daß stundenlang unter 
schwierigen Verhältnissen bei offener Bauchhöhle gearbeitet werden 
muß. Peritonitis, Ileus und Shok sind die Folgen. Deshalb ver¬ 
suche man die Bauchhöhle nur vorübergehend zu eröffnen und 
einen Theil der Operation extraperitoneal auszuführen. Hieher ge¬ 
hören die Vorschläge von Mackenrodt, Amann und v. Herff. 
Diese 3 Operateure bedienen sich hiezu eines großen bogenförmigen 
oder queren Schnittes, durcli welchen die Bauchdecken fast ganz 
von ihrem Ansatz an der vordem Beckenwand abgetrennt werden. 
Zur Vermeidung dieses Uebelstandes trennt Poten („Ctrbl. f. Gyn.“, 
1902, Nr. 28) die Bauchdecken in der Längsrichtung vom Nabel 
bis zur Symphyse, jedoch nur bis zum Peritoneum, und schiebt jetzt 
den noch intacten Bauchfellsack nach rechts und links weit von 
den Muskeln ab. Quere Eröffnung des Peritoneums dicht oberhalb 
der Umschlagstelle auf die Blase, so daß ein schürzenförraiger 
Lappen entsteht, der nach hinten zurückgeschlagen und unterhalb 
des Promontoriums der hintern Beckenwand und dem Rectum auf¬ 
genäht wird. Damit werden die in steiler Beckenhochlagerung zurück¬ 
gesunkenen Därme mit Ausnahme des im Becken liegenden Mast¬ 
darmes vollständig gegen das Operationsgebiet, die Beckenhöhle 
abgeschlossen. Nach Beendigung der Operation werden die Ränder 
des Blasenperitoneums und Mastdarmperitoneums vereinigt und so 
der Beckenraum, welcher vorher nach dem Seheidenrest drainirt 
wird, mit Bauchfell überdeckt. Der über diesem gelegene Raum, 
unten von der serösen Fläche des vesicorectalen Bauchfells, oben 
von der bindegewebigen Seite des wandständigen Peritoneums be¬ 
grenzt, wird nach dem unteren Winkel der Bauchwunde hin drainirt. 

Die Vortheile dieses Operationsverfahrens liegen darin, daß 
die Gefahr der Peritonitis vermindert wird, die Därme nicht prola- 
biren und nur für kurze Zeit der Luft ausgesetzt sind, nicht ab¬ 
kühlen und weiterhin nur mit der serösen Fläche des Bauchfell¬ 
sackes in Berührung bleiben, also nicht, wie sonst, mechanischen 
Insulten durch eingestopfte Darmservietten ausgesetzt sind; so wird 
auch der Gefahr des Shoks und des Ileus vorgebeugt. 

Fischer. 


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1805 


1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 40. 


1806 


WiLMS (Leipzig): Tragfähiger Amputationsstumpf. 

Dem Verf. gelang eg, einen tragfähigen Stumpf nach der 
Amputation des Unterschenkels dadurch zu erzielen, daß er die 
Achillessehne auf die Amputationsfläche der Tibia umgeschlagen 
und mit der vorderen Fläche der Tibia vernäht hat. Die Heilung 
erfolgte glatt, Pat. stand nach 4 Wochen auf; der Stumpf ist 
völlig schmerzlos und functionirt tadellos. 

Verf. empfiehlt diese Art der Deckung von Amputations- 
Stümpfen für geeignete Fälle umso eher („Centralbl. f. Chir.“, 
1902, Nr. 27), als seine Erfahrung dafür spricht, daß es nicht in 
allen Fällen von Stumpfbehandlung nach Bier gelingt, durch 
Massage und Uebung die Unterfläche des Stumpfes zu kräftigen, 
sondern daß manchmal Druckatrophien der Haut zustande kommen. 

Erdheim. 


Kleine Mittheilungen. 

— Die Gefahr der Chloroformnarkose beleuchtet M. Cohn 
(„Deutsche Zeitschr. f. Chir.“, Juli 1902 — „Bcrl. klin. Wschr.“) 
durch die Mittheilung eines Falles von protrahirter Chloroform¬ 
wirkung mit tödtlichem Ausgange. Ein sonst gesundes junges 
Mädchen wurde wegen eiteriger Tubensäcke laparotomirt. Die 
Operation zeigte einige Schwierigkeiten; sie dauerte eine Stunde, 
der Chloroformverbrauch war sehr groß. In den ersten Tagen 
war Pat. somnolent, dann bekam sie maniakalische Anfälle; es 
stellte sich hochgradiger Icterus ein, am 5. Tage ging sie unter 
den Erscheinungen des Lungenödems zugrunde. Auf dem Sections- 
tisch keine Sepsis, keine Peritonitis, die parenchymatösen Organe 
zeigten trübe Schwellung, die Leber präsentirte sich als icterische 
Muskatnußleber. Durch die mikroskopische Untersuchung wurden 
schwere Veränderungen an Leber, Nieren und Herz nachgewiesen. 
Besonders die ersten beiden Organe zeigten starke Destruction. 
In der Niere waren vorzugsweise die gewundenen Harncanälchen 
betroffen, deren Epithel zum größten Theil zugrunde gegangen 
war. Die Leber wies hochgradige Zerstörung der Kerne und Fett¬ 
infiltration auf. Der Papillarmuskel des Herzens war desgleichen 
verfettet. Verf. empfiehlt im Rückblick darauf, daß einerseits keine 
Contraindication zur Chloroformnarkose vorlag, andererseits das 
Experiment keine so schweren Organläsionen beim Aether ergeben 
hat, weitgehende Benutzung desselben für die Narkose. 

— Die Behandlung der Lungenblutung erörtert Robinson 
(„Centralbl. f. d. ges. Therapie“, 1902, Nr. 4). Man beruhige 
den Kranken, löse oder entferne die Kleider und bringe ihn in 
halbliegende Stellung. Man spritze 0'015 — 0 01 Grm. Morphin 
mit O'OOOö—O'OOl Atropin unter die Haut ein. Ein Theelöffel 
voll Kochsalz kann trocken auf die Zunge gegeben werden oder 
20—60 Tropfen Acidum sulfur. arom. in etwas Wasser. Auf die 
Brust kommt eine Eisblase zu liegen. Blutet es noch trotzdem 
(etwa 1 / 2 Stunde später), so schnüre man die Extremitäten um, 
nicht zu fest, aber fest genug, um den Abfluß des venösen Blutes 
zu verhindern. Unter keinen Umständen gebe man Secale oder 
Alaun, Gallensäure oder Gerbsäure, oder irgend ein locales Ad¬ 
stringens. Secale hat keine hämostatische Wirkung, es sei denn 
unmittelbar bei Uterusblutung, und es stört die Thrombenbildung 
durch Steigerung des Druckes im Lungenkreislauf. Locale Adstrin- 
gentien aber, wenn in den Magen gebracht, können keinen Einfluß 
auf die blutenden Gefäße in der Lunge ausüben und schaden durch 
Reizung des Magens, wobei es zu Uebelkeit und Erbrechen kommt; 
auch machen sie Verstopfung. Man verordnet absolute geistige und 
körperliche Ruhe, spärliche, nahrhafte, vorwiegend flüssige Diät 
und beseitige die Verstopfung durch Magnesium sulfuricum oder 
Klystiere. Prophylaktisch, um weitere Blutungen zu vermeiden, 
gebe man große Mengen Gelatine, verschiedentlich zubereitet. 
Leichte Collapszustände lasse man ungestört; in schweren Fällen 
gebe man Kampher subcutan und Nitroglycerin; auch Strychnin, 
aber nicht Digitalis. Daneben kommen einige heiße Wasserflaschen 
an die unteren Extremitäten zu liegen. Unter Umständen muß 
man Darmeingießungen von großen Mengen Kochsalzlösung machen, 
oder es kann nöthig werden, letztere subcutan oder intravenös 
einzuspritzen. 


— Die Tätowirung an Stelle der Augenprothese empfiehlt 
De Wecker („Die ophthalm. Klinik“, 1902, Nr. 12). Die Pro¬ 
these bleibt nur für diejenigen Fälle reservirt, wo das Auge durch 
Verletzungen oder perforirende Entzündungen geschrumpft ist, oder 
wo ectatische Augen operativ verkleinert wurden. Die große 
Vollendung der Tätowirung einerseits und die Möglichkeit, durch 
eine Durchschneiduug der 4 Recti das geschrumpfte Auge größer 
erscheinen zu lassen, sind Gründe genug, um den Unglücklichen, 
welche sonst gezwungen wären, eine Prothese zu tragen, diese 
Erleichterung zu verschaffen. W. berichtet über einige derartige 
Fälle, in welchen die exact ausgeführte Tätowirung ein über¬ 
raschend gutes Resultat ergeben hat. 

— Die Resection des Nervus pudendus internus zur 
Behandlung des hartnäckigen Vaginismus empfiehlt Tavel 
(„Revue de Chir.“, 1902, Nr. 27 — „Berliner klin. Wochen¬ 
schrift“). Er berichtet über 2 Fälle, bei welchen er diese Behandlung 
mit gutem Erfolge ausführte. Diese Methode wurde bei schmerz¬ 
haften Affectionen des äußeren Genitale beim Weibe schon vor 
40 Jahren von Simpson angewendet, jedoch anscheinend von anderen 
Chirurgen bei Vaginismus nicht wiederholt, wenn sie auch ge¬ 
legentlich zur Beseitigung schmerzhafter Formen von Urethro- 
Cystitis versucht wurde. T. verbreitet sich über die topographische 
Anatomie des Nervus pudendus internus und seiner verschiedenen 
Zweige und beschreibt diese Operationsmethode. Der äußere Schnitt 
wird an einer Seite des Dammes von vorn nach hinten in der 
Mitte der Fossa zwischen der Tuberositas ossis iscliii und dem 
äußeren Rande des Anus angelegt. Der Nerv, dessen Verlauf durch 
die Pulsation der begleitenden Arterie angezeigt wird, wird sorg¬ 
fältig von diesem Gefäß lospräparirt und nach rückwärts bis zu 
seinem Stamm verfolgt. Die Hauptäste, welche die Muskeln der 
Vulva und das schmerzhafte Gebiet der Haut versorgen, werden 
nahe ihrem Ursprünge durchtrennt und die peripheren Aeste des 
Nerven mittelst Drehung herausgerissen. Bei dieser Operation ist 
darauf zu achten, daß der Nervus haemorrhoidalis inferior und 
die Analzweige des Perineus profundus entfernt werden. 

— Die Herba violae tricoloris bei hartnäckiger Acne 
Vulgaris empfiehlt Behrmann („Dermat. Centralbl.“, Juli 1902). 
Er verordnet das Mittel in Form eines Theeaufgusses oder einer 
Abkochung mit Wasser oder Milch (1 : 10). Die Wirkung des 
Mittels ist leicht zu erklären. Zunächst wirkt die in der Pflanze 
enthaltene Salicylsäure, besonders wenn der Thee oder die Ab¬ 
kochung recht warm getrunken wird, schweißtreibend und fördert 
dadurch die Ausscheidung des Fettes durch die Schweißdrüsen, 
dessen Stauung ja das Wesen der Acne vulgaris bildet. Ferner 
hat die keratolytische Wirkung der Salicylsäure Gelegenheit, sich 
hier als heilendes Moment zu documentiren. Betrachtet man die 
Akne als den Ausdruck und die Folge einer Intoxication, so wirkt 
das in dem Stiefmütterchen enthaltene Magnesiumtartarat als Ab¬ 
führmittel und beseitigt die Toxine aus dem Darme, während die 
Salicylsäure ihre antizyraotische Wirkung entfalten kann. In vielen 
Fällen von Acne wirkt die Herba violae tricoloris geradezu electiv, 
besonders wenn nicht eine Schälcur der Anwendung vorausgegangen 
ist. Man sieht die Acneefflorescenzen unter ihrem Gebrauche einzeln 
hervortreten und sich markiren. Applicirt man auf dieselben während 
der Nacht ein Carbol- oder Salicylquecksilberpflastermull, dessen 
Reste man am Morgen mittelst Benzin und Watte entfernt, so tritt 
ein Aufbrechen der großen und eine Resorption der kleineren 
Pusteln ein. Die aufgebrochenen Knoten läßt man tagsüber bei 
Kranken, die ihrem Berufe nachgehen, mit Borsäure oder Puder 
bedecken, bei solchen, die das Haus hüten können, legt man ein 
Zink- oder Zinkichthyolpflastermull auf und' kann dieses Leiden 
ohne Berufsstörung und ohne zum Messer zu greifen, in abseh¬ 
barer Zeit heilen. 

— Das Formalin als Conservirungsmitiel des Harns ist 

nach den Untersuchungen Jaffe’s („Therapie d. Gegenw.“, 1902, 
Nr. 4), wenn Harnanalysen vorzunehmen sind, unzweckmäßig, da 
gewisse Reactionen durch die Gegenwart des Formalins aufgehoben 
werden. So erhält man bei Zusatz von Formalin und einer Mineral¬ 
säure zum Harn einen dicken Niederschlag von Diformaldehyd- 
harnstoff. Aus diesem Grunde ist Salpetersäure in einem Formalinharn 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 40. 


1808 


als Fällungs- and Erkennaagsmittel für Eiweiß nicht za gebrauchen. 
Dagegen ist die Kochprobe zum Nachweise des Eiweißes brauchbar, 
so lange der Harn nicht mehr als 2% Formalin enthält, während 
bei einer stärkeren Concentration das Eiweiß nicht mehr gerinnt. 
Ein reducirender Körper, vermag Formalin ebenso wie Zucker die 
TROMMEtt’sche und N YLANDEu’sche Zuckerprobe positiv zu gestalten, 
jedoch, ist der Farbenton nicht so intensiv gelb wie bei Anwesen¬ 
heit von Traubenzucker, außerdem kommt es auch nicht zu der 
bekannten blauen Lösung des Kupfersulfates, vielmehr setzt sich 
das letztere ungelöst ab, und schließlich tritt die Reduction erst 
bei starkem Kochen auf. Bei einiger Aufmerksamkeit läßt sich 
also die Zuckerprobe in einem Formalinharn mit ziemlicher Sicher¬ 
heit anstellen. Von ungünstigerem Einfluß ist dagegen das Formalin 
bei einigen in der Praxis seltener vorkommenden Fällen: Da das 
Formalin die Eigenschaft hat, sich mit Harnsäure zu einer in 
Wasser ungemein leicht löslichen Verbindung zu vereinigen, die 
auch durch Zusatz von Salzsäure nicht zerstört wird, so ist der 
Harnsäurenachweis in einem Formalinharn unmöglich. Desgleichen 
gelingt in einem solchen Harn der Indicannachweis nicht, da das 
Formalin an das bei dieser Reaction intermediär entstehende Indoxyl 
herantritt und die Bildung des Indigo verhindert. Der Nachweis 
des Acetons wird durch Formalinzusatz nicht gehindert. Dagegen 
gelingt die Diacetessigsäurereaction (Gerhardt) mit Eisenchlorid 
nicht. Auch die TOLLENs’sche Pentosenreaction (Orcinprobe) versagt 
schon bei Zusatz von kleinen Mengen Formalin zum Harn. Gar 
nicht gestört durch Formalinzusatz wird die GMELiN’sche Probe 
zum Nachweis von Gallenfarbstoff, die Urobilinprobe und die 
WRiL’sche Reaction zum Nachweis des Kreatinin. 


Literarische Anzeigen. 

Specielle Diagnose der inneren Krankheiten. Ein 

Handbuch für Aerzte und Studirende von Wilhelm Leilbe. 

II. Band. Sechste neubearbeitete Auflage. Mit G8 Abbildungen. 

660 S. Leipzig 1901, F. C. W. Vogel. 

Wenig medicinische Lehrbücher haben eine so einmüthig 
günstige Beurtheilung erfahren wie Leube’s Diagnostik; wer das 
Buch einmal benützt hat, wird davon eine angenehme Erinnerung 
behalten und es immer wieder gern zu Rathe ziehen. Es verdankt 
seine Beliebtheit gewiß nicht bloß seiner erstaunlichen Reichhaltig¬ 
keit, sondern weit mehr seiner Zuverlässigkeit; überall findet 
man eine Fülle von brauchbaren Angaben und überall gewinnt 
man den Eindruck, daß eigene Beobachtung der Darstellung zu¬ 
grunde liegt. Der zweite Band enthält die Diagnose der Krank¬ 
heiten des Nervensystems einschließlich der Tropho- und Angio- 


Feuilleton. 


Die Karlsbader Naturforscherversammlung. 

(Orig.-Corresp. der „Wiener Med. Presse“.) 

II. 

Daß die Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte 
diesmal unter dem Zeichen der Balneologie stand, war Ton vorne- 
lierein anzunehmen. Und in der That beschäftigten sich viele der 
Vorträge mit Themen aus diesem Gebiete. So feiert J. Kdff (Karls¬ 
bad) den unter dem Namen „der Karlsbader Hippokrätes“ berühmt 
gewordenen Dr. David Becher, welcher von 1725 bis 1792 hier 
gewirkt und in wissenschaftlicher Hinsicht zuerst die Bedeutung 
dieser Quellen gewürdigt hat. Trotzdem ihm, nach dem damaligen 
Stande der Chemie und Physiologie, nur sehr bescheidene Hilfs¬ 
mittel zur Verfügung standen, vermochte er es doch, durch ein¬ 
fache analytische und technische Verfahren und die .ihm eigene 
glückliche Intuition die Zusammensetzung der mineralischen Be- 
standtheile, die physikalischen Eigenschaften, die Wirkung der 
Quellen und die Herstellung der Sprudelsalze anschaulich zu machen, 
auch Verhütungsmaßregeln gegen Einbrüche des Tepl-Wassers in 
den Sprudel anzugeben. — Meyerhoffer (Berlin), der über die 


neurosen und der Muskelerkraokangen, die Constitutions- und die 
Infectionskrankheiten. Auf allen Gebieten haben die allgemein in- 
teressirenden neueren Forschungen weitgehende Berücksichtigung 
erfahren. Es werden freilich nicht alle Tbeile alle Leser gleich¬ 
mäßig befriedigen (z. B. Migräne, Neurasthenie) , das ist aber 
nebensächlich und bei einem persönlichen Buche unvermeidlich. 
Der zweckentsprechenden Anordnung und dem angenehmen Vor¬ 
trage reiht sich die Ausstattung empfehlend an. Infeld. 


Anleitung beim Studium des Bauet der nervöten 
Centralorgane im getundea und kranken Zu¬ 
stande. Von Dr. Heinrich Oheretehier, o. ö. Professor und 
Vorstand des neurologischen Institutes an der Wiener Uni¬ 
versität. Vierte vermehrte und amgearbeitete Auflage. Wien 
1901, Franz Den ticke. 

Das überall bekannte ond allseits nach Verdienst gewürdigte 
Werk Obersteiner’s braucht beim Erscheinen der vierten Auflage 
keine empfehlenden Worte. Wer die Arbeitskraft «nd die Emsig¬ 
keit des Autors kennt, ist davon flbeneugt, daß Oberstkiner alle 
jene Beobachtungen, die seit dem Erscheinen der dritten Auflage 
hinsichtlich des Aufbaues des Centralnervensystems gemacht wurden, 
verwerthet hat; eine Durchsicht des Buehes, das eine große Zahl 
neuer Abbildungen aufweist, zeigt, daß überall die bessernde Hand 
des verständigen Lehrers bemüht war, Unklarheiten zn beseitigen 
und die Darstellung zu einer lichtvollen zn machen. Obersteiner's 
Buch gilt mit vollem Rechte als mnstergiltig. F. W. 


Gyn&ecologia Helvetica. Heraasgegeben von Dr. 0. Beuttner. 

Erster Jahrgang (Bericht über das Jahr 1900). Mit 23 Illu¬ 
strationen. Genf 1901, Henry Kündig; Gießen, Emil Roth. 

Das vorliegende Bändchen, welches aiy&hrlich wiederkehren 
soll, referirt in ausführlicher und durch Abbildungen instruirender 
Weise alle jene Arbeiten, Dissertationen und Mlttheiluagen, welche 
von in der Schweiz lebenden Aerzten auf geburtshilflich-gynäko¬ 
logischem Gebiete aasgegangen sind. Hiebei sind in erster Linie 
die Publicationen in den drei schweizerischen medicinischen Zeit¬ 
schriften — dem „Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte“, der 
„Revue m6dicale de la Suisse romande“ und dem „Bolletino medico“ 
— berücksichtigt, von denen die zwei letztgenannten Journale in 
deutschen Bibliotheken nur selten anzntreffen sind. Mit Recht hat 
der Herausgeber die Grenzbestimmung der Geburtshilfe und Gynä¬ 
kologie ziemlich weitgezogen und ein besonderes Verdienst sich 
auch dadurch erworben, daß er das Gebiet der thierärztlichen Ge¬ 
burtshilfe und Gynäkologie mit in den Rahmen seiner als Nach¬ 
schlagewerk gedachten Arbeit anfgenommen hat. Fischer. 


ch emisch-physikalischen Eigenschaften der Quellen 
sprach, knüpfte an die van T’HOFF’schen und ARRHENius’schen Lehren 
vom osmotischen Druck und den Ionen an. Er zeigte in einer 
systematisch angelegten Darstellung die Verwendung dieser Theorien 
für die Erkenntniß der Mineralqaellen und für deren Einwirkung 
auf den Organismus. Den Begriff der „Osmotischen Analyse“ und 
deren Beziehungen, einerseits zu richtigeren Anschauungen über 
die Zusammensetzung der Heilwässer, andererseits über deren Ein¬ 
fluß auf die Flüssigkeiten des Körpers wußte er sehr klar ausein¬ 
anderzusetzen , zumal auch die Wirkung minimalster Quantitäten, 
welche als Katalysatoren wirken. 

Einen Glanzpunkt bildete der Vortrag von E. Süess (Wien) 
über das Wesen der heißen Quellen. So bedauerlich es 
auch war, daß die schwache Stimme des greisen Gelehrten den 
großen Theaterraum nicht durchdringen, sondern nur den Nächst¬ 
sitzenden verständlich verden konnte, so waren doch die Ausfüh¬ 
rungen dieser Celebrität von actuellem Interesse. Befinden wir uns 
doch hier in Karlsbad unmittelbar über einem der mächtigsten 
Heißwasser - Reservoire unserer Erde, das ähnlich wie die Geysir 
auf Island und im Yellowstonegebiet von den gewaltigen Vorgängen 
der Tiefe Kunde gibt. Und sind doch gerade die enormen und 
weit verbreiteten Vulkanausbrüche dieses Jahres so recht geeignet, 
unsere Aufmerksamkeit auf diese Erdrevolutionen zn lenken. SüKSs 


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1809 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 40. 


1810 


plauderte schlicht, einfach, sachlich, phrasenlos, ungemein fesselnd 
über Infiltrationswässer, über die Abstammung der Kohlensäure, 
die Beziehungen der heißen Quellen zum Granit, Hornstein u. s. w. 
Er entwickelte die geistreichsten Ansichten über Vadosewässer, über 
die Pulsationserscheinnngen und deren verschiedenartigen Typus, 
über die rhythmischen Phasen vulkanischer Eruptionen und deren 
Ursachen, über sogenannte „parasitische Krater“, vor- allem auch 
über die enormen, für uns fast unfaßbar hohen Temperaturen des 
Erdinnern. Es war ein Genuß, den Mitteilungen dieses feinen Be¬ 
obachters zu folgen, der schließlich, indem er anf die heißen alka¬ 
lischen Quellen Karlsbads specieller einging, unseren Geist in die 
unterirdischen Gänge und Spalten führte, aus denen das juvenile, an 
festen Bestandteilen so ungemein reiche Wasser, mit Dampf ver¬ 
mischt, unaufhörlich pulsirt. 

Neben diesen naturwissenschaftlichen Vorträgen gingen aber 
auch bedeutungsvolle medicinische einher. Besonders waren es die 
zwei großen Referate über Physiologische Albuminurie 
von Drkser (Elberfeld) und von Leube (Würzburg), auf die sich 
das Interesse coucentrirte. Der Erstere hatte sich die theoretisch¬ 
wissenschaftliche, speciell chemische Seite des Themas erwählt, 
der Letztere die klinisch-praktische. Und so erhielten wir in der 
That ein vollständiges Bild dieser eigenartigen biologischen Er¬ 
scheinung, welche anf der Grenzlinie zwischen normaler und patho¬ 
logischer Nierenfnnction steht. Dreser verbreitete sich über die 
Secretion8theorien, die Function der Glomeruli, den Mechanismus 
der Harnabsonderung und die Ursachen, welche den Stoffwechsel 
in den Nieren, vor Allem die Ausscheidung von Eiweiß beeinflussen. 
Er ging auf die experimentellen Compressionen der Nierengefäße 
und deren Folge für die Secretion ein, berührte auch die Art der 
Wirkung der Diurese, zumal die Verhältnisse dos Blutdrucks und 
die Bedeutung der vasomotorischen Reizung für diese Processe. — 
Leobe ging von der Frage aus: „Ist der normale Harn eiwei߬ 
frei? und kam zu dem Resultate, daß jeder Gesunde minimale 
Mengen von Eiweiß ausscheidet, die sich nach physischen und 
psychischen Anstrengungen sogar wesentlich bemerkbar machen 
können. So zeigen Soldaten nach dem Exerciren , Sportsmen nach 
körperlicher Arbeit, wie Reiten etc., vorübergehend, allerdings ohne 
Beeinträchtigung ihrer Gesundheit und ihres Wohlbefindens, Albu- 
men im Harn. Die Neigung hiezu ist individuell ganz verschieden; 
auch spielen die Beschaffenheit des Herzmuskels, der Körperstellung 
und ihre plötzliche Veränderung, die größeren oder geringeren 
geistigen Emotionen dabei eine ausschlaggebende Rolle. Auch das 
kalte Bad kann reflectorisch eine physiologische Albuminurie er¬ 
zeugen, das heiße Bad sie redressiren. Ferner sind Nahrung und 
Lebensalter, speciell die Pubertät, nicht ohne Einfluß. Interessant 
waren auch die Ausführungen über don bei manchen Personen 
cyklischen Verlauf dieser Erscheinung, sowie über den diagnostischen 
Nachweis, über die Pulsverhältnisse, das hygienisch-diätetische Ver¬ 
halten u. s. w. 

Auch die letzte „Allgemeine Sitzung“, die sonst gewöhnlich 
schon schwächer besucht ist, diesmal aber noch ein volles Audi¬ 
torium von Damen und Herren zeigte, bot uns zwei sehr ansprechende 
Vorträge. Die Bedeutung der Schilddrüse im Haus¬ 
halte der Natur erörterte der ausgezeichnete Wiener Chirurg 
Frh. v. Eiselsberg in erschöpfender Weise. Brachte der Vortrag 
auch uns Aerzten kaum Neues , so war er doch seiner Leichtver¬ 
ständlichkeit und Uebersichtlichkeit wegen gerade für ein gemischtes 
Publicum sehr geeignet. Der Redner schickte eine Skizze der ana¬ 
tomischen Verhältnisse des Organs und einen Rückblick auf die 
Geschichte der Schilddrüsenbehandlung, zumal der schon vor 100 
Jahren angegebenen Verwendung des Jod, voran. Er zeigte dann, 
wie auf Grund von Thierversuchen allmälig sichere Operations¬ 
methoden gewonnen wurden und brach dabei eine Lanze für die 
Berechtigung des wissenschaftlichen Thierexperimentes. Anschaulich 
schilderte er die Kachexia strumipriva, den Cretinismus, das Myx¬ 
ödem in Wort und Bild, das Wesen der „inneren Secretion“, die 
Vorzüge der Schilddrüseneinverleibung und das Wesen des ende¬ 
mischen, vielleicht an bestimmte Trinkwässerarten geknüpften Vor¬ 
kommens von Kröpfen — v. Wettstein (Wien) gab eine Uebersicht 
über den jetzigen Stand der Lehre vom Neo-Lamarckis- 


m u s, als dessen entschiedenen Anhänger er sich bekannte. Es war 
ein eigener Reiz, dem Redner in seinen fesselnden Betrachtungen 
über die Neubildung mannigfacher Formen im Pflanzen- und Thier¬ 
reich folgen zu können und dabei sich die Differenz zwischen der 
ein Jahrhundert alten Theorie von Lamarck und der 50 Jahre 
jüngeren von Darwin klar zu machen. Ein Organismus kann, so 
führte er aus, sich innerhalb gewisser Grenzen verändern, aber es 
geschieht dies nicht auf Grund des Zufalls; auch sind diese Vor 
gänge nicht lediglich nach der Selectionstheorie zu erklären. Die 
eigeuthümlichen Organisationsraerkmale gehen vielmehr infolge 
veränderter Lebensbedingungen und zweckmäßiger Anpassung all¬ 
mälig Veränderungen dauernder, ja wesentlicher Natur ein. Bei¬ 
spiele bieten uns die Mykologie, die Umgestaltung der Cultur- 
pflanzen, die Forstwissenschaft und Viehzucht in großer Menge. 
Ja, diese Correlationsfähigkeit tritt überall in der Natur als ein 
Gesetz auf, nach welchem sich die Anpassungsfähigkeit des Indi¬ 
viduums äußert. Nichts Neues wird hervorgerufen, sondern es werden 
ganze Merkmalsgruppen verändert. Dabei reagiren verschiedene 
Arten sehr verschieden auf die äußeren Einflüsse und sicher ist 
auch die Vererbung erworbener Eigenschaften dabei betheiligt. 
Natürlich können nur Eigenschaften vererbt werden, welche durch 
directe Anpassung erworben wurden, nicht etwa accidentelle Ver¬ 
letzungen. In manchen Fällen bilden sich vicariirende und inter¬ 
mediäre Arten als Umprägungsformen aus, theils infolge veränderter 
physiologischer Existenzbedingungen, theils als Reductionserschei- 
nungen bei längerem Nichtgebrauch bestimmter Organe oder ver¬ 
minderter functioneller Inanspruchnahme derselben; dann aber 
werden diese veränderten Formen dauernd, ja nicht selten für 
immer festgehalten. Für uns Aerzte ist besonders die sich auf 
diesem Wege ausbildende Veränderung der Virulenz pathogener 
Mikroorganismen von praktischer Bedeutung. 

Doch ich will für heute, wo der Congreß sein Ende erreicht 
hat, schließen und behalte mir nur noch vor, in meinem Schlu߬ 
bericht auf interessantere Mittheilungen in den medicinischen Sec- 
tionen zurückzukommen. Trotz des unausgesetzt schönen, sonnigen 
Wetters, trotz der verlockenden Ausflüge nach Gießhübl-Puchstein, 
wo Herr Heinrich v. Mattoni und dessen Söhne die Aerzte und 
Naturforscher gastlich empfingen, trotz der täglich arrangirten 
Spaziergänge und Unterhaltungen wurde ja ungemein fleißig ge¬ 
arbeitet. CV) 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Aus den Abteilungen 

der 

74. Versammlung deutscher Naturforscher und 

Aerzte. 

Karlsbad, 21.—27. September 1902. 

(Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) 

II. 

Abtheilung für Physiologie. 

Arthur Foges (Wien): Zur Lehre von den secundären Ge¬ 
schlechtscharakteren. 

Castrations- und Hodentransplantationsversuche, die F. im 
Wiener physiologischen Institute an Hähnen angestellt hat, ergaben 
in Bezug auf die Frage der secundären Geschlechtscharaktere 
folgende Resultate: Das castrirte Thier, der Kapaun, hat einen 
Sporn, der so groß wie der eines Hahnes werden kann, eine 
Thatsache, die von den Züchtern nicht angegeben wurde. Unter 
33 Castrationsversuchen war die Operation 19mal unvollständig 
gewesen, und blieb an normaler Stelle ein größerer oder kleinerer 
Hodenrest zurück; man konnte an diesen unvollständig castrirten 
Thieren sehen, daß die Ausbildung der secundären Geschlechts¬ 
charaktere in quantitativer Hinsicht von der Größe der 
fn net io ns fähigen Substanz der Keimdrüse abhängig ist. 
Die Transplantation von Hodenstücken und ihre Erhaltung im 


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1811 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 40. 


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functionsfähigen Zustande schien viel leichter zu gelingen bei 
Thieren, welche wenigstens noch einen Rest des Hodens an der 
normalen Stelle besitzen; sie gelang aber auch bei vollständig 
castrirten Thieren (2mal). Diese Thiere hatten keinen voll¬ 
ständigen Kapaun-, aber auch keinen vollständigen Hahncharakter. 
Durch diese Thatsache wurde das Bestehen einer „inneren 
Secretion“ der männlichen Keimdrüse bewiesen, ebenso 
wie es früher schon für die weibliche Keimdrüse festgestellt worden 
ist. Daß sich bei den 2 Thieren die äußeren Sexualcharaktere nicht 
vollständig ausbildeten, hat seinen Grund wohl darin, daß nur 
eine ganz kleine Menge Hodengewebes zur Anheilung gekommen 
ist uüd diese nicht ausreichte, um den Hahncharakter vollständig 
auszulösen. 

Die Transplantation von Hoden und Ovarien auf ein anderes 
Individuum (Hahn, Kapaun, Henne) ist auf die Dauer nicht 
gelungen. 

Abtheilung für Allgemeine Pathologie und patho¬ 
logische Anatomie. 

KARL STERNBERG (Wien) berichtet über die Ergebnisse seiner 
Untersuchungen über die Wirksamkeit todter Tuberkel¬ 
bacillen. 

Es wurden Culturen von Bacillen der Tuberculose des Men¬ 
schen, die durch mehrmalige eine halbe Stunde dauernde Sterilisirung 
im strömenden Dampfe sicher vollständig abgetödtet worden waren, 
Kaninchen und Meerschweinchen injicirt. Hiebei ergab sich, daß todte 
Tuberkelbacillen im Wesentlichen die gleichen anatomischen Verände¬ 
rungen hervorrufen können wie lebende Tuberkelbacillen und den Tod 
der Versuchsthiere bewirken. Bei histologischer Untersuchung findet 
man in verschiedenen Organen Tuberkelknötchen, die oft auch Ver¬ 
käsung zeigen. Weitere Untersuchungen zeigten , daß die patho¬ 
gene Wirkung der Tuberkelbacillen an eine im Bakteriuraleib enthal¬ 
tene toxische Substanz gebunden ist, die das wiederholte, lange 
dauernde Erhitzen im strömenden Dampfe aushält und durch 
Extraction mit Alkohol, Aether und Chloroform den Bakterien¬ 
körpern entzogen werden kann. Zwischen der Wirkung der Tuberkel¬ 
bacillen und sogenannter Pseudotuberkelbacillen bestehen so durch¬ 
greifende Unterschiede, daß eine nahe Verwandtschaft zwischen 
beiden Bacillenarten, die von einzelnen Autoren angenommen wurde, 
unwahrscheinlich ist. 

Diese Untersuchungen haben wahrscheinlich auch eine praktische 
Bedeutung, indem anzunehmen ist, daß ein Theil der Bacillen im 
Sputum eines Phthisikers, wenn sie auch gut färbbar sind, bereits 
abgestorben ist; auch ist es möglich, daß einzelne Veränderungen 
in der tubevculösen Lunge von todten Tubelkelbacillen hervorge¬ 
bracht werden. Jedenfalls aber kann die Wirkung todter Tuberkel¬ 
bacillen im Menschen nur eine begrenzte sein. 

Rudolf Kraus und Karl Sternberg (Wien) berichten über 
die Wirkung der Serumhämolysine im thierischen 
Organismus. 

Bei Hunden bewirkt ein Immunhämolysin (Serum eines mit 
Hundeblutkörperchen vorbehandelten Kaninchens), in großen Mengen 
injicirt, einen acuten Tod in 15—20 Minuten. Geringere Mengen 
rufen bei den Versuchstieren ein schweres, zum Tode führendes 
Krankheitsbild hervor, das durch Hämoglobinämie, Hämoglobinurie, 
schwere Anämie, allenfalls auch Icterus charakterisirt ist. Die Ver¬ 
suche zeigen, daß das Immunhämolysin innerhalb des Organismus 
in gleicher Weise wirkt wie außerhalb desselben; gleichzeitig liefert 
die genaue anatomische Untersuchung der Organe einen wichtigen 
Beitrag zur Pathogenese des Icterus, indem sie zeigt, daß ein 
reines Blutgift, das nicht auch die Leber schädigt, lediglich durch 
den Blutzerfall und die daraus resultirende Polycholie Icterus er¬ 
zeugen kann. 


Abtheilung für Chirurgie. 

Stolz (Straßburg i.E.): Ueber das Wachsthum der Gallensteine. 

Redner weist darauf hin, daß Gallenstauung und Infection 
nach Naunyn u. A. die wesentlichsten Momente für Gallensteine 
sind und macht dem gegenüber darauf aufmerksam, daß nach 


seinen Untersuchungen in einer Gallenblase, welche bereits Gallen¬ 
steine besitzt und dadurch gewiß den beiden Factoren Stauung und 
Infection Vorschub leistet, sich doch nicht neue Gallensteine bilden. 
Dieser Theorie stehe auch entgegen, daß sich die vorhandenen 
Steine wieder auflösen können. Dagegen haben seine Untersuchungen 
an extrahirten Steinen bewiesen, daß es sich bei Vermehrung und 
Vergrößerung der Steine stets um eine Auflagerung von Kalk han¬ 
delt, in deren Schale im Centrum der Gallenstein liegt. Redner de- 
monstrirt die gewonnenen Steine. 

Riedel (Jena): Ueber den pathologisch-anatomischen Befund bei 
dem ersten Anfall von Gallensteinkolik. 

R. bekommt wie die Appendicitis so auch jetzt die Gallen¬ 
steinkoliken in den ersten 12 Stunden nach dem ersten Anfall 
überwiesen. Er berichtet über einige Fälle, die den Eindruck einer 
Hydronephrose machten, die er also gleich nach dem ersten Anfall 
operirte, und die ihn in Erstaunen setzten wegen der großen Verän¬ 
derungen, die sich bereits gebildet hatten : Fast stets freie Flüssigkeit 
im Bauch, Ductus cysticus papierdünn, der Perforation nahe, dabei 
bakteriologisch fast nichts. Wenn daher auch die Gefahr der bereits 
eiugetretenen Perforation noch durch schleunige Operation abge¬ 
wendet werden kann, so plädirt er doch nach dem Gesehenen für 
schleunigste Operation nach dem ersten Anfall. 

Kehr (Halberstadt): Ein Rückblick auf 720 Gallensteinlaparoto¬ 
mien unter besonderer Berücksichtigung von 90 Hepaticus- 
drainagen. 

K. hat in den Jahren 1890—1898 3(>0 Gallensteinlaparotomien, 
von 1898 — 1902 eben so viele Operationen ausgeführt. Sein Ma¬ 
terial ist also in den letzten 4 Jahren um das Doppelte gewachsen. 

In der Einleitung seines Vortrages schildert der Redner, wie 
er bei seinen 720 Autopsien in vivo die pathologische Anatomie 
der Cholelithiasis viel besser studiren konnte, als das dem inneren 
Arzt am Sectionstisch und Krankenbett vergönnt ist, und wie er 
bei fast täglicher Uebung eine specielle Diagnostik und eine stricte 
Indicationsstellung erlernen konnte. Er weist darauf hin, daß bei 
Steinen in der Gallenblase und im Cysticus in 80—90% der Fälle 
der Icterus fehlt und daß er selbst bei Steinen im Choledochus 
und Hepatieus in 30% vermißt wird. Fast ebenso oft fehlt jede 
Leberschwellung. Der Palpationsbefund an Leber und Gallenblase 
ist oft völlig negativ und doch ist eine Operation dringend noth- 
wendig. Die Eintheilung Naunyn’s in eine reguläre und irreguläre 
Cholelithiasis verwirft K., von den Naturheilungen, die er als Fistel¬ 
bildungen zwischen Gallensystem und Intestinis in 30 Fällen an¬ 
traf, hält er nicht viel; meistentheils bleiben Steine zurück. Die innere 
Medication darf nicht das Bestreben haben, die Steine aufzulösen 
und abzutreiben, sondern muß im Gallensystem Ruhe schaffen und 
durch Beseitigung der Entzündung die Cholelithiasis in das Stadium 
der Latenz versetzen. Aerzte, die vorgeben, ein Mittel zu besitzen, 
welches die Steine auflöst, ohne daß sie über die Zusammensetzung 
ihrer Mittel in fachwissenschaftlichen Zeitschriften berichten, rechnet 
K. mit Recht zu den Curpfuschern, denn sie wenden ihre Mittel 
an, gleichgiltig ob Eiter in der Gallenblase steckt oder ein großer 
Stein den Choledochus versperrt. Die Anwendung der „Vibrations¬ 
massage“ bei entzündlichen Processen im Gallensystem ist durchaus 
unwissenschaftlich. Eine specielle Diagnose, ob die Steine in der 
Gallenblase oder im Choledochus stecken, ob Choledochusverscbluß 
durch Stein oder Tumor vorliegt, ist, nach K. möglich, doch muß 
man erst eine hundertfältige Operationserfahrung hinter sich haben, 
ehe man eine solche specielle Diagnostik erlernt. Nur auf dem 
Wege der anatomischen Diagnosen ist eine stricte Indications¬ 
stellung, ob eine Karlsbader Cur genügt oder eine Operation am 
Platze ist, möglich. 

K. hat in den letzten 11 Monaten von 195 Gallenstein¬ 
kranken nur 100 operirt und steht keineswegs auf dem Stand¬ 
punkt, daß immer operirt werden muß; ganz im Gegentheil, er 
hat manchen Patienten von der Operation zurückgestellt, die von 
dem vorher behandelnden Arzt für nöthig gehalten wurde; er ist 
aber der Meinung, daß bei der acnten serös-eiterigen Cholecystitis 
und beim chronischen Choledochusverscbluß zu selten und vor allen 


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1813 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 40 


1814 


Dingen zu spät operirt wird. Seine Indicationen für die innere 
und chirurgische Behandlung der Oholelithiasis faßt K. in folgenden 
Sätzen zusammen: 

1. Ich erkenne an, daß in vielen Fällen von Oholelithiasis 
eine Herbeiführung des latenten Stadiums durch Ruhecuren, Alka¬ 
lien etc. gelingt und in einer Reihe von Fällen dauernden Erfolg 
hat. Besonders bei der sogenannten chronisch recidivirenden Chole¬ 
cystitis vermag eine regelmäßig in Karlsbad oder Neuenahr, auch 
zu Hause vorgenommene Ruhecur die Koliken derart zu mindern, 
daß kein Grund zu einer Operation vorliegt. Aber ich bezweifle, 
daß häufig eine wirkliche Heilung, d h. eine Ausstoßung sämmt- 
licher Steine durch innere Curen erzielt wird. Nach meiner Meinung 
darf es auch gar nicht unser Bestreben sein, die Steine abzu¬ 
treiben, es ist viel richtiger, wenn wir dafür sorgen, daß sie sich 
in der Gallenblase ruhig verhalten, und daß die entzündlichen Pro- 
cesse beseitigt werden. Der wochenlang fortgesetzte Gebrauch von 
heißen Umschlägen (am besten in Form der Thermophore) leistet 
neben Bettruhe und einer Trinkcur von Karlsbader Wasser in-dieser 
Beziehung die besten Dienste. 2. Die theoretische Berechtigung der 
Frühoperation im Sinne Riedel’s, die Steine zu entfernen, so lange 
sie noch in der Gallenblase stecken, besteht nach wie vor, da in 
vielen Fällen nur eine frühzeitige Operation den Kranken vor 
schweren Gefahren (Perforation, Cholämie, Carcinora) behüten kann. 
Eine allgemeine Durchführung der Frühoperation in der Praxis ist 
aber ganz unmöglich und aus diesem Grunde hat die Indications- 
stellung Riedel’s keinen praktischen Werth. 3. Wenn die Anfälle 
leicht verlaufen, zwischen denselben immer wieder völlige Latenz 
(absolute Unempfindlichkeit der Gallenblasengegend) eintritt, ver¬ 
zichte ich auf eine Operation. 4. Der acute Choledochusverschluß 
ist bis auf wenige Ausnahmen intern zu behandeln. Treten die 
cholangitischen Erscheinungen in den Vordergrund und zieht sich 
der Icterus unter Verfall der Kräfte und absoluter Appetitlosigkeit 
in die Länge, so ist eine Operation zu erwägen. 5. Häufige Ko¬ 
liken ohne Icterus und ohne Steinabgang verlangen bei Schädigung 
des Allgemeinbefindens und Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit 
und des Lebensgenusses die Operation. 6. Fälle mit Icterus und 
jedesmaligem Abgang von Steinen geboren dem Internen; häufen 
sich die Anfälle, kommt der Patient sehr herunter und ist keine 
Hoffnung auf völlige Ausstoßung der Steine vorhanden, so ist die 
Operation am Platze. 7. Der Hydrops und das Empyem der Gallen¬ 
blase und pericholecystische Eiterungen gehören dem Chirurgen. 
In den wenigen Ausnahmefällen, bei welchen ein steriler Hydrops 
gar keine Erscheinungen macht, mag der Patient seine geschwol¬ 
lene Gallenblase so lange mit sich herumtragen, bis Beschwerden 
sich einstellen und sich häufen. 8. Der chonische Choledochusver¬ 
schluß soll bei Versagen einer gründlichen Karlsbader Cur nicht 
zu spät chirurgisch behandelt werden. 9. Gallensteine, die dem 
Morphium verfallen sind, müssen unter allen Umständen operirt 
werden. Während der Nachbehandlung bietet sich die beste Gele¬ 
genheit zur Morphiumentziehung. 10. Die Behandlung des Gallen- 
blasencarcinoms kann nur bei ganz frühzeitiger Operation einen 
dauernden Erfolg haben. Da aber eine Frühoperation jeder Mensch 
scheut und Spätoperationen keinen Zweck haben, dürfte es nur 
selten gelingen, das Üebel vollständig zu heilen. 11. Kranke mit 
chronischem Icterus, der nicht auf Stein im Choledochus und un¬ 
heilbaren Lebererkrankungen beruht, müssen spätestens 3 Monate 
nach Beginn des Icterus operirt werden, da nicht selten statt des 
vermutheten Carcinoms des Pankreaskopfes die heilbare Pancrea- 
titis chronica iuterstitialis gefunden wird. 12. Der Entschluß zu 
einer Operation wird sowohl dem Arzt als auch dem Patienten 
leicht gemacht durch den Nachweis eines Gallenblasentuinors, der 
geschwollenen Leber, durch Auftreten von Icterus und Fieber. Aber 
auch ohne localen Befund an Leber und Gallenblase dürfen wir 
bei hochgradigen, andauernden, einer inneren Medicatiou unzugäng¬ 
lichen Beschwerden operiren. Man findet in solchen Fällen, beson¬ 
ders bei Männern, häufig Adhäsionen traumatischen Ursprungs 
ohne Steine. 13. Die Folgezustände der Oholelithiasis, die eitrige 
Cholangitis, der Leberabsceß, die Perforationsperitonitis, der sub¬ 
phrenische Absceß, hochgradige Pylorus und Duodenalstenosen, oft 
auch der Gallenstein-Ileus müssen chirurgisch behandelt werden. 


14. Der Schlußparagraph endlich heißt: Allgemeine Indicationen zu 
einer Gallensteinoperation anfznstellen ist nicht gnt möglich. Man 
muß von Fall zu Fall entscheiden. Männer, besonders fette, ver¬ 
tragen eine Operation schlecht. Frauen, die geboren haben, eignen 
sich gut zu einem chirurgischen Eingriff. Bei reichen Leuten ist 
die Indication anders zu stellen als bei armen, aber dieser Satz ist 
nicht so zu verstehen, daß der Chirurg lieber die reichen Leute 
operirt, die ihm hohe Honorare zahlen, nein umgekehrt, die Armen 
müssen häufiger operirt werden, weil sie nicht in der Lage sind, 
die Wohlthaten einer Karlsbader Cur genießen und 6treng nach 
den diätetischen Vorschriften des Arztes leben zu können. Auf 
diese sociale Indication und auf die Forderung einer streng indi- 
vidualisirenden Behandlung habe ich schon in früheren Arbeiten 
hingewresen und mich dahin ausgesprochen, daß man bei Diabetes, 
Arteriosklerose, chronischer Nephritis, Lungen- und Herzerkran¬ 
kungen möglichst von einer Operation abstehen soll. 

K. hat seine Operationen in ausführlichen Tabellen zusam¬ 
mengestellt, deren Wiedergabe den Rahmen des Referats über¬ 
steigen würde. Nur soviel sei erwähnt, daß in 12 Jahren an 
(555 Kranken 1131 Einzeleingriffe ausgeführt wurden. Es waren 
53(5 Frauen und 119 Männer (5 : 1). Unter den ersten 360 Ope¬ 
rationen herrschen die Cystotomien vor, während bei den letzten 
3(50 die Ektomien und Hepaticus-Drainagen außerordentlich zuge¬ 
nommen haben. In 12°/o wurde das Gallensteinleiden durch Magen- 
affectionen complicirt. 

Bei den Todesfällen ist zu bemerken, daß auch solche Fälle 
mitgerechnet wurden, die mehr durch unglückliche Zufälle, wie sie 
nach jeder Laparotomie Vorkommen (Apoplexie, Urämie, Embolie 
der Pulm. art.) zugrunde gingen. Von den letzten 300 Operirten 
starb nur ein einziger Kranker an peritonealer Infection , von 
200 uncomplicirten Gallensteinoperationen in den letzten Jahren 
verliefen nur 3 letal = 1'5%. Die Gefahren der Hepat icusdrainage 
incl. Ektomie sind nicht größer als 3%. Operirt man nicht gar zu 
spät, so sind die Erfolge des geübten Gallensteinchirurgen ganz 
ausgezeichnet. 

Weiterhin theilt K. einige neue Erfahrungen mit, die er im 
letzten Jahr gemacht hat. Früher hat er bei Leuten, die das 
60. Jahr überschritten haben, sehr selten operirt, unter den letzten 
Operirten befinden sich 3, die das 70. Jahr überschritten hatten 
und doch geheilt wurden. Die Naht des Choledochus hat er ganz 
verlassen und macht nur noch die Hcpaticusdrainage, am liebsten 
combinirt mit der Ektomie. Schnelles und gründliches Operiren ist 
die Hauptsache. 

„Echte“ Recidive, d. h. ein Wiederwachsen von Steinen in 
einer völlig entleerten Gallenblase, hat K. noch nicht beobachtet, 
in 10% kommt es zu „unechten“ Recidiven, d. h. zu Entzün¬ 
dungen in der erhaltenen Gallenblase, Adhäsionsbeschwerden, Her¬ 
nien. Bei der Choledochotomie mit Naht werden in 10 —17 % 
Steine übersehen. Der Redner bespricht dann 13 Fälle, bei denen 
Beschwerden zurückkehrten und wendet sich scharf gegen die 
Aerzte, die von einer Operation nichts wissen wollen, „da die 
Steine doch wieder wachsen“. In keinem einzigen Falle ist ein 
Wiederwachsen bisher beobachtet worden. 

Im Schlußwort gibt Redner seiner Ueberzeugung Ausdruck, 
daß „die innere Medicin chirurgischer werden wird“, wenn die 
praktischen Aerzte bei den Gallensteinoperationen des Chirurgen 
häufiger zugegen sind und durch ein genaues Studium der patholo¬ 
gischen Anatomie in vivo die Diagnosen- und Indicationsstellung 
zu erlernen streben. 

Abtheilung für Geburtshilfe und Gynäkologie . 

R. Müllerheim (Berlin): Ueber Infantilismus. 

In der Pathologie gibt es eine Reihe krankhafter Zustände, 
welche darauf beruhen, daß gewisse Organe in ihrer Größe oder 
L:ige, in ihrer Form oder Function in einem Stadium verharren, 
welches dem fötalen oder infantilen Leben entspricht. Das Studium 
dieser Verhältnisse erhielt seine erste Anregung durch W. A. Freund, 
der die Lehre vom Infantilismus geschaffen hat. Die Aetiologie und 
Disposition zu pathologischen Zuständen infolge angeborener Ge- 


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1815 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 40. 


1816 


staltanomalien kennen wir durch ihn bereits an mehreren Organen. 
Dahin gehören die kurzgebliebenen ersten Rippen als Disposition 
zu Lungenleiden, die infantilen geschlängelten Tuben als Ursache 
zu Eileiter-Schwangerschaften und Krankheiten, die ausgebliebene 
S-förmige Krümmung des Rückgrates als Anlaß zur späteren 
Kyphose etc. etc. M. liefert einen neuen Beitrag zum Infantilismus 
auf Grund einer angeborenen Lageanomalie, und zwar in vier Fällen, 
in welchen die Niere an einer Stelle liegen geblieben, an der sie 
nur in der ersten Zeit des embryonalen Lebens gefunden wird, 
d. i. im Becken. Dieser Zustand -— Dystopia renis — hat nichts 
mit der Wanderniere zu thun, welche abnorm beweglich, während 
die congenitale Verlegung eine absolut fixirte ist. In der Literatur 
konnte er fast 200 Beispiele zusammenstellen. 

Die anatomischen Merkmale sind die Fixation bei Abwesenheit 
von entzündlichen Adhäsionen, die Abnormität der Gefäßversorgung 
und die Kürze des Uterus. Das Nierenbecken liegt nicht an der 
medialen Nierenkante, sondern bleibt, wie immer, in den ersten 
vier Monaten an der Vorderfläche der Niere. Die Lappung, welche 
oft persistirt, ist nach der Erfahrung der Chirurgen auffallend 
häufig. Es besteht ferner Disposition zur Tuberculose der Niere. 
Die doppelseitigen Nierendystopien können partiell verwachsen und 
die Hufeisenniere, oder total verschmelzen und die Kuchenniere 
bilden. Wandert eine Niere auf die andere Körperhälfte, so ent¬ 
steht die einseitige Doppelniere, welche Aufschluß gibt über manche 
Fälle von einseitigem Nierendefect. Für alle Typen von Nieren¬ 
dystopie werden Bilder, znm Theil Präparate gezeigt. Ein Curiosum 
von 3 Nieren wird so erklärt, daß die embryonale Furchung der¬ 
artig tief ging, daß eine Niere in mehrere Theile getrennt wurde, 
wo jeder Theil eigene Gefäße und Ureter hat. 

Bei einem Embryo von circa 1 Monat entsteht an dem Ur- 
nierengang eine Ausstülpung, deren Stiel der Ureter, deren auf¬ 
getriebenes Ende die Niere bildet. Durch Längenwachsthum des 
Ureters wandert die Niere vom Beckenende bis in die Regio lum- 
balis. Wird sie auf dieser Strecke ihrer Wanderung aufgehalten, 
dann kann sie an jeder Stelle ihres Weges liegen bleiben und zur 
normalen Größe auswachsen. 

In der Regel erleidet die Beckenniere keine besonderer Func¬ 
tionsstörung. Wenn sie aber erkrankt, so gefährdet sie den Träger 
mehr als sonst, wegen des engbegrenzten Raumes, indem Ver¬ 
drängungen entstehen. 

Infolge der Rückwirkung auf die Nachbarorgane entstehen die 
häufig coincidirenden Mißbildungen am Genitalapparat beiderlei Ge¬ 
schlechts. Wenn man Mißbildungen an den Genitalien findet, soll 
man stets auf Abnormitäten an den Nieren fahnden, auch auf 
Nierendefect. M. beobachtete einen Fall von vollständigem Fehlen 
von Vagina, Uterus und Adnexen bei gleichzeitiger Beckenniere. 
Czerny kam bei der Operation einer Atresia ani auf ein Gebilde, 
das den Zugang zum Darm verlegte; bei der Obduction erkannte 
er das Hinderniß; es war die im Becken liegen gebliebene Niere. 

In einem Falle lag die Niere direct vor dem inneren Leisten¬ 
ringe und hinderte den Hoden am Descensus in den Leistencanal. 

Nach den Beobachtungen von Freund und Veit hat die vor 
dem Promontorium liegende Beckenniere einen bestimmenden Ein¬ 
fluß auf das Zustandekommen des infantilen Beckens und damit 
auf die secundäre Kyphose der Wirbelsäule. 

Am häufigsten von allen klinischen Erscheinungen sind die 
Darmstörungen; sie gaben schon öfters die Indication zur Exstir¬ 
pation jenes räthselhaften Tumors, den man zwar als Ursache der 
Beschwerden, aber nicht als Niere erkannte. Größer ist aber die 
Zahl der unglücklichen Operationen, in denen man erst nach der 
Operation oder bei der Section erkannte, daß mau eine Nephrec- 
tomie gemacht hatte. Die Gynäkologen sind am häufigsten in diese 
Verlegenheit gekommen. Die Gefahr wird doppelt groß, wenn man 
vaginal den vermeintlichen Tumor exstirpiren will, und zwar wegen 
des atypischen Verlaufes von Gefäßen und Ureter. In der Geburt 
sind Compressiouen der Niere mit Nephritis, Eclampsie und Throm¬ 
bose vorgekommen. Man sah sich wiederholt genöthigt, die künst¬ 
liche Frühgeburt wegen Raumbeschränkung einzuleiten. Es wurden 
Lageveränderungen, erschwerte Extraction des hochgeschlagenen 
und eingeklemmten Armes, selbst Uterusruptur beobachtet. Nach 


solchen Erfahrungen muß man die Diagnostik zu erweitern suchen. 
M. hat zwei Fälle von Beckenniere rechtzeitig diagnosticirt und 
wird über die Diagnostik ausführlich an anderer Stelle berichten. 
Diese angeborene Lageanomalie, bei welcher die Niere persistirt 
an der Stelle ihrer ursprünglichen embryonalen Bildung, ist ein 
Beispiel für die Bedeutung des Infantilismus und dessen Disposition 
zu manchen pathologischen Zuständen. 

Discussion. 

Sellheim beobachtete zweimal Bildungsanomalien der Niere, in dem 
einen Falle lag die Niere als walzenförmiger Körper in der Höhe des letzten 
Lendenwirbels, an ihn schlossen sich beiderseits Tumoren an. Während des 
Lebens wurde diese Mißbildung festgestellt und nach dem Ableben der Frau 
als Hufeisenniere bestätigt. Hingegen kann von einer Einstülpung des Darmes 
durch die verlagerte Niere als Ursache der Atresia ani, wie Müllerheim an¬ 
nimmt, keine Rede sein, da dieselbe stets als eine Hemmnngsbildung aufzu¬ 
fassen ist. 

v. Rosthorn beobachtete einen Fall von Darmstenose bei einer Schwan¬ 
geren durch einen Tumor, der hinter dem Uterus im Douglas lag, und der 
sich bei der Laparotomie als tief gelagerte gelappte Niere erwies. In einem 
zweiten Fall war die cystische Niere intraligamentär gelegen, v. R. betonte 
die Nothwendigkeit, bei einer eventuellen Operation die abdominale Cöliotomie, 
welche klare Uebersicht gewährt, zn machen. 

Falk weist auf die Neigung derartig verlagerter Nieren zur Hydro- 
resp. Pyonephrosenbildung hin und beschreibt einen derartig von ihm mit 
Erfolg operirten Fall, in dem eine manneskopfgroße secundäre Pyonephrose 
bis in das Becken herabreichte, ohne daß eine größere Beweglichkeit des 
Tumors bestand, so daß der Tumor durch einen zwischen Nabel und Symphyse 
angelegten Schnitt entfernt werden konnte. Der Ureter zeigte tief herab¬ 
reichende Theilung. 

W. A. Freund. Bei derartiger Verlagerung der Niere ist es stets 
wichtig, sich über etwa bestehende Abnormitäten der Wirbelsäule und des 
Beckens zu informiren. Bei Vorhandensein einer derartigen Abnormität wird 
in fraglichen Fällen die Stellung der Diagnose erleichtert. So fand Fr. bei 
Dystopia renis eine Lumbalkyphose, welche ebenfalls als ein Zeichen des in¬ 
fantilen Ursprunges der Mißbildung aufzufassen ist. 

Sperling (Königsberg): Zur Aetiologie der sogenannten intra¬ 
uterinen Fracturen des Unterschenkels. 

Während man für die angeborenen Defecte der Extremitäten 
allgemein Abschnürungen durch amniotische Stränge infolge Raum¬ 
verengerung durch Mangel an Fruchtwasser annimmt, sucht man 
die Ursache für intrauterine Fracturen in einem von außen ein¬ 
wirkenden Trauma. Dieses ist jedoch sicher nicht richtig bei den 
sogenannten solitären Fracturen, die fast stets intrauterin heilen, 
so daß bei der Geburt nur der Folgezustand der angeblichen Fractur, 
die Verkrümmung der Extremität zu erkennen ist. Diese Fracturen 
könnten natürlich erst nach dem 2. Monate, d. h. nach der Zeit, in 
der der Knorpel zu verknöchern anfängt, entstehen, und die Fractur 
müßte durch Callusbildung ausheilen. Diese Theorie hat Sp. bereits 
1892 bekämpft, er ist zu der Ueberzeugung gekommen, daß es sich 
meist nicht um eigentliche Fracturen, um Continuitätstrennungen 
handelt, sondern daß die Verbiegung und Verkrümmung der Knochen 
das Resultat einer ähnlichen amniotischen Einwirkung ist, wie die 
Abschnürung der langen Röhrenknochen. Viele dieser sogenannten 
solitären Fracturen sind nämlich mit Defecten verbunden. Diese 
Thatsache, sowie angestellte Belastungsversuche bei einem 8monat- 
lichen Fötus, überzeugten Sp., daß es sich nicht um geheilte Frac¬ 
turen handeln kann. Bewiesen aber wurde dieses vollends durch 
mikroskopische Untersuchungen. Denn bei den anscheinend frac- 
turirten Knochen sicht man keine durchgehende Callusbildung, 
keine Auftreibung des Knochens. Auch die Thatsache, daß sich 
kein Abort oder Frühgeburt an das angebliche Trauma, welches 
für die Entstehung der Fractur nachträglich angeschuldigt wird, 
angeschlossen hat, spricht gegen die Annahme einer Fractur. Denn 
bei einem derartig starken Stoß, der zur Herbeiführung einer 
Fractur führen sollte, müßte die Schwangerschaft unterbrochen 
werden. Das mikroskopische Bild zeigt nur häufig kleinzellige In¬ 
filtration in der Umgebung der Krümmungsstelle, und es spricht 
dieses dafür, daß es sich um eine Periostitis gehandelt hat, welche 
durch den Druck eines amniotischen Fadens entstanden ist. 

F. Hitschmann und Lindenthal (Wien): Ueber das Wachsthum 
der Placenta. 

Nach den Ergebnissen ihrer Untersuchungen kommen H. u. L. 
zu einer von der bisherigen Anschauung abweichenden Ansicht über 
das Wachsthura der Placenta. Bekanntlich nimmt man an, daß 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 40. 


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nach Ansiedelung des Eies in der Schleimhaut die Zotten aus dem 
Bereich der Sera in die Vera eindringen und immer weitere Be¬ 
zirke der Vera unter Spaltung derselben zur Serotina werden. Bei 
dieser Spaltungstheorie ist es nach Frommel unerklärlich, daß so 
labile Gebilde wie die Zotten in die Decidua eindringen können. 
H. u. L. nehmen nun an, daß das Ei zur Zeit des Eindringens in 
die Schleimhaut ohne Zotten, aber eingehüllt ist in einen Zellen¬ 
mantel fötaler Herkunft, in eine Trophoblastschale, die Function 
des Trophoblastes besteht darin, die Verbindung des Eies mit dem 
mütterlichen Gewebe herzustellen. Von dem äusseren Rande dieses 
Trophoblastes dringen nach allen Richtungen hin Zellzüge in das 
reich vascularisirte mütterliche Gewebe ein. Diese legen sich um 
die mütterlichen Gefäße, dringen unter das Endothel vor, und 
schließlich liegt das Endothel abgestoßen im Innern des Gefäßes, 
dessen Wandung durch die Zellen des Trophoblastes substituirt ist. 
An den inneren Theilen des Trophoblastes, welches die ersten Er¬ 
hebungen des Mesoblastes — das künftige Chorionbindegewebe be¬ 
deckt, findet Resorption statt, bis es schließlich auf die doppelte 
Zelllage reducirt ist, die als Syncytium und LANGHAUs’sche Zellen¬ 
schicht bekannt ist. Indem nun das Trophoblast auch an den 
äußeren Partien dem Schwunde verfällt, gelangen die gleichzeitig 
wachsenden Zotten in den von dem Trophoblast gebahnten Weg. 
Der Schwerpunkt der Befunde von H. und L. gipfelt also in der 
Anschauung, daß ohne Trophoblast kein Eindringen von Zotten in 
das mütterliche Gewebe möglich ist; es bestehe bei diesem Vor¬ 
gänge große Aehnlichkeit mit den destructiven Processen, die uns 
vom Chorioepitheliora bekannt sind. Die späteren Zotten, welche 
keine Trophoblaste, sondern nur Epithelbekleidung besitzen, können 
Gefäße nicht eröffnen, sie dienen nur zur Vergrößerung der resor- 
birenden Oberfläche. 


N otize n. 

Wien, 4. October 1902. 

(Die Karlsbader Versammlung und die Tages¬ 
presse.) Die Sensationssucht eines Theiles der Tagespresse ver¬ 
langt nicht nur für Ausstellungen jeder Art, sondern auch für 
große wissenschaftliche Versammlungen ihren „Clou“. Selbstredend 
hatte diesen auch die Karlsbader Naturforscher-Versammlung aufzu¬ 
weisen ; er nannte sich diesmal das Wiener Scharlachserum. 
In zahlreichen Telegrammen, Notizen, Entrefilets, selbst an leiten¬ 
der Stelle wurde die Entdeckung — einzelne Blätter nannten sie 
„Erfindung“ — eines ernsten, fleißigen, jeder Reclame abholden 
jungen Forschers auf den Markt gezogen, und wenn das Serum 
scarlatinae nicht ganz und gar discreditirt worden ist, so sind 
daran die übereifrigen Tagesblätter, die sich beeilten, die An¬ 
schauungen zahlreicher Kinderärzte über ein von diesen noch gar 
nicht erprobtes Serum ihren Lesern zum ersten Frühstück zu ser- 
viren, wahrhaftig ohne Schuld. Muß denn immer so gehetzt und 
posaunt werden? Hat man ein so kurzes Gedächtniß, hat man den 
irreparablen Schaden vergessen, den dieselbe Presse mit den¬ 
selben Mitteln angesichts der KoCH’schen Tuberculin-Publication an¬ 
gerichtet hat? Der„KocH-Rummel u hat der Wissenschaft und der 
praktischen Medicin manch schwere Wunde geschlagen; muß es 
einen Scharlach-Rummel geben? Kann man nicht warten, bis zahl¬ 
reiche Spitäler und Aerzte das Serum am Krankenbette geprüft 
und ihr Urtheil über dessen Wirkung und dessen Werth abgegeben 
haben? Soll der Praktiker von den durch die Tagespresse alarmirten 
Angehörigen seines Kranken geradezu gezwungen werden, ein 
Mittel anzuwenden, über welches ihm jede Erfahrung fehlt? In der 
gegenwärtig beliebten Weise fördert man weder die Wissenschaft, 
die der Popularisirung gern enträth, noch nützt man dem Publicum, 
welchem man nicht die Anfänge einer sicherlich vielversprechenden 
Entdeckung, sondern deren einwandfreie, durch vielfache Beobach¬ 
tung erhärtete Resultate bekannt geben sollte. 

(Universitätsnachrichten.) Als Nachfolger Virchow’s 
ist der Geh. Rath Prof. Dr. Johannes Orth aus Göttingen an die 
Berliner Universität berufen worden. — Der Oberinspector bei 
der Lebensmittel-Untersuchungsanstalt und a. o. Professor an der 


deutschen Universität in Prag Dr. Karl Brunner ist zum Ordinarius 
der Chemie an der Universität in Innsbruck ernannt worden. 
— Der a. o. Professor und Director der Universitäts-Ohrenklinik 
in Heidelberg Dr. Adolf Passow ist als Nachfolger Trautmann’s 
nach Berlin, Prof. Dr. Johann Rille in Innsbruck als Nachfolger 
Riehl’s nach Leipzig berufen worden. — Der Generalsecretär 
des Deutschen Centralcomitßs zur Errichtung von Heilstätten für 
Lungenkranke, Oberstabsarzt Dr. Gotthold Pannwitz in Berlin 
ist zum Professor ernannt worden. — Dem a. o. Professor für 
Hygiene in M ü n c h e n Dr. Rudolf Emmerich wurde Titel und Rang 
eines o. Professors verliehen. 

(Medicinische Rigorosen.) Für die im Studienjahre 
1902/1903 abzuhaltenden Rigorosen sind die nachbenannten Func- 
tionäre bestimmt worden: I. An der Universität in Wien: Zu 
Regierungscommissären Sectionschef Dr. E. Kusy v. Dubrav, der 
Ministerialrath Dr. J. Daimer, Sectionsrath Dr. F. Illing und Statt¬ 
haltereirath Dr. A. Netolitzky ; zu Coexaminatoren beim 2. Rigo- 
rosum die Proff. Hofrath Dr. M. Gruber uqd Dr. J. Wagner 
v. Jauregg, zu deren Stellvertretern die a* o. Pnjff. Dr. V. Urban- 
tschitsch und Dr. 0. Chiari ; zu Coexaminatoren beim 3. Rigo- 
rosum die Proff. Hofrath Dr. I. Neumann und Dr. G. Riehl, zu 
deren Stellvertreter Prof. Dr. Th. Escherich. — II. An 'der deutschen 
Universität in Prag: Zum Regierungscommissär Landes - Sanitäts- 
Inspector Dr. V. Brechler v. Troskowitz und zu dessen Stell¬ 
vertreter Oberbezirksarzt Dr. St. Gellner ; zum Coexaminator 
beim 2. Rigorosum Prof. Dr. A. Pick und zu dessen Stellvertreter 
Prof. Dr. F. Hüeppe; zum Coexaminator beim 3. Rigorosum 
Prof. Dr. Ph. J. Pick und zu dessen Stellvertreter Prof. Dr. E. Zaufal. — 
III. An der böhmischen Universität in Prag: Zum Regierungs¬ 
commissär Landes-Sanitätsreferent Hofrath Dr. I. Pelc und zu dessen 
Stellvertreter Landes-Sanitäts-Inspector Dr. V. Slavik und im Falle 
seiner dienstlichen Verhinderung Landes-Sanitäts-Inspector Dr. F. 
Plzäk ; zum Coexaminator beim 2. Rigorosum Prof. Dr. G. Kabrhel 
und zu dessen Stellvertreter Prof. Dr. K. Kuffner; zum Coexami¬ 
nator beim 3. Rigorosum Prof. Dr. V. Janovsky und zu dessen 
Stellvertreter Regierungsrath Dr. K. Schwing. — IV. An der Uni¬ 
versität in Graz: Zum Regierungscommissär Statthaltereirath Dr. 
A. Schneditz und zu dessen Stellvertreter Landes-Sanitäts-Inspector 
Dr. L. Possek und für den Fall seiner dienstlichen Verhinderung 
Oberbezirksarzt Dr. A. Kutschera v. Aichbergen; zum Coexami¬ 
nator beim 2. Rigorosum Prof. Dr. G. Anton ; zu Coexaminatoren 
beim 3. Rigoroöum Prof. Dr. W. Prausnitz, sowie Prof. Dr. J. Haber¬ 
mann. — V. An der Universität in I n n s b r u c k : Zum Regierungs¬ 
commissär Statthaltereirath Dr. F. Sauter und zu dessen Stellver¬ 
treter Sanitäts-Concipist Dr. F. Sander; zu Coexaminatoren beim 
2. Rigorosum die Proff. Dr. K. Mayer und Dr. J. Loos; zu Coexami¬ 
natoren beim 3. Rigorosum die Proff. Dr. G. Juffinger, Dr. J. Rille 
und Dr. A. Lode. — VI. An der Universität in Krakau: Zum 
Regierungscommissär Oberbezirksarzt Dr. G. Bielanski und zu dessen 
Stellvertreter der Director des St. Lazarus-Spitales Prof. Dr. St. 
PoniklO; zum Coexaminator beim 2. Rigorosum Prof. Dr. M. Jaku- 
bowski und zu dessen Stellvertreter Privatdocent Dr. J. Raczynsfi;; 
zum Coexaminator beim 3. Rigorosum Prof. Dr. L. Reiss und zu 
dessen Stellvertreter Prof. Dr. P. Pieniazek. — VII. An der Uni¬ 
versität in Lemberg: Zum Regierungscommissär Hofrath Dr. 
J. Merunowicz und zu dessen Stellvertreter der Landes-Sanitäts- 
Inspector, kais. R. Dr. J. Barzycki; zum Coexaminator beim 2. Rigo- 
rosura Landes-Sanitätsrath Dr. E. MerczyaSKi und zu dessen Stell¬ 
vertreter Prof. Dr. St. Badzinski ; zum Coexaminator beim 3. Rigo¬ 
rosum Prof. Dr. W. Lukasiewicz und zu dessen Stellvertreter Privat¬ 
docent Dr. II. Schramm. 

(Allgemeine Aerzteversammlung.) Wie uns von ver¬ 
läßlicher Seite mitgetheilt wird, beabsichtigt die Wiener Aerzte- 
kammer, in nächster Zeit eine allgemeine Aerzteversammlung ein¬ 
zuberufen. Die stete Neugründung von Hilfscassen zwingt die Aerzte, 
der Regierung und dem Publicum offen die Gründe der ablehnenden 
Haltung der Aerzteschaft gegen die Hilfscassen klarzulegen und 
der Regierung insbesondere zu sagen, daß die Aerzte sich auch 
nicht fügen werden, wenn die Regierung die betreffenden Kammer¬ 
beschlüsse aufhebt. Die Aerzte legen der Gründung von Hilfscassen 


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nichts in den Weg, soferne diese die Behandlung der Mitglieder 
durch fixe Aerzte nicht in ihr Programm aufnehmen. Die allge¬ 
meine Aerzteversammlung wird auch documentiren, daß die über¬ 
wiegende Majorität 4er Aerzte die Beschlüsse der Kammer billigt 
und sie in ihrem Streben zu unterstützen gewillt ist. 

(Zur Revision des Arbeite rkrankencassen- 
gesetzes.) Der „Verband der Aerzte Wiens“ beabsichtigt, zu 
Ostern 1903 einen großen socialärztlidien Congreß nach 
Wien cinzuberufen , der sich ausschließlich mit den Mängeln und 
Schäden des Krankencassengesetzes befassen und für die endliche 
Aenderung dieses 60 mangelhaften Gesetzes demonstriren soll. 

(Neue Hilfscassen in Sicht!) Der Strom der neu¬ 
gegründeten Hilfscassen schwillt stets mehr an. Kaum ist durch 
die Action der Aerztekammer die Bankbeamtencasse im Schoße 
des Verbandes begraben worden, sind wieder zwei neue Cassen auf 
den Plan getreten, u. zw. eine Hilfscasse der Bediensteten des 
Landeseisenbahnamtes und eine Kellnerkrankencasse 
„Gasterea“, die auch die Familienversicherung einführen will. Die 
Aerztekammer kann nur auf ihrem Beschlüsse vom 22. Februar 
1902 beharren, nach welchem die Annahme der pauschalsten 
Stelle eines behandelnden Arztes bei neu zu gründenden Hilfscassen 
standeswidrig ist, und promulgirt eine diesbezügliche Erklärung. 
Wir vernehmen mit Vergnügen, daß die Aerzte der Gastwirthe- 
Genossenschaftskrankencasse die Annahme der Stellen bei dieser 
neu zu gründenden Hilfscasse unter Bezug auf den citirten Kamraer- 
beschluß verweigert haben. 

(Einholung von Aeußerungen über die Reform 
der Krankenversicherung.) Die Aerztekammer in Czernowitz 
als geschäftsführende Aerztekammer überreichte im heurigen Sommer 
dem Ministerpräsidenten namens aller österreichischen Aerztekammern 
eine Petition, in welcher die Bitte gestellt wurde, daß die Aeuße¬ 
rungen der Aerztekammern über die geplante Reform, bezw. den 
Ausbau der Arbeiterversicherung, eingeholt werden. Diese Eingabe 
wurde dahin erledigt, daß die Absicht besteht, noch vor Einbrin¬ 
gung einer bezüglichen Gesetzesvorlage im Reichsrathe weiten 
Kreisen der Interessenten Gelegenheit zu geben, sich über den 
betreffenden Entwurf zu äußern, daß demnach auch die Aerzte¬ 
kammern in die Lage kommen werden, in dieser Angelegenheit 
Stellung zu nehmen. 

(Statistik.) Vom 21. bis inclusive 27- September 1902 wurden in den 
Civilspitälern Wiens 6270 Personen behandelt. Hievon wurden 1336 
entlassen ; 133 sind gestorben (9 05% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Stattbalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 45, egypt. 
Augenentzündung 2, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 11, Dysen¬ 
terie 1, Blattern—, Varicellen 5, Scharlach 43, Masern 28, Keuchhusten 51, 
Rothlauf 20, Wochenbettfieber 3, Rothein 3, Mumps 5, Inliuenza—, follicul. 
Bindehaut-Entzündung—, Meningitis cerebrospin.—, Milzbrand—, Lyssa—, 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wieu 561 Personen gestorben 
(— — gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) In Amsterdam ist am 30. September der 
hervorragende Kliniker Barend Josef E. Stokvis, einer der be¬ 
deutendsten Pathologen und Pharmakodynamiker der Gegenwart, im 
Alter von 66 Jahren gestorben. Er hat die Resultate seiner Arbeiten 
in zahlreichen Publicationcn niedergelegt, von denen namentlich die 
pharmakologischen seinen Ruf und sein Ansehen begründet haben. — 
Gestorben sind ferner: In Wien der Oberstabsarzt d. R. Dr. Jacob 
Treulich und der Chefarzt-Stellvertreter der österreichischen Staats¬ 
eisenbahn-Gesellschaft Dr. F. J. Dobrovolny, ein allgemein geachteter 
College, im 48. Lebensjahre; in Baden R.-A. Dr. Rudolf Lewan- 
dowski, dereinst ein verdienstvoller Elektrotherapeut; in Graz der 
ehemalige Chef der Landes-Sanitätsverwaltung von Bosnien Reg. Rath 
Dr. Josef Unterlugauer, 61 Jahre alt; in Arad der Secundar- 
arzt des dortigen Comitatsspitales Dr. Johann Tabakovits im Alter 
von 39 Jahren; jn Losoncz der Regimentsarzt a. D. Dr. Theodor 
Bogdan im 79. Lebensjahre; in Sarajevo der Landessanitätsrath 
Dr. Johann Pawlikow ; in Berlin der ehemalige Privatdocent 
Dr. Josef Bergson, fast 90 Jahre alt, und der bekannte Psychiater 
Ob.-Med.-Rath v. Zeller im Alter von 70 Jahren ; in Madrid der 
hervorragende spanische Chirurg Prof. Federico Rubio im 76. Lebens¬ 
jahre ; in St. Petersburg der Internist Prof. Dr. Pasternacki. 


Die elektrotechnische Fabrik Reiniger, Gebert & Schall in Wien und 
Erlangen war auf der Ausstellung, welche anläßlich der 74. Versammlung 
deutscher Naturforscher und Aerzte in Karlsbad stattfand, durch eine äußerst 
reichhaltige Collection elektro-medicinischer Apparate und Instrumente ver¬ 
treten. Es würde zu weit führen, auch nur einen Theil der ausgestellten 
Gegenstände näher zu beschreiben; wir beschränken uns vielmehr darauf, 
diejenigen Neuheiten zu erwähnen, welche für viele Aerzte von besonderem 
Interesse sein dürften, nämlich: 

Einen Apparat, welcher gestattet, Roentgen-Illductören ohne weiteren 
Unterbrecher direct mit Wechsel- oder Drehstrom zu betreiben; eine Ein¬ 
richtung zur stereoskopischen Durchleuchtung, um die Roentgenbilder plastisch 
zu sehen, und einen Apparat, um bei Roentgendurchleuchtung die wirkliche 
Größe der Körpertheile (Herz etc.) aufzeichnen zu können; ferner Lichtheil¬ 
apparate nach Dr. Gustav Kaisee, Wien, zur Behandlung von Hautkrankheiten 
mit nur chemischen Strahlen (Blaulicht); ferner neue Massägeapparate mit 
Elektromotorenbetrieb und eine Influenzmaschine neuester Construction von 
ganz besonderer Leistungsfähigkeit. 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 


Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
Postversendung. Die Preise der Einb&nddeoken sind folgende: für die „Med. 
Presse“ ÜT 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
„Therapie der Gegenwart“: üf 1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Postversendung. 


Die Rubrik: „Erledigungen 9 ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 

MC Wir empfehlen diese Rubrik der speoiellen Beachtung unserer 
geehrten Leser; in derselben werden öfters — neben der Publioation von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auch für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein können, welche an eine 
Aenderung des Domioils oder ihrer Verhältnisse nicht gedacht haben. "MM 


Herr Dr. Pilewski , Kinderarzt zu Lemberg, schreibt den 
4. März 1898: 

„Ich theile Ihnen mit Vergnügen mit, daß die von mir mit 
Ihrem Kindermehle angestellten Versuche sehr gut ausgefallen 
sind. Die leichte Verdaulichkeit Ihres Präparates habe 
sowohl bei Säugliugsernährung, wie auch bei acuten und 
chronischen Darmkatarrhen constatirt und fühle mich 
auf Grund dessen verpflichtet, dasselbe wärmstens zu empfehlen.“ 
Waare zu Versuchszwecken steht den Herren Aerzten gratis 
franco zur Verfügung. 

R. Kufeke, Wien, I., Nibelungengasse 8. 




APENTA 


Eigen thümerin der Quellen : b APENTA“ACTIEN-GESELLSC , IAFT, Budapest. 
Bei Apothekern, Drogliten und Mineralwasser-Händlern, In ganzen und halben Flaschen. — 

Analyse und fachmännische Berichte erhältlich in den Mineralwasserhandlungen etc. 

Gratisproben den Herren Aerzten franco zur Verfügung. 
Ausschließliche Versendung für Oesterreich-Ungarn, Serbien und Rumänien durch 
die Firma S. Ungar Jun., k. u. k. Hoflieferant, Wien, I., Jasomlrgottstrate Hr. 4. 


VERLAG VON AUG. HIRSCHWALD IN BERLIN. 

Soeben erschien: 

ASa 7|l||ftA u.ihre Begleit-Erscheinungen 
ylB *Umje bei Krankheiten. ===== 

Für Aerzte und Studirende. 

Von Dr. CAKL ROSENTIIAL. 

1903. Gr. 8. Preis 6 M. 


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Wien, den 12. October 1902. 


Nr. 41. 


XLIII. Jahrgang. _ 

Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint, jeden Sonntag 
2bi8 3 Dogen Gioß-Quart Format stark. Als regelmäßige Dei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militäiärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik -1 , letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsanfträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse“ 
in Wien, I, Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 

Medizinische 


Wiener 


Abonnementnpreise: „Wiener Mediz. Presse" mit „Allgem. 
Militärätztlicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
2() A', halbj. 10 A", viertel]- 5 K - Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk., halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 A'; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. = 80 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Bnchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrage8_per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien,!., Maximilianstr.4. 


Presse. 


Begründet 1860. 


Redaction: Telephon Nr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte, 

--« 8*8 -- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 

Administration: Telephon Ir. 9104. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. lieber Impfung gegen Malaria mit dem KuHN'schen Serum in Bosnien. Von Dr. Oskak Hovorka, 
Edl. v. Zdkras, Spitalsleiter in Teslic, Bosnien. — Ueber plötzliche Todesfälle im Kindesalter. Von Prof. Dr. v. Ganghofner in Prag. — Aus der 
Chirurg. Abtheilung des hosn.-hereeg. Landesspitales zu Sarajevo. Ueber Steinoperationen. Von Primararzt Dr. Josef Preindlsberger . — Referate. 
Schieler (Heidelberg): Beiträge zur pathologischen Bedeutung der Darmparasiten, besonders für Perityphlitis. — Simerka (Prag): Ein Beitrag zur 
Pathologie des XI. Gehirnnerven. — Fr. König (Berlin): Ueber die durch Spontanruptur der sleinhaltigen Gallenblase in die freie Bauchhöhle 
bedingte Peritonitis und ihre Behandlung. — Walter Kaufe (Bonn): Ist bei lehenbedrohender Magenblutung infolge von Ulcus ventriculi ein 
operativer Eingriff indicirt, und welcher? — Rencki (Lemberg): Ueber die functioneilen Ergebnisse nach Operationen am Magen bei Ulcus und 
gutartiger Pylorusstenose. — Dorendorf (Berlin): Ueber ein bisher wenig bekanntes Aneurysmensyoiptom. — Sneguireff (Moskau): Ein Fall von 
Hydronephrocystoneostomie. — Boureau (Paris): Ein Fall von Hirnblutung in der Narkose. — Kleine Mittlieilungen. Blutbildung im Luft¬ 
ballon. — Stypticin als locales Antiphlogisticum. — Methode, Hämorrhoidalknoten radical zu beseitigen. — Thigenol „Roche“. — Getränk für Fieber¬ 
kranke. — Bismutose bei Diarrhöen kleiner Kinder. — Die operative Behandlung großer Rectumprolapse. — „Purgatin“. — Cantharidenpflaster. — 
Literarische Anzeigen. Weitere pathogenetische Studien über Schwindsucht und Krebs und einige andere Krankheiten. Nach eigener Methodik 
angestellt von Dr. A. Riffel. — La vie, l’fime et la maladie. Von Dr. Manuel Leven. — Feuilleton. Die 70. Jahresversammlung der „British 
Medical Association“. (Orig.-Corresp.) I. — Die Karlsbader Naturforscherversammlung. (Orig.-Corresp.) III. — Verhandlungen ärztlicher 
Vereine. Aus den Abtheilungen der 74. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. Karlsbad, 21.—27- September 1902. (Coll.-Ber. 
der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) IIL — Notizen. Das neue Hilfsärzte-Statut. — Neue Literatur. — Eingesendet. 
Offene Correspondenz der Redaction and Administration. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der 


Quelle „ Wiener Medizinische Presse u gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Ueber Impfung gegen Malaria mit dem 
Kuhn’schen Serum in Bosnien. 

Von Dr. Oskar Hovorka, Edl. v. Zderas , Spitalsleiter in 
Teslic, Bosnien. *) 

Es ist allgemein bekannt , daß das Chinin, obwohl es 
einen wohlverdienten Ruf als besonderes Heilmittel gegen 
Wechselfieber genießt, dennoch in einer Reihe von Fällen 
(besonders hei der Quartana) im Stiche läßt, selbst dann, 
wenn es regelrecht dem Kranken gereicht wurde. Ebenso ist 
es bekannt — abgesehen von den Fällen von Schwarzwasser¬ 
fieber, welche gerade durch das Chinin hervorgerufen werden — 
daß das Chinin eine ganze Reihe von unangenehmen Neben¬ 
erscheinungen verursacht. Man suchte aus diesem Grunde 
schon sehr bald nach Ersatzmitteln des Chinins und fand 
thatsächlich auch eine stattliche Anzahl. Sie ist ziemlich 
groß und zu bekannt, als daß wir sie hier von Neuem auf¬ 
zuzählen brauchten. Indessen zeigte es sich bald, daß alle 
diese Ersatzmittel (vielleicht mit Ausnahme des Euchinins) 
die Höhe der Wirkung des Chinins bei weitem nicht za 
erreichen vermögen. Zu dieser Ueberzeugung gelangte ich 
auch, nachdem ich in meiner bosnischen Praxis als Spitals¬ 
leiter und Fabriksarzt zu Teslic eine nicht unbeträchtliche 
Anzahl von Wechselfieberkranken jährlich zu behandeln hatte. 
Sie betrug z. B. im Jahre 1900 3i8 Kranke, im Jahre 1901 
214 Kranke an Wechselfieber. 


*) Vortrag, gehalten in der Abtheilung für Hygiene der 74- Versamm¬ 
lung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte in Karlsbad. 


Ich entschloß mich, bald wieder zur Chininbehandlung 
zurückzukehren und auf jedes weitere Ersatzmittel zu ver¬ 
zichten, als ich von dem KuHN’schen Malariaserum vernahm, 
mit welchem dieser Autor in Deutsch-SüdwestafrikaWechselfieber 
zur Heilung gebracht haben soll. Ich ersuchte ihn um Auf¬ 
klärungen, bezw. um Ueherlassung von Serum zu Versuchs¬ 
zwecken ; da er sich erbötig machte, mit mir das Serum zu 
versuchen — er befand sich damals gerade in Deutschland — 
so lud ich ihn zu mir ein und wir verbrachten zusammen 
beinahe 5 Monate in Bosnien, um das Serum zu erproben. 
Das Ergebniß dieser Versuche mitzutheilen ist nun der Zweck 
meines heutigen Vortrages. 

In Südafrika gibt es eine stark verheerende Pferde¬ 
krankheit, namens Pferdesterbe (horses sickness der Engländer), 
eine Landplage, welche die dortigen Pferdebestände durch 
ihre hochgradige Ansteckungsfähigkeit und Sterblichkeit ge¬ 
radezu vernichtet. Nur wenige Pferde überstehen die Krankheit 
und heißen dann südafrikanisch „gesalzen“, d. h. immun; 
solche Pferde stehen deswegen auch im Preise sehr hoch, 
weil sie gegen eine weitere Ansteckung gesichert sind. Im 
Blute solcher pferdesterbekranken Thiere findet man Gebilde, 
welche den Plasmodien des menschlichen Wechselfiebers sehr 
ähnlich sind, z. B. Tropicaringe, Halbmonde. Kuhn hat auch in 
der Symptomatologie beider Krankheiten eine Reihe von Aehn- 
lichkeiten beobachtet und beschrieben. x ) Auf dieser Grundlage 
hat er seine Serumbehandlung bei Wechselfieber ausgearbeitet. 
Auf das Wesen dieser Frage in theoretischer Richtung kann 
ich mich nicht weiter einlassen, weil er darüber einen eigenen 


') Phil. Kuhn, Ueber eine Impfung gegen Malaria. Archiv für Schiffs¬ 
und Tropenhygiene 1901. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 41. 


1836 


Vortrag angemeldet hat, sondern will nur bemerken, daß das 
dem Pferde entnommene Serum mit verdünnter Carbolsäure 
versetzt ist, um das darin enthaltene Krankheitsgift abzu¬ 
schwächen. Ein Tropfen Blut eines pferdesterbekranken Pferdes 
ist nämlich imstande, ein anderes Pferd binnen einigen Stunden 
pferdesterbekrank zu machen, bezw. zu tödten. Ebenso muß 
ich es ihm überlassen, den Beweis für die Grundlage seiner 
Theorie zu führen. 

Die Anzahl der von uns mit dem Serum im Zeiträume 
von 4 1 / 2 Monaten (24. August 1901 bis 5. Januar 1902) unter 
der Aufsicht der bosnischen Landessanitätsbehörden behandelten 
Mal ariakranken betrug 43 Personen, darunter 33 Männer, 

10 Weiber. 2 ) Ihr Alter schwankte zwischen 8 Monaten und 
00 Jahren. Hievon entfielen die meisten Kranken auf das 
zweite (12 Fälle) und dritte Jahrzehnt (11 Fälle). Nach ihrem 
Geburtslande stammten aus 

Bosnien.19 Personen 

Kroatien.7 „ 

Ungarn. 5 „ 

Steiermark.1 „ 

Krain. 1 ,. 

Niederösterreich.2 „ 

Bukowina.1 „ 

Rußland. 1 „ 

a Italien.0 „ 

Soweit es der Anamnese zu entnehmen war, holten sie 
sich den Keim ihrer Erkrankung fast ausnahmslos aus Tesliö 
oder dessen nächster Umgebung. Nur 2 Kinder (Fall 31 u. 40) 
kamen bereits malariakrank aus einer anderen bosnischen 
Fiebergegend. Nach der Beschäftigung gehörten die Geimpften 
zumeist dem Arbeiterstande an (1 Werkmeister, 1 Aufseher, 

11 Fabriksarbeiter und Taglöhner, 1 Waldarbeiter, 2 Kohlen¬ 
arbeiter, 1 Landarbeiter, 3 Maurer, 2 Schlosser, je 1 Gärtner, 
Ziegelmacher, Schmied, Zimmermann, Heizer und Buchbinder); 
der Rest entfällt auf Kinder, Mädchen und Frauen. 

Von den Fieberformen gelangten zur Impfung 13 Fälle 
von Tertiana, 16 Quartana und 14 Tropica (F. aestivo-autum- 
nalis). Von diesen 43 Fieberkranken wurden 13 Personen von 
Wechselfieber zum erstenmale heimgesucht (Erstlinge), die 
übrigen 30 Personen waren schon früher an Wechselfieber 
krank (Altlinge). Die Mehrzahl hatte demnach diese Krankheit 
bereits wenigstens einmal oder,, auch mehrmals überstanden. 

Eine Anzahl dieser Altlinge nahm anläßlich ihrer früheren 
Erkrankungen an Wechselfieber Chinin ein, doch hatte das 
Chinin bei ihnen nicht immer den gewünschten Erfolg; denn 
4 Kranke gaben bestimmt an, daß ihnen das Chinin nur eine 
vorübergehende Linderung verschafft habe (Fall 7, 13, 20 
und 27); das Fieber blieb zwar auf eine gewisse Zeit aus, 
doch kehrte es immer wieder zurück. Andere Kranke, fast 
ausnahmslos Quartanakranke (Fall 8, 10, 11, 22, 24), sagten 
in der Anamnese mit der größten Beharrlichkeit aus, daß 
bei ihnen das Chinin überhaupt keinen Erfolg gehabt habe. 
In einem der Fälle dauerte das Wechselfieber trotz aller 
Chinintherapie sogar 14 Monate an (Fall 10). Es klingt dies 
auch bei der bekannten schweren Heilbarkeit der Quartana 
und bei der Möglichkeit, daß das Chinin vielleicht nicht 
regel- und zeitgemäß eingenommen wurde, gar nicht unglaub¬ 
würdig. In einer Reihe von Anamnesen jedoch findet man 
schließlich die Angabe (Fall 9, 15, 28, 37, 38, 43), daß das 
Wechselfieber auch ohne jede Chinintherapie ausheilte; es 
bezieht sich dies ausnahmslos auf einheimische, bosnische 
Arbeiter — und das kann man ihnen ohneweiters glauben; 
denn sie sind zumeist nicht nur sehr unempfindlich, sondern sie 
waren es offenbar, besonders vor mehreren Jahren in einem 
viel höheren Grade, als noch die ärztliche Hilfe und Apo- 

3 ) Dieses Ueberwiegen des männlichen Geschlechtes bei Wechselfleber 
heben auch Kobi.gr und Wodynski hervor, welche im Jahre 1896 56 männliche 
und 3 weibliche Malariakranke im Landesspitale zu Sarajevo behandelten. 


theke ungemein schwer erreichbar waren. Die Malaria heilte 
damals eben aus, wenn auch nach mehreren Wochen oder 
Monaten, doch sie heilte von selbst, ohne Arznei. Diese That- 
sache ist gar nicht neu, denn über Selbstheilungen der 
Malaria wird fast aus allen tropischen und subtropischen 
Gegenden berichtet. *) 

Ueber die Symptome des Wechselfiebers bei unseren 
Kranken ist nichts Neues mitzutheilen; sie waren dieselben 
wie bei Malariakranken anderer Länder. Dessenungeachtet 
notirten wir uns eine Reihe von nicht uninteressanten Einzel¬ 
heiten. Obwohl z. B. der Lippenausschlag (Herpes labialis) in 
einer beträchtlichen Anzahl der Fälle (1, 3, 7, 13, 16, 18, 
24, 28, 30, 33, 36, 39) zur Beobachtung gelangte, trafen wir 
ihn meist gegen Ende der Erkrankung, womit die nicht 
unrichtige Beobachtung des Volkes ihre Bestätigung findet, 
daß dieser Ausschlag das Ende des Wechselfiebers anzeige. 
Von den Lungensymptomen müssen wir hervorheben, daß wir 
in einer großen Anzahl der Fälle eine mehr oder minder 
starke Bronchitis nachzuweisen vermochten (Fall 1, 3, 4, 6. 
9, 10, 12, 16, 18, 20, 22, 25, 27, 28, 29, 33, 36, 38, 40, 42). 
Eine Bindehautentzündung des Auges sahen wir nur aus¬ 
nahmsweise (Fall 3). Nicht selten wurde dagegen über Magen¬ 
schmerzen nebst Druckempfindlichkeit in der Magengegend 
geklagt; sehr häufig war auch Appetitlosigkeit, wiederholtes 
Gähnen, stumpfes Empfinden der Zähne (otrnuli zubi) und 
das Verlangen nach dem Ausstrecken der Glieder (protezavica). 
Eine Milzvergrößerung konnte nicht in allen Fällen nach¬ 
gewiesen werden, obwohl die Malariadiagnose durch einen 
positiven mikroskopischen Befund tadellos festgestellt war. 
Dies erklärt sich wohl aus dem Umstande, daß wir viele 
Kranke unmittelbar nach ihrer Erkrankung in Behandlung 
nahmen. Wenn auch in manchen Fällen nicht einmal percu- 
torisch eine Milzvergrößerung nachweisbar war, so stellte 
sich doch erst später im weiteren 'Verlaufe der Krankheit 
eine ganz deutlich fühlbare Milzgeschwulst ein. Deutliche 
Lebervergrößerung kam in 2 Fällen vor (13, 43). Bei manchen 
der geimpften Kranken bestanden schon vor der Erkrankung 
verschiedene Nebenerkrankungen; so litt z. B. Fall 9 an In- 
suffieienz der Mitralklappe, Fall 3 u. 13 waren sichere Säufer, 
Fall 4 litt an allgemeiner Verhärtung der Schlagadern, Fall 16 
war hochschwanger, Fall 17 hochgradig blutarm, Fall 31 
ein sehr schwächliches Kind. Dessenungeachtet führten diese 
Verwickelungen keine Erschwerung des Heilungsvorganges 
beim Serum herbei. 

Die Impfungen wurden anfangs grundsätzlich im Fabriks- 
spitale vorgenommen; es empfahl sich dies ans dem einfachen 
Grunde, um die Geimpften genau beobachten und ihre Körper¬ 
temperatur einwandsfrei messen zu können (18 Fälle). Mehrere 
Fälle impften wir im Hause, d. h. in der Wohnung der Be¬ 
treffenden (8 Fälle). den Rest impften wir ambulatorisch, 
d. h. wir impften den Kranken im Fabriksambulatorium, 
meist während der Ordinationsstunden, sofern er sich nicht 
in das Fabriksspital aufnehmen lassen wollte und sein Zu¬ 
stand dies erlaubte. Daraus ergibt sich der freilich unange¬ 
nehme Umstand, daß wir bei einer stattlichen Anzahl der 
von uns geimpften Fälle, obwohl wir sie als zweifellos geheilt 
bezeichnen dürfen, keine Belege in Bezug auf Temperatur- 
curven in den Händen haben. Ja wir müssen auch zugeben, 
daß für die anfangs im Spitale geimpften Kranken nicht voll¬ 
ständige Temperatureurven vorliegen, da wir aus örtlichen 
Gründen nicht stets imstande waren, die Messung der Körper¬ 
temperatur nach derEntlassung durchzuführen. Bezüglich des Zeit¬ 
punktes der Impfung spritzten wir anfangs während des Fieber¬ 
anfalles. Später impften wir alle Fälle stets eine bis mehrere 
Stunden vor dem zu erwartenden Anfalle, oder sogar beim 


8 ) Nocht, Ueber Tropenmalaria bei Seeleuten. Arch. für Schiffs- und 
Tropenhygiene, Bd. IV, H. 2- — M. Glogner, Ueber Immunität gegen Malaria. 
Virchow’8 Archiv, Bd. 162, 1900- — A. Pleiin, Die Malaria der afrikanischen 
Negerbevölkerung. Jena 1902. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 41. 


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Beginne desselben, weil wir gesehen hatten, daß eine erhebliche 
Reaction in vielen Fällen eintrat; in einigen Fällen wurde 
der zu erwartende Anfall fast ganz unterdrückt (27, 30, 32, 37). 
Wir impften zuerst mit streng sterilisirten gewöhnlichen 
Pravazspritzen in den Unterarm, später, als wir die Dosis 
steigerten, mit einer sterilisirten Diphtheritisspritze in die 
aseptisch gereinigte Rückenhaut. Infolge dieser großen Vor¬ 
sicht hatten wir auch nur ausnahmsweise mit Nebenerschei¬ 
nungen zu kämpfen. Nur in einem Falle (25) kam es zu einer 
erythematösen Röthung des Unterarmes, im Falle 19 ent¬ 
wickelte sich ein ziemlicher Nesselausschlag, der bei anderen 
Einspritzungen bekanntlich gar nicht so selten ist; im Falle 27 
blieb die Impfstelle einige Tage etwas schmerzhaft. 

Was die Größe der Einzelgabe anbelangt, so impften 
wir in der Regel mit 5 Ccm. Serum, obwohl wir bei den 
ersten Fällen mit 2 und 3 Ccm. begannen. In 2 Fällen (4, 29) 
impften wir mit je 1 Ccm. aus individuellen Gründen (Arterio¬ 
sklerose und zartes Kind), in 4 Fällen (14, 33, 41, 42) dagegen 
mit je 10 Ccm., um einen umso sicheren Erfolg zu erzielen. 
Zumeist begnügten wir uns mit einer einmaligen Einspritzung, 
doch mußten wir mitunter zu zwei (4, 10, 16, 24, 34, 35), 
auch zu drei (33, 43), ja sogar auch zu vier Einspritzungen 
nacheinander greifen (14, 42). 

Der Verlauf def Erkrankung nach der Einspritzung 
und somit auch der Heilerfolg war sehr verschieden. 
Während einige Fälle sicher und sauber ohne Rückfall aus¬ 
heilten, muß bei anderen hingegen, besonders bei den auch 
sonst sehr hartnäckigen Quartanafällen, ein vollkommener Mi߬ 
erfolg verzeichnet werden. Freilich ist zu erwarten, daß die 
Zusammensetzung und Heilkraft des Serums verbesserungs¬ 
fähig sind. 

Bei einigen Fällen der Tertianagruppe (27, 17,28, 
30, 37) war der weitere Verlauf der Krankheit nach der 
Impfung sehr günstig. Das Fieber hörte nach der Impfung, 
wie früher erwähnt, entweder sofort auf, oder es hinterließ 
nur ganz unbedeutende Beschwerden, z. B. Kopfschmerzen, 
als Ueberbleibsel zur Zeit des zu erwartenden Anfalles. Leider 
wird dieser Vorzug des Serums durch den negativen Para¬ 
sitenbefund von zwei dieser Fälle (17, 28) bedeutend beein¬ 
trächtigt. Die übrigen Tertianafälle (2, 3. 4, 12, 19, 21) ver¬ 
liefen meist in der Weise, daß die Temperatur und Heftigkeit 
der nach der Impfung noch auftretenden Anfälle immer mehr 
und mehr abnahm, bis die letzteren allmälig ganz ver¬ 
schwanden. In einem Falle (2), in welchem die Einzelgabe 
offenbar zu schwach war, verhielten sich die ersten drei Anfälle 
in der eben beschriebenen Weise, der vierte hingegen setzte 
wieder mit erhöhter Heftigkeit ein, worauf die nachfolgenden 
abermals allmälig abnahmen. In einigen Fällen (2, 3) kam es 
zu Zwischenanfällen, die sich zwischen die regelrechten An¬ 
fälle förmlich einschoben und deren Entstehung offenbar nur 
auf die Wirkung des Serums zurückgeführt werden kann. 
Einen sehr langwierigen Verlauf nahm die Tertiana im Falle 13 
und 16, im ersteren mehrere Wochen, im letzteren sogar 
mehrere Monate. Allerdings fanden hier wiederholte Impfungen 
nicht statt. 

Die Anzahl der mit dem Serum geimpften Quartana- 
fälle betrug insgesammt 16 Personen. Bei ihnen bewährte 
sich das Serum nur sehr wenig. Von einer wirklichen Heilung 
kann wohl nur in 2 Fällen (15, 22) gesprochen werden. Eine 
ungewöhnlich lange Heilungsdauer mit einem nachfolgenden 
Ausbleiben der immer wiederkehrenden Anfälle zeigten 4 Fälle 
(24, 33, 41, 43); alle übrigen mit dem Serum geimpften 
Fälle (10, 11, 14, 18, 26, 34, 35, 39, 40, 42) müssen bei sach¬ 
gemäßer Beurtheilung des weiteren Krankheitsverlaufes als 
ungeheilt bezeichnet werden. Kranke, welche von immer¬ 
während wiederkehrenden Anfällen geplagt werden, und bei 
denen man seine ganze Ueberredungskunst anwenden muß, 
um sie von der Einnahme von Chinin zurückzuhalten, können 
eben nicht als geheilt gelten. 


Weit bessere Erfolge hatten wir bei der Tropica¬ 
gruppe zu verzeichnen. In 2 Fällen (7, 9) kam die Genesung 
so rasch zustande, daß die Anfälle „wie abgeschnitten“ auf¬ 
hörten. In anderen Fällen (1, 5, 8, 20, 23, 25, 29, 31, 32, 
36. 38) erfolgte nach der Impfung zwar eine heftige Reaction, 
doch klangen die Anfälle nachher langsam ab, bis sie ganz 
verschwanden. Nur in einem Falle (6) war der Verlauf ein 
äußerst schwerer; der Kranke starb auch 4 Monate nach der 
Impfung; doch erfolgte der Tod nicht wegen Malaria, sondern 
infolge eines dazwischen getretenen Typhus. 

Irgend welche üble Folgen oder Gesundheitsstörungen 
konnten der Impfung nicht nachgesagt werden. In einem 
Falle (27) trat eine schwere Nierenentzündung auf, doch erst 
mehr als 2 Monate nach der Impfung, und zwar infolge einer 
heftigen Verkühlung. Im Falle 30 kam es 8 Tage nach der 
Impfung zum Erbrechen, welches bekanntlich ein häufiges 
Symptom des typischen Fieberanfalles ist. Das Verhalten der 
äußeren Haut wurde bereits oben besprochen. Wir können 
demnach die von Kobler und Wodynski ausgesprochene Gut¬ 
artigkeit der bosnischen Malaria 4 ) vollends bestätigen. 

Die Gesammtheilerfolge der Impfung gegen Malaria mit 
dem KüHN’schen Serum in Bosnien verhalten sich demnach 
folgendermaßen: 

Tertiana: 

Rasch geheilt die Fälle 17 27, 28, 30, 37 . . 5 Personen 

Geheilt die Fälle 2, 3, 7, 12, 19, 21 .... 6 „ 

Gebessert die Fälle 13, 16 . . . . . . . . 2 „ 

zusammen . .13 Personen 

Quartana: 

Geheilt die Fälle 15, 22.2 Personen 

Gebessert die Fälle 24, 33, 41, 43 . 4 „ 

Nicht geheilt die Fälle 10, 11, 14, 18, 26, 34, 

35, 39, 40, 42 .• ... 10 „_ 

zusammen . .16 Personen 

Tropica: 

Rasch geheilt die Fälle 7, 9.2 Personen 

Geheilt die Fälle 5.1 „ 

Nicht geheilt die Fälle 1, 6, 8, 20, 23, 25, 29, 31, 

32, 36, 38 .. . . ■ 11_„_ 

zusammen . . 14 Personen 

Es kommen demnach auf 43 Geimpfte 26 geheilte, 6 ge¬ 
besserte und 11 ungeheilte Personen. 

Aus diesen Zahlen ergibt sich, daß dem KüHN’schen 
Serum jedenfalls eine gewisse Heilkraft innewohnt, obwohl 
als beweisend erst der mikroskopische Zerfallsbefund der 
Plasmodien anzusehen ist, den wir weiter unten besprechen 
werden. Wir enthalten uns absichtlich einer percentuellen 
Berechnung, welche ja in diesem Falle so verführerisch 
erscheint, da wir uns dessen bewußt sind, wie klein noch 
diese Anzahl der Geimpften ist, und wie leicht solche auf 
einer schmalen Grundlage aufgebauten Percentzahlen zu 
irrigen Anschauungen führen können. Die Malariaimpfungen 
in Tesliö sind eben die ersten, die überhaupt in 
Europa ausgeführt wurden (vorher fanden sie zuerst 
in Deutsch-Südwestafrika statt) und es bleibt nun unseren 
Collegen Vorbehalten, den Erfolg der Impfungen nachzu¬ 
prüfen. Dessenungeachtet können wir die Behauptung auf¬ 
stellen, daß durch das Malariaserum die Tropica am schnellsten 
zur Ausheilung gelangt, daß dagegen die Quartana dem Serum 
gegenüber die größte Widerstandsfähigkeit darbietet. In der 
Mitte steht die Tertiana. 5 ) Abgesehen von den Fällen, in 
welchen die Impfung den Anfall vollends zu unterdrücken 
imstande ist, treten in der Regel noch gewöhnlich mehrere 
Anfälle — entweder mit oder ohne besondere Reaction — auf, 
welche dann immer schwächer werden. Die Sicherheit des 


4 ) 1. c. pag. 204. 

s ) Genaner ausgedriickt wäre die Reihenfolge, wie folgt: Trop. III, 
dnpl. III, IV, tripl. IV. dupl. TV. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 41. 


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Erfolges hängt zweifellos von der Höhe der Einzelgabe und 
auch vom Zeitpunkte der Impfung ab. 

Es bleiben noch die Fieberrückfälle zu besprechen, die 
bei der Malariaimpfung eigentlich zur Regel gehören. Sie 
stellten sich auch thatsächlich in der Mehrzahl der Fälle 
ein, doch konnten sie naturgemäß nicht bei allen Geimpften 
genau aufgezeichnet werden, da sich die Betreffenden, um 
nicht eine Arbeitsstunde einzubüßen, trotz eindiinglicher 
Ermahnung der Vorstellung beim Arzte entzogen; oder aber 
war die Stärke des Rückfalles wohl so gering, daß sie den¬ 
selben selbst nicht recht beachteten. Ein an die schwere Arbeit 
gewöhnter und allen Unbilden der Witterung ausgesetzter 
Taglöhner schenkt eben geringfügigen Gesundheitsstörungen 
wenig oder gar keine Beachtung. So erfuhren wir z. B. bei 
den Fällen 5 und 21 nur durch Zufall, daß sie ziehende 
Schmerzen in den Beinen verspürten, und zwar der eine 
6 Monate, der andere 3 Wochen nach der Impfung. Sichere 
Rückfälle notirten wir bei den Fällen 3, 5, 13, 14, 16, 20, 
21, 25, 26, 27, 33, 34, 35, 39, 40, 41, 42. Der Zeitpunkt ihres 
Einsetzens nach der Impfung schwankte von einigen Tagen 
bis zu mehreren Monaten. 

Einen Umstand darf man nicht mit Stillschweigen über¬ 
geben, nämlich die Thatsache, daß einige Kranke bei den 
Rückfällen Chinin einnahmen, dessen Beschaffung in Teslitf 
keinen besonderen Schwierigkeiten unterliegt; es bezieht sich 
dies auf die Fälle 3, 14, 34, 35, 39, 40. Die meisten von 
ihnen, und zwar Quartanafälle, haben es selbst eingestanden, 
oder wir erfuhren es auf Umwegen durch andere Personen. 
Andere Arzneien reichten wir den Kranken nicht, um uns 
das Bild der heilenden Wirkung des Serums nicht zu verwischen ; 
es ist ja eine bekannte Thatsache, daß das Chinin in manchen 
Fällen versagt c ), daß hingegen eine Reihe von Mitteln 7 ) (z. B. 
Calomel, Santonin, Schwitzcuren, kalte Umschläge etc.) das 
Wechselfieber günstig zu beeinflussen imstande ist. Auch die 
Volksmedicin kennt eine stattliche Reihe von Malariamitteln 8 ), 
z. B. Paprika, Schnaps u. dgl. Von der günstigen Einwirkung 
der Abführmittel, speciell der Sennablätter, hatten wir (in 
der Zeit, bevor wir die Impfungen begonnen), Gelegenheit, 
uns in Bosnien und Dalmatien zu überzeugen. Wir reichten 
auch deswegen das Inf. Fol. Sennae 5 0:200 0 Aq. nur aus¬ 
nahmsweise in solchen Fällen, in welchen die ungeduldigen 
Kranken eindringlich nach einer Arznei verlangten. Sonst 
reichten wir nur unschädliche Syrupe. 

Eine unangenehme Erschwerung unserer Beobachtungen 
verursachte uns das Auftreten einer ziemlich hartnäckigen 
und ausgedehnten Typhusepidemie anfangs October 1901. 

Sie war die eigentliche Ursache dafür, daß wir einige 
Personen (5 männliche Personen im Alter von 15—32 Jahren, 
durchwegs Arbeiter) mit Serum impften, obwohl sie gar nicht 
an Wechselfieber litten. Viele Krankheitserscheinungen sind 
ja bekanntlich dem Typhus und Wechselfieber gemeinsam 
oder so täuschend ähnlich, daß es mitunter ganz unmöglich 
ist oder ungemein schwer fällt, beide Krankheiten, besonders 
am Beginne derselben auseinanderzuhalten. In den Tropen 
werden sie bekanntlich wiederholt miteinander verwechselt. 9 ) 
Eine endgiltige Entscheidung vermag nur der mikroskopische 
Nachweis der Malariaplasmodien zu bringen. Die sofortige 
mikroskopische Blutuntersuchung bei jenen 5 Kranken war 
aus äußeren Gründen nicht durchführbar, da sich die zu 
verarbeitenden Blutproben gerade zu jener Zeit stark anhäuften, 
und so kam es zur Impfung von Typhuskranken. Zwei von 
ihnen machten sogar eine ungemein schwere Form des Typhus 
durch. Die vorerwähnte Typhusepidemie complicirte demnach 


8 ) Archiv f. Schiffs- und Tropenhygiene. 1901, H. 4, pag. 28. 

7 ) Bellengeb P. L., The use of Quinine in Malaria. Med. record. 18, 2. 
1899, cit. nach Vibchow’s Jahresbericht d. g. Med. 1899, Bd. I. 

8 ) Vgl. v. Hovorka, Volksmedicin auf der Halbinsel Sabioncello. Mitth. 
des Landesmuseums in Sarajevo 1901. 

9 ) Dr. L. Martin, Ueber Typhus unter den Tropen. Archiv f. Schiffs¬ 
und Tropenhygiene. 


zwar unsere Arbeit in einem ungebührlichen Maße, doch 
hatte sie für uns in zweierlei Hinsicht auch einen unleugbaren 
Nutzen: erstens bot sie uns Gelegenheit, diese beiden einander 
so ähnlichen Krankheiten klinisch gründlich zu beobachten, 
und zweitens überzeugte sie uns von der Unschädlichkeit des 
Malariaserums auch bei schweren Krankheiten, als welche 
wohl der Typhus bezeichnet werden darf. Dieser letztere 
Umstand ist für die praktische Anwendung des Malaria¬ 
serums von einer hervorragenden Wichtigkeit. 

Einen großen Werth legten wir von vorneherein selbst¬ 
redend auf die mikroskopische Blutuntersuchung. Von den 
43 Geimpften zeigte sich bei 5 Personen ein negatives Resultat, 
obwohl vom klinischen Standpunkte über thatsächlich be¬ 
stehende Malaria kein Zweifel obwalten konnte. In einigen 
Fällen konnten wir die Parasiten trotz eifrigen Suchens nur 
höchstens einmal oder zweimal im Blute nachweisen. 

Wenn auch die Gestaltung der Parasiten bei den ein¬ 
zelnen Fieberarten dieselben Formen aufwies, wie wir sie 
bei den Malariaparasiten anderer Länder gewöhnt sind, und 
wir infolgedessen nicht imstande sind, über die Form der Plas¬ 
modien oder deren Wachsthum etwas Neues zu sagen, so 
interessirte uns doch am meisten der Einfluß des Serums auf 
dieselben nach der Einspritzung und die daraus entstehenden 
Formveränderungen. 

Die Parasiten der Terti an agruppe zeigten eine lebhafte 
amöboide Bewegung; wir sahen ferner wiederholt Gameten, 
kleine, mittlere und große Ringe; die rothen Blutkörperchen 
erschienen oft aufgebläht. In ihrem Jugendzustande waren 
die Parasiten farbstofflos, erst später kam es zur Bildung 
eines feinen Farbstoffes, welcher im weiteren Verlaufe grob¬ 
körniger wurde. Mit dem Einsetzen des Anfalles kam es zur 
Entwickelung von jungen Parasiten (Sporen). Der Einfluß 
des Serums auf die Parasiten war augenscheinlich. Nach 
erfolgter Impfung erschienen nämlich die Parasiten häufig wie 
zerfranst, faserig, zerrissen und in große Schollen zerfallen. 
Von den Quarta na formen, welche die Mehrzahl (16 Fälle) 
aller Malariafälle bildeten, hatten wir Gelegenheit, zweimal 
eine Quartana dupl., fünfmal eine Quartana tripl. zu beob¬ 
achten. Die Quartana pflegt in Tesliö überhaupt, besonders 
in der kalten Jahreszeit, aufzutreten, was offenbar in der 
größeren Widerstandsfähigkeit und Entwickelung des Quar- 
tanaparasiten seine Erklärung findet. Wir beobachteten stets 
typische Quartanaparasiten, schöne zarte und breite Bänder, 
Sphären und Geißelformen mit lebhafter molecularer und 
Eigenbewegung, Theilungsfiguren. Junge Parasiten, als helle, 
lichte Punkte, traten regelmäßig am Beginne des Anfalles 
auf. Auch bei den Quartanaparasiten zeigte sich eine deutliche 
Einwirkung des Serums auf die Plasmodien, indem sich die¬ 
selben unregelmäßig einzogen, sich aufzublähen schienen, um 
dann zu zerplatzen; man sah sie dann im Gesichtsfelde 
zerfasert, wie zerrissen daliegen. 

Auch die Jugendformen der Tropica sahen wir zuerst 
farbstofflos, erst später kam es zur Bildung von Farbstoff, 
zumeist am äußeren Rande. Wir konnten uns nicht der An¬ 
schauung verschließen, daß die Parasiten nicht im Innern der 
Blutkörperchen, sondern auf der Oberfläche derselben saßen. 
Außerdem sahen wir sehr häufig Halbmonde, die charakte¬ 
ristischen Tropicaringe, in allen Größen in der bekannten 
Siegelringform, ferner Sphären und spindelförmige Parasiten 
mit Pigmentkörpein, sowie Messingkörperchen. In einem Falle 
traten deutliche Syzygien, in 2 Fällen lebhaft bewegliche 
Geißelkörper auf. Die Einwirkung des Serums bei der Tropica 
machte sich besonders auffällig bei den Tropicaringen be¬ 
merkbar, indem sich regelmäßig nach der Impfung nicht ganze 
Ringe, sondern nur Ringtrümmer vorfanden. Doch blieben auch 
die übrigen Tropicaformen nicht unbeeinflußt, indem dieselben der 
früher erwähnten Zerfaserung und Zertrümmerung unterlagen. 

Beistehend geben wir eine Uebersicht der von uns mit 
dem Serum geimpften Kranken, sowie Auszüge aus den 
Krankengeschichten. 


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1841 


1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 41. 


1842 


Uebersicht. 


Nr. 

Name 

Alter 

Geburtsland 

Fieberform 

Geimpft 

Behandlung 

mit Ccm. 
Serum 

am 

1 

Joakim Simac 

21 

Kroatien 

tropica 

3 

25. August 1901 

Spital 

2 

Josef Basch 

33 

Ui garn 

tertiana 

2 

24. August 

Spital 

3 

Alois Vejtrieba 

33 

Steiermark 

tertiana 

2 

27- August 

Spital 

4 

Anton Tomassi 

60 

Italien 

tertiana 

1. 2 

27., 29. August 

Spital 

5 

Luka Nedie 

16 

Bosnien 

tropica 

2 

30. August 

Spital 

6 

Petar Gaoric 

24 

Bosnien 

tropica 

3 

30- August 

Spital 

7 

Marie Broska 

10 

Rußland 

tropica 

2 

30- August 

Spital 

8 

Jovo Rapic 

17 

Bosnien 

tropica 

2 

3. September 

ambulatorisch 

9 

Petar Gjakuliö 

36 

Bosnien 

tropica 

4 

3. September 

Spital 

10 

Andreas Buttazoni 

25 

Italien 

quartana 

5, 5 

7., 9. September 

Spital 

11 

Fioravanti Pischiotta 

18 

Italien 

quartana 

5 

7. September 

Spital 

12 

Nedo Jovic 

19 

Bosnien 

tertiana 

5 

7. September 

Spital 

13 

Johann Öerny 

40 

Niederösterreich 

tertiana 

5 

8. September 

Spital 

14 

Luka Louöar 

41 

Kroatien 

quartana 

5, 5, 5, 10 

11., 14. September, 8., 20. October 

ambulatorisch 

15 

Niko Galamic 

17 

Bosnien 

quartana 

5 

14- September 

ambulatorisch 

16 

Paula Rehak 

22 

Bosnien 

tertiana 

5, 4V, 

14., 24. September 

im Hause 

17 

Luise Horvath 

19 

Kroatien 

(tertiana) 

5 

19. September 

ambulatorisch 

18 


25 

Bosnien 

quartana 

4, 5 

20., 29. September 

Spital 

19 

Conrad Knapp 

32 

Ungarn 

(tertiana) 

5 

21. September 

ambulatorisch 

20 

Hedwig Petter 

24 

Niederösterreich 

tropica 

47, 

24. September 

im Hause 

21 


37 

Kroatien 

(tertiana) 

5 

25. September 

Spital 

22 

Gjuro Miskoric 

37 

Bosnien 

quartana 

5 

25. September 

ambulatorisch 

23 

Ladislaus Gibis 

40 

Bukowina 

(tropica) 

5 

26. September 

ambulatorisch 

24 

Simeon Pischiotta 

26 

Italien 

quartana 

5, 6 

26., 30. September 

ambulatorisch 

25 

Pero Yrbrica 

22 

Bosnien 

tropica 

47» 

27. September 

Spital 

26 

Milka Vukovid 

3 

Bosnien 

quartana 

3 

28. September 

im Hause 

27 

Alois Jeynek 

34 

Krain 

tertiana 

5 

28. September 

ambulatorisch 

28 

Niko Pesic 

15 

Bosnien 

(tertiana) 

67, 

28. September 

ambulatorisch 

29 

Gisela Petter 

3 

Bosnien 

tropica 

1 

2. October 

ambulatorisch 

30 

Josef Kitrec 

15 

Ungarn 

tertiana 

5 

4. October 

Spital 

31 

Katharina Keck 

8Mon. 

Bosnien 

tropica 

2 

9. October 

im Hause 

32 

Evica Gjukic 

34 

Kroatien 

tropica 

5 

17. October 

ambulatorisch 

33 

Anna Spiegel 

13 

Kroatien 

quartana 

5, 5, 10 

17-, 30. October, 8- November 

ambulatorisch 

34 

Anton Tomassi 

2 

Italien 

quartana 

2, 3 

19., 31. October 

im Hause 

35 


3 

Italien 

quartana 

27,. 3 

19-, 31. October 

im Hause 

36 

Ivan Potoönik 

15 

Kroatien 

tropica 

5 

21. October 

ambulatorisch 

37 

Pero Radicic 

16 

Bosnien 

tertiana 

5 

24. October 

Spital 

38 

Josef Koöovar 

2 

Bosnien 

tropica 

3 

4. November 

im Hause 

39 

Georg Ulm 

6 

Bosnien 

quartana 

5 

8. December 

ambulatorisch 

40 

Jacob Ulm 

2 

Bosnien 

quartana 

3 

10. December 

im Hause 

41 


26 

Ungarn 

quartana 

10 

8. December 

ambulatorisch 

42 

Heinrich Tieckl 

28 

Ungarn 

quartana 

10, 5, 5, 5 

8., 29. December, 1., 4. Januar 

ambulatorisch, dann Spital 

43 

Trium Pulic 

1 22 

Bosnien 

quartana 

5, 5, 5 

1., 4., 5. Januar 

ambulatorisch 


(Fortsetzung folgt.) 


Ueber plötzliche Todesfälle im Kindesalter. 

Von Prof. Dr. v. Ganghofner in Prag.*) 

Als die zu erörternden plötzlichen Todesfälle werden 
jene bezeichnet, wo sich bei der Section keine Organverän- 
derungen finden, welche den plötzlichen Tod genügend er¬ 
klären. Die Ansicht, daß die vergrößerte Thymus durch Druck 
auf die Luftwege plötzlichen Erstickungstod herbei führen 
könne, hat seit Anfang der Achtzigerjahre wieder Anhänger 
gefunden. Ich habe die Absicht, die in der Literatur des 
verflossenen Decenniums enthaltenen Fälle, die eine Com- 
pressionswirkung der vergrößerten Thymus auf Trachea und 
Bronchien darthun, zu besprechen. 

Eine Kategorie dieser Fälle geht mit längere oder kürzere 
Zeit bestehender Dyspnoe einher, so daß der Tod nicht ganz 
unerwartet, nicht plötzlich erfolgt; diese gehören nicht hieher. 
Eine andere, nicht große Zahl von Fällen bietet dem klinischen 
Verständniß insofern Schwierigkeiten, als der plötzliche Tod 
nur dann durch die mechanische Wirkung der vergrößerten 
Thymus erklärlich wäre, wenn man eine ganz acut auftretende 
Anschwellung der Thymus annehmen könnte. 

Sieht man von diesen Fällen ab, so erübrigen noch zahl¬ 
reiche Beobachtungen, wo Zeichen einer Compression der 

*) Referat, erstattet in der Abtheilung für Kinderheilkunde der 
74. Versammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte zu 
Karlsbad. — Coll.-Ber. d. „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“. 


Luftwege fehlen und daher von einer mechanischen Wirkung 
abgesehen werden muß. Für diese wurde von vielen Klinikern 
die Lehre A. Paltauf’s vom sogenannten Statu3 lymphaticus 
zur Erklärung herangezogen. Dieser von Paltauf als beson¬ 
dere Constitutionsanomalie aufgefaßte Zustand ist gekenn¬ 
zeichnet durch eine Hyperplasie des gesammten lymphatischen 
Apparates oder, größerer Abschnitte desselben, wobei die Hyper¬ 
plasie der Thymus nur ein Theilsymptom bildet. Diese Con¬ 
stitutionsanomalie geht mit krankhaften Veränderungen der 
nervösen Centren für die Herzbewegung einher; daher kommt 
es bei solchen Individuen zu Herzlähmung infolge ver¬ 
schiedener, oft geringfügiger Schädlichkeiten. Diese Auf¬ 
fassung wurde für die plötzlichen Todesfälle bei Kindern mit 
Laryngospasmus geltend gemacht, da die klinische Beob¬ 
achtung dafür spricht, daß es sich dabei häufig um ein plötz¬ 
liches Versagen der Herzthätigkeit handelt und nicht um 
einen Erstickungstod; ferner wurde dieselbe herangezogen für 
die Erklärung von unerwartetem Tod bei geringfügigen Ein¬ 
griffen (hydropathische Einwirkung) oder Schädlichkeiten, und 
zwar nicht nur bei Säuglingen, sondern auch bei älteren 
Kindern und bei jugendlichen Erwachsenen. Es gehören hierher 
die Todesfälle nach Sturz ins Wasser (ohne Zeichen des 
Erstickungstodes) und die räthselhaften Todesfälle bei der 
Narkose; von letzteren ist auch schon früher angenommen 
worden, daß sie nicht der Giftwirkung des Chloroforms 
I allein zugeschrieben werden können. Seit dem Bekanntwerlen 

2 


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1843 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 41. 


1844 


der PALTAUF’schen Darlegungen ist bei zahlreichen Narkose- 
Todesfällen das Vorhandensein des Status lymphaticus con- 
statirt worden, zugleich auch der Umstand, daß der Tod unter 
den Erscheinungen plötzlichen Herzstillstandes erfolgt sei. 
Ebenso fand man Hyperplasie des lymphatischen Apparates und 
häufig auch eine vergrößerte Thymus in solchen Fällen, wo Kinder 
oder jugendliche Erwachsene nach anscheinend nicht lebensge¬ 
fährlicher Erkrankung, besonders solcher infectiöser Natur, rasch 
und unerwartet gestorben waren. Diesen Beobachtungen reihen 
sich an einzelne, plötzliche Todesfälle nach Seruminjectionen, 
welche wohl ähnlich aufzufassen sind wie die Beobachtungen 
der Chirurgen über plötzlichen Tod bei oder vor einer Ope¬ 
ration mit oder ohne Narkose. Neuerdings ist wieder die 
Behauptung discutirt worden, daß Säuglinge nach Abheilung 
von Hautausschlägen unter dem Einflüsse localer Behandlung 
unerwartet sterben können. Wenn keinerlei Organerkrankung 
bei solchen Säuglingen nachgewiesen wurde, so dürfte die 
Erklärung des plötzlichen Todes zu suchen sein in den dele¬ 
tären Folgen einer Stoffwechselstörung, bezw. Ernährungs¬ 
störung. Auf Ernährungsstörungen als die wahrscheinliche 
Ursache plötzlicher Todesfälle bei Kindern der ersten Lebens¬ 
jahre scheint eine Reihe von Untersuchungsergebnissen hinzu¬ 
weisen, aus denen hervorgeht, daß das Nervensystem von 
Säuglingen durch die Art der Ernährung sehr beeinflußt 
wird in dem Sinne, daß eine unzweckmäßige Ernährung 
leicht zu Erregbarkeitssteigerungen der Nerven führt. Die 
Beobachtungen über den plötzlichen Tod von an Laryngo- 
spasmus leidenden Kindern, der sich häufig als ein Herztod 
darstellt, scheinen die Vorstellung Paltauf’s von krankhaften 
Veränderungen nervöser Centren bei Individuen mit Status 
lymphaticus zu stützen, denn diese Laryngospastiker bieten 
häufig die Erscheinungen der lymphatischen Constitution, zu¬ 
gleich aber auch Zeichen einer Neurose (Tetanie und teta- 
nische Zustände, Erregbarkeitssteigerung der Nerven). 

Es sind auch verschiedene Hypothesen aufgestellt worden, 
welche darauf hinausgehen, die mit dem Status lymphaticus 
einhergehende Thymusvergrößerung zugleich mit einer Func¬ 
tionsanomalie derselben in Verbindung zu bringen, die wieder 
eine Art Autointoxication zur Folge haben soll; man dachte 
dabei an eine Analogie mit Functionsstörungen der Schilddrüse. 
Eine dieser Hypothesen gipfelte in der Annahme einer Hyper- 
thymisation des Blutes durch Hypersecretion der vergrößerten 
inneren Brustdrüse. 

Eine solche Annahme entbehrt ausreichender Grundlagen, 
die diesbezüglichen Thierexperimente sind nicht beweisend. Die 
Annahme ist aus verschiedenen Gründen nicht wahrscheinlich 
und kann insbesondere für den Herztod der Laryngospastiker 
nicht Geltung beanspruchen, da nur ein Bruchtheil derselben 
eine vergrößerte Thymus aufweist, während eine solche Ver¬ 
größerung bei der Mehrzahl dieser Kranken fehlt. Was die von 
Paltauf als lymphatische Constitution beschriebenen Verände¬ 
rungen betrifft, so ist es sehr fraglich, ob diese Veränderungen 
einer besonderen Constitutionsanomalie entsprechen. Wohl 
drängen die klinischen Beobachtungen zu der Annahme, daß es 
Individuen gibt mit einer besonderen Körperbeschaffenheit, die 
zur Herzlähmung disponirt. Der Status lymphaticus kann 
jedoch, wenn er vorliegt, nur als Fingerzeig gelten, daß 
Störungen des Stoffwechsels vorhanden sind, die eine solche ab¬ 
norme Körperbeschaffenheit vermuthen lassen; es scheint jedoch 
der Status lymphaticus nicht constant mit diesen Stoffwechsel¬ 
störungen verbunden zu sein. In ätiologischer Beziehung 
dürften außer fehlerhafter Ernährung wohl auch noch andere 
Noxen, vielleicht auch pathologische Veranlagung, eine Rolle 
spielen, dies entzieht sich vorerst einer sicheren Beurtheilung. 

Während bei den jüngsten Altersstufen die häufig vor¬ 
handenen Zeichen einer Neurose darauf hinweisen, daß der 
plötzliche Tod von krankhaften Veränderungen nervöser 
Centren abhängt, ist für Erwachsene bisher kein Nachweis in 
dieser Richtung erbracht worden. 


Aus der Chirurg. Abtheilung des bosn.-herceg. 

Landessiritales zu Sarajevo. 

Ueber Steinoperationen. 

Von Primararzt Dr. Josef Preindlsberger. 

(Fortsetzung.) 

Caauistik. 

1. Fall. Ivo 0., 7 Jahre, or.-orth. aus Jajco, 3 Jahre krank. 
Operation am 24. Juni 1895. Sectio alta. Ruhige Chloroformnarkose. 
Peritonealfalte kam nicht zur Ansicht. Completo Catgutnaht (Cystitis). 
Heilung per primam nach 10 Tagen. Kein Verweilkatheter. 2 Steine, 
4 Grm. und 20 Grm. Gewicht, der größere Urat, der kleinere 
Phosphat. 

2. Fall. Pero C., 12 Jahre, or.-orth., B. Petrovac, 2’/ 2 Jahre 
krank. Operation am 13. November 1894. Ruhige Chloroform¬ 
narkose. Sectio alta. Peritonealfalte kam zur Ansicht. Complete, 
2reihige Seidennaht (Cystitis). Vom 8.—12. Tage entleert sich 
durch die Wunde etwas Harn. Heilungsdauer 20 Tage. Verweil¬ 
katheter durch 12 Tage, Gewicht des Steines 21 Grm., Kern: 
Harnsäure, Rinde: zum größten Theil pbosphorsaurer Kalk; kein 
oxalsaurer Kalk (Maulbeerstein). 

3. Fall. Jovan P., 14 Jahre, or.-orth., Skrobucani, 6 Jahre 
krank. Operation am 16. September 1894. Ruhige Chloroformnarkose. 
Sectio alta. Peritonealfalte kam nicht zur Ansicht. Blasenwand 
etwas verdickt, stärkere Blutung; Quetschung der Blasenwunde. 
Complete Catgutnaht (Cystitis). 22. September Katheter verstopft, 
etwas Harn im unteren Wundwinkel. 28. September Wunde trocken, 
periurethraler Absceß. Heilungsdauer 65 Tage. Verweilkatheter. 
Gewicht 54 l / a Grm., Kern: Harnsäure, Rinde: Ammoniumphosphat. 

4. Fall. Hamid C., 15 Jahre, muh., Gorazda, 10 Jahre krank. 
Operation am 12. October 1894. Sectio alta. Peritonealfalte kam 
zur Ansicht. Complete Catgutnaht (Cystitis). Nahtinsufficienz. 20. Oc¬ 
tober Einführung eines DiTTEL’schen Knierohres, 23. October wieder 
Dauerkatheter. Heilungsdauer 50 Tage. Verweilkatheter. Gewicht 
21% Grm., Kern: Harnsäure und Magnesiumammonphosphat, Rinde: 
Ammoniumphosphat. 

5. Fall. ManojloB., 14 Jahre, or.-orth., Podkraj (Visoko), 
6 Jahre krank. Operation am 13. Mai 1894. Sectio alta, Eröffnung 
der auffallend tief herabreichenden Peritonealfalte auf 1 Cm., so¬ 
fortiger Verschluß durch fortlaufende Catgutnaht. Complete Catgut¬ 
naht (Cystitis). 22. October oberer Theil der Wunde aaseinander¬ 
gewichen und Abfluß von Harn durch dieselbe; Einführen eines 
Knierohres, 24. October wieder Verweilkatheter. Heilungsdauer 
152 Tage. Schwerer Decubitus. Verwoilkatheter. Gewicht 36 1 /, Grm., 
Kern: Harnsäure, etwas oxalsaurer Kalk und Magnesiumammon¬ 
phosphat, Rinde: nicht deutlich ausgeprägt. 

6 . Fall. Alia C., 19 Jahre, muh., Sarajevo, 8 Jahre krank. 
Operation am 30. August 1894. Sectio alta. Wegen nicht genügen¬ 
der Füllung der Blase Einführung eines Itinerariums. Peritoneal¬ 
falte kam zur Ansicht. Quetschung der ßlasenwunde. Complete, 
2reihige Catgutnaht (Cystitis). 7. October Weglassen des Katheters, 
8 . October aus der Wunde etwas trüber Harn; Katheter. 15. October 
Weglassen des Katheters. Heilungsdauer 24 Tage. Verweilkatheter 
durch 16 Tuge. Gewicht 54 1 / 2 Grm., Maulbeerstein, Kern: Harn¬ 
saurer und oxalsaurer Kalk, Rinde: Harnsäure Alkalien und etwas 
Kalkoxalat. 

7. Fall. Meho A., 10 Jahre, muh., Rogatica. Operation am 
22. Januar 1895. Sectio alta. Peritonealfalte kam nicht zur An¬ 
sicht ; Blasenwand verdickt, die Muscularis sehr blutreich, so daß 
mehrere Unterbindungen nothwendig waren. Complete Catgutnaht 
(Cystitis). 31 Januar. Wundeiterung, im Harn reichlich Eiter; 
Blasenausspülungen, Weglassen des Katheters. 1. Februar. Im unteren 
Wundwinkel einige Tropfen Harn; Katheter. Verband trocken. 
Heilungsdauer 52 Tage. Verweilkatheter. Gewicht 33 x / 2 Grm., der 
ganze Stein bestehend aus harnsaureu Alkalien. 

8 . Fall. Madie II., 7 Jahre, muh., Sanica (Kljuc), 2 Jahre 
krank. Operation am 16. April 1895. Sectio alta. Peritonealfalte 
kam nicht zur Ansicht. Complete Catgutnaht. 26. April. Patient 
urinirt spontan. 27. April. An der Drainagestelle der Bauchwunde 


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1845 


1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 41. 


1846 


ein paar Tropfen Harn. Heilungsdauer 13 Tage. Verweilkatheter 
durch 8 Tage. Gewicht 38 Grm., Kern: Harnsäure, Rinde: Kalk¬ 
oxalate und Urate (Maulbeerstein). 

9. Fall. Lazar K., 45 Jahre, or.-orth., Sarajevo, 5—6 Jahre 
krank. Operation am 17. Februar 1895. Sectio alta. Heftige Blutung 
aus der sehr verdickten Blasenwand. Der nußgroße Stein zerspringt 
beim Anfassen in zahllose Fragmente. Die ganze Oberfläche der 
Blasenschleimhaut zwischen den vorspringenden Trabekeln incrustirt. 
Blutung stand erst nach Fixirung der Ränder der Blasenwunde 
an den Rectus. Keine Blasennaht. Heilungsdauer 73 Tage. Knie- 
rohr. 12. März bis 1. Mai Verweilkatheter. Gewicht der Stein¬ 
fragmente 20 Grm. Harnsäure und Magnesiumammonphosphat. 

10. Fall. Risto W., 13 Jahre, or.-orth., Nasica (B.-Gradiska). 
Operation am 13. Juni 1895. Sectio alta, Peritoneal falte kam zur 
Ansicht, Blasen wand verdickt. Complete 2reihige Catgutnaht. 19. April 
Entfernung des Katheters. Heilungsdauer 30 Tage. Verweilkatheter. 
Gewicht 40 Grm., Kern: Harnsäure Alkalien, Schale: Magnesium¬ 
ammonphosphat. 

1 1. Fall. Pero S., 15 Jahre, or.-orth., Gornji-Vakuf, 10 Jahre 
krank. Operation am 19. November 1895. Sectio alta. Blasenwand 
sehr verdickt, Schleimhaut geschwellt und blutreich. Tamponade zur 
Blutstillung. Complete Catgutnaht (Cystitis). 25. November Schwellung 
der Wunde; mißfarbige Infiltration der Muskeln. Lüftung der 
Wundränder und Einführung eines Knierohres. 4. December Ver¬ 
weilkatheter. Heilungsdauer 34 Tage. Verweilkatheter vom 19. No¬ 
vember bis 25. November und vom 4. December bis 6. December. 
Gewicht 17V 2 Gi'm-, Kern und Rinde: Harnsaure Alkalien. 

12. Fall. Pero J., 50 Jahre, r.-kath., Skoplje (Bugojno), 
1 Jahr krank. Operation am 5. September 1895. Sectio alta. Das 
Peritoneum wurde auf 1 Cm. eingerissen und sofort durch Catgut¬ 
naht verschlossen. Blasen wand außerordentlich verdickt, Quetschung 
der Blasenwunde. Complete Catgutnaht. 24 Tage Heilung per 
primam. Verweilkatheter. Gewicht 46 Grm., Kern : Harnsaure 
Alkalien, Rinde: Oxalsaurcr Kalk. 

13. Fall. Vejsil M., 36 Jahre, muh., Sarajevo. Seit 4 Monate 
Blasenblutungen. Operation am 18. December 1895 Sectio alta. 
Blasenwaud enorm verdickt, reichliche Trabekelbildung. Incomplete 
Catgutnaht. Anfangs Temperatursteigerung und Blasenblutungen. 

11. Januar Incision eines periurethralen Abscesses. DiTTEL’sches 
Knierohr und Verweilkatheter. Gewicht 29 3 Grm., Kern: Urate. 
Mittlere Partie: Magnesiumammonphosphat. Aeußere weiße Partie: 
Magnesiumammonphosphat, etwas Kalkphosphat. Es entwickelte sich 
ein Carcinom der Blasenwand, mit dem der Pat. im Jahre 1896 
zur Wiederaufnahme gelangte. 

14. Fäll. Pero I)., 27 Jahre, or.-orth., Zenica. Operation am 
1. März 1895. Sectio alta. Blasenwand enorm verdickt, Peritoneal¬ 
falte kam zur Ansicht. Complete 2reihige Catgutnaht. Heftige 
Urethritis, Wundränder geschwellt. Lüftung der mißfarbigen, Harn 
entleerenden Wunde. DiTTEL’sches Knierohr. 19. April. Cystitis 
mit aashaft stinkendem, eiterigem Harn. 21. April. Unter Erschei¬ 
nungen der Urämie Exitus letalis. 1. bis 4. April und 19. bis 
21. April Verweilkatheter. 5. bis 18. April DiTTEL’sches Knierohr. 
Gewicht 129^2 Grm., Rinde: Magnesiumammonphosphat. Mittlere 
Partie: Kalk- und Magnesiumphosphat. Kern: Harnsaure Alkalien. 
Sectionsbefund: Cystitis, Urethritis et Pyelonephritis purulenta 
putrida arabilateralis gravis. Residua cystitidis chronicae nec non 
hydronephrosis incipiens renis utriusque. Bronchitis chronica 
diffusa, Oedema acutum pulmonum. Sectio alta lithiasis causa prius 
facta. Vuluus apertum abdominis non sanatum. Marasmus. 

15. Fall. Osman S., 40 Jahre, muh., Ljubinje. Operation am 
20. December 1895. Sectio alta. Die sehr tief stehende Peritoneal¬ 
falte wurde auf 1 1 / 2 Cm. eröffnet und sofort durch 3 Catgutnähte 
verschlossen. Narkose sehr unruhig, mehrmals Asphyxie. Incomplete 
Naht. Gestorben am 22. December. 26 Stunden post operationem 
nach vorherigem normalen Verlauf unter Erscheinungen des Lungen¬ 
ödems plötzlicher Exitus letalis. DiTTEL’sches Knierohr. Gewicht 
16 Grm., Rinde: Harnsaure Alkalien und Magnesiumamraonphosphat. 
Kern : Magnesiumammonphosphat. Sectionsbefund: Pneuraonia hypo- 
statica loborum infer. pulmonum, emphysema et oedema acutum 
pulmonis utriusque. Hypertrophia totius cordis, Cystitis catarrh. 


chronica hypertrophica cum polypo mucosae vesicae urinariae. Dila- 
tatio uretherorura et hydronephrosis ambilateralis. Sectio alta lithiasis 
causa recenter facta. Hyperaemia passiva meningum et cerebri. 

1 6. Fall. Vladimir T., 25 Jahre, or.-orth., Sarajevo. 18. April. 
Nach mehrtägiger Behandlung der nebstbei bestehenden Gonorrhoe 
wurde Pat. auf Verlangen entlassen. 

17. Fall. Risto P., or.-orth., Sarajevo. 4 Tage krank. Ope¬ 
ration am 5. Oetober 1895. Urethrotomia perinealis externa. Ent¬ 
fernung des fest eingekeilten Steines mit dem Urethrallöffel. Complete 
Catgutnaht. 14. Oetober. Wegen geringer Eiterretention Lüftung 
der verklebten Wundränder. Hierauf durch mehrere Tage Abgehen 
einiger Tropfen Harnes durch die Wunde. 27. Oetober. Wunde voll¬ 
ständig verheilt. Heilungsdauer 22 Tage. Verweilkatheter. Gewicht 
0'052 Grm. Maulbeerstein. Chemische Untersuchung nicht vor¬ 
genommen. 

18. Fall. Johann A., 58 Jahre, r.-kath., B.-Kobas. Sectio 
alta facta propter Neoplasma malignum vesicae. Vom Vakuspital 
übernommen. Operation der Lithiasis wegen des gleichzeitig be¬ 
stehenden Neoplasma malignum unausführbar. 

19. Fall. Petar C., 30 Jahre, or.-orth., B.-Petrovac, 5 bis 
6 Jahre krank. Operation am 24. .November 1896. Sectio alta. 
Peritonealfalte tiefstehend. Complete Catgutnaht (Cystitis). 29. No¬ 
vember. Aus dem unteren Wundwinkel entleert sich etwas Harn mit 
Eiter. Knierohr. 5. December wieder Katheter. Heilungsdauer 28 Tage. 
Verweilkatheter. 29. November bis 5. December Knierohr. Gewicht 
87 Grm. Fast ausschließlich Urate. 

2 0. Fall. Mujo M., 10 Jahre, muh., Stolac, 6 Jahre krank. 
Operation am 13. November 1896. Sectio alta. Peritonealfalte kam 
zur Ansicht. Complete Catgutnaht. 18. November infolge Insufficienz 
der Blasennaht Einführung eines Knierohres. 27. November Weg¬ 
lassen des Knierohres, Harnentleerung durch die Urethra. Heilungs¬ 
dauer 39 Tage. 13. bis 18. November Verweilkatheter. 18. bis 
27. November Knierolir. Gewicht 27 Grm. Rinde: Harnsaure Al¬ 
kalien , Kalkphosphat und Oxalat. Kern: wie Rinde, nur noch 
Urate. 

2 1. Fall. Risto P., 14 Jahre, or.-orth., Sarajevo. Vor 1 Jahre 
durch Urethrotomia perinealis ein bolinengroßer Stein entfernt. 
Operation am 11. December 1896. Durch Eröffnung eines periure¬ 
thralen Abscesses wurde gleichzeitig die Urethra eröffnet und der 
Stein hierauf extrahirt. Heilungsdauer 15 Tage. Pflaumenkerngroßer 
Uratstein. 

2 2. Fall. Dervis M., 5 Jahre, muh., Stolac. 1 Jahr krank. 
Operation am 22. September 1896. Sectio alta. Peritonealfalte kam 
nicht zur Ansicht. Bei der Chloroformnarkose hochgradige Asphyxie. 
Complete Catgutnaht. Heilung per primam. Heilungsdauer 18 Tage. 
Verweilkatheter. 2 maulbeergroße Steine. Gewicht zusammen 4 Grm. 
Kern: Urate. Rinde: Urate, Kalkoxalat, in geringer Menge Kalk¬ 
phosphat. 

2 3. Fall. Zulfo 0., 3 Jahre, muh., Stolac. 1 / 2 Jahr krank. 
Operation am 6. Oetober 1896. Sectio alta. Peritonealfalte kam zur 
Ansicht. Complete Catgutnaht (Cystitis). 8. Oetober der häufig ver¬ 
stopfte Katheter herausgepreßt, Entfernung der Hautnähte — Fascie 
etwas mißfärbig, Abfluß von etwas Harn durch die Wunde, Ein¬ 
führung eines Drainagerohres. Heilungsdauer 28 Tage.Verweilkather. 
Gewicht 1 l j 3 Grm. Harnsaure Alkalien und Kalkoxalat. 

2 4. Fall. Ivan B., 19 Jahre, r.-kath., Varcs. 2 Monate 
krank. Operation am 23. Oetober 1896. Sectio alta. Peritoneal¬ 
falte kam zur Ansicht. Quetschung der Blasenwunde. Während der 
Chloroformnarkose Asphyxie. Complete Catgutnaht (Cystitis). 31.0cto- 
ber Temperatur 38*7°; durch die Wunde entleert sich etwas urinöser 
Eiter. Lüftung der Wundränder. 2. November Wunde trocken. Hei¬ 
lungsdauer 20 Tage. Verweilkatheter. Gewicht 25 Grm. Kern: 
Harnsaurer Kalkoxalat und Phosphat. Rinde: nur etwas weniger 
Urate. 

2 5. Fall. Lazar K., 44 Jahre, or.-orth., Sarajevo. Opera¬ 
tionen am 15. April, 28. April, 21. und 28. Mai 1896. Lithola- 
paxie. Wiederholte Eingriffe wegen der festhaftenden Concremente 
nöthig. Jedesmal Entfernung einer geringen Menge Steinsandes 
unter ziemlicher Blutung. Im Jahre 1895 wegen Lithiasis Sectio 
alta. Seit dem letzten Eingriff' keine Recidive. 

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1847 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 41. 


1848 


1902. — 


2 6. Fall. Adern K., 27 Jahre, rauh., Sarajevo. Seit 3 Tagen 
Harnverhaltung. Extraction eines Urethralsteines mit der Pincette, 
der in der äußeren Urethralmündung fixirt war. Mehrere Tage 
mußte katheterisirt werden, worauf die zuvor bestandene bedeutende 
Scrotalschwellung (beginnende Harninfiltration?) und Blasenparese 
schwand. Gewicht 0 # 13 Grm. Urat. 

2 7. Fall. Josef W., 2 Jahre, r.-kath., B.-Brod. Seit 5 Tagen 
nur tropfenweise Urinentleerung. Operation am 15. August 1896. 
Urethrotomia externa in der Pars pendula. Naht der Wunde. 
Die Naht hielt nicht, Schwellung und Röthung des Penis und 
Scrotums; 2 Incisionen erforderlich. Ileilungsdauer 31 Tage. Ge¬ 
wicht 0 - 15 Grm. Erbsengroßer Uratstein. 14. August Phimosis- 
Operation. (Fortsetzung folgt.) 


Referate. 

Schiller (Heidelberg): Beiträge zur pathologischen Be¬ 
deutung der Darmparasiten, besonders für die 
Perityphlitis. 

Drei Arten von Entozoen : Ascaris lumbricoides, Trichocephalus 
dispar und Oxyuris vermicularis, können nach neueren Beobach¬ 
tungen Krankheitsbilder erzeugen, die eine chirurgische Intervention 
nothwendig machen. So sind Fälle bekannt geworden von Verstopfung 
der Gallenausführungsgängc durch Spulwürmer, von Durchwande¬ 
rung von Ascariden durch die Darmwand in die freie Peritoneal¬ 
höhle, von Ileus und von ulcerativen Processen, weiters von ent¬ 
zündlichen Darmentzündungen, die durch Darmparasiten verursacht 
wurden. 

Auch bei der Entstehung der Appendicitis können die Darm¬ 
parasiten eine wichtige Rolle spielen, und Verf. theilt im Anschlüsse 
an die bereits bekannten Beobachtungen noch 5 Fälle aus der 
Klinik Czebny’s mit, bei welchen der Zusammenhang zwischen 
Wurmkrankheit und Appendicitis zumindest ein sehr wahrschein¬ 
licher ist. 

Bei einem 6jähr. Kinde bestanden deutliche Symptome von 
Appendicitis mit Psoascontractur, im Stuhl Eier von Ascaris und 
Trichocephalus; auf eine Wurmcur verschwanden alle Erscheinungen 
in kurzer Zeit. In einem zweiten Falle fand sich im Eiter eines 
Appendicitisabscesses ein Spulwurm, während der Wurmfortsatz 
gegen das Cöcum abgeschlossen war. In einem dritten und vierten 
Falle war cs wahrscheinlich, daß die vorhandenen Parasiten die 
primäre Läsion der Appendixschleimhaut erzeugten und dadurch 
Gelegenheit zur Einwanderung von Aktinomyces-, resp. Tubercu- 
lose-Erregern gaben. In einem fünften Falle endlich handelte es 
sich um typische Colica appendicularis, und bei der Resection des 
Wurmfortsatzes fand man 2 kleine Ascariden in dem mit entzün¬ 
deter Schleimhaut ausgekleideten Processus vermiformis. 

Die Ursache der Erkrankung faßt Verf. als mechanische 
Störungen , welche durch die Parasiten verursacht werden, auf 
(„Beitr. z. klin. Chir.“, Bd. 34): Trichocephalus dispar bohrt sich 
in die Schleimhaut ein, um sich daselbst zu befestigen, Ascaris 
lumbricoides kann die Einmündungsstelle des Processus vermiformis 
verlegen, während Oxyuris durch seine Bewegungen die Schleim¬ 
haut reizt und zur Entzündung bringt. 

Die durch Darmparasiten erzeugten Appendicitiden verlaufen 
unter dem Bilde der chronisch-katarrhalischen Appendicitis und 
haben einen relativ benignen Verlauf. Diese Formen werden bei 
Verdacht auf Ilelminthiasis auf der Klinik Czerny erst operirt, 
wenn eine Wurmcur ein negatives Ergebniß hat. 

In prophylaktischer Beziehung wäre von Bedeutung, von Zeit 
zu Zeit den Stuhl auf Parasiteneior zu untersuchen und die Wurm- 
curen durchzuführen. Gegen Ascariden und Oxyuren verwendete 
Verf. am besten Santonin, während sich bei mittelschwerer Tricho- 
ccphaliasis Thymol (Thymol 2’0, 01. olivar. 4'0, Gummi arab. 2‘0, 
Aqu. dest. 60‘0; Morgens nüchtern alle Stunde 1 Eßlöffel, Abends 
Abführmittel 3 Tage lang) überraschend gut bewährt hat. 

Erdheim. 


$imerka (Prag): Ein Beitrag zur Pathologie des XI. Ge¬ 
hirnnerven. 

Verf. beobachtete („Sbornik klinicky“, Bd. III, Nr. 4) einen 
Fall von Lähmung des rechten XI. Cerebralnerven infolge einer 
Halsdrüsenexstirpation. Der hebende, drehende, sowie auch der 
abducirende Theil des Cucullaris waren atrophirt und seine elek¬ 
trische Reaction abgeschwächt; der respiratorische Theil war auch 
atrophirt. Der Sternocleidomastoideus war weder atrophirt noch 
gelähmt, nur seine elektrische Reaction etwas abgeschwächt. Der 
Levator des Schulterblattes war normal. 

Das rechte Schulterblatt war vom Rückgrate etwas mehr 
entfernt und höher als das linke; sein unterer Winkel mehr 
abstehend; es war also keine sogenannte Dreh- oder 
Schaukelstellung (Mouvement en bascule) vorhanden. 
Ansehnlich war die Hypertrophie der Rhomboidmuskeln. 

Diese Hypertrophie ist eine Folge des Phänomens, das Tho- 
majer als Muskelsubstitution beschrieb, d. h. daß die gesunden 
Muskeln die gelähmten in ihrer Function zu vertreten suchen. 

Im Vergleiche mit etlichen aus der Literatur gesammelten 
ähnlichen Fällen fand Verf., daß die Fälle in den Details , was 
die Ausdehnung und die Stärke der Muskelatrophie anbelangt, sehr 
differiren. Er neigt der Meinung Schmidt’s und Sänger’s zu, 
welche diese Mannigfaltigkeit durch individuell verschiedenen Einfluß 
theils des Accessorius, theils der Halsnerven erklären. Stock. 


Fr. König (Berlin): Ueber die durch Spontanruptur der 
steinhaltigen Gallenblase in die freie Bauchhöhle 
bedingte Peritonitis und ihre Behandlung. 

Verf. ist der Ansicht, daß ohne erhebliches Trauma eine 
Gallenblase mit normaler Wand nicht platzt. Die Abwesenheit von 
Eiter in den einschlägigen Fällen beweist nicht, daß die Gallen¬ 
blase unverändert war. K. glaubt, daß in allen einschlägigen Fällen 
Geschwüre, Erweichung, Auflockerung, entzündliche Veränderungen 
der Gallenblase Vorlagen, wie er das auch für seinen Fall nach- 
weisen konnte, bei dem es sich um ein echtes Decubitusgeschwür 
handelte („Deutsche med. Wschr.“, 1902, Nr. 7). 

Die weiteren Folgen des Ergusses der Galle in die Bauch¬ 
höhle hängen von der Infectionskraft der Galle ab. Die gewöhn¬ 
liche Folge ist die Peritonitis, welche je nach dem Virulenzgrad 
der Mikroben noch längere Zeit nach der Perforation zum Tode 
führen kann. Im allgemeinen ist die Peritonitis aber eine leichtere 
und von besserer Prognose als bei Perforation eines anderen Hohl¬ 
organes in die Bauchhöhle. In den schweren Fällen, wo die Peri¬ 
tonitis sich an einen Gallensteinanfall anschließt, wird die Dia¬ 
gnose gestellt werden können. Erleidet aber ein Pat., der nie die 
geringsten Beschwerden von Seiten der Gallenblase gehabt hat, 
eine Ruptur derselben, so liegt die Sache weit schwieriger und 
die Diagnose wird meist unmöglich sein. Therapeutisch würde K. 
stets die ganze Gallenblase entfernen, da die Gefahr des Platzens 
der Naht oder der Wiederholung des üblen Ereignisses bei der 
pathologisch veränderten Wand sehr groß ist. Nur bei Verdacht 
einer virulenten Infection, bei Verschleppung oder nach Gallenstein¬ 
kolik räth er, die Bauchwunde durch Jodoformgaze offen zu halten, 
sonst aber sie sofort wieder zu schließen. N. 


Walter Kaupe (Bonn): Ist bei lebenbedrohender Magen¬ 
blutung infolge von Ulcus ventriculi ein ope¬ 
rativer Eingriff indicirt und welcher? 

Das Ulcus ventriculi war bisher allein dem Internisten Vor¬ 
behalten, und erst seit einigen Jahren hat mau in jenen Fällen, 
in denen die innere Behandlung versagte, zum Messer gegriffen. 
Altmeister Leübe gab als Anzeigen für die chirurgische Behandlung 
des Magengeschwürs an: Magenblutnngen, unaufhaltsame , der 
internen Therapie trotzende Inanition, Perigastritis, Verwachsung 
des Magens mit der Nachbarschaft, subphrenische und sonstige 
peritonitische Abscesse, Perforation des Geschwürs. Da die Excisiou 
des Geschwürs an der schweren Auffindbarkeit, der Multiplicitätu. s. w. 
scheitert, macht man jetzt, nachdem man zur Heilung die Aus- 


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1849 


1902.— Wiener Medizinische Presse. — Nr. 41. 


1850 


schaltuug der fortwährenden Reizung durch restirenden Magen¬ 
inhalt auf dem Wege besserer Fortbewegungsverhältnisse für 
genügend erkannt hat, meist die Gastroenterostomie, daneben 
auch die Pyloroplastik. Zu den lebensbedrohlichen Blutungen, die 
chirurgische Eingriffe erheischen, rechnet Kaupe („Deutsche Zeit¬ 
schrift für Chirurgie“, Bd. 62, H. 5/6) sowohl mit Mikülicz- 
Leube die in kleinen Schüben häufig recidivirenden, als auch die 
plötzlich und in bedrohlichem Maße auftretenden; als bedrohlich 
sind etwa 5% aller Magenblutungen nach allgemeiner Erfahrung 
anzusehen. Findet man das blutende Gefäß, dann dürfte der Ver¬ 
such, es zu cauterisiren, empfehlenswerth sein ; freilich wäre damit 
dem eigentlichen Leiden kein Abbruch geschehen. Dies thut die 
Gastroenterostomosis oder die Pyloroplastik. Witzel hat in einem 
Falle mit Glück die Arteria gastrica dextra unterbunden. Andererseits 
sah Hofmann (Bonn) bei weitgehenden Arterienunterbindungen im 
Thierversuche Gangrän entstehen. Von 16 operativ behandelten 
Fällen heilten zehn, 3 nach Gastroenterostomose, 2 nach Gastro- 
enterostomose und Cauterisation, 1 nach Gastroenterostomose mit 
Ligatur in loco, 2 nach Excision und Ligatur am Orte der Blutung, 
1 nach Unterbindung in loco allein und 1 nach Ligatur des zu¬ 
führenden Gefäßes ohne Mageneröffnung. Von den 6 Todesfällen 
ist wohl keiner der Operation zur Last zu legen; sie waren wohl 
an sich verlorene. Den WlTZEL’schen Fall, der eine 36jähr. Frau 
betraf, beschreibt Kaupe in extenso. Er empfiehlt Witzel’s Weg 
geeigneten Falles zur Nachahmung. R. L. 

Rencki (Lemberg): Ueber die functionellen Ergebnisse 
nach Operationen am Magen bei Ulcus und gut¬ 
artiger Pylorusstenose. 

Die Gastroenterostomie übt stets einen günstigen Einfluß auf die 
motorische Function des Magens, welche durch sie nicht nur normal, 
sondern selbst beschleunigt werden kann, aus. Diese Besserung 
schreitet bald langsamer, bald rascher vor und ist umso deutlicher, je 
mehr Zeit seit der Operation verflossen ist. Ihre Dauer hängt ab vom 
Zustande der Magenwand selbst, auf welche wieder die Zeit des 
Bestehens der Stenose etc. von nachtheiligem Einflüsse sein kann. 
Ausdehnung und die Lage des Magens können zur Norm zurück¬ 
kehren ; der Grad der Besserung ist von den gleichen Verhältnissen 
abhängig. Die künstlich hergestellte Communicationsöffnung hält die 
Ingesta zurück und wirkt wie ein wirklicher Pylorus („Mitth. a. 
d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir.“, Bd. 8, H. 3). Durch Beseitigung der 
Stagnation des Mageninhalts übt die Gastroenterostomie einen gün¬ 
stigen Einfluß auf die Herabsetzung der Hyperchlorhydrie, sowie 
des gleichzeitigen Magensaftflusses. Das Verhalten der secretorischen 
Kraft des Magens hängt nach der Operation von dem vorher be¬ 
standenen Zustande ab. Hyperchlorhydrie und Magensaftfluß können 
nach der Gastroenterostomie aufhören; es kann selbst secretorische 
Insufficienz, ein mucöser und sogar atrophischer Katarrh auftreten, 
wenn es infolge der lang anhaltenden Reizung der Magenschleim¬ 
haut zum Uebergange eines sauren Katarrhs in einen mucösen 
oder atrophischen gekommen ist. Insufficienz der HCl-Secretion oder 
weitergehende Veränderungen der Magenschleimhaut nach der Gastro¬ 
enterostomie können in einzelnen Fällen Symptome eines auf Grund¬ 
lage des runden Geschwürs sich entwickelnden Neugebildes sein. 
Trotz Beseitigung des Hindernisses im Magenmechanismus können 
sowohl der saure Magensaftfluß, als auch die übermäßige Salzsäure¬ 
absonderung nach der Operation unverändert fortbestehen. 

Da die Pylorusresection einen weit gefährlicheren Eingriff 
darstellt, als die Gastroenterostomie, so sind die Indicationen der 
ersteren auf jene Fälle zu beschränken, wo wiederholte bedrohliche 
Blutungen auftreten oder wo Perforation oder Verdacht auf Car- 
cinom vorliegt. G. 

Dorendorf (Berlin): Ueber ein bisher wenig bekanntes 
Aneurysmensymptom. 

Das bei Aneurysma des Aortenbogens beobachtete Symptom 
besteht darin, daß die Grube über dem linken Schlüsselbein fehlt; 
die Gegend ist verstrichen oder noch häufiger tumorartig vorge¬ 
wölbt, dabei zeigt auch die Vena jugularis externa sinistra meist 
erheblich stärkere Füllung als die rechte. Durch Druck von oben 


nach abwärts läßt sich die weiche, supraclaviculäre Vorwölbung 
vorübergehend beseitigen. Diese Vorwölbung wird bedingt durch 
erschwerten Abfluß des Blutes aus dem Wurzelgebiet der Vena 
anonyma sinistra. Die Vena anonyma sinistra verläuft von oben 
links nach unten rechts über die Arteria anonyma hinweg zur 
oberen Hohlvene. Ein Aneurysma der Arteria anonyma könnte also 
einen Druck auf die Vene ausüben und deren Lichtung verengern. 
Jedoch gehört das Aneurysma der Arteria anonyma zu den großen 
Seltenheiten, dabei bildet es meist nur einen Folgozustand des 
Aneurysma aortae, nur ganz selten tritt es isolirt auf. Die Er¬ 
weiterung der Aorta bewirkt auch eine Verlängerung der Aorta, 
welche durch Verschiebung des Bogens nach oben zum Ausdruck 
kommt; dieselben Verhältnisse bestehen in hervorragender Weise 
beim Aneurysma der Brustaorta. Der nach oben verschobene Aorten¬ 
bogen bewirkt nun unter Umständen einen Druck auf die Vena 
anonyma sinistra und führt dann das beschriebene Symptom herbei. 
Die Erweiterung der Aorta, wie sie bei Insufficienz der Aorten¬ 
klappen vorkommt, scheint für gewöhnlich nicht ausreichend zu 
sein, um die Compression der Vene zu bewirken ; wenigstens hat 
Verf. sie bei 14 Patienten mit Aorteninsufficienz, die er in den 
letzten Monaten beobachtete, nicht gefunden. Dagegen fehlte das 
Symptom bei 7 Patienten mit Aneurysma des Aortenbogens, welche 
Verf. in den letzten Monaten zu sehen Gelegenheit hatte, niemals. 

_ Br. 

Sneguireff (Moskau): Ein Fall von Hydronephrocysto- 
neostomie. 

Um in Fällen von Hydronephrose das noch seeernirende Nieren¬ 
gewebe dem Organismus zu erhalten, sind mehrfach Operationen 
ausgeführt worden, die eine dauernde Communication des Sackes 
mit der Harnblase bezweckten. Verf. hatte auch Gelegenheit, eine 
solche Operation, die er llydronephrocystoneostoraie nennt („Lan- 
genbeck’s Archiv“, Bd. 67, H. 4), mit gutem Erfolge auszuführen. 

Nachdem einige Monate früher die Eröffnung und Drainage des 
Sackes von rückwärts vorgenommen worden war, constatirte Verf. 
anläßlich der zweiten Operation , daß der Hydronephrosensack tief 
in das kleine Becken heruntergezogen werden konnte. Er spaltete 
daher den peritonealen Ueberzug des Sackes und legte den Balg 
an einer Stelle bloß; dieser Theil wurde in einer Ausdehnung von 
2V 2 Gm. eröffnet in eine Oeffnung der beweglich gemachten Blase 
hineingezogen und hier durch Nähte fixirt. Darüber Naht des 
peritonealen Ueberzuges. Verweilkatheter. — Vollständige Heilung. 

Erdheim. 

Boureau (Paris): Ein Fall von Hirnblutung in der 
Narkose. 

Verf. hat den seltenen Fall von Eintritt einer Hirnblutung 
während der Narkose auf der Klinik Prof. Tebrieb’s beobachtet 
und ist der Meinung („Revue de Chir.“, 1902, Nr. 7), daß ein 
Theil der Todesfälle, die in der Narkose eintreten, auf diese Weise 
eine Erklärung finden könnte. 

Es handelte sich um einen 52jähr. Patienten, die wegen 
eines Sarkoms in der Stirngegend und Drüsenmetastase operirt 
wurde. In Chloroformnarkose wurde das Sarkom exstirpirt und der 
Defect zum Theil plastisch gedeckt. Die Narkose war ruhig ohne 
jeden Zwischenfall, Puls und Respiration ruhig. Dauer: 1 Stunde 
5 Minuten; Verbrauch: 28 Ccm. Chloroform. 

Als Pat. ins Bett gebracht wurde, bemerkte die Wärterin, 
daß er sehr blaß war; Puls klein, die Athmung stertorös. Exci- 
tantia ohne Erfolg; Pat. war durch 8 Stunden comatös. Am Abend 
konnte man eine Lähmung des linken Armes und Beines , sowie 
der linken Gesichtshälfte constatiren. — Die Lähmung hielt 8 Tage 
an und ging dann langsam zurück. Heilung nach einigen Wochen. 

Pat. zeigte weder am Herzen , noch an der Lunge irgend 
welche pathologische Veränderungen, und Verf. nimmt an, daß das 
Chloroform beim Pat. eine Congestion gegen den Kopf hervorrief, 
während einer heftigen Bewegung im Excitationsstadium ein kleines 
Gefäßchen im Hirn barst und daß die Blutung sich langsam während 
der Operation entwickelte, um nach der Operation in die Erschei¬ 
nung zu treten. Erdheim. 


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1851 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 41. 


1852 


Kleine Mittheilungen. 

— Die Blutbildung im Luftballon hat Gaule untersucht 
(„Pflüger’s Arch. f. Phys. u , Bd. 89). Während das specifische 
Gewicht des Blutes sich nicht wesentlich ändert, ist die Zeilenzahl 
in der Höhe erheblich gesteigert, um nach der Rückkehr an Land 
wiederum auf den Ursprungswerth zurückzukehren. Dem gegenüber 
ist der Hämoglobingehalt (bestimmt nach Gowers) in der Höhe 
vermindert. Mikroskopisch fand G. beträchtliche Abnormitäten im 
Verhalten der rothen Zellen: zuweilen ist das Hämoglobin aus¬ 
getreten, es ist zum Theil zwischen den Zellen auskrystallisirt. Dann 
zeigen sich viele kernhaltige Zellen, in denen theilweise der Kern 
im Zerfalle begriffen ist. Verf. sieht hierin den Ausdruck massen¬ 
hafter Zellneubildung; die Zellen verlieren ihr Hämoglobin, nehmen 
Nuclein auf. Dieses Nuclein verdichtet sich zu einem Kern. G. 
glaubt das in der Höhe geänderte elektrische Potential der Luft 
zur Erklärung heranziehen zu sollen. 

— Ueber Stypticin als locales Antiphlogisticum berichtet 
R. Kaufmann („Monatsh. f. prakt. Dermatologie“, 1902, Bd. 35). 
Als Salbengrundlage verwandte er ausschließlich Lanolinura purum, 
da dieses Vehikel wohl als gleichmäßigstes und am wenigsten 
zersetzliches anzusehen ist. Nur für bestimmte Zwecke, auf die 
er später noch zu sprechen kommen will, dienten in allerletzter 
Zeit Stypticingelatinestäbchen (Stypticini 0’05 , Gelatin. alb. 1-5), 
die neuerdings auch von der Firma E. Merck in Darmstadt 
hergestellt werden. Was die Dosirung betrifft, so wandte er bald 
ausschließlich 5%ige Salben an. Eventuell kann man auch 4°/ 0 ige 
nehmen. Schwächere Salben, insbesondere 2%ige, sind wirkungslos 
und höchstens als milde Antiseptica zur Nachbehandlung verwendbar. 
Dies ist umso bedauerlicher, als der Preis dieses Präparates noch 
ein ziemlich hoher ist. K. glaubt zu dem Schlüsse berechtigt zu 
sein, daß Stypticin, in den angegebenen Concentrationen in Salben¬ 
form applicirt, bei acuten Hautentzündungen ausgezeichnet ent¬ 
zündungswidrig wirkt, daß es aber in solchen Fälleu, in welchen 
bereits Veränderungen der Haut sich etablirt haben, also in 
chronischen, versagt. Erst vergleichende pharmakodynamische Unter¬ 
suchungen werden uns in den Stand setzen, einen Einblick in die 
Wirkungsart des Stypticins zu thun. 

— Um Hämorrhoidalknoten radical zu beseitigen, injicirt 
Thiele („Deutsche med. Wschr.“, 1902, Nr. 22) Carbolsäure. Nach 
Application eines Reinigungsklystiers läßt man die Knoten heraus¬ 
pressen, reinigt die Analgegend mit Seife und Aether und injicirt 
dann in kleinere Knoten einen, in größere zwei bis drei Theil- 
striche einer Lösung von Acidum carbolicum 1*0, Glycerin 2’0. 
Etwa entstehende Schmerzen lassen sich durch Cocainsuppositorien 
beseitigen. Die Nachbehandlung besteht in 3tägiger Bettruhe, Dar¬ 
reichung flüssiger Kost und kleiner Opiumdosen. Dieses ursprünglich 
von Tillmanns angegebene Verfahren führt bei Knoten von Hasel¬ 
nußgröße innerhalb 14 Tagen bis 3 Wochen zum Ziel; bei größeren 
Knoten muß die Injection nach einigen Wochen wiederholt werden. 

— Das Thigenol „Roche“ wurde von Jaquet (Basel) einer 
Prüfung unterzogen. Es ist ein neues Schwefelpräparat (das Natrium¬ 
salz der Sulfosäure eines synthetisch dargestellten Sulfoöles mit 
10% fest gebundenem Schwefel). Es soll ichthyolähnlich, also anti¬ 
septisch , antiparasitär, resorbirend und schmerzstillend wirken, 
aber keinen fibeln Geruch haben. Es löst sich in Wasser und 
verdünntem Alkohol, ist unbegrenzt haltbar; zu dick geworden, 
kann es durch Versetzen mit Wasser und Anwärmen wieder zur 
gewünschten Consistenz gebracht werden. Jaquet verwandte es in 
2%iger Lösung bei Gonorrhoe, wo es eine weitgehende Besserung, 
aber keine Heilung erzielen soll, ferner als 10%ige Salbe oder 
Paste bei Ekzem, Prurigo, Scabies. Bei letzterer Affection möchte 
Verf. das Urtheil noch zurückhalten, obwohl die Erfolge an¬ 
scheinend sehr gute waren, bei den übrigen Affectionen wirkt es 
juckstillend und leicht resorbirend. Sein Vorzug besteht in der 
Geruchlosigkeit und der leichten Abwaschbarkeit; auch aus der 
Wäsche läßt ,es sich leicht entfernen. 

— Als nahrhaftes Getränk für Fieberkranke empfiehlt 
Leftwich („Münch, med. Wschr.“, 1902, Nr. 29) folgende Limo¬ 
nade: 2 Citronen werden doppelt geschält, die äußere gelbe Rinde 


kommt in die Limonade mit den Citronenscheiben, die darunter 
liegende weiße Rinde wird fortgeworfen. Die Citronenscheiben mit 
der gelben Rinde legt man mit 2 Stücken Zucker in einen Topf 
und gießt % Liter kochendes Wasser darüber; während dasselbe 
abkühlt, rührt man die Masse zuweilen um. Sobald die Flüssigkeit 
lauwarm geworden ist, gießt man sie ab und quirlt sie, indem 
man langsam das Weiße von 2 Eiern zufügt. Schließlich seiht man 
die nun fertige Limonade durch ein Musselintuch und läßt sie 
kalt trinken. 

— Ueber Bismutose bei Diarrhöen kleiner Kinder berichtet 
W. Lissauer („Deutsche med. Wschr.“, 1902, Nr. 33). Ueber die 
Leistungsfähigkeit dieses von der Firma Kalle & Co. in deu 
Handel gebrachten Medicamentes sind bereits eine Anzahl günstig 
lautender Mittheilungen erschienen. Die Bismutose stellt eine 
Eiweißverbindung des Wismuths dar; sie ist ein in Wasser, Säuren 
und Alkalien unlösliches Pulver von graugelber Farbe und bitterem, 
leicht adstringirenden Geschmack. Mit einer geringen Menge heißen 
Wassers vermischt, stellt es eine Art von Brei dar, bei Zusatz 
von größeren Quantitäten entsteht eine Schiittelraixtur. Unter dem 
Mikroskop erscheint das Pulver in Form amorpher, größerer und 
kleinerer Klümpchen. Der Stuhl wird ähnlich wie beim salpeter- 
sauren Wiärauthoxyd schwarz gefärbt; in Präparaten dieses Stuhles 
finden sich aber nicht die bekannten Krystalle, sondern größere 
und kleinere amorphe Schollen. Aus den an circa 30 Kindern 
gewonnenen Erfahrungen L.’s geht Folgendes hervor: Bismutose 
hat sich als ein recht brauchbares Unterstützungsmittel bei der 
diätetischen Behandlung der auf dyspeptischer Basis beruhenden 
Darmkatarrhe der Kinder gezeigt. Ihre Wirksamkeit ist sicher 
nicht geringer als diejenige der bisher zumeist gebrauchten Präpa¬ 
rate; ihre Unschädlichkeit läßt den Nachtheil der schweren Ein- 
nehmbarkeit gern in den Kauf nehmen. Aehnlich lauten die Er¬ 
fahrungen Reinhardt’s („Pharm. Ztg.“, 1902, Nr. 65) und jene 
von Fischer („Aerztl. Rundschau“, 1902, Nr. 34) über Bismutose. 

— Ueber die operative Behandlung großer Rectumprolapse 
berichtet Frh. v. Eiselsberg („Arch. f. klin. Chir.“, 1902, Nr. 4). 
Er hat in den von ihm geleiteten Kliniken 22 Patienten so chirurgisch 
behandelt. Drei Methoden stehen zur Verfügung: 1. die, welche 
eine Verengerung des Afters anstreben, 2. die Resection des Pro¬ 
lapses, 3. die Suspension des Darmes. Die erste Methode hat 
wenig Dauerresultate gezeitigt, v. Eiselsberg übte sie einmal; der 
Erfolg blieb aus. Die Operationen, die Verf. für weit nützlicher 
hält, vertheilten sich auf folgende Eingriffe. Er machte 7 Resec- 
tionen nach v. Mikulicz, 13 Colopexien, 2 Resectionen der Flexura 
sigmoidea mittelst Laparotomie. An den Folgen der Operation 
starb eine Patientin, deren altes Duodenalgeschwür am dritten Tag 
post operationem zu unstillbarer Blutung führte. Die Resection 
nach v. Mikulicz ist ein schwerer Eingriff; Fieber, Aufgehen der 
Naht, Absceßbildung wurden beobachtet. Der Heilerfolg ist bei 
der Anheftung des Darmes bedeutender als bei der Resection. Die 
Colopexie ist eine Operation, die nicht schwerer zu erachten ist 
als eine Probeincision. Der Darm wird eröffnet; nur Darmwand 
(Muscularis und Peritoneum) wird an die Bauchwand angenäht. 
Die Resection der Flexur wurde da angewandt, wo infolge unge¬ 
wöhnlicher Länge des Darmtheiles späterhin Volvulus zu befürchten 
war. Die Suspension wurde nach Ludloff ausgeführt, die Flexur 
in der Mitte durchtrennt, das proximale Ende seitlich in das 
distale eingepflanzt, das distale blind vernäht, emporgezogen und 
an die Bauchwand fixirt. 

— Ueber das neue Abführmittel „Purgatin“ berichtet Karl 
v. Hoesslin („Münch, med. Wschr.“, 1902, Nr. 32). Verf. hat das 
Präparat, über welches bereits aus den drei großen Kliniken von 
Ewald, Stadelmann und Ebstein recht günstige Mittheilungen 
vorliegen, im Allgemeinen Krankenhaus in Nürnberg auf seine 
Brauchbarkeit geprüft. Das geschmackfreie Purgatin rief niemals 
unangenehme Nebenwirkungen, wie Uebelkeit, Erbrechen, Leib¬ 
schmerzen (wie z. B. Ricinusöl, Senna) hervor, auch trat nicht, 
wie nach Eingabe von Ricinusöl, Calomel und Senna, nach einer 
einmaligen reichlichen Stuhlentleerung Stuhldrang und eine Reihe 
weiterer dünner Stühle auf. Bei einer Dosis von 1*5 Grm. blieb 
in 95% aller Fälle die Wirkung nicht aus. Das neue Laxans 


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1853 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 41. 


1854 


wirkte durchschnittlich innerhalb 13 Stunden. Die Stühle selbst 
waren nahezu immer von weicher geformter oder von dickbreiiger 
Consistenz. Auch als Schiebemittel im Sinne Ebstein’s erwies sich 
das Mittel brauchbar. Bei Atonie des Darms versagte das Purgatin. 
In einem Falle von chronischer Obstipation wurden täglich Abends 
0'5 Grm. gegeben : regelmäßig trat Morgens Stuhl ein, Abschwächung 
der Wirksamkeit war nie erfolgt. Niemals zeigten sich Reizungs¬ 
erscheinungen von Seiten der Nieren. Die Verordnung erfolgt am 
besten als Schachtelpulver; ein abgestrichener Kaffeelöffel entspricht 
ungefähr der Dosis von l - 5 Grm. Verf, gelangt zu dem Schlüsse, 
daß das Purgatin als ein schätzenswerthes mildes Abführmittel 
wohl zu empfehlen ist. 

— Nach den Erfahrungen Carbier’s („Montp. med.“, 1902) 
erzeugt das Cantharidenpflaster nicht nur, wie bereits bekannt, 
eine locale, sondern auch eine allgemeine Ilyperleukocytose des 
Blutes. Die Zahl der Leukocyten kann auf diese Weise innerhalb 
24 Stunden von 7000—8000 bis auf 11.000 oder 12.000 steigen, und 
von 11.000—12.000 bis auf 18.000 und 20.000; hin und wieder 
beobachtet man auch geringere Erhöhungen der Zahlenwcrthe. Höchst¬ 
wahrscheinlich beruht der bei mannigfachen Erkrankungen beob¬ 
achtete therapeutische Werth der Cantharidenpflaster auf ihrer Hyper- 
leukocytose erregenden Wirkung. 


Literarische Anzeigen. 

Weitere pathogenetische Studien über Schwindsucht 
und Krebs und einige andere Krankheiten. Nach 
eigener Methodik angestellt von Dr. A. Riffel. Frankfurt a. M. 
Johannes A 11. 

Verf. hat die Stammbäume von 46 Familien zusaramengestellt 
und dabei die Erkrankungen und Todesursachen, sowie die Lebens¬ 
dauer der einzelnen Familienmitglieder notirt; die Ergebnisse dieser 
Untersuchungen sind graphisch in übersichtlicher Weise dargestellt. 
Verf. hat zweifellos unendlich viel Zeit, Fleiß und Mühe auf diese 
Arbeit verwendet und es ist daher umso bedauerlicher, wenn die¬ 
selbe als verfehlt bezeichnet werden muß. Zunächst muß nämlich 
der Einwand erhoben werden, daß nicht mitgetheilt wird, wieso in 
den einzelnen Fällen die Todesursache ermittelt wurde. In zahl¬ 
reichen Fällen finden wir Diagnosen verzeichnet (Auszehrung etc.), 
die den Mangel der Autopsie nur allzusehr vermißen lassen. Auch 
das Wort „Schwindsucht“ scheint mehrfach in anderem Sinne ge¬ 
braucht zu sein, als es heute fast durchwegs üblich ist. Aber auch, 
wenn man die angegebenen Daten für verläßlich hält, dürfte der 
Leser oft zu anderen Schlüssen als der Verf. kommen; dies im 

Feuilleton. 

Pie 70 Jahresversammlung der „British Medical 
Association“. 

(Orig.-Corresp. der „Wiener Med. Presse“.) 

I. 

Die diesjährige Versammlung der altehrwürdigen Gesellschaft 
— „British Medical Association“ —, welche die Zierden unserer 
Aerzteschaft zu gemeinsamer Arbeit zu vereinigen pflegt und bei 
der Gelehrte aus dem Auslände gern als Gäste begrüßt werden, hat 
in Manchester getagt. Die Betheiligung war reicher als im Vor¬ 
jahre, wozu wohl am meisten die Wiederkehr ruhiger Verhältnisse 
in unser politisches Leben beigetragen hat; von Gästen aus dem 
Deutschen Reiche sah ich unter anderen v. Noorden, Liebreich, 
Baginsky und den trefflichen Laryngologen Killian. 

Ich will es nun versuchen, Ihnen auch diesmal in gedrängter 
Kürze ein Bild der reichhaltigen Verhandlungen zu entwerfen, 
wohl wissend, daß ich in dem mir gebotenen Rahmen gerade nur 
die namhaftesten der vorgetragenen Themata streifen oder berühren 
kann. In einem zweiten Briefe sollen einige der wichtigsten unter 
den verhandelten Fragen ein wenig ausführlicher besprochen werden. 


Einzelnen zu erweisen, würde uns an dieser Stelle zu weit führen. 
Es sei dies nur deswegen mit Nachdruck hervorgehoben, da in 
jüngster Zeit die Arbeiten Riffel’s von jenen Autoren , die der 
Vernichtung des Tuberkelbacillus im Kampfe gegen die Tubercu- 
lose nur eine untergeordnete Bedeutung beimessen wollen, immer 
und immer wieder citirt und als Beweis herangezogen werden. 
Referent konnte nach eingehender Durchsicht der Tabellen Riffel’s 
sich mit seinen Schlußfolgerungen nicht einverstanden erklären und 
kann nicht verstehen, wie sich aus diesen Tabellen ergeben soll, 
daß die „Lungenschwindsucht .... ein Absterbeproceß, ein Zer¬ 
fallen und Verfaulen der Lunge“ ist und daß die Tuberkelbacillen 
nur dort auftreten, wo bereits krankhaftes Gewebe ist. Man sollte 
glauben, daß derartige Anschauungen heute bereits ebenso über¬ 
wunden sind, wie eine Reihe anderer, vom Verf. vertretener, so 

z. B. „Tuberculose und Schwindsucht.sind klinisch und 

pathologisch-anatomisch zwei ganz verschiedene Krankheiten“. Die 
Tuberculose verläuft wie jede acute Infectionskrankheit und ist 
absolut tödtlich. Die typische Schwindsucht .... ist ein sehr 
chronisch verlaufendes Leiden und heilt .... sogar spontan“. Man 
muß keineswegs strenge auf dem „orthodoxen“ Standpunkte der 
Bakteriologie stehen, um die Anschauungen de3 Verf. zum minde¬ 
sten wunderlich zu finden, und darf wohl verlangen, daß jemand, 
der eine Lehre stürzen will, die durch zahllose, mühevolle, geist¬ 
reiche und exacte Arbeiten und Untersuchungen einer Legion von 
Forschern gewonnen wurde und heute bereits Gemeingut aller 
Aerzte geworden ist, dies mit beweiskräftigeren Gründen thut, als 
es in der vorliegenden Arbeit geschieht. Dr. S—. 

La vie, l’äme et la maladie. Von Dr. Manuel Leven. 382 S. 

Paris 1902, 0. D o i n. 

Verf. ist Arzt und bemüht sich, die Ideen, die sich ihm bei seiner 
Beschäftigung vorwiegend mit den Krankheiten der Verdauungsorgane 
und des Nervensystems ergeben haben, weiten Kreisen vorzutragen. 
Der einleitende Satz charakterisirt in verschiedenen Verknüpfungen 
immer wiederkehrend die Richtung: um den gesunden und kranken 
Menschen zu verstehen, muß man die Natur der beiden Kräfte 
kennen, Leben und Seele, welche die Befruchtung in die weibliche 
Zelle trägt. Wer keine tiefsinnigen und grundlegenden Erörterungen 
erwartet, guten Willen und liebenswürdige Darstellung aber zu 
schätzen weiß, dem mag der Arzt das Buch empfehlen; es könnte 
dazu beitragen, einen vernünftigen Leser in Fragen besonders der 
Entwickelung und der Erziehung zu belehren und ihm von dem 
Umfang und den Grenzen des ärztlichen Wirkens eine bessere Vor¬ 
stellung zu geben. Die schöne Ausstattung verdient ausdrücklich 
hervorgehoben zu werden. InfEld. 


Die erste Sitzung der Abtheilung für interne Medicin galt 
der „Aetiologie, Diagnose und Behandlung der Dila- 
tatio ventriculi“. Referent war Clifford Abbutt. Aus der 
Discussion ging die bemerkenswerthe Thatsache hervor, daß in 
England, im Gegensätze zu Deutschland, die Magensonde nur äußerst 
selten zur Anwendung gelangt. — Sehr interessant gestaltete sich 
die Discussion über die „Di f f er e n t i al d i a g n o se zwischen 
organischen und functionellen Lähmungen“. Purves 
Stewart empfahl, die Diagnose hauptsächlich auf Grund anato¬ 
mischer Betrachtungen zu stellen, wodurch ein Irrthum am ehesten 
vermeidbar sei; nach Buzzard ist das ßABiNSKi’sche Zehenphänomen 
beweisend für organische Läsionen. 

Die chirurgische Section begann ihre Arbeiten mit einer Dis¬ 
cussion über die Behandlung inoperabler Carcinome. 
Uebereinstimmend gaben alle Redner an, daß die Carcinome zu¬ 
weilen spontan für einige Zeit verschwinden. Dieses unbestimmbare 
Verhalten erklärt am besten manche der merkwürdigen Erfolge, z. B. 
der Castration bei inoperablen Mammacarcinomen und der verschie¬ 
denen bona und mala fide empfohlenen Krebsheilmittel. Die nach 
Gastroenterostomien, ja sogar nach Probelaparotomien angeblich ver¬ 
schwundenen Pyloruscarcinome dürften wohl immer nur entzündliche 
Tumoren der Pylorusgegend gewesen sein. Allen „Carcinom-Wunder- 
curen“ — sagte der Referent Morris — muß der wissenschaftlich 


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1855 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 41. 


1856 


denkende und wahrheitsgetreue Arzt zweifelnd und ungläubig gegen¬ 
überstehen. 

Bei dem Thema „Therapie der tuberculösen Erkran¬ 
kungen der Hoden, Samen blasen, Prostata und Blase“ 
wies Thomas Myles darauf hin, daß bei Erkrankungen der Harn¬ 
wege zuerst der Hoden, bei jenen der Geschlechtsorgane zuerst die 
Niere erkranke. Hat die Affection den Hoden, resp. Neben¬ 
hoden, überschritten, oder sind beide Hoden erkrankt, so sind Ope¬ 
rationen im allgemeinen zu unterlassen, da sie einerseits nur wenig 
helfen, andererseits aber schwere Störungen der Psyche durch sie 
ausgelöst werden können. Auch bei einseitiger Erkrankung ist die 
Ablatio testis durchaus nicht immer indicirt, man kann sehr häußg 
mit Auskratzungen oder partiellen Resectionen auskommen. 

Die Section für Gynäkologie beschäftigten hauptsächlich zwei 
Fragen: „Dielndication des Kaiserschnittes“ und „Die 
Lehre v o n d er E x tr a ut e r in sc h w a n g e r s c h a f t“. Der Re¬ 
ferent des ersten Thema Galabin hält die Sectio caesarea für un¬ 
gefährlicher als die Embryotomie und die übrigen Methoden bei 
engem Becken oder sonstigem Geburtshindernisse. Doch gelte dies 
bloß für den geübten Chirurgen und nicht für die Verhältnisse der 
allgemeinen Praxis. — Herbert Spencer empfahl die abdominale 
Totalexstirpation nach Doyen zur Behandlung der Myome 
in allen Fällen, in denen die Größe des Tumors seine Entfernung 
per vaginam verbietet. — In Bezug auf das Thema „Extrauterin¬ 
gravidität“ gelangte die Discussion zu dem Resultate, daß bei 
lebendem Embryo die sofortige Operation — Laparotomie — in¬ 
dicirt sei, daß man jedoch bei abgestorbener Frucht die Ausbildung 
einer Hämatokele abwarten könne. — Zur Behandlung des 
Prolapsus uteri empfahlen Berry Hart und Edebohls, in 
leichteren Fällen in einer Sitzung den Uterus ausznschaben, den 
Cervix zu amputiren, die Scheide plastisch zu verengern und 
schließlich zu ventrofixiren; für schwere Fälle sei die Totalexstir¬ 
pation der Vagina und des Uterus zu empfehlen. 

ln der Section für Hygiene sprach Hope über die „Rolle 
der Impfung in der Verhütung der Pocken“ und wies 
auf die glänzenden Verhältnisse der deutschen PockenbekUmpfung, 
sowie auf die Unzulänglichkeit des englischen Impfgesetzes hin. Aus 
der Discussion über die „Maßnahmen zur Verhütung der 
Tuberculose“ hebe ich die Ausführungen Robertson’s hervor, 
der lebhaft für den Nutzen der Anzeigepflicht eintrat. — Ein 
wahrhaft social-humanes Gepräge trugen die Ausführungen von 
Mc Dougall und Rowntree über die „Beziehungen zwischen 
Armuth und Krankheit“, zu denen namentlich der zweite 
Redner durch die Untersuchungen der Arbeiterwohnungen seiner 
Heimatsstadt ein werthvolles statistisches Material herbeigetragen 
hat. Beide Vortragenden betonten die Nothwendigkeit des hygieni¬ 
schen Unterrichtes in den Schulen. 

In der Section für Augenheilkunde, die an Verhandlungs¬ 
gegenständen überaus reich war, sprach u. a. Bronner über 
40 Myopiefälle, die er mit Entferqung der Linse be¬ 
handelt hat. Vortr. macht die Operation auch bei Myopie auf 
einem Auge und hat fast stets gute Erfolge erzielt; mehrmals er¬ 
lebte er Ablösung der Retina. Marshall operirt bei einseitiger 
Myopie nicht, da das gesunde Auge durch sympathische Erkraukung 
verloren gehen könne. Griffith sah nach secundärer Kapsel- 
discission bei solchen Fällen Glaukom auftreten. 

Killian als Gast sprach in der Abtheilung für Laryngologie 
über die „Erkennung und Behandlung von Fremd¬ 
körpern in den oberen Luftwegen und in derSpeise- 
röhre“. 

Schließlich sei noch der Abtheilung für ärztliche 
Ethik Erwähnung gethan, deren Sitzungen unter dem Präsidium 
von Woodwik stattfanden. Ich hörte hier Vorträge über Kranken- 
cassenpraxis, über die ungenügende Vorbildung der Studirenden 
der Medicin, über den Ruin der ärztlichen Praxis durch die Ambula¬ 
torien , mit einem Worte nichts als Klagen, denen eigentlich im 
wahren Sinne des Wortes eine internationale Bedeutung zukommt. 
Sie illustrirten die materiellen Verhältnisse des ärztlichen Standes, 
die heutzutage überall gleich traurige sind, auf dem Festlande 
wie in dem Reiche der großbritannischen Inseln, im alten sowie 


im neuen Continentc. Möge es zukünftigen Versammlungen der 
„British Medical Association“ beschieden sein, von der Lage unseres 
Standes eine minder traurige Schilderung vernehmen zu können. 

ngl. 


Die Karlsbader Naturforscherversammlung. 

(Orig.-Corresp. der „Wiener Med. Presse“.) 

III. 

Es erübrigt mir heute noch, Ihnen über einige besonders 
interessante Vorträge, welche in den Abtheilungen gehalten wurden, 
zu berichten, soweit Sie nieht schon darüber von Seiten der „Freien 
Vereinigung der Deutschen med. Fachpresse“ offcielle Referate er¬ 
halten haben. Neben diesen, welche ja für die gesammte medicinische 
Journalistik gleichbedeutend sind und deshalb den Lesern in allen 
Fachblättern wörtlich wieder begegnen, ist Ihnen gewiß das Ori¬ 
ginalreferat, auch wenn es sich nur über einiges Wenige erstrecken 
kann, Dicht ohne Werth. Ich erwähne deshalb zunächst F. Schla- 
genhaüfer’s (Wien) Mittheilungen „Ueber das Vorkommen 
vo n Chorionepithe liom und Traubenmolen gleichen 
Wucherungen in Teratomen“, die an einen von ihm beob¬ 
achteten Fall von metastasirendem Hodenturaor anknüpften. Er 
führte die trotz der sexuellen Differenz bestehende morphologische 
Gleichheit auf die Identität der Genese zurück , nämlich auf eine 
Veränderung der Eihüllen. Interessant ist, daß — nach ihm — 
solche Degenerationen ohne Intervention einer Schwangerschaft auch 
bei einem Individuum mit männlichem Typus Vorkommen. Die Frage 
der gegenseitigen Beziehungen zwischen Syncytium und Langhans- 
scher Zellschicht wird hiedurch zu Gunsteu einer einheitlichen fötalen 
Auffassung entschieden. Es handelt sich also bei derartigen Tera¬ 
tomen um Fruchthüllen-Derivate. Auch Veränderungen, welche an 
die Anfänge von Traubenmolenbildung erinnern, hat er bei Hoden- 
teratomen beobachtet. 

P. von Baumgarten (Tübingen) berichtete „Ueber die 
Schicksale des Blutes in doppelt unterbundenen Ge¬ 
fäß 8 trecken“. Er erinnert an die von ihm vor 25 Jahren ge¬ 
machte und mitgetheilte Beobachtung, daß das Blut in aseptisch 
und schonend unterbundenen Gefäßen so gut wie niemals zur 
Gerinnung kommt, sondern in flüssigem Zustande allmälig re- 
sorbirt wird, eine Thatsache, die er in umfangreichen, experi¬ 
mentellen Untersuchungen immer aufs Neue bestätigt fand. Er 
betonte dies mit Bezug auf die immer noch nicht ganz geschwun¬ 
dene Vorstellung, daß in den Gefäßen staguirendes Blut schließlich 
gerinnen müsse, wandte sich aber dann dem Nachweis des Modus 
der Resorption des Blutes in doppelt unterbundenen Gefäßen 
zu. Abgesehen davon zeigt das Blut in Extravasaten, daß die 
rothen und weißen Blutkörperchen sich mehrere Monate lang er¬ 
halten und erst ganz allmälig, einfach atrophirend, ohne Hinter¬ 
lassung von hämatogenem Pigment verschwinden. Weitere Mitthei- 
lungen B.’s galten seinen (mit Doc. Dr. Dietrich) fortgesetzten 
Untersuchungen über Hämolyse im heterogenen Serum. 
Durch volumetrische Bestimmungen, Ermittelungen der Gefrierpunkts- 
erniedrigung, der elektrischen Leitfähigkeit etc. gelangte er zu 
dem Resultate, daß die osmotischen Störungen, welche an den ins 
heterogene (Immun) Serum verbrachten rothen Blutkörperchen 
wahrzunehmen sind, weniger in der Anisotonie der umgebenden 
Blutflüssigkeit, als in der Einwirkung der specifischen Antikörper 
auf das Stroma beruhen. Wahrscheinlich ändert sich die Permeabi¬ 
lität der Blutkörperchenmembran für Wasser und Salz, so daß 
schließlich durch zu reichliche Wasseraufnahme ein Platzen der 
Blutkörperchen und ein Austritt des Hämoglobins erfolgt. Die 
Hämolyse im heterogenen Serum ist also keine Lösung im chemi¬ 
schen Sinne, sondern nur eine durch osmotische Störungen bedingte 
Trennung des Hämoglobins vom Stroma. Sie ist auch kein Ver- 
dauungs- oder sonstiger fermentativer Vorgang; deun das Hämo¬ 
globin bleibt chemisch unverändert, die Stromata bleiben erhalten 
und es treten keine Verdauungsproducte im hämolytischen Gemische 
auf. Hinsichtlich des Verhältnisses der specifisch hämolytischen 
Antikörper (Ehrlich’s Amboceptoren) zu den Agglutininen hält 
B. bis auf Weiteres an der Annahme ihrer Identität fest, empfiehlt aber* 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


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dieser wichtigen Frage vorurtlieilslose Prüfungen zu widmen, um eine 
sichere Entscheidung herbeizuführen. — Ein praktisches Thema er¬ 
örterte SimonBaruch (New-York), indem er sehr anziehend über „Die 
Beförderung der Reaction nach kalten hydrothera¬ 
peutischen Proceduren“ sprach. Die fehlerhafte Auffassung 
des „Shok“, welcher’ dem kalten Wasser zugeschrieben wird, führt 
oft zu gänzlicher Vermeidung dieses werthvollen Mittels. B. versteht 
unter „Shok u einen intensiven Reiz auf die Hautnerven und Capil- 
laren, dessen Abstufung die werthvollsten Resultate hervorzurufen 
imstande ist. Wie dieser Reiz die Circulation und damit alle Organe 
und Stoffwechselvorgänge beeinflussen kann, erhellt aus der klinischen 
Erfahrung. Ein bekanntes Beispiel dieser Reizwirkung bietet die 
Wiederbelebung asphyktisclier Neugeborener durch Anspritzen mit 
kaltem Wasser, welcher man, wenn damit keine reflectorische In¬ 
spiration bewirkt wird , mit Erfolg das abwechselnde Eintauchen 
des Kindes in warmes und kaltes Wasser folgen läßt. Auf gleiche 
Weise soll der leicht Fiebernde mit kalten TheilWaschungen, Com- 
pressen etc., der schwer Fiebernde mit kalten Halb- und Vollbädern 
behandelt werden. Kalte Proceduren können überhaupt in allen 
Fällen genau angepaßt werden, wenn man nur die Regel befolgt, 
daß jede Procedur von einer Reaction gefolgt sein muß. Letztere 
kann durch thermische, mechanische oder chemische Reize bewirkt 
werden. Jede kalte Procedur soll deshalb von Frottirungen begleitet 
sein; dann wird die Herzaction durch die gesteigerte Erweiterung 
und Contractilität der Hautgefäße erleichtert, es werden die Nerven- 
centren von toxischen Stoffen befreit und das Blut wird schneller 
abgekühlt. Die Combination des thermischen (Reflex-) Reizes und 
des mechanischen , respective des vasomotorischen Reizes hat 
durch die Möglichkeit der Individualisirung bekanntlich große 
Erfolge in der Fieberbehandlung erzielt. Als Beispiel chemischer 
Reize sei das bewährte kohlensaure Bad angeführt. — Selbst für 
Fälle von Neurasthenie, Chlorose etc. gelten dieselben Principien. 
Ein tägliches Steigern der Kälte bei Proceduren hat sich hier als 
vortheilhaft erwiesen, iudem man von der Anfangstemperatur von 
35° C. täglich um 1° C., selbst bis zu 10° C., heruntergeht. Bei 
Douchen wird am besten von 30° C. ab die Temperatur täglich 
erniedrigt, die Applicationsdauer aber gesteigert. Dieses graduelle 
Trainiren hat B. zur Auslösung von Reflexen und von vasomotorischen 
Wirkungen, sowie zur Gewöhnung selbst empfindlicher Patienten 
an die nöthigen Reize sehr bewährt gefunden. 

Ich habe die vorgenannten Themata herausgegriffen, weil sie 
theils theoretisch, theils praktisch besondere Bedeutung haben und 
deshalb auch ausgesprocheneres Interesse fanden. Ueber zahlreiche 
andere, zum Theil sehr gediegene Vorträge wird zweifellos in 
den Spalten dieses Blattes noch an anderer Stelle berichtet werden. 

Ungewöhnlich und erstaunlich war der Fleiß, mit welchem 
hier wieder eine Woche lang auf den verschiedensten Specialgebieten 
gearbeitet wurde. Die Collegen , mögen sie nun hieher gekommen 
sein, um zu geben oder um zu empfangen, um Anregungen zu bieten 
oder auf sich einwirken zu lassen, um Streit- und Tagesfragen zu 
erörtern, können auf den Karlsbader Congreß jedenfalls mit größter 
Befriedigung zurückblicken. Vieles ist wieder nm einen Schritt der 
Erkenntniß und Wahrheit näher gebracht worden. cxj 

Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Aus den Abteilungen 

der 

74. Versammlung deutscher Naturforscher und 

Aerzte. 

Karlsbad, 21.—27. September 1902. 

(Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) 

III. 

Abtheilung für Kinderheilkunde . 

Baginsky (Berlin): Ueber die Anwendung des Streptokokken¬ 
serums bei Scharlach. 

Der Vortr. erinnert an seine Untersuchungen bei Scharlach, 
die er in der medicinischen Gesellschaft in Berlin vorgetragen hat, 


— Nr. 41. 


und welche bereits publicirt sind. Die Zahl von 411 Scharlachfällen, 
bei welchen regelmäßig im Pharynx Streptokokken nachgewiesen 
wurden, hat sich im Laufe der Zeit auf 700 vermehrt. Von diesen 
Fällen wurden in 82 Streptokokken auch im Blut und in den 
Organen nachgewiesen. Dieser Befund gab die Veranlassung, 
durch Dr. Aronsohn ein Antistreptokokkenserum hersteilen zu 
lassen. Dasselbe, zuerst im Thierversuch erprobt, wurde dann bei 
Kindern zur Verwendung gebracht. Der klinische Versuch — und 
zwar wurden meist schwerere Fälle ausgewählt — ergab keiuc 
ausschlaggebenden Resultate. Größere Dosen (20 Ccm.) bringen sogar 
gewisse Gefahren und Complicationen mit sich; wenn auch keine 
eclatanten Erfolge mit kleineren Dosen (10 Ccm.) zu erzielen waren, 
so brauche inan doch bei der Unschädlichkeit des Mittels die Ver¬ 
suche noch nicht aufgeben. 

P. Moser (Wien): Ueber die Behandlung des Scharlachs mit 
einem Scharlachstreptokokkenserum. 

Der Vortr. weist in seinen Erörterungen auf die Streitfrage 
betreffs der Beziehungen des Scharlachs zu den Streptokokken hin 
und bringt als Beitrag seine positiven Streptokokkenbefunde aus 
dem Herzblute von 63 unter 99 gestorbenen Seharlachkranken. 
Da der Beweis für die Aetiologie dieser Streptokokken beim Schar¬ 
lach nicht direct zu führen ist, versuchte der Autor denselben auf 
dem indirecten Wege der Therapie. Vorbildlich wareu für ihn vor 
allem die Anschauungen der belgischen Schule über die Darstellung 
von polyvalentem Streptokokkenserum. Mit Rücksicht auf die bisher 
noch nicht bewiesene Arteinheit der Streptokokken überhaupt, sowie 
der bei Scharlach vorkommenden im Besonderen, benützte er zur 
Immunisirung von Thieren ein Gemenge von aus verschiedenen 
Scharlachfällen stammenden Streptokokkenbouillonculturen. Gleich¬ 
zeitig verzichtete er angesichts der Thatsache, daß die Virulenz 
der Streptokokken gegenüber den Menschen und den Versuchsthieren 
durchaus nicht parallel geht, auf die Virulenzsteigerung dieser Mikro¬ 
organismen durch die Thierpassage, um die durch letztere be¬ 
dingten biologischen Veränderungen hintan zu halten. Indem er 
so lediglich mit aus dem Blute von Scharlachfällen gezüchteten 
lebenden und in Bouillon weiter cultivirten Streptokokken Pferde 
immuni8irte, gewann er ein Serum, welchem er zufolge der an 
der k. k. Universitätskinderklinik des Prof. Escherich in Wien 
gemachten Erfahrungen eine speoifische Heilwirkung auf den Scliar- 
lachproceß zuschreibt. Das Serum, welches im staatlichen sero 
therapeutischen Institute (Vorstand Prof. R. Paltauf) hergestellt 
wurde, kam seit November 1900 zur klinischen Verwendung. Unter 
699 scharlachkranken Kindern des St. Anna-Spitales wurden 81 in- 
jicirt, hiezu kommen noch 3 außerhalb des Spitales behandelte 
Fälle. Bei der Injection wurden die prognostisch ungünstigen Fälle 
stets bevorzugt. Auf Grund der statistischen Daten, sowie vor 
allem der klinischen Beobachtungen zeigt der Vortr. den Werth 
dieser Behandlungsmethode. Bei frühzeitiger Seruminjection (1. oder 
2. Tag) war kein Todesfall, bei späterer Injection eine stetig stei¬ 
gende Mortalität zu beobachten (3. Tag 14-29%, 4. Tag 23-08%, 
40*0 u. 8. w., 50% am 9. Tag). Vor allem ist es jedoch das kli¬ 
nische Bild, welches für die specifische Heilwirkung des Serams 
spricht. Das Allgemeinbefinden bessert sich in überraschend kurzer 
Zeit, die nervösen Störungen schwinden bald, Temperatur und Pals 
zeigen oft schon zu Beginn des Exanthemstadiums rapiden Abfall 
im Gegensatz zur normalen Scharlachcurve. Das Exanthem, die 
schweren Respirationserscheinungen etc. etc. gehen ebenfalls zurück, 
dagegen lassen sich die verschiedenen Eiterungsprocesse, sowie die 
Nephritis nicht immer zurückhalten, treten aber seltener und 
weniger schwer auf. Die auch mit anderen Serumsorten, z. B. 
Marmorek’s Streptokokkenserum, angestellten Versuche fielen im Ge¬ 
gensätze zu dem Scharlachserum negativ aus. Auch die prophy¬ 
laktischen Impfungen schienen da, wo es nicht mehr gelang, die 
Krankheit zu verhüten, den Verlauf derselben günstig zu beeinflussen. 
Nachtheilige Wirkungen der Injection treten trotz der vorläufig noch 
nothwendigen großen Dosen selten und dann in derselben Weise 
auf, wie sie vom Diphtherieheilserum bekannt sind. Br ist gelangen, 
im St. Anna-Kinderspital bei fast 400 an Scharlach Erkrankten die 
Mortalität im Jahre 1901 anf 8‘9% gegenüber der Durchschnitts- 

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1859 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 41. 


1860 


mortalität von 13’09% * n anderen Wiener Spitälern herabzumindern 
lind dies trotz der ungenügenden Menge und niederen Concentration 
des noch derzeit zur Verfügung stehenden Serums, wodurch 
nur ein Bruchtheil der Erkrankten dieser Behandlung theilhaftig 
werden konnte. 

Moser und von Pirquet: a) Agglutination von Scharlach-Strepto¬ 
kokken durch menschliches Serum. 

Der zur Agglutination verwendete Stamm ist aus dem Herz¬ 
blute eines an Scharlach verstorbenen Kindes entnommen. 

1. Serum Scharlachkranker agglutinirt in geringen Verdün¬ 
nungen, in der Hälfte der Fälle (37 Versuche; Agglutination in 
19 Fällen (51%) Maximum 1:8). 

2. Serum nicht Scharlachkranker (von Kindern und Placenten) 
agglutinirt viel seltener (28 Versuche, 3mal Agglutination; Maxi¬ 
mum 1:4). 

3. Hochagglutinirendes Streptokokken-Immunserum von Pferden 
verleiht dem menschlichen Serum bei subcutaner Injection stets 
agglutinirende Eigenschaften (66 Untersuchungen bei 18 Personen). 

4. Dieselben sind ungefähr der injicirten Serummenge pro¬ 
portional, erreichen ihre größte Höhe (maximale Agglutination 

1 : 16.000) nach 24—36 Stunden, sinken allmälig wieder ab. (Nach 
5 Monaten keine Agglutination.) 

5. Vom Darmcanale aus gehen die Agglutinine nicht ins 
Blut über (2 Personen, 5 Untersuchungen). 

Dieselben: b) Agglutination von Streptokokken durch Pferde¬ 
sera. 

1. Normales Pferdeserum agglutinirt Streptokokken verschie¬ 
dener Herkunft häufig, jedoch nur in mäßigen Verdünnungen 
(14 Stämme; 5mal Agglutination zwischen 1 : 4 und 1 : 64). 

2. Serum von Pferden, welche mit verschiedenen Strepto¬ 
kokken immunisirt wurden, die aus dem Herzblute Scharlachkranker 
ohne Thierpassage gezüchtet sind (Polyvalentes Serum Moro), agglu¬ 
tinirt: dieselben Streptokokkenstämme in sehr bedeutender Ver¬ 
dünnung (2 Sera, 6 Stämme, 12 Untersuchungen; 5mal Agglutination 
1:64.000, lmal mit 1:16.000, 2mal 1:4000, 2mal 1:1000). 

3. Andere Stämme aus dem Herzblute Scharlachkranker, mit 
welchen nicht immunisirt wurde, werden gleichfalls hoch agglutinirt 
(8 Stämme, 2 Sera, 3 Untersuchungen; lmal 1:250.000, lmal 
1:16.000, lmal 1:1000; ferner ein Stamm aus dem Rachen, 

2 Sera, 1:4000, 1:1000). 

4. Streptokokkenstämme, die von anderen Erkrankungen her¬ 
rühren, wurden von denselben Seris nur wenig über der Höhe des 
normalen Pferdeserums agglutinirt (6 Stämme, 2 Sera, 9 Unter¬ 
suchungen ; 4mal Agglutination zwischen 1:4 und 1 :250). 

5. Sera von Pferden, welche mit Streptokokken aus anderen 
Erkrankungen immunisirt wurden, agglutiniren die Streptokokken am 
Scharlach nur im Maße des normalen Pferdeserums; die homologen 
Stämme jedoch in verschiedener Höhe (89 Versuche mit Serum 
Marmorek, Tavel. Wiener Streptokokkenserum; Maximum der 
Agglutination gegenüber Scharlachstreptokokken 1:64, gegenüber 
homogenen Stämmen 1:4000). 

6 . Ebenso verhält sich das ARONSON’sche Serum gegenüber 
Streptokokken am Scharlach (9 Stämme, 5mal Agglutination, Maxi¬ 
mum 1: 16). 

Langer (Prag): Zur Frage der Hämagglutination im Kindesalter. 

Grünbaum hatte behauptet, daß Scharlach- nnd Typhusserum 
die Erythrocyten gesunder und anders Erkrankter zu agglutiniren 
vermag, nicht aber die gleich Erkrankter. Dem Blutagglutinations¬ 
phänomen kommt, wie auch andere Autoren hervorheben, keine 
specifische diagnostische Bedeutung zu; es ist keine Reactions- 
erscheinung nach Resorption von Bakterienproducten oder über¬ 
gegangenen Erythrocyten. Bezüglich letzterer Anschauung berichtet 
L. über Häraagglutinationsbefunde bei Luxationen und Fracturen, 
die in verschiedenen Zeiträumen gewonnen wurden und immer das 
gleiche Agglutinationsbild boten; nur darf man nicht mit ei ner 
oder wenigen Blutproben als Testblut arbeiten , sondern muß die 
LANDSTEiNER’schen Typen berücksichtigen. Die Hämagglutinine sind 


nicht Immunkörper, denn sie finden sich bei Gesunden, ferner bei 
Infectionskrankheiten schon am 1., 2., 3. Krankheitstage und ändern 
sich nicht im weiteren Verlaufe, noch in der Reconvalescenz. Bak¬ 
terienagglutinine sind nicht identisch mit den Hämagglutininen, 
denn beide können selbständig nebeneinander nachgewiesen werden 
oder aber sie finden sich überhaupt einzeln. 

Bis jetzt fehlt jeder tiefere Einblick in das Phänomen der 
Blutagglutination, da uns die „physiologische“ Breite dieses Blut¬ 
phänomens unbekannt ist. L. will diese Lücke ausfüllen, indem 
er nunmehr das Hämagglutinationsbild in 15 Familien fixirt. Die 
projectirte Untersuchung in verschiedenen Zeiträumen wird uns Auf¬ 
klärung bringen über ein Schwanken oder eine Constanz der Blut¬ 
agglutination : in den Familien finden sich die LANDSTEiNER’schen 
Bluttypen theils einzeln , theils combinirt; niemals ließ eine Aelin- 
lichkeit die Blutsverwandtschaft erschließen. 

Discussion. 

Eschericll (Wien): Nach einem Dank an Paltauf, den Hersteller de? 
Serums, v. Kusy, den Unterstätzer der Bestrebungen, und den verstorbenen 
v. Widerhofeb , der mit großem Interesse den Versuchen Moser’s gefolgt ist, 
betont E., daß er auf Grund der klinischen Beobachtung ein überzeugter An¬ 
hänger der Serumbehandlung sei. Der Erfolg tritt um so sicherer und eclatanter 
auf, je früher injicirt wird. In den schwersten Fällen, wo sonst in 
wenigen Stunden das Ende erfolgte, macht sich insofern eine Einwirkung des 
Serums bemerkbar, als der Tod auf Tage hinausgeschoben wird. In vielen 
Fällen ist deutlich innerhalb 24 Stunden ein eclatanter Erfolg (unter Auftritt 
agglutinirender Substanzen im Blut) sichtbar. Derselbe manifestirt sich 1. durch 
das bisweilen kritische Abfallen der Temperatur, 2. durch Sinken von Puls 
und Temperatur, 3. durch die Besserung des Allgemeinbefindens und Schwinden 
der Cerebralerscheinungen, 4. das Exanthem verliert die starke Hyperämie, 
5. das sogenannte Scharlachdiphtheroid schreitet nicht weiter. Die Compli- 
cationen der Nephritis und Endocarditis scheinen durch das Serum nicht ver¬ 
mieden zu werden, indessem scheint ihre Häufigkeit geringer zu sein. Die 
klinischen Erfolge sind unbestreitbar, doch fehlt allerdings noch die experi¬ 
mentelle Begründung derselben. 

Paltauf (Wien) berichtet über die Geschichte und Herstellung des Serums 
und hebt hervor, daß man insoferne noch im Dunkeln taste, als er noch nicht 
in der Lage sei, die Scharlachtoxine zu gewinnen. Das Serum selbst wurde 
steril hergestellt, ohne Carbolzusatz. Die Technik und Gewinnung sei sehr 
schwierig; vorläufig seien noch sehr große Dosen zur Injection erforderlich. 

Baginsky (Berlin) erklärt sich noch nicht für überzeugt von der Wirk¬ 
samkeit des Serums durch die Darlegungen Eschebich’s, da er kritische Tem¬ 
peraturabfälle auch nach Anwendung des AßONSON’schen Serums und auch 
ohne jedes Mittel gesehen habe. 

Moser (Schlußwort) betont gegenüber einer Anfrage, daß einfaches 
Normalserum ohne die günstige Wirkung des Antistreptokokkenserams sei. Er 
gebe ja zu, daß die zu injicirenden Mengen vorläufig noch sehr große seien, 
gegenüber dem Skepticismus besonders von Baginskv hebe er hervor, daß er 
Erfolge mit dem Serum in den schwersten, ja selbst in von Collegen für 
moribund erklärten Fällen unzweifelhaft gesehen habe. 

v. Ranke (München): „Ein weiterer Beitrag zur Behandlung des 
nomatösen Brandes durch Excision des erkrankten Ge¬ 
webes.“ 

Auf der Naturforscherversammlung zu Aachen, 1900, hatte 
R. über 3 Fälle von Noma faciei berichtet, welche in unmittelbarer 
Aufeinanderfolge durch Excision des brandigen Gewebes mit nach¬ 
folgender Verschorfung durch den Thermokauter, geheilt wurden. 
Dieser Erfolg stand in schneidendem Gegensatz zu R.’s früheren 
Erfahrungen mit weniger eingreifenden Behandlungsmethoden, denn 
er hatte bisher sämmtliche Fälle von Noma faciei durch den Tod 
verloren. Im Laufe dieses Jahres wurde wieder ein Fall von Noma 
in die Münchener Kinderklinik aufgenommen. Der Fall betraf ein 
Sjähriges, schlecht genährtes Mädchen, das 4 Tage nach Ausbruch 
der Masern an Noma der Genitalien und des Afters, sowie der 
beiden Schenkelbeugen erkrankte und durch Excision alles Er¬ 
krankten im gesunden Gewebe glatt geheilt wurde. Der Heilungs¬ 
verlauf nach der Excision war ein überraschend günstiger. An 
keiner Stelle zeigte sich wieder brandiger Zerfall. Wie mit einem 
Zauberschlage war der Zerstörungsproceß zum Stillstand gebracht 
und die Heilung vollzog sich unter antiseptischer Behandlung, täg¬ 
lichen Bädern und kräftiger Ernährung ohne jeden Zwischenfall 
und ohne wesentliche Verunstaltung. 

Dieser vierte Fall von Heilung in ununterbrochener Reihen¬ 
folge beweist dem Vortr., daß in der That in möglichst frühzeitiger 
und vollständiger Excision alles Erkrankten , eventuell verbunden 
mit nachfolgender Cauterisation, der Schlüssel zur Heilung einer 


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1861 


1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 41. 


1862 


bisher fast ausnahmslos tödtlich verlaufenden, zweifellos durch locale 
Einwirkung von Mikroorganismen erzeugten Krankheit gefunden 
ist. Der Fall wurde durch Photographien erläutert. 

Epstein (Prag): Ueber einen Kindersessel für kleine Rachitiker 
von I bis 3 Jahren, zur Behandlung und Verhütung von 
rachitischen Rückgratsverkrümmungen. 

Die Ueberlegung, daß Apparate, Mieder, Gradhalter, heilgym¬ 
nastische Uebungen entweder überhaupt nicht anwendbar oder nur 
unvollkommen in diesem frühen Alter zu verwerthen sind , hat E. 
den Gedanken nahe gelegt, den Kindern die gymnastische Thätig- 
keit so beizubringen, daß sie dieselbe mehr spielend und unbewußt 
ausfilhren. Zu diesem Zweck verwendet E. einen Schaukelstuhl 
(Thonet, Wien), in welchen das Kind verkehrt, d. h. das Ge¬ 
sicht den Lehnen zugewendet hineingesetzt wird; die Beine hängen 
durch den Zwischenraum zwischen Lehnen und Sitz frei heraus 
oder die Füße stützen sich auf die hintere Verbindungsstange auf. 
Beim Schaukeln, das das Kind sehr bald erlernt und mit Ver¬ 
gnügen ausübt, findet deshalb sehr bald die richtige Sitzhaltung 
mit Streckung des Rückens statt und bewirkt activ eine Gerad- 
haltung der Wirbelsäule. Die mit diesem „Schaukelstuhl“ bisher 
erzielten Resultate sind sehr günstige. Der Stuhl ist auch bei 
muskelschwachen und nach längeren Krankheiten herabgekommenen 
Kindern zur Kräftigung der Muskeln zu empfehlen. 


Notizen. 

Wien, 11. October 1902. 

Das neue Hilfsärzte-Statut. 

Die Hilfsärzte der staatlichen Wiener Krankenanstalten wurden 
vor wenigen Tagen durch ein von der n.-ö. Statthalterei erlassenes 
neues Statut überrascht, welches eine Neuregelung des Dienstver¬ 
hältnisses dieser Aerzte bezweckt. 

Die „Bestimmungen über die Zulassung von Hospitanten und 
über das Dienstverhältniß der Hilfsärzte in den k. k. Kranken¬ 
anstalten“ enthalten in 28 Paragraphen eingehende diesbezügliche 
Verfügungen, von welchen wir die einschneidendsten folgen lassen : 
§ 12 besagt, daß die Hilfsärzte sämmtlicher Wiener k. k. Kranken¬ 
anstalten einen gemeinsamen Status bilden, daß die in jeder 
dieser Anstalten zurückgelegte Dienstzeit gleich werthig und es 
daher jedem Aspiranten gestattet ist, sich um eine frei gewordene 
Secundararztstelle in einer der Wiener k. k. Krankenanstalten zu 
bewerben, bezw. um Transferirung in ein anderes Krankenhaus 
anzusuchen. Die bisher zugebrachte Dienstzeit wird eingerechnet. — 
§ 14 setzt die Dienstzeit der Aspiranten mit zwei Jahren 
fest; die Statthalterei kann auf Befürwortung der Spitalsleitung 
die Verlängerung dieser Dienstzeit um höchstens ein Jahr bewilligen. 
Frei gewordene Stellen werden durch Anschlag an den Ankündi- 
guugstafeln aller Wiener k. k. Krankenanstalten verlautbart. — 
§§17 und 18 schreiben bei der Auswahl der Bewerber um Stellen 
von Secundarärzten „die gleichmäßige Berücksichtigung der 
dienstlichen, ferner der wissenschaftlichen Qualifikationen, sowie 
der Dauer der Dienstzeit der Bewerber vor“. Die Secundarärzte 
werden von der Spitalsleitung auf die Dauer eines Jahres 
ernannt. Eine Verlängerung dieser Dienstzeit erfolgt durch die¬ 
selbe Stelle „bei zufriedenstellender Dienstleistung“ mit der Ma߬ 
gabe, „daß die Gesammtdienstzeit in der Eigenschaft 
als Aspirant und als Secundararzt die Dauer von vier 
Jahren — exclusive der Militärdienstzeit als Einjahrig-Freiwilliger — 
nicht überschreiten darf“. In besonders berücksichtigungs- 
werthen Fällen kann die Verlängerung dieser Dienstzeit um 
höchstens ein Jahr über Antrag der Spitalsleitung von der 
Statthalterei bewilligt werden. — § 24 behandelt die Erlangung von 
Assistentenstellen. „Jede freie Abtheilungs-Assistentenstelle 
ist durch Anschlag in allen Wiener k. k. Krankenanstalten auszu¬ 
schreiben ; als Frist zur Bewerbung um die erledigte Stelle sind 
14 Tage zu bestimmen. Zar Bewerbung sind die Secundarärzte 
der Wiener k. k. Krankenanstalten und die Frequentanten der 


Operationsinstitute der Wiener Kliniken berechtigt. Die Ernennung 
erfolgt durch die Statthalterei; bei der Besetzung von Stellen in 
solchen Krankenhäusern, in welchen die Primarärzte instructions¬ 
gemäß unter dem Vorsitze des Directors zu regelmäßigen Be¬ 
rathungen zusaramentreten, ist von der Conferenz der Primarärzte 
über die Bewerber ein Gutachten einzuholen. Die Dienstzeit 
der Abtheilungs-Assistenten wird mit einem Jahr festgesetzt, 
kann jedoch von der k. k. Statthalterei nach Maßgabe der dienst¬ 
lichen Erfordernisse und der Qualification der Assistenten um 
2 Jahre verlängert werden. Eine weitere Verlängerung der Dienstzeit 
kann nur vom Ministerium des Innern bewilligt werden.“ 

Soweit die neue Verordnung, die von den zunächst Betroffenen 
mit sehr getheilten Empfindungen aufgenommen wird. Mit Recht 
ist man zunächst über jene Bestimmungen erstaunt, welche in der 
Einschränkung der A s p i r a n t e n-Dienstzeit gipfeln und — falls 
nicht die alljährlich sinkende Zahl der Studirenden der Medicin 
hier regelnd eiugreift — zu einem Numerus clausus der 
Aspiranten an den Wiener k. k. Krankenanstalten führen, das heißt 
in einem gegebenen Zeitpunkte die jungen Aerzte auf die Einreihung 
unter die dienstlich nicht in Frage kommenden Hospitanten ver¬ 
weisen werden. 

Einschneidenden Einfluß auf das Schicksal der Hilfsärzte 
räumt das neue Statut den Spitalsleitungen ein. Wäre es 
nicht zweckentsprechender gewesen, hier den Gremien der Primar¬ 
ärzte eine größere Competenz zu gewähren , zumal in den großen 
Spitälern die Beurtheilung der dienstlichen Qualification der Sub¬ 
alternärzte doch in erster Reihe dem Vorgesetzten Primarärzte, die 
Schätzung der wissenschaftlichen Fähigkeiten und Leistungen diesem 
allein möglich ist? Die neuen Bestimmungen setzen volle Ob- 
jectivität, große Menschenkenntniß und minutiöse Aufmerksam¬ 
keit seitens der Directoren und Leiter der Krankenhäuser voraus. 
Werden diese nicht allzu häufigen Eigenschaften auch thatsächlich 
in den Personen unserer Spitalsleiter ausnahmslos rereiaigt sein ?- 

Endlich wird das Fehlen von IJebergangsbestimmungen 
beklagt, beziehungsweise der dringende Wunsch: nach solehen Be* 
Stimmungen ausgesprochen. Mit voller Berechtigung. Wer unter be¬ 
stimmten Voraussetzungen auf Grund gesetzlich festgestellter Normen 
ein Dienstverhältniß anstrebt — und das thun die Aspiranten — 
darf durch plötzliche Aenderungen dieser Normen nicht unmittelbar 
vor dem Ziele vom Wettbewerbe ausgeschlossen werden. Wir 
zweifeln nicht daran, daß man maßgebenden Ortes das schwere 
Unrecht begreifen wird, welches in dem Mangel ausgleichender 
Ucbergangsbestimmuugen bestellt, und solche schaffen wird. 


(Josef Kornfeld f.) Der Tod hat der Wiener Aerzte- 
schaft eine klaffende Lücke geschlagen; der Besten einen hat er 
abberufen aus den Reihen der Collegen, die trauernd am Sarge 
dieses Mannes stehen. Dr. Josef Kornfeld , ein allgemein hoch¬ 
geachteter College, dessen Charakter und Geisteseigenschaften ihn 
zur Zierde seines Standes erhoben, ist am 7. d. M. im 58. Lebens¬ 
jahre gestorben. Ein Menschenalter ärztlicher Praxis hat er, der uner¬ 
müdliche, liebevolle Freund seiner Clienten, absolvirt; 35 Jahre lang 
stand er treu ira Dienste seines schweren Berufes. Seine Muße war 
den Interessen seines Standes geweiht, den Collegen, die ihn dank¬ 
bar zu den höchsten Ehrenstellen beriefen, die sie zu verleihen 
haben. Als langjähriger Obmann des ärztlichen Vereines im I. Be¬ 
zirke, als Mitglied des Vorstandes der Wiener Aerztekammer hat 
Kornfeld das Vertrauen voll und ganz gerechtfertigt, das seine 
Standesgenossen ihm in reichem Maße entgegengebracht. Sie be¬ 
klagen seinen allzu frühen, jähen Hintritt, denn sie haben einen 
unerschrockenen Führer, einen hingebenden Berather, einen braven 
Collegen verloren. Ehre seinem Andenken! 

(Universitätsnachrichten.) Prof. Dr. Wagner v. Jauregg 
hat am 1. October die Leitung der II. psychiatrischen Klinik im allge¬ 
meinen Krankenhause übernommen. Die hiedurch erledigte Stelle eines 
Vorstandes der I. psychiatrischen Klinik in der niederösterreichischen 
Landesirrenanstalt soll vorläufig bis zum Zeitpunkte der Fertig¬ 
stellung des Neubaues für die medicinische Facultät nicht zur Be- 


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1863 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 41. 


1864 


Setzung gelangen. — Dr. Julius Zappert hat sich für Kinderheil¬ 
kunde an der Wiener Universität habilitirt. 

(V o r t r a g s-Oy c 1 u 8.) Der Verein fiir Psychiatrie und Neu¬ 
rologie in Wien veranstaltet im Wintersemester 1902/3 einen Cyclus 
von 8 Vorträgen, welche wichtige Gebiete aus der Psychiatric 
und Neurologie von allgemeinem Interesse für praktische Aerzte 
behandeln sollen. Diese Vorträge werden vom November 1902 bis 
Februar 1903 an jedem 1. und 3. Mittwoch jeden Monates um 
7 Uhr abends ira Hörsaale der psychiatrischen Klinik im k. k. All¬ 
gemeinen Krankenhause abgehalten werden. Es sind folgende Vor¬ 
tragende in Aussicht genommen: Prof. v. Frankl-IIochwart, Doc. 
Karplus , Hofrath Prof. Nothnagel , Prof. Obersteiner, Primar¬ 
arzt Doc. Schlesinger, Primararzt Starlinger , Doc. Sternberg, 
Prof. v. Wagner-Jauregg. Das ausführliche Programm wird dem¬ 
nächst veröffentlicht werden. 

(Eine internationale chirurgische Gesellschaft) 
soll, wie bereits mitgetheilt, nach einem Beschlüsse des Brüsseler 
Congresses für Chirurgie gegründet werden. In das provisorische 
Comite wurden gewählt : Sonnenburg für Deutschland, Broca Frank¬ 
reich, IIarrison England, Mac Ewen Irland, Gussenbaukr Oester¬ 
reich-Ungarn, Giordano Italien, Reverdin Schweiz, de Isla Spa¬ 
nien, Rotegam Holland, Weljaminoff Rußland, Jonnesko Rumä¬ 
nien, Subottisch Serbien, Djemil-Pascha Türkei, Boiutius Schweden, 
Bloch Dänemark, Roswell Park Amerika, Willems Belgien. 

(M ilitär är z t lieh es.) Ob.-St.-A. I. CI. Dr. L. v. Berks, 
Sanitätschef des 7. Corps, ist in den Ruhestand getreten und hat 
bei diesem Anlasse den Charakter eines Generalstabsarztes ad honores 
und den Orden der Eisernen Krone III. CI. erhalten. — Zum Sanitätschef 
des 7. Corps ist Ob.-St.-A. I. CI. Dr. K. Falnbigl , Commandaot 
des Garnisonsspitales in Agram, zum Commandauten des Garnisons- 
spitales in Agram Ob.-St.-A. Dr. J. Hermann, Garnisonschefarzt in 
Marburg, ernannt worden. — Die Regimentsärzte Dr. Berthold 
Schwarz und Dr. Karl Malicka sind in den Aclivstand der 
k. k. Landwehr versetzt worden. 

* (Aus Berlin) wird uns geschrieben: Das internationale 

Centralbureau zur Bekämpfung der Tubercnlose wird hier vom 
22. bis 26. d. M. eine Conferenz abhalten, deren Hauptverhand¬ 
lungsgegenstände die folgenden sein werden : Die Stellung der Regie¬ 
rungen zurTuberculosebekämpfung; die Anzeigepflicht; die Aufgaben 
der Schule bei der Tuberculosebekämpfung; die Maßnahmen gegen 
die Gefahren der Milch; dieTuberculose ira Kindcsalter ; der Arbeiter¬ 
schutz und die Tuberculosebekämpfung; die Classificirung und die 
verschiedenen Arten der Unterbringung der Lungenkranken. Außer¬ 
dem sind eine Reihe kleinerer Mittheilungen aus der Tuberculose- 
praxis und Berichte über den Stand des Kampfes gegen die Tuber- 
culose in den einzelnen Ländern und die dabei gewonnenen prak¬ 
tischen Erfahrungen in Aussicht gestellt worden. — Wir werden über 
den Verlauf der Conferenz berichten. 

(Redactionelles.) Die Redaction der „Bibliothek der Ge- 
sundheit8pflege u hat nach dem Tode Hans Buchner’s der Geh. Med.- 
Rath Prof. Dr. Max Rubner in Berlin übernommen. 

(Ein ärztlicher Veteran.) In Coffeyville (Kansas) hat 
— wie das „Journal of the American med. Association“ mittheilt — 
kürzlich Dr. John P. Wood, der seit 78 Jahren in dieser Stadt 
prakticirt, in körperlicher und geistiger Rüstigkeit seinen 100. Ge¬ 
burtstag gefeiert. 

(Häßliche Reclame.) In einigen angesehenen deutschen 
Zeitungen findet man nach der „Med. Reform“ unmittelbar nach 
dem redactionellen Theil eine im Feuilletonstyl gehaltene Annonce : 
„Charakterzüge aus Virchow’s Loben“ von Dr. Hans Fröhlich. 
Nachdem in der ersten Hälfte alles Mögliche über Virchow’s 
Giöße geschrieben, handelt der Rest von Schweizerpillen, über 
deren Wirkung sich V^rchow einmal günstig geäußert haben soll. 

(Hygiene der Zähne.) Eine sehr nachahraenswerthe Ein¬ 
richtung besteht, nach der „Allgem. med. Central Ztg.“, in einzelnen 
Schulen Dänemarks, indem in regelmäßigen Zeiträumen die Zähne 
der Kinder untersucht werden. So haben, wie auf dem kürzlich 
hier eröffneten dänischen Zahuärztetag der Zahnarzt Axel Swendsen 
roittheilte, die große Commune Frederiksberg sowie einige 
Privatschulen gemeinsam einen Zahnarzt angestellt, der die Schul¬ 


kinder halbjährlich untersucht. Die Einrichtung hat sich sehr frucht¬ 
bringend erwiesen. Leiden Kinder an kranken Zähnen, so werden 
die Eltern mittelst eines Formulars darauf aufmerksam gemacht, 
und es steht ihnen natürlich frei, sich an irgend einen beliebigen 
Zahnarzt zu wenden. Diese dänische Einrichtung verdient von allen 
Ländern nachgeahmt zu werden. 

(Statistik.) Vom 28. September bis incl. 4. October 1902 wurden in 
den C i vi lspitälern Wiens 6322 Personen behandelt. Hievon wurden 1316 
entlassen ; 148 sind gestorben (10‘10% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 63, egypt. 
Augenentzündung 1, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 13, Dysen¬ 
terie 5, Blattern—, Varicellen 16, Scharlach 32, Masern 50, Kenchhusten 31, 
Rothlauf 25, Wochenbettfieber —, Rötheln —, Mumps 5, Influenza —, follicul. 
Bindehaut-Entzündung—, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand—, Lyssa —, 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 552 Personen gestorben 
(— 9 gegen die Vorwoche). 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 


Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
Postversendung. Die Preise derElnbanddeoken sind folgende : für die „Med. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
„Therapie der Gegenwart“: Ä - 1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Postversendnng. 


Die Rubrik: „Erledigungen , ärztliche Stellen“ etc . 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 

HB* Wir empfehlen diese Rubrik der speclellen Beaohtung unserer 
geehrten Leser; in derselben werden öfters — neben der Publioation von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auch für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein können, welche an eine 
Aenderung des Domicils oder ihrer Verhältnisse nicht gedacht haben. 


Kur- und Wasssrheil- 

Anstalt 

Giesshübl Saierbrunn 

bei Karlsbad. 

Trink- und Badekuren. 
Klimatischer und Nach-Kurort. 

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Wien, den 19. October 1902. 


Nr. 42. 


XLIII. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
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medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Redaction: Telephon Rr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

-,@$ 8 .- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


Administration: Telephon Rr. 9104. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Ueber die objectiven Symptome der Neurasthenie. Von Dr. Loewenthal, Nervenarzt in Braunschweig. — 
Die Wahl der Behandlungsmethoden bei Retroflexio Uteri unter besonderer Berücksichtigung der subjectiven Beschwerden. Von Dr. Winternttz in 
Stuttgart-Tübingen. — Ueber Impfung gegen Malaria mit dem KuHN’scben Serum in Bosnien. Von Dr. Oskar Hovorka Edl. v. Zderas, Spitalsleiter 
in Tesliö, Bosnien. — Aus der Chirurg. Abtheilung des bosn.-herceg. Landesspitales zu Sarajevo. Ueber Steinoperationen. Von Primararzt Dr. Josef 
Preindlsbeuger. — Referate. Franke (Braunschweig): Ueber operative Behandlung der chronischen Obstipation. — H. Brüning (Leipzig): Tubercu- 
lose der weiblichen Geschlechtsorgane im Kindesalter. — Perthes (Leipzig): Ueber Fremdkörperpunction. — Tschebno-Sciiwarz (Moskau): Ueber 
die Behandlung der Chorea. — Maixnf.r (Prag): Bemerkungen zur paroxysmalen Tachykardie. — Aaoe Kock (Kopenhagen): Die therapeutische 
Anwendung der Kakodylverbindungen. — P. Schreiber (Berlin): Wie corrigirt man die Kurzsichtigkeit am zweckmäßigsten? — Martin (Jena): 
Statistische Untersuchungen über die Folgen infantiler Lues (acquirirter und hereditärer). — Bettmann (Leipzig): Zur Technik der Fußsohlen¬ 
abdrücke. — Poj.äk (Prag): Ueber das Verhältniß des Alkoholismus zur Chirurgie. — Cisler (Prag): Das Gehörorgan in einem Falle acuter 
Leukämie. — Kleine Mitthellungen. Einfluß totaler Urinverhaltung auf den Organismus gravider und nichtgravider Thiere. — Ichthargan. — 
Eine eigentümliche Eigenschaft der Ananas. — Glycosal. — Behandlung der chronischen Inversion. — Das lösliche Eisenarseniat Zambeletti. — 
Alkohol zur Desinfection und Verhütung des Anlaufens des laryngo-rhinoskopischen Spiegels. — Pyelitis und Pyelonephritis. — Intertrigo der 
Kinder. — Schließung hochsitzender Vesico-Vaginalfisteln. — Literarische Anzeigen. Elements d’anatomie gvnecologique clinique et opßratoire. 
Par Paul Petit. — Der Farbensinn der Thiere. Ein Vortrag von Prof. Willibald A. Nagel in Freiburg im Breisgau. — Encyklopädie der 
mikroskopischen Technik. Heransgegeben von Prof. Dr. Ehrlich, Dr. Mosse, Dr. Krause, Dr. Rosin, Prof. Dr. Weigert. — Feuilleton. Prager Briefe. 
(Orig.-Corresp.) I. — Die 70. Jahresversammlung der „British Medical Association“. (Orig.-Corresp.) II. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. 
Aus den Abtheilungen der 74. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. Karlsbad, 21. — 27. September 1902. (Coll.-Ber. der „Fr. Ver¬ 
einigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) IV. — Notizen. — Neue Literatur. — Eingesendet. — Offene Corresponden* der Red&ction und 
Administration. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 

Hiezu eine Beilage: „Allgemeine Mi 1 i tär är z tl iche Zeitung.“ 

Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse u gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Ueber die objectiven Symptome der 
Neurasthenie. 

Von Dr. Loewenthal, Nervenarzt in Braunschweig. *) 

Ueber die objectiven Symptome der Neurasthenie haben 
schon manche Autoren eingehend berichtet. Trotzdem gilt sie 
immer noch im großen Ganzen als eine der Krankheiten, bei 
denen objective Befunde zu den Seltenheiten gehören. Es ist 
darum auch begreiflich, daß Behörden, Berufsgenossenschaften 
etc. ein gewisses Mißtrauen gegen diese Diagnose nicht los 
werden. Darum erscheint der Hinweis auf die bereits be¬ 
kannten objectiven Symptome und die Auffindung von neuen 
immer noch von großem Werth. Zunächst haben wir uns aber 
zu fragen, welchen Grad von Objectivität wir bei dieser 
Krankheit von ihren Symptomen erwarten dürfen. Ich sondere 
daher zur Klarstellung die subjectiven Störungen ab, also 
diejenigen, die uns nur durch Angaben des Patienten zur 
Kenntniß gelangen. Ich nenne z. B. die Angstzustände, die 
Rückenschmerzen, die Parästhesien; indessen auch diesen rein 
subjectiven Störungen kann ein gewisser objectiver Charakter 
verliehen werden, wenn man ihre gesetzmäßige Abhängigkeit 
von bestimmten experimentell variablen Factoren nachweisen 
kann. So zeigen z. B. häufig die Schmerzen ein völliges Ver¬ 
schwinden in der Ruhe, ein Wiederauftreten bei längerem 
Stehen und Gehen; die Zwangsvorstellungen und die Angst- 

*) Vortrag, gehalten in der Abtheilung für Psychiatrie und Neurologie 
der 74. Versammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte in 
Karlsbad. 


zustande können häufig durch bestimmte Dosen Alkohol oder 
von Opiaten für bestimmte Zeit zum Schweigen gebracht 
werden u. s. w. Wir wollen uns indessen hier mit den Stö¬ 
rungen von durchaus entgegengesetztem Charakter beschäf¬ 
tigen. Bei der I. Classe, den rein objectiven Störungen, 
können wir von den Angaben des Patienten völlig absehen. 
Auch sind sie seiner Willkür völlig entrückt, nicht aber 
dem Einflüsse des Psychischen überhaupt. Von diesen objec¬ 
tiven Störungen im engeren Sinne will ich nur die bekannteren 
aufzählen und genauer auf das eingehen, was mir neu oder 
ungenügend beachtet erscheint. 

Voran stehen die Störungen der allgemeinen Er¬ 
nährung und des Stoffwechsels. Fortlaufende Körper¬ 
gewichtsbestimmung bei allen meinen Patienten hat midi 
belehrt, im Gegensatz zu den Angaben der classischen Autoren 
der Neurasthenie, daß Störungen der Ernährung sehr selten 
fehlen. Entweder findet sich ein Deficit gegenüber den durch¬ 
schnittlichen Verhältnißzahlen von Körpergewicht zu Kör¬ 
pergröße und Lebensalter, oder es läßt sich nachweisen, daß 
früher vor Beginn der Krankheit eben doch noch höhere 
Gewichte bestanden haben. Entsprechend zeitigt die Therapie, 
wo sie überhaupt Erfolg hat, in fast allen Fällen ein An¬ 
steigen des Gewichtes. 

Haarausfall besteht etwa in der Hälfte der Fälle, mit 
oder ohne Seborrhoe. 

Von Stoff wechselstör ungen seien hier auf gezählt: Der 
Hämoglobinmangel, die alimentäre Glykosurie, die Oxalurie, 
die Phosphaturie. 

Die localen Störungen rein objectiven Charakters spielen 
sich fast sämmtlich in der vegetativen Sphäre ab. Bei dem 
größeren Theil handelt es sich um Symptome seitens der 


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glatten Musculatur; und zwar möchte ich für diese Gruppe 
den allgemeinen Satz aufstellen, daß bei der Neurasthenie eine 
ausgesprochene Neigung der glatten ßingmus- 
culatur zur JDauercontraction besteht. Daneben er¬ 
scheint die Reizschwelle für den Eintritt der Contraction 
vermindert. So auf vasomotorischem Gebiete. Geringe Reize, 
die das Gefäßsystem treffen und normaler Weise noch nicht 
einmal das Wechselspiel zwischen Contraction und Dilata¬ 
tion veranlassen, lösen beim Neurastheniker schon vasomoto¬ 
rische Vorgänge von langer Dauer aus. Bei geringer Tempe¬ 
raturerniedrigung tritt Kühle und Blässe der Hände auf; 
kalte Füße oder Kniee schon im Herbst, oder auch an kühlen 
Sommertagen. Die Abendmüdigkeit geht mit Erblassen des 
Gesichts und allgemeinem Frösteln einher, geringe Mengen 
von Kaffee und Nicotin erzeugen allgemeine Gefäßkrämpfe. 
Meist secundär bedingt durch die genannten Gefäßkrämpfe 
(ich erinnere an den Zusammenhang der „kalten Füße“ mit 
dem Blutandrang nach dem Kopfe) zeigt sich übermäßige 
und anhaltende Gefäßdilatation; gewisse Körpertheile, Kopf 
und Hals, erscheinen oft übermäßig geröthet, daher der häu-. 
fige Gegensatz zwischen dem sogenannten blühenden Aus¬ 
sehen und den vorhandenen Beschwerden. Anhaltende Röthe 
der Ohren, besonders auch einseitig, wird von Löwenfeld an¬ 
geführt. Die Conjunctiva ist oft dauerd hyperämisch, ebenso 
wie die Halsschleimhaut, wodurch sich die quälenden localen 
Beschwerden erklären. Die Temporalarterien sind erweitert, 
die großen Gefäße (besonders Bauchaorta und Carotiden) 
pulsiren lebhaft. Die Labilität des Gefäßnervensystems ist 
experimentell nachzuweisen, am leichtesten durch das von 
Erben beschriebene Phänomen der Pulsverlangsamung und 
nachherigen Beschleunigung bei tiefem Niederhocken, ferner 
durch das MANNKOPF’sche Symptom der Pulsbeschleunigung 
auf schmerzhafte Reize, und schließlich durch das Tonometer. 
Handelt es sich hiebei im Allgemeinen um übermäßig er¬ 
höhten Blutdruck, so kann derselbe auch auffallend gering 
sein, z. B. bei längerer Bettruhe mit Ausschaltung aller 
Reize. 

Was den Zusammenhang von Arteriosklerose und Neur¬ 
asthenie anbetrifft, so liegen meiner Meinung nach genügend 
Thatsacben vor, die häufigen vasomotorischen Erregungen als 
das Primäre ansehen zu lassen, eine Meinung, die auch von 
pathologisch-anatomischer Seite mehr und mehr getheilt wird. 
Die Störungen der Herzthätigkeit erwähne ich nur, da sie 
genügend beachtet und durchgearbeitet sind. 

Eine zweite Gruppe von Functionsstörungen betrifft die 
glatte Museulatur des Intestinal-, Genital- und Respi- 
rationstractus. 

Hier zeigt sich besonders deutlich die Neigung zu Dauer- 
contractionen der Ringmusculatur auf geringe Reize hin. Am 
prägnantesten erscheint mir der Cardiospasmus, dessen 
subjectives Correlat, die Cardialgie, sehr häufig schon auf 
einen kalten Schluck, großen Bissen, hastiges Essen entsteht. 
Bei solchen plötzlich entstehenden Schmerzen gelingt es häufig, 
den Spasmus mittels der Sonde nacbzuweisen. Höher oben im 
Oesophagus treten die Spasmen subjectiv als Constrictions- 
gefühl und besonders als Globus in Erscheinung. Es liegt 
kein Grund vor, hievon als Globus hystericus zu sprechen, 
wie schon Binswanger betont hat. Weiter abwärts treffen 
wir den Ringmuskel des Py lorus ziemlich häufig im Krampf¬ 
zustande, dessen Rolle bei der Entstehung der Magenerwei¬ 
terung, insbesondere von chirurgischer Seite gewürdigt wird, 
nicht aber genügend die nervöse Entstehung desselben. Wenig¬ 
stens ist von uns zu verlangen, daß erst die Behandlung des 
functioneilen Allgemeinleidens versucht wird, bevor das Ein¬ 
zelsymptom angegriffen wird. 

Noch tiefer treffen wir auf die Ringmusculatur des 
Darmes. Hier ist der Mechanismus der spastischen Störung 
recht durchsichtig und Ihnen Allen wohl geläufig. Ich möchte 
nur darauf hinweisen, daß der Circulus vitiosus: Contraction, 
Kothstauung, Darmreizung bis zur gewaltsamen Ausstoßung 


(in Form der Colica mucosa), dadurch bedingte neue Con¬ 
traction — eine lange Dauer der Zustände hervorbringt. Ferner 
möchte ich betonen, daß auch in den schweren Fällen von 
Enterospasmus mit Verengerung des Dickdarms bis zur Blei¬ 
stiftdicke kein Gründ vorliegt, Hysterie anzunehmen und 
weiter im Hinblick auf die neueste chirurgische Literatur, 
daß diese Störungen im Allgemeinen keine Indication zur 
Operation geben dürfen. Daß sich solche Spasmen besonders 
häufig in der rechten Bauchseite einstellen, wo die erschwerte 
Fortschaffung der Kothsäule viel öfter den nothwendigen 
Darmreiz liefert, erscheint selbstverständlich. Ferner ist zu 
erwähnen die spastische Obstipation durch Krampfzustand des 
Sphincter ani int. und schließlich durch den Tenesmus des 
Sphincter externus, der schon auf geringe Reize eintreten kann. 

Daneben besteht natürlich häufig auch die A t o n i e der 
inneren Organe, die aber fast nur immer die glatte Längs- 
musculatur und den Bandapparat betrifft. Als das Resultat 
dieser Atonie sind die Ptosen aufzufassen, die ihrerseits 
wieder die Ursachen neuer Störungen werden können. Das 
Nebeneinanderbestehen von Spasmus und Atonie repräsentirt 
am deutlichsten der neurasthenische Magen in dem Complex 
von Ptose und motorischer Insuffizienz, die theils durch die 
Atonie, theils durch den Pyloruskrampf bedingt wird. 

Von Störungen im Genitaltractus erwähne ich be¬ 
sonders die Dysmenorrhoe als exquisites Beispiel des Zusam¬ 
menhanges von Neurasthenie und Dauercontraction. Die neuere 
Anschauung der Gynäkologen, daß die Dysmenorrhoe im 
Wesentlichen zustande komme durch einen krampfhaften Ver¬ 
schluß des Orificium internum, ist in neuester Zeit so gut wie 
experimentell erwiesen durch die Erfolge der Durchschneidung 
des Sphincter; nur muß man sich immer klar sein, daß es 
sich auch hier nur um die Beseitigung eines Symptomes han¬ 
delt, was ja auch von gynäkologischer Seite anerkannt wird. 
Es ist überhaupt freudig zu begrüßen, daß die Beziehung 
zwischen Genitalerkrankungen und Nervensystem gerade in 
letzter Zeit von Seite der Frauenärzte so aufgefaßt wird, 
daß das Gros der Unterleibsstörungen erst bei bestehender 
Neurasthenie der Frauen Beschwerden auslöst. 

Auch im Gebiete der Respiration vermissen wir 
nicht rein objective Störungen. Die Analogie mit der übrigen 
glatten Musculatur legt es uns nahe, eine Anzahl von Fällen 
des Asthma nervosum wirklich,der Neurasthenie zuzurechnen. 
Auf geringe Reize (Kälte, Staub, Erregung) tritt ein typischer 
Krampf der Bronchial-Musculatur auf, und wenn ich hier die 
Beobachtung anfüge, daß ich bei traumatischer Neurasthenie 
schwereren Grades, relativ häufig Asthma und bei langjährigem 
Bestehen auch Emphysem angetroffen habe, so ergibt sich 
der Zusammenhang dieser Erscheinungen ganz zwanglos. Eine 
andere Form des neurasthenischen Asthma ist das Zwerch¬ 
fellasthma, wie es besonders von Wernicke als Insufficienz 
der Phrenici beschrieben worden ist und im Wesentlichen als 
hysterische Lähmung derselben gedeutet wurde. Es könnte 
diese Form ebensowohl durch Krampf des Zwerchfells, als 
auch durch Uebermüdung desselben zustande kommen. 

Anzureihen wären hier noch die glatte Musculatur der 
P u p i ] 1 e n verengerer und -Erweiterer, die bei Neurastheni¬ 
schen bekanntlich relativ häufig Erweiterung oder einen leb¬ 
haften Wechsel der Weite veranlassen. 

Sehr verbreitet finden sich ferner Störungen der Drü¬ 
se n t h ä t i g k e i t, meist in Form der Steigerung, aber auch 
als Verminderung derselben. So findet auf geringe Reize 
(Zimmertemperatur über 16° R., geistige und körperliche Ar¬ 
beit) vermehrte Schweißproduction statt, am auffallendsten an 
Händen und Füßen ; am Kopf bedingt die bald übermäßige, 
bald verminderte Durchfeuchtung der Haut, zusammen mit 
den vasomotorischen Störungen die Erhöhung oder Vermin¬ 
derung des elektrischen Leitungswiderstandes, die besonders 
von V igouroux und Mann beschrieben worden sind. Ebenso 
sind die Talgdrüsen bald übermäßig , bald vermindert thätig 
(Seborrhoe oder Xerosis). 


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Im Verdauungscanal zeigt sich die Secretionsstö- 
rung deutlich am Speichel und am Magensaft; im Darm 
können wir sie nur vermuthen, wobei erwähnt sein mag, daß 
gerade diese Secretionsneurose des Darmes von Nothnagel 
u. A. als Ursache der Enteritis membranacea angesehen wird; 
es könnte ja wohl auch so sein, daß die Secretionsstörung 
den ersten Anreiz zur Dauercontraction abgibt, wodurch der 
Circulus vitiosus eingeleitet wird; wahrscheinlich aber beruht 
in der That auf Störung der Darmseeretion das klinische Bild 
der von Möbius beschriebenen Verdauungsschwäche. 

Sehr viel deutlicher betheiligt zeigen sich die Uroge¬ 
nitaldrüsen. Ihre Thätigkeit ist meist gesteigert, zumal 
im Beginn der Erkrankung. Auf geringe Reize (Radfahren, 
längeres Stehen, geringe sexuelle Erregung) tritt Abgang von 
Prostatasecret und Sperma ein, vorwiegend im Anschluß an 
die sonstige Entleerung (Miction und Defäcation). Gerade der 
letztere Umstand weist darauf hin, daß neben der Secretions- 
vermehrnng die gesteigerte Thätigkeit der glatten Ringmus- 
culatur mit wirkt; für eine Erschlaffung des Duct. ejaculatorius 
hingegen spricht nichts. 

Daß die Ohrspeicheldrüse an der secretorischen Störung 
theilnimmt, dürfte selten zu beobachten sein; mir ist ein 
solcher Fall sehr instructiv gewesen. Bei einer neurastheni- 
schen Dame tritt zu Zeiten besonders schlechten Befindens nach 
den ersten Kaubewegungen ein doppelseitiges sichtbares und 
fühlbares Anschwellen der Ohrspeicheldrüsen auf, das zu¬ 
nehmenden schmerzhaften Druck erzeugt; erst durch manuelle 
Massage kann das übermäßige Secret durch den Ausführungs¬ 
gang ausgepreßt werden. Genaue Untersuchung von chirurgi¬ 
scher und ohrenärztlicher Seite erweisen das Fehlen irgend¬ 
welcher anatomischen Störung. Also auf den physiologischen 
Reiz des Kauactes erfolgt vermehrte Secretion, gleichzeitig 
wahrscheinlich mit krampfhaftem Verschluß des STENON’schen 
Ganges. 

Bisher beschäftigten wir uns mit den rein objectiven 
Störungen auf vegetativem Gebiete. Als Anhang müssen aber 
einige Symptome im Gebiet der quergestreiften Muscu- 
latur aufgezählt werden, weil sie ebenfalls der Willkür ent¬ 
rückt sind, indeß natürlich nicht der sonstigen psychischen 
Beeinflussung. Dahin gehören die Sehnenreflexe, die meist ge¬ 
steigert erscheinen, insbesondere bei erregten Kranken, ferner 
die mechanische Erregbarkeit der motorischen Nerven (Facia- 
lisphänomen). Der feinschlägige schnelle Tremor der Neur¬ 
asthenie ist rein objectiv, also auch nicht simulirbar, im 
Gegensatz zu allen anderen Zitterarten, die sämmtlich, wie 
ich nebenbei bemerken will, durch keine Simulationsprobe als 
echt oder unecht nachgewiesen werden können. Ich verweise 
hiebei auf meine Ausführungen auf der Naturforscher-Ver- 
sammlung in Braunschweig von 1897. 

Rein objectiv sind natürlich auch die fasciculären 
Zuckungen. An der Grenze steht das RosENBACH’sche Phänomen 
des Lidflatterns bei Augenschluß, denn es kann objectiven 
Charakter nur bei seiner feinschlägigen Form beanspruchen. 
Auch an der Grenze steht die von Möbius beschriebene Con- 
vergenz-Schwäche und die leichte Ptosis, welche normaler 
Weise bei großer Müdigkeit, ebenso auch bei neurasthenischer 
Dauerermüdung zu beobachten ist. Beide Symptome sind durch 
starke Willensanspannung zu unterdrücken. 

Ich komme nunmehr zur zweiten Classe der objectiven 
Zeichen und nenne bedingt objectiv diejenigen Symptome, 
z. B. die Hyperalgesie, .bei denen das Resultat zusammenge¬ 
setzt ist aus dem experimentellen Factor und den Angaben 
des Untersuchten. Die zweifelhaften Bedingungen für die Ob- 
jectivität der gedachten Symptome liegen also in der Psyche 
des Untersuchten und lassen sich formuliren 1. als guter 
Wille desselben, 2. als Unkenntniß des zu erwartenden Re¬ 
sultates, 3. als genügendes Maß von Aufmerksamkeit. In der 
Mehrzahl der Fälle dürfte es gelingen, alle drei Bedingungen 
herzustellen. 


Bezüglich der Sensibilität scheint mir eine Prü¬ 
fungsart von hervorragend objectivem Werth, nämlich die auf 
Hyperalgesie. Wir wissen zwar, daß bei Neurasthenischen die 
Reizschwelle für Wahrnehmung von Tast-, Temperatur , elek¬ 
trischen Reizen nicht herabgesetzt ist gegenüber der Norm; 
es ist aber sicher, daß diese Herabsetzung besteht für schmerz¬ 
hafte Reize. Die exacte Prüfung nehme ich nämlich mittels 
faradischen Stromes so vor, daß die indifferente Anode auf den 
Vorderarm kommt, eine ERß’sche Normalelektrode als Kathode 
auf die Kuppe des Zeigefingers. 

Um mich möglichst kurz auszudrücken, bezeichne ich die 
Empfindung für den minimalsten, also eben noch wahr¬ 
nehmbaren faradischen Reiz als Minimalempfindung 
(min. E.), ferner das erste Auftreten von stechendem Schmerz 
bei faradischem Reiz mit Minimalschmerz (min. S.). Nun 
findet sich normalerweise durchweg folgendes Verhältniß: 
Tritt z. B. min. E. bei R. A. 120 Mm. auf, so tritt min. S. 
bei R. A. 95—100 Mm. auf (Differenz: 20—25 Mm.). 

Bei Neurasthenischen zeigt sich folgendes: Tritt z. B. 
min. E. bei R. A. 120 Mm. auf, so tritt min. S. bei R. A. 108 
bis 110 Mm. auf (Differenz: 10—12 Mm.). 

Die Unterschiede gegenüber der Norm sind also recht 
deutlich. 

Als besonderen Vortheil betrachte ich, daß die Prüfung 
rasch geschieht und nicht ermüdend wirkt. Nicht so bewei¬ 
send ist die Untersuchung auf Druckpunkte in den Nerven- 
stämmen. Selten deutlich zu beobachten ist die erhöhte me¬ 
chanische Erregbarkeit der sensiblen* Nerven, wovon am 
häufigsten der Radialisstamm Kunde gibt. Die Gesichtsfeld¬ 
untersuchung, sowohl den FöRSTER’schen Verschiebungstypus, 
als auch die campimetrische Messung nach Schmidt-Rimpler 
erwähne ich nur als wohl bekannte und gewürdigte bedingt 
objective Symptome. 

In der Motilität sind die bedingt objectiven Symptome 
zwar mehr in die Augen fallend , aber auch noch mehr von 
der Psyche abhängig. Immerhin ist es recht beachtenswerth, 
daß die feinere Coordination häufig gestört erscheint, z. B. 
beim Einfädehi, beim Halten eines gefüllten Glases, beim 
Nachziehen einer gekrümmten Linie. Das Schwanken bei 
Augenschluß ist meist etwas erheblicher als in der Norm; 
in schweren, besonders traumatischen Fällen haben Mann und 
ich ein Latenzstadium von 2—3 Secunden und plötzliches, 
stoßweises Hintenüberfallen beschrieben. Neben der Coordina- 
tionsstörung finden sich Zeichen der leichteren Ermüdbarkeit; 
so ergibt sich bei fortlaufenden Messungen mittels Dynamo¬ 
meters eine neurasthenische Curve (Ziehen). * Schrift und 
Sprache zeigen bei längerer Beanspruchung deutlich sicht- 
und hörbare Ermüdungssyptome. 

Auf rein psychischem Gebiete hat jüngst Weyüandt 
bei fortlaufender geistiger Arbeit nach den bekannten psycho¬ 
physischen Methoden gefunden, daß die Curve der Neur¬ 
asthenie der Arbeitscurve bei acuter Ermüdung gleicht, bisher 
das einzige bedingt-objective Symptom, das über den neur¬ 
asthenischen Zustand der Hirnrinde Aufschluß gibt. 

Zum Schluß dürften einige allgemeine Bemerkungen am 
Platze sein. Wie Sie sehen, habe ich gewisse Störungen von 
der Hysterie abgetrennt und der Neurasthenie zugewiesen 
(Globus, Darmspasmus, Genitalsymptome). In der That ist kein 
plausibler Grund, gerade diese Symptome als hysterisch auf¬ 
zufassen , wenn wir als hysterisch nur diejenigen verstehen, 
die absolut abhängig von der Vorstellung sind. Wir könnten 
sie auch definiren als diejenigen, die auch willkürlich pro- 
ducirt werden können. 

Für das Verständniß der Einzelformen der objectiven 
neurasthenischen Störungen dürfen wir unter Zugrundelegung 
der allgemeinen Ernährungsstörung getrost annehmen, daß es 
sich um Ersatzstörungen im Sinne Edinger’s handelt. Da, wo 
die Beanspruchung besonders intensiv ist, macht sich die Er¬ 
nährungsstörung am deutlichsten geltend. 


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Durch Häufung unserer Kenntnisse von den objectiven 
und bedingt objectiven Zeichen der Neurasthenie werden 
unsere Kranken hoffentlich immer seltener dem Odium der 
Simulation oder auch dem einer eingebildeten Krankheit aus¬ 
gesetzt. 


Die Wahl der Behandlungsmethoden bei 
Retroflexio uteri 

unter besonderer Berücksichtigung der subjectiven 
Beschwerden. 

Von Dr. Winternitz in Stuttgart-Tübingen.*) 

Bei der Frage, inwieweit die subjectiven Beschwerden 
und Klagen bei vorhandener Rückwärtsbeugung der Gebär¬ 
mutter mit dieser Lageveränderung in Zusammenhang zu 
bringen sind und welchen Einfluß dieselben auf die Wahl 
des ein zuschlagenden therapeutischen Verfahrens haben, sind 
bestimmte Gruppen zu unterscheiden. 

Zur ersten Gruppe zählen diejenigen Fälle, in denen es 
sich um ledige oder verheiratete Nulliparen handelt und bei 
denen man eine Retroflexio uteri mobilis ohne weitere Com- 
plicationen findet. Das Gewöhnliche ist, daß die Kranken 
dieser Gruppe schon von mehreren Aerzten untersucht und 
behandelt worden sind und daher meist mit der fertigen 
Diagnose zum Specialisten kommen: sie klagen über Kreuz- 
und Rückenschmerzen f welche in die Beine oder gegen die 
obere Körperhälfte ausstrahlen, außerdem hört man von einer 
großen Anzahl von Beschwerden aller Art, welche man nur als 
nervöse resp. hysterische bezeichnen kann. 

Solche Kranke sind deshalb, weil ihnen die falsche 
Lage ihrer Gebärmutter mitgetheilt wurde und weil sie schon 
eine Zeit lang behandelt worden sind, auf ihren Unterleib auf¬ 
merksam gemacht worden und halten sich daher für unterleibs¬ 
leidend. Bei der Untersuchung findet man einen kleinen retro- 
flectirten Uterus, den man unmöglich für alle diese Klagen 
und Beschwerden verantwortlich machen kann, zumal da 
jede Complication fehlt. Man wird daher in solchen Fällen 
ohne Rücksicht auf die anamnestischen Angaben sein thera¬ 
peutisches Verfahren einzuleiten haben. Früher hat man ge¬ 
glaubt, durch Einlegen eines Pessars oder durch einen opera¬ 
tiven Eingriff (Ventro-Vagino Fixation, Alexander-Adams) 
diese Kranken heilen zu können, aber die Erfahrung hat ge¬ 
lehrt, daß hiedurch kein Erfolg erzielt wird. Während einer¬ 
seits trotz normaler Lage des Uterus die alten Beschwerden 
noch vorhanden sind, ist andererseits bei manchen Kranken 
eine deutliche subjective Besserung zu constatiren, obgleich 
bei der localen Untersuchung der Uterus wieder in Retro- 
flexionsstellung gefunden wird. Es können daher die Klagen 
und Beschwerden nicht ihre Ursache in der bestehenden 
Lageveränderung haben. Es war also nur der psychische Ein¬ 
druck der Behandlung, welcher eine Besserung erzielte, die 
aber leider gewöhnlich nur kurze Zeit anhält. 

Es tritt demnach in der weitaus größten Zahl aller 
dieser Fälle die Neurasthenie resp. Hysterie für die Wahl 
der Behandlungsart in den Vordergrund. 

Das beste für solche Kranke wäre, wenn sie überhaupt 
nicht untersucht und damit auch nicht auf eine Lageanomalie, die 
ohne Bedeutung ist, aufmerksam gemacht worden wären. 

Eine locale gynäkologische Behandlung ist daher bei den 
Kranken dieser Gruppe nicht angezeigt; sie wirkt sogar 
schädlich und verschlimmernd auf den ganzen Zustand. Am 
zweckmäßigsten wäre es, wenn dieselben aus der Behandlung 
des Frauenarztes in die eines inneren Mediciners übergehen 
würden, um die Aufmerksamkeit von der belanglosen Unter- 


*) Vortrag, gehalten in der Abtheilung für Geburtshilfe und Gynäko¬ 
logie der 74. Versammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte 
zu Karlsbad. — Coll.-Ber. d. „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“. 


leibsaffection abzulenken. Auch die operative Behandlung, 
welcher Art sie auch sein möge, ist hier zu verwerfen. 

Bei der zweiten Gruppe handelt es sich um Kranke, 
welche geboren haben. Bei diesen findet man den Uterus 
retroflectirt und den Beckenboden gut erhalten, auch sind 
sonst keine nennenswerthen Complicationen nachweisbar. 
Prüfen wir hier die subjectiven Beschwerden im Verhältnisse 
zum localen Befund, so können wir uns, trotzdem die Retro¬ 
flexio uncomplicirt ist, des Eindruckes nicht erwehren, daß 
die Klagen über Kreuz- und Rückenschmerzen auf diese 
Lageanomalie zurückzuführen sind, besonders in den Fällen, 
in welchen es sich um eine Vergrößerung des Uterus handelt, 
denn die Beschwerden verschwinden, nachdem der Uterus 
in Anteflexionsstellung gebracht worden ist. Da die Beschwer¬ 
den auf die Retroflexio zurückgeführt werden müssen, so ist 
auch die Lageanomalie zu corrigiren. Für diese verhältniß- 
mäßig selteneren Fälle kommen außer der Pessar-Behandlung 
die verschiedenen Retroflexionsoperationen in Betracht. 

Weitaus die meisten Fälle von Retroflexio sind aber 
solche, bei denen es sich um Frauen handelt, welche mehrfach 
geboren haben und bei welchen infolge eines Dammrisses, oder 
infolge Erschlaffung des Beckenbodens ein Descensus, resp. 
eine Inversion der Scheidenwände entstanden ist. Nicht selten 
wurde bei diesen Kranken die erste Geburt mit der Zange 
beendigt und diese Art der Entbindung muß als Ursache der 
Lageveränderung von Uterus und Scheide angesehen werden. 

Von den Kranken dieser, der dritten Gruppe, hört man 
die bekannten Beschwerden und Klagen über Druck und 
Drang nach abwärts, sie haben keinen Halt mehr im Unter¬ 
leib, das Gefühl, als ob unten alles herausfallen wollte, auch 
wenn es sich nur um einen leichten Descensus der Scheide 
handelt. Fragen wir uns, inwieweit in diesen Fällen die 
Beschwerden auf die gleichzeitig vorhandene Rückwärtslage¬ 
rung des Uterus zurückzuführen sind, so lehrt der Erfolg der 
Behandlung, daß in den meisten dieser Fälle die Retroflexio 
als solche in den Hintergrund tritt und daß bei der Wahl 
der Behandlung nur der Descensus vaginae in Frage kommt. 
Legt man nämlich ohne weitere Berücksichtigung der Retro¬ 
flexio einen runden Celluloidring ein, so sind die Beschwerden 
gehoben. 

Untersucht man solche von ihren Beschwerden befreite 
Kranke, so findet man in vielen Fällen den Uterus retro¬ 
flectirt, ein Beweis, daß die Retroflexio nicht die Ursache 
der Beschwerden abgegeben hat. Ich bin infolge dessen davon 
abgekommen, in solchen Fällen ein HoDGE-Pessar einzulegen, 
weil mit den ScHULTZE’schen Celluloidringen bessere Resultate 
erzielt wurden. Bei der Behandlung tritt also der Descensus, 
resp. die Inversion der Scheide, in den Vordergrund, wobei 
natürlich auch ein operativer Eingriff 1 in Frage kommen kann. 

Die letzte Gruppe umfaßt diejenigen Fälle von Retro- 
flexionen, bei welchen Complicationen der verschiedensten Art, 
wie Endometritis, Pelveoperitonitis, Adnexerkrankungen, Fixa¬ 
tion des Uterus u. a. m. vorhanden sind. Bei der Verwerthung 
der verschiedenen Klagen und Beschwerden für die Art der 
Behandlung tritt die Lage Veränderung als solche in den 
Hintergrund, da die subjectiven Symptome wohl hauptsächlich 
auf die begleitenden Affeetionen zurückzuführen sind. Meistens 
dürfte es sich hier um eine operative Therapie handeln. 

Die Klagen und Beschwerden bei Retroflexio uteri 
müssen also mit Vorsicht beurtheilt werden. Es dürfen die¬ 
selben nicht ohne Weiteres für die Behandlung bestimmend 
sein, da in einer großen Anzahl von Fällen die subjectiven 
Symptome nicht auf die bestehende Lageveränderung zurück¬ 
zuführen sind. 


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1889 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 42. 


1890 


Heber Impfung gegen Malaria mit dem 
Kuhn’sclien Serum in Bosnien. 

Von Dr. Oskar Hovorka, Edl. v. Zderas, Spitalsleitor in 

Teslic, Bosnien. 

(Fortsetzung.) 

Auszug- aus den Krankengeschichten. 

1. Joachim S., 21 Jahre alt, Arbeiter, aus Bribir, Kroatien. 
Tropica. Erstling. Erkrankte am 18. August 1901 mit Kopfschmerzen, 
Gliederreißen, Mattigkeit. Am 2. und 4. Krankheitstage relatives 
Wohlbefinden, dann wiederholt sich das Unwohlsein täglich. Erst 
später gesellt sich Hitze und Schweiß hinzu. Spitalsaufnahme am 
25. August. Leichte Bronchitis, Milz etwas vergrößert. 

Blutbefund: Am 25. August 5 Uhr nachm, zahlreiche Leuko- 
cyten; 28. August x / 2 9 Uhr vorm, große Ringe, vereinzelnte Halb¬ 
monde; 29. August 8 Uhr vorm, nichts, 11 Uhr vorm, spärliche 
große Ringe, y a 3 Uhr nachm, dgl.; 30. August 4 Uhr vorm, 
spärliche große Ringe; 8 Uhr vorm. Halbmonde, '/ 2 3 Uhr nachm, 
große Tropicaringe, vereinzelt, '/ 3 8 Uhr abends dgl.; 31. August 
9 Uhr vorm, nichts; 2. September 9 Uhr vorm, nichts; 3. September 
9 Uhr vorm, große Tropicaringe, meist zerrissen. 

Injection von 3 Gern. Serum am 25. August um 5 Uhr nachm. 

Einige Stunden nach der Injection steigt die Temperatur 10 ) auf 
41*1, dann rascher Abfall; den nächsten Tag Schwäche und 
Schweißausbruch; abends 39% den nächsten Tag abends 39’6, 
den 3. Tag Wohlbefinden mit tiefem Temperaturabfall 35*1. Den 
ganzen 4. Tag Fieber, jedoch subjectives Befinden gut. Herpes 
labialis. Am 5. Tag gar kein Fieber, am 6. und 8. Tage noch 
geringe Temperaturerhöhungen, dann verläßt er auf eigenes Ver¬ 
langen das Spital und Bosnien. Im September gibt er aus Fiume 
die Nachricht, daß er vom Fieber bisher frei blieb. 

2. Josef B., 33 Jahre alt, Destillationsarbeiter, aus Saplonza, 
Ungarn. Tertiana anteponens. 

Altling. Er litt schon in Ungarn an Malaria. Mit Fieber und 
Schweiß am 20. August erkrankt, ins Spital am 24. August auf- 
genoramen. Die Anfälle wiederholen sich jeden 3. Tag und treffen 
stets um 2 Stunden früher ein. Milz nicht vergrößert, Herz, Lunge 
normal. 

Blutbefund: Am 23. August 11 Uhr vorm, nichts; 5 Uhr 
nachm, große polynucleäre Lymphzellen vermehrt, ein großer Ring; 
25. August zerrissene, große Parasiten, nicht zahlreich, freie Sphäre; 

29. August 8 Uhr vorm, vereinzelte kleine Ringe, 1 / 2 3 Uhr nachm, 
nichts, 1 / 2 7 Uhr nachm, einzelue größere, amöboide Parasiten; 

30. August */ 2 5 Uhr früh vereinzelte kleine Ringe, y.,8 Uhr 
nachm, nichts, 8 Uhr nachm, nichts; 31. August 9 Uhr vorm, 
nichts, 4 Uhr nachm, nichts, 9 Uhr nachm, nichts; 2. September 
9 Uhr vorm, nichts; 3. September 9 Uhr vorm, nichts. 

Injection von 2 Ccm. Serum am 24. August um 2 Uhr nachm, 
bei 39'9 bei Abnahme des Anfalles, Tags darauf Wohlbefinden. 
Die Anfälle kommen dreimal hintereinander typisch jeden 3. Tag, 
doch mit stets abnehmender Intensität. Der 4. Aufall ist wieder 
sehr stark (Max. 40'3). Vor dem fünften kommt ein leichter 
Zwischenanfall, den nächsten Tag wieder ein leichter Anfall. Am 

3. September wird er auf eigenen Wunsch entlassen, um in die 
Arbeit zu gehen. Ara 4. September verspürte er zur kritischen 
Zeit noch einen leichten Kopfschmerz. Bis Mitte Juni 1902 blieb B. 
von der Malaria verschont. 1! ) 

3. Alois V., 33 Jahre alt, Schlosser, aus Mürzzuschlag, Steier¬ 
mark. Tertiana. 

Altling. Litt bereits vor 2 Jahren in Bosnien an Wechscl- 
fieber. Am 20. August erkrankt, am 27. August ins Spital aufge¬ 
nommen. Keine Milzschwellung, leichte Bronchitis. Säufer. Sehr 
kräftiger Knochenbau. Conjunctivitis. 


l0 ) Aus technischen Gründen konnten die instructiven Temperatur¬ 
tabellen nicht reproducirt werden. — Red. 

“) Zur Erklärung der häufig in diesen Krankengeschichten wieder¬ 
kehrenden Angabe, daß der Pat. „bis Mitte Juni 1902“ etc., diene die Mit¬ 
theilung, daß Dr. Kuhn am 16- December 1901, Dr. v. Hovobka am 14. Juni 
1902 Teslic: verließ. 


Blutbefund: Ara 29. August 8 Uhr vorm, zahlreiche große 
Tertianaparasitcn, auch frei, vereinzelte kleine III-Ringe und kleine 
Parasiten; 11 Uhr vorm. Morulaformen, viele kleine Parasiten und 
kleine Ringe; 1 / a 3 Uhr nachm, kleine Ringe, kleine Parasiten, 
vereinzelte große Ringe, 8 Uhr nachm, wenig kleine Ringe, ein 
Gamet; 30. August 8 Uhr vorm, mittlere Ringe, Gameten, kleine 
Parasiten, 8 Uhr vorm, vereinzelte große III-Ringe, einzelue große 
Parasiten, einige sehr faserig, wie zerfranst, zahlreiche amöboide 
Formen, x / 2 3 Uhr nachm, große Ringe und Parasiten, y a 8 Uhr 
abends einzelne zerfrauste große Parasiten; 31. August 9 Uhr 
vorm, wenige große Parasiten; 1. September 7 Uhr nachm, einzelne 
große Ringe; 2. September 9 Uhr vorm, nichts; 3. Scptomber 
x / 2 5 Uhr nachm, sehr vereinzelte große Ill-Parasiten; 3. September 
V 2 9 Uhr nachm, nichts; 7. September 11 Uhr vorm, nichts. 

Injection am 27. August um 4 Uhr nachm, mit 2 Ccm. Serum. 

Nach der Impfung kommen die Anfälle zweimal zur typischen 
Zeit jeden 3. Tag, jedoch stets mit abnehmender Intensität; der 
3. Anfall ist noch schwächer, er fällt jedoch in den nächsten, sonst 
fieberfreien Tag, ebenso der vierte. Die Anfälle schieben sich demnach 
zeitlich ineinander. Herpes. Nachher subjectives Wohlbefinden und 
V. wird am 4. September entlassen. Im September (7., 21.) und 
October (2.) kameu einige Nachschübe, doch konnte V. trotzdem 
in der Arbeit bleiben. Im März 1902 kommt ein ziemlich starker 
Rückfall, welchen V. mit Chinin bekämpft. Im August 1902 wieder¬ 
holt sich derselbe auf 7 Tage (nach einer brieflichen Mittheilung) 
und wird mit Chinin behandelt. 

4. Anton T., GO Jahre alt, Waldarbeiter aus Udine, Italien. 
Tertiana dupl. anteponens. 

Erstling. Die Fieberanfälle kommen täglich seit dem 17. August. 
Spitalsaufnahme am 26. August. Leichte Milzvergrößerung, Rigidität 
der Radialis und Schläfenarterien, Bronchitis. 

Blutbefund: Am 29. August y.>3 Uhr nachm, einzelne kleine 
III-Ringe, y 2 0 Uhr nachm, dgl.; 30. August 8 Uhr vorm, nichts, 
V 2 3 Uhr nachm, amöbenartige IH-Parasiten; 31. August nichts. 

Injection am 27. August mit 1 Ccm. und am 29. August mit 
2 Ccm. Serum. 

Nach der ersten Impfung kommen noch 5 Anfälle, deren 
Heftigkeit im steten Abnebmen begriffen ist. Am 2. September ver¬ 
läßt T. das Spital, um nach Italien abzureisen. Nach einer brieflichen 
Nachricht soll er bis zum Frühjahr 1902 gesund geblieben sein. 

5. Luka N., 16 Jahre alt, Arbeiter aus Bobari, Bosnien. Tropica. 

Altling. Litt bereits 5ma\ an Wechselfieber, das letztcmal vor 

einem Jahre. Er erkrankte am 29. August mit heftigem Kältegefühl, 
Mattigkeit, dann Hitze. Spitalsaufnahme am 30. August. Milztumor. 

Blutbefund : Am 30. August 1 / 2 3 Uhr nachm.-ein vereinzelter 
Tropicaring, 1 / 2 7 Uhr nachm, kleiner Ring; 31. August 9 Uhr vorm, 
spärliche mittlere Ringe; 8. September 9 Uhr vorm, nichts; 16. Sep¬ 
tember 7 Uhr vorm, spärliche Halbmonde. 

Injection mit 2 Ccm. Serum am 30. August um 4 Uhr nachm. 

Nach der Impfung nimmt die Milzgeschwulst etwas zu, die 
Anfälle, von welchen 11 im Spital beobachtet wurden, wiederholen 
sich zwar täglich, doch mit stets abnehmender Heftigkeit, besonders 
die letzten. Zum Schlüsse ist er im Spitale nicht mehr zu halten 
und verläßt dasselbe auf eigenes Drängen am 18. September trotz 
Milzgeschwulst. Anfangs October leichter Rückfall, seither bis Mitte 
Juni fieberfrei. Im Januar 1902 war die Milzgeschwulst noch zu 
tasten, Ende Februar kam er wegen Schmerzen in den Beinen in 
die Ambulanz. 

6. Petar G., 24 Jahre alt, Arbeiter, aus Buletic bei Teslic. Tropica. 

Erstling. War bis 28. August angeblich stets gesund; an 

diesem Tage erkrankte er mit Schüttelfrost, Kopfschmerzen, Hitze, 
Schweiß. Spitalsaufnahme am 30. August. Er liegt theiluahmslos 
im Bette und ist sehr blaß. Die Haut wachsbleich verfärbt. Kein 
Eiweiß im Urin. Nach der Angabe des später erschienenen Vaters soll 
er bereits vor 5 Jahren eine ähnliche Krankheit durchgemacht haben. 

Blutbefund: Am 30. August y a 3 Uhr nachm, kleine und 
mittlere Ringe, Halbmonde; 31. August 9 Uhr vorm, spärliche große 
Tropicaringe: 2. September 9 Uhr vorm, nichts; 4. September 
V 2 9 Uhr vorm, spärliche große Tropicaringe; 8. September 9 Uhr 
vorm, nichts. 

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1891 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 42. 


1892 


Injection am 30. August um 3 Uhr nachm, mit 3 Ccm. Serum. 

Nach der Impfung kommen noch vier sehr starke Anfälle 
mit einer Temperatur über 40°, doch mit relativ wenig subjectiven 
Beschwerden. Die übrigen 7 im Spitale noch beobachteten Anfälle 
nehmen an Intensität stets ab; der letzte Anfall beträgt noch 
SS^ 0 C. Bei der Entlassung am 15. September ist die Blässe im 
Gesicht noch sehr bedeutend. Fleischl’s Hämometer 43 , kein 
Eiweiß im Urin. Pat., welcher in einem 6 Stunden entfernten Dorfe 
wohnt, erscheint am 2t). September zur Visite und berichtet, daß 
er bisher vom Fieber frei blieb, doch leidet er an bedeutender 
Schwäche. Später kann er nicht mehr selbst erscheinen, da sich 
sein Befinden wieder verschlimmert. Anfangs Januar 1902 berichtet 
sein Vater, daß er am 1. Januar unter allgemeiner Schwäche, hoch¬ 
gradiger Blässe, heftigem Husten, Abführen und braunem Auswurf 
gestorben sei. In der letzten Zeit soll er auch starken Haarausfall 
am Kopfe erlitten haben. 

7. Maria B., 10 Jahre alt, Schulmädchen, aus Ludsko, Ru߬ 
land. Tropica. 

Altling. Sie kam mit dem 4. Lebensjahre nach Bosnien und 
litt wiederholt an Malaria. Chinin schaffte ihr eine stets nur vorüber¬ 
gehende Linderung. Sie erkrankte am 19. August mit Kälte, dann 
Hitze und Schweißausbruch. Aufnahme ins Spital am 30. August, 
an welchem Tage sie mit 2 Ccm. Serum geimpft wird. 

Blutbefund: Am 30. August 10 Uhr vorm, spärliche große 
Tropicaringe, vereinzelnte Halbmonde, y,3 Uhr nachm, spärliche 
große Tropicaringe; G. September 11 Uhr vorm, nichts. 

Am Tage der Impfung Fieberanfall 38’7, welcher sich am 
nächsten Tage wiederholt. Herpes. Am 1. September abermals 
ein leichter Anfall, nach welchem Pat. heimlich aus dem Spital 
entflieht, wo sie absolut nicht mehr zu halten ist. Seitdem blieb 
sie bis Mitte Juni 1902 von Malaria vollkommen frei. Im October 
1901 machte sie einen leichten Typhus durch, welcher 3 Wochen 
andauerte. 

8. Jovo R., 17 Jahre alt, Schmiedlehrling aus Bosn.-Gradiska, 
Bosn. Tropica. 

Altling. Litt vor 2 Jahren in Teslic mehrmals an Malaria 
und nahm Chinin wiederholt ohne Erfolg. Er erkrankte am 30. August 
um 2 Uhr nachm, mit einem starken Anfall, welcher 3 Stunden 
andauerte und sich von nun an täglich wiederholte. Er wird während 
der Untersuchung von einem Anfalle befallen und erbricht heftig. 
Da er die Spitalsaufnahme beharrlich verweigert, wird er als erster 
ambulatorisch mit 2 Ccm. Serum geimpft. Milzvergrößerung percus- 
sorisch nachweisbar. 

Blutbefund: Am 2. September spärliche Tropicaringe; 3. Sep¬ 
tember große Tropicaringe; 3. September 10 Uhr vorm, spärliche 
Tropicaringe; 7. September 9 Uhr vorm, nichts. 

Da Pat, nicht im Spitale liegt und bald wieder die Fabriks¬ 
arbeit aufnimmt, sind genaue Körpermessungen undurchführbar. 
Nach seiner Angabe soll er noch mehrere Anfälle gehabt haben, 
die jedoch immer schwächer wurden und bei denen die Kälte fehlte. 
Bis Mitte Juni 1902 kein Rückfall. 

9. Petar G., 3G Jahre alt, Arbeiter aus Loncari, bei Teslic, 
Tropica. 

Altling. Er wurde schon mehrmals von der Malaria heim¬ 
gesucht, welche oft mehrere Monate andauerte und schließlich 
ohne Chinin heilte. Das letztemal erkrankte er vor 5 Jahren an 
Wechselfieber. Das jetzige stellte sich am 30. August ein, und 
zwar jeden 3. Tag mit Kälte, Hitze und Schweiß. Spitalsaufnahme 
am 3. September, woselbst er am selben Tage 5 Uhr nachm, mit 
4 Ccm. Serum geimpft wird. 

Blutbefund: Am 3. September 1 f 2 6 Uhr vorm, spärliche mittlere 
und große Tropicaringe, 1 / 2 7 Uhr nachm, große Tropicaringe ; 4. Sep¬ 
tember j / 2 9 Uhr nichts; 5. September y 2 6 Uhr nachm, nichts; 

10. September 10 Uhr vorm, nichts. 

Deutliche Milzgeschwulst, Bronchitis, Insufficienz der Mitral¬ 
klappe. Am 5. September stellt sich ein ganz leichter Anfall ein, 
welcher kaum bemerkt wird. Nachher ganz normale Temperaturen, 
Pat. wird am G. September als gesund entlassen. Seitdem bis Mitte 
Juni kein Rückfall. (Fortsetzung folgt.) 


Aus der Chirurg . Abtheilung des bosn.-hereeg. 

Landesspitales zu Sarajevo. 

Ueber Steinoperationen. 

Von Primararzt Dr. Josef Preindlsberger. 

(Fortsetzung.) 

2 8. Fall. Omer P., 2 l / 2 Jahre, muh., Sarajevo. Seit 2 Tagen 
Harnverhaltung. Urethralstein. Extraction mit dem Urethrallöffel 
ohne Blutung aus der Pars glandularis. Heilungsdauer 2 Tage. 
015 Grm. schwerer Uratstein. 

2 9. Fall. Kuzman St., 3 Jahre, or.-orth., Zenica. 6 Monate 
krank. Operation am 4. August 1902. Lithotripsie (ohne Narkose 
wegen starker Bronchitis und Marasmus). Einmaliges Eingehen mit 
dem Lithotriptor. Wegen großer Schmerzhaftigkeit Einleitung der 
Narkose. Beim Versuch der Entfernung des Lithotriptors klemmt 
sich derselbe in der Pars pendula urethrae ein und konnte der¬ 
selbe erst nach Urethrotomia externa entfernt werden. Hierauf Sectio 
alta. Peritonealfalte kam zur Ansicht. Dauer der Operation : 30 Minu¬ 
ten. CompleteSeiden-Suspensionsnaht (Cystitis). Am 5. August wegen 
Urininfiltration des Scrotums 2 Incisioneu; Puls sehr frequent, 
schwach ; starkes Husten, Unruhe. Am 6. August unter zunehmen¬ 
der Schwäche und Apathie Exitus letalis. Gewicht 2 1 / 2 Grm. Urate, 
Magnesiumammon- und Calciumphosphat. Obductiousdiagnose: Li- 
thiasis; Laceratio circumscripta arteficialis partis pendulae urethrae 
post lithotripsiam sequente infiltratione urinosa et phlegmone diffusa 
textus cellulosi totius scroti. Urethrotomia externa suturae, partim 
lacertae urethrae, sectio alta et incisiones scroti 1. a. factae. Cystitis 
et pyelitis catarrhalis chronica. Bronchitis diffusa, Catarrhus intesti- 
norum chronicus. Anaemia universalis. Glandula thymus persistens. 

30. Fall. Simo W., 18 Jahre, or.-orth., Imotski (Dalmatien). 
6 Jahre krank. Operation am 29. Juli 1902. Lithotripsie. Drei¬ 
maliges Eingehen mit dem Lithotriptor. Zertrümmerung. Dreimalige 
Evacuation. Fieberloser Verlauf. Am 6. Tage aufgestanden. Am 

11. August geheilt entlassen. Heilungsdauer 12 Tage. Gewicht 14 Grm. 
Urate, Calciumoxalat, Calciumphosphat und Magnesiumammonphosphat. 

3 1. Fall. Atif J., 9 Jahre, muh., Tesanj. 3—4 Jahre krank. 
Operation am 8. Februar 1901. Sectio alta nach versuchter Litho¬ 
tripsie. Peritonealfalte kam nicht zur Ansicht. Complete 2reihige 
Seidennaht (Cystitis). Heilungsdauer 25 Tage. Verweilkatheter. 
Gewicht 19 - 5 Grm. Kern: Urate. Rinde: Calcium- und Magnesium¬ 
ammonphosphat, Calciumoxalat. 

3 2. Fall. Sulejman Sp., 18 Jahre, muh., Visoko. 5 Jahre 
krank. Operation am 25. März 1901. Sectio alta. Spontane Zertrüm¬ 
merung des Steines. Complete, 2reihige Seidennaht (Cystitis). Hei¬ 
lung per primam. lleiluugsdauer 9 Tage. Verweilkatheter durch 
6 Tage. Gewicht 51 Grm. Kern: Urate. Mittelschichte: Phosphate. 
Rinde: Magnesiumammonphosphat und Calciumcarbonat. 

3 3. Fall. Uija M., 4 Jahre, r.-kath. , Borovac (Metkovic). 
4 Wochen krank. Operation am 28. März 1901. Extractio calculi 
urethralis aus der Pars glandis. Heilungsdauer 3 Tage. Gewicht: 
0-03 Grm. 

3 4. Fall. Meho K., 22 Jahre, muh., Muslerain (Fojnica). 
3 Jahre krank. Operation am 27. März 1901. Extractio calculi ure¬ 
thralis. Sitz entsprechehd dem Frenulum. Heilungsdauer 3 Tage. 
Gewicht 1*1 Grm. Haselnußgroß. Kern: Urate. Rinde: Magnesium¬ 
ammonphosphat, Calciumphosphat. 

3 5. Fall. Anto D., 3 Jahre, r.-kath., Visoko. I 1 /., Jahre 
krank. Operation am 28. März 1901. Sectio alta. Peritonealfalte kam 
nicht zur Ansicht. Blasenwand hypertrophisch. Complete, 2reihige 
Seidennaht (Cystitis). Verheilung per primam. Heilungsdauer 8 Tage. 
Verweilkatheter. Gewicht: 4 Grm. Kern: Urate. Rinde: Magnesium¬ 
ammonphosphat, Calciumoxalat und Calciumphosphat. 

3 6. Fall. Marko A., 35 Jahre, or.-orth., Dragoraj (Kljuc). 
15 Jahre krank. Operation am 6. April 1901. Lithotripsie. 2maliges 
Eingehen mit dem Lithotriptor. Controle mit dem Endoskop. 
10. April Harn klar, beim Uriniren keine Schmerzen. Heilungs¬ 
dauer 5 Tage. Gewicht 3 Grm. Urate und Calciumoxalate. 

3 7. Fall. Kata T., 11 Jahre, r.-kath., Stranjani (Zenica). 
Operation am 21. April 1901. Lithotripsie. Stein im Blasenhals fixirt; 


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1893 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 42. 


1894 


zurückgeschoben, 2maliges Eingehen mit dem Lithotriptor; Evacuation. 
26. April Urin klar, keine Incontinenz. Heilungsdauer 3 Tage. 
Urate, Calciumcarbonat, Calciumphosphat und Calciuraoxalat. 

3 8. Fall. Spiro B., 30 Jahre, or.-orth., Ravno (Bugojno). 
10 Jahre krank. Operation am 28. Mai 1901. Scrotalsteint; (siehe 
ausführliche Krankengeschichte im Text). Heilungsdauer 15 Tage. 
Gewicht 12‘35 Grm. Kern: Urate, Magnesiumammonphosphat. 
Rinde : Magnesiumammonphosphat, Urate, Calciumcarbonat. 

3 9. Fall. Muharem M., 2 Jahre, muh., Jamanlioi (Bugojno). 
6 Monate krank. Operation am 30. Mai 1901. Sectio alta. Peritoneal¬ 
falte kam zur Ansicht. Complete, 2reihige Seidennaht. Heilung 
per primam. Heilungsdauer 14 Tage. Verweilkatheter. Gewicht 
1 Grm. Urate. 

4 0. Fall. Ivan D., 4 Jahre, r.-kath., Zvirnjaua (Bugojno). 
0 Monate krank. Gewicht 0’3 Grm. Urate. Am 17. Juli ging der 
Stein von selbst ab. Patient wurde wegen Pneumonie auf die in¬ 
terne Abtheilung transferirt. 

4 1. Fall. Anica D., 42 Jahre, r.-kath., Ustrama (Prozor). 
6 Jahre krank. Operation am 17. Juni 1901. Lithotripsie. Mit dem 
Lithotriptor Stein schwer zu umfassen, deshalb Zertrümmerung mit 
großer Kornzange, der Rest mit dem Ramasseur zerkleinert. Eva¬ 
cuation. 26. Juni Harn klar, keine Concremente. Heilungsdauer 
9 Tage. Urate, sehr wenig Magnesiumammonphosphat. 

4 2. Fall. Mijo B., 5 Jahre, r.-kath., Livno. 2 Jahre krank. 
Operation am 22. Juli 1901. Sectio alta. Peritonealfalte kam nicht 
zur Ansicht. Complete Seidennaht. 2 Suspensionsnähte (Cystitls). 
Heilungsdauer 9 Tage. Heilung per primam. Verweilkatheter durch 
4 Tage. Gewicht der 2 Steine 5 Grm. Kern: Urate. Kinde: Urate 
und wenig Calciumoxalat. 

4 3. Fall. H. Jakob L., 9 Jahre, span., Kladanj. Operation 
am 17. August 1901. Sectio alta. Die Peritoneal falte sichtbar, 
Blasenrand hypertrophisch. Complete Seidennaht. 2 Suspensions¬ 
nähte (Cystitis). 24. August Wunde per primam verklebt. 25. August 
Wunde im unteren Antheil offen und fließt Harn heraus. 6. Sep¬ 
tember Wunde reactionslos. Beginnende Pneumonie. 25. bis 26. Sep¬ 
tember Urticaria. 5. October Verband trocken, Fistel verheilt. Ver- 
weilkatheter durch 40 Tage mit geringen Unterbrechungen. Ge¬ 
wicht 10 Grm. Kern: Urate. Mittlere Partie: Urate, Calcium¬ 
oxalat , Calciumcarbonat, Calciumphosphat. Rinde: Calciumoxalat, 
etwas Calciumcarbonat und Magnesiumammonphosphat. 

4 4. Fall, Cvijeta C., 20 Jahre, or.-orth., Blatnica (Tesanj). 
3 Monate krank. Operation am 20. September 1901. Lithotripsie. 
Zertrümmerung mit dem Lithotriptor, Zerkleinerung mit dem Ra¬ 
masseur. Extraction der Stücke mit der Kornzange. Evacuation. 
Heilungsdauer 5 Tage. Magnesiumammonphosphat, etwas Urate 
und Calciumcarbonat. 

4 5. Fall. Jovo P., 10 Jahre, or.-orth., Livno. Seit der 
frühesten Kindheit krank. Operation am 7. September 1901. Litho¬ 
tripsie deinde Sectio alta. Zertrümmerung des Steines mit dem 
Lithotriptor. Evacuation nicht möglich wegen schwerer Asphyxie. 
Zur Beschleunigung Sectio alta. Peritonealfalte deutlich sichtbar. Ver¬ 
kleinerung der Blasenwunde durch 4 Seidennähte. Fixation der 
Blase an die Bauchwundränder durch 4 Seidennähte. 9. September 
Ilarnblutung. Einführung eines Knierohres. Erbrechen. Singultus. 
14. September Wunde mißfärbig, stinkend. 15. September Col- 
laps, Exitus letalis. Knierohr. Gewicht 6 x / 2 Grm. Magnesiura- 
ammonphosphat und Calciumphosphat, Calciumoxalat und Calcium¬ 
carbonat, wenig Urate. Obductionsdiagnose: Sectio alta propter 
lithia8ira ante decem dies facta, non sanata, sequente infiltratione 
urinosa et destructione gangraenosa totius textus cellulosi prae- 
vesicalis atque infraabdorainalis sequente peritonitide purulenta recente 
diffusa. Cystopyelitis chronica praecipue dextra. Catarrhus intesti- 
norum chronicus levioris gradus Ascarides. 

4 6. Fall. Muho K., 7 Jahre, muh., Nevesinje. 1 Jahr krank. 
Operation am 7. October 1901. Sectio alta. Peritonealfalte kam 
nicht zur Ansicht. Complete Seidennaht. 1 Suspensionsnaht (Cystitis). 
Wunde per primam verheilt. Ileilungsdauer 7 Tage. Verweilkatheter 
durch 7 Tage. Gewicht 3 Grm. Kern : Urate, Calciumoxalat. Rinde : 
Magnesiumammonphosphat. 


4 7. Fall. Ilija E. M., 23 Jahre, r.-kath., Prolog (Ljubuski). 
Seit frühester Jugend krank. Operation am 10. October 1901. 
Lithotripsie. Zertrümmerung mit dem Lithotriptor. 3malige Eva¬ 
cuation. Controle mittelst Endoskopie. Zerkleinerung der Reste mit 
Ramasseur. Asphyxie (Cystitis). Heilungsdauer 24 Tage. Gewicht 
8 J / 2 Grm. Magnesiumammonphosphat, Calciumcarbonat, Calcium¬ 
phosphat, Urate. 

4 8. Fall. Ragib II., 2 Jahre, rauh., Sarajevo. 2 Tage krank. 
Operation am 1. December 1901. Extractio calculi urethralis aus 
der Glans. Heilungsdauer 1 Tag. Maiskorngroßer Urat. 

4 9. Fall. Salko K., 2 x / 2 Jahre, muh., Slatina (Prozor). 
6 Monate krank. Operation am 9. August 1902. Sectio alta. Com¬ 
plete Seidensuspensionsnaht (Cystitis). Befindet sich noch auf der 
Abtheilung. Wunde bis auf eine oberflächlich granulirende Stelle 
verheilt. Gewicht 1 l x / 2 Grm. Urate, Calcium- und Maguesiumphos- 
pliat, Calciumcarbonat. 

50. Fall. Stevan V., 12 Jahre, or.-orth., Brie (Tesanj). 
5 Jahre krank. Operation am 9. Februar 1901. Sectio alta nach 
versuchter Lithotripsie. Der mit dem Lithotriptor gefaßte Stein konnte 
nicht zerbrochen werden. Complete 2reihige Seidensuspensionsnaht 
(Cystitis). 13. Februar Nähte und Katheter entfernt. Wunde reac¬ 
tionslos. 17. Februar mittlere Wundpartien etwas auseinander ge¬ 
wichen. 2. März Wunde verheilt. Heilungsdauer 23 Tage. Verweilka¬ 
theter. Gewicht l x / 2 Grm., Rinde: Urate und Calciumoxalat, etwas 
Magnesiumammon- und Calciumphosphat. 

51. Fall. Muharem B., 4 Jahre, muh., Pobrezje (Konjice). 
3 Monate krank. Operation am 3. August 1901. Sectio alta. Litho¬ 
tripsie wegen Enge des Orific. exter. nicht ausführbar. Peritoneal¬ 
falte kam zur Ansicht. Dauer der Operation 13 Minuten. Complete 
Seidennaht. Heilung per primam. Heilungsdauer 6 Tage. Verweil¬ 
katheter durch 6 Tage. Gewicht 1 Grm., Kern: Urate, Rinde: 
Urate; Calciuraoxalat, wenig Phosphat. 

52. Fall. Alija C., 16 Jahre, muh., Grivici(Sarajevo). 12 Jahre 
krank. Operation am 21. September 1901. Sectio alta. Lithotripsie 
geplant, konnte wegen Enge der Urethra nicht ausgeführt werden 
(Charriere Nr. 18 kaum passirbar). Complete Seidensuspensionsnaht 
(Cystitis). Prävesicale Eiterung bei Sufficienz der Blasennaht. 
26. October Wunde per secundam verheilt. Im Decursus Pneumonie. 
Heilungsdauer 35 Tage. Verweilkatheter durch 7 Tage. Gewicht 
15 Grm., Kern: Urate, Rinde: Urate, Calciumphosphat und Calcium¬ 
carbonat. 

53. Fall. Gosto G., 6 Jahre, or.-orth., Ugodnovici (Tesanj). 
3 Monate krank. Operation am 5. October 1901. Sectio alta. Pe¬ 
ritoneum wurde nicht verletzt. Dauer der Operation 20 Minuten. 
Complete Seidensuspensionsnaht (mäßige Cystitis). 8. October Ent¬ 
fernung des Katheters; Wunde per primam verklebt. Heilungsver¬ 
lauf durch eine heftige Enteritis verzögert. Heilungsdauer 21 Tage. 
Verweilkatheter durch 4 Tage. Gewicht 7 x / 2 Grm., Kern: Urate, 
Rinde: Urate und Calciumoxalat. 

54. Fall. Ilija M., 9 Jahre, r.-kath., Busjak (Konjica). 
2 Jahre krank. Operation am 26. October 1901. Sectio alta. Peritoneal¬ 
falte kam deutlich zur Ansicht. Dauer der Operation 10 Minuten. 
Complete Seidensuspensionsnaht (Cystitis). 31. October Entfernung 
des Katheters; Wunde per primam verklebt. 16. November der 
untere Wundwinkel ausgranulirt. Heilungsdauer 21 Tage. Ver¬ 
weilkatheter durch 5 Tage. Gewicht 6 Grm., Urate, Magnesium¬ 
ammonphosphat, Calciumoxalat, Calciumphosphat und Calciumcarbonat. 

55. Fall. Petar K., 5 Jahre, r.-kath., Desne (Metkovic). 
2 Jahre krank. Operation am 26. November 1901. Sectio alta. 
Dauer der Operation 15 Minuten. Complete Seideususpensionsnaht. 
Heilung per primam. Heilungsdauer 17 Tage. Gewicht 3 Grm., 
Kern: Urate, Rinde: Phosphorsaurer Kalk, Ammonmagnesia, oxalf. 
Kalk, Urate. 

56. Fall. Tomo B., 2 Jahre, or.-orth., Donji Butmir (Sara¬ 

jevo). 1 Woche krank. Operation am 10. December 1901. Sectio 
alta. Dauer der Operation 7 Minuten. Complete Seidensuspensions¬ 
naht. Heilung per primam. Heilungsdauer 20 Tage. Verweilka¬ 
theter. Gewicht 0’2 Grm., Kern: Urate, Rinde: Magnosiumammon- 
und Calciumphosphat. (Fortsetzung folgt.) 


2 * 


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1895 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 42. 


1896 


Referate. 

Franke (Braunschweig): Ueber operative Behandlung der 
chronischen Obstipation. 

Die Indication zur operativen Behandlung der chronischen 
Obstipation zu stellen, dürfte schwer fallen. Wenn man aber sieht, 
wie viel manche Patienten unter dieser Krankheit zu leiden haben, 
indem Anämie, Abmagerung, Schwäche, dann Störungen des Nerven¬ 
systems, insbesondere schwere Neurasthenie, Melancholie, geistige 
Störungen sich einstellen, wird man dem Verf. Recht geben müssen, 
daß in diesen schweren Fällen die Operation in Erwägung zu 
ziehen ist, wenn die anderweitige Behandlung versagt. 

Die Ursache der chronischen Obstipation liegt darin, daß ent¬ 
weder die Darmmusculatur mit der Zeit so schwach und atrophisch 
geworden ist, daß sie den Inhalt nicht fortbewegen bann, oder 
daß der nervöse Apparat so abgestumpft ist, daß die normalen 
Reize keine Wirkung mehr ausüben, oder endlich darin, daß die 
Eindickung des Speisebreies im Dickdarm eine so große wird, daß 
die Trockenheit der Kothballen ihre Fortbewegung erschwert. 
Gegen diese letztere Ursache anzukämpfen, war der Zweck des 
Verf., als er der 44jähr. Pat., die unter der langandauernden Obsti¬ 
pation viel zu leiden hatte, die Operation vorschlug. Die Operation 
bestand in der Bildung einer Anastomose zwischen Ileum und der 
Flexura sigmoidea; Heilung per primam. Bald nach der Operation 
hatte Pat. regelmäßige spontane Stuhlentleerungen; da aber der 
Zustand einige Zeit später sich wieder verschlimmerte und Verf. 
Knickung des Darmes durch Verwachsungen an der Stelle der 
Anastomose annahm, beschloß er eine Ausschaltung des Darmes 
vorzunehmen und führte diese Operation 4 Monate nach der ersten 
aus. Das unterste Ileum wurde in die Flexura sigmoidea eingepflanzt. 
Sofort nach der Operation hatte Pat. massenhafte breiige Stuhl¬ 
entleerungon und der Stuhlgang erfolgte auch später spontan 2- bis 
4mal täglich. Pat. erholte sich bald und hat an Körpergewicht zu¬ 
genommen. 

Außer der Ausschaltung empfiehlt Verf. („Langenbeck’s 
Archiv“, Bd. 67 , II. 4) für manche Fälle von chronischer Obsti¬ 
pation die Anlegung eines temporären Kunstafters, um auf diese 
Weise den erschlafften Druckdarm ganz auszuschalten und ihm 
Gelegenheit zur Kräftigung zu geben. Weiters könnte man in ge¬ 
eigneten Fällen die Anastomose zwischen den beiden Endpunkten 
der Flexura sigmoidea oder die Resection derselben ausführen. 

Erdheim. 


H. Brüning (Leipzig): Tuberculose der weiblichen Ge¬ 
schlechtsorgane im Kindesalter. 

Im Anschlüsse an eine eigene Beobachtung, welche ein vier¬ 
jähriges Mädchen mit allgemeiner Drüsentuberculose und perfora- 
tiver tuberculöser Peritonitis betraf, sowie auf Grund von weiteren 
415 Fällen anderer Autoren versucht B. („Monatsschr. f. Geburtsh. 
und Gynäk.“, August 1902) eine monographische Darstellung der 
weiblichen Genitaltuberculose im Kindesalter. 

Das Alter der Kinder schwankte zwischen 7 Monaten und 
15 Jahren, wobei die größte Zahl der Fälle auf die ersten 5 Lebens¬ 
jahre entfällt. Die Entstehungs- und Verbreitungsweise ist die gleiche 
wie bei den Erwachsenen. Am häufigsten handelt es sich um 
secundäre Tuberculose (hier in 75%), seltener um primäre (25%). 
Die descendirende Form entspricht hiebei im allgemeinen der 
secundären, die ascendirende der primären Erkrankung. An den 
äußeren Genitalien saß die Tuberculose in 2 Fällen; 3mal handelte 
es sich um Tuberculose der äußeren und inneren Genitalien; in 
37 Fällen beschränkten sich die tuberculösen Processe auf die 
inneren Abschnitte des Genitalschlauches. Am häufigsten waren er¬ 
griffen die Tuben, dann Uterus, Ovarien, Vagina, Labien, Clitoris 
und Vulva. Dabei tritt als Charakteristicum der Tuberculose im 
Kindesaltcr eine außerordentlich hohe Neigung der erkrankten Ge¬ 
webe zur Erweichung und Verkäsung hervor. 

Die Tuberculose der weiblichen Genitalien bei Kindern wird sich 
nur in der Minderzahl der Fälle mit Sicherheit erkennen lassen, insbe¬ 
sondere wohl da, wo es sich um eine Affection der äußeren Genitalien 


in Gestalt typischer tuberculöser Ulcerationen handelt und wo sich 
in dem Vaginalsecret auch bei Ergriffensein der inneren Theile des 
Genitalschlauches Tuberkelbacillen nachweisen lassen. 

Die Mortalität- ist der Natur der Erkrankung entsprechend 
eine hohe; von den 44 Fällen sind 38 zugrunde gegangen. In 
3 Fällen wurden die tuberculöaen Geschwüre und tumorartigen Neu¬ 
bildungen excidirt, die miterkrankten Leistendrüsen ausgeräumt 
und so Heilung erzielt; in einem Falle brachte eine Laparotomie 
die tuberculose Peritonitis und damit auch die Genitaltuberculose 
zum Stillstände. Fischer. 

Perthes (Leipzig): Ueber Fremdkörperpunction. 

Die Extraction von Fremdkörpern wird durch den Nachweis 
mit Roentgenstrahlen erleichtert; um jedoch den Fremdkörper rasch 
und sicher zu extrahiren, genügt der einfache Nachweis auf der 
Platte nicht, es ist vielmehr eine genaue Localisation des Fremd¬ 
körpers nothwendig. Da aber auch die verschiedenen , zu diesem 
Zwecke angegebenen Methoden manchmal im Stich lassen, gibt 
Verf. ein Verfahren an, das sogar bei Fremdkörpern, die in 
Musculatur eingebettet liegen, sich bewährt hat. Dasselbe beruht 
darauf, daß während der Durchleuchtung mit Hilfe des Fluorescenz- 
schirmes eine Nadel auf den Fremdkörper eingestoßen wird, bis 
sie den Fremdkörper berührt; die Nadel bleibt liegen und gibt 
einen Wegweiser für die Operation ab. 

Verf. weist darauf hin („Centralbl. f. Chir. u , 1902, Nr. 32), 
daß es nothwendig ist, nachdem man den Fremdkörper mit der 
Nadel erreicht hat, nachzusehen, ob der Schatten des Fremdkörpers 
und der Punctionsnadel bei verschiedenen Drehungen des durch¬ 
leuchteten Körpertheiles mit einander in Berührung bleiben, da 
man sonst nicht sicher ist, daß Nadel und Fremdkörper wirklich 
eng an einander liegen. 

Der kleine Eingriff ist nicht besonders schmerzhaft, kann 
aber bei empfindlichen Personen auch nach vorheriger Anästhesirung 
der Haut ausgeführt werden. Erdheim. 

Tscherno-Schwarz (Moskau): Ueber die Behandlung der 
Chorea. 

Auf Grund von 180 Fällen aus den beiden Hauptkinder¬ 
krankenhäusern (St. Wladimir’sches und St. Olga’sches) zu Moskau 
berichtet Verf. („Wratsch“, 1901, Nr. 43) über die bei der An¬ 
wendung der verschiedenen Behandlungsmethoden der Chorea er¬ 
zielten Resultate. Bei der Bearbeitung des Materiales ging er von 
zwei Standpunkten aus: 1. von dem Einfluß des Mittels auf die 
Dauer der Chorea, 2. von dem Einfluß des Mittels auf die Inten¬ 
sität der choreatisohen Krämpfe. In 29 Fällen wurde indifferente 
Behandlung angewendet, um festzustellen, wie der Aufenthalt im 
Krankenhause an und für sich wirke. In % der Fälle konnte man 
bald eine bedeutende Abnahme der Convulsionen feststellen, in den 
übrigen Fällen ließen die convulsiven Zuckungen nur sehr lang¬ 
sam und allmälig nach. Die mittlere Durchschnittsdauer der Krank¬ 
heit beträgt für diese Fälle 76 Tage. Chinin wurde in 31 Fällen 
angewandt. Die meisten Kinder bekamen 0'3 dreimal täglich. In 
9 Fällen wurden unangenehme Nebenwirkungen des Chinins (Dys¬ 
pepsie, Exantheme, Taubsein) festgestellt. Bezüglich der Chorea 
selbst erwies sich das Chinin als vollständig nutzlos. Nur in 6‘4°/o 
der Fälle konnte man eine mehr oder minder wahrnehmbare Besse¬ 
rung der choreatischen Krämpfe wahrnehmen. Die mittlere Dauer 
der Krankheit betrug 100 Tage. Das Chinin ergab somit ein 
schlechteres Resultat als die indifferente Behandlung. — Nicht 
günstiger fiel das Resultat der Brombehandlung der Chorea aus. 
Brom bekamen 47 Kinder, u. zw. 3—6 Eßlöffel einer 3—4%igen 
Lösung täglich. Eine mehr oder minder wahrnehmbare Besserung 
folgte dieser Behandlung nur in 8*5% der Fälle. Die mittlere 
Krankheitsdauer betrug 115 Tage. In 9 Fällen traten unangenehme 
Nebenwirkungen auf, in 5 dyspeptische Anfälle, in 4 die sogenannten 
medicamentösen Exantheme. — Antipyrin wurde in 22 Fällen ge¬ 
geben, meistentheils l’O täglich. Die Wirkung des Antipyrins war 
fast der des Broms gleich. Besserung in 9*1% der Fälle, Krank¬ 
heitsdauer 59 Tage. Schädliche Nebenwirkungen 5mal, und zwar aus¬ 
schließlich medicamentöse Exantheme. — Arsen wurde in 86 Fällen ge- 


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1897 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 42 


1898 


prüft. Ein Theil der Kinder bekam dasselbe in Form der FowiiER’sehen 
Lösung (1—12 Tropfen täglich), ein Theil in Form der Boudin- 
schen Lösung. Die Resultate der Arsenbehandlung unterscheiden sich 
nur wenig von denen der indifferenten Behandlung. Eine bemerk¬ 
bare Abnahme der choreatischen Zuckungen trat in 15'4°/ 0 sämmtlicher 
Fälle ein. Die durchschnittliche Krankheitsdauer betrug 75 Tage. 
Unangenehme Nebenwirkungen traten nur in 3 Fällen auf; in 
2 Fällen Dyspepsie, in einem Falle Erythem. Bedeutend bessere 
Resultate ergab die Behandlungsmethode nach Comby (Verabreichung 
der BouoiN’schen Lösung), wenn auch die von Verf. erzielten Re¬ 
sultate nicht ganz dem Ruhme dieses Verfahrens entsprechen. Auf¬ 
fallende Besserung ergab diese Methode nur in 34°/o der Fälle, 
in den übrigen Fällen trat entweder gar keine Wirkung oder (in 
8 Fällen) sogar eine Verschlimmerung des Krankheitsprocesses ein. 
Die durchschnittliche Krankheitsdauer betrug 63 Tage. Zugleich 
lieferte die CoMBY’sche Methode den größten Procentsatz der un¬ 
angenehmen Nebenwirkungen: es wurden in 22 Fällen dyspeptische 
Erscheinungen und in 2 Fällen Exantheme constatirt. L—-y. 


Maixner (Prag): Bemerkungen zur paroxysmalen Tachy¬ 
kardie. 

Bei Gelegenheit von neun gut beobachteten Fällen von 
paroxysmaler Tachykardie kommt Verf. zum Schlüsse, daß diese 
Krankheit eine Neurose sui generis sei („Sbornik Klinicky“, 
Bd. III, H. 5). 

Martius’ Ansicht, nach der die Tachykardie von einer 
paroxysmalen Herzdilatation abhängen würde, scheint dem Verf. nicht 
genug begründet zu sein, denn unter den neun citirten Fällen 
fand sie Verf. nur einmal und in dem Falle wurde die Dilatation, 
wie durch die Autopsie bewiesen wurde, durch eine Myocarditis 
provocirt. Es wurde übrigens in allen in der Literatur erwähnten 
Fällen von letaler T. p. eine Myocarditis constatirt. Es ergibt sich 
also aus einer großen Zahl von klinischen Beobachtungen, daß die 
Ilerzdilatation nicht ein durchaus nothwendiges Symptom der T. p. 
ist. Wird sie beobachtet, dann verkündet sie immer eine Herz¬ 
schwäche. Wenn aber nicht angenommen werden kann, daß eine 
functionelle Schwäche der Nervi pneumogastrici und accelerantes 
die Ursache der T. p. ist, so muß die T. p. als eine Neurose an¬ 
gesehen werden. Dies kann behauptet werden, wenn bei dem Kranken 
eine nervöse Prädisposition vorgefunden wird und wenn man die 
nervösen Symptome, welche den Anfall verkünden und ihn beendigen, 
analysirt, wenn man sich erinnert, wie die Krankheit mit anderen 
Neurosen, vornehmlich mit der Migräne und der Epilepsie ab 
wechselt, wenn man den paroxystischen Anfang beobachtet u. s. w. 

Fälle von reflectorischer T. p. sind von der essentiellen gar 
nicht verschieden. Sollen diese bulbären Ursprungs sein, so ergibt sich, 
daß die essentielle T. p. durch functionelle Störungen der bulbären 
Circulationscentren verursacht werden. Während des Anfalles kommt 
der Impuls von diesen Centren, theilt sich in drei bis fünf kleine 
Wellen und alsdann folgen anstatt einer physiologischen Systole 
drei bis fünf unvollständige, kleine Systolen, die rasch aufeinander 
folgen. (Diese Anschauung läßt sich mit den Ergebnissen der 
neueren Physiologie nur schwer in Einklang bringen.) 

Als eine idiopathische Neurose nähert sich die paroxysmale 
Tachykardie sehr der Migräne und der Epilepsie. Stock. 

Aage Kock (Kopenhagen): Die therapeutische Anwendung 
der Kakodylverbindungen. 

Kakodylsaures Natron, das eine organische Arsenverbindung 
mit bedeutendem Arsengehalte (54°/ 0 ) ist, hat auf den Organismus 
dieselbe Hauptwirkung wie das Arsen. Diese Uebereinstimmung der 
beiden Stoffe läßt sich nachweisen („Nord. med. Arkiv“ , 1902, 
Afd. II, Nr. 9): 1. In den Nebenwirkungen. Von solchen, die man 
mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit als Folgen der Behand¬ 
lung mit kakodylsaurem Natron betrachten kann, hat Verf. beob¬ 
achtet: Uebelkeit, Aufstoßen, Kardialgie, Appetitmangel, Diarrhoe, 
Kopfschmerzen, Congestion im Gesichte, Epistaxis, Hämoptysis, 
psychische Excitation, Temperaturerhöhung, localen Schweiß und 
Albuminurie. (Knoblauchgeruch der Exspirationsluft, des Schweißes, 


Knoblauchgeschmack rühren von der Umbildung der Kakodylsäure 
in niedrigere Oxydationsstufen her und sind insofern für die Kakodyl¬ 
säure charakteristisch.) 

Diese Nebenwirkungen pflegen nur ziemlich abgeschwächt 
aufzutreten, vermuthlich weil nur ein geringer Theil des in der 
Kakodylgruppe enthaltenen Arsens als solches zur Entfaltung seiner 
Wirkungen gelangt. Wenn aber mehrere zugleich auftreten, bilden 
sie ein wohlausgesprochenes Vergiftuugsbild. 

2. In ihrem Verhalten gegen das Blut, indem kakodylsaures 
Natron eine — in der Regel sehr schnell eintretende — Zunahme 
der Anzahl der rotheu Blutkörperchen bewirkt. Es kann eine gleich¬ 
zeitige Vermehrung der Ilämoglobinmenge bewirken, aber nie in 
einem der Vermehrung der rothen Blutkörperchen entsprechenden 
Grade. 

3. In ihrem Verhalten gegen die Lungentuberculose. Kakodyl¬ 
saures Natron vermindert nämlich wie das Arsen die Menge des 
Auswurfs, zuweilen, aber wenig bedeutend, auch den Husten, setzt 
die Neigung zu Nachtschweißen herab und bringt ab und zu die 
Temperatur zum Fallen. Außerdem scheint das Kakodylpräparat 
auf die localen Processe in den Lungen eine günstige Einwirkung 
zu haben, welche sich durch Veränderungen des stethoskopischen 
Befundes zeigt: Abnahme der Rasselgeräusche und in seltenen 
Fällen auch der Dämpfungen über den Lungen. In einzelnen 
schweren Fällen hat die Cur dagegen eher eine schädliche Wirkung, 
welche als eine heftige Exacerbation des Processes mit Gewichts¬ 
abnahme und Verschlimmerung aller Symptome zutage tritt. B. 

P. Schreiber (Berlin): Wie corrigirt man die Kurzsich¬ 
tigkeit am zweckmäßigsten? 

Verf. ist der Ansicht, daß die Kurzsichtigkeit zwischen dem 
7. und 14. Lebensjahre, da gerade in diesem Alter ihr Fortschreiten 
ein beängstigendes ist, voll corrigirt werden muß, falls sie 1*25 D 
und darüber beträgt; bei schwächeren Graden ist dies nicht noth- 
wendig. Die Vollcorrection einer Myopie von 1*25 D bis 6'5 D er¬ 
scheint söhon aus dem Grunde wünschenswerth, daß die Kinder 
mit dieser Myopie bereits zu den gefährdeten gehören können 
und ohne Correction nicht mehr imstande sind, dem Demonstrations¬ 
unterrichte in der Schule zu folgen. Die verordneten Gläser sind 
in Brillenfassung zu tragen, möglichst als periskopische Gläser zu 
verschreiben, etwa vorhandener Astigmatismus ist zu corrigiren. 
Bei Verdacht auf Accommodationskrampf ist Atropin in Anwendung 
zu bringen. Bei Vollcorrection ist darauf zu achten, daß die Kinder 
ein genügendes Accommodationsgebiet besitzen. Eine vorhandene In- 
sufficienz der Recti interni wird, wenn sie nicht zu hochgradig ist, 
gewöhnlich sehr günstig durch die Vollcorrection beeinflußt, uuter 
Umständen kann man auch das Concavglas mit Prismen combiniren. 
Eine Myopie von mehr als 6'5 D wird von Fall zu Fall für die 
Vollcorrection für geeignet zu erachten sein. Bei Kurzsichtigen 
von 20 Jahren und darüber, welche bis dahin keine vollcorrigirenden 
Gläser getragen haben, ist von einer Vollcorrection Abstand zu 
nehmen, da erfahrungsgemäß die Myopie von dieser Altersstufe an 
stationär zu sein pflegt und da in diesen Fällen, namentlich bei 
stärkeren Myopiegraden, die Vollcorrection wegen der dadurch her¬ 
vorgerufenen Mikropie und wegen asthenopischer Beschwerden nicht 
vertragen wird. („Klin. Monatsbl. f. Augenheilkunde“, 1902, XL, 
pag. 170.) Vom 40. Lebensjahre ab ist der in diesem Alter auf¬ 
tretenden Presbyopie Rechnung zu tragen und für die Nähe stets 
ein um 2‘5 bis 3'0 D schwächeres Concavglas zu wählen, als für 
die Ferne gebraucht wird. Für die Fälle, welche trotz Vollcorrection 
eine Zunahme der Kurzsichtigkeit zeigen, sind entprechende All - 
gemeincuren zu verordnen. N. 

Martin (Jena): Statistische Untersuchungen über die 
Folgen infantiler Lues (acquirirter und heredi¬ 
tärer). 

Verf. bearbeitete („Münch, med. Wschr.“, 1902, Nr. 25) die 
im Verlaufe von 30 Jahren an der medicinischen Klinik in Jena 
beobachteten Fälle von infantiler Lues, indem er das spätere 
Schicksal sämmtlicher Patienten durch Umfragen zu ermitteln 


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1899 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 42. 


1900 


suchte. Es handelte sich um 56 Patienten, 13 mit acquirirter, 
43 mit hereditärer. Von den 13 Fällen mit acquirirter Lues konnte 
nur über 10 Auskunft erlangt werden. Gestorben waren 2, die 
im Alter unter 2 Jahren inficirt waren, an intercurrenten Krank¬ 
heiten (Pneumonie, Diphtherie). Die bei der Infection mehr als 

2 Jahre alten erlebten sämmtlich die Pubertätszeit. In einem Falle 
fehlt die weitere Auskunft. Die übrigen lebten und waren gesund, 
verheiratet, die männlichen mit vielen Nachkommen; bei den 
weiblichen ist mit einer Ausnahme die Nachkommenschaft spärlich. 
Ein Einfluß auf die Psyche war nicht bemerkbar. Unter den 
43 Fällen mit Lues hereditaria waren 13 mit Lues hereditaria 
praecox, 30 mit Lues hereditaria tarda. Von den 13 Fällen mit 
Lues hereditaria praecox erhielt M. über 10 Auskunft. Von diesen 
starben 7 im Alter unter 1 1 / 2 Jahren (Atelectasia pulmonum, pneu¬ 
monische Lues und andere Erkrankungen), 1 mit 18 Jahren an 
Lungentuberculose, 1 lebt als moralisch Schwachsinniger, 1 als 
gesunder Mann mit 2 Kindern. Von den 30 Patienten mit Lues 
hereditaria tarda (14 männliche, 16 weibliche Fälle) war über 
19 Auskunft zu erlangen; hierunter waren 10 männliche, davon 

3 gestorben, und 9 weibliche, davon 2 gestorben; die Todesfälle 

waren theilweise, soweit sich ermitteln ließ, durch schwere Formen 
tertiärer Lues veranlaßt. Von den 14 am Leben gebliebenen 
Patienten mit Spätlues fehlte bei 3 die Auskunft über Ehe und 
Kinder. Nur eine weibliche Kranke von diesen ist kinderlos und 
unverheiratet. Bei den übrigen 20 ist Zeugungs-, bezw. Conceptions- 
fähigkeit eingetreten, und zwar im Alter von 20—30 Jahren 
spätestens. Die 10 Patienten, welche zeugungsfähig waren, haben 
im Ganzen 33 Kinder gezeugt, die sämmtlich lebensfähig siud, 
5 von den Kindern sind später gestorben. Verf. hält es nicht für 
richtig, daß Lebensversicherungsgesellschaften sämmtliche Hereditär¬ 
luetiker, die einmal tertiäre Erscheinungen durchgemacht haben, 
zurtickweisen. L. 

Bettmann (Leipzig): Zur Technik der Fußsohlenab¬ 
drücke. 

Zur Herstellung von Fußsohlenabdrticken war bisher aus¬ 
schließlich das berußte Glanzpapier in Gebrauch, ein Verfahren, 
das an Genauigkeit, Bequemlichkeit und Sauberkeit viel zu wünschen 
übrig ließ. Um diese Unannehmlichkeiten zu vermeiden, empfiehlt 
Verf. („Centralbl. f. Chir.“, 1902, Nr. 27) das gewöhnliche photo¬ 
graphische Celluloidincopirpapier zu verwenden. Das Verfahren ist 
folgendes: Man bestreicht die Fußsohle mit etwas NatroDlösung, 
wie zum Fixirbad gebräuchlich, oder mit Tonfixirbadlösung gerade 
so viel, daß sie eben befeuchtet ist, und läßt dann den Pat. in 
gewöhnlicher Weise auf das Papier für einige Secunden treten. 
Wenn man das Papier hellem Tageslicht aussetzt, kommen die 
Contouren außerordentlich deutlich zum Vorschein. Man legt das 
Bild ins Tonfixirbad und behandelt es wie jede Copie. 

Statt des Celluloidinpapiers kann man das billigere Eisenblau¬ 
papier verwenden; in diesem Falle bestreicht man die Sohle mit 
Essiglösung, setzt das Papier dem Lichte nicht aus, sondern legt 
es gleich ins Wasser und läßt es trocknen. Erdheim. 

Polak (Prag): Ueber das Verhältniß des Alkoholismus 
zur Chirurgie. 

Der Alkoholismus hat in jeder Form einen gewissen ungün¬ 
stigen Einfluß auf verschiedene chirurgische Krankheiten („Sbornik 
Klinicky“ , Bd. III, H. 6). Der acute Alkoholisraus ist öfters Ur¬ 
sache verschiedener Verwundungen, auf den Verlauf der Heilung 
aber hat er keinen Einfluß. Der chronische Alkoholismus in seinen 
verschiedenen Abarten behindert öfters die Heilung per primam 
intentionem, septische Erkrankungen verlaufen unter viel schwereren 
Symptomen, so daß die Prognose hier immer etwas weniger günstig 
ist. Etliche Formen von Gangrän werden sehr oft direct oder in- 
direct durch den Alkoholismus verursacht. Das Delirium tremens 
ist immer eine Folge von Alkoholismus und ist immer, bei der 
kleinsten Wunde oder dem kleinsten chirurgischen Eingriffe eine 
sehr ernste Complication. Stock. 


Cisler (Prag): Das Gehörorgan in einem Falle acuter 
Leukämie. 

Verf. untersuchte histologisch im Institute des Prof. Hlava 
das Gehörorgan in einem Falle von acuter Leukämie. In diesem 
Falle, den er in vivo auf der Kliuik des Prof. Maixner gesehen 
hatte, waren hämorrhagische Erscheinungen begleitet von Schwindel, 
Kopfschmerzen und allgemeiner Schwäche die Hauptsymptome. Drei 
Tage vor dem Tode fing der Kranke an taub zu werden und 
momentan beschwerte er sich über Summen in den Ohren („Sbor- 
nik Klinicky“, Bd. III, H. 6). Im Einklänge mit diesen Symptomen 
fand man die nekroskopischen Veränderungen fast ausschließlich 
im Mittelohr. Man fand ein Haematoma tympani der linken Seite, 
eine hämorrhagische und leukämische Infiltration der Schleimhaut 
der Trommelhöhle, eine organisirte Hämorrhagie im Antrum und 
den Zellen des Proc. mastoideus und endlich eine geringe hämor¬ 
rhagische Exsudation in den Canaliculi semicirculares. Stock. 


Kleine Mittheilungen. 

— Ueber den Einfluß totaler Urinverhaltung auf den 
Organismus gravider und nichtgravider Thiere berichtet Blum¬ 
reich („Arcli. f. Gynäk. u , Bd. 66, H. 2). Verf. kommt zu dem 
Ergebniß, daß die erhöhte Reizempfindlichkeit des Gehirns der 
Schwangeren nicht bei allen Reizarten vorhanden sei, sondern nur 
bei bestimmten specifischen Reizen. Daß es selbst Krampfgifte gibt, 
denen gegenüber das Gehirn der nichtgraviden Thiere sich nicht 
anders verhält als das der graviden, beweisen die vorliegenden 
Untersuchungen. B. stellt fest, daß die völlige Retention aller 
Urinbestandtheile — dies erreicht er durch Exstirpation beider 
Nieren seiner Versuchsthiere — auf das Gehirn schwangerer und 
nichtschwangerer Thiere in annähernd gleicher Weise einwirkt. 
Er hofft auf Grund dieser Ergebnisse, daß man dem Eklampsiegift 
auf die Spur kommen werde, wenn man prüft, welche Stoffe aus 
dem Blut, Harn oder Centralnervensystem der Eklamptischen 
„gravidotoxisch“ wirken, d. h. entweder nur bei schwangeren 
Thieren oder doch bei ihnen in sehr viel höherem Maße allgemeine 
Krämpfe erzeugen. 

— Aus seinen Erfahrungen mit Ichthargan zieht Fürst 
(„Therapie der Gegenwart“, 1902, Nr. 9) folgende Schlüsse: Für 
die Behandlung der weiblichen Gonorrhoe eignet sich das Ichthargan 
wegen seiner, ohne Schädigung der Mucosa erfolgenden bakteri- 
ciden Wirkung in die Tiefe, selbst in die Recessus der Schleim¬ 
häute, in hohem Grade. Es reizt das Endometrium nicht, ist frei 
von störenden Nebenwirkungen und zuverlässig im Erfolge. Bei 
gonorrhoischen Frauen lassen sich Sterilität und Neigung zu 
habituellem Abort durch systematische Ichthargantherapie unschwer 
so weit beseitigen, daß Conception und Austragung der Frucht 
zu erzielen sind. Eine Gravidität bei noch nicht völlig beseitigter 
Gonorrhoe wird durch eine modificirte Behandlung nicht unter¬ 
brochen. Letztere hat im Gegentheil noch den Nutzen, die Wahr¬ 
scheinlichkeit erheblich zu verringern, daß das neugeborene Kind 
eine virulente Ophthalmie acquirirt. — Der Laryngologe Bkrman 
Douglas („The Laryngoskopy“, May, 1902) hat mit Ichthargan 
bei Erkrankungen der Nase und des Halses vorzügliche Erfah¬ 
rungen gesammelt. 

— Ueber eine eigenthümliche Eigenschaft der Ananas, 

die wohl nur wenigen Menschen bekannt sein dürfte, berichtet 
z. Busch („Deutsche med. Wschr.“, 1902, Nr. 32). Der Saft der 
Ananas enthält ein sehr wirksames Verdauungsferment, Bromelin 
genannt, das in wenigen Stunden das lOOOfache seines Gewichtes 
an Eiweiß verdaut. Fibrin verschwindet unter seiner Wirkung 
nach einiger Zeit ganz, Eieralbumin wird weniger angegriffen, 
während Fleischalbumin zuerst in eine gelatinöse Masse verwandelt 
wird und dann völlig verschwindet. Man kann dies leicht beob¬ 
achten, wenn man eine Scheibe frischen Ananas auf ein rohes 
Stück Beefsteak legt. Durch Hitze wird das Ferment zerstört, es 
hält sich aber auch in der conservirten Frucht, wenn die Büchse nicht 
gekocht wurde. Das Ferment unterscheidet sich von Pepsin aucli 
dadurch, daß es sowohl in saurer wie in neutraler und alkalischer 


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1901 


1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 42. 


1902 


Lösung seine Wirksamkeit entfaltet. Es empfiehlt sich demnach 
auch aus physiologischen Gründen, zum Nachtisch ein Stück Ananas 
zu verzehren, ein Luxus, den man sich in Deutschland leider nur 
selten gestatten kann. 

— Das Glycosal ist der von Taeuber zuerst dargestellte 
Mono-Salicylsäure-Glycerinester. Das Präparat bildet ein weißes 
Krystallpulver, das bei 76° C. schmilzt, sich in kaltem Wasser 
zu etwa 1%, in heißem Wasser aber außerordentlich leicht löst; 
auch in Alkohol ist das Präparat leicht löslich, während es von 
Aether und Chloroform etwas weniger leicht aufgenommen wird. 
Mit Glycerin ist das Glycosal mischbar; von Alkalien und kohlen¬ 
sauren Alkalien wird der Ester sehr leicht verseift („E. Merck’s 
Jahresbericht“, 1902). Das Glycosal besitzt die antiseptischen und 
antirheumatischen Eigenschaften der Salicylsäure und soll in der 
Medicin an Stelle anderer Salicylate Verwendung finden, da es 
vor diesen den Vorzug besitzt, den Magen weit weniger zu be¬ 
lästigen und nur selten Ohrensausen hervorzurufen. Die Wirkung 
des Glycosals wird allgemein als eine eminent autirheuraatische 
beschrieben: locale Pinselungen mit einer 20%igen, alkoholischen 
Lösung hatten Resorption zur Folge und es trat bei dieser Art 
von Einverleibung in jedem Falle nach 12 —15 Stunden eine 
deutliche ßalicylsäurereaclion im Harne auf. Das Fieber und die 
Schmerzen werden durch die ausschließliche Anwendung von 
Glycosal in derselben günstigen Weise beeinflußt wie durch andere 
Salicylate, doch sind zur Erzielung einer raschen Wirkung große 
Dosen (60‘0—120’0 Grm.) der 20°/o'g en alkoholischen Lösung 
nöthig. Innerlich genommen, wirkt das Glycosal, in großen Dosen 
von 10 - 0—12‘0 Grm. täglich verabreicht, auf dieselbe Art wie 
bei der percutanen, epidermalen Anwendung. Man kann das Gly¬ 
cosal nach folgenden Formeln verordnen: 

Rp. Glycosali.0'5 

Dentur tales doses Nr. XX ad Chartas amylaceas 
S. i /. i —1—2—ßstündlich 1 Pulver zu nehmen 
und natürliches oder künstliches Mineral¬ 
wasser nachzutrinken, bis Schweißausbruch 
erfolgt. 


Rp. Glycosali. 30'0 

Alcoholi puri.120'0 


MDS. Aeußerlich auf die Gelenke aufzupinseln. 

— Als Operation der Wahl für die Behandlung der chroni¬ 
schen Inversion empfiehlt Cushing („The Boston med. and surg. 
Journal“, 1902, Nr. 6) die von Thomas 1872 angegebene, aber 
nach einigen ungünstig verlaufenen Fällen wieder aufgegebene 
Methode — Laparotomie, Dilatation des Trichters und Reinversion 
des Uterus von oben. Durch Benutzung der TRENDELENBURG’schen 
Beckenhochlagerung kann unter Leitung des Auges und in aller 
Ruhe operirt werden. In dem einen vom Verf. bis jetzt so operirten 
und glücklich verlaufenen Fall war Verf. überrascht von der 
Leichtigkeit der Operation. Besonders werthvoll ist es, daß man den 
Uterus nach der Reinversion an den Bauchdecken fixiren kann. 

— Das lösliche Eisenarseniat Zambeletti ist ein in Italien 
seit einigen Jahren sehr gebräuchliches Präparat. In 5 Tropfen 
sind 0'05 lösliches Eisenarseniat = 0 001 Acid. arscnic. enthalten. 
Es wird in Tropfen oder Pillen in steigender Dose verabfolgt, 
auch in Subcutaninjectionen, die steril in zugeschmolzenen Ampullen 
vorräthig sind. Mehrere Autoren verwandten das Präparat mit 
Erfolg bei anämischen und nervösen Zuständen, ohne daß Magen¬ 
beschwerden eintraten, ferner in Injectionen von 1 / 2 — 3 / 4 Spritze, 
alle 2 Tage in die Glutäen injicirt bei Mercurial-, Malariakachexie, 
Psoriasis. Schon nach etwa 15 Einspritzungen trat eine erhebliche 
Besserung ein. Im Ganzen wurden bei jedem Patienten mit da¬ 
zwischen liegender Pause bis zu 40 Injectionen gemacht. 

— Alkohol zift Deslnfection und Verhütung des Anlaufens 
des laryngo - rhinoskopischen Spiegels empfiehlt Heschelin 
(„Monatschr. f. Ohrenheilk.“, 1902, Nr. 2). Als er aus Versehen 
einmal den Spiegel, ohne ihn vorher abzuwischen und ohne zu 
erwärmen, direct mit Spiritus befeuchtet in die Kehle des Patienten 
einführte, bemerkte er, daß die Oberfläche nicht anlief und die 
Untersuchung gelang. Dann machte Autor absichtlich mehrere 
Versuche, auch im Gefäße mit dampfender Flüssigkeit; die Resul¬ 
tate dieser Experimente waren ausgezeichnet. Der Spiegel wird 


in Spiritus eingetaucht, vorsichtig abgeschüttelt, daß kein Tropfen 
hängen bleibt. Die Oberfläche des Spiegels ist lichter als die 
trockene. Der Spiritus bedeckt den Spiegel gleichmäßig, desinficirt 
das ganze Instrument und verdirbt die hintere Fläche gar nicht. 
Der benützte Spiritus geht nicht verloren, es kann nachher zu 
irgendwelchen Zwecken als Brennmaterial dienen. Und schließlich 
bietet der Spiritus einen großen Vortheil, nämlich den, daß der 
Spiegel zugleich desinficirt wird. 

— Ueber Pyelitis und Pyelonephritis auf Grund von Gonor¬ 
rhoe berichtet Marcüse („Monatsb. f. Urologie“, Bd. 7, H. 3) und 
bespricht zuerst die Diagnose dieser Krankheitsformen. Hiebei 
handelt es sich 1. um den Nachweis des Zusammenhanges mit 
Gonorrhoe, 2. um den Nachweis der Localisation im Nierenbecken ; 
dann wird die Albuminurie und parenchymatöse Nephritis in ihrer 
verschiedenartigen Bedeutung bei Gonorrhoe abgehandelt und die 
Wege der eiterigen Infection besprochen. Therapeutisch wurde 
mit Erfolg der Ureterenkatheterismus mit Ausspülung der Nieren¬ 
becken mit 1 °/ 00 Argentumlösung angewandt. Doch soll man mit 
dieser instrumenteilen Behandlung erst spät beginnen, da bisweilen 
gonorrhoische Pyelitis auch ohne directe Behandlung des Nieren¬ 
beckens und der Niere heilt. 

— Bei Intertrigo der Kinder ist folgende Mediation 
empfchlenswerth („Centralbl. f. d. ges. Tlier.“, 1902, Nr. 8): 


Rp. .Acid. boric. 0'2 

Tale, venet.10 0 

Magn. ust. 6‘0 

Mixt, oleos. balsam. gtts. X 

D. S. Streupulver ; 

oder 

Rp. Liq. alum. acet. 30 0 

Glycerini. 15'0 

Spirit. 600 

Aq. font. 200'0 

D. S. Waschwasser; 

auch 

Rp. Acid. boric. 0'3 

Bals. peruv. 0'5 

Vaselini.ad 20 0 

M. f. ungt. 


D. S. Leicht einzustreichen. 

— Zur Schließung hochsitzender Vesico-Vaginalfisteln nach 
Totalexstirpation des Uterus empfiehlt Howard A. Kelly („Bull, 
of the Johns Hopkins Hospital“, 1902 , Nr. 133) eine Operation, 
deren Priucip darin besteht, in dem Narbentrichter, resp. im 
hinteren Scheidengewölbe, das Peritoneum weit zu eröffnen. Dadurch 
wird es möglich, die Blase, resp. das Rectum völlig beweglich 
zu machen und die Stelle der Fistel herunterzuziehen. Dieselbe 
wird von der Vagina abpräparirt und durch Muscularisnähte, 
welche die Schleimhaut nach innen einstülpen, geschlossen. Die Ope¬ 
ration wird durch Kniebrustlagerung der Patientin sehr erleichtert. 


Literarische Anzeigen. 

Elements d’anatomie gynecologique clinique et ope- 
ratoire. Par Paul Petit. Georges Car re & C. Naud. 
Paris 1901. 

Je sicherer sich die Operationskunst unserer Tage unter dem 
Schutze der Asepsis und Antisepsis zu fühlen beginnt, desto mehr 
vernachlässigt man ihre einzig reale und natürliche Basis —- die 
Anatomie. Darum füllt das vorliegende Werk, welches eine aus 
führliche Darstellung der Anatomie des weiblichen Genitale gibt, 
eine klaffende Lücke in unserer gewiß nicht publicationsarmen 
gynäkologischen Literatur aus. Sein Hauptverdienst besteht aber 
darin, daß die anatomische Beschreibung in engem Zusammenhang 
mit den Bedürfnissen der Klinik und der Oporationslehre geschieht 
und so eine gynäkologische Anatomie entstanden ist, welche nicht 
nur auf den Präparaten des Secirsaales, sondern auch auf den 
Erfahrungen des Obductions- und Operationstisches basirt. 32 Tafeln 
mit Erläuterungen sind dem Texte eingefügt; sie sind in der über¬ 
wiegenden Mehrzahl durchaus neue Darstellungen anatomischer 
und operativer Verhältnisse. Fischer. 


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1903 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 42. 


1904 


Der Farbensinn der Thiere. Ein Vortrag von Prof. Dr. Wilibald 
A. Nagel in Freiburg im Breisgau. Wiesbaden 1901, Verlag 
von J. F. Bergmann. 

Die Frage, ob die Thiere Farbensinn besitzen , ist schon 
häufig aufgeworfen und besprochen worden. Eine große Zahl von 
Forschern älterer und neuerer Zeit hat sich mit diesem Problem 
beschäftigt, ohne aber zu einem Ergebniß gekommen zu sein, das 
allgemeine Anerkennung gefunden hätte. Es liegt daher zu einer 
kurzen zusammenfassenden und kritischen Darstellung dieses Ge¬ 
genstandes ein thatsächliches Bedürfniß vor, welchem Nagel in 
seinem in der naturforschenden Gesellschaft zu Freiburg i. Br. im 
Februar d. J. gehaltenen Vortrage nachkam. Nagel hebt insbeson¬ 
dere einen recht bemerkenswerthen Umstand hervor, welcher seiner 
Meinung nach beweisen dürfte, daß Farbenunterscheidungsvermögen 
weit im Thierreiche verbreitet sein muß. Es ist dies die Thatsache 
des so häufigen Vorkommens von Schutzfärbungen im Thierreiche, 
die theils dazu dienen, Thiere ihren Verfolgern oder den von 
ihnen selbst verfolgten möglichst unsichtbar zu machen, theils auch 
als sogenannte Warnungsfarben auftreten. Das hätte keinen Sinn, 
wenn alle oder auch nur die meisten Thiere total farbenblind 
wären, wenn sie alles nur in Abschätzungen einer einzigen Farbe 
oder in farbloser Helligkeit sähen. Daß es Schutzfärbungen in fast 
unendlicher Zahl gibt, ist unbestritten. Wären die Thiere total 
farbenblind, so würde für die Schutzfärbung ein einziges Pigment 
ausreichen. Wir sehen leuchtende, lebhafte Farben, grelles Gelb, 
leuchtendes Roth und gesättigtes Grün vielfach verwendet, u. zw. 
die beiden ersteren der gewöhnlichen Annahme nach vorzugsweise 
als Warnungsfarben oder sexuelle Lockfarben. Zum letztgenannten 
Zwecke, der sexuellen Reizung mit Hilfe des Sehorganes, dienen 
ja bekanntlich auch vielfach blaue, oft sehr glänzende Farben, die 
bei manchen Thieren nur vorübergehend in der Brunstzeit auftreten. 

Es liegt hier eine gewisse Analogie mit dem Vogelgesange 
und anderen Lautäußerungen der Thiere vor. Die sexuellen Lock- 

Feuilleton. 

Prager Briefe. 

(Orig.-Corresp. der „Wiener Med. Presse“.) 

I. 

— 12. September 1902. 

Der Beginn des Wintersemesters an unserer medicinischcn 
Facultät bedeutet auch für die praktischen Aerzte den Beginn 
erneuter Thätigkeit in Vereinen und Versammlungen. Während 
der Universitätsferien ruht auch der Aerzteverein, der Praktikerclub 
und die Kammer und erst der Einzug der Studenten bringt neues 
Leben auch für diejenigen, die nicht mehr dem Verbände der 
Hochschule angehören* sitzen doch in allen den genannten Corpo- 
rationen Lehrer unserer Universität und speciell im Vereine deutscher 
Aerzte bestreiten Professoren, Doeenten, Assistenten und klinische 
Subalternärzte einen großen Theil des Programmes. Dieser Umstand 
ist wiederum mit ein Grund, daß der praktische Mediciner in der 
Stadt im Gegensätze zum Juristen, Philosophen und Theologen für 
alle Vorgänge an der Facultät bis weit über die Studienzeit hinaus 
ein reges Interesse bewahrt. Haben jene die Hörsäle verlassen, so 
hört so ziemlich jeder Zusammenhang mit der Schule auf und nur 
der hinter dem Leichenwagen einherschreitende Universitätspedell 
erinnert noch an die Zugehörigkeit zur Alma mater. Der Arzt da¬ 
gegen findet sich täglich veranlaßt, im Interesse seiner Kranken mit 
den Kliniken und ihren Leitern in Fühlung zu treten, der klinische 
Lehrer verwandelt sich alsbald in den Consiliarius und leider auch 
oft in den Concurrenten, und eine mächtige Brücke zwischen Schule 
und Praxis schlägt, wie gesagt, auch die gemeinsame Thätigkeit in 
Vereinen und Corporationen. Alles, was sich an der medicinischcn 
Facultät ereignet, wird darum von den praktischen Aerzten mit 
Aufmerksamkeit verfolgt und nicht nur die Leistungen auf wissen¬ 
schaftlichem Gebiete, sondern auch alle Personal fragen in Hochschul¬ 
kreisen sind ein Gegenstand fiir ihre lebhafte Antheilnahme, der 
man mit Rücksicht auf die Doppelstellung unserer Professoren die 
Berechtigung gewiß nicht absprecheu kann. 


und Reizungslaute, sowie Lautäußerungen zu anderen Zwecken 
wären ja sinnlos, wenn nicht bei den Artgenosseu die Fähigkeit 
vorhanden wäre, nicht nur überhaupt zu hören, sondern gerade 
auf einen Gesang in bestimmtem Rhythmus und in bestimmter Ton¬ 
folge zu reagiren. 

Nagel kommt zu dem Schlüsse, daß weit verbreitet im Stamme 
der Wirbelthiere, mindestens unter seinen obersten Classen, den 
Vögeln und Säugern, Farbensinn vorhanden ist, und zwar ist 
eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür vorhanden, daß der Farben¬ 
sinn dem des normalen Menschen ähnlich sei, also nicht dichro- 
matisch. Bondi (Iglau). 


Encyklopädie der mikroskopischen Technik. Heraus¬ 
gegeben von Prof. Dr. Ehrlich, Dr. Mosse, Dr. Krause, 
Dr. Rosin, Prof. Dr. Weigert. II. Abtheilung. Berlin und Wien 
1902, Urban & Schwarzenberg. 

Die Empfehlung, welche wir vor kurzem der ersten Abtheilung 
der Encyklopädie der mikroskopischen Technik auf den Weg gaben, 
gilt in ihrem ganzen Umfange auch für die vorliegende zweite 
Abtheilung. Die zusammenfassenden Artikel sind geradezu muster- 
giltig geschrieben, ersparen dem arbeitenden Mikroskopiker viel 
Mühe des Nachschlagens und Nachlesens und ersetzen ihm eine 
ganze Bibliothek von Einzelschriften. Sicherlich sind Artikel wie 
der über die GOLGi’sche Methode und über die Haut kaum in 
einem anderen Werk zu finden, und ebensowenig dürfte in irgend 
einem Handbuche der Mikrotechnik ein gleich übersichtlicher Artikel 
wie der über Gefriermethoden vorhanden sein. Die Fülle des ge¬ 
botenen Materials, das sich anderswo nicht leicht beschaffen läßt, 
setzt den Leser in Erstaunen und zeigt gerade in der Ausführ¬ 
lichkeit die Punkte, an denen die künftige Forschung einzusetzen hat. 

F. W. 


Darum erregte es auch in Aerztekreisen nicht geringes Auf¬ 
sehen, als zum Schlüsse des letzten Sommersemesters drei der aller¬ 
jüngsten Doeenten über Vorschlag des Professorencollegiums zu 
„außerordentlichen“ ernannt wurden mit Uebergehung von mehr als 
einem Dutzend alter, mitunter uralter Doeenten. Und nicht etwa 
die besonders vortreffliche Qualification, die ja auch anderwärts 
oft gerade dem Jüngsten zu akademischen Ehren verhilft, sondern 
lediglich persönliche und äußere Momente waren es, die diesen 
Pairsschub veranlaßten, und das ist ein Umstand, der in Zusammen¬ 
hang mit ähnlichen Antecedentien bei der Besetzung von Lehr¬ 
kanzeln und der Förderung von Habilitationen die Kritik eines 
jeden, dem irgend etwas an dem Bestände und dem Rufe der alten 
Schule gelegen ist, herausfordern muß. 

Bei allen festlichen Anlässen wird seitens unserer Universitäts¬ 
organe auf die ruhmvolle Vergangenheit unserer altehrwürdigen 
Alma mater, der ältesten deutschen Hochschule, hingewiesen ; doch 
das Alter allein ist für die Bedeutung einer Universität nicht aus 
schlaggebend, und es besteht gar kein Zweifel darüber, daß wenigstens 
unsere medicinisehe Facultät von anderen viel jüngeren bei Weitem 
überflügelt wurde. Es ist dies umso bedauerlicher, als gerade Prag 
eine in jeder Hinsicht widerstandsfähige deutsche Universität braucht. 
Jede andere Facultät bemüht sich, für eintretende Vacanzen hervor¬ 
ragende Kräfte aus der Ferne heranzuziehen oder wenigstens 
unter den eigenen die besten auszuwählen , wenn es sich um Be¬ 
förderungen handelt, die als Anerkennung wissenschaftlicher Arbeit 
zu gelten haben. So konnte erst in den letzten Tagen mit Genug¬ 
tuung die Thatsache begrüßt werden, daß an die erste Universität 
Deutschlands ein Kliniker aus Graz berufen wurde, wo wahrlich 
weder in Berlin noch an anderen reichsdeutschen Hochschulen Mangel 
an tüchtigen Kräften ist. Das Beste ist in diesem Falle gerade 
gut genug. Anders dagegen bei uns. Das geflügelte Wort von der 
„voraussetzungslosen Wissenschaft“ ist hier längst nur Schall und 
Rauch. Warum in die Ferne schweifen, wo das Gute doch so nah, 
ganz nah, in der eigenen Familie! Söhne, Schwiegersöhne, Neffen 
und Vettern sind bei uns die „Berufensten“, und wenn nur einmal 
das Frauenstudium recht in Gang ist, dann dürften bald auch die 


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1905 1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 42. 1906 


akademischen Töchter mit Lehrstühlen bedacht werden. So wird 
bei uns für Nachwuchs gesorgt. die Vererbungstheorie steht in 
voller Blüte und wir sind nicht mehr weit von dem Ideale ent¬ 
fernt, wo zwar nicht die ganze Welt, aber wenigstens das medici- 
nische Professorencollegium eine Familie wird. So hat unsere 
Facultät die gegründete Aussicht, nicht nur die älteste zu sein, 
sondern auch die schwächste zu werden, schwach nicht infolge 
des Alters, sondern infolge der durch Jahre betriebenen Inzucht. 
Was nützt es da, weun die Tagesblätter die Nachricht bringen, 
dieser oder jener Prager „Forscher“ hätte eine Berufung nach 
Berlin, Leipzig etc. erhalten, das glaubt hier in Prag kein Mensch 
und das fällt auch keiner anderen Universität ein; vor solchen 
Verlusten sind wir für alle Zeiten gesichert. 

Was die genannten Verhältnisse für die Ausbildung der Aerzte 
bedeuten, wie es mit der wissenschaftlichen Thätigkeit der Institute 
bestellt ist, wo jene Kräfte sinnlos walten, braucht nicht des 
Näheren erörtert werden. 

Die letzten Vorschläge waren ein Faustschlag jeder Gerechtig¬ 
keit, jedem Anstandsgefühle ins Gesicht, und man konnte gespannt 
darauf sein, was die zunächst Betheiligten , die große Schar der 
Zurückgewiesenen thun würden. Eine lendenlahme Eingabe an das 
Professorencollegium , das war Alles, wozu sich die „Entrüsteten“ 
aufzuschwingen vermochten, sie haben die geziemende Antwort er¬ 
halten, und nun ist Alles wieder still. Glaubt doch ein Jeder, er 
sei derjenige, welcher Gnade finden werde vor den Augen der 
Allmächtigen, und darum hat man von allen weiteren Schritten, 
Unterrichtsministerium, Oeffentlichkeit u. 8. w. abgesehen. Für die 
praktischen Aerzte hat die Sache allerdings auch eine gute Seite. 
Je weniger Professoren es gibt und je unfähiger dieselben sind, 
desto besser für uns. —ch— 


Die 70. Jahresversammlung der „British Medical 
Association“. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

II. 

In der chirurgischen Section hielt Brand einen bemerkens- 
werthen Vortrag über: „Die Aetiologie des Krebses.“ Die 
verschiedenen Angaben über die Entstehung des Krebses durch 
übergroßen Consum von Thee, Zucker, Fleisch, Tomaten, Kochsalz etc. 
— sagte der Vortr. — sind unhaltbar. Ebenso sind die übrigen Theo¬ 
rien, die COHNHEiM’sche der embryonalen Rudimente, die THiERSCH’sche 
von dem Ineinandergreifen der epithelialen Zellen und der Blutgefä߬ 
schlingen, die HANSRMANN’sche von der Karyokinese als Ursache 
des Krebses sehr interessant, ohne jedoch den Anforderungen an 
ätiologische Momente vollauf zu genügen. Das Studium der Krebs¬ 
literatur und die klinische Beobachtung drängen zu der Annahme, 
daß der Krankheitserreger nicht im Menschen, sondern außerhalb 
desselben liegt; die Theorie von der infectiösen Natur des Krebses 
erklärt die Ursache desselben, sein Wachsthum, die unzweifelhafte 
größere und immer noch zunehmende Verbreitung desselben und 
endlich sein allgemeines Verhalten. 

Daß ein pflanzlicher oder thierischer Mikroorganismus bisher 
nicht gefunden wurde, spricht sicher nicht gegen die Theorie von 
der Infection, da ja Blattern, Scharlach, Keuchhusten unzweifelhaft 
als Infectionkrankheiten anerkannt werden, obgleich wir den Er¬ 
reger nicht kennen. — Schon in der Mitte des 17. Jahrhunderts 
behauptete Zacutus Lüsitanus, daß der Krebs ansteckend sei, und 
citirte Fälle. 1672 behauptete Nicolaus Tulpiüs, der durch Rem- 
brandt’s Gemälde bekannte berühmte Anatom, ein exulcerirender 
Krebs sei ebenso ansteckend wie eine Augenentzündung. 

Das Hauptargument für die Infectiosität des Krebses ist das 
Uebergreifen desselben auf die unmittelbare Umgebung, ferner 
seine metastatische Ausbreitung auf dem Wege des Blutkreislaufes 
und der Lymphwege. Ferner ist der Krebs anfangs eine locale Er¬ 
krankung, wird aber dadurch, daß der Körper mit dem durch das 
Bacterium verursachten Toxin durchtränkt wird, zur constitutioncllen 


Erkrankung, der Kachexie. Beim Krebs werden im Gegensatz zu 
anderen metastasirenden Erkrankungen, der Tuberculose, der Akti- 
nomykose, Syphilis, Pyämie, nicht nur die Krankheitskeime, sondern 
auch die zelligen Elemente aus dem Ly mph- und Blutwege fort¬ 
geschwemmt, doch spricht dies nicht im Geringsten gegen die In¬ 
fection als Ursache des Krebses. 

Der Krebs bevorzugt im Allgemeinen epitheliale Flächen, be¬ 
sonders aber die Schleimhäute. Die Lieblingsplätze des Krebses 
sind solche, die einer Infection leicht und direct zugänglich sind; 
55°/o derselben betreffen den Verdauuungscanal, die übrigen die¬ 
jenigen Organe, die zur Reproduction der Gattung und zur Ernäh¬ 
rung der Nachkommenschaft dienen. Die Wahrscheinlichkeit spricht 
gegen einen thierischen und für einen pflanzlichen Mikroorga¬ 
nismus. 

Dort, wo der Krebs rasch und üppig wächst, finden wir 
überall glänzende Vorbedingungen für das Bakterienwachsthum, 
Schleim (ein sehr guter Nährboden), constante Temperatur und Ab¬ 
schluß von Licht und frischer Luft, kurz, es gibt kaum einen 
besseren Bakterienbrutofen als den Verdauungs¬ 
canal oder den Uterus. 

Umgekehrt wurde die Krebskrankheit bei den wirbellosen 
Thieren nie, bei den kaltblütigen Wirbelthieren selten beobachtet. 
Sie kommt hauptsächlich beim Menschen und bei Haussäugethieren 
vor. Bei wild leben len Säugethieren ist sie äußerst selten. Blaud- 
Sutton suchte in der Prosectur des zoologischen Gartens acht 
Jahre lang nach Tumoren aller Art und fand nur einen einzigen, 
ein Adenom der Mamma bei einem Seehund. 

Die Infectiosität des Krebses ist, wie bei der Lepra und 
Tuberculose, nicht sehr groß, denn sonst wäre seine Verbreitung 
eine noch viel größere. Um das lebende Gewebe, das fähig ist, 
den Angriff der Bakterieninvasien zurückzuschlagen, zu inficiren, 
ist noch ein zweiter Umstand nothwendig, die Continuitätstrennung 
des betreffenden Gewebes. So z. B. sind die Lippen durch rauhe 
Pfeifenmundstücke, die Zunge durch Zahn3tümpfe in einen Reiz¬ 
zustand versetzt, der Oesophagus ist durch einen Knochensplitter, 
durch ätzende Flüssigkeiten etc., der Magen durch chronische Dys¬ 
pepsie oder ein Ulcus , die Eiugeweide durch Fremdkörper , der 
Anus durch Fissuren, eine Fistel, ein Ekzem in abnormem Zu¬ 
stande, die Brustwarze ist aufgeschürft, rissig, die Drüse selbst 
durch das Ziehen und Zerren des ungeberdigen Säuglings gereizt. 
Derartige Affectionen präpariren den Brutplatz für das infectiöse 
Agens, sie sind praecancrös. 

Der Uterus des Weibes, das geboren hat, ist mit zahlreichen 
Rissen, die vom Geburtsacte herstammen, versehen; bei der Nullipara 
oder der Unverheirateten ist der Cervix häufig erodirt. Zweifellos be¬ 
günstigt die Kleidung der Majorität der Frauen das Eindringen des 
Infectionsträgers in die Geschlechtsorgane. 

Die Vulnerabilität der gewöhnlich vom Kreb* angegriffenen 
Organe ist im mittleren und Greisenalter größer, da in diesen 
Altersstufen die Neigung zum Zerfall die Kraft der Regeneration 
überragt. 

Die bei krebsigen Geschwülsten und bei beginnenden Reei- 
diven mehrmals beobachteten, 1872 von Campbell de Morgan 
zuerst beschriebenen, nach ihm MORGAN’sche Flecken genannten 
kleinen oberflächlichen Angiome verdienen ein großes Interesse, 
namentlich bezüglich der Infectionstheorie. 

Die Autoinoculation ist oft unzweifelhaft beschrieben, so von 
Eberth in 23 Fällen, z. B. von Lippe auf Lippe, von Zunge auf 
Gaumen, von einem Labium majus auf das andere etc. Ebenso sind 
sichere Fälle von Cancer ä deux beschrieben, z. B. eine Toehter, 
die durch Benützen desselben Klystieransatzes von ihrer Mutter mit 
Carcinom inficirt wurde. Ebenso sind Fälle erwiesen, in denen der 
Operirende sich mit Carcinom inficirte, und es gelang auch mehr¬ 
mals, die Krebskrankheit experimentell zu inoculiren (Langenbeck, 
Go u jon etc.). 

Die Verbreitung des Krebses ist in verschiedenen Gegenden 
verschieden. Die höchste Mortalität ist an Orten, die niedrig ge¬ 
legen sind und zeitweise Ueberschwemmuugen ausgesetzt sind ; so 


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1907 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 42. 


1908 


z. B. wird die Gegend von Derivent das „Krebsthal“ genannt. An 
hochgelegenen Orten mit porösem Boden, der die Abwässer leicht 
fortleitet, ist der Krebs selten. Es gibt auch Häuser und Wohnungen, 
in denen die Krebskrankheit häufig vorkommt, was gewiß für die 
Contagiosität derselben spricht. 

Die Verbreitung des Carcinoms ist geographisch hauptsächlich 
auf die gemäßigte Zone beschränkt, namentlich sind die Extreme, 
die sehr kalten und sehr heißen Länder, verschont; allerdings ist 
die Seltenheit der Krankheit in den Tropen vielleicht nur scheinbar, 
d. h. die Kranken werden dort viel seltener in Beobachtung ge¬ 
nommen. Daß manche Völker krebsfrei bleiben, dürfte nicht auf 
eine Immunität derselben, sondern auf ihre Lebensweise und ihren 
Wohnort zurückzuführen sein. Der Volksglaube, daß die jüdische 
Rasse weniger häufig an Krebs leide, ist unberechtigt, da die 
praktischen Aerzte im allgemeinen häufig krebsleidende Juden be¬ 
handeln ; allerdings sind diese in den Spitälern seltener zu finden 
als die Einheimischen. 

Die Heredität der Krebskrankheit ist nicht erwiesen, hingegen 
können die Kinder krebskranker Eltern eine größere Vulnerabilität 
gegen die Krankheit zeigen. 

Ich möchte nun auch noch in Kürze des Vortrages von 
Buzzard über die „Differentialdiagnose der functio- 
nellen und organischen Paralyse“ Erwähnung thun. 

Als functionell bezeichnete Vortr. diejenigen Fälle von Para¬ 
lyse , welche den auf organischer Basis beruhenden mehr oder 
weniger genau gleichen r ohne daß es mit unseren so weit ent¬ 
wickelten Untersuchungsmethoden möglich ist, eine organische 
Basis zu entdecken. Functionelle Paralyse läßt sich manchmal — 
wenn auch nicht immer — durch Ueberredung, durch physischen 
oder moralischen Choc beheben. Einer functionellen Hemiplegie 
geht selten eine Art apoplektischen Insults voraus; sie setzt meist 
gradatim ein, und es fehlt auch der allmälige Uebergang von 
Schlaffheit zur Contractur, der für die organische Form charakte¬ 
ristisch ist. Ferner ist sie meist mit Anästhesie verbunden, die 
viel bedeutender ist, als die gewöhnlich bei organischen Formen 
vorkommende, mit Ausnahme der mit Verletzung der sensiblen 
Fasern in der inneren Kapsel verbundenen. Die charakteristische 
hysterische Lähmung wurde von Todd genau beschrieben, der 
auch darauf aufmerksam machte , daß sie selten das Gesicht mit- 
einbeziehe. Beweis dafür ist auch Babinski’s „Flexion combin6e 
de la cuisse et du trouc“. Wenn auch allmälig eintretende Con¬ 
tractur sich bei functioneller Hemiplegie selten findet, so kann 
doch im Verlaufe einer solchen eine schwere Contractur — ohne 
vorhergehende Schlaffheit, oft plötzlich — auftreten, die dann auf 
den ersten Blick dem Effect einer organischen Läsion ähnlich ist. 
Ungleichheit der beiderseitigen Reflexe ist nicht für organische 
Hemiplegie beweisend; dasselbe gilt vom Fußclonus, der, wenn 
auch selten, bei der functionellen Form vorkommt. Das Fehlen 
des Plantarreflexes bei fortschreitender Pdralyse ist ein werth¬ 
volles differentialdiagnostisches Zeichen; das BABiNSKi’sche „Zehen¬ 
phänomen“ ist ein sicheres Zeichen von organischer Störung. Die 
Diagnose der functionellen Monoplegie ist oft von unüberwind¬ 
licher Schwierigkeit, die der Paraplegie ist ungleich leichter. Oft 
wurde eine relativ leichte und vorübergehende Lähmung einer oder 
mehrerer Gliedmäßen bei disseminirter Sklerose irrthümlich für 
functionell gehalten. — In der physiologischen Section demonstrirte 
Mackenzie einen neuen Poly- und Phlebographen; der 
aus einem Trommel-, Zeiger- und elastischen Röhrensystem besteht 
und mittelst einer Metallkappe an die pulsirenden Flächen befestigt 
wird. Der Apparat steht mit einem DüDQEON’schen Sphygmo- 
graphen in Verbindung, der als Registrirapparat dient und zu 
gleicher Zeit Herz-, Arterien-, Venen- und Lebercurven ver¬ 
zeichnet. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Aus den Abteilungen 

der 

74. Versammlung deutscher Naturforscher und 

Aerzte. 

Karlsbad, 21.—27. September 1902. 

(Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) 

IV. 

Abtheilung für Chirurgie . 

Körte (Berlin): Erfahrungen über Gallensteinoperationen. 

Unter 135 Operationen wegen eiteriger Gallenblasen- und 
Gallengangsentzündung wurde 17mal die Operation im acuten Ent¬ 
zündungsstadium nötliig aus vitalen Indicationen. Die Gefahren 
bestanden in acuter Sepsis oder im Fortschreiten der Entzündung 
auf das Peritoneum. Bei 16 Fällen wurden Gallensteine gefunden, 
in einem Falle 2550 Stück. In 3 Fällen handelte es sich um 
Solitärsteine, nur einmal wurden keine Steine gefunden. Trotz Vor¬ 
handenseins von Steinen war das Leiden sehr häufig latent ge¬ 
blieben, bis acute Cholecystitis eintrat. Der Beginn derselben war 
stets ein sehr plötzlicher, oft mit schweren Allgemeinerscheinungen 
eintretender. Der Vorgang des Processes iu der Gallenblase war 
stets der: Verstopfung des Auswegs der Galle, Infection in dem 
abgeschlossenen Hohlraum. Durch den Abschluß des Hohlraums 
steigt nun die Virulenz der Bakterien, meist Bact. coli oder auch 
Eiterkokken. Eine fernere Gefahr ist die Spannung der Wand 
durch den wachsenden Innendruck, welcher zur Nekrose und Per¬ 
foration führt. K. hat einen solchen Fall operirt, der nach Ab¬ 
stoßung eines großen Stücks der Gallenblase heilte. Zweimal wurde 
bei älteren Frauen während der Heilung von Herniotomien das Bestehen 
acuter eiteriger Cholecystitis mit schweren septischen Erscheinungen 
beobachtet bei per priara geheilter Wunde. K. glaubt, daß durch 
die vorangegangene Einklemmung Bakterien aus dem Darm die 
Infection besorgt haben. 3mal wurde dicht vor dem Ausbruch 
einer allgemeinen Peritonitis operirt. Es fand sich die Gallenblase 
gespannt zum Platzen, mit nekrotischen Flecken besetzt; ein Fall 
bereits perforirt. Alle 3 Fälle heilten. In allen Fällen war die 
Wand der Gallenblase verdickt, ödematös, mit Abscessen mehrfach 
durchsetzt. Zweimal fanden sich Eiterherde zwischen Gallenblase und 
Leber im Begriff, in diese einzudringen. Die Schleimhaut war ge¬ 
lockert, ulcerirt, in einigen Fällen so stark, daß kaum noch intacte 
Schleimhaut gefunden wurde. Diese Geschwürsbildung war nicht 
immer durch Steindruck, sondern auch durch Eiterung entstanden, 
sie erinnerte in einigen Fällen an das Ulcus rotundum ventriculi. 
In einem Falle waren Choledochus und Hepaticus mit Steinen voll¬ 
gestopft. Die Spontanheilung oder Heilung mit interner Behand¬ 
lung ist in den Fällen geschilderter Art vielleicht in einzelnen 
Fällen möglich, sicher nicht einmal wahrscheinlich. Im ganzen sind 
durch die Operation im acuten Stadium von den 17 Fällen acuter 
infectiöser Cholecystitis 14 geheilt, 3 gestorben; diese waren 65, 
66 und 75 Jahre alte Frauen, die mit Myokarditis, Schrumpfniere 
und Diabetes behaftet waren und daran zugrunde gingen. Ein 
großer Bauchschnitt und reichliche Umstopfung des Operations¬ 
feldes mit Gaze schützen vor Peritonitis. Im ersten seiner Fälle 
hat K. die Cystotomie mit nachfolgender Tamponade und Drainage 
gemacht. Später hat er die Gallenblase entweder in toto excidirt 
(6mal) oder resecirt (5mal) mit nachfolgender Tamponade und 
Drainage. Zweimal wurde mit der Cystektomie die Choledochusdrai- 
nage verbunden. K. hält die Cystektomie für das am meisten zu 
empfehlende Verfahren, weil 1. der Infectionsherd entfernt, 2. be¬ 
ginnende Lebereiterung freigelegt, 3. die Gefahr des Zurücklassens 
von Steinen verringert wird. Ausgiebige Tamponade und Drainage 
ist dringend nothwendig. Subphrenische Eiterung und Lebereiterung 
infolge der Cholelithiasis wurde in 9 Fällen operirt. Der Ausgangs¬ 
punkt war in 6 Fällen die Gallenblase; sie heilten durch Incision 
und Drainage. In 3 Fällen waren es cholangitische Leberabscesse. 
Sie sind meist multipel; bei zweien war die Operation vergeblich. 


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1909 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 42. 


1910 


Der 3. Fall war ein Absceß im rechten Leberlappen, der nach 
längerem Suchen gefunden und peripleural von hinten her ineidirt 
wurde. Er heilte nach schwerem Krankenlager. Diffuse Peritonitis 
ist ömal zustande gekommen, von denen nur ein Fall durch La¬ 
parotomie geheilt werden konnte. Auch wenn ein großer Gallen¬ 
stein durch die Naturkräfte ins Duodenum perforirt, ist die Ge¬ 
fahr noch nicht vorbei, es droht Darmverschluß durch Gallensteine. 
K. hat den Vorgang 13mal beobachtet. 

Bei den dann operirten Fällen saß der Stein meist im unteren 
Ileum, einmal in der Flexura sigmoidea, einmal im oberen Jejunum. 
Bei der Operation Längsschnitt mit querer Vernähung, einmal mit 
Entero-Anastomose. Von den 9 Operirten wurden 5 geheilt, 4 starben, 
2 im Collaps gleich nach der Operation, 2 au schon bestehender 
Peritonitis. Die Diagnose auf Gallensteinileus ist schwer zu stellen, 
baldige Operation zu rathen, einmal, da man die Diagnose nicht 
sicher stellen kann, zweitens wegen der bei bestehendem Darmver¬ 
schluß drohenden Gefahr der Erschöpfung oder der Peritonitis. 

Fink (Karlsbad): Operationen am Gallensystem und an der 
Leber. 

Während in dem ersten Tlieile der Arbeit die interne Behand¬ 
lung mit der Karlsbader Cur erörtert wurde, wird in dem zweiten 
Theile die chirurgische Seite des Gallen^teinleidens verfolgt. — 
Unter Berücksichtigung der allgemein anamnestischen Daten und 
der klinischen Symptome im Vergleiche zu denselben Symptomen 
im internen Theile werden die Indicationen festgestellt, die zur 
Vornahme des operativen Eingriffes Anlaß gaben. Dieselben theilt 
F. ein in : 1. solche seitens der Blase und 2. seitens des Chole- 
dochus. Die ersteren lassen wieder 3 Gruppen unterscheiden: 
a) die Tumorbildung der Blase, b) bei schweren snbjectiven Sym¬ 
ptomen und c) bei snbjectiven Symptomen und hinzutretenden ob- 
jectiven Veränderungen. Die Indicationen seitens des Choledochus 
lassen sich unterscheiden a) in einen ruhig verlaufenden und b) in 
einen mit Complicationen einhergehenden Choledochusverschluß. Auf 
Grund dieser Symptome wurden die Operationen ausgeführt. 

Die bei der Operation gemachten operativen Befunde, betreffend 
Leber, Gallenblase und Gänge, sowie die Folgezustände des Ueber- 
greifens der Entzündung auf die Nachbarorgane ergaben die ge¬ 
setzten Veränderungen, die F. in 3 große Gruppen einreiht: In 
Veränderungen des Volumens, der Wand und des Inhaltes. 

Die ausgeführten Operationen waren leichte und schwere. 
Zu den ersteren zählt er: Spaltungen, Naht der Fistel, Cystostomie, 
und Cystenteroanastomose; zu den schweren: Cysticotoraie, Cy- 
stectomie, Choledochotomie, Hepaticotomie und Hepaticostomie. Die 
schweren sind überdies untereinander combinirt. Während die Zahl 
der einfachen 26 beträgt, beläuft sich die Zahl der combinirten 
auf 22 Operationen mit 64 schweren Einzeleingriffen. 

Die Schwere der Operation und ihre Combination fällt bei 
der Beurtheilung der Erfolge in die Wagschale. 

Geheilt wurden 81’25%, unvollständig war die Operation und 
neue Beschwerden traten auf in 41%, Tod an den Folgen der 
Operation in 2% und Tod an Complicationen in 12’5%. 

Es geht daraus hervor, daß nicht die Operation als solche, 
sondern daß die Complicationen die Gefahr bei der Operation bildeu. 

Die Complicationen sind zum Theile durch die Schwere und 
die Dauer des Leidens bedingt und es kann ihnen durch recht¬ 
zeitige Operation vorgebeugt werden. 

Aus diesen Erfahrungen resultirt eine Behandlungsart, welche 
nicht aus Princip nur die interne oder nur die chirurgische Be¬ 
handlung wählt, sondern methodisch in den einzelnen Fällen die 
Indicationen zur balneologischen oder chirurgischen Behandlung 
abwägt. 

RlEDEL (Jena) stellt zwei Kranke vor, die er wegen Gallen¬ 
steinen nach Karlsbad geschickt bat. Bei der Operation der einen 
Frau, wo die Diagnose nach Abgang von Steinen und wiederauf¬ 
tretendem Icterus sicher schien, fand sich in dem eröffneten und 
sondirten Choledochus nichts. Dagegen konnte Bact. coli gezüchtet 
werden. Diese schuldigt R. nun für den wiederauftretenden Icterus 
an und ist der Meinung, diese Fälle gehörten nach Karlsbad. Der 
zweite Fall, ein 19jähr. Mädchen, ein ähnlicher Fall, in dem nach 


Exstirpation der Gallenblase, genauer Inspection des Choledochus 
wieder Icterus auftrat, wurde zum zweitenmal operirt. R. schnitt 
wieder den Choledochus auf, dann das Duodeum, drainirte den 
Hepaticus, alles mit negativem Erfolge, schickte dann die Pat. 
nach Karlsbad. Er behauptet demnach, daß typische Gallenstein¬ 
koliken auch ohne Gallensteine nur durch die Infection der Gallen¬ 
wege Vorkommen. 

Di scussion. 

Kausch (Breslau) berichtet , daß in der Breslauer Klinik mehr Cysto- 
tomien als Cystostomien gemacht werden. Ein Tampon wird durch die Bauch- 
wundo bis zur Gallenblasennaht geführt. Dieses Vorgehen kürze die lange 
Heilungsdauer bei der Cystostomie ab. 

Fink (Karlsbad) uüd Kelling (Dresden) wenden sich gegen die Aus¬ 
führungen von Riedel. 

Steinthal (Stuttgart) hat einen ähnlichen Pall wie Riedel gehabt und 
schließt sich den von Riedel aufgestellten Anschauungen vollkommen an. 

Kehr (Halberstadt) behauptet, daß es bei einer Choledochotomie ganz 
uraöglich ist, genau zu sagen, daß kein Stein mehr vorhanden ist. Er hat in 
15% der Fälle trotz genauester Inspection Steine übersehen. Man soll deshalb 
stets Hepaticusdrainage machen. 

Körte (Berlin) erwähnt einen Fall, der das Uebersehen von Steinen und 
die Frage der Recidive beleuchtet und der ihn lehrte, daß eine coutinuirliche 
Neigung zur Bildung von Steinen in den Lebergallengängen besteht. Nach Ab¬ 
gang von Steinen oder nach der Operation soll daher stets die Karlsbader 
Cur angewendet werden. 

Y. Büngner (Hunau) führt Einiges über die Bedeutung des Pankreas- 
kopfcarcinonls in Rücksicht auf die Verstopfung des Ductus choledochus aus. 

Reger (Hannover) unterstützt die Annahme Riedel’s der „Gallenstein¬ 
anfälle“ durch reine Infection. 

Korach (Hamburg) wendet sich gegen die frühe Operation bei Gallen¬ 
steinen. Ferner hat er auch bei Pankreascarcinom von Seiten des Magens 
Störungen gesehen nnd bezügliche chemische Veränderungen gefunden. 

Riedel (Jena) macht noch einmal eindringlich darauf aufmerksam, daß 
viele Fälle von sehr schweren Veränderungen nnd Zerstörungen an den Gallen¬ 
wegen ganz latent verlaufen, bis sie im Anschluß an ein Trauma acut werden 
und ohne Operation schnell zugrunde gehen. 

Oskar Kraus (Karlsbad) erwähnt einen von ihm beobachteten Fall, 
der die Infectionstheorie Riedel’s unterstützt. 


Abtheilung für Geburtshilfe und Gynäkologie. 

0. Th. Lindenthal und F. Hitschmann (Wien): Ueber die Ent¬ 
wickelung der Placenta unter normalen und pathologischen 
Bedingungen. 

Das befruchtete Ei wandert durch Tube und Uterus; auf 
diesem Wege kommt es in dem Entwicklungsstadium, in welchem 
es zur Haftung befähigt ist, zur Implantation. 

Je nach der Höhe der Haftstelle in der Uterushöhle ent¬ 
wickelt sich nach rein mechanischen Prineipien die normale Pla¬ 
centa, die Placenta praevia reflexa und die Placenta praevia par- 
tialis. Nachdem das Ei in das Bindegewebe des Uterus einge¬ 
drungen ist, tritt es an seiner ganzen Oberfläche mit dem Mutter- 
gewebe in Verbindung und an der ganzen Circumferenz befindet 
sich die Anlage der Serotina in Form einer Hohlkugelschale. Auf 
diese Serotina wirken der Innendruck des wachsenden Eies sowie 
der Zug des wachsenden Uterus und an der basalen Fläche der 
Druck der Uteruswand gegen das Cavum uteri hin. Durch das 
Wirken dieser Kräfte wird die Serotina aufgerollt und gleichzeitig 
in die Ebene der Decidua vera aus der Tiefe der Schleimhaut 
herausgedrängt, so daß die fertige Placenta eine Scheibe darstellt, 
welche im Niveau der Schleimhaut liegt. 

Erfolgt die Ansiedlung des Eies im Corpus uteri, so erfolgt 
eine normale Entwicklung der Placenta, erfolgt die Heftung im 
unteren Drittel des Uterus, so entsteht unter gewissen Verhält¬ 
nissen die Placenta praevia reflexa und erfolgt die Implantation 
noch tiefer in der Nähe des inneren Muttermundes, so entsteht die 
Placenta praevia partialis; die beiden letzteren Anomalien der 
Placentarbildung kommen dadurch zustande, daß die Zugverhält¬ 
nisse vom Eisitze gegen den Muttermund zu sich durch den Um¬ 
stand ändern, daß die Hauptmasse der Uteruswand nach oben 
hin zieht. 

Bei Placenta praevia totalis erfolgt die Heftung des Eies nicht 
wie in den früheren Fällen durch seitliche Einbettung in eine 
Uteruswand, sondern durch doppelte Implantation gleichzeitig in die 
vordere und hintere Uteruswand. 


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1911 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 42. 


1912 


Abtheilung für Kinderheilkunde . 

Monti (Wien): Zur Frage der Serumexantheme. 

Monti regt die Beantwortung der Frage an, wodurch die 
Serumexantheme zustande kommen, und wie die Entstehung der¬ 
selben verhütet werden könnte. Es ist sicher, daß das Diphtherie¬ 
antitoxin unschädlich ist und nicht als die Ursache der Serum¬ 
exantheme angesehen werden kann. Ebenso sind die früher 
aufgestellten Vermuthungen, daß die Serumexantheme durch 
Streptokokken oder durch den geringen Phenolgehalt des Serums 
bedingt wären, unbegründet. Am wahrscheinlichsten ist die Deutung 
von Oertel, daß die Serumexantheme nur die Folge einer durch 
die Einspritzung einer eiweißhaltigen Flüssigkeit einer anderen 
Thiergattung in das Gewebe, bezw. in das Blut bewirkten Intoxi- 
cation seien. Diese Annahme wurde durch die Versuche von Johan¬ 
nessen und Monti bestätigt, die bei gesunden Individuen bei 
Einspritzungen von einfachem sterilisirten Serum die gleichen 
Serumexantheme wie bei der Anwendung des Diphtherieserums 
auftreten sahen, und zwar sowohl die Früh-, wie die Spätexan¬ 
theme. Redner bespricht seine Versuche und schildert ausführlich 
die beobachteten klinischen Erscheinungen. Die Menge des zur 
Anwendung kommenden Serums scheint von größtem Einflüsse für 
die Entstehung der Serumexantheme und für die Form derselben zu 
sein. Diese Versuche sind auch durch Kollman’s Versuche be¬ 
stätigt, der bei Gelegenheit der therapeutischen Anwendung des 
Ilammelserums bei Lues die gleiche Erfahrung gemacht hat, daß 
bei der Anwendung derartiger Injectionen, abhängig von der 
Menge des eingespritzten Serums, die gleichen Intoxicationserschei- 
nungen, die gleichen Exantheme, Erytheme, Urticaria auftreten. 

Es ist nach dieser Erfahrung begreiflich, daß, je größer das 
Volumen des eingespritzten Serums, umso häufiger Serumexantheme 
auftreten werden. Seitdem man das hochwerthige Serum einge¬ 
führt hat, wo größere Volumina von Serum nicht mehr angewendet 
werden, sind die Serumexantheme harmloser und seltener. 

Monti verzeichnet bei seiner jetzigen Behandlungsweise nur 
in 3°/o ßämmtlicher behandelter Diphtheriekranker Serumexanthem. 
Ueberraschend sind demnach die Mittheilungen Moser’s, wonach 
auch bei Injection von 180 Ccm. Antistreptokokkenserum keine 
toxischen Nebenwirkungen aufgetreten seien. Es muß jedoch zuge¬ 
geben werden, daß Serumexantheme auch bei Anwendung von 
geringen Volumina von Serum auftreten können. In solchen Fällen 
scheint die Ursache in der Qualität des Serums zu liegen. Es 
ist sicher, daß ein nicht früher filtrirtes Pferdeserum nach dem 
Versuche von Johannessen geeignet ist, auch bei Anwendung 
geringer Volumina von Serum Serumexantheme zu veranlassen. 
Ein solches Serum ist gewöhnlich etwas trübe, und beim Erwärmen 
desselben pflegt die Trübung nicht zu verschwinden. Nach G bis 
8 Wochen wird auch das nicht filtrirte Serum wieder klar und 
das dürfte uns erklären, daß bei einem frischen Serum auch bei 
Anwendung von geringen Volumina häufig Serumexantheme auf¬ 
treten, während, wenn das Serum mehrere Wochen alt wurde, 
dies nicht mehr der Fall ist. Auch ein Serum, welches längere 
Zeit aufbewahrt wurde und einen weißen flockigen Niederschlag 
zeigt, ist imstande, auch bei Anwendung von geringen Volumina 
Serumexantheme hervorzurufen. 

Monti räth am Schlüsse seines Vortrages, um möglichst 
Serumexantheme zu vermeiden, folgende Regeln zu beachten: 
1. Man wende nur ein Serum an, welches ganz klar ist. 2. Wenn 
das Serum trübe ist, so erwärme man dasselbe vor der Anwen¬ 
dung auf 35° C. und verwende dasselbe nur dann, wenn nach 
wiederholtem Erwärmen die Trübung vollkommen verschwunden 
ist. 3. Dasselbe gilt auch von Serumsorten, die längere Zeit auf- 
bewahrt wurden und die einen weißen, flockigen Bodensatz zeigen. 
4. Man wähle nur solche hochwerthige Serumsorten, die uns er¬ 
möglichen, trotz Wiederholung der Injectionen über ein größeres 
Volumen als 10 Ccm. nicht hinauszugehen. 5. Vorsichtshalber 
wäre die wiederholte Erwärmung des Serums auf 35° C. nach den 
vorliegenden Erfahrungen zu empfehlen, weil man ohne Schädi¬ 
gung der Wirksamkeit auch bei Anwendung von größeren Volumina 


von Serum die etwa vorhandenen ursächlichen Momente für eine 
Intoxication und Bildung von Exanthemen am besten beseitigen kann. 

Biscussion. 

Rauchfuß (Petersburg) wirft die Frage auf, ob wir berechtigt sind, 
die von Monti ausgeführten Injectionen zu Versuchszwecken an gesunden 
Kindern vorzunehmen. Die eingespritzten Volumina sind nicht maßgebend 
dafür, ob toxische Wirkungen durch die Seruminjection auftreten, sondern 
die schädlichen Nebenwirkungen sind vollkommen individuell, denn auch 
kleinste Mengen riefen bei einzelnen Schädigungen hervor. 

Escherick bemerkt, daß die vom Redner erwähnten toxischen Sym¬ 
ptome jedem Forscher aus eigener Erfahrung bekannt sind, daß sie aber 
gegenüber den Vortheilen der Serumbehandlung Kranker nicht in Betracht 
kommen. Ernste Zufälle sind selbst bei den großen bei der Scharlachbehand¬ 
lung angedeuteten Dosen nicht beobachtet worden, womit die verschiedenen 
von M. vorgebrachten Erklärungsversuche hinfällig werden. Es liegen vielfach 
individuelle Dyscrasien vor. E. warnt vor einer derartigen Pauscbalverdächti- 
gung der Serumbehandlung, die soviel Gutes geleistet und noch zu leisten hat. 

Moser (Wien) hebt gleichfalls nochmals die individuelle Disposition 
für die Serumreaction hervor. 

Heubner (Berlin) hat selbst im Anfang der Serumperiode, wo er 100 
bis 180 Ccm. Hammelserum eingespritzt hat, keine toxischen Wirkungen 
beobachtet. 

Monti (Schlußwort) sucht die ihm gemachten Vorwürfe zu entkräften. 


Notizen. 

Wien, 18. October 1902. 

(K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien.) In der 
gestrigen Sitzung, der ersten nach den Sommerferien, hielt Hofrath 
Professor Weichselbaum die Gedenkrede auf weiland Rudolf 
Virchow und entwarf in meisterhaften Zügen ein Bild des ver¬ 
storbenen Geistesfürsten. — Hierauf berichtete Dr. G. Alexander 
Uber die Untersuchungen, welche er mit Prof. Dr. Kreidl an 
Thieren mit angeborenen Labyrinthanomalien ange¬ 
stellt hat. Bei taubstummen Katzen ergaben sich neben äußeren 
Degenerationszeichen (Pigmentarmuth , blauen Augen): Fehlen 
des häutigen Gehörganges und des CORTi’schen Organs in der 
Schnecke, Degenerationen in Sacculus, Bogengängen und Ampullen, 
Fehlen oder Verminderung des Pigments im Labyrinth. Der Vesti- 
bularapparat ist normal. Bei japanischen Tanzmäusen wurden als 
Ursachen des abnormen Verhaltens Atrophie der Spinalganglien, 
der Schneckennerven, der oberen Vestibularganglienzellen und der 
entsprechenden Vestibularäste, ferner Defecte der Nervenephithel- 
zellen gefunden. — Schließlich stellte Dr. Fuchsig einen Fall von 
traumatischer Ablösung der Haut mit nachfolgender 
Lymphorrhagie vor. 

(Verband der Aerzte Wiens.) Der Vorstand des Ver¬ 
bandes hat in seiner letzten Sitzung den Beschluß gefaßt, den all¬ 
gemeinen social-ärztlichen Congreß österreichischer Aerzte 
in Wien abzuhalten, und aus seiner Mitte ein zehngliederiges 
Comite gewählt, das mit der Aufgabe betraut werden soll, die Vor¬ 
arbeiten durchzuführen. — In derselben Sitzung wurde beschlossen, 
die Statuten in dem Sinne zu ändern, daß in den Centralaus¬ 
schuß nicht mehr die Obmänner der ärztlichen Vereine quasi als 
Virilisten entsendet werden sollen, sondern daß in diesem Ausschüsse 
nunmehr nur die drei vom betreffenden ärztlichen Vereine entsen¬ 
deten Delegirten Sitz und Stimme haben. 

(Universitätsnachrichten.) Als Nachfolger Karl Ger- 
hardt’s ist Professor Dr. Friedrich Kraus in Graz an die Ber¬ 
liner Universität berufen worden. — Professor Dr. v. Rosthorn 
in Graz hat einen Ruf als Ordinarius für Gynäkologie in Heidel¬ 
berg angenommen. 

(Auszeichnungen.) Der Gerichts- und Gefangenhausarzt 
beim Landesgerichte in Brünn Dr. Friedrich Zuska hat den Titel 
eines kaiserl. Rathes, Ob.-St.-A. II. CI. Dr. Anton Weiss das Ritter¬ 
kreuz des Franz Joseph-Ordens, Reg.-A. I. CI. Dr. Anton Wagner 
das gold. Verdienstkreuz mit der Krone, der Director der Svetlin- 
8chen Heilanstalt in Wien Dr. Gustav Halter das Ritterkreuz des 
Ordens der „Krone von Rumänien“, der Badearzt in Johannisbad 
Dr. Franz Schreier das Ritterkreuz I. CI. des sächsischen Albrechts- 
Ordens, der Primararzt und Privatdocent in Wien Dr. Karl Fol- 
tanek den Medjidie-Orden II. Cl. und das Commandeurkreuz des 


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1913 


1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 42. 


1914 


bulgarischen Alexander-Ordens, der Statthaltereirath und Landes- 
Sanitätsreferent in Triest Dr. Adalbert Bohata den preußischen 
Rothen Adler Orden III. CI. erhalten. 

(ViRCHOW-Denkmal.) Aus Berlin schreibt man uns: Der 
Ausschuß, welcher Virchow an seinem 80. Geburtstage die Virchow- 
Stiftung überreichte, hat sich wieder constituirt, um die Errichtung 
eines öffentlichen Denkmales für den großen Forscher vorzubereiten. 
Dem Ausschüsse gehören an : Waldeyer, B. Fraenkel, Posner, 
E. v. Mendelssohn-Bartholdy , Schäfer und Müller in Berlin, 
sowie Sir Felix Semon in London. 

(Das neue Hilfsärzte -Statut.) - Am 13. d. M. hat eine 
sehr zahlreich besuchte Versammlung der Hilfsärzte der Wiener 

k. k. Krankenanstalten stattgefunden, welche nach eingehender 
Discussion des von uns in der vorigen Nummer besprochenen neuen 
Statuts folgende Anträge des Ausschusses des „Vereines der Hilfs¬ 
ärzte“ zum Beschlüsse erhoben hat. Die Ililfsärzte begehren: 

l. Rücknahme der Beschränkung der Zahl und der Dienstzeit der 
Aspiranten; 2. Festsetzung der Minimaldienstzeit der Seeundar- 
ärzte auf zwei Jahre; 3. Ernennung der Secundarärzte nach 
der Anciennität; 4. Ausschluß obligatorischer Transfer irung 
der Hilfsärzte aus einem Krankenhause in ein anderes: 5. Vertre¬ 
tung der Hilfsärzte in der Di s c i p 1 i n ar c om m i s si o n ; 6. Hono- 
rirung der Aspiranten im Falle der Supplirung beurlaubter 
besoldeter Collegen; 7. Zulassung von Candidaten der Medicin vor 
Erlangung des Doctorgrades als Hospitanten; 8. Möglichkeit 
der Verlängerung der Dienstzeit der Abt hei lungsassistenten 
auf 3—5 Jahre; 9. Ausschluß jeder Rückwirkung des neuen 
revidirten und verbesserten Statuts auf derzeit bestellte Hilfsärzte. 
— Die Aerzteschaft begleitet die durchaus berechtigte und sachlich 
ernst und zielbewußt geleitete Action der Hilfsärzte mit ungetheilter 
Sympathie. 

(Der ärztliche Verein im II. Bezirke) hat in seiner 
letzten Plenarversammlung beschlossen, an den Verband der Aerzte 
Wiens heranzutreten, und auch die Aerztekammer zu ersuchen, die 
Regelung des Mißbrauches der Ambulatorien durch Bemittelte 
endlich energisch durchzuführen. Das diesbezügliche Referat wird 
in unseren Blättern in extenso erscheinen. 

(Aerzte als Sachverständige vor Gericht.) Die 
tirolisehe Aerztekammer hatte anläßlich der Anfrage eines Arztes 
in ihrem Sprengel in Angelegenheit der Verpflichtung der Aerzte 
zu gerichtlichen Aussagen als sachverständige Zeugen ein juristisches 
Gutachten darüber eingeholt, inwieweit ein Arzt als Zeuge auszu¬ 
sagen verpflichtet ist. Aus dem Gutachten geht Folgendes hervor: 
§ 350 der geltenden Proceßordnung bestimmt, daß die Vorschriften 
über den Zeugenbeweis auch Anwendung finden, insoweit zum Be¬ 
weise vergangener Thatsachen oder Zustände, zu deren Wahr¬ 
nehmung eine besondere Sachkunde erforderlich war, solche sach¬ 
kundige Personen zu vernehmen sind. Dieser Vorschrift sind auch 
vom Gerichte geforderte sachkundige Aussagen von Aerzten unter¬ 
worfen, und darf die Aussage bei drohender Arreststrafe nicht ver¬ 
weigert werden. Für solche Aussagen können nur nach Maßgabe 
der bestehenden Vorschriften Zeugengebühren verlangt, nicht aber 
Sachverständigengebühren in Rechnung gestellt werden, wenn sich 
das Gericht weigert, solche Gebühren zu liquidiren. Sollten die 
Gerichte diese Verpflichtung der Aerzte in einem Umfange oder 
unter Voraussetzungen in Anspruch nehmen, die ein Entgegen¬ 
wirken seitens der Aerzte rechtfertigen, kann dies nur in folgen¬ 
der Weise geschehen: a) Der Arzt ist berechtigt, die Aussage über 
gegenwärtige Thatsachen und Zustände, welche durch Sachver¬ 
ständige festgestellt werden können, zu verweigern; b) der Arzt 
ist nur verpflichtet, über Thatsachen und Zustände fachkundige Aus¬ 
kunft zu geben und kann die Aussage über alle fachmännischen 
Conclusionen, die er aus dem Befundmateriale gezogen, verweigern, 
kurz, es kann von ihm nur die Aussage über den ob- 
jectiven Befund verlangt werden; c) jeder Zeuge ist nur 
verpflichtet, über Thatsachen Auskunft zu geben, soweit sie in 
seinem Gedächtniß erhalten sind , und kann keine gesetzliche Be¬ 
stimmung gefunden werden, welche den Zeugen verpflichtet, aus 
ihm allfällig zur Verfügung stehenden Materialien und Aufzeich¬ 


nungen, eventuell durch anderweitige Erhebungen, sein Gedächtniß 
vor der Vernehmung nach Möglichkeit aufzufrischen. 

(BerlinerKrankencassen-Statistik.) Wir entnehmen 
der „Berufsgenossenschaft“ folgende, den Umfang der Arbeiter- 
Krankenversicherung in Berlin illustrirende Zahlen: Der Aufsicht 
der Gewerbedeputation des Magistrates unterstanden im Jahre 1901 
55 Ortskrankeucassen mit einer durchschnittlichen Mitgliederzahl 
von 237.029 männlichen und 133.444 weiblichen Personen. Dazu 
treten 44 Fabrikskrankencassen mit 66.107 männlichen und 13.363 
weiblichen Mitgliedern, 20 Innungskrankencassen mit 39.639 männ¬ 
lichen und 10.032 weiblichen Mitgliedern, und 22 männliche und 
29 weibliche Mitglieder der Gemeinde-Krankenversicherung. Ius- 
gesammt befanden sich somit 499.665 Personen, nämlich 342.797 
männliche und 156.868 weibliche in der Krankenversicherung. 
Sämmtliche Cassen hatten eine Einnahme von 16,353.473 Mk., 
eine Ausgabe von 15,693.386 Mk., so daß ein Baarbestand von 
660.087 Mk. verblieb. Dazu treten 9,719.528 Mk. Activa in Hypo¬ 
theken, Werthpapieren, Sparcassebüchern etc., so daß sich ein Ge- 
sammtvermögen von 10,381.643 Mk. ergibt. Die zwei staatlichen 
Betriebskrankencassen, die 33 eingeschriebenen Hilfscassen und die 
freie landesrechtlich genehmigte Hilfscasse der Berliner Hausdiener 
hatten zusammen 43.216 männliche und 12.766 weibliche Mitglieder, 
so daß sich die Gesammtzitier aller versicherten Personen auf 
555.648 Personen, nämlich 386.013 männliche und 169.635 weib¬ 
liche stellt. 

(B e w i 11 i g u n g der Venia practicandi an Laien 
und ausländische Aerzte.) Trotz der Intervention der Aerzte¬ 
kammer , trotz der unaufhörlichen Eingaben der zahnärztlichen 
Vereine an die Behörden gibt das Ministerium des Innern unauf¬ 
hörlich an Laien und ausländische Zahnärzte die „ausnahmsweise 
Bewilligung“ zur Ausübung der zahnärztlichen Praxis. Das letzte 
amtliche Verzeichniß der Sanitätspersonen zählt bereits 16 solcher 
Günstlinge, die von des Ministeriums Gnaden die Praxis betreiben 
können und ein Recht erhalten, das zu verleihen eigentlich nur 
die medicinische Facultät besitzt. Zu welchen Consequenzen dieser 
illegale Vorgang führt, zeigte eine in den letzten Tagen durch¬ 
geführte Verhandlung vor dem Erkenntnißsenate des Landes- als 
Berufungsgerichtes. Der ausländische Zahnarzt M., der im Atelier 
des Zahnarztes Dr. Pichler Zähne plombirt hatte, wurde wegen 
Curpfuscherei zu einer Geldstrafe von 200 Kronen und Landesver¬ 
weisung und der Arzt ebenfalls zu 200 Kronen Strafe verurtheilt. 
Dr. P. wies eine Bewilligung des Ministeriums vor, nach der der 
M. unter der Verantwortung des Zahnarztes zahntechnische Arbeiten 
ausführen dürfe. Trotz des ministeriellen Ukas erfloß die Strafe, 
da der Gerichtshof die Bewilligung des Ministeriums als im Gesetze 
nicht begründet anerkannte und eine ministerielle Verordnung das 
Strafgesetz nicht aufheben könne. Es wäre hoch an der Zeit, daß 
diese Mißbräuche ihr Ende fänden. 

(Die deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der 
Geschlechtskrankheiten) wird — wie uns gemeldet wird 
— am 19. d. M. ihre constituirende Versammlung abhaltcn. ln 
derselben wird Geh. Rath Neisser die Ziele und den Arbeitsplan 
der Gesellschaft darlegen, Blaschko über die Verbreitung, Lksser 
über die Gefahren und Kircher über die sociale Bedeutung der 
Geschlechtskrankheiten sprechen. Das erste Discussionsthema wird 
„Die Krankencassen und Geschlechtskrankheiten“ lauten. 

(M e r c k’s I n d e x.) Der in zweiter Auflage erschienene Index, 
eigentlich ein umfassendes Lexikon aller pharmaceutischen Handels¬ 
artikel, ist ein Sammelwerk ersten Ranges. Das bewies das rasche 
Vergriffensein der 10.000 Exemplare starken ersten Auflage. 
Die neue Ausgabe ist durch viele Notizen über die technischen 
Verwendungsarten der einzelnen Stoffe, sowie die Aufnahme der 
wissenschaftlichen Bezeichnungen und sonstigen Synonyme in alpha¬ 
betischer Reihenfolge, ferner durch zahlreiche etymologische Be¬ 
merkungen bereichert worden. 

(Millionen-Stiftung.) Der vor wenigen Wochen in Triest 
verstorbene Kaufmann Georg Galatti hat sein ganzes l J / 2 Mil¬ 
lionen Kronen betragendes Vermögen der Stadt Triest hinterlassen 
zur Gründung eines den Namen seines Vaters führenden Kranken¬ 
hauses. 


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1915 


1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 42. 


1916 


(Photographische Literatur.) Die im Verlage von 
Wilhelm K n app erscheinende „Encyklopädie der Photographie“ 
ist eine der bedeutendsten Erscheinungen auf photographischem 
Gebiete, zu deren Mitarbeitern die berufensten Vertreter der wissen¬ 
schaftlichen Photographie zählen. Das Gleiche gilt von dem aus¬ 
führlichen „Handbuch der Photographie“ von Josef Maria Eder. 
Mit Rücksicht darauf, daß die Photographie auch auf medicinischem 
Gebiete ein wachsendes Feld der Thätigkeit besitzt, machen wir 
unsere Leser auf die obgenannten Werke aufmerksam, die mit 
Trefflichkeit der Darstellung ein echt wissenschaftliches Gepräge, 
umfassenden Inhalt und ausgezeichnete Illustrationen vereinigen. 

(Statistik.) Vom 5. bis inclusive 11. October 1902 wurden in 
den C i vi lspit älern Wiens 6474 Personen behandelt. Hievon wurden 1386 
entlassen ; 143 sind gestorben (10'10% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 45, egypt. 
Augenentzündung 1, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 20, Dysen¬ 
terie—, Blattern—, Varicellen 18, Scharlach 38, Masern 79, Keuchhusten 41, 
Rothlauf 34, Wochen bettfieber 3, Rötbein —, Mumps 6, Influenza—, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand—, Lyssa —, 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wieu 576 Personen gestorben 
(+ 24 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Wien der quiescirte 
Primararzt des Krankenhauses Wieden, der bekannte Antimer- 
curialist Dr. Josef Hermann im 86. Lebensjahre; Dr. David 
Fischer, ehemals Badearzt in Pörtschach, 56 Jahre alt; in Baden 
Dr. Gustav Kopriva im Alter von 52 Jahren; in Arco Kais. Rath 
Dr. Heinrich Wollensack, 55 Jahre alt; in Krakau der dortige 
Krankenhausdirector Dr. Maximilian Kohn ; in Zwittau der k. u. k. 
Generalstabsarzt i. R. Dr. Franz Christ, Ritter des Ordens der 
eisernen Krone III. CI.; in Bonn der Geheime Obermedicinalrath 
a. D. Dr. Hermann Eölenburg im Alter von 88 Jahren ; in Göt¬ 
tingen der em. Professor der internen Medicin Dr. K. E. Hasse, 
92 Jahre alt; in Paris der bekannte Ophthalmologe Dr. Eduard 
Meyer im 64. Lebensjahre; in Montreal der Professor der Chi¬ 
rurgie Dr. J. A. S. Bruneke. 

Sublimatpastillen. Herr Apotheker Emmel ersucht uns um Aufnahme 
nachstehender Mittheilung: „Der Fabrikant Julius Asthausen hatte gegen 
Apotheker Emmel eine Klage dahin erhoben, daß er, Asthausen, der Er¬ 
finder der graduirten Sublimatpastillen sei, daß die zum Durchbrechen in 
zwei gleiche Theile gekerbten Sublimalpastillen gesetzlich geschützt seien, 
und beantragte, Urtheil dahin zu erlassen, daß Apotheker Emmel bei 
Meidung einer Strafe von 1000 M. für jeden Zuwiderhandlungsfall verboten 
wird, graduirte Pastillen herzustellen, Es wurde dem Julius Asthausen der 
Nachweis erbracht, daß die Erfindung der Kerbuug der Sablimatpastillen 
bereits bestanden hat, und wurde seine Klage kostenfällig abgewiesen, die 
zum Oberlandesgericht eingelegte Berufung wurde durch Versäumnißurtheil 
verworfen. Da Asthausen nun weiter die Behauptung aufstellte, daß er 
unter Nr. 153-511 das dort näher beschriebene Gebrauchsmuster für Einkerbung 
der Sublimatpastillen erworben habe, hat Emmel Klage erhoben gegen Ast¬ 
hausen auf Löschung des Gebrauchsmusters sämmtlicher Sublimatpastillen 
mit Einkerbungen: Auf diese Klage wurde der Beklagte im Sinne der Klage 
verurtheilt vom Landesgericht München I und wurde die gegen dieses Urtheil 
zum Oberlandesgericht eingelegte Berufung ebenfalls durch Versäumnißurtheil 
verworfen. Beide Urtheile sind rechtskräftig.“ 


Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 

Sitzung Donnerstag den 23. October 1902, 7 Uhr Abends, im Hörsaale 
Jer Klinik Nothnagel. 

Vorsitz: Hofrath Prof. Dr. Nothnagel. 

Programm : 

I. Demonstrationen (augemeldet: Dr. Shuller, Prim. Dr. Locheisen, 
Prim. Doc. Dr. H. Schlesinger, Dr. W. Menzel). 

II. Doc. Dr. Gost. Singer: Ueber spastische Obstipation. 

Das Präsidium. 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 


Mit dieser Nummer versenden wir einen Prospect der 

Thüringischen Verlagsanslalt in Eisenach und Leipzig über die 
„Politisch-Anthropologische Revue“. Wir empfehlen denselben der 
geneigten Beachtung unsrer Leser. 

Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
Postveraendung. Die Preise der Einbanddecken sind folgende: für die „Med. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
„Therapie der Gegenwart“ : Ä” 1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Postversendung. 


Die Rubrik: „Erledigungen, ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 



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Analyse und fachmännische Berichte erhältlich in den Mineralwasser- 
bandlungcn etc., oder auf Wunsch durch die Brunnendirection und 
Eigenthümerin der Quellen: 

„Apenta“ Actien-Gesellschaft, Budapest. 

Gratisproben franco zur Verfügung der Herren Aerzte. 
Ausschließliche Versendung für Oes^erreicli-Ungarn, Serbien und Rumänien durch 
die Firma S. Ungar Jun., k. u. k. Hof lieferant, Wien, I., JasomirgottstraDe Nr. 4. 

Verlag von August Hirschwald in Berlin. 

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XLIII. Jahrgang._Wien, den 26. October 1902. 


Nr. 43. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart-Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militäiärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik', letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse" 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 

Medizinische 


Wiener 


Abonnementspreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Militäräiztlicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
20 K, halbj. 10 K, viertel]. 5 K. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk., halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 fC; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mecüz. Presse“ in Wien, I., Maximilianstr. 4. 


Presse. 


Begründet 1860. 


Organ für praktische Aerzte. 

-. 8 - 8 .- 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


Redaction: Telephon Hr. 13.849. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Administration: Telephon Hr.9104. 


1-• Origmalien und klinische Vorlesungen. Infantiles Myxödem, Mongolismus und Mikromelie. Von Prof. Dr. Kassowitz in Wien. — Aus dem 
k. u. k. Marodenhau.se in Groß-Enzersdorf. Ueber Versuche mit Hygiaraa. Von Dr. Adolf Hemi>t, k. u. k. Regimentsarzt. — Ueber Impfung gegen 
Malaria mit dem KuiiN’schen Serum in Bosnien. Von Dr. Oskak Hovobka Edl. v. Zdebas, Spitalsleiter in Tesliö, Bosnien. — Aus der Chirurg. 
Abtheilung des bosn.-herceg. Landesspitales zu Sarajevo. Ueber Steinoperationen. Von Primararzt Dr. Josef Preindlsberger. — Referate. Rehn 
(Frankfurt): Ueber die Behandlung infeetiös-eitriger Processe im Peritoneum. — L. Leniewitsch (St. Petersburg): Das Oleum terebintbinae bei 
Gebärmutterblutungen. — Heidenhain (Worms): Ueber Darmverschluß und Enterostomie bei Peritonitis. — S. Rabow (Zoppot): Apomorphin als 
BeruhiguDgs- und Schlafmittel. — L. Spitzer (Wien): Ueber Lupusbehandlung mit dem LANo’schen Luftbrenner nebst histologischen Untersuchungen 
über die Wirkungen der heißen Luft auf gesunde und kranke Haut. — Kurula (Prag) : Ueber eine neue Methode der Nephropexis. — F. Marchand 
(Berlin): Ueber Gewebswucherung und Geschwulstbildung mit Rücksicht auf die parasitäre Aetiologie der Carcinome. — Josef Hertzka (Wien)! 
lieber das Eindringen von Badewasser in die Scheide von Schwangeren und über die Zweckmäßigkeit des Bades bei denselben. — Bettmann 
(Heidelberg): Ueber Herpes laryngis (menstrualis), nebst Bemerkungen über den menstruellen Herpes. — Mahmorek (Paris): La toxine strepto- 
coccique. Cohn (Halle a. S.): Untersuchungen über eine neue thierpathogene Hefeart (Hefe Klein). — Kleine Mittheilungen. Chlorcalcium 
bei Gebärmutterblutungen. — Erfahrungen über Heilbehandlung. — Schwefelsalbe, Gänsefett und rohes Petroleum. — Thyreoid-Serum. — 
Trachombehandlung. — Zur Behandlung der Impetigo vulgaris. — Wirkung der Jodalkalien und des Jodipins bei Syphilis. — Zur Lehre vom 
Cbloroformicterus. — Itrol. — Literarische Anzeigen. Vererbbare cellulare Stoffwechselkrankheiten. Sechs Briefe an einen Freund von 
Prof. Wilhelm Ebstein in Göttingen. — Lehrbuch für Wochenbettpflegerinnen. Von Dr. Paul Rissmann , Director der Provinzial-Hebammenlelir- 
und Entbindungsanstalt in Osnabrück. — Augenärztliche Unterrichtstafeln. Für deu akademischen und Selbstunterricht. Herausgegeben von 
Prof. Dr. H. Magnus. — Feuilleton. Panaceen bei Völkern der Halbcultur. Eine medicinisch-ethuologische Studie. Von Dr. Franz Weitlaner, 
vormals Schiflsarzt des Oesterr. Lloyd. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. .*4»$ den Abtheilungen der 74. Versammlung . deutscher -Jjfatur- 
forscher und Aerzte. Karlsbad, 21.—27. September 1902. (Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen raed. Fachpresse“.) V. — Gesellschaft 
für innere Medicin in Wien. (Orig.-Ber.) — K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — Notizen. Todesursachen in Oesterreich 
während der Jahre 1873—1900. — Neue Literatnr. — Eingesendet. — Offene Correspondenz der Redaction und Administration. — Aerztliche 
Stellen. — Anzeigen. 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse “ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Infantiles Myxödem, Mongolismus und 
Mikromelie. 

Von Prof. Dr. Kassowitz in Wien. *) 

Mein Beobaehtungsmaterial umfaßt 22 Fälle von Myx¬ 
ödem , 7f> Fälle von Mongolismus, 7 Fälle von Mikromelie, 
und. zwar handelte es sich (mit Ausnahme eines zwanzig¬ 
jährigen myxödematischen Cretins) nur um Individuen im 
Kindesalter, und auch der ältere Cretin tritt insofern nicht 
ganz aus der Reihe, als er im Beginne der Behandlung noch 
in jeder Beziehung infantile Verhältnisse darbot. 

In allen Fällen war die Mißbildung eine 
angeborene. Bei den Mongoloiden standen 39 Knaben 
36 Mädchen gegenüber; von den 22 myxödematischen Indi¬ 
viduen waren nur 6 männlichen, aber 16 weiblichen Geschlechtes, 
und die 7 mikromelischen waren lauter Mädchen. Bezüglich 
der Symptome ist zu bemerken, daß allen drei Typen die 
„cretinistische Gesichtsbildung“, insbesondere die Abflachung 
und Verbreiterung des Nasengerüstes, die häufige Epicanthus- 
bildung und die auffallende Steilheit der Gaumenwölbung, 
womit öfter eine Protrusion der Zunge verbunden ist, gemein¬ 
sam ist, dann die auffallende Verzögerung des Fontanellen¬ 
schlusses bei völligem Mangel von rachitischen Skeletverände¬ 
rungen. Allen Typen ist ferner gemeinsam die große Häufig¬ 
keit anderweitiger Miß- und Hemmungsbildungen, insbesondere 

*) Vortrag, gehalten in der Abtheilung für Kinderheilkunde der 74. Ver¬ 
sammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte in Karlsbad. — 
Coll.-Ber. der „Fr. Verein, der deutschen medicinischen Fachpresse“. 


Verunstaltungen des äußeren Ohres, ferner Nabel- und Leisten¬ 
hernien in großer Zahl. Außerdem wurde bei den Myxöde- 
mat.ösen einmal halbseitige Gesiehtsatrophie, einmal Kiemen¬ 
fistel und Anhängsel am Tragus, einmal auffallende Asymmetrie 
der Füße, einmal Tumor cavernosus; bei den Mongoloiden 
einmal Gaumenspalte, zweimal angeborene Herzfehler, ein¬ 
mal angeborene Cataracta gesehen. 

Berührungspunkte zwischen den Myxödematischen und 
den Mongoloiden bestehen in dem verzögerten Schluß der 
Stirnfontanelle und der Häufigkeit von Knochendefecten. an 
der Schädelkapsel, sowie in der auffallenden Hemmung der 
Dentition, während die Zahnevolution bei den Mikromelen 
kein abnormes Verhalten darbietet. 

Den Myxödematischen und Mongoloiden gemeinsam ist 
ferner die Auftreibung des Abdomens, verbunden mit träger 
Peristaltik und hartnäckiger Obstipation. Dazu kommt eine 
hochgradige Verminderung des rothen Blutfarbstoffes, während 
dieses Symptom bei den Mikromelen ebenso vermißt wird, 
wie die Obstipation. 

Was die Veränderungen der Haut und des Unter¬ 
hautzellgewebes anbelangt, so bestehen sie beim Myx¬ 
ödem in der eigentümlichen, sulzigen Beschaffenheit des Unter¬ 
hautzellgewebes, welche diesem Typus zu seinem Namen ver¬ 
holten hat, ferner der Trockenheit der kühlen und niemals 
schwitzenden Haut und der spärlichen Haarproduction. Die 
Mongoloiden dagegen haben eine glatte, einer normalen Schweiß- 
secretion fähige Haut und einen starken Panniculus adiposus, 
der aber — im Gegensatz zu dem echten Myxödem — durch 
die Organotherapie nicht vermindert zu werden scheint. Ihre 
Haarbildung ist normal. Die Mikromelen endlich zeigen bei 
sonst normalem Verhalten der Haut eine nur auf die Ex- 


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1931 


1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 43. 


1932 


tremitäten beschränkte Hypertrophie des subcutanen Zellge¬ 
webes, welche zu einer eigenthümlichen Faltenbildung an der 
Streckseite, namentlich der unteren Extremitäten, führt. Diese 
besondere Conformation schwindet aber nach einigen Jahren 
und macht einer anderen Platz, welche durch die an Ath¬ 
leten erinnernde Verdickung der Muskelbäuche bedingt ist. 

Zu dem Symptomencomplex des Myxödems und des Mon¬ 
golismus gehört ferner eine Störung in der psychischen und 
intellectuellen Entwickelung, welche eine verspätete Erlan¬ 
gung des Steh- und Gehvermögens, eine lang hinausgezogene 
Incontinenz und eine stark verspätete Ausbildung der Sprech¬ 
function zur Folge hat. Dagegen ist der Typus der Idiotie 
in beiden Fällen ein ganz verschiedener. Beim Myxödem ein 
torpides Wesen mit stumpfsinnigem, manchmal wie sorgen¬ 
vollem Gesichtsausdruck, bei den Mongoloiden nur in den 
ersten Lebensmonaten eine gewisse Schläfrigkeit, welche selbst 
eine verminderte Nahrungsaufnahme zur Folge hat, die aber 
bald einem eigenthümlich unruhigen, mitunter fast maniaka- 
lische Wesen und einem bewegten grimassirenden Mienen¬ 
spiel Platz macht. In vollem Gegensätze zu diesen beiden 
Typen besitzen die Mikromelen entweder eine normale oder 
selbst eine das Mittel übersteigende Intelligenz. 

In allen übrigen Punkten fehlt nicht nur jede Gemein¬ 
samkeit, sondern wir haben sogar ziemlich auffällige und ein¬ 
schneidende Differenzen zu verzeichnen. 

Dies gilt vor allem von dem Längenwachsthum und der 
Ausbildung der Knochenkerne. Während das Zurückbleiben 
der ersteren, das verspätete Auftreten der Knochenkerne und 
die bis in die späteren Decennien persistirenden Knorpelfugen 
zu den constantesten und charakteristischesten Erscheinungen 
des Myxödems gehören, ist das Längenwachsthum bei den 
Mongoloiden entweder gar nicht oder nur ganz unbedeutend 
retardirt, und kommen selbst übernormale Maße zur Beob¬ 
achtung. Die Mikromelen endlich sind charabterisirt durch 
das auf ein Minimum reducirte Längenwachsthum der Röhren¬ 
knochen. 

Was endlich die Bildung der Knochenkerne und 
die Verknöcherung der Knorpelfugen anlangt, so sind sie bei 
den Mikromelen niemals verzögert, wohl aber in manchen 
Fällen entschieden etwas verfrüht, so daß z. B. verknöcherte 
Synchondrosen an der Schädelbasis selbst bei Neugeborenen 
und Frühgeborenen gefunden worden sind. 

In allen drei Typen ist der Knorpel abnorm beschaffen 
und seiner normalen Resistenz verlustig geworden, woraus 
eine mitunter hochgradige Schlaffheit und Ueberstreckbarkeit 
der Gelenke resultirt. Bei den Mongolen findet man überdies 
nicht selten ein Peetus carinatum, welches aber nicht wie bei 
der Rachitis durch die verminderte Resistenz der knöchernen, 
sondern nur durch eine größere Nachgiebigkeit der knorpe¬ 
ligen Rippen bei normaler Härte und Resistenz der knöchernen 
bedingt ist. 

Endlich wäre noch die sexuelle Entwickelung zu er¬ 
wähnen , welche bei Mongoloiden und Mikromelen in nor¬ 
maler Weise und zu gewöhnlicher Zeit von statten geht, 
während sie bei den myxödematischen Cretinen, so lange sie 
therapeutisch unbeeinflußt bleiben, in hohem Grade ver¬ 
zögert ist. 

Was den Einfluß der Schilddrüsentherapie anlangt, so 
ist er bei den myxödematischen Individuen evident, nament¬ 
lich was die Aenderung des äußeren Habitus anlangt, 
in manchen Fällen geradezu verblüffend. Die Aenderung be¬ 
ruht hauptsächlich in dem rapiden Schwinden des Myxödems, 
der Verkleinerung der Zunge, der Beförderung des Haar¬ 
wuchses und namentlich bei frühzeitigem Beginne der Be¬ 
handlung in einer sehr auffallenden Hebung der intellectuellen 
Fähigkeiten. In vielen Fällen bleiben aber noch bedeutende 
Intelligenzdefecte zurück. 

Eine sichere Wirkung dagegen hat die Organtherapie 
auf das Längenwachsthum, auf das Schwinden der Nabel¬ 
hernie, auf die Entwickelung der sexuellen Functionen und 


der secundären Geschlechtscharaktere (Pubes, Bartwuchs, 
Mammae etc.), auf die Involution der Fontanelle, auf die 
Dentition, auf die Schweißsecretion, auf die Hebung der vor 
der Behandlung fast immer subnormalen Temperatur und na¬ 
mentlich auf die Obstipation. 

Viel weniger günstig ist der Einfluß dieser Therapie 
beim Mongolismus. Hier läßt sich nur das ziemlich prompte 
Schwinden der Obstipation, die Heilung der Nabelhernie und 
die Beseitigung der initialen psychischen Torpidität (Schlaf¬ 
sucht, verminderte Nahrungseinnahme) mit Sicherheit consta- 
tiren. Unsicher ist schon die Wirkung auf die Dentition und 
den Fontanellschluß und ganz negativ bleibt der Erfolg in 
Bezug auf den äußeren Habitus und die früher charakterisirte 
psychische Anomalie. 

Was endlich die mikromelische Mißbildung anbelangt, 
so ist auf diese eine Wirkung der Organtherapie überhaupt 
nicht zu constatiren. 

Zur therapeutischen Verwendung gelangte fast in allen 
Fällen ein flüssiges Präparat, das „Thyreo'fd-Elixir“ der Eirma 
Allen und Hanbury in Londen, von welchem täglich ein 
halber bis ein Kaffeelöffel verwendet wurde. In einzelnen 
Fällen wurden Thyreo'idtabletten und in einem Fall Schild¬ 
drüse in Substanz in Anwendung gezogen. 


Aus dem Ä\ u. Ä\ Marodenhause in Groß-Enzcrsdorf. 

lieber Versuche mit Hygiama. 

Von Dr. Adolf Hempt, k. u. k. Regimentsarzt. 

Die günstigen Resultate, die anderwärts mit Dr. Thein- 
hardt’s Hygiama erzielt wurden, haben uns bewogen, eigene 
Versuche darüber anzustellen, inwieweit Hygiama den prak¬ 
tischen Anforderungen entspricht, die heutigen Tages an ein 
concentrirtes Nährpräparat gestellt werden müssen, insbeson¬ 
dere an ein solches, welches in zwei Richtungen Verwendung 
finden soll. Dies ist einerseits bei acuten Krankheitsprocessen, 
speciell in den ersten Krankheitstagen der Fall, in denen die 
Ernährung erfahrungsgemäß auf die größten Schwierigkeiten 
stößt, und in denen es von größtem Belange ist, daß das Nähr¬ 
präparat kein Surrogat sei, welches erst anderen Speisen bei¬ 
gemengt werden muß. Das Präparat soll andererseits, wie dies 
bei Hygiama (in Milchaufkochung) der Fall ist, ein selbst¬ 
ständiges und vollkommen ausreichendes Nahrungsmittel reprä- 
sentiren, welches zudem aber auch von einer solchen Beschaffen¬ 
heit wäre, daß es protrahirtesten Gebrauch nicht ausschließt, 
die angenehme Darreichungsweise mit vollständiger Reizlosig¬ 
keit auf die Magen-Darmschleimhaut verbindet, welche Vor¬ 
züge besonders bei langem Gebrauche während constitutioneller 
Krankheiten und in der Reconvalescenz von großer Wichtig¬ 
keit sind. 

Inwieweit Hygiama diesen Erwartungen entspricht, 
dies zu beurtheilen mögen folgende kurze Aufzeichnungen 
einen bescheidenen Beitrag bilden: 

I. Cadett-O.-St. J. Sch., 21 Jahre alt, mittelkräftig. Seit ca. 
2 Wochen Gefühl von Magendruck, besonders nach den Mahlzeiten 
und bei aufrechter Körperhaltung, insbesondere bei stärkeren Be¬ 
wegungen (schnelles Gehen, Reiten), oftmaliges Erbrechen, ge¬ 
wöhnlich bald nach der Nahrungsaufnahme, täglich zwei- bis drei¬ 
maliges Auftreten krampfartiger Magenschmerzen, die bis in den 
Rücken (Lendenwirbelsäule) ausstrahlen. Ein ähnliches Leiden wurde 
angeblich vor 6 Jahren durchgemacht (damalige Krankheitsdauer 
8 Wochen), Vater hat angeblich durch 10 Jahre an Magengeschwüren 
laborirt. 

Stat. praes. Am 13. October 1901. Brustorgane, Leber und 
Nieren weisen keinen abnormalen Befund auf. Kein Meteorismus, 
Druckschmerzhaftigkeit des Epigastriums, Stuhl angehalten, Appetit 
sehr gering. Temperatur 37*5. 

Diagnose: Subacuter Magenkatarrh mit Verdacht auf Erosio 
ventric. Therapie: Bettruhe, Magnes. ust. Natr. hydrocarb. aa. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 43 


1934 


1933 


Bism. subnitric. Verbot jeder festen Nahrung. Ernährung ausschlie߬ 
lich mit Hygiama in Milchaufkochung 4mal pro die. 

18. October. Das Erbrechen hat aufgehört, desgleichen die 
Schmerzen in der Ruhelage geschwunden, treten jedoch auf, sobald 
Pat. das Bett verläßt. Appetit sehr gut. Hygiama wird anstands¬ 
los vertragen, verursacht weder den nach sonstigen Nahrungsmitteln 
stets aufgetretenen Brechreiz, noch Schmerzen im Magen. 

22. October. Patient kann 1 / 2 —1 Stunde ohne Beschwerden 
außer Bett verbringen. Uebergang zu breiiger Kost: Milchreis, 
Milchgries, -Gerste etc. mit Hygiamazusatz. Kalbfleischbrühe mit 
2 Dottern. Früh und Nachmittag reines Hygiama in Milch. 

80. October. Fortschreitende Besserung. Es wird nunmehr 
gestattet: geschabtes Fleisch, Bries etc., reconvalescirt (beurlaubt). 
Nach 4 Wochen vollständig genesen zur Truppe eingerückt. 

II. Uhlan J. H., 21 Jahre alt. Seit 2 Tagen Brechdurchfall, 
zeitweilig blutig tingirte Stühle. Heftigste Schmerzen im ganzen 
Unterleibe, wegen deren er um Mitternacht ins Marodenhaus ge¬ 
bracht wird. 

22. November. Stat. praes. Graciles, gut genährtes Individuum. 
Innere Organe ohne pathologisch-objectiven Befund. Abdomen leicht 
aufgetrieben, leicht druckschmerzbaft, Puls 80. Temperatur afebril, 
Appetitlosigkeit, Brechreiz, pro die 10—15 Stühle. 

Diagnose: Acute Gasteroenteritis. 

Therapie: Calomel, Hygiamaaufkochung in Milch 4mal 
pro die kalt dargereicht, Eispillen. 

23. November. Abgang großer Mengen stark fäculenten 
Kothes, theils geformt, theils diarrhoisch, Schleimflocken, stellen¬ 
weise blutig tingirt. 

24. November. Normale breiige Stühle. 

27. November. Kein Brechreiz mehr, Schmerzen im Unter¬ 
leib geschwunden. Hygiama wird gut vertragen. Uebergang zu 
festerer Nahrung. 

30. November. Reconvalescirt (diensttauglich). 

III. Uhlan B. J., 22 Jahre alt. Im Vorjahre durch drei Monate 
mit Bronchialkatarrh (Spitzenkat.) im Marodenhaus Gr.-Enzersdorf 
in Behandlung gestanden. Seit einiger Zeit erneuert aufgetretener 
intensiver Hustenreiz, der auch die Nachtruhe stört. Nächtliche 
Schweiße und angebliches Abmagern. Hereditär in Bezug auf 
Tuberculose belastet. 

1. October. Stat. praes. Gelblich-blasse Färbung der Haut¬ 
decken. Panniculus adiposus fast geschwunden. Groß, schlank, gracil, 
schmaler Thorax. Supraclavicular-Gruben eingefallen, Rippen infolge 
Abmagerung sehr hervorstehend. 

Percussion des Thorax: vorne: Supraclavicular und bis zum 
unteren Rande der 3. Rippe beiderseits gedämpfter Schall, weiter 
abwärts normaler heller Lungenschall. 

Rückwärts: Dämpfung bis zur Scapula. 

Auscultation: Oben beiderseits bronchiales Athmen, in den 
unteren Partien trockenes Giemen und Pfeifen. Körpertemperatur 
39‘5, Körpergewicht G5 Kgrm. Im zähen und in geringer Menge 
abgesonderten Sputum Kocu’sche Bacillen leicht nachweisbar. 

Diagnose: Infiltratio apic. pulm. t. b. c. (vorgeschrittener 
tuberculoser Lungenspitzenkatarrh). 

Therapie: Bettruhe, hydriat. Behandlung, innerlich Anti- 
pvretica und Kreosot, Guajacetin abwechselnd, Morphin und Codein 
gegen Hustenreiz. Mastcur, mit welcher wegen sehr daniederliegenden 
Appetites erst späterhin begonnen wurde. Vorerst Milchdiät mit 
Hygiamaau fkoch u ng. 

14. October. Schwinden der abendlichen Temperatursteigerungen. 
Appetit wesentlich gehoben. Hustenreiz geringer. Hygiama wird mit 
besonderer Vorliebe genommen und gut vertragen. Uebergang zu 
gemischter Kost. Von künstlichen Nährpräparaten wird nur Hygiama 
und dieses nunmehr in den Zwischenmahlzeiten gereicht. 

18. October. Dämpfung über den Spitzen im Rückgänge be¬ 
griffen. Körpergewichtszunahme l 1 /.^ Kgrm. 

1. November. Afebrile Temperaturen, Hustenreiz beinahe ge¬ 
schwunden. Infiltrationen weiter in Resorption begriffen. Appetit 
sehr gut. Körpergewichtszunahme seit 1. October 3 Kgrm. 

30. November. Reconvalescirt, Körpergewicht 70 Kgrm. 
Gesamratzunahme 5 Kgrm. 


IV. Uhl. Reer. F. J., 21 Jahre alt, früher angeblich nie krank 
gewesen. Seit 2 Tagen heftige Bauch- und Rückenschmerzen, die 
Füße sind seither angeschwollen, ebenso der Unterleib. Stechende 
Schmerzen in den seitlichen Thoraxpartien, Gefühl von Druck in 
der Herzgegend. Uebligkeiten. Kopfschmerzen. Stuhlgang angehalten, 
Harnsecretion vermindert. 

20. November. Stat. praes. Am ganzen Körper Oedeme. Be¬ 
sonders auffallend durchtränkt ist das lockere Zellgewebe um die 
Augenlider, oberen und unteren Extremitäten, besonders um die 
Knöchel. 

Ueber der Lunge beiderseits vorne heller Schall in der normalen 
Ausdehnung, rückwärts von der 9. Rippe an absolute Dämpfung. Darüber 
Stimmfremitus aufgehoben, kein Athemgeräusch, kein pleurit. Reiben 
daselbst. Respirat. IG, Herzdämpfung geht rechts bis unter das 
Sternum. Spitzenstoß im 5. Intercostalraum, in der Mamillarlinie, 
Herztöne rein. Puls 55, Gefäß voll, gespannt. Leberdämpfung reicht 
nach unten bis zur Horizontale des Nabels. Abdomen aufgetrieben, 
zu oberst tympan. Schall, seitwärts Dämpfung. Bei veränderter 
Lage Niveau der Dämpfung auch geändert. Fluctuation. Körper¬ 
temperatur 37’5. Harnmenge 800, Farbe: braunroth, trüb, Blut 
und Eiweiß enthaltend. 

Diagnoe: Nephritis acuta, Hydrothorax, Ascites. 

Therapie: Heiße Bäder, innerlich Kal. aceticum. Reine 
Milchdiät. 

24. November. Harnsecretion zugenommen. 1500 pro die. Im 
Harn kein Blut mehr, von Eiweiß nur Spuren. Nachdem Milch 
allein Widerwillen erregte, wurde probeweise eine schwache Ily- 
giamaaufkochung in Milch gereicht. 4mal täglich zu 2 Kaffeelöffel 
in 350 Ccm. Milch. 

25. November. Kein Eiweiß im Harn. Oedeme um die Augen und an 
den Extremitäten nehmen ab, Hygiama verursachte keinerlei Reizer¬ 
scheinungen, wird gerne genommen. Appetit seither besser. 

28. November. Hydrothorax und Ascites im. Schwinden. 

29. November. Infolgezunehmender Besserung und A usfall weiterer 
nephritischer Erscheinungen Uebergang zu gemischter Kost. Hygiama- 
darrcichung in den Zwischenmahlzeiten 2mal täglich. 

8. December. Reconvalescirt. 

V. Uhlan-Recr. Nie. St., 21 Jahre alt, augeblich auf dem Re- 
crutentransport vor 4 Tagen erkrankt. Heftige stechende Schmerzen 
in der Brust, krampfhaftes Zusammenziehen in der Magengegend, 
öfteres Erbrechen schleimiger Massen. Allgemeines Schwächegefühl, 
Nachtschweiße. Auch in früheren Jahren oft krank gewesen (mit 
Husten und Fieber). Hereditär belastet mit Tuberculose. 

20. October. Stat. praes. Sehr herabgekommener Ernährungs¬ 
zustand, Hautdecken fahl, gelblich, nirgends ein Panniculus adipös. 
Thorax flach, rückwärts in den unteren Partien ausgebuchtet. Per¬ 
cussion : Rückwärts: über beiden Spitzen bis zur Scapula gedämpfter 
Schall. Auscult. Ueber den Spitzenpartien bronchiales Athmen und 
kleinblasige Rasselgeräusche, über den unteren Lungenpartien lautes 
Giemen und Pfeifen. Respir. 22. Herzdämpfung in normalen Grenzen. 
Herztöne rein. Puls 70, Gefäß schlecht gefüllt und die Gefäßwand 
weich. Leber und Milz normal. Abdomen unter dem Niveau des 
Thorax eingezogen. Druckschmerz im Epigastrium. Trockener, sehr 
schmerzhafter Husten. Körpertemperatur früh 39'8, Mittag 38'5, 
Abends 40. 

Diagnose: Exacerbirter Lungenspitzenkatarrh. 

Therapie: PRiESSNiTz’sche Einpackung. 2 stündl. Heroin, 
Sirolin abwechselnd mit Creosotmixtur. Wegen der Magenbeschwerden 
vorerst nur flüssige Nahrung. Milch mit Hygiama viermal täglich. 

25. October. Temperaturen Abends immer bis auf 40°. Schüttel¬ 
fröste. Profuse Schweiße. Darauf ziemlich ruhiger Schlaf, der nur 
ab und zu durch plötzlich auftretende stechende Schmerzen in der 
Brust gestört wird. Tagsüber sehr apathischer, oft wie somnolenter 
Zustand. Pupillen reagiren träge. 

2G. October. Sensorium frei. Kein Kopfschmerz. Husten weniger 
schmerzhaft. Expectoration eines zähen, schleimig-eiterigen Sputums. 
Giemen und Pfeifen nur mehr vereinzelt. 

30. October. Morgens afebril. Mittag 38‘5, Abends noch immer 
über 39°. Subjectiv Euphorie. Sputum sehr spärlich. Magensym- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 43. 


1936 


ptome geschwunden. Uebergang zu breiiger Nahrung. Milchspeisen 
(Reis, Gerste, Gries, Sago) mit Hygiamazusatz. 

5. November. Feste Nahrung (gemischte Kost). Früh und 
Nachmittags Hygiamaaufkochung in Milch. 

10. November. Auch die abendlichen Temperatursteigerungen 
geschwunden. Guter Appetit. Hygiama wird mit besonderer Vor¬ 
liebe genommen. Hustenreiz sehr gering. Schweiße aufgehört. 

. 20. November. Zunehmende Besserung. 

28. November. Sämmtliche acuten Erscheinungen zurück¬ 
gegangen. 

IG. December. Der Ueberprüfungscommission vorgestellt. Körper¬ 
gewichtszunahme um G Kgrm. 40 Dekagrm. 

VI. Corpor. J. T., 23 Jahre alt, sehr schwächlich. 

Reconyalescent nach schwerem Gelenksrheumatismus, hoch¬ 
gradige Blutarmuth, Schwächezustände. Ordinirt: Arsen, Mastcur. 
An Nährpräparaten kam ausschließlich Hygiama in Milchaufkochung 
in Anwendung. Körpergewichtszunahme in den ersten 2 Wochen 
4 Kgrm. 

In sämmtlichen hier angeführten Fällen war Hygiama 
das einzige Nährpräparat, welches in Anwendung kam, so 
daß kein Zweifel darüber obwalten kann, welchem Factor die 
günstigen Resultate zugeschrieben werden müssen. Wie er¬ 
sichtlich, wurde die Ernährung in den ersten Krankheitstagen 
fast ausschließlich mit Hygiama in Milchaufkochung bestritten, 
hernach wurde es breiigen Milchspeisen beigemengt, beim 
Uebergang zu gemischter Kost wurde es als Zwischenmahl¬ 
zeit gereicht. Das Präparat wurde ausnahmslos gerne ge¬ 
nommen, selbst bei Appetitlosigkeit, wo alles andere refusirt 
wurde, war es dem Kranken leicht beizubringen, und gerade 
bei schwer afficirtem Magen und Darm, wo andere als flüssige 
Nahrung ausgeschlossen ist, konnten die günstigsten Erfah¬ 
rungen mit Hygiama gemacht werden. 

Das Präparat hat unseres Erachtens nach vor allen 
anderen Nährpräparaten nebst vielen, schon von anderer 
Seite bekundeten Vortheilen den besonders sinnfälligen Vor¬ 
theil, daß es entgegen der gewöhnlich vollständigen Geschmack¬ 
losigkeit anderer Präparate durch seinen Gehalt an wohl¬ 
schmeckendem aromatischen Theobromin die Geschmacksnerven 
reizt, infolgedessen von Kranken lieber als etwas anderes 
Indifferentes genommen wird und, dem Organismus einver¬ 
leibt, außer dem nutritiven einen sofort constatirbaren stimu- 
lirenden Effect erzielt. 


Ueber Impfung gegen Malaria mit dem 
Kuhn’schen Serum in Bosnien. 

Von Dr. Oskar Hovorka, Edl. v. Zderas, Spitalsleiter in 

Teslic, Bosnien. 

(Fortsetzung.) 

10. Andreas B., 25 Jahre alt, Maurer, aus Udine, Italien. 
Quartana dupl. 

Altling. Vor G Jahren litt er in Steiermark an Wechselfieber, 
welches trotz aller Chininbehandlung 14 Monate andauerte. Diesmal 
erkrankte er zum zweitenmale am 1. September. Die Anfälle kommen 
jedesmal 2 Tage hintereinander, dann folgt ein freier Tag. Spitals- 
aufuahme am G. September. Milzvergrößerung percussorisch nach¬ 
weisbar, doch nicht tastbar. Leichte Bronchitis. 

Blutbefund: Am 7. September 9 Uhr vorm, vereinzelte große 
Parasiten, 2 Uhr nachm, zahlreiche große Parasiten, Bänder; 8. Sep¬ 
tember 9 Uhr vorm, große Parasiten; 15. September 9 Uhr vorm, 
zerfaserte, mittelgroße Parasiten. 

Es werden zahlreiche weitere Präparate gemacht, die Parasiten 
erscheinen ohne Unterbrechung weiter. 

Injection von je 5 Ccm. Serum am 8. und 19. September. 
Die Anfälle kommen mit wechselnder Zu- und Abnahme der Tempe¬ 
ratur stets zu derselben Zeit, worunter Pat. stark leidet. Puls wird 
oft dicrot. Große allgemeine Schwäche. Pat. verläßt am 27. Sep¬ 
tember das Spital, um nach Italien zu gehen. Aus einem Briefe 


geht hervor, daß er noch den ganzen October an Malaria litt, 
obwohl die Anfälle „nicht mehr so stark“ gewesen sein sollen. 

11. Fioravanti P., 18 Jahre alt, 1., Maurer aus Udine (Italien). 
Quartana dupl. 

Altling. Er erwarb das Wechselfieber vor 8 Jahren in Rumänien, 
welches trotz aller Chinintherapie durch 9 Monate andauerte. Es kehrt 
seitdem alle 2 Jahre zurück. Heuer erkrankte er am 30. August. 
Milz nicht tastbar. Bronchitis. Zweiter Pulmonalton accentuirt. 

Blutbefund: Am 7. September 9 Uhr vorm, große Quartana- 
parasiten, Bänder, Morulaformen, 2 Uhr nachm, dgl. weniger zahl¬ 
reich ; 8. September 9 Uhr vorm, große Parasiten, einzelne große 
Ringe; 11. September 9 Uhr nachm, vereinzelte Morulaformen. 

Injection am 7. September um 9 Uhr nachm, mit 5 Ccm. Serum. 
Die Anfalle wiederholen sich in der Weise, wie es Pat. in der 
Anamnese angegeben hat. Dabei kann man beobachten, daß der 
erste Anfall stets der stärkere ist (bis 40'2°); der zweite ist stets 
schwächer (37'7—34 - 4), und zwar so, daß er immer an Intensität 
abnimmt. Am 27. September wird Pat. auf eigenen Wunsch aus 
dem Spital entlassen und geht in die Arbeit. Am 1. October leichter 
Anfall, am 2. October beschleunigter Puls. Dann verläßt Pat. Bosnien. 

12. Nedo J., 19 Jahre alt, 1., Arbeiter aus G. Radnja bei 
Teslic. Tertiana dupl. 

Altling. Vor 5 Jahren befiel ihn im Herbst eine schwere 
Tertiana, welche mit blutigen Stühlen einherging und ihn an den 
Rand des Grabes gebracht haben soll. Er genas ohne ärztliche Hilfe. 
Heuer erkrankte er am 4. September. Spitalsaufnahme am 7. Sep¬ 
tember. Milzgeschwulst nicht tastbar, Bronchitis. 

Blutbefund: Am -7. September 2 Uhr nachm, große und kleine 
Ringe, große Tertianaparasiten; 8. September 9 Uhr vorm, mittlere 
Ringe; 9, September 11 Uhr vorm, einzelne mittelgroße Parasiten, 
nicht zahlreiche junge Parasiten, 2 Uhr nachm, ausgewachsene 
Parasiten, nicht zahlreich; 10. September 9 Uhr vorm, kleine Para¬ 
siten und kleine Ringe, 7 Uhr nachm, spärliche große Ringe; 
11. September 9 Uhr vorm, nichts, 5 Uhr nachm, spärliche, mittel¬ 
große Parasiten und Ringe, einzelne große Parasiten und kleine 
Ringe, große Schollen, zerfallene große Parasiten. 

Pat. wurde am 7. September um 1 / 2 2 Uhr nachm, mit 5 Ccm. 
Serum geimpft. Gleich der erste Anfall nach der Impfung war 
geringer (39 - 9), der zweite (38‘3) und der dritte (37‘0) noch 
schwächer. Er wird am 11. September als gesund entlassen. Bis 
Mitte Juni 1902 kein Rückfall. 

13. Johann C., 40 Jahre, verh., Werkmeister aus Krems, 
Niederösterreich. Tertiana dupl. 

Altling. Seit dem Jahre 1897 pflegt er jedesmal im Herbst 
an einer äußerst heftigen Malaria zu erkranken, wobei die Ein¬ 
nahme von Chinin wenig Erfolg hat. Heuer stellte sich selbe am 
1. September ein, und zwar unter Schüttelfrost, Hitze und nach¬ 
folgendem Schweißausbruch. Die Anfälle wiederholen sich täglich 
abwechselnd in der Weise, daß sie einmal Vormittag, das anderemal 
Nachmittag auftreten. Spitalsaufnahme am 8. September. Herz¬ 
dämpfung etwas verbreitet, Leber- und Milzvergrößerung, Potator. 

Blutbefund: Am 7. September 4 Uhr nachm, große Parasiten, 
ziemlich zahlreich; 9. September 2 Uhr nachm, große Parasiten, 
Gameten; 21. September 7 Uhr nachm, große Parasiten, meist 
zerrissen, Pigment sehr fein, Blutkörperchen vergrößert, doch nicht 
abgeblaßt. 

Impfung am 8. September J / 2 2 Uhr nachm, mit 5 Ccm. Serum. 

Die Anfälle werden allmälig schwächer, der zweite nach der 
Impfung ist ganz gering, der dritte erreicht wieder die Höhe von 
39 - 2. Pat. verläßt am 12. September auf eigenen Wunsch das 
Spital. In seiner Wohnung wiederholen sich jedoch die Anfälle, und 
zwar mitunter mit einer großen Heftigkeit. Am 30. September klagt 
er über ziehende Schmerzen in den Beinen und im Rücken. Herpes. 
Keine Milzvergrößerung mehr nachweisbar. Am 17. October fährt 
er nach Wien ab. Nach einer brieflichen Mittheilung hatte er bis 
Ende August 1902 in Wien keinen Rückfall. 

14. Luka L., 41 Jahre alt, verh., Zimmermann, aus Slunj, 
Kroatien. Quartana. 

Altling. Bekam mit 30 Jahren Malaria, welche nach Dar¬ 
reichung von Chinin schwand. Heuer erkrankte er am 5. September 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 43. 


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mit Ameisenlaufen im ganzen Körper, Gähnen, Hitze und Schweiß. 
Dasselbe wiederholte sich jeden 4. Tag. Milzgeschwulst. 

Blutbefund: Am 11. September 11 Uhr vorm, nichts, 3 Uhr 
nachm, nichts; 12. September 10 Uhr vorm, nichts; 14. September 
’/ 2 6 Uhr nachm, große IV-Parasiten; 8. October ’/ 2 l Uhr nachm, 
ganz vereinzelte große IV-Parasiten, theilweise blaß; 30. October 
11 Uhr vorm. Sphären und lebende Geißelfäden mit lebhafter 
Eigen ; und Molecularbewegung. 

Pat. wird, da er ins Spital nicht eintreten will, ambulatorisch 
geimpft, und zwar am 11. und 14. September, am 8. October mit 
je 5 Ccm., am 20. October mit 10 Ccm. Serum. Obwohl eine geringe 
Intensitätsabuahme der Anfälle zu verzeichnen ist, kommen dieselben 
immer wieder zurück, was bis Ende Januar 1902 dauert. Im Februar 
verschafft er sich Chinin, worauf das Fieber ausbleibt. Am 7. und 
10. April leichter Rückfall. Eine genaue Körpermessung wegen der 
ambulatorischen Behandlung war leider unmöglich. 

15. Niko G., 17 Jahre, 1., Arbeiter aus Jukrica bei Teslic. 
Quartana. 

Altling. Vor 2 Jahren litt er an schwerem Wechselfieber, 
welches mehrere Wochen andauerte und ohne Chinin heilte. Krank¬ 
heitsbeginn am 8. September mit starkem Kältegefühl. Die typischen 
Anfälle kommen jeden 4. Tag. Milz vergrößert, starker Herpes 
labialis der Unter- und Oberlippen. 

Blutbefund : Am 14. September 11 Uhr vorm, große IV-Parasiten ; 
14. September 11 Uhr vorm, ambulatorische Impfung mit 5 Ccm. 
Serum. Seitdem kommt Pat. nicht mehr in die Behandlung. 

16. Paula R., 22 Jahre alt, verh., Maschinistensgattin aus 
Olovo, Bosnien. Tertiana. 

Erstling. Sie erkrankte am 8. September mit einem äußerst 
heftigen Schüttelfrost, Nachdem sie sich im 9. Schwangerschafts¬ 
monate befindet und sich vor Chinin fürchtet, verlangt sie selbst 
nach einer Injection mit Serum, von welchem sie bereits gehört 
hatte. Milztumor, Athembeschwerden, Herzklopfen, Bronchitis. Herpes. 

Blutbefund: Am 14. September 7 Uhr vorm, große Ill-Para- 
siten, amöboide Formen; 17. September 1 / 2 < ^ Uhr vorm, nichts; 

21. September 10 Uhr vorm, große Ill-Parasiten, mittlere Ringe, 
wie zerrissen, aufgebläht. Zerfallsformen, 8 Uhr nachm, nichts; 

22. September 8 Uhr nachm, große Parasiten, zerrissen, theilweise 
erblaßt, mit liegen gebliebenem Pigment, 

Injection mit je 5 Ccm. Serum am 14. September und 24. October. 
Nach der Impfung kommen vier sehr heftige Anfälle (40 2, 40'2, 
39'9, 39’7), die späteren sind bereits schwächer und verlieren 
ihren Zeittypus. Am 29. September wird sie von einem ganz ge¬ 
sunden Mädchen in normaler Weise entbunden. Nach der Ent¬ 
bindung bleibt das Fieber einige Zeit ganz aus, dann kommt es 
wieder, wobei auch das Kind in leichterem Grade ergriffen wird. 
Nach der zweiten Impfung nehmen die Anfälle an Heftigkeit wieder 
zu und dauern mit abwechselnder Heftigkeit noch 2 Monate an, 
trotzdem daß sie sich im November auf einige Zeit in ihre fieber¬ 
freie Geburtsstadt Olovo begibt. Seit 22. Februar hören die Anfälle 
vollständig auf; Mitte März bis 2. April wiederholen sich die Anfälle, 
doch mit geringerer Heftigkeit. Dann bleiben sie aus. 

17. Louise H., 19 Jahre alt, k., Private, aus Cerna, Kroatien. 
Tert. dupl. 

Altling. Seit anfangs September verspürt sie täglich um 
11 Uhr vorm. Frost, dann Hitze. Leichte Milzvergrößerung, stark 
blutarm. 

Blutbefund: Am 10. September um 1 / i l^ Uhr vorm, nichts; 
19. September 7 Uhr vorm, nichts; 9 Uhr vorm, nichts ; 21. Sep¬ 
tember 10 Uhr vorm, nichts, 1 Uhr nachm, nichts; 22. September 
9 Uhr nachts nichts; 23. September 8 Uhr vorm, nichts; 2. October 
9 Uhr nachts nichts. 

Am 19. September um 7 Uhr abends Impfung mit 5 Ccm. 
Serum. Einigemale nach der Impfung verspürt sie um die Zeit 
des Anfalles statt einer Temperaturerhöhung Kopfschmerzen, die 
früher nicht bestanden. Seitdem bis Mitte Juni 1902 kein Rückfall. 

18. Anna I., 25 Jahre alt, 1., Dienstmagd, aus Dolnja-Tuzla, 
Bosnien; Quartana. 

Altling. Sie erkrankte am 10. September abends mit Schüttel¬ 
frost, Hitze und Schweißausbruch. Dasselbe wiederholt sich zuerst 


alle 3, dann alle 4 Tage. Milzvergrößerung percutorisch nach¬ 
weisbar, starke Blässe im Gesichte, Magenschmerzen, Bronchitis, 
Herpes. 

Blntbefund: Am 20. September 9 Uhr vorm, zahlreiche runde, 
meist freie Parasiten, Morulaformen; 21. September 10 Uhr vorm, 
mittelgroße IV-Parasiten, sehr blaß, unregelmäßig eingezogen, auf¬ 
gebläht, oder zerrissen; 24. September y 2 10 Uhr vorm. Morula¬ 
formen, nicht sehr zahlreiche runde Parasiten mit hellen Stellen; 
29. September 9 Uhr vorm, große Parasiten und Bänder; 4. October 
3 Uhr nachm. Sphären, kleinere mittlere Parasiten mit amöboider 
Bewegung. 

Pat. wird zuerst am 20. September um 10 Uhr vorm, ambu¬ 
latorisch mit 4 Ccm. Serum injicirt, worauf eine heftige Reaction 
in Form von zwei starken Anfällen erfolgt (21. und 23. September). 
Der 3. Anfall (26. September) ist etwas schwächer. Pat. wird am 
27. September ins Spital aufgenommen und am 29. September mit 
5 Ccm. Serum geimpft. Am 29. September kommt ein ungemein heftiger 
Anfall (40‘7 C.). Nach der Entlassung aus dem Spital (6. October) 
werden die Anfälle etwas schwächer, doch dauern sie immer weiter 
fort bis December, in welchem Monate Pat. Teslic verläßt. 

19. Conrad K., 32 Jahre, Yerh., Buchbinder aus Muratsch, 
Ungarn. Tert. dupl. 

Erstling. Erkrankte am 17. September mit Frost, Hitze, 
Schweiß, Kopfschmerz, was sich täglich um 7 / 2 3 Uhr nachm, 
wiederholte. 

Blutbefund: Am 21., 22., 24. September negativ. 

Ambulatorische Impfung am 21. September um 2 Uhr nachm, 
mit 5 Ccm. Serum. Den nächsten Tag nach der Injection um 
’/ 2 8 Uhr abends heftiger Anfall , welcher sich am 23. September 
um 8 Uhr abends in gelinderer Form wiederholt, am 24. September 
um 7 Uhr abends ist er noch schwächer, zugleich Ausbruch von 
Urticaria. Seitdem bis Mitte Juni 1902 kein Rückfall. 

20. Hedwig P., 24 Jahre, Maschinenführersgattin aus Wien. 
Tropica. 

Altling. Leidet häufig, ebenso wie ihr Mann, an Malaria und 
hat bereits viel Chinin mit wenig Erfolg eingenommen. Diesmal 
erkrankt sie von Neuem am 22. September um 3 Uhr nachm, und 
wird am 24. September in der eigenen Wohnung mit 4 x / 2 Ccm. 
Serum injicirt. Milztumor, Bronchitis. 

Blutbefund: Am 22. September 9 Uhr abends vereinzelte 
mittlere Tropicaringe; 24. September J / 2 9 Uhr vorm, nicht sehr 
zahlreiche mittlere und große Tropicaringe; 25. September 8 Uhr 
abends mittlere und große Tropicaringe, etwas häufiger; 27. Sep¬ 
tember 9 Uhr vorm, mittlere und große Tropicaringe, ziemlich 
zahlreich. 

Nach der Impfung werden noch 4 ziemlich heftige Anfälle 
beobachtet (bis 40‘4), dann kommen noch mehrere, doch werden 
sie immer schwächer und schwächer, bis sie gegen Ende October 
vollends verschwinden. Bis Mitte März 1902 kein Rückfall, dann 
einige unregelmäßige, leichtere Anfälle. Bis Mitte Juni 1902 bleibt 
sie dann von Malaria verschont. (Fortsetzung folgt.) 


Aus der Chirurg. Abtheilung des bosn.-hereeg. 

Landesspitales zu Sarajevo. 

Ueber Steinoperationen. 

Von Primararzt Dr. Josef Preindlsberger. 

(Fortsetzung.) 

57. Fall. Ivan V., 17 Jahre, r.-kath., Johovac (Dervent). 
6 Jahre. Operation am 17. December 1901. Sectio alta. Mühsame 
Extraction, Quetschung des unteren Wundwinkels. Peritonealfalte 
kam zur Ansicht. Während der Narkose starker Hustenanfall. Dauer 
der Operation 18 Minuten. Complete Scidensuspensionsnaht (mäßige 
Cystitis). 22. December Entfernung des Katheters, Pat. urinirt 
spontan. 23. December Wunde bis auf die Drainagestelle per primam 
verheilt. Blasennaht sufficient. Wundheilung durch Abstoßen von 
Ligaturen verzögert. Ileilungsdauer 88, resp. 5 Tage. Verweilkatheter. 

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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 43. 


1940 


Gewicht 71 Grni., Kern und Rinde: Urate, etwas Calciumoxalat 
und Calciumphosphat, Magnesiumphosphat. 

58. Fall. Mato S., 40 Jahre, r.-kath., Dobro Selo (Mostar). 
12 Jahre krank. Operation am 15. Januar 1902. Sectio alta. Litho- 
tripsie wegen geringer Toleranz der Blase, sowie der Enge des 
Orificium externum nicht ausführbar. Bei der Sectio alta kam die 
Peritonealfalte zur Ansicht. Blasenwand verdickt. Complete Seiden¬ 
suspensionsnaht (Cystitis). 18. Januar. Urin klar, fließt anstandslos 
ab, Puls 120. 22. Januar. Entfernung der Nähte, Wunde reactions- 
los. Exitus letalis. Verweilkatheter. Gewicht 02 Grm., Kern: Ma¬ 
gnesiumammonphosphat, Urate, Rinde: Magnesiumammonphosphat. 
Obductionsdiagnosc: Pyelonephritis purulenta chronica e cystitide 
cum atrophia renum e cystitide post lithiasim. Sectio alta ante 
VIII. dies facta non sanata, sequente exulceratione parietis adnexae 
abdominis, sequentibus abscessibus metastaticis pulmonum cum per- 
foratione plcurae sinistrae et pneumothorace sinistro. Bronchitis 
diffusa chronica, Bronchopneumonia catarrhalis lobularis dispersa 
loborum inferiorum, oedema acutum pulmonum. 

59. Fall. Todor K., 30 Jahre, Klakar (Dervent). 3 Wochen 
krank. Operation am 24. Januar 1902. Pat. entleert selbst beim 
Uriniren 13 kleine Steine. Im Verlaufe Phlegmone, gangraenosa scroti 
infolge von Harninfiltration durch einen in der Urethra eingekeilten 
Stein. Nach Abstoßung der gangränösen Partien wurde Lappen¬ 
plastik gemacht. Heilungsdauer 100 Tage. 8. Mai entlassen. 10 lin¬ 
sengroße Urate. 

00. Fall. Josip T., 77 Jahre, or.-orth., Sarajevo. Operation 
am 22. Februar 1902. Marastisches Individuum mit spastischen 
Contracturen der Beine,- Harnfisteln und Urininfiltration am Perineum, 
bedingt durch mehrere, in der Urethra fixirte Concremente. Erwei¬ 
terung der Fisteln und Extraction der Steine von dieser in der 
Gegend der Pars membranaeea gelegenen Wunde. Sectio lateralis 
und Extraction eines Steines aus der Blase. Dauerkatheter. Wund¬ 
verlauffieberlos, mit reichlicher Eiterung; durch zunehmenden Maras¬ 
mus Exitus letalis am 9. April 1902. Gewicht 8 Grm., Urate, Cal¬ 
ciumphosphat, Magnesiumammonphosphat vorwiegend. Obductions 
befund: Exulceratio partis prostaticae urethrae ex lithiasi cum 
perforatione fistulosa in rectum et perineum ante VI. hebdomades 
per incisionem fistulae perinealis operata, non sanata. Cystitis, 
Urethritis et Pyelitis dextra purulenta chronica. Atrophia senilis 
renis et hepatis. Atheromatosis aortae et arteriarum, praecipue co- 
ronarium cordis. Myocarditis fibrosa valde progressa ventriculi 
sin. cordis. Myelitis chronica malacica anterior partis infimae 
medullae spinalis sequente contractura gravissima extremitatum 
inferiorum. Bronchitis chronica, Emphysema 3enile, Bronchopneu¬ 
monia purulenta reccns partium discretarum atque Oedema acutum 
pulmonum. Decubitus levioris gradis regionis trochantericae lateris 
utriusque et Marasmus senilis summi gradus. 

61. Fall. Mchmed D., 55 Jahre, muh., Bobovice (Konjice). 
2 Jahre krank. Operation am 6. Februar 1902. Sectio alta. Leichte 
Quetschung der Blasenwundränder. Schwere Asphyxie. Dauer der 
Operation 18 Minuten. Complete Seidensuspeniionsnaht. 11. März 
Wunde per primam verheilt. 20. Februar geheilt entlassen. Ilei 
lungsdauer 6 Tage. Verweilkatheter durch 6 Tage. Gewicht 105 Grm. 
Harnsaures Ammon. 

62. Fall. Mile M., 5 Jahre, or.-orth., Sanica (Kluc). 2 Jahre 
krank. Operation am 14. Februar 1902. Sectio alfa. Peritoneal¬ 
falte kam zur Ansicht. Dauer der Operation 12 Minuten. Complete 
Seidensuspensionsnaht (Cystitis). 19. Februar Wunde per primam 
verheilt. Vollständige Wundheilung durch Abstoßen mehrerer Liga¬ 
turen verzögert. Heilungsdauer 5, resp. 39 Tage. Verweilkatheter 
durch 7 Tage. Gewicht 6 Grm., Kern: Urate, Mittelpartie: Urate. 
Calciumoxalat, Phosphate, Rinde: Magnesiumammonphosphat. 

63. Fall. MesudJ., 9 Jahre, muh., Gracanica. 3 Jahre krank.. 
Operation am 24. März 1902. Sectio alta. Gegen Ende der Ope¬ 
ration schwere Asphyxie. Dauer der Operation 17 Minuten. Com¬ 
plete Seidensuspensionsnaht. 28. März Wunde per primam verheilt. 
11. April entlassen. Heilungsdauer 5 Tage. Verweilkatheter durch 
5 Tage. Gewicht 8 Grm., Kern: Urate, Calciumoxalat, Calciumcar¬ 
bonat und Calciumphosphat, Rinde: Calciumoxalat und Calcium 
carbonat, Magnesiumammonphosphat. 


64. Fall. Mile K., 4 1 / 2 Jahre, or.-orth., Trmosnja (Sanski 
Mort). 2 Jahre krank. Operation am 1. Juli 1901. Sectio alta. 
Blasenwand verdickt. Dauer der Operation 20 Minuten. Complete 
Seidensuspensionsnaht (Cystitis). Heilung der Wunde, durch welche 
einige Tage Urin fließt, per secundam. Ileilungsdauer 31 Tage. 
Verweilkatheter durch 29 Tage. Gewicht 17 Grm., Kern: Urate, 
Calciumphosphat, Magnesiumammonphosphat, Rinde: Magnesiumammon¬ 
phosphat. 

65. Fall. Jakov P., 10 Jahre, or.-orth., Petrovici (Vlasenice). 
6 Jahre krank. Operation am 7. Juli 1902. Sectio alta. Peritoneal¬ 
falte kam zur Ansicht. Blase dickwandig, Schleimhaut geröthet 
und geschwellt. Complete Seidensuspensionsnaht (mäßige Cystitis), 
Hautnaht mittels MiCHEL’scher Klammern. Am 8. Tage Naht insuffi- 
cient. DiiTEi/sches Knierohr. Verweilkatheter durch 6 Tage. Dittel- 
sches Knierohr durch 5 Tage. Gewicht 17 Grm., Kern: Urate. 
Mittlere Partie: Urate, Calciumoxalat, wenig Phosphate und Cal¬ 
ciumcarbonat, Rinde: Urate, Phosphate, wenig Calciumoxalat. 

66. Fall. Mico R., 4 Jahre, or.-orth., Grbavica (Jajce). 3 Jahre 
krank. Operation am 16. Juli 1902. Sectio alta. Schwere Asphyxie. 
Complete Seidensuspensionsnaht (Cystitis), Hautnaht mittelst Michel- 
scher Klammern. 23. Juli Wunde per primam verheilt. Spitalsauf¬ 
enthalt verzögert, da das Kind erst am 9. August abgeholt wurde. 
Ileilungsdauer 7 Tage. Gewicht 2 1 /, Grm., Kern: Urate, Phosphate, 
Rinde: Magnesiumammonphosphat, etwas Calciumphosphat, Calcium¬ 
carbonate und Calciumurate. 

67. Fall. Petar 0., 9 Jahre, or.-orth., Imotski (Dalmatien). 
6 Jahre krank. Operation am 16. Juli 1902. Litholapaxie. Drei¬ 
maliges Eingehen mit dem Lithotriptor. Mehrmalige Evacuation. 
Etwas stärkere Blutung stand auf Ausspülung. (Mäßige Cystitis.) 
19. Juli Harn rein, Patient urinirt ohne Schmerzen. 22. Juli ent¬ 
lassen. Heilungsdauer 4 Tage. Gewicht 6 1 /., Grm., Urate, Oxalat, 
Phosphate. 

68. Fall. Osman C., 12 Jahre, muh., Zenica. Einige Monate 
krank. Operation am 30. Juni 1902. Versuch, -den in der Pars 
membranae urethrae befindlichen Stein mittels Steinlöffel, dann mit 
Urethralpincettc zu extrahiren. Der Stein wird in die Blase ge¬ 
stoßen. Zertrümmerung desselben durch zweimaliges Eingehen mit 
dem Lithotriptor; Evacuation Während der Narkose zweimaliges 
Erbrechen. (Mäßige Cystitis.) 5. Juli Urin klar. Uriniren ohne 
Schmerzen. Heilungsdauer 5 Tage. Gewicht 0’35 Grm., Urate, Cal¬ 
ciumoxalat und Phosphate. 

69. Fall. Mijo J., 5 Jahre, r.-kath., Crkvica (Zenica). Einige 
Wochen krank. Operation am 30. Juli 1902. Extraction des un¬ 
mittelbar hinter der Glans befindlichen, über linsengroßen Steines 
mittels Steinlöffel. Blutung sistirte nach Ausspülung mit kaRer Bor¬ 
lösung. 1. August Patient urinirt spontan, ohne Schmerzen. Hei¬ 
lungsdauer 2 Tage. Gewicht 1 / a Grm., Urate. 

70. Fall. Mujo H., 5 Jahre, muh., Cajnica. 10 Tage krank. 
Operation am 14. Juli 1898. Extraction des in der Fossa navicu- 
laris befindlichen Steines mit dem Urethrallöffel. 18. Juli Patient 
urinirt ohne Schmerzen; Harn klar. Heilungsdauer 4 Tage. Ge¬ 
wicht J / 2 Grm., Urate. 

71. Fall. Cvijan N., 16 Jahre, or.-orth., Odprävdiöi. 2 Mo¬ 
nate krank. Operation am 8. Juli 1898. Urethrotomia externa 
und Extraction des in der Pars membranaeea eingekeilten Steines, 
der mittels Löffel und Zange nicht zu entfernen war. Naht der 
Urethra (Cystitis). 14. Juli Entfernung der Nähte. Wunde per pri¬ 
mam verheilt. 17. Juli geheilt entlassen. Heilungsdauer 6 Tage. 
Gewicht 1 Grm., Urate und Calciumoxalat. 

72. Fall. Mayer A., 60 Jahre, r.-k., Sarajevo. 2 Jahre krank. 
Operation am 17. August 1898.' Lithotripsie. Viermaliges Eingehen 
mit dem Lithotriptor, einmaliges mit dem Ramasseur; Evacuation. 
18. August nach Mißlingen der Einführung des Katheters Punction 
der Blase nach Spaltung der Haut über der Symphyse; Fixation 
der Punctionscanüle. Cystitis. 26. August Entfernung der Punctions- 
canüle. 8. September Bauchwunde durch Granulationen ausgefüllt. 
Patient urinirt ohne Schmerzen. Heilungsdauer 21 Tage. Kern: 
Urate, Rinde: Magnesiumammon- und Calciumphosphat. 

7 3. Fall. Pero C., 35Jahre, r.-kath., Rakovanoga (Fojnica). 
16 Jahre krank. Operation am 4. Februar 1898. Nephrotomia. Ex- 


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1941 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 43. 


1942 


tractio calculi renis. 8. Juli Operationswuude vernarbt. Heilungsdauer 
154 Tage. Gewicht 0’6 Grm. Urate, Calciumoxalat, Magnesiumam¬ 
monphosphat. 

7 4. Fall. Asuf S., 2% Jahre, muh., Sarajevo. 1 Tag krank. 
Operation am 10. November 1897. Dorsale Spaltung des ge¬ 
schwellten Präputiums und Extraction des Steines aus der äußeren 
Urethralöffnung. Naht des Präputiums. 15. November Entfernung 
der Nähte, Wunde verheilt. Heilungsdauer 5 Tage. Erbsengroßer Urat. 

7 5. Fall. Pero P., 25 Jahre, Slatina (Foca). 10 Jahre 
krank. Operation am 18. März 1897. Sectio alta und Extraction 
von 3 taubeneigroßen Steinen. 3 complete Catgutnähte, sonst Seide. 
2. April. Aus dem unteren Wundwinkel entleert sich nach Durch- 
stoßung der dem Durchbruche nahen Hautdecke etwa ein Kaffee¬ 
löffel Eiter. 13. April Narbe glatt, nicht schmerzhaft. Heilungs¬ 
dauer 26 Tage. Verweilkatheter. Gewicht 6 Grm. Kern: Urate 
und Calciumoxalat. Rinde: Wenig Urate, sonst wie Kern. 

7 6. Fall. Ivo R., 5 Jahre, r.-kath., Kiseljak (Fojnica). 5 Jahre 
krank. Operation am 29. December 1897. Sectio alta. Complete Seiden¬ 
naht (Cystitis). 4. Januar Entfernung der Hautnähte. Blasennaht 
sufficient, mäßige Eiterung aus dem prävesicalen Raum. 7. Februar 
Operationswunde bis auf eine hellergroße granulirende Stelle ver¬ 
heilt. Heilungsdauer 39. Tage. Verweilkatheter. Gewicht 5 Grm. 
Kern: Urate. Rinde: Magnesiumammonphosphat, Calciumcarbonat, 
Calciumphosphat und Calciumoxalat. 

7 7. Fall. Pero R., 3 Jahre, r.-kath., Capljina. 3 Monate 
krank. Operation am 17. Januar 1897. Sectio alta. Complete Cat¬ 
gutnaht (Cystitis). 21. Februar an der Wunde noch eine 2 Cm. 
lange granulirende Stelle. Naht sufficient. Heilungsdauer 34 Tage. 
Verweilkatheter. Gewicht 2’5 Grm. Kern: Urate, Calciumoxalat. 
Rinde: Magnesiumaramonphosphat und Calciumphosphat; Urate und 
Calciumcarbonat. 

7 8. Fall. Franz P., 11 Jahre, r.-kath, Cajnica. Operation 
am 19. August 1897. Sectio alta. Incomplete Naht (Cystitis). 
21. August Eiterretention, Lüftung der Wunde. 4. October Wunde 
verheilt. Heilungsdauer 44 Tage. Knierohr. Gewicht 2 Grm. Magne¬ 
siumammonphosphat, Calciumcarbonat, Calciumphosphat, Urate. Pat. 
wurde vor 6 Jahren wegen Blasenstein anderwärts operirt. Sectio 
lateralis : Strictura urethrae consecutiva. 

7 9. Fall. Suljaga M., 50 Jahre, muh., Jajce. 5 Jahre krank. 
Operation am 11. October 1897. Sectio alta. Complete Seidennaht 
(Cystitis). 14. October Lüftung der Wunde wegen Eiterretention. 
17. November Abgang eines kleinen Concrementes beim Uriniren. 
25. November Wunde vernarbt. Verweilkatheter. Gewicht 14 Grm. 
Kern: Magnesiumammonphosphat, Calciumcarbonat und Calcium¬ 
phosphat, Urate. Rinde: nur etwas weniger kohlensaurer Kalk. 

8 0. Fall. Hasan M., 15 Jahre, muh., Todorovo (Kljue). 
Operation am 14. Juni 1897. Sectio alta. Die Peritonealfalte kam 
zur Ansicht und wurde mit dem Finger abgelöst. Complete Catgut¬ 
naht (Cystitis). 18. Juni Entfernung der Nähte. 22. Juli Wunde 
vollkommen verheilt. Blasennaht sufficient. Heilungsdauer 28 Tage. 
Verweilkatheter. Gewicht 57 Grm. Kern: Urate , etwas Calcium¬ 
oxalat. Rinde: Magnesiumammonphosphat nnd Calciumphosphat. 

(Fortsetzung folgt.) 


Referate. 

Rehn (Frankfurt): Ueber die Behandlung infectiös-eitri- 
ger Procease im Peritoneum. 

Obwohl manche infectiöse Processe, die sich im Peritoneum 
abspielen, auch ohne Eingriff oftmals zur Heilung kommen, dürfen 
wir bei der Behandlnng eines speciellen Falles uns darauf nicht 
verlassen, da wir weder im klinischen Verlaufe, noch in der bakte¬ 
riologischen Untersuchung sichere Anhaltspunkte zur Beurtheilung 
des weiteren Verlaufes besitzen. Nach neueren Untersuchungen 
scheint auch der Blutuntersuchung nicht die große Bedeutung als 
prognostischem Hilfsmittel zuzukommen, wie man ursprünglich an¬ 
nahm. In Anbetracht dieser Unsicherheit in der Beurtheilung des 
Falles tritt Verf. für die frühzeitige operative Behandlung der in- 


fectiös-eitrigen Processe im Peritoneum ein („Langenbeck’s Arch.“, 
Bd. 67, II. 4) und beweist, daß das Peritoneum, zartes Opcriren 
und genaue Drainage vorausgesetzt, nicht so leicht zur Allgemein- 
infection neigt. 

Wichtig erscheint es, große Schnitte anzulegen, um sich über 
die Lage des Eiterherdes zu orientiren und um in der Tiefe be¬ 
quem operiren zu können. Die Rücksicht auf eine Bauchwandhernie 
darf nicht zu viel in den Vordergrund gestellt werden. Die Ent¬ 
leerung des Eiters geschieht, nachdem die benachbarten Darm¬ 
schlingen mit Compressen geschützt wurden, durch Spülung mit 
steriler Kochsalzlösung. Die Drainage ist von größter Wichtigkeit; 
ein glattwandiges Gummirohr leitet die Secrete besser ab als Jodo¬ 
formgaze, die noch außerdem mit der Umgebung fest verklebt; 
nur dort, wo Verf. ein Eiterbett oder eine jauchige Absceßhöhle 
rasch und fest von dem übrigen Bauchraum abschließen will, be¬ 
nützt er Jodoformgaze, die gewöhnlich um ein dickes Drainrohr 
gewickelt wird. — 

Das Peritoneum wird bis auf die Drainagestellen geschlossen, 
die Bauchhöhle mit physiologischer Kochsalzlösung gefüllt und der 
Patient behufs Entlastung des Zwerchfelles hoch gelagert. Um die 
Peristaltik rasch in Gang zu bringen, verordnet Verf. nach der 
Operation kleine Kochsalzklysliere und legt ein Darmrohr ein ; so 
konnte der Abgang von Blähungen meist am ersten oder zweiten 
Tag erreicht werden und die Patienten hatten weniger Schmerzen 
zu leiden als früher. 

Die Zahl der Fälle von intraabdominellen Eiterungen, die 
sämmtlicli mit Eröffnung des Peritoneums behandelt wurden, betrug 
im letzten Jahre 55. Die Eiterungen gingen vom Appendix, von 
der Tube, den Drüsen aus. Alle Fälle sind geheilt bis auf einen, 
der bereits mit einer Phlegmone der Bauchdecken in Behandlung 
kam. Unter diesen Umständen tritt Verf. für die sofortige Operation 
jeder abdominellen Eiterung ein, da die Erfolge der Operation bei 
längerer Dauer des Processes nicht so günstig sind. Erdheim. 


L. Leniewitsch (st. Petersburg): Das Oleum terebinthinae 
bei Gebärmutterblutungen. 

Verf. bedient sich seit ungefähr 5 Jahren mit Erfolg bei der 
Behandlung uteriner Blutungen der mit Oleum terebinthinae ge¬ 
tränkten Wattebäuschchen, welche in die Gebärmutterhöhle eingeführt 
werden. („Mediz. Qbosrenije“, 1902, Nr. 6). 

Dabei werden zuerst die Wände des Cervicalcanals mit einer 
25 o / 0 igen Lösung von Carbolsäure in Glycerin touchirt lind, wenn 
nöthig, die Cervix unmittelbar darauf mit Hegar’scIico Sonden 
dilatirt. Alsdann tamponirt man die Uterushöhle mit Gazestreifen, 
die 5—10% Jodoform enthalten und die mau in Oleum terebinthinae 
eintaucht. Diese Gazestreifen werden ganz naß (ohne vorherige 
Expression) in die Gebärmutter eingeführt; das untere Ende des 
Tampons muß frei in die Scheide hineinhängen. Die Scheide selbst 
wird abgewischt und mit trockener hydrophiler Watte tamponirt. 
Die Kranke verbleibt im Bette. Nach ungefähr 2 Stunden, wenn 
die durch das Oleum terebinthinae bedingten Uterinkoliken ziemlich 
heftig werden, entfernt man den Tampon. Im Falle man Patientin 
nicht bald Wiedersehen kann, gibt man ihr eine Dosis Ergotin. 
Während der nächsten 3 oder 4 Tage hat die Frau einen mehr 
oder weniger starken serös-blutigen Ausfluß. Mit seinem Verschwinden 
schwindet auch die Metrorrhagie gewöhnlich. Nur selten ist man 
gezwungen, einen zweiten, mit Oleum terebinthinae getränkten 
Tampon (4—5 Tage nach dem ersten) in den Uterus einzulegen. 

Diese Behandlung ist nach L. ein sicheres, wengleich manch¬ 
mal nur temporäres Mittel gegen Utcrusblutungen. Sic ist haupt¬ 
sächlich angezcigt bei interstitiellen Myomen und Endometritis 
haemorrhagica, besonders wenn das Tamponnement ohne Herunter- 
zichen des Uterus und künstliche Dilatation der Cervix gelingt, 
und auch bei Metro- und Menorrhagien des Klimakteriums. Gegen 
die Blutungen post partum hat Verf. aus Furcht vor Luftembolien 
das Verfahren nicht angewandt. G. 


2 * 

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1943 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 43 


1944 


Heidenhain (Worms): Ueber Darmverschluß und Entero- 
stomie bei Peritonitis. 

Die Auffassung II.’s geht dahin, daß eine ganze Anzahl von 
Peritonitikcrn nicht an peritonealer Sepsis, nicht an peritoDitischer 
Eiterung, sondern an Darmverschluß, welcher durch die Bauchfell¬ 
entzündung erzeugt wird , sterben. Der Darmverschluß kann ent¬ 
stehen entweder durch Adhäsionen, welche die Fortbewegung des 
Darminhaltes hindern, oder durch peritonitische Lähmung eines 
umschriebenen kleineren oder größeren Darmabschnittes. Es kommt 
dann oberhalb der gelähmten Partie zu Stauung, Darmblähung, 
Durchwanderung von Darmbakterien, allgemeiner Darmlähmnng mit 
Peritonitis. Verf. ist es einigemalc gelungen, diesen Verlauf der 
Peritonitis zu unterbrechen, dadurch daß er oberhalb der erkrankten 
Partie eine Enterostomie angelegt und so jede weitere Stauung 
verhindert hat. Der Darm hatte dann Zeit, sich zu erholen. Die 
Peritonitis hat sich nicht ausgebreitet und die Patienten genasen. 

Diese Operation wird nach Ansicht des Verf. nur dann Aus¬ 
sicht auf Erfolg haben, wenn es noch zu keiner allgemeinen Peri¬ 
tonitis gekommen ist; daher stellt Verf. die Indication für Entcro- 
storaie folgendermaßen auf („Laxgenbeck’s Archiv“, Bd. 67, II. 4): 
Findet man bei Operation wegen eiternder Bauchfellentzündung 
sehr starke Auftreibung der Intestina und dabei noch einen größeren 
Abschnitt der Bauchhöhle frei von Entzündung, oder stellt sich in 
derartigen Fällen in den Tagen nach der Operation unter Aus¬ 
bleiben von Stuhl und Winden Auftreibung und Erbrechen ein, 
so ist die Enterostomie an einem noch gesunden und leistungsfähigen 
Darmabschnitte oberhalb des Hindernisses anzurathen. 

Erdheim. 

S. Rabow (Zoppot): Apomorphin als Beruhigungs- und 
Schlafmittel. 

Entzieht man dem Morphium C 17 H 19 N0 3 ein Moleciil Wasser 
(II 2 0), so entsteht C 17 H 17 N0 2 = Apomorphin. Dieses bildet sich 
auch in geringer Menge durch Einwirkung von Mikroorganismen in 
alten Morphiumlösungen, wodurch zum Theil das Erbrechen nach 
Injection alter Morphiumlösungen erklärt wird. Zu medicinischen 
Zwecken wird allein Apomorphinum hydrochloricum angewandt; die 
wässerige Lösung nimmt mit der Zeit eine hellgrüne, allmälig 
dunkler werdende Färbung an , wodurch jedoch ihre Wirksamkeit 
nicht beeinträchtigt wird. Die Färbung kommt wahrscheinlich da¬ 
durch zustande, daß die Aufbewahrungsgläser so viel Alkali an die 
Lösung abgeben, daß etwas freie Apomorphinbase in Freiheit ge¬ 
setzt wird, die dann in Berührung mit der Luft zu den grünen 
Umwandlungsproducten oxydirt wird. Die Hauptbedeutung des Apo 
morphins liegt in seiner Erbrechen hervorrufenden Eigenschaft, 
und zwar bei subcutaner Anwendung; diese Wirkung tritt schon 
nach 3—10 Minuten ein; viel später dagegen bei innerlicher Ver¬ 
abreichung. Die Brechwirkung wird durch die gleichzeitige Anwen¬ 
dung von Morphium verstärkt. Das Erbrechen kommt durch directe 
Reizung des in der Oblongata gelegenen Brechcentrums zustande. 

Apomorphin ist ferner ein örtliches Anästheticum. Einige Tropfen 
einer 1—2°/o*g (, n Lösung in das Auge geträufelt, bewirken Anästhesie 
der Conjimctiva und Cornea, nebst Erweiterung der Pupille. Seiner 
praktischen Verwerthung steht die durch dasselbe verursachte 
Reizung der Bindehaut und Schmerzhaftigkeit im Wege. In neuerer 
Zeit hat Douglas das Apomorphin in subcutaner Dosis von 0 002 bis 
0-003 als außerordentlich prompt wirkendes Schlafmittel empfohlen. 
5 — 25 Minuten darauf soll ein ruhiger Schlaf eintreten. Auf die 
hypnotische Wirkung des Mittels haben schon 25 Jahre früher 
Challand und Rabow aufmerksam gemacht. Bei richtiger Dosi- 
rung erzeugt es häutig Schlaf. Bei Aufregungszuständen und Be¬ 
wegungsdrang hat es sich als Beruhigungsmittel bewährt. Zu ver¬ 
meiden ist seine Anwendung bei stark herabgekommenen Kranken, 
Kindern und älteren Individuen („Festschr. f. Leyden“, Bd. II). Die 
Dosiruug schwankt zwischen 0 003—0-01, bei Frauen 0 003 -0-005, 
bei Männern mehr, subcutan. Die aufgeregten Kranken erbrechen 
in der Regel nach 5 —10 Minuten und schlafen dann ein. Apo¬ 
morphin eignet sich als Schlafmittel bloß für die irrenärztliche Be¬ 
handlung. L. 


L. Spitzer (Wien) Ueber Lupusbehandlung mit dem 
LANO’schen Luftbrenner nebst histologischen 
Untersuchungen über die Wirkungen der heißen 
Luft auf gesunde und kranke Haut. 

Statt des wenig handlichen HOLLÄNDER’schen Heißluftbrenners 
hat Lang einen Platinheißluftbrenner construirt, der sowohl, was 
bequeme Handhabung, als auch das Zuströmen der erhitzten Luft 
anlangt, allen strengen Anforderungen genügt; es ist im wesent¬ 
lichen ein Platinkugelbrenner, dessen Kugel in einem in eine Spitze 
ausgezogenen, mit Glimmerfenster versehenen Metallgehäuse steckt, 
in welchem die durch ein Doppelgebläse zugeführte Luft beim 
Darüberstreichen genügend erhitzt wird und durch die früher ge¬ 
nannte Spitze entweicht. Mit diesem neuen Brenner wurden 32 Fälle 
behandelt; bloß die Krankengeschichten jener Fälle, wo die Aus¬ 
dehnung des Lupus eine besonders beträchtliche war, ist in extenso 
wiedergeben. Im ganzen und großen kommt Si’. zu denselben 
Schlußfolgerungen, wie sie seinerzeit in den vom Referenten stam¬ 
menden Artikel „Die Behandlung des Lupus vulgaris und Lupus 
erythematodes mit dem Heißluftstrom“ („Klin.-therap. Wschr.“, 
1899, Nr. 29 u. f.) gezogen wurden: kurze Heilungsdauer, schöne 
weiche Narben, Vorzug gegenüber dem Paquelin. Da die Fälle 
sämmtlich für die sonst an der Abtheilung in erster Linie stehende 
operative Methode nicht mehr geeignet waren, so geben sie, ab¬ 
gesehen auch von der noch kurzen Beobachtungsdauer, in Bezug 
auf Recidive von vorneherein nicht die günstigsten Chancen. Den 
interessantesten Theil der Arbeit bilden die angeschlossenen histo¬ 
logischen Untersuchungen („Ztschr. f. Heilkunde“, 1902, H. IV) von 
gebrannter gesunder und lupöser Haut. Die Bilder lehren, daß bei 
Luftbrennung die zustande kommenden Veränderungen von viel zu 
geringfügiger Ausdehnung sind, um Heilungen gewärtigen zu lassen ; 
erst bei einer Entfernung des Brenners auf 2 Mm. reicht die 
Wirkung bis ans Bindegewebe, eine etwas größere Tiefenwirkung 
ist dann zu erzielen, wenn nach Wegwischen des ersten Schorfes 
unmittelbar ein zweiter Schorf aufgesetzt wird, doch bildet auch dann 
der Schorf für sich ein Hinderniß für die weitere Heißluftwirkuug. 
Allerdings betont der Autor, daß das anatomische Bild uns darüber 
keine Aufklärung gibt, ob nicht die der Brennung folgende reactive 
Entzündung, bezw. Demarcation, noch viele von den Krankheits¬ 
keimen tödtet. Deutsch. 


Kukula (Prag): Ueber eine neue Methode der Nephro¬ 
pexie. 

Der ungünstige Erfolg, sowie verschiedene Mängel der bis¬ 
herigen Decortications- und intraparenchymatösen Methoden bewogen 
den Autor („Oasopis ceskych lekafy“, 1902, Nr. 20/21) zur Er¬ 
wägung, ob die Wanderniere nicht auf eine andere Art fixirt 
werden könnte, und zwar ohne intraparenchymatöse Nähte, ohne 
Decortication der Niere und endlich mit Ausschluß der Tamponade. 
Die Verwirklichung dieses Gedankens schien Verf. am raschesten 
in der Fixation der Niere in ihrem kleinsten Aequator (Querschnitt) 
in einer Muskelspalte und so kam er zur folgenden Methode : 

Mit einem SiMON’schen Schnitt (vom oberen Rande des M. sacro- 
Iumbalis bis zum Kamme des Hüftbeines) wird successive die Haut, 
das oberflächliche, dann das tiefe Blatt der Fascia lumbodorsalis, 
bis zum M. quadratus lumborum durchgeschnitten; indem dieser 
Muskel in seiner Länge vorne von der Fascia perinealis, rückwärts 
vom M. sacrolumbalis abgetrennt wird, werden die Muskelfasern 
stumpf in zwei längliche Hälften von der Muskelinsertion an der 
12. Rippe angefangen bis zu seinem unteren Drittel getrennt. 
Dadurch entsteht eine Muskelspalte, an deren unterem Ende sofort 
zwei Catgutnähte angelegt werden, welche die Spalte nach Ein¬ 
bringung der Niere verkleinern sollen. Nach Durchschnitt der Fase, 
perinealis wird langsam die Niere im ganzen Umfange der unteren 
zwei Drittel bis zum Hilus von ihrer Fettliülle befreit, worauf die Niere 
in die Muskelspalte eingeführt wird, und zwar so, daß sie mit ihrem 
Hilus auf den unterem Winkel der Spalte aufsitzt; nach Verknüpfung 
der erwähnten Catgutnähte, womit eine Verkleinerung der Spalte 
und feste Einschließung der Niere durch die Muskelränder erzielt 
wird, folgt noch die Fixation der Niere mit etlichen Seidennähten, 


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1945 


1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 43. 


1946 


die von rückwärts durch die fibröse Hülle und die Ränder des 
M. quadratus lumborum durchgefühlt werden, und endlich noch die 
Sutur der Fascicnränder und der Haut, bis auf eine kleine Stelle, 
worauf ein kleiner steriler Gazestreifen bis zum unteren Pol der 
Niere eingeführt wird. 

Die Methode wurde bisher in 3 Fällen durchgeführt, und 
zwar in 2 Fällen mit vollkommenem Erfolg. Der erste Fall starb, 
doch aus Gründen, die mit der Methode in keinem Zusammenhang 
waren. Stock. 

F. Marchand (Berlin): Ueber Gewebswucherung und Ge¬ 
schwulstbildung mit Rücksicht auf die parasi¬ 
täre Aetiologie der Carcinome. 

Wir können bei Ausschließung einer echten infectiösen (mikro¬ 
parasitären) Ursache die Erscheinungen der Malignität der epithe¬ 
lialen Neubildungen nur durch die Annahme von „toxischen“, durch 
den Lebensproccß der Zellen entstandenen Substanzen erklären, 
deren Bildung und Anhäufung auf eine „Entartung“ der Zellen, 
d. h. auf eine Abweichung von ihren normalen Stoffwechselvorgängen, 
und damit zugleich auch von ihrer normalen Zellstructur, unter 
dem Wegfall normaler Regulirung der Zellthätigkeit, zurückzu¬ 
führen ist. Diese Entartung kann sowohl dem Grade als der Qua¬ 
lität nach sehr vsrschieden sein („Deutsche med. Wschr.“, 1902, 
Nr. 40). Eine gesteigerte Wucherungsfähigkeit kann, besonders 
bei embryonalem Gewebe, unabhängig von einem Entartungsvor- 
gange sein ; die Zerstörung des normalen Gewebes durch die 
wuchernden Elemente setzt aber auch hier das Vorhandensein 
toxischer Substanzen voraus. Durch die Annahme toxischer Eigen¬ 
schaften erscheint auch das, was man als verminderte Widerstands¬ 
fähigkeit des Gewebes bezeichnet, in etwas anderer, weniger grob 
mechanischer Bedeutung. Die Widerstandsfähigkeit des normalen 
Organismus gegen die Verbreitung wuchernder Elemente würde 
zum großen Theil darin bestehen, daß die Zellen nicht die für 
ihre Weiterentwickelung geeigneten stofflichen Bedingungen finden, 
oder daß, mit anderen Worten, ihre specifischen schädlichen Eigen¬ 
schaften durch normale Stoffwechselvorgänge („gesunde Säfte“) 
neutralisirt werden. G. 

Josef Hertzka (Wien) : Ueber das Eindringen von Bade- 
wasser in die Scheide von Schwangeren und 
über die Zweckmäßigkeit des Bades bei den¬ 
selben. * 

STROGANOFF hat zuerst darauf hingewiesen, daß das Bad, 
welches jede Kreißende vor dem Eintritt in den Kreißsaal zu pas- 
siren hat, seinem Zwecke nicht entspreche, vielmehr dazu Veran¬ 
lassung gebe, daß sich die Kreißende gerade in einer Aufschwem¬ 
mung ihres ganzen Körperschmutzes, dem Excremeutenrcste und 
Keime von eventuellen Eiterherden beigemengt sind, bade. Ob 
Badewasser und mit demselben auch pathogene Keime in die Tiefe 
der Scheide eindringen können, war nach der Publication der 
Stroganoff 'sehen Mittheilung Gegenstand sich widersprechender 
Versuche. H. hat („Monatsschr. f. Geburtshilfe u. Gynäk.“, Sept. 
1902) auf Grund von 18 Versuchen, die unter allen Cautelen aus¬ 
geführt wurden, nicht feststellen können, daß thatsächlich Keime 
über die Vulva und den angrenzenden Scheidenansatz gelangen, 
theilt aber mit, daß die Klinik Chrobak dennoch aus den früher 
erwähnten Argumenten Stroganoff’s das Baden der Gebärenden 
aufgegeben hat und nun die Reinigung der Frau auf einer in Bett¬ 
höhe befindlichen, großen, ganz flachen, mit 10 Cm. hohem Rande 
versehenen Blechwanne unter fließendem Wasser vornehmen läßt. 
Der Boden der Wanne ist gegen die Mitte vertieft, wodurch dem 
Waschwasser Abfluß verschafft wird. Auf diese Weise wird die 
Reinigung durch Schmierseife und Holzwollbausche leichter und 
rascher besorgt als früher; das schmutzige Wasser fließt sofort 
ab und, worauf besondere Bedeutung zu legen ist, es wird eine 
leichte Uebersicht über den ganzen Körper ermöglicht. 

Fischer. 


Bettmann (Heidelberg): Ueber Herpes laryngis (men- 
strualis), nebst Bemerkungen über den men¬ 
struellen Herpes. 

Bei einer 23jähr. Kranken, die zwei Monate vorher eine 
Inunetionscur durchgemacht hatte, kam es vor Eintritt der Men¬ 
struation — der ersten post partum — zu einer typischen Herpes¬ 
eruption am linken Nasenflügel, der linken Halsseite und am linken 
Aryknorpel. Es war fraglich, ob diese Eruption dem Herpes Sim¬ 
plex oder dem Zoster unterzuordnen sei. Da nichts von den 
schweren sensiblen Begleiterscheinungen eines Zoster zu finden 
war, das Befallenwerden verschiedener, einander nicht benachbarter 
Nerven ferner ein außerordentlich seltenes Vorkommniß beim 
Zoster ist, die Einseitigkeit aber nicht gegen den Herpes spricht, 
wurde die Diagnose auf letzteren gestellt, wofür dann auch der 
weitere Verlauf des Falles sprach. Es traten nämlich noch eine 
ganze Zahl von Herpeseruptionen auf, die io ihrer Localisation 
wechselten, dabei allerdings nie wieder den Kehlkopf ergriffen. 
Regelmäßig erfolgten sie aber in einer bestimmten Zeit (5—7 Tage) 
vor Eintritt der menstruellen Blutung. Dysraenorrhoischo Beschwer¬ 
den oder pathologische Veränderungen des Genitales fehlten. Die 
Eruptionen entwickelten sich stets über Nacht ohne besondere Be¬ 
gleiterscheinungen oder subjective Beschwerden. Darum sieht B. 
(„Berl. klin. Wschr.“, 8. Sept. 1902) den Fall als typisches Men- 
strualexanthem, deu Herpes als Herpes menstrualis an, wodurch 
im speciellen auch die spärliche Casuistik des Herpes laryngis 
durch den Fall eines Herpes laryngis menstrualis bereichert wird, 
während die meisten bisher beschriebenen Fälle des Herpes laryngis 
auf entzündliche, infectiöse Processe zurückzuführen waren. 

Aus dem Krankheitsbilde des Herpes menstrualis ist hervor¬ 
zuheben, daß er keineswegs jede Menstruation begleiten muß, uod 
daß das zeitliche Verhältniß seines Auftretens zum Eintritt der 
Blutung ein verschiedenes sein kann. Eine Prädisposition der Prosti- 
tuirten oder gynäkologisch kranker Frauen ist nicht mit Sicher¬ 
heit nachzuweisen, während eine Prädisposition syphilitischer (oder 
mit Hg behandelter?) Frauen nicht geleugnet werden kann. Von 
Bedeutung für das Zustandekommen der Affection scheint manch¬ 
mal die Unterbrechung der Menses durch eine Gravidität zu sein. 

Fischer. 

Marmorek (Paris) : La toxine streptococcique. 

Verf. schließt aus seinen Versuchen („Annales de l’institut 
Pasteur“, 1902, pag. 1G9), daß alle Streptokokken verschiedenen 
Ursprungs dasselbe Toxin erzeugen, und daß das gegen das Toxin 
eines und desselben Streptococcus erzeugte Serum gegen die Toxine 
von Streptokokken anderen Ursprunges wirke. (Bekanntlich liegen 
in der Literatur Mittheilungen vor, die gegentheilige Anschauungen 
vertreten; die Frage ist gerade gegenwärtig im Hinblicke auf 
die Serotherapie des Scharlachs von Bedeutung. Ref.) Dr. S—-. 

Cohn (Halle a. s.): Unteruchungen über eine neue thier¬ 
pathogene Hefeart (Hefe Klein). 

Verf. beschreibt („Centralbl. f. Bakteriologie, Parasitenkunde 
u. Infectionskrankheiten“, Bd. 31, Nr. 15) eine Hefe, die aus der 
Milch gezüchtet wurde; dieselbe war im Thierversuch pathogen, 
doch enthält sich Verf. jeder Schlußfolgerung, ob hienach eine 
„ursächliche Betheiligung von Sproßpilzen an menschlichen Er¬ 
krankungen“ anzunehmen wäre. Soweit aus den Beschreibungen 
des culturellen Verhaltens dieser neuen Hefe und ihrer Pathogenität 
hervorgeht, scheint sie den bekaunten pathogenen Blastomyceten 
sehr nahezustehen ; mithin dürfte ihr auch keine wesentliche Rolle 
in der menschlichen Pathologie zukommen. Dr. S—. 

Kleine Mittheilungen. 

— Das Chlorcalcium bei Gebärmutterblutungen empfiehlt 
Georges Grols („Revue med. de l’Est“, 1902, Nr. 9). Dasselbe 
erhöht die Gerinnbarkeit des Blutes und besitzt ferner eine die 
Gefäße zusammenziehende Eigenschaft. Es ist daher an Stelle der 
nicht ganz einwandfreien Gelatine zu verwenden. Seine Verwen- 


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1947 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 43. 


1948 


dungsweisc erfolgt innerlich durch Darreichung durch den Mund 
oder durch Einguß in den Darm. Bei der ersten Form verschreibt 
man Calcic chlorati 4 - 0, Syrup. 30'0, Aq. dest. 90'0 und gibt 
zweistündlich einen Eßlöffel; für den Darmeinguß lautet die Formel: 
Calcic chlorati 100 ad 200'0 Aq. Angewendet, und zwar stets 
mit gutem Erfolg ist es bei Bluterkrankheit, Magen-, Lungen- und 
Nierenblutungen, bei Nasenbluten, bei hämorrhagischen Pocken, 
Scorbut und Purpura. G. beschreibt 5 Fälle von Gebärmutter¬ 
blutungen, in denen er das Mittel mit anhaltendem Erfolge ver¬ 
wendet hat. Es handelte sich in einem Falle um Blutungen bei 
nicht operirbarem Gebärmutterkrebs, in den vier anderen Fällen 
um chronische Blutungen bei Metritis und Endometritis. 

— ßeine Erfahrungen über Heilbehandlung in der allge¬ 
meinen ärztlichen Praxis veröffentlicht Katzenstein („Münch, med. 
Wschr.“, 1902, Nr. 33). Unter seinen Patienten befanden sich 
13 Kinder, 1 Knaben im Alter von 7—14 Jahren und 9 Mädchen 
im Alter von 7—13 Jahren, ferner 28 Erwachsene. Von den als 
geheilt entlassenen Patienten ist bisher kein einziger recidivirt. ln 
der Anwendungsweise des Hetols folgte K. den Anweisungen 
Landerer’s, nur machte er die Einspritzungen intramusculär, und 
zwar in das mittlere Drittel des Musculus triceps. Benutzt man 
sehr scharfe Nadeln, die recht häufig gewechselt, respective 
geschärft werden müssen, so haben die Patienten im Allgemeinen 
keine unangenehmen oder gar schmerzhaften Empfindungen. Ein 
hie und da entstehender geringfügiger Schmerz geht in wenigen 
Minuten zurück. Die Methode der intramusculären Injection im 
Oberarm ist so überaus einfach, in der Sprechstunde, selbst bei 
größerem Andrang von Patienten, so schnell durchzuführen, daß 
diese Methode auch für den praktischen Arzt besonders empfehlens- 
werth erscheint. Die Hetollösung bereitet Verf. selbst nach Angabe 
von Länderer. Er bereitet jedesmal 20 Ccm. der Solution, sterilisirt 
dieselbe nur einmal. Die Zahl der Einspritzungen, welche bei den 
geheilten Patienten gemacht wurden, war sehr verschieden; sie 
schwankte zwischen 20 und 72. Ebenso schwankt die Dauer der 
Behandlung der geheilten Patienten zwischen 2 und 6 Monaten. 
Die Dosis, welche K. anwandte, betrug bei Kindern bis zu 
s / 10 Ccm. einer lo/oigen Lösung, d. h. bis zu 3 Mgrm. Hetol. Bei 
Frauen und Männern im Allgemeinen bis zu 15 Mgrm., das sind 
3 / 10 Ccm. einer öligen Lösung. In seltenen Fällen ging er bis 
zu 25 Mgrm. Hetol. Verf. glaubt sich zu der Behauptung be¬ 
rechtigt, daß die Hetolbehandlung bei beginnender Phthise eine 
auch vom praktischen Arzt sehr wohl auszuführende, von großem 
Erfolg begleitete Methode ist, die schon deswegen viel häufiger 
in Anwendung gezogen werden sollte, weil sie heute die beste 
Behandlung für solche Patienten darstellt, welche aus irgend 
welchen Gründen aus ihren häuslichen oder geschäftlichen Ver¬ 
hältnissen sich nicht entfernen wollen oder nicht können. 

— Therapeutische Mittheilungen über Schwefelsalbe, Gänse¬ 
fett und rohes Petroleum macht George Thomas Jackson in 
New-York („Journ. of cut. and gen. dieseases“, 1901 , June. —- 
„Berl. klin. Wschr.“). Er empfiehlt gegen Seborrhoea capitis folgende 
Salbe: Cerae albae 7’5, 01. Petrol. 60 0, Aquae rosarum 30'0, 
Natrii biboracici 1‘0, Sulfuris praecipitati 7’5. Gegen Herpes 
tonsurans verwendet Verf. eine Jod-Gänsefettsalbe, welche aber sehr 
theuer ist. Mit rohem Petroleum hat Verf. bei der Behandlung 
der Alopecie keine guten Erfahrungen gemacht. 

— DasThyreoid-Serum nach Moebius (Antithyreoidin Moebius) 
ist Blutserum von Thieren, denen man circa 6 Wochen vor dem 
ersten Aderlaß die Schilddrüse exstirpirt hat; das von E. Merck 
in Verkehr gebrachte Präparat ist thyreoidectomirten Hammeln 
entnommen und mit einem Zusatz von 0’5°/ 0 Carbolsäure versetzt. 
Es wird von jetzt ab in mit Korkstöpseln verschlossenen Gläsern 
ä 10 Ccm. abgefüllt und ist bei entsprechender Aufbewahrung unbe¬ 
grenzte Zeit haltbar. Moebids sah von der innerlichen Darreichung 
versprechende Erfolge. Er verordnete 5 Grm. Thyreoidserum jeden 
2. Tag in einem Eßlöffel voll Wein zu nehmen und constatirte 
bald Verkleinerung des Kropfes; auch wurden in 2 Fällen die 
Schilddrüsen auffallend weicher. Es besserte sich das Allgemein¬ 
befinden, die Pulszahl nahm ab, das Zittern hörte auf. Ueble 
Nebenwirkungen wurden nach der Darreichung des Thyreoid- 


serums dagegen nicht wahrgenommen. Die günstigen Erfahrungen 
von Moebius werden von Schultes bestätigt. 

— Ueber Trachombehandlung berichtet Katiöiö („Aiig. med. 
Central-Ztg.“, 1902, Nr. 04). Das Verfahren der neuen Jequirity- 
therapie beruht auf Ehrlich ’s Erfindung (1900), daß man Thiere 
mit Abrin immunisiren kann, welche dann ein specifisches Anti¬ 
toxin erzeugen. Aus dem Blute der immunisirten Thiere stellte 
Römer das Serum her, mit dem es ihm gelang, die provocirte 
Jequirity-Ophthalmie zu paralysiren, da nämlich das Serum das 
Gift absorbirt und in seiner Wirkung hemmt, während die Ent¬ 
zündung abläuft und verheilt. Im Verlaufe der weiteren Versuche 
an Menschenaugen hat es sich herausgestellt, daß das Jequiritol 
das beste bisher bekannte Mittel zur Aufhellung von Hornhaut¬ 
trübungen ist und dies nicht nur bei solchen, die dem tracho- 
matösen Pannus folgen, sondern auch bei allen sogenannten scrophu- 
lösen Trübungen. Die Wirkung der neuen Jequirity-Therapie besteht 
eigentlich darin, daß eine seröse Imbibition der Hornhaut entsteht 
infolge der Conjunctivitis, welche abklingend die Trübungen resorbirt. 
Die Art der Anwendung ist folgende: Am ersten Tag 1—2 Tropfen 
Jequiritol Nr. I, am zweiten Tag Nr. II; entsteht noch keine 
besondere Reaction , so gebe man nochmals 2— 3 Tropfen Nr. II. 
Wenn auch nach dieser Dosis keine croupöse Entzündung entsteht, 
so gebe man 1 — 2 Tropfen Nr. III und endlich nach Bedarf Nr. IV. 
Das klinische Bild der Reaction ist folgendes: Beide Lider sind 
sehr geschwollen, schmerzhaft; an der Conjunctiva derselben befinden 
sich croupöse Membranen, dabei starker Thränenfluß und Lichtscheu. 

— Zur Behandlung der Impetigo vulgaris empfiehlt Menahem 
Hodaba („Monatsh. f. prakt. Dermat.“, Bd. 33, Nr. 3), die Impetigo¬ 
pusteln täglich oder jeden zweiten Tag einmal mit einer 50°/ 0 igen 
Höllensteinlösung zu betupfen; die Heilung erfolgt bereits nach 
2- bis 4maliger Aetzung. Handelt es sich um Säuglinge, so empfiehlt 
cs sich, mit einer 2—10°/ 0 igen Lösung täglich 1- bis 2mal zu 
ätzen und hinterher mit Calomel l'O, Amyl. 9 - 0 zu pudern. 

— Beiträge zur Frage der Wirkung der Jodalkalien und 
des Jodipins bei Syphilis theilt Josef Sellei mit („Monatsh. 
f. prakt. Dermatol.“, 1902, Bd. 34). Seine diesbezüglichen Erfah¬ 
rungen stimmen im Großen und Ganzen mit denen der Autoren 
überein, die das Jodipin als wirksames Mittel gegen tertiäre 
Syphilis betrachten. Er fügt hinzu, daß bei subcutaner Verwendung 
des Jodipins — wenigstens die an der Haut vorkommenden — 
gummösen Bildungen sehr langsam vergehen. Bei innerlichem 
Gebrauch ist die Wirkung des Jodipins beinahe ganz- dieselbe, wie 
die des Jodkaliums. Mit chlorfreier Diät kann man auch in diesen 
Fällen den Organismus nicht empfindlicher machen. Die syphilitischen 
Producte verschwinden selbst bei einem solchen Verfahren nicht 
rascher. Jodismus kann nach Jodipin in solchen Fällen ebensogut 
wie bei recenter Syphilis auftreten, wie wir das nach Jodkalium 
oft genug sehen können, doch kann S. auf Grund seiner Erfah¬ 
rungen sagen, daß beim Jodipin der Jodismus bei subcutanem 
Gebrauch geringer ist als bei innerlicher Verwendung. 

— Einen Beitrag zur Lehre vom Chloroformicterus liefert 
Wechsberg („Zeitschr. f. Ileilk.“, 1902, Bd. 25). Derselbe hat 
100 Fälle beobachtet, die, früher gesund, kurze Zeit nach der 
Operation theilweise an Icterus erkrankten. Von diesen Hundert 
erkrankten 16 °/ 0 während der ersten 3 Tage; der Icterus hielt 
nie länger als 4 Tage an. Verf. nimmt eine Disposition für die 
Erkrankung an und sieht in ihr ein Zeichen von Autointoxication. 
So fand er bei einem Potator strenuus den Icterus intensiver als 
bei anderen, was Verf. in Einklang brachte mit einzelnen Fällen 
der Literatur, die nach kurzer Narkose unter schwerem Icterus 
zugrunde gingen. 

— Das Itrol wandte Woyer („Münch, med. Wschr.“, 1901, 
Nr. -12) bei recenter Uterusgonorrhoe und eiteriger Urethritis mit 
bestem Erfolge an: Zunächst wurden Scheide und Cervicalcanal 
mit Itrollösung gereinigt und dann ein Itrolstäbchen 


Rp. Itrol.2'5 

Cerae albae.1‘5 

01. Cacao.9 0 


f. 30 Stäbchen von 3—4 Cm. Länge 

in die Cervix eingeführt und durch einen Tampon festgehalten. 
Diese Anwendungsart ist schmerzlos. Sie wurde 2—3mal wöchentlich 


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1949 


1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 43. 


1950 


vorgenoraraen, wobei sieh der Ausfluß rasch verringerte. Gleich¬ 
zeitig verminderten sich die Gonokokken im Secret und waren 
nach 4 — (»wöchentlicher Behandlung völlig verschwunden. Ein 
Fortschreiten der Erkrankung über den Uterus hinaus fand in 
keinem Falle statt. Auch die eiterige Urethritis heilte durch Ein¬ 
führung von Itrol8täbchen bald aus. Sehr gute Dienste leistete 
Itrol zur Heilung von Fistelgängen. Auch bei der Behandlung 
von puerperalen Geschwüren an der Portio und Cervix, in der 
Vagina, bei schlecht geheilten Dammrissen und Episiotomiewunden 
wandte er das Itrol an und fand, daß ein schnelleres Ausheilen 
der Geschwüre erzielt wurde, als mit anderen Mitteln. Ganz 
besonders werthvoll zeigte sich die secretionsbeschränkende Wirkung 
des Itrols auch bei großen Absceßhöhlen, so in 2 Fällen, iü denen 
sich im Anschluß an das Wochenbett große, mehr als 1 Liter 
fassende Eiterherde entwickelten. Ferner benutzte Vcrf. noch das 
C o 11 a r g o 1 u m in Form der Cred loschen Silbersalbe „Unguentum 
Cred6“ zur Schmiercur in 3 Fällen von puerperaler Sepsis mit 
hohem Fieber und Schüttelfrösten, in denen die anderen Methoden 
keine Besserung gebracht hatten. Es wurde Unguentum Credö in 
Dosen von je 2 Grm. in Zwischenräumen von 10 Stunden auf der 
Innenfläche der Oberschenkel, auf den Oberarmen und dem Thorax 
nach exacter Reinigung der llaut gründlich eingerieben. Nach 
3—5 Einreibungen Temperaturfall und anhaltende Besserung, die 
bald in völlige Heilung überging. — Auch v. KARNOwsKr hat mit 
Itrol bei Gonorrhoe vorzügliche Resultate erzielt („D. Med. Woche“, 
1902, Nr. 19 u. 20). 


Literarische Anzeigen. 

Vererbbare cellulare Stoffwechselkrankheiten. Sechs 
Briefe an einen Freund von Prof. Wilhelm Ebstein in 
Göttingen. Stuttgart 1902, F. Enke. 

In den Franz König zu seinem 70. Geburtstage zugeeigneten 
Episteln legt Verf. eine ganze Reihe fruchtbarer Gedanken und 
treffsicherer Schlüsse betreffs der Nosologie der drei „constitutioneilen“ 
Erkrankungen : Fettsucht, Gicht und Zuckerkrankheit in anheimelnder 
Form nieder. In dankenswerther Weise ruft er die sonst immer 
in den Hintergrund geschobenen diesbezüglichen Daten aus der 
Physiologie ins Gedächtniß und baut auf diesen Grundsteinen — 
mit specieller Berücksichtigung der VERWORN’schen Lehre von den 
„Biogenen“ — seine weiteren Dcductioncn auf, welche als Ursache 
der in Rede stehenden Krankheiten cellulare Veränderungen an¬ 
nehmen. Veränderungen des Zellkernes bedingen die Gicht, solche 
des Protoplasmas Diabetes mellitus und Fettsucht. Zwischendurch 
finden sich Ausblicke auf die hieher gehörigen Anschauungen und 

Feuilleton. 

Panaceen bei Völkern der Halbcultur. 

Eine in edicinisch - ethnologische Studie. 

Von Dr. Franz Weitlaner, vormals Schiffsarzt d. Oesterr. Lloyd. 

Araber, Indier und die Chinesen bilden neben der arischen 
Rasse die wichtigsten und culturell wie religiös verschiedensten 
Stämme der Menschheit. Deshalb ist das Interesse des Ethnologen 
mit Vorliebe auf die alte Welt gerichtet. Aber auch vom medici- 
nischen Standpunkte aus ist die Cultur dieser Stämme, insoweit sic 
erprobte Heilmethoden besitzen, nicht gerade von der Hand zu 
weisen. Im Mittelalter noch mehr wie im Alterthum wegen der in 
der Alchymie verborgenen Chemie haben in Europa die Weisen 
nach einem Allheilmittel gesucht, einer xavaxeta, die alle Krank¬ 
heiten zu heilen vermögen sollte, dem Steine der Weisen, und noch 
vorher nach dem heiligen Grale. Das Vordringen der Wissenschaft 
jedoch in neuerer und neuester Zeit ist zum geraden Gegentheile 
gekommen und mau ist heutzutage vielmehr im Begriffe, für die ver¬ 
schiedenen Krankheiten ihreSpecifica zu suchen, wie man sie auch be¬ 
reits schon für manche gefunden hat. Und doch haben die an der Spitze 


Kenntnisse der indischen Aerzte, die nicht allein nach der medi- 
cinischen Seite hin Interesse in Anspruch nehmen. 

Zum Schluß endlich gibt Verf. au der Hand der im Vor¬ 
hergehenden gewonnenen, durch sieben schematische Textfiguren 
bildlich veranschaulichten, nosologischen Anschauungen praktische 
Winke für die Behandlung der in Rede stehenden Erkrankungen. 

Der Styl der Abhandlung ist klar und anregend, die Aus¬ 
stattung tadellos. L. Hofbauer (Wien). 

Lehrbuch für Wochenbettpflegerinnen. Von Dr. Paul 

Rißmann, Director der Provinzial-Hebammenlehr- und Ent¬ 
bindungsanstalt in Osnabrück. Mit 9 Abbildungen. Berlin 1901, 
S. Karger. 

Das vorliegende Büchlein soll ein Versach sein, nach dem 
Muster der Hebammenlehrbücher ein Lehrbuch für Woehenbett¬ 
pflegerinnen zu bilden. Es ist sicherlich keine Frage, daß wir all¬ 
gemein nach geschulten Wärterinnen Umschau halten, ohne uns 
über die Art und Weise der Heranbildung solcher klar zu werden. 
Die bloß praktische Ausbildung derselben in Entbindungsanstalten 
muß so lange Drill bleiben, als ein gewisses Maß theoretischer 
Kenntnisse mangelt. Die Bestimmung dieses Maßes ist allerdings 
sehr schwierig, insbesondere im Hinblick auf die Gefahr, Winkel¬ 
hebammen oder Curpfuscherinnen zu schäften. Mit vieler Geschick¬ 
lichkeit sucht Rissmann diese Gefahren zu vermeiden; aber erst 
die praktische Verwendung des Lehrbuches in Pflegerinnencursen 
wird den Prüfstein für seine Brauchbarkeit abgebeu. Fischer. 


Augenärztliche Unterrichtstafeln. Für den akademischen 
und Selbstunterricht. Herausgegeben von Prof. Dr. H. Magnus. 
Heft I. Zweite Auflage. Anleitung zur Diagnostik der centralen 
Störungen des optischen Apparates. Von Dr. H. Magnös, Pro¬ 
fessor der Augenheilkunde in Breälau. Farbige Tafel mit Text. 
Breslau 1902, J. U. Kern’s Verlag (Max Müller). 

Seit 10 Jahren erscheinen die von Magnus herausgegebenen 
augenärztlichen Unterrichtstafeln, von welchen bisher 23 erschienen 
sind, in zwangloser Reihenfolge. Diese Tafeln haben sich bereits 
derart eingebürgert, daß über deren Bedürfniß beim Unterrichte für 
den Fachmann heute wohl kein Zweifel mehr bestellen kann. Der 
so ausgezeichneten Aufnahme der Tafeln und der lebhaften Nachfrage 
nacli denselben ist es zuzuschreiben, daß bereits eine zweite Auf¬ 
lage des vorliegenden Heftes, welches vor 10 Jahren die Sammlung 
eröffnet hatte, nothwendig wurde. Bis auf einige Abänderungen in 
der Darstellung der Opticusfaserung und der Kreuzung des Rectus 
inferior sind die Verhältnisse so wie in der ersten Auflage gebracht. 
Eine wesentliche Aenderung des beiliegenden Textes war ebenfalls 
nicht erfolgt. Bondi (Iglau). 


angeführten Rassen der Halbcultur thatsächlich mehr oder weniger 
solche Allheilmittel noch immer, die zum Theile in größtem Ansehen 
stehen. Das sogenannte Ableitungsverfahren ist es, das in denselben 
vorwiegend zum Ausdrucke kommt, ein Verfahren, das in der 
modernen Medicin vielfach, jedoch zum Theile mit Unrecht, in 
großem Mißeredit stellt. Man braucht da nur an die Zugpflaster, 
trockene und blutige Schröpfköpfe, Blutegel, Aderlässe und in 
weiterem Sinne auch an Lapistouchirungen, Elektricität und Kalt- 
wassercur zu denken. Eines der schärfsten von diesen Ableitungs¬ 
mitteln, nämlich das Ferrum candens, das glühende Eisen, ist eine 
Panacce bei den südlichen Arabern und den mit ihnen in Berührung 
kommenden Negerstämmen, von den Küsten Afrikas herüber. Be¬ 
reits in Egypten, im Nildelta wird das Ferrum candens ausgiebig 
hei allen Krankheiten der Tliiere, vorzüglich der dort zahlreichen 
Esel, aber auch bei denen der Menschen schon verwendet. Allein 
noch mehr staunte ich, als ich in Aden eine große Zahl der dortigen 
Araber und der zugewanderten Somalis und Dankilas mit Kreuz- und 
Querstrichen von Narben über Kopf, Brust, Rücken, Bauch oder 
Schenkel bedeckt sah. Es gewann den Anschein, als ob sie in 
vielen blutigen Schlachten gewesen wären. Unterdessen waren sie 
aber bloß beim — Arzte gewesen ; denn es waren Narben vom 
glühenden Eisen. Die Patienten loben es als das vorzüglichste 


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1951 


1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 43. 


1952 


Mittel, das alle Krankheiten und Schmerzen lindert und heilt, und 
einer sagte mir, soviel ich mit meinem wenigen Arabisch verstand, 
wenn mir der Kopf oder das Auge oder die Brust wehe thue, so 
möge ich mit ihm kommen zum Hakim, dem Arzte. In breiten 
Parallel-oder Kreuzstrichen wird es ziemlich oft über die schmerzende 
Körperpartie gezogen, bei Husten über die Brust, bei Magenweh 
über den Bauch und die Magengrube, ebenso über die Herzgegend, 
den Arm, das Bein, den Rücken, kurz wo es schmerzt. Für weniger 
heftige Krankheits- und Schmerzensstadien genügen auch Messer¬ 
schnitte ; allein das Glüheisen ist universell. Bei größerer Uebung 
kann man auch Narben von Messerschnitten und solche herrührend 
von einem Cauterium recht wohl unterscheiden. Die so Behandelten 
geben an, daß die Schmerzen des Cauteriums gar nicht so bedeu¬ 
tend sind und sie sich ein folgendesmal leicht dieser Behandlung 
unterziehen. Wie auffallend und merkwürdig dieses Verfahren auch 
manchem schon infolge seiner „Brutalität“ erscheinen mag, so liegt 
doch eine gewisse hippokratische Weisheit darin. Wir wissen, daß 
das Ferrum candens auch bei uns bei äußerst hartnäckigen Ischiaden 
und anderen Neuralgien, ferner z. B. beim Anthraxcarbunkel noch 
immerhin im Gebrauch ist. Das Ferrum candens ist jedenfalls das 
energischeste aller Ableitungsmittel. Das Wesen der Ableitung hat 
man aber physiologisch und klinisch wohl noch zu wenig begriffen, wie 
wohl es doch von höchstem Interesse wäre, wie sich eine Krank¬ 
heit, die schon besteht, und ein neu hinzugefügter Insult, also hier 
die Verletzung durch das Ferrum candens, gegenseitig Concurrenz 
machen können. Aber auch die Natur ohne unser Hinzuthun zeigt 
uns manche solcher Beispiele, wie das Verschwinden der Gonorrhoe 
bei Hinzutritt von Cystitis, das Nachlassen von Hals- und Brust¬ 
schmerzen bei schmerzlichen Magen-Darmaffectionen u. s. w. Die 
Zoroasterlehre betrachtet das Feuer als Reinigungsmittel von sünd¬ 
haftem Thun, hier ist es praktischer aufgefaßt ein Reinigungs¬ 
mittel von Krankheit, und es wäre auch geschichtlich interessant, 
wie sich dieses Verfahren zu einer Panacee bei diesen Völkern 
und Wü8leubewohnern, die ohnehin dem reinigenden Sonnenbrände 
ausgesetzt sind, herausgebildet hat. 

Der schwächliche Indier hat nun kein so energisches Ver¬ 
fahren. Er hängt sich Amulette um Hals oder Lenden und läßt 
sich vom Priester die heiligen Farben z. B. an den Hals malen. 
Doch habe ich speciell in Calcutta eine Methode der Massage ge¬ 
sehen und an mir ausüben lassen, die nach eingehenden Erkundi¬ 
gungen in Indien und speciell in der Provinz Bengalen eine wichlige 
Heilbedeutung hat. Es gibt dazu ganz eigene Masseure , die sich 
auch den Europäern anbieten. Diese Methode wird speciell bei 
allen Krankheiten und Depressionszuständen des menschlichen 
Körpers angewendet, welche nicht mit Fieber verbunden sind. 
Wollte man einen Vergleich herbeiziehen, so könnte man dazu die 
türkischen Bäder anführen mit ihrer mehr brutalen Massage. Selbst¬ 
verständlich preisen sie die Masseure als eine Panacee und das 
beste Prophylacticum, und sie mag in der Tliat auch werthvoll 
sein. Obwohl sehr einfach, ist sie unter den europäischen 
Formen des Massirens nicht vertreten. Unsere Massagemethoden 
in ihren fünf Haupttypen beruhen auf Streichung, bei der indischen 
Methode, deren Vorgang ich genau weiter unten beschreiben will, 
wird nur wandernder Druck angewendet. Das Charakteristische 
ist, daß man die indische Methode, von der ich später durch eine 
englische Dame erfuhr, daß sie auch im Indusgebiete ausgeübt 
wird, ohne Erhitzen der Haut und darum ohne f’etteinreibung der 
Hände ausführt. Nur zum Schlüsse gestatten sich nach Belieben 
reiche Leute, daß ihr Körper mit wohlriechendem Oel gesalbt 
wird. Aber selbst der Aermste, der keine Unze Fett oder Cocos- 
oder Sesamöl hat, kann sich massiren lassen. Wie beim türkischen 
Bad beginnt der Masseur mit dem Anziehen von Fingern und 
Zehen, so daß die Knöchel eventuell knacken, dann behandelt er die 
Muskeln der Hohlhand und geht sofort zum Unterarm und weiter 
zum Oberarm über. Ich will die Art und Weise am Unterarm be¬ 
schreiben, da sie dort am leichtesten zu begreifen ist. An der 
Handwurzel umschließt der Masseur mit seiner Hand (linke) kräftig 
das Handgelenk des zu Massirenden und verstärkt diesen Druck 
wo möglich noch. Darauf, während er mit der linken Hand mit 
dem Drucke absolut nicht nachläßt, fährt mit der rechten Hand so 


dicht als möglich an den Umfassungszirkel seiner linken, umschließt 
nun mit der rechten Hand ebenso kräftig und läßt nun erst mit 
seiner linken los, welche sich sofort wieder an die gleiche Arbeit 
dicht vor der anderen umfassenden und drückenden Hand, stets 
natürlich in centripetalem Sinne, begibt. So- wandert dieser circuläre 
Druck ohne geringste Reibung und Unterbrechung am Arme auf¬ 
wärts. Eine kleine Aenderung ergibt sich natürlich von selbst dort, 
wo umfangreichere Partien, wie der Oberschenkel und Rumpf, 
masBirt werden müssen. Im Princip ist es stets das Gleiche, nur 
wird z. B. zuerst Vorderseite, dann die Rückseite vorgenommen, 
oder die wandelnde Drucklinie wird anstatt von den zangenartig 
umschließenden Fingern von der Knöchellinie (I. u. II. Phalange) 
der geballten Fäuste wie am Rücken gebildet. Außerdem muß ge¬ 
sagt werden, daß der indische Masseur praktisch sehr gut den 
Saftstrom der Lymphe dabei trifft. 

Wenn wir die Sache kritisch betrachten, so kann ein beträcht¬ 
licher Unterschied von den europäischen Verfahren nicht verkannt 
werden. Derselbe besteht nämlich darin, daß erstens der massirende 
Druck auch keine Secunde aussetzt, der Lymphstrora also auch 
absolut keine Gelegenheit bekommt, in die periphereren Gebiete 
zurückzufließen, und daß zweitens die Methode der Trägheit des 
Lymphstromes viel besser angepaßt ist. Hautreiz wird dabei ab¬ 
solut keiner gesetzt. Ob dies ein Vortheil oder Nachtheil, kann 
ohneweiters nicht gesagt werden: jedenfalls muß berücksichtigt 
werdeo, daß die Maceration der Haut durch den Schweiß in den 
heißen Ländern vielleicht eine Contraindication abgibt zur Reizung 
derselben. 

Wenden wir uns nun zu dem so räthselhaften Volke der 
Chinesen. Iudolenz und Schlauheit machen sie zu einer eigentüm¬ 
lichen Rasse, die ein Europäer kaum je vollends begreifen lernen 
wird. Der- Schiffsarzt hat an Bord reichlich Gelegenheit, viele ihrer 
Eigenthümlichkeiten zu beobachten. 

Auf den Fahrten zwischen Penang, Singapore, Hongkong und 
Shanghai ist ein reger Chinesenverkehr. Chinesen haben es an 
allen diesen Plätzen zu großem Reichthum gebracht, und man staunt, 
wenn man dieselben z. B. in Singapore eifrig dem Radfahrsporte 
huldigen, oder sie in den feinsten Wagen aus England ausfahren 
sieht. Aber dieser Reichthum gründet sich auf die Schweißtropfen 
vieler armer Kulis. Und diese armen Chinesen sind es auch, die 
zu vielen Hunderten mit den europäischen Schiffen um einen fabel¬ 
haften Spottpreis (z. B. Singapore-Hongkong, eine Strecke ungefähr 
wie Triest-Suez, 2 Straitsdollar = 2'40fl. Reisegeld) von ihrer Heimat 
fort, und in dieselbe wieder zurückfahren. An Bord leben sie ganz 
wie zu Hause und haben ebenso ihren eigenen Koch wie auch einen 
Banquier zum Hazardspiel, dem sie leidenschaftlich huldigen, unter 
sich. Aber auch regelmäßig befindet sich einer, der die Heilkunst 
ausübt, unter ihnen. Gegen alle Brust- und Herzschmerzen, Rheu¬ 
matismus und Ischias, ebenso Abdominal- und Leberleiden gibt es da 
ein einziges souveränes Mittel, das dem Ferrum candens bei den 
Arabern ähnlich sieht. Ich will den Vorgang so beschreiben, wie er 
sich vor meinen Augen täglich zu wiederholtenmalen an Patienten 
vollzog. Der Kranke hat sich z. B. eine Bronchitis zugezogen. Er 
kniet vor dem Heilkünstler nieder und kehrt ihm die nackte Brust 
zu. Derselbe befeuchtet eine Stelle derselben mit Wasser. Darauf 
zieht er die nackte Haut dort mit den Fingern der linken Hand 
empor und kneipt sie zwischen dem gekrümmten Zeige- und Mittel¬ 
finger der rechten Hand so energisch als möglich zusammen, 
wobei er die Zwickwirkung durch kräftiges Zudrücken mit der 
linken Hand noch unterstützt. Die eingezwickte Haut zieht er 
dann an sich, bis sie infolge des Zuges und der Befeuchtung 
zwischen den klemmenden Fingern herausschnellt. Dies wiederholt 
er an der nämlichen Stelle, bis dieselbe ganz hämorrhagisch unter¬ 
laufen und geschwollen ist. Aber damit ist der Sache noch nicht 
genug gethan. An 4, 6, 8 oder 12 anderen Punkten der Brust, 
gewöhnlich in symmetrischer Anordnung links, rechts, wird das¬ 
selbe Manöver wiederholt und damit erst ist die Cur beendet. 

Staunenswerth ist der Gleichmuth und die Ruhe, mit dem 
die Behandelten die schmerzhafte Procedur ertragen. Sie sitzen 
oder knien da, ohne eine Miene zu verziehen und laufen dann mit 
den rothen Striemen herum, die tagelang nicht verschwinden. Jedoch 


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1953 


1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 43. 


1954 


probatum est, die Ableitung erfolgt. Am Kopfe allein verwenden 
sio diese Panacee nicht, dort treten trockene Schröpfköpfe dafür 
ein. Dieses Zwickverfahren wird aber eigentlich erst in zweiter 
Linie als Ableitung benützt, wenn heftige Entzündungen aufgetreten 
sind, deren Symptome mit dem Genüsse des Opiums allein sich 
nicht mehr beseitigen lassen. Ueber den Opiumgenuß der Chinesen 
ist viel geschrieben worden und in Europa erhebt man vielfach 
gegen die Engländer schwere Vorwürfe, daß sie dasselbe den Chi¬ 
nesen gewissermaßen aufgenöthigt haben. Man hat aber dabei eine 
wichtige Thatsache übersehen, nämlich, daß das Opium auch Heil¬ 
mittel ist. Ich möchte behaupten, das Opiumrauchen stiftet für die 
Chinesen wenigstens ebenso viel Gutes als Schlechtes. Das Opiumrauchen 
ist dort so gewöhnlich wie bei uns das Tabakrauchen, und auf dem 
Schiffe sowohl wie auf dem Festlande tagsüber mehreremale kann 
man sie das Opiumrohr zur Hand nehmen sehen, um für eine 
längere Zeit das Narcoticura zu genießen. Aber auch mancher 
Europäer, der auf der malayischen Halbinsel oder Java in der 
Dschungel lebt, geht in die Stadt, um sich sein Quantum Opium 
zu holen und dort sich noch vorerst in einem licensed opium shop 
eine Pfeife anzustecken, von Verhältnissen in Hongkong und 
Shanghai ganz abgesehen. Aber nicht allein die Genußsucht hat 
den Chinesen auf den Opiumgenuß geführt, sondern nach meinen 
Erfahrungen ganz entschieden auch schon sein Heilwerth. Der 
arme Chinese arbeitet im Schweiße zu vielen Tausenden mit nackter 
Brust und Rücken oder läuft als Ginrikshakuli meilenweit mit 
seinem Vehikel, nur um Lenden und Scham eine schwimmhosen¬ 
artige Bedeckung, und schläft auch so, allein Bronchitiden und 
subsequente Tuberculose kommen nach meinen Erfahrungen und 
den Aussagen eines erfahrenen Apothekers in Shanghai, der schon 
20 Jahre dort ist, relativ recht selten vor. Diesen Effect schreibe 
ich dem Opiumgenusse zu. Das Opium ist nicht allein schmerz¬ 
lindernd und hustenstillend, es ist ein Heilfactor, weil es nämlich 
vor allem eine Bedingung erfüllt, die jedem traumatisch oder ent¬ 
zündlich verletzten Theile oder Organe nothwendig ist, nämlich 
Ruhigstellung; ferner verhindert es, daß bacilläres Secret durch 
Hustenstöße tiefer in Bronchien und Bronchiolen hineingetrieben 
wird und zu weiterer Infection Veranlassung geben kann. Deshalb 
braucht der Europäer, wenn auch zahllose Ballen dieses kostbaren 
Materials, des Opiums, nach China wandern, weder den Chinesen 
so sehr zu bedauern, noch darob so entrüstet zu sein. Der Chinese 
hat es sich auch als Panacee erwählt. 

Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Aus den Abth.eilun.gen 

der 

74. Versammlung deutscher Naturforscher und 

Aerzte. 

Karlsbad, 21.—27. September 1902. 

(Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) 

V. 

Abtheilung für allgemeine Pathologie und patho¬ 
logische Anatomie . 

Alfred Fischel (Prag): Ueber den gegenwärtigen Stand der 
experimentellen Teratologie. 

Ursache und Art der Entstehung von Mehrfach- und Mißbil¬ 
dungen zu ermitteln, war seit langem das Bemühen der Pathologen 
wie der Anatomen. Diese Versuche blieben in den wichtigsten 
Punkten sehr problematisch, und zwar hauptsächlich deshalb, weil 
man über die normale Wachsthumsart des Embryo nicht genügend 
orientirt war. Die neueren Untersuchungen descriptiver und nament¬ 
lich experimenteller Art haben uns in dieser Beziehung viele, ge¬ 
rade für die Teratologie werthvolle Aufschlüsse erbracht. Ueber 
Ursachen und Zeitpunkt der Entstehung teratologischer Bil¬ 
dungen vermögen wir freilich auch heute — trotz Vermehrung 
unserer Kenntnisse auch nach dieser Richtung hin — keine für 


jeden Einzelfall sicheren und bestimmten Angaben zu machen, und 
werden hiezu hinsichtlich der Ursachen wohl kaum jemals im¬ 
stande sein. Befriedigender dagegen gestaltet sich die Aufklärung der 
formalen Genese der Terata, wenn man die neueren Unter- 
suchungsergebnisse für sie verwerthet , wie dies im Detail für die 
Hauptformen teratologischer Bildungen erwiesen wird. 

Die Erörterung der Mehrfachbildungen von Theilen des 
Körpers, sowie der sogenannten Ileteromorphosen führt zu Fragen 
von grundlegender biologischer Bedeutung über. Vor Allem zur 
Erörterung der Frage, wie wir uns die normale Organogenese zu 
denken haben. Wenn auch aus gewissen Versuchsresultaten des 
Vortr. folgt, daß in einzelnen Fällen die Organe in materiellen Sub¬ 
straten der Eizelle vorgebildet enthalten sind, so lehrt die nähere 
Erwägung der Verhältnisse, sowie die Berücksichtigung anderer 
Versuche und namentlich der erstaunlichen Regeneratiouserschei- 
nungen an niederen Thieren, daß der die Organogenese eigentlich 
determiuirende Factor ein ganz anderer ist, und zwar die Orts¬ 
beziehung der Theile im Keimganzen, oder die feste Zielstrebigkeit 
jeder bestimmten Menge organischer Materie nach einer bestimmten, 
nur ihr eigenen Form. Dieser Factor aber ist, wie seine genauere 
Prüfung lehrt, nicht weiter auf Physikalisch-Chemisches zurück- 
führbar, er stellt ein letztes, den Lebewesen eigenes Grundgesetz, 
mithin eine der Grenzen unseres Naturerkennens dar. 

Abtheilung für Anatomie und Physiologie. 

F. Röhmann (Breslau): Ueber künstliche Ernährung. 

Für Untersuchungen über den Werth der in unserer Nahrung 
enthaltenen Nahrungsstoffe wäre es von großer Bedeutung, wenn es 
gelänge, Thierc mit einer Nahrung zu ernähren, die durch Mischen 
einfacher, chemisch reiner Substanzen — Eiweiß, Fette, Kohle¬ 
hydrate, Salze — gewonnen würde. Die Versuche, die bisher nach 
dieser Richtung angestellt worden sind, haben nur zu wenig be¬ 
friedigenden Ergebnissen geführt, da die Versuchsthiere — Mäuse 
— meist nach 30—40 Tagen starben. Röhmann berichtet über 
Versuche, bei denen an Mäuse ein Nahrungsgemisch verfüttert 
wurde, das aus Casein, Hühnereiweiß, Fett, Kartoffel- und Weizen¬ 
stärke, Salzen und einem eisenhaltigen Eiweißkörper — Nucleo- 
proteid oder Vitellin — bestand. Mit diesem Gemisch ließen sich 
ausgewachsene Mäuse dauernd am Leben und bei bestem Wohl¬ 
befinden erhalten. Junge Mäuse ließen sich bis zur Geschlechtsreife 
heranziehen, blieben aber kleiner als normal gefütterte Mäuse und 
brachten keine lebensfähigen Jungen zur Welt. 

Das Nahrungsgemisch genügt also noch nicht allen Ansprüchen, 
auch sind die in ihm enthaltenen Stoffe keine chemisch reinen. Die 
Versuche scheinen aber darauf hinzudeuten ,• daß das Problem der 
künstlichen Ernährung lösbar ist. 


Abtheilung für Hygiene. 

Langer (Prag): Uebertragung pathogener Keime durch niedere 
Thiere, bedingt durch ihre Entwickelungsgeschichte. 

L. berührt kurz die in dieser Frage vorliegende Literatur und 
berichtet über eigene Untersuchungen, die er anstellte, als er in 
einem Spucknapfe eines Phthisikers reichliche Fliegenmaden ge¬ 
funden hatte; er legte sich die Frage vor: nehmen diese Fliegen¬ 
maden mit ihrer Nahrung Tuberkelbacillen auf, verdauen sie die¬ 
selben oder passiren diese bloß den Madendarmcanal? Nehmen die 
Maden bis zu ihrer Entwickelung als fliegendes Insect Bacillen 
aus diesem Nährsubstrat mit hinüber? 

Die Versuche L.’s bejahen diese Fragen; durch Züchtung 
von Fliegenmaden in Cadavern oder Cadavertheilen von mensch¬ 
licher Tuberculose, Geflügeltuberculose und Milzbrand erhielt L. 
Fliegen, die in ihren ersten Entleerungen nach dem Auskriechen 
die virulenten Keime des Nährsubstrates der Maden darboten. 

L. weist auf die Gefahren dieses bis jetzt noch nicht beob¬ 
achteten Uebertragungsmodus pathogener Keime hin, Gefahren, die 
ceteris paribus namentlich jenen Thieren drohen, die auf Insecten 
als Nahrungsmittel angewiesen sind. 


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1955 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 43. 


1956 


Auf Grund dieser Beobachtung verlangt L. strenge die Ver¬ 
tilgung virulenten Sputums, virulenter Se- und Excrete, virulenter 
Abfallstoffe, virulenter Cadaver und rationelle Bekämpfung der 
Fliegen überhaupt. 


Abtheilung für innere Medicin, 

Pässler und Relly (Leipzig): Experimentelle Untersuchungen 
über die Kreislaufstörung bei acuten Infectionskrankheiten. 

Nach Versuchen an Thieren, die mit verschiedenen patho¬ 
genen Keimarten inficirt waren (Romberg und Pässler), beruht 
die Kreislaufschwäche im Collaps bei acuten fieberhaften Infections¬ 
krankheiten auf einer Lähmung des Vasomotorencentrums in der 
Medulla oblongata. Diese Ansicht wurde neuerdings durch v. Stejskal 
theilweise bestritten, v. Stejskal injicirte Hunden intravenös Diph¬ 
therietoxin. Das Gift führte nach seiner Ansicht infolge Herz¬ 
schwäche zum Tode. Pässler und Relly untersuchten die Frage 
mit einer neuen Methode. Die Leistungsfähigkeit des Herzens 
wurde bei Kaninchen dadurch geprüft, daß der Blutdruck an in- 
ficirten Thieren vor und im Collaps sowohl in der Carotis wie im 
Vorhof gemessen wurde , während die Ansprüche an die Herzkraft 
durch Bauchmassagc und Aortencompression gesteigert waren. Die 
Function der Gefäße wurde in der bekannten Weise durch fara- 
dische Reizung sensibler Nerven und ihre Wirkung auf den Blut¬ 
druck geprüft. Sowohl nach Intoxication mit Diphtherietoxin wie 
nach Infection mit Pneumokokkenculturen begann die Kreislauf¬ 
störung mit einer Lähmung der Vasomotoren. Der Herzmuskel 
arbeitete dabei noch so vorzüglich, daß der Blutdruck selbst nach 
Eintritt der Gefäßlähmung auf ziemlicher Höhe blieb. Erst wenn 
der Carotisdruck nach Eintritt vollkommener Gefäßparalyse sank, 
trat Herzschwäche auf. Dieselbe beruhte auf mangelhafter Durch¬ 
blutung des Herzmuskels bei Gefäßlähmung. Wenn man nämlich 
durch Einengung des Kreislaufs (Aortencompression) und bessere 
Füllung der Gefäße für genügende Durchblutung des Herzens sorgte, 
so ließ sich der Eintritt der Herzschwäche verhindern , eventuell 
die bereits aufgetretene Schwäche wieder beseitigen. Während bei 
der Pneumokokkeninfection eine directe Schädigung des Herzens auf 
keine Weise zu erzielen war, zeigte das Diphtherieherz eine ver¬ 
ringerte Widerstandsfähigkeit gegenüber Asphyxie. 

Lewinsohn (Soden): Kritisches zur Mechanotherapie chronischer 
Herzkrankheiten. 

Vortr. macht zum Gegenstand seiner Erörterungen die jetzt 
vielfach üblich gewordene Uebungstherapie bei Herzschwäche in¬ 
folge chronischer Myocarditis. Er hält dafür, daß sie erheblich 
eingeschränkt werden muß, um die Patienten vor Schaden zu be¬ 
wahren. Denn durch Vermehrung der Herzarbeit werde der fort¬ 
schreitenden Degeneration der Herzmusculatur Vorschub geleistet. 
Solche Herzen bedürfen vielmehr der Ruhe und Schonung. Vortr. 
empfiehlt kohlensaure Bäder. 

Thomas (Freiburg) macht auf die neue Behandlungsmethode von 
Smith (Mai hach) mittelst galvanischen Wechselstromes im Bade aufmerksam, 
die ihm nach dem, was er davon gesehen, der Nachprüfung wertk erscheine. 

Zablndowski (Berlin) hat von der Uebungstherapie in Verbindung 
mit der Massage und Bewegungen in vom Herzen entfernten Gelenken selbst 
in schweren Fällen Besserungen gesehen. 

Mager (Brünn): Beitrag zur Lehre von den Aneurysmen. 

Vortr. demonstrirt das Herzpräparat eines 33jähr. Mannes, 
der mit Fiebererscheinuugen und den Symptomen einer acuten 
Endocarditis zur Aufnahme kam und am 18. Tage seiner Erkran¬ 
kung Symptome darbot — heftigster Schmerz, Athemuoth ohne 
Cyanose, kleiner Puls —, welche ein Aneurysma dissecans diagno- 
sticiren ließen. Im Präparat findet sich eine von einem Kalkstachel, 
der von den Aortenklappen ausgeht, hervorgerufene Perforation 
der Aorta , die zur Bildung einer von der Adventitia begrenzten 
Höhle Veranlassung gab, welch letztere wieder eine Perforation 
in die Arteria pulmonalis zeigte. Weiter fand sich noch ein Fibrom 
an den Pulmonalklappen. Die Entstehung der Höhle wird als 
traumatisch-mykotisch (Kalkstachel, Fieber) angenommen und an 
der Bezeichnung Aneurysma dissecans gegenüber Haematoma arteriae 
sec. Eppinger festgehalten. 


Singer (Prag): Zur Kenntniß der Fälle von acutem Herzjagen. 

Vortr. berichtet über einen Fall, der seit 10 Jahren in seiner 
Beobachtung ist. Bei dem jetzt 42jähr. Mann ist die Tacliycardie 
mit Symptomen seitens des Centraluervensystems complicirt: Dila¬ 
tation beider auf Licht wie Accommodation starrer Pupillen, links¬ 
seitige Ptosis, rechtsseitige Trochlearislähmung u. a. m. Die früher 
paroxysmale Tacliycardie ist nach einem Gelenkrheumatismus per¬ 
manent geworden. Es hat sich eine Aorteninsufficienz mit Erschei¬ 
nungen von Angina pectoris ausgebildet. Bei Bettruhe hat Pat. nur 
80 Pulsschläge. Ganz besonders bemerkenswerth ist, daß auch bei 
Anfällen, sowie überhaupt erhöhter Pulsfrequenz stärkere körper¬ 
liche Bewegungen keine Beschwerden hervorrufen. Durch tiefe 
Einathmungen können die Attaquen coupirt werden. Auf Grund 
dieser Beobachtung rätli Vortr. zur Vorsicht, eine functioneile Neu¬ 
rose als das Wesen jeder paroxysmalen Tachycardie anzusehen. 

Discussion: 

Schlesinger (Wien) hat in letzter Zeit vier Fälle beobachtet. In dem 
einen trat die Tachycardie sdets im Anschlüsse an einen epileptischen Anfall 
auf, in dem zweiten war sie ein Frühsymptom eines Morbus Basedowii, im 
dritten Fall trat jedesmal eine vorübergehende Glykosurie auf, offenbar vom 
Centialnervensystem ausgehend. Durch Vaguscompression gelingt stets die 
Coupirung des Anfalles, dabei tritt allerdings eine Ohnmachtsanwandlung auf. 
Die nervösen Complicationen sind nicht selten. 

Ott (Prag) berichtet über drei Fälle, von denen zwei mit erheblicher 
Magenerweiterung einhergingen. Die sonst ganz gesunden Leute hatten auch 
intacte Herzen. Die Tachycardie trat auf und verschwand stets mit einer 
Dyspepsie. Im dritten verschwand die Tachycardie mit Ausbruch eines peripheren 
arthritischen Anfalles. Es handelt sich offenbar um symptomatische Reiz¬ 
wirkungen auf das Herz. 

Strauß (Berlin) hat auch vier Fälle gesehen. In dem einen waren 
gastrische Erscheinungen vorhanden. Heilung nach Magenausspülungen. Das Herz 
war auch im Anfall intact. In einem anderen war es im Anfall dilatirt. Die 
starke Herabsetzung der Cblorausscheidung im Harn fiel auf. Die Plötzlichkeit 
in Beginn und Aulhören der Attaquen macht eine neurogene Entstehung 
wahrscheinlich. 


Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Med. Presse“.) 

Sitzung vom 23. October 1902. 

ARTHUR Schüller stellt ein Kind mit acuter Polymyo¬ 
sitis vor. Dasselbe erkrankte vor 10 Wochen nach überstandenem 
Keuchhusten an Fieber, Mattigkeit, Erbrechen und Kopfschmerz, der 
Puls war beschleunigt, das Abdomen meteoristisch aufgetrieben. Dann 
wurde das Gesicht ödematös-, die Muskeln des Gesichtes und Halses 
wurden rigid, hart und ihre Function wurde fast ganz aufgehoben. 
Rigidität und Infiltration verbreiteten sich dann allmälig auf die 
ganzen Körpermuskeln mit Ausnahme derjenigen der Unterarme 
und Unterschenkel. Auf der Höhe der Krankheit waren die Muskeln 
hochgradig schmerzhaft. Gegenwärtig sind die krankhaften Erschei¬ 
nungen beträchtlich zurückgegangen. 

SPULLER berichtet über einen Fall von Stichverletzung 
des Cervicalraarkes, welche sich Pat. in selbstmörderischer 
Absicht durch einen Stich mit einem Taschenmesser in der Naeken- 
gegend zugefügt hat. Vortr. hat die Stichverletzung an der Leiche 
experimentell nachgeahmt und gelangt zum Schlüsse, daß das Hals¬ 
mark unterhalb der Pyramidenkreuzung getroffen wurde und daß 
unter anderem der linke Hinterstrang und Seitenstrang verletzt 
wurden. Unter den Folgeerscheinungen der StiohVerletzung sind 
hervorzuheben: Linksseitige Hemiparese, Steigerung der Sehnenreflexe 
und Fußclonus links, höherer Stand der linken Zwerchfellhälfte um 
2 Querfinger, Fehlen des Gefühles für passive Bewegungen an der 
linken Körperhälfte, hypästhetische Zone links vom Unterkiefer bis 
unter die Clavicula, linksseitige Recurrenslähmung und Hypästhcsie 
im Gebiete des linken Trigeminus, rechts Corneal- und Gaumen- 
reflex fehlend, leichte Pupillen- und Lidspaltenverengerung links. 
Die Recurrens- und TrigeminusafTection ist vielleicht auf kleine 
posttraumatische Erweichungsherde zu beziehen. 

LOTHEISSEN stellt einen 18jährigen Mann vor, bei welchem 
er wegen multipler tubereulöser Darmstenosen 
eine Enteroanastomose mit bestem Erfolge ausgeführt hat. 


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1957 


1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 43. 


1958 


Die Symptome der Erkrankung bestanden in Magenbeschwerden, 
Erbrechen, Schmerzen in der Magen-und Ileocöealgegend und Stuhl¬ 
verhaltung. Bei der Laparotomie wurde festgestellt, daß sich in 
einer 2 Meter langen Strecke des Dünndarmes 12 tumorartige tuber- 
eulöse Infiltrate der Darmwand fanden, von welchen 9 circular 
waren und den Darm zum Theil hochgradig stenosirten. Durch 
Ausführung der Enteroanastomose wurden alle Beschwerden behoben; 
die in solchen Fällen empfehLnswerthe Darmresection konnte wegen 
des schlechten Allgemeinzustandes des Pat. nicht ausgeführt werden. 

HERM. SCHLESINGER demonstrirt ein durch Obduction ge¬ 
wonnenes Präparat eines zweiten Falles von multipler tu ber¬ 
eu lös er Darmstenose. Die Diagnose auf dieses Leiden wurde 
in dem vorliegenden und in dem von Lotheissen operirten Falle 
auf Grund von Darmsteifung an verschiedenen Stellen des Abdomens 
und auf Grund der Darmstenosenerscheinungen gestellt, welche 
letztere seit langem bestanden und an Intensität und Häufigkeit 
des anfallsweisen Auftretens Zunahmen. Bei der Operation fanden 
sich vier Darnistenosen; Enteroanastomose. Pat. erlag einer Peritonitis 
einige Tage nach der Operation. 

J. Schnitzler hat fünf derartige Fälle operirt (Enteroanastomose); 
in einem Falle kam es nach einigen Monaten zum Exitus infolge Durch¬ 
bruches eines tiefgreifenden Ulcus in dem ausgeschalteten Darmtheile; daher 
ist, wenn der Kräftezustand es erlaubt, die Darmresection der Enteroanasto¬ 
mose vorzuziehen. Der Darm ist außer in ganz frischen Fällen auch zwischen 
zwei Stenosen hypertrophirt und dilatirt, auf das längere Bestehen dieses Zu¬ 
standes auch nach der Operation sind die noch wochenlang nach der letzteren 
auttretenden Koliken zu beziehen. 

MENZEL demonstrirt ein anatomisches Präparat von leu¬ 
kämischer Infiltration der Schleimhaut desLarynx 
und der Keilbein höhle. Der Fall von Leukämie zeigte einen 
acuten Verlauf und führte in vier Monaten zum Tode. In der 
letzten Zeit vor dem Exitus stellten sich Schwerhörigkeit und 
Dyspnoe ein, als Ursache der letzteren wurden laryngoskopisch 
zwei reactionslose, plattenförmige, symmetrisch gelegene Wülste 
unterhalb der Stimmbänder constatirt, welche das Kehlkopflumen 
verengten. Bei der Obduction fanden sich neben diesen leukämischen 
Veränderungen noch zahlreiche leukämische Tumoren in der Schleim¬ 
haut der Keilbeinhöhlen, die Zellen der Warzenfortsätze waren 
mit grünlichen, aus Leukocyten und einem feinen Netzwerk be¬ 
stehenden Massen ausgefüllt. 

M. WEINBERGER stellt einen Mann mit Dia bete bronce 
vor. Bei dem Pat. bildeten sich unter Mattigkeit, Abmagerung, 
Magenbeschwerden und Husten eine cirrhotische Schwellung der 
Leber, ein geringer Flüssigkeitserguss im Abdomen, sowie eine 
braune Verfärbung der Haut des Gesichtes und der Extremitäten 
aus; auf der Haut des Kumpfes finden sich ebenso gefärbte Flecken. 
Schließlich stellte sich ein starkes Durstgefühl ein, im Harne fanden 
sich 5 - 5°/o Zucker, welcher auch bei Diabetesdiät nicht unter 5% 
sank. Der Harn enthält keine Gallenfarbstoffe. 

JOS. DROZDA berichtet über einen Fall von acuter 
Leukämie bei einem 12jährigen Knaben. Die Symptome waren 
folgende: Kopfschmerz, Yage Schinerzen in den Extremitäten, 
Athemnoth, stecknadelkopfgroße Blutextravasate an der Haut und 
Rachenschleimhat, mäßiges Oedern der Beine, Vergrößerung der 
Lymphdrtisen und Tonsillen, Druckschmerzhaftigkeit des Sternum 
und der Tibien, hochgradige Vergrößerung der Leber und der 
Milz; die Blutuntersuchung ergab Leukämie. Unter Somnolenz er¬ 
folgte Exitus. Bei der Obduction fanden sich Ekchymosen an den 
serösen Häuten, adenoide Auflagerungen auf der Außenfläche der 
Dura mater, welche das Schädeldach usurirt hatten, Milz- und Leber¬ 
tumor, wulstförmige weiße Einlagerungen leukämischer Natur in 
die Submucosa des Magens, Dünndarmes und des Proc. vermiformis. 

S. EHRMANN stellt einen jungen Mann mit zahlreichen 
Tuberculiden der oberen Körperhälfte vor. Dieselben ent¬ 
stehen als linsengroße, gelblichrothe Knötchen mit einem gelben 
Centrum, dann werden sie blauroth und tragen auf der Spitze eine 
Kruste, schließlich confluiren sie zu Plaques. Bei der regressiven 
Metamorphose entstehen Narben, welche von einem hyperämischen 
und bei brünetten Individuen auch von einem pigmentirten Hofe 
umgeben sind. Pat. hat außerdem Drüsenschwellungen am Halse 
und phthisischen Habitus. Die Tuberculiden entstehen nicht durch 


Tuberkelbacillen, sondern durch ihre Toxine. Vortr. hat bereits 6 
derartige Fälle gesehen und regt zu weiteren Beobachtungen an, 
da sich derartige Tumoren öfter bei tuberculösen Individuen finden 
dürften. Patient wird mit Leberthran behandelt. 


K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 24. October 1902. 

0. HALÄSZ demonstrirt einen Säugling mit folgenden M i ß- 
bild ungen : Hasenscharte mit Spaltung des harten und weichen 
Gaumens, Verkürzung der rechten oberen Extremität, welche im 
Ellbogen subluxirt ist und nur 3 Finger trägt, doppelseitigem 
Klumpfuß. 

SlEGFR. WEISS stellt einen Säugling mit Pemphigus 
neonatorum vor; die Affection weist Uebergänge zur Dermatitis 
exfoliativa auf, indem die Abschälung der Epidermis weit Uber 
die Peraphigusblasen hinausgeht. 

W. Knöpfelmacher hat zwei für einen solchen Uebergang sprechende 
Fälle beobachtet: 1. einen typischen Fall von Pemphigus, aus welchem sich 
später Dermatitis exfoliativa entwickelte, 2. einen Fall von Pemphigus, welcher, 
die Matter inficirend, bei dieser Impetigo contagiosa erzeugte. 

H. SCHLESINGER führt eine Frau mit einem Tumor der 
Rautengrube vor. Die ersten Symptome der Erkrankung waren 
rechtsseitige Facialis- und Abducenslähmung, Blicklähmung nach 
rechts bei weniger geschädigter Fanction des rechten Internus bei 
Convergenz; später trat leichte rechtsseitige Abducens- und Trige¬ 
minusparese auf. Es dürfte sich um einen Hirntumor am unteren 
Ende des Pons in der Rautengrube handeln. 

F. HABERER stellt einen Pat. mit einer hochgradigen Ver¬ 
ätzung des Gesichtes durch Schwefelsäure vor. Der 
rechte Bqlbus, das rechte Ohr und das linke obere Augenlid und 
ein Theil des rechten Nasenflügels sind ganz zerstört, die ganze 
Haut der rechten und ein großer Theil der linken Gesichtshälfte 
verätzt. Die Therapie wird in ausgedehnter Plastik bestehen. 

S. EHRMANN demonstrirt die Photographie und das Roentgeno- 
gramm eines Kranken mit tertiärer Lues. Derselbe wurde als 
Kind von der Amme mit Syphilis inficirt, bekam im Knabenalter 
Pericarditis, wegen welcher er 10 Jahre zu Bette lag, dann Ge¬ 
schwüre in der rechten Halsgegend, welche, als scrophulöse Drüsen¬ 
geschwüre behandelt, 4 Jahre lang bestanden und durch eine anti- 
syphiiitische Cur in 7 V ochen geheilt wurden. Der rechte Humerus 
zeigte Pseudarthrosenbildung, wahrscheinlich nach Continuitäts- 
trennung des Knochens durch ein Gumma des Knochenmarkes. 

Osk. Frankl: Ligamentum rotundum und Gubernaculum Hunteri. 

Diese beiden Gebilde sind in genetischer Beziehung identisch, 
indem sie sich am vorderen Rande des Lig. inguinale entwickeln, 
welches das die Urniere überziehende Peritoneum am caudalen 
Ende derselben beim Uebergänge zur Baachwand bildet. Sie stehen 
einerseits mit dem WOLFF’schen Gang, andererseits mit der Bauch- 
wand in Verbindung und enthalten neben Bindegewebe glatte und 
quergestreifte Muskelfasern , letztere als Rudiment eines bei vielen 
Thiereu sich entwickelnden musculösen Conus, welcher die Keim¬ 
drüse in sich birgt. Zur Zeit des Descensus testiculi ist das Ge¬ 
bilde, welches sich beim Manne am Nebenhoden inserirt und das 
Gubernaculum Hunteri darstellt, mächtig entwickelt; es atrophirt 
aber nach vollendetem Descensus. Beim weiblichen Geschlechte 
kommt es nur zu einem geringgradigen Descensus ovarii, und das 
Gebilde, hier das Lig. rotundum repräsentirend, bleibt bestehen 
und entwickelt sich weiter. Während der Schwangerschaft ver¬ 
mehren sich bei den Thieren mit bimförmigem Uterus und auch 
beim Menschen die in der Norm spärlichen, quergestreiften Mus¬ 
kelfasern des Lig. rotundum in hohem Maße, so daß sie ein Viertel 
der Dicke des Mutterbandes bilden. Vortr. möchte sie als Fixatoren 
des Fundus uteri zur Zeit der Anstreibungsperiode ansprechen. 
Die Adenome des Lig. rotundum entstammen dem WOLFF’schen 
Körper. 


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1959 


1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 43. 


1960 


G. Holzknecht: Eine exacte zahlenmäßige Dosirungsmethode 
für Roentgentherapie. 

Die Reaction der Haut auf Roentgenbestrahlung ist von der 
Menge der daselbst absorbirten Strahlen abhängig. Diese Quantität 
mißt Vortr. durch die Eigenschaft der Roentgenstrahlen, ge¬ 
wisse Salze zu färben, wobei die Intensität der Färbung und die 
Stärke der Belichtung parallel gehen. Mit Lösungen solcher Salze 
bestrichene Reagenspapiere werden mit der kranken Hautstelle 
gleichzeitig belichtet; die Färbung des Papiers zeigt durch Vergleich 
mit einer Scala die Intensität der Belichtung, bezw. das Erreichen 
des zulässigen Grades derselben, an. 

In der Discussion, au welcher sich die Professoren Riehl, Schiff nnd 
Eiirmann, sowie Dr.TELEKY und Dr. L. Freund betheiligten, wurde hauptsächlich 
die individuelle Reaction gegenüber den Roentgenstrahlen betont, welcher 
jedoch nach den Erfahrungen des Vortr. keine allzu große Bedeutung beizu¬ 
messen ist. 


Notizen. 


Wien, 25. October 1902. 

Todesursachen in Oesterreich während der Jahre 

1873—1900. 

Kein Zweig der medicinischen Statistik, einer unserer im 
Verhältnisse jüngsten Wissenschaften, hat so frühzeitig allgemeines 
Interesse für sich wachgerufen als die Erforschung jener Gesetze, 
an welche der scheinbar regellose Tod gebunden ist. Und während 
man sich lange mit der bloßen Festlegung von Sterblichkeitsziffern 
begnügte, ist unsere Zeit, die immer tiefer in das Wesen der 
Naturerscheinungen zu dringen sucht, auch darangegangen, die 
Ursachen der Erkrankungen und Todesfälle statistisch zu verar¬ 
beiten , um so einen tiefereD Einblick in die erforschten Zahlen¬ 
reihen zu gewinnen. Eröffnet ja die Erkenntniß des Zusammenhanges, 
welcher z. B. zwischen Mortalitätsfrequenz und äußeren Einflüssen 
oder Schädlichkeiten besteht, die keineswegs phantastische Aussicht, 
selbst den unüberwindbaren Tod immer mehr hinauszurücken, d. h. 
einer immer größeren Zahl von Individuen die Lebensdauer zu 
verlängern. In erster Linie haben es jene Behörden (Gesundheits¬ 
ämter und Sanitätsverwaltungen), welchen in den modernen Staaten 
die Sorge für das öffentliche Gesundheitswesen obliegt, unternommen, 
die Todesursachenstatistik auszubilden und sie ihren Zielen nutzbar 
zu machen. Die Schwierigkeiten , welche solchen statistischen Er¬ 
hebungen und Bearbeitungen entgegenstehen, kann nur der er¬ 
messen , der das so häufig unvollständige und unverläßliche Ur- 
materiale kennt, und mit Dank müssen wir es daher begrüßen, 
wenn in einer auf amtlichen Quellen beruhenden Arbeit*) Daimeb 
uns nicht nur Zahlenreihen bringt, sondern auch allerorts auf die 
Lehren und Mahnungen hinweist, die sich aus den nackten Ziffern¬ 
reihen und den verwirrenden Zahlentabellen ergeben. 

Im ersten Abschnitte, der die Infectionskrankheiten 
behandelt, führt D. aus, wie früher die Aufgabe der Amtsärzte 
darin lag, erst bei Bestand einer Epidemie einzuschreiten , wobei 
sich die behördlichen Maßnahmen im Wesentlichen darauf be¬ 
schränkten, für die ärztliche Behandlung der Kranken und die 
Unterstützung armer Kranker Sorge zu tragen; wie wesentlich 
aber sich die Verhältnisse verschoben, als man sich bemühte, wo¬ 
möglich von jedem ersten Falle Kenntniß zu erlangen, und an die 
sogenannte Epidemietilgung schritt. Die Sterbefälle an acuten In¬ 
fectionskrankheiten sind in den Kronländern vom Jahre 1873—1900 
auf ein Viertel heruntergegangen, wobei zwar einerseits die Epi¬ 
demien des Jahres 1873, andererseits aber das Fehlen der Zahlen 
für Dalmatien und für die Diphtherie — die damals noch nicht 
anzeigepflichtig war — in Betracht kommen. 

Sieht man von Galizien und der Bukowina ab, so erscheinen 
die Blattern in den einzelnen Ländern Oesterreichs nahezu getilgt, 
während sie früher bald in dieser, bald in jener Gegend über 
größere Gebiete hin herrschten. Es entfielen z. B. : 

*) „Todesursachen in Oesterreich während der Jahre 1873—1900.“ 
Mit 7 Tafeln. Von Ministerialrath Dr. J. Daimek. Beilage zu Nr. 37 des 
„Oesterr. Sanitätswesens“. 


im Jahre 1898 von 2521 Blatterntodesfällen 17 = 0*7°/ 0 

„ „ 1899 „ 1820 „ 9 = 0.5% 

„ „ 1900 „ 297 „ 2 = 0-7 % 

auf das Läudergebiet außerhalb Galiziens und der Bukowina. Die 
Blatternepidemien in den ersten Jahren des 8. Decenniums stellen sich 
deutlich als Fortsetzungen der während des deutsch-französischen 
Krieges aufgetretenen Epidemie heraus. Schon im Jahre 1871 stieg 
die Zahl der Blatternsterbefälle in Niederösterreich, Böhmen, Mähren 
und Schlesien auf das Doppelte ihrer Höhe im vorausgegangenen 
Jahre; ihren Höhepunkt erreichte sie in Niederösterreich, Salzburg 
und Schlesien im Jahre 1872, in den andern Ländern im Jahre 
1873, in Steiermark, Kärnten, Krain und in der Bukowina im 
Jahre 1874, in Tirol 1877, in Dalmatien aber erst im Jahre 1877. 
Lehrreich ist hiebei auch der langsame Verlauf im Fortschreiten 
dieser Blatternepidemien. Unter den für die Bekämpfung der 
Seuche so bewährten Maßregeln ist in erster Linie die Impfung 
zu nennen, für deren zunehmende Verbreitung eine Reihe von 
Tabellen sprechen, ferner die Isolirung der Kranken und die strenge 
Durchführung der Desinfectionsmaßregeln. 

Die Todesfälle an Masern wechseln in ihrer Höhe von 
Jahr zu Jahr, zeigen nur in wenigen Jahren erhebliche Abnahmen, 
wogegen auch nur ausnahmsweise ihre Zahl besondere Höhen er¬ 
reicht. Nichtsdestoweniger darf man aus den Totalsummen nicht 
auf eine ziemlich gleichmäßige Verbreitung und Intensität dieser 
Krankheit schließen; die Zahlen der einzelnen Länder beweisen 
vielmehr, daß die mit letalem Ausgang endigenden Epidemien bald 
da und dort intensiver auftreten. Der Bericht betont, daß die Krank¬ 
heit in sanitätspolizeilicher Hinsicht ungleich mehr Beachtung ver¬ 
dient, als sie bisher gefunden hat, weil sie in regelmäßig und inner¬ 
halb kurzer Zeiträume wiederkehrenden Epidemien auftritt und 
in manchen Ländern eine solche Sterblichkeit aufweist, die 
mit der allgemeinen Anschauung geringer Bösartigkeit im Wider¬ 
spruche steht. 

In gleicher Weise wie bei den Masern zeigen auch die Todes¬ 
fälle nach Scharlach im Allgemeinen keine wesentlichen Abnahmen 
in den Totalsummen, während in Niederösterreich und Oberöster¬ 
reich die Scharlachsterblichkeit in einer unverkennbaren allmäligen 
Abnahme begriffen ist. In ihrem zeitlichen Auftreten zeigen Masern 
und Scharlach im Sommer die geringste Mortalität; im Herbst und 
bis zum Winter steigt die Curve rapid in die Höhe, gelangt gewöhn¬ 
lich in der ersten Hälfte des Monates December auf ihren höchsten 
Stand, sinkt dann bis in den Monat März, mitunter auch April, 
steigt um diese Zeit wieder rasch an zu dem meist im Mai ein¬ 
tretenden Maximum, welches die Höhe jenes im Herbste aber nicht 
erreicht. Bezüglich der prophylaktischen Maßnahmen bedauert 
Daimer , daß sie nicht in gleichen Grundsätzen und in gleicher 
Strenge wie bei den Blattern durchgeführt werden, wobei er ins¬ 
besondere der Indolenz der Bevölkerung gegenüber diesen weniger 
die Erwachsenen betreffenden Erkrankungen die Hauptschuld bei¬ 
mißt, und er betont, welch wichtige Rolle in der Verhütung dieser 
Krankheiten die Schulärzte zu spielen berufen seien. 

Die Zahl der Todesfälle an Keuchhusten ist in den Jahren 
1873—1890 fast um die Hälfte gesunken; die Zahlen lehren, daß 
die Krankheit häufig neben Masernepidemien einhergeht, einmal 
ihren Vorläufer, ein anderesmal ihren Nachzügler bildet. Für die 
Verbreitung des Keuchhustens kommt der Schulbesuch und die 
Einschleppung von auswärts in Betracht, und die gebräuchliche 
Luftveränderung nennt Daimer einen gewissenlosen und vom Stand¬ 
punkt der Sanitätspflege anfechtbaren Vorgang. 

Die Diphtherie wurde erst im Jahre 1878 in das vor¬ 
geschriebene Schema der Todesursachen aufgenommen. Die Zahl 
der Diphtherietodesfälle ist in den in Betracht kommenden Jahren 
auf den vierten Theil herabgesunken. Bezüglich des Einflusses der 
Serotherapie, soweit die Mortalitätsstatistik hiezu verwerthet werden 
kann, ergibt sich für die 5 Jahre seit 1896, für welche nähere An¬ 
gaben vorliegen, daß von den nicht mit Heilserum behandelten 
Kranken 38'2%, von den mit Serum injicirten 15*5% gestorben 
sind. Prophylaktisch wären möglichst frühzeitige behördliche Vor¬ 
kehrungen in Erkrankungsfällen, sowie eine möglichst frühzeitige 
Anwendung der Serotherapie erwünscht. 


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1961 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 43. 


1962 


Auch die Typhus Sterblichkeit — erst seit 1895 wird 
zwischen Abdominal- und Flecktyphus unterschieden — ist in den 
18 Berichtsjahren auf den vierten Theil heruntergegangen. An der 
Zahl der Typhussterbefälle ist Galizien am meisten betheiligt, auf 
das im letzten Decennium 63'5% aller Typhustodesfälle entfielen. 
Auf das letztgenannte Kronland ist auch der Flecktyphus fast aus¬ 
schließlich beschränkt, während er in den westlichen und südlichen 
Ländern unbekannt ist. Das Sinken der Typhussterblichkeit wird 
von Daimer mit Recht auf die allgemeinen und localen Assanirungen 
bezogen, wobei Amtsärzte und Gemeinden in gleicher Weise sich 
hervorragend bethätigt haben. Aus den einschlägigen Angaben seien 
die Wiener Zahlen 1873:742 Fälle, 1874:375 Todesfälle an 
Typhus — 1873 wurde die Hochquellenleitung eingeführt — her¬ 
vorgehoben. 

Ruhrtodesfälle kommen nur in einem Theile der Länder 
häufig vor, und in diesen steigt in gewissen Jahren die Zahl zu 
beträchtlicher Höhe. Hieher gehören Galizien und zeitweise auch 
die Bukowina, dann Krain, Görz-Gradisca, Dalmatien und Tirol 
mit seinen südlichen Bezirken. 

Für die Cholera ist der Epidemiezug vom Jahre 1871 zu 
erwähnen, der von einer Einschleppung von Rußland nach Galizien 
seinen Ausgangspunkt nahm, sich nach einer großen Zahl von 
Ländern verbreitete und bis über das Jahr 1873 hinaus dauerte. 
Es starben damals gegen 130.000 Personen. Eine nur beschränkte 
Ausbreitung erlangte die 1886 aus Italien eingeschleppte Epidemie, 
welche nur im Küstenlande, in Krain . in einzelnen Gegenden von 
Dalmatien intensiver auftrat und die 1288 Todesfälle aufwies. Die 
letzte Epidemie von 1892 trat wieder zuerst in Galizien auf (Ham 
burger und russischer Provenienz), blieb ausschließlich auf dieses 
Land beschränkt und dauerte bis 1895. Die Gesammtzahl der 
Todesfälle betrug 10.393. 

Die Zahl der Tuberculosetodesfälle schwankt unge¬ 
fähr zwischen 80—90.000 im Jahre; Triest weist die höchste, 
Tirol die niedrigste Mortalitätsziffer an Lungenschwindsucht auf. 

Die bösartigen Neubildungen weisen für 1900 eine 
dreifach höhere Zahl als für das Jahr 1873 auf. Wenn wir hier 
auch die immer (ortschreitende Diagnostik in Betracht ziehen, so 
‘kann doch ein Häufiger werden der Neoplasmen nicht geleugnet 
werden. 

Die vorstehende cursorische Inhaltsangabe kann nicht den An¬ 
spruch machen , den reichen Inhalt der DAiMER’schen Arbeit zu 
erschöpfen; sie wollte vor Allem auf die Wichtigkeit und den 
Werth der statistischen Erforschung hinweisen , die nicht nur für 
die öffentliche Gesundheitspflege, sondern auch für die wissenschaft- 
lich-medicinische Erkenntniß manchen Beitrag zu liefern vermag; 
sie wollte ferner an der Hand der vorstehenden Ausführungen 
zeigen, wie ernst und nachdrücklich auch unsere Sanitätsverwaltung 
ihren hohen Aufgaben und Zielen nachzugehen bestrebt ist, wobei 
manche alte Sünden gutzumachen, in manchem Kronlaude fast noch 
die ersten Fundamente zu legen sind. Fischer. 

(InternationalerTuberculosecongreß.) Aus Berlin 
schreibt uns unser Correspondent: Am 23. d. M. ist unter zahl¬ 
reicher Betheiligung von Vertretern aller Länder unter Leitung des 
Staatsministers V. Posadowsky der internationale Tuberculose- 
congreß eröffnet worden. Oesterreich ist durch Sectionschef v. Kusy, 
Ungarn durch Koranyi, Frankreich durch Brouardel, England 
durch Williams, Italien durch Maragliano, Spanien durch Espina, 
Rußland durch Blumenthal vertreten. — Ueber den wissenschaft¬ 
lichen Verlauf des Congresses werde ich Ihren Lesern ausführlich 
berichten. 

(Gesellschaft für innere Medicin.) Am 23. d. M. 
hat diese Gesellschaft unter überaus zahlreicher Betheiligung ihrer 
Mitglieder ihr zweites Vereinsjahr eröffnet. Am Präsidententische 
saß Nothnagel. Nach Begrüßung der Versammlung gedachte der 
Vorsitzende der schweren Verluste, die unsere Wissenschaft in 
jüngster Zeit durch den Heimgang Virchow’s und Gerhardt’s 
erlitten, und widmete dem Andenken des verstorbenen Mitgliedes 
Dr. Josef Kornfeld warme, ehrende Worte. — Ueber den wissen¬ 
schaftlichen Theil des Abends berichten wir an anderer Stelle. 


(Rectors-Inauguration.) Montag, 27. October, 12 Uhr 
Mittags findet im Festsaale der Wiener Universität die feierliche 
Inauguration des für das Studienjahr 1902/3 gewählten Rectors, 
Hofrath Prof. K. Gussenbauer, statt. Die Antrittsrede des Rectors 
wird das Thema „Anschauungen über Gehirnfunctionen“ behandeln. 

(Auszeichnungen.) Die Anders Retzius-Medaille in Gold 
der schwedischen ärztlichen Gesellschaft wurde Prof. Dr. v. Voit 
in München verliehen. — Der bekannte Lepraforscher Dr. Ehlers in 
Kopenhagen ist zum Professor der Dermatologie ernannt worden. 

(Militärärztliches.) Marine-Oberstabsarzt II. CI. Doctor 
Thomas Lenoch ist in den Ruhestand versetzt und bei diesem 
Anlasse durch Ernennung zum Marine Oberstabsarzt I. CI. ausge¬ 
zeichnet worden. 

(Das neue Hilfsärztestatut.) Vor einigen Tagen hat 
eine Deputation der Ililfsärzte der Wiener Krankenanstalten in der 
Statthalterei vorgesprochen, um ein das neue Statut betreffendes 
Memorandum zu überreichen. Die Mitglieder der Deputation hatten 
den Eindruck, als ob die Aussichten auf Erfüllung ihrer Wünsche 
nicht allzu große wären. — Man thäte an maßgebender Stelle 
wohl gut daran, die Wünsche unserer jungen Aerzteschaft wohl¬ 
wollender zu behandeln. Wir haben schon Gelegenheit genommen, 
darauf hinzuweisen, inwieferne uns dieselben berechtigt erscheinen. 

(A e rztestri ke.) Die oberösterreichische Aerztekammer hat 
die ihr unterstehenden Aerzte aufgefordert, die Stelle eines behandeln¬ 
den Arztes bei der in Steyr detachirten Militärabtheilung nicht an- 
zunehrnen. Die Ursache dieser Verfügung ist, daß das Corpscomtnando 
das „Honorar“ für die ärztliche Behandlung der militärischen Ab¬ 
theilung auf „eine Krone“ per Tag herabgesetzt hat, in welchem 
Vorgänge die Aerzte mit Recht nicht nur eine Preisdrückung, son¬ 
dern auch eine Beleidigung des Aerztestandes erblicken. Durch 
eine in den Tagesblättern veröffentlichte und auf diese Mittheilung 
sich beziehende Berichtigung ist der von der oberösterreichischen 
Aerztekammer angefochtenen Verfügung die Spitze keineswegs be¬ 
nommen worden. 

(Stempelfreiheit der Empfangsbestätigungen 
über Sachverständigen-Gebühren.) Die mährische Aerzte- 
kammer hat mittelst Rundschreiben an die ihrem Sprengel ange¬ 
hörenden Aerzte denselben bekannt gemacht, daß die von den 
Districtsärzten in Mähren als Sachverständigen in Strafsachen aus¬ 
gestellten Empfangsbestätigungen über die ihnen aus dem Straf¬ 
kostenverlage ausgefolgten Sachverständigengebühren die Stempel¬ 
freiheit genießen, weil die genannten Aerzte mit Rücksicht auf 
§ 14 des mährischen Landesgesetzes nicht als Gemeindebedienstete, 
sondern als Angestellte der Sanitätsdistricte anzusehen sind. 

(Der n äch s te i n t ern ationale Otologencongreß), 
welcher im Jahre 1903 in Bordeaux stattfinden sollte, ist wegen des 
zu gleicher Zeit festgesetzten internationalen medicinischeu Congresses 
zu Madrid auf das Jahr 1904 verschoben worden. 

(Schulhygiene in Rußland.) Aus St. Petersburg schreibt 
man uns: Ein Circular des Ministers der Volksaufklärung verordnet, 
daß der Schularzt, welcher nach den bisher bestehenden Vor¬ 
schriften nur dann zu den pädagogischen Schulconferenzen zuge¬ 
zogen wurde, wenn der Vorsitzende derselben es für nöthig hielt, 
von jetzt an allen Sitzungen der Conferenzeu derjenigen Lehr¬ 
anstalten , welche über einen Schularzt verfügen, theilzunehmen 
hat, und zwar mit Stimmrecht in allen Fragen, welche in das 
Gebiet ärztlicher Competenz gehören. Den Schulobrigkeiten wird 
anempfohlen, unter Mithilfe der Schulärzte unter den einen oder 
anderen Bedingungen, jedoch ohne die Gewährung der Rechte 
des Staatsdienstes, entsprechende Specialisten für die Beaufsichtigung 
des Zustandes der Augen und der Zähne der Schüler zu gewinnen. 
Zu den Pflichten eines Schularztes gehört es, periodisch ärztliche 
Besichtigungen aller Lernenden (durchaus aber aller Neueintretenden) 
vorzunehmen, ihren Gesundheitszustand beständig zu beobachten, 
Sanitätslisten über alle Zöglinge zu führen und alljährlich einen 
Bericht über die sanitären Zustände an der betreffenden Lehranstalt 
abzufassen. 

(P u b 1 i c i s t i s c h e s.) Unter dem Titel „Russische medicinische 
Rundschau“ ist soeben eine neue Monatsschrift erschienen, die unter 
Mitwirkung hervorragender russischer Gelehrter und Aerzte von 


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1963 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 43. 


1964 


Semjon Lipliawsky und Weisbein in Berlin herausgegeben wird. 
Die Monatsschrift will dem deutschen medicinischen Lesepublicum 
in möglichster Vollständigkeit die Kenntniß der wissenschaftlichen 
Arbeit der russischen Collegen vermitteln, welchem Zwecke Original¬ 
artikel russischer Gelehrter in deutscher Sprache, sowie Referate 
der besseren russischen Doctordissertationen und Referate der 
wichtigsten Arbeiten der russischen medicinischen Zeitungsliteratur 
dienen sollen. 

(Krankenwäsche-Reinigung.) Die „Blätter für Volks¬ 
gesundheitspflege“ geben einige werthvolle Winke für die Behand¬ 
lung von Krankenwäsche, welche wir nach „Corr.-Bl. f. Schweizer 
Aerzte“ reproduciren. Nach Desinfection der Wäschestücke werden 
dieselben beiderseits zweimal mit reichlicher Seife gewaschen, in 
Seifenlauge (1 Eimer Wasser 25 Grm. Seife, 10 Grm. Borax) eine 
halbe Stunde gekocht und dann unter Berücksichtigung etwaiger 
Flecken nachgewaschen. Jod fl ecke entfernt man durch Betupfen 
mit Kaliumpermanganatlösung, bis die Flecken dunkelbraun werden, 
tupft dann mit verdünnter Salzsäure mehrmals nach und gibt dann 
etwas Salmiakgeist darauf. Höllenstein flecke werden durch 
Betupfen einer Mischung, aus 500 Grm. Wasser, 3 Grm. Salmiak 
und Sublimat bestehend, entfernt. Harnflecke entfernt man 
durch Betupfen mit Citronensaft, Citronen- oder Weinsteinsäure¬ 
lösung 1:30; bei ganz starken oder veralteten Flecken wird 
Oxalsäurelösuug 1:10 angewendet. In allen drei Fällen ist nach 
obigen Behandlungen sofort mit warmem Wasser sorgfältig nach¬ 
zuspülen. Nach dem Trocknen und Plätten muß die Wäsche vor 
der Aufbewahrung gut durchgelüftet werden, um sie von der 
letzten Spur von Geruch oder Feuchtigkeit zu befreien. — An 
Tuberculose, Influenza etc. Leidende sollten sich papierner Schnupf 
tücher , die unter dem Schutzuamen Koryzap’hylla in den Handel 
kommen, bedienen, da dieselben gleich nach dem Gebrauche ver¬ 
brannt werden können. 

(Statistik.) Vom 12 bis inclusive 18. October 1902 wurden in 
den C i v i lspi tälern Wiens 6620 Personen behandelt. Hievon wurden 1358 
entlassen ; 121 sind gestorben (818% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 58, egypt. 
Augenentzündnng 1, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 9, Dysen¬ 
terie —, Blattern —, Varicellen 39, Scharlach 38, Masern 60, Keuchhusten 37, 
Rothlauf 28, Wochenbettfieber 1, Rötheln 1, Mumps 5, Influenza —follicul. 
Bindehaut-Entzündung—, Meningitis cerebrospin.—, Milzbrand—, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 597 Personen gestorben 
(+ 21 gegen die Vorwoche). 

Herr Dr. J. Wenhaiidt, Assistent der II. med. Klinik (Hofrath Prof. 
Dr. K. v. Ketly) der Universität Budapest, schreibt: 

„Nach der Einnahme des Purgen konnte ich nie irgend eine unange¬ 
nehme Nebenwirkung beobachten. Das Phenophtalein muß in die Reihe der 
besten Abführmittel gezählt werden. Mittels kleinerer Gaben läßt sich der 
Stuhl regeln, größere Gaben wieder können zur Ausräumung des ganzen 
Darminhaltes verwendet werden. Zur Erreichung ersteren Zweckes eignet sich 
auch das Baby Purgen und Purgen, für letzteren ist nur das Purgen für 
Bettlägerige brauchbar. Alles in allem ersehen wir, daß unser Arzneischatz 
im Purgen eine Bereicherung mit einem Abführmittel erfahren hat, welches 
über so viele von den Eigenschaften eines guten Abführmittels verfügt, daß 
es volle Aufmerksamkeit verdient“ (Heilkunde, Mai 1902). 


Oesterreichische Gesellschaft für Gesundheitspflege. 


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Voll-Versammlung Mittwoch den 29. October 1902, 7 Uhr Abends, 
im Hörsaale des k. k. hygienischen Universitäts-Institutes, IX., Schwarzspanier- 
straßo 17. 

Tagesordnung: 

1. Mittheilungen des Vorsitzenden. 

2. Prof. Dr. Arthur Schattenfuoh : Zur Schularztfrage. 

Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 

Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
Postversendung. Die Preise derElnb&nddeoken sind folgende: für die „Med. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.) 
„Therapie der Gegenwart“: TV 1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Postversendung- 

Die Rubrik: „Erledigungen , ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 

Mt Wir empfehlen diese Rubrik der speclellen Beachtung unserer 
geehrten Leser; in derselben werden öfters — neben der Publication von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auch für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein können, welche an eine 
Aenderung des Domicils oder ihrer Verhältnisse nicht gedacht haben. 


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Dauer der Gewöhnung. Sofortiger Fortfall von Morphium und Spritze. 
Dauer der ohne Verlangen nach Morphinm und ganz ohne Beschwerden 
verlaufenden Kur etwa 4 Wochen. Ausführl. Prospec» u. Abhandlungen 
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Dirig. Arzt: Dr. Otto Emmerich. ® Aerzte. 



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XLIII. Jahrgang. 


Wien, den 2. November 1902. 


Nr. 44. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik', letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Iusertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse" 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 


Wiener 


Abonnementspreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Militärärztlicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
20 ä", halbj. 10 K, viertel]. 5 K. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk-, halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. SK; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Ranm 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein 
Sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse" in Wien,!., Maximilianstr. 4. 


medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Organ für praktische Aerzte. 

-.Qge.—-- 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


Redaction: Telephon Kr. 13.849. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Administration: Telephon Kr. 9104. 


• Originalien und klinische Vorlesungen. Beobachtungen über (las Verhalten der Hautgefäße auf thermische Reize. Von Prof. Dr. Alois 
RE rDL - Aus dem k. k. Rudolfspitale in Wien. Die Verhütung und Therapie des Abortus. Von Dr. Wilhelm Hahn, gew. Operationszögling der 
im hrobak, Secunöararzt des k. k. Rudolfspitales. — Aus der chirurg. Abtheilung des bosn.-herceg. Landesspitales zu Sarajevo. Ueber Stein¬ 
opera Ionen. Von Primararzt Dr. Josef Preindlsbergeb. — Referate. Hamel (Berlin): Zur Frühdiagnose des Icterus. — Strasser (Wien): Physikalische 
nerapie der Epilepsie. -— J. A. Amann jr. (München): Zur Technik der transperitonealen Exstirpation des carcinomatösen Uterus mit Beckenaus- 
ranmung, mit besonderer Berücksichtigung der Ureterendeckung und der Drainage der Bauchhöhle. — Kozlovsky (Prag): Das Wasserstoffsuperoxyd 
um sei °® Bedeutung in der chirurgischen Praxis. — Uhlenhuth (Greifswald): Praktische Ergebnisse der forensischen Serodiagnostik des Blutes. — 
eher (ist. Petersburg): Ueber die operative Behandlung veralteter Ellenbogen-Luxationen. — Kristen Isager (Stockholm): Auftreten der Tuberculosc 
au em Danae. — van izeren : Die Pathogenese des chronischen Magengeschwürs. — Paui. Baatz: Trichomonas vaginalis in der weiblichen Harnblase. — 
ANDAZI8 (Athen): Eine dreimalige Zahnung. — Körmöczi (Budapest): Durch Streptokokkeninfectiou verursachte Polymyositis (Polymyositis strepto- 
~ ^ E1 E E0W (Kiew): Zur Frage der Durchgängigkeit der Placenta für Mikroorganismen und ihrer phagocytären Fähigkeit. — Kleine 
eilangen. Decortication der Lunge bei chronischem Empyem. — „SaDgninal Krewel.“ — Conservirung von Sedimenten für die klinische Mikro- 
s opie. -— Klinisch-therapeutische Erfahrungen über Thiocol und Sirolin. — lntrauterinpessarium. — Die Bedeutung der Zerkleinerung und des 
ocbens der Speisen für die \erdauung. — Hämoglobinverlast und Hämoglobinersatz. — Ueber den therapeutischen Werth des Salvatorwassers. — 
ur operativen Behandlung der Perityphlitis. — Literarische Anzeigen. Leitfaden der Geburtshilfe für praktische Aerzte und Studirende. Von 
r. Gustav Vogel, erster Assistenzarzt der königl. Universitäts-Frauenklinik zu Würzburg. — Die experimentelle Diagnostik, Seruratherapie und 
rophylaxe der Infectionskrankheiten. Von Stabsarzt Dr. E. Marx. — Cursus der Orthopädie für praktische Aerzte. Zehn Vorlesungen von Dr. Georg 
Müller Specialist für Orthopädie in Berlin. — Feuilleton. Die internationale Tucerculose-Conferenz in B.rlin. (Orig.-Corresp.) — Verhandlungen 
fr n n er . Vereine * Aus den Abteilungen der 74. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. Karlsbad, 21.—27. September 1902. 
tv° F ‘ ^ 6r nKr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) VI. — Aus medicinischen Gesellschaften Deutschlands. (Orig.-Ber.) — Standesfragen. 
Die Hiltscassen und die n.-ö. Statthalterei. — Notizen. — Das November-Avancement. -- Neue Literatur. — Eingesendet. — Offene Gorrespondenz 
der Redaction nnd A dministration. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 

Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse “ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Beobachtungen über das Verhalten der Haut¬ 
gefäße auf thermische Beize. 

Von Prof. Dr. Alois Kreidl. *) 

M. H.! Ich glaube, daß Sie es nicht als Mißbrauch der 
Gastfreundschaft ansehen werden, wenn ich keine neuen 
Thatsachen, oder, wenigstens keine von mir neu entdeckten 
Thatsachen vorbringe, sondern mich im Wesentlichen darauf 
beschränken werde, methodisch neue Gesichtspunkte zu geben. 
Ich werde. wohl auch auf Ihre Nachsicht rechnen dürfen, 
wenn ich eigentlich bloß den Stand der Frage skizzire und 
einige Bemerkungen über eine neue Methode daran knüpfe, 
welche ich in der letzten Zeit auszuarbeiten bemüht war 
und die nach meinem Dafürhalten einen neuen Weg vorstellt, 
um in das Dunkel einzudringen, welches über unseren Kennt¬ 
nissen von dem Verhalten der Hautgefäße bis jetzt noch 
herrscht. Es ist meiner Meinung nach immer zweckmäßig, 
von Zeit zu Zeit Rückschau zu halten auf das, was man 
als gesichertes Besitzthum der Wissenschaft ansehen kann; 
und deshalb dürfte es vielleicht auch in diesem Kreise von 
Praktikern nicht ohne Interesse sein, dasjenige anzuführen 
und zu besprechen, was wir über das Verhalten der Haut¬ 
gefäße gegenüber Temperaturreizen wissen. 

Die Uebersicht ist es, die uns in der Forschung neue 
Wege aufzusuchen veranlaßt, auf welchen man zu neuen 

*) Vortrag, gehalten in der III. wissenschaftlichen Versammlung des 
Centralverbandes der ßalneologen Oesterreichs. — Stenogramm der „Wiener 
Med. Presse“. 


Thatsachen gelangen oder zumindest bestimmte Thatsachen 
neuerlich bestätigen und auf ihre Stichhältigkeit prüfen kann. 

Meine Ausführungen an dieser Stelle werden sich natur¬ 
gemäß in zwei Gruppen gliedern: Ich werde zunächst ver¬ 
suchen, den Stand der uns beschäftigenden Frage zu präcisiren, 
und dann in einem weiteren Abschnitte zeigen, welchen Weg 
ich jetzt eingeschlagen habe, um den Einfluß gewisser Reize 
auf die Hautgefäße zu prüfen. Es wird Ihrer Beurtheilung 
anheimgestellt sein, zu entscheiden, ob diese Methode sich 
thatsächlich bewährt. Ich darf hoffen, daß sie in Ihrer Hand 
Resultate liefern wird, die meines Erachtens für das Ver- 
ständniß von dem Verhalten der Hautgefäße überhaupt nicht 
ohne Belang sein dürften. 

Den Balneologen und den Hydrotherapeuten interessirt 
das Hautorgan als solches wesentlich deshalb, weil es das¬ 
jenige ist, auf welches er seine Angriffe richtet und von 
welchem aus er eine Wirkung auf den Gesammtorganismus 
erzielen will, d. h. die Haut ist die Eingangspforte für jene 
Eingriffe, mittelst welcher er die Lebensprocesse, seien es 
normale oder krankhaft veränderte, in irgend einer Weise 
beeinflussen will. Dieses Organ ist aber auch für die Physio¬ 
logie dadurch von Interesse, daß es als specifisch regula¬ 
torisches Organ wirkt, insbesondere bei der Wärmeökonomie 
des Organismus. 

Die Angriffe, welche der Arzt und speciell der Hydro- 
therapeut auf die Haut ausübt, sind in letzter Linie Reize 
verschiedener Art, und diese rufen im Organismus bestimmte 
Veränderungen hervor. Diese sind sehr mannigfaltig, und es 
würde mich zu weit führen, wenn ich sie alle hier vorführen 
wollte. So wissen wir, daß wir durch Hautreize den Stoff¬ 
wechsel beeinflussen können u. s. w. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 44 


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Was ich an diesem Orte besprechen und was ich als 
Resultat der Untersuchungen seitens der Physiologen geben 
will, bezieht sich wesentlich auf die Veränderungen in der 
Haut selbst, welche bei Application bestimmter Reize auf 
das Hautorgan eintreten. Diese Reize sind, wie Sie wissen, 
thermische Reize, Schmerzreize, tactile Reize, die Zufuhr von 
Wärme und Kälte und deren Abfuhr. 

In der Regel kommt es bei der Hydrotherapie haupt¬ 
sächlich auf bestimmte thermische Reize, und zwar auf Zu- 
und Abfuhr von Wärme an; diesbezüglich will ich skizziren, 
was bis jetzt in der physiologischen Literatur vorliegt, zum 
Theile unter Zuhilfenahme der Kenntnisse, die durch die 
Beobachtung und Untersuchung am Menschen darüber ge¬ 
wonnen worden sind. Thermische Reize als solche kommen 
sehr selten allein vor, in der Regel sind sie gepaart, ent¬ 
weder mit tactilen oder mit Schmerzreizen, und es ist betreffs 
der Wirkung der thermischen Reize demnach zu sagen, daß 
sie eigentlich nicht als solche allein aufzufassen sind. Wir 
beschränken uns jedoch hauptsächlich auf die Annahme, daß 
es sich um thermische Reize handelt, einerseits, weil wir die 
Trennung von tactilen Reizen nicht vornehmen können, und 
andererseits, weil tactile Reize in der Hydrotherapie äußerst 
selten in Erscheinung treten. 

Wenn also ein Reiz, sagen wir ein thermischer Reiz, 
das Hautorgan trifft, so kann er daselbst eine bestimmte 
Anzahl von Einzelorganen treffen. Die Haut ist ja bekanntlich 
ein sehr complicirtes Gebilde auch im physiologischen Sinne, 
und es ist daher a priori begreiflich, daß der Reiz auch dem 
entsprechend sehr viele Angriffspunkte findet und sehr viele 
Veränderungen hervorrufen wird. 

Wenn wir die Wirkungen zu analysiren versuchen, so 
finden wir, daß die Hautreize zunächst die Nerven treffen 
können, und zwar Nerven specifischer Art, also Sinnesnerven, 
bezw. deren Endorgane, dann die Nerven, welche wir kurzweg 
als Gefäßnerven bezeichnen. 

Zweitens kann der thermische Reiz die Gefäße direct 
treffen, und zwar die Gefäße in ihrer Wand, d. h. die Muskel¬ 
elemente der Gefäße, und 

drittens das in den Gefäßen circulirende Blut. 

Das sind im Wesentlichen die Angriffsflächen, die der 
thermische Reiz trifft; die hiebei an denselben sichtbaren 
Wirkungen sind die localen Wirkungen des thermischen 
Reizes. 

Andererseits vermögen diese Reize von diesen Organen 
aus bestimmte Veränderungen auch an entfernten Orten 
hervorzurufen, und diese nennen wir Fernwirkungen des 
thermischen Reizes, womit ich nur die Fernwirkungen meine, 
soweit sie in der Haut localisirt sind, und nicht diejenigen, 
welche sich in anderen Organen von bestimmten Stellen der 
Haut aus hervorrufen lassen. Es besteht ja ein bestimmter 
Antagonismus zwischen Haut und Muskelgefäßen einerseits 
und Eingeweidegefäßen andererseits, und es ist selbstver¬ 
ständlich, daß die Fern Wirkungen auch auf diese Organe 
hervorzurufen sind. Diese Reize und deren Wirkungen sollen 
nicht Gegenstand meiner heutigen Besprechung sein, sondern 
ich will mich darauf beschränken, die Veränderungen und 
die thatsächliehen Ergebnisse von Versuchen, welche bis jetzt 
vorliegen, an der Hand der localen und der Fernwirkung in 
der Haut selbst zu erörtern. 

Wenn wir also zunächst den localen Reiz ins Auge 
fassen, so ist bisnun eine Reihe diesbezüglicher Untersuchungen 
und Versuche am Menschen, sowie am Thiere durchgeführt 
worden. Als classisches Thier für diese Experimente wird 
vom Physiologen das Kaninchen benützt, und zwar geben 
dessen Ohrgefäße die beste Beobachtungsstelle. Ein Beispiel 
mag Ihnen nun das Resultat der physiologischen Beobachtung 
auf dem uns interessirenden Gebiete illustriren. 

Wenn Sie einem Kaninchen eine Ohrmuschel mit warmem 
Wasser bespülen, so tritt nach wenigen Secunden eine maxi¬ 
male Erweiterung der Blutgefäße auf. Wenn Sie sofort danach 


kaltes Wasser auf dasselbe Ohr appliciren, so verengern sich 
die Hautgefäße auf ein Minimum, bis ihr Lumen beinahe 
verschwindet. Diese Erscheinung nennen wir die locale Reiz¬ 
wirkung. 

Wenn man aber ein solches Thier entweder nur bis zur 
Zehe oder bis zum Bauche in warmes Wasser taucht, so er¬ 
weitern sich die Ohrgefäße ebenfalls, respective verengern 
sich, wenn man das Kaninchen in kaltes Wasser setzt. Das 
wäre ein Beispiel für die Fern Wirkung des thermischen Reizes 
auf die Hautgefäße. 

Andererseits wissen wir Folgendes: Excessive thermische 
Reize wirken, ob sie nun Wärme- oder Kältereize sind, zu¬ 
nächst vorübergehend erweiternd unter Lähmungserscheinungen. 
Diese Reize sind aber nicht Gegenstand der Hydrotherapie 
und kommen bei dieser Besprechung nicht in Betracht. Die 
nicht lähmenden Reize wirken, wie allgemein angenommen 
wird, in der Weise, daß der Wärmereiz auf einer localisirten 
Stelle die Blutgefäße erweitert, wobei manche beobachten 
wollen oder wenigstens angeben, daß dieser Erweiterung eine 
vorübergehende Verengerung der betroffenen Gefäße voran¬ 
geht. Der Kältereiz verhält sich antagonistisch zum Wärme¬ 
reiz in der Weise, daß die Kältewirkung die Blutgefäße zur 
Verengerung bringt, wobei nachher bei fortdauerndem Reize 
oder nach Aufhören des Reizes eine Erweiterung der Blut¬ 
gefäße stattfindet. 

Es frägt sich nun, wie sind diese Erscheinungen zu 
erklären, d. h. in welcher Weise und wo greift der Reiz in 
diesem Falle an ? 

Es ist sichergestellt, daß die Blutgefäße direct auf 
diese Reize reagiren, denn e3 gelingt, an den nervenlosen 
Blutgefäßen dieselben Erscheinungen hervorzurufen. Es ist 
also sicher, daß die directe Wirkung des thermischen Reizes, 
bezw. Zufuhr von Wärme oder Kälte, diese Veränderungen 
hervorzurufen vermag. 

Ebenso sicher erscheint es, daß diese Wirkungen auch 
auf dem indirecten, reflectorischen Wege zu erzielen sind, 
nämlich als Reflexe, und zwar entweder, worüber wir heute 
nicht viel wissen, von den Nervenzellen aus, welche in den 
Wandungen der Gefäße untergebracht sind, oder aber von 
den Gefäßnerven einerseits und den specifischen Sinnesnerven, 
den Wärmenerven, bezw. Kältenerven andererseits; die Ver¬ 
änderungen sehen wir bei der reflectorischen Wirkung in 
gleicher Weise eintreten: der Wärmereiz wirkt daher sowohl 
direct als reflectorisch auf die Blutgefäße im Sinne einer 
Erweiterung, der Kältereiz, bezw. kaltes Wasser im Sinne 
einer Verengerung der Blutgefäße. Wir haben es also hier 
mit einer Summe von gleichsinnig wirkenden Reizen zu thun. 

Was nun die Fernwirkung thermischer Reize anlangt, 
so war man über dieselbe bis in die letzten Jahre nicht voll¬ 
ständig im Klaren. Ich verdanke dem Umstande, daß ich 
Gelegenheit hatte, Dr. Ferdinand Winkler, welcher seit einer 
Reihe von Jahren im physiologischen Institute der Wiener 
Universität arbeitet, helfend zur Seite zu stehen, auch die 
Möglichkeit, in diese Dinge Einblick gewonnen zu haben, 
und ich mache von der Erlaubniß des Dr. Winkler, hier 
diese Resultate seiner Untersuchungen vor dem baldigen 
Erscheinen seiner diesbezüglichen Publication zur Sprache 
zu bringen, gerne Gebrauch. Als Ergebniß seiner Experi¬ 
mente hat sich herausgestellt, daß bei Wärmereizen oder 
Kältereizen die Fernwirkung in der folgenden Weise zustande 
kommt: 

Erstens dadurch, daß vom Orte der Applicationsstelle 
eine Reflexwirkung auf die Gefäße der Haut erfolgt, also 
beispielsweise eine Gefäßerweiterung, respective Verengerung 
am Ohre des Kaninchens beim Eintauchen der Hinterpfoten 
des Thieres in warmes oder kaltes Wasser. Dafür spricht 
unter anderem die Zeit, welche bis zum Eintreten dieses 
Reflexes vergeht. Diese Zeit wurde von Winkleb bestimmt. 
In der Regel dauert es zehn, manchmal weniger Secunden, 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 44 


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bis nach Eintauchen (1er Pfoten in warmes oder kaltes Wasser 
die Ohrgefäße sieh sichtbar erweitern, bezw. verengern. 

Zweitens kann aber der thermische Reiz, abgesehen von 
den Gefäßnerven, auch das Blut als solches treffen, und es 
wäre nun zu entscheiden, ob nicht die Erweiterung auf dem 
Wege der Blutbahn ausgelöst wird, d. h. ob nicht das circu- 
lirende warme Blut an sich die Gefäßerweiterung in ent¬ 
fernten Gefäßbezirken hervorruft. Die Untersuchungen Wink- 
ler’s haben nun die Ansicht bestätigt, daß eine derartige 
Fern Wirkung durch das Blut als solches wirklich besteht. 
Das warme Blut ruft zweifellos beim Kaninchen eine Er¬ 
weiterung und kaltes Blut eine Verengerung seiner Ohrgefäße 
hervor. 

Nun ist die Frage, wie die Gefäßerweiterung zustande 
kommt, näher zu erörtern. Man kann sich vorstellen, daß 
das warme Blut zunächst die Gefäßnervencentren oder über¬ 
haupt die Nervencentren trifft und von da aus die Gefäße 
in anderen Gefäßbezirken reflectorisch zur Erweiterung ihres 
Lumens veranlaßt, oder daß das warme Blut circulirend 
direct die Gefäßwandung, respective deren Nervenzellen trifft 
und gewissermaßen von innen her, also auf directem Wege, 
durch Reiz auf die Gefäße Erweiterung oder Verengerung 
hervorruft. Nach den Untersuchungen Winkler’s scheint es 
zunächst sichergestellt, daß das warme Blut die Gefäßnerven- 
centra erregt. Dies zeigt das folgende Experiment am 
Kaninchen: Durchschneidet man einem solchen Thiere, das 
vorher prompt auf das Eintauchen in warmes Wasser mit 
einer Gefäßerweiterung reagirte, das Rückenmark und prüft 
dann den Reflex auf warmes Wasser, so bleibt er zunächst 
aus. Wenn man aber dann das so operirte Thier auf seine 
normale Temperatur erwärmt, so tritt der Reflex der Haut¬ 
gefäße auf den thermischen Reiz wieder auf, trotzdem das 
Rückenmark durchschnitten ist. Die Leitung geht also be¬ 
stimmt nicht durch das Rückenmark. Ich setze dabei voraus, 
daß man das Rückenmark in einer solchen Höhe durch- 
schneidet, daß die eingetauchte Partie des Thieres zweifellos 
vom Centralnervensystem abgetrennt wurde. Nach der Durch - 
schneidung des Rückenmarkes, welcher Eingriff immer von 
einer Herabsetzung der Temperatur des Thieres gefolgt ist, 
sowie nach starker Abkühlung des normalen Thieres (durch 
Sitzenlassen in Eiswasser) auf subnormale Temperaturen tritt 
die Erweiterung, wie Winkler auch gefunden hat, nicht 
mehr in der obgenannten Zeit ein, sondern erst dann, wenn 
das Thier durch Wärmezufuhr auf seine normale oder an¬ 
nähernd normale Körpertemperatur gebracht wird, in circa 
15—20 Minuten. Aus diesem Versuche geht mit Sicherheit 
hervor, daß bei der Fern Wirkung das warme Blut zur Er¬ 
weiterung der Gefäße Veranlassung gibt. 

Die Frage, ob es sich dabei um eine di recte Gefäß 
erweiterung durch das in entfernten Gefäßen circulirende 
warme Blut handelt, hat in letzter Zeit Winkler ebenfalls 
experimentell geprüft; er hat in die Carotis des Kaninchens 
eine Canüle eingebunden, durch welche der Kreislauf fort- 
bestand, und die derart construirt war, daß je nach Bedarf 
das durch die Canüle fließende Blut erwärmt oder abgekühlt 
und auf diese Weise warmes, bezw. kaltes Blut in das Ohr 
gebracht werden konnte. 

Bei diesen Versuchen zeigte sich nun ziemlich eindeutig, 
daß die Erweiterung, wenn sie überhaupt eintrat, eine sehr 
minimale war. Wir müssen also nach den Ergebnissen dieser 
Untersuchungen daran festhalten, daß die Fernwirkung sowohl 
durch einen Reflex zustande kommt, der von den Hautnerven 
ausgelöst wird, als auch durch einen solchen, der dadurch 
hervorgerufen wird , daß das warme Blut vom Centrum aus 
die Gefäßnerven erregt, bezw. deren Erregbarkeit erhöht 
derart zur Erweiterung der von dort aus innervirten Blut¬ 
gefäße Veranlassung gibt. Das sind die Resultate, über die 
wir verfügen, und die gelehrt haben, daß der thermische 
Reiz in doppelter Weise zur Wirkung gelangt: local von 
den Nerven aus und durch directe Beeinflussung der Gefä߬ 


wände, in die Ferne direct reflectorisch und indireet durch 
das Blut und ein eingeschaltetes Nervencentrum in der 
Medulla. 

Zu den vorstehend skizzirten Ergebnissen ist man mit 
Hilfe mannigfacher Methoden gelangt: 

Die bis nun gebräuchlichen bestanden oder bestehen 
heute noch darin, daß man die Gefäßveränderungen direct 
beobachtet, sei es nun makroskopisch am Kaninchenohr, sei 
es mikroskopisch an der Schwimm- oder Nickhaut des Frosches. 
Eine andere Methode besteht darin, daß man die Erweiterung 
der Blutgefäße mit Hilfe von plethysmographischen Vor¬ 
richtungen beobachtet, d. h. die Volumszunahme bestimmt 
und daraus die Erweiterung, bezw. Verengerung des Gefäß- 
lnmens deducirt. Auch benützt man zur Untersuchung tacho¬ 
graphische Instrumente, Vorrichtungen, mittelst deren man 
die Geschwindigkeit der Blutströmung beobachtet, und aus 
der vermehrten oder verminderten Geschwindigkeit, mit 
welcher das Blut durch die Gefäße strömt, auf die vermehrte 
oder verminderte Weite der Blutgefäßlumina einen Rück¬ 
schluß zieht. Wenn ich nun noch eine Methode erwähne, so 
geschieht dies nicht deshalb, weil ich glaube, daß die genannten 
nicht gut seien oder nicht ausreichen würden, eine Reihe 
von Fragen zu lösen; es ist ja mit ihrer Hilfe gelungen, 
eine Anzahl einschlägiger Probleme aufzuklären, sondern 
deshalb, weil ich glaube, daß jeder weitere Weg in dieses 
immerhin noch dunkle Gebiet ein Erfolg versprechender ist, 
und weil ich hoffe, daß sich dadurch neue Gesichtspunkte 
in dieser Frage gewinnen lassen. 

Das Verfahren, das ich eingesehlagen habe, ist das 
onyehographische, d. i. die graphische Registrirung der Nagel¬ 
pulse ; dieses ist an sich nicht neu, wohl aber die Anwendung 
auf die in Rede stehenden Fragen. 

Es gebührt Herz das Verdienst, auf die onychogra- 
phisehe Methode, die hier näher zu erörtern ich mir versagen 
muß, aufmerksam gemacht zu haben ; seither sind verschiedene 
Instrumente zur Aufnahme von Onychogrammen construirt 
worden; mir stand für die ersten Versuche ein derartiges, 
von Laulanie angegebenes Instrument, sowie ein von Herrn 
Castagna, dem Mechaniker des Wiener physiologischen 
Institutes, construirter Apparat zur Verfügung. 

Die Idee, mit Hilfe der Onychographie die Wirkungen 
des thermischen Reizes zu studiren, ist durch die Natur des 
Onychographen gegeben, mit dem man im Wesen die Pulse 
der veränderlichsten Abschnitte de* Gefäßsystems registrirt. 

Schon Herz hat in seinen Ausführungen darauf auf¬ 
merksam gemacht, daß das Onychogramm, welches eine 
Combination einer sphygmographischen mit einer plethysmo¬ 
graphischen Curve der kleinsten Gefäße darstellt, durch Kälte- 
und Wärmereize sehr beeinflußt wird. 

Was aber bei Herz’s Ausführung sich als ein Hinderniß 
für die Verwerthung des Onychographen, bezw. des Onycho- 
gramms darstellte, daß sich nämlich bei der Aufnahme von 
Onychogrammen an verschiedenen pathologischen Indivi luen 
die Kälte- oder Wärraewirkung der Umgebung störend be- 
melkbar macht, ist hier methodisch verwerthbar. Ich habe 
zunächst mit den zwei oben genannten Apparaten Versuche 
angestellt und bin dabei zur Bestätigung der Angaben ge¬ 
kommen, die ich früher skizzirt hatte, daß nämlich der 
Kältereiz thatsächlich die Gefäße zur Verengerung und der 
Wärmereiz sie zur Erweiterung bringt. 

Dies kommt dadurch zum Ausdruck, daß das Onycho¬ 
gramm bei Kälteapplication verschwindet und bei Wärme- 
application sich kolossal vergrößert. Es ergibt sich also, daß 
das Onychogramm mit dem Vorgänge der Erweiterung und 
Verengerung der Gefäße thatsächlich in eausalem Ziuammen- 
hange steht, und daß wir es bei der onyehographischen 
Untersuchungsmethode mit einem Verfahren zu thun haben, 
welches uns die Möglichkeit bietet, die Erweiterung, bezw. 
Verengerung der kleinsten Gefäße beim Menschen unter der 
Application bestimmter Reize zu studiren. 


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1983 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 44. 


1984 


Es ist ein sehr complicirter Vorgang, der sich in der 
onychographischen Curve abbildet. Wenn man aber nicht auf 
die Form, sondern gewissermaßen bloß auf die Amplitude 
der Veränderungen sieht, so ist jedenfalls diese Methode für 
die Entscheidung mancher Fragen von Bedeutung und Nutzen. 

Ich will hier auf eine Besprechung der Vorsichtsma߬ 
regeln , die bei der onychographischen Untersuchung nicht 
außer Acht gelassen werden dürfen, nicht näher eingehen 
und muß mir die diesbezüglichen Bemerkungen für eine aus¬ 
führliche Publication ersparen. Jedenfalls aber habe ich mich 
überzeugt, daß bei derartigen Untersuchungen eine Menge 
von möglichen Fehlerquellen vorhanden sein kann, namentlich 
was die Größe und Höhe des Pulses anlangt. Ganz abge¬ 
sehen von einer Reihe anderer Umstände, die ich hier nicht 
erörtern will, liegt die hauptsächlichste Schwierigkeit, die 
geschriebenen Curven einwandfrei zu deuten, darin, daß es 
nicht gelingt, bei den vorliegenden Apparaten von den Be¬ 
wegungen der Hand, bezw. des Fingers abstrahiren zu können, 
welche sich leicht auf die Pelotte übertragen und Verände¬ 
rungen in der Curve hervorbringen können. Auf eine Ver¬ 
änderung der kleinsten Gefäße bestimmter Art zu schließen, 
halte ich für sehr gewagt und jedenfalls mit dieser Methode 
für nicht angebracht. 

Ich habe mich deshalb bemüht, einen Apparat zu con- 
struiren, welcher von diesen Fehlern möglichst frei ist und 
im Wesentlichen nichts anderes ist als ein Onychograph, 
welcher auf dem Finger zu tragen ist, und dessen Bewegungen 
mitmacht, so daß dieselben in der Form der Curve nicht 
zum Ausdruck kommen können. Der neue Onychograph be¬ 
steht der Hauptsache nach aus einer Feder, welche mittelst 
einer Pelotte an den Fingernagel angedrückt wird. Die 
Bewegung des durch den Blutzufluß und die dadurch bedingte 
Erweiterung der Gefäße gehobenen Nagels überträgt sich 
mit Hilfe einer Hebelvorrichtung auf einen Schreiber, welcher 
infolge eines günstigen Uebersetzungssystems die Bewegungen 
der Feder, somit die des Nagels, \n Form einer Curve angibt 
gleichzeitig ist mit dem Apparat ein zweiter Schreiber ver-i 
bunden, der eine gerade Linie, welche die Abscisse darstellt, 
markirt. Die beiden Linien müssen bei Verschiebungen des 
ganzen Apparates immer gleich weit von einander entfernt 
bleiben, also ein Auseinandergehen beider kann nur dann 
stattfinden, wenn das Volumen, der Inhalt des Fingers im 
Nagelgliede zunimmt, und eine Annäherung derselben kann 
nur dann erfolgen, wenn dieses Volumen geringer wird. Jede 
Bewegung des Fingers oder der Hand markirt sich gleich¬ 
zeitig mit beiden Schreibern. 

Wir sind demnach in der Lage, mit diesem kleinen 
billigen Instrumente die Veränderungen der kleinsten Gefäße 
zu studiren, da es uns von Bewegungen der Extremität sehr 
unabhängig macht, außerdem gestattet der Apparat uns einen 
Einblick in die Vorgänge innerhalb der Gefäße des Fingers. 
Man muß natürlich, wenn man entsprechende Veränderungen 
findet, immerhin mit der Deutung des Verhaltens, namentlich 
was die Uebertragung auf das gesammte Gefäßsystem anlangt, 
vorsichtig sein. Bei schweren und großen Veränderungen der 
Curven wird man allerdings mit entsprechenden Cautelen 
Veränderungen des gesammten Gefäßsystems erschließen 
können. Ein Gefäßrohr, welches starrwandig ist, wird selbst¬ 
verständlich geringere Volumschwankungen auf weisen, und 
hieraus wird man mehr oder minder auf gewisse Gefäßver¬ 
änderungen schließen können. 

Das ist also die Untersuchungsmethode, von der ich 
glaube, daß sie Aussicht auf Erfolg bietet in Bezug auf 
den Nachweis des Vorhandenseins von Veränderungen der 
kleinsten Gefäße und auch in Bezug auf die Klärung der 
Frage, welche sowohl den Balneologen als den Physiologen 
so sehr interessirt, die Frage vom Verhalten der kleinsten 
Gefäße gegenüber thermischen Reizen. 

Dieser Apparat läßt sich aber auch noch in anderer 
Weise verwenden. Man kann mit Hilfe desselben bestimmte 


Reactionen der Gefäße prüfen, und das ist ein Weg, den 
ich auch schon eingeschlagen habe und, wie ich glaube, mit 
gutem Erfolge, den ich aber noch nicht so weit fortgesetzt 
habe, um abschließend darüber sprechen zu können. Ich meine 
damit Versuche, durch welche ein Aufschluß über die zeit¬ 
lichen Verhältnisse bei den*Reactionen der Blutgefäße gewonnen 
werden sollte. Wenn man ein Onychogramm aufnimmt und 
dann die betreffende Hand in kaltes Wasser gibt, verengern 
sich die Gefäße und es dauert eine gewisse Zeit, bis die 
Gefäße sich wieder erweitern. Die Zeit, welche dazu noth- 
wendig ist, daß das Gefäßlumen wieder seine normale Weite 
erlangt, ist selbstverständlich verschieden. 

Man kann nun mit Hilfe meines Apparates, den man 
nicht abnehmen muß, währenddem man gleichzeitig Wärme¬ 
oder Kältereize applicirt, eine Curve bekommen, an welcher 
man die Reactionszeit bestimmen kann, wenn man gleich¬ 
zeitig die Zeit graphisch registrirt. 

Jedenfalls wäre die Reactionszeit für normale Individuen 
durch eine große Reihe von Untersuchungen festzustellen, 
und es wird sich zeigen lassen, daß die normalen Gefäße 
eines bestimmten Fingers wahrscheinlich eine ganz bestimmte 
Zeit benöthigen, um ihren normalen Tonus wieder zu be 
kommen. Geht man mit dem Finger auf längere Zeit wieder 
in dasselbe kalte Wasser, so ist die Zeit, die verstreicht, bis 
das Onychogramm seine normale Form erlangt, eine größere. 
Aus dem Gesagten geht hervor, daß eine gewisse Möglich¬ 
keit besteht, den Tonus der Gefäßmusculatur mit Hilfe dieses 
Apparates zu studiren. Man kann also am Kranken Beob¬ 
achtungen anstellen, welche einen Einblick in die Verschieden¬ 
heit der Vorgänge gewähren, die sich während der Zeit 
abspielen, bis die Gefäße ihren normalen Tonus wieder erlangt 
haben. 

Abgesehen von diesen thermischen Wirkungen, wird es 
zweifellos möglich sein, die durch andere Reactionen hervor¬ 
gerufenen Aenderungen zu erkennen, also nicht nur mit 
thermischen Reizen, sondern auch mit anderen Hilfsmitteln 
entsprechende Veränderungen in den Gefäßwänden zu studiren 
und daraus die Reaction der Gefäße, bezw. der betreffenden 
Hautgebiete, und damit die Beziehungen zu dem gesammten 
Gefäßgebiete des betreffenden Organismus zu erforschen und 
zu erkennen. 


Aus dem k. k. Rudolf spitale in Wien . 

Die Verhütung und Therapie des Abortus. 

Von Dr. Wilhelm Hahn, gew. Operationszögling der Klinik 
Chrobak, Secundararzt des k. k. Rudolfspitales. *) 

Die Behandlung des Abortus gehört zu den häufigsten 
Aufgaben des praktischen Arztes. Sie gehört aber ferner zu 
jenen Behandlungsmethoden, die jeder Arzt, auch wenn er 
nicht Specialist ist, völlig beherrschen muß. So einfach im 
Grunde genommen die Behandlung des Abortus ist, so wenig 
Handgriffe zur kunstgerechten Ausführung desselben ge¬ 
hören, so schwerwiegend können die Folgen einer schlechten 
Behandlung sein. Ein richtig behandelter Abortus ist in acht 
Tagen vollständig geheilt, ein schlecht behandelter bringt 
wochen-, ja monatelanges Siechthum, oft auch den Tod mit 
sich. Die Fälle sind durchaus nicht selten, in denen sonst 
tüchtige und gut geschulte Aerzte gerade bei der Therapie 
des Abortus fehlten und ihre ganze Carriere, ja oft ihre 
Existenz in Frage stellten. Die Beschäftigung mit diesem 
Thema, das schon in ungezählten Arbeiten abgehandelt wurde, 
erscheint daher dennoch gerechtfertigt, umsomehr, wenn ich 
vorausschicke, daß ich die Therapie des Abortus ausschlie߬ 
lich vom Standpunkte des praktischen Arztes behandeln will. 

Von Abortus spricht man, wenn die Geburt vor der 
28. Schwangerschaftswoche stattfindet, von Frühgeburt, 

*) Vortrag, gehalten in der wissenschaftlichen Aerztesitznng des k. k. 
Rudolfspitales am 10. Mai 1902. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


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wenn sie vom Ende der 28. Woche bis zur Mitte des zehnten 
Lunarmonats vor sich geht. Entscheidend für diese Eintei¬ 
lung ist die Lebensfähigkeit der Frucht. Vor der 
28. Woche ist dieselbe nicht vorhanden, nach derselben ist 
wenigstens die Möglichkeit gegeben, daß die Frucht am Leben 
erhalten bleibt. 

Welches sind nun die Ursachen des Abortus? 

1. Der Fruchttod. 

Derselbe kann bedingt sein durch 

a) Erkrankungen der Mutter. In erster Reihe stehen 
da die Infectionskrankheiten, wobei das Kind durch die Mutter 
inficirt wird. In hohem Maße trifft dies für Syphilis und 
Variola zu. Durch Syphilis wird auch weitaus die größte 
Zahl von Aborten verursacht, wenn auch die Anamnese nicht 
immer einen Anhaltspunkt dafür bietet, da die Frauen aus 
leicht begreiflichen Gründen verschweigen, daß sie Lues über¬ 
standen haben. Gar nicht oder wenig behandelte Fälle von 
Lues führen entweder zu Aborten oder zur Geburt lebender 
Kinder, welche die Zeichen der hereditären Syphilis an sich 
tragen und bald sterben. Oft geschieht dies mehreremale nach¬ 
einander, bis nach einer energischen antisyphilitischen Cur 
gesunde Kinder zur Welt kommen. 

Man kann diesen Unterschied nicht besser erkennen, als 
wenn man eine Statistik von Geburten bei unbehandelten den 
Geburten bei behandelten syphilitischen Eltern gegenüberstellt. 
Bei den ersteren waren nach einer Zusammenstellung Fournier’s 
unter 45 Schwangerschaften 37 Todesfälle, bei den letzteren 
unter 100 nur 3. 

Die Zahl der durch Variola verursachten Aborte ist 
gering, da ja die Blattern bei uns, dank der Fürsorge der 
Sanitätsbehörden, nur höchst selten Vorkommen. 

Der Fruchttod wird ferner bedingt durch anhaltendes 
hohes Fieber der Mutter. Doch sind auch schon Fälle beob¬ 
achtet worden, in denen nach 3—4tägigem continuirlichen 
Fieber von 40° C. und darüber das Kind zwar asphyktisch, 
doch noch lebend zur Welt kam und durch die entsprechende 
Behandlung (Aspiration des Tracheaischleimes, SceuLTZE’sche 
Schwingungen etc.) wiederbelebt werden konnte. Ich erinnere 
mich selbst an zwei solche Fälle. Der eine kam auf der 
Klinik Chrobak, der andere auf der hiesigen Abtheilung für 
Frauenkrankheiten vor. Der erste war eine floride Phthise 
mit continuirlichem hohen Fieber, wegen käsiger Pneumonie; 
die Geburt trat im 8. Monate ein. Der zweite Fall, der von 
der Abtheilung des Primarius Dr. Obermayer auf die gynäko¬ 
logische Abtheilung des Primarius Dr. Bödinger wegen be¬ 
vorstehender Geburt transferirt wurde, war eine eiterige 
Pleuritis mit großem Exsudat. Die Frau fieberte schon vier 
Tage sehr hoch (39—40°) und hatte mehrere Schüttelfröste 
gehabt. Die Schwangerschaft war am Ende des 8. Lunar¬ 
monats. Die Geburt ging glatt vor sich in I. Schädellage. 
Das Kind war stark asphyktisch, sehr schwach entwickelt 
und wurde durch ScHOLTZE’sche Schwingungen bald wieder¬ 
belebt. Es kam ins Finjlelhaus und lebte nach 8 Tagen, wo 
ich mich nach ihm erkundigte, noch. 

Weitere Ursachen für den Frühtod sind 

b) Erkrankungen des Eies. 

Hier spielt vor Allem die Endometritis eine große 
Rolle, ferner die Krankheiten der Placenta und des Nabel¬ 
stranges. Das todte Ei bildet in der Uterushöhle einen 
fremden Körper, und es treten gewöhnlich bald Wehen auf, 
welche zur Ausstoßung des Eies führen. 

2. Eine zweite Ursache des Abortus ist die mangelhafte 
Entwickelung des Uterus und die Lageanomalien desselben, 
besonders die Retroflexio uteri. Die Therapie der Retroflexio 
uteri gravidi ist sehr einfach. Man richtet den Uterus auf, 
was meist leicht gelingt, und legt ein Pessar ein. Dasselbe 
bleibt längstens bis zum 4. Monate der Schwangerschaft liegen. 
Dann wird es entfernt, da es überflüssig geworden ist. Der 
Uterus ist dann bereits aus dem kleinen Becken heraus¬ 
gestiegen und hält von selbst die richtige Lage ein. 


3. Selten sind Erkrankungen der Decidua die Ursache 
des Abortus. Der Vollständigkeit halber aber seien sie hier 
erwähnt. Diese Erkrankungen der Decidua führen durch den 
abnormen Reichthum von Blutgefäßen, durch die Wucherung 
der Chorionzotten etc. zu Blutungen und dadurch zur Trennung 
des Zusammenhanges zwischen Ei und Uteruswand und somit 
zur Ausstoßung des Eies. 

4. Eine der häufigsten Ursachen des Abortus sind die 
traumatischen Einflüsse, wenn sie auch nicht, wie 
man früher glaubte und wie es in Laienkreisen auch jetzt 
noch geglaubt wird, als directe Ursachen angesehen werden 
können. Genaue Untersuchungen derartiger Fälle haben er¬ 
geben, daß in den meisten dieser Aborte eine Endometritis, 
eine Veränderung des Eies etc. bestand, die die Frau zum 
Abortiren prädisponirt machte. Das Trauma hat dann bloß 
den eigentlichen Anstoß zum Abortus gegeben. Diese Frage 
ist oft wichtig in kriminellen Fällen von Abortus, wo es 
sich darum handelt, ob durch diese oder jene Verletzung un¬ 
bedingt Abortus eintreten muß. 

Wir kommen jetzt zu den Symptomen des Abortus. 

Wird ein Arzt zu einer Blutung aus dem Genitale ge¬ 
rufen, so muß es sich natürlich nicht immer um einen Abortus 
handeln, wenn dies auch das häufigste sein wird. Zunächst 
muß demnach festgestellt werden, ob es sich überhaupt um 
eine Gravidität handelt, was, wie bekannt, nicht immer ganz 
leicht ist. 

Es ist hier nicht der Ort. auf die einzelnen Schwanger¬ 
schaftszeichen und ihren Werth einzugehen, nur soviel soll 
gesagt werden, daß nur die Anwesenheit von mehreren 
Schwangerschaftszeichen zugleich die Diagnose „Gravidität“ 
sichert. 

Die Anamnese ist in vielen Fällen selbstverständlich 
gar nicht maßgebend, sondern bloß die objective Unter¬ 
suchung. Denn daß gut der vierte Theil der Frauen, die 
abortiren, nicht wissen, daß sie abortiren oder den Abortus 
absichtlich verheimlichen, ist gewiß. 

Ist die Schwangerschaft unzweifelhaft festgestellt, so 
besteht sicher ein Abortus, wenn Blutung und Wehen 
bestehen. 

Die Wehen können auch fehlen und durch Schmerzen 
im Bauch oder Kreuz ersetzt sein. 

Die Blutung beim Abortus kann schwach oder 
stark sein. 

Ist sie schwach, so wird man schonend untersuchen. 
Findet man alles geschlossen, so liegt weiter kein Grund 
zum Eingreifen vor. Man empfiehlt der Frau Ruhe, ver¬ 
ordnet eventuell Opiate und sagt ihr, daß bei entsprechen lern 
Verhalten die Schwangerschaft weiterbestehen könne. Auch 
hier ist große Vorsicht im Umgänge mit den Patientinnen 
nöthig. Hat man eine verheiratete Frau vor sich, bei der an- 
zunebmen ist, daß sie alles thun wird, um den Abortus zu 
vermeiden, so kann man alle die prophylaktischen Maßregeln 
anführen, die zur Erhaltung der Schwangerschaft nöthig sind. 
Man wird der Frau sagen , daß sie sich nicht zu stark an¬ 
strengen dürfe , daß langes Fahren im Wagen oder auf der 
Bahn, jähe Bewegungen, wie schnelles Bücken, Springen, 
Radfahren, Reiten etc. schädlich sind. Zu vermeiden sind 
ferner kalte Umschläge auf das Abdomen, die im Volke viel¬ 
fach als Blutstillungsmittel angewendet werden, kalte Bäder etc. 
Je nach dem Bildungsgrade der Frau wird der Arzt demnach 
die Hygiene der Schwangerschaft der Frau zur Kenntniß zu 
bringen suchen. Ganz anders muß er sich solchen Personen 
gegenüber verhalten, von denen anzunehmen ist, daß ihnen 
die Schwangerschaft lästig ist und sie sich derselben gerne 
entledigen möchten. Die Aufzählung alles dessen, was man 
nicht thun soll, unterbleibt da besser. Denn solche Frauen 
thun dann gerade das Gegentheil von dem, was man ihnen 
widerrathen hat, und erfahren so vielleicht abortusbefördernde 
Mittel, die sie früher gar nicht wußten. 

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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 44. 


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Immerhin kann es auch bei schwacher Blutung trotz 
aller prophylaktischen Maßnahmen zum Abortus kommen. Es 
bildet sich allmälig die sogenannte Fleischmole heraus. 
Die Frucht geht zugrunde, zerfällt zu Detritus und das Ei 
wandelt sich in eine rothbraune geschichtete Masse, die 
Fleischmole, um, die dann meist spontan ausgestoßen wird. 

Ist die Blutung stark, so wird der Abortus meist 
nicht mehr aufzuhalten sein, schon deshalb nicht, weil ein 
Einschreiten von Seiten des Arztes ja unumgänglich ist. 

Findet die Blutung im ganzen Umfang des Eies statt, 
so erfolgt der Abortus ohne wesentliche Veränderungen des 
Eies. Es geht das Ei im Ganzen ab. Selten bleiben in einem 
solchen Falle Reste zurück. Hat man sich durch Besichtigung 
des abgegangenen Eies davon überzeugt, daß alles abgegangen 
ist, so hat man auch nichts weiter zu thun. Der Abortus ist 
vollendet. Glaubt man aber, daß noch Reste im Uterus zurück¬ 
geblieben sind , was man meist auch an der fortbestehenden 
Blutung erkennt, so geht man mit dem Finger in den Uterus 
ein, löst die Reste und entfernt sie auf die weiter unten zu 
beschreibende Weise. 

Das Ei kann also entweder intact abgehen oder es 
berstet. In diesem Falle wird zuerst der Fötus ausgestoßen 
und geht meist verloren. Dann erst werden die Hüllen ge¬ 
boren. Es bleiben da fast immer Reste zurück, die durch 
Kunsthilfe entfernt werden müssen. 

Resumiren wir, so hat der Arzt, der zu einem Abortus 
gerufen wird, Folgendes zu thun: 

1. Er hat zu entscheiden, ob überhaupt ein Abortus 
vorhanden ist (Schwangerschaftszeichen, Anamnese, Unter¬ 
suchung). 

2. Er muß entscheiden, ob der Abortus bereits im 
Gange ist oder noch aufgehalten werden kann. 

Findet man den Cervicalcanal für einen Finger durch¬ 
gängig , so wird der Abortus in der Regel nicht mehr auf¬ 
zuhalten sein. 

Ist die Blutung gering, so wartet man zu; in vielen 
Fällen erfolgt nach kürzerer oder längerer Zeit die Aus¬ 
stoßung des Eies. Tritt Fieber ein, so muß man eingreifen. 

Ist die Blutung stark, so ist sofortiges Eingreifen 
nöthig. 

Findet man den inneren Muttermund noch ge¬ 
schlossen, so wird der Cervicalcanal und die Scheide tarn- 
ponirt. Man erreicht damit zweierlei. Erstens stillt man die 
Blutung, und zweitens werden durch die Tamponade Wehen 
erregt, die zur Beschleunigung des Abortus führen. Nach 
einigen Stunden, oft aber erst nach Tagen (wobei ein neuer¬ 
liches Tamponiren nothwendig ist) wird der Streifen ausge¬ 
stoßen. Demselben folgt oft unmittelbar das Ei nach. Ist 
alles abgegangen, so hat man nichts weiter zu thun. Even¬ 
tuell kann man eine intrauterine Ausspülung mit l%iger 
Lysollösung an schließen. 

Sind Reste zurückgeblieben, wovon man sich durch 
Untersuchung mit dem Finger überzeugt, so muß die Aus¬ 
räumung des Uterus angeschlossen werden. 

Dieselbe wird in folgender Weise vorgenommen: 

Reinigung der äußeren Genitalien mit Seife und Wasser. 
Abschneiden der Schamhaare im Bereiche der Vulva. Aus¬ 
spülung der Scheide. 

Reinigung der Hände des Operateurs mit Seife und 
Bürste durch mindestens 10 Minuten. Hierauf Abreiben der¬ 
selben in Alkohol und Sublimat oder bloß in Sublimat. Diese 
Art der Reinigung ist der einfachen Waschung der Hände 
in Lysol, wodurch dieselben sehr schlüpfrig und gefühllos 
werden, bei weitem vorzuziehen. 

Die Operation wird am besten auf einem Holztische 
oder im Querbette vorgenommen. Bei Assistenz von zwei 
Personen (Arzt und Hebamme oder Hebamme und eine andere 
zur Verfügung stehende Person) bedient man sich der Sims- 
schen Specula. Operirt man nur mit einem Assistenten, so 


muß man ein selbsthaltendes Speculum benützen 
(Knapp, Nott etc.). 

Man stellt die Portio ein, hakt dieselbe mit einer 
Kugelzange an, entfernt die Specula und geht mit zwei 
Fingern in die Vagina. Der eine Finger bleibt in der Scheide, 
der andere wird in das Uteruscavum eingeführt. Nun werden 
die Eireste mit dem Finger gelöst und so viel als möglich 
herausbefördert. Oft aber ist es nicht möglich, auf diese 
Weise alles zu entfernen. Man stellt daher wieder die Portio 
ein, zieht sie mit der Kugelzange etwas nach abseits und 
geht mit der ScHULTZE’schen Zange in den Uterus geschlossen 
ein. Nun öffnet man die Zange und faßt die Eireste. Bei 
einiger Uebung bekommt man bald das Gefühl dafür, wo 
überall noch Reste liegen. Um die kleinsten Theile noch 
heraus zu befördern, kann man sich am Schlüsse der Curette 
bedienen. In der Hand des Geübten wird sie niemals Schaden 
stiften. Manche Geburtshelfer verpönen die Curette bei der 
Behandlung des Abortus ganz und fordern, daß man alle 
Eingriffe unter Leitung des Fingers mache; das aber ist oft 
ganz unmöglich. 

Zum Schlüsse wird eine intrauterine Ausspülung ge¬ 
macht und ein Streifen in den Uterus und die Vagina ein¬ 
geführt. Derselbe wird nächsten Tag entfernt und täglich 
eine vaginale Ausspülung gemacht. Bei normalem Verlaufe 
kann die Frau in 8 Tagen das Bett verlassen und ist in 
weiteren 8 Tagen ganz hergestellt. Als Fehler muß es be¬ 
trachtet werden, wenn gleich ohne digitale Ausräu¬ 
mung die instrumenteile Ausräumung gemacht wird. Die 
digitale Ausräumung hat verschiedene, unschätzbare Vor¬ 
theile. Man orientirt sich über die Größe des Uterus, über 
die Gestalt des Cavums, über die Dicke der Wände und 
schließlich über den Sitz des Eies oder der Eireste. All das 
wird einem dann bei der Einführung des Instrumentes zu 
Nutzen kommen. Man wird nicht lange suchen, sondern 
direct auf die Stelle losgehen, wo die Eireste sitzen, man 
wird vorsichtig sein, wenn man weiß, daß die Wände des 
Uterus dünn sind, man wird weniger leicht eine Perforation 
machen können , wenn man von der Gestalt und Größe des 
Uteruscavums eine Vorstellung hat. 

Zum Schlüsse sei gesagt, daß die Hauptsache bei der 
Behandlung des Abortus die strengste Antisepsis und Asepsis 
ist. Selbst Verletzungen sind nicht so zu fürchten, wenn 
sie mit vollständig reinen Instrumenten und Händen ge¬ 
macht sind. 


Aus der Chirurg . Abtheilung des bosn.-herceg. 
Landesspitales zu Sarajevo . 

Ueber Steinoperationen. 

Von Primararzt Dr. Josef Preindlsberger. 

(Fortsetzung.) 

8 1. Fall. Anton S., 32 Jahre, r^-katä., Kreievo. Operation 
am 28. October 1898. Sectio alta. Die Peritonealfalte deutlich 
sichtbar. Blase verdickt. Complete, 2reihige Naht (Cystitis). 25. No¬ 
vember Exitus letalis unter den Erscheinungen der fortschreitenden 
Tuberculose und Pyelitis. Verweilkatheter. Gewicht 27 Grm. Kern: 
Urate. Rinde: Urate, kohlen-, phosphor-, oxalsaurer Kalk. Sections- 
befund; Cystitis chronica propter lithiasim, subsequente pyelo- 
nephritide purulenta renis dextri pyelitide chronica et atrophia 
renis sui. Tuberculosis ulcerosa apicis pulmonis sin. subsequeflte 
tuberculosi miliari disseminata eiusdem pulmonis, partim quoque 
pulmonis dextri, emphysema bronchopneumonia acuta dispersa, oedema 
acutum pulmonis dextri Marasmus. 

8 2. Fall. Kosta J., 11 Jahre, or.-orth., Vacar-Vakuf. 6 Jahre 
krank. Operation am 9. Juli 1898. Sectio alta. Complete Seiden¬ 
naht (Cystitis). 12. Juli Verband trocken; Pat. klagt über Schmerzen 
in der Magengegend, erbricht öfters. 15. Juli unter rapidem Kräfte¬ 
schwund Exitus. Verweilkatheter. Gewicht 17 Grm. Kern : Urate, 


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Magnesiumammonphosphat. Rinde: Magnesiumammonphosphate, wenig 
Urate und Calciumcarbonat. Sectionsbefund: Hydronephrosis et 
atrophia renis sin.; pyelonephritis purulenta acuta renis dextri. 
Cystitis chron. hypertr. cum dilatatione urethrorum. Bronchitis acuta 
diffusa, bronchopneumonia catarrh. recens, oedema acutum pulmo¬ 
num. Catarrhns intestinorum chron. cum hyperplasia glandularum 
meseraic. Ascarides. Sectio alta ante dies VI 1. a. facta. 

8 3. Fall. Menahej J. P., 10 Jahre, span., Visoko. 3 Wochen 
krank. Operation am 5. August 1897. Sectio alta. Incomplete Sei¬ 
dennaht (Cystitis). 13. August Wunde reactionslos, granulirend. 
26, September entlassen. Heilungsdauer 50 Tage. Drainage. Gewicht 
5*5 Grm., Kern: Harnsäure und phosphorsaure Ammonmagnesia, 
Rinde: Harnsäure, Kalkcarbonat, Kalkoxalat und Kalkphosphat. 

8 4. Fall. David F., 6 Jahre, span., Sarajevo. 4 Jahre krank, 
Operation am 5. Juli 1897. Sectio alta. Peritonealfalte tief stehend. 
Incomplete Seidennaht (Cystitis). 26. Juli geheilt entlassen. Hei¬ 
lungsdauer 19 Tage. Knierohr. Kern: Urate, Rinde: Calciumphos¬ 
phat und Calciumoxalat, Urat, Magnesiumammonphosphat. 

8 5. Fall. Gjuro P., 5. Jahre, or.-orth., Carici (Stolac). 1 Jahr 
krank. 9. December 1898. Sectio alta. Peritonealfalte deutlich 
sichtbar. Complete Seidennaht (Cystitis). 13. December Wunde re¬ 
actionslos. 10. Januar 1899. Wunde verheilt. Heilungsdauer 30 Tage. 
Gewicht 6 Grm., Kern: Urate, Calciumoxalat, Calciumcarbonat- und 
Calciumphosphat, Rinde: Magnesiumammonphosphat. 

8 6. Fall. Milan M., 10 Jahre, Rogatica. 6 Jahre krank. Ope¬ 
ration am 24. August 1898. Sectio alta. Complete 2reihige Seiden¬ 
naht. Heilung per primam. 7. September entlassen. Heilungsdauer 
11 Tage. Verweilkatheter. Kern: Urate, Rinde: Urate, Calcium¬ 
oxalat, Calciumphosphat, Magnesiumphosphat. 

8 7. Fall. Hassan H., 13 Jahre, muh., Pistalina. Operation 
am 5. October 1898. Sectio alta. Complete Seidennaht. 13. October 
Entfernung der Nähte. 24. October Wunde linear vernarbt. Hei¬ 
lungsdauer 19 Tage. Der kleine Stein ging beim Ausspülen ver¬ 
loren. 

8 8. Fall. Arif B., 9 Jahre, muh., Buzim. Operation am 
6. October 1898. Sectio alta. Complete Seidennaht. 24. October 
Heilung per primam, entlassen. Heilungsdauer 18 Tage. Es fand 
sich bei der Operation in der Blase kein Concrement, obwohl das¬ 
selbe Tags vorher sicher nachgewiesen worden war; wahrscheinlich 
war es während der Nacht mit dem Harne abgegangen. Es be¬ 
standen typische Urinbeschwerden, die seit der Operation sistirten. 

8 9. Fall. Mustafa K., 4’/ 2 Jahre, muh., Uvorica (Visoko). 
Operation am 25. April 1898. Sectio alta. Complete Seidennaht 
(geringe Cystitis). 30. April geringe Retention' im prävesicalen 
Raum. Entfernung der Nähte und des Katheters. 1. Juni mit ver¬ 
narbter Wunde entlassen. Heilungsdauer 35 Tage. Verweilkatheter. 
Gewicht 20 Grm., Kern: Urate, etwas Magnesiumammonphosphat, 
Rinde: Hauptmenge Magnesiumammonphosphat, Calciumcarbonat, 
Calciumphosphat, Urate. 

9 0. Fall. Husein J., 9 Jahre, muh., Sarajevo. 3 Wochen krank. 
Operation am 3. September 1898. Sectio alta. Complete 2reihige 
Seidennaht (mäßige Cystitis). 26. September Heilung per primam, 
entlassen. Heilungsdauer 23 Tage, Kern: Urate, Rinde: Magnesium¬ 
ammonphosphat, Urate. 

9 1. Fall. Vaso M., 12 Jahre, or.-orth., Dzepa (Konjica). 
9 Jahre krank. Operation am 12. December 1898. Sectio alta. 
Peritonealfalte deutlich sichtbar. Blasenwand verdickt. Quetschung 
und etwas stärkere Blutung bei Extraction des großen, fast die 
ganze Blase ausfüllenden Steines. Complete Seidennaht (Cystitis). 
16. December Unruhe, Delirien, Urin angehalten. Exitus letalis. Ver¬ 
weilkatheter. Gewicht 115 5 Grm., Kern: Urate, Calciumcarbonat, 
Calciumphosphat und Calciumoxalat, Rinde: Magnesiumammon¬ 
phosphat. Sectionsbefund: Cystitis chronica e lithiasi c. hyper- 
trophia insigni vesicae urin. Dilatatio urethrorum, Atrophia renis 
sin. hydronephrotica, Pyelitis chronica ambilateralis, Nephritis pa- 
renchym. acuta et purulenta incip. renis dextri. Sectio alta ante 
dies VI facta. Hyperaemia meningum et cerebri; Hypertrophia con- 
centrica ventriculi sin. Marasmus. 

9 2. Fall. CvijoS., 18 Jahre, or.-orth., Cusnica (Jajee). Seit 
Kindheit krank. Operation am 8. August 1898. Sectio alta. Com¬ 


plete Seidennaht (Cystitis). 12. August Blasennaht im unteren Winkel 
insufficient. 13. August Einführung eines Knierohres. 23. August 
Wunde mit nekrotischen Gewebsfetzen bedeckt. Blase in größerem 
Umfang offen. Decubitus an den Glutaen. Transferirung aufs Wasser¬ 
bett. 12. September Rücktransferirung. Seit 6 Tagen spontane 
Miction. Es besteht nur mehr eine sehr feine Urinfistel. 15. October 
Wunde vollständig verheilt, entlassen. Heilungsdauer 67 Tage. Ver¬ 
weilkatheter durch 4 Tage, dann Knierohr. Gewicht 25 Grm., Kern: 
Urate, Rinde: Urate, Magnesiumammonphosphat, Calciumoxalat und 
Calciumphosphat. 

9 3. Fall. Franjo R., 7 Jahre, r.-kath., Rakitno. 1 Monat 
krank. Operation am 28. October 1898. Sectio alta. Blasen wand 
stark verdickt. Complete Seidennaht (Cystitis). 30. October Blasen¬ 
naht etwas insufficient. Einführung eines dünnen Drainagerohres 
in den prävesicalen Raum. 17. December Wunde verheilt, ent¬ 
lassen. Heilungsdauer 49 Tage. Gewicht 33 Grm., Kern: Urate, 
Rinde: Magnesiumammonphosphat, Calciumphosphat. 

9 4. Fall. Panto S., 16 Jahre, or.-orth., Strijezeviei (Maglaj). 
7 Jahre krank. Operation am 21. März 1898. Sectio alta. Die 
tiefstehende Peritonealfaltc wird nach oben geschoben. Complete 
Seidennaht (Cystitis). 26. März Eiterung aus dem prävesicalen 
Raum. 29. März Decubitus am Kreuzbein. 6. April Einführung eines 
Knierohres in den prävesicalen Raum. 8. April der größte Theil 
des Urins fließt durch das Knierohr ab. 7. Mai der Urin fließt 
zum größten Theil durch die Urethra ab. 9. Juni Wunde verheilt, 
entlassen. Heilungsdauer 79 Tage. Verweilkatheter, später Drai¬ 
nagerohr. Gewicht 16 Grm., Kern: Harnsäure, Rinde: Urate und 
oxalsaurer Kalk, phosphorsaurer Kalk und phosphorsaure Ammon¬ 
magnesia. 

9 5. Fall. Jovo S., 5 Jahre, or.-orth., Skucani Vakuf (Sanski 
Most). Operation am 16. Juni 1898. Sectio alta. Stein fast die 
ganze Blase ausfüllend. Complete Seidennaht. 18. Juni Blasennaht, 
zum Theil insufficient. Einführung eines Drainrohres. 21. August 
Patient mit verheilter Wunde entlassen. Heilungsdauer 65 Tage. 
Später Drainage. Gewicht 32 Grm., Kern: Calciumoxalat und Urate, 
Rinde: Magnesiumammonphosphat. 

9 6. Fall. Gabriel S., 81 Jahre, r.-kath., Kosinj (Croatien). 
15 Jahre krank. Operation am 7. September 1898. Sectio alta. 
Complete Seidennaht (Cystitis). 8. Sept. Urin fließt durch den Katheter 
ab. 11. September Blutung aus der Blase. 13. September starkes 
Husten, Appetitlosigkeit. 17. September mehrmalige Blasenblutungen. 
18. September Exitus letalis. Verweilkatheter. Gewicht 7’5 Grm., 
Kern: Magnesiumammonphosphat, wenig Calciumphosphat und Cal¬ 
ciumoxalat, Urate, Rinde: etwas mehr Urate und Kalksalze. An 
Patienten war bereits anderwärts zweimal die Lithotripsie und zuletzt 
die Sectio alta ausgeführt worden; nach letzterer blieb eine Urin¬ 
fistel zurück. Sectionsbefund: Cystitis chronica hypertrophica e 
lithiasi. Hypertrophia prostatae. Atrophia arteriosclerotica et dege- 
neratio cystica renum. Ateromathosis arteriarum. Marasmus senilis. 
Sectio alta ante XII dies 1. a. facta, non sanata. 

9 7. Fall. Hnssejin K., 23 Jahre, muh., Gradacac. 3 Monate 
krank. Operation am 13. Juli 1898. Sectio alta. Peritonealfalte 
sichtbar. Stein in einem Divertikel, von Schleimhaut umwachsen. 
Bei Extraction starke Blutung. Incomplete Seidennaht (Cystitis). 

15. Juli Durchnässung des Verbandes, Wundränder leicht infiltrirt. 

16. Juli Pneumonie. 18. Juli Delirien, Meteorismus. 20. Juli Exitus 
letalis. Knierohr und Verweilkatheter. Gewicht 91 Grm., Kern: 
Urate, Rinde: Calciumoxalat, Calciumphosphat, Maguesiumammon- 
pliosphat. Obductionsdiagnose: Cystitis chronica e lithiasi et para- 
cysttiis plilegmon. post sectionem altam ante VII dies 1. a. factam 
sequente peritonitide purulenta diffusa acuta. Bronchopneumonia 
catarrh. acuta lobor. infer. pulmonis utriusque et lobii med. pul- 
monis dextri. 

9 8. Fall. Ilija P., 20 Jahre, or.-orth., Metkovic. Operation 
am 2. Mai 1898. Sectio alta. Peritonealfalte sehr tief. Blasenwand 
dünn. Schwere Asphyxie. Complete Seidennaht (Cystitis). 3. Mai 
Temperatursteigerung. Die Blase wird emporgezogen und einge¬ 
schnitten und ein Knierohr eingeführt. 5. Mai schwere diffuse Bron¬ 
chitis. 6. Mai rechtsseitige Pneumonie. Auftreten eines fleckigen 
Erythems. 8. Mai Exitus letalis. Verweilkatheter. Gewicht 2^ Grm., 

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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 44 


1992 


Kern: Urate, Calciumcarbonat und Calciumphosphat, Rinde: Mag¬ 
nesiumammonphosphat, Calciumcarbonat und Calciumphosphat. Ob- 
ductionsdiagnose: Bronchopneumonia catarrhalis. Pericystitis. Tumor 
lienis chronicus. 

9 9. Fall. Zajko K., 4 Jahre, muh., Duge (Travnik). 2 Jahre 
krank. Operation am 9. Üecember 1898. Sectio alta. Während der 
Narkose Erbrechen. Complete Seidennaht (Cystitis). 13. December 
mäßige Eiterintention im prävesicalen Raum. 15. Januar 1899 mit 
verheilter Wunde entlassen. Heilungsdauer 37 Tage. Gewicht 7 l j s Grm., 
Kern : Urate, Calciumoxalat, Calciumphosphat und Calciumcarbonat, 
Rinde: Magnesiumammonphosphat, Calciumphosphat. 

100. Fall. Jure C., 70 Jahre, r.-kath., Livno. 1 1 / 2 Jahre 
krank. Operation am 30. September 1898. Lithotripsie. Einmal Ein¬ 
gehen mit dem Lithotriptor und hernach Evacuation. (Cystitis.) 
1. Oetober Abgang von kleinen Concrcmenten. 9. October geheilt 
entlassen. Heilungsdauer 10 Tage. 

10 1. Fall. Cvijeta Ü., 25 Jahre, r.-kath., Gnojnice (Mostar). 
1 ’/a Jahre krank. Operation am 4. October 1897. Lithotripsie. Zer¬ 
trümmerung des Steines mit Lithotriptor und Kornzange. Evacuation. 
18. October geheilt entlassen. Ileilungsdauer 14 Tage. Gewicht 
14 Grm., Kern: Crate, Calciumcarbonat, Calciumphosphat und Cal¬ 
ciumoxalat, Magnesiumammonphosphat. 

10 2. Fall. BegaS., 15 Jahre, muh., Stolae. 8 Jahre krank. 
Operation am 24. October 1897. Lithotripsie. Zertrümmerung mit 
Lithotriptor und Kornzange. (Cystitis.) 25. October Harn blutig. 

4. November geheilt entlassen. Heilungsdauer 10 Tage. Gewicht 
49 Gim., Kern: Calciumphosphat, Calciumoxalat und Calciumcar¬ 
bonat, Magnesiumammonphosphat, Urate. 

103. Fall. Aleksa B., 2*4 Jahre, or.-ortb., Kupres. 1 Monat 
krank. Operation am 27. October 1898. Mit der Sonde kann kein 
Stein nachgewiesen werden (abgegangen V), nachdem bei der Auf¬ 
nahme sicher ein Blasenconcrement sich vorgefunden hatte. 

10 4. Fall. Hasim M., 3 1 / 2 Jahre, muh., Nahorevo (Sarajevo). 
3 Tage krank. Operation am 5. Juni 1897. Patient mit Harnver¬ 
haltung und Urininfiltration, bedingt durch ein in der Pars mem- 
branacea sitzendes Concrement, aufgenommen. Nach drei Tagen 
unter zunehmendem Marasmus Exitus letalis. Leiche wurde nicht 
secirt. 

10 5. Fall. Anton S., 32 Jahre, r.-kath., Kresevo. 27 Jahre 
krank. Patient mit ziemlich großem Blasenstein behaftet, verweigert 
den operativen Eingriff. 

10 (>. Fall. Dusan F., 10. Jahre, or.-orth., Sanskimost. 

5 Jahre krank. Operation am 13. März 1899. Sectio alta. Die Nähte 
schneiden in der brüchigen Blasenwand durch. Incomplete Seiden¬ 
naht (Cystitis). 19. März Eiterung aus dem prävesicalen Raum. 

5. Mai Wunde trocken. 12. Mai abermalige Bildung einer Urinfistel. 

24. Mai Fistel geschlossen. 17. Juni geheilt entlassen. Heilungs¬ 
dauer 71 Tage. Knierobr. Gewicht 15 Grm., Kern: Urate, etwas 
Phosphate, Rinde: Magnesiumammonphosphat, Calciumoxalat, Cal¬ 
ciumcarbonat und Calciumphosphat. (Schluß folgt.) 


Referate. 

Hamel (Berlin): Zur Frühdiagnose des Icterus. 

Wir besitzen ein einfaches und zuverlässiges Mittel zur Fest¬ 
stellung von zweifelhaftem Icterus in der Betrachtung des Blut¬ 
serums. Es ist nämlich bekannt, daß bei ikterischer Verfärbung der 
Haut das Blutserum gleichfalls eine Gelbfärbung zeigt; mit den 
gewöhnlichen Reactionen läßt sich leicht nachweisen, daß dieselbe 
durch Gallenfarbstoff (Bilirubin) bedingt ist. 

I)a das Blutserum an sich in dünner Schichtung eine völlig 
wasserhelle (oder zuweilen leicht opake) Flüssigkeit darstellt, so 
muß an dieser farblosen Flüssigkeit die beginnende Gelbfärbung in 
der denkbar schärfsten Weise zum Ausdruck kommen, und zwar 
wesentlich präciser als an der Haut oder an der Conjunctiva bulbi 
(„Deutsche med. Wschr.“, 1902, Nr. 39). 

Die Intensität der Gelbfärbung des Serums gibt gegenüber 
derjenigen der Haut einen erheblich genaueren Gradmesser für die 


Schwere des einzelnen Krankheitsprocesses, insoweit hiebei der 
Uebertritt von Gallenbestandtheilen ins Blut in Betracht kommt. 

Nutzbringend wird die Betrachtung des Blutserums auch in 
denjenigen Fällen, in denen man sich nach länger bestandenem 
Icterus darüber informiren will, ob eine noch vorhandene geringe 
Gelbfärbung der Haut noch als Ausdruck circulirender Gallen- 
bestandtheile im Blute, mithin noch als ein Krankheitssymptom 
anzusehen sei, oder aber, ob es sich hier nur mehr um restirendc 
Pigmentablagerungen in der Haut, zu denen lange bestehender 
Icterus bekanntlich führt, handelt. Hier entscheidet das Verhalten 
des Serums klar und eindeutig über den Stand der Dinge. 

Das zur Betrachtung erforderliche Serum wird in der üblichen 
einfachen Weise gewonnen. Mit einer circa 1*4 Mm. dicken und 
10 Cm. langen Glascapillarröhre werden circa 15—20 Tropfen 
Blutes , welche sich leicht aus einer kleinen Stichwunde des Ohr¬ 
läppchens ausdrücken lassen, aufgenommen; die Capillarröhre wird 
an beiden Enden mit Wachskügelchen verschlossen und aufrecht, 
die Blutsäule nach unten, hingestellt; nach wenigen Stunden bereits 
hat sich oben das Serum von dem sich zurückziehenden Blutkuchen 
abgesetzt. N. 

Strasser (Wien): Physikalische Therapie der Epilepsie. 

Verf. hält mit Rücksicht auf die herrschende Lehre, welche 
die Epilepsie als Angioneurose auffaßt und als Ursache des Auf¬ 
tretens der Anfälle eine gesteigerte allgemeine Rcflexerregbarkeit 
annimmt, die Anwendung von hydriatischen Proceduren für nützlich 
(„Blätter f. klin. Hydrotherapie“, 1902, Nr. 6). In Betracht kommen 
vorwiegend Halbbäder von 30—26° C. in der Dauer von 6 bis 
10 Minuten, dann Kühlapparate auf Kopf und Rücken. Feuchte 
Einpackungen haben keinen Vorzug vor den Halbbädern. Der 
Werth der Hydrotherapie liegt in der Beeinflussung des Ernährungs- 
und Geisteszustandes des Kranken, sowie seines Stotfwechsels. Bei 
combinirter Behandlung — Hydrotherapie und Brom — ist eine 
starke Reduction der Broradosen möglich. Man geht vom Beginne 
der hydriatischen Behandlung an langsam herunter, in leichten Fällen 
sogar bis zu U0 Grm. pro die, und ist in der Lage, nur von dem 
am wenigsten Bromismus verursachenden Bromnatrinm Gebrauch 
zu machen. Daß man durch Hydrotherapie auf die im Verlaufe 
von Epilepsie sich ausbildende Anämie günstigen Einfluß üben 
kann, ist nicht zu leugnen; ebenso offenbar ist der Einfluß auf 
das Bromexanthem dadurch, daß die Haut rein gehalten wird, 
denn das Exanthem ist ja nur die Folge des Reizes, den das durch 
die Talgdrüsen ausgeschiedene Brom auf diese ausübt. Auch auf 
die dyspeptischen Erscheinungen kann man hydrotherapeutisch 
guten Einfluß üben und so den Appetit und den Ernährungszustand 
des Patienten bessern. Endlich ist noch zu erwähnen, daß unter 
Hydrotherapie eine leichtere Ausscheidung des Broms stattfindet 
und so Bromismus hintangehalten wird. Bei jungen und kräftigen 
Individuen kommen außer den angeführten Proceduren noch in 
Betracht: Kühle Halbbäder (20 —18° C., 2—5 Minuten), ferner 
Abreibungen, Tauchbäder bis 16° C., */ 4 Minute, sogar Douchen 
von mäßigem Druck (nicht auf den Kopf!) auf den ganzen Körper 
und endlich Strahlendouchen auf Unterschenkel und Füße. Zu ver¬ 
bieten sind Schweißproceduren und Douchen von hohem Druck. 
Dyspeptisclie Erscheinungen indiciren Stamm Umschläge, Leibbinde 
und Sitzbäder. Bei Kindern ist die Anwendung von niedrig tempe- 
rirten Bädern wegen deren gesteigerter Reflexerregbarkeit zu 
meiden. Von localen Proceduren erwähnt S. noch : Fließende Fu߬ 
bäder, Wassertreten bei der congestiven Form der Epilepsie; 
schließlich erregende Kopfumschläge bei anämischen Patienten. 

N. 

J. A. Amann jr. (München): Zur Technik der transperito¬ 
nealen Exstirpation des carcinomatösen Uterus 
mit Beckenausräumung, mit besonderer Berück¬ 
sichtigung der Ureterendeckung und der Drai¬ 
nage der Bauchhöhle. 

Die durch Wertheim ausgebildete abdominelle Radicalopera- 
tion erweist sich als ungenügend, weil in der Tiefe des Beckens, 


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1993 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 44 


1994 


an der hinteren und besonders an der seitlichen Beckenwand, vom 
innern Inguinalring bis hinunter zum Beckenausgang, Drüsen und 
Lymphbahnen Zurückbleiben. Um diese entfernen zu können, muß 
das Becken nach querer Durchtrennung der Rectusansätze am Becken 
und völliger Ablösung des Peritoneums wie ein anatomisches Prä¬ 
parat vor uns liegen. Zu diesem Behufe benutzt A. („Monatsschr. 
f. Geburtshilfe u. Gynäk.“, Sept. 1902) seine transperitoneale Me¬ 
thode und legt nun das weitere Gewicht darauf, hart am Becken 
bis zum Beckenausgang herab das Beckenwandbindegewebe und 'die 
Drüsen zu entfernen , hiebei aber die Blase und die Ureteren 
in ihrer Ernährung möglichst wenig zu schädigen. Darum wird 
die Blasenarterie, die von der Hypogastrica ausgeht, freipräparirt 
und während der ganzen Operation geschont, die Ureteren werden 
ebenfalls freigelegt, zum Schlüsse aber möglichst vollkommen ge¬ 
deckt. Dies geschieht in der Weise, daß die von der vorderen 
Beckenwand abgelöste Blase nach hinten gegen das Rectum ge¬ 
schlagen und die Ureteren zwischen Rectum und die dasselbe fast 
umwickelnde Blase gelagert werden. Die der Operation zugeschrie¬ 
bene große Wundhöhle wird durch das an die hintere Beckenwand 
genähte Peritoneum unter dem Druck des abdominalen Inhaltes 
bedeutend verkleinert; durch die Vagina und durch die oberen 
seitlichen Wundwinkel wird nur mit dünnen Streifen drainirt, 
während die Hauptdrainage Glas oder Gummidrains besorgen sollen, 
die seitlich neben der Vagina zur Vulva herausgeleitct werden; 
zu diesem Zwecke wird am Schlüsse der Operation das Ge¬ 
webe neben der Scheide vom Becken aus stumpf auseinander¬ 
gedrängt und die Haut des Lab. majus auf der Kornzange incidirt. 

Fischer. 

Kozlovsky (Prag): Das Wasserstoffsuperoxyd und seine 
Bedeutung in der chirurgischen Praxis. 

Das Wasserstoffsuperoxyd bewährt sich in der Behandlung 
profus eiternder oder putrider und gangränöser Wunden sehr gut; 
die gangränösen Flächen reinigen sich rasch, die eitrige Secretion 
nimmt in raschem Tempo ab, die Granulation wird gefördert. Es 
hat den Vorzug vor dem Sublimat, Jodoform etc., daß es nach 
Belieben lang applicirt werden kann, ohne daß sich irgend welche 
unangenehme Allgemeinerscheinungen einstellen würden; das Ge¬ 
webe wird nicht gereizt, und durch seine antiseptische Kraft kommt 
es dem Sublimate gleich („Sbornik Klinicky“, Bd. III, H. 6). 

Als Desodorans wirkt das Wasserstoffsuperoxyd prompt und 
sicher in jedem Falle, wodurch es nicht nur für die Chirurgie, 
sondern auch für andere Fächer sehr werthvoll ist; es ist nicht 
nöthig, die Extremitäten in einer Lösung von H 2 0 2 zu baden, die 
Injection genügt vollkommen. Das Sublimat und das Hypermangan 
stehen weit hinter ihm zurück. 

Ulcera cruris heilen unter Umschlägen mit H 2 0 2 sehr rasch. 

H 2 0 2 in der Form von Umschlägen hat auf nicht incidirte 
Infiltrate, das Erysipel und Aehnliches, keinen Einfluß. 

Brüns hat also vollkommen Recht, wenn er behauptet, daß 
II 2 0 2 in der Chirurgie viel weniger benützt wird, als es verdient. 

Stock. 


Uhlenhuth (Greifswald): Praktische Ergebnisse der foren¬ 
sischen Serodiagnostik des Blutes. 

Bei der forensischen Blutuntersuchung ist zunächst festzu¬ 
stellen, ob Blut in den verdächtigen Flecken vorhanden sei, denn 
die Serumreaction fällt positiv aus auch mit anderem von der 
specifischen Thierart herrührenden Eiweiß. Dieser Blutnachweis 
geschieht mittelst der bekannten Blutproben (Teichmann, van 
Deen, Spectralanalyse). Ist das Vorhandensein von Blut auf diesem 
Wege erwiesen, so beginnt die specifische Blutuntersuchung zur 
Bestimmung der Blutart („Deutsche med. Wschr. u , 1902, Nr. 17 
und 38). In jedem Falle ist zunächst festzustellen, ob das Blut 
vom Menschen herrührt. Ist dies nicht der Fall, so ist im Einzelnen 
festzustellen, von welcher Thierart das Blut stammt. Von ganz 
besonderer Wichtigkeit ist die Anwendung hochwerthiger Sera, 
denn die Reaction soll wenige Minuten nach dem Zusatz des 
Serums so deutlich sein, daß beim Vergleich mit den stets völlig 


klar bleibenden Controlröhrchen nicht der geringste Zweifel be¬ 
stehen kann. Verf. verlangt mit Recht, daß jedes zu forensischen 
Zwecken zu verwendende Serum vorher auf seino Brauchbarkeit 
hin einer sorgfältigen Prüfung unterzogen werde, und zwar unter 
staatlicher Controle. Schwach wirkende Sera dürfen nie zu foren¬ 
sischen Zwecken verwendet werden. Ebenso wenig dürfen sehr 
dickflüssige, milchig opnlescirende Sera verwendet werden ; solche 
geben nämlich nicht nur in heterologen Blutlösungen, sondern 
auch in physiologischer Kochsalzlösung ziemlich starke Trübungen. 
Solche dickflüssige Sera hängen wahrscheinlich mit dem Stadium 
der Verdauung der Thiere, welche das Serum liefern, zusammen; 
darum empfiehlt es sich, die Thiere vor der Entblutung längere 
Zeit hungern zu lassen. Die Gewinnung guter brauchbarer Sera 
ist nicht leicht.. Bis jetzt liefern nur die Kaninchen brauchbare 
Sera. Zur Conservirung der Sera benutzt Verf. Chloroform, auch 
Carbolwasser und Sublimat (O'Oß 0 /,,) sind brauchbar: Formalin ist 
nicht geeignet. B. 


Weber (St. Petersburg): Ueber die operative Behandlung 
veralteter Ellenbogen-Luxationen. 

Verf. erörtert auf Grund von zwei selbst beobachteten Fällen, 
den Angaben der Literatur und den an Leichen ausgeführten 
Operationen die Fragen, wann unter diesen Bedingungen die 
Resection, wann die Arthrotomie zu machen ist, welche Resultate 
sowohl die eine wie die andere Operation gibt, und welche In- 
cision die Eröffnung des Gelenks ohne Beeinträchtigung seiner 
späteren Function ermöglicht („Russki Wratsch“, 1902). Die streng 
subperiosteal ausgeführte Resection gibt bei jungen Personen und 
in den Händen erfahrener Chirurgen gute Resultate. Das Gelenk¬ 
ende des Humerus wird besser wieder hergestellt, und infolge dessen 
muß man sich bei Luxationen auf die Resection des Humerus be¬ 
schränken. Die Resection hat aber den Nachtheil, daß man den 
gesunden Knochen entfernen muß und die Resultate nicht immer 
gute sind. Es ist daher bei veralteten Luxationen in jedem Lebens¬ 
alter die Arthrotomie, da sie die früheren anatomischen Verhältnisse 
wieder herstellt, als Normaloperation zu betrachten. Man darf sich 
dabei nicht auf die Reposition allein beschränken, sondern muß 
alle Knochensplitter entfernen, um ein gutes functionelles Resultat 
zu erhalten. Die Methoden, bei denen das Gelenk mittelst hinterer 
in querer Richtung verlaufender Incision (Trendelenbürg, Tilling) 
eröffnet wird, haben Mängel. Von den Methoden, welche das Ge¬ 
lenk in seiner Längsrichtung eröffnen, gebührt der Vorzug der 
äußeren Incision nach Kocher. In schweren Fällen, in denen die 
supraperiosteale Freilegmg des Condylus externus huraeri nicht 
zum Ziele führt, kann man zur offenen Durchschneidung der 
äußeren Hälfte des Triceps an dessen Insertionsstelle am Processus 
ulnaris greifen. Das längere Bestehen der Luxation und ihre Com- 
plication mit Fracturen der Gelenkenden können als Contraindi- 
cation gegen die Arthrotomie kaum gelten. Die Incision ist da6 
Ultimum refugium in jenen Fällen, wo die Arthrotomie nicht zum 
Ziele führt; sie ist als primäre Operation in Fällen von weit¬ 
gehender Fractur und Dislocation des Condylus internus indicirt. 
Bei Kindern ist die Resection wegen des Zurückbleibens der 
Knochen im Wachsthum unzulässig. Die Resultate der Arthrotomie 
sind desto besser, je rascher nach der Luxation die Reposition 
gemacht ist, je weniger die Gelenkendeu bereits verändert sind, 
und je früher nach der Operation man Massage, passive und acute 
Bewegungen zur Anwendung kommen läßt. G. 


Kristen Isager (Stockholm): Auftreten der Tuberculose 
auf dem Lande. 

Auf dem Lande haben die Tuberculosefälle eine recht aus¬ 
gesprochene Neigung zu örtlicher Gruppirung, und eine gewisse 
Häufung der Fäl'e am selben Orte, innerhalb einer kürzeren oder 
längeren Jahresreihe, ist auch beständig zu bemerken. Unter Ver¬ 
hältnissen , wo eine epidemiologische Beobachtung möglich ist, ge¬ 
hört sie zu den Infectionskrankbeiten, fiir welche die Ansteckungs¬ 
quelle im großen Ganzen leicht nachzuweisen ist; speciell gilt dies 
dort, wo sich die Untersuchung auf neu angegriffene Heimstätten 


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1995 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 44. 


1996 


beschränkt. Wo die Krankheit neues Terrain gewinnt , kann nian 
mit großer Regelmäßigkeit dieselben Verhältnisse nachweisen. Meistens 
scheint die Krankheit in den Fällen von gewöhnlichen Phthisen in 
die allernächste Nachbarschaft überführt zu werden, häufig wird 
sie auch dadurch in die Häuser verschleppt, daß Kinder, die die 
Krankheit draußen erworben haben, mit derselben nach Hause 
zurückkommen. Selbst wenn die vorgeschrittenen Phthisen die 
schlimmsten Ansteckungsverbreiter sind, gibt es doch auch Bei¬ 
spiele dafür, daß Phthisen, die erst später eine solche Entwickelung 
erreicht haben, daß Hilfe gesucht wurde, zu inficiren imstande 
waren. Es ist Grund zu glauben vorhanden, daß besonders alte Leute 
häufig an maskirten und schwer zu erkennenden, aber doch an¬ 
steckenden Formen von Tuberculose leiden; eine wie große Be¬ 
deutung diese Ansteckungsquelle hat, und wie viel sie dazu beiträgt, 
daß die Krankheit in gewissen Häusern, wo sie sonst verschwunden 
zu sein scheint, wieder auf lodert, besonders bei der jüngsten Gene¬ 
ration, darüber ein Urtheil abzugeben ist schwierig; die Umstände 
haben in mehreren Fällen, w r o eine solche Annahme angemessen 
zu sein scheint, eine beweisende Untersuchung unmöglich gemacht 
(„Nord. med. Arkiv“, 1902, Afd. 2, H. 2). 

Die Mehrzahl der Inficirten hat häufig längere Zeit hindurch 
in der Nähe des Ansteckenden gelebt, oder es ist täglicher oder 
häufiger Verkehr dagewesen. 

Neben rasch entwickelten Formen von Tuberculose begegnet 
mau Fällen, wo das Wachsthum so langsam ist, daß sich eine 
sichere Diagnose erst nach Verlauf von Jahren stellen läßt, und 
hinsichtlich eines nicht geringen Theiles bleiben die Symptome auch 
weiterhin unklar. N. 

Van Yzeren : Die Pathogenese des chronischen Magen¬ 
geschwürs. 

Verf. durchschnitt bei 20 Kaninchen den Vagus unterhalb 
des Diaphragma; bei 10 Thieren fand er alsdann ein Magen¬ 
geschwür, lOmal fand er keine Abweichungen. Die Magenschleim¬ 
haut aller Thiere wurde histologisch untersucht („Ztschr. f. klin. 
Med.“, Bd. 43, S. 181). Alle vagotomirten Thiere wiesen auf¬ 
fallenden Magenkrampf auf. Der Magen war fast immer viel härter 
als der normaler Kaninchen. Gewöhnlich war dieser Magenkrampf 
nach Vagotomie während der ersten Tage noch nicht vorhanden. 
Auch Secretionsanomalien fanden sich bei den vagotomirten Kanin¬ 
chen, doch ist das Ulcus nach Vagotomie keineswegs immer mit 
sehr hoher Acidität verknüpft. Die Heilung dieser Geschwüre geht 
sehr schwer von statten. Uebrigens läßt sich die Entwickelung 
eines Geschwürs nach der Vagotomie meist durch rechtzeitige Gastro¬ 
enterostomie und Spaltung des Muskels der Portio pylorica ver¬ 
hindern. Y. hält den „Magenkrampf“ nach Vagotomie für sehr 
bedeutungsvoll für die Entstehung des Ulcus; die Gefäße werden 
nämlich durch den Krampf zusammengedrückt, Mucosa und Muskel 
blaß; die so erzeugte Anämie führt zu Nekrose und Ulceration. 
Wahrscheinlich ist also der Magenkraropf die Ursache der Ge- 
schwiirsbildung; daher entsteht das Geschwür auch mit Vorliebe 
in der Regio pylorica. Die Ursache des Magenkrampfes wiederum 
ist wahrscheinlich in einer erhöhten Erregbarkeit der Magen- 
g-anglicnzellen nach Vagotomie zu suchen; doch genügt das bloße 
Vorhandensein im Magen oder Duodenum nicht, um ihn zu er¬ 
zeugen. Da das Ulcus nach Vagotomie in seinen klinischen und 
anatomischen Eigenschaften mit dem Magengeschwür des Menschen 
völlig übereinstimmt, so glaubt Verf., daß auch die Genesis beider 
dieselbe ist; bei beiden ist Krampf die Ursache der Entstehung. 
Das beste Diagnostieum für Magenkrampf ist die Palpation einer 
harten Portio pylorica, ferner die intermittirende Retention von 
Mageninhalt. Therapeutisch fällt die Heilung des Ulcus mit der 
Beseitigung des Magenkrampfes zusammen. B. 

Paul Baatz : Trichomonas vaginalis in der weiblichen 
Harnblase. 

Mittheilung einer Beobachtung, welche das Vorkommen des 
Trichomonas vaginalis in der weiblichen Harnblase unzweifelhaft 
ergibt. Mit Baltz und Jürgens nimmt Verfasser an, daß die 


Einwanderung der Trichomonaden von der Vagina durch die 
Harnröhre erfolgt ist. 

Klinisch charakterisirte sich das Leiden durch brennende 
Schmerzeu, welche Patientin in die Blase verlegte. Dieselben nahmen 
bei und einige Zeit nach der Miction an Stärke zu, waren bisweilen 
von außerordentlicher Heftigkeit. Vermehrter Harndrang wurde 
nicht beobachtet („Monatsberichte f. Urologie“, VII. Bd., 8. IL). 

Grosz. 

Pandazis (Athen): Eine dreimalige Zahnung. 

Ein 55jähriger Bauer verlor vor 30 Jahreu infolge einer 
unbekannten Zahnfleischerkrankung alle Zähne. Er consultirte P. 
wegen eines harten, dem Processus alveolaris des Unterkiefers auf- 
sitzenden Tumors. Nach vorgenommener Untersuchung constatirte 
P., daß die Geschwulst nichts Anderes sei als ein kleiner Mahlzahn, 
ähnlich einem Milchzahn, der im Begriffe war, aus dem Alveolus 
durchzubrechen. Drei Monate später hatte der Bauer 18 Zähne, 
10 im Unterkiefer, 8 im Oberkiefer, es fehlten ihm nur 2 Schneide- 
zäbne, die 4 großen Mahlzähne, 2 Weisheitszähne im Oberkiefer, 
die 4 Mahlzähne und die 2 Weisheitszähne im Unterkiefer („Wr. 
zahnärztl. Monatsschr.“ , 1902, Nr. 8). Er behauptete, im Laufe 
der dritten Zahnung keinen Schmerz noch irgend eine Unbequem¬ 
lichkeit verspürt zu haben. Die neuen Zähne waren klein und weiß. 

L. 


Körmöczi (Budapest): Durch Streptokokkeninfection ver¬ 
ursachte Polymyositis (Polymyositis strepto- 
mycotica). 

Ein junges Iudividuum (23 Jahre) erkrankte (ohne jedwedes 
vorausgegangene Trauma) an Pyämie, der es auoh erliegt. Der 
Ausgangspunkt der Pyämie ließ sich weder am Lebenden noch an 
der Leiche nachweisen, doch konnte festgestellt werden, daß Strepto¬ 
kokken im Blut circulirten und sich auch in anderen Organen fest¬ 
setzten. Makroskopisch waren nur in der Musculatur Veränderungen 
aufzufinden, indem dieselbe „in geringerer oder größerer Aus¬ 
dehnung erweicht, verblaßt, manchen Ortes beinahe zerfließend und 
mit einem fahlen, trüben Saft durchtränkt war. Ausgesprochene 
eitrige Herde waren nirgends anzutreffen“. („Centralbl. f. Bakterio¬ 
logie, Parasitenkunde u. Infectionskrankheiten“, Bd. 31, pag. 688.) 

Dr. S—. 


Neelow (Kiew): Zur Frage der Durchgängigkeit der 
Placenta für Mikroorganismen und ihrer phago- 
cytären Fähigkeit. 

Verf. wollte untersuchen, ob nicht pathogene Mikroorganismen 
von der Mutter durch die Placenta auf das Kind übergehen , und 
wie sich die Placenta zu den Mikroorganismen verhält, d. h. ob 
die Placenta phagocytTtre Eigenschaften besitzt. Die Versuche 
wurden an trächtigen Kaninchen ausgeführt, denen Aufschwemmungen 
von Sporen des Heubacillus intravenös injicirt wurden. Hiebei ergab 
sich („Centralbl. f. Bakteriologie, Parasitenkunde u. Infectionskrank¬ 
heiten“, Bd. 31, pag. 681), daß nicht pathogene Bacillen durch die 
gesunde Placenta von der Mutter nicht auf das Kind übergehen 
und daß die Phagocytose der Placenta sehr gering ist. Verf. schließt, 
daß diese Thatsache vom biologischen Standpunkte aus sehr zweck¬ 
entsprechend ist, indem die Placenta lediglich zur Ernährung des 
Fötus bestimmt ist und keine andere Rolle übernehmen kann 
und soll. Dr. S—. 

Kleine Mittheilungen. 

— Ueber die Decortication der Lunge bei chronischem 
Empyem berichtet KüRPJüweit („Beitr. z. klin. Chir.“, 1902, Bd. 33) 
und gelangt auf Grund der Angaben der Literatur und eigener 
Fälle (zusammen 56) zu dem Schlüsse, daß diese Methode mit 
3 5• 7 °/ 0 Heilungen, 19*7°/ 0 Besserungen, 10‘7% Todesfällen den 
Vergleich mit den Resultaten ausgedehnter Rippenresectionen (mit 
56% Heilungen, 20% Besserungen, 20% Todesfällen) nicht 
aushält, wenn auch der Vortheil der Decortication, daß sie wieder 


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1997 


1902. 


Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 44. 


1998 


die Lunge actionsfähig macht, zuzugeben ist. K. formulirt daher 
die Forderung: bei chronischem Empyem in jedem Fall die Decorti- 
cation zu versuchen, d. h. zunächst 2 Rippen zu reseciren und von 
dieser Oeffnung aus die Pleura pulmonalis abzuschälen; gelingt 
dies, so sei es angebracht, temporär einen Thoraxlappen, der Größe 
der Empyemhölile entsprechend, zu bilden und ihn nach Exstir¬ 
pation der ganzen Schwarte zu reponiren, wobei die Lunge (nach 
Lambotte) durch Nähte an die Rescctionsstelle fixirt werden kann) ; 
gelingt die Decortication nicht oder dehnt sich die Lunge nicht 
aus, so sei ausgedehnte Rippenresection vorzunehmen. Bei tuber- 
culösen Empyemen ist die Decortication nicht anzurathen, da die 
Resultate sehr schlecht sind. 

— Das „Sanguinal Krewel“ gelangt in den Handel in Form 
von Pillen, die mit einem Ueberzuge von Zucker versetzt sind. 
Die Ueberzuckerung verdeckt den bei anderen Präparaten gleicher 
Provenienz so unangenehm sich geltend machenden Blutgeschmack 
und schützt den Kern der Pille vor Zersetzung. Die Pillulae 
sanguinalis Krewel, von denen jede die Bestandteile von 5 Grm. 
frischen Blutes enthält, haben folgende Zusammensetzung: 100 Theile 
Sanguinal enthalten: 10 Theile krystallisirtes, chemisch reines 
Hämoglobin, 1 Spur Mangan, 46 Theile natürlicher Blutsalze, 

44 Theile frisch bereitetes Muskelalbumin. Den ersten Bestandteil 
bildet der eisenhaltige Farbstoff des Blutes, das Hämoglobin. Es 
wird rasch aufgenommen, ohne die Verdaunngsorgane zu belästigen. 
Auch die geringe Beimengung von Mangan scheint nicht ohne 
Werth zu sein. Namentlich von der französischen Schule wird 
dem Mangan als Blutbildner große Bedeutung beigelegt. Dem in 
einer Menge von 44% zugesetzten Pepton, hergestellt aus frisch 
peptonisirtem Muskeleiweiß, kommt weniger die Bedeutuug eines 
Eiweißbildners, als eine kräftig anregende Wirkung auf die Magen 
absonderung und Darmthätigkeit zu. Die Sanguinalpillen sind im 
Gegensatz zu anderen Blutpräparaten völlig frei von den Pro- 
ducten des regressiven Stoffwechsels. E. Kraus hat („Allg. med. 
Central-Ztg.“, 1902, Nr. 72) mit Sanguinalpillen bei verschiedenen 
anämischen Zuständen vorzügliche Erfolge erzielen können. 

— Erfahrungen über Conservirung von Sedimenten für 
die klinische Mikroskopie publicirt Gumprecht („Centraibi. für 
innere Med.“, 1902, Nr. 16). G. hat vor 7 Jahren das Formol zur 
Conservirung von Harnsedimenten empfohlen und berichtet nunmehr 
über seine bisherigen Erfahrungen über die Wirksamkeit des 
Formols. Er benützt zur Fixiruug des Ceutrifugats, das er mit 
einer kleinen Handcentrifuge mit Zahnradübertragung herstellt, 
vor allem Formol in einer 1—2%igen Lösung, doch soll die 
Concentration nicht allzu wichtig sein. Auch über die Osmium- 
Säure-, die Alkohol- und Sublimatfixation äußert er seine Erfah¬ 
rungen. Desgleichen theilt er seine besonderen Beobachtungen mit, 
die er bei der Conservirung von Mageninhalt, Stuhl, Blut, Knochen¬ 
mark und Harn gemacht hat. Bezüglich der Formolmethode äußert 
er, daß sie in der Harnmikroskopie für organisirte Sedimente zu 
reserviren sei, auch hier leiste sie zwar Hinreichendes für klinisch 
didaktische Zwecke, aber keineswegs Ideales. 

— Seine klinisch-therapeutischen Erfahrungen über Thiocol 
Und Sirolin hat Karl Fuchs zusammengestellt („Wiener klin. 
Rundschau“, 1902, Nr. 21 u. 22). Er hat auf der dritten medi- 
cinischen Abtheilung des k. k allgemeinen Krankenhauses in Wien 
das Thiocol bei Tuberculose angewendet, und zwar entweder als 
Pulver in Oblaten oder in Tabletten ä 05, gewöhnlich in der 
Dosis von 3—6 Grm. pro die oder in Form des aromatisch riechen¬ 
den und sehr angenehm schmeckenden Sirolin 3—5mal täglich 
ein Kaffeelöffel. Das Mittel wurde von den Patienten stets gerne 
genommen. Nie hat das Medicament irgend welche Intoleranz 
erzeugt. Unangenehme Nebenwirkungen, wie Aufstoßen, Sodbrennen, 
Druckgefühl im Magen oder Darmerscheinungen treten niemals auf. 
Die Wirkung des Thiocols auf die einzelnen Symptome war folgende : 
Das Fieber schwand nach mehrtägiger Behandlung, die Nacht¬ 
schweiße hörten schon nach 2—3 Tagen, manchmal auch etwas 
später auf, der Hustenreiz wurde gemildert oder ganz aufgehoben. 
Das Sputum nahm nach wenigen Tagen an Menge ab und verlor 
den eiterigen Charakter. Auf Grund der beobachteten und zum 
Theile mitgetheilten Fälle schließt Fuchs, daß das Thiocol und 


Sirolin gegenüber allen anderen Guajacolderivaten, insbesondere 
bei beginnender Lungentuberculose bedeutende Vortheile besitzt. 

— Seine Erfahrungen mit einem Intrauterinpessarium hat 
IIollweg zus am mengestellt („Therap. Monatsh.“, 1902, Nr. 9). 
Verf. hat in geeigneten Fällen von Ante- und Retroflexio sich der 
sogenannten EßELL’schen Pessarien bedient, die aus einem im Uterus 
liegenden und aus einem daran angebrachten Stifte bestehen. Dieses 
Pessar kann sich Monate, selbst Jahre lang in seiner Lage erhalten. 
Auch ein „Obturator“, den H. in ungefähr 700 Fällen gesunder 
Frauen in Anwendung zog, erzeugte niemals Beschwerden und 
konnte beliebig lang liegen bleiben, ohne irgendwie zu schaden. 
Es ist jedoch zweckmäßig, ihn etwa zweimal im Jahre behufs 
Reinigung zu entfernen. 

— Ucber die Bedeutung der Zerkleinerung und des Kochens 
der Speisen für die Verdauung berichtet Lehmann („Arch. f. 
Hygiene“, 1902, H. 2). Bei der vorliegenden Frage, welche bisher 
noch nicht experimentell untersucht war, wurden Versuche über 
Eiweißverdauung und Versuche über Lösung von Kohlehydraten 
in großer Zahl angestellt. Als Untersuchungsmaterial für die Eiwei߬ 
verdauung diente Hühnereiweiß, Fleisch, Käse, Erbsen, Graubrot 
und Pfannkuchen; für die Kohlehydratuntersuchung Aepfel, gelbe 
Rüben, Kartoffel und Makkaroni. Die Resultate zeigen eindeutig 
die große Wichtigkeit der Zerkleinernng der Speisen, weil durch 
eine ausgiebige Zerkleinerung die Verdauung ganz bedeutend ver¬ 
bessert wird. Naturgemäß kann dies am meisten erreicht werden, wenn 
die betreffenden Nahrungsmittel zerrieben sind, denn es besteht, 
wie das Experiment zeigt, noch ein erheblicher Unterschied zwischen 
zerriebenem Material und 1 Mm. großen Stückchen desselben. Die 
Bedeutung des Kochens tritt bei den Vegetabilien besonders stark 
hervor, weil hier durch Quellen der Stärke zu Kleister einmal 
die Zellwände gesprengt, und weil zweitens die verkleisterte Stärke 
von den Verdauungssäften viel energischer angegriffen wird als 
die rohe. Die Verzuckerung der gekochten Speisen ist etwa 5raal 
rascher als die der rohen, die Verzuckerung der fein zerriebenen 
5-, 10-, ja 20mal größer als die der grob zerkleinerten Speisen. Durch 
Kochen und feines Vertheilen kann die Zuckerbildung auf das 
30—lOOfache gesteigert werden. 

— Ueber Hämoglobinverlust und Hämoglobinersatz be¬ 
richtet L. Fürst („Deutsche Med.-Ztg.“, 1902, Nr. 67). Die Er¬ 
fahrungen des Verf. erstrecken sich auf das Hämol Kobert, das 
in 15 Fällen zur Anwendung gelangte. Das Präparat wurde stets, 
auch bei Ulcus ventriculi, gut vertragen, besserte ira Zeitraum von 
4—8 Wochen die subjectiveu und objectiven Symptome zusehends 
und nachweisbar. Die Erythrocytenzahl stieg von (in minimo) 
2,800.000 auf 4,300.000 (in maximo), das Hämoglobin von einem 
Minimum von 29 bis zu einem Maximum von 51 (nach Fleischl). 
Das Hämol Kobert nimmt unter den organischen Eisenpräparaten 
einen hervorragenden Platz ein und wird in seiner exacten Wirkung 
von sonstigen Blutpräparaten .nicht übertroffen. Wo eine Blut¬ 
regeneration indicirt ist, läßt es nicht im Stich und da es cito,• 
tuto et jucunde wirkt, so eigne* es sich ganz besonders für die 
Kiuderpraxis. 

— Ueber den therapeutischen Werth des Salvatorwassers 

sagt Hans Koeppe Folgendes aus: Das Salvatorwasser ist infolge 
seines anfangs leicht saueren Charakters angenehm zu trinken, 
sagt dem Geschmacke sehr zu, ohne daß dabei dem Organismus 
Säure zugeführt wird, denn mit dem Entweichen der freien Kohlen¬ 
säure verschwinden die H-Ionen, welche den Säurecharakter geben; 
eme Säureintoxication im klinischen Sinne kann natürlich nicht 
zustande kommen. Andererseits ist mit der Zufuhr von Salvator¬ 
wasser die Möglichkeit gegeben, eine Alkalescenzerhöhung der 
Körpersäfte herbeizuführen, ohne daß von vornherein freies Alkali 
zugeführt wird, denn dieses entsteht erst in der oben angegebenen 
Weise. Es mögen diese Auseinandersetzungen noch sehr viel Hypo¬ 
thetisches an sich haben, doch sind die Beobachtungen feststehend 
und nach dem heutigen Stand der klinischen Wissenschaft diese 
Verwerthung derselben berechtigt. Zum Mindesten wird die physi¬ 
kalisch-chemische Untersuchung erheblich dazu beitragen, unsere 
Kenntniß von der Constitution des Salvatorwassers zu erweitern, 
und bei Versuchen über den Werth eines Mineralwassers wird man 


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1999 


1902.— Wiener Medizinische Presse. — Nr. 44 


2000 


die Dach den physikalisch-chemischen Methoden gewonnenen Zahlen 
nicht mehr entbehren können. 

— Zur operativen Behandlung der Perityphlitis berichtet 
Rinne („Deutsche med. Wschr.“, 1902, Nr. 28). Er theilt die 
Appendicitiserkrankungen ein in leichte und schwere Fälle. Als 
leichte betrachtet er die klinisch gutartig verlaufenden, die mit 
Schmerzen, eventuell nachfolgendem Erbrechen und Uebelkeit und 
geringen Temperatursteigerungen beginnen, bei denen aber das 
Allgemeinbefinden wenig alterirt, Puls und Aussehen gut ist. Diese 
Erscheinungen klingen in wenigen Tagen ab und der Patient ist 
wieder gesund. Es kann bei einem Anfall bleiben, gewöhnlich 
wiederholen sie sich in verschieden langen Zwischenräumen. Ana¬ 
tomisch entspricht diesem klinischen Bilde eine Appendicitis Simplex 
ohne Eiterung, ohne Gangrän und Perforation. Dagegen können 
die mannigfaltigsten Veränderungen am Wurmfortsatz bestehen 
(Schwellung der Schleimhaut, Hydrops, narbige Verengerungen 
und Abschnürungen, peritoneale Verwachsungen u. s. w.). Diese 
Fälle operirt Verf. nicht in und nach dem ersten Anfall, sondern 
verhält sich abwartend. Kommt ein Recidiv, so räth er immer 
zur Operation und operirt im Intervall. Bei schweren Fällen, die 
Eiterung vermuthen lassen, die mit länger dauernden Schmerzen, 
Fieber, Tumor, peritonitischer Reizung und wesentlicher Alteration 
des Gesammtbefindens einhergehen, operirt Verf. sofort oder redet 
energisch zur Operation zu. 


Literarische Anzeigen. 

Leitfaden der Geburtshilfe für praktische Aerzte 
und Studirende. Von Dr. Gustav Vogel, erster Assistenz¬ 
arzt der königl. Universitäts-Frauenklinik zu Würzburg. Mit 
216 in den Text gedruckten Abbildungen. Stuttgart 1902, 
Verlag von Ferdinand Enke. 

Bereits der unreifen Frucht vermag man es anzusehen, ob 
sic unedler oder edler Sorte ist. Mit einer solchen letzterer Art 
möchte Ref. vorliegenden Leitfaden vergleichen. Verf. hat ein 
gründliches theoretisches medicinisches Wissen und die Geburts¬ 
hilfe soweit praktisch erlernt, als dies eben bei kleinem , nicht 
ausreichendem Material möglich ist. Es fehlt ihm daher die prak¬ 
tische Erfahrung, die nur aus der Beobachtung eines großen klinischen 
Materiales gewonnen werden kann. Damit übereinstimmend sind 
alle Capitel, die auf theoretischem Wissen fußen, gut bearbeitet, 
die dagegen, bei denen es auf die praktische Erfahrung ankommt, 
weisen eine große Reihe von Unrichtigkeiten und falschen Ansichten 
auf. Letzteres gilt in erster Linie von den Capiteln, die die Patho¬ 
logie der Schwangerschaft, sowie die Geburt und insbesondere von 
denen, die die Operationslehre umfassen. Vorliegendes Buch stellt 
demnach den verfehlten Versuch eines strebsamen, fleißigen jungen 
Mannes mit nicht ausreichendem praktischen Wissen dar, einen 
Leitfaden der Geburtshilfe liefern zu wollen. Kleinwächter. 


Feuilleton. 

Die internationale Tuberculose-Conferenz in 

Berlin. 

(Orig.-Corresp. der „Wiener Med. Presse“.) 

Berlin, 27. October 1902. 

Aus den großen Congressen zur Bekämpfung der Tuberculose 
als Volkskrankheit, wie sie zu London, Neapel, Paris, Berlin und 
in anderen Städten während des verflossenen Decenniums tagten, 
hat sich nun eine ständige, bleibende Institution entwickelt: „Die 
intex-nationale Tuberculose-Conferenz.“ Diese soll eine in Permanenz 
erklärte Centralstelle für die Bestrebungen der Culturvölker auf 
diesem Gebiete der öffentlichen Wohlfahrt bilden ; es besteht eine 
Solidarität der Interessen bezüglich der Verheerungen jener Seuche, 
und es ist von Bedeutung, daß nach einheitlichen Grundsätzen 
gegen diese vox-gegangen werde. Als Vorort ist für dieses Herbst¬ 
meeting Berlin ausersehen worden und so fand sich denn am 22. Oc- 


Die experimentelle Diagnostik, Serumtherapie und 
Prophylaxe der Infectionskrankheiten. Von Stabs¬ 
arzt Dr. E. Marx. Bibliothek v. Coler, Bd. 11. Berlin 1902, 
A. Hirschwald. 

Das klar geschriebene Werk umfaßt Alles, was der Arzt 
braucht, der in der Praxis mit den durch die Bakteriologie er¬ 
mittelten Thatsachen zu arbeiten hat. In vorzüglicher Weise sind 
bei jedem Capitel die diagnostisch wichtigen moi-phologischen, cul- 
turellen und biologischen Eigenschaften der betreffenden Mikro¬ 
organismen kurz angegeben, daran schließt sich die Besprechung 
der experimentellen bakteriologischen Diagnostik, die serotherapeu¬ 
tischen Bemühungen und Erfolge werden kritisch besprochen und 
beim Capitel der Prophylaxe die allgemein hygienische kurz zu¬ 
sammengefaßt, die specifische eingehend erörtert. 

Ein Buch, das alles Wissenswerthe auf diesem Gebiete in 
kurzer, zutreffender Weise darstellt und wohl sehr bald in den 
Bücherschatz jedes Arztes — wohlverdientermaßen — iibergegano-en 
sein dürfte. Die Ausstattung des Buches ist tadellos. 

L. Hofbauer (Wien). 


Curaus der Orthopädie für praktische Aerzte. Zehn 
Vorlesungen von Dr. Georg Müller, Specialist für Orthopädie 
in Berlin. Mit 25 Abbildungen. Berlin 1902, Otto Enslin. 

Ein handliches Büchlein, das ein gutes Excerpt aus dem 
immer mehr anwachsenden Gebiete der Orthopädie in subjectiver 
Vorlesungsform darstellt. „Präcis und ungekünstelt“ nennt der Autor 
in der Vorrede seine Vortragsweise; die Kritik kann diese Epi¬ 
theta nur unterschreiben. Wenn Müller hie und da dem „Jurare 
in verba magistri“ allzusehr huldigt, so ist dies ein schöner Zug 
des dankerfüllten Schülers; wenn er sich als enthusiastischer 
Bewunderer der HESSING-Technik documentirt, so ist dies wohl 
Geschmackssache. 

Am gründlichsten und eingehendsten sind die Vorträge über 
Pathologie und Therapie der Scoliose ausgearbeitet. Bei der 
berechtigten Wichtigkeit, die Müller in der Thätigkeit des Haus¬ 
arztes bei der Diagnose und Prophylaxe der habituellen Scoliose 
erblickt, nimmt es uns Wunder, daß er hier des für den praktischen 
Arzt bestimmten Ikonometers keine Erwähnung thut. 

Der „Cursus“ wird zumal dem Neuling in der Orthopädie, 
sowie dem Praktiker, der das für ihn Wichtigste aus dieser Dis- 
ciplin in leicht faßlicher Form sich anzueignen beabsichtigt, gute 
Dienste leisten, zumal wenn gelegentlich einer Neuauflage kleine 
Revisionssünden des Satzes (der hervorragende amerikanische Ortho¬ 
päde Sayre wird consequent „Cair“ geschrieben) Berücksichtigung 
finden. Auch der Passus im Eingänge der 6. Vorlesung: „Die 
einseitige Hüftverrenkung wird etwa doppelt so häufig beobachtet, 
als die doppelseitige, und diese (?) befällt wiederum vorwiegend 
die linke Seite“ bedarf der Umstilisirung, um die Gedanken des 
Vorti-agenden richtig wiederzugeben. Bum. 


tober eine Gesellschaft internationalen und illustren Charakters 
hier zusammen, um Rath zu halten, Thesen zu entwerfen, Vor¬ 
schläge zu machen — kurz, um, vom bisherigen Stande der Ar¬ 
beiten ausgehend, weitere Schritte zu planen. 

In Berlin hat unter der Leitung von v. Leyden, Fraenkel, 
Pannwitz , Althoff und unter der thatkräftigen Mitwirkung 
des Staatssecretärs des Innern, Gi-afen von Posadowsky- 
W e h n e r diese humanitäre , social hochbedeutsame Bewegung 
schon reiche Früchte getragen. Zeitschriften, Vorträge, Vereine, 
Versammlungen haben den Bestrebungen das allgemeine Interesse 
zugewandt. An öffentlichen Mitteln und an Schenkungen sind be¬ 
reits Millionen verwendet worden zur Errichtung von Lungenheil¬ 
stätten und Volkssanatorien in der Provinz Brandenburg. Die Für¬ 
sorge für die Reconvalescenten und deren Familien, die Wieder¬ 
herstellung der Erwerbsfähigkeit von entlassenen Patienten, die 
Volksaufklärung, das Eindämmen der Infection, die Besserung in 
den Wohnungs- und Arbeitsverhältnissen und noch viele andere 
Aufgaben sind zum Theile schon mit organisatorischem Geschick 
in Angriff genommen. 


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2001 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 44. 


2002 


Die Conferenz, die man fast einen Congreß von Celebritäten 
nennen könnte, fand also hier einen wohlvorbereiteten Boden und 
man konnte bei der ersten Sitzung eine Zahl der interessantesten 
Charakterköpfe bemerken, Gelehrte, die uns schon lange durch 
ihre Arbeiten über Tuberculose literarisch bekannt sind, die nun 
hören und sehen zu können also einen doppelten Genuß bereitete. 
Amerika, Belgien, Brasilien, Dänemark, England, Frankreich, Italien, 
Schweden-Norwegen, Oesterreich-Ungarn, Rußland, Spanien etc. 
waren neben Deutschland durch namhafte Autoritäten repräsentirt 
und die Regierungen hatten ihre erfahrensten Vertreter delegirt. 

In großen Ztigen war das Programm derart entworfen — 
ich spreche mir vom wissenschaftlichen Theil, denn zu dem ge¬ 
selligen sind die Vertreter der Fachpresse mit einer Einladung 
nicht beehrt worden —, daß, nachdem am Mittwoch den 22. Oc- 
tober eine Begrüßung der Mitglieder und Gäste stattgefunden haben 
soll, am Donnerstag und Sonnabend Vormittags- und Nachmittags¬ 
sitzungen im Abgeordnetenhause stattfanden. Man hatte diesen sehr 
angenehmen, vornehmen, aber unakustischen Saal wählen müssen, 
weil der Saal des Reichstages zur Zeit durch die Session in An¬ 
spruch genommen ist. Für den Freitag waren Besichtigungen, so 
z. B. die der Lungenheilstätte Belzig, in Aussicht genommen, und 
für Sonnabend früh hatte Robert Koch sich zu einer Führung 
durch das neue Institut für Infectionskrankheiten erboten. Nimmt 
man hiezu, daß außer zahlreichen kurzen Vorträgen und Re¬ 
feraten auch eine als „Tuberculose-Museum“ bezeichnete, sehr 
bemerkenswerthe Ausstellung in den Wandelgängen des Par¬ 
laments arrangirt war, so muß man zugestehen, daß thatsächlich 
eine Fülle von Stoff geboten war. 

Um es gleich vorweg zu nehmen, war die Ausstellung 
wohl für jeden durch ihren Reichthum überraschend. Zahlreiche 
Abbildungen, Grundrisse und Modelle von Heilstätten, bakteriologische 
Präparate zur Kenntniß des Tuberkelbacillus und der Pseudobacillen, 
Hilfsmittel der Diagnostik, Prophylaxe und Krankenpflege, graphische 
Darstellungen, Photographien und Diapositive, Moulagen zur Dar¬ 
stellung der Hauttuberculose, hygienische Einrichtungen der ver¬ 
schiedensten Art — nichts fehlt zur Vervollständigung des Bildes 
vom heutigen Stande der Tuberculosebekämpfuug. Besonders fielen 
die trefflichen LASSAR’schen Wachsmodelle — wahre Kunstwerke 

— auf, und ebenso die sehr instructiven Vorrichtungen neuerer 
Art zur Beseitigung des Sputums. Wenn auch vieles von dem hier 
Vorgeführten schon bekannt ist, so gab doch das Gesammte ein 
lehrreiches Ensemble. 

Daß die kurzen Vorträge, für deren jeden eigentlich nur 
ca. 10 Minuten bewilligt waren, nicht durchweg Neues bringen 
konnten, war von vornherein zu erwarten. Wer die betreffende 
Literatur genau kennt und verfolgt, traf denn auch in den auf¬ 
gestellten „Leitsätzen“ viele alte Bekannte wieder. Da außerdem 
manche Redner ihre Resumes sehr schnell, monoton, oft nicht laut 
und deutlich genug ablasen — selbst das schöne Ablesen ist eine 
Kunst —, so entging uns, auch wenn wir meistens des Englischen 
und Französischen mächtig sind, doch recht viel. Immerhin möchte 
ich einiges Wichtigere hervorheben. 

Obertüschen (Wiesbaden) verlangte, daß jedes tuberculöse 
Kind vom Schulunterrichte auszuschließen und womöglich in eine 
Heilstätte zu bringen sei. Tuberculöse Lehrer sind ebenfalls vom 
Unterricht (bei Fortgewährung ihres Gehalts) auszuschließen und 
der Anstaltsbehandlung zu unterziehen. Die Schule hat eine indirecte 
Prophylaxe zu üben durch gymnastische Lungenstärkung, durch 
Mitwirkung bei der Berufswahl und durch Belehrung der Jugend. 

— Van Ryn (Brüssel) plaidirte für Anzeigepflicht im allgemeinen 
Interesse, aber in so weitem Umfange, daß die Verwirklichung solcher 
Vorschläge sicher die individuelle Freiheit sehr schädigen würde. — 
Allerdings ist, wie Andvord hervorhob, die Anzeige ansteckender Phthi¬ 
siker in Norwegen gesetzlich vorgeschrieben, um Weiterverbreitung 
möglichst zu verhüten. — Ueber das „Dispensaire Roox“, eine Ein¬ 
richtung zur Gewährung häuslicher Hilfe neben der Anstaltsbehand¬ 
lung, sprach Calmette (Lille). Hauptzweck dieser Neuerung ist die 
Besserung hygienischer Verhältnisse im Hause eines Phthisikers. Die 
Dispensaires gewähren Miethbeihilfe, Brennmaterial, Nahrungsmittel, 
Kleider, Utensilien zur Unschädlichmachung des Sputums, Desin- 


fection, Belehrungen etc. — kurz, sie machen sich im Kampfe 
gegen die Tuberculose praktisch nützlich. — Auch de Lancarte 
(Lissabon) schilderte die Vortheile solcher „Dispensaires“, welche 
die wissenschaftliche und gesundheitliche Lage Tuberculöser bessern, 
sich prophylaktisch ihrer annehmen und die Ziele praktischer 
Hygiene wesentlich fördern. — Von Flügge (Breslau) hörten wir 
Vorschläge gegen die Verbreitung der Phthise in Arbeitersälen, 
Bureaux etc., wobei er namentlich die Gefahr trockener, verstäubter 
Expectorationen schilderte. — Ein ähnliches Thema behandelte 
der Vorsitzende der Landesversicherungsanstalt, Dr. Freund (Berlin). 
Er betonte die Nothwendigkeit gesünderer Arbeitsräume, bessere Für¬ 
sorge für die aus Heilstätten Entlassenen und den Erlaß von Vorschriften 
zur Krankheitsverhütung. — Den gleichen Aufgaben widmete Savoire 
(Paris) anregende Bemerkungen, indem er für wiederholte Unter¬ 
suchungen der Arbeiter, für ärztliche Classificirung derselben in 
Gesunde, Prädisponirte, Heilbare und Unheilbare eintrat, besonders 
auch für Dispensaires und Polikliniken eine Lanze brach. — Eine 
treffliche Uebersicht über den jetzigen Stand des Kampfes gegen 
die Tuberculose vom Gesichtspunkte der pathologischen Mykologie 
bot von Baumgarten (Tübingen). In kernigen, scharfen Zügen 
schilderte er die Wichtigkeit der Abtödtung oder Unschädlich¬ 
machung des Bacillus (Sublata causa tollitur effectus) an dem ersten 
tuberculösen Herd, vorausgesetzt, daß dieser isolirt und zugängig 
ist. Andernfalls müsse man dies Ziel auf dem Wege der Circulation 
zu erreichen suchen. Leider schädigen aber baktericide Gifte die 
Gewebe des Organismus. Ein anderes Streben ging dahin, die 
spontane Abkapselung und das Absterben der Bacillen durch An¬ 
regung einer narbenbildenden Entzündung zu fördern. Koch’s 
Tuberculin wollte dies bewirken; leider entsprach das Endresultat 
nicht den Erwartungen. Doch man darf noch auf Erfolge in dieser 
Richtung hoffen; denn das Vertrauen auf organische Mittel ist zu 
fest in das wissenschaftliche Bewußtsein eingedrungen. Die höchste 
Bedeutung hat z. B. noch die Hebung der individuellen Wider¬ 
standskraft der Zelle durch hygienisch-diätetische Maßnahmen. Man 
strebt jetzt mit Recht danach, die Zelle zu befähigen, daß sie im 
Kampfe mit dem Bacillus Siegerin bleibt, so daß dieser aus Mangel 
an genügender Nahrung abstirbt. Eine weitere Aufgabe ist, die 
Uebertragung des Bacillus vom Kranken auf Gesunde zu verhüten 
(Sputumvertilgung) und vorsichtshalber der Bevölkerung eine von 
lebenden Bacillen freie Nahrung (zumal Milch und Fleisch) zu 
bieten. Die Lehre von der Erblichkeit bacillärer Tuberculose, die 
Baumgarten experimeutell bestätigen konnte, ist durchaus noch 
nicht, wie viele behaupten, überwunden; sie besteht noch, neben 
der Vererbung der Disposition, fort. — Hatte dieser Redner den 
heutigen Stand der Tuberculosefrage kurz als Forscher auf dem 
Gebiete der Bakteriologie und pathologischen Anatomie skizzirt, so 
beleuchtete ihn Köhler, der Leiter des kaiserlichen Gesundheits¬ 
amtes, in nicht minder glänzender Rede ausführlich vom Stand¬ 
punkte der Hygiene aus. Objectiv vertheilte er bezüglich des sprin¬ 
genden Punktes der durch Koch wieder in Fluß gebrachten Frage: 
„Unität oder Dualität der menschlichen Tuberculose und der Perl¬ 
suchtbacillen“ Licht und Schatten. An der Hand der neuesten 
Forschungen aus den letzten 2 Jahren besprach er das Pro und 
Contra, die Gründe, warum Koch die von ihm früher vertretene 
Gleichheit beider Krankheiten aufgab. Das Facit ist, daß jedenfalls 
die mit Milch- oder Fleischgenuß dem Menschen incorporirten Perl¬ 
suchtbacillen bei ihm nur schwer aufgehen, nur locale Erscheinungen 
und keine Allgemeinerkrankungen verursachen, und daß sowohl das 
Thierexperiment (Fütterungsversuche), als die klinische Beobachtung 
der Seltenheit primärer Darmtuberculose gegen die Einheit sprechen. 
Auch sei es zweifelhaft, ob die Tabes meseraica mit Tuber¬ 
culose etwas zu thun habe; sie sei wahrscheinlich ein Symptom 
der ungeeigneten Ernährung marastischer Kinder. Vielfach seien 
gewiß auch die Mandeln die Eintrittspforte. Allerdings sei die Frage 
noch nicht definitiv entschieden und deshalb mit dem Abkochen 
der Milch, die ja auch noch andere pathogene Keime enthalte, 
fortzufahren. 

Es ließ sich erwarten, daß hier die Geister auf einander 
platzen würden. Und so geschah es auch. Arlving (Lyon) und 
Nocard (Alford) verfochten in sehr entschiedener Weise ihre schon 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 44 


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in London ausgesprochene Ueberzeugnng von der Einheit beider 
Arten von Mikroben und von der durch Beispiele erwiesenen Mög¬ 
lichkeit einer Uebertragung der Rindertuberculose auf den Menschen ; 
die Discussion gestaltete sich sehr interessant und anregend. Hueppe 
(Prag), Wolff (Berlin) standen auf Seite der Vorredner, v. Baum¬ 
garten, Moeller (Belzig), Weitenhoefer (Berlin), Bang (Kopen¬ 
hagen) neigten Koch’s Ansicht zu, und Koch selbst, der schließlich 
das Wort ergriff, begründete noch entschiedener als 1901 in London 
seine jetzt gefestigte Ueberzeugung von der Nichtidentität. Er 
widerlegte alle gegen diese gerichteten Einwürfe mit großer Sicher¬ 
heit und verwarf allzustrenge, weil zwecklose und kostspielige 
Maßnahmen gegen Milch und Fleisch perlsüchtiger Kühe, da aus 
beiden dem Consumenten keine ernstlichen Gefahren drohen. 

Hoffentlich werden fortgesetzte Studien noch eine vollständige 
Klärung dieser für das Volkswohl wichtigen Frage bringen. 

Ein Glanzpunkt dieses Congresses war die Führung der 
Theilnehmer durch das neue, großartige Institut für Infections- 
krankheiten. Es war ein hoher Genuß, von Robert Koch selbst 
mit allen Einrichtungen und Arbeitsmethoden vertraut gemacht zu 
werden, wenn auch die Kürze der Zeit nur einen flüchtigen Ueber- 
.blick gestattete. Aber auch dieser übte wohl auf jeden den Ein¬ 
druck, daß diese eminente Musteranstalt, welche der genialste 
Forscher auf diesem Gebiete leitet, nicht nur unerreicht dasteht, 
sondern auch vielen als Vorbild dienen wird. 

Der Congreß aber hat jedenfalls das große Verdienst gehabt, 
die humanitäre, sociale, klinische und hygienische Seite der Tuber- 
culosefrage wieder aufs Neue von allen Seiten beleuchtet und 
manche noch ungelöste Aufgabe der Lösung näher gebracht zu 
haben. exp 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Aus den Abteilungen 

der 

74. Versammlung deutscher Naturforscher und 

Aerzte. 

Karlsbad, 21.—27. September 1902. 

(Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) 

VI. 

Abtheilung für Geburtshilfe und Gynäkologie. 

W. A. Freund : Zur pathologischen Anatomie der Parametritis 
chronica atrophicans. Ein Beitrag zur Lehre von den nervösen 
Störungen, speciell von der Hysterie. 

In einem höchst bemerkenswerthen Vortrage auf der Ver¬ 
sammlung des ärztlichen Landesvereins von Württemberg hat Krehl- 
Tübingen über functioneile Erkrankungen gesprochen und, nach¬ 
dem er den Begriff derselben, zu denen die psychogenen und hyste¬ 
rischen Störungen gehören, ferner die nervösen Störungen nach 
den gebräuchlichen Ansichten umschrieben hat, fährt er folgender¬ 
maßen fort: „Zn den nervösen Störungen werden gerechnet die 
reflectorisch erzeugten Zustände. Sie sind ja gewiß sehr viel seltener, 
als früher angenommen wurde, aber sie kommen doch vor, wie am 
Herzen . . . Durch das Nervensystem werden sie sicher vermittelt. 
Man wird annehmen müssen, daß die reflectorisch beeinflußten, zu 
dem erkrankten Organ gehörigen Nervenfasern oder Nervenzellen 
nicht normal sind . . . Leider ist über die Veränderungen des 
Nervensystems in den großen Organen der Brust- und Leibeshöhle 
sowohl klinisch als pathologisch-anatomisch erst sehr wenig be¬ 
kannt. Sorgfältige und systematische Untersuchungen sind hier 
dringend nothwendig, damit eine Unterlage für die Discussion ge¬ 
schaffen wird. Es wäre dann keinesfalls unmöglich, daß für manche 
nicht zu deutende Symptome oder Krankheitszustände ein Ver- 
ständniß gewonnen werden würde.“ 

Diese durchaus richtig formulirte Aufgabe ist für die reflec- 
torischen Zustände, welche man unter dem Namen der Hysterie 
zusammenfaßt, bereits früher von Fr. in Angriff genommen und 
bis zu einem gewissen Punkte gelöst worden durch die in der 


„gynäkologischen Klinik“ (Straßburg 1895) publicirte Arbeit: „Das 
Bindegewebe im weiblichen Becken und seine pathologischen Ver¬ 
änderungen mit besonderer Berücksichtigung der Parametritis 
chronica atrophicans u. s. w.“ Nach der Darlegung der pathologisch¬ 
anatomischen Veränderungen der Parametritis chronica atrophicans 
hat er die Resultate der von Auerbach, Waldeyer und seinem 
Sohne H. W. Fr. ausgeführten mikroskopischen Untersuchungen 
des Genaueren mitgetheilt. Neben dem Befunde der narbigen Hyper¬ 
plasie des interstitiellen Bindegewebes ist eine wahre Perineuritis 
des großen Ganglienapparates (Frankenhäuser) mit Auseinander- 
drängung der Elemente des Geflechtes, theilweisem Untergang der 
Nervenfasern, die sich im Narbengewebe verlieren , und Schwund 
der dunkel pigmentirten und zu verschiedenen Formen geschrumpften 
Ganglienzellen als wesentlich beschrieben. Dieser Vorgang, welchen 
man in Hinsicht auf die reichliche hypcrplastische Entwicklung 
des peri- und endoganglionären Bindegewebes als Neuritis pro¬ 
liferans (Virchow) bezeichnen kann, hat vielfache Analogien. 

Es folgte die Demonstration der hoch interessanten Tafeln, 
welche die Verhältnisse des Nervengeflechtes bei Parametritis acuta 
sowie bei Parametritis chronica in höchst lehrreicher Form dar¬ 
stellen. 

Vortr. hat die Befunde der Parametritis chronica atrophicans, 
speciell des Nervenapparates dieser Region, neuerdings einer Revision 
unterworfen, für welche das durch die Liebenswürdigkeit des 
Collegen v. Hansemann überlassene reiche Material des pathologi¬ 
schen Institutes des Friedrichshainer Krankenhauses zu Gebote 
stand. Die unter thätiger Beihilfe v. Hansemann’s, seines Assi¬ 
stenten Dr. Fbiedenthal und Dr. Haschimoto’s nach den modernen 
Methoden ausgeführten Untersuchungen haben Resultate ergeben, 
welche seine alten Befunde der Hauptsache nach bestätigten , die¬ 
selben aber in einigen Punkten modificirten und genauer präcisirten. 
Fr. erklärt an einem das Beckenbindegewebe repräsentirenden 
Wachspräparat die Topographie des Ganglienapparates, ferner 
zeigt er die gefundenen Resultate klar und anschaulich beweisende 
Präparate, und zwar in makroskopischen Schnitten, welche das 
normale Parametrium und neben diesem einige Fälle von Parame¬ 
tritis chronica atrophicans darstellen, endlich eine Reihe von wohl¬ 
gelungenen mikroskopischen Präparaten meistens mit GiESON-Färbung, 
einige mit Hämatoxylin und Eosin gefärbt, und zwar erstens nor¬ 
males Parametrium eines 6jährigen Mädchens, zweitens das atro¬ 
phische Parametrium einer 63jährigen Greisin, drittens acute Para- 
metritis haemorrhagica, viertens mehrere Präparate von Parametritis 
chronica atrophicans. Aus den Darlegungen Fr.’s ist zu erkennen, 
daß er diese Untersuchungen auf breiter Basis auszuführen be¬ 
schloß und es ist Fr. beizustimmen, daß dieselben, gerade an diesem 
Organcomplexe ausgeführt, ein sehr lehrreiches Paradigma für der¬ 
artige Untersuchungen an anderen Organen und Organcomplexen 
abgeben müssen. Wir wissen seit langer Zeit, daß dieser gangliöse 
Apparat am Parametrium vom fötalen Zustande an erst in der 
Pubertät zur vollständigen Reife gelangt, daß er sich in der Gravi¬ 
dität mächtig entwickelt, daß er nach der senilen Involution ganz 
bedeutend mit Lückenbildung schrumpft. Fr.’s Untersuchungen 
haben interessante Veränderungen bei der acuten und chronischen 
Parametritis nachgewiesen. Auf Basis dieser reellen Kenntnisse 
darf man vermuthen, daß auch andere physiologische (die Men¬ 
struation, das Wochenbett, die Lactation) und vor allem Anderen 
pathologische Zustände örtlicher und allgemeiner Natur auf das 
anatomische Verhalten des Ganglienapparates und damit auf das 
Zustandekommen von Reflexneurosen einen Einfluß üben werden. 
Wenigstens hat Vortr. in den Leichen von Mädchen, die an acuten 
Infectionskrankheiten (Diphtherie und Scharlach) zugrunde gegangen 
waren, auffallende Veränderungen an dem Ganglienapparate ge¬ 
funden. Fb. glaubt, daß auch andere acute Infectionskrankheiten, 
welche, wie z. B. der Typhus, die Cholera, die Pocken, erfahrungs¬ 
gemäß sehr bedeutenden Einfluß auf die Genitalfunction üben können, 
ferner chronische constitutioneile Erkrankungen (Chlorose, Diabetes 
u. s. w.), deren störenden Einfluß auf die Genitalien man ebenfalls 
kennt, ein fruchtbares Feld für weitere Untersuchungen abgeben 
werden. Den Ausgangspunkt seiner Untersuchungen haben die die 
Hysterie einleitenden Reflexneurosen abgegeben. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 44. 


2006 


v. Rosthorn : Das Nervensystem des Beckenbindegewebes ist bis jetzt 
zu wenig unteisucht und die Untersuchungen von Freund sind daher äußer.-t 
verdienstvoll. Aber auch Frankenhäuser nahm das Bestehen einer Summe 
von Ganglien an, nicht ein einziges großes Ganglion. Die Methode durch An¬ 
legen von Schnitten von Freund und von Sellheim angewendet, verspricht 
die besten Aussichten, die einschlägigen Verhältnisse zu erkennen. 

Müller: Die Hyperemesis gravidarum wird bei Verwachsungen an der 
Hinterwand des Uterus durch Reizung des Plexus solaris h'-rvorgerufen, ab'ir 
auch ohne Verwachsungen an der Hinterwand findet sich bisweilen Hyper¬ 
emesis, so daß vielleicht durch Reizung der FRANKENiiÄusER’schen Ganglien die 
Hyperemesis erzeugt werden kann. 

Sellheim (Freiburg i. b.) ; Der normale Situs der Organe im 
weiblichen Becken. 

Dem Bedürfniß des in der praktischen Arbeit stehenden 
Gynäkologen und Chirurgen nach einer anschaulichen Bearbeitung 
der Topographie des weiblichen Beckens ist noch nicht hinreichend 
entsprochen. Für seine speciellen Fragen bleibt die Ausbeutung aus 
den anatomischen Werken unzureichend. In der Art der Darstellung 
auf Schnitten besteht wenig System und Neigung zur Anpassung 
an die Bedürfnisse des Gynäkologen und Geburtshelfers. Es fehlt 
ein Anschauungsmittel, an der Hand dessen man die normale Ana¬ 
tomie des weiblichen Beckens bequem lehren und lernen und zu 
jeder neu anftauchenden Frage Stellung nehmen könnte. 

Vortr. bestrebte sich, diesem Mangel abzuhelfen. Aus dem 
reichen Material des pathologisch anatomischen Instituts der k. k. 
deutschen Universität in Prag, welches der Leiter, H. Chiari 
in freundlichster Weise zur Verfügung stellte, wurden unter allen 
möglichen Cantelen 10 Becken geschlechtsreifer weiblicher Personen 
mit normalem Situs der Genitalien ausgewählt. Nach der Fixation 
in Formol, der Härtung in Alkohol und der Einbettung in Cel- 
loidin wurden die Präparate nach der vom Vortr. angegebenen 
Methode entsprechend dem HODGE’schen Ebenensystem (durch be¬ 
stimmte Knochenpunkte gehende, in sagittaler, frontaler und querer 
Richtung angelegte, aufeinander senkrecht stehende Ebenen, mit 
der medianen Sagittalebene als Basis) in Serienscbnitte zerlegt. 
Die Sagittalscbnitte wurden entsprechend der Lage, in welcher 
man untersucht und vielfach operirt (Steinschnittlage, Rückenlage), 
also mit einer Beckenneigung von 10—30° wiedergegeben. Die 
gebräuchliche räumliche Bestimmung eines mobilen Organes nach 
den selbst verschieblichen Weichtheilen oder der sogenannten 
Führungslinie wird als durchaus unpraktisch verworfen und statt 
dessen das Princip, sich bei der Orientirung im Becken nach fixen 
Knochenpunkten zu richten, für die Untersuchung der WeichtheUe 
an den Lebenden nnd an der Leiche eingefiihrt. 

Die Resultate der Arbeit wurden in 40 lebensgroßen, von 
Künstlerliand ausgeführten Tafeln, soweit es die Zeit zuließ , im 
Einzelnen demonstrirt. 

Im Allgemeinen fand sich bei dem eingeschlagenen Verfahren 
eine Bestätigung der herrschenden Ansicht über die Topographie 
der weiblichen Geschlechtsorgane. 

Als eine besondere Frucht dieser Studien ist es aber anzu¬ 
sehen, daß die genaue Untersuchung der anatomischen Verhältnisse 
bei Nulliparen und Multiparen, hei jüngeren und älteren, bei ent¬ 
wickelten und unentwickelten Individuen, ferner bei dem wechselnden 
Füllungszustand der Blase und des Mastdarms, in welchem der Tod 
die Personen überraschte, so recht die Breite des Spielraums kenn¬ 
zeichnet, in welchem die normale Lage der Eingeweide des weib¬ 
lichen Beckens naturgemäß schwanken muß. 

Der Schwerpunkt dieser Arbeit wurde aber dahin verlegt, 
durch die Anwendung von dicht aufeinander folgenden, in den 
drei Dimensionen des Raumes aufeinander senkrecht stehenden 
Schnitten einen anschaulichen, gewissermaßen plastischen Begriff des 
als richtig anerkannten Situs von Uterus und Eierstöcken zugleich 
mit allen übrigen Gebilden des weiblichen Beckens und ihren 
gegenseitigen räumlichen Beziehungen zu geben. Einen dauernden 
Rathgeber für den Gynäkologen und Chirurgen zu schaffen, war 
die Absicht des Vortragenden. 

W. A. Freund hält es für äußerst werthvoll, daß in so methodischer 
Weise die Untersuchungen durchgeführt wurden, und fordert zur möglichst um¬ 
fangreichen Subsciiption des bald erscheinenden Werkes von Sellheim auf. 


A u 8 

medicinischen Gesellschaften Deutschlands. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Verein der Aerzte in Halle a. S. 

Urfey: Ueber Placenta marginata und circumvallata. 

Ursprünglich hielt man diese Anomalie für einen ringförmig 
auftretenden weißen Infarct, der durch entzündliche Veränderungen 
der Uterusschleimhaut bedingt sei. v. Herff u. a. gehen von der 
Annahme aus, daß bei der Placentarbildung außer der Serotina die 
benachbarte Partie der Vera herangezogen werde, indem letztere 
durch die exeentrisch in sie eindringenden Zotten gespalten und 
aufgerollt werde. Das Chorion solle dann erst secundär über diese 
neu hinzugewonnenen Partien Hinüberwachsen. Bei bestehender Endo¬ 
metritis werde es aber daran gehindert, indem dann schon früh¬ 
zeitig eine fibrinöse Verklebung von Vera und Reflexa an dieser 
Stelle eintrete. Nach Klein soll am Aufbau der Placenta außer 
der Serotina der „Randreflexa“ benannte, besser entwickelte und 
drüsenreiche Nachbarabschnitt der Reflexa betheiligt sein. Wird 
dieser Tlieil infolge endometritischer Processe schwartig verdickt 
und starr, so kann sich das wachsende Ei erst weiter oberhalb 
ausdehnen, wird aber schließlich doch bei immer zunehmendem 
Innendruck den Widerstand der Randreflexa Überwinden, sie nach 
außen umklappen und so den wallartigen Rand entstehen lassen. 
Die allen bisherigen Theorien gemeinschaftliche Annahme einer 
alten Endometritis dürfte wohl oft schwer zu beweisen sein, ebenso 
wie das gürtelförmige Auftreten dieses Processes. Plausibler scheint 
eine auf Wachsthumsbehinderung fußende Erklärung, auf die u. a. 
bereits Ahlfkld aufmerksam gemacht hat. U. fand bei Placenta 
marginata fast immer den Placentaransatz in einem stark ausge¬ 
bildeten Uterushorn. Wenn dieses Horn in den ersten Schwanger¬ 
schaftsmonaten stärker wächst, als der übrige Uteruskörper, maß 
an der Uebergangsstelle eine Stauchung der Eihäute stattfinden. 
Das Chorion und eventuell auch das Amnion werden eine Falte 
bilden, in welchen von außen die Reflexa hineiDragt. Diese Falte 
kann man bei allen Marginatae leicht nachweisen und durch Aus¬ 
einanderziehen des Chorion ausgleichen. 

Wissenschaftlicher Verein der Aerzte zu Stettin. 
Krösing: Ueber Spermatorrhoe und Prostatorrhoe. 

Die beiden Affectionen cliarakterisiren sich als Paresen der 
Ductns ejaculatorii und prostatici. Die spermatorrhoischen Samen¬ 
verluste unterscheiden sich ganz und gar von den krankhaften 
Pollutionen, die eine motorische Neurose mit Krampf der Samen¬ 
blasen darstellen. Nicht allein theoretisch, sondern ganz besonders 
für die Behandlung ist diese Differenz von größter Wichtigkeit. 
Die Entfernung der betreffenden Secrete bei Spermatorrhoe und 
Prostatorrhoe schließt sich vorwiegend an den Act der Stuhl- bezw. 
Urinentleerung an (Defäcations- und Mictions-Spermatorrhoe). Pollu¬ 
tionen sind keineswegs häufig die Vorgänger, daher auch nicht die 
den Pollutionen gewöhnlich zugrunde liegenden Schädlichkeiten, 
wie Masturbation, Coitus interruptns, Excesse in venere, für Sper- 
matorrlioc und Prostatorrhoe ätiologische Bedeutung haben. Viel¬ 
mehr ist hier ganz vorwiegend Gonorrhoe im Spiel. Durch diese 
sind Ductns ejaculator. und prostatici und die Prostata selbst 
katarrhalisch afficirt und bei dem gewöhnlichen langen Bestand 
dieser Veränderungen im Muskelapparat geschwächt, derart, daß 
dieser insufficient wird, die betreffenden Secrete bei vermehrtem 
Innendruck (Defäcation, Miction, Heben, Niesen, Husten etc.) zu- 
rückzuhalten. Viel seltener stellen sich diese Processe nach Strictur 
der Harnröhre, Hämorrhoiden, vielfachem Katheterismus, Lungen¬ 
phthise , Diabetes, Typhus, Tabes, traumatische Rückenmarkserkran¬ 
kung ein. Es handelt sich wahrscheinlich nicht, wie man früher 
annahm, um ein einfaches Aaspressen von Samenblasen bezw. Pro¬ 
stata durch den vollen Darm-, bezw. die volle Blase, sondern om 
eine gleichzeitige Contraction ersterer, wenn letztere in Action 
treten. Das jugendliche Alter ist bevorzugt. Das Secret bei Sperma¬ 
torrhoe charakterisirt sich durch das Vorhandensein todter Sperma- 


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1902. Wiener Medizinische Presse. — Nr. 44. 


tozoen (wenn das belebende Prostatasecret fehlt), wenn letzteres 
sich ersterem zugesellt (Spermat. und Prostat.), leben dieselben, 
und es treten Eiterkörperchen hinzu, die aus der meist noch 
katarrhalischen Prostata stammen. Daneben finden sich natürlich 
die übrigen normalen Bestandtheile beider Secrete. Folgen und Be¬ 
gleiterscheinungen fehlen manchmal ganz. Nach längerem Bestand 
jedoch pflegen allgemeine und locale neurasthenische Beschwerden 
nicht zu fehlen, wie Hoden- und urethrale Neuralgien, Kreuz¬ 
schmerzen, Pruritus ani, Harndrang, Spasmus des Sphincter vesicae, 
Schwäche desselben mit Nachträufeln von Urin, Parästhesien in der 
Genitalgegend, Schwäche der Beine, allgemeine Abgeschlagenheit, 
Herzpalpitationen, hypochondrische Zustände, dyspeptische Zustände. 
Die Poteutia coeundi und generandi ist oft trotzdem intact. Pro¬ 
gnostisch sind die jüngsten Fälle die günstigsten. Die nervösen 
sind leichter heilbar als die gonorrhoischen. Die Behandlung darf 
nur eine local-specialistische sein, wenn wirklich noch Reste früherer 
Gonorrhoe in der P. prostatica, bezw. an Samenblasen oder Prostata 
bestehen. Bloße Hyperästhesie derselben soll keinesfalls dazu ver¬ 
leiten. Ich habe, wie viele andere, schwere Verschlimmerungen bei 
Kranken dieser Art gesehen, die ohne strenge Indication von 
anderer Seite behandelt waren. Die nervösen Formen erfordern viel¬ 
mehr ein hygienisches Regime im weitesten Sinne und roborirende 
Behandlung, die gonorrhoischen und durch andere locale Verände¬ 
rungen bedingten die diesen angepasste Localbehandlung. 


Standesfragen. 

Die Hilfscassen und die n.-ö. Statthalterei. 

Die ununterbrochen neue Gründung von Hilfscassen unter 
Angehörigen der wohlhabenden Classen nöthigte die Wiener Aerzte- 
kammer zu einer energischen Stellungnahme. Es wurden die Kranken- 
casse der Bankbeamten, jene der VersicherungsbeamtGn, sowie 
eine ganze Anzahl von anderen Gassen gegründet, welche 
wiederum auf Kosten der Aerzte ihren Mitgliedern Beneficien ver¬ 
schaffen wollten. 

Die Aerzte haben gegen die Neugründung von Hilfscassen 
nichts einzuwenden, insolange als die Cassen ihre Mitglieder nur 
auf Krankengeld versichern. Jede andere Versicherung auf 
unentgeltliche Behandlung, sei es durch pauschalirte Cassenärzte, 
sei es auf dem Principe der freien Aerztewahl, müssen die Aerzte 
im eigensten vitalsten Interesse auf das Entschiedenste verhindern. 

Wenn der ärztliche Stand nicht in Kürze vollends dem Ruine 
entgegentreiben soll, müssen die Aerzte diesen ihren Vorsatz auch 
durchführen, wenn er auch der Regierung naturgemäß nicht genehm 
sein kann. 

Die Wiener Aerztekammer faßte in ihrer Plenarversammlung 
am 25. Februar 1902 den Beschluß, daß es für jeden Wiener Arzt 
stand es widrig sei, eine Stelle bei der Bankbeamtenkranken- 
casse anzunehmen, insoferne dies nicht unter Bedingungen statt¬ 
fände, die zuvor von der Kammer geprüft und gutgeheißen sind. 
In der Sitzung der Aerztekammer vom 25. März wurde- dieser 
Beschluß auf alle neu zu gründenden Hilfscassen ausgedehnt und die 
Annahme jedweder Stelle bei einer dieser Cassen als standeswidrig 
erklärt. 

In Consequenz dieser Beschlüsse gelang es der Bankbeamten- 
casse nicht, Aerzte zu erlangen, und mußte sich die Gasse be¬ 
quemen, dem Genossenschafts-Krankencassenverbande beizutreten. 

Zugleich richtete die Krankencasse eine Beschwerde gegen 
die Aerztekammer und die beiden citirten Beschlüsse an die Statt¬ 
halterei. 

Die Statthalterei war so klug, diese Beschlüsse nicht formell 
aufzuheben, denn man hatte sie auf die Folgen eines der¬ 
artigen Schrittes aufmerksam gemacht, sondern sie verständigte 
das Präsidium der Aerztekammer, daß sie (i. e. die Statthalterei) 
es nicht für standeswidrig ansehen könne, wenn ein Arzt eine 
Stelle bei einer Hilfscasse annehme, daß sie infolgedessen Erkennt¬ 
nisse des Ehrenrathes aufheben müßte, falls ein Arzt wegen einer 
Annahme dieser Stelle disciplinirt werden sollte. 


Aus Anlaß dieser verblümten Aufhebung eines Kamraer- 
beschlusses beruft die Wiener Aerztekammer für den 22. November 
1902 in den Saal der k. k. Gesellschaft der Aerzte eine allge¬ 
meine Aerzteversammlung ein, die sich ausschließlich 
mit der „Stellungnahme der Wiener Aerzte zu den Hilfscassen“ 
beschäftigen soll. Es liegt nun an den Aerzten, den Beschlüssen 
ihrer freigewählten Kammer auch dann Geltung zu verschaffen, 
wenn dieselben der Regierung nicht genehm sind. 

Es ist ein Gebot der Pflicht, ein Gebot der Selbsterhaltung, 
daß die Wiener Aerzte die Beschlüsse ihrer Kammer ratificiren, 
daß sie im Sinne derselben handeln, auch wenn die Statthalterei 
eventuelle Strafen des Ehrenrathes aufhebt. 

Nicht die Furcht vor dem Spruche des Ehrenrathes, sondern 
das Solidaritätsgefühl der Aerzte wird sie hindern, gegen 
die genannten Beschlüsse zu handeln, und so wird hoffentlich 
die allgemeine Aerzteversammlung ein Bild der Einintithigkeit 
bieten, wie es dem Ernste der Situation entspricht, in der sich 
die Aerzte befinden. ms. 


Notizen. 

Wien, 1. November 1902. 

(Universitäten achrichten.) Dr. Alexander Pilcz hat 
sich für Psychiatrie und Neurologie und Dr. Oscar Stoerk für 
pathologische Anatomie an der Universität in Wien habilitirt. — 
Die Privatdocenten Dr. M. Michaelis und Dr. P. Jacob in Berlin 
haben den Professortitel erhalten. 

(Versammlung der Zahnärzte.) Am 25. October hat 
in Wien eine Zahnärzte-Versammlung stattgefunden, zu welcher 
fast sämmtliche Vertreter der Zahnheilkunde in Wien, sowie zahl¬ 
reiche Zahnärzte aus Provinzstädten Oesterreichs erschienen waren. 
Gegenstand der Verhandlung war „der derzeitige Stand der zahn¬ 
ärztlichen Frage“. Der Referent, Zahnarzt Dr. Weiser, erstattete 
darüber Bericht, daß die Regierung, im Gegensätze zu den Be¬ 
stimmungen der Gesetze, den Stand der concessionirten Zahntechniker 
auf Kosten der Aerzte großgezogen habe; es sei die begründete 
Befürchtung vorhanden, daß die Regierung, im Widerspruche mit 
sämmtlichen ärztlichen Corporationen und mit den Vorschlägen des 
Aerztekammertages, den Zahnärzten einen großen Theil der Befug¬ 
nisse nehmen werde, die ihnen hatten zugestanden werden müssen. 
So würden dann über tausend Zahnärzte zu Gunsten von nicht 
ganz zweihundert Zahntechnikern geschädigt werden. Die Zahnärzte 
fordern, daß die Concessionirung des Zahntechnikergewerbes als 
selbständiges Gewerbe aufgehoben und es als ärztliches Hilfsgewerbe 
aufgestellt werde, auch solle für die Zahnärzte ein genauer Studien- 
naehweis eingeführt werden. Schließlich legte der Referent den 
Zahnärzten nahe, das Gewerbe der Zahntechnik schleunigst anzu¬ 
melden. Die Anträge des Referenten wurden angenommen. 

(Scharlachserum.) Um die wissenschaftliche und die 
praktische Erprobung des Scharlachserums in wirksamer Weise 
durchführen zu können, hat das Ministerium des Innern die Statt¬ 
halterei in Wien angewiesen , dafür Vorsorge zu treffen , daß die 
Polizei- und städtischen Aerzte , sowie die Wiener Krankenhaus- 
directiouen dahin instruirt werden, die rasche Abgabe spitals¬ 
bedürftiger Scharlachkranker schulpflichtigen Alters an die Klinik 
für Kinderkrankheiten der Wiener Universität (St. Anna-Kinder- 
spital) zu veranlassen; schwere Scharlachfälle sind dabei besonders 
zu berücksichtigen. 

(Aus den Vereinen.) Der Margarethener Aerzteverein 
hat in seiner Plenarversammlung vom 24. October beschlossen, den 
Verband der Aerzte dringlich zu ersuchen, die Regelung der un¬ 
haltbaren Verhältnisse an den Ambulatorien — insbesondere des 
k. k. allgemeinen Krankenhauses und der privaten Ambulatorien 
— endlich energisch zu veranlassen. 

(Maßregeln gegen dieTuberculose.) Das Justizmini¬ 
sterium hat zur wirksamen Durchführung des kürzlich erfolgten 
Erlasses des Ministerpräsidenten als Minister des Innern sämmtliche 
Gerichtsvorstände und Staatsanwälte angewiesen, in kurzer Zeit 
Anträge bezüglich nothwendiger Neuerungen vorzulegen und dabei 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 44. 


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jene Maßregeln anzoführen, die für Locale, wo viele Personen bei¬ 
sammen sind, Verhandlungssäle, Warteräume etc. getroffen wurden 
oder getroffen werden sollen. Die bei den Gerichten internirten 
Untersuchungshäftlinge und Strafgefangenen sind bei Prüfung ihres 
körperlichen Zustandes speciell auf Tuberculose zu untersuchen 
und demgemäß stets zu überwachen. Die erwiesenermaßen an 
Tuberculose Leidenden müssen getrennt von den übrigen Häftlingen 
internirt werden. In Fällen, in denen wegen Raummangels eine 
solche Trennung schwer durchzuführen ist, haben die Amtsvor¬ 
stände Vorschläge für die nöthigen Adaptirungen zu erstatten. In 
Ausführung dieser Verordnungen des Justizministeriums wird das 
Wiener Landesgericbt in Strafsachen die Spucknäpfe des Gefangen¬ 
hauses mit Lysol füllen und in den Sälen und auf den Gängen 
Verbote des Spuckens auf den Boden affichiren. 

(Militärärztliches.) Gen.-St.-A. Dr. Teindl ist in den 
Ruhestand getreten und hat bei diesem Anlasse das Officierskreuz 
des Franz Joseph-Ordens, Gen.-St.-A. Dr. Fß. Kappeller zu Oster¬ 
und Gatterfeld bei dem gleichen Anlasse den Orden der eisernen 
Krone ILI. CI. erhalten; Ob.-St.-A. I. CI. Dr. K. Sperlich hat bei 
dem gleichen Anlasse den Generalstabsarztens-Charakter ad honores und 
den Orden der eisernen Krone III. CI., Ob.-St.-A. I. CI. Dr. K. Klein 
den Generalstabsarztens-Charakter ad honores und den Orden der eiser¬ 
nen Krone III. CI. erhalten ; dem Ob.-St.-A. I. CI. Dr. Josef Schoebel 
wurde der Ausdruck der Allerhöchsten Zufriedenheit bekanntgegeben. 
— Transferirt wurden: Ob.-St.-A. I. CI. Dr. F. Mautendorfer, Sunitäts- 
clief des 1. Corps, in gleicher Eigenschaft zum 11. Corps ; Ob.-St.-A. 
I. CI. Dr. Jos. Jeglinger, Sanitätschef des 10. Corps, in gleicher Eigen¬ 
schaft zum 4. Corps; Ob.-St.-A. II. CI. Dr. Phil. Peck zum Reichs¬ 
kriegsministerium. — St.-A. Dr. Th. Zapalowicz wurde mit Warte¬ 
gebühr beurlaubt. — Ernannt wurden : Zum Sanitätschef des 1. Corps 
Ob.-St.-A. I. CI. Dr. Al. Brutmann ; zum Sanitätschef des 10. Corps 
Ob.-St.-A. I. CI. Dr. Max Pauk; zum Commandanten des Garnisons- 
spitale Nr. 14 in Lemberg Ob.-St.-A. I. CI. Dr. Ign. Link.— Das Ritter¬ 
kreuz des Franz Joseph-Ordens erhielt Ob.-St.-A. I. CI. Dr. Anton 
Weiss, das goldene Verdienstkreuz mit der Krone Reg.-A. Dr. Anton 
Wagner. 

(MedicinischerC-ongreß inCairo.) Wie wir von ver¬ 
trauenswürdiger Seite erfahren, ist die Cholera in Cairo bereits 
vollständig erloschen und ihr gänzliches Verschwinden in Egypten 
nach Analogie früherer Erfahrungen vor Ende des laufenden Monats 
mit Sicherheit zu erwar!en. Eine Beeinträchtigung des am 19. bis 
23. December in Cairo stattfindenden' medicinischen Congresses 
durch die Epidemie kann danach als ausgeschlossen betrachtet 
werden. 

(Umbau des St. Anna-Kind erspitales.) Der Verein 
für das St. Anna-Kinderspital hat, um einem dringenden Bedarfe 
nachzukommen, beschlossen, einen Th eil des Anstaltsgebäudes voll¬ 
ständig umbauen zu lassen. Da in diesem Gebäude auch die Klinik 
für Kinderkrankheiten untergebracht sein wird, hat die Unterrichts¬ 
verwaltung zu diesem Zweck ein unverzinsliches Darlehen von 
mehreren hunderttausend Kronen bewilligt, das in dreißig Jahren 
zurückerstattet werden soll. Das Unterrichtsministerium bezahlt 
auch für die Räume der Klinik eine entsprechende Miethe. Das 
Gebäude wird im Souterrain die Küchen, Laboratorien und Wasch¬ 
räume enthalten ; im Erdgeschoß werden sich die Aufnahmskanzlei 
sowie die Verwaltungsräume und die Säle für die ambulatorische 
Behandlung, im ersten Stock die Säle für interne Krankheiten, im 
zweiten Stock für chirurgische Fälle sowie die Operationssäle be¬ 
finden. Der Bau soll im Frühjahr beginnen. Während der Bau¬ 
periode wird nur eine ambulatorische Behandlung kranker Kinder 
erfolgen. 

(Hygienisches.) Die Statthalterei in Triest hat zur Ver¬ 
hütung der Einschleppung von Ankylostomiasis durch aus Brasilien 
zurückkehrende Auswanderer Folgendes angeordnet: Untersuchung 
der aus Brasilien heimkehrenden Arbeiter im Falle des Auftretens 
verdächtiger Symptome (Anämie, Verdauungsstörungen, Koliken, 
Erbrechen), namentlich die Untersuchung des Stuhles auf Ankylo- 
stomumeier, Anzeige der constatirten Krankheitsfälle an die Statt¬ 
halterei , Abgabe der Erkrankten au eine Krankenanstalt, Desin- 
fection der vom Kranken stammenden Dejecte und benützten Aborte, 


eventuell auch die Desinfection der benützten Leib- und Bettwäsche, 
sowie anderer Gebrauchsgegenstände. Die Personen der Umgebung 
des Kranken sind über die Gefahr der Aufnahme des Eingeweide¬ 
wurmes durch inficirtes Wasser, solche Nahrungsmittel, sowie über 
die Nothwendigkeit des Waschens der Hände vor jeder Mahlzeit 
zu belehren. 

(M e d ici n 8 tu diu m d er Fr au en in Rußla n d.) Im weib¬ 
lichen medicinischen Institut zu St. Petersburg finden in diesem 
Jahre — wie der „Deutschen Med. Ztg.“ gemeldet wird — zum 
erstenmal die Prüfungen zu Erlangung des Arztgrades statt. Es haben 
sich 112 Zuhörerinnen zum Examen gemeldet. Neu aufgenommen 
in das Institut sind diesmal 300 Zuhörerinnen, so daß mit diesen 
zusammen die Gesammtzahl der Zuhörerinnen 412 beträgt. Der 
Andrang soll so groß gewesen sein, daß fast nur Inhaberinnen 
goldener Medaillen Aufnahme haben finden können. Ausnahmen 
sind nur mit solchen Aspirantinnen gemacht worden, die schon. 
3—5 Jahre auf die Aufnahme gewartet haben. 

(Statistik.) Vom 19. bis inclusive 25. October 1902 wurden in 
den C i vilspitälern Wiens 6850 Personen behandelt. Hievon wurden 1380 
entlassen; 138 sind gestorben (9 09% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 97, egypt. 
Angenentzündung 3, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 3, Dysen¬ 
terie—, Blattern—, Varicellen 53, Scharlach 41, Masern 153, Keuchhusten 30, 
Rothlauf 37, Wochenbettfieber 6, Rötheln 1, Mumps 6, Influenza 1, follicul. 
Bindehaut-Entzündung—, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand—, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 486 Personen gestorben 
(— 111 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) In Wien ist am 29. d. M. im jugendlichen 
Alter von 31 Jahren Dr. J. S. Senz, bekannt durch seine Theilnahme 
am Boerenkriege und durch seine Berichte über seine Erlebnisse 
in Südafrika, gestorben. — Ferner sind gestorben: In Greifswald 
der Chemiker Professor Dr. Hugo Schwanert, 74 Jahre alt; in 
Dessau der Geh. San.-Rath Dr. Moritz Fraenkel im Alter von 
86 Jahren; in Basel der dortige Ohrenarzt und Privatdocent 
Dr. Anton Schwendt; in Kiel der a. o. Professor der gerichtlichen 
Medicin Geh. Med.-Rath Dr. J. Bockendaql, 76 Jahre alt; in 
New-York der Orthopäde Dr. Abel Mix Phelps. 

Im Wiener medico-mechanischen Zander-Institut hat die Leitung der 
orthopädischen Abtheilung Herr Dr. Oskab v. Hovobka übernommen. 

Hernuva-Pastillen Korwill. Das bei Gonorrhoe, Cystitis etc. verordnete 
Decoct aus Herba Herniariae und Fol. Uvae Ursi hat den Nachtheil, daß der 
Patient, der sein Leiden vor den Haushaltungsgenossen womöglich verheim¬ 
licht, den unangenehm schmeckenden Thee selbst bereiten muß und die nöthigen 
Utensilien häufig nicht zur Hand hat. 

Die vom Apotheker Korwill, Mohrenapotheke, Wien, I., Tuchlauben 27, 
in Verkehr gebrachten „Hernuva-Pastillen Korwill“ sollen den erwähnten Uebel- 
ständen abhelfen. 

Eine Pastille mit Chocoladeüberzug enthält circa 0'25 Extr. Hern, et 
Uv. Urs. aquos, d. i. jene Menge, welche einer Schale des aus diesen Kräutern 
bereiteten Tliees entspricht. 

Die Hernuva-Pastillen Korwill werden nur über ärztliche Verordnung 
abgegeben und werden ohne Chocoladeüberzug auch in Verbindung mit 0'5 Natr. 
salicyl., 0'5 Salol, 0'5 Urotropin, 0'5 Hexamethylentetramin (chemisch identisch), 
jedoch billiger als Urotropin, in der Mohrenapotheke vorräthig gehalten. 

Da das Decoct, welches durch die Hernuva-Pastillen substituirt, warm 
getrunken wird, so sollen auch die Pastillen nicht im Wasser gelöst, sondern 
unmittelbar vor dem Genuß warmer Flüssigkeiten (wie Milch , Thee , Kaffee, 
Suppe etc.) genommen werden. 


Das November-Avancement. 

Ernannt wurden: 

I. Im militärärztlichen Officierscorps. 

zu Generalstabsärzten I. Classe: die OStAe. I. CI.: DDr. F. Mauten¬ 
dorfer und J. Jeglinger: 

zu Oberstabsärzten I. Classe: die OStAe. II. CI.: DDr. P. Myrdacz, 
J. Schöfer, R. Laska, E. Pokorny, F. Kraus, R. Spiegel, A. Zerbes, 
F. Jaeggle, I. Hermann, E. Emmer, H. Hartraann; 

zu Oberstabsärzten II. Classe: die St Ae. DDr. W. Edlen v. Mosing, 
J. Schlauf, F. Glaßl, F. Maurer, A. Holler, A. Tabolar, A. Barta, 
F. Czerwenka, J. H ön igsch m ie d, J. Martinovsky, F. Tschauner, 
C. Kreutzer, A. Lingsch, J. Debert, B. Longchamps de Berier, 
Z. R. v. Juchnowicz-Hördynski und ß. Majewski; 

zu Stabsärzten: die RAe. I. CI.: DDr. S. Stanowski, L. Berko- 
vits, S. Remi, J. Rottenberg, A. Markei, A. Eckmann, P. Bleicher, 
A. Wirth, A. Wagner, A. Majewski, S. Taussig, S. Heller, 


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1902. 


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2012 


J. Lederer, A. Mattuska, J. Suk, J. Cer vice k, J. Vlcek, J. Hladik, 

V. Fogarassy v. Fogaras; 

zu Regimentsärzten I. Classe: die RAe. II. CI.: DDr. Z. Nedorost, 

A. Thebusz, L. Wolf, J. Janak, K. Bubenicek, A. Jerzabek, 
F.-Valek, M. Gregoric, F. Havelka, R. Souz, K. Ungar, W. Hejma, 
St. v. Mosing, J. Potocek, W. Mista, E. Egger, E.Strisch, L. Popper, 
J. Reif, F.Busch, L. Freisinger, K. Turnau Edl. v. Dobczyce, 
J. Zini, 0. Schipek, A. Ylach, E. Rüdiger, E. Roth; 

zu Regimentsärzten II. Classe: die OAe.: DDr. L. Kacerobsty, 

A. Gargulinski, J. Schatz. F. Tintner, E. Gänger, A. Noca, 

B. Skramlik, F. Mayer, F. Hradek, G. Knall, M. Pick, E. Heilig, 
Th. Havel, W. Dluzynski, G. Melchior, G. Nedeczky de Nedecz, 
L. Schwab, E. Wimmer, M. Swaton, F. Krestan, lg. Kluka, 
F. Libansky, J. Zitnik, Arth. Stoehr, N. Münz, N. Nürnberger, 

W. Beranek, G. Konpasek, K. Trojatczek, F. Posedel, G. Vereß, 
J. Husak und M. Jeläca. 

II. Im marineärztlichen Officierscorps. 

zum Admiral-Stabsarzte der Marine-OStA. 1. CI.: Dr. E. Grober; 
zum Marine-Oberstabsarzt II. Classe: der Marine-StA.: Dr. A. Steiner; 
zum Marine-Stabsarzt: der Linienschiffsarzt: Dr. J. Okuniewski: 
zu Linienschiffsärzten: die Fregattenärzte: DDr. J. Krok, H. Zech- 
meister; 

zu Fregattenärzten: die Corvettenärzte: DDr. K. Domalip, K. 
Pel ikan. 

III. Im landwehrärztlichen Officierscorps. 

zu Stabsärzten II. Classe: die St Ae.: DDr. A. Kropsch, H. Reiß; 
zu Stabsärzten: die RAe. I. CI.: DDr. J. Burkl, St. Lech; 
zu Regimentsärzten II. Classe: die OAe.: DDr. Cb. Sternbach, 

C. Hofmokl, J. Wodniecki, C. Gerus, R. Bernert, B. Baranski, 
H. Kloyzy. 


Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 ^ = 60 Pf. mit 
Postversendung. Die Preise derElnbanddeoken sind folgende: für die „Med. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
„Therapie der Gegenwart“: K 1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Postversendung. 

Die Rubrik: „Erledigungen , ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite, 

MT Wir empfehlen diese Rubrik der speolellen Beachtung unserer 
geehrten Leser; in derselben werden öfters — neben der Publioation von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auch für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein können, welche an eine 
Aenderung des Domicils oder ihrer Verhältnisse nicht gedacht haben. 


Herr Dr. W. Huber, Communalarzt za Herzogsdorf, schreibt: 

„Mit Kufeke’s Kindermehl“ habe ich mannigfache Versuche 
gemacht und bin damit sehr zufrieden. 

1. Hat selbes einen großen Nährwerth und wird von allen 
Kindern, welche, besonders am Lande, durch vielfachen Mehl- und 
Grießbreimißbrauch in ihrer Ernährung arg beeiuträchtigt werden, 
bestens vertragen. 

2. Leistet es, nur mit Wasser gekocht, bei den hierorts 
häufig vorkommenden Magen- und Darmkatarrhen die 
besten Dienste. 


Eingesendet. 

Wir erlauben uns biemit zur Kenntniß zu bringen, daß nach den uns 
von unserem Anwälte Herrn Dr. Theodor Schuloff , Hof- und Gerichtsadvo¬ 
katen in Wien, gemachten Mittheälungen das hohe k. k. Handelsministerium 
mittelst Entscheidung vom 4. Mai 1901 die Löschung der bisher zu Gunsten 
einer deutschen Fiima für reines Wollfett eingetragenen österreichischen 
Wortmarke 


3. Wird selbes anstandslos und mit Vorliebe genommen uud 
veranlaßt selbst nach längerem Gebrauche keinerlei Beschwerden, 
ist deshalb vielen ähnlichen Nährpräparaten vorzuziehen.“ 

Waare zu Versuchszwecken steht den Herren Aerzten gratis 
franco zur Verfügung. 

R. Kufeke, Wien, I., Nibelungengasse 8. 





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rheumatismus, Lumbigo) und zur Schmerz- 
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Nr. 45. 


XLIII. Jahrgang. Wien, den 9. November 1902. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint, jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen; „Allgemeine Militäiärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik', letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse“ 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutsohmeisterplatz 2. 


Wiener 


medizinische 


Abonnementcpreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Militäräi ztlicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland; Jakrl. 
20 A', halbj. io A", viertel]. 5 A". Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk., halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 AT; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien,!., Maximilianstr. 4. 


Presse. 


Begründet 1860. 


Redaction: Telephon Nr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

•-* 8 $ 8 *- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


Administration: Telephon Hr. 9104. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Mittheilungen aus dem Krankenhause in liiala. III. Darmverschluß bei Cholelithiasis. Von Dr. Josef 
Boodanik , Krankenhausdirector. — Beitrag zur Behandlung der Lungentuberculose mit besonderer Berücksichtigung des Aphthisin (Synonym: 
Guajacolum compositum Hell), einer löslichen Guajacol-Petro3Ulfol-Verbindung. Von Dr. Fhiedrich Kölbl in Wien. — Ueber Impfung gegen 
Malaria mit dem KuiiN’schen Serum iu Bosnien. Von Dr. Oskar Hovorka Edl. v. Zderas , Spitalsleiter in Tesliö, Bosnien. — Referate. 
W. P. Ohrarztzow (Kiew): Ueber die Palpation des Pylorus. — Jul. A. Grober (Jena): Der Thierversuch als Hilfsmittel zur Erkennung der tuber- 
culösen Natur plenritischer Exsudate etc. — Wilhelm Müller (Leipzig): Experimentelle und klinische Studien über Pneumonie. — Fr. Juliusberg 
(Bern): Ueber „colloide Degeneration“ der Haut, speciell in Granulations- und Narbengewebe. — Floret (Elberfeld): Mesotan, ein äußerlich 
anwendbares Antirheumaticum. — G. Nobl (Wien): Zur Histopathologie der venerischen Bartholinitis. — Balacescu (Bukarest): Die totale und 
bilaterale Resection des Sympathicus cervicalis beim Morbus Basedowii. — Otto Zuckerkandl (Wien): Ueber die sogenannte Cystitis cystica und 
über einen Fall von cystischem Papillom der Harnblase. — Ishigami (Osaka, Japan): Ueber die Cultur des Vaccine-, resp. Variolaerregers. — 
Engels (Marburg): Das ScmiMBURG’sche Verfahren der Trinkwasserreinigung mittelst Brom. — Kleine Mittheilungen. Kochsalzinfusionen in den 
Darm. — Jmprägnirte medicamentine Puder. — Magenresection zur Entfernung eines verschluckten Magenrohres. — Untersuchungen über die 
Wirkung des Thiocols und des Sirolins. — Apentawasser. — Triferrin. — Kaffee und Thee als Fällungsmittel für Gifte. — Pyrogalloltriacetat- 
(Lenigallol-)Behandlnng nichtparasitärer Hautaffectionen. — Lecithin. — Literarische Anzeigen. Das biomechanische (neo-vitalistische) Danken 
in der Medicin und in der Biologie. Von Prof. Dr. Moriz Benedikt. — Taschenbuch der Massage. Für Studirende und Aerzte. Von Dr. Erich 
Ekgren. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. Aus den Abtheilungen der 74. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. Karlsbad, 
21.—27- September 1902. (Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) VII. — Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 
(Orig.-Ber.) — K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — Notizen. Das November-Avancement der Militärärzte. — Neue Literatur. — 
Eingesendet. — Offene Correspondenz der Redaction nnd Administration. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse u gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Mittheilungen, aus dem Krankenhause in liiala. 

III. 

Darmverschluß bei Cholelithiasis. 

Von Dr. Josef Bogdanik, Krankenhausdirector. 

Es ist nicht meine Absicht, hier die Frage der chirurgi¬ 
schen Behandlung der Gallensteinkrankheit ausführlich zu 
erörtern, umso weniger, als ich darüber am Congresse polnischer 
Chirurgen im Jahre 1895 in Krakau eingehend gesprochen habe. 
Hervorbeben möchte ich nur, daß in der auf meinen Vortrag 
folgenden Discussion gerade die Internisten es waren, insbe 
sondere Prof. Gluzinski aus Lemberg und noch mehr Hofrath 
KoRCZYNSKr aus Krakau, welche sehr warm für die chirur¬ 
gische Behandlung eintraten und die Erfolge der medicamen- 
tösen Behandlung, Karlsbad u. s. w. sehr gering beurtheilten. 
Diese Ansicht war in diametralem Gegensätze zur Ansicht 
deutscher Internisten, welche am Congresse für innere Medicin 
im Jahre 1891 zum Ausdrucke kam. Ich möchte nur den 
Ausspruch Fürbrixger’s ins Gedächtniß rufen: „Noch sind die 
Resultate der Internen nicht schlecht genug und die der 
Chirurgen nicht gut genug, um ein Anrufen der letzteren in 
dem von annexionslustigen Operateuren geforderten Umfange 
zu rechtfertigen. 

In dieser Abhandlung will ich nun zwei Fälle von 
mächtigen Gallensteinen besprechen, welche im Jahre 1901 
im Krankenhause zur Behandlung kamen , ohne daß bei den 
Kranken Symptome vorhanden gewesen wären, welche die 
Diagnose der Cholelithiasis begründet hätten. Die Erkrankung 


der Gallenblase wurde in beiden Fällen erst durch die Laparo¬ 
tomie ermöglicht. 

I. Zur 67 Jahre alten, sehr entkräfteten Witwe Marie L. wurde 
ich am 12. März 1901 berufen, da sie vor zwei Tagen an heftigen 
Schmerzen im Unterleibe erkrankte. Dabei hatte sie Erbrechen, 
weder Stuhl noch Winde. Bei der Untersuchung fand ich den 
Leib gleichmäßig aufgetrieben, tympanitisch. Bei der Palpation lag 
ein quer oberhalb des Nabels verlaufender beweglicher Wulst vor. 
Der ganze Unterleib war empfindlich, eine größere Schmerzhaftig¬ 
keit war iu der Lebergegend nicht nachweisbar. Pat. litt auch nie an 
Icterus oder Schmerzen in der Gallenblasengegend. Ich diagnosticirte 
Peritonitis und hielt den Wulst für eine Invagination; infolge dessen 
wurde die Kranke am nächsten Morgen ins Krankenhaus über¬ 
führt und sofort operirt. 

In der Linea alba wurde in die Bauch lecken Cocain injicirt und 
da fand ich, daß der Wulst, welcher tags vorher die Richtung des 
Colon tran8versum einnahm, nun parallel der Längsachse des 
Körpers stand und noch mehr beweglich war. Ich eröffnete die Bauch¬ 
höhle in der Mittellinie und fand die Gedärme gleichmäßig auf¬ 
getrieben, das Peritoneum stark injicirt , in der Bauchhöhle etwas 
seröse Flüssigkeit. Mit der in die Bauchhöhle eingeführten Hand 
fand ich nirgends ein Hinderniß und als ich den durch die Bauch¬ 
decken gefühlten Wulst näher untersuchte, zeigt e8 sich, daß es 
die vergrößerte, vorwiegend nach unten ausgedehnte, dickwandige 
Gallenblase ist, in welcher ein harter Körper za fühlen war. Ich 
eröffnete die Gallenblase, worauf sich mit Eiter und Schleim ge¬ 
mengte Galle entleerte. Die Wand der Gallenblase war nahezu 
1 Cm. dick und der in die Cyste eingeführte Finger erreichte 
einen eingekeilten Stein. Ich entfernte den Stein, welcher 4*5 Cm. 
lang war und einen Durchmesser von 2'2 Cm. hatte. Um die Operation 
rasch zu beenden, schloß ich die Wunde in der Gallenblase durch eine 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 45. 


2028 


doppelreihige Naht aus Carbolcatgut und versenkte die Blase in 
die Bauchhöhle. Etagennaht der Bauchwunde. Die Operation und 
auch der Verband waren aseptisch. 

Der weitere Verlauf ließ nichts zu wünschen übrig. Die 
Schmerzen haben nachgelassen, am nächsten Morgen entleerte die 
Kranke Stuhl und Winde, die Temperatur betrug nur einmal am 
nächsten Tage nach der Operation 37*8° C. Nach einer Woche, 
d. i. am 20. März, wurde beim ersten Verbandwechsel die Haut¬ 
naht entfernt. Prima intentio. Wegen Decubitus über dem Kreuz¬ 
beine mußte jedoch die Kranke bis zum 10. April im Kranken¬ 
hause verbleiben. 

II. Der 40jährige Josef S. wurde am 28. August 1901 mit 
der Diagnose Ileus ins Spital gebracht. Der ihn behandelnde Arzt 
theilte mit, daß der Kranke am 22. August vom Zweirade gestürzt sei 
und sich dabei Contusionen zugezogen habe. Am 25. August stellten 
sich Unterleibsschmerzen ein mit Erbrechen, Stuhl und Windverhaltung, 
Singultus. Er erbrach anfangs Galle, jetzt Kothmassen. Bei der 
Aufnahme war der Kranke collabirt, der Unterleib stark und 
gleichmäßig aufgetrieben, nirgends eine größere Resistenz zu fühlen. 
Symptome einer Gallensteinerkrankung waren nie vorhanden, wurden 
auch nach der Operation vom Kranken sowohl, als auch vom be¬ 
handelnden Arzte in Abrede gestellt. Weil der Zustand des Kranken 
eine sofortige Operation erheischte, da die Diagnose von Darm¬ 
verschluß bestätigt werden konnte, wurde der Kranke sofort 
(28. August) operirt. 

Schnitt in Linea alba unterhalb des Nabels, worauf stark 
aufgetriebene und injicirte Darmschlingen vorfielen. Um ihre Repo¬ 
sition und die Untersuchung der Bauchhöhle zu erleichtern, punktirte 
ich den Dünndarm mit einem dicken Troicart und entleerte copiöse 
Mengen mit Gasen vermengten Darminhaltes. Die Dünndarmwunde 
vernähte ich nach Lembert mit Carbolcatgut. Mit der in die 
Bauchhöhle eingeführten Hand konnte ich beim Untersuchen der 
Darmschlingen kein Hinderniß finden, constatirte aber hyper¬ 
trophstes Netz. Ich erweiterte nun die Wunde nach oben rese- 
cirte das hypfertrophirte Netz und erreichte nun die stark ver¬ 
größerte, dickwandige Gallenblase. Da ich die schon nahezu zwei 
Stunden dauernde Operation beenden mußte, legte ich im rechten 
Hypochondrium eine Gallenblasenfistel an und schloß durch eine 
Etagennaht die Wunde in den Bauchdecken. Die Operation wurde 
aseptisch ausgeführt, die Wunde mit Jodoformgaze verbunden. Aus 
der Fistel entleerte sich galligeitrige Flüssigkeit. 

Am Tage nach der Operation hat der Kranke noch er¬ 
brochen, kein Stuhl, noch Winde, das Allgemeinbefinden war gut. 
Meteorismus sehr gering. Die Temperatur stieg nur am 4. Tage 
bis 38'5° C., um dann rasch zu sinken. Erbrechen hörte am 4. Tage 
auf, nach einem Klysma Gazeentleerung, später spontaner Stuhl. Der 
mit Galle durchtränkte Verband wurde jeden zweiten Tag erneuert, 
die Wunden heilten glatt. Aus der Fistel schlüpfte ab und zu ein 
Steinchen heraus. Da sich die Fistel trotz Auffrischung der Wund¬ 
ränder und Lapisirung nicht schließen wollte, schritt ich am 
16. September nochmals zur Laparotomie. 

Ich löste die Gallenblase von den Bauchdecken los und fand 
nun einen großen, in der Blase eingebetteten Stein. Ich entfernte 
ihn UQd resecirte die Gallenblase. Der Stein ist von kugeliger 
Gestalt, 2’/ 2 Cm. im Durchmesser, und es saßen ihm vier kleine 
Steinchen auf. Die Wunde in der Gallenblase wurde mit Carbol¬ 
catgut geschlossen. Etagennaht der Bauchwunde. Operation und 
Verband aseptisch. Nach der Operation war durch 2 Tage galliges 
Erbrechen, kein Stuhl, keine Winde. Das Erbrechen hörte erst am 
3. Tage auf, nachdem der Kranke auf ein Klysma von 150 Grm. 
Glycerin eine Entleerung hatte. Am 4. Tage wurde der Verband 
zum erstenmale gewechselt, auf der Gaze war ein kleinwenig 
gallige Flüssigkeit, die Wunde rein, kein Meteorismus. Die Nähte 
wurden am 28. October entfernt, es blieb eine kleine Fistelöffnung 
zurück, aus welcher sich hie und da einige Tropfen, manchmal 
etwas mehr galligeitriger Flüssigkeit entleerte. Am 31. October ver¬ 
ließ Pat. das Spital. 

In diesem Falle war es mir selbst nicht ganz klar, 
ob sich etwa die Kuppe der resecirten Gallenblase an die 
Bnuchwnnde anlegte und etwas Eiter nach außen entleerte, 


oder ob nicht etwa in die Bauchwunde eingeheilte Reste der 
von der Cystostomie zurückgebliebenen Gallenblase Galle ent¬ 
leerten. Es könnte vielleicht so sein, da z. B. auch ausgeschaltete 
und in der Bauchhöhle zurückgebliebene Darmschlingen fäcale 
Flüssigkeit absondern. Diese Frage will ich hier nicht näher 
erörtern, betonen muß ich nur, daß eine Communication zwi¬ 
schen der Gallenblase und der Bauchhöhle ausgeschlossen war. 

Diese zwei Fälle überzeugten mich, daß in der Gallen¬ 
blase recht umfangreiche Steine sitzen können , ohne die be¬ 
kannten Symptome der Gallensteinkrankheit hervorzurufen. In 
ihrem Gefolge können aber alarmirende Symptome eines 
acuten Darm Verschlusses auftreten, welche die sofortige 
Laparotomie erheischen. In beiden Fällen habe ich vor der 
Operation die Cholelithiasis nicht diagnosticirt; ja der Be¬ 
fund im ersten Falle rechtfertigte die Diagnose einer acuten 
Invagination am ehesten; im zweiten Falle konnte nur Ileus 
constatirt werden ohne nähere Angabe seiner Ursache. Beide 
Fälle lassen sich jedoch für Anhänger der frühzeitigen Opera¬ 
tion verwenden. Es ist wohl zweifellos, daß bei dem acuten 
Auftreten ein tagelanges Zuwarten das Leben der Kranken 
gefährdet hätte. Diese zwei Fälle unterstützen auch die An¬ 
sicht derjenigen Operateure, welche bei Symptomen von Darm¬ 
verschluß eine sofortige Operation ohne Sicherstellung der 
Diagnose wünschen. Soll man nun aber nicht auch in Fällen 
von diagnosticirter Gallensteinkrankheit rechtzeitig zur Opera¬ 
tion zurathen? Ich glaube, daß es nichts mehr als billig 
wäre. Wenn wir nun schon allgemein die Radicaloperation 
freier Hernien rathen, wenn wir jetzt schon fast jeden 
Wurmfortsatz reseciren möchten , so haben wir zu bedenken, 
daß doch die Gallensteinkrankheit für den Träger mit weit 
größeren Beschwerden verbunden ist. Und es wird doch jeder 
zugeben, daß die Operation an der Gallenblase, deren Wand 
noch nicht entzündet erscheint, auch unvergleichlich harmloser 
ist wie z. B. in meinen beiden oben beschriebenen Fällen. 

Für die Gegner des operativen Einschreitens habe ich 
gleichfalls einen Fall aus der Privatpraxis anzuführen, welchen 
ich hier nur ganz kurz beschreibe. Im Jahre 1887 wurde ich 
zu einer 56 Jahre alten Frau berufen, bei welcher ich einen 
acuten Darmverschluß diagnosticirte. Die Symptome wichen, 
als sie nach 8tägiger Krankheit unter wehenartigen Schmerzen 
einen Gallenstein von der Höhe von 3 s /t Cm. und 3 Cm. im 
Durchmesser entleerte. Die Frau lebt noch heute und hat 
keinerlei Symptome einer Gallensteinerkrankung. 

Nachdem vorliegende Arbeit schon der Redaction über¬ 
geben worden, veröffentlichte Karewski in der „Deutschen 
medicinischen Wochenschrift“ eine Arbeit über Gallenstein- 
ileus. Er beschreibt fünf Fälle von Ileus, welchen große in 
den Darm gerathene Gallensteine verursachten. Die Diagnose 
wurde in einem Falle erst gestellt, als der Stein per rectum, 
wie in meinem Falle, abging. In drei Fällen wurde die Dia¬ 
gnose bei der Laparotomie, im letzten durch die Autopsie 
ermöglicht. 


Beitrag zur Behandlung der Lungen- 
tuberculose 

mit besonderer Berücksichtigung des Aphthisin (Synonym: 
Guajacolum compositum Hell), einer löslichen Guajacol- 
Petrosulfol-Verbindung. 

Von Dr. Friedrich Kölbl in Wien. 

Es ist unzweifelhaft, daß nicht sehr ausgedehnte tuber- 
culöse Krankheitsherde in den Lungen von selbst vollständig 
ausheilen können. Diese Erfolge der Natur durch eine ziel¬ 
bewußte Behandlung zu erreichen, war seit langem das 
Bestreben der Heilkunst, und den vereinten Bemühungen 
vieler Aerzte und Forscher haben wir es zu verdanken, daß 
wir heute der Lungentuberculose nicht mehr ganz machtlos 
gegen übersl eben. 


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2029 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 45 


2030 


Wir wissen, daß wir in einer Anzahl von Fällen auf 
Heilung rechnen können, wenn die Kranken im Anfangs¬ 
stadium der Krankheit einer methodischen Behandlung unter¬ 
zogen werden. Die Behandlung der Lungen tuberculose kann 
sich einerseits gegen die Krankheit selbst, bezw. gegen die 
Ursache derselben richten, andererseits kann sie aber auch 
die Disposition zu dieser Krankheit bekämpfen. Die erstere 
Behandlungsmethode wäre eine specifisch-medicamentöse und 
ätiologische, während die letztere als eine hygienisch-diätetische 
oder abhärtende zu bezeichnen ist. Ein specifisch wirkendes 
Heilmittel gegen die Lungentuberculose haben wir bis jetzt 
noch nicht und auch die Bekämpfung der Ursache der Krank¬ 
heit — eine ätiologische Therapie — hat nicht den gehegten 
Erwartungen entsprochen. 

Diejenige Behandlungsmethode der Lungentuberculose, 
welche wir gegenwärtig als die beste anerkennen, und welche 
un9 die größte Zahl von Besserungen und Heilungen ergibt, 
ist die hygienisch-diätetische oder abhärtende. 

Die Elemente dieser Behandlungsmethode sind: Ein 
geeignetes Klima mit guter, staubfreier Luft, Abhärtung, 
reichliche Ernährung und Bewegung, ferner die Anwendung 
gewisser Medicamente, welche diese Behandlung unterstützen 
und erleichtern. 

Seit jeher ist man der Ansicht, daß Lungenkranke mit 
Vortheil ein anderes Klima aufsuchen müssen, und schickt 
dieselben sowohl in das Gebirge, in die Höhencurorte, als 
auch an das Meer, nach dem Süden. Die Anschauung, daß 
in diesen Gegenden die Tuberculose in geringerem Grade 
oder gar nicht vorkommt, ist nicht stichhältig ; denn sowohl 
in den Hochgebirgen der Schweiz, als auch an den Ufern 
des adriatischen und mittelländischen Meeres findet man unter 
den Einheimischen Tuberculose jeden Grades. Auch das vielfach 
gesuchte und gerühmte Klima Egyptens gibt keine Immunität 
gegen Tuberculose. Der günstige Einfluß des Klimas liegt 
vielmehr im Süden in der gleichmäßigen Warme, an der 
See in der feuchten, staubfreien Atmosphäre, in den stärken¬ 
den Seebädern und im Gebirge in der reineren, sauerstoff¬ 
reicheren Luft und in der erst in neuerer Zeit erkannten 
Wirkung auf das Blut, welches reicher an rothen Blut¬ 
körperchen wird. Außerdem kommt als wichtiger Factor in 
Betracht die an diesen Orten curgemäß geänderte, regelmäßige 
Lebensweise , welche bekanntlich daheim fast niemals zu 
erzielen ist. Die Aenderung des Klimas selbst ist weder ein un¬ 
bedingtes Erforderniß der Heilung, noch ein sicheres Heilmittel. 

In der That wissen wir, daß viele Tuberculose, welche 
längere Zeit in einer unserer heimischen Gebirgsgegenden 
verweilten, ebensolche Besserungen ihres Zustandes erzielten 
wie Kranke, welche sich am Meere oder im Süden aufgehalten 
haben. Für viele Kranke ist es sogar von großem Vortheil, 
wenn sie ihre Heilung in einem Klima suchen, welches dem 
ihres ständigen Aufenthaltes ähnlich oder gleich ist. Die 
meisten Kranken verbringen doch nur einen Winter im Süden 
und empfinden dann, zurückgekehrt in ihre kältere Heimat, 
die rauhere Jahreszeit viel unangenehmer und sind viel mehr 
der Gefahr der Erkältung ausgesetzt, als in der Zeit vor 
ihrer Erholungsreise, so daß ein großer Theil des oft theuer 
erkauften Erfolges bald nach der Rückkehr in die Heimat 
verloren geht. 

Es ist darum sehr wichtig, daß die Tubereulösen in 
demselben Klima behandelt und geheilt werden, in welchem 
sie später zu leben und zu arbeiten haben. Wir können ihnen 
auch in der Heimat, in der Nähe ihrer Angehörigen genug 
Gebirgsgegenden in schönen, vor Wind geschützten Lagen 
mit reiner Luft, ausgedehnten Wäldern und frischen Flu߬ 
bädern bieten. 

Das Wesentliche ist, daß die Lungenkranken dem mörde¬ 
rischen Kohlen- und Straßenstaube der Städte entzogen und 
in reine Luft gebracht werden. 

Eine Luft, welche heilbringend sein soll, muß natürlich 
möglichst rein und frei von Staub, Rauch und Nebel sein. 


Sie soll ferner bewegt, aber ohne zu große Temperatur¬ 
schwankungen und Stürme sein. Besonders die Abendtempe¬ 
ratur darf nicht zu tief und zu rasch sinken. 

Die Kranken, von denen manche erst langsam an die 
frische Luft gewöhnt werden müssen, sollen sich ohne Furcht 
vor Erkältung viel im Freien bewegen, bei jedem Wetter 
ausgehen, bei halboffenem Fenster schlafen, im Freien stunden¬ 
lang liegen, überhaupt womöglich den ganzen Tag in der 
Luft zubringen und eine sogenannte Dauerluftcur durch¬ 
machen. Hervorragende Unterstützungsmittel dieser Abhärtung 
durch Luft sind außer der vernünftig angewendeten Hydro¬ 
therapie in Form von kalten Waschungen oder täglichen 
kurzen kühlen Bädern noch körperliche Bewegungen, wie 
längeres langsames Gehen, mäßiges Bergsteigen, also eine 
leichte Terraincur, ferner Schwimmen, Rudern, Radfahren, 
Turnen etc. Durch eine solche methodische Abhärtung soll 
der Organismus die Krankheit nicht nur leichter ertragen, 
sondern sie auch überwinden und endlich dauernd von ihr 
befreit bleiben. In diesem Punkte ist die hygienisch-diätetische 
Behandlung auch jeder specifischen Therapie überlegen und 
wird, auch im Falle, daß es uns gelingen sollte, eines wirk¬ 
lichen Specificums gegen Tuberculose theilhaft zu werden, eine 
bedeutende Rolle in der Therapie dieser Krankheit beibehalten. 

Ein großes Gewicht wird heutzutage auf die rationelle 
Ernährung der Tuberculösen gelegt. Es hat sich nämlich 
gezeigt, daß sich Tuberculose besser befinden, wenn sie an 
Gewicht zunehmen, dagegen schlechter, wenn sie abnehmen. 
Die Ernährung muß dem Kranken individuell angepaßt werden. 
Der Kranke muß so ernährt werden, daß er an Körpergewicht 
zunimmt, daß er ein dem gesunden Zustande entsprechendes 
Gewicht mindestens erreicht oder wenn möglich noch übersteigt. 

Früher wurden den Tuberculösen mit Vorliebe Fette 
gereicht in Form von Leberthran, fetter Milch etc., ferner 
alkoholische Getränke in größeren Mengen. Angemästetes Fett 
verleiht jedoch keinen Schutz gegen die Fortschritte der 
Krankheit; die Kranken werden durch das Dickerwerden 
schwerfälliger und das Herz wird durch Fettablagerung in 
seiner Thätigkeit beeinträchtigt. Ebenso ist übermäßiges Milch¬ 
trinken — die Ueberernährung mit Milch — contraindicirt, 
denn sie bedingt mit der Zeit atonische Magenbeschwerden. 
Es ist nämlich der größte Glücksumstand für einen Tuber¬ 
culösen, einen gesunden Magen zu haben, denn nur dadurch 
wird ihm der erfolgreiche Kampf mit der Krankheit ermöglicht. 

Unsere derzeitige Ernährungsmethode unterscheidet sich 
daher von der früheren darin. daß wir von einer forcirten 
Ernährung, bezw. von einer Mastcur absehen und kein aus¬ 
schließliches Gewicht auf die Fette legen, sondern vorzugs¬ 
weise eine gemischte Nahrung verordnen und bestrebt sind, 
die tägliche Nahrungsmenge für den Patienten so zusammen¬ 
zusetzen, daß ihr Kraftwerth den täglichen Verlust an Calorien 
übertrifft. Was die Alkoholica betrifft, so geben wir im 
Anfangsstadium der Phthise nur die an Nährstoffen verhältniß- 
mäßig reicheren Biersorten, ferner gute, reine Weine in 
geringer Menge. Bezüglich der medicamentösen Behandlung 
der Tuberculose wissen wir heute nach vielseitigen Erfah¬ 
rungen, daß dieselbe neben der hygienisch-diätetischen ganz 
und gar unerläßlich ist. 

Für die chirurgische Tuberculosebehandlung mit Aus¬ 
nahme der Lunge leistet das Jodoform so Ausgezeichnetes, 
daß wir ein anderes Medicament kaum noch bedürfen. 

Bei miliarer Tuberculose und bei galoppirender Schwind¬ 
sucht vermögen wir aber zur Zeit mit keiner Art der Be¬ 
handlung das tödtliche Ende abzuwenden oder auch nur 
sicher hinauszuschieben. 

Bei den meisten Fällen von Hals-, Lungen- und Darm- 
tuberculose bedürfen wir jedoch neben der erwähnten hygienisch¬ 
diätetischen Behandlung noch der medicamentösen. 

Wir wollen hier zunächst kurz jene Mittel erwähnen, 
welche bisher eine mehr oder weniger erfolgreiche Verwendung 
in der Behandlang der Tuberculose gefunden haben. 


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2031 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 45 


2032 


Hieher gehören vor Allem die von Koch zur „specifischen“ 
Behandlung empfohlenen Bakterienproducte in Form des 
Tuberculinum I und II; das von französischen Autoren ange¬ 
wendete Blutserum immuner Thiere und das Tuberculose- 
heilserum von Maragliano, welch letzteres besonders in Italien 
in ausgedehnter Weise und mit unleugbaren Erfolgen ver¬ 
wendet wird. Auch die Organotherapie hat sich der Tuber- 
culosebehandlung bemächtigt und unter dem Namen „Glan- 
dulen“ ein aus den Bronchialdrüsen von Hammeln gewonnenes 
Präparat in Verwendung gebracht. 

Ein von altersher gegen Tubereulose gerühmtes Mittel 
ist der Leberthran. Er wird entweder rein gegeben oder in 
Form des ViviEN’schen Extractes, welches angeblich nur die 
heilkräftigen Bestandtheile des Oeles, wie Jod, Phosphor, 
Morrhuin, Morrhuinsäure etc. mit Ausschluß der unverdau¬ 
lichen Stoffe enthalten soll. Eine Mischung von Theer (Catrame) 
und Leberthran, genannt „Catramina“, wird vielfach von 
italienischen Aerzten angewendet. Am zweckmäßigsten für die 
Leberthranbehandlung sind Natterer’s Leberthrantabletten, 
welche aus reinstem Leberthran, Cacao, Malzextract und Zucker 
bestehen und sehr angenehm zu nehmen sind. Als weitere 
wirksame Mittel wurden empfohlen gewisse Kampferarten, wie 
Alantkampfer, Helenin, Pfefferminzkarapfer, Mentol etc. 

Von Länderer wurde die Zimmtsäure, bezw. das zimmt- 
saure Natron (Hetol) in Form von intravenösen Injectionen 
in ausgedehnter Weise verwendet. 

Eine Mischung von Zimmtsäure, Perubalsam und Cognac 
wurde unter dem Namen „Perco“ empfohlen von Schmey. 

Liebreich hat das Cantharidin und das cantharidinsaure 
Natron verwendet. 

Ferner wurden angewendet das Tannin, rein und mit 
Jodkalium; das Hydrargyrum thymoloaceticum ; Inhalationen 
von Hydrargyrum bijodatum; das Jod, Jodoform, Igazol, 
Chinosol etc. 

Eine ausgedehnte Verwendung infolge seiner vorzüg¬ 
lichen Eigenschaften hat auch das Ichthyol oder Petrosulfol 
gefunden. Es wird entweder in Wasser gelöst oder in Pillen¬ 
form mit sehr guten Erfolgen gegeben. 

Eine hervorragende Verwendung findet schließlich das 
Kreosot und seine Derivate, das Kreosotcarbonat (Kreosotal), 
das Guajacol, Benzosol, Quaethol, G-uajacetin, Guajacolum 
valerianicum (Geosot), Creosotum valerianicum (Eosot), Sol- 
veol, Thiocol, Sirolin etc. 

Außer diesen wenigen erwähnten Präparaten existirt 
noch eine Unzahl anderer Mittel, welche alle zur Behandlung 
der Lungentuberculose empfohlen wurden, sich jedoch aus 
den verschiedensten Gründen nicht bewährt haben. Die bisher 
am meisten und mit den besten Erfolgen angewendeten Mittel 
sind das Guajacol und das Ichthyol (Petrosulfol). 

Es lag daher nahe, durch eine Zusammensetzung dieser 
beiden bewährten Mittel auch deren Vorzüge zu vereinen. 

Tbatsächlich hat die bekannte einheimische chemische 
Fabrik von G. Hell & Co. in Troppau eine solche Combi- 
nation des Guajacols und Petrosulfols hergestellt und unter 
dem Namen „Aphthisin“, und zwar in Syrupform und 
Kapselform, in den Handel gebracht. Um einerseits den Kranken 
die Natur ihres Leidens weniger zu verrathen, andererseits 
den Aerzten die Möglichkeit zu bieten, Aphthisin auch gegen 
nichttuberculöse Erkrankungen der Lunge zu verordnen, wurde 
in jüngster Zeit der Name Aphthisin in „Syrupus Guaja¬ 
coli compositus Hell“ als Synonym für Aphthisin in 
Syrupform, und „Capsulae Guajacoli compositae 
Hell“ als Synonym für Aphthisin in Kapselform umgeändert. 

Die Aphthisinsubstanz besteht aus 9 Theilen guajacol- 
saurem Kalium und 1 Theil petrosulfosaurem Ammonium und 
ist ein graubraunes, schwach nach Ichthyol riechendes und 
schmeckendes hygroskopisches Pulver. 

Das zur Bereitung des Aphthisin verwendete guajacol- 
sulfosaure Kalium wird nach einem besonderen patentirten 
Verfahren dargestellt. Es ist chemisch identisch mit dem 


Thiocol und hat vor dem gewöhnlichen Guajacol den Vorzug 
der Geruch- und Geschmacklosigkeit, es reizt ferner die Magen- 
und Darmschleimhaut nicht und stört daher in keiner Weise 
die Verdauung. Das Petrosulfol ist identisch mit dem Ichthyol, 
hat aber einen milderen, angenehmeren Geschmack und Geruch. 
Es wirkt günstig auf den Magen ein und die Nahrung wird 
im Körper umso besser verwerthet, als Petrosulfol den Eiweiß - 
zerfall hindert. Auch wird dem Petrosulfol eine deletäre 
Wirkung auf die Toxine des Tuberkelbacillus zugeschrieben. 
Infolge seiner Hygroskopicität kann das Aphthisin in zweierlei 
Form in Verwendung genommen werden: als Aphthisin- 
Syrup (Syrupus Guajacoli compositus Hell) und als Aphthisin- 
Kapseln (Capsulae Guajacoli compositae Hell). Es ist dies 
insoferne ein Vortheil. als darin eine gewisse Abwechslung 
in der Darreichung für jene Patienten besteht, welchen es 
schwer fällt, dasselbe Mittel in derselben Form durch längere 
Zeit einzunehmen. 

Der Syrupus Guajacoli compositus Hell besteht aus 
9'0 Aphthisinsubstanz, 45‘0 Syrupus cort. aurant., 900 Syr. 
cap. vener. und 7 50 Trae. Chin. compos. und kommt in Flaschen 
von 150 0 Inhalt in den Handel. 

Die Gelatinekapseln — Capsulae Guajacoli compositae 
Hell — enthalten 025 Aphthisinsubstanz und kommen zu 
30 Stück in Originalschachteln in den Handel. Es enthalten 
somit sowohl der Syrup als auch die Kapseln je 6% der 
Aphthisinsubstanz und es entsprechen 30 Kapseln einer Flasche 
Syrup von 150'0 Inhalt. 

Die Dosirung ist folgende: Von den Kapseln nehmen 
Erwachsene anfangs durch 8 Tage je 1 Stück, dann je 2 Stück 
2—3mal täglich; vom Syrup 1 TheelöfFel 3—4mal täglich. 
Kinder bekommen in der Kegel nur den Syrup und nehmen 
dann 1—2 TheelöfFel täglich. 

Selbstverständlich sind Abweichungen von dieser Dosirung 
je nach dem Zustande der Patienten gestattet. 

Ich habe mit Aphthisin 18 mittelschwere Fälle von 
Lungentuberculose behandelt. Zur absoluten Sicherstellung 
der klinischen Diagnose wurde auf die wiederholte bakterio¬ 
logische Untersuchung des Auswurfes auf Tuberkelbacillen 
ein besonderer Werth gelegt, und es gelang in allen 18 Fällen, 
Bacillen im Auswurfe nachzuweisen. Die vollinhaltliche Ver¬ 
öffentlichung sämmtlicher 18 Krankengeschichten würde diese 
Arbeit zu weitläufig machen; ich beschränke mich daher auf 
die Anführung einiger besonders eclatanter Beobachtungen. 

Anton R., Maler, 30 Jahre alt, seit l 1 ^ Jahren krank, Husten, 
Nachtschweiße, Appetitlosigkeit; im März 1902 Hämoptoe, Körper¬ 
gewicht 58 Kgrm. An beiden Spitzen bis zum unteren Rand der 
3. Rippe Dämpfung, rechts respiratorische Verschieblichkeit voll¬ 
ständig aufgehoben. Beiderseits verschärftes In- und Exspirium. 
Links vorne oben einzelne trockene Rasselgeräusche; rechts zahlreiche 
feuchte, dichte Rasselgeräusche ober- und unterhalb der Clavicula. 

Links hinten unten und rechts hinten unten bronchiales Athmen 
im Bereiche der Dämpfung mit zahlreichen groß- und kleinblasigen 
Rasselgeräuschen. Im Harn kein Eiweiß. Sputum reichlich, schleimig¬ 
eiterig, hie und da mit blutigen Streifen vermengt. Bakterien im 
Sputum nach Czaplewski’s Scala 3—4*1. Abendtemperatur 37‘5 
bis 38*2. Nach S'^monatlicher Aphthisinbehandlung, verbunden mit 
Landaufenthalt, konnte nur rechtsseitig eine geringe Schallver¬ 
kürzung nachgewiesen werden. Ueber beiden Spitzen verschärftes 
In- und Exspirium ohne Rasselgeräusche, sonst keine Krankheits¬ 
erscheinungen in der Lunge. Nachtschweiße, Husten und Appetit¬ 
losigkeit vollkommen verschwunden. 

Körpergewicht 61. Im spärlichen Sputum trotz wiederholter 
sorgfältiger Untersuchung keine Tuberkelbacillen. Abendtempe¬ 
ratur 36*9. 

Emma S., Private, 27 Jahre alt, seit einer vor 4 Monaten 
überstandenen angeblichen rechtsseitigen Pneumonie und Pleuritis 
Husten, Fieber, Nachtschweiße; Appetitlosigkeit, Abmagerung und 
starke Anämie. Keine Hämoptoe. 

Abendtemperatur 37'9—38 6. Rechte Thoraxhälfte bleibt beim 
Athmen zurück. Rechts vorne oben gedämpfter Schall bis zum 


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190*2. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 45. 


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oberen Hand der 3. Rippe; mäßig gedämpft bis zum oberen Rand 
der 6. Rippe. Daselbst bronchiales Athmen mit vereinzelten Rassel¬ 
geräuschen. Kein Reiben. Im Harn kein Eiweiß. Sputum schleimig¬ 
eiterig, spärlich. Bakterien nach Cz. 4—51; Körpergewicht 52. 

Nach 3monatlicber Behandlung mit Aphthisin und gleich¬ 
zeitigem Aufenthalte auf dem Lande nur geringe Schallverkürzung 
an der rechten Spitze. Beiderseits normales Athemgeräusch, kein 
Zurückbleiben der rechten Thoraxhälfte. Blühendes Aussehen, 
Temperatur normal, Proceß ausgeheilt. Kein Husten, kein Aus 
wurf, keine Nachtschweiße, gesunder Appetit. Gewicht 59'5. 

Karl L., Ingenieur, 36 Jahre alt, seit circa einem Jahre 
krank, Nachtschweiße, Husten, Auswurf, Hämoptoe afebril. Beider¬ 
seits geringe Dämpfung supraclaviculär. Rechts hinten bis zur 
Spina scapulae bronchiales In- und Exspirium, vereinzelte klein¬ 
blasige Rasselgeräusche. Harn eiweißfrei. Bakterien nacli Cz. 3 — 4T ; 
Sputum zähschleimig, spärlich; Körpergewicht 72 Kgrrn. 

Nach 3monatlicher Aphthisinbehandlung und einem 4monat- 
lichen Aufenthalte im Gebirge war die Dämpfung beiderseits ver¬ 
schwunden. Rechts hinten oben geringe Schallverkürzung. Ueberall 
normales Athemgeräusch. Kein Auswurf. Proceß obsolet. Tempe¬ 
ratur normal. Gewicht 80 Kgrm. 

Auch in allen anderen Fällen hatte ich gleich günstige 
Behandlungsresultate und konnte im Allgemeinen folgende 
Wirkungen der Aphthisintherapie constatiren: 

1. Nachtschweiße. Fieber und Schwächegefühl ver¬ 
schwinden schon innerhalb der ersten 3—4 Wochen. 

2. Husten, Auswurf, Bacillen werden allmälig geringer, 
um nach und nach ganz zu verschwinden. 

3. Der Appetit hebt sich rasch, selbst bei anfänglich 
gänzlicher Appetitlosigkeit. 

4. Im Einklänge damit steht die Zunahme des Körper¬ 
gewichtes. 

5. Die physikalischen Symptome ausgesprochener Lungen- 
tuberculose können nach 3—4monatlicher Behandlung zum 
Schwinden gebracht werden. In schweren Fällen muß die 
Behandlung länger dauern. Beginnende Spitzenkatarrhe heilen 
bei der combinirten Behandlung auch in kürzerer Zeit aus. 

6. Aphthisin ist ungiftig, hat keine unangenehmen 
Nebenwirkungen und wird von den empfindlichsten Patienten 
gern genommen. Da es nicht ätzend und entzündend auf die 
Schleimhäute einwirkt, kann es auch mit Erfolg bei Darm- 
tuberculose gegeben werden. 

Aphthisin ist billig, denn eine für 5—6 Tage reichende 
Flasche Syrup kostet 3 K und eine für 8—10 Tage reichende 
Schachte] der Kapseln kostet 2 K. Der wesentlich billigere 
Preis der Kapseln wird für die Ordination derselben bei 
weniger bemittelten Patienten und Cassenkranken eine nicht 
unwichtige Rolle spielen. 

Ebenso wie für die Behandlung der tubprculösen Er¬ 
krankungen eignet sich das Aphthisin auch ganz besonders 
für die Behandlung acuter und chronischer, nicht tuberculöser 
Affectionen der Lunge, wie croupöser Pneumonie, katarrhali¬ 
scher Pneumonie, acuter und chronischer Bronchitis, acuter 
und chronischer Laryngitis und Tracheitis, pulmonaler In¬ 
fluenza ete. 

Aphthisin soll ferner in Fällen von Lungenabsceß und 
Gangrän gegeben werden; es beeinflußt den Proceß, wie ich 
mich überzeugen konnte, entschieden günstig. 

Bei acuten Bronchialkatarrhen und Influenzakatarrhen 
tritt nach Aphthisindarreichung meist schon am 2., selten 
erst am 4. Tage Entfieberung, starke Lösung des Schleimes 
und Wiederherstellung des verlorenen Appetites ein. Die 
schleimlösende Wirkung des Aphthisin tritt besonders auf¬ 
fallend bei subacuten, schon längere Zeit bestehenden trockenen 
Bronchitiden hervor, welche nur spärlichen zähen Schleim 
produciren und infolge der geringen Expectoration länger 
anhalten, dann aber auf Aphthisin unter Verflüssigung des 
Secretes rasch zur Ausheilung gelangen. Auch bei der Capillar- 
bronchitis der Säuglinge verflüssigen sich die zähen Schleim- 
xnassen so rasch, daß die Kinder in einemfort husten müssen 


und eben dadurch der Gefahr der Lungenatelectase und der 
Erstickung entgehen. 

Die schleimlösende Wirkung erzielt auch bei broncho- 
pneumonischen Processen rasch das Schwinden der Ver¬ 
dichtungsherde und bei lobärer Pneumonie das Einschmelzen 
der Infiltrate bald nach der Entfieberung. 

Diese Ergebnisse im Verein mit den günstigen Resul¬ 
taten, welche eine große Anzahl von Aerzten und Klinikern 
mit Aphthisin erzielt haben, sind wohl imstande, die hervor¬ 
ragende therapeutische Bedeutung dieses Präparates auf das 
Deutlichste zu beweisen. Auf Grund meiner Erfahrungen 
kann ich daher behaupten, daß Aphthisin eines der besten 
Mittel zur Behandlung von tuberculösen und nichttuber- 
culösen Erkrankungen der Lunge ist, daß es gerne genommen 
und gut vertragen wird, daß es verläßlich wirkt und ganz 
unschädlich ist. Ich stehe daher nicht an, das Aphthisin zur 
steten Anwendung in den geeigneten Fällen den Fachgenossen 
auf das Wärmste zu empfehlen. 

Ueber Impfang gegen Malaria mit dem 
Kuhn’schen Serum in Bosnien. 

Von Dr. Oskar Hovorka, Edl. v. Zderas , Spitalsleiter in 

Teslic, Bosnien. 

(Fortsetzung. *) 

21. Niko K., 37 Jahre, 1., Heizer, aus Slunj, Kroatien. 
Tert. dupl. 

Altling. Litt vor 4 Jahren an heftiger Malaria, vor 2 Jahren 
ebenfalls. Seit dem 22. September ergreift ihn das Fieber stets 
um 1 /. 2 12 Uhr vorm. Kein Milztumor. 

Blutbefund: Am 27. September 1 / 2 12 Uhr vorm, nichts; 
27. September 8 Uhr vorm, nichts; 27. September 9 Uhr vorm, 
nichts; 29. September 7 Uhr vorm, nichts, 9 Uhr vorm, nichts; 
30. September 9 Uhr vorm, nichts. 

Am 25. September um 12 Uhr mittags Impfung mit 5 Ccm. 
Serum und Aufnahme ins Spital. Zwei Tage nach der Impfung, 
am 27. September, erfolgt um 4 Uhr nachm, ein heftiger Schwei߬ 
ausbruch, am 30. September erscheint eine deutliche Milzgeschwulst. 
Am 1. October entlassen. Mitte October treten starke Schmerzen 
in den Beinen auf. Erst am 18. October beginnt er wieder zu 
arbeiten, obwohl das Fieber noch hie und da wiedergekehrt seiu 
soll. Bis Mitte Juni 1902 kein Rückfall. 

22. Gjuro M., 37 Jahre alt, 1., Arbeiter, aus Rankovid, bei 
Teslic, Quartana tripl. 

Altling. Litt bereits oft an Malaria und nahm wiederholt 
erfolglos Chinin ein. Er erkrankte diesmal am 20. September unter 
heftigem Kältegefühl, welches 2 Standen andauerte, dann von einer 
starken Hitze abgelöst wurde und mit einem profusen Schwei߬ 
ausbruch beschloß. Dasselbe wiederholt seither jedesmal täglich 
um die Mittagsstunde. Leichte Milzvergrößerung, Mattigkeit, etwas 
trockener Husten. 

Blutbefund: Am 23. September 9 Uhr vorm, zahlreiche runde, 
große IV-Parasiten, große Ringe, mittlere lV-Parasiten, Bänder; 
25. September 11 Uhr vorm, große IV-Parasiten, kleine Ringe, 
vereinzelte Morulaformen, zarte, schmale Bänder. 

Da Patient gegen Spitalsaufnahme protestirt, wird er am 
25. September um 12 Uhr mittags ambulatorisch mit 5 Ccm. Serum 
geimpft. Am 25. und 26. September kommt um die Mittagsstunde 
leichter Frost, doch keine Hitze; am 7. September fühlt er kein 
Fieber mehr. Mitte October findet ein ziemlich starker Rückfall 
statt, indem sieh die Anfälle jedesmal um 7 Uhr Früh täglich 
wiederholen und bis V 2 12 Uhr vorm, andauern. Dabei besteht 
Appetitlosigkeit, Mattigkeit, Kreuzschmerzen. Dieser Zustand dauert 
eine Woche an, dann hört das Fieber von selbst auf. 

23. Ladislaus G., 40 Jahre, verh., Aufseher, aus Czeruowitz, 
Bukowina. Tert. dupl. 

Erstling. Beginn der täglich sich wiederholenden Anfälle am 
15. September. Frost, Hitze, Schweiß; doch kommen sie nicht zu 

*) S. Nr. 43. 

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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 45. 


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einer bestimmten Stunde, sondern unregelmäßig, einmal Vormittag, 
einmal Nachmittag. Kopf- und Kreuzschmerzen, Empfindlichkeit in 
der Milz- und Magengegend. Stuhlverstopfung. 

Blutbefund am 20. September um 11 Uhr vorm, nichts. 

Ambulatorische Impfung mit 5 Ccm. Serum am 26. September 
um 11 Uhr vorm. Seitdem bleibt das Fieber vollständig aus; nur 
am 3. Tag nach der Einspritzung leichte Kopfschmerzen. Bis Mitte 
Juni 1902 kein Fieberrückfall. 

24. Simeon P., 26 Jahre, verh., Maurer aus San Daniele, 
Italien. Quartana. 

Altling. Er litt bereits in Südamerika und Rumänien an 
heftiger Malaria, aus welchem Grunde er auch stets gezwungen 
war, die betreffenden Fieberländer zu verlassen. Die Einnahme 
von Chinin soll ihm absolut nichts genützt haben. Seit dem 
17. September kommen die typischen Anfälle alle 4 Tage zwischen 
12 und 6 Uhr nachm. Milzvergrößerung percutorisch nachweisbar, 
Schmerzen im Kopfe, Kreuze und in der Magengegend. Herpes. 

Blutbefund: positiv. (5 Blutpräparate.) 

Ambulatorische Impfung am 26. September (5 Ccm. Serum) 
und 30. September (3 Ccm.). Am 29. September stellt sich ein 
äußerst heftiger Anfall ein (40*7); am 30. September wiederholt 
er sich in einem geringeren Grade, am 1. und 2. October kommen 
abermals Anfälle, jedoch ohne Schüttelfrost. Am 3. October reist 
Pat. nach Italien ab. Nach einer brieflichen Mittheilung soll ihm 
Dr. V. in Udine Arsenik verschrieben haben, worauf das Fieber 
vollkommen aufhörte. 

25. Pero V., 22 Jahre alt, 1., Landarbeiter aus Vrucica, bei 
Teslic. Tropica. 

Altling. Er litt wiederholt an Wechselfieber. Beginn der 
jetzigen Erkrankung am 24. September, wobei der Anfall von 
11 Uhr bis Mitternacht andauerte. Der nächste Tag war fieberfrei, 
am 26. Wiederholung des vorgestrigen Anfalles. Aufnahme ins 
Spital am 17. September. Leichte Milzvergrößerung, Kreuz- und 
Magenschmerzen, Kopfweh, Bronchitis. 

Blutbefund: Am 24. September um 9 Uhr abends vereinzelte 
Tropicaringe; 28. September 9 Uhr vorm, mittlere und große 
Tropicaringe, y 2 8 Uhr abends große und kleine Tropicaringe, hie 
und da Ringtrümmer; 29. September 9 Uhr vorm, große Tropica¬ 
ringe, theilweise zerfasert; 30. September 9 Uhr vorm, nichts, 
5 Uhr nachm, nichts, 7 Uhr abends vereinzelte mittlere Ringe; 
1. October x / 4 10 Uhr vorm, vereinzelte kleine Ringe, 1 / 2 7 Uhr 
abends nichts; 2. October 9 Uhr vorm, kleine und große Ringe. 
Impfung am 27. September mittags mit 4'/ 3 Ccm. Serum. 24 Stunden 
nachher ein äußerst heftiger Anfall bis 40'6, am 3. Tag leichter 
Anfall 38*4; am 1. October ganz leichter Anfall um 2 Uhr nachm. 
(37*8); am selben Tage ein feuerroalähnlicher Ausschlag an der 
Impfstelle. Am 2. October entlassen. Erst Mitte December kehrten 
die Anfälle 3- bis 4mal zurück, und zwar mit Kopfschmerz, 
Gliederreißen, Mattigkeit im Tertianatypus. Dessenungeachtet konnte 
er arbeiten. Von Neujahr bis Mitte Juni 1902 blieb er vollkommen 
fieberfrei. 

26. Milka V., 3 Jahre alt, Zimmermannstochter aus Prnjavor, 
Bosnien. Quartana. 

Erstling. Ist seit 7. September krank; das Fieber kommt 
alle 2 Tage um 8 Uhr vorm. Es tritt auf unter kaltem Schütteln, 
Wärtnegefühl und kaltem Schweiß, große Milzgeschwulst, Magen¬ 
schmerzen, seit 4 Tagen dünnflüssiger Durchfall. 

Blutbefund: Am 17. October 11 Ubr vorm, zarte, schmale 
Bänder; 3. December 6 Uhr nachm, große IV-Parasiten. 

Ambulatorisch geimpft mit 3 Ccm. Serum am 28. October 
um 12 Uhr mittags. Nach der Impfung heftige Reaction, später 
wurden die Anfälle minder stürmisch, doch dauern sie fort ohne 
Unterbrechung bis anfangs Mai. Zum Schlüsse wiederholen sie sich 
täglich zwischen 1 und 4 Uhr nachm., dann hören sie auf. Pat. 
ist sehr blaß, der Milztumor überragt noch Mitte Mai um einen 
Querfinger den linken Rippenbogen. 

27. Alois H., 37 Jahre alt, Gärtner, aus Gurkfeld in Kinin. 
Tertiana. 

Altling. Er bekämpfte sein Wechselfieber schon wiederholt 
mit Chinin, doch kam es nach längerer Zeit stets wieder. Der 


erste Anfall kam diesmal am 25. September: Keine Milzgeschwulst, 
Schmerzen in der Magengegend und im Kopfe, Bronchitis mit 
schleimigem Auswurf. 

Blutbefund: Am 27. September um 11 Uhr vorm, nicht sehr 
zahlreiche Ill-Parasiten. 

Ambulatorische Impfung mit 5 Ccm. Serum am 28. September 

6 Uhr nachm. Nach der Impfung blieb das Fieber gleich aus, es 
bleibt nur Appetitlosigkeit zurück und die Impfstelle ist in den 
ersten Tagen etwas schmerzhaft. Den ganzen October und November 
bleibt er vollkommen gesund und verrichtet seine Arbeiten. Dafür 
erkrankt er am 1. December nach einer heftigen Erkältung an 
einer äußerst hartnäckigen Nephritis. Starker Eiweißgehalt im 
Harn (3°/oo)> hyaline und gekörnte Cylinder, Oedeme des Gesichts 
und der Füße, später Ascites. Mitte December treten malaria¬ 
ähnliche Temperaturerhöhungen täglich zwischen 7 und 9 Uhr 
abends auf. Nach sehr schwachen Chiningaben (0 05) wird das 
Fieber postponirend. Starker Schweißausbruch, Appetitlosigkeit, 
Delirien in der Nacht, Theilnahmslosigkeit. Im Januar nehmen die 
Oedeme allmälig ab, am 2. Februar 1902 wird er arbeitsfähig, 
daun bleibt er stets gesund (letzte Beobachtung Mitte Juni 1902). 

28. Niko P., 15 Jahre alt, 1., Arbeiter aus Jela bei Teslic. 
Tertiana. 

Altling. Das letzte Wechselfieber, welches nur 14 Tage an¬ 
dauerte und ohne Chinin ausgeheilt haben soll, hatte er im vorigen 
Jahre. Er ist seit 14. September krank; die Anfälle kommen jeden 
3. Tag. Am 26. September starker Herpes labialis. Kein Milztumor, 
leichte Bronchitis. 

Blutbefund: Am £7. September um 11 Uhr vorm, nichts. 

Ambulatorische Impfung mit 6*/ 2 Ccm. Serum am 28. Sep¬ 
tember um 6 Uhr nachm. 

Am nächstfälligen Fiebertage kommt statt des Anfalls nur 
Ilitzegefühl, Gähnen, Gliederreißen, Kreuzschmerzen. Dessenunge¬ 
achtet arbeitet er in der Fabrik weiter. Seitdem bleibt er von der 
Ambulanz fern. 

29. Gisela P., 3 Jahre alt, Maschinführerstochter aus Usora 
bei Teslic. Tropica. 

Altling. Seit 24. September erkrankt: völliges Wohlbefinden 
wechselt mit Anfällen, die jeden 3. Tag wiederkehreu. Milztumor, 
trockener Husten, Schmerzen in der Magengegend, Blässe. 

Blutbefund: Am 2. October um 11 Uhr vorm, kleine und 
große Tropicaringe. 

Am 2. October mit 1 Ccm. Serum ambulatorisch geimpft. Es 
kommen noch zwei leichte Anfälle an den bestimmten Tagen, dann 
völliges Wohlbefinden. Am 3. November stellt sich die Pat. in der 
Ambulanz wieder vor; sie bekam seitdem rothe Wangen, fühlt 
sich ganz wohl; es besteht noch leichte Milzvergrößerung. Bis 
Mitte Juni 1902 kein Fieberrückfall. 

30. Josef K., 15 Jahre alt, 1., Ziegelraacherlehrling aus Pulkes 
in Ungarn. Tertiana. 

Erstling. Er erkrankte am 28. September mittags mit Frost, 
Hitze, ohne Schweiß, was sich jeden 3. Tag wiederholte. Die Milz 
reicht 2 Querfinger über den Rippenbogen, doch ist sie nicht 
besonders druckempfindlich. Spitalsaufnahme am 2. October. 

Blutbefund: 2. October 12 Uhr mittags nichts, 9 Uhr abends 
nichts; 3. October 9 Uhr vorm, kleine und mittlere III Ringe, 

7 Uhr abends nichts; 4. October 9 Uhr vorm, nichts, 11 Uhr vorm, 
nichts; 4. October 1 / 2 l Uhr nachm, mittlere Ringe, sehr spärlich, 
2 Uhr nachm, nichts, 5 Uhr nachm, kleine Ringe; 5. October 
»/,7 Uhr vorm, sehr spärliche mittlere Ringe, 8 Uhr vorm, sehr 
spärliche kleine Ringe, y 2 9 Uhr vorm, nichts, 10 Uhr vorm, vereinzelte 
kleine Ringe, , / 4 3 Uhr nachm, nichts, J / 4 4 Uhr naclim. nichts, 
j / 4 5 Uhr nachm, nichts. 1 / 4 6 Uhr nachm, nichts, 7 Uhr abends 
nichts, 8 Uhr abends nichts, 10 Uhr abends nichts; 6. October 
j / 2 7 Uhr vorm, vereinzelte mittlere Ringe, 5 Uhr nachm, nichts; 
20. October 1 / 2 ll Uhr vorm, nichts. 

Am 4. October wird er um 12 Uhr mittags mit 5 Ccm. Serum 
injicirt. Unmittelbar nach der Impfung kommt es zu keiner Fieber¬ 
steigerung, doch 4 Stunden danach erhöht sich die Körpertemperatur 
in unbedeutendem Maße (37*6), was 2 Stunden andauert. Am 
6. October erhöht sie sich um 6 Uhr nachm, auf 37*6. Herpes. Da 


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er ganz frei von allen subjcctiven Beschwerden ist, wird er am 
G. October auf eigenes dringendes Verlangen aus dem Spitale ent¬ 
lassen und tritt sofort die Arbeit an. Am 12. October bekommt 
er zwischen 10 Uhr vorm, und 2 Uhr nachm, einen Fieberanfall 
mit wenig Frost und wenig Hitze, Erbrechen, so daß er von der 
Arbeit an diesem Tage ausbleiben muß. Den Tag nachher heftige 
Kopfschmerzen, dann aber stetes Wohlbefinden. Ende October reist 
er nach Ungarn ab, da die Maurerarbeit aufhört. Im Frühjahr 
kehrt er wieder zurück nach Teslic, er blieb die ganze Zwischenzeit 
vom Fieber verschont und verblieb er auch bis Mitte Juni 1903. 

31. Katharina K., 8 Monate alt, 1., Kostkind, Landwirthstochter 
aus Bosn.-Gradisca (Bosnien). Tropica. 

Erstling. Die Mutter starb im 2. Lebensmonate des Kindes. 

Am 2. October erkrankte das letztere in Dervent, indem es 
heftig schrie, unruhig und im Gesichte blau wurde, vor Kälte 
zitterte, dann am ganzen Körper vor Hitze sich röthete und 
schließlich einen starken Schweißausbruch bekam. Dies wiederholte 
sich jeden 3. Tag. Dann wurde es nach Teslic zur Pflege gebracht. 
Milzgeschwulst deutlich fühlbar. Starke Blässe und wachsgelbe Ver¬ 
färbung der Haut. Bedeutende Schwäche. Fleischl’s Ferrometer 4G. 

Blutbefund: Am 9. October 10 Uhr vorm, sehr zahlreiche 
mittlere und große Tropicaringe, 2 Uhr nachm, zahlreiche kleine 
und große Ringe, ’/ 2 5 Uhr nachm, ovale und Halbmonde, einzelne 
kleine Ringe; 10. October 11 Uhr vorm, kleine und große Tropica¬ 
ringe, nicht sehr zahlreich; 12. October 10 Uhr vorm, große 
Tropicaringe; 13. October 10 Uhr vorm, einzelne mittlere und 
große Ringe, G Uhr nachm. Halbmonde und spärliche große Ringe; 

14. October YaH* Uhr vorm, spärliche mittlere und große Ringe; 

15. October ^lO Uhr vorm, ziemlich zahlreiche mittlere und große 
Ringe; 16. October l / a 10 Uhr vorm, zahlreiche mittlere Ringe, 
kleine Ringe spärlich; 17. October 1 / 2 10 Uhr vorm, zahlreiche 
kleine und mittlere Ringe, zahlreiche Halbmonde; 19. October 
10 Uhr vorm, zahlreiche mittlere Ringe, Halbmonde; 21. October 
10 Uhr vorm, spärliche kleine und mittlere Ringe und Halbmonde ; 
27. October 10 Uhr vorm, spärliche mittlere Ringe und Halb¬ 
monde; 3. November 10 Uhr vorm, spärliche kleine und mittlere 
Ringe; 10. November 1 / 2 10 Uhr vorm, spärliche kleine und mittlere 
große Ringe. 

Ambulatorische Impfung mit 2 Ccm. Serum am 9. October 
ö’/a Uhr nachm. Pat. wird zu Hause 2stündlich gemessen; die 
Reaction nach der Impfung ist nicht besonders stürmisch; es 
kommen noch 7 Fieberanfälle, doch überschreitet die Körperwärme 
nicht 38 - 9° C. Die Anfälle wiederholen sich jeden 3. Tag in den 
Nachmittags- und Abendstunden. Am 21. November kommt es zum 
Durchbruch eines Zahnes im Unterkiefer, wodurch sich das Befinden 
des Kindes wieder etwas verschlechtert. Dann aber verschwindet 
das Fieber und das Kind wird später wieder munter, rothwangig 
und entwickelt nach Aussage der Pflegemutter einen großen Appetit. 
Seitdem kein Fieberrückfall. (Schluß folgt.) 


Referate. 

W. P. Obrasztzow (Kiew): Ueber die Palpation des Py- 
lorus. 

Der Pylorus ist bisweilen der Palpation zugänglich. Im nor¬ 
malen Zustande ist die Pars pylorica vom linken Leberlappen be¬ 
deckt. Wenn die Leber ihre Lage ändert, nach oben steigt, oder 
die Magensenkung größer ist als jene des linken Leberlappens, 
dann wird der Pylorus palpabel. Man palpirt dabei entweder die 
Pars pylorica allein oder zugleich mit einem Theile des Magen- 
körpers („Deutsche med. Wschr.“, 1902, Nr. 43). Dies gelingt 
z. B. bei den höchsten Graden von Einsenkung des Abdomens, die 
durch fast vollständige Impermeabilität der Cardia bedingt sind. 
In solchen Fällen kann man 8—10 Cm. oberhalb des Nabels den 
querliegenden Pylorus tasten , resp. die Pars pylorica, in Form 
einer zeigefingerdicken Schnur. Gewöhnlich aber wird der Pylorus 
in Form eines Cylinders palpirt, der horizontal oder schräg liegt, 
2—7 Cm. oberhalb des Nabels, am häufigsten im Gebiete des 


rechten Musculus reetus abdominis, der rasch seine Consistenz 
wechselt, indem er sich zeitweise annähernd bis zur Knorpel- 
consistenz verdickt und rasch bis zum Verschwinden unter den 
Fingern erschlafft. Dieses peristaltische Spiel übertrifft an Inten¬ 
sität die peristaltischen Bewegungen sämmtlicher anderen, der 
Palpation zugänglichen Abtheilungen des Magendarmcanales. Nicht 
selten fühlt man statt des Cylinders einen mehr oder weniger 
runden , derben Knoten von der Größe einer Haselnuß. Während 
der Erschlaffung des Pylorus fühlt man manchesmal ein feines, 
knisterartiges Kollern. Daß der Pylorus, wenn er in Form eines 
Knotens palpabel ist, leicht zu diagnostischen Irrthümern Veran¬ 
lassung geben kann, ist begreiflich. L. 


Jul. A. Grober (Jena): Der Thierversuch als Hilfsmittel 
zur Erkennung der tuberculösen Natur pleuri- 
tischer Exsudate etc. 

Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung kann man in 
folgenden Sätzen zusammenfassen („Deutsches Arch. f. klin. Med.“, 
Bd. 74, H. 1 u. 2): Die Empfänglichkeit des Meerschweinchens für 
den Tuberkelbacillus bei intraperitonealer Infection ist nahezu absolut. 

Die Impfung der durch Punction erlangten Flüssigkeit in die 
Peritonealhöhle von Meerschweinchen oder in andere leicht zugäng¬ 
liche Räume dieser oder ähnlicher Thiere schützt vor Täuschungen 
durch Ausbruch etwaiger latenter Tuberculose oder durch ander¬ 
weitige Infection von außen. Um von dem zufälligen Fehlen von 
Tuberkelbacillen selbst in einem größeren Quantum — 10 Ccm. 
— von Exsudat möglichst unabhängig zu sein, empfiehlt es sich, 
stets mehrere Thiere zugleich zu impfen. In Pleuraexsudaten, die 
klinisch als tuberculös bezeichnet werden, ist, trotz mangelnden 
Nachweises durch die bakteriologisch-mikroskopischen Methoden, 
der Bacillus regelmäßig enthalten. Von denjenigen Exsudaten, die 
nach Abzug der sicher tuberculösen, sowie der durch Infections- 
krankheiten, Neubildungen etc. bedingten übrig bleiben, die man 
gewohnt ist, als idiopathisch oder kryptogenetisch zu bezeichnen sind, 
i/j— J / 2 durch den Tuberkelbacillus hervorgerufen. Die Methode 
eignet sich zur Feststellung der tuberculösen Aetiologie aller patho¬ 
logischen Flüssigkeiten. B. 


Wilhelm Müller (Leipzig) : Experimentelle und klinische 
Studien über Pneumonie. 

lieber die Entstehung der Vaguspneumonien können wir uns 
folgende Vorstellungen bilden („Deutsches Arch. f. klin. Med.“, 
Bd. 74, H. 1 u. 2): 

Die bakterienführenden Fremdkörper reizen die Bronchial- 
Schleimhaut zu stärkerer Schleimsecretion und Austritt von Rund- 
zellen. Eine Infection des Lungengewebes durch die Bronchial¬ 
schleimhaut findet nicht statt. Auf das respirirende Gewebe gelangt, 
erzeugen die bakterienführenden Fremdkörper zunächst eine mecha¬ 
nische Schädigung des nächstliegenden Lungengewobes, die sich in 
Hyperämie, Extravasation, Oedembildung und Epithelabschilferung 
äußert. Dieser Vorgang begünstigt höchstwahrscheinlich die 
Aufnahme der Bakterien in die Alveolenwand. Von dieser aus 
werden gleichzeitig die anliegenden, nicht mit dem das Infec- 
tionsmaterial zuführenden Endbronchus communicirenden Alveolen 
ergriffen. Bei der Weiterausbreitung der Bakterien in den Septen 
geräth dann der Endluftsack des Endbronchus mit seiner Umgebung 
durch Infection der gemeinschaftlichen Wand gleichzeitig in Ent¬ 
zündung. 

Die Weiterverbreitung der Bakterien von dem primären In- 
fectionsherd in die übrige Lunge erfolgt in den Saftcanälen der 
Septen. Auch in den Endstadien ist eine größere Vermehrung der 
Bakterien entsprechend der Ausbreitung des Lymphgefäßsystems zu 
erkennen. Die Ausbreitungsweise der Bakterien bei der Vaguspneu¬ 
monie ist somit eine interstitielle, an das Lymphgefäß System ge¬ 
bundene. Die in den Septen weitergewauderten Bakterien werden 
dadurch nach dem Inneren der Alveole eliminirt, daß die ausklei¬ 
denden Epithelien sich mit ihnen von der Wand loslösen. 

2 * 


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2039 


1902. 


Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 45 


2040 


Die Größe eines solchen, von einem Punkte aus entstandenen ! 
Herdes scheint in gewisser Abhängigkeit zu stehen von der Virulenz 
des Infectionserregers. Durch Weiterausbreitung einzelner Herde 
und deren Confluenz können völlig lobäre Processe entstehen. 

Die Untersuchungen M.’s an menschlichen Pneumonien führten 
zu folgenden Schlüssen: 

Die Ausbreitung der Infectionserreger geschieht auch bei den 
Aspirationsprocessen und der croupösen Pneumonie auf interstitiellem 
Wege in den Saftbahnen der Septen und greift von da aus schon 
im ersten Beginn der Erkrankung auf die eigentlichen Lymph¬ 
gefäße über. Auch bei diesen beiden Processen ist die Art der 
Weiterverbreitung der Keime die gleiche wie bei der experimen¬ 
tellen Vaguspneumonie, die gleiche wie bei der Verbreitung von 
Ruß- und Staubpartikeln in der Lunge. Die interstitielle Verbrei¬ 
tung der Keime ist schon für die „zelligen“ und die Broncho¬ 
pneumonien überhaupt bekannt, sie kommt also allen Pneumonie¬ 
formen als gemeinschaftliches Ausbreitungsprincip zu. Die früh¬ 
zeitige Entzündung der pleuralen Lymphgefäße erklärt die Seiten¬ 
schmerzen , welche im Beginn der Lungenentzündung auftreten, 
noch ehe die Infiltrations- und Exsudationsprocesse manifest ge¬ 
worden sind. B. 

Fr. Juliusberg (Bern): Ueber „colloide Degeneration“ 
der Haut, speciell im Granulations- und Narben¬ 
gewebe. 

Der colloiden Degeneration der Haut sind bisher die Krank¬ 
heitsbilder des Colloidmilium und des Pseudoxanthoma 
elasticum zugezählt. Der Autor fügt eine Reihe von Fällen an, 
bei welchen es sich um eine in circumscripten Flecken oder Herden 
(oder wohl auch einem ganzen Narbengebiet entsprechende) eigen- 
thümlich hell- bis intensiv gelbe Färbung der Haut handelte, welche 
weder auf Pigmentirung, noch auf Einlagerung von Zellmassen 
(Xanthom) zurückgeführt werden konnte und bei welchen die 
histologische Untersuchung („Archiv f. Dermat. u. Syph.“, 1902, 
Bd. 61) structurelle und tinctorielle Veränderungen hauptsächlich 
des elastischen Gewebes ergab. Bei zweien der ausführlicher ge¬ 
schilderten (und bei allen der Beobachtung Jadassohn’s entstam¬ 
menden) Fälle handelt es sich um Verfärbuug im Anschluß an 
Narbenbildung, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß auch der 
dritte (in der Aufzählung erste) der genauer mitgetheilten Fälle 
dem gleichen Schema entspricht; es würden sich dann sowohl in 
dieser Beziehung, als auch im histologischen Bilde diese Fälle den 
beim Lupus erythematosus beschriebenen Degenerationen anreihen. 

Die specifische Färbung auf elastische Fasern ergibt jn allen 
Fällen in der subepithelialen Schicht auffallend dicke Fasern mit 
unregelmäßigen Auftreibungen und Verdickungen, stellenweise An¬ 
sammlung zu ganz compacten, blockartig klumpigen Streifen. 
Diese Veränderungen sind in den tieferen Schichten noch ausge¬ 
sprochener , da hier fast das ganze Cutisgewebe durch die elasti¬ 
schen Fasern ersetzt scheint, die bald gleichmäßig dick, bald U-förmig, 
bald spiralig gekrümmt erscheinen, oft mit kugel - und knopf¬ 
förmigen Ausläufern versehen sind; ja zuweilen finden sich diese 
knopfförmigen Verdickungen fast in rosenkranzähnlicher Anordnung. 
Erst weitere Untersuchungen können genauen Aufschluß über 
eventuelle nähere Beziehungen geben, die zwischen den eben be¬ 
schriebenen Bildern der colloiden Degeneration der Haut in Narben¬ 
geweben , dem Colloidmilium und dem Pseudoxanthoma elasticum 
bestehen. Deutsch. 


Floret (Elberfeld): Mesotan, ein äußerlich anwendbares 
Antirheumaticum. 

Mesotan ist ein Metbyloxymethylester der Salicylsäure; es 
wird von den Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. dar¬ 
gestellt. Es ist eine klare, gelbliche Flüssigkeit, nahezu geruchlos, 
mit den organischen Lösungsmitteln und Oel mischbar. Es wird 
von der Haut sehr leicht resorbirt und dann von den Gewebssäften 
leicht zerlegt; kurze Zeit nach der Application ist Salicylsäure 
im Harne nachweisbbar. Verf. hat das neue Präparat an etwa 


120 Patienten versucht und Folgendes gefunden („Deutsche med. 
Wschr.“, 1902, Nr. 42). Das Mesotan versagt niemals bei Gelenk- 
und Muskelaffectionen, vor Allem bei den letzteren. Auch bei der 
Behandlung des acuten Gelenkrheumatismus mit dem Mesotan 
erzielte F. sehr gute Erfolge. Besonders hervortretend war die 
günstige Wirkung bei chronischen Formen des Gelenk- und Muskel- 
rheumatisraus. 

Es ist zu beachten, daß infolge der kräftigen Wirkung des 
Mittels eine nur geringe Menge für eine Einreibung ausreicht; 
selbst bei größeren, zu behandelnden Flächen kommt man mit 
einem Theelöffel etwa völlig aus. Zwei bis drei Einreibungen am 
Tage genügen stets. Mehr als 50 Grm. <ler Mischung in einem 
Recept zu verschreiben, wird bei der energischen nachhaltenden 
Wirkung und dem jedesmaligen geringen Verbrauche in den meisten 
Fällen nicht erforderlich sein. Die Haut an dem Locus affectus 
wird sanft, etwa 5—lOmal hintereinander, mit der Mischung gerieben. 
Eine nachfolgende Ueberdeckung der bestrichenen Stelle mit Watte 
oder wasserdichtem Stoffe und dergleichen ist nicht nöthig. Der 
Effect tritt fast sofort nach der Einreibung ein. Die Patienten 
empfinden zuerst eine nicht unangenehme Erwärmung oder leichtes 
Prickeln und Brennen der Haut, worauf dann gleich der Schmerz 
weicht. N. 


G. Nobl (Wien): Zur Histopathologie der venerischen 
Bartholinitis. 

Die an der Abtheilung Lang in hartnäckigen und recidiviren- 
den Fällen von Bartholinitis geübte Methode der totalen Exstirpation 
der Drüse — jetzt eben dort ersetzt durch Exstirpation des Ganges 
und Resection des angrenzenden Drüsentheiles (Referent) — gaben 
dem Autor ein reiches Material zur histologischen Bearbeitung 
(16 Fälle), wie es sämmtlichen früheren Bearbeitern nicht zu Ge¬ 
bote stand. An der Hand dieses klinisch, histologisch und bakterio¬ 
logisch genauest durchforschten Materiales („Archiv f. Dermat. u. 
Syph.“, 1902, Bd. 61) gelangt der Autor zu einer Reihe von Sätzen 
über das Wesen der venerischen Bartholinitis, die, wenngleich sie 
kaum wesentlich Neues erschließen, uns doch bisher in diesem 
wohlgeordneten und übersichtlichen Gefüge nicht entgegentraten. 

Die acute Blennorrhoe dieser Drüsen beginnt mit der katarrha¬ 
lischen Erkrankung des Ausführungsgangendes und schreitet von 
hier bis auf die präglauduläre, ampullenförmige Ausweitung des 
Ductus communis über. In ihrer Intensität stark schwankende Ent¬ 
zündungserscheinungen in der Gangwand sowie in deren Umgebung 
begleiten das Auftreten und Fortschreiten des Processes. Von dem 
gemeinschaftlichen Hauptgange greifen sie wohl in der Mehrzahl 
der Fälle auf die Hauptverzweigungen und Verästelungen 2. und 
3. Ordnung über, so daß mit der Epithelinfection durch den Gono- 
coccus die entsprechende infiltrative Reaction der Umgebung gleichen 
Schritt hält. Bei subacuterem oder in wiederholten Recidiven sich 
äußerndem Verlauf nimmt zunächst das die Drüse umgebende Binde- 
gewebsstroma an der Entzündung theil und schließlich wird auch 
das secernirende Parenchym von der Entzündung mitergriffen. Im 
Gegensatz hiezu sind die Charaktere der chronischen Entzündung 
in der Metaplasie, Wucherung und Verdickung de3 Gangepithels, 
sowie in der granulationsähnlichen Infiltration der Gangwände und 
des interstitiellen, glandulären Bindegewebes gegeben. 

Was die Ausbreitung des Gonococcus anlangt, so scheint die¬ 
selbe sich auf den Hauptausführungsgang mit seinen ersten Aesten 
und auf die Verzweigungen 2. und 3. Ordnuug zu beschränken, 
das secernirende Drüsenepithel hingegen wider die Gonokokken¬ 
invasion immun zu sein, da ein Eindringen daselbst an keinem 
Präparate bemerkt werden konnte. (Dieser letztere Punkt erscheint 
darum ganz besonders wichtig, weil thatsächlich an der Abtheilung 
Lang bereits seit einer Reihe von Jahren statt der Totalexstirpation 
der Drüse die partielle Resection geübt wird.) Deutsch. 


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2041 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 45. 


2042 


Balacescu (Bukarest): Die totale und bilaterale Resec- 
tion des Sympathicus cervicalis beim Morbus 
Basedowii. 

Zahlreiche Beobachtungen berechtigen zu der Annahme, daß 
der N. sympathicus eine nicht zu bestreitende Rolle in der Erzeu¬ 
gung der BASEDOw’sehen Symptome spielt. Dabei muß der Nerv 
nach Ansicht des Verf. nicht das Primum movens der Basedow- 
schen Krankheit abgeben; derselbe dient vielmehr als Verbin¬ 
dungsorgan für die Nervenleitungen zwischen dem Primum movens 
und den Organen, deren Function seeundär verändert worden ist. 
(Auge, Herz, Schilddrüse). Wenn daher die Leitungsbahnen der 
Reizung zerstört werden , verschwinden die Reizungssymptorae an 
diesen Organen. Auf dieser Ueberlegung- beruht die operative Be¬ 
handlung des Morbus Basedowii, welche den N. sympathicus als 
Angriffspunkt ausersehen hat. Auf der Klinik des Prof. Jonescü 
wurde eine größere Anzahl von Basedowkranken der operativen 
Behandlung unterzogen, und zwar wurden a) die partielle mehr 
oder weniger ausgedehnte Resection des Halssympathicus, b) die 
bilaterale Dehnung des Halssympathicus (1 Fall) und schließlich 
c) die von Jonescü angegebene totale und bilaterale Resection des 
Halssympathicus (14 Fälle) ausgeführt. 

Diese letztere Operation, deren Technik vom Verf. in ein¬ 
gehender Weise geschildert wird („Langenbeck’s Arch.“, Bd. G7, 
Nr. l) besteht darin, daß neben dem ganzen Grenzstrang des 
Halses mit seinen 3 Ganglien auch das oberste Brustganglion ent¬ 
fernt wird; nur auf diese Weise kann man die Gesammtheit der 
accelerirenden, sympathischen Herznerven unterbrechen und auf 
eine sichere Verminderung der Tachycardie rechnen. 

Diese Operationsmethode lieferte auch die besten Resultate, 
indem 58*9% Heilungen zu verzeichnen sind. Man konnte in diesen 
Fällen constatiren , daß neben dem rapiden Verschwinden des 
Exophthalmus, der progressiven Abnahme der Struma und des Tremors, 
sowie dem Verschwinden sämmtlicher übrigen Zeichen, wie der 
Hyperhydrosis, des Hitzegefühls, der Diarrhoe, der nervösen Er¬ 
regbarkeit etc., auch die Tachycardie manchmal plötzlich, andere- 
male im Zeiträume von einigen Tagen verschwand, so daß der 
Puls beträchtlich (von 150 auf 78) sank und normal wurde. Dieses 
Verschwinden der Tachycardie hielt auch später an. Bei den übrigen 
Gebesserten hielt das eine oder das andere BasEDOw’sche Symptom 
noch weiter an. 

Da die Operationen am Sympathicus keinen Todesfall auf¬ 
weisen und eine verhältnißmäßig große Aussicht auf Heilung bildeu, 
hält Verf. in Anbetracht der hohen Mortalität der anderen wegen 
Basedow vorgenommenen Operationen (Resection der Struma hat 
16% Mortalität) die beiderseitige, totale Resection des Sympathicus 
für die einzig rationelle Methode. Erdheim. 

Otto Zuckerkandl (Wien): Ueber die sogenannte Cystitis 
cystioa und über einen Fall von cystischem 
Papillom der Harnblase. 

Axel Lendorf fand an der Harnblase des zweimonatlichen 
Kindes bereits intraepitheliale Hohlräume und Krypten in der 
Umgebung des Orificium internum, bei älteren Kindern zeigte die 
Blasenschleimhaut an den analogen Stellen Uebergänge zu Epithel- 
zapfen, einfachen und verzweigten Sprossen. Am Erwachsenen 
fanden sich die Krypten verlängert, verzweigt, wobei das Wachs¬ 
thum bald mehr in horizontaler Richtung, bald mehr in die Tiefe 
gegen das Stratum proprium der Schleimhaut zu vor sich zu gehen 
scheint. Das Epithel der Harnblase weist also de norma bei der 
Entwickelung der Drüsen eine Proliferation auf, als deren Stadien 
zunächst intraepitheliale Veränderungen, weiters Epithelsprossen 
und Epithelschläuche beobachtet werden. Bei der Untersuchung 
normaler Blasen konnte Zuckerkandl diese Angaben bestätigen. 
Auch unter pathologischen Verhältnissen (bei Cystitis cystica und 
einem cystischen Papillom) konnte er im Epithel der Harnblase 
Vacuolen und Krypten beobachten, an welche in weiterer Folge 
epitheliale Wucherung sich anschloß, die immer wiederkehrende 
drüsenähnliche Schläuche und durch Anhäufung und Retention von 
Secret cystische Gebilde erzeugt. Wir müssen demnach dem Epithel 


der Harnblase die Fähigkeit zuerkenneu, unter Einwirkung eines 
Reizes entzündlicher oder anderer Art in Proliferation zu gerathen ; 
dabei wiederholt sich in excessiver Weise ein Vorgang, der in 
ähnlicher Weise am Epithel der normalen Blasenschleimhaut zu 
beobachten ist („Monatsberichte für Urologie“, VII. Bd., 9. H.). 
Finden sich also die erwähnten cystischen Bildungen in normalen 
Harnwegen in beschränktem Maße in nächster Umgebung der 
Blasenmündung, so kann dieser Befund als ein an das Physio¬ 
logische grenzender bezeichnet werden; jede diffuse Verbreitung 
der cystischen Bildungen über die ganze Blase ist dagegen patho¬ 
logisch. Ist die Schleimhaut sonst normal, so dürfte es sich um 
Residuen einer abgelaufenen Entzündung handeln, finden wir sie 
entzündlich erkrankt, so besteht wohl ein Zusammenhang zwischen 
dieser und der Epithelveräuderung. Schließlich hält es Verf. für 
wahrscheinlich, daß der schleimige Inhalt der Cysten durch 
secretorische Thätigkeit der Epithelzellen entsteht, wie dies zuerst 
Stoerk angenommen. Verschiedene Umstände lassen es überhaupt 
als sehr wahrscheinlich erscheinen, daß das Epithel der Blase auch 
als Organ für die Ausscheidung von Schleim fungirt. Grosz. 


Ishigami (Osaka, Japan): Ueber die Cultur des Vaccine-, 
resp. Variolaerregers. (2 Mittheilung.) 

Verf. kommt auf Grund umfangreicher Untersuchungen zu 
dem Schlüsse („Centralbl. f. Bakteriologie, Parasitenkunde u. Infec- 
tiouskrankheiten“, Bd. 31, pag. 794), daß die iu der Variolalymphe, 
den Variolakrusten, der humanisirten oder Kuhlymphe enthal¬ 
tenen Bakterien nicht die Erreger der Variola sind. Es finden sich 
in den genannten Producten jedoch Protozoen, deren Morphologie, 
Entwickelung und Vermehrung Verf. genau schildert und die er 
zu den Sporozoen zählt; auch ihre Cultur ist ihm seinen Angaben 
zufolge gelungen; auf Grund seiner Thierversuclie erblickt er in 
ihnen den Erreger der Vaccine und Variola. — Aehnliche Befunde 
wurden bekanntlich mehrfach erhoben, auch in der gleichen Weise 
gedeutet, doch stets widerlegt. Dr. S—. 


Engels (Marburg) : Das SCHUMBUBG’ache Verfahren der 
Trinkwasaerreinigung mittelst Brom. 

Die Versuche des Verf. („Centralbl. f. Bakteriologie, Para¬ 
sitenkunde u. Infectionskrankheiten“, Bd. 31, pag. 651) ergaben, 
daß das im Titel genannte Verfahren in Wässern wohl die Bak¬ 
terienzahl vermindern kann, daß aber selbst bakterienarme Wässer 
hiebei nicht keimfrei werden. Gewisse Wasserbakterien scheinen 
durch Brom überhaupt nicht abgetödtet zu werden, auch die 
Schimmelpilze leisten beträchtlichen Widerstand. Choleravibrionen 
können nur durch eine Concentration, die das Sechzehnfache der 
von Schumburg angegebenen Menge beträgt, abgetödtet werden. 
Es ist aber fraglich, ob eine derartige Concentration in praxi möglich 
ist. Bei Typhusbacillen ließ sich in der von Schomburg angegebenen 
oder auch einer dreifach stärkeren Concentration selbst bei einer 
Versuchsdauer von 15 Minuten eine Wirkung nicht nachweisen. 
Die günstigen Erfolge Schümburg’s und Pfohl’s erscheinen dem 
Verf. nach seinen Versuchen nicht beweisend, umsomehr als er 
gegen die zum Nachweise derselben angewandte Methodik Einwände 
erheben muß und es nach seinen Erfahrungen für möglich hält, 
daß durch ein mit Brom behandeltes Wasser auch dann noch eine 
Infection mit pathogenen Bakterien, z. B. Typhusbacillen, vermittelt 
werden kann, wenn dieselben mit unseren Methoden nicht mehr 
nachweisbar sind. Dr. S—. 


Kleine Mittheilungen. 

— Die von Wernitz zur Behandlung der Sepsis empfohlenen 
Kochsalzinfusionen in den Darm verwendete Behm („d. Med.-Ztg.“, 
1902, Nr. 53) mit Erfolg bei einem hoffnungslos scheinenden Falle 
von Thrombophlebitis — in der Schwangerschaft entstanden und 
im Puerperium sich verschlimmernd — der unteren Extremitäten 
mit embolisch-pneumonischen Herden in den Lungen und schwersten 
pyämischen Erscheinungen. Es wurde 4—5mal per Tag sehr 
langsam 1 Liter physiologische Kochsalzlösung ins Rectum ein- 


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2043 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 45 


2044 


gegossen. Unter reichlicher Diurese, profusen Schweißen und auch 
vermehrten Darmentleerungen besserte sich der Zustand von Stunde 
an. Die Behandlung mußte aber, da beim Aussetzen sofort Rück¬ 
fälle drohten — Frösteln , erhöhtes Fieber etc. — 17 Tage lang 
fortgesetzt werden, schließlich nur noch 2mal in 24 Stunden. 

— Sogenannte imprägnirte medicamentöse Puder empfiehlt 
G. J. Müller („Monatsh. f. prakt. Dermatologie“, 1902, Nr. 3). 
Er hat, um die Wirkung der in der Dermatotherapie wegen ihrer 
anämisirenden, austrocknenden und juckenstillenden Eigenschaften 
oder als einfache Deckmittel vielfach Verwendung findenden Puder 
zu erhöhen, eine Reihe von Pudern aus einem Gemisch von Talcum 
und Magnesia carbonica herstcllen lassen, die mit verschiedenen 
gebräuchlichen Mcdicamenten (Ichthyol 2—5% > Turneno! 2%, 
Naphthol 2°/ 0 , Formalin (V5—1%, Menthol 1—2%, Thiol 2 bis 
.5%, Resorcin 1—5%, Saiicylsäure 2 — 10%) Tannin 2 — 5%, 
Carbolsäure 0‘5—2%) imprägnirt, nicht bloß oberflächlich ver¬ 
mengt sind. Unter Umständen ist es gcrathen, die stark aus¬ 
trocknende Wirkung der Puder abzudämpfen, was durch ent¬ 
sprechende Fettimprägnation erreicht wird. Diese imprägnirten 
Puder, welche unter dem Namen Pulvis aspergens medicatus, resp. 
pinguis cum . . . verordnet werden, sind natürlich unter sehr ver¬ 
schiedenen , für den Gebrauch der Puder überhaupt geltenden 
Indicationen mit Nutzen zu verwenden. Unter anderem hat sich 
beim Schweißfuß ein Salicyl-Formalin-Tannin-Chloralhydratpuder mit 
einem stärkeren oder schwächeren Zusatz von Borsäure und Chrom¬ 
alaun bewährt, welches der größeren Billigkeit wegen fertig als 
Pulvis antihidrotieus mitis, resp. fortis abgegeben wird. 

— Ueber eine Magenresection zur Entfernung eines ver¬ 
schluckten Magenrohres berichtet Rosanow („Wratsch“, 1902, 
Nr. 41). Ein Bauer griff in der Meinung, daß er eine Silbermünze 
verschluckt habe, nach einem Reagensrohre, um damit die Münze 
hinunterzustoßen. Das Rohr entschlüpfte und gelangte in den 
Magen. Anfangs verspürte Pat. keine besonderen Beschwerden und 
arbeitete tüchtig im Ackerbau; nur war er stets besorgt, das 
Rohr nicht zu zerbrechen. Das Betasten des deutlich fühlbaren 
Rohres war schmerzlos, besonders leicht war das Palpiren im 
Bade auszuführen. Nach einem halben Jahre erst infolge Ver¬ 
änderung der Lage des Rohres, wobei dasselbe unbeweglich wurde, 
fing Pat. an, über Schmerz und Erbrechen zu klagen; dann wurde 
auch die Operation ausgeführt und der hcrausgezogene Fremd¬ 
körper erwies sich in Wirklichkeit als ein gläsernes, 22 Cra. 
langes Reageusrohr, halb mit Chymus gefüllt. Es trat vollkommene 
Heilung ein. 

— Klinisch-experimentelle Untersuchungen über die Wirkung 

des Thiocols und des Sirolins veröffentlichen s. Drago und A. Motta- 
Coco („Klin.-ther. Wschr.“, 1902, Nr. 31—32). Die Untersuchungen 
der Autoren sind durch das Experiment controlirt und ergänzt. 
Verff. konnten bestätigen, daß das Thiocol und das Siroliu den 
Husten, den Auswarf, das Fieber, die Nachtschweiße und den 
Appetit günstig beeinflussen. Der völlige Maugel an Geruch und 
Reizwirkung auf die Schleimhäute, die leichte Assirailirbarkeit des 
Mittels und sein günstiger Einfluß auf das Allgemeinbefinden, die 
Begünstigung des Stoffwechsels sind therapeutische Eigenschaften, 
welche jene des Kreosots und des Guajacols weit übertreffen. Die 
Versuche zeigen, daß das Thiocol auch einen wohlthätigen Eiufluß 
auf den localen Proceß ausübt. Die hochgradige Veränderung der 
Morphologie und Biologie der Bacillen ist ein Beweis für die 
baktericide Wirkung des Thiocols. Ein Beweis für die Richtigkeit 
dieser Anschauung ist in der experimentellen Controle zu erblicken, 
welche zeigt, daß die mit dem Sputum der mit Thiocol behandelten 
Kranken geimpften Meerschweinchen keinerlei tuberculöse Erschei¬ 
nungen aufweisen. Thiocol, bezw. Sirolin beeinflussen die Blut¬ 
beschaffenheit günstig und erzeugen eine beträchtliche Zunahme 
der Eiweißkörper des Plasmas. Das Thiocol erhöht ferner die Zahl 
der rothen Blutkörperchen und der Phagocyten, sowie die Hiimo- 
globinmenge und die Alkalescenz des Blutes. Thiocol ist demnach 
ein sehr werthvolles Heilmittel bei allen Krankheitszuständen, die 
mit einer Verschlechterung der Blutbeschaffenheit einhergehen. 

— Das Apentawasser wird von John Young Brown als 
wirksames Abführmittel in den Frühstadien der Appendicitis, ferner 


als Purgans nach einem etwaigen chirurgischen Eingriffe bei dieser 
Affection warm empfohlen. % Glas des Wassers genügt schon 
dieser Indication; zur Verstärkung der Wirkung nimmt man zweck¬ 
mäßig vorher und nachher ein Glas heißen Wassers. 

— Das Triferrin hat A. W. Latimer ganz hervorragende 
Dienste bei primärer und secundärer Anämie geleistet. Unter dem 
Einflüsse des Präparates, welches in Dosen von 0‘3 Grm. 6mal 
täglich oder in Combination mit Guajacolcarbonat verabreicht wurde, 
besserte sich zusehends das Befinden der Patienten und die Zahl 
der rothen Blutkörperchen, sowie der Hämoglobingehalt stieg an. 
Auch L. H. Warnee empfiehlt das Triferrin. Besonders hebt er 
hervor, daß das Triferrin vermöge seiner Nucleincomponenten 
befähigt ist, die Zahl der polynucleären Leukocyten herabzumindern 
unter Ersatz derselben durch junge Lymphocyten. 

— Die Wirkungen des Kaffee und Thee als Fällungsmittel 
für Gifte erörtert Sollmann („Zeitschr. d. allg. österr. Apoth.-Ver.“, 
1902). Des Verf. Untersuchungen lehren: Atropin, Coniin, Morphin 
und Pyridin werden selbst aus starker Lösung durch Kaffee nicht 
gefällt, durch Thee aus starker, nicht aus schwacher Lösung. 
Aconitin, Brucin, Cocain, Lobelin, Nicotin und Pilocarpin werden 
aus schwacher Lösung durch Thee kaum gefällt; Kaffee fällt sie 
selbst aus concentrirten Lösungen nicht. Dagegen werden Apo¬ 
morphin, Cinchona-Alkaloide, Hydraslinin, Strychnin und Veratrin 
aus verdünnten Lösungen wirksam durch Kaffee und Thee gefällt. 
Im Allgemeinen zeigt sich Thee gegenüber Alkaloiden als Fällungs¬ 
mittel dem Kaffee überlegen. Das Gleiche gilt auch von dem Ver¬ 
halten von Kaffee und Thee gegenüber Metallsalzen, nur nicht in 
so starkem Maße. Beide Getränke sind unwirksam gegen arsenige 
Säure und Brechweinstein. Sie fällen, aber nicht vollständig, die 
Salze von Kobalt, Nickel, Uran, Zink, ziemlich vollständig die 
von Aluminium, Blei, Silber. Quecksilber wird theilweise durch 
Thee, nicht aber durch Kaffee gefällt. Die beobachteten Unter¬ 
schiede im Verhalten der beiden Flüssigkeiten sind darauf zurück¬ 
zuführen, daß die Kaffeegerbsäure eine andere Zusammensetzung 
bat als die Gerbsäure des Thees. Am deutlichsten tritt dieser 
Unterschied beim Zusammenbringen mit Proteiden (Eiweiß, Albu- 
mose, Gelatine) auf, die mit Thee dichte Niederschläge geben, 
während sie mit Kaffee gar keine Reaction oder höchstens eine 
schwache Trübung zeigen. 

— Ueber die Pyrogalloltriacetat (Lenigallol)-Behandlung 
nichtparasitärer Hautaffectionen berichtet Walther Nie. Clemm 
(„Therap. Monatsh.“, 1902, Nr. 9), Darmstadt. Bisher war das Leni- 
gallol nur gegen subacute, chronische Ekzeme parasitärer Art von 
Kromayer u. A. empfohlen worden. Die specifische Beeinflussung 
chronischer Ekzeme auf scrophulöser Basis hebt zum erstenmale 
Clemm hervor: Lenigallol erwies sich auch wirksam in Fällen, 
in welchen Argent. nitr. versagt hatte. Verf. fuhrt eine Reihe von 
weiteren Beobachtungen an, wie scrophulöses Exanthem auf dem 
Kopfe, intertriginales Ekzem, Ekzem der unteren Extremitäten 
bei einem durchaus rachitischen und scrophulösen Kinde u. s. w. 
Das Präparat gelangte in Form einer 20%igen Lenigallolpaste 
(mit Vasoval) zur Anwendung. Der Verband blieb 3 Tage liegen. 
Am 3. Tage waren die geschwürigen Partien eingetrocknet, ver¬ 
kleinert und schwarz geätzt. Neuauflegung desselben Pastenverbands 
nach vorheriger Beseitigung der eingetrockneten Salbenkrusteu 
brachten den Proceß zur Abheilung. Mit Erfolg hat Verf. auch 
das Lenigallol gegen Drucknekrose angewandt. In diesem Falle 
wurde das Lenigallol in Substanz aufgepudert und eine Heftpflaster¬ 
kappe darüber gelegt. 

— Ueber Lecithin als natürliche, assirailirbare Form des 
Phosphors liegt eine Reihe bemerkenswerther Untersuchungen vor. 
Die Lecithine sind aus Fettsäuren, Glycerinphosphorsäure und 
Cholin zusammengesetzte Phosphorverbindungen, welche beim 
Kochen mit Säuren oder Basen in ihre Componenten zerfallen. 
Sie finden sich in jeder organisirten Zelle des Thier- und Pflanzen¬ 
reiches und bilden im menschlichen Körper einen besonders wichtigen 
Bestandtheil der Nervensubstanz, des Gehirns und der Blut¬ 
körperchen. Für ihre Unentbehrlichkeit spricht ihr Vorkommen in 
der Milch, im Eigelb und im Pflanzensamen. Die Ausnutzung des 
Lecithins im Organismus ist zweifellos eine vollständige, denn 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 45. 


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nach Bonge läßt sich nach Lecithindarreichung in den Fäces 
weder Lecithin , noch eines seiner Spaltungsproducte nachweisen. 
Als Mittel zur Hebung des Ernährungszustandes im Allgemeinen, 
besonders aber zur Kräftigung des Gehirns, des Rückenmarks und 
der Nervensubstanz steht das Lecithin im Vordergründe des Inter¬ 
esses, es wird besonders von französischen Aerzten als „natürlicher, 
physiologischer Phosphor“ empfohlen. Sein Indicationskreis erstreckt 
sich auf allgemeine und nervöse Schwäche, Rachitis, Diabetes, 
Tuberculose, Anämie, Phosphaturie, kurz, auf alle Zustände, welche 
mit mangelhafter Ernährung einhergehen. Deshalb ist es auch als 
werthvolles Hilfsmittel in der Reconvalescenz zu betrachten. Man 
kann Lecithin sowohl aus Pflanzensamen (besonders Leguminosen¬ 
samen), als auch aus Hühnereigelb gewinnen. Letzteres, das soge¬ 
nannte „Ovo-Lecithin“, ist das von den Physiologen bevorzugte. 
Mit seiner Darstellung und Einführung befaßt sich in Deutschland 
vorzugsweise J. D. Riedel. Das Riedel’sche Lecithin bildet eine 
gelbliche, fettartige, eigentümlich nach Ei riechende und schmeckende 
Masse, welche ungefähr 4% Phosphor enthält. Sie ist in Wasser 
unlöslich und wird in Berührung damit allmälig zersetzt. Löslich 
ist das Lecithin in Chloroform wie in Alkohol; aus letzterer Lösung 
wird es durch alkoholische Cadmiumchloridlösung gefällt. Man 
wendet es in Pillenform an oder in Olivenöl gelöst als subcutane 
oder intramusculäre Injection, auch mit Cacaoöl als Suppositorien. 
Eine sehr praktische Darreichungsform ist die in Gelatineperlen, 
welche je 0’05 Grm. Lecithin in Olivenöl gelöst enthalten. Die 
Dosis beträgt in jedem Falle 0'05—0’1 Grm., die Tagesdosis 
0'2—0 3 Grm. Eine besondere Diät ist nicht erforderlich. 


Literarische Anzeigen. 

Das biomechanische (neo-vitalistische) Denken in der 
Medicin und in der Biologie. Von Prof. Dr. Moriz 
Benedikt. Jena 1902, Gustav Fischer. 

Wie alle vorhergehenden Arbeiten Benedikt’s, so erfordert 
auch das Studium dieses ungemein tiefsinnigen Werkes nicht nur 
große fachliche, sondern auch universelle naturwissenschaftliche 
Kenntnisse. Was Benedikt beabsichtigt, erfahren wir am deutlichsten 
aus der Einleitung selbst, worin er den Beweis führt, daß Geistes¬ 
und Erfahrungswissenschaften keine streng gesonderten Gebiete dar¬ 
stellen, sondern stets einander ergänzen müssen. Die Naturwissen¬ 
schaften haben die Aufgabe, durch Beobachtung und Versuch 
gewonnene Erfahrungsreihen zu immer höheren Erkenntnißsätzen 
zu ordnen, und kommen dann auf der Höhe der begrifflich arbeiten¬ 
den Wissenschaften an. Benedikt geht also darau, mit Hilfe 
begrifflichen Denkens aus den anerkannten EinzelerkenntnisseD 
eine allgemeine Erkenntnißlehre zu schaffen. Nur ein Mann mit 
streng philosophischer Schulung und weitem Gesichtskreise wie 
Benedikt konnte und durfte an eine solche Aufgabe herantreten. 
Kant nennt die Urtheilskraft ein „a priori gesetzgebendes Ver¬ 
mögen“, und jenen Weg, den auch Benedikt in seinen Unter¬ 
suchungen einschlägt, wo nämlich das Besondere gegeben, aber 
das Allgemeine gefunden werden soll, reflectirende Urtheilskraft“. 
Die Principien und Grundgesetze aber, wie sie Benedikt aufstellt, 
sind nicht etwa Sentenzen metaphysischer Weisheit, auch nicht 
vage Speculationen, vielmehr liegt ihnen als feste Stütze eine Reihe 
wohlfundirter physikalischer, mathematischer, physiologisch-ana¬ 
tomischer und pathologischer Thatsachen und Formeln zugrunde, 
aus denen erst durch associatives Denken jene allgemeineren und 
höheren Naturgesetze sich ableiten ließen. Einzelne Capitel sind 
für unsere gangbaren Anschauungen derart unvermittelt neu, daß 
sie bei oberflächlicher Würdigung von manchen gewiß unverstanden 
oder mißverstanden werden dürften. 

Das 1. Capitel behandelt die Biomechanik des Zellenlebens. 
Verf. bezeichnet die jeder Zelle innewohnende Widerstandskraft 
als „negative Spannung“, d. i. als einen Reiz, welcher eine neuer¬ 
liche Anziehung von Stoff und Spannungen aus der Umgebung 
veranlaßt und dadurch den Bestand der durch Arbeit abgenützten 
Zelle sichert. Diese innere Spannung aber wird gerade durch die 
Arbeit der Zelle frei. Verf. unterscheidet zwei Formen der Fern¬ 


wirkung der Zellen: einmal mittelst des Saftstromes, dann mit 
Hilfe des Nervensystems. Die abgestoßenen Theile des Zellleibes 
schwimmen im Saftstrom als „geschlossene Atomgruppen“, und Verf. 
hat für sie den Ausdruck „Zellschollen“ gewählt. Andere Zellschollen 
besorgen den Binnenstoffwechsel und sollen als „Nutzschollen“ 
bezeichnet werden. Eine dritte Art im. Blutserum schwimmender 
Atomgruppen wird durch Seuchengifte gewissermaßen reflectorisch 
erzeugt und wird mit dem Namen „Schutzschollen“ belegt. Findet 
die Bildung von Schollen aus krankhaften Zellen statt, dann haben 
wir es mit „Ablagerungsschollen“ (Metastasen) zu thun. Die zweite 
Art der Beförderung von Spannungen geschieht auf dem Wege 
der Nerven, und zwar durch wegführende (centripetale) und zu- 
führende (centrifugale) Nerven. Auf diese Weise werden Circulation 
uud Athmung durchs ganze Leben erhalten. Durch Ladung und 
Entladung lernen wir die meisten physischen Vorgänge verstehen. 
Verf. erörtert in klarer Weise das Wesen der Hemmungsnerven 
und Hemmungen verschiedenster Art. Vom selben Gesichtspunkte 
beleuchtet Verf. das Wesen des „Decubitus“ und gelangt zum 
Begriffe der doppelseitigen Leitung innerhalb der 
Nerven. Für die Associationsfasern ist die Thatsache der doppel- 
sinnigen Leitung evident. Dies neue Gesetz ist auch für die 
Pathologie der Tabes von großer Bedeutung. Originell ist ferner 
die Annahme, daß der Endothelschichte der Gefäße die Rolle einer 
Flächendrüse für die Alkalescenz des Blutes zukomrae. Das von 
Benedikt vor vielen Jahren aufgestellte Gesetz, wonach krankhafte 
Reize keine physiologischen Gesetze befolgen, sondern nach allen 
Richtungen regellos durchbrechen können, ist im IV. Abschnitte 
neuerlich besprochen. 

Das VI. Capitel enthält drei bioraechanische Grundgesetze: 
das Grundgesetz der Lebensäußerungen, welches die ganze lebende 
Welt, jedes Organ und jeden Organismus beherrscht und in die 
Form einer mathematischen Gleichung gekleidet ist; das Minimal¬ 
gesetz und das Luxusgesetz nebst dem wichtigen Principe der 
„Schichtarbeit“. In der Biomechanik des Wachsthums“ steht Verf. 
auf dem Boden der mathematischen Morphologie und fordert zum 
Studium der Dynamik des Wachsthums auf. Die „Biomechanik des 
Blutstromes“ ist aus früheren Arbeiten des Verfassers genugsam 
bekannt. Im Schlußcapitel „Die Biomechanik der Fortpflanzung“ 
nimmt Verf. zur sagenhaften Schöpfungsgeschichte Stellung und 
bemerkt, daß nothwendigerweise eine Anzahl von Individuen als 
erste Glieder der Ahnenreihe des vollendeten Menschen angenommen 
werden müssen, und daß die verschiedenen Varietäten nicht durch 
Anpassung, sondern durch verschiedene Ursprungsanlage entstanden 
seien. Von diesem Gesichtspunkte ist die Annahme der Abstammung 
von einem Paare ebenso eine Irrlehre, wie die Lehre vom Arier¬ 
thum und anderen Rassen. Verf. bemüht sich, durch anschauliche 
Beispiele die evolutionistische Weltanschauung ad absurdum zu 
führen. 

Diese kurze Inhaltsangabe möge die Originalität, Tiefe und 
den Geist der Ansichten Benedikt’s beweisen. Referent möchte 
auf dies Buch Geibel’s Worte anwenden: „Was die Epoche besitzt, 
das verkünden hundert Talente —, aber der Genius bringt ahnend 
hervor, was ihr fehlt.“ J. Flesch. 

Taschenbuch der Massage. Für Studirende und Aerzte. 
Von Dr, Erich Ekgren. Berlin 1902, S. Karger. 

„Die Massage in der Westentasche“ könnte sich das nett 
ausgestaltete Büchlein nennen , das der junge Autor soeben edirt 
hat. Er fand, daß die bestehenden Handbücher „vielleicht etwas 
zu groß und nicht portativ genug seien“, und verfaßte ein hand¬ 
liches Werkchen, das der praktische Arzt nebon Taschenkalender, 
Stethoskop, Plessimeter, Bandmaß etc. bei sich tragen kann, um 
gegebenenfalls flugs nachzusehen, welche Haudgriffe er anzu¬ 
wenden habe. 

Das flott geschriebene, von eigener Erfahrung zeugende, mit 
einem empfehlenden Vorworte Senator’s eingeleitete Schriftchen 
hätte dieser Motivirung seiner Existenz zu entrathen vermocht. 
Warum soll es nicht auch Taschenbücher der Massage, Hydro¬ 
therapie und anderer physikalischen Heilraetholei geben, aus 


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welchen der vielbeschäftigte Praktiker das Wichtigste der techni¬ 
schen Details und ein wenig physiologische Begründung schöpft? 
Massiren wird er aus solchen Büchlein ebenso wenig lernen, wie 
aus den „nicht portativen“ Hand- und Lehrbüchern, falls er dies 
nicht durch eigene Hebung erlernt. Freilich bedarf er einer klaren 
Anleitung, doch muß in einer solchen durch Text un 1 Bild das 
lebende Wort und die Beobachtung der Technik des Lehrers thun- 
lichst ersetzt werden. Die Zahl solcher instructiver Abbildungen 
(11) ist in Ekgren’s Taschenbuch wohl allzu spärlich, sein Text 
stellenweise allzu knapp gehalten. Auch die Citate sind nicht immer 
richtig. Die vom Autor an zweiter Stelle angegebene Methode der 
Halsmassage rührt nicht von H. Strvuss, sondern von Gerst her. 

Wenn wir von der problematischen Massagebehandlung bei 
Tracheitis und der Milzraassage absehen, kann dem Werkchen 
wissenschaftlicher Ernst nicht abgesprochen werden. Ob die Mehr¬ 
zahl der ärztlichen Masseure sich mit der Technik Ekgren’s, zu¬ 
mal seiner Abdominalmassage, einverstanden erklären wird, wollen 
wir unentschieden lassen. Jeder massirende Arzt hat Lieblingshaud- 
griffe, und eine allgemein gütige Technik läßt sich kaum aufstellen. 

Die Beifügung heilgymnastischer Bewegungen im Anschlüsse 
an die topische Massagetechnik ist eine dankenswerthe That des 
Autors , welcher der maschinellen Gymnastik gegenüber eine ab¬ 
lehnende Haltung einzunehmen scheint. Die Existenz der HERz’schen 
Apparate übergeht er mit beredtem Schweigen. 

Das kleine Buch des fleißigen Autors wird sicherlich dazu 
beitragen, das Interesse der praktischen Aerzte für die von ihnen 
bisher so vernachlässigten mechanischen Methoden wachzurufen. In 
diesem Sinne heißen wir es willkommen. Bum. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Aus den Abteilungen 

der 

74. Versammlung deutscher Naturforscher und 

Aerzte. 

Karlsbad, 21.—27. September 1902. 

(Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) 

VII. 

Abtheilung für Chirurgie. 

REGER (Hannover) demonstrirt Fiebercurven, welche die 
gesetzmäßige Einwirkung der bakteriologischen Infection, des biolo¬ 
gischen Verhaltens der Mikroorganismen auf dem „Nährboden Mensch“ 
darthun sollen. Es handelte sich in einem Falle um eine Schu߬ 
verletzung des Bauches, Phlegmone pelvis, in einem anderen um 
dieselbe Affection nach stumpfer Verletzung der Sacra'gegend. Ein 
dritter Fall betraf einen Collegen, der sich mit Rotz inficirt hatte, 
und der nach langem Krankenlager starb. Die Temperaturcurven 
sollen darthun , daß es sich um Sporulation, nicht um Knospung 
der Bakterien handelt. Vortr. redet der „inneren Antisepsis“ das 
Wort. 

Kausch (Breslau): Der Diabetes in der Chirurgie. 

Redner empfiehlt zunächst in allen Fällen sorgfältigste Urin¬ 
untersuchung, kommt dann auf die Operationen an Diabetikern zu 
sprechen, beleuchtet die Gefahren derselben und will die Patienten 
möglichst im zuckerfreien Stadium nach eingeleiteter antidiabetischer 
Cur operirt wissen. Er zieht die Consequenzen daraus soweit, daß 
er den Patienten, der nicht zuckerfrei zu bekommen ist, wenn 
keine vitale Indication vorliegt, nicht operirt. Er erinnert an die 
von Reynier aufgestellte Forderung, die Diabetiker nicht zu operiren, 
wenn die Patellarreflexe nicht vorhanden sind, sondern erst dann, 
wenn dieselben durch eine antidiabetisehe Cur wieder da sind. Wir 
wissen längst, daß die Forderung auf falschen Voraussetzungen 
beruht uud daß sie Reynier z. B. dahin geführt hat, ein Mamma¬ 
careinom ein Jahr lang auf die Amputation warten zu lassen. 
K. kommt dann auf die Narkose an Diabetischen zu sprechen und 


empfiehlt die Aethernarkose. Vor der Operation und eine längere 
Zeit vorher empfiehlt er, große Dosen von Natr. bicarbon. zu geben, 
per os, per elysma oder, wenn die Wirkung schnell eintreten soll, 
mittelst intravenöser Injection. Die Indicationen für die Absetzung 
bei diabetischer Gangrän sollen nicht zu eng gezogen werden ; die 
Absetzung soll allerdings individualisirt werden, je nach dem 
schnellen oder langsamen Fortschreiten der Gangrän, je nach der 
Beschaffenheit der durchschnittenen Gefäße. 

Julius Sternberg (Wien): Ueber Operationen an Diabetischen. 

Die Indicationen für chirurgische Eingriffe an Zuckerkranken 
sind nicht bei allen Aerzten die gleichen. Dies gilt sowohl für die 
sogenannten chirurgischen Complicationen des Diabetes mellitus, wie 
für Krankheiten, welche unabhängig von diesem sich entwickelt 
haben. — S. gibt eine Uebersicht der therapeutischen Vorschläge 
für die Behandlung der Krankheiten der orsten Gruppe (Furun- 
culosis, Carbunkel, Phlegmonen, Extremitätengangrän, Mal perforant, 
Mastoiditis, Cataract) und wendet sich speciell der verhältniß- 
mäßig kleinen Literatur der zweiten Gruppe zu. Kaum 
100 operative Fälle sind veröffentlicht, von denen gut die Hälfte 
in die vorantiseptische und in die antiseptische Epoche fallen. 
Man findet fast sämmtliche Krankheiten darunter vertreten, welche 
auch an normalen Individnen Gegenstand operativer Intervention 
werden können. Relativ häufig Carcinome, davon Erkrankungen 
des weiblichen Genitales, des Darmtractes u. s. w. S. kann nun 
aus dem Rudolfinerhause in Wien und aus der Privatpraxis Ger- 
suny’s weitere 10 Fälle (2 Carcinoma mammae, Carcinoma recti, 
Carcinoma maxillae, Myoma uteri, 2 Perityphlitis recrudescens, 
Cholecystitis, Empyema pleurae, Prolapsus vaginae mit Ruptura 
perinei) anführen, an welchen zusammen 16 große Operationen 
ausgeführt wurden. Dazu kommen aus der ersten Gruppe 88 Fälle 
(67 Carbunkel, 2 Phlegmonen, 18 Gangrän, 1 Mal perforant). Die 
bisherigen Bearbeiter des Themas haben Regeln aufgestellt, wonach 
nur dringende oder lebensrettende Operationen ausgeführt werden 
dürfen. Für die weniger dringlichen wird der gute Erfolg einer 
antidiabetischen Cur zur Bedingung gemacht. Die internen Kliniker 
perhorresciren zum Theil jede Operation, zum Theil schließen sie sich 
den obigen Thesen an. Auch die chirurgischen Lehrbücher ent¬ 
halten nur spärliche und recht vorsichtige Aeußerungen. Erst in 
den letzten Jahren werden Stimmen laut, welche eine Erweite¬ 
rung des Gebietes operativer Thätigkeit befürworten. 
— S. bespricht an der Hand der Literatur und der neuen Fälle 
die einzelnen Momente, welche gegen die Vornahme von Opera¬ 
tionen angeführt werden, den Einfluß der Narkose (Coma), Opera¬ 
rationsmethoden, Blutung, Störungen in der Wundheilung, Diät und 
kommt zu folgenden Schlüssen: 

1. An einem Diabetischen kann jeder als nothwendig er¬ 
kannte operative Eingriff ausgeführt werden. 

2. Die Diät ist zu überwachen, eine diätetische Vorbereitungscur 
ist wünschenswerth, aber nicht Bedingung. 

3. Narkose, Operationsraethode und Verband sollen so einfach 
als möglich gewählt werden. 

Discussion. 

0. t raus (Karlsbad) betont die nicht seltenen Unterlassungsgründe einer 
z. B. nicht behandelten Prostatahypertrophie oder Cystitis bei bestehendem 
oder gefürchtetem Diabetes. Man sollte über dem Diabetes daher nicht die 
Harnorgane vergessen. 

Storp (Königsberg) hat in allen Fällen von den im zuckerfreien 
Stadium Operirten nach der Narkose (Chloroform , Aether oder Billroth) stets 
wieder Zucker im Urin gefunden. Für die Nachbehandlung empfiehlt er die 
offene Wundbehandlung. 

Fink (Karlsbad) hat gefunden, daß die Patienten, die in Karlsbad und 
nach einer Karlsbader Cur operirt werden, leichter zur Heilung kommen als 
in ihrer Heimat. Er betrachtet dies als eine Folge der leichteren Entzucke¬ 
rung in Karlsbad. 

Friedrich (Leipzig) : Ueber die physiologischen und pathologi¬ 
schen Functionen des Stirnhirns. 

Demonstration eines Falles von großem Tumor (Sarkom), 
Durae matris frontalis, der mit dem Stirnbein in breiter Aus¬ 
dehnung verwachsen war und das Stirnhirn, 1. und 2. Stirnwindung 
rechts nicht nur comprimirt hatte, sondern bei dessen Entfernung 
sich Rindentheile im Zustande gelber Erweichung mitlösten, so daß 


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der rechte Scitenvenlrikel breit eröffnet wurde. Die großen geistigen 
Störungen, die sich besonders auf sexuellem Gebiete bewegten, ver¬ 
schwanden sofort nach der Exstirpation. 

Demonstration des Präparats und des Patienten. Die Opera¬ 
tion ißt 1 Jahr und 1 Monat her. Der über handtellergroße Schädel- 
defect ist nicht geschlossen. 

Discnssion. 

Steinthal (Stuttgart) hat einen ähnlichen Fall von Fibroaarkom des 
Großhirns aufznweisen. Die Witzelsucht des Patienten verschwand nach der 
Exstirpation. 


Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Med. Presse“.) 

Sitzung vom 6. November 1902. 

A. BUM stellt einen 22jährigen jungen Maun mit Spasmus 
der Bauchmuscnlatur und der Streckmuskeln beider 
Unterextremitäten, sowie spastischer Obstipation 
vor. Pat. leidet seit zwei Jahren an ßtuhlverstopfung und den ge¬ 
nannten Muskelspasmen, die eine kyphotische Körperhaltung be¬ 
dingen, an Kopfdruck und Schmerzen in Brust, Rücken und Unter¬ 
leib. Abführmittel jeder Art waren von unverläßlicher Wirkung. 
Die Untersuchung ergab symmetrische spastische Contractur der 
Recti, Obliqui und Quadricipites, Druckempfindlichkeit der Dorn¬ 
fortsätze der beiden ersten Lendenwirbel, leicht erhöhte Bauch- 
deckeu- und Patellarreflexe, Fußclonus; elektrische und mechanische 
Erregbarkeit der Museulatur nicht alterirt. Auffallend ist das 
Nachlassen, wenn auch nicht vollständige Verschwinden des 
Muskelspasmus bei Ablenkung der Aufmerksamkeit des Kranken 
durch Gespräche und bei Ausführung solcher Bewegungen, welche — 
wie Rfickwärtsbeugungen in Kniebeuge — bei Persistenz des 
Spasmus unausführbar w'ären. Narkose wird abgelehnt. Am Abdomen 
Dämpfung über dem Colon descendens; die Palpation ermöglicht 
zuweilen den Nachweis einer versteiften, strangartig contrahirten, 
nicht knetbaren (Sohlern) Darmpartie, dem Colon descendens 
entsprechend, Symptome, welche die spastische Obstipation cliarak- 
terisiren. Für das Vorhandensein dieser Form spricht im übrigen 
auch die relative Unwirksamkeit der Abführmittel. Vortr. gelangt 
per exclusionem zur Annahme des functioneilen Charakters 
des Muskelspasmus. Diese Diagnose deckt sich mit den Erfahrungen 
des Vortr. bezüglich des Vorkommens der Obstipatio spastica bei 
Neurasthenikern und Hysterischen. Während die atonischen Formen 
der habituellen Obstipation , zumeist bei Frauen und liier häufig 
als Theilerscheinung des GLENARD’schen Symptomencomplexes vor¬ 
kommend, mit Erschlaffung der Bauchmusculatur einhergehen, hat 
B. die spastische Obstipation in der überwiegenden Mehrzahl der 
Fälle bei Männern, zumeist geistig überbürdeten Neurasthenikern, 
mit sehr kräftigen, bei Berührung und Palpation sich mächtig 
contrahirenden Bauchdecken gefunden. Der vorgestellte Fall ist 
als selten beobachtete Steigerung dieser Symptome aufzufassen. 

K. REUTER führt einen 28jähr. Pat. mit Hämophilie vor. 
Bei demselben treten seit 20 Jahren zeitweise plötzlich und ohne 
Veranlassung Anschwellungen der großen Extremitätengelenki (Knie-, 
Schulter-, Ellenbogengelenke) auf, welche nur mit geringen Schmerzen 
einhergehen und eine Functionsstörung der Gelenke herbeiführen. 
Außerdem kommt es zeitweise zu Blutaustritten in die Haut und 
aus dem Zahnfleisch. Pat. stammt aus einer Bluterfamilie. 

ROß. KIENBÖCK stellt einen Mann mit einer Revolverkugel 
im Pericard vor. Derselbe hat sich vor 11 Monaten einen Revolver¬ 
schuß in die Schläfengegend und einen zweiten in die Herzgegend 
beigebracht. Darauf bekam er fieberhafte Bronchitis, und es wurden 
bei ihm Symptome einer Mitralinsufficienz constatirt. Die im Schädel 
steckende Kugel wurde nach Trepanation entfernt; der Einschu߬ 
öffnung links nach außen von der Mammillarlinie entspricht keine 
AuBschußöffnung. Die Roentgendurchleuchtung ergab, daß die Kugel 
im Pericard hinter dem Herzen sitzt und unter dem Einflüsse der 
Herz- und Diaphragmabewegungen Bewegungen in einer elliptischen 
Bahn ausführt. Die Kugel ist in einen Intercostalraum eingetreten 
und dürfte, längs der Rippen nach rückwärts verlaufend, von der 
Wirbelsäule abgeprallt und von rückwärts in den Herzbeutel ein¬ 


gedrungen sein. Es ist möglich, daß die Mitralinsufficienz — falls 
sie nicht etwa schon vor dem Selbstmordversuch bestanden hat — 
auf die Zerreißung einer Klappe infolge der durch das Projectil 
verursachten Erschütterung des Herzens zurückzuführen ist. 

JLudw. Braun bemerkt, die Mitralinsufficienz bei dieser Schußver¬ 
letzung könne auch entstanden sein, indem die Kugel die Herzwand verletzte, 
ohne daß es jedoch zu Zerreißang einer Klappä hätte gekommen sein müssen. 
Continuitätsverletzungen der äußeren Muskelschicht an der Horzbasis können 
einen unvollständigen Verschluß des Ostium durch mangelhafte Contraction 
der dasselbe umgebenden Museulatur bewirken, Ueber diese Möglichkeit der 
Entstehung muß der weitere Verlauf Aufschluß bringen, Es wurde übrigens 
auch experimentell erwiesen (Babnard), daß durch Verletzung des Herzbeutels 
allein beim Thiere Klappeninsufficienz, und zwar der Tricuspidaüs, erzeugt 
werden kann. 

L. V. Schrötter meint, daß die Kugel nicht erst von einem Knochen 
abgeprallt sein mußte, um von rückwärts in den Herzbeutel einzutreten, da 
Projectile auch in Weichtheilon sonderbare Wege einschlagen können. Da alle 
Angaben über das Verhalten des Herzens vor und nach der Schußverletzung 
fehlen, ist es nicht möglich zu sagen, ob die Mitralinsufficienz auf das 
Trauma zu beziehen sei. Um die Iusufncienz in der von Braun angegebeaen 
Weise zu erzeugen, müßte das Projectil einen Papillarmuskel verletzen. 

Lndw. Braun erwidert, daß zum Verschlüsse der Herzostien die Herz- 
musculatur auch in der Weise beträgt, daß sie das Ostium verengt, damit 
es von den Klappen gedeckt werden könne. Daher genügt unter Umständen 
eine Verletzung der Herzwand allein zum Zustandekommen einer Insufficieuz. 

R. KAUFMANN demoustrirt eine Frau, bei welcher or ein 
Ulcus ventricnli mit Thiosinamin behandelt hat. Die 
Kranke hat seit 11 Jahren Magenbeschwerden, besonders im An¬ 
schlüsse an Mahlzeiten; vor 2 Jahren Hämatemesis. Später ent¬ 
wickelte sich ein schmerzhafter, faustgroßer Tumor im Epigastrinm. 
Die Diagnose wurde auf Ulcus ventriculi mit tumorartiger Wuche¬ 
rung gestellt. Vortr. versuchte, durch Thiosinamininjectionen die 
nach Heilung des Ulcus bestehenden Beschwerden zu beeinflussen, 
von der Erwägung ausgehend, daß die narbenerweichende Wirkung 
des Mittels vielleicht auf die Ulcusnarbe und den Tumor günstig 
einwirken könnte. Es wurden 2 Tage nacheinander je eine halbe 
PßAVAz’scheSpritze einer 15%'o ea Thiosinaminlösung eingespritzt, 
nach 14 Tagen oder nach 3 Wochen folgte je eine weitere Injection. 
Der Erfolg der Therapie ist ein vorzüglicher. Pat.' hat gegenwärtig 
keine Schmerzen und der Tumor ist fast ganz verschwunden. 

Ji. Teleky erinnert an 3 Fälle von narbiger Odsophagusstenose, welche 
er mit Thiosinamininjectionen behandelt und im vorigen Jahre in der „Ge¬ 
sellschaft der Aerzte“ demonstrirt hat. In zwei Fällen, welche alte Stricturen 
betrafen, war der Erfolg sehr gut und dauernd, bei einer erst seit kurzer 
Zeit bestehenden Stenose trat Verschlechterung ein. Das Thiosinamin sollte 
nur bei älteren Oesophagusstenosen angewendet werden, da bei frischen Fällen 
infolge der Aullockernng und Schwelluug des Narbengewebes die Beschwerden 
gesteigert werden. Auch in zwei anderen Fällen von Oesophagussteuose hat 
er von dem Thiosinamin gute Erfolge gesehen. Das Mittel soll vorsichtig dosirt 
werden. (Schluß folgt.) 


K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 31. October 1902. 

KARL STERNBERG demonstrirt anatomische Präparate eines 
Falles von Lymphosarkomatose der mediastinalen 
Lymph drüsen. Bei einem 14jähr. Knaben, welcher unter Athem- 
noth, Druckschmerzhaftigkeit aller Knochen und Auftreibung des 
Abdomens erkrankte, wurden bei der Untersuchung eine hoch¬ 
gradige Vergrößerung der Leber und der Milz, enorme Vermehrung 
der Leukocyten, besonders der großkernigen, und spärliche kern¬ 
haltige Erythrocyten festgestellt. Pat. starb unter Zunahme der 
Athemnoth. Die Obduction ergab: Sarkomatose der mediastinalen 
Lymphdrüsen, Vergrößerung der Leber und der Milz von leukämi¬ 
schem Charakter, kleine Blutungen im Gehirn. — Eine Vermehrung 
der großkernigen Lenkocyten im Blute scheint für Lymphosarko¬ 
matose , welcher auch das Chlorom nahesteht, charakteristisch 
zu sein. 

Rieh. Kretz hat in einem Falle von Lymphodermie ähnliche Verän¬ 
derungen beobachtet. 

OTTOK. CHIARI berichtet über einen Fall von Fremdkörper 
im Larynx. Ein 5jähr. Kind mußte wegen plötzlich während 
des Essens eingetretener Athemnoth tracheotomirt werden. Laryngo- 
skopisch und radiographisch ließ sich kein Fremdkörper in den 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 45. 


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Luftwegen nachweisen, die Sonde stieß dagegen im Kehlkopf auf 
einen rauhen Gegenstand. Dieser wurde mittelst Laryngofissur ent¬ 
fernt; es war ein 2 Cm. langes Stück Holzkohle. 

Mich. Großniann berichtet über eine Frau, bei welcher während eines 
Extractionsversuches ein unter den Stimmbändern eingekeiltes Knochenstück 
in die Luftwege hinabglitt und dort auch mittelst Roentgenstrahlen nicht nach¬ 
weisbar war. Die Athemnoth war dabei sofort verschwunden. Der Knochen 
wurde später ausgehustet. 

Victor Urbantschitsch: Ueber die Beeinflussung subjectiver 
Gesichtsempfindungen. 

U. bespricht die Scheinbewegungen , gewisse Scheinbilder 
und Veränderungen der Farbenempfindungen. Scheinablenkungen 
zeigen sich besonders an linien- und punktförmigen Gesichtsobjecten, 
beim Fixiren derselben und noch häufiger durch akustische, tactile 
und verschiedene andere äußere Einflüsse. Auch die Nachbilder und 
die neben Gesichtsobjecten auftretenden subjectiven Gesichtsbilder 
können durch äußere Einwirkungen Scheinbewegungen erfahren 
oder die besprochenen Scheinbilder werden durch äußere Einflüsse 
hervorgerufen. Einen besonderen Einfluß auf Scheinablenkungen 
und Scheinbilder überhaupt vermögen die verschiedenen Farbeu- 
einwirkungen zu äußern, wobei sich die einzelne Farbe ganz eigen¬ 
artig erweisen kann. Akustische, tactile und andere äußere Ein¬ 
wirkungen beeinflussen ferner die den objectiven Farbenbildern 
zukommenden Farbenempfindungen sowohl betreffs der Qualität 
der Farbe, als auch betreffs gewisser Scheinveränderungen in der 
Ausdehnung des Farbenfeldes. Von besonderem Interesse sind die 
Veränderungen, welche die farbigen Nachbilder durch sensorielle 
und sensitive Einflüsse erleiden können; in zahlreichen Farbentafeln 
hat Vortr. die verschiedenen, dabei zu beobachtenden Farbenbilder, 
das Auftreten neuer Farbenempfindungen, die Umwandlung der 
früheren Farbenempfiudungen in andere Farbeneindrücke etc. be¬ 
sprochen. Aenderungen der Farbenempfindungen im objectiven und 
subjectiven Gesichtsbilde können ferner durch die Vorstellung allein, 
also willkürlich erfolgen. U. berichtet über viele darüber angestellte 
Versuche, denen zufolge eine willkürlich gedachte Farbe die be¬ 
stehenden Fabenempfindungen zu beeinflussen und zu verdrängen 
vermag. Der Vortr. erwähnt schließlich die große Empfindlichkeit 
unseres Auges für Farbeneinwirkungen, derzufolge bei einer 
Lichtabschwächung bis auf 6 /iooo Lichtstärke noch ein Einfluß der 
einwirkenden Farbe auf das Nachbild nachweisbar ist. Ueber diesen 
letztgenannten Gegenstand sind die Untersuchungen des Vortr. 
nicht abgeschlossen und er wird darüber noch eingehender be¬ 
richten. 


(Sitzung vom 7. November 1902.) 

Vict. Hanke demonstrirt einen Knaben mit einem Dermoid 
der Cornea. Der ganze Bulbus ist in eine blaßrothe, mit Härchen 
besetzte Geschwulst umgewandelt. Therapeutisch kann wegen der 
Größe derselben nur die Enucleation des Bulbus in Anwendung 
kommen. 

K. BÜDINGER stellt eine 27jähr. Frau vor, bei welcher er 
wegen Stieldrehung der Milz eine Splenektomie aus¬ 
geführt hat. Vor 3 Monaten stellten sich bei der Pat. plötzlich 
Schmerzen in der linken Seite, Erbrechen und Meteorismus ein; 
gleichzeitig wurde im linken Hypochondrium ein Tumor constatirt, 
welcher den Rippenbogen handbreit überragte und als dislocirte Milz 
erkannt wurde. Als peritonitische Erscheinungen auftraten, wurde 
die Laparotomie ausgeführt, bei welcher man die Milz nach ab¬ 
wärts gerückt und um ihre Quer- und Längsachse gedreht fand. 
Der Stiel, in welchem die thrombosirten Milzgefäße verliefen, wurde 
unterbunden und die Milz exstirpirt. Heilung per priraam. Bisher 
wurde ca. 12mal die Milzexstirpation, meist wegen Wandermilz, 
ausgeführt. 

Em. Zuckerkandl zieht die Entwickelungsgeschiehte zur Erklärung 
der Entstehung der Milzdrehung und der Wandermilz heran. Beim Embryo 
entstehen im axialen Theile des noch freien Mesogastrium das Pankreas und 
an dessen Schweifende die Milz; in diesem Stadium sind also beide Organe 
nicht mit der Rumpfwand verlöthet. Im 4. Fötalmonat wird das Pankreas, 
und in der Mitte des Fötallebens auch die Milz an die hintere Rumpfwand 
flxirt. Z. demonstrirt ein anatomisches Präparat eines Erwachsenen, an welchem 


der fötale Zustand erhalten ist; das Pankreas ist nicht flxirt und bildet den 
Stiel der Milz. 

E. Ullmann hat die Splenektomie in einem Falle ausgeführt, in welchem 
eine Wandermilz ins rechte Hypochondrium dislocirt war. 

W. Latzko berichtet über einen Fall, in welchem eine Wandermilz, 
deren Stiel den Schweif des Pankreas enthielt, im Becken tastbar war und 
als Ovarialtumor angesehen wurde. 

Hirsch demonstrirt ein anatomisches Präparat von Carcinom 
der Schilddrüse. Dasselbe stammt von einem 19jähr. Manne, 
bei welchem eine schnell wachsende Struma zur Recurrenslähmung, 
sowie zur Dislocation und Stenosirung der Trachea geführt hatte. 
Die Untersuchung der radical entfernten Schilddrüse ergab in 
derselben ein Carcinom. Zwei Wochen nach der Operation trat ein 
Recidiv ein, welches rapid wuchs und zur Erstickung führte, da 
die Tracheotomie wegen Zerstörung der Trachealknorpel nicht aus¬ 
geführt werden konnte. 

HERM. SCHLESINGER stellt ein Mädchen vor, bei welchem 
eine seit einigen Jahren bestehende Hemiatrophia faciei 
durch Vaselin einjectionen nach Gersuny kosmetisch sehr 
schön verdeckt wurde. Die Behandlung hat ein Jahr gedauert. 

ROB. KIENBÖCK demonstrirt einen Fall von sporadischem 
Cretinismus. Der 18jähr. Knabe ist 113 Cm. hoch, von propor- 
tionirtem Knochenbau, die Ossificationsverhältnisse entsprechen 
dem Lebensalter von 12 Jahren. Er ist geistig zurückgeblieben, 
aber nicht cretinenhaft. Die Schilddrüse ist palpabel, der Panniculus 
adiposus ziemlich stark entwickelt. Die Therapie wird in Verab¬ 
reichung von Schilddrüse bestehen. 

J.PÄL erstattet eine vorläufige Mittheilung über das Ergeb- 
niß seiner Versuche, welche er zur Erklärung der Darm¬ 
wirkung des Atropins angestellt hat. Die Thierversuche 
zeigten, daß das Atropin in der Regel die Eudapparate des Splanch- 
nicus, des Vagus und auch die Vasomotoren schädigt und eventuell 
lähmt. Dabei bleiben die Musculatur der Darmwand und die Gang¬ 
lienapparate , welche die Pendelbewegung und die Peristaltik des 
Darme3 beherrschen, frei; der Tonus der Darmwand wird herab¬ 
gesetzt. Die Indicationen des Atropins bilden der dynamische und 
der paralytische Ileus und die Incarceration. 

Discussion zum Vortrage von Vict. Urbantschitsch: „Ueber 
die Beeinflussung subjectiver Gesichtsempfindungen.“ 

M. Benedikt hebt das Verdienst von Ubbantschitsch hervor, der als 
der Erste darauf hingewiesen hat, daß bei Erregung eines Nerven viele Er¬ 
regungen auch in andere Nerven (motorische, sensible und Sinnesnerven) ein¬ 
strömen. Das wirft auch ein Licht aaf die oft sonderbare und vielgestaltige 
Reaction der Hysterischen auf äußere Reize. Scheinbewegungen können durch 
Schalleinwirkungen entweder so hervorgerufen werden, daß die Erregung des 
Hörnerven in die motorischen Muskelbahnen des Auges oder in die sensiblen 
Muskelnerven desselben einstrahlt, wodurch eine Action derselben dem Be¬ 
wußtsein vorgetäuscht wird. Nachbilder sind nicht ein Product des Central¬ 
nervensystems, sondern eine Ermüdungserscheinung der Retina. Der Einfluß 
der Vorstellung einer Farbe auf Nachbilder scheint für einen centralen Vor¬ 
gang zu sprechen; doch ist dabei zu bedenken, daß centrale Vorstellungen in 
die Peripherie projicirt werden können. So fühlt z. B. der Hypochonder seine 
eingebildeten Schmerzen an einer bestimmten Stelle der Peripherie. 


Notizen. 


Wien, 8. November 1902. 

Das November-Avancement der Militärärzte. 

Was der Mai 1902 versäumte, das hat der November wieder 
eingebracht: Das Avancement stellt sich diesmal recht ausgiebig 
dar. Im Vergleiche zum Mai, dessen Ziffern in Klammern beigesetzt 
sind, wurden ernannt: 2 (0) Generalstabsärzte, 11 (4) Oberstabs¬ 
ärzte I. Classe, 17 (5) Oberstabsärzte II. Classe, 19 (6) Stabsärzte, 
27 (16) Regimentsärzte I. Classe und 33 (24) Regimentsärzte 
II. Classe, in Summa 109 (55) Beförderte, entsprechend 8’8% 
(4’4 0 /o) des Gesammtstandes. Außer der Rangtour sind ernannt 
5 Oberstabsärzte II. Classe und 5 Stabsärzte, d. i. 9% sämmtlicher 
Beförderter oder 29, resp. 26% der in die betreffende Charge 
Avancirten. Was die Dienstzeit betrifft, so hatten in der bisherigen 
Charge gedient: die Generalstabsärzte 5 Jahre, die Oberstabsärzte 
I. Classe 2%—3Va Jahre, die Oberstabsärzte II. Classe 3% bis 
5 Jahre, die Stabsärzte 10—15 Jahre, die Regimentsärzte II. Classe 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 45. 


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2 8 / 4 —3 1 /, Jahre. Wenn man einerseits die Minimal-, andererseits 
die Maximaldienstzeit in den einzelnen Chargen summirt, so ergibt 
sich , daß bei Fortdauer der gegenwärtigen Beförderungsweise die 
zur Erlangung eines Oberstabsarztes I. Classe erforderliche Ge- 
sammtdienstzeit im allergünstigsten Falle 17 3 / 4 Jahre, im un¬ 
günstigsten Falle 27 Jahre betragen würde. Thatsächlich dient der 
rangälteste der jetzt ernannten Oberstabsärzte 30 3 / 4 , der rang¬ 
jüngste 31 1 /, Jahre, was soviel bedeutet, als daß die nachjosefinische 
Generation in ihren Beförderungsverhältnissen um mindestens 4 bis 
5 Jahre günstiger gestellt ist, als die alte Garde der Josefs¬ 
akademiker. 

Bei alledem muß aber gesagt werden , daß die verhältniß- 
mäßig günstigen Beförderungsaussichten der Jetztzeit nicht so sehr 
in dem organisationsgemäßen Chargenverhältnisse, als vielmehr in 
gewissen Nebenmomenten begründet sind und daher nicht als An¬ 
zeichen einer natürlichen, gesunden Entwickelung des Corps ge¬ 
deutet werden können. Einerseits werden durch die stabsärztliche 
Prüfung alljährlich mehrere Regimentsärzte aus dem Avancement 
ausgeschaltet, ein Mißgeschick, das nicht gerade unfehlbar immer 
die Ungeeignetsten ereilt, und andererseits scheint es durchaus 
nicht über jedem Zweifel erhaben, ob alle jene höheren Militärärzte, 
denen beim Uebertritt in eine gewisse Lebens- und Dienstaltersgrenze 
der blaue Bogen entgegengeflogen kommt, thatsächlich zur weiteren 
Dienstleistung ungeeignet sind. Die außertourliche Beförderung zum 
Stabsarzt wird nicht selten in so jungen Jahren erreicht, daß über 
die weitere Rückwirkung der so Ausgezeichneten auf ihre über¬ 
flügelten Vorder- und nunmehrigen Nachmänner Bedenken auf¬ 
steigen müssen. Die vierfache Nuancirung der Regiments- und 
Stabsärzte in solche, die a) in der Tour avanciren, b) übergangen 
werden , c) außer der Tour avanciren, d) weder avanciren, noch 
übergangen, sondern in den Ruhestand versetzt werden, trägt den 
Keim von Irrthüinern und Mißgriffen unausweichlich in sich. Für 
die Zukunft muß als Losung gelten: Vermehrung der Stabschargen, 
Nichtbeförderung der Ungeeigneten, Auflassung des außertourlichen 
Avancements. 


(Wiener Aerztekamraer.) Die am 28. October 1902 
stattgehabte Vollversammlung eröffnete der Präsident Primär. 
Dr. Josef Heim mit einer Gedenkrede auf das am 7. October 1902 
verstorbene Kammer- und Vorstandsmitglied Dr. Josef Kornfeld 
und theilte mit, daß als Kammermitglied an Stelle des Dr. Kornfeld 
dessen Stellvertreter Dr. Isidor Schnabl für den Rest der laufen¬ 
den FuDCtionsperiode der Kammer einberufen und Vorstandsmitglied 
Reg.-R. Dr. Karl Jarisch als Cassadirector über Vorschlag des 
Vorstandes vom Präsidenten bestätigt wurde. — Sodann verkündete der 
Präsident zufolge Beschlusses des Ehrenrathes mehrere ehren- 
räthliche Erkenutnissse, und zwar: Zwei Erkenntnisse vom 
14. October 1902, mit welchen Dr. Josef Hersche, IV., Marga¬ 
rethenstraße 2, und Dr. Josef Hölzl, XVI., Neulerchenfelder¬ 
straße 40, wegen Ehrenwortbruches einer schweren Verletzung der 
Standesehre schuldig erkannt werden und ihnen die Strafe der 
Entziehung des activen und passiven Wahlrechtes in die Aerzte- 
kammer auf die Dauer von 3 Jahren auferlegt wird; ein Erkenntniß 
vom 14. October 1902 , mit welchem der Dr. Moriz Oppenauer, 
XVI., Ottakringerstraße 104 (Römergasse 35) wegen standesunwür¬ 
diger Association mit einem Laien und Fortsetzung dieses Verhält¬ 
nisses trotz strafgerichtlicher Verurtheilung wegen Deckung der 
Curpfuscherei einer erheblichen Unzukömmlichkeit schuldig erkannt 
und ihm eine Geldbuße von 200 Kronen auferlegt wird; ein Er¬ 
kenntniß vom 21. October 1902, mit welchem Zahnarzt Dr. Nathan 
Freüvogel, I., Kärntnerstraße 29, wegen marktschreierischer Ankündi¬ 
gungen und Reclame eines standesunwürdigen Verhaltens und einer 
fortgesetzten Nichtbeachtung der im Aerztekammergesetze begrün¬ 
deten Anforderungen der Kammer schuldig erkannt und demselben 
eine Geldbuße von 400 Kronen auferlegt wird. — Unter den 
hierauf*mitgetheilten Einläufen ist der Erlaß 1 ) der Statthalterei 
bemerkenswerth, mit dem der Kammer eröffnet wird , daß gegen 
ihre Beschlüsse, mit welchen die Annahme von Cassenarztstellen 

‘) Von uns in Nr. 44 bereits mitgetheilt. — Reil. 


bei der registrirten Hilfscassa der Wiener Bankbeamten 
und bei neugegründeten registrirten Hilfscassen als 
Standesw id r ig, das ist, gegen die materiellen Interessen des 
ärztlichen Standes verstoßend erklärt wurde, dann gesetzliche 
Bedenken bestehen würden, wenn damit schon die weiter¬ 
gehende Ansicht ausgesprochen werden sol 11e,-daß ein 
solches Verhalten eines Kammerangehörigen als Standes un würdig, 
das ist die Würde und das Ansehen des ärztlichen Standes ver¬ 
letzend, ehrenräthlich geahndet werden würde. Der Erlaß wurde 
dem Krankencassencomitö zur baldigen Berichterstattung zugewiesen. 
— Dr. Adler referirte über einen vom Kammermitgliede Dr. Pupini 
gestellten Antrag, in welchem die Beschränkung des Handver¬ 
kaufes in den Apotheken auf eigene Locale in den Apotheken 
oder die Uebertragung des Handverkaufes auf eigene Apotheker¬ 
assistenten, ferner die Beschränkung des Verkaufes von „medici- 
nischen Materialien“ auf Apotheken und endlich die Untersagung 
der Expedition von Recepten, welche älter als ein Jahr 
sind, verlangt wird. Referent stellt nach eingehender Begründung 
den Antrag, eine Eingabe an die Statthalterei zu richten, in welcher 
um Herausgabe eines dem Erlasse der böhmischen Statthalterei 
vom 12. April 1894, welcher eine scharfe Controle des Handver¬ 
kaufes seitens der Materialienhändler anordnet, analogen Erlasses, 
ferner um strenge Controle des Handverkaufes in den Apotheken, 
Verbot der Erth'eilung ärztlicher Rathschläge in denselben und um 
Verbot der Dispensirung von Recepten, welche älter als ein Jahr 
sind, gebeten wird. Der Antrag wurde angenommen. — Nach 
einem von Dr. Adolf Klein erstatteten Referate wurde beschlossen, 
eine allgemeine Versammlung der Aerzte des Wiener 
Kammersprengels einzuberufen mit der Tagesordnung, „Stellung¬ 
nahme der Aerzte zum Hilfscassengesetze“. Zum Referenten in 
dieser Versammlung, welche im Monate December laufenden Jahres 
stattfinden wird, wurde Dr. Adolf Klein bestellt. 

(Militär ärztlich es.) Ob.-St.-A. II. 01. Dr. Friedrich 
Düevikovsky ist in den Ruhestand versetzt und bei diesem Anlasse 
durch die Ernennung zum Ob.-St.-A. I. CI. ad honores und die 
Bekanntgabe des Ausdruckes der Allerhöchsten Zufriedenheit aus¬ 
gezeichnet worden. Transferirt wurden : Ob.-St.-A. II. CI. Dr. Alois 
Junk zum Garnisonspitale Nr. 11 in Prag und Dr. Anton WEISS 
zum Garnisonsspitale Nr. 2 in Wien, ferner die Stabsärzte Doctor 
Anton Segel zum Platzcommando in Prag, Dr. Coloman Gömöry 
zum Garnisonsspitale Nr. 16 in Budapest und Dr. Leopold Meisel 
zum Reichskriegsministerium, Ob.-St.-A. I. CI. Dr. Anton WoRiSek 
zum 13. Landwehr-Truppendivisions-Commaudo, Ob.^St.-A. II. CI. 
Dr. Johann Gschirhakl zum Landwehr-Commando in Zara und 
Ob.-St.-A. II. CI. Dr. Alois Apollonio zum Landwehr-Truppen- 
divisions-Commando in Prag. 

(Personalien.) Professor Dr. Friedrich Kraus in Berl in 
ist zum Geheimen Medicinalrathe, der Privatdocent Dr. Heinrich 
Rosin ebendaselbst zum Professor ernannt worden. 

(Friedrich von Esmarch) feiert am 19. Januar des 
nächsten Jahres seinen 80. Geburtstag. Ein Comite seiner Schüler 
und Bewunderer beabsichtigt — wie wir einem uns zugelangten 
Aufrufe entnehmen — dem großen Chirurgen an diesem Tage in 
seiner Vaterstadt Tönning ein Denkmal zu errichten. 

(Au8 dem Verein „Lucina“.) Zwischen der Leitung des 
Wöchnerinnen heims „Lucina“ und dem Schöpfer und Chefarzte 
dieser Anstalt, dem Gynäkologen Dr. Hugo Klein, haben sich 
Differenzen ergeben, die mit der „Entlassung“ des wenige Monate 
vorher zum Ehrenmitgliede ernannten Arztes endeten. Dr. Klein 
flüchtet sich mit einer Flugschrift „Zur Geschichte des Vereines 
Lucina“ in die Oeffentlichkeit. Es ist nicht uninteressant, an der 
Hand dieser Publication den Leidensweg zu verfolgen, den der 
von den besten Intentionen beseelte Arzt zu gehen hatte, sein 
selbstloses Ziel vor Augen, eine eminente Wohlfahrtseinrichtnng 
zu schaffen und auszugestalten. Der hingebende Arzt ist an Klei¬ 
nigkeiten in der Administration und Kleinlichkeiten des Vorstandes 
gescheitert, in welchem die Damenwelt die Majorität besitzt. Die 
Zustände im Wöchnerinnenheim haben seinerzeit bekanntlich zur 
Sperrung der hausärztlichen Stelle durch die Aerztekammer geführt. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 45. 


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Wird ein Wiener Gynäkologe den Mutli besitzen ; die Nachfolge 
des gemaßregelten Chefarztes anzutreten ? 

(Der 2 4. deutsche Balneologencongreß) wird unter 
dem Vorsitze Liebreich’s im März 1903 in Berlin tagen. 

(I. Egyptischer medicinisch er Congreß.) Das öster¬ 
reichische Comite dieses Congresses verlautbart Folgendes : Da die 
Cholera in Egypten in entschiedener Abnahme begriffen und Ca iro 
selbst cholerafrei ist, so wird der Congreß zu dem festgesetzten 
Termine, d. i. in der Zeit vom 19.—23. December d. J., stattfinden. 
Die neuesten, vom 1. November d. J. dafirten , aus der unmittel¬ 
baren Umgebung des Khedive stammenden Nachrichten besagen, 
daß dermalen in ganz Egypten nicht mehr wie 20—30 Cholerafälle 
täglich Vorkommen. Aus allen Ländern Europas sind bereits zahl¬ 
reiche Anmeldungen erfolgt und die getroffenen Vorbereitungen lassen 
einen glänzenden Verlauf des Congresses erwarten. Die Vertretung 
Oesterreichs auf dem Congresse hat Hofrath Prof. Nothnagel über¬ 
nommen. Anmeldungen nehmen Ilofrath Prof. Winternitz (I., Wipp- 
lingerstr. 28) und Prof. v. Frankl-Hochwart (I., Volksgartenstr. 5) 
entgegen. — In der Voraussetzung, daß viele Mitglieder des Congresses 
die Gelegenheit benützen werden, welche ihnen der Besuch von 
Cairo bietet, um die Nilreise zu unternehmen, hat das bekannte 
Weltreisebureau Thos. Cook & Son folgende bedeutende Er¬ 
mäßigungen der gewöhnlichen Fahrpreise für die der genannten 
Firma gehörenden erstclassigen Touristendampfer auf dem Nil den 
Delegirten eingeräumt. Die Begünstigung wird gegen Vorweis der 
vom Secretariat ausgestellten Mitgliedskarte gewährt und gilt für 
alle Fahrten von Cairo bis einschließlich 30. December. Aus¬ 
nahmspreise: Für die dreiwöchentliche Reise per Touristen¬ 
dampfer (gewöhnlicher Fahrpreis £ 50) 20 Guineas; für die 19tägige 
Reise per Expreßdampfer (gewöhnlicher Preis £ 21 ) inclusive eines 
auf Luxor und Assuan vertheilten 7tägigen Aufenthaltes £ 11 . 10.0 ; 
für die combinirte Bahn und Dampfertour (gewöhnlicher Preis 
18 : 17), von Cairo nach Luxor per Bahn (15 Stunden), von 
Luxor nach Assuan und zurück per Expreßdampfer £ 15 ; für die 
combinirte Tour wie oben, aber zurück von Luxor nach Cairo per 
Dampfer (gewöhnlicher Preis £ 15 : 17) £ 14. Das Nilprogramra, 
welches die vollständige Beschreibung der ausgeführten Touren 
enthält, kann gratis und franco durch das Weltreisebureau Thos. 
Cook & Son, I., Stefansplatz 2, bezogen werden. Daselbst 
werden auch bereitwilligst über die Ermäßigungen Mittheilungen 
gemacht, welche einige Dampfschifffahrts-Gesellschaften den Mit¬ 
gliedern des Congresses gewähren. 

(Statistik.) Vom 26 October bis incl. 1. November 1902 wurden in 
den Civilspit ätern Wiens 6809 Personen behandelt. Hievon wurden 1385 
entlassen; 140 sind gestorben (909% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurJen aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 93, egypt. 
Augenentzündung 1, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 5, Dysen¬ 
terie—, Blattern—, Varicellen 60, Scharlach 31, Masern 138, Keuchhusten 43, 
Rothlauf 41, Wochenbettfieber 1, Rötheln —, Mumps 6, Influenza—, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 547 Personen gestorben 
(+61 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Wien der Bezirksarzt 
in Agram Dr. Ubald Hochmayer ; in Gießen der Professor der 
Chirurgie Dr. Ferdinand Fuhr; in Berlin der bekannte Chirurg 
und Director der chirurgischen Abtheilung des städtischen Kranken¬ 
hauses am Friedrichshain Prof. Dr. Eugen Hahn im Alter von 
Gl Jahren; in Reiz Dr. Mathias Weisswasser; in Kalksburg 
Dr. Julius Polzer, 44 Jahre alt; in Mauerbach Dr. Michael IIeisler, 
Hausarzt der dortigen Versorgungsanstalt der Stadt Wien, 70 Jahre 
alt; in Gioßwardein Dr. August Kutiäk. 


Primararzt Dr. Gkokg Lotheissen wohnt jetzt I., Auerspergstraße 2. 


Dr. Carl Uli.mann , Docent für Dermatologie, wohnt jetzt I., Juden¬ 
platz 5. 


Institute für elektromagnetische Therapie. Wie in anderen Großstädten : 
Berlin, Dresden, Hamburg, Rom ctc., wurde am 3. November auch in Wien, 
IX., Maximilianplatz 14, ein Institut für elektromagnetische Therapie eröffnet, 
in welchem vor Allem die elektromagnetischen Apparate (System Eugen Konrad) 


therapeutisch verwendet werden. Das Institut steht unter der Leitung des 
Nervenarztes, Herrn Dr. Berthold Beer. Dasselbe ist an Wochentagen von 
10—1 und von 3—6 geöffnet, und steht während dieser Zeit den Aerzten 
zur Besichtigung zur Verfügung. 

Eine Auszeichnung und Anerkennung, wie eine solche dem Spatenb'äu- 
Bier zu Theil wurde, dürfte in England, wo bei der Preiszuerkennung besonders 
rigoros vorgegangen wird, wohl selten Vorkommen, Die Brauerei erhielt nämlich 
gelegentlich der Ausstellung 1901 die höchste Auszeichnung, Ehrendiplom 
I. Classe für das beste Münchner Lagerbier, dessen vollkommene Reinheit in 
Geschmack und in Gehalt, und ferner für dessen Wohlbekömmlichkeit. Spaten- 
bränbier hat sich in vielen geeigneten Fällen als vorzügliches Medicinalbier 
erwiesen und wird ärztlicherseits mit besonderer Vorliebe verordnet. 


Wiener Mediciirisehes Doctoren-Collegium. 

Wissenschaftliche Versammlung. 

Montag den 10. November 1902, 7 Uhr Abends, im Sitzungssaale des Collegiums, 
I., Rothenthurmstraße 19 

Vorsitz: Hofr. Prof. R. v. Ruder. 

Programm: 

Doc. Dr. J. Zappert: Ueber Juckausschläge im Kindesalter. 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 


Der gesammten Auflage liegen bei: Ein Prospect der 

Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. in Elberfeld über 
„Mesotan“, ein Proäpect der chem. Fabrik C. F. Boehringer & 
Söhne in Mannheim über „lodferratose“. Wir empfehlen diese 
der geneigten Beachtung unsrer Leser. 

Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
Postversendnng. Die Preise der Einbanddeoken sind folgende: für die„Mcd. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
,.Therapie der Gegenwart“: K 1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Postversendung. 


Die Rubrik: „Erledigungen, ärztliche Stellen“ etc, 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite, 


Kur- und Wasserheil- 

Anstalt 

fiiesshübl Sauerbrunn 

bei Karlsbad. 

Trink- und Badekuren. 
Klimatischer und Nach-Kurort. 

Bestes diätetisches und Eririscinrngsgetrani. 

HEINRICH MATTONI in WIEN 

Kaiserl. u. königl. Hof- und Kammerlieferant. 

Franzensbad, Karlsbad, Giesshübl Sauerbrunn und Budapest. 


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Analyse und fachmännische Berichte erhältlich in den Mineralwasser- 
handiungen etc., oder auf Wunsch durch die Brunnendirection und 
Eigenthümerin der Quellen: 

„Apenta“ Actien-Gesellschaft, Budapest. 

Gratisproben franco zur Verfügung der Herren Aerzte. 
Ausschließliche Versendung für Oesterreich-Ungarn, Serbien und Rumänien durch 
die Firma S. Ungar tun., k. u. k. Hoflieferant, Wien, I., JasomlrgottstraBe Nr. 4 



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XLIII. Jahrgang. 


Wien, den 16. November 1902. 


Nr. 46. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogeu Groß-Quart Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik“, letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse“ 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I„ Deutschmeisterplatz 2. 


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Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines : Jährl. 24 Mrk., halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 K; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
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Sendung des Betrages per Postanweisung an die AdminiBtr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien,!., Maximilianstr. 4. 


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Begründet 1860. - .q| 8-- Urban ft Schwarzenberg in Wien. 

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Dr. Anton Bam. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Ueber das Ulcus ventriculi, dessen Diagnose und Behandlung. Von Prof. Dr. S. E. Henschen in 
Stockholm. — Ueber Versuche mit einem neuen Aphrodisiacum. Von Dr. A. Tadsig in Wien. — Ueber Impfung gegen Malaria mit dem KuHN’schen 
Serum in Bosnien. Von Dr. Oskab Hovorka Edl. v. Zderas, Spitalsleiter in Tesliö, Bosnien. — Aus der Chirurg. Abtheilung des bosn.-herceg. Landes- 
spitales zu Sarajevo. Ueber Steinoperationen. Von Primararzt Dr. Josef Preindlsbergeb. — Referate. Rovsing (Kopenhagen): Wann und wie 
müssen chronische Nephritiden (Tnbercnlose ausgenommen) operirt werden? — Einhorn (New-York): Ueber Syphilis der Leber. — Tschernow 
(Charkow): Ueber einen Fall von Bildung eines harten Infiltrats in der Pars cavernosa urethrae nichtgonorrhoischen Ursprungs. — S. Finrelstkin 
(Berlin): Die durch Gebartstraumen hervorgerufenen Krankheiten des Säuglings. — Kurpjoweit (Königsberg): Ueber die Decortication der Lunge 
bei chronischem Empyem. — Pel (Amsterdam): Ueber die Cofncidenz von Polyarthritis rheumatica acuta mit Abdominaltyphus. — Leopold 
(Dresden): Zur Verhütung der Augenentzündnng der Neugeborenen durch CredGisirung. — Bum (Wien): Die Entwickelung des Knochencallns unter 
dem Einflüsse der Stauung. — Hlava (Prag): Ein dermoidales Gehirnembryom. — Janssen (Berlin): Zur Lehre von der DupuvTREN’schen Finger- 
contractur, mit besonderer Berücksichtigung der operativen Beseitigung und der pathologischen Anatomie des Leidens. — Kleine Mittheihmgen. 
Folgen des chronischen Cocaingebrauches. — Serumbehandlung des acuten nnd chronischen Gelenkrheumatismus. — „Fersan“ als Eisen- und Nähr¬ 
präparat. — Therapie des flüchtigen Erythems der Nase. — Masernpneumonie. — Das Bad als Infectionsquelle. — Dysmenorrhoe und Aspirin. — 
Gesundheitsschädlichkeit der Borsäure. — Behandlung der Hypopyon-Keratitis. — Literarische Anzeigen. Atlas und Grundriß der Krankheiten 
der Mundhöhle, des Rachens und der Nase. Von Dr. L. Grünwald in München. — Muskelfunction und Bewußtsein. Eine Studie zum Mechanismus 
der Wahrnehmungen. Von Dr. E. Storch. — Le medecin dans la societe contemporaine. Conferences de d6ontologie par les Docteara P. le Gendre 
et G. Lepage. — Feuilleton. Die Mißbräuche an den Ambulatorien und Vorschläge zu deren Bekämpfung. Von Dr. Maximilian Stransky. — 
Verhandlungen ärztlicher Vereine. Aus den Abtheilungen der 74. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. Karlsbad, Sil. bis 
27- September 1902. (Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) VIII. — Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 
(Orig.-Ber.) — Notizen. — Nene Literatur. — Eingesendet. — Offene Correspondenz der Redaction und Administration. — Aerztliche 
Stellen. — Anzeigen. 

Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse u gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Ueber das Ulcus ventriculi, dessen Diagnose 
und Behandlung. 

Von Prof. Dr. S. E. Hexischen in Stockholm. *) 

Die moderne Asepsis und Antisepsis haben bekanntlich 
der Chirurgie neue Bahnen gewiesen, und mit besonderer 
Vorliebe greift der Chirurg in diejenigen Gebiete der Therapie 
hinüber, auf denen bis jetzt der Internist herrschend geblieben 
war. Hiemit ist jedoch diesem eine neue Aufgabe erwachsen, 
welche dahin zielt, im Hinblicke auf die genauer detaillirte 
Diagnostik schärfere Indicationen für die jeweilige Therapie 
zu schaffen. Mit Grund kann daher bei dem heutigen Stande 
der Heil Wissenschaft die Frage aufgeworfen werden, ob nicht 
und wie weit eine Vereinigung der Chirurgie und der internen 
Medicin auf gewissen Gebieten hergestellt werden sollte zum 
Wohle des Kranken sowohl als auch im Interesse des Arztes; 
denn die Situation, in welche der innere Arzt durch den Ein¬ 
griff des Chirurgen in seine alten, angestammten Gebiete 
versetzt worden ist, wird auf die Dauer unhaltbar bleiben. 
Er soll sich nämlieh die Erfahrung des Chirurgen aneignen, 
die benöthigt wird um zu beurtheilen, wann ein chirurgi¬ 
scher Eingriff angezeigt wird und welche Aussichten auf Er¬ 
folg derselbe darzubieten vermag, ohne daß er selbst die 
chirurgische Kunst ausübe und hiedurch sich Gelegenheit 
verschaffe, eben diese Erfahrung zu erlangen, die für ihn un- 

*) Vortrag, gehalten in der Versammlung schwedischer Aerzte in Örebro 
im Angnst 1902. (Aus dem Schwedischen übersetzt von Dr. Leo Klemperer 
in Karlsbad.) 


umgänglich nothwendig geworden ist. Dem inneren Arzt fällt 
heutzutage die Aufgabe zu, wesentlich zu den immer von 
Neuem und auf verschiedenen Gebieten auftretenden Fragen 
bestimmte Stellung zu nehmen: Wann soll der Chirurg bei 
den verschiedensten inneren Erkrankungen eingreifen, wann 
ist der Eingriff berechtigt, wann nothwendig ? Diese Frage 
tritt besonders hervor und wird sozusagen acut im Hinblick 
auf gewisse Krankheiten der Bauchorgane; der interne Arzt 
muß in der Lage sein, diese Frage ohne Zaudern sofort zu 
beantworten, wenn er sich der Verantwortung seiner Behand¬ 
lung bewußt werden soll. Dies gibt uns die Veranlassung, 
heute eine der gewöhnlichsten Abdommalerkrankungen zu be¬ 
sprechen , das Magengeschwür, wo der chirurgische Eingriff 
in Frage kommen kann, wo aber auch diese Frage am 
Krankenbette oft unaufschiebbar beantwortet werden muß. 
Diese Beantwortung muß jedoch in erster Linie auf der 
sicheren Erkenntniß der Diagnose beruhen, bei deren Stellung 
am allerhäufigsten Fehlgriffe begangen werden können. Ich 
werde mich bei meinen Auseinandersetzungen vorwiegend auf 
die Erfahrungen stützen, welche ich während meiner nahezu 
20jährigen Thätigkeit auf der medicinischen Klinik in Upsala 
gesammelt habe. 

Diagnose des Magengeschwüres. 

Unter gewöhnlichen Verhältnissen bietet dieselbe, wie 
wir ja alle wissen , keine besonderen Schwierigkeiten dar. 
Und doch glaube ich erfahren zu haben, daß das Magen¬ 
geschwür, insbesondere in einer einigermaßen hinter uns 
liegenden Zeit, eher zu selten als zu oft diagnosticirt wurde. 
Sobald Bluterbrecben auftritt, gibt es wohl in der Regel nur 
geringe Zweifel in der Diagnose; soll aber die Therapie ihren 


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Zweck voll erfüllen, soll sie rechtzeitig und richtig ein- 
greifen, dann gilt es, das Magengeschwür frühzeitig zu diagno- 
sticiren, bevor es noch in das für den Patienten kritische Stadium 
getreten ist. Zu Beginn der Achtziger Jahre behauptete der 
dänische Kliniker With, daß das Magengeschwür zu häufig 
in seinem Beginne sich hinter der Diagnose Cardialgie ver¬ 
steckt hält, ein Terminus, an dessen Beliebtheit namentlich die 
Aelteren unter uns sich noch lebhaft erinnern. With wies nun 
hin auf die große diagnostische Bedeutung, welche den scharf 
localisirten Schmerzen zukommt, daß diese gegen den Rücken, 
die Seiten ausstrahlen, daß sie in auffallendem Grade erhöht 
werden nach Mahlzeiten und nach körperlichen Anstrengungen. 
Namentlich dieses letztere Moment hat eine besondere diagno¬ 
stische Bedeutung, ebenso wie die locale, wohl begrenzte Em¬ 
pfindlichkeit, auf welche jedoch With minderes Gewicht gelegt 
hat, während er die Dyspepsie und das Erbrechen als charakte¬ 
ristisch hervorhob, wenn er auch das letztere als eine Folge 
des Katarrhes ansah, welchen ein Magengeschwür so oft zur 
Folge hat. 

Mit dem Auftreten des Bluterbrechens gelangt das Magen¬ 
geschwür in ein neues kritisches Stadium, aber in vielen 
Fällen bekommt der Arzt den Patienten erst jetzt in Be¬ 
handlung. Eine genauere Untersuchung und Berücksichtigung 
der Anamnese wird es ihm jedoch bald klar machen, daß der 
Kranke schon durch eine längere Zeit zuvor mit einem mehr 
oder weniger latenten Geschwür umherging. Und gerade zu 
dieser, der Blutung vorhergehenden Zeit gilt es die richtige 
Diagnose zu stellen und tieferen Verschwärungen zuvorzu¬ 
kommen , welche in der Folge so gefährlich werden können, 
sei es durch Arrosion eines größeren Gefäßes oder der Magen- 
wand, welche einen Durchbruch derselben zur Folge hat oder 
die Entwickelung von Magengeschwülsten begünstigt, ausge¬ 
breitete Perigastriten oder Pylorusstenosen veranlaßt, welche 
dauernde Erweiterungen und die tiefgreifendsten Ernährungs¬ 
störungen zur Folge haben. Mehrere Chirurgen haben deshalb 
auch Gewicht darauf gelegt, daß der Ulcuspatient nicht zu 
spät in chirurgische Behandlung gelangen solle. 

In gleicher Weise wie Leube und andere lege auch ich 
bei der Diagnosenstellung besonderes Gewicht auf den scharfen 
neuralgischen Schmerz, welcher gegen den Rücken, die Achseln 
ausstrahlt und bei Druck auf eine begrenzte Stelle gesteigert 
werden kann. Nur der Krebs hat zeitweise diesen Charakter 
der Schmerzen aufzu weisen, besonders dann, wenn er am 
Pankreas localisirt oder von perigastritischen Verwachsungen 
gefolgt ist; möglicherweise haben auch bei den nervösen 
Dyspepsien die Schmerzen einen ähnlichen Charakter, doch 
eine besondere Bedeutung kommt dem Schmerz in Bezug auf 
das Ulcus nur dann zu, wenn derselbe spontan auftretend durch 
Körperbewegung, z. B. Rütteln im Wagen oder durch Mas¬ 
sage, gesteigert wird. 

Nachdem die Hyperacidität als integrirende Erscheinung 
des Magengeschwüres constatirt war, hat die Diagnose des¬ 
selben einen gewichtigen Schritt nach vorwärts gethan, wenn 
auch nicht jedes Geschwür von einer solchen Vermehrung des 
HCl begleitet wird und diese auch mit der Entwickelung 
einer secundären Erweiterung des Magens verschwinden und 
auch durch Milchsäure ersetzt werden kann. Aber bei Stellung 
der Diagnose ist es häufig nicht möglich, sich die Kenntniß 
von der Beschaffenheit des Magensaftes zu verschaffen, da 
man es nicht wagt, den Magen zu sondiren. Leübe und 
mehrere Andere warnen davor. Ist jedoch keine Blutung 
bisher aufgetreten oder ist ein längerer Zeitraum nach einer 
solchen verflossen, dann ist die Gefahr der Sondirung des 
Magens nicht groß, ja fast gar nicht vorhanden, wenn die Sonde 
mit Vorsicht gebraucht wird. Nur in wenigen Fällen habe 
ich hievon Unannehmlichkeiten gesehen, nie ist eine Gefahr 
oder gar ein Schaden hievon erwachsen. Dieselben Erfah¬ 
rungen machte auch Riegel. Wenn wir die Peracidität zu 
den ätiologischen Momenten (Trauma und bei Männern 
Alkoholmißbrauch) zufügen, werden die dyspeptischen Er¬ 


scheinungen, das wiederholte Erbrechen kurz nach den Mahl¬ 
zeiten und der anämische Zustand oft mit anämischer Erweite¬ 
rung des Herzens und anämische Geräusche, ebenso wie die 
günstige Einwirkung von Ruhe und entsprechender Diät 
wohl genügen, um jede Schwierigkeit in der Regel zu beheben 
und um das Ulcus ventriculi rechtzeitig zu diagnosticiren. 
Bestehen Zweifel, dann möge man lieber zu oft als zu selten 
diese Diagnose stellen und den Patienten danach behandeln. 
Erst wenn das Magengeschwür in sein blutendes Stadium 
tritt, wird es gewissermaßen typisch. Wenn es nun häufig ge¬ 
schieht, daß bei den früheren, nicht blutenden Formen die 
richtige Diagnose desselben eher zu selten als zu häufig gestellt 
wird, ist in Gegenwart der Hämatemesis der Gegensatz die 
Regel, hier wird die Diagnose des Magengeschwüres zu rasch 
aufgestellt, und ich will mich deshalb bemühen , mit Rück¬ 
sicht auf die eigene Erfahrung einige Fehlerquellen anzu¬ 
führen, welche dem Praktiker am allerhäufigsten Vorkommen. 

Ich will mich nicht weiter bei den überaus seltenen 
Fällen auf halten, in denen die Hämorrhagie auf einer bak¬ 
teriellen Invasion durch Pneumokokken beruht, wodurch 
multiple Erosionen entstehen, oder den Blutungen infolge von 
Emboliefällen, welche überaus selten sind und von denen ich 
nur ganz wenige gesehen habe im Zusammenhänge mit Pneu¬ 
monie und einen Fall bei einem Herzfehler und ulcerativer 
Endocarditis. Dagegen kann ich es nicht unterlassen, einige 
Ausnahmsfälle anzuführen, wo namhaftes Bluterbrechen, das 
sich infolge verschiedener Vergiftungen einstellte, die Diagnose 
eines Magengeschwüres veranlaßt hat. Es kann dies besonders 
geschehen in Fällen von Phosphor- oder Arsenikvergiftung, 
wo anamnestische Daten fehlen und der Patient bereits in 
einem so herabgesetzten Kräftezustande sich befindet, daß er 
einer genauen Untersuchung nicht mehr unterzogen werden 
kann. Aeußere Umstände, Gravidität oder Blutung aus den 
Genitalien, sowie schmerzhafte Diarrhöen lassen jedoch in der 
Regel die richtige Deutung zu. 

Verwechslungen mit Hämoptysis dürften nicht zu selten 
sein, können jedoch leicht vermieden werden. 

Dagegen muß die vicariirende Menstrualblutung be¬ 
sonders hervorgehoben werden. Einige solcher Fälle habe ich 
selbst gesehen, bei keinem derselben ergab sich jedoch bei 
der Diagnose irgendwelche Schwierigkeit. In dem einen Falle 
trat die Blutung sehr reichlich und ganz plötzlich ein. Die 
Untersuchung ergab das vollständige Fehlen sämmtlicher 
Ulcussymptome sowohl vor als auch nach der Blutung. Die 
Patientin , ein etwas über 30 Jahre altes Mädchen, war ein 
arbeitsames und kräftiges Weib, welche niemals vorher hyste¬ 
rische Symptome darbot; sie erholte sich sehr rasch, trat 
nach einigen wenigen Tagen wieder in Arbeit ein und war 
zumindest durch ein Jahr, während dessen ich sie in Beob¬ 
achtung behielt, gesund ohne Recidive eines Bluterbrechens. 

Ein zweiter Fall betraf ein hysterisches Individuum, 
wo das menstruelle Bluterbrechen mit Hämaturie abwechselte. 

Schwieriger kann es werden zu entscheiden, ob bei 
einer Lebercirrhose die Hämatemesis aus einem Magen¬ 
geschwür oder aus Venectasien im Magen und Oesophagus 
hervorgeht, und dies umso eher, als ja das Magengeschwür 
bei Männern nicht selten durch Alkoholismus verursacht wird. 
Doch sind solche Fälle von Magenblutungen bei Cirrhose 
ziemlich selten. Ich habe während meiner 20jährigen Thätig- 
keit in Upsala keine einzige Section eines solchen Falles 
gesehen, und es könnte überdies solchen Blutungen auch ein 
Magengeschwür sein Entstehen verdanken. 

Anämien geben zeitweise Veranlassung zur Fehl¬ 
diagnose; ich selbst war solchen in zwei Fällen ausgesetzt; 
in einem derselben litt die Patientin, ein junges Mädchen, an 
heftigen neuralgischen Schmerzen und zeitweise an profusen 
Blutungen, durch welche die Schmerzen gleichwie bei einem 
Ulcus gemildert wurden. Die Milz war beträchtlich ver¬ 
größert, im Uebrigen bestand das Bild eines Magengeschwüres 
mit einer begrenzten localen Empfindlichkeit. Ich wagte es 


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nicht, aus Furcht vor einer Blutung die Sonde einzuführen, 
welche 9ich einmal nach dem bloßen Versuch einer elektri¬ 
schen Behandlung behufs Stillung der Schmerzen eingestellt 
hat. Nach wiederholten, profusen Blutungen starb die Pa¬ 
tientin, und bei der Section konnte weder eine Verletzung der 
Magenschleimhaut, noch die geringste Spur eines Geschwüres 
aufgefunden werden, nicht einmal Blutpunkte. Der Fall 
dürfte als eine Pseudoleukämie oder splenische Anämie auf¬ 
gefaßt werden. 

In einem zweiten, vor Kurzem von mir behandelten Falle 
wurde der Patient in das Seraphimerlazareth überführt wegen 
wiederholter, das Leben bedrohender Blutungen. Trotz allen 
unseren Anstrengungen , durch Ruhe, Diät, Eis , Morphium 
u. s. w. die Blutung zu stillen, sistirte das Bluterbrechen so¬ 
wohl als auch der Blu'tabgang per rectum nicht. 

Der 43 Jahre alte Patient war äußerst heruntergekommen 
und anämisch und ich sah bei der drohenden Lebensgefahr 
die Berufung eines Chirurgen für nothwendig an; es wurde 
der Bauch und Magen geöffnet (Prof. Berg unter Schleich), 
jedoch keine Andeutung eines Magengeschwüres vorgefunden. 
Unter Arsen- und Eisenbehandlung erholte sich der Patient 
einigermaßen und verließ nach einiger Zeit das Krankenhaus. 
Auch hier dürfte eine durch hochgradige Anämie verursachte 
parenchymatöse Blutung Vorgelegen haben. 

In der Literatur findet man auch solche Fälle parenchy¬ 
matöser Magenblutung verzeichnet, und Verwechslungen mit 
Magengeschwür dürften deshalb nicht gar so selten Vor¬ 
kommen. So hat auch Reichardt („Deutsche med. Wochen¬ 
schrift“, Nr. 20— „Centralbl. f. inn. Medicin“, 1900. pag. 646) 
3 Fälle tödtlich verlaufender parenchymatöser Magenblutungen 
mitgetheilt; in einem dieser Fälle trat die Blutung ein einige 
Tage nach dem Anlegen einer Gallenblasen-Dünndarmfistel. In 
den zwei anderen Fällen wurde eine breite Incision durchgeführt 
in der Absicht, die Blutung zu stillen, aber es konnte kein 
Magengeschwür entdeckt werden, und auch die Obduction 
dieser drei Fälle ergab keine Aufklärung, woher die Blutung 
gekommen ist. 

Oser hat („Edinb. med. journal“, Vol. VII — „Central¬ 
blatt für Grenzgebiete“ , 1901, pag. 288) drei solche Fälle 
beobachtet bei Anämie im Vereine mit chronischem Milz¬ 
tumor. Die Blutungen aus dem Magen und Darm wieder¬ 
holten sich in Zwischenräumen von mehreren Jahren, während 
die Patienten sich in der Zwischenzeit ganz wohl befunden 
hatten. Oser gibt eine, wie uns scheint, nieht genügende 
Erklärung, die Blutungen seien Folge einer Stauung. Nach der 
Milzexstirpation wurde ein Patient gesund, der zweite starb 
und man fand bei der Obduction keine Lebercirrliose; der 
dritte Patient lebt. 

Hie und da war auch Leube einem solchen diagnosti¬ 
schen Mißgriff ausgesetzt, in einem Falle z. B., wo heftige 
Schmerzen, selbst bei dem mindesten Druck und Bluterbrechen 
bei einer Hysterica sich einstellten, welche an einer Pneumonie 
starb. Bei der Section wurde die Magenschleimhaut intaet 
ohne jeden Defect vorgefunden (Mitth. a. d. Grenzgebieten, 
Bd. II, pag. 5). 

Auch bei der progressiven pernieiösen Anämie wurde 
solches Bluterbrechen beobachtet. (Fortsetzung folgt.) 


Ueber Versuche mit einem neuen 
Aphrodisiacum. 

Von Dr. A. T&usig in Wien. 

Im Jahre 1896 ist von Spiegel aus dem im Hinter¬ 
lande der deutschen Colonie Kamerun wachsenden Waldbaume 
„Yohimbea“ , der zur Familie der Apocynaceen und zur 
Gattung Tabernaemontana gehört und dessen Rinde den Ein¬ 
geborenen als Aphrodisiacum dient, das Alkaloid „Yohimbin“ 
dargestellt worden. Dasselbe bildet, aus verdünntem Alkohol 


krystallisirt, rein weiße, matt glänzende Nädelchen vom 
Schmelzpunkt 231°. Ein zweites, von ihm ebenfalls isolirtes 
Alkaloid der Rinde, das „Yohimbenin“, hält Spiegel für 
weniger wirksam und von untergeordneter Bedeutung. Die 
empirische Formel des Yohimbins ist C 23 H 32 N a 0 4 oder die homo¬ 
loge C 22 H 30 N 2 0 4 , für die freie Base und für das Chlorhydrat 
gelten die Formeln C 23 H so N 2 0 3 HCl, resp. C 22 H 28 N 3 0 3 HCl. 

Neuerdings stellt auch die chemische Fabrik J. D. Riedel 
in Berlin das Alkaloid dar. Es zeigt die von Spiegel ange¬ 
gebenen Reactionen, insbesondere die charakteristische violette 
Farbenerscheinung mit Kaliumbichromat. 

Mit dem Riedel’schen Yohimbin habe ich in einigen 
Fällen meiner Praxis bemerkenswerthe Erfolge erzielen können. 
Ich will zur Erläuterung des Sachverhaltes einige derselben 
kurz anführen: 

Fall I. N. N., 37 Jahre alt, Beamter mit schweren neur- 
asthenischen Erscheinungen. Seit längerer Zeit geschwächte Potenz. 
Ejaculatio praecox. Neben allgemeinen diätetischen und hygienischen 
Maßregeln verordnete ich Yohirabinum hydrochloricum 
Riedel, täglich 3 Tabletten ä 0'005; nach einer Woche einmal 

2 Tabletten 14 Tage lang. Nach 3 Wochen erklärt Patient sich 
mit seinem Zustande zufrieden ; die neurastheniseben Beschwerden 
haben stark nachgelassen. Nach circa einem halben Jahre wieder¬ 
holte sich die ganze Symptomenreihe; ich gab abermals das Mittel 
mit angeblich gutem Erfolge. 

Fall II. 28jähr. Mann, der heiraten will, klagt über mangelnde 
Erection. Nachdem er 3 Wochen lang täglich 3 Tabletten ä 0‘005 
Yohimbin, hydrochlor. Riedel erhalten, fühlt er sich wesentlich 
gebessert. 

Fall III. 37jähr. Ingenieur; Excesse in venere. Seit circa 

3 Monaten keine Libido, sehr seltene und schwache Erectionen. 
Bei zweckmäßiger Lebensweise erhielt er von mir durch eine Woche 
täglich 3 Tabletten k 0005 Yohimbin, worauf eine bedeutende 
Besserung des Zustandes eintrat. 

Die angeführten Fälle reichen wohl nicht aus. ein voll¬ 
ständig abschließendes Urtheil über das Yohimbin zu ermög¬ 
lichen; dennoch glaube ich, namentlich nach dem Fall I zu 
schließen, daß das Mittel der Nachprüfung werth ist, auch 
schon aus dem Grunde, weil ich in keinem der Fälle irgend¬ 
welche üble Erscheinungen auftreten sah, weder von Seite 
des Verdauungstractus, noch von einem anderen Organe. In 
geeigneten Fällen werde ich weitere Versuche damit anstellen. 
Daß ein Theil der mit dem neuen Präparate erzielten Wir¬ 
kungen suggestiver Natur ist, weiß ich wohl. Dadurch kann 
aber der Werth eines Mittels nicht herabgesetzt werden, das 
uns in der Praxis unter Umständen vorzügliche Dienste zu 
leisten vermag. 


Ueber Impfung gegen Malaria mit dem 
Kuhn’schen Serum in Bosnien. 

Von Dr. Oskar Hovorka Edl. v. Zderas, Spitalsleiter in 

Teslic, Bosnien. 

(Schluß.) 

32. Evica D., 34 Jahre alt, verli., Fleischhauersgattin aus 
Tovarnik in Slavonien. Tropica. 

Erstling. Sie erkrankte vor 3 Monaten an Wechselfieber; die 
Anfälle wiederholen sich jeden 3. Tag. Milztumor, Blässe, Ferro¬ 
meter 64. 

Blutbefund: Am 16. October , / 2 11 Uhr vorm. Halbmonde, am 
17. October 9 Uhr abends nichts. 

Ambulatorische Impfung mit 5 Ccm. Serum am 17. October 
um 12 Uhr mittags. Nach der Impfung kommt es noch zu zwei 
schleichenden Anfällen, und zwar am 19. und 21. October, dann 
absolutes Wohlbefinden bis Mitte Juni 1902. 

33. Anna S., 13 Jahre, Schulmädchen aus Bukovac, Slavonien. 
Quartana. 

Altling. Sie leidet bereits seit 2 Monaten an einer hartnäckigen 
Malaria, deren Anfälle alle 4 Tage auftreten. Milzturaor, Bronchitis, 


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Herpes, Schmerzen in der Magengrube. Blässe im Gesichte, Ferro¬ 
meter 58. 

Blutbefund: Am 14. October J / 2 H Uhr vorm, ziemlich zahl¬ 
reiche mittlere und große IV-Parasiten ; 15. October 1 / i b Uhr nachm, 
großer IV-Parasit im Beginne der Theilung; 30. October 12 Uhr 
mittags Sphären und Geißelkörper mit lebhafter Eigen- und 
Molecularbewegung des Pigments; 31. October 10 Uhr vorm. Geißel¬ 
körper; 5. November 10 Uhr vorm. Sphären mit Geißeln; 10. No¬ 
vember i/a 12 Uhr vorm, einzelne große Parasiten; 28. November 
ein Doppelkörperchen mit gemeinschaftlichem Kern; 5. December 
i/ 3 5 Uhr nachm, große Parasiten, Bänder, Sphären, Theilungsfiguren. 

Ambulatorische Injection mit 5 Ccm. am 17. und 30. October 
und mit 10 Ccm. am 8. November. Die Anfälle wiederholen sich 
nach den ersten zwei Injectionen typisch mit abwechselnd ab- und 
zunehmender Intensität. Erst nach der 3. Injection erfolgt eine 
äußerst heftige Reaction (40 - 2) und allmälige Abnahme der Fieber- 
anfällc, an deren Stelle sich heftige Kopfschmerzen einstellen. Seit 
Anfang December kein Fieber mehr; am 4. Februar 1902 kommt 
ein leichter Fieberrückfall mit Gliederreißen, welcher sich noch 
am 7., 9. und 12. Februar wiederholt; dann stetes Wohlbefinden 
bis Mitte Juni. 

34. Anton T., 2 Jahre alt, Holzhändlerssohn aus Udine, 
Italien. Quartana tripl. 

Erstling. Ist seit 3 Wochen krank. Zuerst kam das Fieber 
täglich, dann unregelmäßig. Großer Milztumor. 

Blutbefund: Am 17. October um 1 / i S Uhr nachm, große Sphären. 

Impfung im Hause am 19. October mit 2 Ccm. und am 
31. October mit 3 Ccm. Serum. Das Fieber ist sehr hartnäckig 
und kommt immer wieder, einmal jeden dritten, einmal jeden zweiten 
Tag. Inzwischen verschafft sich der Vater ohne unser Vorwissen 
Ende Januar Chinin und reicht es dem Kinde. Dessenungeachtet 
dauert das Fieber bis gegen Ende Februar, bis es allmälig immer 
schwächer wird, um dann schließlich ganz aufzuhören. Anfangs 
März besteht noch etwas Milztumor, Blässe und Schwäche; doch 
ereignet sich bis Mitte Juni kein Fieberrückfall. 

35. Albin T., 3 Jahre alt, Holzhändlerssohn aus Udine, Italien. 
Quartana. 

Erstling. Erkrankte zugleich mit seinem jüngeren Bruder vor 
3 Wochen. Bedeutender Milztumor. Blässe. 

Blutbefund : Am 17. Oct. ’/ 2 8 Uhr vorm, zarte, schmale Bänder. 

Impfung im Hause am 19. und 31. October mit 2 J / 2 un( * 

3 Ccm. Serum. Einige Zeit nach der Impfung läßt das Fieber etwas 
nach, später kommt es immer wieder; das Kind wird von seinem 
Vater in einen nahen Wald behufs Luftveränderung geschickt, wo 
sich jedoch sein Befinden durchaus nicht bessert. Im Januar wird 
ihm ohne unser Vorwissen Chinin gereicht, doch mit wenig Erfolg, 
denn das Fieber dauert den ganzen Februar weiter fort. Dann 
läßt es allmälig nach und das äußere Aussehen des Kindes bessert 
sich zusehends. Bis Mitte Juni 1902 kein Rückfall. 

36. Ivan P., 15 Jahre alt, 1., Schlosserlehrling aus Jaska, 
Croatien. Tropica. 

Altling. Litt vor 5 Jahren an leichter Malaria. Diesmal er¬ 
krankte er am ] 6. October um 1 / 2 b Uhr nachm, mit Kopf-, Kreuz- 
und Magenschmerzen, Schwindel, Hitze ohne Kälte, Schweißausbruch, 
was sich täglich zwischen 5—8 Uhr abends wiederholte. Leichte 
Bronchitis, Milzvergrößerung nachweisbar, positive Diazoreaction im 
Harne. Blutkörperchenzählung am 21. Oct. ergibt 4,600.000. Herpes. 

Blutbefund: Am 21. October 12 Uhr mittags kleine Parasiten; 
22. October 12 Uhr mittags nichts; 23. October 10 Uhr vorm, 
nichts; 24. October 6 Uhr nachm, nichts; 25. October 11 Uhr vorm, 
einige große Tropicaringe. 

Ambulatorische Impfung mit 5 Ccm. Serum am 21. October. 
Nach der Impfung bekam er 3 Tage hindurch täglich einen leichten 
Anfall, dessen Intensität stets abnahra und schließlich in einen 
dumpfen Kopfschmerz ausklang. Zählung der rothen Blutkörperchen 
ergibt am 28. October 5,800.000. Sein Befinden bessert sich zu¬ 
sehends, er bekommt eine gesunde Gesichtsfarbe. Seither bis Mitte 
Juni 1902 kein Fieberrückfall. 

37. PeroR., 16 Jahre, 1., Arbeiter aus Radisic bei Teslic. 
Tertiana. 


Altling. Sein wiederholt auftretendes Wechselfieber heilte 
bisher ausnahmslos ohne Chinin. Diesmal erkrankte er am 22. Oc¬ 
tober mit Kälte, Hitze, Schweiß ; Spitalsaufnahme am 24. October. 
Milzvergrößerung fühlbar. Starke Kreuz- und Magenschmerzen, 
Kopfweh. 

Blutbefund: Am 22. October 9 Uhr vorm, nichts, 10 Uhr 
vorm, große III Parasiten; 24. October 5 Uhr nachm, große 

Ill-Parasiten. 

Impfung am 24. October um 12 Uhr mittags mit 5 Ccm. 
Serum. Am selben Tage tritt ein kaum fühlbarer Anfall nachmittags 
auf, die Körpertemperatur steigt bis 37’5. Seither Wohlbefinden; 
am 25. October wird er aus dem Spitale entlassen. 

38. Josef K., 2 Jahre alt, Arbeiterskind aus Teslic. Tropica. 

Altling. Gleich im 3. Lebensmonate bekam er Wechselfieber, 
welches ohne Chinin verschwand, doch wiederholte sich dasselbe 
mehrmals, jedesmal im Frühjahr und Herbst. Diesmal erkrankte 
er mit Frösteln, Hitze und nachfolgendem Schweißausbruch, was 
sich jeden 3. Tag wiederholte. Großer Milztumor, 3 Querfinger 
unter den Rippenbogen reichend. Blässe. Bronchitis. Ferrometer 
am 3. November 54. 

Blutbefund: Am 1. November 12 Uhr mittags kleine und 
große Tropicaparasiten; 3. November 11 Uhr vorm, vereinzelte 

freie Sphären und Halbmonde; 4. November 10 Uhr vorm, kleine 
Tropicaparasiten, kleine Ringe, Messingkörperchen; 5. November 
10 Uhr vorm, nichts; 8. November 11 Uhr vorm, lebender spindel¬ 
förmiger Parasit mit 2 Pigmentkörnern; 16. November 2 Uhr 
nachm, vereinzelte Halbmonde. 

Ambulatorische Impfung mit 3 Ccm. Serum am 4. November 
um 11 Uhr vorm. Nach der Impfung kommen einige mehr oder 
minder heftige Anfälle, die noch etwa 14 Tage andauern, dann 
aber verschwindet das Fieber, und seitdem bleibt Pat. bis Mitte 
Juni 1902 von jedem Rückfalle frei. 

39. Georg U., 6 Jahre alt, Sehulknabe aus Bosn.-Brod. Quartana. 

Altling. Er machte bereits vor einem Jahre Malaria durch, 
welche nach Einnahme von Chinin dann ausblieb. Diesmal erkrankte 
er am 28. November mit Kälte, Hitze und Schweiß, was sich jeden 
4. Tag wiederholte. Milzvergrößerung percutorisch nachweisbar, 
starke Bronchitis, bedeutende Gesichtsblässe. Ferrometer am 8. De¬ 
cember 46. 

Blutbefund: Am 1. December 11 Uhr vorm, große IV-Para- 
siten ; 3. December 1 / i l Uhr nichts. 

Ambulatorische Impfung mit 5 Cem. Serum am 8. December 
i/ 2 12 Uhr vorm. Nach der Impfung erscheint das Fieber mit ab¬ 
wechselnder Intensität stets wieder, selbst dann, wenn es bereits 
einige Tage ausgesetzt hat. Auch die Zeitfolge wird etwas unregel¬ 
mäßig. Dies dauert mehrere Wochen lange, wobei das Kind stets 
blässer und schwächer wird. Die Milzvergrößerung nimmt zusehends 
zu. Anfangs März verschafft sich seine Mutter Chinin, um es dem 
Kinde zu reichen. Das Fieber bleibt für mehrere Tage aus, dann 
kommt es wieder. Später wird es immer schwächer, bis es auf 
eine längere Zeit ganz verschwindet. Herpes. Im Mai kommt es 
zu wiederholten Anfällen, welche 14 Tage lang andauern, dann 
verschwindet das Fieber vollkommen; auch das Kind erholt sich 
rasch und erhält wieder sein früheres gesundes Aussehen. 

40. Jacob U., 2 Jahre alt, Maschinenwärterssohn, Bruder des 
vorigen, aus Lukavac, Bosnien. Quartana. 

Erstling. Er erkrankte schon vor der Ankunft in Teslic. 
Anfangs October in Ukrinski Lug bei Dervent. Die typischen Anfälle 
kommen jeden 4. Tag; nur einmal blieben sie durch volle 5 Tage 
aus. Bisher kein Chinin eingenommen. Milztumor nachweisbar, 
Bronchitis, Ferrometer 46. 

Blutbefund: Am 3. December 1 / 2 1 Uhr abends nichts; 4. De¬ 
cember große IV-Parasiten. 

Impfung im Hause mit 3 Ccm. Serum am 10. December 
10 Uhr vorm. Nach der Impfung tritt das Fieber fast gerade so 
wie vor derselben auf, nur erscheint es jetzt auch in den Zwischen¬ 
tagen. Das Kind sieht infolge des steten Fiebers sehr herabge¬ 
kommen aus. Nach Neujahr erscheint die Malaria täglich in den 
Nachmittagsstunden. Nachdem das Kind von seiner Mutter Chinin 
erhalten hatte, hört das Fieber auf einige Wochen auf, dann kommt 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 46. 


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es jedoch Ende März zu einem schwachen Rückfall, welcher sich 
Ende April und anfangs Juni abermals wiederholt. Im letzteren 
Monate reicht die Milz 3 Querfinger über den linken Rippenbogen. 

41. Johann T., 26 Jahre, 1., Kohlenarbeiter aus Erzeny, Ung. 
Quartana. 

Altling. Ist seit 2. December krank, wenig Kälte, gleich 
Hitze, Schweiß. Einige Anfälle werden in ihrem ganzen Verlauf 
von uns genau beobachtet. Ferrometer 69. Milzvergrößerung kaum 
percutorisch nachweisbar. 

Blutbefund: Am 7. December um 12 Uhr mittags Quartana- 
parasiten. 

Ambulatorische Impfung mit 10 Ccm. Serum am 8. December 
um 11 Uhr vorm. Nach der Impfung kam statt des Anfalles nur 
ein starker Schweißausbruch; ebenso am nächsten Tage, 10. De¬ 
cember. Am 13. December kam ein heftiger Fieberanfall, welcher 
von 4—6 Uhr nachm, andauerte. Am 16. December ist ein starker 
Milztumor fühlbar. Am 17., 20. und 23. December treten ganz 
leichte Fieberanfälle auf mit stets abnehmender Stärke. Am 26. De¬ 
cember wird nur ein unbedeutendes Unwohlsein empfunden. Noch 
am 4. Januar 1902 erscheint ein ganz leichter Fieberanfall zwischen 
7 und 8 Uhr abends. Dann verläßt er Teslic. 

42. Heinrich T., 28 Jahre, 1., Kohlenarbeiter aus Erzeny, Ung. 
Quartana. 

Altling. Bruder des vorigen, etwas schwerhörig und dement. 
Er bekommt seit 3 Jahren das Wechselfieber stets im Spätsommer 
oder Herbst. Leichte Milzvergrößerung. Bronchitis. Wachsgelbe 
Gesichtsfarbe. 

Blutbefund: Am 7. December um 12 Uhr mittags große 
IV-Parasiten. 

Ambulatorische Impfung mit 10 Ccm. am 8. December und 
mit 5 Ccm. am 29. December, 1. und 4. Januar. Die Fieberanfälle 
lassen gleich nach der Impfung an Intensität etwas nach, doch 
kehren sie alle 4 Tage wieder zurück. Da er sich Ende December 
sehr schwach fühlt, so sucht er am 22. December das Spital auf, 
woselbst er bis Neujahr verbleibt und sich rasch erholt. Doch 
wiederholen sich die Anfälle, wenn auch mit verminderter Intensität, 
immer weiter fort, bis er Mitte Januar Teslic verläßt. 

43. Trivun P., 22 Jahre, 1., Arbeiter aus Radnja bei Teslic. 
Quartana. 

Altling. Vor einem Jahre litt er an einer sehr heftigen 
Malaria, welche angeblich ohne Chinin nach einem Sprunge ins 
kalte Wasser im höchsten Fieberstadium ausgeblieben sein soll. 
Diesmal begannen die sich alle 4 Tage wiederholenden Anfälle 
anfangs December. Frost, Hitze, Schweiß; Kopf-, Magen- und 
Kreuzschmerzen. Milztumor. Vergrößerte Leberdämpfung. 

Blutbefund: Ara 28. December große IV-Parasiten. 

Am 1. Januar 1902 mit 5 Ccm. Serum ambulatorisch injicirt; 
ferner am 4. und 5. Januar. Die Anfälle wiederholen sich dennoch 
im ganzen Januar, wenn auch mit geringerer Intensität, im Februar 
bleiben sie aus, worauf Pat. sich wieder zur Arbeit meldet. 

Um nun ganz kurz die Heilwirkung des KuHN’schen 
Serums zu wiederholen, soll betont werden, daß dasselbe 
nicht alle Formen des Wechselfiebers in gleicher Weise be¬ 
einflußt. Während es sich bei der Quartana so gut wie un¬ 
wirksam zeigt, muß seine Heilwirkung bei den an Tropica 
und Tertiana erkrankten Erstlingen als schwach bezeichnet 
werden. Hingegen beeinflußt es günstig den Verlauf der 
übrigen Formen des Wechselfiebers, obwohl seine Wirkungs¬ 
weise von jener des Chinins eine ganz verschiedene ist. Nach 
der Impfung werden die ferneren Anfälle nicht etwa wie 
bei Einnahme von Chinin unterdrückt, sondern die Krankheit 
klingt nach einer mehr oder weniger starken Reaction langsam 
ab. Ein rasches Verschwinden der Anfälle erfolgt nur aus¬ 
nahmsweise. 

Erratum. Infolge einer falschen Zahlengruppirung auf pag. 1838 in 
Nr. 41 dieses Blattes sind die Heilerfolge der Impfung nurichtig angegeben 
worden. Es soll dortselbst bei der Tropica nicht heißen: „Geheilt die Fälle 5“, 
sondern: „Geheilt die Fälle: 1, 5, 8, 20, 23, 25, 29, 31, 32, 36, 38“, „Nicht 
geheilt: 6“, was sich bei der Durchsicht des Endergebnisses übrigens schon 
von selbst ergibt. 


Aus der Chirurg, Abtheilung des bosn,-herceg, 
Landesspitales zu Sarajevo. 

Ueber Steinoperationen. 

Von Primararzt Dr. Josef Preindlsberger. *) 

(Schluß.) 

107. Fall. Ivo M., 15 Jahre, r.-kath., Haljinici. 5—6 Jahre 
krank. Operation am 15. März 1899. Sectio alta. Peritoneal falte 
sichtbar. Incomplete Seidennaht (Cystitis). 4. April Entfernung des 
Drainrohres. 15. April Operationswunde verschlossen. 3. Mai geheilt 
entlassen. Heilungsdauer 30 Tage. Knierohr durch 19 Tage. Ge¬ 
wicht 52 Grm., Kern: Urate, etwas Calciumoxalat, Rinde: Magne¬ 
siumammonphosphat, Urate, Calciumoxalat und Calciumphosphat. 

108. Fall. Ilija S., 12 Jahre, or.-orth., Zelinje (Srebrenica). 

3 Monate krank. Operation am 3. Juni 1899. Sectio alta. Perito¬ 
nealfalte gut sichtbar. Complete Seidennaht. 5. Juni Insufficienz der 
Blasennaht, prävesicale Eiterung. Knierohr. 26. Juli an der Ope¬ 
rationsstelle eine Urinfistel, entlassen. Heilungsdauer 53 Tage. Ver¬ 
weilkatheter durch 3 Tage, dann Knierohr durch 15 Tage. Ueber 
taubeneigroßer Stein. Kern und Rinde: Magnesiumammonphosphat, 
Calciumphosphat, etwas Calciumcarbonat und Urate. 

109. Fall. Milan M., 12 Jahre, or.-orth., Praca (Rogatica). 

4 Monate krank. Patient wurde bereits hierorts wegen Blasenstein 
operirt (Sectio alta). Operation am 3. August 1899. Sectio alta. Im 
Bereich der Narben stoßt man auf Seidenligaturen. Complete Seiden¬ 
naht (leichte Cystitis). 9. August Wunde per primam verheilt. 
15. August entlassen. Heilungsdauer 6 Tage. Verweilkatheter. Ge¬ 
wicht der 2 Steine 9% Grm., Kern: Calciumphosphat und Magne¬ 
siumammonphosphat, Calciumcarbonat und Urate. Recidive. 

110. Fall. Pero C., 6^ Jahre, or.-orth., Bjelajce. Operation 
am 7. August 1899. Sectio alta. Complete Seidennaht (leichte Cy¬ 
stitis). 11. August Wunde reactionslos. 29. August geheilt entlassen. 
Heilungsdauer 22 Tage. Verweilkatheter durch 4 Tage. Gewicht 
4 Grm., Kern: Urate, Rinde: Urate, Calciumoxalat und Calcium¬ 
phosphat. 

111. Fall. Zejnjil B., 9 Jahre, muh., Pljevlje (Türkei). Ope¬ 
ration am 17. August 1899. Sectio alta. Complete Seidennaht (Cy¬ 
stitis). 22. August Einführung eines Knierohres, da aus der Wunde 
Urin abgeht. 8. September Verband trocken. 20. September geheilt 
entlassen. Heilungsdauer 21 Tage. Verweilkatheter durch 4 Tage. 
Knierohr durch 10 Tage. Gewicht 40 Grm., Kern: Urate, Rinde: 
Magnesiumammonphosphat und Calciumphosphat. Patient wurde an¬ 
geblich vor 2 Jahren von einem Steinschneider wegen Blasenst^in 
operirt; es besteht noch eine dünne Fistel am Perineum. Re¬ 
cidive. 

112. Fall. Bozo R., 5 Jahre, or.-orth., Tomina (Sanskimost). 

1 Jahr krank. Operation am 30. August 1899. Sectio alta. Com¬ 
plete Seidennaht (Cystitis). 2. September Wunde per primam ver¬ 
klebt. 12—18. September leichte Durchnässung des Verbandes. 
8. October geheilt entlassen. Heilungsdauer 39 Tage. Verweilka¬ 
theter durch 4 Tage. 2 Steine 75 Grm. Größerer Stein Rinde: 
Urate, Calciumcarbonat, Magnesiumammonphosphat, Kern: Urate. 
Kleinerer Stein: wie Rinde des größeren. 

113. Fall. Antonije B., 8 Jahre, or. orth., Tramosnja (Sanski¬ 
most). 1Y 2 Jahre krank. Operation am 30. August 1899. Sectio 
alta. Complete Seidennaht (Cystitis). 2. September mäßige Reten¬ 
tion im prävesicalen Raum. 3.—18. September Verband durchnäßt. 
8. October geheilt entlassen. Heilungsdauer 39 Tage. Verweilka¬ 
theter durch 4 Tage. 2 Steine 15 Grm. Größerer Stein, Kern: 
Urate und Calciumoxalat, Rinde: Magnesiumammon und Calcium¬ 
phosphat. Kleinerer Stein, Kern: Urate, Rinde: Calciumoxalat, 
Calciumphosphat, Magnesiumammonphosphat, Urate. 

114. Fall. Ivan R., 7 Jahre, or.-orth., Triscani (Prozor). 

2 Jahre krank. Operation am 9. September 1899. Sectio alta. Schwere 
Asphyxie. Bei der künstlichen Athmung wurde die Wunde ge¬ 
quetscht und dadurch offenbar eine Hämorrhagie am Peritoneum 
veranlaßt, welche zum Ausgangspunkt der Infection wurde. Com- 


*) S. Nr. 44. 

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plete Seidennaht (Cystitis). 10. September Collaps. 11. September 
Exitus letalis. Verweilkatheter. Gewicht 9 l j 2 Grm., Kern: Urate, 
Calciumoxalat und Calciumphosphat, Rinde: Magnesiumammonphos¬ 
phat, Urate. Sectionsdiagnose: Peritonitis fibrinopurulenta recens 
praecipue regionis inferioris cavi abdominis ex infiltratione urinosa 
textus cellulosi praevesicularis post sectionem ante dies II. 1. a. 
factam. Cystitis catarrhalis chronica. Bronchitis diffusa, atelectases 
lobulares dispersae, oedema incipiens pulmonum. Catarrhus intesti- 
norum chronicus cum hyperplasia glandularum meseraicarum. 

115. Fall. Dusan G., 8 Jahre, or.-orth., Mostar. 2 Jahre 
krank. Operation am 2. October 1899. Sectio alta. In der Blase 
findet sich kein Stein; vielmehr führt vom Blasenhals eine Fistel 
in das perivesicale Gewebe, aus welchem das Concrement nach Ver- 
nähung der Blase mittels Incision in der Raphe perinei entfernt 
wird. Complete Seidennaht (Cystitis). Tamponade der Perinealwunde. 
Im Verlauf der Heilung geringe Blutung. 20. November geheilt 
entlassen. Heilungsdaner 47 Tage. Verweilkatheter. Kleiner, hasel¬ 
nußgroßer Stein. Kern: Urate, Calciumcarbonat, Calciumoxalat und 
Calciumphosphat. Urinfistel an der linken Seite des Afters nach 
einer vor mehreren Jahren von einen Steinschneider vorgenom¬ 
menen Operation. 

116. Fall. Marko J., 3 Jahre, r.-kath., Kresevo. 1 Jahr krank. 
Operation am 3. October 1899. Sectio alta. Dauer der Operation 
15 Minuten. Complete Seidennaht (geringe Cystitis). 15. October 
Wunde per primam verheilt, entlassen. Heilungsdauer 12 Tage. 
Verweilkatheter, Gewicht l J / 2 Grm., Kern: Urate, Rinde: Calcium¬ 
phosphat und Magnesiumammonphosphat. 

117. Fall. Rade V., 40 Jahre, or.-orth., Kljuc. 2 Jahre krank. 
Operation am 11. November 1899. Cystoskopie und Sectio alta. 
Peritonealfalte kam zur Ansicht. Complete Seidennaht (geringe Cy¬ 
stitis). 3. December Wunde per primam verheilt, entlassen. Heilungs- 
dauer 21 Tage. Verweilkatheter durch 6 Tage. Gewicht 34 Grm., 
Kern: Urate, Calciumoxalat und Calciumphosphat, sehr harter Stein. 

118. Fall. Ibro M., 15 Jahre, muh., Kljuc. 6 Wochen krank. 
Operation am 15. November 1899. Cystoskopie, dann Sectio alta. 
Incomplete Seidensuspensionsnaht (Cystitis). 3. December Blasen¬ 
wunde vollständig auseinandergewichen. Blasenschleimhaut miß- 
färbig. Beginnender Decubitus am Kreuzbein. Ins Wasserbett ab- 
transferirt. 6. December auf der 111. Abtheilung Exitus letalis. 
Knierohr. Gewicht 86 Grm., Kern: Magnesiuraammonphosphat,Urate, 
Calciumcarbonat und Calciumphosphat. Obductionsdiagnose: Cystitis 
et Paracystitis ulcerosa destruens cum pyelonephrit. purul. ambila- 
terali et lithiasi. Sectio alta ante XXII dies facta, non sanata. Broncho- 
pneumonia catarrhalis lobularis dispersa, abscessus metastatici, 
oedema acut, pulmon. Degeneratio amyloidea lienis. Decubitus reg. 
sacralis. Anaemia et Marasmus summi Gradus. 

119. Fall. Mitar K., 16 Jahre, or.-orth., Trebinje. 5 Jahre 
krank. Operation am 25. Februar 1900. Sectio alta. Peritonealfalte 
deutlich sichtbar. Stein in einem Recessus hinter der Prostata ein¬ 
gebettet. Incomplete Seidennaht (Cystitis). 1. März Einführung eines 
Dauerkatheters. 8. April Entfernung des Knierohres. 19. April Ent¬ 
fernung eines maiskorngroßen Sternchens aus der Fossa uavicularis, 
4. Mai Entleerung eines maiskorngroßen Sternchens beim Uriniren. 
29. Mai Geheilt entlassen. Heilungsdauer 69 Tage. Knierohr und 
Verweilkatheter. Gewicht 39 Grm. Kern: Urate. Rinde: Magnesium- 
ammonphosphat, Calciumphosphat, Urate. 

12 0. Fall. Ibrahim T., 8 Jahre, muh., Tesanj. 1 / 3 Jahr 
krank. Operation am 8. März 1900. Sectio alta. Peritonealfalte sicht¬ 
bar. Complete, 2reihige Seidennaht. 12. März Wunde per primam 
verklebt. 3. April geheilt entlassen. Heilungsdauer 25 Tage. Ver¬ 
weilkatheter durch 4 Tage. Gewicht 21 Grm. Kern: Urate. Rinde: 
Magnesiumammonphosphat, Urate, Calciumcarbonat, Calciumoxalat. 

12 1. Fall. Pero J., 10 Jahre, or.-orth., Banjerkula (Visoko). 
4 Jahre krank. Operation am 30. April 1900. Sectio alta. Complete, 
2reihige Seidennaht (Cystitis). Im Verlauf der Wundheilung geringe 
Eiterung aus dem prävesicalen Raum. 23. Mai mit linear verheilter 
Wunde entlassen. Heilungsdauer 23 Tage. Verweilkatheter. Gewicht 
18 Grm. Kern: Urate. Rinde: Magnesiumammonphosphat, Calcium¬ 
carbonat, Calciumphosphat, Urate. 


12 2. Fall. Mirko P., 5 Jahre, r.-kath., Mehopotocje (Prozor). 
Operation am 26. Juni 1900. Sectio alta. Mühsame Freimachung 
des hinter der Prostata unverschieblich liegenden Steines. Complete 
Seidennaht (Cystitis). 9. Juli mit per primam verheilter Wunde ent¬ 
lassen. Heilungsdauer 13 Tage. Gewicht 2‘8 Grm. Kern: Urate. 
Rinde: Urate, Calciumoxalat und Calciumphosphat. 

12 3. Fall. Ile 0., 11 Jahre, or.-orth., Volari (Jajce). Ope¬ 
ration am 8. Mai 1900. Sectio alta. Incomplete Seidenuaht (Cystitis). 
15. bis 26. Mai Dauerkatheter. 29. Mai Weglassen des Knierohres. 
Geringe prävesicale Eiterung. 14. Juli Mit verheilter Wunde ent¬ 
lassen. Heilungsdauer 66 Tage. Knierohr durch 21 Tage. 11 Tage 
Dauerkatheter. Gewicht 36 Grm. Urate, Magnesiumammon- und 
Calciumphosphat. Vor 3 Jahren hierorts wegen Blasenstein Sectio 
alta ausgeführt. 9 Wochen hernach in Travnik durch Schnitt in den 
Peno-Scrotalwinkel ein Steinfragment extrahirt; daselbst jetzt eine 
Urinfistel. (Recidive.) 

12 4. Fall. Jovo S., 8 Jahre, or.-orth., Tesanj. 3 Jahre krank. 
Operation am 19. Juni 1900. Sectio alta. Peritonealfalte sichtbar. 
Der hühnereigroße Stein in die Schleimhaut fest eingebettet. Com¬ 
plete 2reihige Seidennaht (Cystitis). 19. Juni ein eingeführter Mer- 
CIER-Katheter wegen Schmerzhaftigkeit entfernt. 22. Juni Nahtlinie 
reactionslos. Zunehmende Schwäche. Ueber der rechten Lunge gro߬ 
blasiges Rasseln. 23. Juni Exitus letalis. Verweilkatheter durch 
V 2 Tag. Gewicht 17 1 / 2 Grm. Kern: Urate. Rinde: Urate, Calcium¬ 
oxalat. Obductionsdiagnose: Aplasia congenita completa renis sinistri, 
hypertrophia renis dextri propter obturationem ostii uretheri adtinentis 
calculo vesicae urinae dilationem istius atque pelveos renalis prae- 
stantis. Cystitis catarrhalis chron. cum hypertrophia mucosae vesicae 
urinar. — Hypertrophia concentrica cordis sin. Tumor lienis chro¬ 
nicus. Bronchitis diffusa, bronchopneumonia catarrh. acuta praecipue 
pulmonis dextri. Oedema acutum pulmonum. 

12 5. Fall. Jozo M., 21 Jahre, r.-kath., Drecnik (Slunj). 
Seit Kindheit krank. Operation am 26. Juni 1900. Sectio alta. Peri¬ 
tonealfalte tiefstehend. Complete, 2reihige Seidennaht (Cystitis). 
30. Juni Wunde per primam verheilt. 15. Juli entlassen. Heilungs¬ 
dauer 19 Tage. Verweilkatheter. Gewicht 33 l / 2 Grm. Kern: Urate. 
Rinde: Urate, Calcium-, Magnesiumphosphat. 

12 6. Fall. Zejinil B., 10 Jahre, muh., Plevlje (Türkei). 
1 / 2 Jahr krank. Operation am 1. August 1900. Sectio alta. Blasen¬ 
wand verdeckt. Incomplete Seidennaht (Cystitis). Im Verlaufe der 
Wundheilung Pneumonia catarrh. 10. August Entfernung des Ka¬ 
theters. 11. August Entfernung des Knierohres. 4. November mit 
geheilter Wunde entlassen. Heilungsdauer 94 Tage. Knierohr und 
Dauerkatheter. Gewicht 11 Grm. Kern: Magnesiumammonphosphat, 
Calciumphosphat und Calciumcarbonat, Urate. Rinde: Ebenso nur 
wenig Urate. An Pat. wurde im Vorjahre hierorts wegen Blasen¬ 
stein die Sectio alta ausgeführt. (Recidive.) 

127. Fall. Manojlo K., 40 Jahre, or.-orth., Visoko. 6 Mo¬ 
nate krank. Operation am 24. October 1900. Sectio alta. Da die 
Blasennähte im unteren Winkel durchschneiden, wird ein Knierohr 
eingeführt. Incomplete Seidennaht (Cystitis). Vom 10. November 
Verband trocken. 18. November geheilt entlassen. Heilungsdauer 
24 Tage. Knierohr. 25. October bis 5. November Dauerkatheter. 
Der Pfeifenstein ging verloren — war im Blasenhals fixirt; daher 
Litkotripsie nicht möglich. Im Alter von 14 Jahren wurde an Pat. 
in Wien per sectionem lateralem ein Blasenstein entfernt. 

12 8. Fall. G. Z. R., 47 Jahre, r.-kath., Derveut (ge¬ 
boren in Böhmen). 6 Jahre krank. Operation am 10. Mai 1900. 
Lithotripsie. Dreimaliges Anfassen, Zertrümmern; Evacuätion. Schwere 
Cyauose. Bis 12. Mai Urin minimal bluthältig. 30. Mai geheilt ent¬ 
lassen. Heilungsdauer 20 Tage. Gewicht 5 1 /. 2 Grm. Harnsäure. 

12 9. Fall. Mato M., 56 Jahre, r.-kath., Spionica (Graöanica). 
1 Jahr krank. Pat. fiebert bis 38 - 9°. Operation am 20. August 1900. 
Litholapaxia. Zertrümmerung mit Lithotriptor , 2malige Evacuation. 
Controle mittels Endoskopie. Schwere Cystitis. 21. August Temperatur¬ 
steigerung bis 39'4°. 22. August Collaps. Exitus letalis. Gewicht 2 Grm. 
Urate, Calcium-, Magnesiumammonphosphat. Obductionsdiagnose: Peri- 
cystitis phlegmonosa, Cystitis parapelvitis et chronica gravis ex lithiasi. 
Dilatatio urethrorum. Nephritis interstitialis chronica dispersa ambi- 
lateralis Concretioues vesicularum seminalium. Hernia inguinalis lib. 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 46. 


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et hydrocele sinistr. Athcromatosis aortae lovioris gradus. Oedoma 
acutum pulmonum Ascarides. Punctio vesicae urinar. sub finem facta. 

13 0. Fall. Janja L., 8 Jahre, or.-orth., B.-Tribovo (Vac. 
Vakuf). 2 Jahre krank. Operation am 30. Decembcr 1900. Litho- 
tripsie. Nach versuchter Zertrümmerung mit dem Lithotriptor ge¬ 
lingt dieselbe mit der Kornzangc; Evacuation. 18. Januar 1901 
geheilt entlassen. Heilungsdauer 15 Tage. Gewicht: 5’/« Grm. 
Magnesiumammonphosphat, Urate , Calciumoxalat, Calciumphosphat. 

13 1. Fall. Humid G., 5 Jahre, muh., Kakanje-Doboj. Ope¬ 
ration am 16. September 1900. Nach versuchter Lithotripsie Sectio 
alta. Wegen großer Härte Zertrümmerung des Steines nicht möglich. 
— Peritonealfalte sichtbar. Complete Seidennaht. 27. September Mit 
geheilter Wunde entlassen. Heilungsdauer 11 Tage. Verweilkatheter. 
Gewicht S 1 /* Grm. Kern: Urate. Kinde: Urate, Calciumoxalate. 

13 2. Fall. Georg M., 61 Jahre, r.-kath., B.-Samac. 1 Jahr 
krank, Operation am 17. December 1900. Nach versuchter Litho¬ 
tripsie Sectio alta. Einführung des Lithotriptor wegen Prostata¬ 
hypertrophie sehr erschwert ; wegen starker Blutung aus der Harn¬ 
röhre Sectio alta. Incomplete Seidennaht (Cystitis). Im Verlaufe der 
Wundheilung mäßige Temperatursteigerung. Diarrhoe. Knierohr. 
Gewicht 3 Grm. Kern: Urate. Rinde: Calcium- und Magnesium¬ 
ammonphosphat, Calciumcarbonat, Urate. 

13 3. Fall. Uros S., 7 Jahre, or.-orth., Mostar. 5 Monate 
krank. Operation am 30. December 1900. Nach versuchter Litho¬ 
tripsie Sectio alta. Stein mit dem Lithotriptor nicht zu zertrümmern; 
da auch die Narkose beunruhigend wird, Sectio alta. Complete, 
2reihige Seidensuspensionsnaht (Cystitis). 31. December Temperatur¬ 
steigerung. Pneumonia sinistra. Verweilkatheter. Gewicht 9 1 / 2 Grm. 
Kern: Urate. Rinde: Urate, (-alciumoxalat, Phosphate. Vor 1 Jahr 
wurde ein erbsengroßer Stein entfernt. 

13 4. Fall. Johann S., 58 Jahre, r.-kath., Leoben (Steier¬ 
mark), 2 Jahre krank. 22. September 1900. Beim spontanen Uriniren 
wird ein bohnengroßer, graugelber, harter, stacheliger Stein heraus- 
gcschleudert. 26. September kein Concrement nachweisbar, geheilt 
entlassen. Gewicht 1 / 3 Grm. Urat. 

13 5. Fall. Mirko C., 2 , / a Jahre, or.-orth., Alibasic (Sara¬ 
jevo). Anämisches Kind mit diffuser Bronchitis, Cystitis. Für 
den 7. August 1900 zur Operation bestimmt; wegen Fieber 
und großer Schwäche wurde davon Abstand genommen. 8. August 
unter zunehmender Herzschwäche Exitus letalis. Walnußgroß. 
Hülle: Phosphorsaure Ammonmagnesia. Kern : Außerdem kohlen¬ 
saurer und phosphorsaurer Kalk. Obductionsdiagnose: Cystitis 
chronica ex lithiasi sequente atrophia hydronephrotica renis dextri 
et pyelonephrilide chronica renis sin. hypertroph. Tumor lienis 
chronicus. Catarrhus intestinorum chronic, cum hyperplasia apparat. 
glandularis lymphat. mucosae et mesenterii. Hydrops anasarca 
levioris gradus. Anaemia universalis. 

Literatur: Güterbock, Steine und Fremdkörper der Harnblase und 
der Harnröhre. Leipzig und Wien 1894, Franz Deuticke. — Kukui.a, [Jeher 
Lithiasis der Harnblase in Böhmen. Wien 1894, Josef Safaf. — Sonnen¬ 
burg, Die Verletzungen und Erkrankungen der Blase. Handbuch für praktische 
Chirurgie (Chirurgie des Unterleibes. 2. Theil). Stuttgart 1901, Ferdinand 
Enke. — Güyon, Die Krankheiten der Harnwege, übersetzt von 0. Kraus 
und 0. Zuckerkandl. Wien 1897, A. Holder. — Ultzmann, Die Krankheiten 
der Harnblase. Deutsche Chirurgie, Lieferung Nr. 52. — Carliku, Annales des 
maladies des Organes genito-urinaires, 1900 , Nr. 8. — Michailowsky, Dela- 
grammatica, Nicolich, Leguku, Haohe, Trekaki, ibid. — Kaluonzis, ibid. — 
v. Frisch, „Wiener klin. Wochenscbr.“, 1902, Nr. 13, 15. — Alexandroff, 
„Centralbl. f. Chirurgie“, 1901, Nr. 16. — Khassnobajew , ibid. — Asskn- 
delft , Hildebrandt’s Jahresbericht, 1901. — Zotos, ibid. — Adams (Ref. 
„Wiener klin. Wochenscbr.“, 1901, Nr. 43). — Stein (Bruns’ Beiträge zur 
klin. Chirurgie, Festschrift für V. Czerny, 1902). — Schede, Handbuch der 
praktischen Chirurgie, 1. c. Bd. JII, 2. — Lotheissen, Zur Blasennaht beim 
Steinschnitt. „Wiener klin. Wochenscbr.“, 1900, Nr. 9. — Manghina (Kokoris), 
„Wiener klin. Wochenscbr.“, 1902. Nr. 29. — Zuckerkandl, „Wiener klin! 
Wochenscbr.“, 1901, Nr. 93. — Löwenhardt, Congreß der deutschen Gesell¬ 
schaft für Chirurgie, 1899. — Christovich , Les operations de calculs de la 
vessie. Annales des maladies des Organes g§nito-urinaires, 1902, Nr. 7. 


Referate. 

Rovsing (Kopenhagen): Wann und wie müssen chronische 
Nephritiden (Tuberculose ausgenommen) operirt 
werden ? 

Die Frage, deren Beantwortung Verf. als Referent am fünften 
nordischen Chirurgencongreß in Kopenhagen übernahm, gehört der 
modernsten Chirurgie an und ist für den Internisten wie für den 
Chirurgen gleich wichtig. Es handelt sich nicht um jene Fälle, in 
welchen Stagnation von Eiter im Nierenbecken oder den Kelchen 
oder Concremente in der Niere diagnosticirt wurden. Da für diese 
Fälle die chirurgische Therapie als die einzig rationelle allseitig 
anerkannt wurde, sondern nur um eine Reihe von chronischen 
Nephritiden, die man früher nur durch medicinische Therapie 
heilen zu können glaubte. 

Das Material, auf welches Verf. sich stützt, besteht aus 17 von 
ihm operirten und zum größten Theil histologisch und bakterio¬ 
logisch genau untersuchten Fällen. Im Gegensatz zu den früheren 
Bearbeitern dieses Gegenstandes, die der bakteriologischen Unter¬ 
suchung keine wichtige Rolle zuschrieben, theilt Verf. („Mitth. aus 
d. Grenzgeb. f. Med. u, Chir. w , Bd. 10, II. 3 u. 4) das Material in 
zwei große Gruppen, in 1. aseptische und 2. infectiöse Nephritiden 
und stellt bei den verschiedenen Gruppen verschiedene Indicationen 
für die Behandlung auf. 

In allen Fällen der ersten Gruppe (9 Fälle, darunter diffuse, 
parenchymatöse Nephritis, doppelseitige chronische Glomerulo¬ 
nephritis, diffuse doppelseitige, hämorrhagische Nephritis, Nephritis 
interstitialis et Perinephritis fibrosa infolge von Harnsäure- oder 
Oxalsäurediathese) waren es hauptsächlich die Schmorzanfällc, zum 
Theil auch die Blutungen, die die Indication zum operativen Eingriff 
abgeben und die nach der Operation sofort aufhörten. Den Schmerz 
erklärt Verf. durch Mitbetheiligung der Membrana propria der 
Niere am Entzündungsproceß; entweder wird die Kapsel durch 
subcapsuläre Flüssigkeitsansammlungen gespannt erhalten (Hämatom) 
oder perirenale Adhäsionen, welche mit der Kapsel fest verwachsen 
sind, zerren an derselben oder comprimiren sie; so lange nur das 
Nierenparenchym allein am Entzündungsproceß sich betheiligt, hat 
I’at. keine Schmerzen. 

Im Gegensatz zu Israel, der als Eingriff für die chronischen 
Nephritisfälle die Spaltung der Niere empfahl, hält Verf. diesen 
Eingriff bei aseptischer Nephritis für sehr gewagt und unerlaubt 
und tritt für die bloße Lösung der Niere aus ihren Adhäsionen 
(Nephrolysis) ein, welche ihm in allen Fällen gute Resultate (Auf¬ 
hören der Schmerzen) lieferte. Die perinephritischen Adhäsionen 
hat Verf. stets ganz entfernt und mußte bei fester Verwachsung 
mit der Capsula propria manchmal auch große Stücke derselben 
opfern. 

Dagegen hält Verf. auch in aseptischen Fällen die Spaltung 
bei bedenklichen Hämaturien zu diagnostischen Zwecken für indicirt, 
um der weit größeren Gefahr entgegenzutreten , welche eine an 
irgend einer Stelle vorhandene maligne Neubildung in sich birgt. 
Nach der Nephrolyse ist eine passende Nachbehandlung (Diät, 
reichliches Wassertrinken) von größter Bedeutung für die Aus¬ 
heilung der Nephritis. 

In den Fällen der zweiten Gruppe fand Verf. verschiedene 
Bakterien als Ursache des Proeesses (Staphylococcus pyogenes, 
aureus und albus, Streptococcus, Bacterium coli) und konnte con- 
statiren (was zum Theil schon früher Israel fand), daß 1. es 
einseitige chronische Nephritiden infectiöser Natur gibt, 2. daß 
die einseitige infectiöse Nephritis auf einen mehr oder weniger 
großen Theil der Niere localisirt sein kann, 3. daß es doppel¬ 
seitige, aber partielle infectiöse Nephritiden gibt, und 4. daß diese 
Nephritiden sowohl klinisch als pathologisch-anatomisch große 
Aehnlichkeit mit den aseptischen Nephritiden (große, weiße Niere, 
Schrumpfniere etc.) haben können. 

Die chirurgische Therapie muß bei der zweiten Gruppe eine 
viel eingreifendere sein als bei der ersten. Zwar bewährt sich 
auch hier die Nephrolyse, indem sie die Schmerzen vollständig hebt 
und der Niere günstige Bedingungen für die Reparation des Ent- 

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zündnngsprocesses gibt, es wird aber auch häufig die Nierenspaltung 
(Nephrotomie) ausgeführt werden müssen, wenn es die Oeffnung 
und Drainage von abscedirten oder entzündeten Partien der Niere 
gilt. Die Wirkung der Nierenspaltung auf die Blutung ist ver¬ 
schieden , in einem Falle sistirte die letztere ganz, in einem 
anderen trat infolge der Operation eine lebensgefährliche Hämor- 
rhagie ein. In 2 Fällen wurde die partielle Nierenresection mit 
gutem Erfolge ausgeführt und bewirkte vollständige Entfernung 
des Infectionsstoffes aus der Niere. 

Bei einseitiger totaler Nephritis ist es manchmal nothwendig, 
die Nephrektomie vorzunehmen, um das durch die fortwährende 
Hämaturie, das Infectionsfieber oder die Vergiftung bedrohte Leben 
des Pat. durch Entfernung der kranken Niere zu retten. In 
2 Fällen gelang dies thatsächlich. Ebdheim. 

Einhorn (New-York): Ueber Syphilis der Leber. 

In der großen Mehrzahl der Fälle von Leberlues sind Schmerzen 
im rechten Hypochondrium vorhanden, bald continuirlich, bald an¬ 
fallsweise. Im letzteren Fall nehmen sie gewöhnlich einen sehr 
heftigen Charakter an, so daß sie Gallensteinkoliken sehr ähneln 
können. Allgemeines Unwohlsein, Verdauungsbeschwerden, unruhiger 
Schlaf, Verstimmtheit, Mattigkeit etc. sind häufig vorhanden. Be¬ 
steht die Leberaffection längere Zeit, so verlieren die Patienten 
an Gewicht, doch sind die Gewichtsverluste fast nie so hochgradig 
wie bei malignen Neubildungen dieses Organs. Icterus kann acut 
auftreten und entweder nach kurzem Bestehen verschwinden oder 
aber chronisch werden. 

Die Hautfarbe ist, außer bei den Fällen von Icterus, bei den 
meisten Patienten nicht verändert. Die Leber ist immer mehr oder 
weniger geschwollen, und überragt in der rechten Mammillarlinie 
den Rippenrand. Haben wir es mit Gummigeschwülsten zu thun, 
so werden dieselben häufig als etwas unebene rundliche, harte Höcker 
an der Leberoberfläche angetroffen. Liegt ein cirrhotischer Proceß, 
durch Lues herbeigeführt, vor, so wird eine bedeutende Vergröße¬ 
rung des Organs vorgefunden. Im vorgerückten Stadium der Leber¬ 
syphilis tritt amyloide Degeneration hinzu; dann fühlt sich die 
Leber härter und glatter an als gewöhnlich. Milzschwellung ist 
nicht constant. Ascites tritt im späten Stadium der Erkrankung 
auf. Gummigeschwülste der Leber geben leicht zur Verwechslung 
mit malignen Neubildungen Anlaß. Differentialdiagnostisch kommt 
hauptsächlich der Verlauf in Betracht. Eine Vermehrung der eosino¬ 
philen Zellen spricht nach Neüsser für Syphilis. Verschwinden der 
Geschwulst nach einer probeweise eingeleiteten antiluetischen Be¬ 
handlung spricht mit Bestimmtheit für Lues. 

Die Prognose der Lebersyphilis ist, wenn die Diagnose in 
einem Stadium der Krankheit gestellt werden kann, wo die Pa¬ 
tienten noch nicht allzusehr entkräftet sind , und wo keine 
schweren Nebenerscheinungen (Ascites, Albuminurie etc.) aufgetreten 
sind, günstig. 

Das Wesen der Therapie der Leberlues besteht in den gegen 
die Syphilis gerichteten Maßnahmen. Jodkali oder Jodnatrium und 
ähnliche Jodpräparate spielen eine Hauptrolle. Man gibt zuerst 
2 — 3 Grm. Jodkali täglich und steigert langsam bis auf 5 — 6 Grm. 
Höhere Dosen hat E. („Arch. f. Verd.-Krankh.“, 1902, Nr. 3) 
selten gebraucht. Er hat übrigens die besten Erfolge da gesehen, 
wo im Anschluß an Jodkali noch die Quecksilbereinreibungen (Ungt. 
Hydrarg. einer. 2*0 täglich) benutzt wurden. Die antiluetische Be¬ 
handlung muß lange Zeit hindurch (2 — 3 Monate und eventuell noch 
länger) fortgesetzt werden. Die übrige Therapie ist eine sym¬ 
ptomatische. L. 


Tschernow (Charkow): Ueber einen Fall von Bildung 
eines harten Infiltrats in der Pars cavernosa 
urethrae nichtgonorrhoischen Ursprungs. 

Es handelt sich („Russki Journal Koschnich y Veneritscheskich 
Bolesnej“, 1902, Bd. 3, H. 3) um einen 30jährigen, aus einer nervös 
belasteten Familie stammenden Patienten, der im Alter von 14—17 
und dann wieder von 25—27 Jahren Masturbation getrieben hatte. 


Eine regelrechte Cohabitation hat er niemals ausgeführt, weil bei 
jedem Versuch eine Ejaculatio praecox eintrat. Er unterhielt ein 
intimes Verhältniß mit einem jungen Mädchen fast zwei Jahre lang, 
ohne jedoch die Grenze unschuldiger Liebkosungen jemals über¬ 
schritten zu haben. Allerdings kam es dabei zu starken und an¬ 
dauernden Erectionen. Gegen Prostituirte empfand der Patient stets 
eine unüberwindliche Abscheu und war nie an Gonorrhoe erkrankt. 
Status praesens: Harn trübe und wird nur durch Zusatz von Essig¬ 
säure klar. Endoskopische Untersuchung: Colliculus seminalis stark 
hyperämisch, ziemlich stark vergrößert, im mittleren Drittel der 
Pars urethrae anterior sind die Schleimbautfalten in geringer Aus¬ 
dehnung verstrichen. Manchenorts finden sich einige MORGA.GNr’sche 
Lacunen, die vergrößert und infiltrirt sind. Schleimhautfarbe anä¬ 
misch. Bei der Untersuchung mittels Bougie ä boule Nr. 25 stößt 
man im mittleren Drittel der Pars cavernosa penis auf ein kleines 
Hinderniß. Die Prostata ist vergrößert, besonders der rechte Lappen. 
Es handelte sich also um eine harte Infiltration, die zweifellos auf 
nichtgonorrhoischer Basis entstanden sein mußte. Verf. führt die¬ 
selbe auf durch Ueberreizung bedingte chronische Stauungshyperämie 
des Penis, speciell der Pars anterior urethrae zurück. Er nimmt 
nämlich an, daß die Masturbation , sowie unbefriedigte geschlecht¬ 
liche Ueberreizung ebenso wie der Coitus reservatus jedesmal eine 
Hyperämie der bezeichneten Theile hervorrufen, welcher der unter 
normalen Verhältnissen stattfindende Rückfluß des Blutes nicht folgt, 
und daß diese nicht abklingende Hyperämie bei vielfachen Wieder¬ 
holungen schließlich zu venöser Stauungshyperämie des Penis und 
speciell der Pars urethrae führen muß. L—y. 

H. Finkelstein (Berlin): Die durch Geburtstraumen her¬ 
vorgerufenen Krankheiten des Säuglings. 

Hieher gehören in erster Linie die Druckmarken, welche 
gewöhnlich auf den Scheitelbeinen localisirt sind, dann das Ccphal- 
haematoma externum, welches vorwiegend nach leichtem Ge¬ 
burtsverlauf auftritt und seine Entstehung der Zerreißung von 
Blutgefäßen verdankt, welche in der am leichtesten verschieblichen 
und am zartesten vascularisirten Schichte liegen. Der Erguß ist 
der selbstthätigen Aufsaugung zu überlassen. Das Cephalhaema- 
toma internum entsteht entweder bei Knochenverletzungen oder 
auch ohne solche bei Uebergreifen äußerer Hämatome durch spalt¬ 
förmige Ossificationsdefecte. Es ist der Diagnose nur zugänglich, 
wenn cerebrale Symptome auftreten. Auch bloße, abnorm gesteigerte 
Compression des kindlichen Schädels während des Durchtrittes 
durch den Geburtscanal kann zu Hirndruckerscheinungen (Pulsver¬ 
langsamung, oberflächliche Athmung, Erlöschen des Würgreflexes) 
führen, die nach einigen Stunden verschwinden. Wenn die Asphyxie 
den Wiederbelebungsversuchen aber hartnäckig widersteht oder sich 
verschlimmert, dann muß an Hirnblutungen gedacht werden. 
Die Entstehung derselben ist zum Theile an Traumen geknüpft; 
viel häufiger aber kommt es zu Blutungen ohne äußere Verletzungen 
und bei spontanen, ja sogar leicht und schnell erfolgten Geburten. 
Hier kommt es durch Verschiebungen der Kopfknochen zn Ein- 
uud Abreißungen von Gefäßen, ja selbst der Sinus. Die Prognose 
ist bei solchen Hirnblutungen überaus schwierig zu stellen; selbst 
die Rückbildung der anfänglichen Reizerscheinungen gibt noch 
keine Garantie für die Zukunft. Sowohl die directe Läsion der 
Hirnsubstanz, wie consecutive Pachymeningitis, Hydrocephalus ex- 
ternus, chronische Meningoencephalitis können die Ursache ernster 
bleibender Gehirnschädigung werden. Damit ist die Bedeutung der 
Hirnhämorrhagie als einer der Ursachen der cerebralen Kinder¬ 
lähmungen erwiesen, und auch Idiotie, Epilepsie können in gleicher 
Weise begründet sein. Operative Eingriffe sind nur dann indicirt, 
wenn die Zeichen wachsenden Hirndruckes für eine sich ver¬ 
größernde Hämorrhagie sprechen oder eine erhebliche äußere 
Knochendeformität besteht. 

Zu den häufigeren Verletzungen der Weichtheile gehören die 
Hämatome des Sternocleidomastoideus* welche auch 
spontan bei Zurückbleiben der Schulter und Rotation des Kopfes 
infolge extremer Drehbewegung auftreten. Therapie : Leichte Massage, 
später Contentivverbände. Die Prognose ist quoad functionem nicht 


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absolut günstig zu stellen, weil dauernder Schiefhals die Folge 
sein kann. 

Die Nervenverletzungen betreffen zumeist den Plexus 
cervicalis in seinem oberen oder unteren Antheil, und zwar den 
Plexus selbst oder seine Wurzeln, wobei selbstverständlich primäre 
Fracturen oder Luxationen ausgeschlossen werden müssen. Dem¬ 
entsprechend unterscheide man den Oberarmtypus (5.—6. Cereical- 
wurzel), den Unteramtypus (7. — 8 . Wurzel), sowie die totale Plexus¬ 
lähmung. Die obere Plexuslähmung gibt die günstigste Prognose. 
Curativ und prophylaktisch handelt es sich insbesondere darum, 
der Muskelatrophie und Contractur entgegenzuarbeiten, bis die 
Wiederherstellung der Nerven erfolgt (Elektricität, Bäder, Massage, 
Gymnastik). Die auch bei spontaner Entbindung zu beobachtenden 
Facialislähmungen sind meist auf eine Schädigung des peripherischen 
Antheiles nach dem Austritte aus dem Foramen stylomastoideum 
zurückzuführen. Eine Verschiebung der die Schädelbasis zusammen¬ 
setzenden Knochen kann aber auch eine Paralyse auf basaler Grund¬ 
lage hervorrufen. Die Behandlung (Faradisation) beginnt zweckmäßig 
er8t dann, wenn nach etwa 2 Wochen keine spontane Besserung 
sichtbar ist („Berl. Klinik“, Juni 1902). Fischeb. 


Kurpjuweit (Königsberg): Ueber die Decortication der 
Lunge bei chronischem Empyem. 

Die Operation, die von Delorme begründet wurde, beruht 
auf der von anderer Seite beobachteten Thatsache, daß die Lunge 
trotz lange dauernder Compression durch pleuritische Schwarten 
dennoch ihre Ausdehungsfähigkeit behält. Die Operation besteht 
nach Delorme aus zwei Acten : 1. Weite Eröffnung des Thorax 
durch Bildung eines breiten Thoraxlappens, und 2. Aufsuchen und 
Abtragen der falschen Membran, welche die Lunge einkapselt. 
Diese Lospräparirung der Schwarte gelingt oft leicht, wenn man 
die Schwarte der Länge nach einschneidet und dann mit der Sonde 
oder mit dem Finger zwischen Lunge und Schwarte eingeht. Nach¬ 
dem die Lunge freigemacht wurde, wird der Lappen wieder angelegt 
und verheilt mit der Brustwand. Die nun von den Verwachsungen 
freigemachte Lunge dehnt sich in vielen Fällen wieder aus und 
wird functionsfähig, wie ein von Taval operirter Fall beweist; in 
diesem Falle überstand das Kind einige Zeit nach der Decortica¬ 
tion der Lunge eine Lungenentzündung der anderen Seite und zeigte 
keine Athmungsinsufficienz. 

Verf. berichtet nun — unter gleichzeitiger Mittheilung aller 
Fälle aus der Literatur — über 5 Fälle, die Garre operirt bat 
(Bruns, „Beitr. z. klin. Chir. u , Bd. 33, H. 3), wobei aber nicht die 
ursprüngliche DELORME’sche Operation ausgeführt wurde, sondern 
statt der Lappenbildung ausgiebige Rippenresectionen vorgenommen 
wurden, eine Operation, die an und für sich schon geeignet er¬ 
scheint, auf die Heilung von chronischen Empyemen beschleunigend 
einzuwirken. 

Obwohl die Resultate der Decortication nicht besonders glän¬ 
zende sind, hat sie dennoch vor der Rippenresection nach Ansicht 
des Verf. einen großen Vortheil, indem sie die Lunge wieder 
functionsfähig macht. Dieser Vortheil ist nicht zu unterschätzen, 
wenn man berücksichtigt, daß statt einer vielleicht auf Faustgröße 
comprimirten Lunge, die dadurch ein unnützes Anhängsel geworden 
ist, dem Kranken eine Lunge wiedergegeben wird, die, wenn auch 
unvollkommen wegen der vorhandenen Adhäsionen, aber doch ge¬ 
nügend mitathmen kann. Erdheim. 

Pel (Amsterdam): Ueber die Coincidenz von Polyarthri¬ 
tis rheumatica acuta mit Abdominaltyphus. 

Eine Complicatiou von acutem Gelenkrheumatismus mit Typhus 
abdominalis ist selten. Ein Fall P.’s („Berl. klin. Wschr.“, 1902, 
Nr. 16) wurde mit Schmerzen in rechtem Hüftgelenk und Bein in 
die Amsterdamer Klinik aufgenommen, es traten dann unter hohem 
Fieber Anschwellungen und Schtnerzen der Hand- und Ellbogen¬ 
gelenke auf, und die Krankheit bot das Bild einer typischen, acuten 
Polyarthritis. Keine Milzschwellung, etwas Eiweiß, arteriosklerotische 
Erscheinungen am Gefäßsystem. Nach Salicylgebrauch trat bald 


Besserung ein, jedoch begann Pat. nach 4 Wochen über Kopfweh, 
Mattigkeit und Appetitlosigkeit zu klagen ; die Untersuchung ergab 
eine katarrhalische Angina mit geringer Temperatursteigerung. Die 
letztere wurde jedoch zu einer continuirlich reraittirenden, die Milz 
ließ sich percutorisch als vergrößert nachweisen, bald traten auch 
Roseola auf nebst diffuser Bronchitis. Starke Diazoreaction , Widal 
negativ. Da trat plötzlich in der 2. Woche des Typhus ein Recidiv 
des acuten Gelenkrheumatismus auf mit Schmerzen, Röthung und 
Schwellung der Armgelenke, welche nach Salicylgebrauch bald zu¬ 
rückgingen. Der Typhus nahm dann auch bald einen günstigen 
Verlauf, und Pat. konnte im Januar als geheilt entlassen werden. Eine 
gegenseitige Beeinflussung des Typhus und der Polyarthritis war in 
diesem Falle nicht bemerkbar, höchstens mögen gewisse Blutver¬ 
änderungen zu dem negativen Ausfall der WiDAL’schen Probe ge¬ 
führt haben. P. meint, daß der Pat. im Krankenhause durch einen 
später an schwerem Typhus verstorbenen Kranken inficirt worden sei. 

B. 

Leopold (Dresden): Zur Verhütung der Augenentzün¬ 
dung der Neugeborenen durch Credöisirung. 

Verf. weist nach („Berl. klin. Wschr.“, 1902, Nr. 33), daß 
die Blennorrhoe in den deutschen Anstalten seit 25 Jahren von 28% 
nur auf 20% herabgegangen ist, und noch jetzt sind 31% 
aller blinder Kinder blennorrhoeblind! Da nach den Erfahrungen 
L.’s au 30.000 Kindern die Blennorrhoe mit Sicherheit verhütet 
werden kann, wenn das CREDE’sche Verfahren genau eingehalten 
wird, so wird die Methode eben noch nicht allgemein genug und 
genau genug angewendet. Die ungünstigen Angaben Cramer’s 
aus der Bonner Frauenklinik führt Verf. auf dessen Methode zu¬ 
rück. Eine schwere Reaction nach richtig ausgeführter Credöisirung 
kommt nicht vor. Das CREDE’sche Verfahren ist vollkommen unge¬ 
fährlich, wenn man sich an die von Crede gegebenen Vorschriften 
genau hält. Statt der 2%igen Lösung genügt auch die l%ige, 
welche nie eine Reizung hervorruft, die irgend eine erhebliche 
Bedeutung hätte. Die von Hirsch gegen die Credeisirung vorge¬ 
brachten Einwände erkennt L. nicht an. Er ist für die obligatorische 
Einführung der Methode, die ohne Bedenken in die Hand der 
Hebammen gelegt werden kann. L. 


Bum (Wien): Die Entwickelung des Knochencallus 
unter dem Einflüsse der Stauung. 

Um den Einfluß der Stauung auf die Entwickelung des 
Knochencallus am Thiere zu studiren, hat Verf. Versuche an 
jungen Hunden angestellt, indem er an beiden Tibien möglichst 
gleichmäßige Fracturen erzeugte, dann nach gehöriger Reposition 
der Fragmente Gypsverbände anlegte und vom nächsten Tag ab 
täglich mittelst eines Gummibandes auf der rechten Seite Stauung 
nach Bier hervorrief. Die Thiere wurden dann zwischen dem 7. 
und 32. Tage nach der Fractur getödtet, und schon die makro¬ 
skopische Untersuchung zeigte eine stärkere Callusbildung und 
größere Festigkeit der Knochennarbe au der gestauten Seite ; noch 
interessanter sind die mikroskopischen Befunde. 

Die Untersuchung der vollständig einwandfreien Fälle ergab 
(„Langenbeck’s Archiv“, Bd. 67, H. 3), daß der Fortschritt in 
der Callusbildung in erster Reihe den periostalen Callus betraf; 
durch die Stauung erschien die Ablagerung von Kalksalzen ge¬ 
fördert zu werden. Der Antheil des Markcallus an diesen Fort¬ 
schritten war in manchen Fällen ein deutlicher; hingegen konnte 
nicht entschieden werden, ob der intermediäre Callus durch die 
Stauung eine Förderung erfährt. 

Der Fortschritt in der Entwickelung der Knochennarbe ist 
nach Ansicht des Verf. auf eine Steigerung der Vitalität aller Ge¬ 
webe durch die Stauung zurückzuführen. Erdheim. 


Hlava (Prag): Ein dermoidales Gehirnembryom. 

Verf. beschreibt einen Fall einer Dermoidcyste („Sbornik 
klinicky“, Bd. 111, Nr. 4), die im temporalen und frontalen Lappen 
der rechten Hemisphäre bei einem 46jähr. Manne, der an Epilepsie- 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 46 


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Symptomen litt, saß. Der Inhalt bestand ans Haarbüscheln und fettigen 
Massen. Bei mikroskopischer Untersuchung fand Verf. , daß die 
Wände der Cyste auf einem Lager von sklerotischem Bindegewebe, 
das Ausläufe von Knochengewebe und seborrhoische Drüsen ent¬ 
hielt, mit Pflasterepithel bedeckt waren. Ein merkwürdiger Fund 
war ein Gewebe , das aus sklerotischen Fibrillen und aus Zellen, 
die den Zellen gestreifter Muskeln ähnlich waren, wie sie in einem 
Rhabdomyoma cordis vorgefunden werden, zusammengestellt war. 
Es waren Ilerzüberreste. Diesen verschiedenen Geweben gemäß han¬ 
delte es sich nicht nur um eine Inclusion des Epiblastes und 
Mesoblastes, sondern um eine Inclusion eines zweiten Fötus. 

Sollen die Anschauungen und Beobachtungen über selbst¬ 
ständige Entwickelung abgespaltener Blastomeren (wie Driesch, 
Roux, Barth u. a. beweisen) richtig sein, so kann auch bei der 
Entstehung teratoider Tumoren im Gehirn an diese Art gedacht 
werden, weil auch die Inclusion abgespaltener Blastomeren in der 
medullären Furche möglich ist, wodurch auch die ungenügende 
Entwickelung eingeschlossener Blastomeren erklärbar wird. Es kann 
also diese Cyste nicht als eine einfache dermoide Cyste charakte- 
risirt werden, sondern sie muß nach dem Verfahren von Wilms 
und Mahchand als ein teratoider Tumor, d. h. als ein dermoi- 
dales Embryom classificirt werden. 

' Der erste Fall einer dermoidalen Gehirncyste wurde von 
Clairot („Gazette des höpitaux civils et militaires“, Nr. 42, 1838) 
publicirt — eine für die damalige Zeit so bizarre Thatsache, daß 
die Rcdaction für nöthig hielt, unter der Zeile hinzuzufügen : „Nous 
publions ce fait sous la garantie personelle de l’auteur et sans oser 
de nous prononcer en aucune maniere.“ Andere Fälle von Gehirn¬ 
teratomen oder dermoidalen Cysten wurden von R. Morier, Wood, 
BaTHORST, lRVINH, STRASSMANN Und STRECKER, TANNENHAIN, 
Przewoskv, Saxer nebst Fällen von Dcrmoidcysten, die in der 
Pia, Ilypophvsis oder Glandula pinealis vorgefunden wurden , ver¬ 
öffentlicht. Stock. 

Janssen (Berlin).- Zur Lehre von der DUPUYTREN’schen 


Fingercontractur, mit besonderer Berücksichti- 



Obwolil in den letzten Jahren über die DüPUVTREN’sche Con- 
tractur vielfach diseutirt wurde, konnte keine Klarheit in die 
Sache gebracht werden und auch die Behandlung ließ sehr viel 
zu wünschen übrig. 

Auf Grund von mehreren Fällen, die an der Klinik v. Berg¬ 
manns beobachtet und von welchen einige histologisch unter¬ 
sucht wurden, trachtet Verf. („ Langenbeck’s Archiv“, Bd. 67, 
H. 4) die Aetiologie klarzulegen und beschreibt das an der 
Klinik übliche Operationsverfahren, das durchgehends schöne Resul¬ 
tate lieferte. 

In ätiologischer Hinsicht leugnet Verf. das Trauma als Ur¬ 
sache der Erkrankung, weil dagegen sowohl der klinische Verlauf, 
als auch die histologische Untersuchung sprachen. Eine andere 
Rolle ist hingegen dem Trauma einzuräumen, nämlich die, daß 
durch die häufig gesetzten Zerrungen der schon erkrankten 
Aponeurose kleine Zerreißungen in der Aponeurose und ihren 
Ausläufern entstehen. 

Die Krankheit selbst faßt Verf. als fleckweise Hyperplasie 
des Bindegewebes, welche von den Wandungen der kleinsten Gefäße 
ihren Anfang nimmt und deren Schicksal die Schrumpfung ist, auf. 
Die Gontractur der Finger ist die Folge der durch die Schrumpfungs¬ 
vorgänge in der Aponeurose und ihren Ausläufern bedingten Ver¬ 
kürzung dieser Fascie. Ebenso hyperplastisch erscheinen fast alle 
der Untersuchung zugänglichen Bindegewebselementc, so daß man 
von einer Disposition des Bindegewebes der Hände zu hypertro¬ 
phischen Vorgängen sprechen kann. 

Die Operation besteht darin, daß man durch geeignete 
Schnitte die ganze Aponearose bloßlegt, indem man die Haut von 
derselben abpräparirt; dort, wo die Haut stärker mit der Aponeurose 
verwachsen ist, wird die Haut Umschnitten und an der Aponeurose 
gelassen. Nun beginnt man vom proximalen Ende die Aponeurose 


zu entfernen, wobei man nicht vergessen darf, alle Septen, welche 
die Aponeurose zwischen die Sehnenscheiden hinuntersendet, heraus¬ 
zunehmen. Bei einiger Vorsicht ist die Verletzung der Gefäße und 
der Nerven zu vermeiden. Mit größter Peinlichkeit muß besonders 
an den Phalangen "das Aponeurosengewebe entfernt werden. Wenn 
ein noch so kleiner Tlieil der Aponeurose zurückgelassen wird, 
so muß man darauf rechnen , daß derselbe noch später erkranken 
und zu einem Recidiv führen kann. Nach der Entfernung der 
Aponeurose und peinlicher Blutstillung wird zur Deckung dos 
Defectes geschritten. Dieselbe geschieht, wo dies ohne Spannung 
möglich ist , durch Naht, sonst durch ungestielte Cutislappen. In 
der Nachbehandlung ist energische Massage von großer Wichtigkeit. 

Erdheim. 


Kleine Mittheilungen. 

— Ueber die Folgen des chronischen Cocaingebrauches 

berichtet Bose („Brit. med. Journ.“, 1902, Nr. 2156). Cocain wird 
in Indien von Jung und Alt, von Arm und Reich ständig in mit¬ 
unter ganz enormen Dosen genommen und iibt schon nach ver- 
hältnißmäßig kurzem Gebrauch seine überaus verheerenden Wirkungen 
aus. Unmittelbar nach dem Schlucken des Cocains, das meist in 
Tabletten- oder Pulverform genommen wird, zeigen sich die be¬ 
kannten Erscheinungen: Gefühllosigkeit der Zunge und Lippen, 
Trockenheit des Mundes und Rachens; es folgt ein etwa eine 
Viertelstunde dauerndes Erregungsstadium, das meist mit ange¬ 
nehmen, heiteren Gefühlen eiubergckt. Auf dieses Stadium folgt 
aber sehr bald ein Zustand tiefster Depression, der sich bis zur 
vollständigen Lethargie ste : gern kann. Gewöhnlich wird dann 
wieder zum Cocain gegriffen, und das Spiel beginnt von Neuem; 
in anderen Fällen werden die Lippen u. 8. w. wieder feucht und 
sensibel, die Depression läßt allmälig nach, nur die Pupillen bleiben 
noch längere Zeit dilatirt. Sehr schnell wird die Dosis gesteigert, 
so daß in einem Falle der Pat. schon einen Monat nach Beginn 
des Cocaingebrauches 12 Grm. pro die nahm. Der fortgesetzte 
Gebrauch großer Dosen wirkt entsetzlich verheerend; abgesehen 
von Störungen der Herzaction, Verlust des Appetits und mangel¬ 
hafter Verdauung kommt es zu vollständigem geistigen Zerfall. 
Die Kranken werden apathisch, verlieren das Gedächtniß, es treten 
Wahnvorstellungen, Hallucinationen u. s. w. auf; dabei besteht 
gewöhnlich Schlaflosigkeit. 

— Die Serumbehandlung des acuten und chronischen 
Gelenkrheumatismus erörtert Menzer („Therapie d. Gegenwart“, 
1902, Nr. 7). Nach den auf über 100 Fälle gestützten Erfahrungen 
des Autors kommen praktisch nur Streptokokken in Frage; demnach 
ist zunächst theoretisch der Versuch einer Antistreptokokkenserum¬ 
therapie gerechtfertigt. Diese wurden nach dem TAVEL’schen Princip 
eingeleitct. Das Serum der nach diesem Princip behandelten Thiere 
ist ein antibakterielles, bakteriologisches, und muß, theoretisch 
gedacht, Schutzstoffe gegen Streptokokken, welche bei der Art 
ihrer Züchtung in der ursprünglichen Virulenz, d. h. Menschen¬ 
pathogenität, möglichst unverändert sind, enthalten. Es regt im 
menschlichen Organismus bakteriolytische Vorgänge an. Die Zahl 
der in dieser Weise durchwegs mit günstigem Erfolg behandelten 
acuten Fälle beläuft sich auf 25. Nachtheilige Folgen der Serum- 
behandlung hat Verf. nicht gesehen, zuweilen leichte Reizerschei- 
nungen an der Injectionsstelle (Oberschenkel), auch leichte Leisten¬ 
drüsenschwellungen, später im Stadium der Entfieberung in etwa 
1 / 3 — 1 /. 2 der Fälle Urticaria, Erytheme u. s. w., Erscheinungen, 
welche in 1—2 Tagen verschwanden. Ein Nachtheil der Methode 
ist zur Zeit noch die hohe Dosirung. M. hat im Anfang etwa 
100 —150 Ccm. Serum für die Behandlung eines Falles gebraucht 
und täglich etwa 10—20 Ccm. eingespritzt; neuerdings benöthigt 
er von den stärkeren Immunseren etwa 30—50—75 Ccm. für den 
einzelnen Fall, indem täglich 5—10 Ccm. injicirt werden. In Bezug 
auf weitere Erfahrungen verweist Verf. auf seine ausführliche 
Publication. 

— Experimentelle Studien über den therapeutischen Werth 
des „Fersan“ als Eisen- und Nährpräparat von Ghezzi („Gazetta 
degli ospedali e delle clinicho“, 1902, Nr. 84) lehren Folgendes: 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 46. 


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Das Fersan, welches nunmehr auch in Italien Eingang gefunden 
hat, wurde in dem Laboratorium der Universität Bologna von 
dem Verf. einer eingehenden experimentellen Prüfung unterzogen, 
wobei nicht nur das Blut, sondern auch Harn und Fäces auf die 
Menge des ausgeschiedenen Eisens untersucht wurden. Die sehr 
genau und ausführlich angestellten Untersuchungen ergaben, daß 
das im Fersan enthaltene Eisen vollkommen resorbirt wird bis 
zu Quantitäten von 3 Grm. pro die und zum größten Theile bei 
großen Dosen bis zu 10 Grm. Das nicht zur Blutbildung verwendete 
Eisen konnte im Harne nachgewiesen werden. Nach Verf. stellt 
das Fersan als EisenacidalbuminVerbindung einen bedeutenden Fort¬ 
schritt auf dem Gebiete der Therapie der Blutkrankheiten dar. 

— Zur Therapie des flüchtigen Erythems der Nase empfiehlt 
Bruck („Allg. med. Central Ztg.“, 1902, Nr. 53) das Benzin als 
ein Mittel, das in der einfachsten und schnellsten Weise ein plötzlich 
entstandenes Erythem sofort beseitigt oder doch wenigstens ganz 
bedeutend verringert. Da das Benzin die Fähigkeit hat, äußerst 
rasch zu verdunsten, also hiezu viel Wärme braucht, so entzieht 
es diese im vorliegenden Falle der Haut, auf die es gebracht 
wird. Hiedurch fühlt sich die Haut kälter an und erscheint vor 
Allem blässer. Der Grad der so künstlich erzeugten Blässe hängt 
zum Theil von der Menge des angewandten Benzins, d. h. von 
der Stärke seiner Einwirkung, zum Theil von der Intensität der 
momentanen Hyperämie ab. Auch nimmt die geröthete Haut unter 
dem Einfluß des Benzins häufig einen bläulichen Farbenton an, 
der jedoch, da die Haut, wie eben angeführt, zugleich auch blasser 
geworden ist, kosmetisch immer noch einen beträchtlichen Fort¬ 
schritt bedeutet und übrigens ziemlich schnell dem gewöhnlichen 
Colorit weicht. Das Benzin beseitigt aber noch außerdem, was 
von ganz besonderer Wichtigkeit ist, den mit der flüchtigen Iiöthung 
oftmals einhergehenden, äußerst entstellenden Glanz der Nasenhaut 
und gibt dieser ein völlig stumpfes Aussehen. Aber auch prophy¬ 
laktisch hat das Benzin einen großen Werth, da es, vorher recht¬ 
zeitig angewendet, die Intensität des entstehenden flüchtigen Ery¬ 
thems ganz entschieden abzuschwächen oder gar dessen Auftreten 
zu verhüten vermag. 

— Mit Creosotal hat Steiner („Allg. med. Central-Ztg.“, 
1902, Nr. 74) bei Masernpneumonie sehr gute Resultate erzielt. 
Er sammelte seine Beobachtungen gelegentlich einer Masernepidemie 
bei Complicationen mit Pneumonie. S. wählte folgende Verordnung: 

Rp. Creosotali. 5 0 

Spir. camphor., 

Spir. menth. pip.aa. 10 

Syr. simpl. ad.1000 

M. D. S. Aufsehütteln ; alle 6 Stunden ein 
Theelöffel. 

— Aus einer Untersuchungsreihe von Winternitz über das 
Bad als Infectionsquelle („Therap. Monatsh.“, 1902, Nr. 9) geht 
Folgendes hervor: Das Eindringen des Badewassers in die Scheide 
konnte nicht nachgewiescn werden. Da beim Baden sehr viele 
Keime vom Körper abgegeben werden und ins Badewasser ge¬ 
langen, so ist es rathsam, nur solche Wannen zu benützen, die 
gut gereinigt und desinficirt werden können. Ein Bad soll nur 
einmal, auch für dieselbe Kreissende, benützt werden. Nach jedem 
Bade sollen, besonders vor der inneren Untersuchung, die äußeren 
Genitalien desinficirt werden. Werden diese Vorsichtsmaßregeln 
eingehalten, so ist das Bad nicht als Infectionsquelle zu fürchten. 
Wir sollen daher das Baden unter den Vorbereitungen für die 
Geburt nicht vermissen. 

— Ueber Dysmenorrhoe und Aspirin berichtet 0. Lehmann 
(„D. med. Wschr.“, 1902, Nr. 32). Die verabreichten Dosen des vom 
Verf. verwendeten Aspirin bewegten sich in den gewöhnlichen Grenzen : 
es wurde für den Beginn der ersten Erscheinungen 1 Grm. und 
gewöhnlich eine Stunde später 0’5 Grm. ordinirt. Zuweilen genügt 
dies, während in anderen Fällen mit stündlicher Weiterverabreichung 
von 0’5 Grm. bis insgesammt 2—3 Grm. fortgefahren werden 
mußte. In noch anderen Fällen mit längeren Vorboten mußte noch 
anders vorgegaDgen werden. Auch das Kryofin verdient bei der 
nervösen Dysmenorrhoe Beachtang. 

— Ueber die Gesundheitsschädlichkeit der Borsäure be¬ 
richtet Kister („Zeitschr. f. Hyg. u. Inf. u , 1902, II. 2). Borsäure 


wird als Conservirungsmittel oft in nicht unerheblichen Mengen 
zugesetzt. So wurde in amerikanischem Pökelfleisch einmal 3*36°/ 0 
nachgewiesen. Ißt man verschiedene Speisen, die mit Borsäure 
conservirt worden sind, so kann man seinem Körper ganz beträcht¬ 
liche Mengen dieser Substanz einverleiben. Im IJebrigen ist die 
Borsäure nicht einmal ein zuverlässiges Conservirungsmittel, da 
sie auf Bakterien kaum wirkt. Ueber ihre Schädlichkeit für den 
menschlichen Organismus lauten die Angaben verschieden, Verf. 
hat über diesen Punkt eigene Versuche angestellt. Er gab mehreren 
Versuchspersonen 1 —3 Grm. Borsäure pro die. Bei letzterer Dosis 
trat mehrfach am 4. — 10. Tage Eiweiß im Urin auf. Auch nach 
1 Grm. traten bei einzelnen Personen subjective Beschwerden auf. 
Es ergab sich auch, daß die Borsäure im Organismus zurück¬ 
gehalten wird, und daß also die Möglichkeit einer cumulativen 
Wirkung selbst bei Zufuhr kleiner Mengen besteht. Es wurden 
dann Fütterungsversuche an Hühnern, Hunden, Katzen, Kaninchen 
und Meerschweinchen angestellt; alle Thiere reagirten, einige 
erkrankten und starben. Das häufigste Symptom war Erbrechen 
und Durchfall, verminderte Freßlust und Durchfall kamen fast 
stets zur Beobachtung. Von einer gänzlichen Unschädlichkeit der 
Borsäure kann nicht die Rede sein. Sowohl die Ergebnisse am 
Menschen, wie der Ausfall der Thierversuche beweisen, daß die 
Borsäure nicht unschädlich ist. Es ist daher eine dringende Noth- 
wendigkeit, daß gesetzliche Bestimmungen erlassen werden, welche 
ein Verbot des Zusatzes der Borsäure und ähnlicher Conscrvirungs- 
mittel zu Nahrungsmitteln aussprechen. 

— Ueber die Behandlung der Hypopyon-Keratitis berichtet 
Zirm („Centralbl. f. Augenheilk.“, März 1902). Man muß statt des 
Verbandes das Schutzgitter anwenden. Nach Hornhautspaltung ist 
dauernde Bettruhe zu vermeiden, da sonst der verlangsamte Stoff¬ 
wechsel auch Heilung der kranken Gewebe verzögert. Keine Sublimat¬ 
auswaschungen, sondern Sublimatvaseline (O'Ol : 50'0) alle 4 Stunden 
in den Bindehautsack einstreichen. Statt Jodoform täglich mehrmals 
Xeroform mit kleinem Pulverbläser auf das Geschwür aufzustäuben. 
Ausgiebige Galvanokaustik; bei sehr tiefen und umfangreichen 
Geschwüren und reichlicherem Hypopyon wird dabei perforirt. 
Bei der Paraceutese der Vorderkammer, die unter dieser Behand¬ 
lung selten erforderlich ist, wir J der Schnitt an der unteren 
Hornhautperipherie sehr klein angelegt. Bei Thränensackeiterung 
wird der Thränensack wiederholt ausgedriic'<t. Auch Atropin, 
Scopolamin und subconjunctivale Kochsalzeinspritzungen wurden 
benutzt. 


Literarische Anzeigen. 


Atlas und Grundriß der Krankheiten der Mundhöhle, 
des Rachens und der Nase. Von Dr. L. Grünwald in 

München. J. F. Lehmanns Verlag, 1902. 

Unter Lehmann’s Medicinischen Atlanten nimmt der von 
L. Grünwald verfaßte unstreitig eine hervorragende Stellung ein. 
War schon die erste im Jahre 1894 erschienene Auflage als ein 
glücklicher Wurf zu bezeichnen, so muß dies der nunmehr er¬ 
schienenen zweiten, wesentlich vermehrten Auflage in erhöhtem Maße 
nachgesagt werden , denn sie hat nicht bloß die Zahl der makro¬ 
skopischen Abbildungen beträchtlich vermehrt, sondern sie bringt 
auch von den wichtigsten Veränderungen und Neubildungen gute 
mikroskopische Bilder, ferner einen kurzgefaßten Grundriß Uber 
Anatomie und Physiologie, Untersuchuugsmethoden, Pathologie und 
Therapie der Mund-, Nasen- uud Rachenkrankheiten. Die Ab¬ 
bildungen sind durchaus vorzüglich, naturgetreu dargestellt, und 
ihr Werth wird darch die beigedruckten Krankengeschichten der 
betreffenden Fälle noch erhöht. 

Das Buch wird somit gewiß nicht bloß den ihm vom Verf. 
zugewiesenen Zweck, dem Studirenden und praktischen Arzte als 
Leitfaden zur Einführung in das schwierige Gebiet der Rhino- 
Pharyngologie zu dienen, erfüllen, sondern es wird auch beim 
Unterrichte zur Erläuterung und Ulustrirung des Vortrages mit 
Nutzen verwendet werden können. Die prächtige Ausstattung und 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 46. 


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der verhältnißmäßig geringe Preis kommen ihm nebst seinen inneren 
Vorzügen zu statten und werden dazu beitragen, demselben eine 
weite Verbreitung zu sichern. Roth. 

Muskelfonction und Bewußtsein. Eine Studie zum Mecha¬ 
nismus der Wahrnehmungen. Von Dr. E. Storch, Breslau. 
(Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens, H. X.) 44 S. 
Wiesbaden 1901, Bergmann. 

Den „Gebildeten aller Stände“ ist mit Storch’s sehr inter¬ 
essanter Studie entschieden keine leichte Arbeit zugemuthet. Aus 
der Zusammenfassung der anatomischen und physiologischen An¬ 
schauungen sei hervorgehoben: Die Muskelaction veranlaßt eine 
centripetal gerichtete Nervenströmung, welche in der anatomisch 
noch nicht genauer festgelegten myosensoriscbeu Bahn sich in die 
Großhirnrinde ergießt. Das psychische Correlat der Erregung der 
myosensorischen Endzeilen nennt Verf. Myopsyche; er theilt dem¬ 
entsprechend die corticale Projection der motorischen Peripherie 
in ein motorisches und ein myopsychisches Feld. Je nach der 
Verschiedenheit der Muskelfunction kann man drei myopsychische 
Felder unterscheiden, obwohl bei jeder Erregung die ganze Myo- 


bahn (nämlich von der Wahrnehmung der Muskelaction bei der 
Lautbildung zur akustischen Wahrnehmung und umgekehrt) eine 
eigene Stellung ein. Ihr psychisches Correlat ist die Vorstellung 
des Intervalls und der absoluten Tonhöhe. Die Eidopsyche besteht 
nur aus Richtungsvorstellungen, während zu diesen bei der Ergo- 
psyche Doch die Vorstellung der Masse und der absoluten Größe 
tritt. Die Zeitvorstellung ist nicht localisirt, sondern die Repräsen¬ 
tation einer ununterbrochen im ganzen Hirn vor sich gehenden 
eigenartigen Bewegung. Trotz der Betheiligung der gcsammten 
Myopsyche an jeder Wahrnehmung bleiben die Errungenschaften 
der Localisationslehre unangefochten. Infeld. 

Le mödecin dans la societe contemporaine. Conferences 
de dßontologie par les Docteurs P. Le Gendre & G. Lepage. 
Paris 1902, Masson & Co. 

Neben den ausgezeichneten Büchern, welche in den letzten 
Jahren über das Verhältniß des Arztes zum Publicum und über 
die Deontologie des ärztlichen Berufes von deutschen und öster¬ 
reichischen Aerzten herausgegeben wurden, ist das vorliegende 
französische Büchlein von großem Interesse. Es bietet Anlaß zu 


psyche als Einheit thätig wird. 1. Glossopsyche = BROCA’sche 
Windung (und Schläfelappen?), 2. Eidopsyche = Hinterhaupts¬ 
lappen, 3. Ergopsyche = Stilation und Centralwindungen. Die 

Glossopsyche nimmt wegen ihrer untrennbar engen Verbindung 
mit dem rein Akustischen, sowie wegen ihrer doppelten Associations- 


Feuilleton. 

Die Mißbräuche an den Ambulatorien und Vor- 


ganz merkwürdigen Parallelen zwischen hüben und drüben und 
zeigt, wie leicht sich mancherlei bei uns bessern ließe, wie viel 
aber auch bei uns besser ist als in Frankreich. Unsere Standes¬ 
vereine könnten aus dem Büchlein viel Anregung schöpfen. 

* * 

* 


Vermögen keines, nur Schulden. Die Begräbnißkosten deckt die 
Quote des wohlthätigen Kranken Vereines. Der Arme hat im 3. Jahre 
der Praxis 254, sage und schreibe 254 fl. verdient, und seine 
arme Witwe bringt sich als Miedernäherin fort. Die todte Saison 


schlage zu deren Bekämpfung. 

Von Dr. Maximilian Stranaky. *) 


ist da, keine Arbeit! Seit Wochen arbeitslos, wendet sie sich an 
die Kammer, erhält eine Unterstützung, die gemäß den beschränkten 
Mitteln des Kammer Vermögens nur gering sein kann, die sie aber 


Meine Herren! Ohne Gedankenleser zu sein, kann ich mir 
lebhaft vorstellen, daß so mancher der Herren Collegen beim Lesen 
der Tagesordnung der heutigen Plenarversammlung sich seufzend 
sagte: „Schon wieder die leidige Ambulatorienfrage !“ Ja , meine 
Herren, die leidige Ambulatorienfrage muß immer und immer 
wieder, stets von Neuem, stets mit neuen Mitteln in Angriff genommen 
werden ; dem alten Sprichwort zufolge „gutta cavat lapidem“ wird 
es denn doch einmal gelingen, diesem Abusus endlich energisch au 
den Leib zu rücken. 

Daß Sie mir in Ihrem geschätzten collegialen Vereine, der 
— sans phrase gesagt — heute wohl der rührigste unter allen ärzt¬ 
lichen Standesvereinen ist, das Wort zur Discussionseröffnung 
ertheilen in einer Angelegenheit, die uns allen so sehr am Herzen 
liegt, dafür seien sie herzlich bedankt! Und nun in medias res! 

Meine Herren Collegen! Lassen Sie mich mit einem Gemein¬ 
plätze beginnen: „So geht es nicht weiter in unserem Stande! So 
darf es nicht weiter gehen!“ 

Die Noth unter den Standesangehörigen hat alle Grenzen 
überschritten. Alltäglich laufen in der Aerztekammer Gesuche von 
in der Praxis stehenden Aerzten um Unterstützungen ein; jene 
Mitglieder der Kammer oder des Vorstandes, die die Recherchen 
zu pflegen haben , sehen erschüttert in den Abgrund ärztlichen 
Elends; der Ehrenrath der Kammer seufzt unter der Last der Ge¬ 
schäfte, immer lauter und lauter werden die Klagen der Aerzte, 
die ihr Recht auf Arbeit, ihr Recht auf Brot reclamiren. Es mehren 
sich Ankündigungen in den Tagesblättern, durch welche Aerzte 
Stellen als Secretäre, Hausadministratoren etc. suchen, durch welche 
ärztliche Familien Kostkinder und Pensionäre suchen, um die Sorge 
um die Kosten des Haushaltes zu erleichtern. Aerzte lassen sogar 
ihre Dienste durch Dienstvermittlungsbureaux, gleich Köchinnen, 
ausbieten. Lassen Sie sich von mir nur ein einziges Bild der Nie¬ 
derungen collegialer Noth vorführen, nicht grau in grau, sondern 
nach der Natur gezeichnet. Ein College stirbt nach Sjähriger Praxis. 


vor Delogirung und vor Hunger schützt ! Meine Herren Collegen! 
Das ist die Bestätigung des alten Spruches: „Galenus dat opes!“ 

Und fragen wir uns: Muß denn das Vorkommen ? so können 
wir sagen, nein, das ist unnöthig. Bei aller Ungunst der Zeiten 
könnte dieser unglückselige Pauperismus eines Theiles der Aerzte 
abgeschafft werden, wenn man mit starker Hand dem Mißbrauche 
der Ambulatorien steuern würde. 

Und es muß und wird dies geschehen, alles Petitioniren, Re- 
solutioniren und andere Verba auf iren nützen nichts, wir müssen 
einmal energisch fo r d e r n ! Unsere Ordinationszimmer sind verödet, 
und in den Spitals- und privaten Ambulatorien werden die reichsten 
Leute unentgeltlich behandelt. Sie werden mich fragen: Was thut 
die Kammer? Die Kammer hatte die Absicht, im Einverständnisse 
mit den Leitern der Ambulatorien auf dem Wege einer schriftlichen 
Enquöte die Angelegenheit zu saniren. Hunderte Fragebogen flatterten 
hinaus, aber bei weitem nicht alle kehrten ausgefüllt zurück. Vielen 
der Herren Ambulatoriumsvorstände ist es unangenehm, sie mögen 
nicht! Nun, so wollen wir es ohne sie und gegen sie versuchen! 

Oft, wenn jemand in einem Comite der Kammer einen radi- 
calen Vorschlag machte, sagten bedächtige Collegen: „Ja, wird denn 
das gehen?“ Meine Herren, es muß gehen, denn es ist nichts 
Unbilliges, wenn wir fordern, daß die Ambulatorien den letzten 
Rest der Praxis, den die Krankencassen übrig lassen, nicht an sich 
reißen und uns die Möglichkeit einer Thätigkeit entziehen, auf die 
wir praktischen Aerzte Anspruch haben. 

Die Vereine mögen laut ihre Stimmen erheben, mögen schonungs¬ 
los die Mißstände an den Ambulatorien aufdecken, vielleicht gelingt 
es dadurch, unser Recht zu erkämpfen. 

Die Ambulatorien haben den Zweck, vor allem der wirklich armen 
und bedürftigen Bevölkerung — aber auch nur dieser — ärztliche Hilfe 
unentgeltlich zu Theil werden zu lassen. Eigentlich hat die Stadt 
resp. die Gemeinde nach dem Sanitätsgesetze die Pflicht, für die 
Erreichbarkeit ärztlicher Hilfe zu sorgen und sollte die Stadt Wien 
de jure 8—lOmal so viel Armenärzte haben als gegenwärtig. 


*) Referat, erstattet in der Plenarversammlung des ärztlichen Vereines Doch diese Frage soll aus dem Spiel bleiben. Die Ambulatorien 
im II. Bezirke am 7. October 1902. haben ferner den Zweck, den Professoren und den Docenten Ma- 


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terial für ihre Lehrthätigkeit zuzuführen. Dieser Zweck wird nicht 
erfüllt, denn viele tüchtige Docenten und Professoren erhalten kein 
Krankenmaterial zugewieseu — das absorbiren die allmächtigen 
Herren klinischen Assistenten allein —, sondern müssen in der Ubi- 
cation im k. k. allgemeinen Krankenhause, die im Volksmunde — 
sit venia verbo — „Docentenstall“ heißt, dociren, sich alles selbst 
kaufen und bezahlen, die Medicamente, Instrumente , ja sogar das 
Patientenmaterial. Sapienti sat! Also dieser Lehrzweck, dem die 
Ambulatorien dienen sollen, wird nicht erfüllt. 

Ich gehe noch weiter! Mit Ausnahme einzelner Specialfächer 
brauchen die Kliniken überhaupt die Ambulatorien nicht, denn sie 
sind ihnen nur eine Last, ein Hinderniß für gedeihliche, gründliche 
klinische Beobachtung. Die Studenten bekommen mitunter monate¬ 
lang keinen a mbulatorischen Patienten zu sehen; die armen Patienten I 
müssen oft stundenlang warten, bis die Vorlesung und Visite vor¬ 
über ist; drangvoll eingekeilt in überfüllten Zimmerchen müssen 
sie sich herumdrängen, 3 und 4 Stunden lang, um dann summarisch 
expedirt zu werden. Wie oft wird ein Patient täglich von einem 
anderen Arzte behandelt, so daß auch die ambulatorische Behand¬ 
lung in vielen Fällen nicht als gedeihlich bezeichnet werden kann. 
Das ist der Finch der Ueberfüllung der Ambulatorien! 

Es ist für den Lehrzweck und für den Patienten nicht för¬ 
derlich, wenn an Kliniken und Abtheilungen, deren Aerzte durch 
die bettlägerigen Patienten hinreichend mit Arbeit versehen sind, 
60 und mehr Patienten täglich, wie ich mit eigenen Augen sah, 
abgefertigt werden müssen. 

Was ist nun die Folge? Die Aerzte arbeiten bis zur Er¬ 
schöpfung und den Patienten muß in vielen Fällen eine flüchtige Be¬ 
handlung zutheil werden. Und das Alles, weil die Ambulatorien 
von notorisch Wohlhabenden und Reichen mißbraucht werden. Die 
wirklich Armen werden verkürzt, die Docenten haben nicht das 
allernöthigste Krankenraaterial, die Studenten haben von diesem 
massenhaften klinischen Material auch nichts, und den steuerzahlenden 
praktischen Aerzten werden die wohlhabenden Patienten entzogen! 

Noch mehr, meine Herren! An Abtheilungen, auf Kliniken, 
an denen die Anzahl der Aerzte keine allzugroße ist, kann man 
täglich sehen, daß ein Patient nach dem andern kommt, elegante 
junge Herren z. B. mit Erkrankungen des Genitales: die Wärterin 
läßt sie auf ein Bett niederlegen, verbindet Geschwüre, behandelt 
nach Bubooperationen, verbindet den Patienten, er steht auf, zahlt 
seinen Obolus, geht fort und ein anderer kommt; und so behandelt die 
Wärterin gegen Entgelt unter den Augen der Aerzte eine Reihe 
von Patienten und hält förmliche Ordinationen ab, nimmt per nefas 
Geld. Auf diese Weise wird den Aerzten Praxis entzogen , der 
Staat muß diesen wohlhabenden Patienten die Verbandstoffe unent¬ 
geltlich liefern — und das Alles, damit Wärterinnen große Neben¬ 
einkünfte haben. So geht es an manchen Kliniken und Abtheilungen, 
der klinische Diener elektrisirt, ein anderer macht JANET’sche 
Spülungen, die Studenten kommen nie dazu, eine Handreichung zu 
machen und kommen zum Rigorosum, ohne je die Handhabung 
eines elektrischen Apparates oder die Einführung eines Speculums 
oder Katheters gemacht zu haben. 

Ich wiederhole — den praktischen Aerzten wird die Praxis 
entzogen, die Studenten machen keine praktischen Uebungen und 
alles das — damit das Wartepersonale Trinkgelder bekommt! Dürfen 
solche Zustände noch geduldet werden? 

Und nun zum Punctum saliens, dem Mißbrauche der Ambula¬ 
torien durch Wohlhabende: 

Dieser Mißbrauch ist so alt wie die Ambulatorien selbst. 
Unser liebes Publicum erspart gerne die ärztlichen Kosten ; Damen 
in Sammt und Seide, mit Brillanten in den Ohren , die nur im 
Miethwagen und nie mit der Straßenbahn fahren, um nicht mit der 
misera plebs in zu nahe Berührung zu kommen, kommen ins Spital 
und lassen sich umsonst ordinären. 

Ich sah im Vorjahre eine Dame aus Brasilien, die zum Ver¬ 
gnügen nach Europa zum monatelangen Aufenthalte kam, im Hotel 
Bristol ein Appartement mit ihrer Dienerschaft bewohnte — ein 
an der Klinik hospitirender brasilianischer College kannte sie — 
im Hötelfiaker an der Klinik vorfahren, um sich unentgeltlich ordi- 
niren zu lassen. Viele wohlhabende Patienten kommen allerdings 


an die Klinik in der Meinung, es sei eine Privatklinik nach deutschem 
Muster, oder werden von Collegen auf dem Lande leider direct an 
die Klinik gewiesen. Und da soll es oft vorgokommen sein, be¬ 
sonders an privaten Ambulatorien, daß diese Patienten vom Warte¬ 
personale instruirt werden, plötzlich spurlos verschwinden, um dann 
in der Privatordination des Herrn Professors oder Assistenten eine 
fröhliche Auferstehung zu feiern! Das erklärt auch den Umstand, 
daß von manchen Aerzten die unbesoldeten Abtheilungsvorstand¬ 
stellen gar so sehr umworben werden, denn wenn die Stellung aus¬ 
genützt wird, so ist sie eine bessere Reclame wie eine Annonce, und 
die Aerztekammer kann nichts dagegen thun. Wie sagt doch der 
Pole: Neni honorowo, ale zdrowo. Nicht honorig, aber gesund! — 

Ein gew. Assistent an einem Privatambulatorium ermächtigte 
mich, öffentlich zu erzählen, daß sein Chef ihn anwies, wohlhabende 
Patienten in dessen Privatordination zu senden. Im Protokolle können 
Sie heute noch von der Hand des Assistenten die Rubriken fol¬ 
gendermaßen au3gefüllt finden: Name: Stand: Charakter: Diagnose: 
Therapie — ad senem : (zum Alten gesendet). Ein Commentar ist 
überflüssig! Ein Jeder von uns kann auch ganz concrete Fälle an¬ 
führen, in denen diese Transplantation der wohlhabenden Patienten 
von den Ambulatorien in die Privatordination unter den verschiedensten 
Vorwänden von den Herren Chefs in eigener Person vorgenommen 
wurde. 

Nun, diese Vorkommnisse aus nicht lange verflossener Zeit 
sind wohl vorüber, dafür sorgte die diesbezügliche Action des Ver¬ 
bandes vor 2 Jahren. Auch die Statthalterei hat sich mit Rücksicht 
auf die kolossal hohen Kosten des Verbandstoffverbrauches bewogen 
gesehen, die bekannte Verordnung herauszugeben , nach der nur 
Unbemittelten gestattet ist, an den Abtheilungen unentgeltlich ärzt¬ 
liche Hilfe zu verlangen, und die Vorstände verpflichtet, bei Zweifel 
über die Mittellosigkeit den Nachweis derselben zu verlangen. 

Die Absicht war löblich, manche Spitalsärzte bemühen sich in 
dankenswerthcr Weise, die Verordnung durchzuführen ; es geht aber 
aus den verschiedensten Gründen nicht. Die Aerzte sind ja derart 
mit Arbeit überhäuft, daß sie zu administrativen Maßregeln keine 
Zeit haben. Ferner werden die Aerzte vom Publicum belogen. Es 
sind hundertfache Beweise dafür, daß wohlhabende Patienten falsche 
Berufe angeben, Hausbesorger statt Hausherr etc., daß sie vor dem 
Betreten des Krankensaales alle Schmuckstücke ablegen, um nur 
recht ärmlich auszusehen. 

Zur radicalen Abstellung dieser Mißbräuche müßte an Folgendes 
gedacht werden: 

I. Die Ambulatorien müssen nur für wirklich Arme und Be¬ 
dürftige reservirt bleiben. Wenn jemand eine Fahrpreisermäßigung 
oder irgend ein anderes Beneficium anspricht, muß er den Beweis 
der Mittellosigkeit erbringen. 

Die Beibringung desselben soll auch hier als obligatorisch 
hingestellt werden, wenn ein Patient — dringende Fälle und Ge¬ 
fahr ausgenommen — sich im Spitale unentgeltlich behandeln 
lassen will. Im Nothfalle könnte auch der polizeiliche Meldezettel 
zur Legitimation dienen, wodurch eine falsche Angabe des Berufes 
und eine Täuschung über die Verhältnisse verhindert würde. 

Bei Lehrpersonen und Beamten bis zur 9. Rangsclasse könnte 
man von dem Mittellosigkeitszeugnisse absehen und nur den Melde¬ 
zettel verlangen. 

Patienten, die diese Documente nicht beibringen , wären ab¬ 
zuweisen. Eine diesbezügliche Ankündigung müßte in den Ordina¬ 
tionsräumen, sowie auf allen Blanquetten angebracht werden. 

II. Im Sinne der Statthaltereiverordnung mögen die Mitglieder 
der Krankencasseu ebenfalls als nicht mittellos angesehen werden, 
da die Krankencassen laut Gesetz verpflichtet sind, ihnen die ärzt¬ 
liche Hilfe beizustellen. Der furchtbare Andrang in den Ordinationen 
der Cassen-, insbesondere der Specialärzte bewegt die Casseumitglieder, 
die Spitäler aufzusuchen. Durch die vorgeschlagene Maßregel würden 
die Cassen gezwungen werden, eine ganze Anzahl neuer Cassen-, 
insbesondere Specialärzte anzustellen. Die Cassen, die unaufhörlich 
neue Paläste und Reconvalescentenhäuser, zumeist von dem Gelde 
bauen, das sie an den Aerzten ersparen, müßten ihrer Pflicht ge¬ 
nügen und für ausgiebige ärztliche Hilfe sorgen. 


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III. An Abteilungen, die nicht zu Lehrzwecken dienen, 
sollen die Ambulatorien aufgelassen werden, wenn nicht eine ge¬ 
nügende Anzahl von Aerzten zur Verfügung steht, um die Mißbräuche 
durch die Wartepersonen hintanzuhalten. 

IV. Es sollten an den Kliniken und Abtheilungen keine Be¬ 
stätigungen ausgefolgt werden, auf Grund deren die Patienten 
Krankengelder von Krankenvereinen und Unfallversicherungsgesell- 
sohaften erheben könnten, da diese Patienten durch diese Kranken¬ 
gelder in die Lage versetzt werden, das ärztliche Honorar zu 
entrichten. 

Meine Herren! Ich eile zum Schlüsse! Vielleicht werden 
meine Vorschläge als Utopie angesehen werden. Ich halte die 
meisten derselben für realisirbar und habe dieselben in Form eines 
Referates dem Kammervorstande vorgelegt. Gegenwärtig bilden sie 
im Ambulatoriumscomitd der Kammer den Gegenstand der Berathung. 
Ich gebe mich sogar der bestimmten Hoffnung hin, daß die Statt¬ 
halterei — wenn man ihr sagt, daß sie dadurch Geld erspart — 
auf unsere Wünsche eingehen wird. 

Es muß aber ausdrücklich gesagt werden, daß es nie unsere 
Absicht sein kann, wirklich Armen und Bedürftigen die unentgelt¬ 
liche Hilfe versagen zu wollen. Im Gegentheil! Wir wollen die¬ 
selbe für sie zu einer wirklich ersprießlichen gestalten. 

Wenn die von mir vorgeschlagenen Maßregeln, wenigstens 
Punkt I, durchgehen, so vermindert sich die Zahl der Patienten, 
der einzelne kann sorgfältiger behandelt werden, die Protection 
des Wartepersonales gegeu die Trinkgeldspender wird aufbören, der 
Unterschied zwischen arm und reich wird fallen. Wir wollen human 
sein bis zu einer gewissen Grenze. Diese Grenze ist jedoch erreicht, 
wenn Leute mit fürstlichem Einkommen die Wohlthaten, die nur 
für Mittellose sind, mißbrauchen. 

Um Mißverständnissen vorweg die Spitze zu benehmen, so 
sei erklärt, daß die geschilderten Mißstände sich zumeist auf das 
Allgemeine Krankenhaus und die privaten Ambulatorien beziehen. 
Die Kinderspitäler,. die Krankenanstalten in den Vorstädten und 
die Klosterambulatorien haben den Aerzten selten Anlaß zu Klagen 
gegeben. Mit Trauer wird jeder Philanthrop erfüllt, wenn er sieht, 
wie viel wirkliche Noth, Kummer und Elend hier oft zu sehen ist. 

Also ich wiederhole, im Interesse der armen Leute, aber 
auch, in unserem Interesse stellen wir diese Forderungen und 
müssen uns bemühen, denselben Geltung zu verschaffen. 

„Suum cniqne“ war der Ausspruch eines Monarchen. Wir Aerzte 
geben .. dem Staate, was ihm gebührt, wir leisten dem Staate unent¬ 
geltlich Dienste, wir folgen dem humanen Herzensdrange und 
lassen jedem, wirklich Armen gerne unsere Hilfe angedeihen für 
Gotteslohn, trotzdem wir oft Undank ernten. Man mag uns also 
auch lassen, was uns gebührt — das Recht auf Arbeit, das Recht 
auf Brot für uns und unsere Familien. „Suum cuique!“ 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Aus den Abteilungen 

der 

74, Versammlung deutscher Naturforscher und 

Aerzte. 

Karlsbad, 21.—27. September 1902. 

(Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) 

'• . • ; . VIII. 

Abtheilung für Kinderheilhunde. 

Ueber plötzliche Todesfälle im Kindesalter. 

V. GANGHOFNER(Prag), Referent. (Ist in Nr. 41 dieser Wochen¬ 
schrift in extenso erschienen.) 

RICHTER (Wien), Cprreferent, bespricht die pathologisch¬ 
anatomischen Befunde bei plötzlich gestorbenen Kindern nach den 
im Wiener gerichtlich-medicinischen Institute gemachten Erfahrungen. 
1897—1901, in 5 Jahren, kamen 1797 plötzlich gestorbener und 
todt aufgefundener Kinder (bis zum 15. Lebensjahre) zur Obduction, 
darunter im 1. Lebensjahre allein 1525. In den weiteren Lebens¬ 


jahren nimmt die Zahl rapid ab; sie beträgt von 1—5 Jahren 
218, 5—10 Jahren 40, 10—15 Jahren 14. R. bespricht die ein¬ 
zelnen Todesursachen, in welchen weitaus die häufigste die capilläre 
Bronchitis ist, welche die Kinder durch Erstickung tödtet; nicht 
selten ist sie von katarrhalischer Lungenentzündung oder von Darm¬ 
katarrh begleitet. Seltener ist Darmkatarrh oder Erstickung im Brech¬ 
acte die Ursache plötzlichen Todes. Ein negativ anatomischer Be¬ 
fund ergab sich nur in 4 Fällen (abgesehen die faulen Leichen). 
Es handelte sich einmal um einen Tod im epileptischen Anfall bei 
einem 12 1 / 2 jährigen Knaben, einmal nm ein rachitisches Kind, das 
wiederholt Glottiskrämpfe hatte, einmal um ein rachitisches Kind 
mit fettiger Degeneration des Herzmuskels, ohne daß eine Ursache 
für die Degeneration gefunden werden konnte. Nur einmal, bei 
einem 2 1 / 2 Monate alten Kinde wird Status lymphaticus, Lungen¬ 
ödem als Todesursache angegeben. Die Thymus maß 5 Cm. in der 
Länge und 5 Cm. in der Breite; dabei war jedoch die linke 
Kammer kaum erweitert, die inneren Schichten des Herzmuskels blaß. 

Was die Frage eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen 
Thymusvergrößerung und plötzlichem Tode anlaugt, so verhält sich 
R. einer solchen Annahme gegenüber skeptisch. Er findet in der 
Literatur keinen beweiskräftigen Fall für die Annahme einer intra- 
thoracalen Druckwirkung; auch die Frage, ob dem sogenannten 
Status lymphaticus die ihm vielfach zugesprochene Rolle znkomme, 
hält R. noch nicht für entschieden. Dazu wären genauere Unter¬ 
suchungen nöthig, namentlich über den Zustand des lymphatischen 
Apparats bei gesunden, gewaltsam ums Leben gekommenen Menschen, 
da der Befund einer großen Thymus, großer Follikel u. s. w. mög¬ 
licher Weise ein normaler sei oder doch so häufig, daß ihm im 
concreten Falle eine Bedeutung nicht zugeschrieben werden könne. 

J. Lange (Leipzig): Thymushyperplasie und Thymustod. 

Abgesehen von den relativ seltenen Fällen von Thyranstod 
infolge von Compression der Trachea kommen nicht so selten 
Fälle von Störung der Herzthätigkeit durch Druck der vergrößerten 
Thymus auf die großen Gefäße vor. Ein von einem 8monatIiehen 
Kinde, das plötzlich verstorben ist, stammendes Präparat erläutert 
die dadurch entstehende Hypertrophie und Dilatation, die unter 
dem Einfluß zufällig verstärkter Inanspruchnahme des Herzens zum 
„Herztod“ führen kann. Von einem sogenannten „Status lymphaticus“ 
ist hier nicht die Rede. — Außer diesen peracut verlaufenden 
Fällen gibt es solche, wo vorher eine Diagnose und eventuell eine 
Therapie möglich ist. Zwei kurze Krankengeschichten erläutern 
diese Verhältnisse. Die Symptome der Compression der großen Ge¬ 
fäße sind: Zeichen von Herzangst, Unruhe, Schlaflosigkeit, Schreien 
und Nahrungsverweigerung, ferner Hypertrophie wrd-schließlich 
Dilatation des Herzens bei gleichzeitig nachweisbarer „Thymos- 
dämpfung“ ; zuweilen Herzklopfen, Cyanose, Ueberschnappen der 
Stimme und Trachealstenose. — Die zu versuchende Therapie 
wäre Beruhigung des Kindes durch Chloral etc., in manchen Fällen 
Einverleibung von Jodkali. — Nach dem ersten Lebensjahre werden 
die Aussichten durch das Wachsthura des Brustkorbes wesentlich 
günstiger. 

Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Med. Presse“.) 

Sitzung vom 6. November 1902. 

(Schluß.) 

Gust. Singer: Oie spastische Obstipation. 

Dieses Leiden findet sieb sowohl bei sonst gesunden, geistig über¬ 
angestrengten Personen als auch bei solchen mit nervösen oder hyste¬ 
rischen Erscheinungen und charakterisirt sich dadurch, daß Abführ¬ 
mittel wirkungslos sind, während Narcotica günstig wirken. Vortr. 
unterscheidet eine symptomatische und eine idiopathische Form der 
spastischen Obstipation. Die erstere tritt als Begleiterscheinung von 
Erkrankungen der Genitalien, des Rectum, des Anus, bei Vorhan¬ 
densein von Oxyuris, bei Niereusteinkolik, Hyperchlorhydrie, Mastur¬ 
bation, Coitus interroptus, Meningitis und Tabes auf. Das Hauptcontin- 
gent der Fälle mit idiopathischer, rein nervöser Obstipation wird 
von hysterischen und neurasthenischen Individuen dargestellt. Die 
Symptome derselben sind: Störungen der Magenverdauung, ausstrah- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 46. 


2102 


lende Schmerzen in der Nabelgegend, in der Cöcalgegend und im 
linken Hypochondrium, sehr geringe Stuhlmenge, Erschwerung der 
Defäcation, manchmal häufige Darmentleerungen mit nicht diar- 
rhoischen Stühlen in kurzen Intervallen. Objectiv kann eine Dis¬ 
location der Bauchorgane vorhanden sein. Der Dickdarm ist in 
einzelnen Abschnitten (meist die Flexur) oder in toto strangförmig 
contrahirt, wobei dieContractionsstelle wechseln kann. Unter schweren 
allgemeinen und localen Symptomen kann durch die spastische Ob¬ 
stipation das Bild der Darmocclusion vorgetäuscht werden. Die Mehr¬ 
zahl der Fälle verläuft chronisch und in torpider Form. Sehr häufig 
sitzt das durch Spasmus hervorgerufene Passagehinderniß im Rectum. 
Vortr. betont die Wichtigkeit der digitalen und mit Spiegel vor¬ 
zunehmenden Untersuchung des Rectum, welche bei den rein ner¬ 
vösen Formen den charakteristischen B-fund der Umschnürung 
des Fingers durch den Sphinkter ext. ergibt. Am Abdomen 
constatirt man charakteristische Druckpunkte. Die Fäces können 
dickbreiig oder kleinknollig, in ausgeprägteren Fällen bleistiftdünn, 
cannellirt, bandartig und mit Schleim gemischt sein. Nicht selten 
wird Blutabgang beobachtet, so daß ein Verdacht auf ein Neoplasma 
entstehen kann. Für die Pathogenese der Erkrankung kommt eine 
Störung zwischen constrictorischen und dilatatorischen Impulsen 
für die Darmbewegung in Betracht. Ein Plus an contractionsfördern- 
den Impulsen erklärt sich durch eine vermehrte Erregung der Con- 
strictoren oder Lähmung der Dilatatoren, hervorgerufen durch Reiz¬ 
zustände per contiguitatem oder durch Reizung intramusculärer 
Ganglien. Auch im Dünndarme kommen ähnliche Spasmen vor. Die 
Diagnose des Enterospasmus ist oft schwierig; differentialdiagnostisch 
kommen in Betracht: Colica stereoralis, Windkolik, chronische 
Bleivergiftung, Crises gastriques, Invagination und Enterostenose. 
In unklaren Fällen kann oft erst längere Beobachtung Aufschluß 
geben. Das zeitlich und örtlich wechselnde Auftreten von Resistenzen 
am Darm (Contractionswülste), Fehlen von stärkerem Meteorismus 
und sichtbarer Peristaltik sprechen gegen Occlusion und wirkliche 
Stenose und zu Gunsten eines Krampfes. Unter Umständen kann 
eine Untersuchung in Chloroformnarkose nöthig werden. Die Pro¬ 
gnose ist meist günstig, wenn auch das Leiden manchmal sehr 
hartnäckig ist. Therapeutisch kommen in Betracht: Narkotische 
Präparate, namentlich Belladonna intern oder in Suppositorien, locale 
protrahirte Wärmeapplication, warme Sitzbäder, heiße Einläufe 
von aromatischen Aufgüssen oder von Oel, Bekämpfung der nervösen 
Constitution. Abführmittel, Massage und Elektricität sind contra- 
indicirt. Vortr. empfiehlt als besonders nützlich die Bougirnng des 
Mastdarms. 


Notizen. 


Wien, 15. November 1902. 

(Zum Hil fsärzte-Erlaß.) Die Antwort der n.-ö. Statt¬ 
halterei auf das Memorandum der Hilfsärzte ist erfolgt. In einem 
an die Krankenhausdirection gerichteten Erlasse wird die rück¬ 
wirkende Kraft des ersten Erlasses aufgehoben und werden 
Uebergangsbestimmungen normirt. Dieselben verfügen, 
daß Secundarärzte, welche nach Ablauf ihres dritten, resp. zweiten 
secundarärztlichen Dienstjahres die hilfsärztliche Gesammtdienstzeit 
von 4 Jahren überschritten haben, nur dann eine Verlängerung 
derselben erhalten, wenn ihre Dienstzeit vor dem 3 0. April 
19 0 3 abgelaufen ist, in welchem Falle diese bis zum genannten 
Tage zu verlängern ist. Secundarärzten, die nach Ablauf ihres 
ersten secundarärztlichen Dienstjahres im Sinne des § 18 zu 
entlassen wären, ist die Dienstesverlängerung derart zu be¬ 
willigen, daß ihre gesaramte secundarärztliche Dienstzeit andert¬ 
halb Jahre betrage. Ausnahmen sind für jene Secundarärzte zu 
gewähren, die für eine Abtheilungs-Assistentenstelle in Aussieht 
genommen sind, worüber die Entscheidung der Statthalterei einzu¬ 
holen ist. Bereits im Spitalsdienste stehenden Aspiranten, die ent¬ 
weder gar nicht mehr oder nur für eine kürzere Zeit als ein Jahr 
zu Secundarärzten ernannt werden könnten, ist im Falle der Er¬ 
nennung ihre secundarärztliche Dienstzeit auf ein Jahr zu be¬ 
schränken. — Die Wünsche der Hilfsärzte bezüglich der Abschaffung 


des Numerus clausus der Aspiranten und der Beschränkung der 
Dienstzeit derselben haben keine Berücksichtigung gefunden; ' 

(„Gift medicin — N ä tu r he 11k un de — - Reetors¬ 
rede.“) Die Bilzgarde gibt wieder Zeichen ihrer Agitation ? Unter 
obigem Titel erschien an leitender Stelle einer neugegründeten 
Grazer Tageszeitung, die ihrer eigenen Angabe nach den Gasfr- 
und Kaffeehäusern gratis zugesendet Wird, ein Pamphlet gegen die' 
wissenschaftliche Medicin und den Rector magnificus der Grazer 
Universität Prof. Dr. Rollett, der die gauze bisherige „Natur- 
literatar“ überflügelt. Prof. Dr. Rollett, der in seiner Inaugura¬ 
tionsrede gegen die volksschädigende Naturheilbewegung gesprochen 
hatte, wird in den Koth gezerrt UDd die wissenschaftliche Medicin 
als Unglück bezeichnet. Die Medicin, wie sie an den Hochschulen' 
gelehrt wird, wird „als nachgewiesenermaßen verbrecherische, 
betrügerische lind schwindelhafte Staatsmedicin bezeichnet, als 
eine „Gift-, Messer-, Serumjauche- und Bacillenheilkunde ete. ete.“ 
Derartige Geistesproducte erscheinen unbeanstandet im Leitartikel 
eines hauptstädtischen Tagblattes! Es sollte nur-jemand wagen, 
die Theologie oder Kriegsknnde und ihre JüngeT derart zti ver¬ 
unglimpfen! Die Aerzte jedoch und ihre -Wissenschaft, an deren 
Ausbau sie unermüdlich arbeiten, scheinen in Oesterreich vogclfrei 
zu sein. 

(ViRCHOW-Denkmal.) Das Comite, welches Rudolf Vir- 
chow an seinem 80. Geburtstage die ViRcnow-Stiftung Überreichte, 
hat es übernommen, an die Schüler, Gollegen, Verehrer und Freunde 
des großen Meisters mit der Bitte um eine Spende heranzutreten', um 
Virchow an öffentlicher Stelle ein Denkmal zu errichten. Als Schatz¬ 
meister fuogirt Geh. Commerzienrath E. v. Mendelssghn-Bartholdy 
in Berlin. Mittheilungen sind an den Schriftführer Prof. Dr. Posner, 
Berlin SW., Anhaltstraße 7, zu richten. 

(Organisation der Zahnärzte Oesterreichs.) Um 
in ihrem schweren Kampfe gegen das Uebergewieht . der Zahn¬ 
techniker geschlossen vorgehen zu können , haben die Zahnärzte 
Oesterreiehs einen „ Central verband - der österreichischen, Jätotnalo-i 
logen“ gegründet, der in seiner constituirenden Sitzung den. Reg." 
Rath Dr. Jartsch zum Präsidenten, Dr. Joh. Fr äüK tfum Vice - 
Präsidenten erwählte. ' - •••'■'- • ' 

(Wiener medi cinischee Doctoren-Golfeginm.) Die 
vom wissenschaftlichen Ausschüsse des Collegiums veranstalteten 
Vorträge für praktische Aerzte haben am 10. d. M. ihren Anfang 
genommen. Der diesjährige Cyelus ‘ wurde vön Doc. Dr.- Julius 
Zaipert mit einem Vortrage über den Juckansschlag . kleirier 
Kinder inaugurirt, welcher in der „Wiener Med. Presse“ zur 
Publication gelangen wird. — Die Vorträge finden an allein Mon¬ 
tagen, 7 Uhr, im Saale des Collegiums, I. y .Rothenthurmstraße 
Nr. 19, statt. r-i - - •.». 

(Wohlfahrtsverein für Hinterbliebene der Aerzte 
Wiens.) Der VereiD der Aerzte Niederösterreichs will — wie wir 
erfahren — an den Wohlfahrtsverein für Hinterbliebene der Aerzte 
Wiens mit dem Ansuchen herantreten, der letztgenannte Verein 
möge seine Wirksamkeit auch auf die Aerzte .Niederösterreichs 
ausdehnen. Es ist eine Action geplant, um diese Angelegenheit im 
beiderseitigen Einverständnisse durchführbar zu gestalten, . s - 

(Wie Aerzte honorirt werden.) Indem „Öeöterreichi- 
schen Aerztekammer-Blatt“ stellt List unter dem Titel „Zur ärzt¬ 
lichen Honorarfrage“ den bei.uns landesübliche!! Honoraren Summen 
gegenüber, welche weit draußen, in fernen Landen, glücklichere 
Collegen für ihre Mühewaltung erhalten. Wir lernen daraus, daß 
dem Arzte ein seiner Konst entsprechendes Honorar bloß dann ge¬ 
zahlt wird, wenn bei der Bemessung desselben eiözig und allein die 
Vermögensverhältnisse seiner Clienten, als Maßstab dienen. Der be¬ 
kannte Milliardär G o u 1 d gab seinem^ Arzte Frcs. 75.000. jährlich, 
für eine zwei Monate währende Erkrankung seineif Schwester 
Frcs. 450.000; der Amerikaner Whitney bezahlte für eine Behand¬ 
lung durch eine Woche Frcs. 125.000Prof. SacharMN 1h Moskau 
erhielt für die Reise an das Krankenbett des Czaren Alexander, 
wozu er zwei Tage verwendete, Frcs. 150.000. — Wie beschämest!! 
nimmt es sich hingegen aus, wenn ein Dorfbewohner; der eined 
Fuhrwerksinhaber für die Fahrt zu ihm fl. 8 /j bezahlen maß,-'es 
natürlich findet, daß sein Arzt für dieselbe Fahrt inclusive Besuch- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 46. 


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die Hälfte, 3 Kronen, erhalte, oder wenn dem Cassenarzte für eine 
ärztliche Visite zehn oder gar nur fünf Kreuzer zugemessen werden. 
— Diese Ziffern sprechen eine zu deutliche Sprache; wir haben 
ihnen nichts hinzuzufügen. 

(Todesfälle.) In Wien ist am 11. d. M. Reg.-Rath Doctor 
Julius Spitzmüller, Präsident der Witwen- und Waisen-Societät des 
„Wiener med. Doctoren-Collegiums“, im 69. Lebensjahre gestorben. 
Mit ihm starb ein allgemein geachteter, selbstloser College, ein 
vielgesuchter, hingebender Arzt. — Gestorben sind ferner: In Wien 
der praktische Arzt Dr. Karl Koffend, 56 Jahre alt; in Meran 
der dortige Curarzt Dr. v. Braitenberg. 

(Warnung vor Imitationen.) W. Maager’s echter gereinigter Dorsch- 
leberthran wird nunmehr, um den vielen Imitationen desselben entgegen¬ 
zutreten, bloß in solchen dreieckigen Flaschen versandt, deren äußere Um¬ 
hüllung mit dem gesetzlich geschützten Verschlußstreifen versehen ist. 
Durch diesen Verschlußstreifen sind die Flaschen jetzt von außen schon leicht 
von anderen dreieckigen Flaschen zu unterscheiden und als die echten zu 
erkennen. — Patienten, denen vom Arzte der Maager’sche Leberthran ver¬ 
ordnet wurde, wollen daher dreieckige Flaschen, welche diesen Verschlu߬ 
streifen nicht haben, als Imitation entschieden zurückweisen. 


Eingesendet. 


Geehrte Schriftleitung! 

Ich ersuche höfliebst um gefällige Aufnahme folgender Zeilen: 

Die „sachliche“ Erwiderung des geschäftsführenden Ausschusses der 
„Lucina“ enthält Entstellungen von Thatsachen und Verdächtigungen meiner 
Person, die geeignet sind, mich in den Augen der Leser verächtlich zu machen. 
Ich behalte mir vor, darauf noch zurückzukommen, weise die ehrenrührigen 
Vorwürfe entschiedenst zurück und halte jedes Wort meiner Broschüre aufrecht. 

Da ich in Erfahrung gebracht habe, daß die gegnerische Schrift an 
sämmtliche Herren Collegen versandt wurde, ich aber nicht in der Lage war, 
meine Broschüre allen Herren zu übermitteln (ebensowenig, wie den seit 
Januar 1902 der „Lucina“ neu beigetretenen Mitgliedern, weil mir deren 
Namen und Adressen nicht zur Verfügung stehen), so bitte ich hiemit alle 


Interessenten, sich diesbezüglich an mich wenden zu wollen. Ich werde meine 
Broschüre nach Maßgabe des noch vorhandenen Vorrathes zur Versendung 
bringen. 

Wien, 12-November 1902. 

Mit collegialer Hochachtung ergebenst 
Dr. Hugo Klein, 

ärztlicher Leiter des Kaiserin Elisabeth-Wöchnerinnenheims. 

Wiener Medicinisches Doctoren-Oollegium, 

Wissenschaftliche Versammlung. 

Montag den 17. November 1902, 7 Uhr Abends, im Sitzungssaale des Collegiums, 

I., Rothenthurmstraße 19. 

Vorsitz: Dr. H. Teleky. 

Programm: 

Dr. E. Ronsburger: Die Leicheneinäscherung in den Culturländern und 
die Betheiligung der Aerzte an dieser hygienischen Reform. 

Verein für Psychiatrie und Neurologie. 

Zweiter Vortragsabend 

Mittwoch den 19. November 1902, 7 Uhr, im Hörsaale der Klinik Nothnagel. 

Prim. Doc. Dr. H. Schlesinger : Indicationen zu chirurgischen Eingriffen 
bei Hirnaffectionen. 


Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 

Sitzung Donnerstag den 20. November 1902, 7 Uhr Abends, im Hörsaale 
der Klinik Schrötter. 

Vorsitz: Hofrath Prof. v. Schrötter. 

Programm: 

I. Demonstrationen. 

II. Discussion zum Vor trage von Docent Dr. Gustav Singer: Ueber 
spastische Obstipation. (Zum Worte gemeldet: Docent Dr. Strasser, Prof. 
Dr. v. Frankl-Hochwart , Dr. Ciurcu , Dr. K. Kraus, Docent Dr. Sternberg, 
Docent Dr. Pick, Hofr. Prof. Dr. Wintebnitz , Dr. Heinr. Weiss , Dr. R. Offek, 
Dr. Wilh. Schlesinger.) 

III. Dr. Rob. Offeb : Ueber Acetonurie. Das Präsidium. 

Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Lndwig Braun. 

Die Rubrik: „Erledigungen, ärztliche Stellen“ etc, 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite, 


Die Ausstellung 

des 

Naturforscher- und Äerzte-Gongresses 

in 

Karlsbad. 

Eine Reihe von in- und ausländischen Firmen hatte hauptsächlich 
optische, elektrische, physikalische und hygienische Apparate, chirurgische 
Instrumente, Artikel znr Krankenpflege etc. zur Schau gebracht, die manches 
Interessante und Neue für den Arzt boten. Erwähnenswerth seien einige Aus¬ 
stellungsobjecte, die das Interesse der Aerzte besonders anregten, wie: 

Die Instrumente der Firma C. Reichert, welche eine größere Anzahl 
von Mikroskopen für bakteriologische Zwecke, sowie Hämometer, klinische 
Ferrometer, Phosphormeter, Halbschattenapparate für Harn- und Rohrzucker¬ 
untersuchungen und Mikrotome ausgestellt hat, und die zum Theil von den 
Vortragenden in den einzelnen Sectionen zur Demonstration ihrer Objecte mit 
Beifall benutzt wurden. 

Als Neuheit möchten wir besonders ein großes Mikroskop zur Durch¬ 
suchung ganzer Gehirnschnitte mit einem Tisch im Formate von 240 X 240 Mm. 
mit neuer Doppelhebel-Mikrometerschraube hervorheben. Diese 
letztere bietet den Vortheil zweier feiner Einstellungen —, natürlich außer 
dem vorhandenen Zahn und Trieb — vermittelst zweier sehr handlicher, über¬ 
einanderliegender Knöpfe, von denen der eine zur Einstellung für Vergröße¬ 
rungen von 20—500, und der andere für solche von 500 und höher dient. 
Diese feine Einstellung ist besonders mit der Annehmlichkeit verbunden, daß 
bei Durchmusterung feinster Objecte die einzelnen Dickenlagen sorgfältig 
untersucht werden können. 

Hieran reiht sich ein neues großes Mikrotom für ganze Gehirnschnitte, 
bei dem zum Unterschiede von früheren derartigen Instrumenten alles ver¬ 
mieden ist, was sich leicht abnutzen kann, und das sich durch einfachere 
Construction auszeichnet, besonders dadurch, daß der Ledersack fehlt. Die 
Federung der größeren Messer ist dadurch überwunden, daß die vorhandenen 
in der Mitte gefaßt werden, auch ist durch Beigabe eines entsprechenden 
Griffes das Abziehen derselben wesentlich erleichtert. 

Dieses, wie auch die anderen Mikrotome waren alle mit ununterbrochen 
wirkender Mikrometerschraube versehen, welche sich in der Praxis insofern 
sehr vortheilhaft erweist, als die Schraube nach Ablaufen nicht leer zurück¬ 
gedreht werden muß, sondern nur um 180° gewendet zu werden braucht, um 
dann wieder mit dem Schneiden beginnen zu können. 


Von besonderem Interesse waren die Halbschattenapparate nach Jellet- 
Cornu , die auch die früheren, gleichen Zwecken dienenden Apparate weit 
überholt haben. Es sei nur hervorgehoben, daß dieselben eine transparente 
Scala besitzen, die mit derselben Lampe beleuchtet wird, die zur Untersuchung 
der Flüssigkeit dient. 

Sehenswerth war die Ausstellung der Prager Maschinenbau- 
Actiengesellschaft vormals Ruston & Co. in Prag, deren reich¬ 
haltige Collection von Bildern ausgeführter Schlachthäuser mit zugehörigen 
Kühlanlagen, Markthallen und thermochemischen Anlagen das Renommöe, welches 
diese Firma auf diesem Gebiete genießt, rechtfertigt und den Beweis erbringt, 
daß die von medicinischer Seite aufgestellten Grundsätze auch in die Praxis 
übergegangen sind. 

Die Prager Maschinenbau-Actien-Gesellschaft hat, wie bekannt, be¬ 
reits 90 derartiger Anlagen in Oesterreich ansgeführt und' seien hier 
nur die größeren, als: die Schlachthöfe Wien-St. Marx, Brünn, Linz, 
Lemberg, Warnsdorf, Eger etc., die Wiener und Prager Markthalle, die 
Eisfabrik der Approvisionirungsgewerbe in Wien, die Kühlanlage der 
Wiener Fleischergenossenschaft, endlich die thermochemischen Anlagen 
in Brünn, Olmütz, Unterlaa, Iglau etc. genannt. 

Besonderes Interesse hatten die gynäkologischen Instrumente der Firma 
Georg Haertel in Breslau, die nach Fritsch and Künstner angefertigt 
wurden. Als Instrumentenfabrikant und Lieferant der Breslauer chirurgischen 
Universitätsklinik (Geheimrath v. Mikulicz) hat Herr Haertel ganz speciell 
sämmtliche MiKULicz'schen Instrumente und sonstigen chirurgischen Instru¬ 
mente angestellt. Auch der Bronzedraht, der sich zum Nähen fast ebensogut 
wie Silberdraht eignet und noch nicht den 4. Theil so theuer ist, hat großes 
Interesse gefunden. 

Beifall fanden auch die Krystallglaspessare von Wein hold, wetche 
den großen Vortheil haben, sehr sauber zn sein und Jahre lang liegen können, 
ohne im Geringsten zu incrustiren, und nicht brüchig werden. 

Ferner wären zn erwähnen die mittelst Pedaltrittes in Function zu 
versetzenden Apparate aus der chirurgischen Klinik in Breslau, z. B. Sterilisir- 
korb, Gestelle, Alkoholwaschtisch u. s. w., von welchem ersteren nur ein Modell 
ausgestellt war. 

Gute Aufnahme fand die Drahtsäge , die ursprünglich von K u s y in 
Wien angegeben, aber wegen ungenügender Construction derselben wieder in 
Vergessenheit gerathen war. Dieselbe wurde jetzt in einer solchen Vollkommen¬ 
heit hergestellt, daß bei richtiger Behandlung ein Brechen der Säge, wenn 
dieselbe nicht schon sehr alt ist, selten vorkommt; dieselbe hat sich bei 
Trepanationen, Resectioncn, wie allen anderen Knochenoperationen und beim 
Aufschneiden von Gypsverbänden gut eingeführt. 


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Nr. 47. 


XLIII. Jahrgang. Wien, den 23. November 1902. 


Die „Wiener Medizinische Presse" erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militär ärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik', letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
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die Administration der „Wiener Medizinischen Presse" 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 


Wiener 


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Militärärztlicher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
20 y, halbj. 10 K, viertel]. 5 K. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines : Jährl. 24 Mrk., halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 K; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Ranm 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien, I., Maximilianstr. 4. 


medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Organ für praktische Aerzte. 

-*0J©*- 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


Redaction: Telephon Hr. 13.849. 


Redigirt von 

Dr. Anton Bnm. 


Administration: Telephon Hr.9104. 


INHALT: Orlglnalien und klinische Vorlesungen. Ueber nervöse und psychische Störungen bei Nasenerkrankungen. Von Walter A. Wells, M. D.,; 

Georgetown University. — Das Problem, den Keuchhusten abzukürzen oder zu conpiren. Von S.-R. Dr. H. Fürst (Berlin). — Ueber das Ulcus 
ventricnli, dessen Diagnose und Behandlung. Von Prof. Dr. S. E. Henschen in Stockholm. — Referate. Thiel (Rheydt); Operativ geheilte Schu߬ 
verletzung beider linken Lungenlappen. — Tansini (Palermo): Ableitung des portalen Blutes durch die directe Verbindung der V. portae mit der 
V. cava. — M. Kaufmann und L. Mohr (Frankfurt a. M.) : Beiträge zur Alloxurkörperfrage und zur Pathologie der Gicht. —- Huao Lüthje (Greifs¬ 
wald): Ueber die Wirkung von Salicylpräparaten auf die Harnwege etc. — Prokop (Prag): Vergiftung durch Essigsäure. — Otto Henssen 
(Saarbrücken): Ueber saccadirtes Athmen. — Wanach (St. Petersburg): Ueber die ßRUNs'sche Airolpaste. — R. Bylsma (Middelburg, Holland): 
Hemeralopie und Leberpräparate. — Rudolf Lederer (Teplitz): Ueber traumatischen Enophthalmus und seine Pathogenese. — Guillery (Köln): 
Ueber die Kalktrübung der Hornhaut und ein Verfahren zu ihrer Aufhellung. — Rogozinski (Krakau): Ueber die physiologische Resorption von 
Bakterien aus dem Darme. — Kleine Mittheilnngen. Vergiftung durch Muscheln. — Ueber den Einfluß des Fettes auf die Aceton- und Säure¬ 
ausscheidung beim Diabetiker. — „Nähr- und Eisenmittel mit Erfahrungen über Eisensomatose.“ — Pastilli jodo-ferrat. comp. Jahr. — Behandlung 
der Stagnation im Magen. — Appendicitis. — Ueber die Einwirkung des Alkohols auf den Stoffwechsel des Menschen. — Anreicherung der 
Tuberkelhacillen im Sputum. — Die abführende Wirkung des Phenolphtalei'n. — Literarische Anzeigen. Leitfaden der Psychiatrie. Für Studirende 
der Medicin. Von Prof. Dr. E. Mendel. — Die Localanästhesie und ihre Verwendung in der zahnärztlichen Praxis. Von Dr. H. Thiesing. — 
Feuilleton. Mittel und Wege zur Einschränkung der Geschlechtskrankheiten. Von Dr. Walther Bienenstock , gew. Secuadararzt des k. k. All¬ 
gemeinen Krankenhauses. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — Notizen. Zur allge¬ 
meinen Aerzteversammlung. — Nene Literatur. — Eingesendet. — Offene Correspondenz der Redaction und Administration. — Aerztliche 
Stellen. — Anzeigen. 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse“ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Ueber nervöse und psychische Störungen bei 
Nasenerkrankungen. 

Von Walter A. Wells, M. D., Georgetown University. 

Wenn wir bedenken, daß sich seit den ältesten Zeiten der 
Glaube an das Bestehen eines innigen Zusammenhangs zwischen 
den Geruchsorganen und gewissen seelischen Erscheinungen 
aufrecht erhalten hat und wenn wir uns daran erinnern, daß 
die neuere Forschung das wirkliche Bestehen eines solchen 
Zusammenhanges durch anatomische und physiologische For¬ 
schungen erwiesen und ihm zugleich eine rationelle, wissen¬ 
schaftliche Grundlage gegeben hat, so können wir uns nur 
darüber wundern, daß die Tagesliteratur so wenig über diesen 
Punkt bringt. 

Und dennoch lassen sich Beispiele für eine Abhängig¬ 
keit gewisser Geistesstörungen von Nasenaffectionen nicht nur 
ziemlich oft finden, sondern gleichzeitig auch leicht demon- 
striren. 

Schon vor 150 Jahren machte Johann Jakob Wepfer (1) 
in seiner Abhandlung über die Erkrankungen des Kopfes 
(Observationes medico-practicae de affectibus capitis internis et 
externis) einzelne Bemerkungen über Symptome bei Nasenver¬ 
schluß, die durch ihre Genauigkeit auffallend sind. So sagt 
er ■ 3., daß wir unter die Folgen von Nasenverengerungen 
auch heftigen Kopfschmerz, Augenschmerzen, Gesichtsstörungen, 
Tremor und Gedächtnißschwäche einzurechnen haben. Wenn 
<*üch von anderen Schriftstellern seitdem solche Fälle öfters 
angeführt wurden, die einen Zusammenhang von Nasen¬ 


erkrankungen mit den intellectuellen Functionen bewiesen, so 
lenkte dies doch erst seit den werthvollen anatomischen Unter¬ 
suchungen von Axel Key und Retzius über die Verbindungen 
der Lymphgefäße des Gehirns und der Nasenschleimhaut die 
allgemeine Aufmerksamkeit auf sich und wurde zum Gegen¬ 
stand eines eifrigen Studiums. 

Im Jahre 1872 — ein Jahr nach dem Berichte von 
Voltolini über seinen Fall von Asthma, der durch die Ent¬ 
fernung eines Nasenpolypen geheilt wurde, und 16 Jahre vor 
der Vorstellung der sogenannten Fälle von Aprosexia vor der 
Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte — berichtete 
Rupprecht (2) über eine Beobachtung, daß ein Naseuverschluß 
mitunter eine Unfähigkeit zu geistiger Thätigkeit bewirkt. 

In dem nächsten Jahre entdeckte Meyer in Kopenhagen 
im Verlaufe seiner Studien über adenoide Wucherungen, daß 
diese gelegentlich mit psychischen Erscheinungen verbunden 
waren. Michel (3) erwähnt in seinem 1876 publicirten Lehr¬ 
buch, daß man bei Kindern, die an naso-pharyngealen Affec- 
tionen leiden, ein schwaches Gedächtniß finden kann. In dem 
Lichte dieser spärlichen Beobachtungen bemerkte 1882 Hack 
sehr richtig, daß man die Erkrankungen der Nase auch vom 
psychiatrischen Gesichtspunkte au9 mit Nutzen studiren könne. 

Und dies geschah durch Prof. Guye in Amsterdam, der 
mit seinen Studien über die Wirkung von obstruirenden Nasen¬ 
erkrankungen auf die geistige Entwickelung der Kinder unseren 
Beruf zu großem Dank verpflichtet hat. Wenn es auch richtig 
ist, daß Bresgen (4) schon 1884 darauf hingewiesen hat, daß 
Schulkinder, die an behinderter Nasenathmung leiden, in der 
Schule schlechte Fortschritte machen, so müssen wir doch 
Guye das Verdienst zurechnen, als Erster umfassende Studien 
und Deductionen in dieser Richtung angestellt zu haben. Er 


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erfand den Ausdruck Aprosexia, was Unfähigkeit zur Coneen- 
tration der Aufmerksamkeit bedeutet. Er bat sehr treffend 
in seinen Arbeiten (5) den Zustand der jungen aprosexischen 
Individuen geschildert; ihre verzweifelten , doch vergeblichen 
Anstrengungen, in der Schule weiterzukommen, um dem Ur- 
theile, beschränkt zu sein, zu entgehen, ihre absolute Unfähig¬ 
keit, sich geistig zu beschäftigen, ihren Mangel an Concen- 
trationsvermögen, welche Störungen fast ausnahmslos mit 
mehr oder minder heftigen Kopfschmerzen und Intoleranz 
gegen alkoholische Getränke sich verbinden. Bald sehen wir 
andere Forscher, durch diese Untersuchungen angeregt, nach- 
folgen, deren Arbeiten die Schlüsse Gdye’s vollkommen be¬ 
stätigen. Walle (6) dachte, daß man zwischen der Aprosexia 
der Kinder und der Erwachsenen unterscheiden könne. Bei den 
letzteren soll sie nach ihm eine reine Reflexerscheinung sein, 
während sie bei den ersteren die Folge einer Beeinträchti¬ 
gung der Respiration und der nachfolgenden Aenderung in der 
Blutbeschaffenheit sein soll. Brügelmann (7) hat seine beson¬ 
dere Aufmerksamkeit dem Nasenschwindel, der bei aprosexi¬ 
schen Individuen vorkommt, zugewandt. Er findet, daß er so¬ 
wohl constant als auch charakteristisch ist und möchte ihn 
den drei Cardinalsymptomen Guye’s — dem Kopfschmerz, 
der Concentrationsunfähigkeit und der Alkoholintoleranz — 
als viertes zufügen. 

Bald wurde auch ein Bericht über 40 Fälle von Schein¬ 
mann (8) veröffentlicht, und es wurden weitere Studien von 
Braun (9), Raulin (10), MAiNzer (11) und Anderen angestellt. 

Die Literatur entbehrt auch nicht wirklicher Fälle 
von psychischen Störungen bei Nasenerkrankungen. Moritz 
Schmidt (12) erwähnt in seinem Buche über „die Krank¬ 
heiten der oberen Luftwege“ einen von Lange berichteten 
Fall eines idiotischen Knaben, Insassen einer Irrenanstalt, 
der nach Entfernung adenoider Wucherungen seine normale 
Intelligenz wieder erlangte, ferner die Beobachtung von 
Meyer, daß diese Operation eine so große Aenderung in seinem 
Zustande erzeugte, daß später eine Eheschließung möglich 
wurde, und Schmidt fügt hinzu, daß er über ähnliche Er¬ 
fahrungen verfüge. 

Hill (13), der dann die Untersuchung von idiotischen 
und imbecillen Kindern einer Irrenanstalt unternahm, fand, 
daß sie fast sämmtlich Mundathmer waren, wegen des Be¬ 
stehens einer obstruirenden Affection in der Nase oder in dem 
Nasenrachenraume. 

Man hat sodann manche interessante Fälle ausgesprochener 
geistiger Erkrankung bei Nasenaffectionen veröffentlicht. 

Porcher (14) hat über den Fall eines Mannes berichtet, 
der neben anderen Symptomen einen ausgesprochenen Hang zur 
Melancholie hatte und zu keiner Arbeit länger als ein Jahr 
zu brauchen war. Nach Entfernung eines Ekchondroms des 
Septum nasale wurde er vollkommen hergestellt. Dr. Carpenter 
(15) hat einen Artikel über die Geistesstörungen nach einer 
Rhinitis hyperirophica beigetragen. Es kann bei diesem Leiden 
zu einer Abschwäehung des Willens-, Gefühls-, Gedächtniß- 
und Intelligenzvermögens kommen und er hob unter den 
Symptomen besonders hervor Reizbarkeit, Zornanfälle, Schlaf¬ 
losigkeit, ängstliche Träume und Selbstmordtendenzen. 

Bei der Betrachtung der Krankengeschichten der publi- 
cirten Fälle finden wir keinen Krankheitszug so beständig an¬ 
wesend wie die Melancholie. 

Jafsen (16) hat Fälle citirt, welche sehr denen von 
Carpenter ähneln. Er erwähnt einen Patienten, der an einer 
„emotionellen Melancholie“ litt, einen anderen Fall, der sehr 
reizbar war, an Gedäehtnißschwäche litt, Mißtrauen gegen 
seine besten Freunde hatte und Selbstmordneigungen aufwies. 
Beide Fälle genasen nach der Beseitigung der Rhinitis hyper- 
trophica. 

Man findet auch zerstreut an anderen Stellen Erwähnung 
von psychopathischen Symptomen bei Nasenaffectionen. So z. B. 
hat Poller (17) in einem Bericht von Fällen von Neurasthenie 
bei Nasenerkrankungen neben Ruhe- und Schlaflosigkeit, Neu¬ 


ralgien und Kopfschmerzen, auch Trübsinn erwähnt, ebenso 
Foster (18). Wilhelm Fliess (19) hat zwar durch die 
Publication von 131 Fällen sehr viel zur Kenntniß der Nasen¬ 
krankheiten beigetragen, jedoch nur über wenige psychopathische 
Forschungen berichten können. Er hatte einige Fälle von 
Aprosexia, ferner Fälle von Gedäehtnißschwäche, Schwindel 
u. s. w. und nur in einem Falle erwähnt er Trübsinn. 
Bresgen (20) erwähnt in seiner werthvollen Monographie über 
Kopfschmerzen bei Nasen- und Rachenleiden einen Fall, bei 
dem ausgesprochene Störungen des Fühlens, Wollens und 
Intellects bestanden. Der Fall ist von besonderem Werth 
wegen der Thatsaihe, daß der Autor, der die Nasenaffectionen 
nur vom Gesichtspunkte der Kopfschmerzen studirte, sehr 
überrascht war, die psychopathischen Erscheinungen durch die 
Nasenaffection bedingt zu finden und sie nach einer erfolg¬ 
reichen Behandlung verschwinden zu sehen. 

Der Patient wird als eine schwachsinnige, willensschwache 
Frau beschrieben, die von Jugend auf an überaus heftigen 
Kopfschmerzen , mit Schmerzen in einem Auge gelitten hat. 
Sie konnte während der Beobachtung keinen Augenblick still 
sitzen, schien sehr furchtsam und konnte nicht ins Gesicht sehen. 

Prof. Pick (21) in Prag sah einen Fall einer acut auf¬ 
tretenden Melancholie, die er auf eine gleichzeitig bestehende 
Hypertrophie des rechten Muschelbeines bezog, obgleich die 
locale Behandlung eine nur temporäre Besserung erwirkte. Es 
handelte sich um eine 23jährige Frau, mit ausgesprochenen 
Selbstmordtendenzen, bei der Wahnideen von einem in der 
Nase hausenden bösen Geiste bestanden. 

Bosworth hat auf dem Congresse der amerikanischen 
laryngologischen Gesellschaft im Jahre 1894 von einem Falle 
von Melancholie mit Aprosexia berichtet, der vier Jahre an¬ 
dauerte und durch eine Nasenoperation geheilt wurde. Der 
Fall war wegen der zahlreichen chirurgischen Operationen 
interessant, die früher ohne Erfolg unternommen worden waren. 

Der Patient hat eine Operation wegen Varicokele, wegen 
Strictur und Hämorrhoiden ausgestanden, hatte außerdem eine 
Castration, die Durchschnei düng eines Augenmuskels, die Enu- 
cleation eines Auges, die Unterbindung einer A. pudendalis, 
Haarseilapplication u. s. w. durchgemacht. 

Dies sind sämmtliche Erwähnungen von psychopathischen 
Symptomen als Folge einer Nasenaffection, die ich in der 
Literatur finden konnte. 

Von den zahlreichen Fällen von nervösen Folgeerschei¬ 
nungen bei pathologischem Nasenbefunde sind beschrieben: 
Hypochondrie, Neurasthenie, Migräne, Chorea, Epilepsie, 
Glottis-, Oesophagus-, Augenmuskel- und Facialiskrampf, 
BASEüow’sche Krankheit, Schlaflosigkeit, Enuresis nocturna 
und Herzpalpitationen. 

Auch einige Fälle genuiner Epilepsie nasalen Ursprungs 
existiren in der Literatur. Zwei solche Fälle werden von 
M. E. Ten Seethoff (22) beschrieben und einer von Adenot (23), 
der durch die Entfernung eines großen Knochentumors aus der 
Nase Heilung der Anfälle erfuhr. 

Guilleaume (24) hat einen sehr interessanten Fall von 
Cerebellarreflex beobachtet, der sichtlich durch eine adenoide 
Wucherung in dem Nasenrachenraum verursacht war. Es 
handelte sich um ein 13jähriges Kind, das seit mehreren 
Jahren, so oft es zu lesen oder eine andere geistige Arbeit 
versuchte, heftige Kopfschmerzen bekam. Zuerst schienen die 
Buchstaben vor den Augen zu tanzen, dann folgte Kopf¬ 
schmerz und Schwindel. Der Kopfschmerz war von der Art, 
daß das Kind ohne Hilfe nicht stehen bleiben konnte. Ver¬ 
suchte es gehen, so wankte es wie ein Trunkener. 

Es besteht aber in den citirten Fällen wie in den anderen 
keine klare Beziehung zwischen den reflectorischen Phänomenen 
und den Wirkungen der Nasenstenose. Wo eine solche Unter¬ 
scheidung versucht wurde, wurde sie fast in der Hälfte der 
Fälle in unrichtiger Weise vollzogen, und Symptome, die 
ebenso gut durch die obstruirende Affection sich erklären 
lassen, wurden unter die nasalen Reflexe gruppirt. So nimmt 


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Fliess keinen Anstand, die ganze Reihe von Symptomen als 
einfache Reflexerscheinungen aufzufassen, selbst wenn sie von 
längerer Dauer waren, continuirlich andauerten und eines 
jeden paroxysmalen Charakters entbehrten. 

Nun halten wir dafür, daß die Nasalneurosen und die 
Wirkungen der Nasen Verengerung an sich auseinander ge¬ 
halten werden können und wir wollen im Folgenden ge¬ 
wisse Kriterien aufstellen, die uns bei der Differentialdiagnose 
leiten sollen. Es kommt da eine ganze Anzahl von Gesichts¬ 
punkten bei einem solchen fraglichen Symptome in Betracht. 

1. Die Association der concomitirenden Nasen¬ 
affe ction und der nervösen Symptome. Es genügt 
nicht, daß ein Symptom nasalen Ursprungs mit einer obstrui- 
renden Nasenaffection verbunden ist, um uns dessen zu ver¬ 
gewissern und uns zum Schlüsse zu berechtigen. daß es 
ein Effect der Nasenverengerung ist. Eine große Schwierig¬ 
keit wird durch die Thatsache geschaffen, daß ein gewisser 
Grad von Stenose sich fast bei allen pathologischen Nasen¬ 
zuständen findet. Doch sind wir dann zu einem Schlüsse be¬ 
rechtigt, wenn wir dieses Symptom nur in Fällen ausgesprochener 
Stenose finden. Glücklicherweise sind nicht alle Fälle von 
Reflexerscheinungen mit einer Stenose complicirt, und dieser 
Umstand allein genügte, um diese Autoren zu widerlegen, 
welche die nasalen Neurosen bloß mit der Theorie der Nasen- 
obstruction erklären wollen. 

Es ist in der That eine alte Beobachtung, daß gerade die 
schwersten Formen bei sehr kleinen Polypen gefunden werden, 
und wir sind uns außerdem der Thatsache bewußt, daß gerade 
bei Rhinitis atrophica gewisse reflectorische Erscheinungen 
(Ruddlt, Schmältz) mit abnorm weiten Nasenöffnungen be¬ 
schrieben wurden. 

Wenn man also ein Symptom einmal nicht mit einer 
Nasenverengerung verbunden auftreten sieht, so kann es 
natürlich trotzdem nasalen Ursprungs sein, ein Reflexsymptom, 
und wir schließen auch in einem anderen Fall, daß es reflecto- 
rischer Natur ist, selbst dann, wenn bei dem Patienten eine 
Stenose besteht. 

Das gleichzeitige Auftreten anderer Erscheinungen von 
sicher reflektorischer Natur wird von großer Bedeutung für 
unsere Schlußfolgerung sein. So wird die Reflextheorie wahr¬ 
scheinlich , wenn wir eine Coryza vasomotoria haben, mit 
Niesen und serösem Ausfluß; wogegen die Wahrscheinlichkeit 
für das Zustandekommen des Symptoms durch die Respirations¬ 
behinderung in solchen Fällen spricht, wo wir eine ausge¬ 
sprochene Anämie und Ernährungsstörung als Folge einer 
ungenügenden Blutoxydation finden. 

2. Das Verschwinden desSymptoms nach der 
Behandlung. Wir suchen dann festzustellen, ob dies mit 
der Entfernung der Reizquelle zusammenhängt oder ob es 
mit der Herstellung der freien Respiration zusammenfällt. 
Wir begegnen hier wieder derselben Schwierigkeit; denn wenn 
wir eine Affection beseitigen, so schalten wir damit un¬ 
weigerlich eine Reizquelle aus oder zerstören eine hyper¬ 
ästhetische Area, und wenn wir die letzten in irgend einem 
Grade wegschaffen, so reduciren wir auch die Verengerung. 

Doch muß weder das Eine, noch das Andere in jedem 
Falle eintreten, und es war gerade die sorgfältige Beobach¬ 
tung solcher Fälle, wo ich bloß den einen Zustand beseitigte, 
der mir eine genaue Classification der Symptome ermöglichte. 

3. Der Charakter des Symptoms. Symptome 
reflectorischer Natur sind gewöhnlich paroxysmal, recidiviren 
und haben eine Reizursache. Die durch die Stenose bedingten 
sind natürlich mehr chronischer Natur, entwickeln sich lang¬ 
sam und dauern länger an. 

Eine genaue Berücksichtigung der Störungen, die einer 
behinderten Nasenathmung folgen, kann uns, glaube ich, von 
den höchst unbestimmten Verallgemeinerungen bewahren, die 
von Fleiss und Anderen in Bezug auf die Reflextheorie gemacht 
werden. Nun haben wir es mit psychopathischen Phänomenen 
zu thun, und da müssen wir uns fragen: Wie kann eine ob- 


struirende Affection der Nase die Gehirnfunctionen in Mit¬ 
leidenschaft ziehen ? Es kann dies einmal a) durch die Aende- 
rung und Verarmung der allgemeinen, seeundär auch der 
Gehirncirculation geschehen, dann durch die Ueberladung des 
Blutes mit Kohlensäure und die verminderte Sauersfcoff- 
zufuhr, die die nothwendigen Folgen der mangelhaften Arte- 
rialisation sind ; b) durch die Beeinträchtigung der Blutver- 
sorgung des Gehirns durch die Nasenaffection; c) durch eine 
Behinderung des Ausströmens der Lymphe aus dem Gehirn. 
Es ist nachgewiesen worden, daß die subduralen und subarach- 
noidealen Lymphräume mit den Lymphbahoen der Nasen¬ 
schleimhaut communiciren. Guye trat dafür ein, daß die 
Aprosexia durch die Behinderung der Lymphströmung zu¬ 
stande komme, weil dann die Products des GewebsstoffWechsels 
des Gehirns sich in letzteren anhäufen und eine „Retentions¬ 
ermüdung“ hervorrufen. d) Es ist dann auch kaum leicht mög¬ 
lich, daß eine directe Oxydation auf dem Wege durch das 
centrale Nervensystem, mittelst des Bulbus olfactorius besteht, 
wenn dessen Function durch eine obstruirende Affection der 
Nase gestört wird. ■ 

4. DerNachweisderRe fl exneuros e. Es existiren 
zwei Methoden, der Sondenversuch und der Cocainversuch. Der 
erste besteht darin, mit einer kleinen Nasensonde in der Nase 
nach einer besonderen hyperästhetischen Zone zu suchen, die der 
Sitz oder die Quelle eines Reflexes ist, oder nachzusehen, ob 
es uns gelingt, durch Sondirung aller Partien der Nasenhöhle 
das fragliche Phänomen zu erzeugen. Diese Sondirung sollte 
vor der Anwendung des Cocains geschehen , da das letztere 
die Schleimhaut so sehr betäubt, daß es das Resultat negativ 
macht. Cocain ist ein ausgezeichnetes Versuchsmittel, wenn 
das Symptom vorhanden ist, und beweisend, wenn das Resultat 
positiv war, denn wenn ein Phänomen unter dem Einflüsse des 
Cocains sofort verschwindet, so kann kein Zweifel über seine 
reflectorische Natur bestehen. Man kann natürlich nicht von 
den durch die Verengerung bedingten Symptomen erwarten, 
daß sie nach der durch das Cocain hervorgeru'feaeri Abnahme 
der Schwellung verschwinden. Mitunter verschwinden auch 
sicher reflectorische Erscheinungen nicht auf die Anwendung 
von Cocain. Und wir halten es dort für wahrscheinlich, wo 
das Schwellgewebe durch ein hyperplastisches oder ein Narben- 
gewebe verdrängt wurde. 

Ich recapitulire: Ein Symptom nasalen Ursprungs ist 
dann wahrscheinlich reflectorischer Natur, 

1. wenn es bei einer Nasenaffection ohne starke Stenose 
oder ohne permanente Stenose auftritt; 

2. wenn es von bekannten Reflexphänomenen begleitet ist; 

3. wenn es mit der Beseitigung der Affection ver¬ 
schwindet, besonders dann, wenn die Verengerung weiter 
besteht; 

4. wenn es einen paroxysmalen Charakter hat; 

5. wenn eine ausgesprochene hyperästhetiscbe Zone 
besteht; 

6. wenn das fehlende Symptom auf Berührung mit der 
Sonde wieder auftritt; 

7. wenn das bestehende nach Cocainapplication ver¬ 
schwindet. 

Andererseits spricht für den stenotischen Ursprung des 
fraglichen Symptoms, 

1. wenn es immer mit hochgradiger Stenose verbunden ist; 

2. wenn die verengende Affection chronischer Natur ist; 

3. wenn der Kranke an Folgen der Verengerung, als 
Anämie und Ernährungsstörungen leidet; 

4. wenn die Symptome nur nach der Wiederkehr der 
normalen Nasenathmung verschwinden; 

5. wenn das Symptom am besten mit der Hypothese 
einer Stenose erklärt werden kann; 

6. wenn die besonderen Reflexproben negativ ausfallen. 

(Schluß folgt.) 


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Das Problem, den Keuchhusten abzukiirzen 
oder zu coupiren. 

Von S.-R. Dr. H. Fürst (Berlin). 

Gewöhnlich steht die Zahl der gegen eine Krankheit 
vorgeschlagenen Mittel im Yerhältniß zu ihrer Werthlosig- 
keit und Unzuverlässigkeit, obwohl jedes specifisch zu wirken 
vorgibt. Es ist erstaunlich, wie viele Behandlungsmethoden 
gegen den Keuchhusten enthusiastisch angepriesen und doch 
von den enttäuschten Aerzten wieder verlassen worden sind. 
Daß ein so alltägliches, die Kinder ungemein schwächendes, 
oft ihr Leben durch Stauungshypeiämie der Lungen- und 
Hirngefäße schwer gefährdendes Leiden noch immer keine 
zuverlässige Therapie gefunden hat, liegt theils an der noch 
nicht genügenden Kenntniß der Pathogenese, d.h. des specifischen 
Infectionskeimes, theils an der Vielgestaltigkeit seiner Com- 
plicationen. Aber auch in der verschiedenen Intensität der 
Epidemien, der verschieden starken Disposition und Wider¬ 
standskraft der Kinder liegen Schwierigkeiten, gar nicht zu 
erwähnen des großen Einflusses der Pflege und Isolirung auf 
den Verlauf. 

Wo so viele Factoren pathologischen, epidemiologischen 
und socialen Charakters Zusammenwirken, ist auch das klinisch 
völlig bekannte Krankheitsbild äußerst variabel. Es kann 
deshalb gar nicht Wunder nehmen, wenn wir gegen eine 
durchaus nicht einheitliche Affection, deren pathologisch¬ 
ätiologisches Wesen uns noch nicht erschlossen ist, kein 
einheitliches Verfahren, keine essentielle, causale Therapie 
besitzen, sondern uns — ein Zeichen der Schwäche — oft 
mit systematischer Behandlung begnügen müssen. 

Jeder Arzt behandelt den Keuchhusten auf Grund seiner 
subjectiven Erfahrung. Jeder hat, vielleicht manchmal unter 
dem Eindrücke einer gewissen Autosuggestion, seine Lieb¬ 
lingsmittel und -Methoden. Jeder hat dabei Erfolge und Ver¬ 
sager gehabt, bleibt aber trotzdem gern bei der gewohnten 
Behandlungsweise, weil ihm keine bessere geboten wird. Denn 
die alljährlich auftauchenden „sichern“ Mittel, von denen der 
Autor immer am meisten entzückt und des Lobes voll ist, 
halten nicht, was sie versprachen und so kehrt der Arzt 
ohne Vertrauen auf sie meist wieder zu dem zurück, was 
er nun einmal erprobt hat. 

Daß diese Mittel und Methoden eine etwas bunte Ver¬ 
schiedenheit darbieten, rührt zum Theil von der Zeit her, in 
der sie aufkamen, und von dem, was gerade in dieser Zeit den 
herrschenden Ansichten üher den Genius epidemicus, über 
Aetiologie und Wesen der Krankheiten entsprach. Und da 
sich alle solche Ansichten — um nicht zu sagen Moden — 
in einem gewissen Turnus wiederholen, so tauchen auch 
halb vergessene Mittel und selbst Volksmittel immer wieder 
auf. Es gab sogar Perioden eines therapeutischen Pessimis¬ 
mus und Nihilismus. Aber die moderne, in enger Fühlung 
mit der experimentellen Pathologie stehende chemische Industrie, 
unerschöpflich an immer neuen Vorschlägen, überträgt ihren 
Optimismus auf die weitesten Kreise der Aerzte und des 
Publicums. Sie läßt nicht gern einen muthlosen Zweifel auf- 
kommen, daß es auch gegen den Keuchhusten Specifica gebe, 
und sucht, hievon überzeugt, eifrig nach solchen. 

Als man, ohne noch an Toxine zu denken, den Keuch¬ 
husten vom Standpunkte einer functionellen Kehlkopf¬ 
neurose auffaßte, mußte sich naturgemäß die Therapie be¬ 
fleißigen , Mittel vorzuschlagen, welche die Reizbarkeit des 
Kehlkopfes herabsetzen, die Erregbarkeit seiner Nerven ver¬ 
mindern , das Auslösen von Reflexen hemmen. Lange Zeit 
beherrschte Chinin (intern und local) das Feld; späterschloß 
sich ihm sein jüngerer Bruder, das Euchinin, an. Natürlich 
spielten auch die Bromsalze, zumal das Bromkalium, eine 
gioße Rolle, und neben ihnen die Belladonna. Als das Anti- 
pyrin zur Aufnahme gelangte, wurde es auch gegen Keuch¬ 
husten verordnet, theils rein, theils in Combinationen mit 


Brom oder mit Mandelsäure (Tussol); neuerdings ist auch 
das Heroin empfohlen worden. Sogar äußerlich hat man schon 
damals durch Einstreichen von Chloroform- und Hyoscyamus- 
öl (aa.) auf Pertussis einzuwirken gesucht, wenn auch mit 
wenig Erfolg. Es ist schwer zu sagen, wie man sich die Wirkung 
obiger Nervina vorzustellen hat. Da nicht anzunehmen ist, 
daß sie im Vorbeigleiten am Kehldeckel örtlich wirken, so 
muß man wohl voraussetzen, daß sie vom Darme aus das 
Centrum und von diesem aus die Kehlkopfnerven beeinflussen 
sollen — eine etwas gekünstelte, gezwungene Hypothese. 
Besser ist es vielleicht zuzugestehen , daß die Empirie auch 
hier Führerin war. 

Eine andere therapeutische Richtung war die, welche 
die Kehlkopfnerven direct zu treffen suchte. Anfangs bemühte 
man sich, dies, wie gesagt, mit Chinin zu erreichen , später 
mit Orthoform. In einzelnen Fällen erzielte man Linderung, 
in anderen nur bösartigen Hustenreiz, wieder in anderen blieben 
die Anfälle unbeeinflußt. Nicht viel, aber doch etwas mehr 
erreichte man mit gasförmigen Inhalationen oder mit Zer¬ 
stäubung von Flüssigkeiten. Eine Zeit lang schwärmte man 
für Bromoform und Terpinthydrat, kam aber von beiden wieder 
zurück. Lösungen von Chloroform, Salicyl und Cocain wurden 
local, in Sprayform, applicirt; manchmal halfen sie, manchmal 
auch nicht. Doch ist zuzugestehen, daß eine locale Therapie 
des Keuchhustens auf rationeller Unterlage ruht und bis¬ 
weilen symptomatisch nützt. 

Schablonenmäßig rieth man auch Luftveränderung, 
obwohl diese in der rauhen Jahreszeit ganz zwecklos ist, in 
den wärmeren Monaten auch nur während des Initialstadiums 
nützt, dagegen aber den Nacbtheil der Verschleppung des 
Keuchhustens in bis dahin gesunde Ortschaften mit sich 
bringt. 

Der Vorschlag des Dr. Valentiner, den Keuchhusten 
durch äußere Application, durch Einreiben mit Difluor- 
diphenyl (Antitussin) — einer Salbe von 50 auf Adeps 
lanae anhydr. 85'0 und Ungt. Vaselini lO’O — zu behandeln, 
hatte anfangs etwas Befremdendes. Die vom Genannten zu¬ 
erst in die Therapie eingeführten organischen Fluor¬ 
präparate waren ein vollkommenes Novum. Hatte man 
auch andere, bereits bewährte Halogene schon lange in Ge¬ 
brauch, so das Chlor als Chloroform, das Jod als Jodoform, 
das Brom als Bromoform, war also die typische physiolo¬ 
gische Wirkung der Halogengruppe keineswegs unbekannt, 
so war doch die therapeutische Verwendung des Fluor noch 
eine Terra incognita. Das lag an der Schwierigkeit einer 
Herstellungsmethode, welche, ohne die Flüchtigkeit dieses 
Stoffes zu beeinträchtigen, ihn doch organisch zu binden ver¬ 
stand. 

Valentiner gelang es, Präparate herzustellen, welche 
die energische Wirkung des Fluor besitzen, ohne diesem ein 
Freiwerden durch Abspaltung und damit eine unerwünschte 
Reizwirkung zu gestatten. Wie im Falle des Antitussin die 
therapeutische Wirkung auf endermatischem Wege zustande 
kommt, ist nicht leicht zu sagen, hängt aber wohl damit zu¬ 
sammen, daß, wie Fischer und Beddies nachgewiesen haben, 
Fluorverbindungen sehr leicht durch thierische Membranen 
diflfundiren. Die Fluorpräparate sind noch verhältnißmäßig jung, 
und wir sind deshalb, um uns ihren therapeutischen Effect 
einigermaßen zu erklären, auf Hypothesen angewiesen, können 
uns aber vorläufig damit beruhigen, da dies bei den anderen 
in- und externen Keuchhustenmitteln nicht besser bestellt ist. 
Auch um den Vorschlag der Fluorpräparate zu prüfen, mußte 
man sich auf die Erfahrung stützen, und diese hat bezüglich 
des Difluordiphenyl ein überaschend günstiges Resultat er¬ 
geben. 

Daß die anscheinend schwer permeable Hornschicht der 
Epidermis doch therapeutischen Agentien den Durchtritt 
gestattet und damit auch eine interne Wirkung ermöglicht, 
ist z. B. von einem anderen Halogen, dem Jod, längst er- 


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wiesen. Dasselbe wird bei äußerer Application in Form von 
Salben oder Bädern resorbirt. Es beeinflußt nicht etwa bloß 
die peripheren Lymphbahnen und Lymphdrüsen, sondern auch 
die gesammte Constitution. Genügend bekannt ist die Heil¬ 
wirkung von Kreuznach und Tölz. Auch der Schwefel wirkt, 
wie die Aachener Bäder zeigen, keineswegs bloß auf die 
syphilitischen Dermatosen, sondern auch constitutioneil, und 
von den eisenhaltigen Bädern Franzensbads oder Elsters gilt 
dasselbe. Eine Zeit lang war die Speckeinreibung des Halses 
bei Diphtherie sehr beliebt, und Sapo viridis-Einreibung heilte 
nicht nur örtlich scrophulöse Drüsentumoren, sondern wirkte 
auch im Allgemeinen antiscrophulös. Wie wären die Schmier- 
curen, die Erfolge einiger Vasogenpräparate und zumal der 
geradezu frappant günstige Erfolg des Ungt. Crede bei all¬ 
gemeiner Sepsis zu verstehen, wenn die endermatische Beein¬ 
flussung sich durch theoretische Erwägungen einfach weg- 
disputiren ließe? 

So überwand auch ich, gleich manchen Anderen, die 
anfänglichen Bedenken und die Empirie gab uns thatsächlich 
Recht. Eine energische, 3raal täglich in der Richtung von 
oben nach unten erfolgende Einreibung der Antitussinsalbe 
am Kehlkopf und Hals, eventuell auch Brust und Siapular- 
gegend (nach vorheriger gründlicher Abseifung und stark 
frottirendem Abtrocknen) erwies sich mir in bisher 16 Fällen 
von Keuchhusten sehr nutzbringend. 

Ich bin mir wohl bewußt, daß zur Gewinnung von Re¬ 
sultaten eigentlich noch physiologische und klinische Ver¬ 
suche in größerem Umfange angestellt werden müßten, als es 
dem Praktiker möglich ist. Ich kann also nur auf Grund der 
therapeutischen Erfolge an dem mir zu Gebote stehenden, 
relativ bescheidenen Material urtheilen. Danach habe ich die 
Ueberzeugung gewonnen, daß das Mittel die sensibeln und 
vasomotorischen Nerven (Laryngeus sup. und Trigeminus) recht 
prompt beeinflußt, reiz- und krampfmildernd wirkt, die 
hypt römische Schwellung der Respirationsschleimhäute mildert 
und so direct auf die toxische Neurose einwirkt. Die Zahl 
der Anfälle setzte das Mittel bald auf 40%, zum Theil sogar 
auf 15% herab; gleichzeitig verringerte es deren Inten¬ 
sität, so daß die schweren Dyspnoe- und Suffocations- 
erscheinungen nicht zustande kamen. Damit aber wurde 
auch der sonst meist 4—6 Wochen umfassende Verlauf 
wesentlich abgekürzt, in nicht mehr ganz frischen, immer 
neuer Infection durch Geschwister ausgesetzten Fällen auf 
10—14 Tage, in völlig frischen sogar auf wenige Tage, so 
daß sich an einen kurzen Krampfhusten alsbald ein lockerer 
Katarrh schloß. In diesem Unterdrücken der spastisch- 
convulsivischen Paroxysmen möchte ich einen Hauptvorzug 
erblicken; denn dadurch unterblieben in meinen Fällen auch 
die sonst häufigen consecutiven Erscheinungen von Encepha¬ 
litis , Broncho-Pneuraonie etc., denen die zarten Kinder oft 
erliegen. 

Wichtig ist die Anwendung während des Initial¬ 
stadiums, denn nur in solchen Fällen gelingt es, die Per¬ 
tussis zu coupiren. 

Erwähnenswerth ist, daß das Difluordiphenyl weder 
giftig, noch in seiner Anwendung unangenehm oder von 
störenden Nebenwirkungen begleitet ist. Die leichte Anwend¬ 
barkeit beim Kinde ist um so bestechender, als jeder erfahrene 
Praktiker weiß, daß andere Manipulationen, z. B. Inhala¬ 
tionen , Zerstäubungen von Pulvern u. s. w. bei Kindern oft 
großem Widerstand und erklärlicher Ungeschicklichkeit be¬ 
gegnen. Die Einverleibung per os aber beeinflußt, ganz ab¬ 
gesehen von ihrer recht problematischen Wirkung, die Fun- 
tionen des Magens, zumal den Appetit oft sehr störend. 

Eine Panacee ist selbstverständlich auch diese Methode 
nicht. Die Aufgabe ist noch nicht gelöst, aber wenn man auf 
eine Reihe günstiger Fälle zurückblicken kann, doch der Lösung 
näher gebracht. Sie verdient vorurtheilslose Nachprüfung. 

Einige Cautelen seien noch erwähnt. Katarrhe er¬ 
schweren die Heilung, worauf man bei dem sonst unschäd¬ 


lichen Genuß freier Luft achten muß. Isolirung, Desinfection 
der Sputa, kräftige Ernährung sind auch für diese Methode 
selbstverständliche Bedingungen. Wesentlich unterstützt wird 
die externe Antitussinbehandlung durch innere Darreichung 
altbewährter, den Keuchhusten lindernder Hausmittel, zumal 
das Extr. Thymi, Castaneae vulg., Dorserae rotundifol. und 
dergleichen. Hingegen ist die örtliche Behandlung mit anti- 
bakteriellen Lösungen zur Zeit ausgeschlossen, da deren In¬ 
halation bei genügender Concentration der Mittel die Schleim¬ 
haut schwer schädigen würde. Das Einpinseln derselben würde 
aber sofort schwere Anfälle auslösen. Nach alledem ist die 
geschilderte Behandlung die schonendste und, wenn sie beim 
ersten Auftreten verdächtigen Hustens während einer Epide¬ 
mie in Thätigkeit tritt, als eine der erfolgreicheren zu be¬ 
zeichnen. 

Für vorgeschrittene, complieirte Fälle ist das Problem 
noch ungelöst und wird es wohl bleiben, bis uns die Bakte¬ 
riologie den Schlüssel bietet. 


lieber das Ulcus ventriculi, dessen Diagnose 
und Behandlung. 

Von Prof. Dr. S. E. Henschen in Stockholm. 

(Fortsetzung.) 

Besonderen Schwierigkeiten scheint die Diagnose bei 
nervösen oder hysterischen Personen zu begegnen; durch das 
heftige Erbrechen, die intensiven Schmerzen oft an begrenzten 
Stellen, welche bei Druck und Schütteln unter Anderem verstärkt 
werden, durch die enorme Hyperästhesie gegen Nahrungszufuhr 
gleichen diese Fälle vollständig einem Ulcusfall. Weiß der Patient 
anzugeben, daß auch Bluterbrechen vorausgegangen ist, dann 
scheint die Diagnose Ulcus berechtigt zu sein. In einem solchen 
schweren Fall, welcher der Behandlung vieler Aerzte ge¬ 
trotzt bat, wurde von Prof. Lenander die Laparotomie durch¬ 
geführt und hiebei weder ein Ulcus, noch Adhärenzen oder 
Zeichen von Pylorusstenose an getroffen. Ungeachtet der 
Gastroenterostomie ist eine Besserung nicht eingetreten und 
der Patient litt fortfahrend an enormen, unaufgeklärten 
Schmerzen und Erbrechen. Der Magensaft war normal. 

In anderen Fällen dagegen — solche habe ich einige be¬ 
sonders im laufenden Jahre gesehen — geschah eine Ver¬ 
wechslung in entgegengesetzter Richtung. Bei ähnlichen 
Symptomen wurde von gewissenhaften und wissenden Aerzten 
die Diagnose nervöse Dyspepsie gestellt auf Grund von 
schweren nervösen Störungen, welche gleichzeitig mit heftigen 
Schmerzanfällen aufgetreten waren, es lag jedoch ein wirk¬ 
liches Ulcus ventric. rot. vor. In einem solchen Falle, wo ich 
voraussetzte, daß ein Ulcus mit Perigastritis vorliege — be¬ 
sonders auf Grund der Hyperacidität — wurde auf mein Be¬ 
gehren die Operation vollzogen (Oper. Prof. Berg). Am 
Pylorus schimmerte der Boden eines Geschwüres durch und 
von demselben ging eine strangförmige Adhärenz zum unteren 
Rande der Leber. Trotz der Lösung derselben und der 
Gastroenterostomie besserte sich der Zustand des Patienten 
wenig, und es mußte der Bauch von neuem geöffnet werden, 
da die Symptome anscheinend infolge eines Diätfehlers an¬ 
hielten. 

Auch in einem zweiten Falle von vermutheter nervöser 
Dyspepsie wurde von mir die Diagnose Ulcus gestellt. Der 
Pat. drang bald auf seine Entlassung, mußte jedoch nach kurzer 
Zeit wieder das Krankenhaus aufsnehen; es trat Perforation 
ein und der Patient starb rasch. Es lag ein großes perforirtes 
Geschwür vor. 

Verwechslungen mit nervöser Dyspepsie können demnach 
noch verhängnißvoller sein. 

Erinnern wir uns, daß bei der sogenannten nervösen 
Dyspepsie oft Hyperchlorhydrie sich vorfindet, und daß das 
Ulcus sich auf einer solchen Grundlage mit besonderer Vör¬ 
ie 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 47. 


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liebe, besonders bei neuropatbiseben Individuen entwickelt, so 
ist leicbt einzusehen, daß Verwechslungen, welche für die Be¬ 
handlung des Patienten von Bedeutung sind, sich leicht ein¬ 
stellen können. Ueberhaupt trifft man da sehr oft entsprechend 
meiner Ueberzeugung auf große Schwierigkeiten, um zu ent¬ 
scheiden, wann gewisse Magenstörungen als nervös betrachtet 
werden können, oder ob sie als organisch begründete aufzu¬ 
fassen sind. Ich selbst habe mir es zur Regel gemacht, erst 
nach vollständiger Untersuchung des Magens, dessen Größe 
und Function, sowie nach genauer Untersuchung des ganzen 
Individuums zu erklären, daß eine nervöse Form der Magen¬ 
erkrankung vorliege. 

In der Mehrzahl der Fälle, welche mit dieser Diagnose 
zu mir kamen, habe ich organische Veränderungen vorge¬ 
funden — besonders oft Ektasien —, welche die Dyspepsie 
aufgeklärt haben. Die nervösen Symptome sind oft secundärer 
Natur und werden am ehesten durch die Behandlung der 
organischen Magenerkrankung günstig beeinflußt. 

Leube hatte das Glück, mit einer einzigen Ausnahme 
nicht einen Fall anführen zu können, in welchem die Diagnose 
Ulcus gestellt und nicht bestätigt worden ist. Ich habe ein 
solches Glück nicht gehabt. Wenn ich die zahlreichen Ob- 
ductionsbiUher durchsehe, so finde ich im Gegentheil nicht 
zu wenige Verwechslungen namentlich zwischen einem Ulcus 
und Cancer. Doch ist in den Fällen seltener die Diagnose Ulcus 
angesetzt, während Carcinom gefunden wurde. In 3 Fällen 
ist dies geschehen, ich habe Ulcus diagnosticirt, jedoch mit 
Cancer? und die Obduction hat in einem Fall einen Cancer 
des Magens und der Leber, in einem zweiten Gastritis mit 
Ekehymosen, in einem dritten Katarrh des Magens mit 
Erosionen und einer Narbe nach Ulcus erwiesen. In den 
letzteren zwei Fällen war demnach der diagnostische Fehler 
nicht gar zu groß. In einem Falle bei einem blühenden 
20jährigen Mädchen war die Diagnose unsicher; Cancer wurde 
als wahrscheinlich angenommen; die drohende Perforation 
veranlaßte die Laparotomie, es lag Cancer vor. 

Dagegen finde ich, daß ich in entgegengesetzter Rich¬ 
tung öfters gefehlt habe, d. h. ich habe Cancer angenommen, 
während ein Ulcus vorlag. Welches ist die Ursache dieses 
Fehlschlusses? Eine solche Verwechslung lag in 10 Fällen 
vor, eine im Verhältnisse zu den Todesfällen gewiß große 
Anzahl. Diese Ursache liegt nun in folgenden Umständen. 

Nicht weniger als 5 der Kranken haben das 68., alle 
das 40. Lebensjahr überschritten. Der Wegweiser, welchen 
man im vorgeschrittenen Alter ansieht, hat hier irregeführt. 
In 9 dieser Fälle — im 10. fehlt die Angabe — ist weiterhin 
verzeichnet, daß es sich um magere, oft ganz herabgekommene 
Individuen gehandelt hat, oft mit auffallender kachektischer 
Hautfärbung. In 5 Fällen fand sich vor oder wurde eine Re¬ 
sistenz mehr oder minder deutlich als vorhanden angenommen. 
Das war zumindest in 4 Fällen die Folge der ausgebreiteten 
perigastritischen Processe. Hat man da nicht, sollte man 
fragen, in der Beschaffenheit des Magensaftes einen sicheren 
Anhaltspunkt? Darauf kann ich nur antworten, daß in mehreren 
der angezogenen Fälle auf Grund der Blutung oder des be¬ 
drohlichen Zustandes des Patienten von einer gründlichen 
Untersuchung des Magensaftes abgesehen werden mußte. Bloß 
bei zweien konnte dieselbe vorgenommen werden, wobei es 
sich zeigte, daß in dem einen Falle — trotz wiederholter 
Untersuchung — freie Salzsäure sich nicht vorgefunden hat, 
in dem zweiten Falle war der Magensaft sauer, ohne jedoch 
ebenfalls freie Salzsäur e zu enthalten, dagegen fand sich 
Milchsäure vor. 

Daraus geht nun hervor, daß man in solchen Fällen 
entweder nicht Gelegenheit hat, den Magensaft zu unter¬ 
suchen, oder daß man hieraus keinen besonderen Nutzen ziehen 
kann. Es ist jedoch nicht ohne Interesse, diese Fälle näher 
zu studiren, um zu sehen, welche diagnostische Fehler be¬ 
gangen werden können. Man trifft hiebei auf ungeahnte Com- 
plicationen, 


In einem derselben wurde bei einem marastischen 
81jährigen Greise die Diagnose Cancer ventriculi gestellt, und 
bei der Obduction fand sich ein Ulcus mit einer Hyperplasie 
des Pylorus vor, welcher wohl als Cancertumor imponirt hat. 

In einem Falle — ein 71jähriges Weib —, wo die 
Diagnose Care, ventriculi, Peritonitis gestellt wurde, fanden 
sich nicht weniger als 6 Ulcera ventriculi und Perforation 
mit nachfolgender Peritonitis. 

In einem Fall — ein 69jähriger Mann — wurde die 
Diagnose Cancer ventr. et hepatis gestellt. Bei der Section 
fand sich ein Ulcus ventriculi oder eher Erosionen und ein 
primäres Lebercarcinom vor. 

Schließlich in einem anderen Fall mit der Diagnose 
Cancer ventric. wurde ein Ulcus und Cholelithiasis ange¬ 
troffen, welche die gelbe Farbe des Patienten veranlaßte, auf 
welche sich auch die Diagnose Cancer gestützt hat. Diese 
Fälle und die eben angeführte Analyse derselben zeigt uns, 
daß die Gegenwart einer Geschwulst nicht immer einen 
sicheren Anhaltspunkt für die Diagnose Cancer darbieten 
kann. Diese Tumoren beruhen oft auf perigastritischen Pro¬ 
cessen. Daß andererseits oft beim Vorhandensein einer Krebs¬ 
geschwulst der Tumor vermißt werden kann, ist ja allgemein 
bekannt, und nicht selten findet man nach Riegel eine Ge¬ 
schwulst, welche von einer Hypertrophie des Pylorus gebildet 
wird; auch in einem unserer Fälle ist eine solche Anmerkung 
im Obductionsprotokolle. Die Analyse zeigt weiter, daß die 
fortschreitende Abmagerung bei schweren Fällen von Ulcus 
recht oft vorgefunden wird, welche zum Tode führen zu¬ 
gleich mit ausgebreiteten Verwachsungen. Zeitweise findet man 
in einem solchen Fall ein cancerdegenerirtes Geschwür. 

Für die Differentialdiagnose zwischen Ulcus und Car¬ 
cinom müssen demnach alle Anhaltspunkte herangezogen 
werden. Besonders die Dauer des Leidens hat hier eine große 
Bedeutung; doch muß ich hier ganz gegen die allgemeine 
Auffassung als meine Meinung aussprechen, daß in der Regel 
beim Carcinom eine mehrere Jahre dauernde Dyspepsie dem 
manifesten Cancerstadium vorangeht. Auf ein nicht genügend 
beachtetes diagnostisches Moment will ich hier die Auf¬ 
merksamkeit hinlenken, nämlich auf das Vorkommen der 
Arteriosklerose beim Cancer, welche ein Ausdruck ist der 
chronischen Intoxication durch das Cancergift. Oft findet man 
hier eine Verstärkung des 2. Aortentones und nicht selten 
Herzhypertrophie. Zum Schlüsse finden wir nicht selten 
Fieber mit Endocarditis als Folge der septischen Resorption 
von der exulcerirten Canceroberfläche aus. Besondere Bedeutung 
hat das Auftreten von Hydrops, welches stark zu Gunsten 
des Carcinomes spricht. 

Daß bei alten marastischen Individuen auch Salzsäure 
oft fehlen kann, wurde schon oben angeführt. Kurz und gut, 
alle die gewöhnlichen Differentialsymptome zwischen Cancer 
und Ulcus können irreführen und man muß mit Grund zweifeln, 
ob die Forscher, welche glauben, daß sie immer und in allen 
Fällen das Ulcus richtig zu diagnosticiren vermögen , auch 
die betreffenden Obductionsprotokolle genau durchgesehen haben, 
wie ich es in Bezug auf meine Fälle gethan habe. 

Ein besonderes Interesse erfordert das Ulcus carcinoma- 
tosum, wo ein Cancer auf dem Grunde eines Geschwüres sich 
entwickelt. Hier wird zu Beginn Hyperchlorhydrie vorgefunden; 
wenn das Carcinom hinzutritt, tritt eine sichtbare Geschwulst 
hervor. Wenn nun die Hyperchlorhydrie fortbesteht, so liegt 
die Annahme zunächst, daß es sich um eine Cancerdegeneration 
handelt, insbesondere wenn kleinere Blutungen durch längere 
Zeit auftreten, zugleich mit Kräfteverfall , kachectischer 
Verfärbung etc. Nicht selten tritt hier Perforation auf. 
Leobe sah in einem Falle sechs Stunden nach der letzten 
Mahlzeit bei einem Patienten einen HCl-Gehalt von 0'2l%' 
In anderen Fällen wird nach Riegel der Salzsäuregehalt 
geringer, es tritt Subacidität, ja Anacidität auf. 

Mir selbst ist es gelungen, in einem oder dem anderen 
Falle auf Grund der Hyperchlorhydrie und der progressiven 


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Wiener Medizinische Presse. 


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Kachexie sowie der Art der Blutungen eine solche Umwandlung 
eines Geschwüres in eine Krebsgeschwulst richtig zu dia- 
gnosticiren. In anderen Fällen dagegen wurde die Annahme 
daß ein Ulcus in Krebs sich umwandelte, durch die Diagnose 
nicht bestätigt. Die unrichtige klinische Diagnose hat sich 
gestützt auf die auftretende Abmagerung, das Hervortreten 
einer Geschwulst in der Magengegend und das Verschwinden 
der Salzsäure sowie das eventuelle Auftreten von Milchsäure. 
Dies alles bei einem Patienten, wo auf Grund der Anamnese, 
des Alters und anderer Momente am ehesten die Veranlassung 
vorlag, ein Geschwür anzunehmen. Auf meinen klinischen Ab¬ 
theilungen in Upsala und Stockholm sind mehrere Fälle solcher 
Geschwürsumwandlungen in ein Carcinom zur Section gelangt; 
bei denselben waren folgende Umstände vorhanden: Ab¬ 
magerung, in der Regel Tumor, in einigen Fällen eine ver¬ 
schieden starke Empfindlichkeit im Epigastrium, in einem 
Falle kein Tumor. Was den Magensaft anlangt, war derselbe 
in einem Fall ziemlich reich an freier Salzsäure, in einem 
zweiten wurde eine mäßige Menge gefunden (Acid. 40), in 
2 Fällen wurde Salzsäure vermißt, in einem der letzteren war 
Milchsäure vorhanden (Acidität war hier 10). 

Wir ersehen hieraus, daß es nicht gar so leicht ist, eine 
sichere Diagnose auf Cancerdegeneration eines Ulcus zu 
stellen, wo doch vom praktischen Standpunkt diese Erkennung 
sehr wichtig wird, denn sobald die genannte Diagnose 
gestellt ist, ist die Indication für die Entfernung der Ge¬ 
schwulst gegeben, falls nicht andere Gegenanzeigen sich 
vorfinden. Von großer Bedeutung ist es hier anzugeben, daß 
eine Krebsgeschwulst, welche sich aus einem Geschwür ent¬ 
wickelt , große Neigung zu haben scheint, vielfach zu meta- 
stasiren, in der Leber, dem Peritoneum u. s. w. und ebenso 
auch durch die Wand durchzubrechen. 

Die beschränkte Zeit gestattet mir nicht, auf die Diffe¬ 
rentialdiagnose zwischen Ulc. ventr.,dem selteneren Ulc. duodeni, 
Cholelitbiasis oder Perityphlitis näher einzugehen, so wichtig 
diese Fragen auch für den Chirurgen sind. Dagegen kann 
ich es nicht unterlassen, hier einige Worte über die hämor¬ 
rhagischen Erosionen zu äußern, eine Krankheitsform, welche 
eine selbständige nosologische Bedeutung für sich beansprucht, 
aber noch nicht so feste klinische Contouren besitzt und daher 
gegenwärtig noch nicht genau erforscht ist. Das Studium 
dessen, was Einhorn , Pariser , Dieulafoy , Riegel u. a. be¬ 
schrieben haben, hat nicht von der Möglichkeit überzeugt, 
diese Krankheitsform sicher, wenigstens ohne wiederholte 
mikroskopische Untersuchung des Spülwassers, diagnosticiren 
zu können. Man darf nicht vergessen, daß diese von den ge¬ 
nannten Verfassern gestellte Diagnose eine rein klinische war 
und diese Fälle nicht zur Section gekommen sind, so daß wir 
uns hier auf sehr unsicherem Boden befinden. 

Ich habe meine übrigens nicht große Erfahrung nur vom 
Sectionstische, habe die klinische Diagnose einer Erosion nie 
gestellt, wohl dagegen im Falle einer solchen öfters Ulcus 
ventriculi angenommen. Entsprechend den Seetionsprotokollen 
finde ich nun in 10 Fällen verzeichnet: Erosion der Magen¬ 
schleimhaut. Es ist bemerkenswerth, daß solche Erosionen 
getroffen wurden in 3 Fällen von Tuberculose, 2 Fällen von 
Nephritis, zweimal bei Gehirnkrankheiten (Hämorrhagie und 
Tumor). einmal bei einer Pneumonie und bloß in einem ein¬ 
zigen Falle mit Gastritis. Da dürfte man wohl die Frage 
aufwerfen, ob die Erosion nicht eher die Folge eines All¬ 
gemeinleidens, einer Intoxication sei als der Ausdruck eines 
Localleidens; in einem Fall konnte ich beobachten, daß die 
Erosion sich entwickelt hat aus einigen erbsengroßen sub- 
mucösen Hämatomen, welche an der Oberfläche exulcerirt 
sind, andererseits scheint sich ein Ulcus wiederum aus der 
Erosion entwickeln zu können. Was nun die klinischen 
Charaktere anlangt, sei ein Fall verzeichnet, der auf meiner 
Abtheilung nicht behandelt wurde, wo plötzlich der 
Tod eintrat und man bei der Obduction eine Reihe 10 Oere- 
stückgroßer runder Erosionen vorfand. 


In diesem Falle war auch Purpura vorhanden, also 
eine Blutkrankheit mit vermehrter Permeabilität der Ge¬ 
fäße. In einigen Fällen wurde während des Lebens Empfind¬ 
lichkeit und Erbrechen, jedoch kein Bluterbrechen constatirt. 
In einem Falle glich der Symptomencomplex vollständig dem 
beim Ulcus; der Pat. hatte oft Blut oder kaffeesatzartige 
Massen erbrochen, Blut zeigte sich in den Fäces und der 
Pat. wies eine Empfindlichkeit am Bauche auf. Auf Grund 
dieser Symptome stellte ich die Diagnose Ulcus ventriculi, 
während sich bei der Section außer Schrumpfniere starke 
Injection der Schleimhaut mit zahlreichen kleinen Blutungen 
und Erosionen im Darme vorfand; daß diese Veränderungen 
mit der Nephritis im Zusammenhang standen, ist wohl außer 
Zweifel. Auch in einem zweiten, ähnlichen Fall wurde die 
Diagnose Ulcus gestellt. Hieraus geht hervor, daß die Errosion 
auch lebensgefährliche Blutungen veranlassen kann, wovon 
auch die ausländische Literatur zahlreiche Beispiele mittheilt. 
Mit Rücksicht auf einen eventuellen chirurgischen Eingriff 
sei die Multiplicität der Erosionen erwähnt. Es scheint 
unter Hinweis auf die Gefahr, welche solchen Erosionen 
für den Patienten innewohnt, nicht ganz rathsam, bloß der 
Diagnose wegen Abschabungen der Magenschleimhaut mit 
dem Schlauch vorzunebmen, um die möglicherweise abgelösten 
Epithelfetzen untersuchen zu können. 

Die Erosion entwickelt sich anscheinend aus der Ekchy- 
mose oder dem begrenzten Hämatom. In 14 Fällen finden 
sich solche Ekchymosen verzeichnet. Es ist nun auffallend, 
daß in 5 Fällen sich Tuberculose, in 2 Fällen mit Nephritis, 
als Todesursache vorfand, 5 Falle litten an Nephritis (ohne 
die zwei mit Tuberculose verzeichneten), weiters war bei 
2 Fällen eine Gehirnhämorrhagie (l Fall mit Eclampsie), ein 
Fall hatte eine Pneumonie, ein anderer Meningitis und nur 
ein einziger litt an chronischer Gastritis. Es zeigte sich dem¬ 
nach , daß auch die Ekchymose auf der Basis einer allge¬ 
meinen Intoxication beruht; ihr Vorkommen bei der Gehirn¬ 
hämorrhagie deutet speciell auf eine Brüchigkeit der Gefäße hin, 
welche ja auch bei der Hämoptyse der Tuberculosen eine Rolle 
spielt. Bloß in einem einzigen Fall war eine locale Magen¬ 
erkrankung, chronische Gastritis, vorhanden. In Bezug auf 
die klinischen Zeichen sei hier bemerkt, daß auch bei Ekchy¬ 
mosen einmal die Diagnose Ulcus (Cancer?) gestellt wurde 
auf Grund der nagenden Schmerzen , sauren Aufstoßens und 
Erbrechens, Abmagerung und Abwesenheit von HCl. Blut¬ 
erbrechen fand sich auch nicht in einem einzigen Falle vor. In 
einigen anderen Fällen hatte ein Theil ungewisse, auf ein 
Ulcus hindeutende Symptome, wie größere Empfindlichkeit im 
Epigastrium und Erbrechen mit saurem Aufstoßen. Wir ersehen 
hieraus, daß auch Ekchymosen nicht selten ihre Symptome 
haben, und daß diese zumeist denen beim Ulcus gleichen. 

Zum Schlüsse noch einige Worte, betreffend die ver¬ 
narbten Magengeschwüre. Man trifft nicht selten gewisser¬ 
maßen als zufälligen Befund bei der Obduction verheilte Magen¬ 
geschwüre. Eine Narbe in der Schleimhaut, zeitweise eine 
Verdickung des Bindegewebes oder ein Strang im Peritoneal¬ 
überzug gibt uns die Stelle an , wo das Ulcus früher seinen 
Sitz hatte. 

In 14 Fällen wurden solche vernarbte Geschwüre ge¬ 
funden. In 6 Fällen wurde wiederum Lungenphthise, in drei 
Fällen Nephritis und in je einem Fall Perityphlitis, Vitium 
cordis und Tumor cerebri zugleich vorgefunden. Es fällt 
daher auf, daß gerade bei Tuberculose und Nephritis relativ 
so oft ähnliche Geschwüre angetroffen werden, gleichwie auch 
Erosionen und Ekchymosen. 

Durchmustern wir die Krankengeschichten dieser Fälle, 
so finden wir, daß dieselben nicht selten von vorausgegangener 
Dyspepsie uns Bericht geben. Einzelne wurden sogar zu dieser 
Zeit als Magengeschwür oder Magenkatarrh behandelt. In 
einigen Fällen sind nur Symptome einer mäßigen Dyspepsie 
vorausgegangen, oder es haben auch die Patienten angegeben, 
sie seien stets ganz gesund gewesen. 

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Wir finden daher, daß das Ulcus ventrieuli oft unter 
geringen Krankheitssymptomen auftritt, aber oft ein Prodromal¬ 
symptom der Phthise darstellt, oft auch im Verlaufe dieser 
Krankheit sich bildet. 

Stellen wir alle diese Funde von Ekchymosen, Ero¬ 
sionen und Ulcera zusammen, so scheint es. als würden sie 
eine Entwicklungsserie bilden, in deren Aetiologie die tuber- 
culöse oder nephritische Intoxication in auffallendem Grade 
hervortritt, wiewohl man nicht andererseits unbeachtet lassen 
kann, daß die letztgenannten Krankheiten in jedem Kranken¬ 
hause eben sehr häufig sind. Dennoch sprechen die That- 
sachen dafür, daß das Ulcus ventrieuli auf einer constitu¬ 
tione] len Basis beruht und nicht bloß eine locale Magen¬ 
erkrankung darstelit. ein Schlußsatz, welcher für die Behand¬ 
lung eine besondere Bedeutung gewinnt. (Schluß folgt.) 


Referate. 

Thiel (Rheydt): Operativ geheilte Schußverletzung bei¬ 
der linken Lungenlappen. 

Ein 40jähr. kräftiger Mann schoß sich in selbstmörderischer 
Absicht eine 7 Mm. Revolverkugel in die linke Brust. Beim Ein¬ 
treffen im Spitale bestand starke Blutung aus der im 2. Inter- 
co8talraum gelegenen Einschußöffnung, heftige Dyspnoe, frequenter, 
noch leidlicher Puls. Die Diagnose Lungenverletzung stand fest, 
zweifelhaft war, ob eine Interoostalarterie oder das Pericard mit 
verletzt war. Da die Blutung nicht gestillt werden konnte, wurde 
zur Rettung des Pat. vom Verblutuugstode in Chloroforranarkose 
die Operation vorgenommen : 

Ein ca. 20 Cm. langer Schnitt eröffnete den Brustraum im 

2. Intercostalraum; Resection der 2. und 3. Rippe in derselben 
Ausdehnung. Arterie und Pericard unverletzt, hingegen im Ober¬ 
lappen ein Schußcanal, aus dem fortwährend Blut ausströmte. Zwei 
tiefe Umstechungen mit Catgut brachten die Blutung zum Stillstand. 
Der Schußcanal im Unterlappen blutete wenig; Compression genügte 
zur Blutstillung. Das Projectil war im Thoraxraura nicht zu findeu, 
es steckte irgendwo in der dicken Rückenmusculatur und wurde vor¬ 
derhand darnach nicht gesucht. Tamponade der Pleurahöhle mit 
einem Gazestreifen. Naht der Wunde. Pat. war nach der Operation 
ganz collabirt; an der Radialis war kein Puls zu fühlen. Wegen 
der Gefahr der Nachblutung wurde erst 33 Stunden p. o. eine 
Kochsalzinfusion gemacht, worauf sich der Puls besserte. Am 

3. Tage wurde der erste Verbandwechsel, am 8. der zweite vor¬ 
genommen ; nach 5 Wochen war die Wunde bis auf eine kleine 
Granulationsfläche geheilt. 

Bei dieser Gelegenheit theiltVerf. eine sehr interessante Beobach¬ 
tung, die er an diesem Falle machte, mit („Centralbl. f. Chir.“, 
1902, Nr. 35); so oft er nämlich den collabirten, an der Wirbel¬ 
säule gelegenen Luugenlappen anzog oder aus dem Pleuraraum 
heraushob, besserte sich die Dyspnoe bedeutend. Die Erklärung 
dieser Thatsache liegt in der durch den Zug an der Lunge be¬ 
dingten Fixation des Mediastinums. Das Mediastinum wird bei jeder 
Inspiration nach der gesunden Seite hin eingezogen, da infolge 
der Eröffnung der Pleurahöhle der ganze atmosphärische Druck 
auf demselben ruht; dadurch wird die Excursion der gesunden 
Lunge beeinträchtigt; die Fixation des Mediastinums erleichtert 
daher die Dyspnoe. Erdheim. 

Tansini (Palermo): Ableitung des portalen Blutes durch 
die directe Verbindung der V. portae mit der 
V. cava. 

Trotz der vielen Versuche war bis nun kein auf den Men¬ 
schen anwendbares operatives Verfahren vorhanden, welches die 
Ableitung des Blutes aus der Vena portae in rascher und sicherer 
Weise gestattet. Bei der TALMA’schen Operation geschieht diese 
Ableitung nur allmälig und unvollständig. 


Verf. hat ein Verfahren erdacht und am Hunde mehrfach 
ausführen lassen, welche seiner Meinung nach („Centralbl. f. Chir.“, 
1902, Nr. 36) auch geeignet wäre, am Menschen ansgeführl zu 
werden. Das Verfahren beruht in Anlegung einer endseitlichen 
(terminolateralen) Anastomose zwischen V. portae und V. cava. Die 
beiden Gefäße werden ein Stück weit freigelegt, dann wird mittelst 
Gummi überzogener Klemmen die temporäre Blutstillung ausge- 
führt. Die V. portae wird dann am Leberhilus unterbunden und 
abgeschnitten und das abgeschnittene Ende in eine zwischen beiden 
Klemmen angelegte Oeffnung der V. cava eiugenäht. Nachdem eine 
fortlaufende Naht, die sogar bis in die Lichtung der Gefäße reichen 
kann, die beiden Gefäße an einander befestigt hat, werden die 
Klemmen abgenommen und die Circulation kommt sofort in Gang, 
was an der Farbe der Gedärme zu erkennen ist. 

Mehrere der operirten Thiere überlebten die Operation, 
gediehen dann bei reichlicher Fütterung gut und setzten sogar 
Fett an. Bei der Obduction eines 2 1 /. 2 Monate nach der Operation 
getödteten Thieres konnte Verf. die vollkommene Verbindung beider 
Gefäße und den neuen Umlauf des Blutes feststellen. Erdheim. 


M. Kaufmann und L. Mohr (Frankfurt a. M.): Beiträge zur 
Alloxurkörperfrage und zur Pathologie der Gicht. 

Die Harnalloxurkörper setzen sich aus einem endogenen und 
exogenen Bestandtheil zusammen („Deutsches Arch. f. klin. Med.“, 
Bd. 74, H. 1 u. 2). 

Den endogenen Antheil lernen wir dadurch kennen, daß wir 
dem Organismus nur uucleinfreie Nahrung zuführen ; er wird re- 
präsentirt durch die Alloxurmenge, die der Organismus aus sich 
selbst durch Nucleineinschmelzung bildet, soweit sie überhaupt aus¬ 
geschieden wird, bezw. weiterer Oxydation entgeht. Der endogene 
Alloxurwerth ist nicht ein Ausdruck des Nucleinhungers, sondern 
nur der Einschränkung der Nucleinzersetzung auf das nothwendige 
Mindestmaß. Durch Calorienüberfütterung kann man, wenigstens in 
einzelnen Fällen, den endogenen Alloxurwerth noch weiter herab¬ 
drücken; es scheint dadurch Kerneiweiß gespart zu werden. 

Der endogene Alloxurwerth ist eine individuelle Größe. 

Die Menge des exogenen Alloxurantheils richtet sich nicht 
nur nach der Art des nueleinhaltigen Nahrungsmittels, sondern 
auch nach der momentanen Disposition des Individuums. L. 


Hugo Lüthje (Greifswald): Ueber die Wirkung von Sali- 
cylpräparaten auf die Harnwege etc. 

In keinem von 33 untersuchten Fällen, in denen Salicyl- 
präparate verabreicht wurden , fehlten im Harn nach der Dar¬ 
reichung des Präparates pathologische Bestandtheile; sehr häufig 
war Eiweiß vorhanden, fast constant größere Mengen von Epithe- 
lien aus allen Abschnitten des Harnapparates, sehr häufig weiße 
und rothe Blutkörperchen, constant Cylinder verschiedener Art 
und Cylindroide. Das Erscheinen dieser pathologischen Bestand¬ 
theile schloß sich in unverkennbarer Weise dem Zeitpunkt an, von 
welchem ab das Salicyl gegeben wurde; die Wiederkehr normaler 
Verhältnisse erfolgte in kürzerer oder längerer Zeit nach Aussetzen 
des Präparates (14 Tage bis 3 Wochen). Es tritt demnach — 
ganz allgemein ausgedrückt —• nach Gebrauch von Salicyl in den 
für den Menschen üblichen Dosen regelmäßig eine nicht unerheb¬ 
liche Reizung der gesammten Harnwege, speciell aber auch der 
Nieren ein. 

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Salicylsäure 
an sich der Träger der schädigenden Wirkung ist („Deutsches 
Archiv f. klin. Med.“, Bd. 74, H. 1 u. 2). Das Vorkommen von 
Cylindern im Harne Gesunder gehört zu den größten Seltenheiten. 
Das Salicyl setzt auch an anderen Stellen des Harntractes, nicht 
bloß an den Nieren, Reizungserscheinungen mit desquamativem 
Charakter. L. warnt daher vor jedem chronischen Gebrauch irgend¬ 
welcher Salicylpräparate. G. 


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2137 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 47. 


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Prokop (Prag): Vergiftung* durch Essigsäure. 

Verf. berichtet über einen Fall von Vergiftung mit Essigsäure, 
der auf der Klinik des Professors Maixner beobachtet wurde. 

Im besprochenen Falle waren nicht nur locale Anzeichen zu 
verzeichnen, sondern auch allgemeine gut charakterisirte Symptome, 
sowie Albuminurie und eine mäßige Leukocytose („Sbornik klinicky“, 
Bd. IV, H. 1). Als Folge der Aetzung wurde eine nicht erhebliche 
Strictur des Oesophagus constatirt, die nach mehreren Tagen nach 
einer regelmäßigen Sondenuntersuchung zum Vorschein kam. 

Stock. 


Otto Henssen (Saarbrücken): Ueber saccadirtes Athmen. 

Saccadirtes Athmen ist meist nachweisbar im Pulsrhythmos 
abgesetzt. Pulsrhythmisch abgesetztes Athmen ist oft ein Zeichen 
von Hyperämie des betreffenden Lungenabschnittes („Deutsches 
Arch. f. klin. Med.“, Bd. 74, H. 1 u. 2). 

Pulsrhythmisch abgesetztes Athmen ist vielfach Resterschei¬ 
nung vorangegangener entzündlicher Vorgänge der Lunge oder 
Pleura oder läßt noch bestehende entzündliche Vorgänge benach¬ 
barten (Lungen-) Gewebes vermuthen. G. 

Wanach (St. Petersburg ): Ueber die BRUNS’sche Airol- 
paste. 

Verf. hat („St. Petersburger mcd. Wschr.“, 1902, 18. Oct.) 
die von Bruns empfohlene Airolpaste (bestehend aus Airol 5‘0 mucil. 
gummi arab., Glycerin aa. 10 0 Bol. alb. q. s. u. f. pasta mollis) mit 
Vortheil in der Wundbehandlung angewendet und gefunden , daß 
dieselbe durchaus geeignet ist, den Bindenverband in vielen Fällen 
zu verdrängen. Die Anwendung ist sehr einfach. Man trägt die 
Paste mit einem Spatel dick auf die genähte Wunde und drückt 
eine dünne Schicht Watte darauf. Die Paste haftet sofort fest an 
wie guter Kitt und schmiegt sich in jedes Hautfältchen. Am Tage 
nach der Application ist die Paste mit der Watte und dem etwa 
durchgesickerten Blute zu einer festen Platte eingetrocknet, die 
aber — und das ist ein ganz wesentlicher Punkt — hygroskopisch 
bleibt, im Gegensatz zum CoIIodium, das wegen seiner Undurch- 
läßlichkeit unbrauchbar ist. Nach 4—8—14 Tagen (so lange hält 
die Paste ebenso sicher wie im Anfänge) kann man gewöhnlich 
das ganze Stück im Zusammenhänge abnehmen, ohne Beschwerden 
für den Kranken und wieder im Gegensätze zum Collolium. Die 
Paste haftet an der Haut etwa in der Art wie fest gewordener 
Kitt am Glase. Stichcanaleiterungen gehören zu den größten Selten 
heiten und selbst wenn hie und da etwas Eiterung auftritt (beim 
Nähen von Kopfwunden unsauberer Individuen), wird das Secret 
dauernd aufgesogen und es kommt nicht zu tiefen Eiterungen längs 
den Stichcanälen. Vor dem Einflüsse des Speichels, des Nasen- 
secretes, des Harns schützt die Paste vollständig genügend. Auch 
bei Gastrostomien bleibt der genähte Tlieil der Wunde reactions- 
los. Sehr werthvoll ist es auch, nach Laparotomien den Leib für 
die Untersuchung frei zu halten, ohne daß man durch einen Ver¬ 
band gehindert ist oder diesen zu lüften braucht. Die hygrosko¬ 
pischen Eigenschaften der Paste gehen so weit, daß Excoriationen, 
oberflächliche Verbrennungen, reine oberflächliche Wunden, ja sogar 
reine Granulationsflächen ebenso schön heilen wie etwa unter dem 
trockenen Blutschorf. Nie ist eine Reizung der Haut durch die 
Paste entstanden. Artificielle Ekzeme heilen oft unter einem einzigen 
Pasten verband. W. empfiehlt daher den ausgedehnten Gebrauch der 
BRUNs’schen Airolpaste. N. 

R. Bylsma (Middelburg, Holland): Hemeralopie und Leber¬ 
präparate. 

B. theilt 2 Fälle von Hemeralopie mit, in welchen er nach 
Darreichung von Hammelleber Heilung beobachten konnte („Wschr. 
f. Ther. u. Hyg. d. Auges“, 1902, 16. Oct.). 

Der erste Fall betraf einen 16jähr. Knaben mit sonst voll¬ 
kommen normalem Augenbefund. Nur im Dunkelzimmer ergab sich 
eine sehr bedeutende Hemeralopie (Nachtblindheit). Pat. erhielt 


250 Grm. gebackene Hammelleber pro die und weiter nichts. Nach 
15 Tagen war der Pat. wieder ganz hergestellt. 

Auch im zweiten Falle, einen löjähr. Feldarbeiter betreffend, 
war neben der Hemeralopie kein einziges Symptom einer Augen¬ 
krankheit. Nachdem der Kranke 5 Tage 250 Grm. gebackene 
Hammelleber pro die eingenommen hatte, konnte er als gesund 
betrachtet werden. 

In beiden Fällen war die Hemeralopie ohne bekannte Ursache 
aufgetreten. —j. 


Rudolf Lederer (Tepiitz): Ueber traumatischen Enoph- 
thalmus und seine Pathogenese. 

Auf Grund einer sehr sorgfältigen und fleißigen Zusammen¬ 
stellung von 52 Fällen aus der Literatur — darunter genaue Be¬ 
schreibung zweier selbst durch längere Zeit beobachteter Fälle — 
versuchte L. („Arch. f. Ophthalmologie“, Bd. 53, II. 2), aus der 
Gesammtheit der bisher bei dieser Krankheitsform beobachteten 
Erscheinungen eine Erklärung für das Zustandekommen derselben 
zu suchen. Unter Eoophthalmus traumaticus versteht man jenen 
Zustand, bei welchem im Anschlüsse an Traumen der Augapfel 
innerhalb der Augenhöhle dauernd zurückgesunken 
gefunden wird. L. stellt sich den Vorgang nun folgendermaßen 
vor: Die Verletzung führt zunächst zu einer, sei es directen, sei 
es fortgesetzten, oder indirecten Fractur der Orbital wände. Diese 
hat einen Bluterguß in das orbitale Gewebe zur Folge mit Zer¬ 
reißung desselben und nachfolgender Narbenbildung, welche ihrer¬ 
seits zur Retractiou des Augapfels führt. Theils auf directe gleich¬ 
zeitige Läsion der einzelnen Orbitalgebilde durch die Blutung, 
eventuell auch durch Knochenfragmente, theils aber auf die Mit¬ 
leidenschaft der den Orbitalwänden jeweils benachbarten Gebilde 
bei der Vernarbung der Orbitalwandbrüche sind alle die mannig¬ 
faltigen Begleiterscheinungen des traumatischen Enophthalmus zu¬ 
rückzuführen. Bondi (Iglau). 

Guillery (Köln): Ueber die Kalktrübung der Hornhaut 
und ein Verfahren zu ihrer Aufhellung. 

G. geht von der Annahme aus („Arch. f. Augenheilkunde“, 
XLIV, 4, 1902), daß es sich bei der Kalktrübung der Hornhaut 
vorwiegend um Bildung von Calciumalbuminat handle. Dieses wird 
durch Salmiak, welches in schwachen Lösungen (an Thieren ver¬ 
sucht) gut vertragen wurde, gelöst. Das Verfahren besteht im 
Baden des verletzten Auges in einer 2°/ 0 igcn, etwas gewärmten 
Lösung von Salmiak. Das Auge wird unter Cocainanästhesie mehr¬ 
mals täglich eine halbe Stunde lang in diesem Augenwasser ge¬ 
badet. —i. 

Rogozinski (Krakau): Ueber die physiologische Resorp¬ 
tion von Bakterien aus dem Darme. 

Verf. unterzog einerseits bei Thieren, die mit einer fettreichen 
Nahrung gefüttert worden waren, 4—5 Stunden nach der Fütterung 
den Chylus und die mesenterialen Lymphdrüsen einer bakteriolo¬ 
gischen Untersuchung, andererseits wurden bei 7 mit großen 
Mengen von Saprophyten gefütterten Hunden die Mesenterialdrüsen 
und das Blut in gleicher Weise untersuch^,. Hiebei bediente sich 
Verf. mit Vortheil eines einfachen Anreicherungsverfahrens (Ein¬ 
legen der Drüsen in Bouillon und Stehenlassen bei 37°) und unter¬ 
warf die Drüsen auch einer histologischen Untersuchung. Auf diesem 
Wege gelangte Verf. zu dem Schlüsse, daß thatsächlich stets und 
normalerweise eine Resorption der Darrabakterien erfolgt und 
daß die Mesenterialdrüsen dieselben an dem Einbruch in die Blut¬ 
bahn hindern. Verf. glaubt, daß diese physiologische Resorption 
von Darmbakterien eine Reihe strittiger pathologischer Fragen 
klären könne. Gleichzeitig macht Verf. eine Reihe von Einwänden 
gegen die Arbeiten anderer Autoren (Porcher und Desoubry, 
Neisser, Opitz) geltend, die zu widersprechenden Resultaten ge¬ 
langt sind. Dr. S—. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 47 


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Kleine Mittheilungen. 

— Studien Uber die paralytische Form der Vergiftung durch 
Muscheln (Mytilus edulis L.) publicirt Thesen („Arch. f. exp. 
Path. u. Pharm.“, Bd. 47, H. 5 u. 6). Das Krankheitsbild verlief 
in 8 vom Verf. beobachteten Fällen unter der paralytischen Form 
der Muschelvergiftung, indem sich rapid periphere Lähmungs¬ 
erscheinungen entwickelten, die bei zwei Patienten im Verlaufe 
einiger Stunden durch Lähmung der Athmung den Tod herbei¬ 
führten, während die übrigen sich rasch wieder erholten. Zum 
Nachweis des Giftes in den Muscheln stellte Verf. eine Reihe von 
Thierversuchen mit subcutanen Injectionen der Extracte der Muscheln 
an. Dabei ergab sich, daß zur Zeit des Unglücksfalles alle dem 
inneren Ilafenbassin entnommenen Muscheln eine außerordentlich 
starke Giftigkeit besaßen, während die Muscheln anderer benach¬ 
barter Plätze eine geringere Giftigkeit aufwiesen. Einige Wochen 
später änderten sich die Giftigkeitsbefunde wesentlich, und zwar 
nahm die Toxicität an den meisten Plätzen rasch ab, um sich 
circa 2 Monate später überall vollkommen zu verlieren. Weitere 
Versuche beschäftigten sich mit den Bedingungen, unter welchen 
die Muscheln giftig werden, und es gelang der Nachweis, daß 
Muscheln in Aquarien nicht allein Curare und Strychnin aus dem 
umgebenden Wasser aufnehmen können, sondern auch das paraly- 
sirende Muschelgift, und daß sie auf diese Weise sehr giftig 
werden, ohne selbst ein äußeres Zeichen der Vergiftung darzubieten. 

— Aus einer Reihe von Beobachtungen über deu Einfluß 
des Fettes auf die Aceton- und Säureausscheidung beim Dia¬ 
betiker folgert Grube („Zeitschr. f. diätet. u. physikal. Therapie“, 
Bd. VI, H. 2), daß sowohl bei der leichten wie bei der schweren 
Form des Diabetes die Acetessigsäure und die Oxybuttersäure 
durch den Fettgehalt der Nahrung beeinflußt werden. Schweinefett 
(Speck) übt in gewissen Mengen gar keinen Einfluß auf die Aus¬ 
scheidung, dagegen in bedeutendem Grade Butter und in zweiter 
Reihe Rahm. Für die Praxis ist die Frage von Wichtigkeit, ob 
die Fettzufuhr beim Diabetes, wenigstens bei bestimmten Formen 
der Erkrankung, zu beschränken, bezw. ganz auf den Index, der 
zu vermeidenden Nahrungsmittel zu stellen sei. Diese Frage glaubt 
Verf. einstweilen verneinen zu müssen, einmal weil mit dem Verbot 
der Fettzufuhr die an und für sich schon sehr schwierige Er¬ 
nährung des Diabetikers noch mehr erschwert würde, vor Allem 
aber auch, weil die Bedeutung der Fette für die Acidosis, d. li. 
für die dem typischen diabetischen Koma wahrscheinlich zugrunde 
liegende Stoffwechselstörung noch nicht genügend festgestellt ist. 
Es muß sich vielmehr bei den zum Koma führenden Fällen von 
Acidosis wohl um eine Zersetzung der im Körper aufgespeicherten 
oder aus Eiweiß und Kohlehydraten gebildeten Fette handeln. 
Verf. empfiehlt in Fällen, in denen die Säurebildung hohe Werthe 
angenommen hat, die Fettzufuhr einzuschränken. 

— Die Publication „Nähr- und Eisenmittel mit Erfahrungen 
über Eisensomatose“ von H. Suchannek („Deutsche Praxis“, 1902, 
Nr. 14) umfaßt die Erfahrungen des Autors mit Leguminose, 
Hämatogen, Nutrose, Plasmon, Tropon und Somatose. Sie lehrt 
uns, daß die Ferrumpräparate einen gewissen „Eisengehalt“ be¬ 
sitzen müssen, um wirksam zu werden. Ihre Hauptindication finden 
sie bei Chlorose. Zu den zweckmäßigsten Mitteln dieser Kategorie 
gehören von den nicht alkoholischen Präparaten das Carniferrin- 
Höchst und die Eisensomatose-Bayer. 

— Ueber die Pastilli jodo-ferrat. comp. Jahr liegen einige 
Gutachten vor, welche die Nützlichkeit dieses Präparates illustriren. 
So hat Parenski in Krakau diese Pastillen angewendet bei Scro- 
phulosen, verbunden mit Anämie, bei allgemeiner Schwäche und 
Neigung zu Katarrhen der Luftwege und war in jedem einzelnen 
Falle mit der Wirkung zufrieden. Auch Trzebicky hat die Jodo- 
Ferrat.-Pastillen mit Erfolg gebraucht. Diese Combination ist bequem 
in der Darreichung und von gutem Gesehmacke und geeignet, die 
meist schlechtschmeckenden Leberthrane und den Syrupus ferri 
jodati zu ersetzen. Turzanski hat die Jodo-Ferrat.-Pastillen vielfach 
bei anämischen Kindern angewendet. Die Kinder nahmen an Körper¬ 
gewicht zu, der Appetit besserte sich. Von eminenter Wichtigkeit 
und ein großer Vorzug anderen Präparaten gegenüber ist, daß 


die Kinder die Pastillen infolge ihres Wohlgeschmackes sehr gerne 
nahmen, deren Verabfolgung wiederholt verlangten und trotz der 
gewöhnlichen Diät keine Darmerscheinungen darboten. 

— Die Behandlung der Stagnation im Magen kann nach 
SouPAUiiT („Sociötö de Therapeutique“, 1902) intern oder chirur¬ 
gisch sein. Die interne Behandlung besteht in allgemeiner physischer 
und psychischer Ruhe; in hochgradigen Fällen ist völlige Bettruhe 
indicirt. Schonung des Magens erzielt man in schweren Fällen 
durch 24—48stündige Nahrungsentziehung, in weniger ernsten 
Fällen durch Milch- und Mehlsuppendiät. Von Medicamenten sind 
Alkalien und Bismuth. subnitr. anzuwenden. Olivenöl scheint nicht 
die günstigen Erfolge zu zeitigen , die man davon erhofft hatte. 
Warme Compressen wirken außerordentlich beruhigend. Endlich 
ist zweimal wöchentlich die Sondirung des nüchternen Magens 
früh Morgens vorzunehmen, ohne Magenausspülung. Mit dieser 
internen Behandlung erzielt man in vielen Fällen günstige Resul¬ 
tate ; sie schafft dem Pat. für kürzere oder längere Zeit Erleichte¬ 
rung, ohne ihn radical zu heilen. Recidive sind fast die Regel, 
besonders bei denjenigen Kranken, die gezwungen sind, einer 
ermüdenden Beschäftigung obzuliegen; die Rückfälle kommen 
schließlich* in immer kürzeren Zeiträumen wieder. Als radicale 
Behandlung kann nur die chirurgische gelten. In allen Fällen 
besteht eine Ulceration, die secundär eine Contraction des Pylorus 
hervorruft; die Interraittenz dieser spastischen Contracturen erklärt 
die Remissionen und die Anfälle, welche bei den Kranken auf- 
treten. Nach der Gastroenterostomie nehmen die Kranken an 
Körpergewicht zu und erlangen sehr rasch ihre Kräfte wieder. 
Die subjectiven Beschwerden verschwinden und kehren auch nicht 
wieder, wenn die Kranken ihre anstrengende Beschäftigung wieder 
aufnehmen oder sich Excesse hinsichtlich der Diät erlauben. Nur 
die objectiven Erscheinungen bleiben häufig unverändert, der 
Magensaft bleibt oft hyperacid uud Dilatation wie Stagnation 
gehen nur langsam zurück. 

— Bei Appendicitis empfiehlt G. Bjorkmann („Merck’s 
Archiv“, 1901) Duotal, und zwar täglich 4 Pulver zu je 
0*5 Grm. (Rp. 20 Pulver 0 5 Grm. Duotal). Das Duotal hat sich 
bei Enteritis und bei gewöhnlicher Diarrhoe nach Diätfehlern als 
ganz vortreffliches, äußerst angenehmes Darmantisepticum bewährt. 
Bei Durchfall täglich 4mal 1—2 Grm. In 3 Fällen eiternder 
Appendicitis, in denen die Patienten durchaus chirurgische Hilfe 
verweigerten, hat Verf. ausgezeichnete Resultate erzielt mit täglich 
zweimaligen Einreibungen von Unguentum Cred6. Die Ein¬ 
reibungen sind gründlich auf der Brustgegend, jedoch niemals auf 
der Unterleibsgegend auszuführen (Rp. Unguenti Cred6 12 Grm.) 
Ein Viertel dieser Menge 45 Minuten lang Morgens und Abends 
in die Brust- oder Rückenhaut einzureiben, nachdem die Haut 
gründlich mit Seife und warmem Wasser gereinigt worden ist. 

— Ueber die Einwirkung des Alkohols auf den Stoff¬ 
wechsel des Menschen hat Clopatt einen durch 36 Tage fort¬ 
gesetzten Selbstversuch ausgeführt („Berliner klin. Wschr.“, 1902, 
Nr. 39). Die Hauptergebnisse dieses Versuches waren: Der Alkohol 
hat nicht nur stickstofffreie Nahrungsstoffe, sondern, nachdem der 
Körper sich an denselben gewöhnt hat, auch Eiweiß gespart. Der 
Alkohol hat keine nachweisbare Wirkung auf die Resorption der 
Nahrungsstofle im Darme ausgeübt. 

— Ueber Anreicherung der Tuberkelbacillen im Sputum 
berichtet Robert Königstein („Wr. klin Wschr.“, 1902, Nr. 33). 
Aus seinem Berichte folgt: Jedes tuberkelbacillenhaltige Sputum 
enthält lebende und vermehrungsfähige Tuberkelbacillen. In jedem 
tuberkelbacillenhaltigen Sputum können Tuberkelbacillen binnen 
Stunden zum Wachsthum gebracht, angereichert werden. Das Vor¬ 
gehen ist in vielen Fällen dem Thierversuch überlegen, vermag 
denselben vielfach zu ersetzen. Die Nachprüfungen der Angaben 
Hesse’s durch Fucker, Jochmann, Roemer und Frankel gelangten 
zu Resultaten, welche mit den Schlüssen des Autors nicht voll¬ 
ständig übereinstimmen, sich aber im wesentlichen mit ihnen 
decken. Die Versuche des Autors führen zu folgendem Resultat: 
Heyden-Agar und Heyden-Bouillon sind elective Nährböden für 
die Tuberkelbacillen. Die Anreicherung der Tuberkelbacillen im 
Sputum gelingt regelmäßig. Nicht alle Bacillen im Sputum sind 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 47. 


2142 


vermehrungsfähig. Zusatz von Menschenblut zum Nährboden be¬ 
günstigt die Entwickelung der Tuberkelbacillen nicht. Der Schleim 
ist ein wesentlicher Factor bei der Anreicherung der Tuberkel¬ 
bacillen im Sputum auf dem HESSE’schen Nährboden. 

— Die abführende Wirkung des Phenolphtalein fand 
v. VÄMOSSY („Therap. d. Gegenw.“, 1902, Nr. 5). Er ließ Pastillen 
verfertigen, die als Baby-Purgen für Kinder und Purgen für Er¬ 
wachsene in den Handel gebracht werden. Bei Säuglingen wird 
1 / 2 —1, bei Erwachsenen 1—3 Stück , bei habitueller Obstipation 
Morgens und Abends 1 Pastille gegeben. Diese Tabletten sind zu 
0'05 und 0‘1 Grm.; für liegende Kranke sind solche zu 0’5 Grm., 
und zwar 1—2 Stück zerkaut zu nehmen. Das Präparat läßt sieh 
bereits 6—8 Stunden nach Einnahme im Harn nachweisen, indem 
dieser mit 2°/ 0 iger Kalilauge eine Rosafärbung gibt. Unterberg 
hat das Präparat in der ersten medicinischen Klinik zu Budapest 
bei 120 Kranken angewandt. Er fand, daß es ein mildes, angenehm 
schmeckendes, genügend sicher wirkendes Mittel ist, das in seiner 
Wirkung den Sulfaten ähnelt, keine Nebenwirkungen hat und die 
Nieren nicht reizt. ,Es ist indicirt, wenn ein schnell und mild 
wirkendes Mittel gebraucht wird oder ein solches durch längere 
Zeit, wenn andere Mittel Erbrechen verursachen und wenn die 
Darmperistaltik geschont werden soll. Bei Enteroptose, Darm¬ 
muskelparese ist die Wirkling zweifelhaft, ebenso bei Patienten, 
die Mißbrauch mit starken Mitteln getrieben oder lange Opium 
und Morphium genommen haben. 


Literarische Anzeigen. 

Leitfaden der Psychiatrie. Für studirende der Medicin. 
Von Prof. Dr. E. Mendel. Stuttgart 1902, Ferdinand Enke. 

Verf. hat sich die Aufgabe gestellt, demjenigen, der die 
Klinik besucht, die Möglichkeit zu geben, den dort demonstrirten 
Fall in das Gesammtgebiet der Psychiatrie einzufügen und die 


Feuilleton. 

Mittel und Wege zur Einschränkung der 
Geschlechtskrankheiten. 

Von Dr. Walther Bienenstock, gew. Secundararzt des 
k. k. Allgemeinen Krankenhauses in Wien. 

Seit Jahrtausenden wird das Menschengeschlecht durch die 
Tubereulose decimirt. Seit jeher war Aerzten und Laien die In- 
fectiosität dieser Krankheit bekannt. Trotzdem verharrten Regie¬ 
rungen und obrigkeitliche Behörden in einer unbegreiflichen Indolenz, 
nirgends machte sich auch nur die geringste Initiative bemerkbar, 
die furchtbarste Seuche der Menschheit einzudämmen. 

Nun wird es wohl anders werden. Das österreichische 
Ministerium des Inneren hat sich endlich seiner hygienischen 
Pflichten erinnert und einen ausführlichen Erlaß herausgegeben. 

Seit Jahrtausenden wird das Menschengeschlecht aber auch 
durch die venerischen Krankheiten heimgesucht. 

Nun wird wohl auch der Kampf gegen die Syphilis und die 
übrigen Affectionen energischere und zweckmäßigere Formen an¬ 
nehmen. Hier sind die Unterlassungssünden eigentlich noch viel crasser. 
Denn hier wurde factisch seit 3 Jahrtausenden ein hartnäckiger Kampf, 
wenn auch mit unzulänglichen und oft ungeeigneten Mitteln geführt. 

Wir stehen noch heute officiell auf dem Staudpunkte des 
Pariser Reglements vom Jahre 1828! 

Die Errungenschaften der letzten 74 Jahre, die Entdeckung 
des Gonococcus, die Constatirung der Infeetiosität der latenten 
Lues etc. haben bisher keinen Wandel zu schaffen vermocht. 

Ein einziger Pestfall in irgend einem europäischen Hafen 
alarmirt den ganzen Continent; den Krankheiten, welche still, aber 
umso sicherer wüthen, setzt man eine Indolenz entgegen, die man 
allenfalls vom Bauer gewohnt ist, der ja auch nur bei acuten Er¬ 
krankungen den Arzt für nötbig hält. 


Lücken, welche die Klinik in einer kurz begrenzten Zeit selbst¬ 
verständlich lassen muß, auszufüllen. Er ist dieser Aufgabe voll¬ 
kommen gerecht geworden. Die Anordnung des Stoffes ist in praktischer 
Hinsicht durchaus zweckmäßig, klar und übersichtlich, die Dar¬ 
stellung einfach und verständlich. Der „Leitfaden der Psychiatrie 14 
kann dem Studirenden und auch dem Arzte zur raschen Orientirung 
bestens empfohlen werden. F. 

Die Localanästhesie und ihre Verwendung in der 
zahnärztlichen Praxis. Von Dr. H. Thiesing. Leipzig 
1902, Arth. Felix. 

Der Verf. bespricht iu seiner mit Fleiß und Sorgfalt durch¬ 
geführten Arbeit die verschiedenen Methoden der Localanästhesie 
durch thermische und mechanische Reize, durch Elektrieität und 
Chemikalien, und so wird aus der Abhandlung eine nur zu be¬ 
gründete Vertheidigungsschrift der localen Injectionsanästhesio. Die 
verschiedenen Präparate werden der Reihe nach bezüglich der 
Wirkungsweise, Giftigkeit und Gefährlichkeit, Anwen lungsart und 
Dosirung geprüft und besprochen. Am geeignetsten erscheinen das 
Zeta-Eucain und das Tropacocain ; Thiesing empfiehlt zur wässe¬ 
rigen kochsalzhältigeu Lösung einen geringen Zusatz von Cocain, 
das durch die gefäßverengernde Wirkung eine eventuelle Nach¬ 
blutung verhindern soll; er verwendet Lösungen von verschiedener 
Concentration (Eucain-Z. 0 2—3 00; Tropacocain PO—3 , 00%) : 
die schwächeren Lösungen dienen zur Extraction der Milchzähne, 
der Schneidezähne und lockerer Wurzeln etc.; concentrirtere 
Lösungen sollen bei der Extraction von unteren Molaren uud von 
Eckzähnen, sowie bei Fällen von acuter Periodouitis zur Verwen¬ 
dung kommen. 

Thiesing’s kleine Arbeit ist in ihrer Klarheit und präcisen 
Darstellung recht geeignet, die Ansichten über den Werth der 
vielen, auf den Markt geworfenen Präparate zu klären, und daher 
jedem Specialarzt und praktischen Arzt bestens zu empfehlen. 

D. D. S. 


Es geht zwar momentan ein schöner, ethischer Zug durch 
unsere Zeit: Die Erziehung zur Abstinenz, zur Keuschheit bis zur 
Ehe. Es gibt nichts Höheres und Edleres als dieses Ziel. Väter 
und Mütter, Priester und Lehrer, vor allem aber die Aerzte sollten 
sich zu Propheten dieser Lehre aufwerfen, dieselbe predigen 
und verkünden. Wenn beide Gatten keusch in die Ehe treten 
und einander treu bleiben, ist jede Geschlechtskrankheit ausge¬ 
schlossen. Bis dieses Ideal aber erreicht ist, hat die Hygiene und Pro¬ 
phylaxe das Wort, und es wäre direct ein Verbrechen, den Dingen 
einfach ihren Lauf zu lassen. 

Je intelligenter die Jugend ist, desto leichter wird sie sich 
zur Abstinenz erziehen lassen. Gibt es hiebei nebst dem Hinweise 
auf Moral und Tugend ein zweckmäßigeres und wirksameres Hilfs¬ 
mittel als die Kenntniß der Geschlechtskrankheiten in ihrer ganzen 
ekelerregenden Widerwärtigkeit und ihrer eminenten Ansteckungs¬ 
gefahr? Ob die Zukunft Anderes, Besseres bringen wird als die Ver¬ 
gangenheit? Wer mag es behaupten? 

Seit mehr als 3 Jahrtausenden wird das weibliche Geschlecht 
zur Keuschheit erzogen, un i trotzdem gibt es überall , in allen 
Welttheilen, in aller Herren Länder Prostituirte, heute ebenso wie 
im Alterthum und Mittelalter. Die Prostitution ist eben unausrott¬ 
bar. Der Verbrennungstod der Prostituirten bei den alten Hebräern, 
die Peitschungen unter Karl dem Großen, das Abschnoiden der 
Nase und Einbrennen eines Brandmales unter Kaiser Friedrich 
Barbarossa, die Hinrichtungen unter Ludwig IX. von Frankreich, 
die strengen Gesetze der Kaiserin Maria Theresia etc. etc., sie 
alle haben die Prostitution nicht zu vernichten vermocht. Alle 
diese strengen Maßnahmen hatten lediglich eine Zunahme der ge¬ 
heimen Prostitution und stets auch damit eine Steigerung der 
Syphilisinfectionen im Gefolge. 

Aber auch Moses (1330 v. Chr.), welcher der Prostitution 
durch Gesetze Schranken setzte, uud Solon (594 v. Chr.), der zuerst 
staatliche Bordelle errichtete, waren nicht imstande, der Prostitution 
und mit ihr der venerischen Erkrankungen Herr zu werden. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 47 


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Wohl bietet die Syphilis von heute nicht mehr so schwere 
Symptome dar wie im 16. Jahrhundert, in dem noch primäres, 
secundäres und tertiäres Stadium ohne zeitliche Intervalle in ein¬ 
ander Übergängen — sei es, daß wir durch die Syphilis unserer 
Urahnen relativ immunisirt sind, sei es, daß das Contagium selbst 
im Laufe der Jahrhunderte an Virulenz einbüßte. Trotzdem ist es 
bis heute nicht gelungen, die Frequenzziffer der Syphilis herabzu¬ 
drücken. 

Lasse man doch endlich die Weltgeschichte Lehrmeisterin 
sein, profitiren wir von der Vergangenheit und betreten wir von 
nun an neue Bahnen. Haben die alten Maßregeln trotz der 
3000 Jahre langen Bemühungen nicht das gewünschte Resultat 
ergeben, so sind doch neue wenigstens des Versuches werth ! 

Auf die Frage: Ist die gegenwärtige Organisation der ärzt¬ 
lichen Ueberwachung der Prostitution verbesserungsfähig, hat Pro¬ 
fessor Finger in seinem Referate gelegentlich der Internationalen 
Conferenz zur Prophylaxis der Syphilis und der venerischen Krank¬ 
heiten zu Brussel (1900) in glänzender und erschöpfender Weise 
Antwort gegeben. Von den neuesten Autoren, die vorher schon zu 
dieser Frage Stellung genommen, sieht auch Ströhmbeug (1899) das 
beste Remedium in einer gewissenhaften, auf der Höhe der Zeit 
stehenden ärztlichen Controle der Prostituirten und vor allem in 
der stetig fortschreitenden „Hebung des Sittlichkeitsgefühles des 
heute noch immer polygynisch veranlagten Mannes“. 

Hülsmeyer (1892) verlangt die Errichtung von Staatsbordellen. 
Er fordert, daß nur gesunde Mädchen in dieselben aufzunehmen 
wären, sagt aber nicht, wie man die Klippe der latent Luetischen 
umschiffen könne, so daß also nicht einmal dieser eine Punkt der 
ganzen Prostitutionsfrage erschöpfend behandelt ist. 

Man bilde sicli nicht ein, daß man einen Zustand, der so 
lange dauert, als die menschliche Geschichte reicht, der stets nur 
desto ärgere Dimensionen annahm, je strengere Maßnahmen man 
gegen ihn ergriff, durch ein Machtwort beseitigen, respective seiner 
Gefährlichkeit entkh iden könne. Prostituirte sind zum großen 
Theile degeuerirte, ethisch defi'cte, arbeitsscheue, vagabundirende 
Individuen mit dem Stigma der UnVerbesserlichkeit. Von 462 Pro¬ 
stituirten , die zu 75% gleichzeitig Diebinnen waren, gelang es 
einer einzigen, dauernd ihrem Gewerbe zu entsagen (Ströhmbeug, 
Dorpat). 

Aber mit der genauen ärztlichen Untersuchung der Prostituirten, 
selbst mit der Errichtung von Bordellen ist die Infectionsgefahr 
noch lange nicht beseitigt. Was nützt es, daß die kranken Prosti¬ 
tuirten eliminirt werden, wenn andere dafür frisch inficirt werden 
und einen neuen Ausgangspunkt für eine frische Reihe von Er¬ 
krankungen bilden ? 

Was nützt es, daß die Prostituirten controlirt werden, wenn 
die geheime Prostitution, unbewacht, oft unter dem Mantel der 
Tugend ihr Wesen treibt und gesundheitlich vielfach größeren 
Schaden anrichtet als die polizeilich geduldete? 

Da bleibt logischer Weiße nichts anderes zu fordern übrig 
als die Controlirung aller Individuen, die notorisch nicht monandrisch, 
respective raonogynisch veranlagt sind, id est mit dürren Worten, 
die ärztliche Untersuchung aller „unsoliden“ Frauenzimmer, aber 
auch die ärztliche Controle der Männer. Und es ist eigentlich 
zum Staunen, daß sich die Frauenbewegung noch nicht dieses 
Gebietes bemächtigt hat, zum Staunen, daß es wohl eine Vereini¬ 
gung der „Abolitionisten“ gibt, welche die ärztliche Untersuchung 
eines weiblichen Geschöpfes als überhaupt diffamirend ausehen und 
deshalb ganz perhorresciren, daß sich aber die Frauen noch nicht 
organisirt haben, um die Controle der Männer durchzusetzen. 
Allerdings darf man darunter nichts Zwangweises, nichts mittel¬ 
alterlich Hartes verstehen. 

Nicht in dem Sinne, daß das Angeber- und Spitzelthum seine 
wildesten Orgien feiere, daß eine Anzeige genüge, um jedes weib¬ 
liche Geschöpf oder den ehrsamsten Ehemann zum Controlarzte 
wie zum Henker zu schleppen. 

Sowie man seine Kleider, seiue Schuhe, seine Wäsche 
revidirt, um sie rechtzeitig in Stand setzen zu lassen, weil es doch 
eine „Schande“ ist, zerrissen oder defect einherzugeheu, so müßte 
sich jede und jeder, der auf einen außerehelichen Coitus angewiesen 


ist, von Zeit zu Zeit seinem Hausarzte oder dem Arzte seiner 
freien Wahl präsentiren, ob nicht auch seine Gesundheit etwa 
defect sei. Zum Zahnarzte läuft ja heute schon jeder ein paarmal jähr¬ 
lich, damit das liebe Ich nur ja nicht einen Zahn verliere —, aber 
seinen Nebenmenschen und oft noch gerade denjenigen, der einem 
den höchsten Beweis leidenschaftlicher Zuneigung gewährt, unglück¬ 
lich, oft für Jahre hinaus krank zu machen, das ist erlaubt, dafür 
gibt es heute noch keinen Strafgesetzparagraphen, das duldet der 
Staat. Ja, die liebe Moral, das heilige Schamgefühl verbieten einem 
ja, von so abscheulichen Dingen auch nur zu sprechen ! 

Daß jede Prostituirte innerhalb dreier Jahre inficirt wird, daß 
die Männer zu 12% luetisch sind, daß so viele junge Frauen schon 
in der ersten Zeit ihrer Ehe die verschiedenen Heilbäder, wie 
Franzensbad, Hall etc. aufsuchen müssen, was liegt darau? Moral 
und Schamgefühl müssen nach außen hin hochgehalten werden, 
auch wenn alles darüber zugrunde geht. Und immer müssen als 
Sündenböcke die Prostituirten herhalten. Die jungen Ehefrauen 
wurden krank, weil ihre Männer als unschuldige Jünglinge von den 
Prostituirten verführt wurden. Darum zur Hölle mit dem Sündenpfuhl ! 

Hier machte die Logik jedesmal halt. Ein Schritt weiter 
und die Frage wäre klar zutage gelegen: Ja, woher holen sich 
diese verdammenswerthen Frauenzimmer ihre Krankheiten? 

Ganz einfach, von den kranken Männern! 

Soll man wirklich annehmen, daß die polizeiärztliche Controle 
von heute deswegen so lächerlich einseitig und unzulänglich sei 
und die Männer ganz aus dem Spiele lasse, weil bis heute unsere 
Gesetzgeber und Hygieniker nur Männer waren? Oder nahm man 
lediglich den kleinlichen Standpunkt ein : Wer das Sündengeld mit 
seinem Leibe verdient., möge auch den Schaden tragen ? 

Und dabei sind wir heute riesig vorgeschritten und tolerant, 
oh, sehr tolerant. Früher wurden die Prostituirten gepeitscht, ge- 
brandmarkt, verbrannt. Heute werden sie ja sogar polizeilich ge¬ 
duldet, man verlangt bloß, daß sie sich zweimal wöchentlich einer 
ärztlichen Controle unterziehen. Die Prostituirten sind die Ausge¬ 
stoßenen der menschlichen Gesellschaft. Von den Frauen sind sie 
gehaßt und verachtet, den Männern nur gut zum Spielzeug und 
zur Befriedigung ihrer sinnlichen Gelüste, aber dann wie eine aus¬ 
gepreßte Citrone weggeworfen und mißachtet. In vielen Fällen die 
illegitimen Sprößlinge von Alkoholikern, ohne Mutterliebe, ohne 
elterliche Aufsicht, ohne Erziehung aufgewachsen, nicht zur Arbeit 
angehaltcn , nicht wissend, was Pflichtgefühl, unfähig, einen Beruf 
auszuüben, führen diese bedauernswerthen Geschöpfe ein zügelloses 
Leben, das durch uuzulängliche Nachtruhe, Alkohol- und Nicotin¬ 
mißbrauch, oft noch zerrüttet durch venerische Affectionen, leicht 
der Tuberculose zum Opfer fällt. 

Mag man sie nun classificiren, wie man will, von den normalen, 
sittlich veranlagten Menschen differenziren, sie zwischen Verbrecher 
und Irrsinnige stellen: in jedem Falle begeht der Staat eine schwere 
Unterlassungssünde, der sie in keiner Weise vor den Gefahren 
ihres polizeilich geduldeten Berufes schützt und bewahrt, sie mit¬ 
leidlos jeden Tag, jede Stunde einer Infection durch den ersten 
Besten preisgibt. 

In Hinsicht der ärztlichen Controle hätten wir Europäer schon 
läugst von den Chinesen lernen können. Dort werden die sich 
prostituirenden Mädchen von alten Weibern gehalten, welche die 
männlichen Besucher auf ihren Gesundheitszustand untersuchen. 

Also Controle der Männer, das ist es, was uns fehlt! 

Schüchtern wurden solche Versuche vor einigen Jahren in 
großen Bordellen Belgiens gemacht. Die männlichen Besucher wurden 
hei ihrem Eintritte folgendermaßen ärztlich controlirt: 

Eine etwa % Qu.-Meter große Oeffnung in der W T and gestattete 
dem Arzte die Inspection des Unterleib.-s und der Oberschenkel, 
während das Gesicht des Besuchers unsichtbar und dessen Incognito 
gewahrt blieb. 

So wenig eine derartig unvollständige Untersuchung den ge¬ 
wissenhaften Arzt befriedigen konnte, war trotzdem, wie die Ge¬ 
sundheitsausweise zeigten, ungemein viel damit gewonnen. Trotzdem 
hat diese Art der Ueberwachung nur wenig oder keine Nachahmung 
gefunden. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 47. 


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Für Cisleithanien, wo die Prostituirten zumeist selbständig 
wohnend ihr Gewerbe ausüben, ist diese Methode überhaupt un¬ 
durchführbar. 

Wie ist eine Remedur zu schaffen? 

Durch eine ständige ärztliche Controle der Männer. 

Die Incubationsdauer der Syphilis beträgt 14—21, die der 
Gonorrhoe 5, die des Ulcus molle 3 Tage. 

Ein heute als gesund befundener Mann kann am nächsten 
Tage bereits ein Symptom dieser drei Atfectionen darbieten, ohne 
daß dem untersuchenden Arzte wegen des negativen Befundes vom 
vergangenen Tage ein Vorwurf gemacht werden könnte. 

Die Infectionsgefahr ist selbstredend umso geringer, je häufiger 
die Untersuchung vorgenommen wird, am geringsten bei einer am 
selben Tage vorgenommenen genauen ärztlichen Inspection. 

Da eine zu häufige Untersuchung der Männer aus den ver¬ 
schiedensten Gründen, vor allem aus Zeitmangel, einem zu heftigen 
Widerstande begegnen würde, dürfte es sich empfehlen, eine wöchent¬ 
lich einmalige Visitation am Samstage vorzunehmen; in der ersten 
Woche eines jeden Monates wären zwei Visitationen angezeigt. 

Das Rationellste wäre es wohl, wenn sich jeder Mann un¬ 
mittelbar vor einem in Aussicht genommenen Coitus oder doch 
1—2 Tage früher dem Arzte präsentiren würde. Mit der Controle 
am Samstag dürfte diese Forderung bei einer großen Zahl zutreffen. 

Gewiß vollzieht sich der Geschlechtsact nicht mit der Regel¬ 
mäßigkeit einer astronomischen Uhr. 

In den ersten Tagen des Monates, an denen Commis, Beamte, 
Officiere etc. einen ganzen Monatsgehalt in der Tasche haben, sind 
Nachtcafös, Tanzunterhaltungen, Vergnügungslocale, Bordelle etc. 
viel lebhafter besucht, die Laune daselbst eine viel übermüthigere 
und tollere als gegen Ende des Monates. 

Für Fabriksarbeiter, Handwerker etc., welche wöchentlich 
entlohnt werden, sind Samstag und Sonntag die der Venus und 
dem Bacchus geweihten Tage. Ist die regelmäßige ärztliche Controle 
der Männer als solche eine Utopie? Beim Militär ist die vierzehn¬ 
tägige Visitation ja bereits eingeführt. Von da bis zur ärztlichen 
Controle der Arbeiterheere in den Fabriken ist nur ein Schritt. 
Dann würden die Hochschulen und die zwei letzten Jahrgänge 
der Mittelschulen folgen, selbstverständlich unter peinlichster Rück¬ 
sichtnahme auf das Schamgefühl und bei strengster Wahrung des 
ärztlichen Amtsgeheimnisses. 

Fehlerquellen und Mängel werden wir immer und überall mit 
in den Kauf nehmen müssen. Prostitution und Syphilis sind unaus¬ 
rottbar ; wir wollen beide bloß beschränken und sie nach Thun- 
lichkeit ihrer Gefährlichkeit entkleiden. 

Kann man die armen, von ihrem erbärmlichen, unsicheren 
Gewerbe lebenden Prostituirten zwingen, sich wöchentlich 2—3mal 
ärztlich visitiren zu lassen, wobei sie doch selbst das ärztliche 
Honorar zu entrichten haben, so darf man auch von den Männern 
eine monatlich 5—ömalige Untersuchung verlangen, bei denen das 
Honorar oft keine, jedenfalls eine kleinere Rolle spielt. 

Der Vorgang würde sich folgendermaßen darstellen : 

Jeder Mann, der den außerehelichen Beischlaf auszuüben ge¬ 
zwungen ist, besitzt ein Gesundheitsbuch oder eine Gesundheitskarte, 
klein, in handlicher Form, etwa wie die Jahreskarten der Wiener 
Tramway. Er stellt sich 5—6mal monatlich seinem Hausarzte, 
respective Cassenarzte vor, der ihn auf Geschlechtskrankheiten 
untersucht und das Resultat mit Datum und Unterschrift in das Buch 
einträgt. Dieses Buch dürfte allerdings weder mit Namen, noch mit 
dem sonstigen Nationale des Besitzers versehen sein, was ja leicht 
zu manchen Unzukömmlichkeiten führen könnte, es würde einfach 
mit der Photographie des Inhabers ausgestattet sein und die Iden¬ 
tität dadurch ein wandsfrei feststellen. 

Wenn alle Männer oder doch die größere Hälfte mit einem 
Gesundheitsbuche ausgestattet wäre, würde es auch keine Schande 
sein, ein solches zu besitzen. Im Gegentheile. Denn im Erkran¬ 
kungsfalle wird das Buch vom Arzte zurückbehalten und erst 
nach vollendeter Genesung wieder ausgefolgt (bei Lues bis zur 
Möglichkeit des Coitus mit latent luetischen Prostituirten). 

Der Mangel des Buches allein würde dann schon seine Wir¬ 
kung thun, zum mindesten den Verdacht einer Affection erregen. 


Zweifelsohne wird es öfters Vorkommen, daß die Prostituirte 
nicht nach dem Gesundheitsbuche fragt, sei es, weil sie mit der 
Zeit geizt, sei es, weil sie gerade Geld benöthigt und froh ist, 
überhaupt einen Besucher gefunden zu haben. Dann haben es eben 
die Betreffenden mit sich selbst auszumachen, wenn sie ihre Ge¬ 
sundheit erst in letzter Linie berücksichtigen. 

Der Staat aber hätte seine Pflicht gerade den Ausgestoßenen 
gegenüber erfüllt. Es ließe sich einwenden : Die Prostituirten 
stehen ja unter polizeiärztlicher Controle und besitzen Gesundheits¬ 
bücher. Trotzdem läßt sich bei weitem nicht jeder Gast das Buch 
vorweisen. Und wenn man es verlangt, stößt man nicht selten auf 
Ausflüchte, selbst wenn die Prostitujrte den Vermerk „gesund“ 
vorweisen kann. 

Die Ursache hievon ist die Furcht, das Incognito lüften zu 
müssen. Namen und Alter gibt auch die Gefallene nicht gerne preis. 

Würden die Puellae publicae gleichfalls mit Büchern ausge¬ 
stattet, die kein Nationale, sondern lediglich die Photographie der 
Besitzerin enthielten, würden sie sich selbst beeilen, das Gesund¬ 
heitsattest vorzuweisen. Eventuell könnten die Prostituirten mit 
2 Büchern , einem mit Nationale für den Arzt und einem mit der 
Photographie für die Besucher versehen sein. 

(Fortsetzung folgt.) 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 14. November 1902. 

EM. ULLMANN stellt eine 40jähr. Frau vor, bei welcher er 
eine Resection der Leber wegen Gumma ausgeführt hat. 
Pat., welche zweimal abortirt, 4 todte und 3 lebende Kinder ge¬ 
boren hatte, empfand seit mehreren Jahren Schmerzen in der Leber¬ 
gegend, wo ein faustgroßer, höckeriger Tumor nachweisbar war, 
welcher der Leber angehörte. Wegen der hochgradigen Anämie 
der Frau wurde nicht erst eine probeweise Schraiercur vorge¬ 
nommen , sondern eine Laparotomie ausgeführt. Die Geschwulst, 
ein Gumma, war ins Lebergewebe eingebettet; die Leber wurde 
etappenweise im Gesunden resecirt und die Blutung durch An¬ 
heften der Bauchwand an die Schnittfläche gestillt. Es erfolgte 
Heilung. 

S. EHRMANN führt zwei Frauen und einen Mann mit Tuber- 
culiden vor. Bei den Pat. fiuden sich zahlreiche Knötchen in der 
Haut von Hanfkorn- bis Erbseugröße und darüber, welche zuerst 
flach, dann elevirt, blaßroth und später livid gefärbt sind; 
schließlich bildet sich eine centrale Nekrose in Form schwarzer 
Krusten aus. Die Ausheilung erfolgt unter Narbenbildung. Histo¬ 
logisch findet man eine Infiltration und oberflächliche Nekrose der 
Haut, ferner Phlebitis, manchmal auch Thrombose der subcutanen 
Venen. Die Efflorescenzen localisiren sich meist an den hervor¬ 
ragenden Stellen der Extremitäten, können aber am ganzen Körper 
Vorkommen, die Erkrankung dauert Monate oder Jahre und zeigt 
Exacerbationen oder Remissionen. Man nimmt als Ursache des 
Leidens eine Fernwirkung von Tubereulintoxinen oder eine Ein¬ 
wirkung modificirter (vielleicht abgetödteter) Tuberkelbacillen, eine 
Mischinfection oder die Einwirkung anderer nekrotisirender Ein¬ 
flüsse an. Bei einem der vorgestellten Kranken finden sich Drüsen¬ 
schwellungen und Tuberculose in der Ascendenz. Bei dem demon- 
strirten Manne besteht neben dem Tuberculide der Extremitäten 
ein typischer Lupus erythematodes im Gesichte. Vortr. hat bereits 
7 Fälle von Tuberculiden gesehen und mahnt die Internisten, auf 
das Vorkommen des Leidens bei Tuberculose zu achten. 

Fr. Mracek hat bereits im Jahre 1889 einen Pat. mit Tuberculiden und 
Lupus erythematodes vorgestellt. 

J. Neumann erklärt die Atfection als einen Lupus erythematodes, 
welcher an den Extremitäten ein anderes Aussehen, nämlich das des Tuber- 
culides hat. Letzteres wandelt sich später in typische Lupusefflorescenzen um. 

S. Ehrmann bespricht die Differentialdiagnose des Tuberculides 
gegenüber ähnlichen Affectionen und bemerkt, daß die Knötchen des ersteren 
auch extrafolliculär Vorkommen. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 47. 


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A. Frh. V. ElSELSBERG demonstrirt ein 16jähr. Mädchen, bei 
welchem er den Defect eines Nasenflügels durch 
Transplantation eines Stückes der Ohrmuschel ge¬ 
deckt hat. Der Defect des rechten Nasenflügels war nach wieder¬ 
holter Paquelinbehandlung eines daselbst sitzenden Angioms ent¬ 
standen. Vörtr. hat ein Stück aus dem oberen Tlieile der rechten 
Ohrmuschel excidirt und frei an der Stelle des fehlenden Nasen¬ 
flügels eingenäht. Der cosmetische Effect ist sehr gut. Das Ver¬ 
fahren hat Fr. König zum erstenmale angewendet. 

HUGO Frey stellt zwei Männer vor, bei welchen er einen 
otitischen Hirnabsceß operirt hat. Bei dem ersten Pat. 
stellten sich nach jahrelangem Bestehen einer Otitis Kopfschmerz, 
Fieber, leichte Nackensteifigkeit, Steigerung der Reflexe, Ptosis, 
maximale Dilatation der rechten Pupille und Hemianopsie ein. Es 
würde die Trommelhöhle, in welcher sich Eiter und Cholesteatom¬ 
massen fanden, ausgeräumt, das cariöse Tegmen tympani aufge¬ 
meißelt und daselbst die mißfärbige Dura eröffnet. Als in den 
Schläfelappen eingestochen wurde, stürzte eine große Menge Eiters 
heraus. Nach Entleerung der apfelgroßen Eiterhöhle verschwanden 
die cerebralen Symptome. Nach 3 Monaten Heilung. Beim zweiten 
Kranken, bei welchem die Erscheinungen des Hirnabscesses in Kopf¬ 
schmerz, Fieber, Verwirrtheit Schwindel, Lichtstarre der Pupillen, 
Miosis und in leichter Parese der rechten Extremitäten bestanden, 
wurde nach vergeblicher Punction des Schläfelappens ein walnu߬ 
großer Absceß im Kleinhirn gefunden. Nach der Operation stellten 
sich Pulsarhythmie, Verlangsamung und Vertiefung der Athmung, 
ferner Glykosurie ein, welche 14 Tage anhielt, worauf noch längere 
Zeit Assimilationsstörungen bestanden. Bei zweifelhafter Locali- 
sätion eines Hirntumors dürfte Glykosurie für einen Proceß in der 
hinteren Schädelgrube sprechen. 

Vict. Hanimerschlag betont, daß ein Eitergebalt des durch Lumbal- 
punction gewonnenen Liqnor cerebrospinalis keine Contraindication gegen einen 
operativen Eingriff bei Hirnabsceß bilden dürfe. Es besteht in solchen Fällen 
nicht immer eine Meningitis, sondern der Eiter kann aus dem Abscesse 
stammen. 

Gust. Alexander weist darauf hin, daß das Ergebniß der Lumbal- 
pnnction allein nicht die Directive für das operative Eingreifen bilden kann, 
fordert jedoch ein weiteres Studium der Frage. 

Ferd. Alt bemerkt, daß nur ein solcher Ausfall der Lumbalpunction, 
welcher für tuberculöse Meningitis spricht, eine Contraindication gegen die 
Operation bilde. 

Vict. Hammerschlag citirt 2 Fälle von geheilter tuberculöser Menin¬ 
gitis nach Eröffnung der Schädelhöhle. 

H. LAUBER stellt eine 30jähr. Frau mit familiärer Opti¬ 
cus atropliie vor. Pat. hatte normales Sehvermögen; seit einem 
halben Jahre sinkt dasselbe stetig, so daß es jetzt auf das Finger¬ 
zählen beschränkt ist. Bei 4 Geschwistern der Frau ist das Leiden 
in derselben Weise aufgetreten. Die Untersuchung ergibt retro¬ 
bulbäre Neuritis. Die Krankheit tritt gewöhnlich um das Puber¬ 
tätsalter auf, nach , / 2 — 1 Jahre ist gewöhnlich nur ein geringer 
Rest des Sehvermögens erhalten, welches dann entweder stationär 
bleibt, in Amaurose übergeht oder wieder normal wird. Das Leiden 
befällt meist Frauen und wird auch durch gesunde Frauen auf 
die Nachkommen vererbt. Die Aetiologie des Leidens ist unbekannt. 

Fr. Pineles: Sporadischer und endemischer Cretinismus in 
ihrem pathologischen Gegensätze. 

Der sporadische und der endemische Cretinismus zeigen gemein¬ 
schaftliche Berührungspunkte, aber auch einen pathologischen 
Gegensatz. Der sporadische Cretinismus tritt in zwei 
Formen auf, als infantiles Myxödem und als congenitales Myxödem 
(Thyreoaplasie). Das erstere befällt bis dahin gesunde Kinder meist 
im 4. Lebensjahre und es entwickelt sich das Bild des Myxödems. 
Es handelt sich um leichte und mittelschwere Fälle. Diese Form 
kommt auf den westlichen Küstenstrichen vor, bei uns ist sie 
selten. Die Aetiologie ist unbekannt. Das congenitale Myxödem 
charakterisirt sich durch congenitalen Mangel der Schilddrüse, 
durch Fehlen von accessorischen Schilddrüsen bei Erhaltensein 
der Epithelkörperchen. Für einen congenitalen Ursprung des 
Leidens spricht der Umstand, daß sich auch bei mikroskopischer 
Untersuchung der Halsregion keine Andeutung von Thyreoidea¬ 
gewebe oder eines Processes findet, welcher zur Vernichtung der 
Schilddrüse geführt hätte. Ferner bezeugt diese Aetiologie auch 


das Vorhandensein und die normale Lage der Epithelkörperchen, 
welche in der Norm der Schilddrüse enge anliegen; sie sind 
entwickelungsgeschichtlich von der Thyreoidea getrennt, da sie 
aus Elementen des 3. und 4. Kiemenganges entstehen, während 
die Schilddrüse aus einer eigenen Anlage hervorgeht. Die Thyreo¬ 
aplasie ist also primär und analog der Agenesie anderer Organe. 
Das Hauptmerkmal dieser Form des Cretinismus ist, daß die Kinder 
schon nach der Geburt sehr schwere Symptome des Leidens, hoch¬ 
gradige Intelligenz- und Waehsthumsstörung, zeigen. Die weitaus 
meisten Fälle des sogenannten sporadischen Cretinismus beruhen 
auf Thyreoaplasie; die noch übrig bleibenden Fälle bieten noch 
nicht genug charakteristische Symptome, um in eine einheitliche 
Gruppe vereinigt werden zu können ; auch der echte Zwergwuchs 
scheint hieher zu gehören. — Beim endemischen Creti¬ 
nismus findet man bei der Obduction in der Mehrzahl der Fälle 
eine strumöse Entartung der Schilddrüse, in seltenen Fällen eine 
Atrophie derselben; vollkommener Schilddrüsenmangel wurde bisher 
noch nicht beobachtet. Der sporadische Cretinismus im allgemeinen 
und der endemische Cretinismus sind also in pathologischer Hin¬ 
sicht vollkommen verschiedene Krankheiten. Kocher Und Wagner 
nehmen an, daß der endemische Cretinismus mit einem Ausfall 
der Schilddrüsenfunction Zusammenhänge, Bircher 'spricht sich 
gegen jeden Zusammenhang aus, während Ewald neben dem 
Ausfall der Schilddrüse noch andere schädliche Momente zur 
Aetiologie heranzieht. Die Argumente, welche gegen einen Zu¬ 
sammenhang zwischen der Entartung der Schilddrüse und dem 
endemischen Cretinismus vorgebracht werden, sind zu einem großen 
Theile hinfällig. 


Sitzung vom 21. November 1902. 

Discussion zum Vortrage von F. Pineles. 

M. Kassowitz macht zunächst einige Bemerkungen in Bezug auf die 
vom Vortr. gewählte Nomenclatur — der Ausdruck „infantiles Myxödem“ wäre 
besser durch den Nauien „acq ürirtes“ Myxödem zu ersetzen — doch will K. 
selbst keinen derartigen Fall gesehen haben und bestreitet die Möglichkeit 
des Bestehens solcher Fälle. Fast jeder Myxödematöse hat von seiner Geburt an 
die typischen Erscheinungen von Obstipation und der Nabelhernie. Bei den 
Formes frustes sind nur einzelne Symptome des Myxödems vorhanden; bei 
allen diesen Formen ist die Schilddrüsenmedication wirksam. Da alle möglichen 
Abstufungen Vorkommen, ist die Einteilung des Myxödems oftmals überaus 
schwer. Mongolismus und Mikromelie sind vom Myxödem streng geschieden 
und ohne Uebergangsstufeu zu demselben, sie haben aber doch mit ihm ge¬ 
meinschaftliche Kennzeichen, so die cretinistische Gesichtsbildung (eingesunkene 
Nase, Epicanthus, steilen Gaumen u. s. w.), Häufigkeit von Mißbildungen, be¬ 
sonders der Ohren, Kryptorchismus, überzählige Zehen. K. macht den Vorschlag, 
daß durch eingehende Untersuchung der Kinder der Gebärkliniken und Findel¬ 
anstalten zur Klärung dieser Fragen beigetragen werde. 

L. Rosenberg macht darauf aufmerksam, daß es eine große Zahl von 
Fällen rudimentären Myxödems gibt, bei denen vollkommener Schilddrüsen¬ 
mangel anzunehmen ist. Er selbst hat zwei Fälle von Myxödementwickelung 
einige Monate nach der Geburt beobachtet. 

R. Paltauf tritt für eine strenge Scheidung der Mikromelie und des 
echten Zwergwuchses vom Myxödem ein und erwähnt die Thatsache, daß es 
in der Literatur Fälle gibt, wo nach einem Kopftrauma der Zwergwuchs ein¬ 
gesetzt hat. Man sollte auch nicht von cretinoiden Formen sprechen, da diese 
verschiedene Aetiologie haben können, ebensowenig den sporadischen und 
endemischen Cretinismus identificiren. Zwergwuchs und Cretinismus decken 
sich nicht vollständig, was man auf experimentellem Wege beweisen kann. 

M. Kassowitz hält besonders geringe Entwickelung des Genitale als 
für Mongolismus charakteristisch; diese Affection wird durch Schilddrüsen¬ 
darreichung beeinflußt. 

W. Knöpfelmacher hat in einer Reihe eigener Beobachtungen die 
allmälige Entwickelung von Myxödem beobachten können. Dasselbe scheint 
durch Erhöhung der Assimilationsgrenze für Zucker ausgezeichnet zu sein ; 
Schilddrüsendarreichung kann diese Grenze wesentlich herabdrücken. 

Th. R. Offer erwähnt diesbezügliche Thierversache. 

Siegfr. Weiß hat in mehreren Fällen von Mongolismus die Schild¬ 
drüsendarreichung erfolglos gesehen. 

F. Pineles betont die große Seltenheit von infantilem Myxödem in 
unseren Gegenden. Es gibt jedoch zweifellose Fälle dieser Kategorie in der 
Literatur. Man kann sporadischen und endemischen Cretinismus überaus schwer 
von einander unterscheiden, da auch die scheinbar sporadischen Fälle aus 
endemischen Herden abstammen können. 

E. SPIEGLER stellt ein zweijähriges Kind mit massenhaften 
papillomatösen Wucherungen am Anus vor. Die Aetio¬ 
logie des Leidens ist unbekannt. ilt)Ij 


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1902.— Wiener Medizinische Presse. — Nr. 47. 


Notizen. 


Wien, 22. November 1902. 

Zur allgemeinen AerzteVersammlung. 

In den ersten Decembertagen wird die schon wiederholt an¬ 
gekündigte Versammlung der Aerzteschaft Wiens abgehaiten werden. 
Dieselbe wird berufen sein, Stellung zu nehmen zu dem von uns 
mitgetheilten Erlasse der n. ö. Statthalterei an die Wiener Kammer, 
in welchem die letztere darauf aufmerksam gemacht wird, daß die 
politische Behörde die ebrenräthliche Verfolgung von Aerzten, die 
Stellen bei registrirten Hilfscassen annehmen — die Annahme solcher 
Steilen ist von der Wiener Aerztekammer als standeswidrig er¬ 
klärt worden —, im Sinne des § 12, Al. 6 des Kammergesetzes 
gutzuheißen nicht vermag. In Voraussicht der Tragweite dieses 
Erlasses haben mehrere ärztliche Vereine Wiens zu demselben be¬ 
reits Stellung genommen. Der ärztliche Verein des II. Bezirkes hat 
erklärt: ^Der Verein unterstützt die Aerztekammer in ihrem 
Widerstande gegen die Entscheidung der Statthalterei in Sachen 
des Hilfskrankencassen-Gesetzes und hätte sogar erwartet, daß die 
Mitglieder der Kammer ihre Mandate uiederlegen. u 

Minder radical, aber gleichfalls von der Absicht geleitet, die 
gefährdete Autorität der Kammer zu stützen, lautet die Resolution 
des ärztlichen Vereines des I. Bezirkes: „Der Verein fordert die 
Kammer auf, den von ihr bisher eingenommenen Standpunkt in 
der Frage der registrirten Hilfscassen unerschrocken festzuhalten, 
Aerzte, welche Stellen bei solchen Cassen annehmen, auch fernerhin 
ehrenräthlich zu verfolgen und — im Falle die Behörde 
ihre Drohung, ein solches ehrenräthliches Urtheil 
aufzuheben, ausführen sollte — ihr Mandat zurückzulegen.“ 
Gleichzeitig werden die Kammermitglieder aufgefordert, sich zu 
verpflichten, keine Stelle im „Beirathe“ anzunehmen. 

Wie aus diesen Beschlüssen der beiden hervorragenden Be¬ 
zirksvereine zu ersehen, ist die Stimmung der Aerzteschaft eine 
sehr unzweideutige; man ist sich darüber klar, daß aus der hilfs- 
cassenfreundlichen Haltung der Behörde die äußersten CoDsequenzen 
gezogen werden müssen, und perhorrescirt den opportunistischen 
Standpunkt einzelner Kammermitglieder, welche die Uebernahme 
der Geschäftsführung durch einen Regierungscommissär in einem 
Zeitpunkte für bedenklich halten, in welchem die parlamentarische 
Revision des Krankencassengesetzes bevorsteht. Wir unsererseits 
glauben zunächst nicht daran, daß unser Abgeordnetenhaus in ab¬ 
sehbarer Zeit diese Revision vorzunehmen geneigt und in der Lage 
sein wird; wir sind der Meinung, daß die maßgebenden Factoren über 
die Wünsche der Aerzte Oesterreichs schon zur Genüge informirt 
sind und daß das Verschwinden der Wiener Kammer aus oppo¬ 
sitionellen Gründen eher geeignet ist, die Entschlossenheit der 
Wiener Aerzteschaft, für ihre berechtigten ethischen und wirt¬ 
schaftlichen Interessen einzutreten, zu documentiren, als die ruhige 
Duldung systematischer Untergrabung des Ansehens ihrer frei 
gewählten Vertretung durch jene Factoren, welche berufen wären, 
diese Autorität zu festigen. Wir und mit uns die überwiegende 
Mehrheit der Aerzte Wiens erwarten zuverlässig , daß die bevor¬ 
stehende allgemeine Aerzteversammlung sich zu einer bedeutungs¬ 
vollen Kundgebung des unbeugsamen Willens der Aerzteschaft 
im angedeuteten Sinne gestalten und damit erweisen werde, daß die 
Aerzte — mit oder ohne Kammer — eine weitere Beeinträchtigung 
ihrer berechtigten Interessen durch jene Krankencassen mit allen 
gesetzlichen Mitteln hintanzuhalten Willens sind. 


(Die Hilfsärzte der Wiener staatlichen Kran¬ 
kenanstalten und die Statthalterei.) Der Kampf, welchen 
die Hilfsärzte der Wiener Krankenanstalten, von den Sympathien 
der Gesaramtärzteschaft begleitet, gegen die bekannten Erlässe der 
Statthalterei führen, ist in ein neues Stadium getreten. Die Hilfsärzte 
perhorresciren zunächst jene Bestimmungen des Erlasses, welche 
den Numerus clausus der Aspiranten und die Einschränkung der 
Aspiranten- und secundarärztlichen Dienstzeit bei bestimmten Vor¬ 


£160 


aussetzungen decretiren. Sie acceptiren die zweijährige Dienstzeit 
als Secundararzt, verlangen aber, daß dies eine M i n i m a 1-, nicht 
eine Maximalzeit sei. Sie acceptiren die vierjährige Gesapimtdienst- 
zeit in den Spitälern, begehren aber, daß. derjenige, welcher 
länger als zwei Jahre zu aspiriren genöthigt ist — wie dies, der¬ 
zeit im Wiener allgemeinen Krankenhauäe ausnahmslos der Fall 
ist —, dennoch zwei Jahre als Secundararzt dienen dürfe.. Auch 
diese Forderung hat zweifelsohne volle Berechtigung. Oder soll 
der junge Arzt in 40monatlicher, unbesoldeter Dienstzeit .als 
Aspirant, d. i. ein mit Schreibgeschäften sattsam versorgter 
Begleiter der Morgen- und Abendvisite, Beamtendienste. ..leisten, 
um im besten Falle einige Monate Secundararzt sein.zu dürfen? 
Auf diese Weise kann doch der Endzweck hilfsärzJtlicher Tbätig- 
keit, der in der wissenschaftlichen und praktischen Ausbildung der 
jungen Aerzte, nicht aber lediglich in der gründlichen Kenntniß 
des Spitalsdienstes besteht, nicht erreicht werden. — Die. Hilfsärzte 
sind ferner, wie uns mitgetheilt wird, gegen die geplante Besol¬ 
dung der Aspiranten und — so paradox dies auch . klingen mag 
— nicht mit Unrecht. Sie wittern nämlich hinter der Adjutirung 
der Aspiranten die Schaffung von Secundarärzten zweiter Güte, 
das heißt noch schlechter besoldeter Hilfsärzte mit neuem Numerus 
clausus. In diesem Punkte differiren die Anschauungen der Hilfs¬ 
ärzte mit denjenigen der Wortführer des Vollzugsausschusses der 
medicini8chen Studentenschaft, welche Numerus clausus und Be¬ 
schränkung der Dienstzeit der Aspiranten, Stipendien, später Ad- 
juta für die Aspiranten wünschen. Die Hilfsärzte verlangen lediglich 
Fortbezug der Stipendien für diejenigen, welche Stipendien während 
der Studienzeit genossen haben, für die Aspirantenzeit. .— Wir 
werden über die weiteren Stadien des mit Ruhe und Entschlossen¬ 
heit geführten Kampfes der jungen Spitalscollegeu berichten. 

(Universitätsnachriehten.) Der Privatdocent Dr. Mein¬ 
hard Pfaundler ist zum a. o. Professor der Kinderheilkunde in 
Graz ernannt worden. — Der Extraordinarius Professor Doctor 
E. v. Düring, zuletzt Lehrer an der medicinischen Schule „Hajdar 
Pascha u in Constantinopel, ist an die Lehrkanzel für Haut- und 
Geschlechtskrankheiten in Kiel berufen, der a. o. Professor für 
forensische Medicin in Warschau Dr. A. GRrGOCZEW zum o. Pro¬ 
fessor ernannt werden. — Die Privatdocenten Dr. Braunschweig 
und Dr. Sobernheim in Halle a. S. haben den Professortitel er¬ 
halten. — Professor Dr. Kümmel aus Breslau ist als Nachfolger 
Passow’s zum Director der Ohrenklinik in Heidelberg ernannt 
worden. — Der o. Professor der Pharmakologie und internen Me¬ 
dicin in Tübingen Dr. Theodor v. Jürgensen tritt von seiner 
Lehrthätigkeit zurück. 

(Wiener medic in isches D o ct o r en - C ol le gi u m.) 
In der wissenschaftlichen Versammlung vom 17. d. M. hielt Doctor 
E. Ronsburgkr einen Vortrag über die Leicheneinäscherung in 
den Culturländern und die Betheiligung der Aerzte an dieser 
hygienischen Reform. Die Versammlung, welche den Vortrag sehr 
beifällig aufnahm, faßte nach kurzer Discussion einstimmig nach¬ 
folgende Resolution: „Die heute versammelten Mitglieder des Wiener 
raedicmischen Doctoren-Collegiums erkennen es aus hygienischen 
Gründen als unbedingt nothwendig an, daß im Falle des 
Auftretens von Volksseuchen Vorrichtungen zur Einäaojierüng der 
Epidemieleichen vorhanden seien, und sprechen sich im Interesse 
der allgemeinen Wohlfahrt für die alsbaldige Erbauung von 
Crematorien in Oesterreich und die gesetzliche Ermöglichung 
einer facultativen Benützung derselben aus. u — Wir werden den 
Vortrag demnächst ausführlich veröffentlichen. 

(XIV. Internationaler Congreß in Madrid.) Das 
österreichische Comit6 für diesen vom 23.—»30. April 1903 stattfin¬ 
denden Congreß theilt mit, daß die spanische Nor Jbahn, die. Eisenbahn 
Madrid—Saragossa—Alicante, die französischen Bahnen und die 
italienischen Dampfschifffahrtsgesellschaften den Congreßbesucfiern 
50%igo Fahrpreisnachlässe gewährt haben. — Das Wohnungs- 
comitö in Madrid tagt permanent; Zimmerbestellungen wollen mit 
Rücksicht auf die relativ geringe Zahl der Hotels möglichst bald 
an dasselbe gerichtet werden. Anmeldungen zu Vorträgen werden 
bis 1. Januar 1903 erbeten. Der Mitgliedsbeitrag beträgt 25 Fres. 
= 24 Kronen. Theilnehmer wollen sich bei Herrn Prof. Politzer 


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2151 


1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 47. 


2152 


(Wien, I., Gonzagagasse 19) oder Herrn Prof. Chiari (Wien, 
I., Bellariastraße 12) melden. 

(Zur Unterstützung für Witwen nach n.-ö. sub- 
ventionirten Gemeindeärzten) hat der n.-ö. Landtag einen 
Credit von K 5000 zur Verfügung gestellt und bestimmt, daß die 
Höhe dieser Gewährungen für jeden einzelnen Fall nach Maßgabe 
des individuellen Erfordernisses zu bemessen sei. Der n.-ö. Landes¬ 
ausschuß hat an die Wiener Aerztekammer das Ersuchen gerichtet, 
auch jene in den Rahmen des obigen Beschlusses fallenden Fälle, 
welche der Kammer bekannt sind, unter entsprechender Antrag¬ 
stellung mitzutheilen. Die Herren Collegen werden daher eingeladen, 
Witwen von n.-ö. subventionirten Gemeindeärzten aufmerksam zu 
machen, sich mit ihren Gesuchen um Zuwendung einer Unterstützung 
an die Wiener Aerztekammer, I., Börsegasse 1 (Bureaustunden : 
4—7 Uhr abends) zu wenden. 

(Leonard Landois f.) Am 17. d. M. ist in Greifswald 
der weitbekannte Physiologe Geh. Med.-Rath Professor Dr. Leonard 
Landois im 65. Lebensjahre gestorben. Zu Münster geboren und 
in Greifswald 1862 promovirt, hat sich Landois bereits ein Jahr 
später für Physiologie habilitirt, um noch im nämlichen Jahre 
zum Extraordinarius, im Jahre 1872 zum ordentlichen Professor 
der Physiologie und Director des physiologischen Institutes, dessen 
Bau unter seiner Leitung erfolgte, ernannt zu werden. In Landois 
verliert die Physiologie einen ihrer namhaftesten Vertreter, einen 
Vorkämpfer der exacten Methodik und der experimentellen Wissen¬ 
schaft. Seine Untersuchungen über den „Arterienpuls“, den „Herz¬ 
schlag“, zahlreiche von ihm angegebene Apparate, der Angiograph, 
das Gassphygmoskop u. v. a. sichern ihm ein ehrenvolles Andenken 
unter den Physiologen und Klinikern. Sein „Lehrbuch der Physio¬ 
logie des Menschen“, das erst vor wenigen Jahren in zehnter Auf¬ 
lage erschien, ist der erste Versuch, eine Brücke zwischen Labo¬ 
ratoriums-Experiment und praktischer Medicin zu schlagen. 

(Statistik.) Vom 9 bis inclusive 15. November 1902 wurden in 
den C i vi lspi t Hiern Wiens 7061 Personen behandelt. Hievon wurden 1443 
entlassen; 136 sind gestorben (8 61% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 77, egypt. 
Augenentznndung —, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 6, Dysen¬ 
terie—, Blattern—, Varicellen 98, Scharlach 28, Masern 281, Keuchhusten 68, 
Rothlauf36, Wochenbettfieber—, Rötheln—, Mumps 13, Influenza—, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wieu 584 Personen gestorben 
(+ 11 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Wien der städt. Ober¬ 
bezirksarzt Dr. Joseph Jessner, im 44. Lebensjahre; in Reicheu- 
berg Dr. Eduard Porsche, 73 Jahre alt; in Bistritz am Pernstcin 
der Districtsarzt Dr. Eduard Volavy ; in Budapest der Pbysicus 
der Stadt Kaschau Dr. Josef Hlatky ; in Algyogy der dortige 
Bezirksarzt Dr. M. Adorgan; in Kalucz der Sanitätsassistent 
Dr. Thomas Piatrowski ; in Lemberg der Stadtphysicus Dr. Anton 
Pawlikowski. 

Heinrich Mattoni'sches Stipendium. Aus der vom kaiserl. Rath Heinrich 
Edlen v. Mattoni, Gründer und Inhaber der Firma Heinrich Mattoni in 
Gießhübl Sauerbrunn, anläßlich des 50jährigen Regierungsjubiläums des Kaisers 
errichteten Stiftung für die beste wissenschaftliche Arbeit auf dem Gebiete 
der Heilquellenlehre gelangt für das Studienjahr 1902—1903 ein Stipendium 
im Betrage von 700 K zur Verleihung. Die Bewerber um dieses Stipendium 
müssen jung promovirte Aerzte der gesammten Heilkunde sein, welche die 
Vorlesungen über Balneologie an einer deutschen Universität in Oesterreich 
gehört, aus derselben mit Erfolg colloquirt und längstens binnen 3 Jahren 
nach erfolgter Promotion zum Doctor eine in das Gebiet der Heilquellenlehre 
fallende Originalarbeit im Drucke veröffentlicht haben. Die Bewerber um das 
vorstehende Stipendium haben ihro belegten Gesuche bis Ende December 1902 
bei dem akademischen Senate der Wiener Universität zu überreichen. 

Chemisch reines Aethylchlorid* Seit einer Reihe von Jahren hat sich 
das Chloräthyl (Aethylchlorid, Aether chloratus) einen festen Platz im Arznei¬ 
schatz erworben. Bei kleineren Operationen verschiedenster Art, auch bei 
gewissen inneren Erkrankungen, wie bei Neuralgien der Nervi intercostales, 
des Ischiadicus und des Trigeminus findet es vortheilhafte Anwendung. Bei 
Migräne bringt es, auf die Stirn- und Kopfhaut applicirt, ganz erhebliche 
Linderung. 

In allerneuester Zeit fängt man nunmehr auch an, das Chloräthyl zur 
totalen Narkose zu verwenden und dies mit bestem Erfolg. 

Ganz besonders erfreulich ist bei der Aethylchloridnarkose der Um¬ 
stand, daß die üblen Nachwirkungen vollständig ausfallen. Der 
Patient verläßt den Operationsstuhl und befindet sich gesund und munter. 


Es sei auch noch darauf hingewiesen, daß Chloräthyl lösend auf gewisse 
wichtige Arzneistoffe wirkt, wie Jodoform, Carbolsäure, Stypticin, Cocain, und 
daß die Verwendung dieser Lösungen ganz wesentliche Vortheile in einzelnen 
Fällen bietet. 

Es ist unter diesen Umständen nur zu begrüßen, daß die Firma 
Dr. Thilo & Co. in Mainz ihr chemisch reines Chloräthyl nunmehr auch in 
Oesterreich einführt. 

In Deutschland hat sich dieses Product, dessen chemische Reinheit 
unter ständiger Controle eines gerichtlich vereideten Chemikers steht, rasch 
in den Gebrauch eingeführt, und es ist zu erwarten, daß auch die öster¬ 
reichische Aerztewelt von dem in chemischer Reinheit gebotenen Mittel aus¬ 
giebigen Gebrauch macht. 


Wiener Medicinisches Doctoren-Collegium. 

Wissenschaftliche Versammlung. 

Montag den 24. November 1902, 7 Uhr Abends, im Sitzungssaale des Collegiums, 
I., Rothenthurmstraße 19. 

Vorsitz: Dr. P. Mittler. 

Programm: 

Docent Dr. Julius Neumann : Ueber die rectale Untersuchung in der 
Gynäkologie. 

Neue Literatur. 

(Der Redaction zur Besprechung eingesandte Bücher.) 

E. v. Leyden u. F. Klemperer, Die Deutsche Klinik am Eingänge des 
20. Jahrhunderts. Lief. 43 — 47. Wien und Berlin 1902, Urban & 

Schwarzenberg. 

O. Schmied eherg, Grundriß der Pharmakologie. Leipzig 1902. F. C. W. Vogel. 

— M. 10.-. 

H. Erdinann, Lehrbuch der anorganischen Chemie. 3. Auflage. Braunschweig 
1902, Fr. Vieweg & Sohn. — M. 16'—. 

H. Strebei, Verwendung des Lichtes in der Therapie. München 1092, Seitz 
& Schauer. 

James Sawyer, Practical Medicine. Birmingham 1902, Cornish Brothers. 
Magnus H., Anleitung zur Diagnostik der centralen Störungen des optischen 
Apparates. 2- Auflage. Breslau 1902, J. U. Kern’s Verlag. 

Greef R., Der Bau der Augenlider. Breslau 1902, J. U. Kern’s Verlag. 

Max Kassowitz, Alkoholismus im Kindesalter. Berlin 1902, S. Karger. — 
M. -.80. 

Alfred Saenger., Neurasthenie und Hysterie bei Kindern. Berlin 1902, 
S. Karger. — M. —.80. 

E. Leser, Operations-Vademecum. 2. Auflage. Berlin 1902, S. Karger. — 
M. 5.—. 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 

Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
Postversendung. Die Preise derEinbanddeoken sind folgende: für die „Med. 
Presse“ ÜT 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
„Therapie der Gegenwart“: K 1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Postversendung. 

Die Rubrik: „Erledigungen , ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 

MB- Wir empfehlen diese Rubrik der speciellen Beachtung unserer 
geehrten Leser ; in derselben werden öfters — neben der Publioation von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auch für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein können, welche an eine 
Aenderung des Domioils oder ihrer Verhältnisse nicht gedacht haben. 


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HEINRICH MATTONI 

Hof- und Kammerlieferant I 

Franzensbad, Wien, Karlsbad, Budapest. 


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Wien, den 30. November 1902. 


Nr. 48. 


XLIII. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart-Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ nnd 
die „Wiener Klinik“, letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse" 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 


Wiener 


Abonnementnpreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Militäräiztlicher Zeitnng“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jahrl. 
20 K, halbj. 10 K, viertel). 6 K. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk-, halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 AT; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Ranm 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein 
Sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien, I., Maximilianstr. 4. 


medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Hedaction: Telephon Nr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

--— 8 #©.- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban k Schwarzenberg in Wien. 
Administration: Telephon Nr. 9104. 


INHALT: Originalien nnd klinische Vorlesungen. Aus dem Lande9?pitale in Sebenico. Ein Fall von Eventratio mit Anus praeternaturalis. Von 
Dr. N. Freiherr von Lallich, Director und Primararzt des Krankenhauses. — Ueber nervöse uud psychische Störungen bei Nasenerkrankungen. 
Von Walter A. Wells, M. D,, Georgetown University. — Ueber das Ulcus ventriculi, dessen Diagnose und Behandlung. Von Prof. Dr. S. E. Henschen 
in Stockholm. — Referate. Tansini (Palermo): Die Splenektomie und die TALMA'sche Operation bei der BANTi’schen Krankheit. — E. Hedingek 
(Königsberg i. Pr.): Klinische Beiträge zur Frage der Hämolyse. — Vanysek (Prag): Ueber die Stellnng der Zunge bei der Facialislähmung. — 
H. Wolpert : Ueber den Einfluß des Windes auf die Athmungsgröße des Menschen. — Krogius (Helsingfors): Zur Technik der Ureteropycloneostomie. — 
Vossiü8 (Heidelberg): Ueber Struma nnd Cataract. — Hahershon : Auscultatorische Percussion. —Fermi und Cano-Brusko (Sassari): Prophylaktische 
Versuche gegen die Malaria, angestellt auf den königl. sardinischen Eisenbahnen. — Karlow (Tomsk, Sibirien): Anguillula intestinalis als Ursache 
acuter blutiger Durchfälle beim Menschen. — Preisich und Heim (Budapest): Ueber das Wesen der Tuberculinreaction. — Kleine Mittheilungen. 
Indicationen und Contraindicationen des Aderlasses bei Kindern. — Praktische Verwendbarkeit des Orexintannates. — Behandlung des Soors bei 
Neugeborenen. — Behandlung wiederholter pleuritischer Ergüsse mit Gasinjectionen. — Heilung und Heilbarkeit der Lungenphthise. — Comprimirte 
Tabletten. — Modiflcirte Methode des Schröpfens. — Indicationen zur Anwendung des Kufeke Kindermehles. — Literarische Anzeigen. Die 
Temperaturverhältnisse bei den Neugeborenen in ihrer ersten Lebenswoche. Von Johann Lachs. — Los oxydations de l'organisme (Oxydases) par 
E. Enriquez et J. A. Sicard. — Feuilleton. Mittel und Wege zur Einschränkung der Geschlechtskrankheiten. Von Dr. Walther Bienenstock, gew. 
Secundararzt des k. k. Allgemeinen Krankenhauses in Wien. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 
(Orig.-Ber.) — Wiener medicinisches Doctoren-Collegium. (Orig.-Ber.) Notizen. — Nene Literatur. — Eingesendet. — Offene Correspondenz 
der Redaction und Administration. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse“ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 


Aus dem Landesspitale in Sebenico . 

Ein Fall von Eventratio mit Anus praeter¬ 
naturalis. 

Von Dr. N. Freiherr von Lallich, Director and Primararzt 
des Krankenhauses. 

Die 69 Jahre alte Bäuerin Luca M. aus Jelsa (Dal¬ 
matien) wurde am 3. Januar 1902 in das hiesige Landes¬ 
spital aufgenommen. Sie gab an, bereits als junges Mädchen 
das Vorhandensein einer linksseitigen Leistenhernie bemerkt, 
aber kein Bruchband getragen zu haben. Trotzdem habe sie 
durch 30 Jahre die schwersten Feldarbeiten verrichtet. Die 
Hernie sei aber immer größer geworden; sie betrug bald über 
Mannskopfgröße beim Stehen und konnte beim Liegen nur 
theilweise reponirt werden. Da die Hernie der Patientin 
schwere Beschwerden verursachte und manchmal sogar Incar- 
cerationserscheinungen darbot, so habe sie sich vor etlichen 
20 Jahren entschlossen, in einem Krankenhause die Radical- 
operation vornehmen zu lassen. Die Behandlung soll einige 
Monate gedauert haben, nach Ablauf dieser Frist sei die Kranke 
mit einer Kothfistel nach Hause zurückgekehrt. Die Koth- 
fistel sei immer größer geworden, und aus derselben seien ge¬ 
formte Kothballen ausgetreten, so daß Pat. seit 20 Jahren 
nie per vias naturales defäcirt habe. Dieser Zustand habe 
ihr das Leben nachgerade verbittert, weshalb sie sich an 
mehrere Chirurgen um Abhilfe wandte. Sie wurde abgewiesen. 
Jetzt verlangt sie, im hiesigen Spitale operirt zu werden, da 


sie fest entschlossen sei, lieber zu sterben als eine solch’ 
elende Existenz weiter zu führen. 

Status praesens: Magere, blasse, sehr heruntergekommene 
und sehr alt aussehende Patientin. Brustorgane gesund. Bauch 
stark eingesunken. Von der linken Leistengegend bis über die 
Mitte des Oberschenkels nach unten reicht ein zweimannskopfgroßer 
weichelastischer Tumor. Die Hautdecke desselben ist schmutzig- 
braun, ekzematös, stark verdickt, von ektatischen Venen durch¬ 
setzt. Ueber dem Tumor fast überall tympanitischer Schall. Etwa 
in der Mitte des Tumors auf der Vorderseite desselben sieht man 
einen faustgroßen Prolaps der Darmschleimhaut, aus welchem geformte 
Kothballen austreten. Bei näherer Betrachtung dieses Anus praeter¬ 
naturalis kann man zwei Darmlumina unterscheiden, die zu fast 
parallel stehenden Darmschenkeln führen. Die umgebende Haut 
elephantiastisch, stark ekzematös. — Die Patientin kann nur mit 
großer Mühe und mit Hilfe anderer Personen vom Bette herunter¬ 
steigen ; im Stehen prolabirt der Tumor fast bis zur linken Patella 
hinab. — Diese kolossale Hernie ist nur theilweise und mit großer 
Mühe reponirbar; beim Nachlassen des Druckes aber tritt der 
Bruchinhalt gleich heraus, da die Bruehpforte bis über Mannsfaust¬ 
größe erweitert ist, so daß man bequem mit der ganzen Hand in 
die Bauchhöhle dringen kann. 

Es wird der Patientin täglich ein prolongirtes Reinigungsbad 
gegeben und die ekzematöse Haut mit Zink und Bismuth behandelt. 

Operation am 18. Januar 1902. Der Anus praeternaturalis 
wird Umschnitten, die beiden Darmschenkel provisorisch mit steriler 
Gaze gebunden und die herausgeschnittenen Darmenden sammt der 
noch ekzematösen Haut entfernt. Nochmalige Desinfection. Mit großer 
Mühe wird der kolossale Bruchsack seiner Länge nach eröffnet, 
da man überall auf Darmschlingeu stoßt, die mit dem Bruchsacke 
vorne verwachsen sind. Der Bruchinhalt besteht aus dem ganzen 

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1902. — ^Wiener Medizinische Presse. — Nr. 48. 


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Coloa mit der Flexura 8igmoidea, die an den hinteren Partien des 
Bruchsackes zwischen unzähligen Strängen und Buchten fest ange¬ 
heftet waren. Ueber dem Dickdarm ziemlich frei lag fast der ganze 
Dünndarm. Dieser wird von den vielen Verwachsungen mit dem 
Bruchsacke und den einzelnen Schlingen unter einander frei ge¬ 
macht und langsam in die Bauchhöhle reponirt. Die Bruchpforte 
wird provisorisch mit einigen Nähten theilweise geschlossen. — 
Die schwierigste Arbeit aber war es, den Dickdarm lo6zupräpariren. 
An einigen Stellen war er so breit an seine Unterlage angewachsen, 
daß man knapp an seiner Serosa durchtrennen mußte; an diesen 
Darmabscbnitten fehlte das Mesocolon vollkommen , daher war es 
zu befürchten, daß der betreffende Abschnitt nach der Reposition 
gangränös werde. Es wurden deshalb beiläufig 30 Cm. des Dick¬ 
darmes resecirt, die gut aussehenden Darmenden vereinigt und das 
Ganze reponirt. Die Bruchpforte wurde hierauf definitiv geschlossen, 
der ganze Bruchsack mit seinen Hautdecken exstirpirt, die Wunde 
genäht und drainirt. — Verlauf afebrii. Normaler Stuhl per vias 
naturales am 5. Tage nach der Operation. Seit dieser Zeit fast täg¬ 
lich normaler Stuhl; am 23. Februar wurde die Patientin vollkommen 
gesund und in gutem Ernährungszustände aus dem Spitale entlassen. 

Ueber nervöse und psychische Störungen bei 
Nasenerkrankungen. 

Von Walter A. Wells, M. D., Georgetown University. 

(Schluß.) 

Die folgenden Fälle lassen die Möglichkeit einer solchen 
DifFerenzirung ersehen. Das stärkere Hervortreten der psyeho- 
und neuropathischen Erscheinungen rechtfertigt wohl ihre 
Publication. 

Fall I. Kopfschmerz, Trübsinn mit Selbstmord¬ 
tendenz, Schläfrigkeit. — E. G., eine 50jährige Frau, ver¬ 
ehelicht, Mutter von 5 Kindern. lu der Familie kamen Gelenks¬ 
rheumatismus, Asthma vor. Sie hatte in ihrer Kindheit bei einem 
Fall ihre Nase verletzt, seit damals litt sie häufig an Kopfweh. 
Seit kurzer Zeit wurden die Kopfschmerzen sehr heftig, und es 
traten andere nervöse Symptome auf. Der Kopfschmerz wird als 
ein intensiver, an- und abschwellender, über der Stirn, den Augen¬ 
brauen und Schläfen localisirter und von dort ausstrahlender Schmerz 
beschrieben. Die Patientin hat unruhige Nächte mit schreckhaften 
Träumen. Sie ist meistens trüb gestimmt, bekommt zwei- bis drei¬ 
mal in der Woche eine Art Weinkrampf; sie schließt sich dabei 
ein, weint darüber, daß Niemand sich um sie kümmere und wünscht 
sich den Tod. Sie berichtet auch über einen Selbstmordversuch. 

Daneben hat sie auch Schmerzen in der Schultergegend, mit¬ 
unter eine Art stenokardischen Schmerzes und ist auf dem rechten 
Ohre taub. Sie wird tagsüber sehr schläfrig, so daß sie nur mit großer 
Mühe ihren häuslichen Pflichten nachkommt. 

Die Nasenathmung ist behindert, sie athmet durch den Mund. 

Bei der Untersuchung fand ich eine S-förmige Krümmung des 
Septums, die von vorne nach rückwärts lief, außerdem noch auf 
der linken Seite einige Schleimhautpolypen. 

Am 17. Mai fand ich, daß eine Manipulation in der Nasen¬ 
höhle Kopfschmerz erzeuge. Ich entfernte die Polypen mit der 
kalten Schlinge. Die Nasenathmung wurde damit freier und nach 
ein paar Wochen war die Pat. in viel besserer Laune und ver¬ 
richtete ihre Arbeiten viel leichter. Einen Monat nach der Opera¬ 
tion wieder ein „Weinkrampf“, ferner etwas Kopfweh und Schläfrig¬ 
keit. Bei der Untersuchung zeigten sich wieder Polypen, welche im 
Vereine mit der Anhäufung eines eingedickten Eiters die rechte 
Seite versperrten. Auf die Behandlung des Zustandes hin besserten sich 
wieder die nervösen Beschwerden, Schulterschmerzen, steuokardische 
Anfälle und Weinkrämpfe traten nicht mehr auf. 

Fall II. Schwindel, Krämpfe, Palpitationen. — 
C. S., ein 52jähriger Mann, Junggeselle. Seit einigen Jahren be¬ 
standen Schwindelanfälle mit Schmerz und Dunkelsehen verbunden. 
Gleichzeitig pflegte ein Hitzegefühl über dem ganzen Körper aufzu¬ 


treten , dem dann Schweißausbruch und Frösteln folgten. Seit 
25 Jahren Krämpfe, besonders in den Bauch- und Wadenmuskeln. 
Die Krämpfe pflegten selbst bis 8mal im Tage aufzutreten und sie 
traten sehr leicht ein, schon der Gedanke an sie konnte sie lier- 
vorrufen. 

In den letzten 4—5 Jahren hat Pat. bemerkt, daß er oft 
schläfrig und matt wird. Er leidet ferner an Herzpalpitationen, 
dabei bestehen keine Zeichen von Erkrankung des Klappenapparates. 

Am 1. April entfernte ich Polypen aus seiner Nase. Im Juli 
theilte er mit, daß die Krämpfe verschwunden seien. 

Fall III. Schläfrigkeit. — R. C., 33 Jahre alt, Kaufmann, 
consultirte mich wegen seiner Nasenathmung, die seine Singstimme 
beeinträchtige. In der Anamnese erfuhr ich, daß er seit Jahren an 
Schlafsuchtsanfällen leidet, die ihm oft Verlegenheiten bereiten, 
da er oft in Gesellschaft oder im Theater einschläft. Kopfschmerzen 
und Benommenheit fehlen. 

Bei der Untersuchung ergibt sich eine hypertrophische Rhinitis, 
besonders des mittleren Muschelbeines. Cocain bleibt ohne Wirkung. 
Nach Entfernung des Muschelbeinendes Besserung des Allgemein¬ 
befindens und die Schlafneigung geht zurück. 

Fall IV. Schlafsucht. — W. C., ein 36jähriger Setzer, 
consultirte mich wegen Taubheit und Ohrensausen. Daneben besteht 
Schlafsucht und Neigung, während der Arbeit einzuschlafen. Seine 
Arbeit zwingt ihn zu fleißigem Lesen, wobei er nur mit Mühe 
seine Schlaflust beherrscht. Der Schlaf bei Nacht ist gut, es be¬ 
stehen keine Kopfschmerzen. Bei der Untersuchung ergibt sich eine 
hypertrophische Rhinitis mit Stenose. Durch eine Reihe von Caute- 
risationen gelang es mir, eine gute Nasenathmung herzustellen. Der 
Pat. ist zwar nicht von seiner Taubheit uod dem Ohrensausen ge¬ 
heilt, wohl aber von seiner Schlafsucht. 

Fall V. Schlafsucht, Aprosexia. — A. L., 26 Jahre 
alt, Mundathmen im Schlafe und bei der Arbeit. Oefters Kopf¬ 
schmerzen, jeden Nachmittag um 4 Uhr wird er müde, schläfrig 
und arbeitsunwillig. In der letzten Zeit bemerkt er Mangel au Auf¬ 
merksamkeit und Abnahme des Gedächtnisses. 

Bei der Untersuchung finde ich, daß eine durch das Schwell¬ 
gewebe des hinteren Theiles des Nasenseptums bedingte Verengerung 
rechts bestehe. Es gelang mir, sie mit Trichloressigsäureätzungen 
zu beseitigen. Seit damals weder Kopfschmerzen noch Schlafsucht. 

Fall VI. Kopfdruck, Trübsinn, Mattigkeit, Apro¬ 
sexia. — L. T., 36 Jahre alt, Gärtner, sucht ärztliche Hilfe 
wegen der Nasenverengerung, der er das „dumpfe, schwere“ Ge¬ 
fühl im Kopf zuschreibt, an dem er seit 5 Jahren laborire. Seit 
einiger Zeit ist er in matter, verdrossener Laune, die den ganzen 
Tag andauert. Es ist soweit gekommen, daß er an nichts Freude 
hat, keine Energie, keinen Ehrgeiz. Sein Gedächtniß hat gelitten. 
Pat. hat ein unregelmäßiges Septum, an dessen linker Seite sich 
ein großer spornartiger Vorsprung befindet. Entfernung mit der 
Siige. Nach einigen Tagen fühlt sich Pat. bereits viel wohler, sein 
Kopf ist besser, die seelische Depression hat nachgelassen. 

Fall VII. Petit mal, Alpdrücken, Melancholie, 
Photophobie. — G. W., 45 Jahre alt, verheiratet. Seit 8 Jahren 
Schmerzen über den Augen, Visus etwas herabgesetzt, die Augen 
sind etwas lichtempfindlich. Pat. hat oft Schwindel, beim Aufsitzen 
wird er schwindelig, er wird öfters plötzlich von einer ohnmachts¬ 
artigen Schwäche erfaßt, wird dabei schwindelig, verwirrt und 
sein Bewußtsein trübt sich. Es treten auch Anfälle von „Alp¬ 
drücken“ auf, während er vollkommen ruhig und unbeschäftigt da¬ 
sitzt; es ist ihm dann unmöglich, sich zu rühren oder ein Wort zu 
sprechen. Der Pat. wird gelegentlich überaus kleinmüthig; er zieht 
dann das Alleinsein vor und bildet sich ein, daß Niemand sich um ihn 
kümmere. Seit einiger Zeit erschwertes Nasenathmen und starke 
nasopharyngeale Secretion. Es besteht gegenwärtig Hypertrophie 
der Muschelbeine. Cocainapplication schafft nur wenig Erleichte¬ 
rung. Nach einer Behandlung der Hypertrophie treten schwere 
Schmerzen neuralgischer Natur auf. Aber nach einer operativen 
Behandlung der Nasenverengerung zeigt sich eine Besserung des 
benommenen Zustandes, der Kopfschmerzen und des Geisteszustandes. 

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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 48. 


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Vier Monate nach dem Beginn der Behandlung will er fast niemals 
mehr seine Schwindelanfälle haben, Alpdrücken und Schlafsucht 
sind verschwunden und seine Stimmung heiterer. 

Fall VIII. Kopfschmerz, Nervosität, Schlafsucht, 
Alpdrücken. — M. H., eine 28jährige Frau. Die Pat. ist sehr 
nervös, es tritt leicht Herzklopfen auf, gelegentlich Kopfschmerzen 
auf der rechten Seite; oft schwere Träume, sie träumt oft, daß sie 
ertrinke. Sie fühlt sich gewöhnlich sehr matt und schläfrig und so 
müde und schwer, daß es sie Mühe kostet, einen ganz kurzen Weg 
zu machen. 

Bei der Untersuchnng fand ich eine hypertrophische Rhinitis. 
Nach Cauterisation des rechten Muschelbeines Nachlassen der Kopf¬ 
schmerzen und des Müdigkeitsgefühls sowie der nervösen Aufregung. 

Fall IX. Migräne, Schwindel, Alkoholintoleranz. 
— L. K. leidet seit 5 Jahren an Migräneanfällen, die gewöhnlich 
mit gastrischen Störungen, Nausea, Erbrechen verbunden sind. Die 
Anfälle werden besonders durch kalte und alkoholische Getränke 
oder Aufregungen provocirt. Der Schmerz wird als sehr intensiv 
und zeitweilig anschwellend geschildert. Das Gesicht wird trübe, es 
besteht leichter Schwindel besonders bei Vorwärtsneigung des Kopfes. 

Die Nasenuntersuchung ergibt eine leichte hypertrophische 
Rhinitis. Cocainapplication während des Anfalles gibt ein positives 
Resultat, promptes Verschwinden aller Symptome. 

Fall X. Kopfschmerzen, Schwindel, Hitzegefühl, 
Gedächtnißschwäche. — A. W., eine 40jährige Frau, ver¬ 
heiratet , leidet seit 3 Jahren täglich an Kopfschmerz, immer auf 
der rechten Seite und von Schwindel begleitet. Der Schmerz 
ist sehr intensiv, jeder Lärm dabei unerträglich. Seit einem Jahre 
ungefähr begann sie an Hitzegefühl zu leiden, das über den Kopf 
und den ganzen Körper aufsteigt und seit Kurzem sich sehr oft 
wiederholt. Die Pat. ist ungemein nervös. Sie gibt von selbst an, 
daß ihr Gedächtniß gelitten habe. 

Bei der Nasenuntersuchung zeigt sich ein großer Vorsprung 
des Septums auf der rechten Seite, der mit der unteren Nasen¬ 
muschel zusammenhängt. Nach der Entfernung desselben mit der 
Säge folgen heftiger Kopfschmerz und eine diffuse Röthung um die 
Nasengegend, die einige Zeit andauern. Nach 10 Tagen ist der 
Zustand sehr gebessert; die Hitzegefühle und die Kopfschmerzen 
bleiben aus. 

Von den in den oben im Detail ausgeführten Fällen 
auftretenden Symptomen sind bisher weder die Anfälle von 
Alpdrücken, noch die Schlafsucht beobachtet worden. Wenn 
auch andere Beobachter über krampfhafte Zuckungen der 
Gesichts-, Augen-, Kehlkopf- und Oesophagusmusculatur be¬ 
richtet haben, so haben wir doch bisher von keinem Fall ge¬ 
hört, wie Fall II, wo die Bruch- und Wadenmuskel ergriffen 
waren und die Paroxysmen so häufig und so allgemein und 
von so langer Dauer waren. Das Gleiche kann von den Con- 
gestionen in Fall X gesagt werden, die sich sogar auf die 
Nacht ausdehnten und die Nachtruhe der Patienten störten. 

Doch bestanden alle diese Symptome die Hauptprobe auf 
ihre Abhängigkeit von dem Nasenzustand, indem sie nach Be¬ 
seitigung des letzteren zurückgingen. 

Mit Bezug auf das ursächliche Verhältniß zwischen der 
Nasenaffection und den beobachteten Symptomen möchte ich 
nachtragen, daß die Patienten dasselbe nur selten vermuthen 
oder gar von selber angeben. Es ist ihnen unmöglich, es zu 
verstehen, wie so entfernte Symptome mit dem Geruchs¬ 
organ in Zusammenhang stehen können. Selbst nachdem die 
Symptome im Verlaufe der Behandlung verschwunden waren, 
fand ich oft die Patienten der Kraft des „Post hoc, ergo 
propter hoe“-Argumentum widerstreben. 

Da eine Reaction von längerer oder kürzerer Dauer auf 
alle operativen Proceduren in der Nase folgt, soll man in 
solchen Fällen die Patienten darauf aufmerksam machen, daß 
wahrscheinlich durch eine kurze Zeit eine leichte Verschlimme¬ 
rung von kürzerer Dauer eintreten werde. Es spricht dies 
jedenfalls für den reflectorischen Charakter des Symptoms, 


wenn es in solcher Weise beeinflußt wird. In den Fällen I und X 
wurden die Kopfschmerzen viel schlimmer, und im Fall VII 
trat ein ganz neuer neuralgischer Anfall ein. Zweimal trat 
als Folge der Operation ein diffuses Erythem auf, das sich 
über die Nase und die umgebende Haut verbreitete' — ohne 
Zweifel auf einer vasomotorischen Störung beruhend, wie die 
ausgesprochenen Congestionen, die in dem Fall X bestanden. 

Ein anderer Punkt, der Aufmerksamkeit verdient, ist, 
daß wir mitunter (Fall VIII und X) eine einseitige Nasen¬ 
affection haben, die dem einseitigen Phänomen entspricht. Dies 
spricht sehr beweiskräftig für eine ursächliche B°ziehung. 

Eine genaue Trennung der reflectorischen Symptome von 
den durch die Stenose erzeugten ist nicht immer möglich. 
Ohne Zweifel kommen in manchen Fällen beide Einflüsse zur 
Geltung. 

Der Fall IX ist deshalb von Interesse, weil er eine Illu¬ 
stration der typischen Migräne reflectorischen Ursprungs reprä- 
sentirt. Die Migräne bietet alle Charaktere einer reflectori¬ 
schen Erscheinung, da sie paroxysmal ist und recidivirt. In 
diesem Falle sahen wir auch, daß der Anfall durch die 
Application von Cocain coupirt wurde. 

Der dumpfe, drückende, hartnäckige Kopfschmerz trägt 
andererseits alle Charaktere eines durch die Stenose erzeugten 
Effectes. In einigen Fällen schien der Kopfschmerz auf der 
combinirten Wirkung des Reflexes und der Stenose zu be¬ 
ruhen, wie in Fall I und VI, wo er zwar als erstes Symptom 
sich besserte, um aber wieder als letztes auch zu verschwinden. 
Wir schließen aus der unmittelbaren Besserung vor dem Frei¬ 
werden der Athmungswege, daß eine Reizquelle weggeschafft 
worden ist, wogegen das Andauern der Beschwerden für eine 
Abhängigkeit von dem Nasenathmen spricht. Neben der 
Migräne, den Kopfschmerzen und den Neuralgien sind die 
einzigen Symptome, die im Zusammenhang mit Nasenerkran¬ 
kungen beschrieben sind, Schwindelhaftigkeit, das petit mal, 
die Congestionen und die Muskelkrämpfe. 

Als Folgen der Stenose können all§ psychischen Symptome 
aufgefaßt werden, der Trübsinn, der Gedächtnißverlust, der 
Energiemangel, die Selbstmordtendenzen, die Menschenscheu, 
die Furcht vor Unglücksfällen, die Schlafsucht und die unüber¬ 
windliche Neigung bei Tage zu schlafen, das Alpdrücken, 
das auch bei Tage auftreten kann. 

Auf die Schlafsucht möchte ich besonders aufmerksam 
machen. Wenn auch manche Autoren es unterlassen haben, sie 
als Symptom einer Nasen Verengerung zu verzeichnen, so tritt 
sie doch unfehlbar dann auf, wenn der Patient kein Mund- 
athmer ist. Es erklärt sich das vielleicht durch die Kohlen¬ 
säureüberladung des das Gehirn durchströmenden Blutes. Allein 
nicht nur dies kommt hier in Frage. Es können vielleicht 
andere Respirationsproducte den Sopor, die Mattigkeit und 
Müdigkeit u. s. w. verursachen; ist doch die Exspiration 
geradeso behindert wie die Inspiration. 

Die Schlafgewohnheit kann nicht als bloßer Ersatz für 
den Schlafausfall bei Nacht betrachtet werden, wenn dies 
auch in manchen Fällen, wo unruhige Nächte als Symptom der 
Nasen Verengerungen auftreten, der Fall sein dürfte. 

Die eigentümlichen Anfälle von „Alpdrücken“ sind 
wahrscheinlich durch dieselben physiologischen Ursachen be¬ 
dingt , wie das gewöhnliche Alpdrücken, da der Patient in 
einer Art von halbbewußtem Zustand sich befindet. 

Die verschiedenen psychopathischen Symptome sind 
wahrscheinlich auf die combinirte Wirkung der pathologi¬ 
schen Blutbeschaffenheit und die Lymphstauung in den cere¬ 
bralen Lymphräumen, die durch die obstruirende Nasenaffec¬ 
tion hervorgerufen sind, zurückzuführen. Der melancholische 
in Zug ist ein auffallender und sehr constanter Krankheitszug 
den von mir beobachteten und den von Anderen veröffentlichten 
Fällen. Der Patient ist deprimirt, muthlos, es fehlt ihm an 
Energie und Lust zur Arbeit; er hat allerlei Vorahnungen 
von Unglück, mißtraut seinen Freunden und sucht die Ein¬ 
samkeit; er redet sich ein, daß Niemand an ihm Antheil 


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nehme, es wäre besser, wenn er gestorben sei; in manchen 
Fällen sucht er sich seinen Heimsuchungen durch Selbst¬ 
mord zu entziehen. Man muß dabei an das Seufzen denken, 
das fast immer Traurigkeit, Kummer und andere Depressions¬ 
zustände der Psyche begleitet. Die obigen Fälle liefern eine 
Art von Illustration za seiner Bedeutung. Ist doch der Seufzer, 
physiologisch betrachtet, nichts anderes als eine stärkere Respi¬ 
rationsanstrengung , welche die ungenügende Sauerstoffzufuhr 
ausgleichen soll. 


Literatur: 1. Observationes medico-practicae de affectibus capitis 
internis et externis, 1728. — 2. „Wiener med. Wochenschrift“, 1872, 
pag 569. — 3. Krankheiten der Nasenhöhle und des Nasenrachenraums. — 
4. Siehe die Briefe in „Deutsche med. Wochschr.“ , 1889, Nr. 9. — 5. 
„Deutsche med. Wocbenschr.“, 1888, Nr. 4 ; „Brit. med. Journ.“, 1889, pag. 790. 
— 6. „Monatsschr. für Ohrenheilkunde“, 1888, Nr. 12. — 7. „Therap. Monat¬ 
schrift“, 1889, III, pag. 67. — 8 „Berliner klin. Wochenschr.“, 1899, Nr. 14, 
pag. 329. — 9. „Wr. med. Wochenschr.“, 1889, pag. 887. — 10. Revue de 
Laryngologie et de Rhinol., 1890, Nr. 22. — 11. Inaug.-Dissert., Würzburg 
1891. — 12. Die Krankheiten der oberen Luftwege, Berlin 1894. — 13. 
„British, med. Journ.“, Vol. II, pag. 711. — 14. „Journal of the Americ. Medical 
Association“, April 1890. — 15. Ibid, 1892, Vol. XIX pag. 539. — 16. „Chicago 
Medical record“, 1892 Vol. III, pag. 858. — 17. „Buffalo med. and surg Journ.“, 
1890—1891, Vol. XXX, pag. 337. — 18. „St. Joseph Med. Herold“, 1899, 
Vol. IX. pag. 517. — 19. Neue Beiträge zur Klinik uud Therapie der nasalen 
ReHexneurose, Leipzig und Wien 1893. — 20. Der Kopfschmerz bei Nasen- 
und Racbenleiden und seine Heilung, Leipzig 1894. — 21. „Rev. de Laryug. et 
de Rhino!“ Paris 1894 Vol. XIV, pag. 320. — 22. „Rev. de Liryng. et de 
Rhinol. , 1894, Vol. XIV, pag. 439. — 23. „Lyon med.“, April 1895, 18. — 
24. „Union m6d. du Nord-est“, 1894, XVIII. 


lieber das Ulcus ventriculi, dessen Diagnose 
und Behandlung. 

Von Prof. Dr. S. E, Henschen in Stockholm. 

(Schluß.) 

Behandlung des Ulcus ventriculi. 

Es ist nicht meine Absicht, hier eine ausführliche oder 
systematische Darstellung, der Ulcusbehandlung geben zu 
wollen, umsoweniger, als ich für meinen Theil dem schon 
allgemein Bekannten nichts Neues hinzuzusetzen habe. Ich 
dürfte, mich nicht irren, wenn ich die Ansicht ausspreche, 
daß die insbesondere von v. Ziemssen und Leube beschriebene 
Behandlung mit Ruhe, Milchdiät, Karlsbader Wasser und in 
entsprechenden Fällen Eis, Breiumschläge, Morphin und 
Bismuth, nebst Ivährklystieren in ihren Hauptzügen überall in 
Schweden üblich ist, vielleicht mit kleineren oder größeren 
Modificationen. 

Diese Behandlung habe auch ich durch 20 Jahre auf 
den Kliniken durchgeführt, wenn auch Breiumschläge und die 
Ernährungsklystiere nur in den bestimmt indicirten Fällen ge¬ 
braucht wurden. Ich habe nur das eine hinzuzufügen, daß 
wir Ruhecuren mit großer Consequenz und Ausdauer durch¬ 
zuführen bestrebt waren, besonders daß der Patient nicht 
früher aufstehen durfte, bevor nicht jeder Schmerz aufgehört 
hatte und wenigstens einige Tage oder mehr als eine Woche 
darüber verflossen waren, ja, wir hielten den Patienten so lange 
im Bette, als sich dies durchführen ließ. Hand in Hand damit 
steht es mit der Diät. Die Milchdiät wird so lange als mög¬ 
lich eingehalten. Die Indication für Eis, Breiumschläge, 
Morphium kennen wir alle, das Resultat dieser Behandlung 
soll nun gleich mitgetheilt werden. Doch handelt es sich 
vorderhand nicht um diese, sondern es 30 II hier vorerst die 
Frage discutirt werden, wann die Indication für einen chirur¬ 
gischen Eingriff eingetreten ist. Ich werde daher diese Frage 
voranstellen und zeigen, wie sich die Beantwortung gestaltet 
vom Standpunkte meiner eigenen Erfahrung, und dann die 
Stellung bezeichnen, welche hiebei dem inneren Arzte zu¬ 
kommt. Die Frage spitzt sich folgendermaßen zu: Welche 
Aussichten hat ein Patient mit Ulcus bei der internen Therapie, 
welche bei der chirurgischen; wann sollen wir ihn dem 


Chirurgen zuweisen? Diese Frage ist wohl eine statistische 
Frage, doch die Beantwortung derselben beruht nicht zum 
geringsten Theile darauf, wie sichere Ziffern erhalten und 
wie die Ziffern geordnet werden. Dies gilt besonders bei 
diesem Gegenstand. Ich lasse nun einige solche statistische 
Zahlen folgen: 


Autor 

M) 

Q 

_g 

a 

s 

Perfora¬ 

tion, 

Peritonitis 

Kachexie 

Complica- 

tion 

Todesfalls- 

Procente 

Debove und Remond .... 

5 

13 

5 

7 + 20 

50 

Welch. 

3-5 

6 - 5 

3- 

-5 

15 

Gerhardt .. 

3-5 

13 

10 

26-28 

Rosenheim . 

— 

— 

_ 

_ 


Lebert (eigene Fälle). 

12 

27 (?) 

42 

1-9 

10 

Habersohn. 

Leube (entsprechend fremden Erfah- 

— 

18 

— 


ca. 10 

rungen . 

3-5 

6-7 

— 

— 


Müller. 

9 

_ 

_ 

_ 

_ 

Steiner . 

6-3 

_ 

_ 


_ 

Henschen . 

1-5 

21 

0-5 

41 

Leube (eigene Fälle). 

08 

1-2 

— 

0-2 

22 


Ein Blick auf diese Statistik zeigt uns, daß dieselbe 
keine richtigen Aufschlüsse gibt, da sie nicht nach gleichartigen 
Principien aufgestellt ist. Wenn Debove und Remond ein Todes¬ 
procent von 50% aller Ulcusfälle aufweisen, Leübe dagegen nur 
2’2%, beruht dies wohl nicht darauf, daß in Frankreich die 
Ulcuspatienten um so viel schlechter behandelt werden, als in 
Würzburg, oder daß vielleicht die Magengeschwüre daselbst 
bösartiger sind als anderswo, sondern auf der ungleichen Art 
der Berechnung. 

Wir finden nämlich, daß bei Debove und Remond nicht 
weniger als 20% der Todesfälle auf Tuberculose entfallen. 
Durchmustere ich unsere Obductionsprotokolle, finde ich eben¬ 
falls, daß zugleich mit dem Ulcus recens, besonders jedoch 
mit dem Ulcus sanatum oder mit Erosionen, welche zeitweise 
manifeste Blutungen veranlaßt haben, oft Tuberculose vor¬ 
kommt, welche in diesen Fällen zumeist die eigentliche Todes¬ 
ursache bildet. Diese Ulcusfälle sind demnach auch in meiner 
Statistik ausgeschlossen. 

Auch das Perforationsprocent wird sehr verschieden an¬ 
gegeben; Debove und Gerhardt 13, nach Lebert 2'7, nach 
Leübe’s eigener Erfahrung bloß 1*2%. Ich selbst habe die 
Zahl 2T% erhalten, doch muß hier bemerkt werden, daß im 
Serafimer-Lazareth die aufgenommenen Fälle einer Perforation 
nach Ulcus als Peritonitis angeführt werden und auch der¬ 
artige Todesfälle unter dieser Diagnose rubricirt erscheinen. 
Ebenso steht oft die Sache mit dem Mortalitätsprocent der¬ 
jenigen, welche an den Complicationen eines Ulcus sterben. 
Da berechnet z. B. Mikulicz 10%, indem er alle Pylorusver- 
engungen nach Ulcus hinzu rechnet, Debove hat 70% und 
Leube bloß 0'2%. So allmächtig ist doch die LEUBE’ache Diät 
nicht und auf seiner Klinik werden auch manche Patienten 
aufgenommen, welche diese Diät früher nicht genossen 
haben, und wo sich gewiß Stenose und Dilatation ent¬ 
wickelt, hat. Ich selbst habe die Ziffer 0‘5%. 

Die Angaben der Hämatemesis als Todesursache stimmen 
schon eher überein, was wohl einen einleuchtenden Grund hat, 
da sie ja nicht so leicht unrichtig rubricirt werden können ; 
aber auch hier finden sich ansehnliche Differenzen. Debove, 
Welch und Gerhardt fanden 3—5%, Müller bis zu 9%, 
Leube hat bei der Zusammenstellung fremder Angaben 3^—5, 
auf eigener Erfahrung bloß 0 8% gefunden; auf meiner 
Klinik habe ich die Ziffer 1'5% berechnen können. 

Die Chirurgen haben sich bekanntlich über gewisse In- 
dicationen für den chirurgischen Eingriff bei dem Ulcus ge¬ 
einigt, und auf dem Chirurgencongreß in Berlin haben Miku¬ 
licz und Leube denselben in einem Einleitungsvortrag Aus¬ 
druck gegeben, welchen ich einige Ziffern und Angaben ent¬ 
lehnt habe. 

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Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 48 


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Wenn wir das Ulcus recens und die Folgekrankheiten 
eines Ulcus sanatum von einander scheiden, so finden wir, 
daß bei dem ersteren die Blutung und Perforationsperitonitis 
die zwei hauptsächlichsten Todesursachen bilden, und es wurden 
diese beiden Zufälle auf die Liste der Indication für den 
chirurgischen Eingriff gesetzt. 

Hämatemesis: Wie ich schon oben gesagt habe, 
sterben entsprechend den Angaben mehrerer Kliniker 3—5°/ 0 
aller Ulcusfälle an der Blutung; Leijbe fand dagegen bei 
seiner Behandlung bloß O'8°/ 0 ; in meiner Krankenhauspraxis 
fand ich 1*5% , dagegen habe ich in meiner Brunnenpraxis, 
wo eine ansehnliche Zahl der Ulcusfälle behandelt worden 
ist, einen Todesfall durch Blutung nicht beobachtet, auch nicht 
durch andere Complicationen des Geschwüres. Man kann daher 
vielleicht mit Recht sagen, daß auch diese 1 —1*5% der 
Kranken erhalten werden könnten. Jawohl! Aber wie stellt 
sich diese Frage in der Praxis, wenn der Chirurg das Princip 
aufstellt, bei schwerer Hämatemesis einzugreifen? Die Antwort 
hierauf kann durch nähere Betrachtung der einzelnen Fälle 
sofort ertheilt werden. Solcher Fälle habe ich auf meiner 
Abtheilung sechs gesehen und will dieselben voraussetzungs¬ 
los und unparteiisch analysiren. Da zeigt sich nun, daß zwei 
derselben wohl schon zu Hause an Blutungen gelitten hatten, 
welche ihre Kräfte bereits erschöpft hatten, bevor sie ins 
Krankenhaus gebracht wurden, ja bevor der Arzt herbei¬ 
gerufen wurde; sie starben erst mehrere Tage nach der ersten 
starken Blutung, und im Magen wurde kein Blut mehr vorgefunden; 
ein Eingriff hätte eher Schaden, auf keinen Fall Nutzen 
bringen können. Im dritten Fall trat die Blutung am 29. Januar, 
14 Tage vor Eintritt des Patienten , sehr stark auf, die Auf¬ 
nahme fand am 14. Februar statt, er erbrach nun wiederholt, 
jedoch kein Blut, am 6. April bekam er heftiges Bluterbrechen 
und starb gleich darauf. Bei der Section fand man 2 kleine, 
oberflächliche, trichterförmige Geschwüre, von denen das erste 
ungefähr 2 Oerestück groß war und in eine Narbe überging. 
Die Indikation für die Operation war daher im Krankenhause 
vor der tödtlichen Blutung nicht vorhanden, dieser erlag 
jedoch der Patient sehr rasch, und der Obductionsbefund ergibt, 
daß der Chirurg schwerlich in der Lage gewesen wäre, die 
Blutungsquelle aufzufinden. Im 4. Falle vermuthete man bei 
einem 68jährigen Manne ein Carcinom, der Patient starb kurz 
nach einer Magenbluturig, und die Obduction ergab, daß ein 
Ulcus vorlag ; hier wäre der chirurgische Eingriff am Platze 
gewesen. Es verbleiben noch zwei Fälle. In dem einen entstand 
eine Blutung aus einem geheilten Ulcus, welches 10 Cm. lang 
war und sich von der Curvatura major zur minor auf der 
hinteren Magenwand hinzog, infolgedessen bestand ein Sand- 
uhrmagen. Der Patient hatte dyspeptische Erscheinungen, 
bekam eine schwere Blutung nach einem Fall von einer 
Treppe und starb kurz darnach. Ich überlasse es dem Chi¬ 
rurgen, zu beurtheilen, ob er sich zutraut, hier einen Erfolg 
erzielen zu können; für mich erscheint die Indication zweifelhaft. 
Der letzte Fall betraf einen Patienten, welcher am 1. October 
zu Hause Bluterbrechen bekam, am 12. October ins Kranken¬ 
haus aufgenommen wurde, hier am 13. October wiederum 
Blut erbrochen hatte, hierauf verworren wurde und nach 
einer neuerlichen Magenblutung am 16. October plötzlich 
starb. Bei der Section fand man im Magen nur wenig Blut 
vor, auf der hinteren Wand desselben ein taubeneigroße3 
elliptisches Geschwür außerhalb der Curvatura minor. Der Ge¬ 
schwürsboden war blaß mit kleinen punktförmigen Blutun¬ 
gen , das Lumen der Coron. sinistra bloßgelegt. In diesem 
Fall kann man sich wohl einen Erfolg einer eventuellen 
Operation denken, falls die sehr herabgekommenen Kräfte des 
Patienten eine solche zugelassen hätten; allerdings war die 
Lage des Geschwüres sehr ungünstig. Das Resultat dieser 
Durchforschung der einzelnen Fälle lehrt uns nun, daß in 
dem einen oder anderen Falle eine Operation berechtigt war, 
daß dagegen ein Erfolg derselben sehr zweifelhaft erschien, 
und es wäre daher ein gewagter Schritt, hieraus die Ope¬ 


ration bei einer lebensgefährlichen Blutung als unbedingt in- 
dicirt anzusehen. Auf der einen Seite ist in einem Falle eine 
Operation vielleicht berechtigt, in ihrem Ausgang jedoch sehr 
unsicher j andererseits sehen wir dagegen zahlreiche schwere 
Magenblutungen , welche durch vollständige Ruhe und inner¬ 
liche Behandlung zum vollständigen Stillstände gebracht 
werden. Daß viele von diesen später wenig Aussicht haben, 
gerettet zu werden, auch wenn der operative Eingriff geschah, 
davon bin ich überzeugt, wenn ich mich erinnere, wie herab- 
gekommen diese Patienten zumeist gewesen sind. 

Daraus ist man berechtigt folgenden allgemeinen Schluß 
zu ziehen: Auch im drohenden Falle einer Magen¬ 
blutung ist es das Klügste, exspectativ zu be¬ 
handeln. Ruhe, Eis, Abstinenz, möglicherweise Kochsalz¬ 
infusion, Rectalernährung, Morphium ist alles, was noth- 
wendig ist. Der Kranke soll auf seinem Platze bleiben und 
nicht ins Krankenhaus geführt werden bei lebensgefährlicher 
Blutung, wenn es nur halbwegs möglich ist, ihn in seinem 
Heime zu behandeln; dies ist mein Rtth. 

Leube hat, ähnlich vielen anderen , folgende Indication 
aufgestellt: Keine Operation bei acuter schwerer Blutung, 
operative dagegen bei Wiederholung derselben. Ich kann 
mich nun nur dahin aussprechen, daß zahlreiche meiner Pa¬ 
tienten durch längere oder kürzere Zeit wiederholte Blutungen 
hatten und sich doch wieder unter meiner Behandlung er¬ 
holt haben. Manche von den Verstorbenen hatten auch wieder¬ 
holte Blutungen, aber die Veränderungen, welche hier vorge- 
fündon wurden, waren, wie ich oben gezeigt habe, kaum solcher 
Art, daß die Kranken hätten gerettet werden können. Der Schlu߬ 
satz lautet daher: Bei schweren acuten Blutungen 
kommt der Chirurg nicht dazu, operiren zu 
können, bei acuten sowohl als auch wiederholten 
Blutungen heilt das Geschwür oft von selbst, 
bei denjenigen, welche erliegen, kann die Ope¬ 
ration auch nicht oft rettend eingreifen. 

Mikulicz geht von dem Standpunkte aus, daß ungefähr 
5% der Geschwüre an Verblutung sterben , und auf Grund 
dessen findet er den chirurgischen Eingriff „von vorneherein 
durchaus gerechtfertigt“. 

Ein solcher wurde auch von ihm zu wiederholtenmalen durch¬ 
geführt, „in den meisten Fällen jedoch ohne den gewünschten 
Erfolg“. Bloß in 2 Fällen, soweit mir bekannt ist, schreibt 
Mikulicz noch im Jahre 1897, wurde die Operation mit Erfolg 
durchgeführt. In diesen beiden Fällen wurde das blutende 
Gefäß gefunden und unterbunden. Einen Fall hat Roux, 
einen Mikulicz. Außerdem hat Mikulicz noch in 3 Fällen bei 
acuten Magenblutungen den Magen eröffnet, doch starben die 
Patienten innerhalb 24—48 Stunden im Collaps. Ebenso 
geringen Erfolg hatten Billroth und andere Operateure. 

Praktisch ergeben sich nach Mikulicz bei der Operation 
große Schwierigkeiten in folgender Richtung: 

1. Auffindung des blutenden Gefäßes, 

2. die Excision durchzuführen oder 

3. die Unterbindung; 

4. die Patienten sind so herabgekommen, daß sie die 
Operation nicht überstehen. 

Mikulicz setzt daher hinzu, man möge zuerst abwarten, 
ob die Blutung nicht von selbst steht und erst beim 2. oder 
3. Anfall von Blutung eingreifen. Doch soll man auf keinen 
Fall den Patienten vom Chirurgen zurückweisen. 

Ganz anders liegt nach Mikulicz die Sache bei öfters 
wiederholten Blutungen, welche durch Wochen und Monate 
andauern. Gleich Leube empfiehlt er hier die Operation als 
absolut indicirt. Zwei solcher Fälle sind von Küster mittels 
Gastroenterostomie geheilt worden. Zu den vorher genannten 
Fällen der erfolgreichen Operation bei einer acuten Blutung 
gehört noch ein dritter, von Michailov operirt. 

Ungeachtet so geringer Erfolge, daß bloß 3 Fälle 
glücklich operirt wurden, während mancher Fall von Blutung 
mit ungünstigem Operationserfolg nicht pnbücirt wurde, 

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räth doch ein Theil der Chirurgen, wie Warren und 
Gluzinski, bei recidivirender Hämatemese zur Operation. Chaput 
geht weiter und empfiehlt die Operation auch bei acuter 
Blutung. 

Perforation. Wenn ich nun zum Durchbruch des Ge¬ 
schwüres übergehe, ist vorerst zu bemerken, daß dieselbe ge¬ 
meinsam mit den Blutungen wohl die gewöhnlichste Todes¬ 
ursache beim Magengeschwür bildet, daß dies aber viel häufiger 
ist als die Hämatemesis. Hubersohn gibt 18% an > Debove 
18% aller Ulcusfälle, ebenso Gerhardt, Welch und Leube 
bei Zusammenstellung fremder Erfahrungen 6—7, Lebert 
2*7%. Cranz entgegen dieser Tbatsache findet Leube in seiner 
eigenen Praxis bloß 1'2% Perforationen. Ich selbst fand in 
400 Fällen 2‘1%. d. h. 8 Fälle von 890, und, wenn ich einige 
Geschwüre mit carcinomatöser Degeneration mitrechne, wird 
der Procentsatz etwas größer. Ich muß jedoch hier bemerken, 
daß in den letzten Jahren in Upsala mehrere Fälle von Per¬ 
foration direct der chirurgischen Klinik zugewachsen sind, 
wodurch der Procentsatz dieses Leidens größer ist als der 
eben angegebene, und ich denke, daß auch auf anderen 
Kliniken der Sachverhalt ein ähnlicher sein dürfte. 

Besonders schlecht ist die Prognose bei der Perforation, 
welche fast immer mortal endigt. Mehrere Aerzte haben den¬ 
noch Spontanheilungen gesehen. Mikulicz hält es ebenfalls 
für constatirt, daß Fälle von Spontanheilungen Vorkommen; 
auch Leube sah unter 6 Fällen von Perforation zwei Selbst¬ 
heilungen, Pariser konnte 14 Fälle von Perforation, welche 
genesen sind, sammeln und denselben 1 Fall eigener Erfah¬ 
rung hinzufügen. Lenander und ich selbst sahen ebenfalls je 
einen Fall mit allen Zeichen einer Perforation, welche geheilt 
wurden. Ich muß es sogar als wahrscheinlich hinstellen, daß 
weit mehr Fälle in Heilung übergehen, als uns bekannt sind. Wie 
viele Fälle von Magengeschwür sehen wir auf dem Sections- 
tische, bei denen der Geschwürsboden von der Leber oder dem 
Pankreas gebildet wird! Sind diese Geschwüre nicht zu einer 
gewissen Zeit perforirt, aber relativ geheilt, sozusagen in 
aller Heimlichkeit? Ein solches Geschwür, dessen Boden mit 
einer Rippe verheilt ist, ist eben auf meiner Abtheilung. Bei 
der Operation wurde ein Ulcus gefunden, welches die Magen¬ 
wand perforirt hatte, aber temporär verheilt war. 

Dessenungeachtet ist die Prognose als ungünstig aufzu¬ 
stellen , und die Aufgabe des inneren Arztes ist es demnach, 
die Affectionzudiagnosticiren. Ebenso schwer, als es wird, zu er¬ 
kennen, wann der Durchbruch droht, ebenso leicht ist es in 
den meisten Fällen, zu diagnosticiren, daß derselbe stattge¬ 
funden hat. Die plötzlichen, heftigen Schmerzen, als ob etwas 
im Inneren auseinandergerissen werde, die kurz danach ein- 
treter.de Spannung des Bauches charakterisiren die Perfora 
tion. Zeitweise tritt Erbrechen auf und oft verschwindet die 
Leberdämpfung. Danach folgen mehr oder minder deutliche 
Symptome der allgemeinen Peritonitis. Aber dazwischen gibt 
es Fälle einer schleichenden Perforation, wo die Patienten 
kaum den Zeitpunkt derselben angeben können. Unter meinen 
Fällen war der Zeitpunkt der Perforation nicht bestimmbar 
in einem Falle, wo außerdem eine Puerperalperitonitis be¬ 
stand, ebenso in einem Falle, wo bloß ein begrenzter Abdo- 
minalabsceß zustande gekommen und der Patient 2 Monate 
danach an der Perforation verstorben war. 

Die Ursache der Mißdeutungen bilden besonders Peri¬ 
typhlitis, Gallenblasenzufälle und Darmperforationen. Die Dia¬ 
gnose wird dadurch bestimmt, daß vorher Symptome eines 
Magengeschwüres sich vorgefunden hatten, wobei jedoch nicht 
vergessen werden darf, daß das Magengeschwür eben erst im 
Zeitpunkte des Durchbruches manifest'wird. Solche Fälle sind 
jedoch selten und unter den meinigen findet sich kein einziger 
ähnlicher Fall. 

Von dem Momente ab, da der Durchbruch diagnosticirt 
ist, gehört der Patient dem Chirurgen und deshalb will ich 
über diesen Gegenstand mich nicht weiter auslassen, der 
Internist hat bloß interimistisch absolute Ruhe, Abstinenz, 


Eis, hie und da Morphium zu verordnen. Es sei mir jedoch 
gestattet, einige Daten aus meinem Material anzufügen. 

Die Lage des Geschwüres war in mehreren Fällen 
abweichend von der gewöhnlichen, denn dasselbe war an 
der hinteren Wand des Magens gelegen. Das Geschwür war 
mindestens in 3 Fällen groß und infiltrirt. 

Die Peritonitis war in der Regel diffus, in einem 
Falle bei einer Krankheitsdauer von 2 Monaten jedoch auf 
eine kleine Strecke begrenzt. In einem Fall bildete sich ein 
subphrenischer Absceß. 

Die Zeitdauer vom Durchbruch bis zum Tode ist un¬ 
gleich gewesen. Zwei Kranke starben im Laufe eines halben 
Tages, je einer nach einem Tage, bezw. 4, 5, 9, 16 Tagen und 
2 Monaten. Der letzte Fall war derjenige mit dem begrenzten 
Absceß an der hinteren Wand. 

Fragen wir nun, ob nicht die Kranken in diesen Fällen 
hätten - gerettet werden können, so will ich vorerst bemerken, 
daß 2—3 derselben in die voroperative Zeit fallen. Daß einige 
dieser Fälle hätten gerettet werden können, erleidet keinen 
Zweifel; in den Fällen, bei denen die Operation vollzogen 
wurde, hatte dieselbe jedoch keinen Erfolg. 

Tod infolge von Complicationen. 

Wenn man von der Blutung und dem Durchbruche ab¬ 
sieht , so gibt es nur eine geringe Anzahl von Fällen , bei 
denen der Tod direct durch andere Complicationen bedingt 
war. Debove und REmond schätzen wohl diese Zahl mit 12, 
Lebert bis zu 6T% ab, Gerhardt berechnet 10%, aber alle 
diese Ziffern müssen erst analysirt werden, bevor man sie zur 
sicheren Angabe heranziehen kann. Leube berechnet bei seinem 
eigenen Material bloß 0 2% und ich finde 0 - 5%. Wenn man 
jedoch diejenigen Fälle zuzählen sollte, wo ein mehrere Jahre 
altes Ulcus allmälig die Gesundheit untergraben oder ein 
anderes Leiden befördert hat, so wird gewiß der Procentsatz 
nicht so gering bleiben. Es ist besonders auffallend, daß so 
viele Ulcera sanata bei den Schwindsüchtigen gefunden werden ; 
ich fand dies in 13 Fällen, ebenso wie dieselben eine nicht 
geringe Rolle bei der Entstehung der Carcinome spielen. 

In einer Anzahl der Fälle, wo sich eine Stenose des 
Magenpförtners herausbildet, Sanduhrmagen, Verwachsungen 
mit den benachbarten Eingeweiden u. s. w., wodurch chro¬ 
nische Ernährungsstörungen verschiedenster Art entstehen, 
welche wiederum die Ernährung mittelbar untergraben und 
den Tod beschleunigen, werden eben diese Complicationen von 
großer Bedeutung. 

Doch hiedurch gelangten wir zur Frage über die Folgen 
des geheilten Geschwüres oder des mehr chronischen Stadiums 
desselben, einem Gebiete so reich an Abwechslung und so um¬ 
fassend, daß es ein eigenes Gebiet in der Geschichte des Ge¬ 
schwüres bildet, wo ganz neue Standpunkte hervortreten. Zu 
diesem Gebiete gehört auch die Lehre von den chronischen 
bandförmigen oder diffusen Perigastritiden, den peritonealen 
oder subphrenischen Abscessen, den PylorusVerengerungen mit 
Erweiterung und Sanduhrmagen — ein Capitel, welches ich 
hier nicht behandeln kann. 

Dagegen gehört zum Ulcus recens die Frage, ob und in 
welchem Maße die Schmerzen die Operation bedingen oder 
berechtigen können. Diese Schmerzen sind bekanntlich oft 
äußerst heftig und von unstillbarem Erbrechen der schmerz¬ 
haftesten Art und Krampfanfällen begleitet. Es ist leicht ein¬ 
zusehen , daß die Vernarbung des Geschwüres hiedurch oft 
aufgehalten oder verhindert und die Blutung und Perforation 
befördert wird. Denn gerade diese Symptome berechtigen zum 
Schlüsse, daß das Geschwür fortschreitet, sich in die Tiefe 
ausbreitet, das Peritoneum reizt, denn Durchbruch und Blutung 
sind eben in solchen Fällen nicht so selten. Daß dabei vorerst 
Abstinenz, Eis, Morphium, Wismuth, Rectalernährung, hie und 
da Magenausspülung, versucht werden muß, ist klar, doch 
bei manchen Fällen wird hiedurch allein nicht viel erreicht, 
In den schwersten dieser Fälle sah ich, daß die Geschwüre 


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groß, tumorähnlich waren, mit ausgebreiteten Perigastritiden, 
und der Geschwürsboden gebildet war vom Pankreas oder dem 
retromesenterialen Bindegewebe mit seinem reichen Nerven¬ 
geflechte. In solchen Fällen war ich nicht so glücklich wie 
Leübe , der fast immer die Schmerzen durch innere Behand¬ 
lung beheben konnte, vielmehr war Inanition und vollständige 
Herabsetzung der Kräfte durch die Schmerzen die Folge 
dieser Zustände, oder der Tod trat theilweise durch Blutung 
und Perforation ein. Die genannten Symptome geben daher 
nach meiner Meinung eine wichtige Indication für einen chirur¬ 
gischen Eingriff, aber der Chirurg möge in jedem einzelnen 
Falle entscheiden, ob und wie weit er einen günstigen Erfolg 
erhofft, ein Umstand, der allerdings oft erst nach Eröffnung 
des Abdomens bestimmt werden kann. 

Welche Operation dann weiterhin auszuführen ist, kann 
ebenfalls erst in diesem Zeitpunkte entschieden werden. 


Referate. 

Tansini (Palermo): Die Splenektomie und die Talma- 
sche Operation bei der BANTi’schen Krankheit. 

Verf. tlieilt einen Fall von Milzschwellung mit Lebercirrhose 
(BANTi’scher Krankheit) mit, bei welchem er ein neues Operations¬ 
verfahren eingeschlagen hat. Die 46jähr. Pat., die seit Jahren 
krank war, ist in der letzten Zeit unter bedeutender Zunahme der 
Ascites sehr herabgekommen und da gar kein anderes therapeu¬ 
tisches Verfahren Aussicht auf Erfolg hatte, entschloß sich Verf. 
zu einem operativen Eingriff. 

Von der Ansicht ausgehend, daß das die Leber schädigende 
Gift in der Milz producirt wird , exstirpirte Verf. vor Allem 
die Milz, was ohne Schwierigkeiten gelang, da man nur eine Ver¬ 
wachsung der Bauchwand in einer Ausdehnung von ca. 2 Thalern 
zu überwinden hatte. Um die weitere Ansammlung des Ascites zu 
verhindern, nähte dann Verf. das von mächtigen Venen durch¬ 
zogene Netz an das Peritoneum und zwischen die Ränder der 
Bauchwände an. In den ersten Tagen nach der Operation stellte 
sich trotzdem wieder Ascites ein, so daß 4 Wochen nach der Ope¬ 
ration eine Punction des Abdomens gemacht werden mußte , um 
eine Ausdehnung der Bauchnarbe zu vermeiden. Der weitere Ver¬ 
lauf war sehr günstig, die Venen der Bauchwand füllten sich stärker, 
Ascites kam nicht wieder und, wie Verf. mittheilt („Langenbeck’s 
Arch.“, Bd. 67, H. 4), zeigte die Pat. 6 Monate nach der Operation 
ein gesundes Aussehen, keine Anämie, keinen Ascites; der früher 
harte und unebene Leberrand ist in der Zwischenzeit regelmäßig 
und glatt geworden. Erdheim. 

E. Hedinger (Königsberg i. P.): Klinische Beiträge zur 
Frage der Hämolyse. 

Verf. untersuchte die hämolytischen Eigenschaften im Blut¬ 
serum verschiedener Herkunft, das aus therapeutischen oder dia¬ 
gnostischen Gründen durch Punction einer Armvene gewonnen 
wurde („Deutsches Arch. f. kl. Med.“, B. 74, H. 1 u. 2). Bei Typhus 
in verschiedenen Stadien der Erkrankung, Pneumonie, Scharlach, 
Compensationsstörungen, Pyämie, Coma diabeticuin, Nephritis ohne 
Urämie war die Hämolyse ganz normal. Alle diese Sera zeigten in 
inactivirtem Zustande eine starke Agglutiuation der rothen Blut¬ 
körperchen, um so intensiver, je prompter die Hämolyse eintrat. 
Auf der Höhe der Urämie bei Nephritis kam sowohl in unveräf* 
dertem, als auch mit inactivem Serum versetztem Serum keine Hä¬ 
molyse zustande; erst mit dem Abklingen der Urämie stellten sich 
wieder normale Lösungsverhältnisse ein, gleichzeitig kam es bei 
bloßem Zusatz inactivirten Serums wieder zu starker Agglutination. 
In einem Falle von Urämie (Scharlaehnephritis) dauerte die ge¬ 
störte Hämolyse noch lange fort, als schon die klinisch erkenn¬ 
baren urämischen Erscheinungen vorüber waren. Während bei 
Transsudaten die Hämolyse meist gut war, bestand bei Exsudaten 
eine ausgesprochene Hemmung der Hämolyse, ohne daß sich bei 


der wenig scharfen Grenze beider ein bestimmtes Gesetz aufstellen 
ließe. Die Frage, warum die Störung der Hämolyse nur in urä¬ 
mischen Heris vorkommt, muß zur Zeit noch als eine offene be¬ 
zeichnet werden, da die als Erklärungsmöglichkeit in Betracht 
kommende Erhöhung der molecularen Concentration des Blutserums 
nicht in allen Fällen von Urämie vorhanden ist, andererseits die 
Stärke der Hämolyse in serösen Flüssigkeiten nicht von der Menge 
der Eiweißkörper abhängig ist. Der praktisch-klinische Werth der 
hämolytischen Untersuchung entspricht zur Zeit nicht seiner theo¬ 
retischen Bedeutung; dies würde erst der Fall sein, wenn dadurch 
auf das Drohen einer Urämie aufmerksam gemacht würde, bevor 
andere, grobkliuische Merkmale darauf hinwiesen, sowie bei der 
Differential-Diagnose gegenüber urämieähnlichen Erscheinungen. 

B. 

Vanysek (Prag): Ueber die Stellung der Zunge bei der 
Facialislähmung. 

Verf.’s Studie basirt auf 3 Fällen von Facialislähmung, com- 
binirt mit einer Deviation der Zunge zur gesunden Seite („Sbornik 
Klinicky“, Bd. III, H. 6). Diese Deviation war eine constante und 
verschwand nicht, wenn durch Zug des gelähmten Mundwinkels 
der Mund in seine normale Stellung gebracht wurde. Hitzig, der 
speciell diese Deviation der Zunge studirt hatte, betrachtet sic als 
eine mechanische Folge der Deviation dc3 Mundes und glaubt, daß 
die Zunge immer ihre Stellung zwischen den beiden Mundwinkeln 
bewahre. Aber Verf.’s 3 Fälle beweisen, daß es Fälle gibt, die 
auf diese Weise nicht erklärt werden können und in welchen an¬ 
genommen werden muß, daß es sich um eine Lähmung der Zungen¬ 
muskeln handle. Welche Muskeln sind da gelähmt ? Nach Verf.’s 
Ansicht ist die Deviation durch Lähmung oder Parese der Muskel¬ 
gruppe verursacht, welche die Mm. stylohyo-, chondro-, palatoglossi 
umfaßt, oder durch totale resp. partielle Lähmung des M. stylo- 
glossus. 

Diese Muskeln und vornehmlich der M. styloglossus empfangen 
wahrscheinlich manchmal — nicht immer — Fasern des Facialis 
und bet heiligen sich auf diese Weise an der peripheren Facialis¬ 
lähmung. Stock. 

H. Wolpert: Ueber den Einfluß des Windes auf die 
Athmungsgröße des Menschen. 

W. faßt die Ergebnisse seiner experimentellen Untersuchungen 
in folgender Weise zusammen („Arch. f. Hyg.“, Bd. 13, Nr. 1): 

Gibt sich die Wirkung des Windes durch, wenn auch ge- 
ringgradigste Kältesymptome (Gänsehaut u. s. w.) zu erkennen, 
so sind Athmungsgröße sowohl, wie Kohlensäurebildung nebst Sauer¬ 
stoffverbrauch, auch die Wasserdampfabgabe durch die Respiration 
bedeutend höher als bei Windstille. Unter mittleren Verhältnissen, 
wo man bewegte und unbewegte Luft als unterschiedslos für die 
Wärmeempfindung hinnimmt, werden Atlimungsprocesse und Kohlen¬ 
säurebildung durch den Wind nicht beeinflußt, die Wasserdampf¬ 
abgabe (aus Perspiration) jedoch bedeutend durch den Wind herab¬ 
gesetzt. In solchen Fällen (höhere Temperaturen, etwa 30° und 
mehr), wo bewegte Luft als eine Annehmlichkeit empfunden wird, 
ist die Athmungsgröße durch den Wind gesteigert, die Kohlen¬ 
säurebildung etwas herabgesetzt, die Wasserdampfabgabe (aus Per 
spiration) bedeutend durch den Wind herabgesetzt. Bei extrem 
hoheu Temperaturen (Luft wärmer als der Körper) sind Athmungs¬ 
größe, auch Kohlensäurebildung in bewegter Luft höher als in 
ruhender Luft, die Wasserdampfabgabe (aus Perspiration) in be¬ 
wegter Luft bedeutend höher als in ruhender Luft. N. 

Krogius (Iielsingfors): Zur Technik der Ureteropyelo- 
neostomie. 

Um diejenigen Fälle von Hydronephrose, die durch eine 
Strictur des oberen Ureterenendes bedingt sind, mit Erhaltung 
der Niere zur Heilung zu bringen, sind in den letzten Jahren 
verschiedene Operationsmethoden angegeben worden, von denen 
die wichtigsten die plastischen Operationen am Ureter und Nieren¬ 
becken, am Sitz der Strictur oder Klappe, und die Resection des 

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oberen Ureterenendes mit Wiedereinpflanzung desselben in das 
Nierenbecken (Ureteropyeloneostomie) sind. 

Die letztere Operation wurde vom Verf. an einem 21jähr. 
Pat., der seit Jahren an einer Hydronephrose litt, ausgeführt, 
nachdem eine früher vorgenommene Ureterplastik ohne Erfolg ge¬ 
blieben war. Verf. empfiehlt („Centralbl. f. Chir.“, 1902, Nr. 25) 
behufs Anlegung der neuen Verbindung zwischen Ureter und Hydro- 
nephrosensack den letzteren zu spalten, damit die Schleimhaut 
des Sackes an die Schleimhaut des in seinem oberen Theile der 
Länge nach gespaltenen Ureters von innen genau angenäht werden 
kann. Außerdem räth Verf., für die Einpflanzung des Ureters ein 
dreieckiges Loch in den Hydronephrosensack zu schneiden und 
hier den Ureter mit einer Pincette durchzuziehen. 

Der vom Verf. operirte Pat. zeigte anfangs eine ziemlich 
große Menge Eiweiß im Urin, welches aber bald auf Darreichung 
von Urotropin verschwand. Die von der ersten Operation übrig 
gebliebene Nierenfistel verschwand bald nach Anlegen der Ana- 
stomose und Pat. blieb dauernd gesund. Erdheim. 

Vossius (Heidelberg): Ueber Struma und Cataract. 

Vossius berichtet („Zeitschr. f. Augenheilkunde“, Bd. 8, H. 3) 
über seine Beobachtungen von Cataract bei Pat. mit Struma, welche 
sich auf 14 Fälle erstrecken und vielfach junge Frauen im Alter 
von 30—50 Jahren betreffen, also in einem Alter, in welchem sich 
sonst nicht oder wenigstens nur selten eine spontane Cataracta zu 
entwickeln pflegt. Es handelte sich meist um einen Kernstaar mit 
mehr minder durchsichtiger Linsenperipherie, wie man ihn sonst 
bei Individuen, welche in der Ernährung herabgekommen sind, 
sieht. Vortr. hält das Zusammentreffen von Cataract und Struma 
nicht für zufällig, sondern nimmt eine ätiologische Beziehung wie 
bei Diabetes und Gicht für wahrscheinlich an. Er ist der Ansicht, 
daß es sich um eine Autointoxieation handle, bedingt durch Aus¬ 
schaltung der Schilddrüsenthätigkeit, resp. Veränderungen ihrer 
physiologischen Function, und weist auf die Beobachtungen von 
Tetanie nach Strumectomie und auf den von einigen Autoren 
festgestellten Zusammenhang der Tetanie mit Cataract hin. Er 
citirt ferner das Vorkommen von Cataract bei Morbus Basedowii 
und bei Myxödem. Bondi (Iglau). 

Habershon: Auscultatorische Percussion. 

Verf. empfiehlt folgende Percussionsmethode, welche den Umfang 
von Organen, von Flüssigkeitsergüssen u. dergl. zu ermitteln gestattet 
(„Practitioner“, 1902, Nr. 2). Man setzt das Hörrohr auf die Brust 
und klopft dicht dabei mit dem Finger auf die Haut; der Schall 
wird im Hörrohr, am besten dem biauralen, fast schmerzhaft laut 
gehört; wenn man nun mit dem Hörrohr sich mehr und mehr ent¬ 
fernt, so wird der Schall plötzlich wesentlich leiser: ein Lungen¬ 
lappen ist zu Ende(?). Auf diese Weise kann man mit Leichtigkeit 
die Grenzen der Lungenlappen, die Leber, die Milzgrenze bestimmen ; 
für das normale Herz leistet die Methode keine besseren Dienste 
als die einfache Percussion, dagegen kann man ein linksseitiges 
Exsudat, dessen Dämpfung in die Herzdämpfung übergeht, mit 
Leichtigkeit durch die neue Methode vom Herzen abgrenzen; nach 
den Abbildungen des Verf. zu urtheilen, bildet das Sternum dabei 
kein Hinderniß, wie bei der Percussion. Am schärfsten ist die neue 
Methode , wenn man eine tönende Stimmgabel oder 2 aneinander 
gerathene Münzen als Schallquellen verwendet. B. 

Fermi und Cano-Brusco (Sassari) : Prophylaktische Ver¬ 
suche gegen die Malaria, angestellt auf den 
königl. sardinischen Eisenbahnen. 

Verff. berichten neuerdings („Centralbl. f. Bakteriologie, Para¬ 
sitenkunde u. Infectionkrankheiten“., Bd. 31 , pag. 734) über Ver¬ 
suche, das Bahnpersonale durch Schutz gegen Mosquitostiche vor 
einer Erkrankung an Malaria zu bewahren. Die Mosquitos wurden 
in der bekannten Weise durch Metallnetze, die an den Fenstern, 
Schornsteinen, Thüren , Billetschaltern .etc. angebracht waren, ab¬ 
gehalten ; die dort beschäftigten Personen mußten, wenn sie die 
Wohnung eine Stunde vor Sonnenuntergang oder in den ersten 


Morgenstunden verließen, besondere Kapuzen und große Handschuhe 
tragen. Das Bahnpersonale wie die Wohnungen wurden strenge 
überwacht. Das Versuchsergebniß war durchwegs, sowohl in der 
Provinz Sassari als in der Provinz Cagliari, ein günstiges, indem 
keine der in den Versuch einbezogenen Personen au Malaria er¬ 
krankte. Dr. S—. 

Karlow (Tomsk, Sibirien): Anguillula intestinalis als Ur¬ 
sache acuter blutiger Diirchfälle beim Menschen. 

Verf. findet, daß in Sibirien eine Form sporadischer blutiger 
Durchfälle vorkommt, die ihre Ursache in der Anwesenheit der 
Anguillula intestinalis im Darmtract hat. Der Parasit lebt nicht 
nur im Darminhalt, sondern auch in der Darmwand, wo er Blu¬ 
tungen, Geschwüre etc. hervorruft; die Veränderungen erstrecken 
sich bis in die Submucosa. Nach dem Tode des Wirthes wandern 
die reifen Parasiten aus der Darmwand in das Darmlumen aus, 
wo sie bald absterben. Klinisch bot der Fall, den Verf. zu unter¬ 
suchen Gelegenheit hatte, Anfälle acuter Dysenterie dar („Centralbl. 
f. Bakteriologie, Parasitenkunde u. Infectionskrankheiten“, Bd. 31, 
pag. 614). In der Literatur liegen ähnliche Beobachtungen von 
Askanazy und Leichtenstern vor. Dr. S—. 

Preisich und Heim (Budapest): Ueber das Wesen der Tu- 
berculinreaction. 

Umfangreiche Versuche über den diagnostischen Werth des 
Tuberculins führen die Verff. zu dem Schlüsse („Centralbl. f. Bak¬ 
teriologie, Parasitenkunde u. Infectionskrankheiten“, Bd. 31, pag. 712), 
daß das Tuberculin zwar ein sicheres diagnostisches Mittel für die 
Tuberculose ist, daß aber sein differentialdiagnostischer Werth 
wesentlich geringer ist. In der Veterinärmedicin ist es wohl sehr 
werthvoll, bei der Verwendung am Menschen muß man jedoch hin¬ 
sichtlich der Schlußfolgerungen sehr vorsichtig sein , namentlich 
alle jene Krankheifsprocesse ausschließen können, bei welchen die 
Tuberculinreaction positiv sein kann. Auch müssen schon einige 
Tage vor der Tubereulininjection gewisse Medicamente ausgesetzt 
werden; endlich muß eine sehr genaue Temperaturcurve angelegt 
werden, deren Gestalt besonders zu beachten ist. Dr. S—. 


Kleine Mittheilungen. 

— Ueber die Indicationen und Contraindicationen des 
Aderlasses bei Kindern berichtet Baginsky („Arch. f. Kinderheilk.“, 
1901, Bd. 31, H. 5 u. 6). Es liegen eigentlich nur zwei Indicationen, 
die zugleich als vitale bezeichnet werden müssen, vor: 1. die Er¬ 
stickungsgefahr bei überfülltem rechten Herzen, 2. die Ueberladung 
des Blutes mit chemischen Zerfallsproducten des Organismus. Es 
kämen hiefür speciell in Betracht: Pleuropneumonien, Broncho¬ 
pneumonien , capillare Bronchitis mit Stauungserscheinungen, 
chronische Herzfehler, Schlag auf Schlag folgende, von Hyperämie 
des Gehirns ausgehende Convulsionen, sporadische Nephritiden mit 
urämischen Symptomen. Dagegen sind sichere Contraindicationen 
zu finden in chronisch - hydrämisehen Zuständen bei Tuberculose 
und Syphilis, in allen Formen ernster Digestionsstörungen, in allen 
heftig einsetzenden acuten Infectionskrankheiten, selbst wenn hoch¬ 
gradige cerebrale Störungen mit der Hyperpyrese einhergehen. Im 
Alter kann keine Contraindication gesucht werden. Man legt am 
besten nach Anlegen des Bandes am Oberarm die am meisten 
hervortretende Vene frei, präparirt dieselbe und incidirt. Wenn 
es möglich ist und die Blutung nicht bereits früher steht, erscheint 
es rationell, den 15.—20. Theil der Gesammtblutmenge des Kindes 
zu entnehmen. Weiß man das Gewicht des Kindes und nimmt die 
Blutmenge als 1 / 16 —des Körpergewichtes an, so läßt sich die 
zu entnehmende Blutmenge einigermaßen bestimmen. 

— Ueber die praktische Verwendbarkeit des Orexintannates 
berichtet Matzner („Die Heilkunde“, 1902, Oct.) Folgendes: Dem 
Orexiutannat gebührt der Vorzug vor allen übrigen, derzeit in 
Verwendung befindlichen Storaachicis; sein Hauptanwendungsgebiet 
stellen alle jene Anorexien und Dyspepsien dar, welche nicht die 


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Folge von anatomischen Structurveränderungen sind, sondern auf 
dyspeptischer, anämischer oder neuralgischer Basis beruhen, und 
welche mit einer Verminderung der Salzsäureproduction einher - 
gehen; die Anorexie scrophulöser, rachitischer und reconvalescenter 
Kinder wird durch Orexintannat sicher behoben und ermöglicht 
infolgedessen eine reichliche und zweckmäßige Ernährung; das 
Erbrechen der Schwangeren und nach Chloroformnarkosen wird 
durch Orexintannat gemildert, unangenehme Nebenerscheinungen 
(Erbrechen, Brennen), wie sie dem Orexin. hydrochlorieum und 
basicum eigen waren, durch Orexin. tannicum niemals hervor- 
gerufeu. Das Orexin stellt zwar kein specifisches Heilmittel vor, 
es ist aber eine ausgezeichnete Bereicherung unseres Arzneischatzes 
in der nie zu entbehrenden symptomatischen Therapie. 

— Die Behandlung des Soors bei Neugeborenen beschreibt 
Mayand („Lyon med.“, 1902, Nr. 17). Soor soll bei Neugeborenen 
mit einer 3°/ 0 igen Höllensteinlösung behandelt werden. Ein in diese 
Lösung getauchter Wattapinsel wird dem Kinde zum Saugen ge¬ 
geben; die Flüssigkeit vertheilt sich dann gleichmäßig im Munde 
des Kindes. Ist der Belag fest, dann bestreiche man die kranken 
Partien mit dem Pinsel. Das Neutralismen des Ueberschusses mit 
Kochsalzlösung ist nicht nothwendig. Nach solchen Pinselungen 
werden niemals üble Zufälle, Läsionen der Mundschleimhaut oder 
Verdauungsstörungen beobachtet. Um Erbrechen, das hie und da 
beobachtet wird, zu vermeiden, soll in den Intervallen zwischen 
den Stillungszeiten die Cauterisation vorgenommen werden. 

— Ueber die Behandlung wiederholter pleuritischer Er¬ 
güsse mit Gasinjectionen berichten Vaquez und Quiserne („Soc. 
m6d. des höpitaux“, 1902, Nr. 18). V. und Q. waren bemüht, durch 
Gaseinspritzungen einen künstlichen Pneumothorax hervorzurufen, um 
hiedurch die Wiederbildung von Exsudaten zu hemmen. Bei der 
Wahl der Gase nahmen sie mehr auf ihre größere oder geringere 
Resorptionsfähigkeit, als auf eine etwaige antiseptische Wirkung Rück¬ 
sicht. Die Methode ist folgende: An einem starken Troicart wird 
ein Y-förmiges Kautschukrohr angebracht, dessen eine Branche 
mit dem aspirirenden Syphon von Potain verbunden ist, während 
die andere, zur Zeit der Punction mit einer Klemme verschlossene 
Branche in der Mitte ein mit Watte gefülltes Glasröhrchen trägt. 
Durch dieses wird nun mit einer Druckpumpe Luft in den Pleura¬ 
raum getrieben, welche im Wattepfropf sterilisirt wird. Selbst¬ 
verständlich wird in diesem Augenblicke die erste Kautschukbranche 
mit Klemme geschlossen. Sobald ein eingeführtes Manometer in 
der Pleura denselben oder einen höheren Druck wie im Beginne 
der Punction anzeigt, ist die Injection von Gas auszusetzen. Die 
atmosphärische Luft eignet sich wegen langsamerer Resorption zu 
den Injectionen; Sauerstoff wird rascher resorbirt. Stickstoff wird 
langsam resorbirt und ist angezeigt, wo atmosphärische Luft rascher 
zur Aufsaugung käme. Der Werth der Methode besteht auch darin, 
daß eine durch lange währenden pleuritischen Erguß atelektatisch 
gewordene Lunge durch plötzliches Aufhören des Druckes infolge 
der Punction von rapider Tuberculose befallen werden kann, was 
vielleicht durch den künstlichen Pneumothorax verhindert werden kann. 

— Ueber Heilung und Heilbarkeit der Lungenphthise be 
richtet Hansemann („Berl. klin. Wschr.“, 1902, Nr. 32). Es ist 
unzweifelhaft, daß die Lungenschwindsucht heilbar ist. Doch 
müssen natürlich in dieser Frage die verschiedenen Arten der 
Phthise auseinander gehalten werden. Nach den Erfahrungen von 
H. beginnt die eigentliche tuberculose Phthise fast ausschließlich 
in den Spitzen, für die primäre Localisation an anderen Stellen 
müssen immer specielle Gründe vorliegen. Es ist ausgeschlossen, 
daß die acute käsige Bronchophthise in Heilung übergeht, bei der 
käsigen Hepatisation können kleine Herde eingesargt werden, 
sogar größere, wenn sich reichlich Bindegewebe darum bildet. 
Auch Cavernen können heilen, einerseits durch Schrumpfung des 
umgebenden Bindegewebes, andererseits durch Verwandlung des 
Granulationsgewebes innerhalb der Höhle in festes Bindegewebe. 
Phthisen, welche über den überlappen hinausgreifen, haben fast 
nie Aussicht auf definitive Heilung, während dieselbe bei kleinerer 
Ausdehnung wohl eine endgiltige werden kann, wie die zahlreichen 
Sectionsbefunde zeigen. Die Frage, ob ein Mensch, der noch viru¬ 
lente Tuberkelbacillen in sich beherbergt, die aber eingeheilt sind, 


als geheilt zu betrachten ist, wird bejaht. In tuberculösen Herdeu 
können die Tuberkelbacillen viele Jahre lang virulent bleiben. 

— Aus Beobachtungen über COITiprimirte Tabletten („Monats¬ 
schrift für Neuerungen a. d. Geb. d. Med., Pharm.“ etc., 1902, Nr. 2) 
geht hervor, daß der Versuch dieser Medication in der großen Hand¬ 
lichkeit und der exacten Dosirung derselben besteht; gerade jene 
Stoffe, welche in minimalen Dosen gebraucht werden, eignen sich für 
diese Darreichungsform sehr gut. Es können auch mehrere Sub¬ 
stanzen zusammen eomprimirt werden, wo es logischer Weise zulässig 
ist; dagegen sind allzu complieirte Mischungen nicht empfehlens- 
werth. Wenn es darauf ankommt, eine Cur längere Zeit fort¬ 
brauchen zu lassen, ist diese Form des Medicamentes bequem, 
weil sie haltbarer ist als manche andere und zudem verhältniß- 
mäßig wenig Raum einnimmt; dies ist z. B. der Fall beim Brom¬ 
kalium, das in Nervcnaffectionen oftmals Monate und selbst Jahre 
lang gebraucht wird. Gewisse Pulver haben wenig Adhäsionskraft, 
so daß sie der Herstellung von Tabletten insofern Schwierigkeiten 
bieten, als dieselben leicht zerfallen; es empfiehlt sich in solchen 
Fällen, eine physiologisch unwirksame Substanz beizufügen, welche 
diesem Uebelstande vorzubeugen geeignet ist. 

— Eine modificirte Methode des Schröpfens beschreibt 
S. Rüiunstein („Therap. Monatsh.“, 1902, Nr. 6). R.’s Schröpfkopf 
besteht aus dem Scarificator, dem gewöhnlichen Schröpfschnepper, 
welcher in üblicher Weise gehandhabt wird, dem Schröpfkopf und 
dem zur Luftverdünnung dienenden Instrument. Der Sehröpfkopf 
besteht aus einem gläsernen, mit seiner ganzen Fläche etwas 
umgebogenen und gewölbten Gefäß von 30—35 Ccm. Inhalt, einem 
Querschnitt von 4 Cm., einer Höhe von 6 — 7 Cm., mit stark ver¬ 
dicktem, völlig glattem, ebenem Rand, um sich der Haut vollkommen 
anzuschmiegen. Von der Mitte der einen Wand geht ein circa 
2 Cm. langer, hohler Fortsatz von 4— 5 Mm. Querschnitt ab, 
welcher die Verbindung mit dem die Luft verdünnenden Instrument 
herstellt, vermittelst eines circa 5 Cm. langen, dickwandigen Gummi¬ 
schlauches, welcher an seinem Ende mit einem dicht schließenden 
Gummihahn versehen ist. Das andere Ende dieses Schlauches dient 
direct zur Aufnahme des Ansatzes des luftansaugenlen Instruments. 
Hiezu wird eine etwa 75 Ccm. haltende Spritze, ähnlich einer 
Ohrenspritze, verwandt. Das Verfahren soll Schnelligkeit und 
Sauberkeit der Handhabung, Einhaltung der Asepsis und geringe 
Belästigung des Pat., sowie die Möglichkeit besitzen, größere Mengen 
Blut zu entziehen als mit den üblichen Methoden möglich war. 

— Mittheilungen über die Indicationen zur Anwendung des 
Kufeke-Kindermehles veröffentlicht Reichelt („Med. Blätter“, 1902, 
Nr. 10). Verf. empfiehlt in Uebereinstimmung mit Biedert bei 
sehr hochgradiger Fettdiarrhoe verdünnte, abgerahmte Kuhmilch 
mit kleinen Mengen Kufeke-Mehles, um einerseits den Nährwerth 
der Nahrung zu erhöhen, andererseits um die Casei'nverdauung 
zu unterstützen. Die Begründung hiefür liegt einmal darin, daß, 
wie man leicht nachweisen kann (Probe mit LiJGOL’scher Lösung), 
kleine Mengen dextrinisirten Mehles bei dieser Erkrankung that- 
sächlich verdaut werden können, und daß andererseits durch 
die Einlagerung der Kindermehlpartikelchen zwischen die Milch¬ 
kügelchen eine leichtere Verdaulichkeit der Milch überhaupt erfolgt. 
Unter diesem Regime erholen sich gewöhnlich rasch die Ver¬ 
dauungsorgane, so daß man bald zu relativ fettreicher Milch zurück- 
kehreu kann. Auch bei chronischen Darmaffectionen kann man 
mit dem Präparate günstige Erfolge erzielen. In ähnlichem Sinne 
äußert sich, auch Schweiger („Die Heilkunde“, 1902, Nr. 8). 
Dieser Autor empfiehlt neben dem Kufekemehle auch die Thein- 
HARDT’sche lösliche Kindernahrung. Die Zubereitung der Mahlzeiten 
mit Theinhardt’s Kindernahrung geschieht in der Weise, daß 
man die vorgeschriebene Menge Pulver mit heißem Wasser langsam 
verrührt, bis alle Knöllchen verschwunden sind, einige Minuten 
aufkocht, hernach die Milch zusetzt, stetig umrührt und nach 
nochmaligem Aufkochen die Suppe in die vorher erwärmte und 
gereinigte Flasche füllt, diese sofort verschließt und auf 38° C. 
= 30° R. abkühlen läßt, bevor sie dem Kinde gereicht wird. Am 
zweckmäßigsten ist es, die Säuglingssuppe für den ganzen Tages¬ 
bedarf auf einmal herzustellen. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 48. 


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Literarische Anzeigen. 

Die Temperaturverhältnisse bei den Neugeborenen 
in ihrer ersten Lebenswoche. Von Johann Lachs. 

Sammlung klinischer Vorträge, begr. von R. v. Volkmann. 
Leipzig 1901, Breitkopf & Härtel. 

Die Resultate der Untersuchungen Lachs’ basiren auf mehr 
als 3000 Messungen, die an 100 Neugeborenen vorgenommen 
wurden. Die Resultate der Untersuchungen, deren interessante Ein¬ 
zelheiten hier nicht wiedergegeben werden können, haben ergeben, 
daß das Kind in der Gebärmutter eine höhere Temperatur als 
seine Mutter besitzt, deren Höhe von der Schwangerschaftsdauer 
abhängig ist: daß die Quelle dieses Plus im Kinde und nicht 
etwa in Organfunctionen des Uterus zu suchen ist; daß unmittel¬ 
bar nach der Geburt die Kindestemperatur sinkt. Ein Unterschied 


Feuilleton. 

Mittel und Wege zur Einschränkung der 
Geschlechtskrankheiten. 

Von Dr. Walther Bienenstock, gew. Secundararzt des 
k. k. Allgemeinen Krankenhauses in Wien. 

(Fortsetzung und Schluß.) 

Unerläßlich aber wird es stets für die Prostituirten bleiben, 
über die gröbsten und augenfälligsten Symptome venerischer 
Affectionen orientirt zu sein. Erfahrung und Statistik sagen 
uns, daß jede Prostituirte x / 6 ihrer Lebenszeit — scilicet so lange 
sie ihr Gewerbe ausübt — im Spitale, zum Theil auch im Arrest 
zubringt, und daß jede Prostituirte innerhalb der ersten 3 Jahre 
ihres Berufes Syphilis acquirirt, Gonorrhoe im Durchschnitt noch 
viel früher. 

Zum Symptomenbild der ethisch Defecten gehört nun auch 
die Indolenz gegenüber venerischen Affectionen. Mag diese aber 
a priori bestanden oder sich erst nach der ersten Infection einge¬ 
stellt haben, mag die Indolenz nun einer zu geringen Intelligenz 
oder der Unkenntniß der sexuellen Gefahren oder endlich einer 
fatalistischen Lebensanschauung entspringen: eine gewisse Vertraut¬ 
heit mit Krankheitssymptomen wird nie schädlich, sehr oft aber 
von eclatantem hygienischen Vortheile sein. Dabei wären die 
Prostituirten den Männern gegenüber im Vortheil. Ihre geschlecht¬ 
liche Aufregung ist selten wirklich, sehr oft nur Mache, Komödie. 
Sie wären also in der Lage, in aller Ruhe eine Diagnose zu machen 
und gegebenenfalls auch die Consequenzen daraus zu ziehen, id 
est einen Besucher zurückzuweisen. 

Eine acute Gonorrhoe beim Manne zu diagnosticiren, ist doch 
wahrhaftig keine Kunst, Tripperfäden im Urin zu constatiren, 
deren Zu- und Abnahme, lernen auch Patienten sehr geschwind. 
Auch um ein Geschwür zu erkennen, braucht man kein Arzt zu 
sein; ob harter oder weicher Schanker, ist für die Prostituirte 
ohnedies gleichgiltig, da beide infectiös sind. Bloß maculöses, manch¬ 
mal auch papulöses Exanthem, Papeln im Munde werden einem 
Laien hin und wieder diagnostische Schwierigkeiten bereiten können. 

Wir streben ja aber auch nicht das unerreichbare Ideal, 
sondern bloß das Mögliche an, den Ausschluß der gröbsten Fehler¬ 
quellen. Die Prostituirte wird durch ihr eigenes diagnostisches Können 
den vielleicht einige Tage alten Befund des Arztes zu ergänzen 
trachten. Jedenfalls hätte sie damit eine gewichtige Garantie für 
die Erhaltung ihrer Gesundheit, was schließlich ja doch nur den 
Männern zugute käme. Selbstredend müßte den Prostituirten ein 
veritabler Cursus gelesen werden. Vor allem müßte aber zur Kennt- 
niß der weitesten Kreise gelangen, daß für die Prostituirte die 
Gefahr einer Infection bei dem gegenwärtigen Controlsystem inner¬ 
halb der ersten 3 Jahre nahezu todte Gewißheit ist, daß der Spitals¬ 
aufenthalt durchschnittlich x / 6 der prostituirten Lebenszeit beträgt, 
schließlich, daß kaum 1 / 2 °/o d er Halbwelt in die Lage kommt, 
nennenswerthe Ersparnisse zu machen. 

Ist es da wirklich so verlockend, sich der Prostitution in 
die Arme zu werfen ? 


in Bezug auf das Verhalten der Körperwärme zwischen den ein¬ 
zelnen Tagen ist nicht zu constatiren. Die physiologischen Functionen 
üben einen mehr oder weniger deutlichen Einfluß auf die Eigen¬ 
wärme des Kindes aus. Neurath. 


Lee ozydations de l’organisme (Oxydases) par E. En- 

riquez et 1. A. Sicard. Paris, Librairie J. B. B ai 11 i6r e et 
fils, 1902. 

Die dankenswerthe Arbeit beschäftigt sich mit den in letzter 
Zeit immer mehr an Bedeutung gewinnenden oxydirenden Fer¬ 
menten im Organismus, bespricht die verschiedenen Reactionen der¬ 
selben, ihr Vorkommen bei Wirbellosen und Wirbelthieren, sowie beim 
Menschen, um endlich auf die GESSARü’schen Versuche über Tyro- 
sinase und den Antikörper überzugehen. L. Hofbaüer (Wien). 


Es soll in die weitesten Kreise dringen, daß der geschlecht¬ 
liche Verkehr für ein junges Mädchen nicht bloß den Boycott der 
sogenannten guten Gesellschaft bedeutet, nicht nur wegen einer 
eventuellen Schwangerschaft verhängnißvoll werden kann; noch 
etwas viel Kostbareres steht auf dem Spiele: die Gesundheit. Die 
jungen Mädchen sollen es erfahren, daß so viele junge Frauen, 
welche nach Hall oder Franzensbad geschickt werden, leidend 
sind, nicht weil es die Ehe als solche mit sich bringt, wie es ihnen 
tröstend Mütter und Tanten sagen, sondern weil sie durch ihre 
Männer inficirt wurden. 

Krank zu sein ist ja nicht diffamirend, es ist lediglich ein 
Unglück, umsomehr, als man gerade bei den sexuellen Affectionen 
die seltsamsten Dinge erlebt. Manchmal hat der ausschweifendste 
Lebemann, der von einer Blume zur anderen flattert, das Glück, 
gesund zu bleiben, und manchmal holt sich der schüchternste Jüng¬ 
ling, der sich Jahre lange Reserve auferlegte, beim erstenmale eine 
von den verhängnißvollen Geschlechtskrankheiten. 

Hierin wird wohl kaum jemals ein Wandel eintreten. Aber das 
Eine darf man wohl verlangen, daß der Inficirte sich so lange des 
geschlechtlichen Beischlafes enthalte, bis er geheilt, nach ärztlichem 
Ausspruche nicht mehr zu inficiren imstande ist. 

Man sollte glauben, daß in jedem Menschen soviel Gewissen 
vorhanden sei. Die Erfahrung belehrt uns eines Anderen: Einerseits 
nehmen viele Inficirte den Standpunkt ein: „Bin ich selber krank 
geworden, so brauche ich mir auch kein Gewissen daraus zu machen, 
andere zu inficiren.“ Bei acuter Gonorrhoe besteht sogar im Volke 
der Aberglaube, daß man seiner Krankheit ledig werden könne 
durch den Coitus mit einem gesunden Mädchen. Das ist nicht nur 
der blühendste Blödsinn, sondern auch die niederträchtigste 
Schlechtigkeit. Daß man den eigenen Zustand gleichzeitig ver¬ 
schlimmert, ist ohnedies nur eine zu milde Strafe für das ge¬ 
dankenlose, direct verbrecherische Vorgehen. 

Darum ist es eine Nothwendigkeit und mit Freude zu be¬ 
grüßen, daß der neue Strafgesetzentwurf einen Paragraphen 
enthält, welcher denjenigen mit Freiheitsstrafen bis zu 6 Monaten 
belegt, der einen anderen in seiner Gesundheit geschädigt hat. 

Im Anfänge wird es freilich bei der Anwendung dieses Ge¬ 
setzesparagraphen vieler Milde bedürfen. Wollte man heute über 
Alle, welche andere geschlechtlich inficirt haben, eine Freiheits¬ 
strafe verhängen, dann würden die Arrestlocale nicht ausreichen. 

Aber wir hätten wenigstens ein wirksames Strafandrohungs¬ 
mittel für einen Fall, wie ihn so mancher Arzt in seiner Praxis 
zu verzeichnen hat, und welchen des Brieux so gut in seinen 
„Les avariös“ schildert: Ein luetisch frisch Inficirter kommt zum 
Arzte: „Herr Doctor, machen Sie mich rasch gesund, in einigen 
Wochen ist meine Hochzeit.“ Der Arzt erklärt ihm, daß er jetzt 
auf keinen Fall heiraten dürfe, er würde unbedingt seine Frau 
anstecken, sie für Jahre hinaus krank , vielleicht für Lebenszeit 
unglücklich machen. Der Patient glaubt es nicht, oder will es 
nicht glauben, materielle und sociale Gründe sind ihm zu wichtig. 
Der Arzt bittet ihn, beschwört ihn, appellirt an sein Gewissen, an 
sein Menschthum. Einige Wochen später sieht der Arzt thatsächlich 
den Patienten Arm in Arm mit seiner Gattin. Die ganze Kunst 
der Ueberredung war also vergebens, und dabei durfte der Arzt 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 48. 


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nicht einmal die Anzeige erstatten, auch nicht die Eltern der Braut 
warnen, um nur ja nicht das ärztliche Amtsgeheiraniß zu verletzen, 
während er sonst bei jedem lächerlichen Masernfall die Infections- 
anzeige zu machen verpflichtet ist. 

Gesellschaftlicher Boycott und eventuelle Schwangerschaft 
sind für viele junge Mädchen, namentlich in der Großstadt, keine 
genügenden Abschreckungsmittel mehr. Zuerst fehlen sie aus Neugier, 
dann aus Genußsucht, schließlich aus Leichtsinn. 

Gegen den gesellschaftlichen Boycott hilft Schlauheit, Heim¬ 
lichkeit, Vorsicht, gegen das Schwangerwerden oft verschiedene 
Präventivmaßregeln. Beide Momente haben dadurch viel von ihrem 
Schrecken eingebüßt. Dringt endlich die Kenntniß der venerischen 
Affectionen in weitere Kreise, dann wird es für viele ein neues, für 
manche ein kräftiges Abschreckungsmittel bedeuten. Wenn nicht, so 
wird wenigstens der Argwohn geweckt werden und der Wunsch, 
auch gesundheitlich möglichst sicher zu gehen. 

Gibt es da etwas zweckentsprechenderes als ein ärztliches Attest? 

Die Frauen sollen es schwarz auf weiß verlangen und so mit 
der Zeit die Männer einfach dazu erziehen, sich ärztlich controlireu 
zu lassen! 

Aber auch die Männer mögen sich die Worte einprägen : 
„Wahret euer höchstes Gut, die Gesundheit.“ Noch gefährlicher als 
die Fallstricke der reglementirten, ist für sie die geheime Prosti¬ 
tution. Mag es sich nun um Dienstmädchen, Köchinnen, Stuben¬ 
mädchen (Hotelstubenmädchen!), Fabrikearbeiterinnen, Modistinnen, 
Näherinnen, Ladenmädchen, Gouvernanten, Choristinnen , Ballet¬ 
teusen etc. handeln , mögen viele von diesen in Bezug auf Moral 
auch thurmhoch über mancher angetrauten Ehegattin stehen, ganz 
abgesehen davon, daß es in jeder einzelnen dieser Berufskategorien 
eine große Anzahl von moralisch tadellosen Mädchen gibt, welche 
die Fahne der Keuschheit unentwegt hoch halten: „Verhältnisse“ 
pflegen naturgemäß nur ausnahmsweise für Lebenszeit, in den 
meisten Fällen für Wochen oder Monate geschlossen zu werden, 
und die Möglichkeit, geschlechtlich inficirt zu werden und dann 
selbst zu inficiren, ist dadurch sehr leicht gegeben. Dabei darf 
man sich nicht verhehlen, daß die Lues beim Weibe in der Regel 
viel leichter verläuft als beim Manne, daß die Symptome oft wenig 
in die Augen springend sind, daß dabei beim Weibe das Scham¬ 
gefühl eine große Rolle spielt und es mit sich bringt, den Arzt 
oft erst spät oder manchmal auch gar nicht zu consultiren. 

Werden die Männer deshalb aufhören, Liaisons einzugehen? 
Sicherlich nicht. Aber hoffentlich werden sie diese Thatsachen im 
Sinne möglichster Abstinenz verwerthen und mit der Zeit so ver¬ 
nünftig werden, ihre Freundinnen wenigstens von Fall zu Fall zum 
Arzte zu schicken — manche thun es heute schon — im Interesse 
ihrer eigenen Gesundheit und der ihrer künftigen Gattinnen. 

Die Regierungen , die obrigkeitlichen Behörden haben die 
Belehrung der Jugend in sexueller Hinsicht immer für die 
Domäne der elterlichen Erziehung angesehen. Väter und Mütter 
vermeiden aber ängstlich jedes zweideutige Wort, in der Angst, 
sie könnten ihre „unverdorbenen Kinder“ erst recht auf Abwege 
bringen. Und so war und ist die Schule zwar nicht der einzige, aber 
fast stets der erste Ort, wo unreife Buben und Mädchen von älteren 
oder erfahreneren Kameraden mit den Mysterien der Liebe bekannt 
gemacht werden. 

In welchem Alter soll man eigentlich die Knaben, in welchem 
die Mädchen über diese Dinge aufklären ? Die Antwort ist wahr¬ 
haftig nicht leicht. Mag man aber die Altersgrenze noch so tief 
herabsetzen: man wird selten zu früh kommen. Sicherlich ist es 
nur ausnahmsweise die Pubertät, welche der reifenden Jugend die 
Bedeutung des Geschlechtes vor Augen führt. Paul und Virginie 
sind auch heute fast nur auf einer einsamen Insel denkbar. 

Das Treiben auf dem Hühnerhofe, die Begattungsacte der 
Hunde auf der Straße, die Vorgänge in den Affenkäfigen, das 
Springen des Gemeindestieres etc., der Anblick schwangerer Frauen, 
das anstößige Gebahren der Prostituirten auf der Straße sind so 
augenfällige Thatsachen, daß man eigentlich über die Naivetit der 
Eltern staunen muß, die noch immer mit dem plumpen, simplen 
Märchen vom Storch auszukommen glauben. Und wie Rteht es erst 
dort, wo alle Familienmitglieder in einem Zimmer schlafen und die 


Kinder gelegentlich die Zuschauer der geschlechtlichen Acte ihrer 
Eltern sind ? 

„Es gibt keine Kinder mehr!“ Wie oft muß es der Arzt 
bei der Anamnese eines Neurasthenikers hören, daß der Pat. vom 
12., 11. Jahre an der Onanie ergeben war. Und der „noble Ver¬ 
führer“ , um mit Arthur Schnitzler zu reden, muß zu seinem 
Bedauern fast bei jeder „Mädchenknospe“ erfahren, daß ihm schon 
ein anderer zuvorgekommen, daß dies längst im eigenen Kreise be¬ 
sorgt worden sei. 

In der Belehrung der Jugend, in dem Behüten derselben 
vor den sexuellen Gefahren müßten Eltern und Lehrpersonen viribus 
unitis vorgehen. Die Eltern müßten den Lehrpersonen die einge¬ 
tretene Pubertät ihrer Kinder mittheilen, ln jeder höheren Classe 
gibt es einen Leithammel, der das sexuelle Thema tradirt. Der 
wäre einfach vom Lehrer auf die Seite zu nehmen und auszuforschen. 
Und würde sich dann herausstellen, daß das Bürschchen oder 
Mädchen über alles Bescheid weiß, dann könnte man ihm ja ruhig 
ein Privatissimum über die venerischen Affectionen halten. Der Leit¬ 
hammel würde nichts Eiligeres zu thun haben, als den Kameraden, 
denen er vorher die Lichtseiten und Pikanterien des sexuellen 
Contactes mitgetheilt, nun auch über die Schattenseiten zu referiren. 
Der intelligente, für das leibliche und seelische Wohl seiner Schüler 
besorgte Lehrer würde dann schon den richtigen Zeitpunkt zu 
wählen wissen , um das schlüpfrige Thema mit Handschuhen ex 
kathedra zu behandeln. 

In der Zoologie wird ja ewig vom Männchen und Weibchen 
gesprochen, in der Botanik vom Pollenstaub und der Narbe. Denken 
sich die Kinder hiebei gar nichts? Wenn Knaben zum erstenmal 
eine Erection verspüren, eine Pollution bekommen, oder Mädchen 
zum erstenmal Menstruationsblut an sich bemerken, wenden sie sich 
in falscher Scham nicht an die Eltern, sondern an das Dienstpersonal, 
an Freunde, Schulkameraden etc., und so kommt es, daß Eltern ihre 
Kinder oft noch für unentwickelt und unwissend halten, während 
Lehrer oder Lehrerin schon längst die Vertrautheit mit dem 
sexuellen Thema wahrzunehmen Gelegenheit hatte. Dann werden 
eben wieder letztere die Eltern aufmerksam zu machen haben. 

Also fort mit der Vogel Strauß-Politik! Es muß eine Lehr¬ 
stätte für Laien geschaffen werden, an der in klarer und 
gemeinverständlicher Weise die wenigen Licht- und die zahlreichen 
Schattenseiten des geschlechtlichen Contactes beleuchtet werden. 
Eine Lehrstätte, an der sich Väter und Mütter, die das ehrliche 
Bestreben haben, ihre Kinder möglichst vor Gefahren zu be¬ 
wahren, Raths erholen können. Eine Lehrstätte zur Aufklärung 
derjenigen, welchen im schweren Kampfe ums Dasein, nament¬ 
lich in der Großstadt, die Gründung einer legitimen Ehe versagt 
ist, und welche den Gefahren des Geschlechtslebens wegen 
des öfteren Wechsels leichter ausgesetzt sind. Sie ist noth- 
wendig für die Ausgestoßenen der Gesellschaft, die Prostituirten. 
Sie ist nothwendig für die das Liebesieben ahnende und den Ge¬ 
fahren desselben entgegenschreitende Jugend, der die Eltern die 
nöthige Belehrung schuldig geblieben , sei es, weil sich dieselben 
über das Peinliche der Situation nicht hinwegsetzen konnten, sei 
es, weil ihnen die Kenntnisse oder das Verständniß hiefür abgingen. 

Die Curse wären für Männer, Frauen, Mädchen, Prostituirte 
getrennt zn lesen, stets mit der entsprechenden Anpassung an die 
Zuhörer. 

Nicht minder als der illegitime geschlechtliche Verkehr ver¬ 
dient aber die Eheschließung die Aufmerksamkeit des Staates 
im Sinne einer scrupulöseren Prophylaxe. 

Bei einer Verehelichung auf dem Dorfe oder in einem kleinen 
Städtchen ist es durchaus nicht immer die Liebe, welche zwei 
Menschen miteinander vereinigt, auch hier spielen sociale und vor 
allem finanzielle Interessen mit. Diese Ehen haben aber noch immer 
den großen Vortheil vor den Convenienzehen der Großstadt, daß 
die beiden Leutchen, die beiderseitigen Familien, einander von 
frühester Jugend an kennen ; man ist nicht nur über die mate¬ 
riellen Verhältnisse orientirt, man kennt auch die Krankheitsfälle, 
die es hüben und drüben gab. Dagegen muß man die Hände über 
dem Kopf zusammenschlagen, mit welch bodenlosem Leichtsinn 


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und unglaublicher Einseitigkeit in der Großstadt Ehen eingegangen 
werden. 

Da heiraten einander oft wildfremde Menschen, die ihr Leb¬ 
tag nichts von einander gehört haben. Mangelhaft oder schlecht 
unterrichtete Auskunftsbureaux sind vielfach die einzigen Instanzen, 
von denen das Wohl und Webe so mancher Heirat abhiingt, die 
nicht selten von einem gewissenlosen und lediglich auf seinen 
eigenen Vortheil bedachten Vermittler zustande gebracht wird. Ob 
aber die beiden Eheeandidaten, ob -namentlich der Mann gesund sei, 
danach friigt in der Regel kein Mensch. 

Man muß einen Taufschein oder Geburtsschein, einen Heimat¬ 
schein haben, um heiraten zu können: ein ärztliches Zeugniß 
braucht mau nicht. Um die Gesundheit der Gatten und die der 
künftigen Generation kümmert sich keine obrigkeitliche Behörde. 

Das Ackerbauministerium läßt sich die Veredlung der Pferde, 
Rinder, Schafe etc. etc. angelegen sein. Das „kostbarste Capital 
des Staates, der Mensch“ gehört in ein anderes Ressort, welches 
aber im Lexikon der Hygiene noch ganz beim Anfänge hält und 
daher noch nicht bei G — „Geschlechtskrankheiten“, N — „Nach¬ 
kommenschaft“ angelangt ist. Es müßten, um diesen Uebelständen 
abzuhelfen, von staatswegcn Gesundheitsatteste der Ehe- 
candidaten auf Grund vorausgegangener genauer und erschöpfender 
ärztlicher Untersuchung gefordert werden. 

Für Arme würde letztere unentgeltlich sein (Armenarzt, 
Cassenarzt), für Wohlhabende, die oft unglaubliche Summen für 
Trauungen, Ilochzeitsmahle, Toiletten, Wagen etc. ausgeben, eine 
nicht in Betracht kommende weitere Ausgabe bedeuten. 

Ferner müßten sich aber durch solche Atteste Köchinnen, 
Stubenmädchen, Bonnen, Bediente ctc., kurz alle ausweisen, welche in 
irgend einem Haushalte in vollständiger Verpflegung stehen, des¬ 
gleichen Fleischhauer, Fleischselcher, Bäcker, Zuckerbäcker, Kellner 
und alle jene, welche mit der Herstellung und Verabreichung von 
Speisen und Getränken beruflich zu thun haben. 

Nirgends könnte die ärztliche Controle der Männer leichter 
und wirksamer durchgeführt werden als in staatlichen Bordellen, 
und darum plaidiren auch wir für diese Institution , die schon 
Solon 594 v. Chr. ins Leben gerufen und für die in jüngster Zeit 
wieder Hülsmeyer lebhaft eingetreten ist. 

Zwar hat sich auf den Brüsseler CoDgressen ein gewichtiger 
Einwand dagegen erhoben: In den Ländern, in welchen Bordelle 
bereits bestehen, nimmt die Zahl derselben beständig ab. Fournier 
erklärt dies sehr hübsch damit, daß der Mann, wenn er seinem 
Geschlechtstriebe folgt, seinen Roman haben will, sich einen solchen 
selbst bei der Prostituirten construirt, während ihn die stets bereiten, 
gleich einer Marktwaare feilgebotenen Mädchen in den Bordellen 
anekeln und abstoßen. 

Die Bordelle, für welche ich plaidire, sind nicht Lasterhöhlen, 
in denen grüne Jungen wilde Orgien aufführen helfen, in denen 
der Champagnerkelch kreist und die Jeunesse doree das oft sauer 
erworbene Geld der Eltern mit vollen Händen sinnlos hinauswirft, 
in denen gewissenlose, aus der Hefe des Volkes stammende Kupp¬ 
lerinnen die Mädchen wie Sclavinnen halten und nach jeder Richtung 
hin übervortheilen und ausbeuten. Ich denke an staatliche „Pen- 
sionate“ oder Hotels, in denen die Prostituirten gegen ortsübliche 
Bezahlung Kost und Wohnung finden, in denen ein ärztlicher 
Permanenzdienst eingeführt ist, welcher -täglich alle Prostituirten 
untersucht, aber auch jeden Besucher controlirt, in denen die 
Prostituirten nicht wie Gefangene ihrer persönlichen Freiheit be¬ 
raubt sind, sondern sich lediglich der strengen Hausordnung zu 
fügen haben. 

Es ist einleuchtend , daß a priori nur die gesunden Männer 
oder diejenigen, welche sich dafür halten, Eintritt in die staatlichen 
Bordelle begehren werden; solche, welche ein schlechtes Gewissen 
haben , werden lieber im Trüben fischen. Die größere gesundheit¬ 
liche Sicherheit wird aber immer mehr Männer veranlassen, gerade 
die ärztlich controlirten Bordelle aufzusuchen, und umgekehrt werden 
immer mehr Prostituirte den staatlichen Bordellen Zuströmen wegen 
der gesteigerten Frequenz, noch mehr aber wegen des geringeren | 
Risicos in puncto Gesund heit. j 


Der Staat baue kleine Hotels mit circa je 50 ein- und zwei¬ 
fenstrigen Zimmern und eventuell mit den nothwendigsten Gesell¬ 
schaftsräumen. 

Halt ein, Phantast! Woher das Geld nehmen, das wir viel 
dringender für Spitäler, Irrenanstalten, Versorgungshäuser, Recon- 
valescentenheime, Kinderschutzanstalten etc. etc. brauchen, ruft man 
mir zu. Der Staat braucht hiezu keinen Heller herzugeben. Das Geld 
werden die Bordellbesucher beisteuern. Auf welche Weise ? Man 
gestatte mir ein kleines Rechenexempel: Die Zahl der Prostituirten 
in den 10 alten Bezirken Wiens beträgt, niedrig gerechnet, 2500. 
Vß davon ist zeitweilig in Spitälern und Arresten befindlich, es resul- 
tiren also circa 2000 active Prostituirte, sozusagen. Nehmen wir 
an, daß jede Prostituirte pro Nacht nur zwei Besuche empfängt, 
so ergibt das für sämmtliche Prostituirte 4000 Besuche pro Tag, 
4000 X 360 = 1,440.000 Besuche pro Jahr. Hiefür entrichten die 
Herren heute je 40 kr. als Sperrgeld an die Hausmeister, das 
ist eine Summe von 576.000 Gulden. 

Diese Summe könnte der Staat oder die Commune ohne Er- 
röthen einheben, um es für oben erwähnten Zweck zu verwenden. 
Er würde einfach Beamte als Hauswarte mit einem Fixum von circa 
600—1000 fl. bestallen, welche die Sperrgelder gegen eine Entröe- 
karte in Empfang nehmen und an eine Centralcasse abführen würden. 

Mit der Centralisirung oder sozusagen der Organisation der 
Prostituirten würde auch so manches Krankhafte und Fehlerhafte 
der gegenwärtigen Gepflogenheiten beseitigt werden können. 

Prostitution! Das ist ein Feld, auf welches sich der Wolil- 
thätigkeitssinn , das Mitleid , selbst das primitivste Rechtsgefühl 
noch nicht gewagt hat, aus Furcht, selber in Acht und Bann 
gethan zu werden! Und doch wäre hier so viel des Menschlichen 
zu thun! 

Längst wird es von den Polizeiärzten als beschämend und 
erniedrigend empfunden, sich für die Controle der Prostituirten 
von denselben honoriren zu lassen, und doch sind sie dazu ge¬ 
zwungen , weil eben weder Staat noch Commune diese Ausgabe 
auf sich nehmen will. Die Prostituirten sind bei uns verpflichtet, sich 
zweimal wöchentlich ärztlich untersuchen zu lassen ; sie honoriren 
dafür den Arzt mit einer Krone, das ist also mit 52 fl. pro Jahr. 
Die Prosituirten sollen diesen Betrag auch weiterhin abführen, 
aber nicht als ärztliches Honorar — die Aerzto werden auf an¬ 
dere Weise und würdiger entschädigt werden —, sondern für eigene 
Wohlfuhrtszwecke. Es soll mit dieser Summe (fl. 50 X 2000 = 
100.000 fl. pro Jahr) eine „Invaliditätscasse“ geschaffen werden, 
aus der jeder Prostituirten für die Zeit ihrer Erwerbsunfähigkeit — 
sei es durch eine spocifische oder nicht specifische Erkrankung, 
sei es durch eine Niederkunft etc. — Kost, Wohnung und die 
übrigen Lebensbedürfnisse beglichen werden. 

Aus der Invaliditätscasse werden auch die latent lueti¬ 
schen Prostituirten zu subventioniren sein. Bekanntlich ist 
bei uns bis jetzt der Vorgang so, daß der Polizeiarzt, sowie 
er eine venerische Infection constatirt, die Prostituirte sofort der 
Spitalsbehandlung überantwortet. Hier bleibt die inficirte Prostituirte 
so lange, bis die manifesten Symptome (scilicet der Lues) ver¬ 
schwunden sind. Nach der Entlassung aus dem Spitale übt die 
Prostituirte ruhig ihr Gewerbe weiter aus. Erst wenn der 
Polizeiarzt ein Recidiv bemerkt, schickt er die Prostituirte wieder 
ins Krankenhaus, wo dieselbe neuerdings nur so lange verbleibt, 
als manifeste Symptome vorhanden sind, um dann wieder entlassen 
zu werden, und so mit Grazie in infinitum. 

Daß die Syphilis, ob manifest, ob latent, durch 3, nach 
manchen Autoren sogar durch 5 Jahre infectiös bleibt, ist unseren 
Klinikern, Polizeiärzten und wohl auch den maßgebenden obrig¬ 
keitlichen Behörden zur Genüge bekannt. Es fehlt aber an Platz 
in den Spitälern, respective an einem entsprechenden Internirungs- 
institute für die latent Luetischen. 

Auch die Arbeitsabtheilungen der Asyle, wie sie von der 
Wiener dermatologischen Gesellschaft vorgeschlagen wurden, treffen 
nicht den Nagel auf den Kopf. Sie schießen weit übers Ziel hinaus. 
Ist es denn denkbar, daß circa 500 latent luetische Prostituirte, 
die wir in Wien haben dürften, -durch 3 Jahre wie Gefangene, 


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im strengsten Cölibate leben werden? Werden sie nicht vielmehr 
jede freie halbe Stande finanziell, id est sexuell , zu verwerthen 
trachten ? 

Solche Asyle sind gar nicht nothwendig. Ist einmal die ärzt¬ 
liche Controle der Männer durchgedrungen, dann wird der große 
Strom der latent luetischen Männer, die sich heute im Coitus keine 
Reserve auferlegen, statt immer neue Mädchen zu inficiren, einfach 
auf die latent luetischen Prostituirten abgelenkt werden müssen. 
Beide Theile sind ja jetzt immunisirt und können sich ohne Be¬ 
denken die Ilände reichen. Hiebei wird der oben erwähnte Para¬ 
graph des österr. Strafgesetzentwurfes die tretflichsten Dienste 
leisten. 

Auf diese Weise werden die frischen Infectionen auf beiden 
Seiten rapid reducirt werden, beide Theile kommen sinnlich auf 
ihre Kosten und die Prostituirten sind vor Verdienstentgang be¬ 
wahrt, der ihnen von Asylen u. dgl. droht. 

Latent luetische Prostituirte könnte man in eigenen, ganz 
gleich den übrigen eingerichteten Bordellen vereinigen, oder noch 
besser in ihren ursprünglichen Zimmern belassen. An den Thüren 
derselben wäre ein einfaches „L“ (Lues oder latent) anzubringen. 
Selbstredend wären die Photographien solcher Prostituirten für die 
Dauer ihrer Latenz in einem separaten Album zu führen. 

Daß in den Bordellen für eine geeignete Beschäftigung, den 
Wünschen und Fähigkeiten jeder Einzelnen möglichst angepaßt, 
wie Waschen, Nähen, Gartenarbeit etc., Sorge zu tragen wäre, ver¬ 
steht sich von selbst. 

Sind einmal die Prostituirten in Bordellen vereinigt, hat sich 
die Controle der Männer endlich Bahn gebrochen, dann ist auch 
die Zeit gekommen, wo die standesgemäße Honorirung der mit der 
gesundheitlichen Ueberwachung der Prostituirten betrauten Aerzte 
ihre Lösung finden wird. Die Aerzte werden nicht durch die Pro¬ 
stituirten, sondern durch deren Besucher honorirt werden. Jeder Herr 
wird beim Eintritte in ein Bordell ärztlich untersucht und entrichtet 
hiefür als Honorar etwa 1 / 2 Krone oder einen ähnlich kleinen Be¬ 
trag , den die Aerztekammer stipuliren könnte. Bei einer Besuchs¬ 
anzahl von 100 (zwei Herren pro Prostituirte) würde das Tages¬ 
honorar 25 fl. betragen. Für dieses Pauschale ließe sich ohne Frage 
ein ärztlicher Permanenzdienst in jedem Bordell einrichten, der 
einerseits die Besucher controliren würde, andererseits die Verpflich¬ 
tung hätte, die Prostituirten täglich unentgeltlich zu untersuchen. 
Die geringe Mehrausgabe würde für die Bordellbesucher keine Rolle 
spielen, die Prostituirten wären dagegen entlastet und die Aerzte 
hätten ein ungleich größeres Prestige, dabei müßten die Resultate bei 
täglicher Untersuchung der Prostituirten und jedesmaliger Controle 
der Männer ohne Frage glänzende sein. 

Es liegt auf der Hand, daß der Uebergang von den 
heutigen, hygienisch desolaten Zuständen zu den gedachten idealen 
Institutionen Jahre, wahrscheinlich Jahrzehnte dauern wird. Die 
Uebergangszeit wird kürzer sein, wenn Staat oder Commune dictatorisch 
die Controle der Männer fordern werden, sie wird sich auf Jahr¬ 
zehnte erstrecken, wenn man sich begnügen wird, die gereifte 
Jugend über die Gefahren zu belehren, die Anhängerinnen der 
freien Liebe und speciell die Prostituirten durch praktische Curse 
aufzuklären und dazu zu erziehen, im Interesse der eigenen Gesund¬ 
heit nur mit Männern zu verkehren, welche sich durch ein ärzt¬ 
liches Attest als gesund ausweisen können. Wenn gleiches Recht 
für alle gilt, werden wohl auch die Abolitionisten ihre ablehnende 
Haltung aufgeben. 

Andererseits werden sich nicht nur die Prostituirten, sondern 
auch die Anhängerinnen der freien Liebe, die Dienstmädchen, Stuben¬ 
kätzchen, Fabriksarbeiterinnen et tutti quanti mit dem Gedanken 
vertraut machen müssen, sich ihren Galans vis-ä-vis von Fall zu 
Fall durch ärztliche Atteste auszuweisen. Die einzelnen Modalitäten 
sind nebensächlich. Die Erziehung zur ärztlichen Untersuchung wird 
umso leichter sein, je breitere Schichten über die Gefahren des 
sexuellen Contactes belehrt sein werden. 

Ich stelle mich mit meinen Forderungen in bewußten Gegen¬ 
satz zum Genfer Congreß 1879. Daselbst hat sich die merkwürdige 
Thatsache ergeben, daß der Procentsatz der Geschlechtskrankheiten 
in den reglementirten und nicht reglementirten Ländern nahezu 


derselbe war. Seitdem hat eine ganze Reihe von Staaten, wie Italien, 
Belgien, die Schweiz, Holland, Schweden und Norwegen die 
Reglementirung aufgehoben. Sollte in einem weiteren Decennium 
die Statistik dasselbe Resultat ergeben, dann wird dies aber kein 
Beweis dafür sein, daß die Reglementirung überflüssig und unersprie߬ 
lich war, sondern dafür, daß die zwei Hauptursachen der venerischen 
Infectionen in der geheimen Prostitution und bei den geschlechts- 
kranken Männern zu suchen sind. 

Resumiren wir, so geht aus dem Obenstehenden hervor, daß 
nicht die scrupulöseste Untersuchung der Prostituirten, auch nicht 
die Errichtung von staatlichen Burdellen genügt, um der Syphilis 
Herr zu werden. 

Dazu ist ein complicirterer Apparat nothwendig : 

1. Belehrung der Jugend in sexueller Hinsicht, von der 
Pubertät angefangen (womöglich schon in den letzten Schu lclasseu), 
bei strengster Individualisirung. Erziehung der Jugend zur möglich¬ 
sten Abstinenz. 

2. Lehrkanzeln für gemeinverständliche Curse über die Licht- 
und Schattenseiten des Geschlechtslebens (für Männer , Frauen, 
Mädchen getrennt). 

3. Praktische Curse über Geschlechtskrankheiten für Pro¬ 
stituirte. 

4. Obligatorische ärztliche Controle der Prostituirten ent¬ 
sprechend dem FiNGER’schen Referate. 

5. Regelmäßige ärztliche Untersuchung (monatlich 4—5mal) 
der notorisch illegitimen Geschlechtsverkehr pflegenden Männer — 
in Fabriken etc. ähnlich der ärztlichen Visitation beim Militär. 

6. Erziehung der „Lebemänner“ durch die Frauen zur facul- 
tativen ärztlichen Controle. 

7. Erziehung der geheimen Prostituirten durch die Männer 
zur ärztlichen Untersuchung. 

8. Errichtung von staatlichen Bordellen mit ärztlichem Per¬ 
manenzdienste (tägliche Untersuchung der Prostituirten, jedesmalige 
ärztliche Controle der Besucher). Beschaffung der Mittel hiefür durch 
die bloßen Sperrgelder in den Bordellen. 

9. Geschlechtlicher Verkehr der latent Luetischen unter¬ 
einander. 

10. Aerztliche Untersuchung der Ehecandidaten (zugleich auch 
auf Tuberculose und Psychosen). 

11. AerztlicheUntersuchung der Dienstmädchen etc. und anderen 
Theilnehmer eines Haushaltes, der Kellner etc., und der Ange¬ 
stellten sämmtlicher Lebensmittelhandlungen mindestens bei jedes¬ 
maligem Dienstesantritt. 

12. Möglichst baldige Activirung des einschlägigen Straf¬ 
gesetzentwurf-Paragraphen. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Med. Presse“.) 

Sitzung vom 20. November 1902. 

K. Reuter jun. stellt eine Frau mit musikalischen 
Herzgeräuschen vor. Pat. hat eine Mitralinsufficienz, an der 
Herzspitze ist ein musikalisches Geräusch von wechselndem Cha¬ 
rakter zu hören; es setzt mit einem hohen Ton ein, wird dann 
schwächer und tiefer, zum Schlüsse wieder höher, ohne die Höhe 
des Anfangstones zu erreichen. Es handelt sich wohl um das Vor¬ 
handensein eines gespannten Sehnenfadens im Herzen, außerdem 
auch um Veränderungen an den Klappen. — Vortr. demonstrirt 
ein anatomisches Präparat, bei welchem quer durch einen Herz¬ 
ventrikel ein feiner Sehnenfaden gespannt ist; in vita hatte ein 
musikalisches Geräusch bestanden. 

M. WEINBERGER demonstrirt einen Mann mit einer combi- 
nirten atrophischen Lähmung der linken oberen 
Extremität. Die gesammten Muskeln derselben sind gelähmt 
und atrophisch, reagiren aber vom Nerven aus auf faradische und 
galvanische Reizung; die Sensibilität ist an dieser Extremität in 

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allen Qualitäten gestört und es bestehen daselbst unerträgliche 
reißende Schmerzen , die Haut ist kälter. Merkwürdigerweise hat 
sich der geschilderte Symptomen complex binnen 8 Jahren einmal 
wiederholt und ist wieder fast vollständig verschwunden, auch die 
jetzige Attaque zeigt einen Fortschritt zur Besserung. Dem Leiden 
dürfte eine combiuirte entzündliche Affection des Rückenmarkes 
und der peripheren Nerven zugrunde liegen. 

H. Nothnagel macht darauf aufmerksam, daß die Haut an der er¬ 
krankten Extremität dicker ist, als an dem gesunden Arme. Diese eigentüm¬ 
liche, in ihrem Wesen bisher unaufgeklärte Erscheinung findet sich bei pro¬ 
gressiver Muskelatrophie, namentlich bei Kindern. 

Oiscussion zum Vortrage von G. Singer : Ueber spastische Ob¬ 
stipation. 

Eru. Schwarz macht darauf aufmerksam, daß die spastische Obstipa* 
tion sehr oft bei starken Rauchern vorkommt und durch Aufgeben des Rauchens 
gebessert wird. 

H. Nothnagel bemerkt, das die spastische Obstipation sich auch für 
einige Tage einstellt, wenn der Stuhldrang aus äußeren Gründen nicht 
befriedigt werden kann. Sie entsteht durch den Einfluß des Centralnerven¬ 
systems, doch sind auch locale Störungen in der Innervation des Darmes 
nicht auszuschließen. Beim Ileus spasticus kommt es nach mehrfachen Beob¬ 
achtungen zum Erbrechen geformter Kothmassen ; es handelt sich da entweder 
um einen Irrthum, einen Betrug oder, wie in einem Falle, um das Erbrechen 
geronnener und durch Galle gefärbter Milch, welche beim Durchgänge durch den 
Oesophagus zu kothartiger Gestalt geformt wurde; e3 ist aber nicht ausge¬ 
schlossen, daß es infolge einer rapiden Antiperistaltik, die bei Hysterischen 
wohl möglich ist, zum wirklichen Erbrechen geformter Kothmassen kommen kann. 

S. Federn sieht die spastische Obstipation als eine Theilform der par¬ 
tiellen Darmatonie an, welche letztere er in drei Stadien eintheilt: Insufflcienz 
des Darmes, Obstipation, partielle Atonie; diese drei Phasen können mitein¬ 
ander abwechseln. Der Spasmus ist nicht die Ursache der Obstipation, sondern 
der Residualkoth ist die Ursache des Spasmus. Die ersten Anfänge der partiellen 
Atonie werden oft übersehen. Vortr. empfiehlt die Percussion des Darmes, 
welche in den Anfangsstadien des Leidens exactere Aufschlüsse gibt als die 
Palpation. 

Al. Straßer möchte nicht die spastische Obstipation als ein selbstän¬ 
diges Krankheitsbild aufstellen, da dem Leiden in sehr vielen Fällen anatomische 
Veränderungen im Darme zugrunde liegen. Diese Form der Obstipation darf 
man auch nicht als Symptom der Neurasthenie-bezeichnen. Unter den diäte¬ 
tischen und physikalischen Heilmethoden haben sich die Traubencur und leichte 
Streichmassage bei der spastischen Obstipation bewährt. 

L. v. Frankl-Hochwart berichtet über seine Versuche, welche er mit 
Fröhlich über die Innervation des Rectums vorgenommen hat. Dieselben er¬ 
gaben, daß Centren für die Steuerung des Rectums an folgenden Stellen anzu¬ 
nehmen sind: in der Hirnrinde, im Rückenmark, im Ganglion mesentericum inf. ; 
von letzterem aus wird das Rectum auch nach fast totaler Exstirpation des 
Rückenmarkes auf dem Wege der Hypogastrici (Dilatatoren) und Erigentes 
(Constrictoren) beherrscht. Außerdem muß noch im Rectum selbst ein regu- 
lirender Apparat liegen, da nach Exstirpation des Rückenmarkes und der zum 
Rectum ziehenden Nerven das infolge dieser Maßnahmen erschlaffte Rectum 
durch Einspritzung von Muscarin wieder seinen Tonus erhält, welcher durch 
Atropin wieder aufgehoben wird. Diese Versuche weisen darauf hin, daß Er¬ 
krankungen des Ganglion mesentericum oder des Rectum zu spastischer Obsti¬ 
pation führen können. 

K. Kraus gibt einen Ueberblick über die Geschichte der Therapie der 
spastischen Obstipation und hebt die günstige Wirkung der Hydrotherapie und 
von Wärmeproceduren hervor. 

M. Sternberg weist auf die mächtige Rolle hin, welche Nierensteine 
in der Aetiologie des Darmspasmus spielen ; nicht selten verursachen sie Er¬ 
scheinungen von Darmocclusion , so daß die Annahme der letzteren mehrmals 
zu Operationen geführt hat, welche dann natürlich erfolglos sind. Der Harn 
kann bei einem derartigen, durch Nierensteine hervorgerufenen Darmspasmus 
nach dem Anfalle vollkommen normal sein, wichtige Symptome dagegen sind 
ein gespannter Puls und Verminderung oder Verschwinden des Schmerzes 
nach Aenderung der Körperlage; es ist dabei nicht zu vergessen, daß Lage¬ 
änderung auch manchmal die Schmerzen bei Ulcus ventriculi und bei Chole- 
lithiasis günstig beeinflußt. Der reflectorische Darmspasmus bei Nierensteinen 
wird durch Opium gelöst. Die spastischen Darmaffectionen wurden schon von 
Friedrich Hoffmann in Halle im 18. Jahrhundert beschrieben und zu ihrer Be¬ 
handlung Oelklystiere empfohlen. 

A. Pick bemerkt, daß Berth. Beer in Wien im Jahre 1891 die von 
einem englischen Autor empfohlene Fingerdehnung des Rectums als eine vor¬ 
zügliche Methode zur Behandlung verschiedener Formen von Obstipation an¬ 
gegeben hat, besonders fand er sie als nützlich beim Krampf des Sphinkters; 
zur Heilung waren meist 8—10 Sitzungen erforderlich. Redner kann die Brauch¬ 
barkeit dieser Behandlungsmethode bestätigen. 

Heinr. Weiß gibt eine Uebersicht über die Literatur der spastischen 
Obstipation ; er möchte dieses Leiden als ein Symptom, aber nicht als eine 
Krankheit sui generis auffassen; ob sie ein Stigma der Neurasthenie ist, ist 
fraglich. Die spastische Obstipation kann durch Spasmus des Anus oder einer 
einzelnen Darmpartie oder beider erzeugt werden , ursächliche Momente können 
entweder anatomische Veränderungen der Darmwand, ein abnormer Darminhalt 
oder krankhafte Prot esse in der Bauchhöhle sein. Bewährte Mittel gegen den 
Darmspasmus sind Belladonna, Opium, Oeleingießungen, Massage des Rectums. 


Th. R. Offer bemerkt, daß die Diät bei spastischer Obstipation nicht 
vernachlässigt werden dürfe, weil' harte Fäcalmassen die Entstehung des 
Darmspasmus verursachen können. In dieser Hinsicht ist eiweißreiche Nahrung 
zu meiden, hingegen sind Kohlehydrate, welche geringe Schlacken setzen, zu 
bevorzugen. Zur Förderung der Nachgährung im Darme ist Hefe zu empfehlen. 

H. Nothnagel weist darauf hin, daß nicht nur bei Nierensteinen, 
sondern auch bei Gallensteinen, außerdem auch bei verschiedenen Affectionen 
der Bauchhöhle reflectorischer Ileus auftreten kann. Derselbe kann auf Darm- 
lähmung, in manchen Fällen auch auf Darmspasmus beruhen; in letzterem 
Falle erweist sich Belladonna als wirksam. 

G. Singer führt in seinem Schlußworte aus, dass spastische Obstipation 
auch rein idiopathisch, nicht hervorgerufen durch anatomische Affectionen des 
Darmes oder seiner Nachbarschaft, auftreten kann. ‘Diese Form der Obstipa¬ 
tion ist nicht ein Stigma, sondern ein Symptom der Neurasthenie. Eine diäte¬ 
tische Behandlung kann zweifellos eine wichtige Unterstützung der Therapie 
bedeuten, sie ist aber nicht unbedingt erforderlich; Massage ist oft wirkungs¬ 
los, Hydrotherapie ist meist von Nutzen. Eine erhöhte Pulsspannung ist kein 
unzweideutiges Symptom bei spastischer Obstipation infolge von Nierensteinen, 
da sie auch bei anderen Affectionen Vorkommen kann, Lageänderung beeinflußt 
die Schmerzen auch bei Ptosen abdominaler Organe. Die Bougirung des 
Rectums ist der digitalen Behandlung vorzuziehen, weil erstere die Behandlung 
höherer Darmabschnitte ermöglicht. Die Belladonna verordnet Vortr. in Dosen 
von 1 Cgrm. 2—3mal täglich, unangenehme Folgen hat er niemals beobachtet. 


Wiener medicinisches Doctoren-Collegium. 

Wissenschaftliche Versammlung vom 24. November 1902. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Julius Neumann: Ueber die rectale Untersuchung in der Gynä¬ 
kologie. 

Die Rectaluntersuehung ist unentbehrlich, wenn man sich 
über den Zustand der Beckenorgane orientiren will ; trotzdem wird 
sie vom Praktiker nur ausnahmsweise und vom Gynäkologen selten 
systematisch geübt. Vortr. wendet seit 3 Jahren die bimanuelle 
Untersuchungsmethode als Ersatz oder als Ergänzung der vaginalen 
Untersuchung an. 

Die Rectaluntersuehung ist -nameutliclj. dor,t v wo, ejne. vaginale, 
Untersuchung nicht möglich ist, wie bei Virgines, bei undurch- 
gäDgigem Hymen, Atresie der Scheide, Infantilismus und bei seniler 
Schrumpfung des Genitales nothwendig. Beim Uteruscarcinom können 
oft nur durch die Rectaluntersuchung die Localisation, Ausdehnung 
und Operabilität derselben festgestellt werden; besonders wichtig 
sind die Aufschlüsse, welche man auf diese Weise über den Zu¬ 
stand der Parametrien und der Wände der Beckenhöhle erhält. 
Ferner ist die Rectaluntersuchung von Nutzen bei entzündlichen 
Processen im Becken und bei Tumoren des inneren Genitales, bei 
denen sie eine topische Diagnostik erleichtert oder überhaupt erst 
ermöglicht, ferner im Wochenbett als Ersatz der vaginalen Unter¬ 
suchung, welche durch Verschleppung von Keimen in vielen Fällen 
zu einem Puerperalproceß Anlaß geben könnte. Besonders wichtig 
ist diese Untersuchungsmethode in solchen Fällen, ,in welchen 
bereits Fieber vorhanden ist und bei welchen sich manchmal eine 
beginnende Entzündung des Para- oder Perimetriums feststellen 
läßt. Die Entscheidung, ob ein Tumor oder ein entzündlicher Proceß 
dem Genitale oder seiner Umgebung angehört, ist meist nur durch 
die Rectaluntersuchung möglich, bei Retroversio uteri sind die 
Adnexe nur per rectum tastbar. Besonders wichtige Aufschlüsse 
ergibt diese Untersuchungsmethode bezüglich der Entzündungen, 
der Tumoren und des Prolapses des dünnen Septum rectovaginale. 

Auch bezüglich des Zustandes des Rectums orientirt die 
Rectaluntersuchung; sie zeigt, ob der Mastdarm von einem in der 
Umgebung sich abspielenden Processe in Mitleidenschaft gezogen 
ist, deckt oft überraschende Ursachen einer bestehenden Obstipa¬ 
tion auf (Uterusretroflexion, Uterus- und Adnexturaoren, entzünd¬ 
liche Processe in der Umgebung). Bei Entzündungen der Umgebung 
zeigt die Schleimhaut des Rectums oft entzündliche Schwellung 
und Auflockerung infolge collateraleu Oedems und blutet leicht. 
Gelegentlich brechen ins Rectum Abscesse der Umgebung oder eine 
Hämatokele nach Tubargravidität durch. Selbstverständlich ermög¬ 
licht die Rectaluntersuchung auch die Diagnose primärer Erkran¬ 
kungen des Rectums, sie klärt auch die Aetiologie mancher räthsel- 
haft erscheinender Fälle von Beckenzellgewebserkrankung und von 
Beckenperitonitis auf; diese entstehen in vielen Fällen von ulcera- 

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tiven Processen des Rectums aus, auch mancher Fall von ätiolo¬ 
gisch unaufgeklärtem Kreuzschmerz ist durch eine Erkrankung des 
Rectums bedingt. Bei Tuberculose des Beckenperitoneums kann 
man per rectum die charakteristischen Tuberkelkuötchen nach- 
weisen. 

Wilh. Hahn illuslrirt die Wichtigkeit der Rectal Untersuchung an 
einem Falle, in welchem durch letztere ein vaginal nicht zu tastendes Uterus¬ 
myom nachgewiesen wurde. 

P. Mittler erwähnt zwei Fälle, bei welchen durch die bloße Rectal- 
UDtersuchung Hämatometra und Uteruscarcinom nachgewiesen wurden. 

Notizen. 


Wien, 29. November 1902. 

(K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien.) In der 
gestrigen Sitzung demonstrirte zunächst Prof. Dr. Lang 3 Männer 
mit extragenitaler Localisation des syphilitischen 
Primäraffectes (am Kinn, an der hinteren Rachen wand, an 
der Wange). In einem der Fälle handelte es sich um eine post¬ 
initiale Infection, welche 14 Tage nach Auftreten einer Sklerose 
auf der Glans penis in nicht näher bekannter Weise entstanden 
war. — Hierauf stellte Prof. Dr. H. Schlesinger einen Fall von 
Isthmu8steno9e der Aorta vor. Bei dem Pat. finden sich: 
Starke Füllung und Erweiterung der Gefäße der oberen Körper¬ 
hälfte, systolisches Geräusch über der Aorta bis zum 4. Dorsal¬ 
wirbel, sowie Pulslosigkeit der Aorta abdominalis. Der Kranke hat 
von seiner angeborenen Anomalie fast gar keine Beschwerden. — 
Sodann führte Prof. Dr. S. Ehrmann einen Kranken mit multiplen 
Muskelgummen (in den Mm. obliqui und latissimus dorsi) und 
mit einem Rupiageschwüre am Rücken vor. — Schließlich erstattete 
Doc. Dr. M. Sternberg den Bericht des Comitös zur Be- 
rathung von Maßregeln bezüglich der Prophylaxe 
und der Bekämpfung der Tuberculose und motivirte 
die einzelnen Punkte des Referates in mustergiltiger Weise. Der 
Bericht deckt sich im großen und ganzen mit dem am 4. Juli d. J. 
dem Plenum vorgelegten Referate (Vide Nr. 27 unseres Blattes). 
Nach einer kurzen Discussion, an welcher sich Prof. Lang, 
Dr. Eisenschitz, Hofr. Prof. Winternitz, Dr. L. Teleky und 
Doc. Dr. M. Sternberg betheiligten, wurde über Antrag von 
Dr. H. Teleky der Bericht mit großer Majorität en bloc ange¬ 
nommen. 

(Wiener Aerztekammer.) In der am 25. November 1. J. 
abgehaltenen Kammerversammlung wurde zunächst ein ehrenräth- 
liches Erkenntniß verkündet, durch welches dem Dr. Ludwig Ernst 
io Wien die Strafe der dauernden Entziehung des activen und 
passiven Wahlrechtes in die Aerztekammer auferlegt wurde wegen 
standesunwürdigen Verhaltens durch Reclame, briefliche Behandlung 
und Ausbeutung von Patienten, ferner wegen Verletzung seiner 
Pflicht als Angehöriger der Wiener Aerztekammer, endlich wegen 
schwerer Verletzung der Standesehre. — Bezüglich der Stellungnahme 
der n. ö. Statthalterei zu den von der Kammer in Betreff der 
ärztlichen Stellen bei den Hilfscassen gefaßten Be¬ 
schlüssen wurde beschlossen, eine Vorstellung an die Statt¬ 
halterei zu richten, deren Schlußpassus lautet: „Es ist unzweifel¬ 
haft die Pflicht eines Kammerangehörigen, die Beschlüsse der 
Aerztekammer zu respectiren. Würde eine solche Verpflichtung 
nicht anerkannt werden, so hätte die ganze Institution der Aerzte¬ 
kammer Dicht mehr Bedeutung, als irgend ein auf Grundlage des 
VereiDsgesetzes gegründeter Verein. Die Aerztekammern sind aber 
nach § 3 des bezogenen Gesetzes berufen, über alle Angelegenheiten, 
welche die gemeinsamen Interessen des ärztlichen Standes 
betreffen, Beschlüsse zu fassen. Wenn solche Beschlüsse für 
die Aerzte keine bindende Kraft hätten, so wäre es ganz und 
gar überflüssig gewesen, die Competenz der Aerztekammer zu 
solchen Beschlüssen im Gesetze festzulegen. Daß es sich endlich 
im vorliegenden Falle um ein gemeinsames Interesse des ärztlichen 
Standes handelt, liegt auf der Hand und bedarf schon deswegen 
nicht erst eines Beweises, weil es im Wesen der Sache liegt, daß 
nur die gesetzliche Vertretung des ärztlichen Standes corapetent 
ist, zu entscheiden, ob ein gemeinsames Interesse 


des ärztlichen Standes vorliegt. Hat also die 
Aerztekammer in einer die gemeinsamen Interessen des ärzt¬ 
lichen Standes berührenden Angelegenheit, also innerhalb ihrer 
Competenz, einen für die Kammerangehörigen verbindlichen und 
von der k. k. Statthalterei, wie aus dem eingangs bezogenen Er¬ 
lasse hervorgeht, nicht beanständeten, also zur Kenntniß genom¬ 
menen Beschluß gefaßt, so hat der Ehrenrath der Kammer un¬ 
zweifelhaft die Befugniß, gegen solche Aerzte einzuschreiten, welche 
diesem Beschlüsse zuwiderhandeln.“ 

(Personalien.) Die nachbenannten Privatdocenten sind zu 
a. o. Professoren an der Universität in Wien ernannt worden, 
und zwar: Dr. Alexander Fraenkel für Chirurgie, mit beson¬ 
derer Rücksichtnahme auf Kriegschirurgie, Dr. Hubert Peters für 
Geburtshilfe und Gynäkologie, Dr. Richard R. v. Zeynek für medi- 
cinische Chemie und Dr. Anton Ghon für pathologische Anatomie. 

— Die Privatdocenten an der Wiener Universität Dr. Albert 
Bing, Dr. Salomon Klein, Dr. Richard R. Braun v. Fernwald 
und Dr. Hermann Schlesinger haben den Titel eines a. o. Professors 
erhalten. — Der Extraordinarius für Laryngologie an der Univer¬ 
sität in Krakau Dr. Przemyslaw Pieniazek ist zum Ordinarius 
seines Faches, der Besitzer und Leiter der Wasserheilanstalt 
Kreuzen Dr. Otto Fleischanderl zum kaiserlichen Rathe, 
die Oberbezirksärzte Dr. Jacob Gjivanovic und Dr. Karl VipdüC 
sind zu Landessanitätsreferenten für Dalmatien, die Bezirksärzte 
Dr. Marcell Wendzilowicz und Dr. Kasimir Manger zu Ober¬ 
bezirksärzten in Dalmatien ernannt worden. — Dr. Karl Fieber 
in Wien hat das goltl. Verdienstkreuz mit der Krone erhalten. — 
Docent Dr. Max Neuburger in Wien ist zum correspondirenden 
Mitgliede der k. Akademie der Medicin in Madrid ernannt worden. 

(Militärärztliche8.) Ernannt wurden im landwehrärzt¬ 
lichen Officierscorps: Zu Oberstabsärzten II. CI. die Stabsärzte 
Dr. Samuel Hoffer und Dr. Leopold Szöllösi , zum Stabsarzt 
der Regimentsarzt Dr. Iwan Endre , zu Regimentsärzten I. Cl. die 
Regimentsärzte II. CI. Dr. Samuel Bodo , Dr. Karl Wertheim, 
Dr. Elemer HrabAr und Dr. Karl Bernoläk von Haraszt , zu 
Regimentsärzten II. Cl. die Oberärzte Dr. Etele MEszaros, Doctor 
Arpad Simony, Dr. Marcus Tomicie, Dr. Zoltan Ajkay und Doctor 
Alexius Zsigmond. 

(Hebammen-Controle.) In den Ländern der ungarischen 
Krone sind nunmehr — wie uns aus Budapest gemeldet wird — 
auch Privatärzte zur Hebammencontrole berechtigt und befugt, die 
Thätigkeit der Hebammen und die Reinlichkeit des Intrumentariums 
derselben zu überwachen und ihre Beobachtungen in das Controlbuch 
einzutragen. Die Hebammen haben ein Protokoll über die Geburten, 
welche sie geleitet haben, zu führen, in welchen auch etwaige Ab¬ 
normitäten im Geburtsverlaufe zu vermerken sind. 

(Statistik.) Vom 16 bis inclusive 22. November 1902 wurden in 
den Ci vilspitälern Wiens 7215 Personen behandelt. Hievon wurden 1484 
entlassen; 149 sind gestorben (9'12% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 83, egypt. 
Augenentzündnng —, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 7, Dysen¬ 
terie—, Blattern—, Varicellen 114, Scharlach 31, Masern 294, Keuchhusten 32, 
Rothlauf39, Wochenbettfleber—, Rötheln 6, Mumps 17, Influenza—, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. 1, Milzbrand —, Lyssa —. 

— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 592 Personen gestorben 
(+ 8 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) In Budapest ist am 25. d. M. der um das 
ungarische Sanitätswesen hochverdiente Professor der Augenheil¬ 
kunde Dr. Nathaniel Feuer im 59. Lebensjahre gestorben. Zu 
Szobotist in Ungarn geboren, hat er an der ARLT’schen Klinik in 
Wien seine oculistische Ausbildung erfahren und dieselbe, zumal als 
sich das Trachom in den ungarischen Niederungen in erschrecken¬ 
dem Maße ausbreitete, erfolgreich bethätigen können. Im Jahre 
1886 war er in der Eigenschaft eines Landes Sanitätsinspectors 
in das ungarische Ministerium des Innern berufen worden. Von 
seinen zahlreichen, meist ophthalmologischen Schriften haben viele 
eine große Verbreitung gefunden. — Gestorben sind ferner: In 
Marienthal bei Grammat-Neusiedl der Gemeindearzt Dr. Johann 
Löw im 61. Lebensjahre; in Bonn der Laryngologe Dr. Karl 
Burger im Alter von 58 Jahren; in Berlin der San.-Rath Doetor 
Friedrich Wulffert, bekannt als Vorkämpfer der Abstinenz- 


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bewegung; in Stuttgart der ehemalige Missionsarzt Dr. Eugen Lie¬ 
bendörfer, 50 Jahre alt; in London der hervorragende Laryn- 
gologe Dr. Lennox Browne im 63. Lebensjahre. 

Universitätsdocent Dr. Josef Fabricius, Vicedirector am Maria Theresien- 
Frauen-Hospital, wurde zum Direetor und Primararzt des evang. Diakonissen¬ 
krankenhauses in Währing ernannt. 

Privatdocent Dr. Alois Strassek wohnt jetzt IX., Sechsschimmelgasse 12. 

Mattoni’s Moorextract. Als Ersalz des Moorbades empfehlen sich zum 
Gebrauche im Hause Mattoni's Moorextracte, wie sie von der Firma Heinrich 
Mattoni hergestellt und versendet werden. Sie werden unter behördlicher 
Controle hergestellt, ein trockenes Extract Mattoni’s Moorsalz in Kisten 
ä 1 Kgrm. und flüssiges Extract M attoni’s Moorlauge ä 2 Kgrm. in Flaschen. 
Beide Mengen entsprechen der normalen Dosis für ein Vollbad, können auch 
combinirt, entsprechend weniger, gegeben werden. Das Salz löst man am 
besten in heißem Wasser und setzt die Lösung dem Badewasser unter Um¬ 
rühren zu. Auch Mattoni's Medicinalmoorerde selbst wird auf Wunsch 
versendet. Normale Menge für ein Vollbad 50—75 Kgrm., die man mit heißem 
Wasser anrührt und mit dem Badewasser noch heiß vermengt. Während die 
Steigerung des Gehaltes eines Moorbades an der Voluminosität der Moorsub¬ 
stanz ihre zeitige Grenze findet, gestatten die Extracte die Anwendung von 
Bädern von sehr hoher Concentration und die genaueste Regulirung dieser 
letzteren selbst, ein für die Praxis nicht zu unterschätzendes Moment. 

Um keine Falsifikate zu erhalten, empfiehlt es sich, stets ausdrücklich 
„Mattoni's“ Moorextracte zu verlangen. 

Den Herren Aerzten, welche Mattoni's Moorextracte noch nicht kennen 
sollten, oder dieselben ad usum proprium und in der Arraenpraxis in Ver¬ 
wendung zu nehmen beabsichtigen, stehen geeignete Quantitäten bei der Firma 
Heinrich Mattoni in FranzeDsbad, oder deren Filialen in Karlsbad, Wien 
und Budapest vollständig kostenfrei zur Disposition. 

Tuberkelfreie Cur- und Kindermilch. Die fürstlich Schwarzenberg’sche 
Meierei in Neuwaldegg bringt unter obiger Marke eine Specialität zum Ver¬ 
kaufe, welche geeignet ist, die Aufmerksamkeit ärztlicher Kreise auf sich zu 
lenken. Neuere Untersuchungen machen es einerseits wahrscheinlich, daß eine 
durch längere Zeit fortgesetzte Ernährung der Kinder mit sterilisirter Milch 
den Verdauurgsproceß in nachtheiliger Weise beeinflußt, andererseits lassen 
sich aber viele, einer Milchcur bedniftige erwachsene Personen durch den 
lästigen Kochgeschmack abhalten, Milch zu nehmen. Ein wesentlicher Fort¬ 
schritt ist es daher, daß das erwähnte Product ein solches ist, welches ohne 
weiteres rob, resp. nicht abgekocht genossen werden kann. Die Neu¬ 
waldegger Meierei erreicht dies dadurch, daß sie das ganze Jahr trocken 
gefütterte, unter thierärztlicher Aufsicht in entsprechenden Stallungen unter¬ 
gebrachte Kühe verwendet. Auch das Personal und die allen hygienischen 
Anforderungen ents-prechende Milchmanipulation selbst stehen unter ständiger 
ärztlicher Controle. Die an der k. k. allgemeinen Untersuchungsanstalt für 
Lebensmittel durchgeführte bakteriologische Untersuchung ergab das voll¬ 
ständige Fehlen aller krankheitserregenden Keime. 


Wiener Medicinisches Doctoren-Collegium. 

Wissenschaftliche Versammlung. 

Montag den 1. December 1902, 7 Uhr Abends, im Sitzungssaale des Collegiums, 
I., Rothenthurmstraße 19- 
Vorsitz: Prof. Obersteiner. 

Programm: 

1. Dr. Siegfried Weiss: Ueber Säuglingsheilstätten. 

2. Doc. Dr. Jcrie: Ueber die chirurgische Behandlung der Hämorrhoiden. 


Verein für Psychiatrie und Neurologie. 

Vortragsabend 

Mittwoch den 3. December 1902, im Hörsaale der Klinik Nothnagel. 
Program m: 

Prof. Dr. v. Wagner : Myxödem und sporadischer Cretinismus. 


Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 

Sitzung Donnerstag den 4- December 1902, 7 Uhr Abends, im Hörsaäle 
der Klinik Nothnagel. 

Vorsitz: Hofrath Prof. Dr. Nothnagel. 

Programm: 

I. Administrative Sitzung. 

II. Wissenschaftliche Sitzung: 

Demonstrationen. (Dieselben können nur in beschränkter Anzahl zu¬ 
gelassen werden.) Das Präsidium. 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 


Mit dieser Nummer versenden wir eine Beilage der Ver¬ 
waltung des Badeä Vichy über „Die Slaatsquellen von Vichy“. 
Wir empfehlen dieselbe der geneigten Beachtung unsrer Leser. 


Die Rubrik: „Erledigungen, ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 


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vermag so hervorragende und überraschende Erfolge zu erzielen. 


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XLIII. Jahrgang. _ 

Die „Wiener Medizinische Fresse" erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-^uart Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militäiärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik , letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umtange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse“ 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Kur 
die Eedaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisierplatz 2. 


Wien, den 7. December 1902. 


Nr. 49. 


Wiener 


Abonnementr.preise: „Wiener Mediz. Presse" mit „Allgem. 
Mintäiäiz lieber Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jälirl. 
20 K, halbj. io A', viertelj. 5 K. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jälirl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jälirl. 24 Mrk-, halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 K; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2 spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Ff. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein 
Sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien.I, Maximilianstr. 4. 


medizinische Presse. 


Organ für praktische Aerzte. 

■ Verlag von 

Begründet 1860. -- Urban & Schwarzenberg in Wien. 

Redigirt von 

Bedaction: Telephon Ir. 13.849. n . . n Administration: Telephon *r.9104. 

Dr. Anton Bum. 


INHALT: Origin allen und klinische Vorlesungen. Zur retrospectiven Betrachtung der Alexanderoperation. Von Prof. Dr. Ludwig Kleinwächter. — 
Aus dem Institute für Mechanotherapie des Dr. A. Bum in Wien. Weitere Beiträge zur Ehißluftbehandlung. Von Dr. Robert Gkünbaum, Assistenten des 
Institutes. — Instrumentelles auf urologischem Gebiet. Von Privatdocent Dr. Oscar Bbuttner in Genf — Casuistische Mittheilungen aus der X. chirur¬ 
gischen Abtheilung des städt. Spitales au Triest. Von Dr. Stuparich, chir. Assistent. — Revue. Die neuesten Puhlicationen ans den Gebieten der 
Pathologie und Therapie der Magenkrankheiten. — Referate. Ed. Moore (Santiago in Chile) : Behandlung der Syphilis mit speciflschem Serum. — 
R. Dohrn (Dresden): Ueber die gesetzliche Verantwortlichkeit des Arztes bei geburtshilflichen Operationen. — M. Ci.oetta (Zürich): Zur Kenn'niß 
der Salzsänresecretion. — Hnatek : Ein Beitrag zur Diagnostik der Arteriosklerose des centralen Nervensystems. — Landau (Nürnberg): Experi¬ 
mentelle Untersuchungen über das Verhalten des Eisens im Organismus der Thiere und Menschen. — Ans dem Hospital Mariae Magdalenae in 
St. Petersburg. F. Weber: Ueber die operative Behandlung veralteter Ellbogenluxationen. — Baelz (Tokio): Ueber Erkältung, Klima, Rheumatismus 
und ihr Verhältniß zum Nervensystem. — Claudio Ferini (Berlin): Ueber die Verdaulichkeit der Speisen im Magen in Beziehung zur Hygiene. — 
Julius Krebs (Breslau): Ueber Gebärmutterzerreißung wahrend der Geburt. — Riedel (Jena): Die Erhaltung der Vena f>-moralis bis zum letzten 
Act der Exartioulatio ft-moris nach Rose. — Ledderhose (Straßbnrg): Zur Behandlung der intraperitonealeu BlasenzerMßung. — C. Bobulescu 
(Jassy): ßismutosc. — Pkeisich (Budapest): Der Einfluß ausschließlicher Fleischnahrung auf die Impftub-rculose der Hühner. — Kleine Mit- 
theilnngen. Minimale Narkose. — Jeq'iiritolbehandlung. — Kampherinjectionen bei der Morphinentziehung. — Behandlung der acuten und sub- 
acuien Gonorrhoea anterior. — Wägungen als Diagnosticnm. — Systematisches Bergsteigen als Stärkungsmittel. — Leukoplakia bucco-linguaÜs. — 
Literarische Anzeigen. Die specielle Tuberculose der Knochen und Gelenke. Auf Grund der Beobachtungen der Göttinger Klinik. II. Das Hüft¬ 
gelenk. Bearbeitet von Dr. F. König, Professor der Chirurgie. — Einführung in die Psychiatrie mit specHler Berücksichtigung der DifLrential- 
diaenose der einzelnen Geisteskrankheiten. Von Dr. Th. Becker. — Atlas und Grundriß der Unterleibsbrüche. Von Privatdocent Dr. Georg Sultan, 
I. Assistent der chirurgischen Klinik in Göttingen. — Feuilleton. Schulen für nervenkranke Kinder. Von Dr. Heinrich Stadelmann, Nervenarzt 
in Würzburg. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. Aus den Abtheilungen der 74. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. 
Karlsbad, 21.— 27. September 1902 (Ooll.-ßer. der „Fr. Vereinigting d. Deutschen med Fachpresse“.) IX. — Aus französischen Gesellschaften. 
(Orig.-Ber,) — Aus medicinischen Gesellschaften Deutschlands. (Orig.-Ber.) — K. lc. Gesellschaft der Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — Notizen. 
Karl Nicoladoni f. — Nene Literatur. — Eingesendet. — Offene Correspondenz der Redaction and Administration. — Aerztliche Stellen. — 
k n/eigP", 

Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse “ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Zur retrospectiven Betrachtung der 
Alexanderoperation. 

Von Prof. Dr. Ludwig Kleinwächter. 

In meiner kleinen, im Jahre 1899 (als Heft 2 u. 3 der 
„Wiener Klinik“) erschienenen Schrift „Uterusverlagerungen, 
operative Uterusfixationen und die aus ihnen resultirenden 
Geburtsstörungen“ habe ich mich am Schlüsse des Capitels, in 
dem ich die Alexanderoperation (die Fixation der normalen 
Stellung des Uterus durch Verkürzung der Ligamenta rotunda) 
abhandelte, auf pag. 10 dahin ausgesprochen daß diesem 
operativen Eingriffe manche Uebelstände anhaften. Ich hob 
hervor, daß man bei Vornahme desselben keinen Einblick in 
die abdominalen Verhältnisse habe und zuweilen Erkran¬ 
kungen der Adnexe nicht mit Sicherheit ausschließen könne 
Weiterhin meinte ich, es sei zu beachten, daß nach nicht mit 
größter Sorgfalt ausgeführter Operation, namentlich wenn 
der ganze Leistencanal gespalten wurde, eine Tendenz zur 
Hernienbildung zurückbleibe. Schließlich gab ich zu bedenken, 
daß eine nachträglich sich wieder einstellende Dehnung und 
Auszerrung der Ligamenta rotunda, durch die es zu einer 
Beeidive der Uterus Verlagerung nach rückwärts komme, nie 
mit Sicherheit ausgeschlossen werden könne. 

Auf die ersten zwei dieser eventuellen drei Uebelstände 
wurde schon vor mir von Anderen hingewiesen. Auf den 
dritten aber, dessen Eintritt am nächsten liegt, machte auf¬ 
fallender Weise vor mir noch niemand aufmerksam. Den Beweis 
für meine Annahme, es könne nach der Operation eine Recidive 


der Uterus Verlagerung eintreten, liefert mir ein Fall, der 
mir vor l x /a Jahren unter die Hände kam. 

Prot.-Nr. 7022. B. L., 26jährig, 5 Jahre verheiratet, trat 
erst mit 16 Jahren in die Pubertät. Die Menstruation stellt sich nach 
je 3 Wochen ein , hält 8—9 Tage an, ist aber schwach und von 
dysmenorrhoischen Erscheinungen begleitet. Es soll ein Fluor be¬ 
stehen. Ueber Schmerzen im Unterleibe klagt die Frau nicht, wohl 
aber über constante Beschwerden ira Kreuze. Stuhl- und Harnentleerung 
sind normal. An Husten leidet die Frau nicht, ebensowenig Uberstand 
sie eine Hämoptoe. Sie hat den ersten Gatten, ist aber die zweite 
Frau desselben, der mit der ersten Kinder zeugte. Er soll, trotzdem 
er angeblich erst 40 Jahre alt ist, in sexueller Beziehung schwach 
sein. Die Frau gibt au , sie sei vor einem Monate auf einer Uni¬ 
versitätsklinik wegen einer Gebärmuttersenkung operirt worden. 
Außerdem sei bei ihr auch die Alexanderoperalion vorgenoramen 
worden. Die Klagen, welche die Kranke za mir zu kommen veranlaßten, 
sind die spärliche, sowie schmerzhafte Menstruation, die Kreuz- 
schmerzcn und die Sterilität. 

Ii-h traf folgenden Befund an: 

Die mäßig git genährte Frau ist chlorotisch. Das Herz ist 
gesund, ln beiden jeistengegenden finden sich lange, breite Narben, 
die wie Bubonennarben aussehen. Die Portio fehlt zur Gänze. Daß 
sie amputirt wurde, ist aus der großen, noch nicht gauz verheilten 
Operationsnarbe, in der noch ein Seidenfaden steckt, zu entnehmen. 
Der Uterus, der deutlichen Katarrh zeigt, ist in toto etwas größer, 
massiger und dabei derber, fester als in der Norm und liegt retro- 
flectirt, dabei ist er aber beweglich. Die Adnexe sind normal. 

Nachdem ich den Seidenfaden entfernt, schlug ich der Frau 
eine entsprechende, allgemeine und locale gynäkulogische Behand¬ 
lung vor, um dadurch den Uterus zur Verkleinerung zu bringen 
und die spärliche, sowie abnorm schmerzhafte Menstruation zu 

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1902. 


Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 49. 


2224 


beheben. Mit Rücksicht anf die Sterilität verlangte ich außerdem die 
Untersuchung des Gatten. Da die Frau aber weder auf den einen, 
noch auf den anderen Vorschlag einging, so mußte ich mich damit 
begnügen, ihr ein adstringirendes und desinficirendes Mittel zu 
Vaginalirrigationen gegen den Fluor und ein Tonicum (Ferrum) zu ver¬ 
schreiben. Die Frau verließ mich und ich sah sie seitdem nicht mehr. 

Nach dem Befunde zu schließen, lag eine sogenannte 
chronische Metritis vor. Wodurch dieser chronisch-entzündliche 
Zustand des Uterus veranlaßt war, ließ sich nach einer ein¬ 
maligen Untersuchung nicht bestimmen. Vielleicht, daß zu 
dessen Entstehung die sexuelle Schwäche des Glatten mit 
beitrug. Der bestehende, ziemlich intensive Uteruskatarrh war 
wohl nur als Theilerscheinung des Grundleidens aufzufassen, 
wenn der Fluor auch zum guten Theil auf die noch nicht 
gänzlich verheilte Amputationswunde der Portio und die durch 
den zurückgebliebenen Seidenfaden hervorgerufene Reizung 
zurückzuführen war. Die Retroflexion war zweifellos Folge 
der Größen- und Gewichtszunahme des Uterus. 

Die Annahme liegt nahe, daß auf der Klinik, in der 
die Frau kurze Zeit vorher gelegen, gemeint wurde, durch 
eine Amputation der Portio den Uterus zur Verkleinerung 
zu bringen und, von dieser Voraussetzung ausgehend, im 
Glauben, den retroflectirten, sich verkleinernden Uterus durch 
Verkürzung der Ligamenta rotunda in seiner normalen Stellung 
dauernd zu erhalten, dem ersten Eingriffe die Alexander¬ 
operation angeschlossen wurde. Die Verkleinerung des Uterus 
trat aber nicht ein, das Organ blieb groß und schwer und 
sank nach kurzem, die operativ verkürzten Ligamente aus¬ 
dehnend, wieder nach rückwärts. Infolgedessen wurden weiterhin 
die Verhältnisse nicht nur nicht wieder die gleichen, wie sie 
vor den operativen Eingriffen waren, sondern noch ungünstigere, 
als sie früher waren, denn durch das Fehlen der Portio findet 
ein Pessarium keine Stütze und ist es daher nun gegen früher 
unmöglich gemacht, den reponirten Uterus mittels eines solchen 
in seiner normalen Stellung zu fixiren. Außerdem trägt die 
Frau als dauerndes Andenken an die Alexanderoperation die 
unschönen Narben in der Leistengegend, die eine nicht ange¬ 
nehme sprechende Aehnlichkeit mit Bubonennarben besitzen. 

Es wäre sehr zu wünschen, wenn man sich nicht damit 
begnügte, die unmittelbaren Erfolge der Alexanderoperation 
vor die Ocffentlichkeit zu bringen, sondern auch etwas über 
die Späterfolge derselben erführe. Bis jetzt ist von solchen 
noch absolut nichts zu hören. Es erscheint mir zweifellos, 
daß e3 noch so manchen Fall geben mag. der bezüglich seines 
Späterfolges, das nämliche Bild darbietet, wie der eben mit- 
getheilte, denn dadurch, daß die Ligamenta rotunda verkürzt 
wurden, verlieren sie doch nicht die Möglichkeit, sich nach¬ 
träglich wieder auszudehnen und auszuzerren, wodurch der 
Uterus abermals nach rückwärts umsinkt. Die Momente, die 
eine Ueberdehnung und Auszerrung der Ligamenta rotunda 
verursachen, können auch nach vorgenommener operativer 
Verkürzung derselben weiter wirken und neuerliche Ueber¬ 
dehnung mit consecutiv wieder eintretender Verlagerung des 
Uterus nach rückwärts hervorrufen, d. h. die ganze Operation 
illusorisch machen, wie es in dem von mir mitgetheilten Falle 
zu sehen war. Dauererfolge derselben sind daher nur dann 
zu erwarten, wenn man diese erwähnten Momente nach aus¬ 
geführter Operation auszuschalten imstande ist. Kann man 
dies nicht, so unterlasse man das Operiren, denn dann ist 
letzteres überflüssig, und hat für die Operirte noch außer¬ 
dem die unangenehme Folge, daß sie zeitlebens die häss¬ 
lichen Narben in der Leistengegend tragen muß. 

Einen noch übleren Ausgang hatte das operative Vor¬ 
gehen in dem von mir beobachteten Falle. Die Frau hatte 
außer ihren hässlichen Narben in der Leistengegend noch den 
Verlust ihrer Portio zu beklagen, wodurch es ihr benommen 
wurde, die Beschwerden, die der retroflectirte große, schwere 
Uterus hervorrief, durch das Tragen eines passenden Pessariums 
zu beheben. 


Aus dem, Institute für Mechanotherapie des 
Dr. A. Bum, in Wien. 

Weitere Beiträge zur Heißluftbeliandlung. 

Von Dr. Robert Grünbaum, Assistenten des Institutes. 

Unter den vielen und mannigfaltigen Methoden der Appli¬ 
cation von Wärme zu therapeutischen Zwecken nimmt die 
erst seit wenigen Jahren eingeführte Heißluftbehandlung unbe¬ 
stritten eine erste Stelle ein. Diese Stellung ist begründet 
einerseits in der bequemen, reinlichen Art der Anwendung 
und in der Möglichkeit, diese Proceduren überall, auch im 
Hause des Patienten, selbst in dessen Bette, ohne besondere 
Schwierigkeiten vornehmen zu können, andererseits darin, 
daß excessiv hohe Temperaturen angewendet werden, angeb¬ 
lich ohne Schädigung der Haut und ohne wesentliche Altera¬ 
tion des Allgemeinbefindens. Temperaturen von 80 bis 100° C. 
gelten dabei als niedere, 140—150° als leicht erträgliche. 
Diese Zahlen sind freilich wesentlich höher als die bei den 
anderen gebräuchlichen Wärmeproceduren erreichbaren. Denn 
für warmes Wasser gelten 40—50° C., für Moor und Fango 
45—55°, für Wasserdampf 50—60°, für heißen Sand 55—65° 
als die höchsten anwendbaren Maximaltemperaturen. 

Diese Thatsache wird noch verblüffender, wenn man 
damit zusammenhält, daß die Patienten regelmäßig angeben, 
an dem behandelten Körpertheile das Gefühl angenehmer 
Wärme zu empfinden, während das Kastenthermometer, welches 
die Behandlungstemperatur messen soll , vielleicht schon 100 
oder 120° anzeigt. Zur Erklärung dieses auffallenden Contrastes 
wurden alle möglichen „physikalischen“ Gründe herangezogen, 
so die geringe Dichte der Luft, das geringe specifische Ge¬ 
wicht, das schlechte Wärmeleitungsvermögen, die kleine Wärme- 
capacität, die absolute Trockenheit und noch anderes mehr. 

Schreiber 1 ) hat eine Reihe von einfachen Versuchen 
angestellt, die zu ganz anderen Resultaten führten. Er be¬ 
nützte bei seinen Experimenten die von Krause (Altona) 
angegebenen Heißluftkästen oder ähnliche Apparate eigener 
Construction. In dieselben wurden außer dem üblichen Kasten¬ 
thermometer an verschiedenen Stellen kleine Maximalthermo¬ 
meter eingehängt und geprüft, welche Temperaturen diese 
angeben, wenn man an ersterem Temperaturen von 100 oder 
120° abliest. Es zeigte sich nun, daß sehr bedeutende 
Differenzen (bis zu 50%) zwischen diesen Angaben bestehen, 
daß also die Angaben des Kastenthermometers für die Be- 
urtheilung der Innenwärme absolut unbrauchbar und un- 
verläßlich sind. Um den Einwand zu entkräften, daß diese 
Differenzen bedingt seien durch die beträchtliche Abkühlung 
der Luft in der Umgebung des behandelten Körpertheiles 
infolge der starken Perspiration desselben, wiederholte 
Schreiber die Versuche in der Weise, daß er an Stelle der 
Extremität einen Gypsabguß einhing, und er erhielt principiell 
dasselbe Resultat. Damit ist indirect der Beweis erbracht, 
daß die großen Schwankungen der Innenwärme durch die Ge¬ 
setze der Strömung und Vertheilung erwärmter Luftmengen 
bedingt sind. „Der in der Decke steckende Apparatthermo¬ 
meter ist kein Indicator für die im Inneren herrschende, 
bezw. therapeutisch verwendete Wärmeintensität, und inso¬ 
weit die Behauptung von der Toleranz gegen Temperaturen 
von 100 und 150° auf solchen Ablesungen am Apparatthermo¬ 
meter beruht, kann dieselbe als bewiesen einstweilen nicht 
gelten. “ 

Es schien mir eine dankenswerthe Aufgabe, diese An¬ 
gaben auch an anderen Heißluftsystemen nachzuprüfen. Meine 
Untersuchungen erstreckten sich auf die Apparate System 
Dr. Reitler und die neue Type, System Odelga (Wien). Die 
Apparate von Dr. Reitler sind modificirte „KRAUSE-Apparate“, 
in Form, Größe und Anordnung der Heizung diesen ziemlich 
ähnlich. Als wesentlichste „Verbesserung“ besitzen sie seitliche 


*) „Zeitschr. f. diätetische und physikalische Therapie“, 1901, Bd. V, H.2. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 49. 


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Vorbaue zur Aufnahme von mit Chlorcalcium gefüllten, flachen 
Porzellanschalen zur Trocknung der erwärmten, mit Schwei߬ 
dünsten gesättigten Innenluft, eine Vorrichtung von ganz 
problematischem Werthe. Die Versuche mit diesen Apparaten 
ergaben zwischen der Angabe des Kastenthermometers und 
den im Innern aufgehängten noch größere Differenzen, als 
sie Schreiber gefunden. Ich fand durchschnittlich Differenzen 
von 60—120°. Die größeren Unterschiede erklären sich aus 
dem Baue der REiTLER’schen Kästen, bei denen die Queck¬ 
silberkugel des Kastenthermometers zumeist direct in den 
Spalt eintaucht, durch den die heiße Luft in den Kasten ein¬ 
strömt. Die Vertheilnng der Wärme im Innern ist eine ganz 
regellose und ungleichmäßige, so daß z. B. selbst zwei Stellen 
derselben Horizontalebene je nach der Stellung der Quecksilber¬ 
kugel um 20° und auch mehr differiren. Ueber die näheren 
Details der Versuche und ihre Ergebnisse habe ich an anderer 
Stelle 2 ) ausführlich berichtet. Es geht aus ihnen mit genügender 
Klarheit die Bestätigung der Angaben Schreiber’s hervor, 
wenn auch naturgemäß eine volle Uebereinstimmung der ge¬ 
fundenen Zahlen nicht erzielt werden konnte. Sicher ist also, 
daß in den Theilen der Heißluftapparate, in welche die be¬ 
handelten Körpertheile eingelagert werden, niemals jene Tempe¬ 
raturen herrschen, welche das Kastenthermometer anzeigt. 
Ebenso sicher ist es, daß mit den REiTLER’schen Kästen wie 
mit den meisten anderen Heißluftsystemen ganz ausgezeichnete 
therapeutische Erfolge erzielt werden können, nur dagegen 
muß ich mich auf das entschiedenste aussprechen, daß diese 
günstigen Resultate durch die Wirkung heißer Luft von 150 
oder 200° erreicht werden. Den Beweis dafür erbringen, 
daß die Anwendung so hoher Temperaturen unmöglich und 
daß das erträgliche Maximum auch für Lufttemperaturen sehr 
wesentlich tiefer gelegen sei, konnte ich an den Apparaten 
von Odelga (neue Type). 




Diese Apparate (Fig. 1 u. 2) stellen verschieden große, den 
einzelnen Körpertheilen entsprechend geformte Kästen vor aus 
vielen mit Wasserglas und Asbest aufeinander geklebten Papier¬ 
lamellen , von denen die erste und letzte Lage zur besseren 
Haltbarkeit aus Leinwand besteht und besonders gut mit Wasser¬ 
glas überstrichen ist. Die Zuführung der heißen Luft erfolgt 
nicht von der Seite her, sondern vom Boden des Apparates, 
wobei dieser, um ein gleichmäßiges Aufsteigen und Vertheilen 
der warmen Luft zu bewirken, eine eigentümliche Con- 
struction aufweist. Der QuiNCKE’sche Schornstein (c), in welchem 
die Luft durch einen Gas- oder Spiritusbrenner erhitzt wird, 
mündet in ganz senkrecht aufsteigender Richtung in einen 
Blechkasten (b), welcher in den Boden des Apparates fix ein¬ 
gesetzt ist. Die Ausströmung aus diesem Blechkasten nach oben 

*) „Zeifschr. f. diätetische und physikalische Therapie“, 1902- 


erfolgt durch viele kleine Oeffnungen (in). Ueber diese ist eine 
fast den ganzen Boden bedeckende, heraushebbare Blechkappe (d) 
von muldenförmigem Querschnitte als Luftvertheiler einge¬ 
setzt. Dieselbe hat eine große Anzahl seitlicher Oeffnungen (e), 
durch welche die heiße Luft, von allen Seiten in der Richtung 
von unten nach oben streichend, erst in den Behandlungs¬ 
raum eintritt. Um die strahlende Wärme der Blechkappe 
möglichst abzuschwächen, ist diese mit einer Asbestplatte (f) 
derart überzogen, daß zwischen dieser und der Blechraulde 
eine Luftschichte als schlechter Wärmeleiter eingeschaltet ist. 

Der Deckel des Apparates hat mehrere kleine Oeffnungen 
(o), in welche das Kastentherraometer eingesetzt werden kann. 
Die Lagerung des erkrankten KÖrpertheiles geschieht auf weit¬ 
maschigen Spagatgurten, die der heißen Luft ungehindert freies 
Durchströmen gestatten. Die Gurten sind an Eisenleisten be¬ 
festigt, die sich beliebig verschieben lassen. Auch mit diesen 
Apparaten stellte ich eine Reihe ähnlicher Versuche an, wie 
mit den RKiTLER’sehen. Dabei zeigte es sich, daß es durch die 
eigenthümliche Art, die heiße Luft in den Behandlungsraum 
einströmen zu lassen, thatsächlich gelingt, die bei den Apparaten 
anderer Systeme herrschenden Wärmeunterschiede auf ein sehr 
geringes Maß einzuschränken. Die höchsten Differenzen der 
an den verschiedensten Stellen angebrachten Maximalthermo¬ 
meter gegenüber den Angaben des Kastenthermometers betrugen 
6—8°. Man kann daher, ohne erheblichen Irrthiimern unter¬ 
worfen zu sein, die Angaben des Kastentherraometers als ver¬ 
läßlich und der wirklichen Behandlungstemperatur entsprechend 
ansehen. Diese Thatsache bedeutet aber einen sehr wesent¬ 
lichen und bemerkenswerthen Fortschritt in der Construction 
brauchbarer Heißluftapparate. Zwei Forderungen müssen an 
jeden therapeutisch verwendeten Apparat gestellt werden 
können: Seine Wirkung muß vorauszusehen und sie muß genau 
dosirbar sein. Sonst bedeutet seine Anwendung nur ein 
Experimentiren und kein Curiren. Bei den Apparaten von 
Tallermann, Bier, Krause, Reitler u. A. geschieht die 
Dosirung der Wärme nach den absolut unverläßlichen Angaben 
des Kastenthermometers, wodurch es einerseits bei scheinbar 
niedrigen Temperaturen zu Verbrennungen verschiedenen 
Grades kommt, andrerseits bei excessiv hohen Temperaturen 
kaum zu einer lebhafteren Röthung der Haut. Es besteht ja 
nicht einmal ein Parallelismus zwischen den Wärmeangaben des 
Thermometersund der wirklichen Innenwärme. Es kann also die 
angeblich bei einer bestimmten hohen Temperatur stattgehabte 
und gut ertragene Behandlung in Wirklichkeit bei viel niederen 
Graden vorgenommen und die Toleranz der menschlichen Ge¬ 
webe gegen die Einwirkung excessiver Wärmegrade wesentlich 
überschätzt worden sein, und umgekehrt kann eine anscheinend 
niedrige Temperatur als unerträglich empfunden werden, 
während in Wirklichkeit viel höhere Grade nicht ertragen 
wurden. Es zeigte sich auch bei einem Patienten und bei Ver¬ 
wendung desselben Kastens öfters, daß an dem einen Tage 
eine bestimmte Temperatur anstandslos ertragen wird, während 
an einem anderen dieselbe Temperatur — natürlich nur nach 
den Angaben des Apparatthermometers — bereits als unerträg¬ 
lich heiß bezeichnet wurde. Alle diese Uebelstände sind bei 
den Apparaten Odelqa’s fast vollständig behoben; sie vereinigen 
Gleichmäßigkeit der localen Verbreitung der Innenwärme mit 
einer sicheren Dosirung der verwendeten Temperaturen. 

Hingegen gelingt es nicht, in diesen Apparaten so hohe 
Temperaturen zu erreichen wie in den RKiTLER’schen Kästen. 
Bei maximaler Inanspruchnahme des Heizkörpers gelingt es 
selbst nach einer Stunde nicht, höhere Temperaturen wie 
115—120° zu erzielen, während bei dem entsprechenden 
REiTLER’schen Apparate leicht Temperaturen von 200° und 
darüber wenigstens an einzelnen Stellen erreicht werden. Der 
Grund liegt darin, daß die Apparate von Odelga keine Klappen 
und Ventile und kein Abzugsrohr besitzen, um der überhitzten 
Luft genügenden Abfluß zu gestatten. Dieselbe muß sich hier 
durch die vorhandenen Spalten und Ritzen nnd durch die 
zur Aufnahme der Thermometer dienenden Oeffnungen ihren 

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1902 — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 49 


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Weg suchen. Ein genügender Abfluß der heißen Luft ist 
aber, wie auch Schreiber nachgewiesen, von dem größten 
Einflüsse auf die Höhe der erreichbaren Temperaturen und 
deren Beständigkeit. Verschließt man einen Heißluftkasten 
luftdicht, so gelingt es trotz Vergrößerung und voller Aus¬ 
nutzung der Heizkörper nur schwer, im Innern etwas erheb¬ 
lichere Wärmegrade zu erreichen. Die Temperatur schnellt 
sprungartig in die Höhe, wenn man der eingesperrten Luft 
einen Abzug verschafft. 

Eine andere Frage ist, ob es für therapeutische Zwecke 
nothwendig ist, so hohe Temperaturen bis zu 200° erreichen 
zu können. Eine Entscheidung darüber ließ sich nur finden 
im Zusammenhänge mit der Frage, welches überhaupt die 
höchsten Lufttemperaturen seien, die die menschliche Haut 
verträgt, ohne Schaden zu nehmen. Die meisten Autoren, die 
sich mit dieser Frage beschäftigen, nahmen an, daß Luft¬ 
temperaturen von 140—150° und selbst noch darüber an¬ 
standslos vertragen werden. Aus den bereits oben auseinander¬ 
gesetzten Gründen kommt diesen Behauptungen, welche sich 
nur auf die Ablesungen des Kastenthermometers stützen, 
keine Beweiskraft zu, ebensowenig wie den Angaben Clado’s 
und Frey’s. Clado 8 ) will bei seiner Behandlung tuberculös 
erkrankter Gelenke stundenlang Temperaturen von 110° auf 
die betreffenden Extremitäten haben einwirken lassen. Aber 
schon die primitive Art der Erwärmung in einem aus erwärmten 
Ziegeln aufgerichteten Ofen, „wie von Kindern mit Domino- 
steitien erbaut und mit Weißblech bedeckt“, macht es sehr 
unwahrscheinlich, daß es mit Hilfe einer solchen Vorrichtung 
möglich sei, constant eine so hohe Temperatur zu erhalten. 
Auch die Angabe Frey’s 4 ), bei seiner Heißluftdouche Tempe¬ 
raturen von 150° auf die Haut zu appliciren, vermag einer 
ernsten Kritik nicht Stand zu halten. Denn die Ablesung 
der Temperatur geschieht an der Ausströmungsstelle der 
Luft aus dem Heizkörper. Die Luft muß dann noch den 
1 —1% Meter langen Abflußschlauch passiren, wodurch schon 
eine gewisse Abkühlung bedingt ist. Vor Allem aber über¬ 
sieht Frey ganz, daß bei der Application des heißen Luft¬ 
stromes in einer Entfernung von 5—10 Cm. von der Haut 
derselbe eine ganz andere Temperatur besitzen muß wie an 
der Einströmungsöffnung. Bei meinen diesbezüglichen Ver¬ 
suchen zeigte sich auch, wie von vorneherein zu erwarten 
war, daß die Temperatur mit zunehmender Entfernung sehr 
rapid abnimmt, und daß der Luftstrom von 150°, an der 
Ausströmungsöffnung gemessen, in einer Entfernung von 5 bis 
10 Cm. nur mehr 90—70° hat. 

Die Apparate von Odelga boten mir nun die Möglich¬ 
keit, auch den directen Nachweis zu erbringen, daß die 
allseits behauptete Toleranz der Haut gegen länger ein¬ 
wirkende Lufttemperaturen von 150—200° auf falschen Beob¬ 
achtungen beruhe und thatsächlich nicht vorhanden sei. Bei 
der gleichmäßigen Vertheilung der Innenwärme und der 
Uebereinst.immung dieser mit den Angaben des Indications- 
thermometers in den neuen Heißluft kästen war es sehr leicht 
und einfach zu prüfen, wo das erträgliche Temperaturmaximum 
gelegen sei. Ich stellte eine größere Anzahl Versuche an Ge¬ 
sunden und Kranken darüber an, bis zu welcher Höhe die 
Innenwärme gesteigert werden kann. Es zeigte sich, daß die 
höchsten Temperaturen, die man noch ertragen kann, zwischen 
75— 85° C. gelegen sind. Nur in einzelnen Fällen konnte ich 
bis 90° und etwas darüber steigen. Bei diesen Wärmegraden 
stellte sich local das Gefühl starken Brennens ein, das sich 
bis zur intensiven Schmerzempfindung steigert, die uns 
zwingt, die Temperatur absinken zu lassen. Versucht man, 
über diese Grenze hinauszugehen, so kommt es zur Bildung 
von Brandblasen, selten zu tiefer gehenden Verbrennungen. 
Auch bei der Verwendung der heißen Luftdouche fand ich 
Temperaturen von 80—90° als Maximalwerthe. Auf Grund 


dieser Versuche behaupte ich, daß die oberste Grenze 
der Toleranz bei der localen Verwendung heißer 
Luft sowohl im ruhenden (Heißluftkästen), wie im bewegten 
Zustande (Heißluftdouchen) zwischen 80 — 90° C. ge¬ 
legen ist. Selbst wenn man die Angaben über die bei der 
Heißluftbehandlung erreichbaren Wärmegrade der nothwendigen 
Correctur unterzieht, so bleibt dieselbe doch noch in Bezug 
auf die Höhe der verwendeten Temperaturen an erster Stelle 
stehen, und damit findet die Tbatsache, daß mit dieser Art 
der Application von Wärme vielfach bessere Resultate wie 
mit jeder anderen Art erzielt werden, zum großen Theile ihre 
Erklärung. 

Ueber das Verhalten von Körpertemperatur, Puls, Blut¬ 
druck und Respiration unter dem Einflüsse der Heißluftbe- 
bandlung habe ich an anderer Stelle 6 ) berichtet. Es erübrigt 
nur noch, über die Erfahrungen und Resultate bei den 
verschiedenen Erkrankungen zu referiren. Meine Beobachtungen 
umfassen 161 Patienten (135 Männer und 26 Frauen), zum 
größeren Theile Arbeiter und Krankencassenmitglieder. Ich 
halte es fiir nothwendig, dies ausdrücklich hervorzuheben, 
um die erreichten Heilerfolge in die entsprechende Beleuchtung 
zu rücken. Es waren, wie es im Charakter des Kranken- 
cassen wesens begründet ist, in der Mehrzahl schwere 
Fälle, zumeist solche, die bereits vorher verschiedene andere 
therapeutische Agentien, Medicamente (interne und externe, 
Elektrotherapie, Hydrotherapie) versucht hatten. Andererseits 
aber wird von Krankencassenmitgliedern die Arbeit zumeist 
schon in dem Momente wieder aufgenommen, in welchem sie 
ihre Erwerbsfähigkeit wieder erlangen, ohne Rücksicht darauf, 
ob in diesem Zeitpunkte die vollständige Restitutio ad integrum 
erreicht wurde. Bei den 161 Patienten wurde in 85 Fällen = 53% 
vollständige Heilung, resp. volle Erwerbsfähigkeit erzielt. 
43 Fälle = 26% wurden gebessert, 21 Patienten = 13% blieben 
ungeheilt, 12 stehen noch in Behandlung. 

Unter den mit Heißluft behandelten Krankheiten nehmen 
die rheumatischen Affectionen die erste Stelle ein. 

Was zunächst den acuten Gelenkrheumatismus 
betrifft, so kann von einer Heißluftbehandlung, insolange der 
Patient fiebert und jede, auch geringe Bewegung mit be¬ 
deutenden Schmerzen verbunden ist, nicht die Rede sein. Hier 
sind die Salicylpräparate und absolute Ruhe am Platze. Wenn 
aber einmal das Fieber geschwunden und die Beweglichk it 
wieder zugenommen hat und weniger schmerzhaft geworden, 
dann kann auch schon in diesem frühen Stadium von der 
Wirkung der heiß"n Luft mit Erfolg Gebrauch gemacht 
werden. Im Verlaufe der Behandlung schwinden die Gelenk¬ 
schmerzen , und die etwa vorhandenen Residuen der Er¬ 
krankung, wie Gelenkergüsse, Kapsel- und Sehnenscheiden¬ 
schwellungen, werden leichter zur Resorption gebracht. Wann 
in jedem einzelnen Falle mit der Behandlung begonnen werden 
soll, dafür lassen sich keine allgemeinen Regeln aulstellen, 
immer muß aber auf eine möglichst bequeme und ungezwungene 
Stellung der erkrankten Körpertheile in den Kästen sorg¬ 
fältig geachtet werden. In manchen Fällen, namentlich bei 
Erkrankungen des Schultergelenkes, scheitert der Versuch, 
mit der Heißluftbehandlung frühzeitig zu beginnen, daran, 
daß es infolge der noch eingeschränkten und schmerzhaften 
Beweglichkeit unmöglich wird, die Extremität in den Apparat 
einzulagern. 

Gute Resultate erzielt die Heißluftbehandlung auch bei 
den subacuten und chronischen Fällen von Gelenks- 
rh-umatismus; diese stellen wohl allgemein das Hauptcontin- 
gent für diese Behandlungsmethode und das mit vollem Recht. 
Zumeist hat hier schon die Erkrankung zu secundären Er¬ 
scheinungen , wie Kapselverdickungen , Gelenksankylosen, 
Muskelatrophien. geführt, und deshalb machen wir daneben 
von den anderen physikalischen Heilbehelfen, Massage, Gym¬ 
nastik, Elektricität ausgiebigen Gebrauch. In den unmittelbar 


') Citirt nach Bier in der Festschrift für F. v. Esmabch, 1893. 
‘) „Zeitschr. f. diätetische und physikalische Therapie“, 1901. 


s ) 1. c. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse..— Nr. 49. 


2230 


nach der Heißluftbehandlung hyperämischen, succulenten Ge¬ 
weben wirken die Massagemanipulationen viel intensiver und 
die Lösung der Ankylosen erfolgt leichter und schmerzloser. 

Eine besondere Gruppe bilden die gonorrhoischen 
Gelenkerkrankungen. Sie sind keineswegs sehr selten; unter 
68 Fällen konnte 9mal der gonorrhoische Ursprung der Ge¬ 
lenkerkrankung mit Sicherheit nachgewiesen werden. Es waren 
zumeist typische monoarticuläre Affeetionen (7 Fälle), seltener 
polyarticuläre (2); am häufigsten war das Kniegelenk be¬ 
fallen (5), je einmal Schultergelenk und Hand. In den meisten 
Fällen gelang es auch hier, wesentliche Besserungen zu erzielen, 
doch ist die Prognose bei diesen Formen immer etwas vor¬ 
sichtiger zu stellen. Es bleiben gar nicht selten beträchtliche 
Functionsstörungen dauernd zurück. In den Anfangsstadien 
der Erkrankung ist jede Massagemanipulation zu vermeiden, 
um nicht den infectiösen Proceß weiter zu propagiren. 

Dem chronischen Gelenkrheumatismus am nächsten und 
vielfach von diesem nicht abzutrennen ist die Arthritis 
deforraans. Ich hatte in 9 meist schweren und mehrere 
Gelenke betreffenden Fällen Gelegenheit, den Nutzen der 
HeißluftbehandluDg zu erproben. In keinem Falle gelang es, 
den Krankheitsproceß erheblich zu beeinflussen, wohl aber 
die Schmerzhaftigkeit der Gelenke zu verringern oder zum 
Verschwinden zu bringen, so daß ein Theil der Patienten 
wieder berufsfähig wurde. Ganz ohne Einfluß blieb die 
Heißlufttherapie auf einen Fall von chronisch-ankylo- 
sirender Entzündung der Wirbelsäule, welcher 
durch sehr lange Zeit, mehr als 3 Monate hindurch, in Be¬ 
handlung stand. 

Ganz ausgezeichnete Resultate erzielt man bei den ver¬ 
schiedenen Formen des Muskelrheumatismus. Bei frischen 
Erkrankungen genügen meist einige Sitzungen, aber auch in 
veralteten Fällen, namentlich bei einzelnen Fällen chronischer 
Lumbago, die jeder anderen Behandlung getrotzt hatten, 
wurde durch die Verbindung von Heißluft und Massage 
zumeist vollständige Heilung erzielt. 

Als ein gleichfalls dankbares Feld erwiesen sich die 
gichtischen Gelenkerkrankungen. Zweimal bot sich 
mir Gelegenheit, den typischen acuten Gichtanfall an der 
großen Zehe mit heißer Luft zu behandeln. Beide Patienten 
reagirten sehr günstig. Die starken Schmerzen verschwanden 
rasch, die Schwellung und Röthung nahm nach jeder Sitzung 
ab und die Gehfähigkeit wurde schneller wie bei den früheren 
Anfällen erreicht. Aehnlich sind die Erfolge bei der chronischen 
Gicht, nur daß die etwa schon bestehenden Deformitäten nicht 
mehr vollständig beseitigt werden können. Wohl aber ver¬ 
schwindet zumeist die Schmerzhaftigkeit und Steifigkeit der 
erkrankten Gelenke. 

In Bezug auf die Häufigkeit stehen die Neuralgien 
und Neuritiden in meiner Statistik an zweiter Stelle 
(43 Fälle). Unter diesen war der Ischiadicus 37mal, der 
Medianus 6mal, der Cruralis 3mal, der Radialis, Trigeminus 
und die Intercostalnerven je einmal befallen. Das erreichte 
Ergebniß muß als ein günstiges bezeichnet werden. Es 
wurden 28 Fälle geheilt, 8 gebessert entlassen und 6 blieben 
ungeheilt. Gerade in dieser Gruppe kamen eine Reihe sehr 
schwerer und refractärer Fälle in Behandlung, und die Anzahl 
der nothwendigen Applicationen schwankte zwischen 6—40. 
War innerhalb sechs Wochen nicht mindestens eine deutliche 
Besserung im Zustande der Patienten erreicht worden, so 
wurde diese Behandlung als aussichtslos wieder aufgegeben. 
In einer großen Anzahl von Fällen kam es nach den ersten 
Heißluftsitzungen zu einer Exacerbation der Schmerzen, 
welche dann während der weiteren Behandlung wieder nach¬ 
ließen, um allmälig ganz zu verschwinden. Ueber den Nutzen 
der Heißluftbehandlung bei einer Reihe anderer Affeetionen, 
wie Parametritiden, Metritiden, Oophoritis, Con- 
stipatio spastica, Enteritis chronica, Osteo- 
malacie, Chlorose, Sklerodermie, bei denen diese 
Methode nach den Angaben verschiedener Autoren mit Erfolg 


verwendet werden kann, stehen mir eigene Beobachtungen 
nicht zur Verfügung. Hingegen hatte ich öfters Gelegenheit, 
von der schmerzlindernden Wirkung der Heißluftbäder bei 
den verschiedensten Contusionen, Distorsionen und bei 
Call nasch merzen nach Fracturen nützlichen Gebrauch 
zu machen. 

Alle diese Thatsachen zusammengefaßt, glaube ich be¬ 
haupten zu können, daß die Heißlufttherapie eine werthvolle 
Bereicherung unseres Heilschatzes bedeutet und geeignet ist, 
die übrigen physikalischen Heilmethoden in geeigneten Fällen 
zu ergänzen und theilweise zu ersetzen. 

Instrumentelles auf urologischem Gebiet. 

Von Priv&tdocen^ Dr. Oscar Beuttner in Genf. 

Die Urologie, soweit dieselbe dem Gebiete der modernen 
Gynäkologie angehört, ist entschieden der Neuconstruction 
und Vervollkommnung ihres Instrumentariums bedürftig. 

Wer von uns war nicht schon in die Enge getrieben, 
wenn er während der Consultationsstunde einen kleinen Ein¬ 
griff an der Urethra vornehmen wollte: mit der linken Hand 

die Vulva auseinander zu spreizen 
und mit der Rechten allein zu 
operiren, geht nicht wohl an; 
einen Assistenten hat man nicht 
immer zur Hand oder die Patienten 
wollen einen solchen gar nicht 
acceptiren. 

Dieser Stand der Dinge ver- 
anlaßte mich, ein einfaches In¬ 
strumentarium construiren zu 
lassen, das, bei möglichster Ein¬ 
fachheit , eine absolute Asepsis 
gewährleistet. 

Mein Instrument besteht aus 
einem Stab (Fig. 1, 28 Cm. lang) 
mit bogenförmigen Ausschnitten 
und zwei Klemmen, welch letztere 
in der Weise verfertigt sind, daß 
einer halbkugelförmigen Promi¬ 
nenz eine ebenso gestaltete Ver¬ 
tiefung entspricht. 

Will man sich des Instru¬ 
mentes bedienen, so werden die 
großen Schamlippen im oberen 
Drittel mit den Klemmen gefaßt 
und diese selbst in die bogenförmi¬ 
gen (fixirenden) Ausschnitte des 
queren Stabes (der auf den Ober¬ 
schenkeln oder auf den Bein¬ 
kleidern aufliegt) eingelegt; will 
man schwächer oder stärker 
spreizen, so werden je nachdem 
der Mittellinie näher oder ent¬ 
fernter gelegene Ausschnitte als 
Fixationspunkte gewählt. 

Das gewiß einfache Instru¬ 
mentarium thut seinen Dienst 
vorzüglich; man kann mit ihm 
bequem allein Bartholinitiden ope- 
F ‘g-1- riren, Harnröhrenkarunkeln ent¬ 

fernen etc. 

Da ich bei Biasenwasehnngen oft beobachtet habe, daß bei 
reizbarer Blase jede Bewegung des Katheters (wie eine solche 
beim Einfüllen der Spülflüssigkeit in den Trichter nicht 
absolut zu umgehen ist) als intensiver Schmerz empfunden 
wird, so dachte ich auch darüber nach, wie man auf einfache 
Weise die Sonde ruhig stellen könnte. 

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Wie Fig. 1 zeigt, ist in der Mitte des 28 Cm. langen 
Stabes ein quadratisches Loch herausgefeilt, in welchem das 
in Fig. 2 abgebildcte Fixationsstück des Katheters vermittelst 
eines kurzen metallenen Zapfens befestigt wird. Der Katheter 
wird in die Blase zuerst eingeführt und durch eine kleine 
Bewegung nach oben zwischen einer Feder fixirt. Die Blasen¬ 
waschungen gestalten sich so nach allen Regeln der Asepsis: 
Die beiden großen Schamlippen gespreizt, so daß der Katheter 
nur mit dem mit Sublimatlösung abgewischten Orificium 
externum urethrae in Berührung kommt. 



Wie Fig. 2 andeutet, habe ich letzteren selbst auch abge¬ 
ändert ; derselbe besteht aus Metall und hat die gewöhnliche 
Form, aber an Stelle der beiden Katheteraugen habe ich 40 
runde Oeffnungen anbringen lassen; Auch an der Spitze be¬ 
findet sich eine solche; dadurch fällt der todte Raum zwischen 
„Auge“ und „Spitze“ weg und die Urethralschleimhaut ver¬ 
mag nicht, sich in den runden, kleinen Löchern festzusetzen. 

Ich muß hinzufügen, daß Fritsch (Handbuch der Gynä¬ 
kologie von Veit, Bd. II) schon längere Zeit einen dünnen 
Glaskatheter mit vielen kleinen Oeffnungen gebraucht und 
empfiehlt. 

Küstner schlug einfache, gerade Glasröhren vor, wo¬ 
gegen Fritsch einwendet, daß das nicht konische Ende beim 
Einschieben und Vorwärtsschieben Schmerzen bereite, das 
oberflächlich auf der Schleimhaut der Harnröhre liegende 
Secret abstreife und in die Blase befördere. 

Kolischer sagt in seinem vorzüglichen Buche: „Die 
Erkrankungen der weiblichen Harnröhre und Blase“ bezüg¬ 
lich des Katheters Folgendes: „Im Allgemeinen ist der zweck¬ 
mäßigste Katheter ein an seinem vesicalen Ende schwach ge¬ 
krümmter Glaskatheter mit endständiger Oeffnung.“ 

Ich muß dazu bemerken, daß es mir einigemale vor¬ 
kam, daß ich plötzlich beim „Blasenwaschen“ einen Ruck ver¬ 
spürte, während die Patientin gleichzeitig einen intensiven 
Schmerz fühlte; das in der Blase befindliche Wasser floß 
nicht mehr ab. da sich außer Zweifel die Blasenschleimhaut, 
durch den Wasserwirbel angezogen, in die endständige Oeff¬ 
nung gelegt "hatte. 

Bezüglich dieses Phänomens bemerkt Kolischer Folgendes: 

„Während der Entleerung der Blase zieht man den ur¬ 
sprünglich tief eingeführten Katheter mit der fortschreitenden 
Contraction der Blase gegen das Orificium internum zurück, 
wobei man die Vorsicht gebraucht, das äußere Katheterende 
etwas zu senken, um die Katheterspitze nicht an das em 
pfindliche Trigonum anzudrücken und so die bekannten schlag¬ 
artigen Blaseneontraetionen auszulösen, die für die Patienten 
sehr schmerzhaft sind, und bei erkrankter Schleimhaut direct 
zu Läsionen derselben durch Anschlägen der Blasenwand an 
das Katheterende führen können.“ 

Betreffs dieser Auseinandersetzungen Kolischer’s muß 
ich einwenden, daß diese schlagartigen Zusammenziehungen 
der Blasenmusculatur auch dann eintreten können, wenn nicht 
das Trigonum, sondern irgend ein Abschnitt der (hinteren) 
Blasenwand mit dem Katheter in Berührung kommt, und ich 
stimme Fritsch vollständig bei, wenn er Folgendes sagt: 


„Einen Uebelstand aber haben die oben offenen Katheter mit 
den altmodischen Instrumenten gemeinsam, die an der Seite 
zwei große Oeffnungen besitzen: 

Man beobachtet bei ihrem Gebrauch oft, daß ganz plötz¬ 
lich mit einem beim Halten des Katheters mit der Hand 
wahrzunehmenden Rucke der Ausfluß völlig sistirt. Es 
saugt sich nämlich die dünne, dem ausfließenden Strome nach¬ 
folgende obere Blasen wand in die Oeffnung ein, sie sofort 
ventilartig verschließend. Erst beim Drehen, Vorschieben und 
Zurückziehen fließt der Inhalt wieder ab. (In solchen Fällen 
habe ich den Ventil Verschluß durch neues Anfüllen der Blase 
gesprengt, Beüttner.) Bei empfindlicher Blase, und jede ent¬ 
zündete Blase ist empfindlich, entsteht bei diesem plötzlichen 
Auf klappen und Einsaugen der Blasen wand in den Katheter 
ein oft recht unangenehmer Schmerz. Bei vielen kleinen Oeff¬ 
nungen , wie sie im Glaskatheter anzubringen sind, kommt 
dieses plötzliche „Aufklappen“ beim Ausfließen des Urins 
nicht vor.“ 

Der metallene Katheter mit endständiger kleiner Oeff¬ 
nung und circa 40 wandständigen Oeffnungen hat aber gegen¬ 
über dem größeren Katheter den Vortheil der Unzerbrechlich¬ 
keit, der größeren Glattheit, der großen Bequemlichkeit einer 
tüchtigen Sterilisirung in einer Spiritusflamme (ohne die Ge¬ 
fahr, im nassen Zustand zu „springen“). 

Ich will noch kurz bemerken, daß ich für die Vaginal- 
canüle ebenfalls eine Fixationsklemme (Fig. 2 a) habe con- 
struiren lassen ; dieselbe ist jedoch etwas länger und solider 
gebaut als diejenige für den Blasenkatheter. 

Will man gründliche Vaginalspülungen machen, ohne 
dabei die Canüle immer halten zu müssen, so legt man den 
28 Cm. langen Stab auf die Oberschenkel der Patientin, fixirt 
die Klemme im quadratischen Ausschnitt und das Scheidenrohr 
in letzterer. Dabei sind die Vulvaklemmen überflüssig. 

Casuistische Mittheilungen aus der X. Chirurg. 
Abtheilung des städt. Spitales zu Triest. 

Von Dr. stuparich, chir. Assistent. 

I. Großes snbmucöses Zungenfibrom. 

Während Zungenkrebse in Topik, Form und Ausdehnung 
ein buntes und recht häufiges Vorkommen aufweisen, sind 
andere Neubildungen — im engeren Sinne des Wortes — 
vielleicht mit Ausnahme der Papillome in der Regio foliata, 
im allgemeinen selten. Größere Fibrome dürften zu den Selten¬ 
heiten gehören, und so spricht auch Albert nur von kleineren 
Formen, die meist im vorderen Antheile des Dorsum linguae 
Vorkommen. 

Wir beobachteten vor einigen Monaten ein großes Fibrom 
bei einer Frau: die rechte Seite des hinteren Drittels des 
Zungenkörpers und des ganzen Zungengrundes bis tief in 
die Fossa glosso-epiglottica dextra war von einem breit ge¬ 
betteten, den Zungenrücken bedeutend überwölbenden, harten 
Tumor eingenommen, die Schleimhaut darüber gespannt, sonst 
unverändert. Der große Tumor verursachte der Frau, einer 
40jährigen. Albaneserin aus Skutari, nicht geringe Sprach- 
und Schluckbeschwerden. Einer allzugroßen Vorsicht halber 
schickte man der Exstirpation die Ligatur der Lingualis und 
die Tracheotomie voraus; aber die Exstirpation ging sehr 
rasch und glatt vor sich. Heilung. 

II. Stichverletzung des Gesichtsantheiles des Kopfskelettes. 

Vor einigen Tagen brachte man in die Abtheilung einen 
berauschten Mann, dem die Klinge eines Rauftaschenmessers 
vom rechten inneren Augenwinkel her gegen die Schädelbasis 
knapp bis zum Griffe eingescblagen worden war; letzter hing 
im rechten Winkel zu geklappt, parallel der Nase herab — ein 
ungewohnter Anblick. Schon der begleitende Polizist hatte den 
Versuch gemacht, das Messer zu entfernen; im Spitale machten 


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sich die Inspectionsärzte und andere zufällig anwesende daran, 
an der aufgeklappten Messerschale zu ziehen; aber trotz jeder 
Anstrengung rührte sich das Messer nicht! Erst als ich die 
Fixirzange nach Fergusson ansetzte, konnte ich das unglaublich 
fest eingekeilte Messer entfernen. Die Klinge war 8'5 Cm. 
lang, fest. Die Blutung an der Einstichstelle war vor- und 
nachher recht unbedeutend, ebenso aus dem entsprechenden 
Nasenloche. Die Richtung des Messers — der aufgeklappte 
Griff zeigte dieselbe deutlich an —, die Länge der Klinge, 
das ungemein feste Liegen derselben und auch der Umstand, 
daß die Verletzung symptomlos geheilt ist, läßt unschwer die 
durchsetzte Bahn reconstruiren. Das Messer durchdrang die 
seicht eingefurchte Mitte der vorderen Fläche des Processus 
nasalis des rechten Oberkieferbeines, ging weiter knapp medial 
an der Fossa saccolacrymalis vorbei, durch die Cellulae 
ethmoidales, den rechten Sinus sphenoidalis und vertiefte sich 
dann in die massive Verbindungsstelle des Keilbeinkörpers 
mit der Pars basilaris des Hinterhauptbeins, in den Clivus, 
medial vom Sulcus caroticus! 

Revue. 

Die neuesten Publicationen ans den Gebieten 
der Pathologie und Therapie der Magenkrank¬ 
heiten. 

Arullani F., Die Spannuugssensibilität des Magens („Gazz. med. di 
Torino“, 1901, Nr. 51). — Boas J., Beiträge zur Kenntniß des Magengeschwürs 
(„Arch. für Verdauungskrankh.“, Bd. 7, H. 4 und 5). — Caminiti, Ein Fall 
von Pylorusmyom („Gaz. liebdom. de med. et de chir.“, 1901, Nr. 89). — 
Cassarena J., Betrachtung der Magengegend („Clinica med. ital.“, 1902, Nr.7). 

— Cebnf.zzi, Die Leiomyome des Magens („Morgagni“, 1902, März). — Ehr¬ 
lich F., Ausspülungen des Magens mit HoUensteinlösung etc. („Münch, med. 
Wschr.“, 1902, Nr. 14). — Fknwick W. S, Primäres Magensarkom („Lancet“, 
1902). — Derselbe, Syphilitische Magenaffectioncn („Lancet“ , 1901)- — 
Fleiner W., Die Wismuthbehandlung des Magengeschwüres („Therap. d, Gegen¬ 
wart“, 1901, Nr. 11). — Glaessner, Zur topischen Diagnostik der Magen¬ 
geschwülste („Berl. klin. Wschr.“, 1902, Nr. 32). — Gourand und Lacombe, 
Melanocarcinom-Metastasen im Magen und Darm („Bull, et mem., de la soc. 
anat. de Paris“, 1901), — Hemmeteu und Stokes, Gastritis syphilitischen 
Ursprungs („Arch. f. Verdauungskrankh.“, Bd, 7 , H. 4 u. 5). — Illowny, 
Hyperaciditas*(„Arch. f. Verdauungskrankh.“, Bd. 8, H. 1 u. 2). — Kuttner, 
Plätschergeräusch, Atonie und Gastroptose („Berl. klin. Wschr.“, 1901, Nr. 50). 

— R. Link, Untersuchungen über die Entleerung des Magens bei verschiedenen 
Lagen des Körpers („Deutsches Arch. f. klin. Med.“, Bd. 71, H. 2 u. 3). — 
Pariser, Einige Bemerkungen zur Behandlung des Ulcus ventriculi („Deutsche 
med. Wschr.“, 1902, Nr. 15 u. 17). — Reissner O., Ueber das Verhalten des 
Chlors im Magen und die Ursache des Salzsäuremangels bei Magenkrebs 
(„Ztschr. f. klin. Med.“, Bd. 44). — Sahli, Ueber ein neues Verfahren zur 
Untersuchung der Magenfunctionen („Berl. klin. Wschr.“, 1902, Nr. 10 u. 17). 

— Derselbe („Corr.-Bl. f. Schweiz. Aerzte“, 1902, Nr. 12). — Schütz, Die 
diagnostische Bedeutung des Magenplätscherns („Arch. f. Verdauungskrankh.“, 
Bd.7, H. 4 u. 5). — Stiller, Noch ein Wort über Magenatonie („Berl. klin. 
Wschr.“, 1901, Nr. 50). — Stuart-Low W., Mucin bei Magenaffectionen(„Lancet“, 
1901, Oct.). — Trautenroth, Ueber die Pylorusstenose der Säuglinge („Mit- 
theilnngen a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir.“, Bd. 9, H. 4 u. 5)- — Walko, 
Ueber die Behandlung des Ulcus ventriculi mit Olivenöl („Centralbl. f. innere 
Med.“, 1902, Nr. 45). 

Aas den Untersuchungen von Link über die Entleerung 
des Magens bei verschiedenen Lagen des Körpers geht hervor, 
daß unter normalen Verhältnissen die Entleerung des Magens in 
rechter Seitenlage erheblich schneller vor sich geht als in Rücken¬ 
oder linker Seitenlage; eine Stunde nach der Nahrungsaufnahme 
war der Rückstand bei linker Seitenlage 3 — lOmal so groß als bei 
rechter. Fälle mit atonischer Magenerweiterung zeigten dieselben oder 
noch größere Differenzen, bei solchen mit Pylorusstenose war da¬ 
gegen kein Unterschied im Rückstand bei Lage auf der linken 
oder rechten Seite. — 

Als „Spannungssensibilität des Magens“ bezeichnet 
Arullani den Zeitpunkt, in welchem beim Aufblähen des leeren 
Magens mit Luft ein deutliches Schmerzgefühl auftritt. Gleichzeitige 
Messungen mit Hilfe eines Wassermanoraeters ergaben, daß bei 
Gesunden diese Spannungssensibilität eine ziemlich constanto ist 
und im Durchschnitt 18 Cm. Wasserdruck beträgt; bei Kranken 
schwankt sie zwischen 8 und 30 Cm. Sie ist gesteigert bei Hyper¬ 


acidität, herabgesetzt bei Anacidität. Nervöse Kranke zeigen stets 
eine Steigerung der Spannungssensibilität; am geringsten ist sie 
bei Carcinomkranken. — 

Die diagnostische Bedeutung des Magenplätscherns 
erörtert Schüle: Ein lebhaftes Plätschergeräusch kommt niemals 
bei völlig magengesunden Individuen vor. Nach der Ansicht S.’s 
spricht ein abnorm lebhaftes Plätschergeräusch stets für einen Nach¬ 
laß im Tonus der Magenwand, wie er bei Gastroptosis, Myasthenia 
gastrica, Neurosen des Magens gefunden wird, sei es, daß die 
Magenmusculatur direct an Kraft einbüßt und erschlafft, oder daß 
das Organ seine normalen Beziehungen zu den Nachbarorganen 
verliert. Dies letztere ist z. B. der Fall bei hochgradiger Er¬ 
schlaffung der Bauchdecken, welche im normalen Zustand den 
Magen als straffe Decke stutzen, oder bei plötzlichem Schwund des 
abdominalen Fettes. Aus der Lebhaftigkeit des Geräusches kann 
man keinen Schluß auf den Grad der Atonie machen. — 

Entgegen den Anschauungen Elsner’s , der dem Plätscher- 
geräuseh keine diagnostische Bedeutung beimißt, treten Kuttner und 
Stiller für diese Bedeutung ein. Nach K. ist das Auftreten des 
Plätscherus beim nüchternen Magen oder nach Zufuhr geringer Flüs¬ 
sigkeitsmengen bei oberflächlicher Palpation ein pathologisches Sym¬ 
ptom; Stiller nennt eine sehr werthvolle Ergänzung des Plätscher¬ 
geräusches zur Diagnose „Atonie“ den Schallwechsel, den man 
bei linker Seitenlage des Kranken erhält. Diese Erscheinung tritt 
nur bei höheren Graden der Atonie ein. — 

Die Acidität des Magensaftes schwankt unter normalen 
Verhältnissen in weiten Grenzen (Illoway). Die Bestimmung der 
Totalacidität rechtfertigt die Diagnose Hyperacidität nicht, ebenso 
wenig die Bestimmung der freien Salzsäure allein. Die Kennzeichen 
der Superacidität sind Schmerz im Magen, Brennen im Magen, 
saurer Magen, wenn diese Symptome mit hoher totaler Acidität 
und einem großen Procentsatze freier Salzsäure Zusammentreffen. 
Therapeutisch kommen in Betracht: Strictes Verbot des Alkohols, 
des Rauchens, aller sauren Getränke und Speisen, der scharfen Ge¬ 
würze etc.; bei Obstipation Massage neben geeigneter Diät; reich¬ 
liche, besonders N-haltigc Nahrung; Verbot aller in Fett gebratener 
Speisen; kleine Dosen Vichy wasser ; bei gleichzeitiger Atonie oder 
Gastroptose Nux vomica. — 

Ueber ein neues Verfahren zur Untersuchung der Ma- 
genfunctionen berichtet Sahli. Als eine zur Probemahlzeit 
geeignete Substanz fand er das Fett und verwendet zur genauen 
Feststellung der Magenfunctionen 300 Grm. Suppe aus mit Butter 
geröstetem Mehl, welches nach vorheriger Auswaschung des Magens 
gereicht und nach einer Stunde wieder ausgehebert wird. Durch 
Vergleichung des Fettgehaltes der Probemahlzeit und der ausge- 
heberten Massen läßt sich beurtheilen, wie viel von der Probe¬ 
mahlzeit nach einer Stunde den Magen bereits verlassen hat, wie 
viel vom Magen geliefertes Secret ist. Die Acidität wird durch 
Titration bestimmt. Die Methode läßt sich auch zur Prüfung der 
Kohlehydrat- und Eiweißverdauung, sowie zur Bestimmung der 
Eiweißresorption verwenden. — 

Ueber die Pylorusstenose der Säuglinge berichtet 
Trautenroth auf Grund einer eigenen Beobachtung und der An¬ 
gaben der Literatur Folgendes: Das Vorkommen wohlcharakterisirter 
Krankheitsbilder beim Säugling, die unzweifelhaft allein in einem Ver¬ 
schluß des Pförtners ihre Ursache haben, ist eine gesicherte, klinische 
Erfahrung. Daß dieser Verschluß, zum mindesten in einem Theil der 
Fälle, durch angeborene, organische Verengerung des Pylorus be¬ 
dingt ist, muß nach den Beobachtungen bei Laparotomien und 
Sectionen als bewiesen gelten. Die Möglichkeit des Auftretens rein 
spastischer Stenosen am Pylorus des Säuglings als alleiniger Ur¬ 
sachen obigen Krankheitsbildes läßt sich nicht von der Hand 
weisen. Es gibt Fälle, deren klinisches Bild dem erstgenannten 
in manchen Zügen ähnlich, aber weniger klar und einheitlich ist; 
in diesen Fällen liegt kein uncomplicirtes Leiden vor, sondern 
neben relativer, möglicherweise auch secundärer Stenose besteht 
eine Gastrointestinalerkrankung mit oder ohne Pylorospasraus. Die 
organischen Stenosen können, wenigstens insoweit sie absolute sind, 
nur auf chirurgischem Wege Heilung finden. Bei der rein spastischen 
Stenose wird man in der Regel mit der internen Therapie zum 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 49. 


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Ziele kommen; doch bietet die functionelle Natur des Leidens an 
sich keine Contraindication gegen operatives Vorgehen , and dies 
am so weniger, als nach dem gegenwärtigen Stande unseres Wissens 
eine sichere Differentialdiagnosc zwischen organischer und spastischer 
Stenose nicht immer möglich sein wird. — 

Nach den Untersuchungen von Glaessner lassen sich func¬ 
tionelle Unterschiede zwischen dem Fundus- und Pylorustheil der 
Magenschleimhaut erkennen. Die drüsenreichere Umgebung des 
Fundus producirt Pepsin und Labferment, während der an Drüsen 
ärmere Pylorustheil nur Labferment, bildet. Diese Tbatsachen 
lassen sich mit Vortheil zur Diagnose verwenden und G. berichtet 
über eine Reihe von Fällen, in welchen sich daraus der Sitz von 
Magentumoren genau diagnosticiren ließ. Ist der Gehalt des Magen¬ 
saftes an Lab und Pepsin gleich stark vermindert, dann kann man 
einen Fundustumor annehmen; ist dagegen das Lab gut erhalten, 
das Pepsin jedoch vermindert, so wird man auf einen Pylorus- 
tumor schließen müssen. — 

Die in der Literatur beschriebenen Fälle von Magen¬ 
myomen hat Caminiti im Anschlüsse an einen selbst beobachteten 
Fall zusammengestellt. Pylorusstenosen durch benigne Tumoren 
sind selten; Verf. hat nur einen Fall in der Literatur gefunden, 
in dem das Myom nahe am Pylorus saß. C.’s Fall betrifft ein 
reines, vom Pylorusringe ausgehendes Myom. 

Die inneren Leiomyome des Magens sitzen vorzugs¬ 
weise an den Curvaturen und der Pylorusgegend, die äußeren an 
der Cardia; ihre Symptome sind durch die Lage und Größe des 
Tumors bedingt: Katarrhe, Blutungen, Occlusionserscheiuungen. 
Manchmal kam eine Umwandlung in Sarkom vor (Ckrnezzi). — 
Bei der Autopsie eines Mannes mit einem melanotischen Tumor 
der großen Zehe fanden Goürand und Lacombk Magen und Colon 
zum Theile durch eine graue, von dunkleren Partien durchsetzten 
Tumormasse infiltrirt. Das Gewebe der Neubildung zeigte nicht 
bindegewebigen oder rundzelligen Bau, sondern alveoläre Anordnung, 
der Tumor mußte demnach als Melanocarcinom und nicht etwa als 
Sarkom bezeichnet werden. Das Pigment bestand aus Körnern von 
mehr dunkelgelber als schwarzer Farbe und stand in seinem chemi¬ 
schen Verhalten zwischen dem Hämosiderin und dem Melanin. — 
Einen Fall von chronischer hypeitrophischer Gastritis 
syphilitischen Ursprungs in Verbindung mit hyperplastischer 
Pylorusstenose veröffentlichen J. C. Hemmeter und W. R. Stokes. — 
Die Sarkome des Magens sind nach W. S. Fenwick 
meist primär; sie machen 5°/o aller malignen Ncoplasmen des 
Magens aus. Das mittlere Lebensalter in 29 Fällen betrug 34 Jahre; 
Anämie ist ein stetes Begleitsymptom; sie nimmt progressiv zu und 
ist durch Verminderung des Hämoglobingehaltes un l der Erythro- 
cytenzahl charakterisirt. Bei raschem Wachsthum der Geschwulst 
ist oft leichtes Fieber vorhanden und dieses sowohl als die nicht 
seltene Vergrößernng der Milz bilden differentialdiagnostische Merk¬ 
male gegen Magenkrebs. Freie Salzsäure verschwindet schon in 
frühen Stadien der Krankheit aus dem Mageninhalt. In vielen 
Fällen wurden Geschwulstmetastasen in der Haut beobachtet, eben¬ 
so andauernde Albuminurie durch secundäre Tumoren in den 
Nieren. Spindelzellensarkome und Myosarkome sind durch Verhält- 
nißmäßig langsames Wachsthum, den glatten, festen, beweglichen 
Geschwulstknoten, das häufige Fehlen von Schmerz, Erbrechen und 
Anorexie und die Tendenz zu Blutungen gekennzeichnet. — 

Der nämliche Autor hat auch die syphilitischen Ma- 
genaffectionen zusammengestellt. — 

Aus den Beiträgen zur Kenntniß des Magencar- 
cinoms von Boas geht hervor, daß die heftigen Beschwerden bei 
dieser Affection meist plötzlich einzutreten pflegen. Das Ver¬ 
halten des Appetits kann beim Magencarcinom in den allerver- 
schiedenstcn Graden wechseln. Von einem irgendwie erkennbaren 
Connex zwischen dem schweren pathologischen Proceß und dem 
Zungenbefund kann keine Rede sein. Der Verlauf des Magen- 
carcinoms weist große zeitliche Schwankungen auf; er wird vor 
Allem beeinflußt durch die meist schwer bestimmbare Dauer des 
Latenzstadiums, dann durch die Art des Tumors, durch den Sitz 
desselben und etwaige Complicationcn. Carcinom des Pylorus und 
Fundus sind ungefähr gleich häufig. Bei ersterem tritt sehr schnell, 


oft ganz unvermittelt, das Bild der schweren motorischen Insuffi¬ 
zienz auf; nur ganz ausnahmsweise fehlt jeglic hes Zeichen von 
Stenose. Auch beim Funduscarcinom kommt, und zwar sehr häufig, 
Mageninhaltstauung vor. In diesen Fällen fehlt aber meist die freie 
Salzsäure, die bei Pyloruscarcinomen relativ häufig vorhanden 
ist. Stagnation ist meist von der Art und dem Umfange der 
Nahrungsaufnahme abhängig. Für den Salzsäurenachweis stellt der 
gestaute Mageninhalt kein günstiges Object dar. Complicationen 
sind häufig in Form von Störungen der t'armfuuction, Verstopfung, 
vorhanden. Niemals bildete linksseitige Supraclaviculardrüsen- 
schwellung ein Frühsymptom. Die lndicanurie hat keine maßgebende 
Bedeutung, Albuminurie ist selten. Von diagnostischer Bedeutung ist 
Umbilicaldrüsenschwelllung (Küssmadl). — 

Die Ursache des Salzsäuremangels bei Magen¬ 
krebs ist nach Reissner die Production fester Chloride im Krebs¬ 
magen. Durch diese Production unterscheidet sich der Krebsmagen 
principiell von dem katarrhalisch erkrankten oder atrophischen 
Magen, Das Alkali, welches dabei in Betracht kommt, ist nicht 
Ammoniak, es kann auch nicht aus der Nahrung stammen, es 
wird auch bei Krebs des Oesophagus, des Duodenums, des Pankreas 
und der Gallenblase im Magen producirt. R. sieht den aus dem 
Krebsgeschwür austretenden Saft als die Ursache an; dieser Saft 
soll auch austreten , wenn noch keine eigentliche Ulceration da 
ist. Neben dieser Production festen Alkalis besteht häufig auch 
noch eine Verminderung der H CI-Ausscheidung. Diese entsteht 
wahrscheinlich reflectorisch infolge der Alkalisecretion; sie kann 
auch durch die Chlorverarmung des Körpers und durch die secun¬ 
däre Atrophie der Schleimhaut erklärt werden , ist aber nicht die 
einzige Ursache des Mangels freier und locker gebundener HCl im 
Krebsmagen. 

EineSteigerungder motorischen FunctiondesMa- 
gens hat Cassarema während der Bestrahlung der Magengegend 
mit hochgespannten Wechselströmen (Arsonvalisation) unter Verab¬ 
reichung von Jodipin beobachtet, und zwar sowohl bei 6 Gesunden 
als bei 6 Kranken mit Magenatonie und -Ektasie. In den letzteren 
Fällen war die Wirkung eine ausgesprochenere und stets war 
noch für einige Tage eine Nachwirkung zu verzeichnen. — 

Im Bi8muthumsubnitricum besitzen wir nach Fleiner 
ein Mittel, wunde und reizbare Stellen im Magen vor Insulten zu 
schützen, sie zu trennen von dem ätzenden und verdauenden Magen¬ 
saft und den reizenden Speisen, sie ruhig zu stellen und vom Ver¬ 
dauungsact auf beliebig lange Zeit ganz auszuschalten. In uncom- 
plicirten frischen Fällen von Ulcus ventriculi reicht eine in völliger 
Ruhe wochenlang streng durchgeführto Diätcur vollständig aus. 
Treten jedoch zu der Zeit, wo man von der flüssigen zur festen 
und gemischten Nahrung übergeht, irgendwelche Störungen, z. B. 
stärkere Säurebildung, die durch ein alkalisches Wasser nicht, 
rasch zu beseitigen ist, oder Schmerz auf, so ist die Anwendung 
von Wismuth in großen Dosen angezeigt. Vor der WismutheinfÜh- 
rung muß der Magen rein und der Darm, um Nachtheile zu ver¬ 
meiden, durch Klystiere entleert sein. Zur Reinspülung des Magens 
läßt man mehrere Stunden nach der letzten Nahrungsaufnahme, 
am besten früh nüchtern, etwa 100 bis 150 Ccm. warmes Karls¬ 
bader (Mühlbrunnen) oder Vichy-Wasser und nach 3 / 4 Stunden bis 
1 Stunde 5—10 Grm. mit 100 Grm. Wasser gut verrührtes Wis¬ 
muth trinken. Nach Verlauf einer weiteren halben Stunde kann 
mit der 1. Mahlzeit begonnen werden. Diese Medication ist all- 
morgendlich zu wiederholen und nur ausnahmsweise 2raal am Tage 
nöthig. Ist der Pat. etwa eine Woche beschwerdefrei, dann kann 
man die Dosis verkleinern oder Wismuth mit Magnesia usta (20:10) 
geben. Bei alten Magengeschwüren mit starkem, schwieligem Grunde 
wird im Anschlüsse an eine Magenspülung, wenn das letzte Spül¬ 
wasser klar abgeflossen ist, das mit etwa 150—200 Grm. Wasser 
gut verrührte Wismuth in den Trichter gegossen. Danach läßt 
man den Pat. die rechte Seitenlage einnehmen, wenn das Geschwür 
in der Pars pylorica, oder die Rückenlage (eventuell mit erhöhtem 
Becken), wenn man das Geschwür an der kleinen Curvatur oder 
hinteren Magenwand vermuthet, damit die Hauptmasse des Wis¬ 
muth sich auf den betreffenden Stellen niederschlage. Erst wenn 
alle Beschwerden verschwunden sind und die Toleranz des Magens 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 49. 


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gegen eine ausreichende, gemischte oder reizlose Kost sich wieder 
eingestellt hat, kann man mit der Bekandlnng aufhören. — 

Das Mn ein ist nach den Untersuchungen von W. Stuart- 
Low bei irritativen Magenaffectionen dadurch wirksam, daß es als 
schützender Ueberzug über die entzündete Magenschleimhaut wirken 
kann und dabei vor den Wismuthpräparaten die leicht laxirende 
Nebenwirkung voraus hat. Verf. gibt in solchen Fällen Mucin- 
tabletten, die aus 0'3 Grm. Mucin und 0\3 Grm. Natrium bicar- 
bonicum bestehen. Die Dosis war 2stündlich 2 Tabletten oder auch 
je 3 vor und nach jeder Mahlzeit. — 

Um die Unannehmlichkeiten der Wismuthbehandlung 
des Magengeschwüres zu beseitigen, hat Pariser ein Pulver 
aus Creta alha, Magnesia usta und Talg benutzt und rühmt dessen 
Vorzüge — Billigkeit, Wirkung als Abführmittel und Nichtschwarz¬ 
färbung der Stühle — bei stricter Ruhebehandlung, die streng zu 
verlangen ist. — 

Die Ausspülungen des Magens mit Höllenstein¬ 
lösung nennt F. Ehrlich ein therapeutisch und diagnostisch wirk¬ 
sames Cholagogum. Er empfiehlt diese Irrigationen bei allen 
schwereren Fällen von chronischer Cholangitis und allen Erkran¬ 
kungen von Cholelithiasis, besonders dann, wenn sie mit Cholan¬ 
gitis oder Cholecystitis complicirt sind. Er spult 2mal mit je 
Va Liter einer l%o'g eD Höllensteinlösung von 40—50° C. aus, 
mit nachfolgender Spülung mit ebenso warmem Leitungswasser, bis 
dasselbe nicht mehr milchig getrübt ist. Dabei Diät wie bei chro¬ 
nischen Dünndarmkatarrhen. Nach einigen Spülungen tritt eine 
stärkere, einige Zeit anhaltende Schwellung der Leber auf. nach 
weiteren Spülungen reichliche grüne, diarrhoische Stühle, bei Cho¬ 
lelithiasis zuweilen mit Gallensteinen; unter diesen Diarrhoen ver¬ 
schwindet dann bald die Leberschwelluug und mit ihr die Be¬ 
schwerden. Die Erklärung für die Wirkung der Spülungen sieht 
E. theils in der mechanischen, theils in chemischen und thermischen 
Einflüssen der Lösung. — 

Zur chirurgischen Behandlung des Magenge¬ 
schwüres hat Sahli das Wort ergriffen und folgende Thesen auf 
gestellt: Die interne Therapie des Ulcus ventriculi ist nicht erheblich 
zu Gunsten der chirurgischen Behandlung einzuschränken. Indicirt 
ist die Gastroenterostomie bei uncumpensirbaren anatomischen Ste¬ 
nosen des Pylorus; die Indication ist mit größter Gewissenhaftig¬ 
keit unbeeinflußt durch Autosuggestion oder Bequemlichkeit (bei 
langer Dauer einer funetionellen Stenose) zu stellen. Es ist nicht 
bewiesen, daß die Gastroenterostomie ein empfehlenswerthes Mittel 
znr Stillung von Magenblutungen ist. Wirklich lebensgefährlich 
sind nach Verf. meist die foudroyanten Blutungen. Bei den häufigen 
kleinen Blutungen ist Geschwürsbeilang die erste Indication. Die 
therapeutischen Resultate der internen Behandlung können bei vor¬ 
handener Stauung aus funetionellen Gründen durch rechtzeitige 
therapeutische Anwendung der Magensonde verbessert werden. Es 
ist nicht bewiesen, daß intern incurable Ulcera chirurgisch durch 
Gastroenterostomie geheilt werden , da sie meist entweder auf die 
Naclibarorgane übergegriffen oder sich zu sehr ausgedehnt haben; 
eine Excision solcher Geschwüre ist theoretisch angezeigt, praktisch 
meist unausführbar. Durch frühzeitige innere Behandlung ist der 
zu weiten Ausdehnung der Ulcera vorzubeugen, selbst auf die Gefahr 
hin, einen diagnostisch unklaren Fall unnöthig streng zu behandeln, 
Perforirte Ulcera sind chirurgisch zu behandeln. — 

Zuletzt empfiehlt noch Walko znr Behandlung des 
U1 cu8 ventriculi das Olivenöl. Dasselbe ist umso höher zu 
schätzen, als es Reizlosigkeit mit hohem Nährwerthe verbindet, 
gut resorbirbar ist und die Motilität nicht schädigend beeinflußt. Es 
bildet zudem einen Schutz für das Ulcus und bahnt so eine schnellere 
Heilung des Geschwüres an. Bei frischem Ulcus reichte W. das 
Olivenöl zuerst eßlöffelweise • und ließ dann den Mund mit einem 
angenehmen Mundwasser ausspülen. Allmälig wurde die Dosis auf 
50 Ccm. gesteigert, und zwar 2- bis 3mal im Tage. Bei unbezwing- 
lichem Ekel goß W. 100—200 Ccm. Oel in feinster Emulsion durch 
eine weiche Sonde ein. — 


Referate. 


Eo. Moore (Santiago in Chile): Behandlung* der Syphilis 
mit specifischem Serum. 

Den Ausgangspunkt für die vorliegenden Untersuchungen 
bildet das CoLLES’sche Gesetz: „Eine Mutter, die mit einem vom 
Vater her syphilitischen Kinde gravid war, wird von diesem, auch 
wenn sie es nährt, in der Regel nicht inficirt“, und zwar ist sie 
immun nicht nur ihrem Kiude gegenüber, sondern auch der Ueber- 
tragung aus irgend einer anderen Quelle. Diese Immunität könne 
nur so zustande kommen, daß in „dem Maße, wie sich das 
Product der Befruchtung entwickle, die Matter 
langsam und gradweise mit den löslichen Producten 
beschickt werde, welche in ihr Blut gelangen und 
sie derart syphilisiren, daß dieses lösliche Anti¬ 
toxin (oder die Lymphe) verhindere, daß in der Mutter 
der Mikroorganismus der Lues entstehen könne, 
und dies in dem Maße, wie sie die Toxine der 
Syphilis erzeugen“. Demnach muß die Amnionflüssigkeit, die 
in Berührung mit Mutter und Fötus steht, die gesuchten löslichen 
Producte enthalten. Diese Annahme wurde zunächst durch einen 
Versuch bekräftigt. Einer an inoperablem Carcinom leidenden Frau 
wurde dieses Serum (das erstemal mit 5%igem Carbolwasser zu 
gleichen Theilen gemengt, dann rein auf 90, 60 und 30° und 
schließlich unverändert ia steifender Menge von 1 —10 Ccm. durch 
einige (?) Zeit), die gelegentlich einer Entbindung einer tertiär 
syphilitischen Frau gewonnene Amnionflüssigkeit, injicirt, dann die 
Kranke mit dem Blutplasma eines tertiär Syphilitischen, dann mit 
dem Secrete von Plaques muqueuses und endlich mit dem eines 
barten Schankers geimpft, ohne daß eine Spur von Krankheits¬ 
erscheinungen aufgetreten wäre. 

Ohne auf die etwas unklaren theoretischen Auseinander¬ 
setzungen einzugehen, die der Autor gewissermaßen als Begründung 
vorausschickt („Dermatol. Zeitschr.“. Bd. VIII, 1901), von welchen 
Gesichtspunkten aus er sich veranlaßt sah, dieses Serum weiters 
als local therapeutisches Agens in Fällen von nicht heilenden, 
hartnäckigen Schankern oder bei Papeln zu benützen, sei bloß 
erwähnt, daß es bei dieser localen Application in 10 Fällen Aus¬ 
gezeichnetes leistete, „wie es sonst bei keiner gebräuchlichen 
Methode bekannt ist“. 

Zur Erzeugung des Serams — man hat ja nicht immer 
Amnionflüssigkeit (oder Hydrokelenflüssigkeit C. Boeck) tertiär 
Syphilitischer zur Hand — benützte der Autor nicht den Aderlaß, 
sondern ein Zugpflaster (nach Albespeyre) , welches, auf irgend 
eine Körperstelle aufgelegt, nach 12—24 Stunden 10 —100 bis 
200 Ccm. Serum lieferte. Die Sera sind in ihrer Werthigkeit nicht 
gleich, ira Allgemeinen umso besser, je älter die Syphilis ist; zur 
Gewinnung sind musculöse UDd gut genährte Individuen vorzu¬ 
ziehen. Im weiteren sind noch 16 Fälle angeführt, in welchen die 
Seruminjectionen als Allgemeinbehandlung dienten, selbstredend mit 
dem besten Erfolg. Die Injectionen machen in der Regel anfangs 
anämisch, erzeugen Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit und Verstopfung, 
Abnahme des Körpergewichtes, manchmal ein fleckiges Exanthem 
und schließlich ziemlich häufig Abscesse, die der Autor auf mangel¬ 
hafte Antisepsis bei der Injection zurückführt, die aber, wie 
es scheint, eher der Art des Serums zuzuschreiben sind. 

Abgesehen von der bereits erwähnten Unklarheit in den 
theoretischen Auseinandersetzungen wirken einzelne Sätze so be¬ 
fremdlich, daß wir sie einem geh ldeten Arzte kaum zumuthen, so 
im Fall VIII bezüglich einer Sklerose an der Lippe. In 8 Tagen 
befreite die Application des Serum das Mädchen von dem schimpf¬ 
lichen Fleck, welcher ohne Zweifel ihre perverse 
Neigung erwies“, oder im Fall XXII: „Die Patientin M., ein 
Dienstmädchen, acquirirte die Krankheit, ohne es zu wissen, es 
war schwer, sie zu curiren“, die Schwierigkeit bestand in 
eiuer einmaligen Injection von 5 Ccm. Serum, worauf die 
Kranke genesen war. Deutsch. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 49. 


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R. Dohrn (Dresden): Ueber die gesetzliche Verantwort¬ 
lichkeit des Arztes bei geburtshilflichen Ope¬ 
rationen. 

Die Indication für die Perforation liegt dann vor, wenn 
der Durchgang des unversehrten Kindes durch die Geburtswege 
unmöglich ist und wenn dabei wegen irgendwelchen anderen Um¬ 
standes der Kaiserschnitt oder die Sympliysiotomie ausgeschlossen 
ist. Bei todtem Kind hat der Arzt nur die Pflicht, dasjenige Ent¬ 
bindungsverfahren zu wählen, welches den mütterlichen Geburts¬ 
wegen die meiste Schonung verspricht. Was aber die Perforation 
des lebenden Kindes betrifft, so ist die Abtödtung der Frucht nur 
schwer mit dem strengen Wortlaut unserer Strafgesetzgebung zu 
vereinen. Es ließe sich hiebei nur auf den vom § 54 des deutschen 
Strafgesetzbuches statuirten Nothstand hinweisen, wobei aber durch 
das Dazwischentreten des Arztes die Situation complicirter wird. 
Der Arzt, welcher sich zur Operation bereit erklärt, ist dann nur 
als ein Werkzeug der Intention der Gebärenden zu betrachten. 
Nach Dohrn („Sammlung klin. Vortr.“, Nr. 336) wäre in einem 
Perforationsfall, welcher vor den Strafricher kommt, der Nachweis 
zu führen: 1. daß ein Nothstand vorlag, welcher zur Entbindung 
die Perforation erheischte, 2. daß die Gebärende in die Perforation 
des Kindes ein willigte, 3. daß die Operation so ausgeführt wurde, 
wie das der Beruf des Arztes erforderte. Für die Punkte 1 und 3 
ist die Heranziehung von Sachverständigen unvermeidlich. 

Dieselben Grundsätze gelten für den künstlichen Abort; es 
kann hier aber nur dann ein Nothstand angenommen werden, 
wenn es sich um die Abwendung einer augenblicklichen Lebens¬ 
gefahr handelt. Thatsächlich fallen aber die meisten künstlichen 
Aborte nicht unter diese Indication und der Autor weist darauf 
hin, daß jetzt leichter über diese Bedenken hinweggegangen wird. 

Bei dem Kaiserschnitt, insbesondere nach Porro, hat sich 
der Operateur sicher zu stellen, daß er in seinem Operationsver¬ 
fahren nach seinem eigenen Ermessen alle Geburtstheile wegnehraen 
darf, aus deren Verbleiben der Kreißenden eine Gefahr für ihre 
Gesundheit und für ihr Leben entspringen kann und auf die even¬ 
tuelle Unmöglichkeit weiterer Nachkommenschaft hinzuweisen. 

Zum Schlüsse beruft sich der Verf. auf die vor 2 Jahren 
in Wien erhobene Anklage gegen einen Arzt zur Illustration der 
Thatsache, eine wie scharfe Beurtheilung geburtshilfliche Eingriffe 
der Aerzte von Seite der Gerichte erfahren. Fischer. 


M. Cloetta (Zürich): Zur Kenntniß der Salzsäure!ecre- 
tion. 

Heidenhain hat festgestellt, daß die Belegzellen im Magen 
wesentlich der Salzsäureproduction dienen. Es wäre also anzunehmen, 
daß eine Reizung der Belegzellen eine Vermehrung der HCl be¬ 
dinge, und es wäre weiter die Frage aufzuwerfen, ob ein constanter 
Reiz, der eine Vermehrung der HCl zur Folge hat, nicht auf die 
Dauer eine Veränderung in dem anatomischen Bilde, besonders be¬ 
züglich der Belegzellen, hervorbringen könne. Demnach'ist die Frage 
zu beantworten: Wie verhalten sich die mikroskopischen Bilder der 
Magenschleimhaut zu den Secretionsanomalien der Salzsäure ? Die 
Beantwortung dieser Frage am Menschen stößt auf große Schwie¬ 
rigkeiten, da natürlicherweise geeignetes menschliches Material 
schwer oder gar nicht zu beschaffen ist; man müßte eben intra 
vitam von Patienten, die an reiner Hypersecretion leiden, kleine 
Stücke der Magenschleimhaut zur mikroskopischen Untersuchung 
erhalten. Ein Autor hat solche Versuche ausgeführt; Hemmeter 
hat nämlich eine Sonde construirt, die an ihrem unteren Ende 
eine meißelartige Kante trägt, mit der man sehr leicht kleine 
Schleimhautstücke abschaben kann. Unter 10 von ihm auf diese 
Weise untersuchten gesunden Personen fanden sich 8mal normale 
Verhältnisse, die Patienten mit Hyperchlorhydrie zeigten in 2 /a der 
Fälle Wucherung der Drüsenschläuche und Hypertrophie der Be¬ 
legzellen, die Fälle von Sub- und Anacidität zeigten zu 3 / 4 die 
Erscheinungen der Atrophie. Um weiteres Material zur Klärung 
dieser Fragen beizubringen, beschloß Verf., Thierversuche anzu¬ 
stellen. Er hatte gefunden, daß wachsende Hunde, welche ausschlie߬ 
lich mit Milch ernährt wurden, keine HCl in ihrem Mageninhalte 


aufwiesen. Nun führte er folgenden Versuch aus („Münch, med. 
Wschr.“, 1902, Nr. 32): 4 junge Hunde desselben Wurfes wurden 
in 2 Gruppen getheilt, 2 Hunde erhielten ausschließlich fette Milch mit 
etwas Eisenzusatz, um das Auftreten der Anämie zu verhindern, die 
beiden anderen bekamen nach allmäligem Uebergang .zuletzt ausschlie߬ 
lich rohes Fleisch in steigender Menge, bis zu 500 Grm. pro Tag und 
Thier. Alle 4 Thiere entwickelten sich sehr gut, nach 3 Monaten 
wurde zum erstenmal der Mageninhalt untersucht, nachdem die 
Thiere eine Probemahlzeit, bestehend aus Suppe und Brot, erhalten 
hatten. Die Milchhunde zeigten überhaupt keine HCl, die Fleisch¬ 
hunde hatten l°/ 00 freie HCl. Nach weiteren 3 Monaten wurde 
der Versuch wiederholt, das Resultat war dasselbe; nach 9 Monaten 
wurde wieder eine Ausheberung gemacht, die Milchhunde hatten 
gar keine HCl, die Fleischhunde beide etwa 2 , 5%o freie HCl. Die 
Thiere waren jetzt völlig ausgewachsen, der Hämoglobingehalt bei 
allen normal, die Entwickelung der Milchhunde im Ganzen besser. 
Die Thiere wurden nun getödtet, der Magen sofort eröffnet und 
an 5 verschiedenen Stellen vom Fundus bis zum Pylorus kleine 
Stücke der Schleimhaut exeidirt; die Stücke wurden dann gehärtet 
und untersucht, und zwar nach verschiedenen Färbemethoden. Es 
ließ sich nicht der geringste Unterschied zwichen dem 
salzsäurehaltigen und dem salzsäurefreien Magen 
nachweisen. Es wurde also neuerdings der Beweis erbracht, daß 
es bei Hunden gelingt, durch fortgesetzte Darreichung von fetter 
Milch die HCl-Production herabzusetzen, bezw. nicht zur Entwicke¬ 
lung kommen zu lassen. Die Thatsache deckt sich mit der prak¬ 
tischen Erfahrung, daß die Beschwerden der Patienten mit Magen¬ 
saftfluß durch eine Milch- und Fettdiät sehr häufig günstig beein¬ 
flußt werden. Eine andere Frage aber ist, ob es gelingen wird, 
durch fortgesetzte Milchdiät einen Patienteu, der an Hyperchlor¬ 
hydrie leidet, dauernd von seinem Uebel zu befreien. Diese Frage 
würde auf Grund der obigen Versuchsresultate eher im negativen 
Sinne zu beantworten sein, denn es ließ sich durch dauerndes 
Nichtfunctioniren keine sichtbare Aenderung in dem secretorischen 
Apparat hervorrufen. Ebenso zeigt auch die praktische Erfahrung, 
daß Patienten mit Hyperchlorhydrie zwar durch geeignete Diät 
gebessert werden; sowie sie aber zur gewöhnlichen Kost zurück¬ 
kehren, erscheint die HCl wieder. B. 


Hnätek (Prag): Ein Beitrag zur Diagnostik der Arterio¬ 
sklerose des centralen Nervensystems. 

Verf. prüft zuerst jene Symptome, die eine frühzeitige Diagnose 
sklerotischer Alterationen der Gehirnarterien erlauben. Er erkennt 
ihrer drei an und erläutert die Vorzüge dieses Systems, das im 
größten Theil der Fälle wenigstens eine Wahrscheinlichkeit der 
Diagnose gestattet. Diese drei charakteristischen Symptome sind: 
Kopfschmerzen, Schwindel, Gedächtnißschwäche („Sbornlk Klin.“, 
Bd. IV, H. 1). 

Leider bieten, wie bekannt, die verschiedenen Abarten der 
Neurasthenie genau dieselben Kennzeichen, ohne daß die kleinste 
Wahrscheinlichkeit einer cerebralen Arteriosklerose dabei vorhanden 
wäre. Die kleinste und detaillirte Untersuchung aller Grenzpunkte 
dieses dreifachen Kriteriums liefert einzeln genommen keinen Vor¬ 
theil , speciell benutzbarer Anzeichen für eine definitive Diagnose. 
Es ist in der Regel sehr schwer, eine genaue Grenzlinie zwischen 
der Neurasthenie und der cerebralen Arteriosklerose in ihrem An¬ 
fänge zu stellen. 

Verf. theilt hernach zwei in klinischer Hinsicht interessante 
Fälle mit, in welchen die Arteriosklerose im ersten Falle ein fast 
typisches Bild eines Gehirntumors vortäuschte, im zweiten durch 
Bulbärsympstome charakterisirt war. Dieser letztere Fall war mit 
einer hämorrhagischen Purpura complicirt, die in die Kategorie der 
sogenannten Purpura myelopatique g6n6ralis6e (Faisan) 
zu gehören schien. 

Verf. schließt mit etlichen Betrachtungen über intraoeuläre 
Veränderungen und ihre Beziehungen zu dem Gehirnprocesse im 
Allgemeinen über die Symptome der anfangenden Arteriosklerose 
und ihren diagnostischen Werth bei diesen Erkrankungen. 

Stock. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 49. 


2242 


Landau (Nürnberg): Experimentelle Untersuchungen über 
das Verhalten des Eisens im Organismus der 
Thiere und Menschen. 

Die Versuche L.’s haben zu folgenden Ergebnissen geführt 
(„Ztschr. f. klin. Med.“, Bd. 46, H. 1—4). 

Die anorganischen Eisensalze werden im Verdauungstractus 
der Thiere und Menschen resorbirt. Diese Resorption kommt aus¬ 
schließlich im Duodenum zustande. Aus den Epithelzellen desselben 
gelangt das Eisen durch die Lymphwege, sowie durch die Blut¬ 
gefäße direct weiter in den Körper. Die absolute Eisenmenge, die 
auf diesem Wege zur Resorption gelangt, ist, wenigstens unter 
physiologischen Verhältnissen, nur äußerst gering. 

Das resorbirte Eisen wird hauptsächlich in der Milz, theils 
auch in der Leber und dem Knochenmark abgelagert; in den 
beiden letzten Organen wahrscheinlich in enger organischer Ver¬ 
bindung , in der das Eisen durch die gewöhnlichen Reagentien 
nicht immer nachweisbar ist. Nur das durch den massenhaften 
Zerfall rother Blutkörperchen infolge ungünstiger Ernährungs¬ 
bedingungen (Anämie, Hunger) im Körper freiwerdende Eisen 
sammelt sich fast vollkommen in der Leber in Gestalt einer 
lockeren Verbindung an, wodurch der Gesammteisengehalt dieses 
Organs bedeutend steigt. Die Eisenausscheidung findet hauptsächlich 
in dem unteren Darmabschnitt, in viel geringerem Maße in den 
Nieren statt. Nur wenn der Körper mit Eisen überfüllt ist, nimmt 
auch die Ausscheidung des letzteren durch die Nieren einen etwas 
weiteren Umfang an. Der Zusatz von anorganischen Eisensalzen 
zu künstlicher, eisenfreier Nahrung steigert ziemlich bedeutend 
den Eisengehalt der Thiere, obwohl nicht in dem Grade, daß der¬ 
selbe dem Eisengehalte normal gefütterter Thiere gleichkäme. 
Derselbe übt zugleich einen günstigen Einfluß auf die Entwick¬ 
lungsfähigkeit, sowie auf den Allgemeinzustand der Thiere aus. 

Der Grund der Wirksamkeit der anorganischen Eisenpräparate 
bei manchen der anämischen Zustände ist nicht in deren Neben¬ 
wirkung (Reizung) auf die blutbildenden Organe, sondern wahr¬ 
scheinlich in der directen Wirkung zu suchen, und zwar wird 
durch dieselben das Material zur Hämoglobinbildung, resp. zur 
Neubildung der rotben Blutkörperchen, geliefert. L. 

Aus dem Hospital Mariae Magdalenae in 
St. Petersburg. 

F. Weber: Ueber die operative Behandlung veralteter 
Ellbogenluxationen. 

Durch Literaturstudium, zwei eigene klinische Beobachtungen 
und eigene Thierversuche kommt Weber („Deutsche Zeitschr. 
für Chirurgie“, Bd. 64, H. 1—3) zu folgenden Vorschlägen: Bei 
irreponiblen Ellbogenluxationen aller Altersstufen ist die Arthro- 
toraie als Normaloperation zu erachten. Bei dieser darf man sich 
nicht mit der Reposition begnügen, sondern, um ein gutes functio- 
nelles Ergebniß zu bekommen, müssen alle Knochenfragmente und 
Osteophyten entfernt werden. Die Methoden, die das Gelenk durch 
einen hinteren Schnitt eröffnen, haben viele Nachtheile — von 
denen, die von vorn eingehen, bietet die größten Vortheile der 
äußere Schnitt nach Kocher. Sollte das supraperiostale Skelettiren 
des äußeren Condylus nicht zum Ziele führen, kann man die äußere 
Hälfte des Triceps über seinem Ansatz am Olecranon offen durch- 
schneiden. Langes Bestehen der Verrenkung und begleitende 
Knochenbrüche bilden keine Gegenanzeige zur Operation. Die 
Resection ist nur als Ultimum refugium in jenen seltenen Fällen 
erlaubt, wo die Arthrotomie, nach oben beschriebener Art aus¬ 
geführt, nicht zum Ziele führt. In primärer Operation muß man 
reseciren, wo eine größere Fractur und Dislocation des Condylus 
internus vorliegt, und zwar kann man sich da mit der Resection 
des Humerusantheiles begnügen. Totale Resection muß zur Ver¬ 
hütung der Ankylose ausgeführt werden bei mehrfachen Fracturen 
der Gelenkenden und bei multiplen Osteophyten. Die Resection 
ergibt ein gutes, functionelles Resultat ausschließlich im jugend¬ 
lichen Alter zwischen 15—25 Jahren, wenn sie streng subperiostal 


ausgeführt wird. Im kindlichen Alter ist die Resection contra- 
indicirt, weil die Knochen nach der Operation stark im Wachsthum 
Zurückbleiben können. R. L. 

Baelz (Tokio).- Ueber Erkältung, Klima, Rheumatismus 
und ihr Verhältniß zum Nervensystem. 

Wie bei manchen Menschen Urticaria durch den Genuß von 
Erdbeeren oder Krebsen, Asthma durch den Heuduft entstehen 
kann ohne Mitwirkung infectiöser Ursachen, so hat nach B. das, 
was wir gewöhnlich Rheuma nennen, mit Localisation in Nerven, 
Muskeln, Gelenken, Schleimhäuten, mit Infection bestimmt nichts 
zu tliun, ist vielmehr eine Idiosynkrasie gewisser Menschen gegen 
atmosphärische Einflüsse („Balneol. Central-Ztg.“, 1901, Nr. 42—44). 

Auf Grund von Beobachtungen und Messungen an sich selbst 
stellte Verf. fest, daß das Wesen der Erkältung in einer Hyper¬ 
ästhesie oder Anästhesie der atmosphärischen Nerven, d. h. der 
gegen die Einflüsse der Atmosphäre empfindlichen Hautnerven, be¬ 
ruht. Diese Nerven stehen zu den vasomotorischen Hautnerven in 
naher Beziehung; denn nach Lähmung der Hautgefäße durch ein 
heißes Bad kann , wie B. schon früher aus seinen Beobachtungen 
in Japan gezeigt hatte, keine Erkältung auftreten. Je lebhafter die 
atmosphärischen Nerven auf Temperaturreize reagiren, umso leichter 
treten rheumatische Erkrankungen auf. Abhärtung dagegen ist voll¬ 
kommene Wärme- und Kreislaufregulation, die der Rheumatische 
von Haus aus nicht genügend besitzt. Neben der Temperatur und 
der Feuchtigkeit ist auch die Elektricität der Luft imstande, auf 
empfindliche Menscheu besondere Einflüsse auszuüben, wofür B. 
einige merkwürdige Beobachtungen anführl. Schließlich gelangtVerf. 
zu der Annahme eines bestimmten, wenn auch nicht an specifische 
Organe gebundenen, atmosphärischen Sinnes; er spricht ( von „atmo¬ 
sphärischen“ Menschen, von „Atmosphärosen“. Zu diesen rechnet 
er außer dem, was man gewöhnlich Rheumatismus nennt (und was 
sicherlich verschiedenen pathologischen Zuständen entspricht [Ref.]), 
auch das Erythema nodosum, den Morbus raaculosus, viele Fälle 
von Urticaria, Diarrhoen und andere Katarrhe, manche Neuralgien 
und Krämpfe, wie schmerzhaften Harndrang; schließlich auch die 
paroxysmale Hämaturie. G. 

Claudio Ferini (Berlin): Ueber die Verdaulichkeit der 
Speisen im Magen in Beziehung zur Hygiene. 

Verf. hat eine Reihe von Thierversuchen über die Verdau¬ 
lichkeit der Speisen im Magen angestellt. Die Versuchsthiere be¬ 
kamen zu gleicher Zeit eine und dieselbe Nahrung und wurden 
nach fünf Stunden getödtet, die Residualraenge der Speisen im 
Magen wurde alsdann bestimmt. Das wichtigste Resultat dieser Ver¬ 
suche ist („Arch. f. Anat. u. Phys.“, Suppl.-Bd. I), daß Pferde¬ 
fleisch, gesotten, beim Hunde viel verdaulicher ist als andere 
Eiweißarten. F. prüfte ferner die Auflösbarkeit der verschiedenen 
thierischen Speisen in künstlichem Magensaft. Als erwähnenswerthes 
Factum fand er eine leichtere Löslichkeit des längere Zeit (zwei 
Stunden) gekochten Fleisches im Vergleich mit dem kurze Zeit 
( x / 2 Stunde) gekochten ; ferner sind die geschmorten und nament¬ 
lich die gerösteten Fleischarten weniger löslich als die gekochten, 
weil bei den ersteren die zusammenziehende Wirkung der Hitze eine 
größere Rolle spielt als die spaltende Wirkung des Wassers. 
Auch das Eiweiß von gesottenen Eiern leistet dem Magensafte viel 
mehr Widerstand als das mittelst kochenden Wassers coagulirte. 
F. stellt folgende Regeln auf: 1. Nur nach der Mahlzeit trinken 
und dann nur bei wirklichem Bedürfniß. 2. Sich vor dem schein¬ 
bar unlöschbaren Durst, welcher ein Anzeichen von Magenbeschwerden 
ist, hüten. 3. 300—400 Grra. Fleischbrühe vor der Mahlzeit nehmen, 
weil diese die Magenthätigkeit reizt. Selterswasser in kleinen Mengen 
regt ebenfalls die Magensecretion an. N. 

Julius Krebs (Breslau): Ueber Gebärmutterzerreißung 
während der Geburt. 

Nach ausführlicher Mittheilung von 8 Krankengeschichten 
aus der Posener Provinzial-Hebammenlehranstalt hebt K. zunächst 
die anwachsende Frequenz der Uterusrupturen hervor. Als Gründe 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 49 


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hiefür kommen die jetzt vermehrten vorausgegangenen operativen 
Eingriffe (Sectio caesarea, Ventri- und Vaginofixation, Curettement, 
Muttermundsnarben nach operativen Geburten) in Betracht; ferner 
die Secale-Darreichung. Metreuryse und insbesondere auch die jetzt 
so beliebt gewordene Bo ykottirung der Perforation des lebeuden 
Kindes. 

Diagnostisch ist es wichtig, daß starke äußere oder innere 
Blutungen keineswegs zum Bilde der Uterusruptur gehören. Auch 
das Allgemeinbefinden kann ein verhältnißmäßig gutes sein, ebenso 
Schmerzhaftigkeit fehlen. Die Diagnose wird am besten durch eine 
exacte bimanuelle Untersuchung, insbesondere in Narkose, gestellt. 

Die bei Uterusrupturen ätiologisch für wichtig gehaltenen 
histologischen Befunde hält K. („Monatsschr. f. Geburtshilfe u. 
Gynäk.“, August 1902) meist für Folgezustände der Zerreißung 
und der secundären entzündlichen Zustände. Daß Mißbildungen uud 
allgemeine Constitutionskrankheiten ein prädisponirendes Moment 
abgeben können, ist klar; in der weitaus größeren Mehrzahl der 
Fälle von spontaner Zerreißung ist die Ursache jedoch in der je¬ 
weiligen Geburtsmechanik zu suchen. Was diese betrifft, ist an dem 
Satze Freund’s, daß zur Cervixfixirung und Cervixruptur eine 
allseitige Einklemmung des äußeren Muttermundes nothwendig sei, 
nach K. nicht festzuhalten, da eine Fixation an zwei diagonalen 
Punkten des Cervix bereits zum Zustandekommen der Cervixruptur 
genüge. Dagegen ist der Satz Freund’s, daß eine spontane Ruptur 
bei Querlage im Scheidengewölbe beginne, unbeschränkt aufiecht 
zu erhalten. 

Therapeutisch ist die Tamponade der Scheide ganz zu 
streichen, während Drainage mit Jodoformdocht oder Gumrairohr 
bessere Wundverhältnisse schafft. Ist das Kind vollständig in die 
Bauchhöhle ausgetreten, so ist eine Entbindung per vias naturales 
oft wegen der Gefahr des Weiterreißens ins Parametrium nicht 
zu empfehlen. Bei glatten Wundverhältnissen tritt hier die Naht 
ein , sonst supravaginale oder totale Totalexstirpation per laparo- 
tomiam. Bei seitlichen Rissen wird die Blutstillung auf vaginalem 
Wege nicht exact zu machen sein. Fischer. 


Riedel (Jena): Die Erhaltung der Vena femoralis bis 
zum letzten Act der Ezarticulatio femoris nach 
Rose. 

Wenn man zwecks Absetzung des Beines letzteres bis 
zur Mitte des Oberschenkels einwickelt und abschnürt, sodann 
Arteria und Vena femoralis hoch oben unterbunden hat, so bleibt 
in der oberen Hälfte des Oberschenkels eine erhebliche Menge von 
Blut zurück, das für den Kranken verloren geht. Außerdem bleibt 
im Knochen noch viel Blut, welches durch die Einwickelung mit 
der Anämisirungsbinde gar nicht beeinflußt wird. Dieser Verlust 
ist für die Kranken um so empfindlicher, als es sich meist um 
Patienten handelt, die durch langwierige Krankheiten sehr herunter¬ 
gekommen sind. 

Um dem Patienten dieses Blut zu erhalten, schlägt Verf. vor 
(„Centralbl. f. Chir. u , 1902, Nr. 29), die Operation in der Weise 
zu modificiren , daß man nach der Anämisirung nur die Arterie 
unterbindet und die Vene erst dann durchtrennt, wenn die Lappeu 
gebildet und die gesammte Musculatur an der Beuge- und Streck¬ 
seite durchtrennt ist. Man erreicht dadurch, daß das im Bein noch 
stagnirende Blut infolge des negativen Druckes, der im Thorax¬ 
raum herrscht, nach dem Herzen hin angesogen und die abgesetzte 
Extremität wirklich blutleer wird. 

Die mit dieser Methode operirteu Patieuten zeigten keine 
Spur von Collaps nach der Operation. Verf. schlägt auch vor, dieses 
Verfahren bei Exarticulatio humeri anzuwenden. Erdheim. 


Ledderhose (Straßburg): Zur Behandlung der intraperi- 
tonealen Blasenzerreißung. 

Ein 42jähr. Mann erlitt im betrunkenen Zustande einige 
Stöße mit einer Säbelscheide gegen den Leib. Schmerzen und Ver¬ 
lust des Bewußtseins; blutiger Urin. Tags darauf Schmerzen im 
Bauch und Harndrang, trotzdem kein Abgang von Urin. 56 Stunden 
nach der Verletzung, nachdem bis dahin kein Tropfen Urin abgegangen, 


wird der Katheter zum erstenmal eingeführt, durchweichen 200 Grm. 
blutigen Urins abflossen. Verf. sah Pat. am 3. Tag nach der Ver¬ 
letzung und konnte eine Peritonitis constatiren. Da Pat. aber sehr 
collabirt war, wurde von einer Laparotomie abgesehen und ein 
Verweilkatheter eingeführt. Bald darauf trat Besserung des Allge¬ 
meinbefindens ein und auch die Dämpfung im Abdomen und der 
Meteorismus nahmen ab. 

Am 17. Tage nach der Verletzung mußte ein Einschnitt ge¬ 
macht werden, um eine intraperitoneale Eiterhöhle zu eröffnen, bei 
welcher Gelegenheit man feststellen konnte , daß ein für 2 Finger 
durchgängiger Riß in der Blase vorhanden war, der mit dem Ab- 
scesse in offener Communication stand. Keine Blasennaht; Drainage; 
Verweilkatheter; Heilung. 

Bei einer sicher nachgewiesenen Blascnzerreißung trat also, 
obwohl der Urin in den ersten 3 Tagen sich sicher in die Bauch¬ 
höhle entleerte, nicht Exitus ein, sondern es kam zu einem circum- 
scripten Absceß, der nach Entleerung bald heilte. 

Diesen Fall benützt Verf., um darauf aufmerksam zu machen 
(„Langenbeck’s Archiv“, Bd. 67, H. 4), daß die Möglichkeit der 
spoutanen Heilung einer intraperitonealen Blasenruptur besteht, und 
räth daher in Fällen, in welchen es bereits zu einer leichten oder 
mittelschweren Peritonitis gekommen ist, exspectativ vorzugehen, 
d. h. einen Verweilkatheter einzulegen ; Verf. glaubt, daß die Aussichten 
auf Heilung dadurch gebessert werden. Kommt man aber bald 
nach der Verletzung zum Pat., so sollte, wenn noch keine Peri¬ 
tonitis besteht, die Laparotomie mit Blasennaht -sofort ausgeführt 
werden. Erdheim. 


C. Bobulescu (Jassy): Biamutose. 

Die Bismutose ist eine chemische Verbindung von Wismuth 
und Eiweiß. Sie stellt ein gelblich-weißes, geruch- und geschmack¬ 
loses Pulver dar, welches sich am Licht allmälig schiefergrau 
färbt, aber, ohne Zersetzung zu erleiden, auf 110—120° C. erwärmt 
werden kann. Von Wasser, schwachprocentigen Alkali- und Säure¬ 
lösungen wird dite Bismutose in der Kälte nicht verändert, dagegen 
quillt sie in der Wärme mit Wasser auf und wird von Alkalien 
und Säuren gelöst. Der Magenpeptonsalzsäure gegenüber verhält 
sie sich indifferent, wird dagegen vom Pankreassaft angegriffen, 
weshalb sie ihre Hauptwirkung in den alkalischen Darmtheilen 
entfaltet. In physiologischer Beziehuug wirkt die Bismutose säure¬ 
bindend, adstringireud und ferner als Protectiv und Absorbens. Die 
ersten beiden Eigenschaften verdankt sie ihrem Eiweißcomponenten, 
ihre mechanisch-physikalischen Eigenschaften machen sie ganz be¬ 
sonders als Bedeckungsmittel geeignet, und dem W 7 israuth kommt 
die absorbirende und specifische Heilwirkung zu. Die geschilderten 
Momente sind es („Doctor-Dissertation“), auf welche die schmerz¬ 
lindernde und stopfende Wirkung der Bismutose beruht. 

Die Dosis beträgt bei Kindern täglich 6'0 —12‘0 Grm. in 
stündlich zu reichenden Gaben von l - 0 bezw. 2 0 Grm. Die Wir¬ 
kung auf Enteritiden vollzieht sich unter Zersetzung im Darm, und 
zwar vorzugsweise im Dickdarm, auf den die Tannineiweißpräpa¬ 
rate Tannigen und Tannalbin kaum einen Einfluß ausüben. L. 


Preisich (Budapest): Der Einfluß ausschließlicher Fleisch 
nahrung auf die Impftuberculose der Hühner. 

Die Versuche, die zum Theil unter Metschnikoff’s Leitung 
in Paris vorgenommon wurden, hatten den Zweck, festzustellen, ob 
die Gicht eine verminderte Empfänglichkeit für die Tuberculose 
darbiete, wofür ältere Erfahrungen zu sprechen schienen. Da bei 
Hühnern durch Fleischnahrung Gicht erzeugt werden kaun, schlug 
Verf. diesen Weg ein. Als nun in der Zwischenzenzeit Richet 
über die Erfolge der Fleischnahrung bei der Impftuberculose 
der Hunde berichtete, gab Verfasser auch seinen Versuchen 
diese Richtung. Hiebei zeigte sich („Centralbl. f. Bakteriologie, 
Parasiten künde u. Infectionskrankheiten“, ßd. 31, pag. 749), daß die 
Fleischnahrung bei Hühnern die Entwickelung, beziehungsweise 
den Verlauf der Impftuberculose in vielen Fällen günstig zu be¬ 
einflussen vermag. Diese Wirkung ist nach den Versuchen des 
Verf. nicht durch eine Ueberernährung zu erklären ; er nimmt viel- 


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Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 49. 


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mehr an, daß die Fleischnahrung „in dem Stoffwechsel des Orga¬ 
nismus eine intensive, jedoch eine unschädliche . . . Aenderung ein- 
treten lasse. Diese erhöht die Lebenskraft und auch die im Orga¬ 
nismus glücklicherweise schon beträchtliche Scbutzwirkung gegen 
die Tuberculose“. In diesem Sinne wäre die Wirkung der Fleisch¬ 
nahrung nach Ansicht des Verf. derjenigen mancher anderen Mittel 
gegen Tuberculose gleichzusetzen, z. B. des Tuberculin, operativer 
Eingriffe (Laparotomie, Ignipunctur), der freien, frischen Luft etc. 

Dr. S—. 

Kleine Mittheilungen. 

— Die minimale Narkose bei kleineren chirurgischen Ein¬ 
griffen, speciell bei der Reposition von Radius- und Knochenbrüchen 
erörtert Riedel („Berl. klin. Wschr.“, 1902, Nr. 27). R. gebraucht 
für kleinere Operationen seit mehr als 20 Jahren Aether und 
Chloroform in geringfügigen Dosen. Wenn der Pat. nüchtern ist, 
genügen 80—100 Tropfen Chloroform in 2 Minuten verabreicht, 
um bei Erhaltung des Bewußtseins jede Schmerzempfindung zu 
beseitigen. Während dieser minimalen Narkose lassen sich nur 
kurze Eingriffe ausführen, z. B. Zahnextractionen. Verf. glaubt, daß 
bei Operationen auf einem an sich wenig empfindlichen Operations¬ 
felde, z. B. bei einer Kropfexstirpation, locale Anästhesie genüge; 
wo aber eine längere Operation an einem Organe mit zahlreichen 
sensiblen Nerven vorgenommen werden muß, genügt weder locale 
Anästhesie, noch minimale Narkose. Diese ist indicirt, z. B. bei 
Furunkelkreuzschnitten in der Analgegend oder im äußeren Gehör¬ 
gange, wo der Aetherspray nicht angewandt werden kann, beim 
Ablösen eines Tampons etc. Wichtig ist die Anwendung der mini¬ 
malen Narkose auch bei der Reposition von Knochenbrüchen, 
speciell der typischen Radius- und Knöchelfractur. Der dislocirte 
typische Radiusbruch ist fast immer ein eingekeilter, und seine 
Reposition setzt daher unter allen Umständen ein forcirtes Manöver 
voraus. Die Hand des Pat. muß mit großer Gewalt zuerst hyper- 
extendirt, sodann ebenso brüsk unter gleichzeitiger Ulnarreflexion 
flectirt werden, um die verhakten Bruchstücke von einander zu 
lösen, sodann wird wiederum gewaltsam das distale Ende vom 
oberen Bruchstücke dorsal, das untere Bruchstück volarwärts durch 
directen Daumeudruck geschoben. Für die minimale Narkose zur 
Reposition eines Radiusbruches bedarf man keines Assistenten. 
Noch viel leichter ist die Reposition eines Knöchelbruches mit 
Abductionsstellung des Fußes, da hier die Fragmente nicht ver¬ 
hakt sind. 

— Ueber Erfahrungen mit Jequiritolbehandlung berichtet 
Best („Deutsche med. Wschr.“, 1902, Nr. 33). Eine specifische 
Heilwirkung auf das Trachom kommt dem Jequirity nicht zu, nur 
beim alten Narbentrachom mit altem Pannus der Hornhaut hatte 
Jequirity sich bewährt. Auch gegen Recidive des Pannus schützt 
Jequiritol nicht: Die Wirkung, welche das Jequiritol werthvoll 
macht, ist eine mitunter sehr bedeutende Aufhellung von Hornhaut¬ 
flecken, gleichgiltig auf welcher Basis, mit Ausnahme der paren¬ 
chymatösen Keratitis. Bei der Einträufelung von Jequirity und 
Jequiritol tritt eine mehr oder weniger intensive und recht schmerz¬ 
hafte Entzündung der Conjunctiva, eventuell mit Membranbildung 
und Oedem der Lider ein; Hornhautflecke werden dabei zunächst 
mehr grau und trübe, Dach Ablauf der Entzündung aber bedeutend 
klarer. Was die Anwendung des Jequiritols angeht, so räth B. zu 
sehr langsamem Vorgehen. Es ist immer zq berücksichtigen, daß 
Jequiritolheilserum auch theoretisch nur diejenige Giftmenge un¬ 
schädlich machen kann, die noch nicht fest. im Gewebe gebunden 
ist. Eine Thränensackentzündung, die bei schneller Steigerung der 
Jequiritoldosis entstanden ist, geht durch Serum nicht mehr zurück. 
Rasch aufeinander folgende Jequiritoldosen müssen cumulativ wirken, 
weil die Ausbildung der Immunität der Conjunctiva eine gewisse 
Zeit erfordert. Dieselbe Dosis, die vorher nicht gewirkt hat, kann, 
am folgenden Tage nochmals gegeben, eine intensive Reaction 
hervorrufen. Jequiritol wird von der Firma Merck in 4 immer 
um das lOfache steigenden Giftconcentrationen ausgegeben. Das 
schwächste Jequiritol Nr. I erwies sich nun Verf. als immer un¬ 
wirksam, er empfiehlt daher, mit Jequiritol II O’Ol zu beginnen 


und allmälig zu steigen, bis zur eintretenden Reaction. Nach Ablauf 
der ersten Reaction beginnt man wieder mit der Dosis, welche 
sie hervorgerufen hatte. Schon bestehende Hornhautgeschwüre 
contraindiciren das Jequiritol. 

— Die Anwendung von Kampherinjectionen bei der Mor¬ 
phinentziehung hat mit vorzüglichem Erfolge J. Hofmann („Therap. 
Monatsh.“, 1902, Nr. 7) versucht. Nicht nur wurden die heftigen 
Abstinenzerscheinungen, die einen lebensgefährlichen Anblick dar¬ 
boten, wesentlich gemildert, sondern auch die Hypnose, die zur 
Schlußsuggestion verwendet wurde, erheblich dadurch erleichtert. 
Der Kampher wurde aber vom Autor lieber innerlich gegeben. 
Mit Hinzufügung von 10—15 Tropfen Validol (3mal täglich), das 
ein ausgezeichnetes Erfrischungsmittel ist, läßt sich das Befinden 
eines Morphinisten sehr erträglich gestalten. Natürlich sind auch 
hier individuelle Verhältnisse maßgebend. Jedenfalls ist der Kampher 
ein werthvolles Mittel, die Entziehungsqualen des Morphinisten 
wesentlich zu erleichtern. 

— Die Behandlung der acuten und subacuten Gonorrhoea 
anterior gestaltet sich nach Klotz („Arch. f. Dermat. u. Syph.“, 1902, 
Bd. 60, H. 3) folgendermaßen: Verf. stellte fest, daß medicamentöse 
Flüssigkeiten von der Schleimhaut der Harnröhre viel besser und 
mit geringeren Reizerscheinungen vertragen wurden, wenn dieselben 
von hinten nach vorn, d. h.- vom Bulbus nach dem Orificium zu 
die Harnröhre durchfließen. Er brachte nun mittelst einer eigens 
construirten Spritze oder eines Katheters 3 Ccm. einer */ 4 — 1 / 2 °/ 0 \gen 
Argt. nitr.-Lösung in den Bulbus, hielt durch Zuhalten des Ori- 
ficiums die Lösung 2 Minuten in der Urethra und ließ sie dann 
herausfließen, um die Procedur sofort zu wiederholen. Das Brennen 
dauerte nie länger als 1 / t — J / 2 —1 Stunde. Um der Verschleppung 
der Gonokokken nach hinten vorzubeugen, räth K., bald nach dem 
Passiren der Fossa navic. die Flüssigkeit tropfenweise ausfließen 
zu lassen und durch festes Zuhalten vorne ein Herausfließen zu 
hindern. Außer Argt. nitr. hat er mit Erfolg angewendet: Argonin 
(bis zu 10%igen Lösungen), Protargol (in 2—4%igen Lösungen) 
und in letzter Zeit Albargin (in 1—2 — 5%igen Lösungen, am 
besten in 2%igen). Verf. hält die letzteren für besonders geeignet, 
in die Tiefe einzudringen, und glaubt nicht, daß der Silbergelialt 
der einzelnen Präparate die Hauptrolle spiele. Um den Reizerschei¬ 
nungen, die auch die mildesten Silbersalze auslösen, zu begegnen 
und um die Schleimhaut widerstandsfähiger zu machen, empfiehlt 
K., zwischen den Silbersalzinjectionen solche mit adstringirenden 
und antiseptischen Mitteln machen zu lassen, z. B.: 


Rp. Acid. boric. 

. 1-5 

Plumb. acet., 


Zinc. sultur. 

.aa. 0‘75 

Glycerin. 

. 5-0 

Aqu. 

.1200 


Es werde dadurch, und zwar ohne Schädigung für den Krank¬ 
heitsverlauf, die Menge der Secretion verringert, was für den Pat. 
angenehm und aus hygienischen Gründen wünschenswerth erscheine. 
Die Heilung ist wohl mit dieser Methode der Behandlung ebenso 
wenig absolut sicher, als mit der sonst geübten, sie tritt aber 
schneller ein; ein Weiterschreiten der Infection auf die hintere 
Harnröhre wird nur sehr selten beobachtet. Als Kriterium für die 
Heilung betrachtet K. das Verschwinden der Gonokokken, und 
zwar, wenn der Nachweis derselben wochenlang nach Aufnahme 
der gewohnten Lebensweise des Pat. nicht mehr gelingt; dagegen 
hält er den Nachweis einzelner Epithelien und Eiterkörperchen 
für unerheblich. Bei sehr starken Entzündungserscheinungen sah 
K. gute Erfolge von innerlichem Gebrauch von Natr. salicyl. (mit 
und ohne Extr. Belladonna). 

Er verschreibt: 

Rp. Natr. salicyl. 12'0 —15'0 

Extr. Belladonn. 0'15— 0'20 

Aqu. Menth, pip.1000 

Bl. D. S. 2—3stündl. 1 Theelöffel. 

— Tägliche Wägungen als Diagnosticum, besonders bei 
Herzfehlern, empfiehlt Jacobäus („Ugeskr. f. Läger“, 1902, 8. 73, 
og 97). Er zeigt an einer Reihe von Beispielen, daß tägliche 
Wägungen von Patienten mit Hydropsie sehr bedeutende Gewichts¬ 
schwankungen zeigen, je nachdem die Wasseranhäufung im Körper 


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abnimmt oder zunimmt. Es wird hienach möglich, die Entwickelung 
des Zustandes mit Hilfe des Gewichtes zu verfolgen, und diese 
Methode gewährt sichere und zuverlässigere Aufklärungen als die 
Untersuchung der Größe der Oedeme und die Diurese. Eine ganz 
specielle Bedeutung haben die täglichen Wägungen — in Ver¬ 
bindung mit der Wägung der eingenommenen Speisen und Ge¬ 
tränke — um eine für den Patienten passende Trockendiät zu 
bestimmen. Schließlich kann man mit Hilfe täglicher Wägungen 
in Verbindung mit einigen anderen Untersuchungen möglicherweise 
ein brauchbares Maß für die Hautfunctiou erhalten. 

— Das systematische Bergsteigen als Stärkungsmittel 
empfiehlt Sklotowsky („Russk. med. Westnik“, Bd. III, Nr. 8). 
Unter den Kranken waren Neurastheniker, Herzkranke, solche mit 
Störungen seitens der Athmungs- und Verdauuugsorgane. Verf. 
selbst leidet seit seinem 12. Lebensjahr an Gelenkrheumatismus, 
dabei wurde bei ihm 17 Jahre zurück Myocarditis rheumatica 
constatirt. Dreiwöchentliches Bergsteigen täglich 5 — lOmal je 70 bis 
100 Schritt brachte den intermittirenden Puls zum Schwinden, 
kräftigte die Herzthätigkeit und linderte das Asthma. (Sorgfältiges 
Individualisiren wird hier wohl am Platze sein. Red.) 

— Die Leukoplakia bucco-lingualis behandelt Bockhart 
(„Monatsh. f. prakt. Dermat.“, Bd. 34, pag. 3) in folgender Weise: 
Er läßt die kranken Stellen jeden rag oder jeden zweiten Tag 
einmal mit Perubalsam einreiben und daneben, worauf er das 
Hauptgewicht legt, häufige Ausspülungen des Mundes (6-12raal 
täglich) mit V 2 — 3% Kochsalzlösung vornehmen. In einigen Fällen 
gelang es ihm auch, mit diesen Spülungen allein in J / 4 — 2 Jahren 
die Leukoplakie zum vollständigen Verschwinden zu bringen. Von 
alkoholischen Getränken oder gewürzten Speisen sah B. — im 
Gegensatz zu anderen Beobachtern — keinen Schaden. Unter den 
vielen empfohlenen 'Aetzmitteln zeigten ihm nur Resorcinpaste und 
Milchsäure eine relativ günstige Wirkung; doch soll man nie so stark 
oder so oft ätzen, daß die Schleimhaut gereizt wird. Die Gefahr 
eines Ueberganges der Leukoplakie in Carcinom hält Verf. für gering. 

Literarische Anzeigen. 

Die specielle Tuberculose der Knochen und Gelenke. 

Auf Grund der Beobachtungen der Göttinger Klinik. II. Das 
Hüftgelenk. Bearbeitet von Dr. F. König, Professor der 
Chirurgie. Der statistische Theil ist bearbeitet von Dr. IIüber 
und Dr. Waldvogel. Mit 42 Holzschnitten. Berlin 1902, 
August Hirsch wald. 

Verf. hat in dem Buche seine reichen Erfahrungen, die er an 
760 Fällen von Hüftgelenks-Erkrankungen der Göttinger Klinik 
in den Jahren 1876—1896 gesammelt hat, niedergelegt. Die be¬ 
obachteten Fälle gehören in überwiegender Anzahl (ca. 600) der 


Feuilleton. 

Schulen für nervenkranke Kinder. 

Von Dr. Heinrich Stadelmann, Nervenarzt in Würzburg.*) 

Die öffentlichen und privaten Schulen haben sich bisher des 
Unterrichtes aller Kinder von einem bestimmten Lebensalter ab an¬ 
genommen. Nur die ganz bildungsunfähigen Kinder wurden von 
diesem Unterrichte ferne gehalten und entweder im Elternhause 
oder in Idiotenanstalten verpflegt. 

Für die vielen Kinder, welche wegen nervöser Störungen 
den Anforderungen in der Schule nicht gewachsen sind, aber den¬ 
noch eines bestimmten Unterrichtes bedürfen, ist nicht in richtiger 
Weise gesorgt; denn der allgemeine Schulunterricht hat keine Zeit 
frei, sich mit einem nervenkranken Kinde besonders zu befassen. 

Auch die zur Zeit bestehenden Hilfsschulen arbeiten nicht in 
dem Sinne, wie es eine Schule für nervenkranke Kinder verlangt. 

*) Vortrag, gehalten bei der 33. Jahresversammlung südwestdeutscher 
Irrenärzte in Stuttgart. 


Tuberculose in den verschiedensten Stadien an, daher ist auch 
dieser Krankheit der größte Theil des Buches gewidmet. In thera¬ 
peutischer Beziehung spricht sich Verf. in leichteren Fällen von 
Tuberculose für die conservative Therapie (ruhige Lage, Exten¬ 
sion mit Gewichten, Ruhigstellung des Gelenkes durch Gypsver- 
band und portative Apparate) aus, hingegen verfallen alle schweren 
eitrigen und Knochenprocesse der Resection. 

Außerdem bespricht Verf. in eingehender Weise das klinische 
Bild und die Therapie der acuten infectiösen Coxitis (Coxoostitis 
der Hüfte), der Coxitis gonorrhoica (30 Fälle) und der Arthritis 
deform ans coxae. E. 

Einführung in die Psychiatrie mit specieller Be¬ 
rücksichtigung der Differentialdiagnose der ein¬ 
zelnen Geisteskrankheiten. Von Dr. Th. Becker. Dritte 

vermehrte Auflage. 166 S. Leipzig 1902, G. Thieme. 

Compendiöseste Darstellungen verschiedener Disciplinen werden 
in der letzten Zeit immer häufiger, bedauerlicher oder erfreulicher 
Weise, je nachdem sie das Interesse an eingehender, also besserer 
Darstellung schmälern oder das Interesse an ihrem Gegenstände in 
Kreise tragen , die sich sonst dafür nicht interessiren. Das vor¬ 
liegende Büchlein scheint einem Bedürfnisse zu entsprechen, denn 
es erscheint nach 6 Jahren in 3. Auflage, es scheint aber auch zu¬ 
gleich die Unzweckmäßigkeit einer allerkürzesten Darstellung zu be¬ 
weisen, denn sein Umfang ist in den drei Auflagen auf mehr als 
das Doppelte angestiegen und zwar zunehmend. Seinen Zweck, 
Anfängern eine vorläufige Uebersicht zu verschaffen, dürfte es umso 
eher erfüllen, als der Inhalt wesentliche Bereicherungen erfahren 
hat. — Die gute Ausstattung ist anzuerkennen, denn sie wird 
gerade bei derlei Werken oft vermißt. Infeld. 

Atlas und Grundriß der Unterleibsbrüche. Von Privat- 

docent Dr. Georg Sultan, I. Assistent der chirurgischen Klinik 
in Göttingen. Mit 36 farbigen Tafeln und 83 schwarzen 
Figuren. München 1902, J, F. Lehraann’s Verlag. 

Der 25. Band der rühmlichst bekannten Lehmann’schen Hand¬ 
atlanten ist diesmal einem der wichtigsten Capitel der praktischen 
Chirurgie, der Lehre von den Unterleibsbrüchen, gewidmet. Sowohl 
die farbigen Tafeln, als auch die schwarzen Figuren sind von 
einer Naturtreue und einer Genauigkeit in der Ausführung, die 
nichts zu wünschen übrig läßt. Der erläuternde Text ist knapp, 
genügt aber vollauf, um den Leser über die wichtigsten Capitel 
der Herniologie genau zu informiren. Im Allgemeinen Theile ist 
auch ein Abschnitt über die Begutachtung von Unterleibsbrüchen 
in der Unfallspraxis enthalten. 

Das Buch, dessen Ausführung eine vorzügliche ist, kann 
bestens empfohlen werden. E. 


Dadurch erwachsen dem neuropathisch beanlagten Kinde 
schwere Nachtheile. Seine kranke Anlage artet bei den für sein 
Gehirn ungünstigen Reizeinwirkungen aus. Die Keime der Krank¬ 
heit gelangen ungehindert zu ihrer Entfaltung; die Entwickelung 
der Krankheit mit ihren Secundärerscheinungen wird durch unzweck¬ 
mäßige Beeinflussung in Schule und Haus gefördert. Dazu kommt, 
daß das Kind durch seine Krankheit in der elementaren Bildung 
zurückbleibt. 

Beide Momente erschweren die Lösung der Frage, welche 
berufliche oder sociale Stellung im späteren Leben das Kind ein¬ 
zunehmen hat. 

Jede Krankheit ist in ihrer Entwickelung mit besserem Er¬ 
folge zu behandeln, als wenn sie schon schwere Symptome gezeitigt 
hat. Dazu kommt bei den Nervenkrankheiten noch die Gewohnheit, 
welche die Spätbehaudlung erschwert. 

Die Erwägung solcher Thatsachen bestimmte mich , einer 
Schule für nervenkranke Kinder das Wort zu reden. In dieser 
Schule für nervenkranke Kinder, die mit einer Heilanstalt ver¬ 
bunden ist, sollten neuropathisch beanlagte Kinder Aufnahme finden, 
die an sich entwickelnden oder bereits ausgesprochenen Nerven¬ 
krankheiten leiden. Im Unterrichte sollten die Kinder nach der 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 49. 


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ihnen eigenen Geistes- und Gemüthsanlage gebildet werden, während 
zugleich eine der Krankheit und ihrem speciellen Verlaufe ent¬ 
sprechende ärztliche Behandlung stattfindet. 

Psychologische Bedingungen sind es, die das Princip des 
Individualisirens beim Unterricht nervenkranker Kinder als eine 
Forderung erscheinen ließen, sowohl in pädagogischer, als insbe¬ 
sondere auch in psychiatrischer Hinsicht. 

Die Sinnesorgane übermitteln die objective Außenwelt dem 
subjectiven Bewußtsein. Die durch die Sinnesorgane percipirte 
Welt gelangt bei gesunden Menschen nicht in stets gleicher Weise 
zur Apperception. Die Vorstellung ist subjectiver Natur und 
so wenig das treue Ebenbild des ihr zugrunde liegenden Objectes, 
als der von diesem ausgegangenen Sinnesempfindung. Den einzelnen 
Vorstellungen entsprechen ganze Complexe von Empfindungen. Je 
nachdem der Eine mehr die eine oder die andere Componente 
eines Empfindungscomplexes appercipirt, bildet er sich seine Vor¬ 
stellung, die ihrerseits sich mit bereits vorhandenen Vorstellungen 
associirt. Auch die Associationsfähigkeit unterliegt individuellen 
Schwankungen. Ferner legen nicht alle Menschen den Vorstellungen 
die gleichen Geftihlswerthe bei. Je nach Charakteranlage sind die 
einzelnen Vorstellungen verschieden mit Gefühlen ausgestattet. Auf 
diese Weise bildet jedes Individuum nach seiner Anlage das ihm 
eigene Bewußtsein. 

Daß die gleiche Neurose oder Psychose nie ein völlig gleiches 
klinisches Bild in ihrem Symptomencomplexe und Verlaufe liefert, ist 
auf diese Vorgänge zurüekzuführen. 

Mit dieser Thatsache erfährt das Princip des Individualisirens 
bei der Beurtheilung der Nervenkranken seine psychologische Be¬ 
gründung und wird bei der Behandlung und Unterrichtung nerven¬ 
kranker Kinder zu einem psychotherapeutischen und pädagogischen 
Erforderniß. So bekommt das nervenkranke Kind ein Recht auf 
Unterricht, wie es das durch die Psychologie erhärtete individuali¬ 
stische Princip vorschreibt, und zwar hat jedes Kind sein ihm 
eigenes Recht darauf. -— 

Ist die Anlage eines Kindes pathologischer Weise ausgeartet, 
dann zeigt sich in hellem Lichte das Mißverhältniß, in dem die 
wahrgenommenen Objecte zu den Vorstellungen und letztere in 
ihrer Verknüpfung unter sich stehen können. Die Willensäußerun¬ 
gen, die aus den von diesen Vorstellungen ausgehenden bewußten 
oder unbewußten Motiven kommen, tragen folgerichtig den Cha¬ 
rakter des Krankhaften, des Einseitigen oder Perversen an sich. 

In der Ausdrucksweise beim Sprechen z. B. greift ein Kind 
aus einem größeren Vorstellungscomplex einer Situation eine un¬ 
richtige Vorstellung heraus, cs verlangt zu trinken mit den Worten : 
„Gib mir Durst.“ Aus den Vorstellungen Durst, Wasser, Glas u. s. w. 
nimmt es eine heraus und kommt so zu einer Paraphasie. 

Oder es ist ein Object zur Apperception gekommen, das ver¬ 
schieden zu bezeichnende Eigenschaften besitzt, die es in ihrem Zu¬ 
sammentreffen von anderen Objecten unterscheiden; das kranke 
Kind beispielsweise hebt aus den mit seinen Sinnen empfundenen 
und appercipirten Eigenschaften dieses Objectes eine Eigenschaft 
besonders hervor, während alle anderen in den Hintergrund treten, 
und bezeichnet dann irgend ein anderes Object z. B. auch mit blau, 
nur weil es ähnliche oder gleiche Eigenschaften besitzt, wie z. B. ein 
eckiges, kaltes und blau gefärbtes Object. Aus dem Empfindungs- 
complex eckig, kalt, blau, die zusammen eine bestimmte Vorstellung 
für ein Object ausmachen, legt dieses Kind irgend einem anderen 
kalt sich anfühlenden und eckig aussehenden Object ebenfalls die 
Bezeichnung blau bei. 

Es können Theile eines Empfindungscomplexes, der eine Vor¬ 
stellung ausmacht — es verbinden sich bekanntermaßen mit den 
optischen u. s. w. Vorstellungen noch Raum- und Zeitvorstellungen 
— vergessen werden, oder gar nicht zur Apperception gelangen. 

Es mögen die Resonatoren fehlen oder schwach sein, die 
eine neue Vorstellung braucht, wenn sie sich associiren soll. Die 
Vorstellung associirt sich in entgegengesetztem Sinne; sie bleibt 
mit oder ohne Affect ausgestattet im Bewußtsein stecken, ohne ein 
Motiv für eine Handlung, sei es auch nur eine größere Ausdrucks¬ 
bewegung, bilden zu können; oder sie unterliegt in keiner Weise I 


einer Hemmung durch Gegenvorstellungen und veranlaßt impulsives 
Handeln. 

Mit der Vorstellung verbindet sich ein Gefühl, das diese Vor¬ 
stellung als werth oder unwerth erscheinen läßt. Dem neuropathi- 
schen Kinde fehlt beispielsweise die richtige Werthung der Vor¬ 
stellung, es hat Freude am Unschönen, am nicht Ethischen ; es 
zerstört gerne, ist lügenhaft. Es fehlt ihm gauz oder theilweisp 
der Sinn für eine richtige, allgemeingiltige Werthschätzung der 
Dinge und ist. auch schwer dafür zu erziehen. Seine Gefühle sind 
ausgeartet; sie erheben sich rasch zu Affecten, zu übertriebener 
Furcht, zu Angst; es ist sofort gemüthlich ergriffen, weint leicht, 
oder ist jähzornig; die Vorstellungen stehen in einem unrichtigen 
Verhältniß zu dem sie begleitenden Gefühle. 

Percipirte Organempfinduugeu geben Anlaß zu mancherlei 
psychischen Störungen. Ferner zeigt die Aufmerksamkeit große 
Schwankungen, da das schwache Nervensystem zu rasch ermüdet. 

Nach den Vorstellungen und den ihnen beigegebenen Ge¬ 
fühlen richtet sich die motorische Aeußerung im Sprechen und im 
Handeln, d. h. in den Willensbethätigungen. Wie im Wachen die 
Veränderungen im Vorstellungs- und Gefühlsleben für sich allein 
oder in ihren gegenseitigen Beziehungen, sowie als Motive für 
Willensäußerungen die, Symptome bei den nervenkranken Kindern 
bedingen, so verhält es sich auch im Schlafe. Ich erinnere Sie nur 
au Pavor nocturnus, nächtlichen Somnambulismus u. s. w. 

Auch die nervösen Erkrankungen, die mit ihren Symptomen 
nicht in das Vorstellungsleben hineinragen oder von ihnen aus¬ 
gehen, die nur reflectorisch ausgelöst sind, Krampfzustände, unter¬ 
liegen individuellen Schwankungen in ihrem Entstehen sowie in 
ihrem Verlaufe, je nach der Anlage des kranken Kindes. Kurz, 
die Symptome des nervenkranken Kindes, das in eine besondere 
Schule gehört, sind von vielgestaltiger und wechselnder Beschaf¬ 
fenheit. 

Bei erwachsenen Nervenkranken beobachtet man erst recht 
deutlich die Variabilität der Nervenkrankheit, die sich nach der 
Eigenart des Menschen richtet; allerdings kommen hier noch die 
accidentellen Momente in Betracht, die das Leben in seiner Viel¬ 
gestaltigkeit aufprägt. Wenn man ein klares Bild über den nerven¬ 
kranken Menschen bekommen will, verlohnt es sich reichlich, ihn 
in seiner psychischen Reactionsfähigkeit bis auf seine Kindheit zu¬ 
rückzuverfolgen. Hier kommt man auf die Wurzeln der Krankheit, 
wenn die verschiedenen Eigenheiten von früher erzählt werden. Damals 
wäre die richtige Zeit gewesen, das Kind nach seinen Eigenheiten, die 
in seinem veränderten Vorstellungs- und Gefühlsleben lagen, zu be¬ 
handeln. Das neuropathische und geistig minderwerthige Kind kann 
nicht andere Vorstellungen bilden und sie unter sich associiren, als 
es dieselben eben bildet und associirt; es kann nicht anders werthen 
und handeln, als es eben werthet und handelt. 

Daraus erwächst ihm das Recht, mit dem seine Anlage und 
seine Krankheit eine Rücksichtnahme auf einen individualisirenden 
Unterricht verlangt. — 

Eine methodisch angestellte Prüfung der Intelligenz , eine 
Untersuchung der Perception und Apperception, die die geistigen 
Fähigkeiten und Inhalte gewissermaßen iuventarisirt, vermag Ein¬ 
blick zu geben in die abnorme Anlage und ihre Thätigkcit. 

Jedes nervenkranke Kind, das individuell unterrichtet werden 
soll, werde zuerst der eben erwähnten Untersuchung unterzogen, 
sowie einer Beobachtung seiner Reactionen auf Einflüsse ethischer 
und ästhetischer Natur. 

Die Methode einer Intelligenzprüfung, wie sie Rieger angibt, 
erschien mir bisher sehr brauchbar für diese Zwecke. Eiuige Ab¬ 
änderungen je nach dem Krankheitsfalle oder Ergänzungen ergeben 
sieh allerdings für dieses Schema, das bei der Untersuchung eines 
Erwachsenen von Rieger aufgestellt wurde. 

Es werden Perception und Apperception geprüft für alle 
Sinnesgebiete. Es sind die Fragen zu beantworten, ob der Kranke 
überhaupt percipirt, ob der percipirte Eindruck auch durch richtige 
Gedankenassociation in richtiger Weise in das Bewußtsein einge¬ 
reiht wird; es ist das Gedächtniß zu prüfen für, frühere Remini- 


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scenzen im Allgemeinen, sowie für frische Eindrücke; die Thätig- 
keit der unmittelbaren Nachahmung; die Aeußerungen intellectueller 
Vorgänge, die durch rein innere Association ablaufen; das identi- 
ficirende Erkennen und das Umsetzen von Sinneseindrücken in 
sprachliche Begriffe. Die Art der Associationen, ob Urtheils- 
associationen , Klanglautassociationen, Contrastverbindungen u. s. w. 
vorherrschen, tritt als Ergänzung für die Beurtheilung des Indivi¬ 
duums dazu. Dabei ist stets die Reactionszeit zu berücksichtigen. 

Die Combination kann nicht methodisch untersucht werden, 
da hier das subjective Moment zu sehr in den Vordergrund tritt. 
Ueberall, wo es sich um Gefühlswerthe handelt, fehlt der objective 
Werthmesser und es hört somit die methodische Untersuchung auf. 
An Stelle einer diesbezüglichen Prüfung ist eine Beobachtung des 
Kindes maßgebend bei dem Verkehr mit anderen Kindern, beim 
Spiel, bei Spaziergängen u. s. w. Man läßt sich in der Natur Be¬ 
obachtetes erzählen oder niederschreiben, soweit es dem Kinde 
möglich ist, man sieht zu, wie es z. B. mit Bausteinen umgeht, 
ob es einem eigenen Gedanken oder einem Erinnerungsbilde Ge¬ 
stalt zu geben vermag im Bauen, Zeichnen; man fragt, wie es 
sich bestimmte Vorgänge vorstellt; man erinnert an affective Mo¬ 
mente aus dem Leben des Kindes, wie an den Weihnachtsabend. 
Der ganze Interessenkreis des Kindes ist zu erforschen, der aller¬ 
dings oft recht klein ist. doch zeigen sich in diesen Jahren schon 
bestimmte Neigungen für Objecte oder Thätigkeiten. 

Der Verkehr läßt ethisch werthe oder unwerthe Eigenschaften 
entdecken. Ist die Intelligenz, das Gemüth und der Interessenkreis blo߬ 
gelegt, dann beginnen die psychischen Operationen im Unterricht. 

Für jedes Kind ergibt sich ein eigenes Lehrprogramm , das 
die individuellen psychischen Defecte oder Wucherungen zum Aus¬ 
gangspunkt hat. Die Aufstellung des Lehrprogramms ist zugleich 
ein Theil des Heilplanes; denn die Prüfungen ergeben, daß viele 
Fehler, die den Kindern in der allgemeinen Schule eine Hem¬ 
mung am Fortkommen waren, Krankheitssymptome psychischer 
Art darstellen. 

Die oben erwähnten nervösen Störungen werden im indivi- 
dualisirenden Unterricht so gut als möglich durch eine Associations¬ 
methode ausgeglichen. 

Kinder mit Sprachstörungen und Störungen im Bewegungs¬ 
system unterliegen zuerst einer diesbezüglichen Behandlung. Metho¬ 
dische Sprechübungen einerseits, Massage, Gymnastik, Uebungs- 
therapie andererseits leisten hier das Beste. Die Anwendungsweiso 
der Gymnastik besteht in deutschem Turnen, das zugleich als 
Willensgymnastik einen guten erzieherischen Einfluß ausübt; 
die Uebungsbehandlung wird für jeden einzelnen Fall bemessen 
und nimmt am besten Uebungen vor, die sich mit tagtäglichen 
nothwendigen, zweckmäßigen Bewegungen decken. Die ersten 
Schreibübungen werden mit Hilfe der Schablone gemacht. 

Die Associationsmethode des Unterrichtens sammelt die zer¬ 
streuten oder schwach betonten Vorstellungen. Irgend ein Stoff, der 
das individuelle kindliche Interesse anregt, wird zum Mittelpunkt 
des Unterrichtes gemacht. An denselben gliedert sich ein Saeh- 
unterricht an, jedoch so, daß nie der Sachunterricht das Haupt¬ 
interesse ausmacht für den, der den Unterricht ertheilt; die Fäden 
des Sachunterrichtes laufen immer wieder auf den Kernpunkt zurück, 
von wo das kindliche Interesse ausgegangen ist. 

Durch diese Art zu unterrichten werden die Kräfte des Kindes 
geschont und doch der denkbar größte Erfolg erzielt. 

Diese Methode ist für den Unterricht eine Concentrations- 
methode, im Sinne der psychischen Behandlung eine Associations¬ 
methode. Sie nimmt sich der Reste einer vorhandenen Fähigkeit 
an, um sie groß zu ziehen; sie schneidet Auswüchse ab uni hat 
zum Ziel eine harmonische Ausbildung des Geistes. 

Bei der Erziehung und im Spiel der nervenkranken Kinder 
gelten die gleichen Principien wie im Unterricht. 

Die praktische Durchführung dieser Methoden, d h. der 
Methode des lndividualisirens in Verbindung mit der Associations¬ 
methode, hat mir bisher nur gute Dienste geleistet. Ich kann hier 
nicht einzelne Krankheitsfälle und die Heilerfolge bei denselben 
aufzählen; ich begnüge mich mit dem allgemeinen Hinweise, daß 
nervenkranke Kinder durch diesen Unterricht sich geistig sammeln; 


sie bekommen ein ruhigeres, geschlosseneres Denken; sie werden in 
richtiger Weise angeregt; sie lernen, mit ihren Fähigkeiten um¬ 
zugehen. 

Daraus erhellt, daß diese Unterrichtsmethode eine psychische 
Behandlung nervenkranker Kinder ist; damit wird auch der Ein¬ 
wand hinfällig, daß nervenkranke Kinder zu einem Unterricht 
nicht herangezogen werden sollen. 

Der Werth, den die Schule, die in Verbindung mit einer 
Heilanstalt gedacht ist, für nervenkranke Kinder besitzt, liegt in 
der das Kind -in keiner Weise anstrengenden Beibringung von 
geistigen Bildungsstoffen, so daß man auch der Berufsfrage näher 
treten kann, ferner und insbesondere in der Frühbehandlung der 
Neurosen und Psychosen, sowie in deren Prophylaxe. 

Auch die sociale Bedeutung der Schule für nervenkranke 
Kinder kann nicht hoch genug angeschlagen werden. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 


Aus den Abteilungen 

der 

74. Versammlung deutscher Naturforscher und 

Aerzte. 

Karlsbad, 21.—27. September 1902. 

(Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) 

IX. 

Abtheiltmg für Geburtshilfe und Gynäkologie . 
Schatz (Rostock): Wann tritt die Geburt ein? 

Das Thema hat Vortr. bereits seit Jahren bearbeitet und 
seine bisherigen Ergebnisse in der „Deutschen Klinik“ von Ley¬ 
den veröffentlicht. Es behandelt den schwierigsten Theil der Phy¬ 
siologie der Geburt, nämlich die centrale Steuerung der Weben- 
thätigkeit. Die Frage nach dem zeitlichen Eintritt der Geburt ist 
eine längst erörterte; man hielt sie seither einfach damit für gelöst, 
daß man die Schwangerschaftsdauer aus einer großen Anzahl beob¬ 
achteter Fälle im Durchschnitt bestimmte und so schließlich als 
Norm 39 Wochen feststellte. In dieser recht mangelhaften Methode 
hatte man den großen Fehler übersehen, daß Geburten sehr häufig 
weit früher oder auch später, als diese Norm andeutet, eintreten. 
Redner glaubt, daß diese wichtige Frage nicht ohne ganz großes 
Beobachtungsrnaterial gelöst werden könne, und ersucht die 
Mitglieder, ihrerseits ihm Beiträge zu liefern; besonders seien 
kleinere Kliniken und Hebammenschulen sehr geeignete Quellen. Auch 
große Kliniken könnten Material liefern, aber nur bei präciser 
Beobachtung seitens der Assistenten, was freilich große Mühe erfor¬ 
dere. Der Einwand, daß man von den Schwangeren einer geburts¬ 
hilflichen Klinik wegen Mangels an Intelligenz derselben sichere 
Daten über die Zeit der Conception nicht erfahren könne, sei hin¬ 
fällig. Freilich seien die verheirateten Frauen nicht so gewissen¬ 
haft mit der Zeitrechnung ihrer Regel; vielmehr sei dies aber, wie 
dies Redner hervorhebt, bei den Unverehelichten der Fall, und aus 
diesen recrutire sich ja der größte Theil des geburtshilflichen Ma¬ 
terials einer Frauenklinik, so daß also manchmal bis auf die Stunde 
genau über die Conception Auskunft gegeben werde. Es entstehen 
nun die größten Fehler dadurch, daß, wenn man Tag und Stunde der 
Cohabitation kennt, mau einfach eine bestimmte Zahl Tage, also 273, 
oder gar nur vom Beginn der letzten Menstruation an 280 Tage vor¬ 
wärts zähle. Die Verhältnisse gestalten sich oft sehr complicirt. Ist 
die Cohabitationszeit genau bekannt, und zwar so gelegen, daß sie 
ein oder zwei Tage vor oder nach der Menstruation liegt, dann 
könnte man durch Zuzählung von 39 Wochen vielleicht ein annähernd 
sicheres Resultat erreichen. Denn das Sperma findet das Ovulum 
bereits ausgetreten. Um wie viel schwieriger und unsicherer sei 
aber die Berechnungsweise, wenn der Cohabitationstermin weit 
zurückliege. Denn hier ist die Geburt gar nicht mehr von diesem 
allein abhängig. Zur Geburt gehört eine in bestimmten Perioden 


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auftretende Wehenthätigkeit. Die Wehen selbst treten in bestimmter 
Reihenfolge schon während der Schwangerschaft auf. Die Wahl für 
den Tag der Geburt ist nun nicht auf alle möglichen Tage eines 
längeren Zeitraumes ausgedehnt, sondern eben nur auf eine ge¬ 
ringere Anzahl periodischer Wehenreihen. Und nun gilt es, die 
Wehenreihe herauszufindeo, welche die Geburt bringen wird. Aber 
eine regelrechte Wehenreihe allein ist nicht ausreichend zur Be- 
werkslelligung der Geburt. Redner hat eine große Zahl von Fällen 
veröffentlicht, in denen langdauernde Wehen keinen Fortgang des 
Geburtsverlaufes bewirkten, während ein paar kürzere Wehen eines 
späteren Termins die Geburt zustande brachten. 

Außer den echten Wehen müssen also wohl noch wichtigere 
Momente in Betracht kommen, die zur Geburtsförderung beitragen. 
Breisky hat schon vor 33 Jahren auf der Naturforscherversamm¬ 
lung vou Veränderungen des Collum uteri während der Geburt 
gesprochen und sie als Krweichung, Verlängerung und Paralyse 
bezeichnet. Wenn dieser Symptomencomplex auch angezweifelt 
wird, muß man doch annehmen, daß bei Eintritt der Geburt so¬ 
wohl im Centrum wie in der Peripherie Widerstände beseitigt 
werden. Man meinte, die Ueberwindung dieser Widerstände hänge 
mit der Menstruationsperiode zusammen, welche durch Fluction Er¬ 
weichung der Cervix bewirke. Issmer habe aber gezeigt, daß, 
trotzdem in vielen Fällen bis zur Geburt hin die Periode regel¬ 
mäßig auftrat, doch schließlich der Geburtstermin unabhängig von 
letzterer früher oder später erfolgte. Die Menstruationsperiode 
könne schon deshalb kein Moment sein, das uns über den zeitlichen 
Eintritt der Geburt Kenntniß verschaffe, weil sie während der 
Schwangerschaft einem häufigen Wechsel der Dauer uuterworfen 
sei. Das Moment, welches die Geburt während einer regelrechten 
Wehenreihe bewirkt, ist in der Hauptsache central gelegen, und 
zwar besitzt der Uterus sicher 2 centrale Centren, für jede Hälfte 
eines, wie die unter Umständen zu verschiedenen Zeiten eintretende 
Wehenthätigkeit beim Uterus duplex beweist. Bei dieser Wehenreihe 
hört der Widerstand des Wehenhemmungscentrums, der bis dahin 
die anderen Wehenreihen in Schranken hielt und schließlich aufhob, 
auf. Zugleich aber muß eine Relaxalion des ganzen Collum durch 
Nerven- und Gefäßbeeinilussung vom Centrum her statthaben. Bei 
der Sammlung der Fälle muß man Frühgeburt und Spätgeburt 
au8schalten. Frühgeburten 6eien für die vorliegende Beobachtung 
unbrauchbar, weil sie durch Zufall entständen, infolge vorzeitiger 
Zerreißung der Fruchtblase etc. Spätgeburten könnte man allenfalls 
zur Controle verwerthen. Man wird das Moment am besten bei 
denjenigen Geburten finden, die ein bis zwei Wochen vor oder 
noch besser nach dem Normaltermin von 39 W r ochen eintreten. 
Bei der zu verwerthenden Beobachtung müsse man genau die Men¬ 
struationsperioden, besonders die letzten zwei, die früheren Schwan¬ 
gerschaften und Geburten , endlich die Schwangerschaftswehen in 
Betracht zieheu. 

Schröder: Durch regelmäßige, während der Schwangerschaft ansgeführte 
Blutdruckversuche konnte Schb. feststellen, daß in regelmäßigen Pausen bis¬ 
weilen 2- bis 3mal im Monat der Blutdruck ansteigt. Es fiel nun auf, daß ge¬ 
wöhnlich die Geburt an einem Tage eintrat, an dem eine Blutdrucksteigerung 
zn erwarten war. 

V. Roslhorn hält das Bestehen von Wehencentren nicht für bewiesen, 
da jeder Umersucher eine andere Lokalisation derselben annimmt, die einen 
im Lendenmark, andere in den oberen Abschnitten des Rückenmarkes, andere 
in der Medulla oblongata oder im Gehirn. Daß hingegen während der Schwan¬ 
gerschaft in dir That eine Menstruation Vorkommen kann, hält v. R. für 
sicher und glaubt nicht, wie andere Autoren die Blutungen während der 
Schwangerschaft als atypische Blutungen deuten zu müssen. Die Periodicität 
im Leben der Frau sollte vom physikalischen Standpunkt aus untersucht 
werden, vielleicht ließe sich durch gemeinschaftliche Untersuchungen mit einem 
Physiker Aufschluß über ihre Ursachen erlangen. Selbst über die Verände¬ 
rungen der Portio vaginalis am Ende der Schwangerschaft, bestehen sehr 
diffeiente Anschauungen, noch viel weniger sind wir unterrichtet über die Ur¬ 
sachen, warum die Geburt eintritt. 

Chrobak: Znr Erkläinng der in Untersuchung stehenden Frage ist 
das klinische Material unzuverlässig, besonders da die Anamnese , die Fest¬ 
stellung der Conception die größten Schwierigkeiten bietet. Es ist aber nicht 
so wichtig festzustellen, wann die Geburt eintritt, als vielmehr warum die 
Geburt eintritt. Regelmäßigen Blutabgang währeud der Schwangerschaft hält 
Chr. für äußerst selten; er hat denselben in seiner groß;n Praxis nur 6- bis 
7mal beobachtet. 

W. A. Freund kann die von Schatz angeführte Thatsache, daß bei 
doppeltem Uterus beide Uteri zu verschiedenen Zeiten menstrui en, nach seiner 


Ansicht nicht bestätigen, vielmehr ist nach seiner Ansicht die Thätigkeit 
derselben stets eine gleichmäßige. 

Glaeveke theilt 2 Beobachtungen mit, bei denen durch Einführung von 
Jodoformgaze der verschiedene zeitliche Eintritt der Menstruation bei dop¬ 
peltem Uterus bestätigt wird, und zwar betrog die Zeitdifferenz ca. l‘/ a Tage. 

Schatz bemerkt, daß bei doppeltem Uterus die eine Hälfte 14 Tage 
später menstrniren kann und ebenso kann bei Schwange r schaft in beiden 
Hälften der eine Uterus die Frucht 4 Wochen später ausstoßen, als der 
andere. Es beweist dieses das Vorhandensein von getrennten Centren für 
beide Uterushälften. Wo diese liegen, ist allerdings nicht bewiesen, daß sie 
aber vorhanden sind, müssen wir nach den klinischen Erfahrungen an¬ 
nehmen. Die Schwangerschaftswehen treten ohne locale Reizung ganz regel¬ 
mäßig ein, sie sind also centralen Ursprunges. Sie sind regelmäßig, wenn auch 
viele Frauen dieselben ebenso wenig empfinden, wie andere die Nachgeburts¬ 
weben. Die Schwangerscbaftsperioden scheinen nicht in gleichmäßigen Zeitib- 
schnitten einzutreten, vielmehr in der Art, daß die folgende um die Hälfte 
der Zeit fiüher eintritt; so die erste nach 4, die zweite nach 2 Wochen und 
so fort. Wahrscheinlich kaDn aber auch eine Schwangerschaftsperiode tiwöchent- 
lich auftreten. 

Abtheilung für innere Medicin . 

v. Schrötter jun. (Wien): Bronchiektasie der rechten Lunge, 
Fremdkörperextraction per vias naturales. 

Von einem verschluckten Knochen war dem Pat. ein Stück 
aus dem Rachen herausgezogen worden. Nach 3 Jahren stellten 
sich Erscheinungen ein, welche auf eine Bronchiektasie schließen 
ließen. R. V. U. bestand eine leichte Dämpfung, doch war das 
Roentgenhild negativ. Mittelst der directen Bronchoskopie nach 
Kilian gelang es, das Knochenstück im rechten Bronchus zu 
sehen und aus einer Tiefe von 29 - 5 Cm. zu extrahiren, wo es in 
stark blutender Schleimhaut fest eingekeilt war. Die Lungenhöhle 
ist in Ausheilung begriffen. 

Ziemssen (Wiesbaden).- Gesichtsfeldaufnahme als Controle in 
der Behandlung der Hirn- und Rüakenmarkslues. 

Vortr. hat Gesichtsfeldaufnahmen für Schwarz, Roth und Grün 
gemacht und besonders für die beiden letzteren Farben bedeutende 
Einengungen festgestellt, zum Theil bei Patienten, die anscheinend 
ganz gesunde Augen hatten , öfters selbst in ganz leichten Fällen 
von syphilitischen Hirnerkrankungen. In einer sehr großen Zahl 
von Fällen hat sich nach einer erfolgreichen antiluetischen Cur die 
Wiederherstellung des normalen Farbengesichtsfeldes ergeben. 

H. Strauss (Berlin): Ueber Osmodiätetik. 

Es kann jetzt als feststehend gelten, daß das Ziel der osmo¬ 
tischen Arbeit der verschiedenen Organe auf eine Constanterhal- 
tung des osmotischen Druckes des Blutes gerichtet ist. Die osmo- 
diätetische Schonung des Magens verlangt insbesondere bei motorischer 
Insufficienz eine möglichst „gastroisotonische“ Nahrung, weshalb 
Alkohol und größere Salz- und Zuckermengen hei motorischer In¬ 
sufficienz contraindicirt seien, während die Eiweißfettbehandlung 
der motorischen Insufficienz auch durch osmologische Gründe ge¬ 
stützt werde. Alkoholika, insbesondere „Schnäpse“ dürfen als osmo- 
diätetische Reizmittel angesehen werden , wenn sie auch in hoher 
Concentratiou zunächst die Resorption und dann erst osmotische 
Störungen anzuregen scheinen. Für die Osmodiätetik der Nieren 
spiele die Dosirung der Wasser- und Eiweißzufuhr eine große 
Rolle. Da die Polyurie häufig — insb -s >ndere bei chronischen 
interstitiellen Nephritiden — einen compensatorischen Zweck zu 
erfüllen scheine, so solle die Flüssigkeitszufuhr bei Polyurie nicht 
so generell gekürzt werden, als es in den letzten Jahren wieder¬ 
holt gerathen worden sei, wenn auch drohende oder vorhandene 
Herzschwäche ein solches Vorgehen thatsächlich rechtfertige. Das 
Eiweißquantum solle zwar ausreichend sein, aber doch der unteren 
Grenze des zur Erhaltung guter Leistungsfähigkeit nothwendigen 
Bedarfes nahestehen. Zweckmäßig sei vielleicht eine intermittirende, 
periodisch durchzuführende, relativ eiweißarme Diät. Auch die Größe 
der Salzzufuhr erscheine bei gewissen Formen von Nephritis nicht 
ganz gleichgültig. 

v. Poehl (Petersburg): Die Autointoxicationen bedingt durch 
Anomalien der Gewebsathmung und der osmotischen 
Spannungen. 

Es sind wesentlich zwei Momente, welche Autointoxicationen 
bedingen, die auf herabgesetzte Gewebsathmung. zurückzuführen 


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sind. Erstens Ermüdungen, sowohl geistige, wie geschlechtliche, so 
auch körperliche, nnd zweitens Dyskrasien und abnorme Zustände 
von Organen, deren Functionen die Gewebsathmung beeinflussen. 
Bei psychischen , physischen und sexuellen Ermüdungen führt die 
Ueberproduction von Milchsäure in den überreizten Geweben zur 
Säureintoxication (Acidosis) des Organismus, und die Anhäufung 
der Milchsäure ist die Folge der ungenügenden Verbrennung der¬ 
selben wegen herabgesetzter Gewebsathmung. Viele Organe (Testikel, 
Ovarien, Schilddrüse, Thymus etc.) sind eine Quelle für die Bil¬ 
dung des Spermins, welches katalytisch die Energie der Oxydations- 
processe im Organismus beeinflußt. Bei Störungen der Function 
dieser Organe wird die Energie der Oxydationsprocesse im Orga¬ 
nismus herabgesetzt und damit eine Function der Gewebsathmung, 
nämlich die Intraorganoxydation , beeinträchtigt. Durch die unge¬ 
nügende Oxydation der Stoffwechselproducte werden die osmotischen 
Spannungen und das elektrische Leitungsvermögen der Gewebssäfte 
herabgesetzt, lieber die zweite Function der Gewebsathmung, näm¬ 
lich die Excretion der Stoffwechselproducte aus den Geweben, soweit 
dieselbe nicht von der Oxydation in Abhängigkeit steht, wissen 
wir sehr wenig. Ein aus der Nervensubstanz gewonnenes Mittel, 
das Cerebrin, übt einen [specifischen Einfluß auf diese Function. 
In gewissen Stadien der Epilepsie, bei schweren Fällen von Neur¬ 
asthenie und bei Alkoholismus findet Retention der Stoffwechsel- 
producte im Organismus statt, die durch Cerebrin günstig beein¬ 
flußt wird. 

Aus französischen Gesellschaften. 

(Orig.-Ber. der „Wier.er Med. Presse“.) 

Sociötö mödicale des höpitaux. 

Widal: Acute Meningitis. Heilung. 

Ein 29jähr. Mann erkrankt unter Stirn- und llinterkopf- 
schmerzen und fortwährendem Erbrechen. Nachts steigern sich die 
Schmerzen. Innerhalb 14 Tagen entwickeln sich alle anderen classi- 
schen Symptome der Meningitis. Unter der Behandlung mit Injec- 
tionen von Hydrargyrum bijodatum und innerlicher Darreichung von 
Jodkali gehen die Symptome rasch zurück, sechs Wochen nach 
dem Spitalseintritt ist der Patient vollkommen geheilt. — Zwei 
Monate später neuerlich Kopfschmerzen, die nach sofort eingeleiteter 
Mereurialbehandlung (Injectioueu) innerhalb weniger Tage ver¬ 
schwinden. 

In dem mehrmals untersuchten Liquor cerebrospinalis finden 
sich immer zahlreiche Lymphocyten, die noch jetzt, nach der zweiten 
Heilung, fortbestehen. 

Die Impfung von Kaninchen mit dem Liquor cerebrospinalis 
(8—12 Ccm.) ergibt keinerlei positives Resultat, so daß in Ver¬ 
bindung mit der Heilbarkeit der Krankheit die Diagnose syphili¬ 
tische Meningitis unzweifelhaft ist, trotzdem bei dem Kranken 
weder anamnestisch noch durch objective Untersuchung Infection 
mit Lues nachweisbar ist. 

Gaucher: Hydrargyrum lacticum in der Syphilisbehandlung. 

Von allen löslichen Quecksilbersalzen verdient das milchsaure 
Quecksilber den Vorzug, einerseits, weil es leicht löslich ist und 
seine Lösungen eine fast unbegrenzte Haltbarkeit besitzen, ander¬ 
seits weil es absolut nicht reizt und sogar mehr Hydrargyrum 
enthält als das benzoesaure Quecksilber. Die Dosirung ist: Täglich 
vier Kaffeelöffel einer l°/ooiS eQ Lösung innerlich genommen oder 
1 Ccm. einer l°/ 0 igen Lösung täglich subcutan injicirt. 

Lermoyez: Ein Fall von echter gichtischer Angina. 

Während der Nacht treten bei einem öOjähr. Mann, der noch 
nie einen Gichtanfall hatte, heftige Rachenschmerzen mit hohem 
Fieber auf. Der Pharynx diffus geschwollen und tiefdunkelroth. 
Die locale Schwellung nimmt immer mehr zu, so daß das Schlucken 
unmöglich ist. In der Annahme, daß es sich um eine peritonsilläre 
Phlegmone handelt, wird — am achten Tage seit Beginn der Er¬ 
krankung — eine Operation vorgeschlagen, vom Patienten aber 
abgelehnt. Am nächsten Tage ist die Erkrankung des Rachens 
.otal verschwunden, ohne daß Blut oder Eiter entleert worden 


wäre, hingegen entwickelt sich ein typischer Anfall von Gicht der 
linken großen Zehe. 

Man kann also annehmen, daß es bei Gichtkranken zu echten 
gichtischen Anginen mit plötzlichem Beginn, rascher Entwickelung, 
hohem Fieber mit allgemeiner Erschlaffung, starken Schmerzen, 
Schwellung des Pharynx bei Inlactbleiben der Drüsen kommen kann. 

Dufour: Ueber die Beziehungen der pupillären Anomalien zur 
Syphilis, Tabes und progressiven Paralyse. 

Unter 1100 an verschiedenen Krankheiten leidenden Personen 
aller möglichen Altersstufen befanden sich 99 früher Syphilitische 
(80 Männer, 19 Frauen). Die Ungleichheit der Pupillen scheint 
D. — als singuläres Symptom — von geringer Bedeutung für die 
Diagnose der erwähnten Krankheiten. Hingegen genügt eine Defor¬ 
mation der Pupillen in einer großen Zahl von Fällen, um das 
Vorhandensein einer früheren Syphilisinfection oder einer para¬ 
syphilitischen Erkrankung festzustellen. —■ Das Argyll-Robertson- 
8chen Phänomen fand sich nur bei Syphilitikern, Tabetikern und Para¬ 
lytikern. Im Ganzen waren die Pupillen von einem Viertel der 
syphilitisch gewesenen Männer abnormal. 

Widal sagt, daß er bei zwei Individuen, die keiu anderes Krankheits¬ 
symptom zeigten als das ARGYLL-RoBF,KT8o.\'sche Phänomen, eine beträchtliche 
Leukocytose fand ; für ihn sei das RoBERTSON'sche Phänomen immer für Syphilis 
beweisend. 

Marie meint, das ARGVLL-RoBERTSON’sche Phänomen sei ein Zeichen, 
daß die lymphatische Circnlation des Rückenmarks — die sich hauptsächlich 
in den Hintersträngen abspielt — gestört sei. Ob die Läsionen syphilitischer 
oder anderer Natur seien, immer führen s : e die Vernichtung des Lichtreflexes 
bei Erhaltung der Accommodation herbei. 

Sociötö de Chirurgie. 

Tuffier: Operation eines Aortenaneurysmas. 

Bei einer 40jähr. Frau fand sich ein pulsirender Tumor, 
der sich im zweiten rechten Intercostalraum am meisten vorwölbte. 
Diagnose mit Hilfe radiographischer Aufnahmen: Aneurysma sacci- 
forme wahrscheinlich mittelst einer engen Oeffnung mit dem ascen- 
direnden Aortenbogen communicirend. Da der Tumor immer größer 
wurde und ein Durchbruch unausbleiblich schien, wurde zur Ope¬ 
ration geschritten. Die Bloßlegung des Aneurysma war leicht bis 
auf die Stelle, wo dasselbe in die Aortenwand eingepflanzt war. 
Nachdem der Inhalt des Sackes durch Druck entfernt war, wurde 
eine Ligatur um das Orificinra gelegt und sanft zusammengezogen. 
Der Sack wurde nicht resecirt. Die Operirte befand sich zehn Tage 
lang wohl; dann trat Gangrän des Sackes auf, der die Patientin 
erlag. T. glaubt, daß Heilung eingetreten wäre, wenn man den 
Sack resecirt hätte. 

Poirier meint, daß in den meisten Fällen von Aneurysma die Ver¬ 
änderungen der Aorta selbst derart sind, daß jeder Eingriff contraindicirt ist. 

Delorme gibt zu, daß es Aneurysmata sacciformia der Aorta gibt, bei 
denen ein operativer Eingriff versucht werden kann ; doch hat die Gelatine¬ 
behandlung der Aneurysmen so gute Resultate ergeben, daß man derzeit die 
Operation der Aortenaneurysmen nicht befürworten kann. 

Reclns kann nicht glauben, daß die Patientin geheilt worden wäre, 
wenn T. den Sack resecirt hätte, da die Aortenwand in der Umgebung des 
Aneurysmas sicher so verändert war, daß der Verschluß mittelst einfacher Ligatur 
nicht genügt hätte. 

Reynier ■ Gelatinebehandlung eines arteriovenösen Aneurysmas 
des Sinus cavernosus. 

Bei einer 41jähr. Frau, die sich bei einem Falle eine Fractur 
der Schädelbasis zugezogen hatte, traten alle Zeichen eines Aneu¬ 
rysmas des Sinus cavernosus auf. Zwei Monate nach dem Unglücks¬ 
falle unterband R. den Hauptstamm der rechten Carotis, worauf 
alle Symptome schwanden ; bald aber trat das aneurysmale Geräusch 
wieder auf, zugleich mit Gehirnersebeinungen, die der Unterbindung 
der Carotis zugeschrieben werden mußten. R. ließ nun regelmäßige 
Gelatineseruminjectionen machen. Die Erscheinungen von Seiten des 
Aneurysmas sehwandeu unter der Behandlung, kehrten aber bald 
wieder, hierauf verschwanden sie wieder und kehrten abermals 
zurück, bis sie endlich vollkommen verschwanden. 

Schwartz: Pseudoappendicitis. 

Eine Wärterin, die früher wegen Appendicitis operirt worden 
war, wurde neuerlich von Schmerzen in der rechten Fossa iliaca 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 49. 


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befallen, dabei traten Fieber und Empfindlichkeit des MC. Burney- 
schen Punktes auf; außerdem war in der Fossa iliaca eine deutlich 
abgrenzbare kleine Geschwulst tastbar. S. machte eine laterale 
Laparotomie, fand an der Stelle des Wurmfortsatzes einen anscheinend 
gesunden Stumpf; hingegen fand sich im Angulus ileocöcalis ein 
kleiner fibröser Tumor, 'der sich wie die nachherige histologische 
Untersuchung zeigte, um die Reste eines Seidenfadens gebildet 
batte. S. nähte, da er während der Operation die Ursache des 
Tumors noch nicht kannte, mit Seide und hofft, daß diese Naht 
nicht wieder zum Ausgangspunkt eines neuen Fibroms werde. 


Soci^te de Biologie. 

Bose (Montpellier): Specifische Läsionen der Haut, Lunge und 
Leber bei Variola. 

Die histologische Untersuchung der wichtigsten Organe zweier 
nicht geimpfter, an Blattern verstorbener Kinder, bei deneu Compli- 
cationen von Seiten der Lunge aufgetreten waren , zeigte Hyper¬ 
trophie und Proliferation der epithelialen Zellen der ergriffenen 
Organe, insbesondere im Bereiche der Haut, der Lunge (epitheliale 
Bronchopneumonie) und der Leber (Adenom). 

Rehus: Vaccinale Immunität. 

Man kann beim Kaninchen typische vaccinale Eruption hervor- 
rufen, indem man die rasirte Haut einfach mit der Vaccinepustel 
reibt. Ebenso haftet die Vaccine auf dem Meerschweinchen und 
der weißen Ratte. Das Serum der so geimpften Kaninchen hat 
aber keine das Vaccinevirus immunisirende oder tödtende Eigen¬ 
schaft. Dasselbe ist bei dem Serum refraetärer Individuen oder von 
Variola Genesener der Fall. 

Delille und Babonneix: Eine Diplokokkenart neben dem Koch- 
schen Bacillus bei Meningitis tuberculosa. 

In einem Falle von secundärer tuberculöser Meningitis nach 
einem Tuberkel des Kleinhirns ließen sich in dem durch Lumbar- 
punction gewonnenen Liquor cerebrospinalis zahlreiche Diplokokken 
constatiren, deren morphologischer Charakter dem des Pneumo- 
coccus sehr nahe kam, die aber bei Laboratoriumstemperatur auf 
allen Nährböden gediehen. Es handelte sich also nicht um den 
Meningococcus, sondern um eine dem THiERCELiN’schen Entero- 
coccus nahe verwandte Abart. 


Aus 

medicinischen Gesellschaften Deutschlands. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Verein der Aerzte in Halle a. S. 

Tschermak: Neueres über die Gliederung der Hirnrinde. 

Flkchsig’s myologenetisches Grundgesetz besagt, daß 1. die 
Fasern eines und desselben Systems, also die Neuronen von homo¬ 
loger Beziehung nach Ursprung und Endigung , zu gleicher Zeit 
ihre Markhülle erhalten; 2. die Markscheidenentwickelung vom 
Zelleib (Perikaryon) entlang dem Achsencylinder, also cellulofugal 
fortschreitet; 3. die Reihenfolge der verschiedenen Systeme in der 
Markscheidenentwickelung eine gesetzmäßige ist, wobei die central- 
axoneu Systeme im Allgemeinen sich früher entwickeln als die 
distalaxonen. Ausgehend von seiner Entdeckung bezüglich der 
Selistrahlung und von seinen entwicklungsgeschichtlichen Studien 
an Rückenmark und Oblongata ist Flechsig zur Aufstellung von 
36 Rindenfeldern von typischer Lage, Ausdehnung und Reihenfolge 
gelangt. Seine Zeittafel unterscheidet 3 chronologische Gruppen: 
I. 10 Primordialgebiete, welche bei der reifen Geburt überwiegend 
raarkbaltig sind, II. Intermediärgebiete, welche sich von der Ge¬ 
burt bis znm Schlosse des ersten Monats entwickeln, III. Terminal¬ 
gebiete, welche erst nach Ablauf des 1. Monates mit der Mark¬ 
bildung beginnen. Die Primordialgebiete zeigen durchwegs doppel¬ 
sinnige Verbindung mit der subcorticalen Region. Flechsig be¬ 


trachtet die Primordialgebiete als (sensorisch-motorische) Sinnes¬ 
sphären. Neben der chronologischen Verschiedenheit hat Flechsig 
tektonische Differenzen in der menschlichen Hirnrinde festgestellt 
und darauf seine Lehre von der tektonischen Dualität der Hirnrinde 
begründet. Die Unterscheidung ist durch die ungleichmäßige Ver¬ 
keilung der Stabkranzsysteme, d. h. der zwischen Rinde und sub- 
corticaler Region verlaufenden Systeme gegeben. Es erweisen sich 
nämlich alle 10 Primordialgebiete, sowie die ereten 5 Intermediär¬ 
gebiete, also 15 der 36 Felder als stabkranzhaltig, während die 
übrigen 21 Felder, wenigstens bis zum Alter von 3y a Monaten, 
keine Stabkranzbündel aufweisen. Die menschliche Hirnrinde er¬ 
scheint in zweierlei Felder gegliedert: in Stabkranzgebiete und in 
stabkranzlose Binnen- oder Commissurenfelder; die letzteren sind 
bloß mit anderen Rindenstelleu, also durch uogekreuzte oder via 
Balken gekreuzte Binneufasern verknüpft. 

Gegen die FLECHSiG’sche Lehre von der tektonischen Dualität 
der Hirnrinde haben zahlreiche Forscher Widerspruch erhoben. 
Dieselben bestreiten entweder das myelogenetische Grundgesetz 
überhaupt und erklären die chronologische Gliederung als ein 
äußerliches Product concentrisch fortschreitender Markbildung (Vogt) 
oder ungleichzeitiger Vascularisation (Monakow). Demgegenüber 
ist u. a. an den unleugbar systematischen Charakter der Mark¬ 
scheidenentwickelung in Rückenmark und Oblongata und an das 
sozusagen sprungweise Fortschreiten in der Entwickelung der Rin¬ 
denfelder zu erinnern. Andererseits wurde die tektonische Dualität 
bestritten durch die Angabe von Stabkranzgehait auch der Bin¬ 
nenfelder auf Grund von pathologischer Secundärdegeneration. Doch 
stehen einer solchen Schlußfolgerung verschiedene Einwände ent¬ 
gegen. 

Niederrheinische Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in 

Bonn. 

Schultze: lieber das CROTTE’sche Heilverfahren bei Lungen¬ 
schwindsucht. 

Vor etwa 1 ’/, Jahren wurde Vortr. aufgefordert, ein neues 
Heilverfahren zu prüfen, welches von Grotte in Paris, einem 
Schüler Pastedr’s, angegeben worden ist. Es bestand im wesentlichen 
darin , daß auf dem Wege der Uebertragung mit statischer Elek- 
tricität Formol in die Lungen gebracht wurde. Sch. ließ im Laufe 
des vorigen Jahres im ganzen elf Kranke so behandeln. Der Er¬ 
folg war ein negativer. Zwar trat hie und da eine sehr günstige 
Suggestivbesserung des Befindens ein, während objectiv geradezu 
eine Verschlimmerung zu finden war; aber eine solche Scheinbesse¬ 
rung dauerte nur kurze Zeit. Nur in einem einzigen Falle, bei 
einer chronischen , größtenteils schon geheilten Phthise, war es 
fraglich, ob der Zustand der gleiche blieb, wie er schon vorher 
bestand, oder ob die vorhanden gewesene Besserung weitere Fort¬ 
schritte gemacht hatte. Auffälliger Weise trat nicht selten nach den 
elektrischen Proceduren eine gesteigerte Temperatur ein, die Crotte 
mit Chinin zu bekämpfen suchte. Das Heilverfahren selbst gestaltete 
sich im Allgemeinen so, daß in die Nähe des Mundes des Kranken 
ein großer Schwamm gebracht wurde, der mit dem Conductor einer 
großen Influenzmaschine in Verbindung gebracht und mit einer 
formolhaltigen Flüssigkeit getränkt war. Auch die Haut der Brost 
wurde der Einwirkung eines Funkenindnctors ausgesetzt. Ein deut¬ 
licher Geruch nach Formol zeigte, daß in der Luft diese Substanz 
vorhanden war, die somit auch direct eingeathmet worden sein 
mußte. Zur Beihilfe wurde später von Crotte noch eine Flüssig¬ 
keit zum Inhaliren den Kranken mitgegeben, die ebenfalls Formol 
enthielt. Ob wirklich Formol durch den elektrischen Strom in die 
Brust der Kranken drang, blieb mehr wie zweifelhaft; Experimente 
darüber liegen nicht vor. Vortr. vermag somit dieser Methode nur 
einen suggestiven Werth beizumessen , etwa wie dem Wasser von 
Lourdes oder der Heilung durch Berührung irgend welcher Re¬ 
liquien, sah sich aber genöthigt, dies öffentlich auszusprechen, damit 
nicht behauptet werden könne, daß die Ergebnisse der Methode in 
der medicinischen Klinik in Bonn günstige gewesen seien. 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 49. 


2260 


K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 5. December 1902- 

E. ULLMANN stellt eine Frau vor, bei welcher er eine be¬ 
stehende Cholelithiasis durch Anlegung einer Gallen¬ 
gangfistel und Injection von Sesamöl in dieselbe be¬ 
handelt hat, und berichtet über einen zweiten derartigen Fall. 
Nach der Laparotomie wurden die Steine aus der Gallenblase ent¬ 
fernt — ein im Cysticus, resp. Choledochus festsitzender Stein 
wurde nicht entfernt — und eine Gallengangfistel angelegt, durch 
welche vom 5. Tage an Sesamöl injicirt wurde. Der festsitzende 
Stein ward dadureli gelockert und wanderte in den Darm, resp. 
die Gallenblase. 

A. v. Eiseisberg sagt, daß er eine radicalere Operation, nämlich die 
Entfernung des Steines aus dem Gallengange nach Eröffnung desselben, em¬ 
pfehlen würde. 

K. Clar: Alpine und marine Luftcurorte. 

Vortr. beschränkt sich auf die Besprechung des alpinen 
Mittelmeergebictes und nördlichen Theiles von Afrika. Die Klimata 
kann man nach Maßgabe der Temperatur und Feuchtigkeit ein- 
theilen in trockenkalte, feuchtwarme, tiockenwarme und feucht¬ 
kalte; letzteres ist therapeutisch nicht verwerthbar. Im alpinen 
Mittelmeergebiet kommen nur die beiden ersten Klimaarten vor, 
die dritte (Wfi6tenklima) findet sieh in Afrika. Das trockenkalte 
Klima (Hoehgebirgsklima) wirkt excitirend, das feuchtwarme (Insel¬ 
klima) ealmirend. Unter der Einwirkung des Höhenklimas finden 
im Verhältnisse zur Ebene eine Vermehrung der rothen Blutkörper¬ 
chen, welche nach der Rückkehr in das Thal rasch wieder schwindet, 
ferner eine Steigerung des Hämoglobingehaltes, gesteigerte Sauer¬ 
stoffaufnahme und Kohlensäureabgabe bei Muskelarbeit statt. Viel¬ 
leicht spielen die Lichtverhältnisse hier eine gewisse Rolle. Das 
alpine Mittelmeergebiet liegt zum größten Theile zwischen der 0° 
und 5° Winterisotherme, während die 10° Isotherme im Tyrrheni¬ 
schen und Adriatischen Meer die Küste nicht mehr erreicht, sondern 
nur Süditalieu, Sicilien und Corfu umfaßt. Ein isolirtes kälteres 
Gebiet findet sich um den Wörthersee und in der lombardischen 
Ebene; das Gebiet der oberitalischen Seen stellt eine Wärme¬ 
oase dar. Im Sommer ist Dalmatien kühler als die Ostküste Italiens, 
umgekehrt im Winter, die französische Riviera hat verhältnißmäßig 
kühle Sommer. Das ganze Mittelmeergebiet war ursprünglich vom 
Meer bedeckt, aus welchem sich als uralte Formationen die Gebiete 
von Südfrankreich, Böhmen, Bozen, Corsica, Sardinien, der Schwarz¬ 
wald, die Vogesen in Form von Inseln erhoben. Von den höheren 
Curorten im Centralgebiete der Alpen sind namentlich Arosa, 
Davos und das obere Engadin hervorzuheben. Arosa (1800 Meter) 
hat eine geschützte vortheilhafte Abhangslage und infolge dessen 
eine trockene, waime Nachtluft, es wirkt daher nicht so excitirend 
wie das Hochgebirge sonst. Der Curort eignet sich für Phthisiker, 
auch solche jnit Darmerscheinungen, während für Kranke mit La- 
rynxtubcrculose ein feuchtwarmes Klima indieirt ist. Das Engadin 
ist als Winlercurort weniger verwendbar, weil daselbst fast stets ein 
Wind weht, während es im Gegensätze dazu in den Hochalpen, so 
z. B. in Arosa und Davos, wegen des daselbst herrschenden hohen 
Luftdruckes im Winter verhältnißmäßig windstill ist. Die südtiro- 
lischen Höhenorte sind durch eine milde Luft ausgezeichnet, beson¬ 
ders gilt dies für Vetriolo (1300 Meter), welches neben seiner 
Arsen Eisenquelle günstige Wasser- und Waldverhältnisse besitzt. 
GJeiehenbcrg z. B. bat ein feuchtwarmes Klima. Für die Wahl eines 
Winteraufenthaltsortes kommen die Lichtverhältnisse vor allem in 
Betracht; am günstigsten sind sie zu dieser Zeit im Süden oder 
im Hochgebirge, wo die Insolation größer und die Bewölkung 
seltener ist als im Tief lande. Die Riviera bat bei Landwind warme 
und tioekcue Luft, dagegen eine feuchtwarme bei Seewind. Von 
den Inseln kommen namentlich Lussin und Corsica in Betracht; 
ersteres hat die Wärmeverhältnisse von Rom, letzteres die von 
Corfu, gleichzeitig bietet es je nach der Entfernuug von der Küste die 
Wahl zwischen Höhen- und Seeklima und hat vorzügliche Communi- 
cationsverhältnisse. 


Nordafrika zeigt ein reines Wüstenklima und der Aufenthalt 
daselbst ist indieirt bei Arthritis, Nephritis und Rheumatismus. 
Auf der Linie Wien-Sahara liegen Curorte mit allen möglichen 
Temperatur-, Feuehtigkeits- und Höhenverhältnissen, welche bei 
der Wahl eines Curortes überhaupt in Betracht kommen können. 


Notizen. 


Wien, 6. December 1902. 


Karl Nicoladoni +. 


Die Grazer medicinische Facultät beklagt einen neuerlichen, 
herben Verlust. Der ordentliche Professor der Chirurgie und Director 
der chirurgischen Klinik, Dr. Karl Nicoladoni, ist am 4. d. M. 
plötzlich gestorben. Ein Schüler und langjähriger Assistent Dum- 
reichek’s, wurde der am 23. April 1847 zu Wien geborene und 
1871 daselbst promovirte Gelehrte im Jahre 1881 als Nachfolger 
Albert’s nach Innsbruck, 1895 nach Graz berufen, wo er eine 
fruchtbringende didaktische und operative Thätigkeit entfaltete. 

Ihm verdankt die Chirurgie mannigfache Förderung. Zumal 
auf dem Gebiete der orthopädischen Chirurgie war der Ver¬ 
blichene schöpferisch thätig; seine Studien über die Pathologie der 
Skoliose, über Scoliosis ischiadica, Pes vagus, Daumenplastik, 
besitzen bleibenden Werth, wenn auch Nicoladoni’s Auffassung 
über die Entwickelung der seitlichen Rückgratsverkriimmung ein¬ 
schneidende Correctur erfahren hat. Dem ausgezeichneten Operateur 
gebührt das Verdienst, die erste Anregung zur Gastroenterostomie, 
sowie zur Sehnentransplantation gegeben und eine neue Methode 
der operativen Behandlung des inguinalen Kryptorchismus empfohlen 
zu haben. 

Er wird als Arzt und Mensch unvergessen bleiben. 


(Zur Revision des Aerztekammor-Gesfttzes.) Am 
23. November d. J. hat in Wien eine Sitzung des vom IV. Aerzte- 
kammertage zu Czernowitz ad hoc eingesetzten Comiies stattge¬ 
funden, welcher Prim. Dr. Franz Brenner, Präsident der mährischen 
Aerztekammer, San.-Rath Dr. Eduard Gerard v. Festenberg, 
Präsident der ostgalizischen Aerztekammer, Prim. Dr. Adolf Gorhan, 
Präsident der Aerztekammer für Niederösterreich mit Ausnahme 
von Wien und Prim. Dr. JOSEF Heim. Präsident der Wiener Aerzte¬ 
kammer, ferner Hof- und Gerichtsadvocat Dr. Ludwig Vogler als 
juristischer Beirath anwolmten. Gegenstand der Berathung war 
der weiter einzuhaltende Vorgang zur Lösung der dem Comit6 ge¬ 
stellten Aufgabe, unter Berücksichtigung der von den Vertretern 
der einzelnen Aerztekammern geäußerten Anschauungen, das Aerztc- 
kammer-Gesetz unter Beiziehung des juristischen Begutachters einer 
eingehenden Revision zu unterziehen und einen entsprechend ab- 
geänderten und ergänzten Entwurf den Aerztekammern vorzulegen. 
Vor allem wurde beschlossen, daß nur ein einz'ger Entwurf auszu¬ 
arbeiten sei, in welchem eine Aerzteordnung und die Bestim¬ 
mungen über die Standesorganisation und Standesver¬ 
tretung, sowie da3 Disciplinarver fahren zusammen¬ 
gezogen werden sollen. Die Besprechung der einzelnen Punkte der 
Aerzteordnung, der Kammerorgauisation und des Disciplinarverfahrens 
führte im Wesentlichen zu folgendem Ergebniß: 1. Bezüglich der 
in der Aerzteordnung zu statuirenden Rechte und Pflichten 
der Aerzte wird Herr Dr. Vogler ersucht, alle in Bezug auf die 
Ausübung der ärztlichen Praxis bestehenden Gesetze, Verordnungen 
und sonstigen Vorschriften zu studiren, dieselben in einer den 
heutigen Verhältnissen entsprechenden Weise umzuarbeiten und 
die von der Wiener Kammer vorgelegte Aerzteordnung 
durch Aufnahme dieser Bestimmungen entsprechend zn ergänzen, 
beziehungsweise abzuändern. Bei Aufrechthaltung des Berufs¬ 
zwanges ist für Schutz der Aerzte gegen Ausbeutung vorzusorgen. 
2. Die bisherige Organisation der Kammer (Wahl der Kammer 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 49. 


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als Standesvertretumg aus der Gesammtheit der kammerpflichtigen 
Aerzte des Sprengels, Wahl eines Vorstandes durch die Kammer) 
wird beibehalten; die Function des Ehrenrathes ist jedoch von 
dör des Kammervorstandes zu trennen und der Ehrenrath von 
der Kammer aus der Gesammtheit der kammerpflichtigen Aerzte 
zu wählen. In die Kammerpflichtigkeit wären die activen Militär¬ 
ärzte und die bei den landesfürstlichen politischen Behörden an- 
gestellten Aerzte einzubeziehen, dieselben werden aber in disci- 
plinaret* Beziehung nicht dem Ehrenrathe der Kammer, sondern 
ihrer Vorgesetzten Disciplinarbehörde unterstellt. Der Zusammen¬ 
gehörigkeit der in der Kammer vertretenen Aerzte wäre durch 
eine passende Bezeichnung Ausdruck zu geben. Es wäre zu be¬ 
stimmen, daß jede Kammer im Verordnungswege im Einvernehmen 
mit der betreffenden Kammer in zwei gleichberechtigte Sectionen 
eingetheilt werden kann. In Kammern, welche in Sectionen ge- 
theilt sind, ferner bei den Aerztekammern in Wien und Triest 
haben die Wahlen sämmtiieher Kammermitglieder und -Stellver¬ 
treter durch sämmtliche Wahlberechtigte stattzufinden, in den 
anderen Kammern ist in Wahlgruppen zu wählen, von welchen 
jede so viel Mitglieder und Stellvertreter w'ählt, als ihr nach der 
Kopfzahl im Verhältniß zur Gcsammtzahl der kammerangehörigen 
Aerzte zukommen. — 3. In Bezug auf da% D i s c i p 1 i n a r v e r- 
fahren soll im Gesetz ausgesprochen werden, daß gegen Er¬ 
kenntnisse des Ehrenrathes hinsichtlich des Schuldspruches 
keine Berufung zulässig ist. Hingegen soll gegen das Strafausmaß 
die Berufung an die Kammer und hinsichtlich formeller Ge¬ 
brechen des Verfahrens die Nichtigkeitsbeschwerde an das Mini¬ 
sterium des Innern zugelassen werden. Behufs Hintanhaltung der 
Vereitlung der Einbringung ehrenräthlicher Geldstrafen soll im 
Gesetzentwurf für ein wirksames Verfahren vorgesorgt werden. 
Ueber die Vorschläge in Betreff der Verschärfnng der Disciplinar- 
mittel durch die Strafe der zeitweiligen oder dauernden Ent¬ 
ziehung der Praxisberechtigung, sowie über die Ein¬ 
setzung eines E li r e n g e r i c h t s h o fe s waren die Delegirten ge- 
theilter Meinung. Nach eingehender Discussion aller bisher für 
und wider vorgebrachteu Argumente wurde der juristische Beirath 
ersucht, die diesbezüglichen Vorschläge zu prüfen, eventuell auch 
die Frage der Ersetzung der Entziehung der Praxisberechtigung 
durch ein vollen Erfolg versprechendes anderes Disciplinarmittel 
in Erwägung zu ziehen und dem Comit6 geeignete Vorschläge zu 
machen. — Schließlich wurde Herr Dr. Vogler ersucht, einen 
im Sinne vorstehender Anregungen verfaßten Gesetzentwurf dem 
Comit6 bis Mitte Februar 1903 zur weiteren Berathung vorzulegen. 

(Zum Preßgesetz-Entwurf.) Die Aerztekammer im 
Herzogthume Salzburg hat in einer bemerkenswerthen Resolution 
eine Aenderung der Fassung des § 35 des neuen Preßgesetz-Ent- 
wurfes beantragt. Der genannte, das Annoncen wesen betreffende 
Paragraph kann in seiner dermaligen Fassung selbst der unge¬ 
zügeltsten Reclame ausländischer Curpfuscher und Zahntechniker 
kein wirksames Veto entgegenstellen. In der von der Salzburg’schen 
Aerztekammer beantragten Formulirung lautet derselbe: 

„Wer io einer Druckschrift die Ankündigung von Losen und Los¬ 
papieren veröffentlicht, die im Inlande nicht zngelassen sind, oder von 
Heilmitteln, deren Feilhaltnng uud Verkauf verboten wurden, wer 
ferner in Druckschriften — mit Ausnahme von rein wissenschaftlichen — 
Ankündigungen von Arzneimitteln unter gleichzeitiger Angabe ihrer Wir¬ 
kung bei bestimmten Krankheiten veröffentlicht, wer endlich Ankündi¬ 
gungen veröffentlicht, welche das Angebot ärztlicher Behandlung 
von Seite solcher Personen enthalten, die zur Ausübung der ärztlichen, 
zahnärztlichen und zahntechnischen Praxis in den im Reichsrat he ver¬ 
tretenen Königreichen und Ländern nicht berechtigt sind, oder solcher 
Personen, die sich als Natnrheilkünstler und dergleichen aasgeben, sowie 
solcher Personen, die ärztliche, zahnärztliche und zahntechnische Ver¬ 
richtungen vom Auslande aus in den inländischen Blättern ankündigen, 
zu deren Ausübung sie nach ihrer Qualiflcation in den im Reichsrathe 
vertretenen Königreichen und Ländern nicht berechtigt sind, ist wegen 
Uebertretung an Geld mit K 10—50 oder mit Arrest von einem Tage 
bis zn 4 Wochen zu bestrafen.“ 

(Die Action der Hilfsärzte der Wiener Kranken¬ 
anstalten) gegen die Erlässe der n.-ö. Statthalterei, deren Sta¬ 
dien unseren Lesern mitgetheilt wurden, hat in einer vor wenigen 
Tagen abgehaltenen Versammlung der Secundarärzte und Aspiranten 
zu dem Beschlüsse geführt, die bisherge zuwartende Haltung nur 


noch bis zum 31. Januar 1903 zu behaupten. Der Tenor der Forde 
rungen der Hilfsärzte ist bekanntlich gegen den Numerus clausus 
der Aspiranten und gegen die Bestimmung gerichtet, nach welcher die 
secundarärztUcbe Maximaldienstzeit mit zwei Jahren bemessen wird. 

(Ernennungen.) Der a. o. Professor Dr. Ebnest Finger 
ist zum Primarärzte II. Classe im Stande der Aerzte der Wiener 
k. k. Krankenanstalten, Privatdocent Dr. Johann Raczynski in 
KrakauJ zum Extraordinarius für Kinderheilkunde, der Bezirksarzt 
Dr. Josef Theuillk iu Landeck zum Oberbezirksarzte ernannt 
worden. 

(Wiener medicinisches Do ctorenco 11 egi um.) In 
der dieswöchentlichen wissenschaftlichen Versammlung sprach Doctor 
Siegfried Wkiss über Säuglingsheilstätten. In der Discus¬ 
sion wies Prof. v. Escherich darauf hin, daß Oesterreich wohl in 
der Institution der Findelanstalten allen anderen Ländern vorange¬ 
gangen sei, bezüglich der Creirung von eigenen Säuglingsheilstätten 
aber, deren Inslebentreten einem dringenden Bedürfnisse entspreche, 
aus finanziellen Gründen rückständig sei. Er erblickt für die nächste 
Zukunft eine Besserung auf dem Gebiete der öffentlichen Säuglings¬ 
pflege in der Angliederung solcher Heilstätten an die bestehenden 
und neu zu errichtenden Kinderspitäler. Das Fehlen des Säug¬ 
lingsmateriales sei im Interesse des Unterrichtes zu beklagen. — 
Doc. Dr. Jurie hielt einen Vortrag über chirurgische Behandlung 
der Hämorrhoiden. — Wir werden beide Vorträge ausführlich 
reproduciren. 

(Die „Deutsche ba 1 neologische Gesellschaft“) 
feiert im März 1903 das Jubiläum ihres 25jährigen Bestandes; 
gleichzeitig wird unter Liebreich’s Vorsitz der Balneologen-Con- 
greß stattfinden. 

(Stempelpflicht ärztlicher Gutachten.) Nach einer 
Entscheidung des Finanzministeriums vom 15. November d. J. be¬ 
sitzen die von einem bei einer gerichtlichen Obduction verwendeten 
Gemeindcarzte ausgestellten Quittungen über die bezüglichen Obduc- 
tionsgebühren nicht die Stempelfreiheit und unterliegen der Gebühr 
nach Scala II. Dagegen sind — wie wir unseren Lesern seinerzeit 
mitgetheilt haben — die Quittungen über die Vergütungen von 
allen anderen ärztlichen Leistungen im Strafproceß stempelfrei. 

(BalneologischesUutersuchungsamt.) Die von Pro¬ 
fessor Kisch seit längerer Zeit anf den baineologischen Congressen 
propagirte Forderung, daß an jedem größeren Curorte ein balneo- 
logisches Laboratorium für genaue wissenschaftliche Untersuchungen 
errichtet werde, ist nun iu Marienbad erfüllt worden, indem 
die Stadtvertretung die Errichtung eines baineologischen und hygieni¬ 
schen Untersuchungsamtes beschlossen hat. 

(„Die Deutsche Klinik am Eingänge des XX. Jahr¬ 
hunderts.“) Von diesem ausgezeichneten Sammelwerke sind soeben 
Lief. 58 — 66 erschienen. Nur beiläufig sei der wesentliche Inhalt 
dieser Lieferungen skizzirt. Sie bringen eine Fülle akademischer 
Vorlesungen aus der Feder Liebermeister’s (Diagnose und Pro¬ 
gnose des Abdominaltyphus), F. Klemperer’s (Behandlung des 
Abdominaltyphus), C. Benda’s (Akromegalie), A. Lazarus’ (Blut 
und Blutuntersuchung), J. Boas’ (Magen- und Darmcarcinome), 
A. Vierordt’s (Peritonitis, Appendicitis und Perityphlitis), P. Zwei- 
fkl’s (Symphysiotomie), A. Hegar’s (Abort), B. S. Schultze’s 
(Dammrisse), Fr. Schatz’s („Schlechte Wehen“), E. Bumm’s (Gonor¬ 
rhoe bei der Frau), 0. Hertwig’s (Die wichtigsten Fortschritte 
auf dem Gebiete der Zellenlehre), F. A. Hoffmann’s (Asthma 
cardiale). So reihen sich denn auch die neuen Vorträge, deren 
Herausgabe von Ernst v. Leyden und Felix Klemperer besorgt 
wird, würdig den zahlreichen mustergiltigen Monographien an, 
welche dieses von Urban & Schwarzenberg (Berlin und 
Wien) verlegte Werk in rascher Folge veröffentlicht. 

(Collegialc Feste.) Binnen wenigen Tagen hat die 
Wiener Aerzteschaft zwei solenne Festabende begangen. Für den 
3. d. M. wurde sie vom rührigen ärztlichen Vereine des III. Bezirkes 
zu einem „Familien-Abende“ geladen, welcher dem zehnjährigen 
Bestände des von dieser Vereinigung gegründeten „Krankenvereins 
der Aerzte Wiens“ galt. In beredten Worten gaben alle Redner — 
unter ihnen Kammerpräsident Dr. Heim und Dr. Scholz — ihrer 
Befriedigung Uber die segensreiche Thätigkeit dieses Vereines Aus- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 49. 


2264 


druck und feierten seine Schöpfer, Dr. Adolf Klein und Reg.-R. 
Dr. Svetlin. Eine Fülle künstlerischer Darbietungen — aus¬ 
nahmslos von Aerzten und deren Angehörigen bestritten — beschloß 
den schönen Abend, an welchem auch das aus Wiener Aerzten 
gebildete treffliche Orchester hervorragend theilnahm. — Am 30. No¬ 
vember versammelte der ärztliche Verein des II. Bezirkes die 
Collegen zur Feier des 25jährigen Doctorjubiläums seines Obraann- 
stellvertreters Dr. Ignaz Weis, die gleichfalls in würdiger Weise 
verlief. Die Anwesenheit einer großen Zahl von Aerzten, darunter 
des Präsidiums der Wiener Kammer, welcher der Jubilar angehört, 
sowie vieler Professoren und Docenten der Facultät, war ein Beweis 
für die allgemeine Achtung und Beliebtheit, welcher Dr. Weis 
sich mit voller Berechtigung in allen Kreisen der Aerzteschaft 
erfreut. 

(Wo i st die dalmatinische Aerztekammer?) Das 
„Oest. Aerzte-Kammer-Blatt“ meldet: Laut Verordnung des Ministe¬ 
riums des Innern vom 18. October d. J. ist der Sitz der Aerzte- 
kammer für Dalmatien von Zara nach Spalato verlegt worden. — 
Da von einer Constituirung der dalmatinischen Kammer nichts be¬ 
kannt geworden, so ist dieselbe entweder ganz im Geheimen erfolgt 
oder es wurde der Sitz einer gar nicht existirenden Kammer verlegt. 

(Was man von einer Aerztekammer verlangt!) 
Der Vorsitzende der Erwerbsteuer-Commission für den Bezirk Steyr 
hat sich — wie wir dem „Oesterr. Aerzte-Kammer-Blatt“ ent¬ 
nehmen — an die oberösterreichische Aerztekammer mit dem Er¬ 
suchen gewandt, ihm eine Liste der Aerzte von Bad Hall und 
Steyr, geordnet nach der Ertragsfähigkeit der Praxis der Einzelnen 
in aufsteigender Linie zu senden, und wünscht sogar, die Bekannt 
gäbe der beiläufigen Zahl der Patienten, die Art des Patienten¬ 
kreises (!) und dessen Zahlungsfähigkeit von der Kammer zu 
erfahren. — Sonst nichts! 

(Verkauf der ärztlichen Praxis.) Eine bemerkens- 
werthe Entscheidung hat — wie uns berichtet wird — kürzlich 
das Oberlandesgericht zu Braunschweig gefällt. Ein Arzt hatte 
seine Praxis für 1500 Mark einem Collegen verkauft und als die 
Bezahlung nicht erfolgte, den Klageweg betreten. Die Klage auf 
den Kaufpreis wurde abgewiesen. — Wir sind der Ansicht, daß diese 
Entscheidung als Präjudizfall für zukünftige ähnliche Vorkommnisse 
dienen könnte und müßte. Die ärztliche Praxis kann niemals einem 
geschäftlichen Unternehmen gleichgestellt werden, wenn wir auch 
durch unser ärztliches Können unseren Lebeuserwerb erlangen. Die 
Wirksamkeit des Arztes beruht zum größten Thcile auf dem Ver¬ 
trauen in seine Persönlichkeit, auf seinen individuellen Fähigkeiten, 
und diese können durch Kauf und Tausch wohl niemals erlangt 
werden. Mit Recht nennt daher das genannte Gericht den Verkauf 
einer ärztlichen Praxis einen Vorgang, welcher der für den Beruf 
eines Arztes erforderlichen Achtung durchaus unwürdig sei. 

(Statistik.) Vom 23. bis inclusive 29. November 1902 wurden in 
den C i vi lspi t älern Wiens 7261 Personen behandelt. Hievon wurden 1434 
entlassen; 178 sind gestorben (11*04% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 93, egypt. 
Augenentzündung 2, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 7, Dysen¬ 


terie —, Blattern—, Varicellen 125, Scharlach 40, Masern 317, Keuchhusten 88, 
Rothlauf32, Wochenbettfieber 8, Rötheln2, Mumps 17, Influenza—, follicul! 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 621 Personen gestorben 
(+ 29 gegen die Vorwoche). 

Maltos s wein. Von der Prager Firma Svatek & Co werden seit einiger 
Zeit Medicinalweine in den Handel gebracht, welche auf natürlichem Wege 
aus der Malzwürze ausgegohren sind und ein vorzügliches Surrogat für 
Trauben- und Obstweine darstellen, ja dieselben sowohl durch den hohen 
Gehalt an Nährstoffen (Kohlenhydraten und Phosphaten), als auch durch ihren 
Wohlgeschmack iibertreffen , so daß dieselben vollkommen geeignet sind, die 
theueren Südweine ganz zu ersetzen. Diesem Gerstenwein, der durch amtliche 
chemische Analysen als vollkommen reines Naturproduct classificirt ist, wird 
nun durch Zusatz verschiedener medicamentöser Substanzen, wie zum Beispiel 
eisenhaltiger Verbindungen oder Chinarinden-Extracts, der Charakter von 
Medicinalweinen verliehen, die durch .Qualität und Wirkung die meisten aus¬ 
ländischen Fabrikate übertreffen und ärztlicherseits bereits vielfach statt dieser 
ordinirt werden. Speciell Maltoferrochin, ein Eisenchinawein, der bei allen 
Schwächezuständen, bei Blutarmuth und Reconvalescenz nach schweren Krank¬ 
heiten dieselben Indicationen erfüllt, wie der theuere Chinawein Seravallo, 
und Malto-Condurango , ein hervorragendes magenstärkendes Mittel, das bei 
allen acuten und chronischen Erkrankungen des Magens und Verdauungs- 
tractes, bei Katarrhen, Appetitlosigkeit, üblem Aufstoßen etc. aufs wärmste 
empfohlen werden kann, sollten in keinem Krankenzimmer fehlen, zumal der 
niedere Preis dieser Weine ihre Anschaffung leicht ermöglicht. 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 


Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
Postversendung. Die Preise derEinbanddeoken sind folgende: für die „Med. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.)’; 
„Therapie der Gegenwart“: K 1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Postversendung. 


Die Rubrik: „Erledigungen, ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 

MK* Wir empfehlen diese Rubrik der speciellen Beachtung unserer 
geehrten Leser; in derselben werden öfters — neben der Publication von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auoh für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein können, welche an eine 
Aenderung des Domicils oder ihrer Vernältnisse nicht gedacht haben. -‘JMI 


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XLIII. Jahrgang. 


Wien, den 14. December 1902. 


Nr. 50. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis .8 Bogen GroÄ-Quart-Forinat stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militäiärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik , letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchscbnittlieben Umfange von * Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertiönsänfträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Fresse" 
in 'Wien, i;; Mfr xlm l lU nstaraCe NT. 4 , «u richten. Für 
die Sedaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 


Wiener 


Abonnementnpreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Militäräiztlieher Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
20 K, halbj. 10 K, viertelj. 5 K. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler uud Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk., halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik 1 ' 
separat: Inland: jährl. 8 K\ Ausland: 8 Mrk. — Inserate' 
werden für die 2 spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslände bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein / 
Sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse" in Wien, I., Maximilianstr. 4. 


medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Hedaction: Telephon Rr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

-« 3 ©»- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bnm. 


Verlag von 

Urban k Schwarzenberg in Wien. 
Administration: Telephon Hr.9104. 


INHALT: Origlnallen und klinische Vorlesungen. Ueber neuralgiforme Schmerzen in der Regio pubica und inguinalia bei Plattfuß. Von Prof. Dr. S. Ehr¬ 
mann in Wien. — Zur Diagnostik der Hirntumoren. Von Dr. S. Edelheit in Sanok. — Referate. Küttner (Tübingen): Schonende Nachbehandlung 
septischer Operationen. — Kozlowsry (Drohobycz): Ueber ein neues Verfahren bei der Lumbalanästhesie. — Bettmann (Heidelberg): Lichen ruber 
pemphigoides. — Konbad Hknse (Königsberg): Der Stand der Operationen des Gebärmutterkrebses — P. Dksfosses (Paris): Farunkelbnhandlung. — 
Kopfstein (Jungbnnzlau): Operationen bei Krankheiten uropoetischer Organe, durchgeführt in den Jahren 1897—1901 in dem öffentlichen Kaiser 
Franz Joseph Spital in Jungbunzlau. — P. L. Bosellini (Bologna): Beitrag zum Studium des Glykogens in der Haut bei Hauterkrankungen. — 
Sabolotno w (Kasan): Ein Fall von primärem Lungencarcinom. — E. Saalfeld (Berlin): Ein Beitrag zur Behandlung der chronischen Gonorrhoe. — 
Nedmann (Kiel): Virulente Diphtheriebacillen bei einfacher Rhinitis. — Schlaoenhaofer (Wien): Osteomyelitis nnd Phlegmone, erzeugt durch den 
Bacillus pneumoniae (FbtedlXnder). — Nikolski: Ueber Pemphigus. — Kleine Mitthellungen. Behandlung sogentmnter inoperabler Gesichtsangiome. — 
Operation der Scrotalhernien bei Kindern. — Behandlung des Neugeborenen. — Pyramidon, besonders bei Asthma. — Verabreichung des Rieinus- 
öls. — Die Stoll’schen Kolapräparate. — Morphin-Scopolamin-Narkose. — Literarische Anzeigen. Handbuch der Therapie innerer Krankheiten 
in sieben Bänden. Heransgegeben von Prof. Dr. F. Penzoldt und Prof. Dr. R. Stintzing. — Die Schönheit des weiblichen Körpers. — Von 
Dr. C. H. Stratz. — Feuilleton. Langlebigkeit und Entartung. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. den Abtheilungen der 74. Ver¬ 

sammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. Karlsbad, 21.—27- September 1902. (Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fach¬ 
presse“.) X. — Gesellschaft für innere Medicin in Wien. (Orig.-Ber.) — K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — Notizen. — 
Neue Literatur. — Eingesendet. — Offene Correspondenz der Redaction and Administration. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse “ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Ueber neuralgiforme Schmerzen in der Eegio 
pubica und inguinalis bei Plattfuß. 

Von Prof. Dr. S. Ehrmann in Wien. 

Wohl die meisten Collegen, besonders solche, welche 
sich fachgemäß mit Dermatologie und Syphilidologie befassen, 
haben schon Fälle von hartnäckigen, jahrelang anhaltenden 
Schmerzen in der Regio inguinalis und pubica zu beobachten 
Gelegenheit gehabt, die nicht selten in die Hoden und in 
die Innenseite der Oberschenkel ausstrahlen. 

Häufig beziehen die Kranken die Schmerzen auf irgend 
eine vorausgegangene Affection der Genitalien, selbst der 
unschuldigsten Natur, etwa Herpes praeputialis oder Balanitis. 
Hatten die Patienten einmal eine Gonorrhoe oder ein Ulcus 
gehabt, sei es nun ein syphilitischer Initialaffect oder eine 
Helkose gewesen, so sind sie vollends von dem Zusammen¬ 
hänge beider Erkrankungen überzeugt. Und ist auch nicht 
eine Spur einer Genitalerkrankung vorausgegangen, so sind 
sie überzeugt, daß sie jetzt eine solche haben oder bekommen 
werden. Gewöhnlich sind sie von der Furcht vor Bubonen 
geplagt und versetzen die Schmerzen in die Lymphdrüsen, 
wären dieselben auch noch so klein und auf Berührung und 
Druck noch so schmerzlos. 

Die objective Untersuchung ergibt weder in der Haut, 
noch in den Muskeln, noch in den Lymphdrüsen irgend eine 
greifbare Veränderung oder eine schmerzhafte Stelle. Dagegen 
ist es die Regel, daß bei möglichst erschlaffter Musculatur 


und erschlafftem Bandapparat des Hüftgelenkes, also beim 
Liegen, auf dem horizontalen Schambeinast und weiter unten 
gegen das Foramen obturatorium, bei Druck eine schmerzhafte 
Stelle zu finden ist. Was aber ausnahmslos in derartigen 
Fällen constatirt werden kann, das ist Plattfuß. 

Ich habe seit 15 Jahren beiläufig 120 solcher Fälle 
notirt, und in keinem einzigen Falle hat ein ausgesprochener 
Pes planus oder varus, zumeist höheren Grades, gefehlt. 

Ich nahm bisher nicht die Gelegenheit wahr, diese 
Beobachtung zu publiciren, und thue dies jetzt, weil ich 
gefunden habe, daß selbst in ganz auffallenden Fällen von 
Pes planus von fachmännischer Seite dieser Zusammenhang 
übersehen wird; ich erlaube mir auch, die mechanischen 
Verhältnisse zu erörtern, wobei ich nur die absolut aner¬ 
kannten anatomisch-pathologischen Verhältnisse bei Plattfuß 
berücksichtige, die controversen Details aber , den Chirurgen, 
bezw. Orthopäden zur weiteren Aufklärung überlasse. 

Schon bei oberflächlicher Beobachtung der Kranken fiel 
mir auf, daß dieselben, wenn sie ihre gewohnte Stellung 
einnehmen, ihre Beine in Abductionsstellung bringen, und 
daß, wenn sie entsprechende orthopädische Schuhe anlegen, die 
Schmerzen aufhören und diese Abductionsstellung der Beine 
nicht mehr vorhanden ist. Ich muß das Letztere als die 
Ursache, das Erstere als den Grund ansehen. 

Auf die Abductionsstellung hat schon Schanz aufmerksam 
gemacht; die Schmerzen in inguine jedoch sind ihm entgangen, 
wahrscheinlich, weil die Patienten selbst darüber nicht ge^ 
klagt haben, zumal ihnen der Zusammenhang ganz undenkbar 
erscheint. - 

Es sei mir nun gestattet, hier die Ursache zunächst 
der Abductionsstellung zu erklären und dann darauf hinzu- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 50. 


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weisen, wie aus dieser Abductionsstellung sich die Schmerzen 
in inguine und in der Regio pubica entwickeln. 

Bekanntlich ist beim Pes planus das Gewölbe, welches 
die Tarsus- und Metatarsusknochen bilden, in der Richtung 
von vorne nach rückwärts, also vom Fersenbein zu den 
Zehenballen, vollständig gewölbt und besitzt zwei Fußpunkte, 
von außen nach innen jedoch unvollständig gewölbt, das 
heißt vom äußeren Fußrand zum inneren, und hat bloß hier 
seine Stütze, nämlich den äußeren Fußrand. Durch das Körper¬ 
gewicht wird dieses Gewölbe so belastet, daß die gewölbte 
Fläche abgeplattet wird und den Boden vollständig berührt, 
dies thut selbstverständlich der innere Fußrand. 

Das Plattgedrücktsein des Gewölbes ist aber nicht die 
einzige Ursache der Plattfußerscheinungen, sondern es wird 
die Lage des Fußes im Sprunggelenke eine solche, daß der 
äußere Fußrand vom Boden etwas abrückt und nach oben 
steht, während der innere, der früher vom Boden abgekebrt 
war, nach unten zu sieht, das heißt der Fuß, welcher eine 
physiologische Supinationsstellung einnimmt, die bei Kindern 
bekanntlich noch viel ausgesprochener ist als bei Erwachsenen, 
kommt in die Pronationsstellung. 

„Infolge des abnormen Druckes, welchen bei der dauern¬ 
den Pronationsstellung der Seitenrand des Talus auf den 
Processus anterior calcanei ausübt, bleibt der letztere im 
Höhenwachsthum zurück, während sich das Sustentaculum 
tali emporhebt. Dadurch bekommt das ganze Gelenk zwischen 
Talus und Calcaneus eine schief von innen nach außen geneigte 
Stellung. 

Am Processus anterior calcanei fällt bei hochgradigen 
Plattfüßen noch eine weitere Eigent hümlichkeit auf. Bei 
der extremen Pronationsstellung kommt nämlich die Spitze 
des Fibularknöchels auf die äußere Fläche des Processus 
anterior zu stehen. Sie schleift sich hier eine Grube aus, 
welche allmälig die Beschaffenheit eines, wenn auch nicht 
vollkommenen Gelenkes annimmt (Hueter).“ 

Diese veränderte Lage des Fußes verursacht aber dem 
Kranken wesentliche Schmerzgefühle, die in erster Linie hervor¬ 
gerufen werden durch die Zerrung der Sehnen und Bänder, 
welche von der Tibia längs des inneren Malleolus zum inneren 
Fußrande ziehen; außerdem entstehen in der Gegend des 
äußeren Knochens, wo ein Fußwurzelknochen , zumal der 
Processus anterior calcanei, an die Fibula angedrückt wird, 
ebenfalls Schmerzen. Deshalb trachtet der Patient, auf unbe¬ 
wußte Weise die Stellung, welche die Fußwurzelknochen 
ursprünglich zur Tibia eingenommen hatten, beizubehalten, 
indem er den Winkel, welchen die äußere Fußfläche früher 
mit der Axe des Oberschenkels gebildet hatte und welcher 
durch den Plattfuß kleiner geworden ist, auf seine ursprüng¬ 
liche Größe zu bringen versucht, und dies thut er am besten 
in der Weise, daß er das ganze Bein in Abductions¬ 
stellung bringt. 

Der Kranke fällt jedoch in die Scylla, während er die 
Charybdis umschiffen will. Während er die Schmerzen im 
Sprunggelenke vermeidet, verursacht er sie durch die Stellung 
des Beines im Hüftgelenke. Nach der Localisation, welche 
die schmerzhaften Stellen haben, kann der Grund für die 
Schmerzen in der Regio pubica und inguinalis nur folgen¬ 
der sein: 

Die äußerste Schichte der Gelenksbänder des Hüft¬ 
gelenkes wird geliefert durch das Ligamentum capsulare 
femoris, dessen Fasern zum Theile vom horizontalen Scham¬ 
beinaste entspringen, zum Theile aber von dem Rande des 
Qs ilei unterhalb der Spina anterior superior ausgehen, und 
welches daher auch in diesem Theile den Namen Ligamentum 
ileofeinorale führt. Nach innen zu, gegen die Symphyse hin, 
verlaufen auch Fasern von dem horizontalen Schambeinaste 
zur Crista des Oberschenkelknochens, desgleichen auch vom 
Tuber ossis ischii, resp. vom Ligamentum obturatorium. Die 
letzterwähnten Faserzüge führen den Namen Ligamentum 
pubofemorale, bezw. Ligamentum ischiofemorale. 


Sämmtliche genannten Fasern werden bei starker und 
lange andauernder Abductionsstellung des Oberschenkels ange¬ 
spannt und auf diese Weise ihre Ansätze an den Knochen 
mechanisch gezerrt, namentlich aber die Fasern des Liga¬ 
mentum pubofemorale, dessen Insertionsstelle man mit dem 
Finger palpatorisch manchmal leicht angeschwollen, in allen 
Fällen aber bei Druck schmerzhaft findet, während die kleinen 
Inguinaldrüschen, welche auch beim vollkommen gesunden 
Menschen zu tasten sind, bei Berührung schmerzlos sind. 
Der Kranke verlegt bloß die Schmerzen in diese Drüsen, 
weil die Schmerzen in die Regio pubica ausstrahlen, er aber von 
den Drüsen Kenntniß hat, als häufiger Sitz von Erkrankungen. 

In sämmtlichen Fällen, in denen es sich um einen rein 
statischen Plattfuß gebandelt hat und in welchen nicht 
dauernde pathologische Veränderungen der Fußwurzel vor¬ 
handen waren, das ist in 98% meiner Fälle, wurde durch 
eine entsprechende orthopädische Beschuhung ohneweiters 
eine Heilung dieser Schmerzen erzielt. 


Zur Diagnostik der Hirntumoren. 

Von Dr. S. Edelheit in Sanok. 

Im Folgenden will ich einen für den Praktiker hoch¬ 
interessanten Fall — aus den letzten zwei Monaten 1899 
datirend — veröffentlichen. Es handelte sich dabei um eine 
diametrale Divergenz der Ansichten zweier Collegen, die, wie 
so oft, für den Arzt selbst, die betreffende Familie, für die 
mit „Wunder-Recepten“ Handel treibenden alten oder jungen 
Weiber zur Tagesfrage wurde. 

Am 6. November 1899 erschien in meiner Ordination Frau 
Marie Turek, in Begleitung ihres Mannes, eines Schlossermeisters 
der hierortigen (Sanok) Waggonfabrik. 

Die Anamnese ergibt Folgendes: Die 42jährige, gut genährte 
Frau hat 6 Kinder geboren. Sämmtliche waren normal ausgetragen, 
2 starben in den ersten Lebensjahren an Darm- und Lungenkrank¬ 
heiten; 4 leben, sind gesund und normal beschaffen. Die Menstruation 
blieb vor 6 Jahren aus. Seit einem Jahre leidet sie periodisch, und 
zwar je 14 bis je 30 Tage lang, an sehr heftigem, in letzter Zeit bis 
zur Ohnmacht führendem Kopfschmerz, so zwar, daß der Kopf¬ 
schmerz bei jedem neuen Anfall sich vermehrt, die Patientin in 
den letzten 2 Anfällen förmlich ohnmächtig wurde und durch 
künstliche Hilfe, wie Reibung, Riechmittel etc., zum Bewußtsein ge¬ 
bracht werden mußte. Nachdem sie sich erholt hatte, blieb mehrere 
Tage ein Gefühl der Schwere und ein dumpfer Schmerz in der 
Gegend des Kopfscheitels zurück. 

Die heute, also am 6. November 1899, vorgenommene Unter¬ 
suchung ergibt gar nichts Positives. Patientin zeigt auf die Frage, 
wo der Kopfschmerz sitzt, auf den ganzen Scheitel des Kopfes; sie 
sieht mit beiden Augen gleichmäßig, aber angeblich schlechter als 
vorher. Die Pupillen sind beiderseits normal weit und reagiren auf 
Licht und Entfernung. Herz und Lunge normal, die Därme sind 
gebläht, und Patientin gibt an, an Verstopfung von 2—3tägiger 
Dauer zu leiden. Syphilis und Trauma nicht nachweisbar; Sehuen- 
reflexe erhalten. 

Das frühzeitige Ausbleiben der Menses, die chronische Con- 
stipation ließen mich an periodisch auftretenden Gehirndruck 
denken. Indeß schienen mir die geschwächte Sehkraft, namentlich zur 
Zeit der Anfälle, ebenso die Ohnmacht und Bewußtlosigkeit, welche 
bis zu 15 Minuten, laut Angabe in den letzten Anfällen, anzuhalten 
pflegten, auf einen ernsten Gehirnproceß hinzudeuten. Der Augen¬ 
spiegelbefund hätte möglicherweise eine deutliche Stauungspapille 
ergeben und die Diagnose feststellen können; indeß war es mir 
aus technischen Gründen nicht möglich, denselben aufzunehmen. 

Patientin consultirte im Laufe des Jahres 1899 mehrere 
Aerzte, nahm verschiedene Antipyretica und Antineuralgica mit 
vorübergehendem und geringem Erfolge. 

Ich ging von der Erwägung aus: Entweder frühzeitige Cessatio 
mensium mit periodischer Drucksteigerung im Gehirn, welche durch 
die vorhandene Constipation gesteigert wird — oder geht der 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 50. 


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Druck aus von einem Gehirnabsceß, Gehirntumor, Intermeningeal- 
tumor, welcher vielleicht in der Nähe der Gehirnbasis, resp. 
Schädelbasis sitzen mag (Schwächung der Sehkraft). 

Zunächst verordnete ich : Iufusum fol. sennae 15 ad 200 +Na¬ 
trium bromatum et Kalium brom. ää 2, stündlich einen 
Eßlöffel. 

Am 8. November 1899 kam die Frau selbst in meine Or¬ 
dination und erzählte, sie habe die Medicin verbraucht, es gehe 
ihr besser, indeß empfinde sie noch einen dumpfen Schmerz und 
ein Gefühl der Schwere auf dem Kopfscheitel (Region der Pfeil¬ 
nabt und der Scheitelbeine). 

Die Patientin war munter, machte einen guten Eindruck; 
die Intelligenz blieb sowohl am 6. als am 8. November und über¬ 
haupt während der ganzen Krankheitsdauer vollkommen erhalten. 

Ich verordnete der Patientin, für reguläre Stuhlentleerung zu 
sorgen, und gab ihr mit der Aufforderung, sie eineD ganzen Monat 
einzunehmen, folgende Mixtur: Natrium jodati 0'3, Kalium u. Natr. 
brom. ää 2, ad Aq. 200. 

Am Freitag den 8. December 1899, Abends 9 Uhr, wurde 
ich zur Patientin geholt. Ich fand dieselbe bewußtlos im Rette liegend. 
Temperatur 87'2, Puls 64. Arterien gut gefüllt, weich, jedoch 
gespannt; der Herzschlag deutlich und normal; Respiration zwi¬ 
schen 16 und 18 per Minute, zeitweise tiefer mit stöhnendem, 
seufzendem Charakter; Augenlider geschlossen, beim Oeffnen der¬ 
selben zeigen sich die Pupillen reactionslos auf Licht, die 
rechte Pupille normal weit, die linke stark verengt 
im Vergleiche zur rechten. Bei Druck auf den Kopf reagirt 
die Kranke wenig, bei stärkerem Druck auf den liukeu Warzen- 
fortsatz scheint sie etwas zu stöhnen. Das Schlucken ist unmög¬ 
lich; die per os eingegebene Nahrung regurgitirt. Zuckungen 
im Gesichte sind nicht zu sehen, auch keine Ver¬ 
zerrung der G es ich t sm u sc u la t u r. Von Zeit zu Zeit soll, 
laut Angabe des Manees, eine leichte Zuckung durch den Körper 
gehen. In diesem Zustande liegt Patientin schon 36 Stunden, also 
seit 7. December 1899 Vormittag. Außerdem erfuhr ich Folgendes: 
Patientin nahm die von mir verordnete Mixtur bis zur Hälfte, was 
ich auch selbst an der zwtiten Hälfte der noch vorhandenen Flasche 
constatiren konnte; sie befand sich besser, unterließ jedoch, die 
Medicin weiter zu gebrauchen, weil ihr dieselbe schlecht schmeckte. 
Ungefähr 10 Tage vor der heutigen Erkrankung, also etwa Ende 
November 1899, regte sie sich stark auf wegen der 12jähritren, an 
einer Verbrennung verstorbenen Tochter ihrer Nachbarin, bei welcher 
sie damals übernachtet hatte. Seit dieser Zeit verschlimmerte sich 
der Kopfschmerz, sie nahm verschiedene Pulver ohne Erfolg, bis 
sie schließlich in Bewußtlosigkeit verfiel. 

Ich stellte die Wahrscheinlichkeits - Diagnose 
eines krankhaften Herdes im Bereiche der Schädel höhle, und zwar 
möglicherweise eines in der Nähe der Gehirnbasis sitzenden 
Abscesses, erklärte der Umgebung, nicht viel thun zu können, 
denn wenn die Kranke auch aus der Bewußtlosigkeit erwachen 
sollte, werde sich derselbe Zustand Dach einigen Wochen wieder¬ 
holen und schließlich tödtlich endigen. 

Sodann verordnete ich Klysmen aus Seifenwasser, um Stuhl¬ 
gang, welcher 2 Tage augehalten war, hervorzurufen; Unguentum 
cinereum in die Schläfen- und Warzenfortsatzgegend einzureiben ; 
überdies Suppositorien aus Ung. cinereum 0'5 Grm. und Kalium 
jodatum 0 - 5 je 12 Stunden. 

Am Morgen des 9. December 1899, also Tags darauf, fand 
ich Patientin unverändert. Der Mann erzählte, nach dem Klysma 
sei übelriechender Koth angegangen; einmal habe sie aufgeseufzt 
und gesprochen : Rettet mich. Sonst habe sie weder die Augen ge¬ 
öffnet, noch ein Wort gesprochen, noch etwas Nahrung eingenommen. 

Am Abend desselben Tages wurde noch ein zweiter Arzt 
geholt, der schon nach wenigen Stunden am Krankenbette erschien. 
Dieser erfuhr in der Anamnese, Patientin habe vor der Erkrankung, 
und zwar etwa 8—10 Tage zurück, drei Pulver eingenommen, 
welche von einem unbekannten Weibe geliefert wurden, gegen ein 
als Wunder circulirendes „llecept“. 

Abweichend von mir fand dieser College beide Pupillen 
verengt, und zwar links mehr als rechts. Der ganze Zustand 


sprach seiner Ansicht nach nicht für eine Gehirnkrankheit, sondern 
für eine Morphinvergiftung. Die geheimnißvollen Pulver bestärkten den 
Verdacht, und zum Glücke konnte er noch drei Pulver saisiren. 
Er verordnete Tinctura Belladonnae and Digitalis äa 20, je zwei 
Stunden zu 15 gtt. einzugeben. 

Es kam jedoch nicht zur Verabreichung der Belladonna- und 
Digitalistinctur, denn die Patientin verschied um 10 Uhr desselben 
Abends. 

Die geheimnißvollen Pulver sowie die Diagnose des Spitals¬ 
leiters auf Morphinvergiftung wurden von der Fama aufgefangen, und 
diese verbreitete hartnäckig das Gerücht, Frau Marie Turek sei 
von einer Fremden vergiftet worden, denn kaum habe die Turek 
3 Pulver eingenommen, sei sie in Bewußtlosigkeit verfallen. Also 
entgegen der Angabe des Gatten, seine Gemahlin habe 8 Tage 
vorher Pulver eingenommen, machte der College die Anzeige an 
die Staatsanwaltschaft in Sanok und diese ordnete die Einvernahme 
beider zuletzt behandelnden Aerzte, weitere Erhebungen etc. an. 

Sowohl ich als der College wurden als Zeugen vom Unter¬ 
suchungsrichter einvernommen. Ich gab zu Protokoll: Die Er¬ 
scheinungen sprechen für einen krankhaften Herd im Gehirn, mög¬ 
licherweise einen Absceß, möglicherweise eine faserige oder eiterige 
Ausschwitzung an der Gehirnbasis. Der College gab zu Protokoll, 
die Erscheinungen haben in ihm den Verdacht einer Morphin¬ 
vergiftung geweckt; das hartnäckig colportirte Gerücht von den 
Pulvern, der unmittelbaren Wirkung derselben, deren unbekannten 
Zusammensetzung habe diesen Verdacht noch bekräftigt. Von den 
Pupillen dictirte er, beide seien verengt gewesen, und zwar links 
mehr als rechts. Er gab auch an, die Patientin sei vor ihrer letzten 
Erkrankung einigemal in meiner Ordination gewesen. 

Am 13. December wurde die Leiche exhumirt und gerichts¬ 
ärztlich secirt. Ich erschien in der Leichenkammer als Zuschauer 
und Interessirter, der zweite interessirte College erschien nicht. 
Die Obducenten waren sichtlich neugierig, ob die Obdoction nach 
meiner beharrlichen Behauptung — es müsse ein krankhafter 
Herd in der Schädelhöhle entdeckt werden — etwas Positives er¬ 
geben werde. 

Der 0bd ucti on sb ef u n d hat meine Diagnose vollkommen 
gerechtfertigt. Die harte Hirnhaut war straff ausgespannt und 
längs des Sinus longitudinalis an die weiche Hirnhaut angewachsen. 
Das Gehirn lag wie eingepreßt in der stark angespannten harten 
Hirnhaut. Bei Abhebung des Vorderhirns von der Schädelbasis 
zeigte sich ein pfirsicli großer, faseriger, gestielt aus 
der Dura im Türke nsattel her auswachsender Tumor. 
Derselbe drang in die Stirn- und theilweise in die Schläfelappen und 
drückte das Gehirn in dieser Gegend höhlenförmig aus. Nach 
abwärts drückte er analog seiner kugelförmigen Gestalt das linke 
Augenhöhlengewölbe mehr, das rechte weniger ein. Die Obducenten 
dictirten: Tumor hat die Größe der Faust eines kleinen Kindes ; 
der Magen und das Duodeum waren leer, mit Schleim bedeckt und 
postmortal blutig imbibirt. Die Schleimhaut des Magendarmtractes 
bot nichts Pathologisches. Nichtsdestoweniger entnahmen die Ob¬ 
ducenten der Leiche 1. Magen und Duodenum, 2. ein Stück Leber, 
3. ein Stück Niere behufs allfälliger chemischer Untersuchung und 
erklärten in ihrem Gutachten: die Gehirnhautgeschwulst sei eine 
genügende Todesursache, sie könnten indeß nicht die Möglichkeit 
einer gleichzeitigen schädlichen oder tödtliehen Wirkung eines 
Giftes ausschließen. 

Der Untersuchungsrichter nahm die Leichenstücke in der 
vorgeschriebenen Weise in Verwahrung. Mittlerweile ergab die 
chemische Untersuchung eines der saisirten Pulver, es enthielt 
nicht Morphin, auch nicht ein anderes starkes Gift, worüber auch 
der Apotheker gerichtlich einvernommen wurde, sondern Brom¬ 
kalium und Phenacetin. Das Recept war eine Copie ohne leser¬ 
liche Unterschrift. Der Gatte der Verstorbenen bestätigte vor Ge¬ 
richt, seine Frau habe die Wunderpulver etwa 8 oder 10 Tage 
vor der letzten Erkrankung und mit gutem Erfolg einge¬ 
nommen. Und so wurde von der Staatsanwaltschaft die weitere 
Untersuchung der Leiehentheile und ipso facto die straf¬ 
gerichtliche Untersuchung eingestellt, 

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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 50. 


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Was können wir Aerzte an diesem Falle, welcher be¬ 
greifliche Aufregung verursacht hat, lernen? Erstens lernen 
wir, wie leicht eine fatale Verwechslung Vorkommen kann 
und wie vorsichtig man Gerüchte alter Weiber aufnehmen 
sollte. Die Diagnose eines Arztes soll auf einer ernsten, 
wissenschaftlich begründeten Grundlage aufgebaut werden, 
der Arzt soll die Symptome zehnmal lieber überprüfen, bevor 
er eine schwerwiegende Diagnose macht. 

Was konnte den Collegen zu der ominösen Wahrschein¬ 
lichkeitsdiagnose einer Morphinvergiftung verleiten? Antwort: 
Die Somnolenz, der comatöse Sopor, die engen Pupillen, die, 
wie er meinte, ungleich verengt waren, die minimale Pulsver¬ 
langsamung, möglicherweise die ruhige und zeitweise stöhnende 
Athmung, der Umstand, daß Patientin bis zum Verfall in 
Bewußtlosigkeit berumging, das gute Aussehen des Körpers. 
Er hat aber nicht berücksichtigt, daß 1. der ganz reguläre, gut 
gefüllte und ein wenig gespannte Puls, 2. die ruhige, tiefe, 
abwechselnd seufzende, aber volle Athmung, 3. die 
ungleichen Pupillen, 4. die ganz normale Ge¬ 
sichts- und Hautfarbe, 5. die klaren Herztöne, 6. der vorher¬ 
gegangene periodische Kopfschmerz bis zur Ohnmacht theils 
gegen eine narkotische Vergiftung, theils für chronischen, nun¬ 
mehr exacerbirten Hirndruck ex tumore aut abscessu sprechen 
konnten. Denn bei einer Morphinvergiftung, welche so weit 
geführt haben soll, müßten ein schwacher, fliehender, theils 
aussetzender Herzschlag, kurze stertoröse Athmung, Cyanose 
und eyanotische Blässe des Gesichts und, was sehr wichtig, 
gleichmäßig und stark verengte Pupillen vorhanden sein. 

Es wäre doch nicht zu erklären, wie denn ein im Blute 
frei circulirendes Gift, wie das resorbirte Morphin, ungleich¬ 
mäßig auf die Pupillen wirken sollte. Ich weiß auch nicht, 
ob in der Literatur jemals ein so abweichendes Verhalten der 
Pupillen gegenüber einem narkotischen Gifte notirt wurde. 
Hingegen spricht für eine mechanische Ursache des Hirn¬ 
druckes die Ungleichheit der Pupillen bei Mangel an Tempe¬ 
ratursteigerung. Ebenso sind bei solchen Vergiftungen der 
Puls und die Athmung unregelmäßig und, was die 
Hauptsache ist, es muß bei jeder narkotischen Giftwirkung 
als Zeichen der Herzschwäche Blässe und Cyanose des 
Gesichtes vorhanden sein. Von solchen Erscheinungen 
war in diesem Falle nichts zu sehen. 

Daß manche Geschwülste des Schädelknochens, der Dura 
und selbst des Gehirns nach Jodbehandlung schrumpfen und 
schwinden können, lehrt die Erfahrung. Deswegen will ich 
auch an den obigen Sectionsbefund einen ebenfalls sehr inter¬ 
essanten Fall anreihen. Er betrifft ein 22jäbriges Mädchen, 
bei welchem trotz Operation Recidive mit unausstehlichem 
Kopfschmerz auftrat und welches schließlich nach Jod schon 
drei Jahre gesund ohne Recidive, ohne Kopfschmerz ge¬ 
blieben ist. 

Jetta J., 22 Jahre alt, wird am 4. Februar 1896 von mir 
untersucht. Ich eonstatire eine Operationsnarbe an der Stirn, Nasen¬ 
wurzel, Nasenrücken und rechtem Nasenflügel von über 2 Cm. 
Länge. Unterhalb der Narbe an der Nasenwurzel finde ich einen 
harten, haselnußgroßen Knoten, welcher an dem anliegenden 
Knochentheile des Stirnbeines fest haftet, mit der Narbe verwachsen 
und nicht verschiebbar ist. Die Pupillen sind gleich weit und 
reagiren auf Licht und Entfernung. Patientin ist virgo intacta und 
zeigt keine Spuren von Lues acquisita oder hereditaria. 

Subjectiv gibt Patientin an, sie leide seit dem Jahre 1894, 
also schon 2 Jahre, an heftigem Kopfschmerz, welcher sie zwang, 
mehrere Aerzte zu consultiren. Der Erfolg der Behandlung war 
nur vorübergehend und minimal. Schließlich wuchsen am Stirnbein 
und Nasenrücken harte Knoten heraus, und diese wurden im Jahre 
1895 in Lemberg von einem dortigen Arzte operativ entfernt, mit 
Hinterlassung der oben von mir citirten Narbe. Nach mehrmonat¬ 
licher geringer Besserung kam der heftige Kopfschmerz wieder 
und mit diesem die Recidive der Knoten. Während der Jahre 1894 
und 1895 wurde Patientin mit Arsen und Eisen intern behandelt, 
doch ohne Erfolg. Das so rasch aufgetretene Recidiv hat mich 


frappirt, und ich dachte an Sarkom, an welches auch die anderen, von 
der Patientin consultirten Aerzte gedacht haben dürften. Nichtsdesto¬ 
weniger schien mir eine auf ererbter oder möglicherweise acquirirter 
pathologischer Constitution entstehende Periostalwucherung nicht 
unwahrscheinlich. Die Gründe waren folgende: Das verhältniß- 
mäßig sehr langsame Wachsthum, in 6 Monaten Haselnußgröße; 
vorher innerhalb nahezu 18 Monaten ebenfalls dieselbe Größe. 

Nachdem ich nun schon erfahren hatte, daß manche sarkomatös 
sich ausnehmenden Knoten z. B. des Periosts, des Knochens, der 
Brustdrüse nach Jod vollständig verschwinden können, rieth ich 
entschieden, mit der Operation, welche der frühere Arzt 
nochmals an rieth, abzuwarten und den Erfolg der neuen 
internen Medication bis in vier Wochen zu prüfen. 

Die Patientin, welche aus begreiflichen Gründen Alles eher 
als die Operation gewünscht hatte, entschloß sich für die 
medicamentöse Behandlung. Sie nahm Jodkalium 10 ad 15 0, 
drei Eßlöffel täglich. Der Erfolg war wirklich über mein eigenes 
Erwarten, denn der Kopfschmerz ließ allmälig nach und nach Ver¬ 
brauch der 10 Grm. Jodkalium waren Kopfschmerz und die Knoten 
vollständig geschwunden. Ich verordnete noch 6 Grm. Jodkalium auf 
60 Pillen, sechs Stück täglich, und das Mädchen war glücklich, ein 
Mittel gefunden zu haben, welches sie vor der furchtbaren Ent¬ 
stellung und dem unsäglichen Kopfschmerze schützte. 

Im Jahre 1898, am 15. April, also mehr als 2 Jahre nach 
dieser Medication, erneuerte sich der Kopfschmerz. Die Patientin, 
welcher ich ernst rieth, nach je 6 Monaten diese Medication aber¬ 
mals durchzumachen, hatte dies unterlassen, wie uns auch die 
Erfahrung bei anderen Patienten lehrt. Ich constatirte mäßigen 
Strabismus horizontalis, was also ganz deutlich dafür sprechen 
mußte, daß ein neuer Herd in der Nähe der Hirnbasis sich entwickle. 
An der Narbenstelle außen war nichts Zusehen. Nach 
der wieder eingeleiteten Jodbehandlung schwanden nach mehreren 
Tagen sowohl Kopfschmerz als auch Strabismus und die Patientin 
ist bis heute frei von Recidiv und Kopfschmerz. 

Der Fall ist zu lehrreich, als daß er nicht wissenschaft¬ 
lich ausgenützt werden sollte; denn er beweist, daß die 
Operation hätte vermieden werden können, ferner daß ein 
Tumor auf die Gehirnbasis einen Druck ausüben kann, ohne 
Schielen, resp. Augenmuskellähmung, auch ohne Pupillenver¬ 
engerung hervorzurufen. Er kann sehr lange getragen werden 
und nur qualvollen Kopfschmerz mit passagerer Schwäche 
des Gesichtes verursachen. "Wenn wir erwägen, daß bei dem 
citirten Mädchen außen sichtbare Knoten vorhanden waren, 
daß durch Druck auf dieselben Kopfschmerz in höherem Grade 
nicht erzeugt werden konnte; daß nachher im Jahre 1898 
ohne die äußeren Knoten milderer Kopfschmerz und Schielen 
auftraten, so muß man mit Recht annehmen, dieses Mädchen 
habe schon im Jahre 1895 und 1896 einen krankhaften 
Knoten im Bereiche der Schädelhöhle besessen. Und diese 
Annahme ist umso begründeter, als ja nach der Operation 
wohl Besserung, aber nicht Gesundheit sich eingestellt haben. 

Der weitere Gedankengang beim Studium solcher Fälle 
zielt dahin, daß es ohne Spuren von Lues hereditaria aut 
acquisita, Tumoren der Haut, Drüsen, Perioste des Gehirns 
und seiner Häute, von zellig-faseriger Structur gibt, welche 
auf Jod so günstig reagiren, daß man berechtigt zu sein 
glaubt, post hoc auf latente, durch eine Zwischenursache 
manifest gewordene Lues zu schließen. Es ist aber vielleicht 
nicht immer richtig, bei jeglichem Mangel von Luessymptomen, 
bei einer derben, drüsigen oder derbharten Consistenz eines 
Tumors deswegen auf Lues zu schließen, weil Jod von Erfolg 
begleitet war. 

Der Tumor des ersten der beschriebenen Fälle wurde 
von einem Collegen mikroskopisch geprüft; es fanden sich 
zellige und faserige Elemente, und die Diagnose lautete: 
Sarkom (der Dura). 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 50. 


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Referate. 


Kühner (Tübingen): Schonende Nachbehandlung septi¬ 
scher Operationen. 

Die Erfahrungen, die Verf. häufig am eigenen Körper zu 
sammeln Gelegenheit hatte, bestimmten ihn, einige Bemerkungen 
zur Nachbehandlung von operirten Phlegmonen zu machen, die es 
verdienen, von jedem Arzt beherzigt zu werden. 

Schon bei der Operation muß man Rücksicht auf die Nach¬ 
behandlung nehmen und man wird daher, wo es nur möglich ist, 
statt der Tampons Drainageröhren einlegen, weil sie das Seeret 
ebenso ableiten wie Gaze und viel leichter gewechselt werden 
können. 

Wo Tamponade unbedingt nothwendig ist, wird man sieh 
großer MiKOLicz-Tampons bedienen, dabei werden die Weichtheile 
durch die Füllung weit auseinandergedrängt, damit man später zu 
den tiefen Theilen der Wunde gut zukommen kann. Die die 
MiKULicz’öche Schurze ausfüllenden Tupfer können beim Verband¬ 
wechsel leicht gewechselt werden, während die Schürze selbst 
längere Zeit in der Wunde bleibt. 

Verf. räth weiters („Beitr. z. klin. Chir. u , Bd. 38, H. 2), 
den ersten Verbandwechsel lange hinauszuziehen (5 — 6 Tage) 5 bei 
feuchten Verbänden wechselt man die feuchten Compressen, 
während die Tampons liegen gelassen werden. Diese Art der Be¬ 
handlung ist natürlich nur möglich, wenn die Phlegmone ausgiebig 
gespalten und drainirt ist. Die Aetzung septischer Wunden mit 
reiner Carbolsäure ermöglicht es, den Verbandwechsel für mehrere 
Tage hinauszuschieben , da durch die Aetzung eine stärkere 
Secretion in den ersten Tagen hintangehalten wird. 

Bei phlegmonösen Processen bevorzugt Verf. den feuchten 
Verband, welcher in hohem Maße schmerzstillend wirkt. 

Beim Verbandwechsel ist sehr zart zu manipuliren; das Ein¬ 
führen von Tampons in schmale Spalten soll vermieden werden; 
zu diesem Zwecke soll die Wunde mit stumpfen Haken stets 
auseinandergehalten werden. Festsitzende Tampons sind mit Wasser¬ 
stoffsuperoxyd zu tränken, sie quellen dann schwammartig auf und 
lösen sich leicht ab. Beim Verbandwechsel soll das Abtupfen und 
Abwischen der Wundflächen nach Möglichkeit vermieden werden, 
da die dabei entstehende Schädigung der Granulationen die Ursache 
für das Eindringen frischer Mikroorganismen abgeben kann. 

Wenn die acute Entzündung demarkirt ist, die Secretion und 
Schmerzhaftigkeit geringer geworden sind, übergeht Verf. zum 
Salbenverband, der leichter und schmerzloser zu entfernen ist. 
Erst wenn die granulirende Fläche verkleinert ist und der Ver¬ 
bandwechsel nur noch selten vorgenommen wird, kommt der 
trockene Verband zur Anwendung. Eiidheim. 

Kozlowsky (Drohobycz): Ueber ein neues Verfahren bei 
der Lumbalanästhesie. 

Um die unangenehmen Nebenwirkungen der Lumbalanästhesie, 
die in Kopfschmerzen, Fieber, Erbrechen bestehen und nach An¬ 
sicht des Verf. zum großen Theile durch den mechanischen oder 
chemischen Reiz des mitinjicirten Wassers verursacht werden, zu 
vermeiden, schlägt Verf. („Centralbl. f. Chir.' 4 , 1902, Nr. 45) vor, 
das Tropacocain , das sich ihm als sehr gutes Ersatzmittel des 
Cocains bewährte, direct in der abgelassenen Cerebrospinalflüssig¬ 
keit zu lösen. Seine Methode ist der von Güinard bereits veröffent¬ 
lichten Methode, die sich ebenfalls gut bewährte, sehr ähnlich. 
Während Güinard der abgelassenen Cerebrospinalflüssigkeit einen 
Tropfen concentrirter wässeriger Cocainlösung, der die gewünschte 
Cocainmenge enthält, zusetzt, gibt K. 0‘05 Tropacocain in ein 
steriles Schälchen und läßt in dasselbe 5 Grm. Cerebrospinalflüssig¬ 
keit zufließen, so daß eine l%ige Tropacocainlösung entsteht. Die 
so erhaltene Flüssigkeit wird sofort in die Spritze aufgesogen und 
in den Subarachnoidealraum injicirt. 

In 32 Fällen, die Verf. auf diese Weise narkotisirte, blieben 
alle Nebenerscheinungen aus. Nach Ansicht des Verf. ist das Ver¬ 
fahren nicht nur für große Anstalten, die über den ganzen asepti¬ 
schen Apparat verfügen, zu empfehlen, sondern gerade für kleine 


Provinzspitäler sehr geeignet, weil es einen Assistenten erspart 
und den Operateur von dem ständigen Ueberwachenmüssen der Nar¬ 
kose befreit. Erdheim. 


Bettmann (Heidelberg): Lichen ruber pemphigoides. 

Der Name der Erkrankung stammt von Kaposi, der einen 
ausgebreiteten Fall von Lichen planus beobachtete, bei dem sich 
auf erythematöser Grundlage pemphigusartige Blasen erhoben. Als 
Erklärung nahm Kaposi an, daß es sich nicht um eine Combi- 
nation von Lichen und Pemphigus handle, sondern um ein Phänomen 
besonderer Intensitätssteigerung des Lichen. Einen ganz analogen 
Fall berichtet nun Bettmann; ungefähr 14 Tage nach Auftreten 
eines Lichen planus kam es zur Bildung pemphigusähnlicher Blasen, 
zunächst an den Extremitäten, dann am Stamme, überall auf 
erythematöser Basis und innerhalb des vom Lichen befallenen Haut¬ 
gebietes ; nach 3 Wochen heilten die Blasen ab, die Erythemflecke 
schwanden allmälig, darauf stellte sich starke Pigmentirung ein, 
nur dem ehemaligen Sitze der Blasen entsprechend erschien die 
Haut hellweiß, ja sie hatte an diesen Stellen auch ihr normales 
Pigment verloren. 

Die Fragen, die der Autor in der Besprechung des Falles 
(„Dermatol. Zeitschr.“, VIII, 1901) aufwirft, sind folgende: 1. Ist 
der Fall wirklich im Sinne Kaposi’s als blasenbildende Form des 
Lichen planus aufzufassen? 2. Handelt es sieh (wie in einzelnen, 
in der Literatur niedergelegten Fällen) um Arsenwirkung, oder 
3. um eine Combination von Pemphigus und Lichen? Die 2. Frage 
war am leichtesten zu negiren, da der Kranke nicht vorbehandelt 
war, also sicherlich kein Arsen bekommen hatte (bezüglich der 
Pigmentirung ließ sich dieser Einfluß nicht ohneweiters von der 
Hand weisen, da der Kranke während der Krankheitsdauer Arsen 
erhalten hatte). Frage 1 und 3 läßt eine so so stricte Beantwortung 
weniger leicht zu, doch fehlt dem Autor jeder positive Anhalt, die 
Blaseneruption anders als symptomatisch aufzufassen, denn sie trat 
bald nach dem ersten Erscheinen des Lichen auf, hielt sich strenge in 
dem vom Lichen ergriffenen Gebiete und schwand mit der Besserung 
desselben vollständig. Es ist daher mit der Möglichkeit zu rechnen, 
eine Gruppe von Lichenfällen abzusondern, deren specielle Charakte- 
ristica in der Acuität des Processes und dem besonderen Hervor¬ 
treten der Hyperämisirung der Haut, die zu diffuser Erythrodermie 
und Blasenbildung führen kann, und endlich in der Neigung zu 
starker, consecutiver Pigmentirung lägen. Deutsch. 

Konrao Hense (Königsberg): Der Stand der Operationen 
des Gebärmutterkrebses. 

Der einzige Weg, das Carcinoma uteri aus dem Körper zu 
entfernen, ist bisnun der operative und feststehend die Thatsache, 
daß es unzweifelhafte operative Dauerheilungen gibt. Von einer 
Operationsmethode verlangen wir günstige Primär- und günstige 
Dauerresultate. Erstere hängen von gut durchgeführter Anti- und 
Asepsis ab, letztere von der radicalen Entfernung des Carcinoms. 
H. („Berl. Klinik“, H. 167) unterscheidet drei Hauptgruppen von 
Operationen: 1. Exstirpation des Carcinomherdes; 2. Exstirpation 
des ganzen carcinomatösen Organs; 3. Exstirpation des ganzen 
carcinomatösen Organs und des dazugehörigen Bindegewebes nebst 
Drüsen. Zur Gruppe 1 gehören a) die Amputatio portionis vaginalis, 
b) die Amputatio cervicis supravaginalis, c) die Amputatio corpus 
abdominalis, von denen a und c heute verlassen sind. In der 
Gruppe 2 haben wir a) die Exstirpatio uteri vaginalis, b) die Ex- 
stirpatio uteri sacralis und c) die Exstirpatio uteri abdominalis, 
von denen b) wegen der schlechten Primärresultate nicht mehr ge¬ 
übt wird. In die 3. Gruppe gehören die modernsten Methoden: 
die Operatio radicalis abdominalis, erweiterte FßEUND’sche Opera¬ 
tion, die Laparotomia transperitonealis (Amann) , die Laparotomia 
hypogastrica (Mackenrodt). 

Für die Amputatio cervicis supravaginalis, die 
heute 6 % Mortalität und 26 , 5% Dauerheilungen aufweist, gelten 
die von Winter aufgestellten Indicationen: 1. Außerordentliche 
Werthlegung auf erwartete Nachkommenschaft; 2. Gefahr der Er- 

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Wiener Medizinische Presse. — Nr. 50. 


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Öffnung der Peritonealhöhle bei coraplicirenden frischen Entzün¬ 
dungen ; 3. Schwierigkeit und Gefahr der Entfernung des Corpus 
durch Verwachsungen und entzündliche Adnextumoren; 4. große 
Schwäche des Kranken. 

Bei der E x s ti r p a t i o Uteri vaginalis, deren Mortalität 
im Allgemeinen auf 5% berechnet wird, ist eine einheitliche Be¬ 
rechnung der Dauerresultate durch die schwankende Indicatious- 
stellung (freie Parametrien oder nicht) sehr erschwert. Zur Beur¬ 
teilung ihrer Leistungsfähigkeit hat man daher nach Winter’s 
Vorschlag aus dem Procentsatz der überhaupt operirten Krebs¬ 
kranken und dem Procentsatz der davon dauernd Geheilten die „ab¬ 
solute Dauerheilung“ zu berechnen versucht, die jetzt auf etwa 
15% angenommen wird. Durch den Schuchardt’ sehen paravagi¬ 
nalen Hilfsschnitt hat man ihre Dauerresultate noch weiter ver¬ 
bessern können. Als Indication gilt die Beschränkung des Carcinoms 
auf den Uterus; 6ie wird versagen, wenn der Krebs beiderseits in 
weiter Ausdehnung bis an die Beckenwand heranreicht und die 
Drüsen carcinomatös iufiltrirt sind. 

Die Exstirpatio uteri abdominalis, die eine hohe 
Mortalität aufweist und nicht mehr als die vaginale Operation 
nach SCHUCHMiDT leistet, wird nur daun gewählt werden, wenn es 
sich um eiuen durch das Carcinom selbst stark vergrößerten Uterus 
handelt, den man wegen der carcinomatösen und septischen Infec- 
tionsgefahr nicht zerstückeln will, oder wenn es sich um breite 
Fixationen des Corpus und um gleichzeitige größere Ovarial oder 
Tubentumoren handelt. 

Gegen die Operatio radicalis abdominalis, für die 
eine scharfe Indicationsstellung heute noch nicht möglich ist, hat 
man zunächst die hohe Mortalität (24 - 6%) eingewendet, die jedoch 
in der Hand einzelner Operateure (Rosthorn 6 %) bedeutend ge¬ 
fallen ist. Man hat sich ferner über die Frage, ob eine principielle 
Drüsenentfernung nothwendig ist, Doch nicht zu einigen vermocht, 
ebenso wie man die Möglichkeit einer Radicalheilung bei bereits 
erkrankten Drüsen trotz weitgehendster Operation geleugnet hat. 
Die schlechten primären Resultate dieser erweiterten Freuno 'sehen 
Operation haben Amann und Mackenrodt zu den extraperitonealen 
Methoden der Laparotomia transperitonealis, bezw. hypogastrica 
geführt, für deren Beurtheilung die vorliegenden Zahlen noch zu 
klein sind. 

Darum bleiben noch heute Frühdiagnose und Frühoperation 
die wichtigsten Hilfsmittel im Kampfe gegen das Carcinom. 

Fischer. 

P. Desfosses (Paris): Furunkelbehandlung. 

In den ersten Tagen kann man den Furunkel bisweilen rasch 
zum Verschwinden bringen. Bereits Boinkt empfahl zu dieser 
Abortivcur energisches Bestreichen des Furunkels mit Tinct. Jodi 
während einiger Secunden bis zu einer Minute, was am folgenden 
Tage zu wiederholen ist. Hat sich auf der Spitze des Furunkels 
bereits eine kleine Eiterraenge angesammelt, so ist diese vorher 
zu entleeren. Ebenso bewähren sich manchmal Gazecompressen ge¬ 
tränkt mit 90gradigem Alkohol („La Presse mödic.“, 1902, Nr. 55). 
Bleibt diese Cur ohne Erfolg, dann gilt die Behandlung zunächst 
der Beseitigung der quälenden Schmerzen. Dazu empfehlen sich 
Zerstäubungen von lauwarmem 2%igem Carbolwasser, täglich ins- 
gesammt 2 Stunden lang in 3—4 Sitzungen. Der Spray ist aus 
einer Entfernung von 30—40 Cm. auf den Furunkel zu richten, 
während die Haut außerhalb der Irritationszone durch eine un¬ 
durchlässige Bedeckung zu schützen ist. Günstig wirken auch, 
falls die Localisation des Furunkels diese Anwendung erlaubt, 
protrahirte laue Bäder; der Zusatz eines Antisepticums ist un- 
nöthig; ferner heiße Compressen mit 1 / 3 % 0 iger Sublimatlösung, 
bedeckt mit einem Impermeabile und Watte, 5 —6raal in 24 Stunden 
zu erneuern. Sehr praktisch sind die sogenannten künstlichen 
Kataplasmen, die mail, in die erforderliche Größe geschnitten, in 
heißem, eventuell mit einem Antisepticum beschickten Wasser oder 
in Alkohol sich vollsaugen läßt. — Ist der Furunkel reif, dann 
wirkt am raschesten die Schmerzen coupirend die tiefe Incision, 
die dem Thermocauter vorzuziehen ist, eventuell mit Kreuzschnitt. 
— Bei Sitz im Gesicht oder an der Oberlippe ist die Incision 


frühzeitig vorzunehmen, um eine Phlebitis mit ihren gefährlichen 
Folgen zu vermeiden. Ebenso ist jeder Furunkel gleich zu öffnen, 
wenn Zeichen von Lymphangitis in der Nähe auftreten. Zur All¬ 
gemeinbehandlung ist ein Abführmittel oft nützlich, nie schädlich. 
Hardy empfahl Theerpräparate, Alkalien und Arsenik, Gingeot 
die Schwefeltherapie, Le Gendre die Magendarraantiscpsis mittelst 
Naphtol B oder Bismuth. salicyl. Zuletzt empfahl Brocq die frische 
Bierhefe. Vom Bierbrauer geliefert, hat sie die Consistenz einer 
hellbraunen Creme, und ruhig stehen gelassen, sondert sie sich 
in drei Schichten. Diese sind durch Schütteln unter einander zu 
mischen; die Dosis beträgt dreimal vor dem Essen einen Kaffee¬ 
löffel in einem gewöhnlichen Trinkglas Brunnen- oder alkalischen 
Mineralwassers. Man kann auf 6 —10 Kaffeelöffel voll täglich 
steigen. Der Effect der Hefe ist curativ und prophylaktisch; 
manchmal versagt ihre Wirkung. Das von Coutubieux herge¬ 
stellte Extract, das rohe Levurin, ist in derselben Dosis (2 bis 
4 Kaffeelöffel voll täglich) zu nehmen. N. 

Kopfstein (Jungbunzlau): Operationen bei Krankheiten 
uropoetischer Organe durchgeführt in den Jahren 
1897—1901 in dem öffentl. Kaiser Franz Joseph- 
Spital in Jungbunzlau. 

Die geschilderte Casuistik enthält Fälle von Strictur der 
Harnröhre (15), Verletzung der Harnröhre (5), Resection des 
Samencanals (2), fremder Körper in der Harnröhre (2), Ruptur 
der Blase (l), Papillom der Blase (1), Blasenspalte (1), Blasen¬ 
steine (9), Paranephritis (3), Tuberculose der Niere (l) und Pyo- 
nephrose bei Nierensteinen (1). In Fällen von Stricturen wurde 
lOmal temporär dilatirt, 4mal die äußere Urethrotomie und lmal 
der Katheterismus post, durchgeführt. Die Verletzungen der Harn¬ 
röhre erheischten 2mal die äußere Urethrotomie, 3mal kam Verf. 
(„Casopis ces. 16k.“, 1902 , Nr. 20 — 25) mit der exspectativen 
Therapie und dem permanenten Katheterismus aus. Die Resection der 
Saraencanäle wurde bei der Hypertrophie der Prostata mit gutem 
Erfolge ausgeführt. Fremde Körper wurden aus der Blase entfernt, 
einmal durch Sectio alta, einmal mit Hilfe des Ramasseurs. Der 
Blasenriß war extraperitoneal und mit einem ausgedehnten Riß der 
Harnröhre combinirt; es wurde der Katheterismus post, gemacht 
und der Verletzte genas. Der Fall des Blasenpapilloms wurde durch 
den hohen Schnitt geheilt. Bei der Blasenspalte wurde die Opera¬ 
tion nach Maydl durchgeführt. Die Blasensteine wurden 7mal 
durch den hohen Blasenschnitt entfernt, einmal wurde der Stein 
aspirirt. Die Paranephritiden wurden 2mal mit dem lumbalen Schnitt 
behandelt, einmal bei einem Nierenriß wurde die anfangende Zer¬ 
setzung des paranephralen Hämatoms hintangehalten. Bei Tuber¬ 
culose der Niere wurde die Nephrotomie durchgeführt und die 
ealculose Pyonephrose durch Oeffnung des Sackes und Extraction der 
Steine durch transperitonealen Schnitt geheilt. Die Cystoskopie wurde 
in allen Blasenkrankheiten angewendet. Besonders hervorzuheben 
wäre der Fall von Blasenspalte. Es handelte sich nämlich um 
einen % Jahr alten Säugling; dies ist also der jüngste bisher 
nach der MAYDL’schen Methode operirte Fall , womit bewiesen 
wurde, daß diese Operation technisch auch in diesem Alter durch¬ 
führbar ist. Verf. modificirte die MAYDL’sche Methode ein wenig, indem 
er früher die Blase im ganzen Umfange stumpf vom Peritoneum 
löste und dann erst, nachdem ein elliptisches Stück der Blase aus¬ 
geschnitten und die Ureteren isolirt waren, das Bauchfell durch 
einen Querschnitt öffnete. Das hat den Vortheil, daß der Harn 
während der Operation nicht in die Bauchhöhle eindringen kann 
und daß dadurch zwei Peritoneallappen gewonnen werden, mit 
welchen die Oeffnung in die Peritonealhöhle größtentheils gedeckt 
wird. Aehnlich operirte um 2 Jahre später auch Pendl („Wr. klin. 
Wschr.“, 1900, Nr. 47). Stock. 


P. L. Boseluni (Bologna): Beitrag zum Studium des Gly¬ 
kogens in der Haut bei Hauterkrankungen. 

Das Glykogen findet sich in allen Geweben (Frerichs), und 
zwar sind diese reicher an Glykogen, sobald sie sich in einem Zu¬ 
stande physiologisch oder pathologisch erhöhter Thätigkeit befinden ; 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 50. 


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darum ist es reichlich im Fötalzustande in allen Geweben nach¬ 
weisbar ; sobald aber die in Bildung begriffenen Organe „erwachsen“ 
sind, gelit das Glykogen bis auf geringe Mengen zurfick und findet 
sich beim Erwachsenen nur mehr hauptsächlich in der Leber und 
in den Muskeln und pathologisch in Organen, die sich im Zustande 
der Ueberernährung befinden (Neoplasmen u. a.). 

Diese bereits bekannten Thatsachen bildeten den Ausgangs¬ 
punkt für die Untersuchungen des Autors, wie sich das Glykogen 
bei Hautkrankheiten verhalte („Archiv f. Dermat. u. Syph.“, 1902, 
Bd. 61). Als Untersiichungsmethode wurde diejenige gewählt, welche 
als sicherste für den Nachweis des Glykogens in den Zellen gilt, 
die mikrochemische Rcaction mittelst jodirten Gummis. Den Unter¬ 
suchungen an erkrankter Haut gingen solche an gesunder, ge¬ 
legentlich chirurgischer Eingriffe gewonnener voraus, ebenso Un¬ 
tersuchungen an der Haut von Leichen und von Thieren; sämmtliche 
Stücke erwiesen sich als glykogenfrei. Von krankhaften Processen 
kamen zur Untersuchung : Lupus vulgaris, hypertrophische 
Papeln, Gumma, Bo u bas, Ekzema intertriginosum, 
Ekzema universale rubrum, Pityriasis rubra, Herpes 
iris, Erythema multiforme papulatum. In allen Fällen 
konnte Glykogen nachgewiesen werden, in der Epidermis in ge¬ 
ringer Menge oder gar nicht, dagegen in der Regel reichlich und 
ziemlich constant in den Schweißdrüsen. Eine Gesetzmäßigkeit 
zwischen Erkrankung und Vorkommen des Glykogens in der 
Epidermis festzustellen, erscheint nach den Befunden unmöglich, 
da bei bezüglich Congestivzustandes, kleinzelliger Infiltration etc. 
ziemlich analogen Processen, wie Ekzema rubrum und Pityria¬ 
sis rubra, geradezu ein gegensätzliches Verhältniß herrschte, im 
ersten Falle Glykogen reichlich in der Epidermis vorhanden war, 
im zweiten daselbst fehlte. Das Vorkommen des Glykogens in 
den Schweißdrüsen möchte der Autor viel eher als eine specifische 
(jedenfalls aber krankhafte, Referent) Function des Organs auf¬ 
fassen , denn als Ausdruck einer allgemeinen Ernährungsstörung. 
Nichtsdestoweniger dürfte diese abnormale Bildung von Glykogen 
schon bei umschriebenen , sicherlich aber bei universellen Derma¬ 
tosen eine Rückwirkung auf den allgemeinen Ernährungszustand 
ausüben; allerdings fehlen in dieser Richtung wegen Mangels chemi¬ 
scher Stoffwechseluntersuchungen noch jederlei positive Anhalts¬ 
punkte. Deütsch. 

Sabolotnow (Kasan): Ein Fall von primärem Lungen- 
carcinom. 

S. berichtet über einen 63jährigen Pat. („Russki Wratsch“, 
1902, Nr. 33), bei dem zu Lebzeiten die Diagnose auf Carcinom 
des oberen linken Lungenlappens, Paralyse des Nervus recurrens 
und Arteriosklerose gestellt wurde. Section: Links diffuse, außer¬ 
ordentlich feste Verwachsung der Pleurablätter, welche bedeutend ver¬ 
dickt waren und das Aussehen von derbem fibrösem Gewebe hatten. 
Die Bronchialdrüsen vergrößert bis zur Größe eines großen Hühnerei¬ 
dotters. Linke Lunge wiegt 1290 Grm., ihr oberer und unterer 
Lappen überall gleichmäßig verdickt, auf dem Querschnitt von 
weißlich-grauer Farbe ; das Lungengewebe ist durch kleine, wei߬ 
liche, weiche Herde ersetzt, welche von einander durch fibröse 
Streifen getrennt sind; an vielen Stellen entleert sich aus den 
weißlichen Erweichungsherden bei Druck eine ziemlich reichliche 
Quantität dichter, weißlicher Flüssigkeit, welche an dichten Eiter 
erinnert. Unter dem Mikroskop fällt die reichliche Entwicke¬ 
lung von Bindegewebe auf. Die in demselben gelagerten Arterien 
und Venen sind in Bezug auf die Intima stark verändert. In¬ 
mitten des Bindegewebes befinden sich Höhlen von der Größe eines 
Lungenbläschens, die an der Peripherie mit runden Zellen infiltrirt 
sind, während in den Höhlen selbst cubische und cylindrische, be¬ 
ziehungsweise polygonale Zellen epitheloiden Charakters liegen; 
diese Zellen bilden eine Art papillärer Wucherungen, die in der 
Mitte eine bindegewebige Basis aufweisen. Der von den epitheloiden 
Wucherungen nicht eingenommene Theil der oben erwähnten Höhlen 
wird von runden, eiförmigen oder polygonalen Zellen eingenommen, 
welch’ letztere mit schwarzen Körnchen infiltrirt sind, ln den 
kleinen Höhlen zeigen die Zellen häufig cubische Form, seltener 
cylindrische, und sind gleichsam in Drüsengängen angeordnet, welche 


an mit Epithel ausgekleidete Canäle erinnern; bisweilen füllen diese 
Zellen die Lumina der Canäle ganz aus. Zwischen den Zellen sind 
Spuren von Zwischensubstanz nicht wahrzunehmen. An vielen Stellen 
zeigt die Geschwulst Erscheinungen von degenerativer Metamorphose. 
Auf Grund dieses histologischen Bündels diagnosticirte S. primäres 
Drüsencarcinom der linken Lunge mit metastatischer Affection der 
Bronchialdrüsen. Außerdem wurde gefunden: Eiterige Pericarditis, 
fibröse Myocarditis und amyloide Degeneration der Milz, Leber und 
der Nieren. S. nimmt als Ausgangspunkt der Carcinombildung das 
Epithel der Alveolen an. L—y. 

E. Saalfeld (Berlin): Ein Beitrag zur Behandlung der 
chronischen Gonorrhoe. 

Durch eine Kathetersonde will Verf. („Berliner klin.Wochen¬ 
schrift“, 1902, Nr. 14) die noch allgemein übliche Behandlung der 
chronischen Gonorrhoe mit Stricturenbildung mittelst Metallsonden 
und Instillationen mit GüYON’schera Katheter in einem Instrument 
vereinigen. Dieses Instrument soll besonders für den praktischen 
Arzt, der auf die Behandlung der chronischen Gonorrhoe nicht 
verzichten will, eine Vereinfachung seines urologischen Instrumen¬ 
tariums herbeiführen. Die Kathetersonde besteht aus einer Metall¬ 
sonde mit BßNiQUE’scher Krümmung, die in ihrem proximalen 
Theil solide ist, in dem größeren distalen Theil einen feinen Längs¬ 
canal zeigt; an der Grenze der beiden Theile finden sich vier 
feine Oeffnungen, die mit dem Längscanal in Verbindung stehen. 
Die Anwendung des Instrumentes versteht sich eigentlich von 
selbst. Die armirte ULTZMANN’sche Spritze wird auf das eine Eude 
der Kathetersonde aufgesetzt, der feine Canal mit der Flüssigkeit 
augefüllt und dann das Instrument eingeführt. Hat das Instrument 
längere Zeit als erweiternde Sonde gewirkt, so wird der Arznei¬ 
inhalt der Spritze durch Druck auf den Stempel und unter lang¬ 
samem Zurückziehen der Kathetersonde entleert. Die Vortheile der 
Vereinigung der Sonde und des Katheters in diesem Instrument 
sind die Vereinfachung der Manipulation der Sondirung und In¬ 
stillation , die Verminderung der Unannehmlichkeiten für den Pa¬ 
tienten und der Infectionsgefahr durch die nur einmal nothwen- 
dige Einführung. G. 


Neumann (Kiel): Virulente Diphtheriebacillen bei ein¬ 
facher Rhinitis. 

Verf. fand bei mehreren Fällen von Schnupfen in dem Nasen- 
secret echte virulente Diphtheriebacillen, die durch Cultur, Färbung 
und Thierversuch sichergestellt wurden; in keinem der Fälle fand 
sich in der Nase, im Rachen oder auf den Tonsillen eine Membran¬ 
bildung, weder vor, noch während oder nach dem Schnupfen. Mit¬ 
hin handelte es sich um Fälle echter Nasendiphtherie, die jedoch 
nicht unter dem Bilde der Rhinitis fibrinosa einhergegangen war. 
Verf. nimmt auf Grund seiner Beobachtungen an („Centralbl. f. 
Bakteriologie, Parasitenkunde u. Infectionskrankheiten“, Bd. 31, H. 2), 
daß die einfache Rhinitis mit virulenten Diphtheriebacillen zweifel¬ 
los häufiger ist, als allgemein angenommen wird. Diese Krankheit 
verlauft oft sehr milde, zuweilen ganz unbemerkt und im Gegensatz 
zur Rhinitis fibrinosa ohne Membranbildung. Da aber beide Er¬ 
krankungen eine gemeinsame Aetiologie haben, so sollte man besser 
von einer Nasendiphtherie mit und ohne Membranbildung sprechen. 
Verf. zieht ferner aus seinen Untersuchungen den Schluß, daß in 
zweifelhaften Schnupfenfällen das Nasensecret auf Diphtheriebacillen 
zu untersuchen ist, um gegebenenfalls sofort eine prophylaktische 
Seruminjection zu machen. In den meisten dieser Fälle finden sich 
gleichzeitig auch Pseudodiphtheriebacillen, die aber für den Verlauf 
der Affection gleichgiltig sind. Dr. S—. 


Schlagenhaufer (Wien): Osteomyelitis und Phlegmone, 
erzeugt durch den Bacillus pneumoniae (Fried¬ 
länder). 

Der FRiEDLÄNDER’sche Pneumoniebacillus wurde bereits wie¬ 
derholt als Erreger von Eiterungen in verschiedenen Organen nach¬ 
gewiesen. Schlagenhaufer berichtet nun („Centralbl. f. Bakterio- 


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logie, Parasitenkunde u. Infectionskrankbeiten“, Bd. 31, H. 3) über 
einen Fall von acuter Osteomyelitis des Femur mit Vereiterung des 
Kniegelenkes und ausgebreiteter eitriger Phlegmone, in welchem durch 
die bakteriologische und histologische Untersuchung ausschließlich 
der Bacillus Friedländer als Erreger nachgewiesen wurde. Die 
Osteomyelitis war durch eine makroskopisch sichtbare Gasbildung 
charakterisirt, die mit den biologischen Eigenschaften des Pneumo- 
bacillus in Einklang stand. Die Phlegmone unterscheidet Verf. durch 
die hochgradige Zerklüftung und Einschmelzung der Muskelsubstanz 
von Strepto- oder Staphylokokkenphlegmonen. Dr. S —. 

Nikolski: Ueber Pemphigus. 

Auf Grund seiner Untersuchungen gelangt N. zu folgenden 
Resultaten („Russki Wratsch“, 1902, Nr. 8 ): 

1. Von sämmtlichen Pemphigusformen zeichnen sich der 
Pemphigus vegetans und der Pemphigus folliaceus durch am meisten 
ausgesprochene charakteristische Merkmale aus. Die Isolirung des 
Pemphigus acutus als selbständige klinische Form stößt vom theoreti¬ 
schen Standpunkte aus auf keine ernsten Einwendungen. 

2. Die zur Aufkläruug der Pathogenese des Pemphigus vor¬ 
genommenen bakteriologischen Untersuchungen haben bis auf den 
heutigen Tag noch keine positiven Resultate geliefert. 

3. Die pathologisch-anatomischen Untersuchungen liefern ge¬ 
wissermaßen eine Bestätigung zu Gunsten der nervösen Theorie. 

__ L—y. 

Kleine Mittheilungen. 

— Zur Behandlung sogenannter inoperabler Gesichts- 
angiome liefert Welscher einen casuistischen Beitrag („Centralbl. 
f. Chir.“, 1902, Nr. 30). Es handelte sich um eine 20jährige 
Patientin, bei der sich von der 3. Lebenswoche an eine ent¬ 
stellende Geschwulst der ganzen linken Wange ausgebildet hatte. 
Auch Unterlippe und Zunge waren von elastischem Gefäßgewebe 
angefüllt, so daß die Zunge beim Sprechen unförmig anschwoll, 
die Lippe bis zum Kinn reichte. Auf Druck ließ sich die Ge¬ 
schwulst comprimiren, außer der Entstellung bestanden gar keine 
Beschwerden. Die Operation wurde in zwei Sitzungen ausgeführt. 
Bei der ersten wurde der Ueberschuß der Unterlippe durch eine 
keilförmige Excision entfernt. Bis daumendicke Venen mußten 
unterbunden werden. Häufig gelang die Unterbindung erst voll¬ 
kommen, wenn das Lumen durch seitliche Ligaturen verengt war. 
Während der ersten Tage traten recht bedrohliche Schwellungs¬ 
symptome auf, die jedoch allmälig wichen und einem überraschenden 
Erfolge Platz machten. Das erhaltene Resultat, namentlich den 
kosmetischen Effect, kennzeichnet das Wort der Pat., daß sie jetzt 
zum erstenmale in ihrem Leben im ganzen Gesicht erröthe. 

— Die Operation der Scrotalhernien bei Kindern erörtert 
ANSCHÜTZ („Beitr. zur klin. Chir. u , 1902, H. 2). Es ist bekannt, 
daß die Loslösung des Samenstranges aus dem Bruchsack bei 
Kindern große Schwierigkeiten bereiten kann und oft auf Kosten 
einer hochgradigen Quetschung der betheiligten Gewebe vor sich 
geht. A. hat daher eine neue Operation angegeben. Das Verfahren 
ahmt die WiNKELMANN’sehe Hydrokelenoperation nach, bei der 
der Hoden einfach umgekrempelt und die Tunica vaginalis mit der 
Schleimhaut nach außen vernäht wird. Die ANSCHÜTz’sche Operations¬ 
methode wird nun so geübt: Freilegung des Bruchsackes, Incision 
desselben, Reposition des Inhaltes, resp. Resection. Der Bruchsack¬ 
hals wird darauf durch eine innere Tabaksbeuteluaht geschlossen 
und der restirende Theil des Bruchsackes so behandelt, als ob es 
sich um die Winkelm ANN’sche Vernähung des Hydrokelensackes 
handelte. Es folgt die Czerny 'sehe Pfeilernaht oder die typische 
BASSiNi’sche Operation. Die Erfahrungen, die bisher mit dem ge¬ 
schilderten Verfahren gemacht wurden, waren sehr gute. 

— Zur Behandlung des Neugeborenen empfiehlt Riva-Rocci 
folgendes Verfahren („Gaz. med. ital.“, 1902, 30. Jan. — „Berl. 
klin. Wschr.“, 1902, Nr. 42). Einführen des kleinen Fingers in 
den Mund bis zum Larynx zur Entfernung von Schleim oder irgend 
welchen Fremdkörpers, Reinigung der Außenfläche der Augenlider 
mit einer Perchloridlösung (1 : 5000); mit einem zweiten sterilen 
Tampon schnelles Einträufeln von wenigen Tropfen der gleichen 


Lösung in den Conjunctivalsack und sorgfältiges Abtrocknen der 
äußeren Theile. Mit einem dritten Tampon Säuberung der Nase; 
die Gonokokkeninfection ist hier nicht ungewöhnlich und ist sehr 
schwer zu behandeln; die Nasendouche ist angerathen worden, 
hat aber ihre Gefahren; R. betrachtet die andere Methode als 
ausreichend. Das Bad soll aus reinem Wasser bestehen; Alkalien, 
Seife, Desinficientien zeizen alle die kindliche Haut; nur Unna’s 
überfettete Seife ist zulässig, das Bad soll eine Temperatur von 
35° haben, um keine Hauthyperämie und Erscheinungen seitens 
des Nervensystems zu erzeugen (nur bei asphyktischen Kindern 
ist ein heißeres Bad zulässig); es kann zur Reinigung 10 bis 
15 Minuten dauern. Abtrocknen des Kindes mit warmen, aber 
nicht zu heißen Tüchern, wie es oft fehlerhaft gemacht wird. 
Pudern des Kindes mit einem feinen absorbirenden, eventuell 
sterilen PuJer. Die ganze Oberfläche soll gleichmäßig gepudert 
werden, ohne den Puder an einer Stelle zu stark aufzutragen. 

— Ueber Pyramidon, besonders bei Asthma, berichtet 
Albrecht („Therapie d. Gegenwart“, 1902, Nr. 10). Eine Dosis 
Pyramidon (0'3) oder seiner Salze (0'5—0'9) während des Asthma¬ 
anfalles genommen, verkürzt denselben. Dieselben Dosen während 
mehrerer Tage 2—3mal täglich genommen, lassen die Asthma¬ 
anfälle mijder und kürzer werden , bewirken bisweilen auch Aus¬ 
setzen derselben während einiger Wochen. Bei Schlaflosigkeit 
bewirkt eine größere Dosis dieses Mittels, kurz vor dem zu Bette¬ 
gehen genommen, meist einen mehrstündigen festen Schlaf ohne 
üble Nachwirkungen. 

— Die Verabreichung des Ricinusöls wird nach N. v. Ob- 
rastzow („Klin. ther. Wschr.“, 1902, Nr. 40) wesentlich erleichtert 
durch Zusatz von Menthol und Jodtinctur. Diese Zusätze haben 
den Vortheil, daß sie den Geruch und den Geschmack des Ricinusöls 
decken und gleichzeitig eine antiseptische Wirkung auf den Darm 
ausüben. Man verordnet: 

Rp. 01. Ricini.30 0 

Menthol. 0'50 

Tinct. jod.gtt. X. 

S. 1 Eßlöffel voll zu nehmen. 

Die Mischung wird vor der Verabreichung im Wasserbade erwärmt, 
um sie flüssiger zu machen. Kinder über 2 Jahre vertragen diese 
Mischung ebenfalls ganz gut in folgendem Verhältnisse: 


Rp. 01. Ricini.10 0 

Menthol. O'Ol 

Tinct. jod.gtt. I. 


S. 1 Kaffeelöffel voll zu nehmen. 

— Die Stoll’SChen Kolapräparate aus der afrikanischen 
Kolanuß sind im Gegensatz zu vielen auf den Markt gebrachten 
wirkungs- und gehaltlosen Präparaten aus getrockneten Kolanüssen nur 
aus direct importirten frischen afrikanischen Kolanüssen erzeugt; sie 
enthalten einen sehr bedeutenden Extractgehalt aus diesen, namentlich 
an Kolaroth, in welchem das Kolanin, der kostbarste Stoff der 
Kolanuß, enthalten ist, welchem hauptsächlich die roborirenden und 
tonisirenden Wirkungen zugeschrieben werden, da das Coffein bloß 
eine anregende Wirkung ausübt und Kolanüsse nachweisbar selbst 
nach Ausscheidung des Coffeins ihre ausgezeichneten kräftigenden 
Eigenschaften behalten. Die granatrothe Naturfarbe der Kolapräpa¬ 
rate ist durch den bedeutenden Gehalt an Kolaroth aus frischen 
Kolanüssen bedingt. Nach den neuesten chemischen Untersuchungen 
enthält die Kolanuß 3'874°/ 0 Kolaroth, 3'202°/ 0 Coffein und 0 , 214°/ 0 
Theobromin. Es ist sichergestellt, daß der Stickstoffverbrauch im 
Körper durch die Kola herabgesetzt wird, ebenso der Verbrauch 
an Körpereiweiß, daher die Kola einen Einfluß im conservativen 
Sinne auf den Stoffwechsel ausübt. Subjectiv erzeugt die Kola das 
Gefühl des Wohlbehagens. Sie beeinflußt auch die Affectionen des 
Verdauungstractes und des Herzens günstig. Indicationen sind : 
Herzkrankheiten mit Circulationsstörungen, Cephalalgien, insbe¬ 
sondere Neurasthenie, Affectionen des Verdauungstractes mit Er¬ 
brechen und Diarrhöen, nervöse Dyspepsie, Anämie und Chlorose, 
schließlich Malariakachexie. 

— Für die Morphin-Scopolamin-Narkose tritt Korff ein 
(„Münch, med. Wschr.“, 1902, Nr. 27). Er rühmt als deren be¬ 
sondere Vorzüge, daß in nunmehr 130 Fällen niemals ungünstige 
Resultate zu verzeichnen gewesen seien, daß üble Nachwirkungen, 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 50. 


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die bei der Cbloroformnarkose oft uiekt mir äußerst lästig sind, 
sondern auch das Operationsresultat beeinträchtigen können (durch 
Schmerzen, Brechen, Würgen, Unruhe etc.) bewirkte Nachblutungen, 
Durchschneiden von Suturen etc.), vollkommen fehlen, daß vielmehr 
der Kranke nach der Operation sich einer wohlthuenden Ruhe 
erfreut und oft viele Stunden tief schläft. Da von anderer Seite 
infolge der bisher schwankenden Dosirung der Mittel unzulängliche 
Resultate erzielt wurden, so theilt Verf. die Ausführung der 
Methode noch einmal genau mit und fügt hinzu, daß bei Inne¬ 
haltung dieser Dosirung die nachträgliche Fortsetzung der Narkose 
mit Chloroform niemals mehr nöthig wurde. Die Methode ist 
folgende: 1 / i Stunde nach einem aus flüssiger Nahrung bestehenden 
Frühstück wird 4 Stunden vor der Operation 0*01 Mo. und 0*0012 
Scopolamin-hydrobrom. (Merck) injicirt; diese Injectionen werden 
nach 2 Stunden, also x / 2 Stunde vor der Operation , in gleicher 
Stärke wiederholt. Das Zurücksinken der Zunge ist zu verhüten. 
Bemerkenswerth ist die Euphorie der Operirten nach dem Er¬ 
wachen aus der Narkose. 

Literarische Anzeigen. 

Handbuch der Therapie innerer Krankheiten in 
sieben Bänden. Herausgegeben von Prof. Dr. F. Penzolüt 
und Prof. Dr. R. Stintzing. Dritte umgearbeitete Auflage. 
Dritter Band : „Erkrankungen der Athmungs- und Kreislaufs¬ 
organe.“ Mit 115 Abbildungen im Text. Jena 1902, Gustav 
Fischer. 

Der uns nunmehr vorliegende dritte Band des genannten 
großen Werkes, dessen hohe Vorzüge wir bereits wiederholt rühmend 
hervorgehoben haben, enthält die Behandlung der „Erkrankungen 
der Athmungsorgane und der Kreislaufsorgane“. Den allgemeinen 
Theil der Erkrankungen der Athmungsorgane hat in berufener 
Weise Th. v. Jürgensen bearbeitet, die Inhalations- und pneuma¬ 
tische Behandlung der nämlichen Erkrankungen der erfahrene 
Autor Adolf Schmjd in Reichenhall. — Den „Erkrankungen der 


Feuilleton. 

Langlebigkeit und Entartung 

Im „Forum“ erschien jüngst ein bemerken3werther Artikel 
von W. R. Thayler, in welchem dieser Autor seiner Meinung Aus¬ 
druck gibt, daß es Unsinn sei zu behaupten, wir stünden unter 
dem Zeichen der Entartung; das 19. Jahrhundert zeichne sich viel¬ 
mehr vor allen vorangegangeuen durch die Langlebigkeit der Men¬ 
schen aus, denn in den letzten hundert Jahren habe sich laut 
authentischer statistischer Daten das Leben der civilisirten Menschen 
von dem Durchschnittsalter 30 auf 40 Jahre verlängert. Die vor¬ 
herrschende Phrase, daß wir „zu rasch leben“, entbehrt also jeder 
Berechtigung. 

Die Langlebigkeit kann als Prüfstein des Nutzens der moder¬ 
nen Zustände gelten, unter ungünstigen Lebensbedingungen kann 
niemand alt werden. Es heißt allgemein, daß unter allen Genies die 
Dichter am frühesten sterben; ihre Feuerseele zehre den Körper 
auf. Thayler beweist mit trockenen Ziffern, daß diese These nicht 
stichhältig sei. Er führte 46 Dichter an, die ein Durchschnittsalter 
von 66 Jahren erreichten — darunter Shelley und Keats, die sehr 
früh starben. Landor und Manzoni waren 89, Whittier 85, Tenny- 
8 on 83, Wordsworth 80, Berenger und Browning 87 Jahre alt, als 
sie aus dem Leben schieden. Von den 46 Dichternamen, die er 
anführt, erreichten nur 7 nicht das Durchschnittsalter von 40 Jahren. 

Auch die Maler gehören zu einer Menschenclasse, der man 
ein leicht erregbares Temperament zuschreibt, was das Leben ab¬ 
kürzen soll, und doch starb unter 39 Malern, die der Verfasser au- 
führt, nur ein einziger unter 40 Jahren. Das Durchschnittsalter der 
anderen belief sich auf 66. Das höchste Alter erreichte Cornelius, 
er starb mit 89, nach ihm kommt Watts mit 80; der jüngste, 
Fortuny, starb mit 36 Jahren. Das Durchschnittsalter von 30 Mu- 


Nasen- und Rachenhöhle“ hat der leider zu früh verstorbene 
W. Kiesselbach seiue Feder geliehen, von Ph. Schech ist die in¬ 
terne Behandlung, von 0. v. Angeber die chirurgische Behandlung 
der Kehlkopfkrankheiten zusammengefaßt worden. Die „Behandlung 
der Luftröhren-Erkrankungen“ von Jürgensen, der „Lungenkrank¬ 
heiten“ von dem nämlichen Autor, der „Lungentuberculose“ von 
Penzoldt, die „chirurgische Behandlung der Erkrankungen der 
Lunge und der Bronchien“ von Sonnenburg, die „innere und die 
chirurgische Behandlung der Brust und Mittelfellerkrankungen“ 
von Stintzing und Schede sind Meisterwerke der Darstellung, 
die auf den neuesten Erfahrungen der speciellen Gebiete fußen. 
Everbosch und Burkner haben die „Therapie dor bei Erkran¬ 
kungen der Athmungsorgane vorkommenden Augen- und Ohren- 
affectionen“ beschrieben, In Abtheilung V „Behandlung der Er¬ 
krankungen der Kreislaufsorgane“ finden wir wie in der früheren 
Auflage die Namen J. v. Bauer, Ch. Bäumler und 0. Everbusch 
zum Vortheile der von diesen Autoren bearbeiteten Themen ver¬ 
treten. Br. 

Die Schönheit des weiblichen Körpers. Von Dr. C. H. 

Stratz. 13. Auflage. Stuttgart 1902, Ferdinand Enke. 

Den Müttern, Aerzten und Künstlern gewidmet, ist das nun¬ 
mehr bereits in 13. Auflage erschienene Werk von Stratz eine 
künstlerische Darbietung ersten Ranges. Immer weitere Kreise in- 
teressirend, hat es seit seinem ersten Erscheinen vor ungefähr 
vier Jahren an Umfang bedeutend zugenommen. Zumal die Künstler¬ 
schaft hat manch anmuthiges Bild zu den Illustrationen beigetragen, 
an deren Hand der Jünger der Kunst die Schönheit des weiblichen 
Körpers erkennen, die Schönheitslinien begreifen mag. Arzt, Anatom 
und Künstler werden an dem Buche von Stratz, das tiefen For¬ 
scherernst mit schwungvoller Darstellung, treffender Ausdrucks¬ 
weise und dem scharfen Blicke für das wahrhaft Schöne in sich 
vereinigt, in gleichem Maße Erbauung finden. Den Müttern aber 
sei es ein Maßstab, nach dem sie den Werth einer vernunftgemäßen 
und die schädlichen Folgen der unvernünftigen Kleidung beurtheilen 
lernen. G. 


sikern beträgt 62 Jahre, der älteste unter ihnen war Auber, der 
es auf 89 brachte, der jüngste Schubert, der schon mit 31 Jahren 
vom Tode hinweggeraff't wurde. Von den dreißig erreichten vier 
ein Alter von über 80, neun zwischen 70 und 80, sieben zwischen 
60 und 70, während nur vier unter 30 Jahren starben. 

Das Durchschnittsalter von 26 Novellisten beträgt 63, das 
von 40 anderen Schriftstellern 67 Jahre. 66 Geistliche — Erz¬ 
bischöfe, Bischöfe und Cardinäle, bei denen, man ein langes Leben 
voraussetzt, sind ausgeschlossen — haben ein Durchschnittsalter von 
66 Jahren erreicht; an der Spitze derselben steht der verstorbene 
Dr. Martineau mit der netten Jahreszahl von 94 und am Schluß 
Robertson, der mit 37 Jahren starb. 35 berühmte Frauen haben 
das nicht zu verachtende Durchschnittsalter von 69 Jahren zu ver¬ 
zeichnen — ein neuerlicher Beweis von der Zähigkeit und Ausdauer 
des Frauengeschlechtes, welcher das Sprichwort „Weiber und Katzen 
sind nicht umzubringen“ bekräftigt. Die Gründerin des ersten Lon¬ 
doner Frauenclubs, Mary Somerville, steht mit 92 Jahren an der 
Spitze der Frauenliste, Emilie Bronte am Schluß derselben — sie 
zählte kaum dreißig, als sie aus dem Leben schied. Von den 35 
berühmten Frauen, die unser Autor anführt, erreichten nur 
fünf nicht das Alter von 60 Jahren, nicht weniger als 18 über¬ 
schritten die Siebzig! 

Den Record der Langlebigkeit muß man unbedingt den Ge¬ 
schichtsschreibern zuerkennen. Thayler führt 38 mit einem Durch¬ 
schnittsalter von 73 Jahren an. Der Senior unter ihnen war Ranke 
mit seinen 91 Jahren, Buckle war genau um ein halbes Jahrhundert 
jünger als er das Zeitliche segnete. Nicht weniger als 14 unter 
diesen 38 Geschichtsschreibern wurden 80 Jahre alt. Das Durch¬ 
schnittsalter der Philosophen beträgt 65. Die Forscher und Erfinder 
kommen gleich nach den Geschichtsschreibern. Das Durchschnitts¬ 
alter der 58 berühmtesten Forscher aller Länder beläuft sich auf 
72 Jahre. 11 unter ihnen — als ältester Humboldt — starben über 
80 Jahre alt. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 50. 


2304 


In der Welt der Praktiker ist der Durchschnitt ein noch 
höherer. Das Durchschnittsalter eines Agitators beträgt 69 Jahre; 
es pendelt zwischen Kossut’s 92 und Lassalle’s 39. Generale und 
Admirale weisen in Amerika ein Durchschnittsalter von 66, in 
Europa von 71 Jahren auf. Der älteste Name auf der Liste ist der 
Radetzky’s mit 92, der jüngste der Skobeleff’s mit 39 Jahren. Die 
Präsidenten der Vereinigten Staaten erreichen das annehmbare Durch¬ 
schnittsalter von 67 Jahren, die britischen Premierminister das von 
77, die in der Oeffentlichkeit stehenden Briten überleben die Ame¬ 
rikaner derselben Lebensstellung um 6 Jahre. Das allgemeine Durch¬ 
schnittsalter von 112 europäischen und amerikanischen in der Oeffent¬ 
lichkeit stehenden Männern beläuft sich auf 71 Jahre. 

Thayler weist weiterhin nach, daß die Durchschnittslebens¬ 
dauer der angeführten Gruppen und Individuen 68 Jahre und 8 Mo¬ 
nate beträgt: 


46 Dichter .... 

Durchschnittsalter 66 Jahre 

39 Maler u. Bildhauer 

77 

66 

55 

30 Musiker 

77 

62 

55 

26 Belletristiker 

77 

63 

55 

40 Schriftsteller . . 

77 

67 

55 

22 Geistliche . . . 

77 

66 

55 

35 Frauen .... 

n 

69 

55 

18 Philosophen 

r ) 

65 

55 

38 Historiker . . 

77 

73 

55 

58 Forscheru. Erfinder 

77 

72 

55 

14 Agitatoren . 

77 

69 

55 

48 Generale u.Admirale 

77 

71 

55 

112 Staatsmänner . 

77 

71 

55 


ist gleich einer Durchschnittssumme von 68 Jahren und 8 Monaten. 

Es läßt sich einwenden, daß eine beträchtliche Anzahl dieser 
Persönlichkeiten schon im 18. Jahrhundert geboren und erzogen 
worden ist und starb, ehe die schädlichen Zustände des 19. Jahr¬ 
hunderts zur vollen Geltung kamen. Das ist wohl richtig, aber 
nach genauer Prüfung werden wir auch finden, daß die meisten 
der vorerwähnten Langlebigen ihre eigentliche Berühmtheit erst im 
Laufe des 19. Jahrhunderts erlangten. Man kann füglich 1820 als 
das Jahr bezeichnen, in welchem die allgemeine Aufnahme der 
Dampfkraft eine Revolution im Fabriks- und Verkehrswesen her¬ 
vorrief. Erst 1840 begannen die Eisenbahnen, Menschen und Waaren 
in größerem Umfange nach allen Weltrichtungen zu befördern. 1860 
kam der elektrische Telegraph erst zur allgemeinen Anwendung. 
Seit 1860 verdrängt eine große Erfindung die andere und die 
Menschheit ist in die Periode der Raschlebigkeit hereingedrängt 
worden. Wir können also dreist behaupten, daß die gegenwärtigen 
Zustände seit fast einem halben Jahrhundert bestehen und daß, 
wenn sie wirklich schädlich wären, ihre Wirkungen sich an jenen 
Männern hätten geltend machen müssen, die um das Jahr 1850 in 
ihrer Blüthe standen. 

Von dieser These ausgehend, erklärt Thayler, daß es heut¬ 
zutage keinerlei Degeneration gibt: „Die großen Uebel, die uns 
entgegentreten, sind: Armuth, ökonomische Ungleichheiten, Corrup- 
tion im öffentlichen Leben, Betrügereien im Handel, Spiel, Un¬ 
wissenheit, Vernachlässigung der Kinder, ihre unverantwortliche 
Ausnützung in den Fabriken, Pauperismus, Verbrechen und Sen¬ 
sationsjournalistik. Aber standen all diese Laster außer einigen 
wenigen nicht auch zur Zeit, da Elisabeth Königin und Borgia 
Papst war, in vollster Blüthe? Waren sie denn nicht vor dem gol¬ 
denen Zeitalter des Augustus schon alt? Damals herrschten auch 
noch andere Greuel, welche mittlerweile von den Culturvölkern aus¬ 
gerottet wurden, wie: religiöser Fanatismus, welcher gleichzeitig 
an hundert Stellen Feuer entzündete und es Jahrhunderte lang hell 
lodern ließ, blutdürstiger Aberglaube, dem neun Millionen 
Seelen zum Opfer fielen, Sclaverei, gewohnheitsmäßige Grausam¬ 
keit, gerichtliche Folterung und andere Brutalitäten, deren Namen 
wir gar nicht aussprechen können, Blutopfer, Dienstbarkeit der 
Frauen, durch Unwissenheit und Unvernunft veranlaßte Vernach¬ 
lässigung der Kinder, Krüppel und Irrer, Mißhandlung der Thiere 
u. s. w.“ 

Der Irrthum der Degenerationsprediger liegt in ihrer falschen 
Diagnose. Sie gehen darauf aus, aus der Liste der Genies die Ent¬ 


artung zu beweisen, indem sie jede Abweichung vom Normalmenschen 
als solche bezeichnen. 

Aber der Normalmenseh ist nur eine Abstraction, eine Figur 
von gewisser Höhe, gewissem Gewicht und gewissen Proportionen 
— sonst nichts. Der krankhafte Psychologe vergleicht diese Figur 
mit den Genies und findet, daß Darwin, der an Uebelkeiten litt, und 
Carlyle, der ein Dyspeptiker war, von dem Idealnormalmenschen 
abwichen, also degenerirt gewesen sein mußten. 

Aber wie sehr entstellen sie mit dieser These die Wahrheit! 
Diese bedeutenden Männer, wie alle anderen geistigen Coriphäen 
seit Urbeginn der Welt, waren nicht infolge ihrer Leiden bedeu¬ 
tend, sondern trotz derselben! Krankheiten gab es zu allen Zeiten 
und in allen Ländern, nur schenkt man ihnen heute, wo die so 
lange vernachlässigte Hygiene zum Schoßkind der Medicin gewor¬ 
den, mehr Beachtung. Die verminderte Sterblichkeitsziffer in den 
Großstädten beweist klar und deutlich, daß das so beliebt gewor¬ 
dene Schlagwort „Degeneration des Menschengeschlechts“ nur eine 
falsche Mär’ ist, der wir keinen Glauben schenken dürfen. „Auf 
zum Licht, zu immer größerer physischer und geistiger Vollendung!“ 
sei das Schlagwort des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Schwarzseher 
sollen uns nicht bange machen, sie sollen tauben Ohren predigen! 

B. K—r. 

Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Aus den Abteilungen 

der 

74. Versammlung deutscher Naturforscher und 

Aerzte. 

Karlsbad, 21.—27. September 1902. 

(Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) 

X. 

Abtheilung für Chirurgie. 

Brenner (Linz): Oie operative Behandlung des callösen Magen¬ 
geschwürs. 

Nach kurzer Betrachtung der Symptome und der Diagnose 
des callösen Magengeschwürs berichtet B. über 24 von ihm operirte 
Fälle und beleuchtet die Frage der Resectiou oder der Gastro¬ 
enterostomie , erwähnt einige Fälle aus der Literatur, in denen 
nach der Gastroenterostomie die Resection angeschlossen werden 
mußte, demonstrirt dann einige Präparate, deren eines eine zweite 
Verbindung zwischen Magen und Duodenum an der kleinen Cur- 
vatur aufweist, ein mit dem Duodenum verwachsenes und in dasselbe 
perforirtes Geschwür. 12 Fälle sind mit Resection behandelt worden, 
12 mit Gastroenterostomie. Von den resecirten sind 4 gestorben. 

1 Urämie, eine Peritonitis nach Lösung der Naht, 2 Inanitionen, 
eine durch Sanduhrmagenbildung mit undurchgängiger Verbindung, 
entstanden durch Längsnaht des Magens. Die Passagehemmung 
wurde auch nicht durch eine zweite Operation (Längsschnitt mit 
Quernaht) behoben. 

Discussion: 

Körte (Berlin) erwähnt einen Fall von wiederauftretender Pylorus¬ 
stenose durch Geschwür, nachdem schon früher ein Geschwür resecirt worden 
war. Die Resectbmsstelle war noch zu erkennen, das neue Geschwür fand sich 
daneben. Heilung durch Gastroenterostomie. In den Fällen, in denen man nicht 
entscheiden kann, ob Garcinom, ob Ulcus, soll man doch reseciren. K. macht 
die Gastroenterostomie nach v. Hackeb. 

Hofmeister (Tübingen) bemerkt zur Frage der Dauerheilung, daß die 
vor 7 Jahren von ihm operirte Patientin sich noch wohl befindet. In Bezug 
auf die Resection steht er ganz auf dem Standpunkte Körtb’s. 

t. Eiseisberg (Wien) berichtet über einen Fall, dem die Gastroentero¬ 
stomie nichts genützt hat, so daß er eine unilaterale Pyloru^ausschaltung hinzu¬ 
fügte und dabei sah, daß auch an der Cardia ein Geschwür saß, welches 
natürlich der Behandlung nicht zugänglich war, das aber (es sind jetzt 1 */ a Jahre 
her) scheinbar geheilt ist. 

Hoeftmann (Königsberg) : Ueber ein Verfahren zur Heilung 
tuberculöser Sehnenscheiden und Gelenke. 

Dasselbe besteht in energischer Massage mit einem Bleihammer. 
H. hat Fälle, die von anderer Seite ampntirt werden sollten, ge- 


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2305 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 50. 


2306 


heilt, gibt die Krankengeschichten derselben und demonstrirt Photo¬ 
graphien. Er empfiehlt dann noch die Jodinjectionsbehandlung 
der Ganglien, die er so ausführt, daß auf der einen Seite eine 
mit Jodtinctur gefüllte PRAVAZ’sche Spritze, auf der anderen eine 
stärkere Canüle eingestochen wird. Die PRAVAZ’sche Spritze wird 
nun in das Ganglion entleert, bis der Inhalt des Ganglions aus 
der anderen Canüle ausgeflossen und etwas Jodtinctur nachge¬ 
kommen ist. 

LÖWE (Berlin) demonstrirt ein Verfahren und Instru¬ 
mente zur Freilegung der Basis Cranii et cerebri 
von der Nase aus an Zeichnungen. 

Temporäre Resection der harten Gaumenplatte in toto, Aus¬ 
räumung des Naseninnern bis zur Unterfläche der Lamina cribrosa. 
Er hat dies Verfahren bisher lOmal ansgefUhrt. 

Graser (Erlangen); Ueber Anomalien der Mesenterien. 

Nach einigen einleitenden Bemerkungen über die Wichtigkeit 
der Kenntniß abnormer Lagerung der Eingeweide und Mesenterien 
in der Bauchhöhle auch für die praktische Chirurgie gibt G. zu¬ 
nächst einen Ueberblick über die verschiedenen Abweichungen der 
Form und der Befestigung der einzelnen Darmtheile, dabei beson¬ 
ders des Cöcums, des Colon transversum und der Flexura sigmoi- 
dea gedenkend, und weist auf die Erfolg versprechenden Versuche hin, 
auch für die Dünndarmsehlingen allmälig bestimmte Durchschnitts¬ 
normen festzustellen (Henke, Weinberg, Koch und namentlich 
P. Mall). Der complicirteste Punkt der Entwickelung liegt in der 
Gegend des Duodenums. 

Eine eigenartige Erfahrung, die G. bei einer Operation 
machte, ist ihm zur Veranlassung geworden, sich mit diesen Dingen 
eingehender zu beschäftigen. 

Bei einer Laparotomie, welche er unter Mitwirkung von 
Dr. de Quervain im Krankenhaus zu Löcle wegen diagnostisch 
unklarer, seit langer Zeit bestehender Magenbeschwerden bei einem 
58jährigen Manne vornahm, fand G. eine sehr starke Stenose des 
Pylorus, die, federkieldick, merkwürdigerweise keine weiteren Er¬ 
scheinungen als Magenschraerzen gemacht hatte. Keine Erweiterung, 
nur Hypertrophie der Musculatur. Pyloroplastik war bei def starken 
Verdickung unmöglich. Es sollte nun in der gewöhnlichen Weise 
nach Hervorziehung des Quercolons die erste Jejunumschlinge 
aufgesucht werden. Aber sie war trotz vollkommener Freilegung 
der Gegend an der normalen Stelle nicht zu finden. Nachdem die 
vorgezogenen Theile wieder in die Bauchhöhle zurückgebracht 
waren, zeigte es sich, daß das Quercolon nicht bis in die Leber¬ 
gegend herüberreichte, sondern schon in der Mittellinie nach unten 
abbog und in ein kurzes, vollkommen frei bewegliches Colon 
ascendens und Cöcnm überging. Das Duodenum lief nicht wie 
normal unter dem Colon transversum durch, sondern zog von der 
Pylorusgegend weg (wo pathologische Verwachsungen bestanden), 
entlang dem unterem Leberrande nach rechts unten, wo es in den 
Dünndarm überging. Das Duodenum war an der hinteren Bauch¬ 
wand nicht festgewachsen, hatte vielmehr ein Meso-Duodenum, das 
continuirlich in das Meso-Jejunum überging und nach abwärts zu 
immer länger wurde. Das Meso-Ileum ging unmittelbar in das 
Mesocöcum und Mesocolon ascendens über. Da das Jejunum sich 
vom Magen ganz weit entfernte, hätte eine GastrojejuDOstomie 
ziemlich große Complicationen gegeben, während der senkrecht 
neben dem Magen nach abwärts ziehende Theil des Duodenums 
unmittelbar zur Vornahme einer Anastomose zwischen Magen und 
Duodenum einlud, eine Operation, welche aus anderem Anlaß bei 
hochfixirtem Pylorus schon von Mikulicz (Henle) ausgeführt war. 

Es konnte zur Anastomose ein Theil des Duodenums gewählt 
werden, der fast unmittelbar unterhalb der Stenose saß, also noch • 
oberhalb der Papilla Vateri. Damit waren zugleich die einfachsten 
functionellen Verhältnisse gegeben, die einen Circulus vitiosus von 
vorneherein ausschlossen. Heilung und Genesung ist auch in voll¬ 
kommenster Weise eingetreten. 

Durch Alsberg in Hamburg erfuhr G. einen zweiten, ganz 
ähnlich gelagerten Fall, bei dem aber die Orientirung während der 
Operation nicht gelang und bei dem langen Suchen dieselbe sich 
wesentlich complicirte und in die Länge zog. Es wurde eine Gastro- 


enterostomia anterior ausgeführt; Pat. starb nach 14 Tagen. Bei 
der Section fand sich ein dem oben beschriebenen ganz ähnlicher 
Befund. Der Dünndarm lag fast ausschließlich auf der rechten Seite, 
der Dickdarm ganz links, Cöcum, Colon ascendens und transver¬ 
sum frei beweglich und in Bezug auf Mesenterium ohne scharfe 
Trennung vom Dünndarm. Ob auch in diesem Falle eine Gastro- 
duodenostomie bequem möglich gewesen wäre, ist nicht zu ent¬ 
scheiden. Sicher ist aber der Fall dazu angethan , die praktische 
Bedeutung derartiger Anomalien zu illustriren. 

Unter Darlegung der Eutwickelung der Bauchorgane nach 
den TOLDT’schen Untersuchungen, deren Verständniß durch die De¬ 
monstration großer Tafeln erleichtert wurde, bezeichnet G. den 
Zustand der beiden initgetheilten Fälle als ein Persistiren eines 
früheren Stadiums, welcher in Bezug auf die Anordnung, nicht aber 
die Entwickelung der Theile auf den Status zurückgeführt werden 
muß, wie wir ihn gegen Ende des zweiten Monats des fötalen 
Lebens vorfinden. Es ist sowohl die FixiruDg des Duodenums als 
auch die lleberdrehung und Fixirung des Dickdarms ausgeblieben, 
fast so , wie man den Zustand im „Nabelschleifenstadium“ findet, 
in welchem das hintere Mesogastrium continuirlich in Mesoileum 
und Mesocolon tibergeht. Ein solches Persistiren hat man wohl 
auch mit dem Namen eines „Mesenterium commune“ belegt, welche 
Bezeichnung aber auch dann noch gewählt wird, wenn nur Dünn¬ 
darm und Dickdarm an einer gemeinsamen Bauchfellduplicatur auf- 
gehängt sind. Illustrirt wird die Bedeutung dieses gemeinsamen 
Mesenteriums noch durch die Beobachtung von Achsendrehungen 
des Dünn- und Dickdarms im Zusammenhänge, wofür G. auch noch 
ein Beispiel anfülirt, das ihm aus der KoCHER’schen Klinik zur 
Verfügung gestellt war. 


Abtheilung für Kinderheilkunde . 

Salge: Ueber Agglutination bei Scharlach. 

S. berichtet Uber Versuche, die er zusammen mit Hasenknopf 
angestellt hat, in der Absicht festzustellen, ob sich specifische Be¬ 
ziehungen zwischen den bei Scharlach gefundenen Streptokokken 
und dem Serum von Scharlachkranken auffinden lassen, und zwar 
wurde das Phänomen der Agglutination für die Untersuchungen 
benutzt. Da die Streptokokken schon nach kurzem Wachsthum sich 
zusammenballen, so mußte eine besondere Methode angewandt 
werden, die es gestattet, die Streptokokken fein und gleichmäßig 
zu vertheilen. 

Dann wurde nach dem Vorgänge von Koch (bei Agglutina¬ 
tion von Tuberkelbacillen) so vorgegangen, daß die von der kalten 
Flüssigkeit getrennten Streptokokken mit einigen Tropfen von 
Vbo Natronlauge im Achatmörser 1 / i —’/ 2 Stunde lang verrieben wurden; 
die entstandene Emulsion wurde mit physiologischer Kochsalzlösung 
so stark verdünnt, daß eine opalescirende gleichmäßig leicht ge¬ 
trübte Flüssigkeit entstand. Setzt man zu dieser Flüssigkeit Serum 
eines scharlachkranken Kindes, und stellt es auf 24 Stunden in 
den Brutschrank bei 37°, so tritt bis zu einer Verdünnung von 
1:500 nach 24 Stunden deutliche Agglutination ein, d. h. die 
Flüssigkeit wird klar und es bildet sich ein krümeliger Boden¬ 
satz, der sich auch durch Schütteln nicht wieder gleichmäßig ver¬ 
theilen läßt. 

Diese Reaction tritt nicht ein mit Streptokokken anderer 
Provenienz, ebenso nicht mit normalem Serum. Es war dem Vortr. 
nicht möglich , bisher die Wirksamkeit der Sera solcher Kranken, 
die eine Streptokokkenaffection, wie Erysipel etc., hatten, auf 
Streptokokken zu prüfen, wodurch erst entschieden werden könnte, 
ob die beobachtete Reaction wirklich specifisch für Scharlach ist. 

Es geht aus diesen Untersuchungen hervor, daß zwischen 
den Streptokokken bei Scharlach und dem scharlachkranken Or¬ 
ganismus sich deutlich ausgeprägte biologische Beziehungen auf¬ 
finden lassen ; weitere Untersuchungen müssen lehren, wieweit diese 
Beziehungen als specifische gelten könnten. 


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2807 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 50. 


Gesellschaft für innere Medicin in Wien. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Med. Presse“.) 

Sitzung vom 4. December 1902. 

K. REITTER demonstrirt eine 37jähr. Frau mit einem Py-ra- 
midonexanthem. Pat. ist seit 3 Jahren hochgradig tubercnlös 
und bekam wiederholt wegen Fiebers Pyramidon. Nach dem Ein¬ 
nehmen desselben stellte sich jedesmal an der Streckeeite beider 
Vorderarme und am Handrücken ein Exanthem ein, welches aus 
zweihellerstückgroßen, rothen, über das Hautniveau erhabenen 
Flecken bestand, auf denen wiederum auf Druck schmerzhafte 
Knötchen saßen. Nach dem Abheilen der Flecke bleibt eine braune 
Pigmentirung zurück. Bei der histologischen Untersuchung ergibt 
sich kein Anhaltspunkt für eine tuberculöse Natur des Exanthems. 
Nach Antipyrin oder anderen Antipyreticis hat Pat. niemals ein 
Exanthem bekommen. 

Em. Pins hat lei einem 56jähr. Manne nach der Einnahme von 3 Grm. 
Diuretin das Auftreten eines universellen, heftig juckenden Erythems beob¬ 
achtet und fragt, ob dasselbe als medicamentöses Erythem aufzufassen wäre. 

M. Weinberger hat nach einem dem Diuretiu (Theobrominum natrio- 
salicyl.) verwandten Diureticum, dem Agurin (Theobrom, natrio-acet.), in zwei 
Fällen ein universelles Erythem beobachtet, welches nach dem Aussetzen des 
Mittels schwand. 

S. Federn bemerkt, daß derartige medicamenlöse Exantheme haupt¬ 
sächlich nach Mitteln auftreten, welche den Blutdruck erniedrigen. Bei der 
vorgestellten Pat. ist derselbe in der Radialis und Tibialis niedriger als in 
den anderen Körperarterien ; im Hautgebiete der beiden ersteren Gefäße findet 
sich das Exanlbem; vielleicht ließe sich hier an einen derartigen Zusammen¬ 
hang zwischen niedrigem Blutdruck und Exanthem denken. 

K. RkJBINGER stellt eine 40jähr. Frau mit Adipositas 
dolorosa vor. Bei der Pat. haben sieh seit der vor 2 Jahren 
eibgetretenen Klimax am Rücken, Abdomen und an den unteren 
Extremitäten beträchtliche Fettablagerungen ausgebildet, welche 
auf Druck äußerst 'Schmerzhaft sind; ebenso sind einige Nerven- 
stämme druckempfindlich. Außerdem klagt Pat. über paroxysmen- 
artig auftretendc Schmerzen im ganzen Körper, welche vom 
Hinterhaupte ansstrahlen, ferner über leichte Ermüdbarkeit und 
Obstipation. Die Kopfhaare sind der Frau vollständig ausgegangen, 
aber dann wieder nachgewachsen. Die Schilddrüse ist vorhanden. 
Bei Fällen dieser Krankheit finden sich meist noch vasomotorische, 
trophische und sensible Störungen; das Gesicht, die Hände und 
Füße bleiben stets von der Fettablagerung verschont. Therapeutisch 
ist die Verabreichung von Schilddrüse in Aussicht genommen. 

Arth. Weiß bemerkt, daß es sich um einen Fall von eckler Adipositas 
dolorosa und nicht um ein Zusammentreffen von Fettsucht mit Neuralgie 
handle; gegen letzteres spricht der Umstand, daß die Fettmasseu nicht überall 
in dem Bezirke der druckschmerzhaften Nerven liegen. 

Jul. Jttannaberg macht darauf aufmerksam, daß gewöhnliche Lipome 
schmerzhaft sein können. 

H. Nothnagel bemerkt, daß selbst ganz kleine Lipome außerordentlich 
schmerzhaft s^in können. 

Alfr. Fuchs weist darauf hin, daß in vielen Fällen von plötzlich ein¬ 
getretener schmerzhafter Fettentwickelung eine Erkrankung der Hypophysis 
gefunden wurde. 

K. Radinger erwidert, daß sich in dem vorgestellten Falle keine 
Symptome einer solchen Affection ergeben haben. 

■- 1 ARTH. BLEIER berichtet über einen Fall von epidemischer 
Dysenterie mit Bakterienbefund. Eine Frau erkrankte an 
typischer Dysenterie und starb nach 14 Tagen. Aus dem Darm¬ 
inhalt wurden bewegungslose Stäbchen gezüchtet, welche sich 
gegen Gramfärbung negativ verhielten, Milch nicht zur Gerinnung 
brachten, Zucker nicht vergohren und Gelatine nicht verflüssigten. 
Es sind dieselben Mikroorganismen, welche bereits Kruse bei der 
Dysenterie gefunden hat; die Identität wurde auch durch die 
Agglutination nachgewiesen. 

Rad. Kraus bemerkt, daß derartige Bakterienbefunde in Oesterreich vor 
kurzer Zeit von Mülleb (in Steiermark) und Regimentsarzt Dörr (im Brücker 
Lager un$ jn einer Kaserne Wiens) bei Typhusepidemien gemacht wurden. 

H. SCHLESINGER demonBtrirt ein anatomisches Präparat von 
Thromben bildnng im linkenVorhof nnd in den beiden 
Aa. fern oral es. Dasselbe wurde bei der Obdu.ction einer 52jährigen 
Frau gewonnen, welobe mit motorischer Aphasie und Mitralstenose 
ins Spital anfgenommen wurde; nach einiger Zeit stellte sich 
Gangrän beider Beine ein. Bei der Obduetion fand sich ein Er¬ 


2308 


weichungsherd in der Gegend des Spracheentrums, die oben ange¬ 
gebenen Thrombenbildungen, Mitralstenose und Blutleere der Lungen. 
Es handelte sich um marantische Thrombose. 


K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 12. December 1902. 

A. v. Mosetig-Moorhof: Krankendemomtration betreffend Kno¬ 
chenplomben. 

Vortr. stellt mehrere Kranke vor, bei welchen er cariöse 
und eitrige Knochenprocesse durch die Anwendung von Knochen¬ 
plomben geheilt hat. Durch das Plombiren pathologischer Knochen¬ 
höhlen werden todte Räume ausgeschaltet, der Krankheitsverlauf 
wird vereinfacht, die Eiterung beinahe ganz vermieden, die normale 
Form der Knochen erhalten und die Bildung adhärenter und einge- 
zogener Narben verhindert. Heilt die Operationswunde per primam, 
dann wird die Plombe von Granulationen resorbirt und durch neuge¬ 
bildeten Kuochen ersetzt; gelingt die exacte Vereinigung der 
Wunde nicht ganz, so wird unter geringer Eiterung ein Theil der 
Plombe abgestoßen und der Rest durch Kuochen ersetzt. Um Aus 
sicht auf Erfolg zu haben, muß man bei den Knochenplombirungen 
zwei Bedingungen erfüllen: Die Plombe und die Knochenhöhle 
müssen aseptisch sein. Letztere Bedingung wird durch Herstellung der 
Höhle im Gesunden erfüllt. Die Plorabenmasse besteht aus 60Theilen 
Jodoform, 40Theilen Spermacet und 40 Theilen Sesamöl, ihr Schmelz¬ 
punkt liegt zwischen 40—45°. Diese Mischung wird in einem asepti¬ 
schen Glaskolben im Wasserbade auf 100° erhitzt, eine Viertel¬ 
stunde auf dieser Temperatur erhalten und dann unter fortwähren¬ 
dem Umachütteln erkalten gelasseu. Die Plombirung wird an den Ex¬ 
tremitäten unter EsMARCH’scher Blutleere vorgenommen. Der Schnitt 
durch die Weichtheile wird so geführt, daß er den,,Knochen 
möglichst zugänglich, macht; das Periost wirJ abgehebelt, der 
kranke Knochenherd bis ins Gesunde hinein mit einem ge¬ 
eigneten Instrumente (Meißel, Circularsäge, Knochenschere, bei 
eburneirtem Knochen mittelst einer vom Vortr. construirten Fraise) 
bis ins Gesunde hinein entfernt. 

Die so entstandene Knochenhöhle wird mit einer l°/ 0 igen 
Formalinlösuug abgespült, dann durch Gaze und erhitzte Luft 
abgetrocknet, welche letztere Vortr. mittelst eines elektrisch heiz¬ 
baren Apparates erzeugt. Dann wird die Höhle mit der auf 50° 
erwärmten Plombenmasse langsam ausgefüllt, worauf dieselbe binnen 
einigen Minuten erstarrt. Schließlich werden die Weichtheile über 
dem Knochen vereinigt und ein Verband angelegt. Je nach der 
Größe der Knochenhöhle erfolgt der Ersatz der Plombe durch 
Knochen in verschiedener Zeit; der Kranke ist aber nach Heilung 
der Weichtheilwunde arbeitsfähig. Vortr. hat bereits circa 100 der¬ 
artige Operationen mit bestem Erfolge bei verschiedenen Knochen¬ 
processen ausgeführt. Unter den vorgestellten Kranken ist namentlich 
ein Fall bemerkenswerth, in welchem durch die Plombirung Caries 
beider Tarsi geheilt wurde, die sonst zur Amputation geführt hätte. 

Alex. Frankel bemerkt, daß er seit längerer Zeit zur Ausfüllung 
pathologischer Knochenhöhlen sterile Kieselguhr benütze, welche einheilt.- 
Voraussetzungen sind Operation im Gesunden, Asepsis und exacte Blutstillung. 

G. Holzknecht weist darauf hin, daß in einem der demonstrirten Fälle 
(Caries beider Tarsi) die Knochen in der Umgebung des erkrankten Herdes 
eine hochgradige Atrophie zeigen, wie sie sich auch an geringfügige Traumen 
anschließen kann. Meist wird eine solche Atrophie durch BiEa’sche Stauung 
günstig beeinflußt. 

L. Moszkowics : Ueber Paraffinprothesen, ihre Dauererfolge 
und ihre Technik. 

Die Indicationen zur Ausführung vou Paraffinprothesen sind : 
Sattelnase, Hemiatrophia faciei, narbige Einsenkungen verschiedener 
Art, z. B. nach Rippeuresectionen, Fisteln, Entropium, Ectropium, 
Trichiasis, Incontinentia urinae, mangelhafte Function der Rectal- 
sphincteren, Prolap 3 us ani der Kinder, Hernien bei Emphysematikern. 
Das Verfahren wurde auch bei Uranoplastik angewendet, um durch 
Bildung eines Paraffindepöts an der hinteren Racheawaud das 
Anlegen des zu kurzen Velums an dieselbe zu ermöglichen; bei. 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 50. 


2310‘ 


Rhinitis atrophica warde durch Injection von Vaselin unter die 
Nasenschleimhaut die Nasenhöhle verengt, worauf Krustenbildung 
und Fötor verschwanden, ln einem Falle hat Kofmann durch In¬ 
jection von 200 Ccm. Vaselin den Defect einer amputirten Mamraä 
gedeckt. Die Dauerresultate des Verfahrens sind sehr gut; in 
mehreren Fällen ist der Effect seit 2 1 / i Jahren unverändert geblieben. 
Das Paraffin wird sehr wenig resorbirt, da sich die Depots fast gar 
nicht verkleinern. Um dieselben tritt eine geringgradige reactive 
Entzündung auf, welche die Injectionsmasse fixirt. Im lockeren Ge¬ 
webe kann sie sich senken, weshalb derartige Depots in der ersten 
Zeit vor Druck und Muskelzug zu schützen sind. Die Abkapselung 
der Injectionsmasse erfolgt durchschnittlich nach 2 Wochen. Zu 
den Injectionen wird am besten das gewöhnliche weiße Vaselin 
verwendet, das man durch einfaches Aufkochen sterilisirt. Die In¬ 
jectionen von Paraffin erfordern große Schnelligkeit und hohe 
Temperaturen; wegen des ersteren Umstandes ist es viel schwerer, 
den Eintritt der Injectionsmasse in eine Vene zu verhüten. Vortr. 
räth, die Injectionen mit Vaselin allein vorzunehmen und das 
Paraffin höchstens zur Bildung suheutaner Prothesen bei Hernien 
in Anwendung zu ziehen. 

R. Gersony berichtet über einen Fall von operativer Aufrichtung der 
Nase nach Zerstörung des Gerüstes derselben im zweiten Lebensjahre. Vortr. 
hat in diesem Falle nach Vornahme der operativen Aulrichtung die Form der 
Nase durch Paraffininjectionen dauernd verbessert, wodurch ein etwaiger 
Schrumpt'ungsproceß, welcher der Rhinoplastik zu folgen pflegt, verhütet 
worden ist. 

A. Topolanski macht darauf aufmeiksam, daß man Fälle von Entro¬ 
pium , Ektropium und Tricbiasis durch Vaselininjection an geeigneter Stelle 
günstig beeinflussen kann. 

G. Kapsamer berichtet über seine Erfolge mit Vaselininjectionen bei 
Enuresis und Harnbeschwerden infolge Prostataatrophie. Ein Kranker, dem 
Vaselin in die Prostatagegend per rectum injicirt worden war, hat bei einer 
angestrengten Defäcation die Injectionsmasse durch die Urethra hinansgepreßt. 

J. Fein hat bei Ozaena keinen Erfolg von Vaselininjectionen gesehen, 
wohl aber einen schon 2 l / 2 Jahre anhaltenden Erfolg bei einer Sattelnase. 

Th. Escherich beantragt, die Umbilicalhernie Neugeborener eventuell 
mit Vaselininjectionen zu behandelu. 


Notizen. 


Wien, 13. December 1902. 

(Allgemeiue Aerzteversammlung.) Heute Abends 
findet die von der Wieuer Aerztekammer einberufene allgemeine 
Aerzteversammlung statt, in welcher der Obmann des Krankencassen- 
Comitös Dr. Adolf Klein über die Stellungnahme zum Hilfs- 
cassengesetze referiren wird. Die Versammlung wird bekanntlich 
zu dem vielventilirten Erlasse der n.-ö. Statthalterei an die Wieuer 
Kammer Stellung zu nehmen haben, der geeignet ist, die Autorität 
der Kammer dissentirenden Acrzten gegenüber vollends zu unter¬ 
graben und damit die Institution der Aerztekaramern überhaupt 
zu erschüttern. Es kann wohl kaum ein Zweifel darüber bestehen, 
daß die Versammlung ihr als Manifestation nach außen bin be¬ 
deutsames Votum im Sinne der Unterstützung der Kammer 
abgeben wird. Minder zuverlässig ist eine etwaige Vorhersage über 
die Stellung der Versammlung zur Frage, welche Consequenzen 
die Kammer aus der von der Statthalterei beliebten Haltung zu 
ziehen habe. Die ärztlichen Vereine Wiens plaidiren mit wenigen 
Ausnahmen dafür, die äußersten Consequenzen zu ziehen, und 
fordern im Falle der Aufhebung eines ehrenräthlichen Urtheiles 
gegen einen Arzt, der eine Stelle bei einer registrirten .Hilfscasse 
annimmt, von den Kammermitgliedern die Niederlegung ihrer 
Mandate. Einem Theile der Aerztescliaft erscheint diese Auffassung 
der Situation allzu weitgehend; er ist dafür, die Kammer durch eine 
energische Resolution der Zustimmung der Wähler zu ihrer bis¬ 
herigen Haltung in der Hilfscassenfrage zu versichern, erblickt 
aber keinen hinreichenden Anlaß zur Stellung der Cabinetsfrage. 
Wir haben unseren Standpunkt in dieser Angelegenheit zur Genüge 
präcisirt und geben heute nochmals der Erwartung Ausdruck, es 
werde die allgemeine Aerzteversammlung, unbeirrt durch die wohl 
überbrückbare Meinungsverschiedenheit über das von der Kammer 
zu erwartende Vorgehen, sich zu einer einmüthigen Manifestation 


der Aerztescliaft für das Festhalten an dem Principe des 
Boycotts der Ililfscassen gestalten. 

(Arzneitaxe für das Jahr 190 3.) Mit der Verordnung 
des Ministeriums des Innern vom 4. December 1902 ist für das 
kommende Jahr eine neue, mit 1. Januar 1903 in Wirkaamkeit 
tretende Arzneitaxe erlassen worden. Diese Arzuoitaxe unterscheidet 
sich im wesentlichen nicht viel von jenen vergangener Jahre. Die 
Commissionen nach den seit Jahren maßgebenden Grundsätzen vor- 
genommenen Preisberechnungen der Arzneiwaaren haben bei. 19 
Artikeln höhere, bei 39 niederere Preisansätze ergeben; in der 
Arbeitstaxe für Reccpturarbeiten ist eine einzige Höherbewerthung 
der pharmaceutischen Arbeit für Dispensation und Adjustirung ärzt¬ 
lich verschriebener Medicamente — mit ausdrücklicher Ausnahme 
jener auf Rechnung der Krankencasseu und öffentlichen Foqds — 
um 10 Heller erfolgt, ferner ist die F ü b r un g de s D i p h t he r i e- 
Ileilserums in allen Apotheken in Dosen zu 1000 Aufci- 
toxin-Einheiten obligatorisch geworden; es warde eine bindende 
Taxe für die einzelnen Sorten von Diphtherie-Heilserum aus dem 
staatlichen, seiotherapeutischen Institute verlautbart, wobei die bis- 
herigeu Preise um 25°/ 0 ermäßigt worden sind. 

(Gesellschaft für i n n e r e M e d i c i n i n W i e d.) In der 
am 4. December 1902 abgehaltenen Jahresschlußsitzung dieser Gesell¬ 
schaft wurden in den Ausschuß gewählt: Als Präses Hofr. Prof. Noth¬ 
nagel, als Vicepräsidenten die Hofräthe Professoren Neusser und 
v. Schroetter, als I. Secretär Prof. Dr. Herm. Schlesinger, als 
II. Secretär Prof. Dr. IIeinil Lorenz, als Cassenführer Dr. Herm. 
Tei.eky, als Schriftführer die Assistenten Dr. E. v. Czyhlarz, 
Dr. Wilh. Türk und Dr. M. Weinberger; in den Beijr^th wurde 
Prof. Dr. Escherich gewählt. — Ferner wurden gewählt: Zum 
Ehrenmitgliede Prof. Dr. Baccelli in Rom , zu corresponiJirenden 
Mitgliedern die Professoren DDr. Henschen (Upsala), Lepine 
(Lyon), Ledbe (Würzburg), Murrt (Bologna), Naünyn (Straßburg), 
und Pawlow (St. Petersburg). 

(Krankencassen-Apotheken.) Eine in principieller 
Hinsicht wichtige Entscheidung ist vor wenigen Tagen vom Ver- 
waltungsgerichtshofe gefällt worden: Die Arbeiter-Unfall Versiche¬ 
rungsanstalt für Steiermark und Kärnten hatte als Leiterin des 
Verbandes der Bezirkskraukencassen die Errichtung einer Apotheke 
mit dem Sitze in Graz angestrebt, war jedoch von der Statthaltern 
mit der Begründung abgewiesen worden, daß die Cassenverbände 
gesetzlich die Berechtigung zur Anlage nnd znm Betriebe einer 
Apotheke, nicht aber zur Errichtung einer solchen besitzen. Das 
Ministerium des Innern trat dieser Anschauung bei, der Verwal¬ 
tungsgerichtshof bat hingegen diese Entscheidung als unbegründet 
aufgehoben nnd erklärt, daß den Cassenverbänden im Sinne des Ge¬ 
setzes ein Recht zustehe, Apotheken für die Bezirkskrankencassen 
und mit Beschränkung auf diese Anstalten anzalegen und zu be 
treiben. 

(Personalien.) Die Sanitätsconcipisten im Ministerium des 
Innern Dr. Josef Kratochvill und Dr. Friedrich Siemann sind 
zu Bezirksärzten ernannt worden. 

(Ein A e rz tes t r ik e) ist — wie uns aus Lemberg be 1 - 
richtet wird — daselbst ausgebrochen. Die Aerzte des dortigen 
Landesspitales haben nämlich wegen Differenzen mit dom Director 
des Krankenhauses beschlossen, in den Ausstand zu treten. 

(Congreß für innere Me die in.) Das Geschäftscomite 
und der Ausschuß des „Congresses für innere Mediein“ haben ein¬ 
stimmig beschlossen, wegen des im April 1903 stattfindendep in¬ 
ternationalen Congresses in Madrid den nächsten Congreß um ein 
Jahr zu verschieben und erst im Frühjahr 1904 zu Lei p zi g 
abzuhalten. 

(Desinfection im Großen.) Anläßlich der Bekämpfung 
einer Typhusepidemie wurde in Lüdenscheid — wie uns gemeldet 
wird — eine Desinfection eines ganzen Wasserleitungsnetzes vor¬ 
genommen. Eines Tages wurden daselbst die Haupth&hne .geschlossen 
und durch Oeffnen der Hähne in den Wohnungen das Stadtnetz 
möglichst entleert, in das Hauptbassin 12 Ballons concentrirter 
Schwefelsäure von je 1 Centner Inhalt unter den nötbigen Vqr- ; 
sichtsmaßregeln gegeben und dadurch der gewünschte Schwefel-, 
Säuregehalt des Bassinwassers erreicht. Am Tage darauf wurden 


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2311 


1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 50. 


2312 


nach amtlicher Anweisung sämmtliche Hähne wieder geöffnet; 
der Erfolg der Procedur war eine bedeutende Klärung des 
Leit ungswassers. Durch bakteriologische Untersuchung wurde 
festgestellt, daß, während die Volumseinheit des Wassers vor der 
Reinigung 1480 Keime enthielt, die Keimzahl am Abend nach 
derselben nur noch 65 und nach zwei weiteren Tagen nur 45 
betrug. 

(Pu bl icis tisch es.) Als Herausgeber der „ViRCHOw’schen 
Jahresberichte über die Fortschritte und Leistungen der gesammten 
Medicin“ werdeii vom nächsten Jahre an die Professoren Waldeyer 
und Posner in Berlin zeichnen. 

(Der Tempel des Asklepios.) Wie der „Voss. Ztg.“ aus 
Athen gemeldet wird , ist während der Ausgrabungen auf der 
Insel Kos soeben der Tempel des Asklepios entdeckt worden. Der 
selbe hat eine Länge von 30 Meter und eine Breite von 17 Meter, 
ist aus einheimischem Marmor erbaut und zählt eine große Anzahl 
prächtiger Säulen. In den Tempel hinein war in späterer Zeit eine 
christliche Kirche gebaut, von welcher der Altar mit einem Kreuze 
darauf gefunden wurde. Endlich kamen sehr interessante Inschriften, 
sowie ein Bruchstück eines Marmorreliefs, die Hygieia mit einer 
großen Schlange, dem Symbol der medicinischen Wissenschaft, 
darstellend, zum Vorscheine. 

(Statistik.) Vom 80. November bis incl. 6. December 1902 wurden in 
den Civilspitälern Wiens 7382 Personen behandelt. Hievon wurden 1434 
entlassen; 191 sind gestorben (11*75% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 77, egypt. 
Augenentzündung 2, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 2, Dysen¬ 
terie —, Blattern —, Varicellen 117, Scharlach 37, Masern 282, Keuchhusten 73. 
Rothlauf 26, Wochenbettfieber 7, Rötheln—, Mumps 14, Influenza 1, follicul. 
Bindehaüt-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 687 Personen gestorben 
(-f- 66 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorbeu sind: Iu Baden bei Wien Doctor 
Josef Schwarz, ein vielbeschäftigter Arzt und angesehener College, 
im 57. Lebensjahre; in München der Assistent am hygienischen 
Institute Doc. Dr. Max Wilde im jugendlichen Alter von 32 Jahren; 
in Halle der Extraordinarius für Anatomie Dr. Ernst Mehnert 
im Alter von erst 38 Jahren ; in Eisenach der Professor der Gy¬ 
näkologie Dr. Ernst Friedrich v. Bidder im Alter von 63 Jahren ; 
in Paris Dr. Marvand, Inspector des Sanitätsdienstes der franzö¬ 
sischen Armee; in Pisa der Professor der chirurgischen Pathologie 
Dr. Paci. 


Dr. Karl Kraus, langjähriger Assistent des Prof. Dr. W. Winternitz in 
Kaltenleutgeben, hat sich als praktischer Arzt in Wien, I., Giselastraße 5, 
niedergelassen. 

Soole-Inhalationen mit und ohne ätherischem Fichtennadelöl stellt man 
sich außerhalb der betreffenden Curorte am besten her mit den betreffenden 
Pastillen von Dr. Sedlitzky in Hallein, welche in vielen Sanatorien (unter 
anderen auch in der Heilanstalt Alland) im Gebrauche sind. 


Wiener Medicinisches Doctoren-Collegium. 

Wissenschaftliche Versammlung. 

Montag den 15. December 1902, 7 Uhr Abends, im Sitzungssaale des Collegiums, 
I., Rothenthurmstraße 19. 

Vorsitz: Dr. E. Pins. 

Programm: 

Prof. S. Ehrmann : Die toxischen und autotoxischen Dermatosen. 

Oesterreichische Gesellschaft für Gesundheitspflege. 

Yoll -Versammlung Mittwoch den 17. December 1902, 7 Uhr Abends, 
im Sitzungssaale der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien, IX., Frankgasse 8. 

Tagesordnung: 

Discussion über den Vortrag des Prof. Dr. Arthur Schattenfroh: „Zur 
Schularztfrage.“ 

Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Lndwig Braun. 

Mit dieser Nummer versenden wir, für die Abonnenten 
der „Wiener Mediz. Presse“ als Beilage, das November- 
December-Heft der „Wiener Klin ik“. Dasselbe ent¬ 
hält: „Erkrankungen der Harn- und Geschlechtsorgane bei 
Kindern. I.“ Von Prof. Dr. Alois Monti (Wien). — Ferner liegt 
der gesammten Auflage ein Prospect der Farbwerke vorm. 
Meister Lucius & Brüning, Höchst a. M. über „Lactophenin- 
Höchst“ bei. Wir empfehlen denselben der geneigten Beach¬ 
tung unsrer Leser. 

Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h = 60 Pf. mit 
Postversendnng. Die Preise derEinbanddeoken sind folgende: für die „Med. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
„Therapie der Gegenwart“: JV1.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Postversendung. 

Die Rubrik: „Erledigungen , ärztliche Stellen** etc . 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 

MT Wir empfehlen diese Rubrik der speoiellen Beaohtung unserer 
geehrten Leser; in derselben werden öfters — neben der Publioation von 
Vakanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auoh für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein können, welobe an eine 
A enderung des Domicils oder ihrer Verhältnisse nicht gedacht haben. -3M 


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XLIII. Jahrgang. Wien, den 21. December 1902. 


Nr. 51. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart-Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik', letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsanfträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse" 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I., Deutschmeisterplatz 2. 


Wiener 


Abonnementupreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgem. 
Militäräiztlicner Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jährl. 
20/T, halbj. io A’, viertel]• 5 A". Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk-, halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 A"; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im Auslande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein 
Sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien, I., Maximilianstr. 4. 


Medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Redaction: Telephon Nr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

-.@§ 8 .- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban & Schwarzenberg in Wien. 


Administration: Telephon Nr. 9104. 


INHALI; Originalien und klinische Vorlesungen. 48 operativ behandelte Fälle gutartiger Gastrostenosen. Von Med. Dr. E. G. Johnson in Stockholm. — 
Neuere Beiträge zur Frage der Nährpräparate. Von Dr. Desidkk Levai, praktischer Arzt in Dunaföldvar. — Referate. Essf.r J. (Bonn): Ueber 
Pleuraergüsse bei Herzkranken. — v. Jaksch (Prag): Eine Bemerkung zu dem Aufsatz des Herrn Dr. S. Rubinstein: „Eine modiflcirte Methode 
des Schröpfen».“ — Hans Rüge (Berlin): Physiologisches über Muskelmas^age, nebst einigen therapeutischen Bemerkungen. — F. Jolly (Berlin): 
Flimmerskotom und Migräne. — Ludwig Schreiber (Königsberg i. P.): lieber multiple Divertikelbildung im Dickdarm. — A. Bayf,t (Brüssel): Deber 
neurotische Alopecic. — Aujeszky (Budapest): Ueber das Vorkommen der Tuberkelbacillen in der Budapester Marktbutter. — Voges (Buenos-Aires); 
Panopbthalmia bovis carcinomatosa. — Markl (Wien): Ueber die Bedeutung des DANvsz’schen Bacillus bei der Rattenvertilgung. — Kleine Mlt- 
theilangen. Spülung der Bauchhöhle bei acuter Peritonitis. — Das salzsaure Holocain. — Hygiene der Molkerei prodncte. — Ein ueues Harn- 
antisepticum. — Pyridin bei Keucbhusteu. — Para-Amidobenzoesäure-Ester als locales Anästheticum. — Literarische Anzeigen. Grundriß der 
Pharmakologie in Bezug auf Arzneimittellehre und Toxikologie. Von Prof. Dr. 0. Schmiedkberg. — Arbeiten aus der pathologisch-anatomischen 
Abtheilung des königl. hygienischen Institutes zu Posen. Herausgegeben von Prof. Dr. 0. Lubabsch. — Feuilleton. Die Stellungnahme der Wiener 
Aerzteschaft zu den registrirten Hilfscassen. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. (Orig.-Ber.) — 
Notizen. Die allgemeine Aerzteversammlung in Wien. — Nene Literatur. — Eingesendet. — Offene Correspondenz der Redaction and Admini¬ 
stration. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 

Hiezu eine Beilage: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung.“ 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse“ gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

48 operativ behandelte Fälle gutartiger 
Gastrostenosen. 

Von Med. Dr. E. G. Johnson in Stockholm. *) 

Die gutartige Stenose des Magens oder am Anfänge des 
Duodenums ist eine nicht ungewöhnliche Complication eines 
Ulcus ventriculi oder duodeni. Ich verfüge über 48 Fälle solcher 
benigner Stenosen, von denen 28 auf Weiber und 20 auf 
Männer entfallen; die meisten stammen aus meiner Privat¬ 
praxis, einige wenige Fälle aus dem Sabbatsbergs-Hospital. 
Der Uebersicht wegen habe ich gemeinsam mit Dr. W. Strido- 
berg diese Fälle in folgendem zusammengestellt und sie nach 
dem Zeitpunkt der Operation geordnet. Ich verzeichne nach¬ 
stehend das Alter des Patienten, in welchem die ersten Magen- 
symptome aufgetreten sind, nebst Angabe dieser Symptome, 
dann das Alter, in welchem sich die ersten Symptome des 
manifesten Ulcus gezeigt haben und die nähere Bezeichnung 
derselben. Hernach kommt das Alter des Patienten zur Zeit 
der Operation, der Name des Operateurs. Hierauf folgen der 
Operationsbefund und die Art der Operation, der Ausgang 
und sonstige Bemerkungen enthaltend die Angabe der einen 
Fall complieirenden Krankheiten seitens anderer Organe. 
Es war oft schwer, den Zeitpunkt des Beginnes der Krank¬ 
heit zu bestimmen, da die ersten Symptome undeutlich waren; 
ebenso schwer war es, den Zeitpunkt des Entstehens des 
Geschwüres festzustellen ; wir haben daher behufs Bestimmung 
dieser beiden Zeitpunkte unsere Aufmerksamkeit gelenkt auf 

*) Bemerkungen im Anschlüsse sn den von Prof. S. Henschen gehaltenen 
Vortrag über Magengeschwür („Wiener Mediz. Presse“, d. Jhrg., Nr. 46). — 
Aus dem Schwedischen übersetzt von Dr. Leo Klemperer in Karlsbad. 


das Auftreten von Druck und Schwere im Epigastrium, 
intensive Schmerzen meist nach der Nahrungsaufnahme und 
in manchen Fällen auf das Blutbrechen, eventuell die schwarzen 
Stuhlgänge. Die Patienten sind mit geringer Ausnahme gegen 
Druck im Epigastrium sehr empfindlich gewesen. 

Die ungefähre Zeit des Beginnes der Stenose war markirt 
durch intensive Schmerzen, massenhaftes Erbrechen stark 
saurer Massen. Durch Untersuchung mittelst Magensonde nach 
verschiedenen Probemahlzeiten sowohl als auch im nüchternen 
Zustande wurde zu dieser Zeit im Allgemeinen eine hoch¬ 
gradige Retention des Mageninhaltes, zumeist starke HC1- 
Reaction. oft mit Superacidität und Hypersecretion vereint, 
vorgefunden. Durch Aufblasen des Magens wurde eine Ver¬ 
größerung der Magenhöhle constatirt, womit auch peristaltische 
Unruhe deutlich in den Fällen verbunden war, wo dieselbe 
auch zu anderen Zeiten auftrat. Hie und da wurde im Epi¬ 
gastrium eine deutliche Resistenz wabrgenommen, zuweilen 
ein kleinerer Tumor (Fall 3, 5, 6, 26, 28, 45, 47). In einem 
Falle (18) konnte während des Lebens eine große Unregel¬ 
mäßigkeit der Magenfigur vermuthet werden, da, wenn der 
Magen allem Anscheine nach vollständig reingewaschen war, 
plötzlich bei fortgesetzter Spülung eine Menge Speisereste 
entleert wurden. In einem weiteren Fall (9) konnte das Be¬ 
stehen eines Sanduhrmagens vor der Operation demonstrirt 
werden mittelst Einblasung von Luft durch die eingeführte 
Sonde. Die Operationen wurden von den Professoren Berg 
und Akermann, den Doctoren Perman, Toel, Lange und 
Froste durchgeführt. Der Befund bei den Operationen ergab 
in den meisten Fällen eine Vergrößerung des Magens, öfters 
Hypertrophie der Magenwände, Perigastritiden, deutliche 
strahlige Geschwürsnarben am Pylorus, oder in der Nähe des¬ 
selben, ebenso Verhärtungen und Stränge in der Magen- oder 
Duodenalwand, welche den Pylorus oder den zunächst liegenden 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 51. 


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Theil des Antrum desselben oder den unmittelbar an den 
Pförtner anschließenden Theil des Duodenums verengt haben. 
Mehreremale ist es vorgekommen. daß der Pylorus und der 
zunächst liegende Theil des Duodenum oder Pylorus und der 
zunächst liegende Theil des Antrum desselben an die untere 
Leberfläche herabgezogen und befestigt waren, so daß der 
Durchgang vom Magen in den Darm im höchsten Grade be¬ 
hindert war. In einem Falle fand sich nebst einer mäßigen 
Pylorusstenose eine Reihe breiter Verwachsungen zwischen 
Colon transversum und dem vorderen Leberrande und die 
Retention des Mageninhaltes war vor der Operation eine 
bedeutende. Dieser Patient hatte nebst seinem Leiden im 
Magen wiederholt an Appendicitis gelitten, wodurch wahr¬ 
scheinlich diese Verwachsungen bedingt waren. 

Was die Operationsmethoden anlangt, waren dieselben 
in 3 Fällen pyloroplastisch, in den übrigen Fällen Gastro¬ 
enterostomie, entweder die vordere oder hintere, wozu noch 
in einem Fall eine Enteroanastomose oder Y-förmige Gastro¬ 
enterostomie hinzutrat. Der Sanduhrmagen zeigte bei der 
Operation in der Mitte des Magens eine Zusammenziehung 
des Magenlumens bis zu 3 Cm. Durchmesser; die Pylorus¬ 
stenose wurde mittelst Pyloroplastik behoben, während die 
Sanduhrform des Magens durch eine plastische Operation 
verbessert wurde. 

Was den Operationserfolg anlangt, so haben 40 der 
operirten Fälle, welche vorher vollständig abgemagert waren, 
ihre Kräfte und Gesundheit mehr oder weniger vollständig 
wiedererlangt, in 3 Fällen war der Erfolg ungenügend. In 
mehreren Fällen hat der Operationserfolg eine günstige 
Wirkung auf einen Theil complicirender Krankheitszustände 
ausgeübt, wie Phthisis pulm., Bronchiectasie u. s. w. 

5 Fälle verliefen tödtlich, 1 Fall wahrscheinlich durch 
Chloroformintoxication 6 Tage nach der Operation, 2 Fälle 
starben an allgemeiner Peritonitis, 1 Fall infolge einer be¬ 
grenzten Peritonitis mit Darmocclusion und 1 Fall infolge des 
Durchbruches eines Magengeschwüres. 

Die bis heute noch lebenden Patienten haben irgend¬ 
welche, durch die neue Verbindung zwischen Magen und 
Darm bedingte Störungen seitens des Darmes nicht bemerkt; 
die Gewichtszunahme war in den meisten Fällen eine be¬ 
deutende. 

Bei 7 Patienten, davon 5 Weiber und 2 Männer, wurde 
die Operation im 2. Lebensdecennium vorgenommen, bei 
17 Patienten (11 Weiber und 6 Männer) im 3., bei 13 Pat. 
(7 Weiber und 6 Männer) im 4., bei 6 Pat. — 1 Weib und 
5 Männer — im 5., bei 5 Pat. — 4 Weiber, 1 Mann — im 
6. Lebensdecennium. Der älteste Patient war bei der Ope¬ 
ration 67 Jahre alt. 

Die Zeitdauer vom Auftreten der ersten Magensymptome 
bis zum Tage der Operation wechselte zwischen 3—42 Jahren. 
Vom Auftreten des Ulcus bis zur Operation betrug die Zeitdauer 
einige Monate bis zu ebenfalls 42 Jahren. Bei Fall 5 stellte 
Dr. Malmberg 38 Jahre zuvor die Diagnose Ulcus, Professor 
AV ising 29 Jahre zuvor die Diagnose der Pylorusstenose, die 
Operation fand statt im 65. Lebensjahr des Patienten am 

3. Mai 1897. Im Jahre 1899, am 24. März, wurde eine Frau 
operirt im Alter von ebenfalls 65 Jahren (Fall 18), bei welcher 
Prof. Magx\üs Hiess 42 Jahre zuvor die Diagnose Ulcus ventr. 
gestellt hatte. 

Die Diagnose einer Gastro- oder Duodenalstenose ist 
mit Anwendung aller gegenwärtigen klinischen Untersuchungs¬ 
methoden nicht besonders schwer, aber man sollte diese Dia¬ 
gnose nicht stellen ohne wiederholte Untersuchungen mittelst 
Magensonde theils nach verschiedenen Mahlzeiten, theils im 
nüchternen Zustande. Wenn eine solche Stenose vorliegt, 
dann dürfte in den meisten Fällen die gelungene Operation die 
volle Gesundheit wieder hersteilen. Mit Fug und Recht muß 
man jedoch daran denken, daß das Entstehen einer Gastro- 
oder Duodenal Stenose im bedeutenden Maße verhindert werden 
könnte durch eine zielbewußte Behandlung des einfachen 


Magen- oder Duodenalgeschwüres, dessen Diagnose bei Be¬ 
achtung aller begleitenden Umstände relativ leicht erscheint. 
Die Art und Weise dieser Therapie ist heute mehr als je 
Gemeingut sämmtlicher Aerzte geworden, ebenso wie Ver¬ 
besserungen in der Behandlung des Ulcus, welche wir den 
bedeutendsten Klinikern unserer Zeit zu verdanken haben, 
als Leube, Riegel, Ewald und Boas. Am ehesten durchzu¬ 
führen und zu empfehlen ist die Durchführung der Ulcuscur 
in einer Krankenanstalt, aber sie kann auch in einem nicht 
gar zu armen Haushalt vorgenommen werden. Die Zeitdauer 
ihrer Durchführung soll nicht zu knapp bemessen werden, 
nicht weniger als 3—4 Wochen, worauf der Patient noch 
unter ärztlicher Aufsicht bleiben muß, so lange als dies 
möglich erscheint, denn es ist sichergestellt, daß bis zur 
Heilung eines Ulcus oft nicht ein, sondern mehrere Jahre 
vergehen. 

I. W eibliche Fälle. 

1. Anna S., unverh., aus Hoilsingland, mit 20 Jahren Schmerzen, 
saueres Aufstoßen, mit 34 Jahren überaus heftige Schmerzen im 
Epigastrium, mit 35 Jahren Erbrechen großer Mengen Flüssigkeit, 
Abmagerung, Magenerweiterung, beträchtliche Retention der Ingesta. 
1. Operation im 36. Jahre am 9. Mai 1895; Narbenmassen an der 
hinteren Magenwand, Pylorusstenose. Gastroenterostomie. 4 Monate 
darauf wiederum Schmerzen, Abmagerung. 2. Operation mit 39 Jahren 
am 23. Januar 1898. Narbenmassen mit Adhärenzen, Genesung bis 
zum Juli 1901. 3. Operation mit 42 Jahren am 9. Juli 1901. Peri¬ 
gastritis adhaesiva. Bei der 2. Operation wurde die Gastroentero¬ 
stomie, bei der 3. Operation Gastroenteroanastomose durchgeführt, 
beidemal von Prof. Berg. Die erste Operation vollzog Dr. Lind¬ 
ström. Die Patientin starb 12 Tage nach der 3. Operation am 
23. Juli 1901 infolge der Perforation eines Ulcus ventr. Die Section 
ergab mehrere Magengeschwüre verschiedenen Alters. 

2. Karin F., verh., Stockholm; mit 32 Jahren Schmerzen und 
Erbrechen, mit 36 Jahren intensive Schmerzen, Hyperacidität; mit 
43 Jahren Massenerbrechen, Schmerzen, Magenerweiterung mit 
Retention. Operation mit 44 Jahren am 4. März 1896 (Prof. Berg 
Gastroenterostomie). Genesung. 

3. Sofia J., unverh., Borgholm, mit 24 Jahren Schmerzen 
mit Erbrechen, mit 25 Jahren Bluterbrechen, mit 38 Jahren 2 Monate 
vor der Operation Schmerzen, Abmagerung, Tumor in der Pylorus- 
gegend. Magen von normaler Größe, bedeutende Retention, schwache 
HCl-Reaetion. Operation am 6. April 1897, Dr. Permann. Tumor in 
der Gegend des Pylorus, letzterer stenosirt — Gastroenterostomie, 
Heilung —, der Tumor verschwand im Laufe des folgenden Jahres. 

4. Lina L., mit 49 Jahren Schmerzen, unbedeutendes Er¬ 
brechen, mit 63 Jahren intensive Schmerzen, häufiges Erbrechen, 
später copiöses Erbrechen, Dilat. ventr., sehr bedeutende Retention 
der Ingesta. Operation mit 64 Jahren am 14. April 1897, Prof. 
Berg. Bedeutende Narbenstenose des Pylorus. Gastroenterostomie. 
Heilung. 

5. Hilma Karin B., unverh., Stockholm, mit 26 Jahren Ueblich- 
keit, mit 27 Jahren bedeutende Schmerzen , Bluterbrechen, mit 
37 Jahren heftiges Erbrechen blutigen Inhaltes; gelinde Gastroptose, 
Tumor im Epigastrium, Dilat. ventric. mit bedeutender Retention. 
Operation im 65. Jahre am 3. Mai 1897 (Prof. Berg), Verwach¬ 
sungen zwischen der Magen- und Bauchwandung. Tumor in der 
Gegend des Pylorus, Stenose des letzteren — Gastroenterostomie — 
Heilung. — Bronchiektasien der linken Lunge. 

6. E. H., verh., Djurö, im 28. Jahre, vorübergehende unbe¬ 
stimmte Beschwerden seitens des Magens, mit 32 Jahren große 
Beschwerden, Schwere und Druckempfindlichkeit im Epigastrium, 
mit 34 Jahren Schmerzen, Abmagerung, Tumor im Epigastrium, 
Dilat. ventr. Reichlicher Mageninhalt, Anacidität. Operation im 
selben Jahre am 13. Juni 1897, Prof. Berg. Tumor in der Pylorus- 
gegend — Resectio pylori — Heilung. Der Tumor erweist sich 
bei der mikroskopischen Untersuchung als nicht canceröser, nur 
chronisch entzündlicher Natur. 

7. Lotten J., mit 17 Jahren Schmerzen, Sodbrennen, saures 
Aufstoßen, mit 32 Jahren heftige Schmerzanfälle mit Erbrechen, 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 51. 


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mit 44 Jahren Schmerzen, Dilat. ventr. mit bedeutender Retention, 
verstärkter Motns peristalticus, Hyperacidität. Operation mit 53 Jahren 
am 16. November 1897 (Dr- Permann), Verwachsungen der vorderen 
Magenwand, den Pylorus abknickend, Gastroenterostomie. Genesung. 
Myom des Uterus, welches sich in den letzten Jahren bedeutend 
verkleinert hat. 

8. Jenny S., verh., Stockholm, mit 13 Jahren Schmerzen, 
saures Aufstoßen, Sodbrennen, mit 16 Jahren heftige Beschwerden, 
Erbrechen, Empfindlichkeit im Epigastrium, mit 33 Jahren Er¬ 
brechen, starker Motus peristalt. Dilat. ventr., bedeutende Retention. 
Operation im selben Jahre am 20. November 1897, Prof. Berg. 
Auf der vorderen Seite des Pylorus eine eingezogene strahlige 
Narbe. Gastroenterostomie. Genesung. 

9. Agnes Z., unverli., Stockholm, mit 20 Jahren Sodbrennen, 
Aufstoßen sauren Wassers und Gase, mit 26 Jahren intensive Be¬ 
schwerden und Empfindlichkeit, mit 29 Jahren Schmerzen, Erbrechen, 
Abmagerung, Sanduhrmagen, Dilat. ventr., Retention. Operation im 
selben Jahre 2. Februar 1898 , der Pylorus durch Narbenraassen 
verengt, Sanduhrmagen. — Pylorusplastik und plastische Operation 
der Magenverengerung. — Genesung. 

10. Karin A., unverh., Södertelje, mit 57 Jahren Schmerzen, 
Erbrechen, mit 67 Jahren Schmerzen, Empfindlichkeit im Epigastrium, 
Erbrechen, im selben Jahr massenhaftes Erbrechen, Abmagerung, 
vermehrter Motus peristalt. Retention im erweiterten Magen. Ope¬ 
ration am 15. Februar 1898 von Prof. Berg. Sehnige Verhärtungen, 
den Pylorus einschließend. Hühnereigroßor Tumor in der Nähe 
des Pylorus mit einer centralen, kraterförmigen Vertiefung. Gastro¬ 
enterostomie. Heilung. 

11. Elisabeth L., unverh., Dannemora, mit 37 Jahren unbe¬ 
stimmte, bald vorübergehende Beschwerden seitens des Magens; 
mit 41 Jahren heftige, besonders am Abend auftretende Schmerzen 
in der Magengegend, 2 Jahre darauf Massenerbrechen und Ab¬ 
magerung, vermehrter Mot. peristalticus mit Retention der Ingesta. 
Operation 3 Monate danach am 5. Mai 1898, Dr. Permann. Narbiger 
Tumor im Duodenum, Verwachsung des Magens mit der Leber und 
Gallenblase — Gastroenterostomie — Tod am 5. Mai vermuthlich 
unter der Chloroformnachwirkung. 

12. Hulda N., verh., Gotland, mit 17 Jahren Schmerzen, 
Erbrechen, welches später blutig wurde; mit 29 Jahren Massen¬ 
erbrechen mit verstärkter peristaltischer Bewegung; Magen erweitert 
mit beträchtlicher Retention. Operation im selben Jahre am 2. Juni 
1898, Prof. Berg. Verdickter Pylorus; in der Nähe desselben Ein¬ 
schnürung der großen Curvatur durch Verwachsungen, Stenose. 
Gastroenterostomie. Heilung. 

13. Alma J., unverh., Stockholm, mit 15 Jahren Aufstoßen 
und saures Erbrechen, mit 22 Jahren heftiges Bluterbrechen und 
Gastralgien; im 26. und 27. Jahre Wiederholung derselben, hernach 
wiederholtes Erbrechen, Retention und Dilat. ventriculi, hernach 
am 17. September 1898 l. Operation; Adhärenzen zwischen Magen 
und Leber, den Pylorus stenosirend. Lösung der Verwachsungen 
bringt keine Besserung, hernach wird mit 30 Jahren am 23. Januar 
1901 die 2. Operation von Prof. Berg vorgenommen, wobei der 
Pylorus gegen die Leber verzogen, der Magen durch breite Ab¬ 
schnürungen in Sanduhrform erscheint. Gastroenterostomie bringt 
relative Heilung der Patientin, bei welcher rasches Rasseln in der 
rechten Lungenspitze constatirt wird. 

14. Fredr. P., Witwe, Stockholm; mit 30 Jahren Schmerzen, 
Erbrechen, mit 32 Jahren Bluterbrechen, Empfindlichkeit des Epi¬ 
gastrium, Schmerzen; ein Jahr darauf Dilatatio ventriculi mit Hyper¬ 
acidität und Hypersecretion, Retention. Operation 14 Jahre später 
am 30. Januar 1899 von Prof. Akermann; in der Curvatura minor 
am Pylorustheil eine Narbenmasse mit centraler kraterförmiger 
Vertiefung. Gastroenterostomie bringt Heilung. 

15. Thekla L, unverh., Stockholm; mit 30 Jahren Schmerzen 
und Erbrechen, 2 Jahre darauf Hämatemesis, 1 Jahr darauf Dilat. 
ventriculi, Hyperacidität und Retention. 1. Operation im selben 
Jahre am 23. Februar 1899 von Dr. Froste, 2. Operation am 
30. April 1899 von Dr. Permann. Verdickter Pylorus mit uarbiger 
Stenose desselben. Gastroenterostomie mit complicirtera Verlauf. 
Unvollständige Besserung. 


16. Lovisa Oe., verh., Stockholm; mit 41 Jahren Beschwerden 
in der Magengrube, Erbrechen, 1 Jahr danach heftiges Erbrechen, 
Schmerzen im Epigastrium, später Massenerbrechen mit den Zeichen 
einer Dilatation mit mäßiger Retention. Operation 3 Jahre später, 
am 6. März 1899, Dr. Permann. Am Pylorus zwei stenosirende 
Narben; in der Narbe ein walnußgroßer narbiger Tumor. Gastro¬ 
enterostomie. Heilung. 

17. Ruth B., unverh., Stockholm, mit 16 Jahren empfindlicher 
Magen, mit 22 Jahren Schmerzen, Erbrechen (Blut?), Mattigkeit, 
mit 29 Jahren heftige Schmerzen, Retention im dilatirten Magen, eine 
Ulcuscur bringt keine Verbesserung. Operation mit 31 Jahren am 
17. März 1899, Prof. Berg. Strahlige Narbe; die Vorderwand des 
Magens am Pylorus verdickt, Pylorus selbst ringförmig verdickt 
und hart. Gastroenterostomie, nach welcher jedoch Erbrechen 
gallengefärbten Mageninhaltes andauert. 

18. Georgine A., Witwe, Stockholm, mit 21 Jahren aus¬ 
strahlende Schmerzen und Erbrechen; mit 52, 53 und 54 Jahren 
Bluterbrechen, mit 55 Jahren Schmerzen, Gasbildung, aus dem 
reingespülten Magen kommen wiederum Speisereste. Operation im 
65. Jahre am 24. März 1899, Prof. Berg. Narbige Verziehung und 
Verwachsungen, den Magen in der Nähe des Pylorus stenosirend. 
Pylorus in einer Narbenmasse eingebettet, Anzeichen eines Sanduhr¬ 
magens, Gastroenterostomie. Heilung. 

19. Afhild B., verh., Skelefftea, mit 13 Jahren Sodbrennen 
und mäßige Schmerzen im Epigastrium, mit 20 J'ahren heftige 
Schmerzen und saures Erbrechen, mit 22 Jahren Massenerbrechen, 
schmerzhaftes Spannungsgefühl , Retention, Dilat. ventriculi, ver¬ 
minderte Urinmengen. Operation mit 30 Jahren am 25. Mai 1899, 
Prof. Akermann. Der Pylorus in Narbenmassen eingebettet, nebst 
einem Theile des Duodenum verzogen; strahlige Narbe an der 
vorderen Seite des Antr. pylori. Gastroenterostomie. Heilung. 

20. Math. G., unverh., Norrköping; mit 19 Jahren Sodbrennen, 
mit 33 Jahren Schmerzen, saueres Aufstoßen, Abmagerung, ein 
Jahr darauf ausstrahlende Schmerzen und saueres Erbrechen; Ope¬ 
ration im selben Jahre am 2. August 1899, Prof. Akermann. Das 
kleine Netz ist in der Ausdehnung von 5‘5 Cm. mit der Vorder¬ 
seite des Magens fest verwachsen, dazu gehörend eine breite strahligo 
Narbe. Der Pylorus mit der Leber adhärent. Gastroenterostomie. Tod. 

21. Hulda A., unverh., Aland, mit 12 Jahren Schmerzen und 
Erbrechen, mit 24 Jahren war eine Dilatation des Magens mit 
Retention wahrnehmbar. Operation im selben Jahre am 12. August 
1899, Dr. Permann. Perigastritis, die kleine Curvatur und der 
Pylorus mit der unteren Leberfläche fest verwachsen. Gastroentero¬ 
stomie. Heilung. 

22. Laura S., unverh., Filipstad, mit 20 Jahren Brennen in 
der Magengrube, saueres Aufstoßen; mit 24 Jahren Magen ballon¬ 
förmig aufgetrieben, Erbrechen , mit 30 Jahren Ulcuscur, 3 Jahre 
darauf Dilat. ventriculi. Operation am 8. Januar 1900, Dr. Permann. 
Am Pylorus eine strahlige Narbe, bedeutende Infiltration und 
Stenose desselben. Gastroenterostomie. Heilung. 

23. Hedwig M. verh., Göteborg, mit 29 Jahren Schmerzen, 
Ueblicbkeiten nach dem Essen, ein Jahr darauf Bluterbrechen und 
heftige Schmerzen, mit 34 Jahren Empfindlichkeit des Epigastriums, 
Massenerbrechen, Dilatation mit Retention, mit 36 Jahren Ulcuscur, 
Operation ein Jahr darauf, mit 37 Jahren, und e ne zweite mit 
40 Jahren (beide Prof. Berg). Tuberculose der rechten Lunge. 
Keine deutlichen Veränderungen an der Außenseite des Magens, 
Pyloroplastik und Gastroenterostomie. Genesung. 

24. Hilda L., unverh., Stockholm, mit 10 Jahren saueres Auf¬ 
stoßen, Beschwerden nach den Mahlzeiten, mit 21 Jahren Schmerzen, 
Erbrechen, mit 26 Jahren ständiges Erbrechen, Dilat. ventriculi, 
Hyperacidität, Retention; Operation mit 28 Jahren am 29. Mai 1900, 
Dr. Permann. Pylorus eng, hart, die Fingerkuppe nicht durch¬ 
lassend. Vor und nach der Operation wiederholte Blinddarmaffec- 
tionen. Gastroenterostomie. Heilung. 

25. Erulli H., verh., Stockholm, mit 22 Jahren Beschwerden 
in der Magengrube, mit 31 Jahren Ulcus diagnosticirt, hernach 
Ulcuscur, mit 35 Jahren Dilat. ventriculi. Hyperacidität mäßig, 
Retention, Tuberculose beider Lungen, Operation mit 45 Jahren 

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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 51. 


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am 28. November 1900, Prof. Berg. Pylorus an der hinteren Seite, 
von Narbenmassen umgeben. Verengt. Gastroenterostomie. Heilung. 

26. Hilda F., verh., Vesby, mit 47 Jahren saueres Aufstoßen 
und Schmerzen, 1 /. 2 Jahr darauf Erbrechen, Abmagerung, Tumor 
unter dem Rippenbogen rechts in der Parasternallinie, vermehrter 
Motus peristalticus, Dilat. ventrieuli, Retention. Operation im selben 
Jahre am 27. Januar 1900. Die hintere Wand des Pylorus narbig. 
Das Ligam. hepatico- duodenale hart. Die Magenwände verdickt. 
Gastroenterostomie. Heilung. 

27. Ellen L., verh., Nenke, mit 16 Jahren saueres Aufstoßen, 
mit 23 Jahren Schmerzen, hie und da Erbrechen, querstehender 
Tumor zwischen Nabel und Symphyse, Dilat. ventrieuli. Wieder¬ 
holte Blinddarmattaquen. Operation mit 35 Jahren am 1. Mai 1901, 
Prof. Berg. Pylorus eng, den Finger nicht durchlasscnd, Colon 
transversum an der unteren Leberfläche in der Ausdehnung von 
6 — 8 Cm. angewachsen. Pyloroplastik, Durchtrennung der Ver¬ 
wachsungen zwischen Leber und Colon transversum. Heilung. 

28. Amanda J., verh., Hvetlanda, mit 46 Jahren saueres Auf¬ 
stoßen und Magenbeschwerden, 6 Monate danach Bluterbrechen und 
heftige Schmerzen, Ulcuscur; Schmerzen anhaltend, Erbrechen. 
Tumor in der Nabelgegend, Dilatatio ventrieuli, Hyperacidität, 
Retention, heftige peristaltische Bewegungen. Operation im selben 
Jahre am 26. August 1901, Prof. Akermann. Narbige Zusammen¬ 
ziehung, Pylorus verdickt und verengt. Gastroenterostomie. Heilung. 

(Schluß folgt.) 


Neuere Beiträge zur Frage der Nährpräparate. 

Von Dr. Deaider Lövai, praktischer Arzt in Dunaföldvar. 

Beim Studium der Somatoseliteratur erregten besonders 
die Veröffentlichungen, welche den Einfluß der Somatose auf die 
weibliche Brustdrüse zum Gegenstände hatten, mein Interesse. 
Ich selbst habe mich eingehend mit diesem Thema beschäftigt 
und im verflossenen Jahre an 16 genauer beobachteten Fällen 
constatirt, daß dieses Präparat unter bestimmten Verhält¬ 
nissen und unter Mitwirkung gewisser Factoren die Ent¬ 
wickelung der weiblichen Brustdrüse günstig beeinflußt. 

Daß die Somatose in der Praxis auch ein sehr brauch¬ 
bares Galactogogum ist, darauf hatten schon vorher eine 
Reihe von Aerzten hingewiesen, zunächst Drews, der die 
ersten Versuche in dieser Richtung angestellt hat, und nach 
ihm Lewy , Taube, Lutaud , Rokitansky, Wenckel, Rünon, 
Liebe, Gagliardi, Joachim, Temesvary 1 ) u. s. w. 

Sie alle haben constatirt, daß bei stillenden Müttern 
durch Darreichung von Somatose eine Erhöhung der Milch- 
secretion erzielt wird. Nur bezüglich der Ursache, bezw. der 
Erklärung dieses Einflusses bestehen Meinungsverschiedenheiten. 

Während zum Beispiel Drews der Somatose eine specifische 
Wirkung auf die weibliche Brustdrüse zuschreibt, bestreitet 
Joachim aufs entschiedenste die specifische Wirkung und führt 
vielmehr die galaktogoge Eigenschaft der Somatose auf den 
günstigen Einfluß, welchen dieselbe auf den Organismus im 
Allgemeinen ausübt, zurück. 

Joachim lenkt in seiner werthvollen Arbeit 2 ) — nachdem 
er die galaktogoge Wirkung der Somatose als erwiesen hin¬ 
gestellt — schließlich unsere Aufmerksamkeit daraufhin, ob 
und in welcher Weise Somatose die Milch¬ 
bildung beeinflußt, wenn dieselbe nicht während 
des Stillens, sondern schon früher, während des 
letzten Monates der Schwangerschaft, verab¬ 
reicht wird. 

Indem ich zu dieser Frage selbst das Wort ergreife, 
sei es mir gestattet, ehe ich auf Grund der von mir sorg¬ 
fältig beobachteten 28 Fälle eine bestimmte Antwort ertheile, 
einen flüchtigen Blick auf die Physiologie der weiblichen 
Brust, bezw. auf die Factoren der Milchsecretion zu werfen. 

') Micromastia 6s gyogykezelöse. „Gyogyaszat“, 1901, Nr. 32. 

*) Ein Beitrag zur Frage der Somatosewirknng auf die Brustdrüsen 
stillender Frauen. „Centralbl. f. int. Med.“, 1898, 10. 


Die Brust ist — wie bekannt — eine zusammengesetzte 
moriforme Drüse, mit 16—24 Auslaufsröhrchen an der Warze ; 
diese Röhrchen verzweigen sich nach innen und tragen am 
Ende die Drüsenbläschen. Diese Drüsenbläschen bestehen, 
abgesehen von der umgebenden Hülle, aus den Epithelial¬ 
zellen, sogenannten Secretionszellen der Drüsen. Den zur 
Secretion erforderlichen Stoff liefert die Blutflüssigkeit, jene 
Blutflüssigkeit, welche die zahlreichen, die Drüsenbläschen 
umgebenden Capillarröhrchen durchdringt. 

Wie wir sehen, sind zur Milchbildung hauptsächlich 
zwei Factoren erforderlich: das Blut und die Milchdrüse, 
bezw. deren secernirende Zellen. Klar und logisch folgt 
hieraus, daß alles, was die Bildung dieser beiden Factoren — 
Blut und Drüsenzellen — fördert, auch gleichzeitig ein ener¬ 
gischer Förderer der Milchsecretion ist. 

Wie schon Ltebig nachwies, fällt nach dieser Richtung 
die Hauptrolle dem Eiweiß zu, das organbildende, plastische 
Eigenschaften besitzt und hauptsächlich zum Aufbau der 
Gewebe dient. Und daß eine stillende Frau mehr Eiweiß 
benöthigt als eine nicht stillende, bedarf wohl kaum einer 
eingehenderen Erläuterung, wenn wir bedenken, daß hier das 
Eiweiß nicht nur zum Ersatz der aufgebrauchten Stoffe dient, 
sondern daß auch ein gewisser Ueberschuß zur Milchbildung 
vorhanden sein muß. In zweifacher Hinsicht zeigt sich der 
Einfluß einer vermehrten Eiweißaufnahme. Dieselbe ist nicht 
nur für den einen Factor der Milchbildung, für die Menge 
und Beschaffenheit des Blutes, von Bedeutung, sondern wirkt 
auch direct auf den zweiten, ebenso wichtigen Factor, die 
Milchdrüse. Je entwickelter diese ist — ich meine nicht die 
Brust als solche, denn Brust und Milchdrüse darf nicht 
identificirt werden —, je reicher an (secernirenden) Epithelial¬ 
zellen, desto reichlicher erfolgt die Milchbildung. Treffend 
bemerkt Temesvary zu dem Capitel Milchsecretion: „Die 
Nahrung wirkt in erster Linie so, daß sie die Drüsen nährt und 
kräftigt, und in Anbetracht dessen, daß hier von organischen 
Gebilden die Rede ist, hat natürlich auf dieselben die 
Eiweißaufnahme den größten Einfluß, so zwar, daß die Größe 
der Milchsecretion in geradem Verhältnisse zur Größe der 
Eiweißzufuhr steht — was auch von allen Forschern be¬ 
kräftigt wird.“ 

Es ist klar, daß in dieser Beziehung die Albumosen 
eine besonders wichtige Rolle spielen, denn gerade sie führen, 
selbst in kleinen Mengen, dem Organismus das Eiweiß in 
solcher Form zu, daß die organbildende Wirkung leicht und 
rasch zur Geltung zu kommen vermag. 

In die Gruppe der Albumosen gehört in erster Reihe 
die Somatose, deren Beschreibung ich mir füglich ersparen 
kann. Die galaktogoge Wirkung erklärt sich nach dem oben 
Gesagten durch die günstige Beeinflussung des Stoffwechsels 
(was ja auch im Allgemeinen Joachim und Gagliardi be¬ 
haupten), insofeme sie einestheils zur Erhöhung der Blut¬ 
menge beiträgt, anderntheils unter Vergrößerung der Milch¬ 
drüsen deren secernirende Epithelialzellen vermehrt. Und 
daß sie die milchsecernirende Wirkung nur durch den Stoff¬ 
wechsel geltend macht, geht, außer durch logische Folgerung 
und die Versuche der obengenannten Autoren aus der 
Gewichtszunahme hervor, welche bei stillenden Frauen nach 
Somatosegebrauch in der Mehrzahl der Fälle nachgewiesen 
werden kann. 

Auf Grund dieser bekannten Thatsachen wandte ich 
mich dann mit doppeltem Interesse der Lösung der durch 
Joachim aufgeworfenen Frage zu, in welcher Weise Soma tose 
die Milchbildung dann beeinflußt, wenn dieselbe nicht erst 
während des Stillens, sondern schon im letzten Schwanger¬ 
schaftsmonat verabreicht wird. 

Ehe ich mich in die meritorische Lösung dieser Aufgabe 
einlassen konnte, mußte ich im Klaren darüber sein, auf was 
der Schwerpunkt bei Prüfung der Milchbildung zu legen sei, 
ob nur auf die Quantität oder auch gleichzeitig auf die 
Qualität derselben? 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 51. 


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Wenn ich den neueren Theorien etlicher Autoren gefolgt 
wäre, so hätte ich einzig nur die Milchmenge in Betracht 
ziehen dürfen. Denn jene wollen experimentell festgestellt 
haben, daß die Qualität der Milch gegenüber der Quantität 
eine ganz untergeordnete Rolle spiele, so daß sie vom Gesichts¬ 
punkte des praktischen Arztes gar nicht in Betracht kommen 
könne. So weist besonders Schlichter 3 ) darauf bin, daß die 
Zusammensetzung der Milch bei einer und derselben Amme 
zu den Verschiedenen Tageszeiten derart wechselt, als wenn 
die Milch überhaupt nicht von einer Amme herrühre. Und — 
trotz dieses großen Schwankens — z. B. betrug das Eiweiß 
am Morgen 1'19%, Mittags bei derselben Amme l*91°/ 0 ; der 
Fettgehalt war Morgens 0*8%, hingegen am Abend 316% — 
hätten laut den an der niederösterreichischen Landestindel- 
anstalt gemachten Erfahrungen die Säuglinge (selbst solche, 
die von 2—3 oder mehr Ammen gesäugt wurden) die Milch 
verschiedener Qualität nicht nur gut vertragen, sondern 
hätten dabei auch zugenommen. 

Auf diese Erfahrung gestützt, stellt nun Schlichter 
die Behauptung auf, die Frage nach der Beschaffenheit der 
Milch sei vollkommen überflüssig, es käme allein auf die 
Quantität an. 

Die Sache liegt indeß meiner Ansicht nach nicht ganz 
so. Wenn auch die Menge der einzelnen Milehbestandtheile 
variirt, so ist doch eine Kenntniß des Fettgehaltes schon 
darum von Wichtigkeit, weil derselbe unter allen Umständen 
die Ernährung des Säuglings beeinflußt, denn mit dem Wachsen 
des Fettgehaltes vermehren sich auch die übrigen festen 
Bestandtheile und erhöht sich der Nährwerth der Milch. 
Und darum hängt wohl nicht die Zunahme oder Abnahme 
des Säuglings von der Menge der Milch allein ab, sondern 
auch von deren Nährwerth. 

Von dieser Annahme ausgehend, habe ich in den von 
mir untersuchten Fällen außer der Quantität der Milch mit 
möglichster Genauigkeit auch das specifische Gewicht und 
den Fettgehalt bestimmt, das erstere mit dem Quevenne- 
CoNRAD’schen Lactodensimeter, den letzteren mit dem Mar- 
chand’ sehen Lactobutyrometer. Außerdem zog ich noch in 
Betracht, in welchem Maße Somatose die Umwandlung des 
Colostrums in wirkliche Milch beeinflußt. 

Somatose wurde an 11 I-Para und 5 II—IV-Para in 
den letzten 18—34 Tagen der Schwangerschaft verabreicht 
(aus naheliegenden Gründen konnte hinsichtlich des Zeitraumes 
keine Gleichmäßigkeit erzielt werden, da sich bekanntlich die 
letzten Tage der Schwangerschaft nicht stricte bestimmen 
lassen); die Milchuntersuchung wurde indeß gleichmäßig vom 
12. Tage der Geburt an vorgenommen, wo sich schon an¬ 
nehmen ließ, daß das Colostrum der reinen Milch Platz 
gemacht hatte. Das Resultat zeigt die nachfolgende Tabelle: 


Fall 

Tage der 
Somatose - 
dar- 

reichung 

Quantität 
der Milch 
in Ccm. 

Speci¬ 

fisches 

Gewicht 

Fettgehalt 
in Per- 
centen 

Beendi¬ 
gung des 
Colostrums 
Tage 

I-Para. 

21 

90 

10264 

4628 

2 

I-Para. 

26 

90 

1028 

3991 

3 

II-Para. 

29 

115 

1026 

4195 

2 

I-Para. 

18 

70 

1031 

2 359 

4 

I-Para. 

21 

85 

1027-2 

3-175 

3 

I-Para. 

19 

75 

1032 

2767 

3 

I Para. 

27 

60 

1029 

3379 

2 

II I-Para. 

31 

140 

1028 

2563 

5 

II-Para. 

23 

120 

1030 

4-628 

1 

I-Para. 

34 

80 

1035-4 

2153 

4 

I-Para. 

24 

65 

1028 

3379 

4 

I-Para. 

28 

60 

10286 

3-787 

6 

IV-Para. 

20 

95 

1026 

4195 

2 

I-Para. 

30 

65 

10314 

3-991 

5 

I-Para. 

29 

70 

1038 

2971 

4 

II-Para. 

26 

145 

1027 

5-306 

2 


Wenn wir die Durchschnittswerthe dieser Tabelle zu¬ 
sammenfassen, erhalten wir nachfolgende Zahlen: Die Frauen 
nahmen in den 254 letzten Tagen der Schwangerschaft 
Somatose; es betrug alsdann die Quantität der Milch 89 Ccm. 4 ), 
das specifische Gewicht 1029 und der Fettgehalt 3'592% im 
Durchschnitt. Wenn wir die normale und nicht durch Somatose 
beeinflußte Milch in Betracht ziehen (Quantität 51‘4 Ccm., 
specifisches Gewicht 1032 2, Fettgehalt 2'919%), so sehen wir, 
daß Somatose nicht allein das Milchquantum in erheblichem 
Maße erhöht, sondern auch deren Fettgehalt und somit den 
Nährwerth. 

Bezüglich des Colostrums gibt uns die Tabelle auch 
eine interessante Aufklärung, indem sie uns zeigt, daß das¬ 
selbe durchschnittlich schon am 3. Tage der reinen Milch 
Platz gemacht hat, während dies in andern und nicht durch 
Somatose beeinflußten Fällen gewöhnlich am 4.-6., eventuell 
8.—10. Tage erfolgt. 

Im engen Rahmen dieses Artikels, kann ich doch nicht 
umhin, mit einigen Worten den VIII., IX. und XVI. Fall 
zu beleuchten. 

Der VIII. Fall bezieht sich auf eine IU-Para, welche vor 
der Niederkunft 31 Tage hindurch Somatose in Gaben von 12 Grm. 
genommen hat. In den zwei vorhergehenden Wochenbetten floß 
bei ihr die Milch nur iu solch minimalen Mengen, daß in beiden 
Fällen der Säugling künstlich genährt werden mußte. Diesmal aber 
producirte sie, wahrscheinlich infolge der im letzten Monat ver¬ 
abreichten Somatose, 140 Ccm. Milch von mittlerem Fettgehalt 
(2-563%). 

Der IX. Fall ist nicht nur darum lehrreich, weil ebenfalls 
eine auffallend reichliche Menge Milch (120 Ccm.) mit hohem 
Fettgehalt (4-628%) durch die während 23 Tagen vor der Nieder¬ 
kunft verabreichte Somatose erzielt wurde, sondern insbesondere 
auch deshalb, weil schon am ersten Tag das Colostrum in 
reine Milch umgewandelt war. 

Noch den Fall XVI möchte ich erwähnen; es handelt sich 
um eine II-Para, die während der ersten Niederkunft bei bestem 
Willen ihren Säugling wegen Milchmangel nicht zu säugen ver¬ 
mochte und nun bei der zweiten Niederkunft, nach einer vorher¬ 
gegangenen 26tägigen Somatoseverabreichung, so reichliche Milch* 
secretion (145 Ccm. mit einem fast maximalen Fettgehalt von 
5-306%) hatte, daß sich eine regelrechte Polygalactie entwickelte, 
gegen welche ich mit salinischen Abführmitteln und starker Ent¬ 
ziehung der Flüssigkeiten ankämpfen mußte. 

Detaillirter könnte ich noch einen Fall erwähnen, bei dem 
die 20 Tage vor der Niederkunft täglich verabreichten 18 Grm. 
Somatose die Milchsecretion beinahe auf das Doppelte des Normalen 
(95 Ccm.) mit sehr reichem Fettgehalt (4195%) brachten, trotzdem 
die rechte Brust im Jahre vorher wegen einer eiterigen Mastitis 
operirt wurde. Nur nebenbei erwähne ich, daß zwischen der 
Secretion der beiden Brüste doch eine Differenz von 2 —15 Ccm. 
bestand. 

Ohne mich weiter in Details zu verlieren, kann ich die 
Resultate, die sich aus meinen Untersuchungen ableiten lassen, 
folgendermaßen zusammenfassen: 

Die in den letzten Monaten der Schwanger¬ 
schaft regelmäßig verabreichte Somatose fördert 
nicht nur erheblich die Milchsecretion, sondern 
hebt auch in bedeutendem Maße den Fettgehalt. 
Außerdem beschleunigt dieselbe bedeutend die 
Umwandlung des Colostrums in reine Milch. 

Dies sind Resultate, welche eine regelmäßige Verab¬ 
reichung der Somatose im letzten Schwangerschaftsmonate 
ganz entschieden dort angezeigt erscheinen lassen, wo beim 
leisesten Verdachte einer möglichen Agalactie die Mutter 
selbst säugen will. Ich für meinen Theil gebe lieber Somatose 
in den letzten Wochen der Schwangerschaft, wo noch die Ver- 


tf ) Anleitung zur Untersuchung und Wahl der Amme, von Dr. Schlichtke, 
em. I.'Secundararzt der niederösterreichischen Landesfindelanstalt. 


pliciren. 


4 ) Die Tagesmenge erhalten wir, wenn wir die Zahl mit 8 — 10 multi- 


2 * 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 51. 


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(lauungsthätigkeit der Frau eine starke ist, al9 in den ersten 
Tagen des Wochenbettes. 

Ich muß auch der noch weiteren Fälle gedenken. Bei 
diesen habe ich statt Somatose Eisensomatose gegeben, indessen 
kein auffallend günstigeres Resultat als mit reiner Somatose 
beobachten können und daher auch die Tabelle derselben 
ganz unberücksichtigt gelassen. Vielleicht war es nur ein 
subjectiver Eindruck, wenn ich bei 1—2 chlorotischen Fällen 
eine bessere Wirkung gesehen habe wie bei der gewöhnlichen 
Somatose. In dieser Richtung müßten noch mehr und speci- 
fischere Fälle der Prüfung unterzogen werden. 

Referate. 

Esser i. (Bonn): Ueber Pleuraergüsse bei Herzkranken. 

Nach der Angabe E.’s finden sich Pleuraergüsse am häufig¬ 
sten bei Erkrankungen des Herzmuskels vor, weil diese früher 
und häufiger als Herzklappenerkrankungen zu den verschiedensten 
Arten der Lymphstauung Veranlassung geben („Münchener med. 
Wochenschr.“, 1902, Nr. 44). Diese Ergüsse kommen aus fol¬ 
gendem Grunde überwiegend rechts vor: Der Pleuraraum .ist als 
ein großer lymphatischer Raum aufzufassen, in dem die zum 
Zweck des leichteren Auseinandergleitens der Pleurablätter unter 
normalen Verhältnissen in geringer Menge enthaltene Flüssigkeit 
einem steten Wechsel unterworfen ist. Der Flüssigkeitsstrom geht 
hiebei wahrscheinlich von der pulmonalen zur costalen Pleura. Nun 
geht nach IIenle gerade rechterseits die Lymphfliissigkeit aus der 
inneren Auskleidung des Thorax in einen Lymphdrüsenstamm, den 
Truncus bronchomediastinus, in den unter anderem auch die Vasa 
efferentia der Bronchialdrüsen führen. Linkerseits gehen die Vasa 
efferentia dagegen der Regel nach direct in den Ductus thora- 
cieus, docli kann auch links ein Truncus bronchomediastinus aus 
gebildet sein. 

Ist nun infolge von Entzündungen etc. eine völlige Verödung 
und Verlegung der Drüsen und Lymphgefäße eingetreten, so führt 
diese allein nur äußerst selten zur Entwicklung eines Oedems, 
weil außerordentlich zahlreiche Anastomosen helfend eintreten 
können, ferner ein directcr Uebergang der Lymphe in das Blut 
stattfindet. Anders liegen aber die Verhältnisse in den Fällen, wo 
ein locales Hinderniß in den Lymphbahnen sich zu einer Schwäche 
der auch die Lymphe treibenden Herzkraft gesellt. Die Diuck- 
erhöhung in den Venen behindert dann den directen Uebertritt von 
Lymphe in die Blutbahn, bedingt vielmehr erhöhte Transsudation, 
und dabei ist der andere Weg durch die Lymphbahn zum großen 
Theile verlegt. Genügend ist durch letzteres mechanische Moment 
auch die Hartnäckigkeit der Ergüsse erklärt, und schließlich dürfte 
es auch verständlich sein, daß sich bei dem langen Bestehen der 
Ergüsse nach den Gesetzen der Endosmose ein für einfache Stau¬ 
ungstranssudate hohes specifisches Gewicht einstellt. Daß gerade 
bei Herzkranken infolge der chronischen Bronchitiden auch die 
BronchialdrUsen in Mitleidenschaft gezogen werden, und zwar 
unter Bevorzugung der auch sonst, z. B. bei Tuberculose, meist 
rechts stärker als links befallenen, bedarf nur einer kurzen Er¬ 
wähnung. B. 

v. Jaksch (Prag): Eine Bemerkung zu dem Aufsatze 
des Herrn Dr. S. Rubinstein: „Eine modificirte 
Methode des Schröpfens.“ 

Verf. weist darauf hin („Therap. Monatshefte“, 1902, Nr. 7), 
daß die von Rubinstein beschriebenen Schröpfköpfe (vgl. Nr. 48 u. Bl.), 
desgleichen das gesammte von Rubinstein beschriebene Verfahren, 
bereits vor mehr denn 10 Jahren von ihm angegeben wurden, und 
daß solche Schröpfköpfe seit dem Jahre 1897 allenthalben im Ge¬ 
brauche sind. Ebenso sind die übrigen Erörterungen Rübinstein’s 
bereits vor mehr denn 8 Jahren ausführlich von v. Jaksch ange¬ 
führt worden. Zum Beweise legt v. Jaksch eine Abbildung seiner 
Schröpfköpfe bei. Der einzige Unterschied zwischen den von Rubin- 
STEiN angegebenen Schröpfköpfen und dem Apparate des Verf.’s 
ist der, daß Rubinstein dieselben mit einem Buckel versah, während 


v. Jaksch ohne einen solchen Buckel sein Auskommen fand, ferner 
daß die Schröpfköpfe des Verf.’s mit einem Glashahne versehen sind, 
was in mancher Hinsicht Vortheile bietet. L. 

Hans Rüge (Berlin): Physiologisches über Muskelmassage 
nebst einigen therapeutischen Bemerkungen. 

Verf. hat durch exacte physiologische Versuche am lebenden 
blutdurchströmten Muskel des Frosches festgestellt („Ztschr. f. diät, 
u. physikal. Therapie“, Bd. VI, H. 3), daß der Verlauf einer Mus¬ 
kelzuckung nach Massage wesentlich flinker erfolgt als nach 
Ruhe- und Erholungspausen während der Arbeit. Er ließ 
z. B. den rechten Gastrocnemius eines Frosches nach 100 Con- 
tractionen sich während einer Ruhepause von 5 Minuten erholen, 
während er den linken nach ebenfalls 100 Contractionen 6 Minuten 
lang massirte. Der durch die Erholungspause gekräftigte Muskel 
leistete nach der Pause ein Fünftel an Arbeit mehr als vorher, 
der massirte fast das Doppelte wie vor der Massage. Die Lei¬ 
stungen wurden in Gramm-Millimetern genau berechnet. Zahlreiche 
Versuche ergaben stets dieselben Resultate, und zwar: 

1. Die Massage macht den Muskel leistangsfähiger und aus¬ 
dauernder, sowie vor allem flinker zur Arbeit. 2. Die3 gilt für 
den ermüdeten sowohl wie auch für den vollkommen frischen 
Muskel. 3. Die Massage leistet für den ermüdeten Muskel erheb¬ 
lich mehr als bloße Ruhe, und es haben sogar kurze Massagen 
von 5 Minuten oft eine größere Wirkung als längere Ruhepausen 
von 10—20 Minuten. 4. Die Leistung eines ermüdeten Muskels, 
in Kilogramm-Metern ausgedrückt, kann nach einer Massage von 
5 Minuten das 3-, 4-, ja 7fache betragen gegenüber seinen letzten 
Leistungen vorher. 5. Zur Erzielung von Tetauus ist nach 
Massage eines Muskels eine größere Reizfrequenz nothwendig als 
vorher. Dies gilt für ermüdete Muskeln in noch höherem Maße 
als für frische. 

Therapeutisch ergibt sich daraus, daß die Massage der 
Muskeln von besonderem Nutzen ist bei Ringern und Turnern vor 
ihren Kraftübungen, bei Reconvalescenten nach langem Kranken¬ 
lager, bei Blutarmen mit starkem Müdigkeitsgefühl, uach körper¬ 
lichen Ueberanstrengungen u. s. w. Stets sollte man gemischte 
Massage anwenden und die einzelnen Muskelgruppen etwa je 5 Mi¬ 
nuten lang massiren. 

F. Jolly (Berlin): Flimmerskotom und Migräne. 

Das Flimmerskotom kommt in seiner häufigsten, hemiopischen 
Form aller Wahrscheinlichkeit nach nicht im großen Gehirn, jeden¬ 
falls nicht in der Rinde zustande, sondern in den primären 
optischen Bahnen, und zwar im Tractus opticus oder in der Gegend 
des Corpus geuiculatum externum („Berl. klin. Wschr.“, 1902, 
Nr. 42 u. 43). Die binocularen centralen und die die Mittellinie 
überschreitenden halbseitigen Skotome haben in noch mehr peri¬ 
pheren Theilen der Bahn, wahrscheinlich in der Gegend des 
Chiasma, ihren Entstehungsort. Die rein einäugigen Skotome kommen 
im Nervus opticus oder in der Retina des betreffenden Auges 
zustande. B. 

Ludwig Schreiber (Königsberg i. P.): Ueber multiple Di¬ 
vertikelbildung im Dickdarm. 

Man bezeichnet die „angebornen“ Darmdivertikel als „wahre“ 
und trennt hievon die im Leben „erworbenen“, die sogenannten 
„falschen“ Divertikel. Man nennt die ersteren „wahre“ Divertikel, 
weil sie von sämmtlichen Darmschichten gebildet werden; sie 
treten in der Einzahl auf; als ihr Prototyp gilt das MECKEL’sche 
Divertikel. Die „falschen“ Divertikel hingegen, die meist multipel 
angetroffen werden, stellen einen herniösen Durchtritt der Schleim¬ 
haut durch die Muscularis dar; an ihrem Aufbau participirt dem¬ 
nach die Muscularis nicht, und sie bestehen nur aus Mucosa, Sub- 
mucosa uud eventuell aus Serosa. Es gibt aber auch erworbene 
Divertikel mit vollkommener Darmwandung; man hat sie als „echte 
erworbene“ Divertikel bezeichnet; die Schleimhauthernien werden 
im Gegensätze zu ihnen als unechte erworbene Divertikel bezeichnet 
(v. Hansemann). Schreiber hat 7 einschlägige Fälle beobachtet 
(„Deutsches Arch. f. klin. Med.“, Bd. 74, H. 1 uud 2); dieselben 


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beweisen, daß die erworbenen unechten Divertikel stets multipel 
auftreten und im ganzen Dickdarm — mit Ausnahme des Rectums 
— anzutreffen sind, am zahlreichsten, bisweilen sogar ausschlie߬ 
lich in der Flexura sigmoidea. Es handelt sich zumeist um Pul¬ 
sionsdivertikel, die einen harmlosen Gelegenheitsbefund darstellen 
oder von mehr chronisch verlaufenden Entzündungsprocessen ge¬ 
folgt sind. Es entstehen dann die diffusen Darmwandverdickungen, 
die in Anbetracht des Lieblingssitzes der Divertikel im S romanum 
wohl hier und da unter dem klinischen Bilde einer Sigmoiditis, 
bezw. Perisigmoiditis, einhergehen, die weiterhin bald zu Stricturen 
Veranlassung geben, bald als klinisch palpable Tumoren imponiren 
mögen. L. 

A. Bayet (Brüssel): Ueber neurotische Alopecie. 

Fälle von circumscripter Alopecie, entstanden im Anschlüsse an 
einen durch Trauma bedingten Nervenshok, gelangen verhältniß- 
mäßig selten zur Kenntniß. Die Hauptursache hiefür liegt nach 
der Ansicht des Autors darin , daß der Beginn der Erkrankung 
nicht mit dem Trauma einsetzt, bezw. erst relativ spät nach dem¬ 
selben zur Wahrnehmung gelangt, und daß weiters der Zusammen¬ 
hang mit dem Trauma sich nur dann einwandsfrei nachweisen 
läßt, wenn auch die Beschaffenheit des ausfallenden Haares selbst 
mit herangezogen wird, die den wichtigsten Index für die Nutri¬ 
tion seitens der Papille ergibt. 

In dem vom Autor geschilderten Falle („Derm. Ztsclir.“, 
Bd. VIII, 1901) trat im Anschluß an einen heftigen Faustschlag 
gegen die rechte Schläfe drei Wochen nach dem Unfall Defluvium 
auf, und zwar betraf dieser Ausfall das Kopfhaar innerhalb eines 
Bereiches , der vor einer von einem Ohr zum anderen gezogenen 
Linie gelegen war. Auf dieser fast kahl gewordenen Partie blieben 
bloß wenige kleine Büschel oder einzelne Haare erhalten, daneben 
gab es noch eine größere Menge von Lanugohaaren ; im Bereich 
des Hinterhauptes schienen die Haare normal, folgten aber dem 
Zuge leicht; gegen den Nacken hin saßen sie fest. Den interessan¬ 
testen Befund boten aber die zuerst genannten Haare; es zeigte 
sich nämlich bei Lupenbetrachtung, daß das distale Ende normal 
war, das Haar aber proximalwärts allmälig an Pigmentgehalt und 
Dicke abnahm und in der Gegend der Haartasche entsprechend 
ganz das Ansehen eines Lanugohaares hatte. Mittels Rechnung 
und Messung ließ sich in Beziehung auf das normale Haarwachs- 
thum einerseits und den Beginn der Störung andererseits feststellen, 
daß das Einsetzen der Erkrankung der Papille sehr nahe an das 
Trauma heranzudatiren war. Der Haarausfall sistirte bald, und nun 
konnte die Thatsache constatiit werden, daß die den Haarausfall 
überdauernden , früher beschriebenen Keulenhaare am proximalen 
Ende wieder das normale Ansehen gewannen, woraus die dystro¬ 
phische Natur, der in Frage stehenden Alteration erhellt. 

Deutsch. 

Aujeszky (Budapest): Ueber das Vorkommen der Tü- 
berkelbacillen in der Budapester Marktbutter. 

Verf. untersuchte 20 Butterproben verschiedener Provenienz 
nach der Obermüller sehen Methode, indem er i /., — 2 Ccm. des 
durch Centrifugiren gewonnenen fettfreien Bodensatzes Meerschwein¬ 
chen intraperitoneal injicirte. Unter diesen 20 Butterproben ent¬ 
hielten 3 virulente Eitererreger, die die Meerschweinchen innerhalb 
weniger Tage tödteten. Mithin verblieben für die weiteren Betrach¬ 
tungen 17 Butterproben, von welchen 3 = 17 - 6°/o virulente Tuberkel¬ 
bacillen enthielten. Säurefeste tuberkelbacillenähnliche Bacillen (so¬ 
genannte Pseudotuberkelbacillen), wie sie von mehreren Autoren 
bei ähnlichen Untersuchungen nachgewiesen wurden, fand Verf. nie¬ 
mals in den Organen der Versuchsthiere, nur einmal konnte er aus 
einem Thiere einen relativ säurefesten Bacillus züchten, der in 
seinen tinctoriellen und culturellen Eigenschaften sowie in seinem 
pathogenen Verhalten mit* dem von Grassberger beschriebenen, 
relativ säurefesten Butterbacillus vollständig übereinstimmt („Cen- 
tralbl. f. Bakteriologie, Parasitenkunde u. Infectionskrankheiten“, 
Bd. 31, H. 4). Dr. S—. 


VOGES (Buenos-Aires): Panophthalmia bovis carcinoma- 
tosa. 

Verf. beobachtete gelegentlich einer Untersuchung über den 
Ausbruch der Maul- und Klauenseuche in Gualeguay und Guale- 
guaychu eine Augenerkrankung bei Rindern, die ihm bisher unbe¬ 
kannt war. Es fand sich an Stelle des Auges ein enorm großer 
Tumor, der wallförmig die Augenhöhle umgab, in dieselbe hinein¬ 
gewuchert war und den Bulbus so comprimirte, daß das Auge völlig 
erblindet war. Der Tumor war sehr hart, oberflächlich exulcerirt. 
Das betreffende Thier war trotz bester Pflege stark herunter¬ 
gekommen und abgemagert. Bei der Section fand sich sonst nichts 
Abnormes, speciell die regionären Lympdrüsen waren ohne Verän¬ 
derung. Nach dem Befunde dachte Verf., es könnte sich um eine 
unbekannte, durch Mikroorganismen hervorgerufene Infectionskrank- 
heit handeln, zumal bei Lepra ähnliche Knotenbildungen beob¬ 
achtet wurden. Die histologische Untersuchung der Geschwulst 
ergab jedoch, daß es sich um ein Epitheliom handelte. Weitere 
Untersuchungen zeigten, daß diese Erkrankung nur bei Heares- 
forth-Rindvieh, und zwar nur bei alten Thieren vorkomme. Sie 
wurde ferner nur bei Thieren mit rein weißem Kopf beobachtet, 
so daß Verf. annimmt („Centralbl. f. Bakteriologie, Parasitenkunde 
u. Infectionskrankheiten“ , Bd. 31, II. 4), daß mit dem Auftreten 
von Pigment die Disposition für die Erkrankung aufgehoben ist. 
(? Ref.) Einschlägige, allerdings nicht ganz übereinstimmende Be¬ 
obachtungen finden sich in einer Arbeit von Leo Loeb und George 
Jobson (Chicago) über Carcinome bei Rindern. Dr. S—. 


Markl (Wien): Ueber die Bedeutung des Danysz’schen 
Bacillus bei der Rattenvertilgung. 

Bekanntlich hat Danysz einen neuen Bacillus beschrieben, mit 
dem es bei Ratten in ähnlicherWeise, wie bei dem LÖFFLER’schen Mäuse- 
tvphusbacillns bei Mäusen, gelingen sollte, die Thiere zu vernichten. 
Verf. unterzieht nun in der vorliegenden Arbeit („Centralbl. f. Bak¬ 
teriologie, Parasitenkunde u, Infectionskrankheiten“, Bl. 31, H. 5) 
die Angaben Danysz’ einer sorgfältigen Nachprüfung und unter¬ 
suchte auch das morphologische und culturelle Verhalten des frag¬ 
lichen Bacillus. Er kommt zu dem Schlüsse, daß man ohne Zweifel 
in den DANYSz’schen Bacillen ein Mittel zur Bekämpfung der 
Ratten erblicken kann, ein Mittel, welches vor Giften umsomehr 
Beachtung verdient, als seine Anwendung für Hausthiere und für 
den Menschen vollkommen gefahrlos ist. Man darf jedoch keine zu 
großen Hoffnungen auf dieses Mittel setzen, da seine Wirkung 
besten Falles nicht wesentlich größer ist als die eines wirksamen 
Giftes, es müßte denn gelingen, die Infectiosität dieses Bacillus 
für Ratten noch bedeutend zu steigern, was dem Verf. bisher nicht 
geglückt ist, trotzdem er ihn mehrfach den Darm von Ratten 
passiren ließ. Dr. 8—. 

Kleine Mittheilungen. 

— Ueber Spülung der Bauchhöhle bei acuter Peritonitis 

berichtet Hagmann („Die Chirurgie“, Bd. X). Verf. unternahm eine 
Reihe von Experimenten an der Leiche, um zu erfahren, wie sich 
ins Peritoneum gerathene infectiöse Substanzen in den verschiedenen 
Theilen der Bauchhöhle verbreiten und wie letztere zu drainiren 
ist. Als Injectionsflüssigkeit benutzte er Stärkekleister, in dem 
gemahlene Cichorie gekocht wurde; die Cichorie setzte sich überall 
da ab, wo die Flüssigkeit ihren Weg zwischen den Eingeweiden 
nahm, und gab somit klare Antwort auf die erste Frage; die 
Consistenz glich ganz jener der serös eiterigen und rein eiterigen 
Exsudate und zeigte, wie weit letztere beim Ausspülen entfernt werden 
können, lnjicirt wurde an drei Stellen, entsprechend den häufigsten 
Perforationsstellen: in der Magengegend, am Blinddarm und am 
Dünndarm, 50—60 Cm. vom Cöcum entfernt (Perforation bei 
Typhus). Die Flüssigkeit verbreitete sich von beiden letzteren 
Stellen auf gleiche Weise: in zwei Richtungen — nach unten ins 
kleine Becken und nach oben längs dem rechten Canalis lateralis 
(lateral vom Colon ascendens) bis zur Bursa hepatica; nach Aus¬ 
füllung der Bursa umgibt die Flüssigkeit den ganzen rechten 


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Leberlappen. Aus dem kleinen Becken steigt die Flüssigkeit entlang 
dem linken lateralen Canal je nach der Flüssigkeitsmenge höher 
oder niedriger; ein Theil gelangt zwischen die Dttundarmschlingen, 
besonders unten rechts. Bei Magenperforatioa füllt die Flüssigkeit 
zuerst die Bnrsa praegastrica, den unteren Theil der Bursa hepatica, 
steigt dann entlang beiden lateralen Canälen nach unten, besonders 
rechts; ein kleiner Theil ergießt sich über den Querdarm, der 
größte Theil der Flüssigkeit gelangt ins kleine Becken. Zum Aus- 
spülen macht H. 4 Schnitte: in der Mittellinie über und unter dem 
Nabel und rechts und links unter dem Ende der 12. Rippe; in 
letztere Oeffnungen werden Drains eingeführt, die in die subdia- 
phragmalen Räume gelangen; in die Oeffnung unter dem Nabel 
ein Rohr bis zum Boden des Beckens; durch die Oeffnuog über 
dem Nabel wird die Spülflüssigkeit eingeführt. 5—10 Liter genügten 
zum Reinigen der Bauchhöhle. Die Temperatur der Flüssigkeit muß 
38 — 45° C. betragen. 

— Das salzsaure Holocain eignet sich nach Heinz in l°/ 0 iger 
Lösung als locales Anästheticum für das Auge, wo es schon inner¬ 
halb einer Minute nach der Einträufelung von 2—4 Tropfen voll¬ 
ständige Empfindungslosigkeit der Cornea hervorruft. Es besitzt 
vor dem Cocain verschiedene Vorzüge. Da es giftiger ist als das 
Cocain, so ist es vorläufig nur für die Zwecke der Augenheilkunde 
empfohlen. Hier kann es jedoch ohne jedes Bedenken verwendet 
werden; denn trotzdem es bereits in mehr als 100 Fällen An¬ 
wendung gefunden bat, ist noch nie irgendwelche Vergiftungs¬ 
erscheinung wahrgenommen worden. Zu subcutaner Injection ist 
das Holocaiu nicht zu verwenden. Die Lösungen des salzsauren 
Holocaius können zum Zwecke des Sterilisirens gekocht werden, 
jedoch wirkt das salzsaure Holocain selbst sterilisirend, und es 
erscheint somit das Kochen überflüssig. Sollte das Kochen trotzdem 
erwünscht sein, so ist zu berücksichtigen, daß dies nur in Porzellan¬ 
gefäßen geschehe. Kocht man salzsaures Holocain in Glasgefäßen, 
so bewirkt das in die Lösung übergehende Alkali eine durch die 
Abscheidung der Holocaiobase bedingte Trübung der Lösung. Selbst 
mit Salzsäure ausgekochte Gläser sind oft unbrauchbar. Filtriren 
macht auch die getrübte Lösung wieder brauchbar. Die Auflösung 
des salzsauren Holocains nimmt man am besten in Porzellangefäßen 
vor und filtrirt die vollkommen erkaltete Lösung in gut mit Salz¬ 
säure ausgekochte Glasfläschchen. 

— Die Hygiene der Molkereiproducte erörterte Löffler 
(„Deutsche Vierteljahrsschr. f. öffentl. Gesundheitspflege“, 1902, 
pag. 55). Die Milch kann auf verschiedene Weise gesundheits¬ 
schädliche Veränderungen erleiden; aus dem Futter und aus 
Arzneien können schädliche Stoffe in sie eintreten. Die Milch kann 
ferner Trägerin von Infectionskeimcn sein. So sind nicht wenige 
Typhusepideraien entstanden, auch die Diphtherie soll auf diese 
Weise übertragbar sein. Endlich geht die Milch selbst beim Stehen 
Veränderungen ein, welche umso schneller einsetzen, je weniger 
Sorgfalt bei der Gewinnung und Aufbewahrung der Milch beob¬ 
achtet wird. Zuweilen suchen die Händler sich gegen diese Ver¬ 
änderungen durch Zusatz von Con?ervirungsmitteln zu schützen, 
was auf das Schärfste zu verurtheilen ist. Um Schädigungen durch 
die Milch auszuschlicßen, ist eine Ueberwachung der Production 
und des Verkaufes der Molkereiproducte erwünscht. Diese ist aber 
zur Zeit unausführbar, weil die Production zum Theil in einer 
außerordentlich großen Zahl von Kleinbetrieben erfolgt, welche 
vielfach direct an die Consumenten liefern. Die besten Garantien 
für eine den zu stellenden Anforderungen entsprechende Beschaffen¬ 
heit der Molkereiproducte bieten die Genossenschaftsmolkereien. 
Andererseits bieten diese wieder die Gefahr, da die Milch der 
verschiedenen Lieferanten zusammengegossen wird, daß Krankheits¬ 
erreger eine weitere Verbreitung finden. Es ist daher im Interesse 
der Consumenten wie der Lieferanten gelegen, daß alle Milch in 
den Genossenschaftsmolkereien in geeigneter Weise — Pasteuri- 
siren — von Krankheitserregern befreit wird, und daß auch die 
an die Lieferanten zurückgehende Magermilch pasteurisirt wird, 
da sonst besonders Maul- und Klauenseuche leicht verbreitet wird. 
Um nach dem Pasteurisiren ein Verderben der Milch zu verhindern, 
muß die Milch schnell abgekühlt und in sterilisirte Gefäße gebracht 
werden. Für weiteren Transport ist zu empfehlen, daß zu der bis 


auf etwa 0° gekühlten Milch gefrorene Milch hinzugesetzt wird, 
wodurch eine stärkere Erwärmung auf dem Transport hintange¬ 
halten wird. Die Consumenten sollten die Milch unmittelbar nach 
dem Ankauf abkochen oder wenigstens eine halbe Stunde auf 
85° C. erhitzen, sie dann in demselben Gefäße abkühlen und bis 
zum Gebrauche kühl aufbewahren. 

— Ein neues Harnantisepticum, das Helmitol, wurde an der 
JosEPH’schen Poliklinik in Berlin geprüft und sehr wirksam be¬ 
funden. Rosenthal („Therapie der Gegenwart“, December 1902) 
berichtet darüber an der Hand einer größeren Anzahl von damit 
behandelten Fällen, daß es bei Urethritis gonorrh. chron. post., 
bei Cystitis und Prostatitis chron. schon nach wenigen Tagen 
günstige Wirkungen zeigte. In den meisten Fällen trat alsbald 
Klärung des Harns, Nachlassen des Harndranges und sonstiger 
subjectiver Beschwerden ein, ohne daß eine Reizwirkung des Mittels 
jemals beobachtet worden wäre. Tagesgabe 3—4 Grm. In Wasser 
gelöst, hat das Präparat einen zum mindesten nicht unangenehmen 
Geschmack und wird gut vertragen. Sehr bequem ist die Anwen¬ 
dung in Tablettenform und ökonomischer, wenn in der „Original¬ 
packung Bayer“ verschrieben. Gegenüber dem Urotropin hat das 
Helmitol, welches methylencitronensaures Hexamethylentetramin 
(Urotropin) ist, den Vorzug, daß es mehr Formaldehyd abspaltet 
und demgemäß kräftiger desinficirend wirkt. Sucht man beim 
Urotropin durch höhere Dosirung die Formaldehydabspaltung zu 
erhöhen, so treten leicht unangenehme Nebenerscheinungen auf, 
während man bei Helmitol in der gebräuchlichen Dosirung von 
3—4 pro die, 1 Grm. pro dosi, in der Regel eine hinreichende 
Harnantisepsis erzielen kann, was auch durch die Formaldehydreaction 
nach Jocissen (Pbloroglucin und Natronlauge, Rosafärbung) im Harn 
nachweisbar ist; allerdings muß die Probe gleich nach der Ent¬ 
leerung des Harns gemacht werden, da die Reaction bei längerem 
Stehen des Harns nicht mehr oder nur schwach eintritt. 

— Ueber den Gebrauch des Pyridins bei Keuchhusten gibt 
M. V. Cacchiole bemerkenswerthe Daten („Klin.-ther. Wschr.“, 
1902, Nr. 42). Das Pyridin ist eine farblose Flüssigkeit, die bei 
gewöhnlicher Temperatur verdunstet, in jedem Verhältniß in Wasser 
löslich ist und einen sehr charakteristischen Geruch besitzt. Die 
physiologische Wirkung desselben besteht in einem Einfluß auf 
das Nervensystem und das Herz, in kleinen Dosen stimulirend, in 
größeren lähmend. Es macht das Blut und den Urin sehr rasch 
alkalisch, wird rasch auf dem Wege der Respiration und durch 
die Nieren ausgeschieden und macht in geeigneten Dosen keine 
unangenehmen Nebenerscheinungen. Wegen seiner reizmildernden 
bulbären Wirkung und seiner Gefahrlosigkeit ist es ein ausge¬ 
zeichnetes Mittel beim Keuchhusten der Kinder. Es wird als In¬ 
halation verabreicht; auf einer am Fußboden befindlichen Platte 
läßt man 4—5 Grm. zweimal in 24 Stunden verdunsten. An das 
Pyridin schließen sich die Bromide an, die als Natrium-, Strontium- 
und Ammouiumbromid in Dosen von 1—2—3 Grm. bei Kindern 
bis zu 3 Jahren , von 3 Jahren aufwärts zu 4 Grm. täglich ver¬ 
abreicht werden. Ihre Wirkung beruht auf der Herabsetzung der 
reflectorischen Erregbarkeit des Cerebellum, vielleicht auch auf 
einer directen Einwirkung des Brom auf die Nervenzellen. 

— Ueber para Amidobenzoesäure-Ester als locales Anästhe¬ 
ticum berichtet Carl v. Noorden („Berl. klin. Wschr.“, 1902, 
Nr. 17). Der para-Amidobenzoesäure-Ester wird jetzt von den 
Höchster Farbwerken vorm. Meister Lucius und Brüning 
fabriksmäßig dargestellt und ist von dort unter dem Namen 
„Dr. Ritsert’s Anästhesin“ zu beziehen. Dasselbe ist ein weißes, 
geschmack- und geruchloses Pulver, das auf die Zunge gebracht, 
alsbald ein stumpfes Gefühl erzeugt. Es löst sich sehr schwer in 
kaltem Wasser, etwas leichter in warmem Wasser, sehr leicht in 
Spiritus, Aether, Chloroform, Aceton, Fetten und Oelen, läßt sich 
leicht zerstäuben und mit Fetten aller Art zu Salben verarbeiten, 
ohne dabei irgend welche Zersetzung zu erleiden. Das Medicament 
hat bei kleineu und mittleren Gaben keine schädlichen Einwirkungen 
auf den Thierkörper. Erst bei ganz kolossalen Gaben, wie sie in 
der Therapie niemals in Frage kommen, führt es vorübergehend 
zu leichter Methämoglobinämie. Die Giftwirkung hat Aehnlichkeit 
mit dem auch chemisch verwandten Phenacetin; sie scheint am 


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stärksten zu sein, wenn das Medicament in Oel gelöst ist. Bei den 
zahlreichen Anwendungsformen am Krankenbette hat sich nie die 
geringste unangenehme Nebenwirkung gezeigt. Per os wurde das 
Medicament zunächst in Pulverform (2- bis 3mal täglich 0*3 bis 
0'5 Grm.) gegen Hyperästhesie des Magens gegeben. Das Mittel 
erwies sich als mindestens gleichwerthig der Ordination von Chloro¬ 
formwasser, Chloralhvdratlösung, pulverisirtem Orthoform. Es ist 
am besten, das Medicament in entsprechenden Fällen 10 bis 
15 Minuten vor der Nahrungsaufnahme zu verabfolgen. Der directen 
Einführung in den Magen anzureihen ist die Verordnung in Form 
von Trochisci bei Hustenreiz und Schlingbeschwerden. Die Zucker - 
plätzchen und Gummibonbons enthielten 0*02—0*04 Grm. des Medi- 
cameutes. Auch zu Inhalationen und im Suppositorium (0*2—0*5, 
Anästhesin auf 2*0 Butvrum Cacao) kam das Mittel bei Tenesmus 
und bei schmerzhaften Hämorrhoidalknoten mit Erfolg in Anwen¬ 
dung. Glänzende Erfolge brachte es bei gewissen Formen von 
Pruritus. Insbesondere erwies es sich gegen den Pruritus vulvae 
in Fällen von Diabetes mellitus in 10%igen Salben wirksam. 


Literarische Anzeigen. 

Grundriß der Pharmakologie in Bezug auf Arznei¬ 
mittellehre und Toxikologie.Von Prof Dr. 0. Schmiede¬ 
berg. Zugleich als 4. Auflage des Grundrisses der Arznei¬ 
mittellehre. Leipzig 1902, F. C. W. Vogel. 

„Das Buch ist dazu bestimmt, dem studirenden Mediciner die 
Erlangung pharmakologischer Kenntnisse zu erleichtern und dem 

Feuilleton. 

Die Stellungnahme der Wiener Aerzteschaft 
zu den registrirten Hilfscassen.*) 

Unter den Gesetzen, welche in der sogenannten socialrefor- 
matori8chen Aera das Licht der Welt erblickten, gehört das Gesetz 
der registrirten Hilfscassen zu denjenigen , welche am intensivsten 
die Interessensphäre des ärztlichen Standes schädlich tangiren. 
Schon als im Jahre 1888 das Gesetz betreffend die Krankenver¬ 
sicherung der Arbeiter beschlossen wurde, fühlten die Gesetzgeber, 
daß eine Lücke vorhanden sei, jene Cassen betreffend, welche vor 
dem Gesetze von 1888 schon vorhanden waren und als Versiche¬ 
rungsvereine für Krankheit und Invalidität läDgst eine segensreiche 
Thätigkeit ausübten. Um dem strengen Vereinsgesetze vom Jahre 
1852 auszuweichen, welches vom starren Polizeigeiste durchweht, 
wenig autonome Freiheit zuließ und strenge Beaufsichtigung forderte, 
constituirten sich diese Vereine seinerzeit nach dem Vereinsgesetze 
vom Jahre 1867, welches liberaleren Anschauungen huldigte, der 
freien autonomen Verwaltung mehr Spielraum zuließ und auch nur 
eine sachliche, nicht polizeimäßige Staatsaufsicht forderte. Trotzdem 
das Gesetz vom Jahre 1867 jedes Versicherunggeschäft ausschließt, 
duldete die Regierung trotzdem stillschweigend den Bestand dieser 
Vereine, da sie dieselben für notbwendig hielt, selbst jedoch nichts 
Aehnliches zu bieten vermochte. 

Als jedoch im Jahre 1888 das Gesetz betreffend die Kranken¬ 
versicherung der Arbeiter eingeführt wurde und damit auch die 
obligate Versicherung Gesetz wurde, mußten auch diese Vereine 
einer Umänderung unterzogen werden. Der § 60 des genannten 
Gesetzes bestimmt nämlich ausdrücklich , daß nur Mitglieder jener 
Vereine ihrer gesetzlichen Versicherungspflicht genügen, welche 
nach dem Gesetze vom Jahre 1852 errichtet wurden oder sich nach 
den Vorschriften desselben umändern. Um nun diese Krankencassen, 
die bis jetzt die einzigen Repräsentanten der Krankenversicherung 
für Arbeiter gewesen waren und eine segensreiche Thätigkeit hinter 
sich hatten, nicht vor die Eventualiät zu stellen, werthvolle Rechte 
ihrer Mitglieder anfgeben zu müssen und dadurch ihre Existenz in 

*) Referat, erstattet in der allgemeinen Aerzteversammlung in Wien am 
13- December 1902, von Dr. Adolf Klein. 


pharmakologisch vorgebildeten Arzt die neueren Errungenschaften 
auf diesem Gebiete des Wissens zugänglich zu machen.“ Es ist 
demnach kein Lehrbuch, doch ein streng systematisches, nach 
Maßgabe der Dignität des speciellen Stoffes eingehender und minder 
eingehend gehaltenes Werk, mit einer ziemlich ausführlichen Biblio¬ 
graphie versehen und die neuesten experimentellen Erfahrungen 
sorgfältig berücksichtigend. Der Name des Antors verbürgt den 
Erfolg. L. 

Arbeiten aus der pathologisch - anatomischen Ab¬ 
theilung des königl. hygienischen Institutes zu 
Posen. Herausgegeben von Prof. Dr. 0. Lllbarsch. Wiesbaden 
1901, J. F. B ergmann. 

Das vorliegende Heft ist dem Altmeister der pathologischen 
Anatomie als Festschrift zu seinem 80. Geburtstage gewidmet; es 
ist ein würdiges Festgeschenk, das den Jubilar wie den Spender 
in gleicher Weise ehrt. LubarsCH gibt zunächst eine Uebersicbt 
über die erfolgreiche Thätigkeit des von ihm geleiteten Institutes 
und reiht hieran elf Institutsarbeiten, die zum Theil interessante 
casuistische Mittheilungen, zum Theil eingehende Untersuchungen 
über wichtige Fragen der pathologischen Anatomie und patho¬ 
logischen Histologie darstellen; aus den ersteren seien ein Fall 
von Lysolvergiftung, aus den letzteren die Untersuchungen über 
die Wirkung der Mikroorganismen aus der Tuberkelpilzgruppe 
und über die Metaplasie hervorgehoben. Das stattliche Heft kann 
daher der allgemeinen Beachtung bestens empfohlen werden. 

Dr. S. 


Frage zu stellen, um ihnen weiter die Möglichkeit za schaffen, 
ihre Angelegenheiten in freier autonomer Verwaltung weiter zu 
entwickeln und um endlich ihren Mitgliedern das Recht der gesetz¬ 
lichen Versicherongspflicht zu gewähren, wurde im Jahre 1892 
das Gesetz der registrirten Hilfscassen geschaffen. Entsprechend dem 
Siegeszuge, den die socialreformatorischen Ideen damals durch 
alle Parlamente machten, wurde auch diese so einfache Ursache 
dazu benützt, um wieder recht viel Glück und Segen über die 
Bevölkerung auszuschütten. Es herrschte damals ein wahrer Re¬ 
formtaumel, der den klaren Blick für alles andere trübte und, um 
einer Interessensphäre zu dienen, alle anderen unberücksichtigt ließ. 
Man begnügte sieh daher nicht mehr mit der Kranken- und Leichen¬ 
geldversicherung allein , sondern nahm auch die Invaliditäts- und 
Alters-Renteuversicherung, die Versicherung der Angehörigen, die 
Witwen- und Waisen Versorgung und die Versicherung einer Summe 
Geldes zu Gunsten einer dritten Person in das Gesetz auf. Auch 
bezüglich der individuellen Betheiligung ging man weiter. Man 
reflectirte nicht mehr auf den Arbeiter allein, sondern suchte ab¬ 
sichtlich durch eine ganz allgemeine Fassung des § 1 bezüglich 
der Mitgliedschaft das Gesetz allen Gesellschaftsschichten zugäng¬ 
lich zu machen. Wenn man heute, nach 10 Jahren, die Wirkungen 
des Gesetzes mit den desolaten Zuständen im Aerztestande ver¬ 
gleicht, muß man staunen über die Kurzsichtigkeit der damaligen 
Gesetzgeber und über die himmelschreiende Rücksichtslosigkeit, mit 
der damals die ärztlichen Interessen behandelt wurden. Während 
der ganzen Debatte über das Gesetz wnrde auch mit keinem 
einzigen Worte die mögliche Rückwirkung auf die ärztlichen Er¬ 
werbsverhältnisse gestreift. Und nun zum Gesetze selbst. 

Entsprechend seinen Zwecken kann man das Gesetz in 
5 Haupttheile zerlegen, und zwar die Versicherung 

1. von Krankenunterstützung, 

2. eines Begräbnißgeldes, 

3. von Invaliditäts- und Altersrenten, 

4. von Witwen- und Waisenunterstützung, 

5. einer Summe Geldes zu Gunsten einer dritten Person. 

Von diesen 5 Gruppen interessirt uns Aerzte nur die erste, 

die Versicherung von Krankenunterstützungen. Sie ist die meist 
begehrteste und in den §§ 16 und 17 enthalten. 

§ 16. Als Krankenunterstützung können den Mitgliedern Kranken¬ 
geld, ärztliche Behandlung, Arzneien und andere Heilmittel, Verpflegung 
in einem Krankenhause, sowie die geeigneten Mittel znr Erleichterung 
körperlicher Leiden oder Mängel gewährt werden. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 51. 


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Den Mitgliedern kann für ihre Angehörigen, soferne letztere nicht 
selbst Mitglieder der Casse sind, ärztliche Behandlung , Gewährung der 
Arzneien und andere Heilmittel zugesichert werden. 

Auch der normale Verlauf des Wochenbettes kann den Anspruch 
auf Krankenunterstützung begründen. 

Die Dauer der Krankenunterstützung darf höchstens zwei Jahre 
betragen. 

§ 17- Jede Hilfscasse hat für die von ihr betriebene Krankenver¬ 
sicherung einen Reservefond in der Höhe der zweifachen durchschnittlichen 
Jahresausgabe, der letzten fünf Rechnungsjahre anzusammeln und, falls 
er unter die bezeichnete Höhe gesunken sein sollte, wieder bis zu dieser 
Höhe zu ergänzen. So lange der Reservefond diesen Betrag nicht erreicht, 
sind für denselben jährlich mindestens zwei Zehntheile der Cassenbeiträge 
zurückzulegen. 

Jedoch hat die Casse die Wahl, in ihren Statuten zu bestimmen, 
daß auch bezüglich der Krankenversicherung in jedem fünften Jahre 
eine versicherungstechnische Abschätzung ihrer Einnahmen und Verpflich¬ 
tungen auf die im § 22 angegebene Weise vorzunehmeu ist. In diesem 
Falle ist für die Ansammlung des nöthigen Reservefondes statt des obigen 
festen Maßstabes das jeweilige Resultat dieser Abschätzung maßgebend. 


Da in keinem Punkte der Satzungen über die etwaige Qua¬ 
lität der Mitglieder etwas gesagt wird, weder eine Alters-, noch eine 
Vermögensgrenze zu finden ist, sondern absichtlich, um allen Be¬ 
völkerungsschichten die Wohlthaten des Gesetzes zugänglich zu 
machen, darüber geschwiegen wird, so ist es sonnenklar, daß jeder, 
möge er Arbeiter oder Minister, Bankier oder Schreiber sein, das 
Recht hat, in die Hilfscasse einzutreten, um sich dort unentgeltliche 
ärztliche Hilfe zu verschaffen. Im Musterstatute, das sich genau an 
das Gesetz anlehnt und nur den Zweck hat, durch vollständig aus- 
gearbeitete Beispiele die rationelle Einrichtung der einzelnen Ver¬ 
sicherungsarten zu erleichern, ist im § 2, um dem Scheine zu ge¬ 
nügen, eine Altersgrenze vom 14. bis zum 60. Lebensjahre ent¬ 
halten. Eine Latitude, die dem Geiste des Hilfscassengesetzes vollauf 
entspricht. 

Nur mit Schaudern kann man daran denken, welchem Schick¬ 
sale in Zukunft der ärztliche Stand entgegengegangen wäre, wenn 
das Hilfscassengesetz, als es am 16. Juli 1892 zur Thatsache 
wurde, jene Anziehungskraft auf die Bevölkerung ausgeübt hätte, 
die die Gesetzgeber mit Sicherheit erwarteten. Der größte Theil 
der Bevölkerung, so hofften sie, werde, angezogen von den gleiß- 
nerischen Versprechungen, sich willig in den Rahmen des Gesetzes 
einfügen und die Gelegenheit benützen, auf billige Weise gegen 
alle möglichen Schäden vorzusorgen und sich auf diese Weise eine 
nahezu sorglose Zukunft bereiten. 

Nicht nur der arme Arbeiter, der, um seine längst erworbenen 
Rechte zu schützen, sich fügen mußte, auch der wohlhabende Theil 
der Bevölkerung sollte herangezogen werden, um als bessere Objecte 
einen Ausgleich mit dem einer größeren Morbidität unterliegen¬ 
den ärmeren Theile der Casse herzustellen. An die Interessen des 
ärztlichen Standes dachte niemand. Einige vielleicht hofften in der 
Stille, daß die Erwerbsverhältnisse sich im ärztlichen Stande immer 
mehr verschlimmern werden und ein am Hungertuche nagender 
Aerztestand werde eines Tages willig seine Freiheit aufgeben und 
um gütige, aber rasche Verstaatlichung ansuchen. 

Soweit ist es nicht gekommen und wird es auch nicht 
kommen. 

Das Gesetz fand bei der Bevölkerung eine recht kühle, bei¬ 
nahe ablehnende Aufnahme. Lange blieb das Gesetz von der Be¬ 
völkerung und leider auch von der Aerzteschaft ganz unbeachtet. 


Im Jahre 1892 hatten wir.1 

„ v 1893 „ „.6 

n „ 1894 „ „.7 

Hilfscassen, welche ein recht dürftiges Dasein führten. Erst durch 

die Gründung der Meisterkrankencassen wurde das halbvergessene 
Gesetz aus seiner mumienhaften Erstarrung wieder zu neuem Leben 
erweckt. Durch ein selten einmüthiges Vorgehen der Aerzteschaft 
gelang es, die Meisterkrankencassen niederzuringen und ihre Con- 
stituirung in der ursprünglich geplanten Form zu verhindern. Eitel 
Freude herrschte damals in der Aerzteschaft. Doch die Freude 
dauerte nicht lange. 

Als die Novelle zum Gewerbegesetze erschien, welche, wie 
wir hofften, die Angelegenheit zu Gunsten der Aerteschaft finali- 
siren sollte, da sahen wir erst, daß unser Kampf ein vergeblicher 


war und unser Sieg nur ein halber. Die Novelle enthielt wohl den 
Passus, der die Genossenschaften berechtigt, obligate Krankencassen 
mit Ausschluß der unentgeltlichen ärztlichen Behandlung zu gründen, 
aber in derselben Novelle wird auf die Vortheile des Hilfscassen¬ 
gesetzes hingewiesen und die Gründung von Hilfscassen geradezu 
befürwortet. 

Es ist unglaublich, daß in einer und derselben Novelle etwas 
angeordnet wird , gleichzeitig jedoch das Mittel angegeben wird, 
diese Anordnung zu umgehen. Selbstredend fiel keiner einzigen Ge¬ 
nossenschaft ein, die obligaten Cassen ohne freie ärztliche Behand¬ 
lung einzuführen, sondern alle Meistercassen wandelten sich mit 
einem Rucke in Hilfscassen um, so daß wir nun statt Meister¬ 
cassen Hilfscassen der Meister haben. 

Es ist kein Zweifel, daß durch diesen Schritt die Hilfscassen 
populärer wurden, und in der That vermehren sich diese nun immer 
mehr und mehr. 

Wir hatten Ende 1893 1 

» » „ 1894 . (i 

„ „ „ 1 89 5. 7 

„ „ „ 1896 29 

„ „ „ * 897 . 35 

„ „ n 1898 61 

„ „ „ l 899 84 

Mitglieder hatten diese Cassen Ende 1899 90.954 und An¬ 
gehörige dieser Mitglieder, soweit sie nicht schon selbst den Cassen 
angehörten, waren 19.320 incorporirt. 

Eine unangenehme, aber entschiedene Wendung trat ein, als 
die Bankbeamten mit ihrer neu zu gründenden Hilfscasse hervor¬ 
traten. Hier waren es wohlhabende, gut situirte Leute, welche das 
Hilfeassengesetz benutzen wollten, um auf Kosten der Aerzteschaft 
sich billige ärztliche Hilfe zu verschaffen. 

Die verschwindend kleine Zahl Versicherungspflichtigen, welche 
in der Bankbeamtenbranche vorhanden ist und aus Dienern und 
Beamten niedrigster Kategorie besteht, war längst bei der Bezirks¬ 
kranken casse untergebracht und dem Gesetze gemäß versorgt. Für 
diese war es gewiß unnöthig, eine große Hilfscasse ins Leben zu 
rufen; sie sollten jedoch nur das Mittel abgeben zu dem Zwecke, 
um langsam die ganze Bankbeamtenschaft, welche laut Gesetz ver¬ 
sicherungspflichtig ist, der neuen Casse einzuverleiben. 

Es wäre ein Verbrechen an den Interessen des ärztlichen 
Standes gewesen, wäre man diesem Projecte nicht gleich energisch 
entgegengetreten. Als wir anfangs vergeblich versuchten, die 
Satzungen der zu gründenden Casse der ärztlichen Interessensphäre 


anzupassen, mußte man mit schärferen Mitteln wie gegen die Meister¬ 
cassen auftreten, um die Gründung und Ausgestaltung zu verhindern. 
Erst als wir sahen, daß in diesem Kampfe mit ungleichen Waffen 
gekämpft wird, beantragte das Krankencasseneomite der Kammer 
nach dem bekannten Aufrufe der Bankbeamtencasse an die Aerzte¬ 
schaft den Abbruch der Verhandlungen. 

Wir waren uns vollkommen klar über die Tragweite dieses 
Beschlusses, aber wir mußten so handeln, denn neben den Standes¬ 
interessen war es jetzt die Standesehre, die gewahrt werdeD mußte. 
Der Erfolg blieb auf unserer Seite, denn das, was heute Bank¬ 
beamtencasse heißt, ist nicht der Schatten von dem, was sie eigent¬ 
lich hätte sein sollen. Die kleine Zahl Versicherungspflichtiger fand 
ein gutes Asyl beim Verbände der Genossenschaftskrankencassen, 
alle anderen müssen sich ihren Arzt selbst bezahlen, sind daher 
der Gesammtärzteschaft erhalten geblieben. Auch die befürchtete 
langsame Einverleibung der Nichtversicherungspflichtigen ist bei 
der strengen und gerechten Beachtung der Satzungen, wie sie beim 
Verbände geübt wird, direct ausgeschlossen. Ohne unser ener¬ 
gisches und strenges Vorgehen hätten wir heute eine Bankbeamten- 
casse mit vielen hunderten wohlhabenden Mitgliedern, mit unent¬ 
geltlicher Behandlung durch pauschalirte Aerzte, und gewiß wäre 
bereits die Hälfte der Bankbeamten in das Lager der Versiche¬ 
rungspflichtigen übergetreten. 

Trotz dieser unleugbaren Erfolge gegen einzelne Cassen, 
welche theils materielle, theils moralische Vortheile der Aerzteschaft 
brachten, muß jedoch die Action der Kammef gegen die Hilfs¬ 
cassen im allgemeinen als erfolglos bezeichnet werden. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 51. 


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Selbst der mit größter StreDge und ungeschmälerter Publi- 
cität geführte Kampf, der die Abneigung der Aerzteschaft gegen 
die Hilfscassen offen kund that und überall die Ueberzeugung er¬ 
wecken mußte, daß die Aerzteschaft mit allen Mitteln sich jeder 
neu zu gründenden Hilfscasse entgegenstellen werde, konnte die Bil- 


düng neuer 
Es 

Cassen 

waren 

nicht 

Ende 

verhindern. 

1897 .... 

. . . 35 

» 

11 

11 

1898 .... 

. . . 61 

n 

n 

15 

1899 .... 

. . . 84 


Im Jahre 1900 waren in Wien 31 Hilfscassen registrirt. 

Von den obenerwähnten 84 Hilfscassen haben eingeführt die 


KrankenunterstUtzung.68 

Begräbnißversicherung.26 

Altersrente und Invaliditätsrente .... 10 


Witwen- und Waisenunterstützung .... 4 

Versicherung einer Summe Geldes zu Gunsten 

eines Dritten.3 

Mitglieder zählten diese Gassen 1899 90.954. 

Angehörige 19.230. 

Eine Ursache hiefür wäre zu suchen in der bisherigen Haltung 
der Behörden gegenüber den Hilfscassen. 

Sie poussirt sie auf alle mögliche Weise und schützt sie gegen 
jeden Angriff von außen. In den „Ergebnissen der Gebarungs- 
Statistik der registrirten Hilfscassen vom Jahre 1894“ lesen wir 
Folgendes : 

Ergebnisse der Gebarung und Statistik der registrirten Hilfs¬ 
caasen 1894. 

„Von der Ueberzeugung geleitet, daß das Hilf'scassengesetz die 
geeignetste Grundlage für derlei Organisationen bilde (Vereine nach 
dem Gesetze vom Jahre 1867), hat sich das Ministerium des Innern 
vom Beginn an die möglichste Förderung der Errichtung registrirter 
Hilfscassen sich angelegen sein lassen. Zu diesem Zwecke hat das 
Ministerium des Innern bereits anläßlich der Kundmachung der Hilfs¬ 
cassen z. B. der zugehörigen Vollzugsbestimmungen die Gelegenheit 
wahrgenommen, in einem an sämmtliche politischen Landesbehörden 
gerichteten Erlasse auf die volkswirtschaftliche Bedeutung der 
durch dieses Gesetz gewährten Erleichterungen hinzuweisen und 
auf eine entsprechende Mitwirkung der Verwaltungsbehörden behufs 
Realisirung der gemeinnützigen Intentionen des Gesetzes Einfluß 
zu nehmen. 

Auch in der Novelle zum Gewerbegesetze wird mit einer 
jeden Zweifel ausschließenden Deutlichkeit auf die Hilfscassen hin¬ 
gewiesen. Daß die Behörden aber auch die Pflicht übernommen 
haben, die Hilfscassen zu schützen, haben wir zu wiederholtenmalen 
Gelegenheit gehabt zu beobachten. Die Sistirung der Beschlüsse 
mehrerer Aerztekammern in Sachen der Meisterkrankencassen und 
der letzte Erlaß der hohen Statthalterei an die V iener Aerzte¬ 
kammern in Sachen der Bankbeamtenkrankencasse sind traurige 
Beweise dafür. Umsonst bemühen wir uns jedoch, nur einen Punkt 
ausfindig zu machen, wo den gefährdeten Interessen der Aerzteschaft, 
die ja auch legal besteht und berechtigten Anspruch auf Berück¬ 
sichtigung hätte, ein ähnlicher Schutz zutheil geworden wäre. 

Wehmüthig muß es uns berühren, daß trotz der großen Ver¬ 
dienste, die sich die Aerzte seit jeher in Krieg und Frieden um 
den Staat erworben halten, hier doch nicht mit gleichem Maß ge¬ 
messen wird. Eine zweite Ursache, welche die Erfolglosigkeit der 
bisherigen Action mit verschuldet hat, ist die Thatsache, daß uusere 
Gegner nicht mit Unrecht auf die Uneinigkeit im ärztlichen Stande 
rechnen. Es ist leider eine traurige Thatsache, daß ein Theil der 
Collegen, wohl nur ein winzig kleiner Theil, ihre eigenen Interessen 
denen der Gesammtärztescliaft nicht unterordnet, abseits geht und 
uns auch gelegentlich in den Rücken fällt. Wenn ein Armer, am 
Hungertuche Nagender zum Ueberläufer wird, ist es wohl traurig, 
aber schon vom Standpunkte des Selbsterhaltungstriebes erklärlich. 
Wenn aber gut situirte und bereits lange in der Praxis stehende 
Collegen das Lager ihrer Standesgenossen verlassen und den Gegnern 
ihre Dienste anbieten, wenn solche Collegen dort die Schwächen 
der eigenen Standesinstitutionen dem Gegner mittheilen, und dort 
auf den Moment Warfen, bis die Aerzteschaft im Kampfe unter¬ 
liegt , um sich sofort in die Beute zu theilen, so sind das Hand¬ 


lungen, deren richtigen Namen zu nennen ich hier unterlasse, die 
aber energischest zurückgewiesen werden müssen. Uns war es 
höchst peinlich, gegen zwei Fronten kämpfen zu müssen, und die 
Thatsache höchst unbehaglich, daß ira Lager unserer Gegner sich 
Leute befinden, die nicht nur die Licht-, sondern auch die Schatten¬ 
seiten unserer Organisation kennen. Oft haben wir uns die Frage 
vorgelegt, wie schlecht muß es den Aerzten gehen, wie tief müssen 
sie materiell noch sinken, um endlich einzusehen, daß nur festes 
Zusammenhalten das einzige Mittel sei, nach außen mit Erfolg auf¬ 
zutreten. 

Die dritte und schwerwiegendste Ursache ist das Hilfscassen- 
gesetz selbst. 

Was nützt es, wenn man mit aller Mühe und Energie eine 
Casse nach der andern niederringt, wenn sofort auf Grund eines 
bestehenden Gesetzes wieder neue entstehen mit gleich schädlichen 
Tendenzen ? 

Hier liegt der Hauptgrund der Erfolglosigkeit unserer Actionen. 
Hier muß nun der Hebel angesetzt werden und mit aller Kraft 
daran gegangen werden, das Gesetz entweder ganz zu beseitigen 
oder es so umzuändern, daß die Interessen der Aerzteschaft in 
keiner Weise benachtheiligt werden. Wer auf dem Felde des socialen 
Lebens etwas Ersprießliches schaffen will, muß dieses Feld zuerst 
von allem Unkraut befreien. Ein üppig wucherndes giftiges Unkraut, 
das allen Wohlstand zu ersticken droht, ist das Ililfscassengesetz! 

Der Angriffspunkt ist gegeben im § 16. Der genannte Para¬ 
graph mit seiner faeultativen Fassung läßt zwar, wenn inau dem 
Geiste, nicht dem Worte folgt, die Möglichkeit zu, Hilfscassen zu 
gründen, ohne Gewährung unentgeltlicher ärztlicher Behandlung. 
Nach den Erfahrungen, die wir jedoch machten , können wir uns 
nicht mehr mit dem faeultativen Gutachten allein begnügen, wir 
müssen fordern, daß die freie, unentgeltliche ärztliche Behandlung 
ganz aus dem Gesetz verschwinde. Ganz präcise muß es heißen: 

Als Krankenunterstützung können den Mitgliedern Kranken¬ 
geld, Arzneien ußd andere Heilmittel, Verpflegung in einem Kranken¬ 
hause gewährt werden etc., mit Ausschluß unentgeltlicher ärztlicher 
Behandlung. 

Die Bonität des Gesetzes und seine humane Tendenz würde 
dadurch keine Einbuße erleiden. Die Interessen der Aerzteschaft 
wären gewahrt, und der giftige Stachel, der die Aerzteschaft 
irritirte und sie zu erbitterten Feinden des Gesetzes machte, wäre 
verschwunden. 

Weder die Zahl noch das Material der Hilfscassen würde 
uns fürder besonders interessiren , und es würde uns nur freuen, 
daß wieder ein großer Theil der Bevölkerung in die Lage versetzt 
ist, sich bei Erkrankungen frühzeitig ärztliche Hilfe zu verschaffen. 

Niemand kann uns socialer Rückständigkeit zeihen, wenn wir 
ein lückenhaftes Gesetz in einem Pi^nkte den Interessen des Aerzte- 
standes aüpassen. 

Lange genug wurden diese Interessen rücksichtslos ignorirt, 
lange genug wurden vom Lebensmarke der Aerzteschaft die Kosten 
mancher socialen Reformen bestritten. 

Heute, wo die schwarze Flut der Verarmung unsere Existenz 
bespült und bedroht, steigt ein flammender Protest aus diesem 
sonst der Wissenschaft geweihten Saale auf und dringt hinaus die 
Kunde: Das stille Ertragen ist vorüber, die Aerzteschaft kämpft 
um ihr Brot und ihre Existenz ! 

Und Ihnen rufe ich zu: Seien wir einig, denn nur darin 
liegt unsere Kraft. 

Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

(Orig.-Ber. der „Wiener Medizinischen Presse“.) 

Sitzung vom 19. December 1902. 

R. NEURATH demonstrirt einen Säugling mit hereditärer 
Lues. Das Kind zeigt folgende Symptome: Coryza syphilitica, 
schmutziggraues Hautcolorit, Sattelnase, spärliche Entwickelung 
der Cilien und Augenbrauenhaare, Phalangitis syphilitica, Ver- 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 51. 


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dickung aller Epiphysenenden der Knochen, an der rechten Tibia 
Epiphysenlösung, Parese des linken Armes. Früher war auch ein 
Bläschenausschlag am Rumpfe zu sehen. 

0. FÖDERL stellt einen Fall von Dauerheilung nach 
totaler Kehlkopfexstirpation wegen Carcinoms vor. j 
Die Operation wurde vor 4% Jahren ausgeführt; es wurden der 
ganze Kehlkopf bis auf einen Theil des Ringknorpels, ferner die 
Epiglottis und ein Stück der vorderen Oesophaguswand entfernt. 
Der Ringknorpelrest wurde an den Oesophagus und an das Zungen¬ 
bein angenäht und die Schleimhaut möglichst exact durch Naht 
vereinigt. Bisher ist kein Recidiv aufgetreten, das Schlingen 
flüssiger und fester Nahrung ist gut möglich, die Stimme ist 
heiser, aber recht weit vernehmbar; es haben sich nämlich zwei 
Schleimhautfalten im Larynx gebildet, welche als grobe Stimm¬ 
bänder fungiren. 

H. KOSCHIER führt drei Männer vor, bei welchen wegen 
Carcinoms eine halbseitige Exstirpation des Kehl¬ 
kopfes vorgenommen wurde; in einem Falle wurde auch die 
Epiglottis entfernt. Die Pat. können gut schlucken und auch ihre 
Sprache ist leidlich. Der älteste Fall wurde vor 2 1 /.> Jahren operirt. 

K. STERNBERG demonstrirt einen Fall (anatomisches Präparat 
der Baucheingeweide) von Agenesie der Milz. Sämratliche 
Abdominalorgane sind normal, es findet sich weder eine Nebenmilz, 
noch Vergrößerung von Lymphdrüsen. Die normal entspringende 
Art. lienalis gibt Aeste an das Pankreas ab und löst sich in 
Aestchen auf, welche zum Magen und Colon gehen. Diese als 
congenital anzusehende Bildungshemmung wurde als Nebenbefund 
bei der Obduction einer 73jährigen Frau erhoben, welche an 
Lungenphthise gestorben war. 

SCHWONER stellt ein 2jähr. Kind mit Urticaria chronica 
pigmentosa vor. Bei demselben traten in den ersten Lebens¬ 
wochen typische Urticariaquaddeln auf, welche sich zu erbsen¬ 
großen, graurothen, glänzenden und papelähnlichen Efflorescenzen 
entwickeln. Die eingeleitete Therapie war bisher gegen das Leiden 
machtlos. Nach einem längeren Aufenthalte im Freien, gelegentlich 
eines Landaufenthaltes, sind die Efflorescenzen an den Händen und 
Füßen sowie im Gesichte verschwunden. 

Wolfg. Pauli: Ueber Jonenwirkungen und ihre therapeutische 
Verwendung. 

Bei Untersuchungen über die elektrische Dissociation gelöster 
Stoffe und die Beziehungen zwischen Eiweißkörpern und Salz¬ 
lösungen hat es sich herausgestellt, daß die Wirkung der Salze auf 
Eiweiß aus zwei Componenten zusammengesetzt ist: aus der Wir¬ 
kung des Metallions und des Säureions. Diese beiden sind Anta¬ 
gonisten, indem erstere Eiweißlösungen fällen, letztere eine Fällung 
des Eiweißes hindern, resp. aufheben. Je nach dem Ueberwiegen 
der positiven oder negativen Potenz der Ione wird das aus ihnen 
zusammengesetzte Salz das Eiweiß fällen oder eine Fällung hemmen, 
bei gleicher Potenz der lone ist das resultirende Salz indifferent. 
Die meisten Metallione äußern eine erregende, die Schwermetalle 
eine entzündungserregende Wirkung, den Säureionen kommt eine 
den Blutdruck erniedrigende und sedative Wirkung zu. Ordnet 
man die Säureione nach ihrer fällungsverhindernden Potenz, so 
nehmen die erste Stelle die Rhodanverbindungen ein, mit deren 
Studium sich Vortr. eingehender befaßt hat. Er fand, daß das 
Rhodannatrium eine Analogie mit Brom und mit Jod zeigt: Mit 
ersterem hat es die sedative, mit letzterem die den Blutdruck er¬ 
niedrigende Wirkung gemeinsam. Durch länger fortgesetztes Ein- 
nehmen von 1 Grm. pro die wurde durch Rhodannatrium constant 
das krankhaft erregte Nervensystem bei Neurosen und anderen 
Nervenkrankheiten beruhigt, ebenso constant wurde bei Angio- 
sklerose, Aorteninsufficienz und chronischer Nephritis der Blutdruck 
herabgesetzt (in manchen Fällen um 20—30%), womit auch ein 
Verschwinden der krankhaften Begleiterscheinungen einherging. 
Albuminurie bietet keine Contraindication dar. Es gibt eine Rho¬ 
danakne und einen Rhodanschnupfen; eine Wirkung auf die Schild¬ 
drüse ist dem Rhodannatrium nicht eigentbümlich. 


Notizen. 


Wien, 20. December 1902. 

Die allgemeine AerzteVersammlung in Wien. 

Am 13. d. M. hat in Wien nach längerer Pause eine von der 
Kammer einberufene allgemeine Aerzteversaramlung stattgefunden, 
in welcher Dr. Adolf Klein ein Referat über die Stellung¬ 
nahme zum Hilfscassengesetze erstattete. Wir reproduciren 
dasselbe mit Hinweglassung der einleitenden Ausführungen im 
Feuilleton dieser Nummer. Die von etwa 400 Aerzten — einem 
Vierttheil aller kammerpflichtigen Aerzte — besuchte Versammlung 
hat nach längerer, stürmischer Debatte die Anträge des Referenten 
mit kleinen Abänderungen, und zwar mit 190 gegen 138 Stimmen, 
angenommen. Die Beschlüsse haben folgenden Wortlaut: 

„Da das Hilfscassengesetz in seiner derzeitigen Form eine schwere 
Schädigung der ärztlichen Interessen bedeutet, 

da dasselbe durch die im § 16, al. 1 und 2 gegebene Möglichkeit, 
den Mitgliedern und deren Angehörigen unentgeltliche ärztliche Behand¬ 
lung zu gewähren und dadurch, daß bezüglich des Eintrittes der Mit¬ 
glieder keine Grenze vorhanden ist, auch Bemittelten sich die Gelegenheit 
bietet, auf gesetzlichem Wege zum Schaden der Aerzteschaft unentgeltliche 
ärztliche Hilfe zu erlangen, 

da infolge Hinweises auf die Hilfscassen in der Gewerbenovelle 
und durch die großen Begünstigungen und Erleichterungen, welche Hilfs- 
cnssen gewährt werden, die Zahl der Hilfscasseu sich stets vermehrt und 
dadurch die Erwerbsgrenze der Aerzteschaft immer mehr und mehr ein¬ 
geengt wird, 

beschließt die allgemeine Aerzteversammlung vom 13. December 1902 
wie folgt: 

1. Es ist mit allen Mitteln in der energischesten Weise dahin zu 
wirken, daß der § 16 des Hilfscassengesetzes, welcher die Möglichkeit 
bietet, unentgeltliche ärztliche Hilfe einznfnhren, aus dem Gesetze ver¬ 
schwinde. 

2. Es ist mit allen Mitteln dahin zu wirken, daß rücksichtlich der 
Krankenversicherung im Gesetze genau ausgesprochen werde, daß eine 
Versicherung nur auf Krankengeld gestattet ist und die Behandlung der 
Mitglieder vollständig freigegeben ist. 

3- Sollte die Aerztekammer in ihrem Vorgehen gegen das Hilfs¬ 
cassengesetz von Seite der Behörden auf Widerstand stoßen, so erwartet 
die Wiener Aerzteschaft, daß sie sofort ihre Functionen einstellt. 

4. Bis zur endgiltigen Lösnng dieser Frage wird an den Beschlüssen 
der Kammer vom 21. Januar und 25. Februar 1902 stramm festgehalten. 

5. Die Kammer wird aufgefordert, gegen alle den obigen Beschlüssen 
Zuwiderhandelnden sofort ehrenräthlich vorzugehen.“ 


Die relativ geringe Majorität, mit welcher die Annahme des 
Referates erfolgte, wie nicht minder der Verlauf der Versammlung 
deuten zur Genüge darauf hin, daß jener ohnehin nicht allzu große 
Brucbtheil der Wiener Aerzteschaft, der socialärztlichen Fragen 
Interesse überhaupt entgegenbringt, derzeit nichts weniger als 
geeint ist. Zumal die jüngeren Collegen scheinen der gegenwärtigen 
Kammer, die in der wichtigen Frage des Verhaltens einer hilfs- 
caseenfreundlichen Regierung gegenüber in correcter Weise an die 
Gesammtbeit appellirt, nicht jenes Vertrauen entgegenzubringen, 
dessen die gesetzliche Standesvertretung in diesem Augenblicke 
ganz besonders bedarf. 

Die allgemeinen Aerzteversammlungen sind nicht, wie etwa 
die Vollversammlungen der Advocaten, Plenarv» rsammlungen, an 
deren Beschlüsse die Kammer gebunden ist. Sie besitzen daher 
lediglich den Werth öffentlicher M a n i f e s t ati o n e n, berufen, dem 
Willen und der Anschauung der Aerzteschaft in wichtigen wirth- 
schaftlichcn Standesangelegenheiten nach außen hin Ausdruck zu 
geben. Es spricht nicht eben für bemerkenswerthc socialpolitische 
Reife, wenn eine solche, im Principe geeinte Versammlung — 
denn alle Aerzte perhorresciren die gesetzmäßig 
sanctionirte unentgeltliche ärztliche Behandlung 
der Mitglieder der Hilfscassen — über den Modus 
der beabsichtigten Action, über Details des einzuschlagenden Ver¬ 
fahrens eine Berathung inscenirt, die nar in Ruhe und Sammlung 
möglich ist. Der Werth solcher Manifestationen ist .in dem Augen¬ 
blicke vernichtet, in dem die Oeffentliehkeit aus den stürmischen 
Scenen, durch welche die letzte Versammlung charakterisirt war, 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 51. 


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einen Zwiespalt in der Aerzteschaft anzunehmen sieh berechtigt 
hält, der ja in re gar nicht besteht. Wann werden Jene, die sich 
darin gefallen, als „Führer der Opposition“ eine Rolle zu spielen 
und sich als „Retter“ zu geriren, zur Einsicht kommen, daß sie 
der Sache der Aerzteschaft durch emsige Mitwirkung an den 
mühevollen Arbeiten der Standesvertretungen — Kammer und 
Organisation — weit mehr nützen könnten, als durch ihr maßloses 
Gebaren in allgemeinen Aerzteversammlungen ? Freilich ist letzteres 
äußerlich erfolgreicher. Man kann ja über die Art und Weise der 
anzustrebenden Gesetzesänderung verschiedener Meinung sein; es 
mag ja Manchem die im Uebrigen nicht neue Forderung der Auf¬ 
stellung einer Einkommensgrenze für die der ärztlichen Pauschal¬ 
behandlung unterworfenen Mitglieder der Hilfscassen plausibler 
erscheinen, als der Antrag auf Freigebung der ärztlichen Behand¬ 
lung aller Mitglieder der Hilfscassen und Beschränkung der Ver¬ 
sicherung auf Krankengeld. Diese Meinungsverschiedenheit ist aber 
doch kein berechtigter Anlaß zu Scenen , wie sie der Saal der 
„Gesellschaft der Aerzte“ jüngst sehen mußte. Dies zu berathen 
war ja auch, wie gesagt, nicht der Zweck der Versammlung, 
welche berufen war, die Kammer in ihrem Kampfe gegen die 
Statthalterei zu stützen. Es sind heftige Reden gegen die Regierung 
gehalten worden; der Verlauf der Versammlung aber war nicht 
geeignet, den Eindruck dieser Reden zu verstärken. Die allgemeine 
Aerzteversammlung vom 13. December war eine mißlungene Demon¬ 
stration, mißlungen durch die Haltung einer Minorität, die dureh 
künstliche Opposition und unparlamentarische Ausbrüche maßloser 
Heftigkeit die gemeinsame Sache nicht gefördert hat. 


(Hermann Nothnagel.) Mit aufrichtiger Freude ver¬ 
zeichnen wir die Berufung Hermann Nothnagel’s, des allverehrten 
Klinikers, in das Herrenhaus des österreichischen Reichsrathes. Die 
Regierung, welche die hervorragendsten Vertreter aller Stände 
durch die Verleihung der lebenslänglichen Pairswürde auszeichnet, 
hat zum Nachfolger der Rokitanskvt, Billroth und Brücke, als 
Repräsentanten der medicmischeD Wissenschaften und damit des 
ärztlichen Standes den Gelehrten gewählt, dessen scientifische und 
didactische Bedeutung mit jener des ethisch hochstehenden Menschen 
wetteifert. Nicht als Mandatar einer politischen Partei nimmt Noth¬ 
nagel seinen Sitz im Oberhause ein ; er wird in demselben die 
Wissenschaft und Humanität vertreten, die Leitsterne seines Lebens 
und Wirkens. In diesem Sinne begrüßt die Aerzteschaft Oesterreichs 
die hohe Auszeichnung, die dem Manne geworden, der, eine Zierde 
des Standes, nunmehr berufen ist, mitzuwirken au der staatlichen 
Legislatur. Die Aerzte werden an Nothnagel einen warmen Freund 
und Förderer im Parlamente besitzen, der die Bedeutung des Standes 
wie dessen berechtigte Wünsche kennt und zu vertreten wissen wird. 

(Diphtherie-Heilserum.) Einer Mittheilung des Wiener 
staatlichen serotherapeutischen Institutes entnehmen wir, daß die 
Preise des Serums um circa 40°/ (> ermäßigt wurden. Mit dieser 
Preisermäßigung erscheint ein Ansuchen erfüllt, welches von Aerzte- 
kammern sowohl als von Landtagen an das Ministerium des Innern 
gerichtet worden ist. 

(Statistik des Medicinstudiums.) In der „Deutschen 
med. Wochenschr.“ veröffentlicht der bekannte Statistiker Heimann 
die Statistik des Medicinstudiums in Deutschland seit dem Jahre 
1830. Seither, wo die Zahl der Medicinstudirenden 2355 betrug, 
hat sich diese Zahl ungefähr verdreifacht. Im Jahre 1848 ging 
sie zunächst auf 1506 zurück, dann folgte ein Ansteigen, zunächst 
allmälig bis 4010 im Sommersemester 1880, dann rasch in den 
nächsten 10 Jahren bis 8724. Im Wintersemester 1893 zeigte sich 
eine Abnahme auf 7620 und seitdem blieb die Frequenz mit geringen 
Schwankungen auf derselben Höhe. Auf eine Million Einwohner 
kamen im Jahrzehnt 1831—1840 75, in den Jahren 1885 — 1890 
174, 1895—1900 143 Medicinstudirende. Was die Berufsschichten 
betrifft, aus denen die Mediciner hervorgehen, so waren mehr als 
der vierte Theil Söhne von akademisch Gebildeten, 18% von Aerzten, 
fast ebensoviel von Kauf leuten, 14% von Beamten ohne akademische 
Bildung, 13% von selbständigen Industriellen, 10% von selbst¬ 


ständigen Laudwirthen. Im Studienjahr 1899 —1900 waren von 
den Studenten der Medicin 62% evangelisch, 23% katholisch und 
15% jüdisch, während von der männlichen Bevölkerung überhaupt 
im Staate 63% evangelisch , 35% katholisch und 1% jüdisch 
waren. An den deutschen Universitäten gab es 1899—1900 224 
ordentliche, 19 Honorarprofessoren und 219 außerordentliche Pro¬ 
fessoren der Medicin, ferner 329 Privatdocenten, zusammen 791 
Docenten der Medicin; auf 1 Docenten kamen durchschnittlich 
9 Studenten. 

(Die Krankencasse der Wiener Bankbeamten.) 
Wenige Tage nach der allgemeinen Aerzteversammlung hat eine 
Versammlung der Bankbeamten stattgefunden, in welcher auch ein 
Vertreter der n.-ö. Statthalterei nicht nur erschienen ist, sondern 
— wie die Tagesblätter berichten — auch gesprochen hat. Die 
Versammlung nahm ein ausführliches Referat über den Kampf mit 
der Wiener Aerztekammer entgegen und beschloß eine Resolution, 
welche eine scharfe Spitze gegen die Kampfart der Kammer ent¬ 
hält. Wir müssen es dieser Corporation überlassen, den Bank¬ 
beamten die gebührende Antwort zu ertheilen; was uns veranlaßt, 
die in der Tagespresse ausführlich besprochene Versammlung über¬ 
haupt zu erwähnen, ist die überaus bedauerliche Thatsache, daß sich ein 
Arzt gefunden hat, der keinen Anstand nahm, dort das Wort zu 
ergreifen, um nach dem Berichte der „Neuen Freien Presse“ zu 
erklären, er sei außer Stande, den Beschlüssen der Aerztekammer 
beizupflichten und habe seine eigenen Anschauungen über Standes¬ 
ehre. So scheint es. Das „Neue Wiener Tagblatt“ schreibt: „Seitens 
der Aerzteschaft war Dr. Samek erschienen.“ Wir wären recht be¬ 
gierig zu erfahren, wann die Aerzteschaft diesem Herrn das Mandat 
übertragen hat, sie in der Versammlung der Bankbeamten zu 
vertreten. 

(Aus der Unfallspraxis.) Solidem Unfallverletzten das 
ärztliche Gutachten bekannt gegeben werden? In einer Renten¬ 
streitigkeit hat der Sectionsvorstand einer Knappschafts-Berufs¬ 
genossenschaft Deutschlands diese Frage verneinend beantwortet und 
die Ablehnung damit motivirt, daß die genaue Kenntniß des eigenen 
körperlichen Zustandes für viele Verletzte nicht rathsam und sogar 
häufig direct schädlich erscheinen und die raedicinischen Sachver¬ 
ständigen in der freien und vollständigen Beurtheiluug des Materials 
behindern könnte. Eine Scheidung der Verletzten aber nach der 
Richtung vorzunehmen, ob die Mittheilung der ärztlichen Gutachten 
ihren Zustand voraussichtlich ungünstig beeinflussen würde oder 
nicht, müsse als praktisch undurchführbar angesehen werden und 
scheitere schon an der Unübersehbarkeit dieser Wirkungen. 

(Aerztekammer und Landesausschuß.) Ein um eine 
Arztensstelle in Oberösterreich competirender College hatte sich an 
die o.-ö. Kammer um Auskunft gewendet und die Auskunft er¬ 
halten, daß die entsprechenden Verhältnisse nicht als günstig zu 
bezeichnen seien. Auf diese Information hat der Arzt die Competenz 
aufgegeben. Nun hat der Landesausschuß über diese Auskunfts- 
ertheilung seitens der Kammer eine Beschwerde an die Statthalterei 
geleitet. Die Aerztekammer präcisirte ihren Standpunkt dahin, daß 
es wohl keinem Zweifel unterliegen könne, daß die Aerztekammer 
nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht habe, einem anfragen¬ 
den Arzte Auskünfte zu ertheilen und ihn vor Schaden zu bewahren. 
In der Erledigung der Beschwerde erklärte die Statthalterei, daß 
nach ihren Informationen die von der Kammer geschilderten Ver¬ 
hältnisse den Thatsachen entsprechen, daß jedoch die von der 
Kammer ertheilte Warnung über den Rahmen einer Information 
hinausgehe. 

(Günstige Tuberculose-Statistik in Preußen.) 
Der officielle Nachweis über das Auftreten der Tuberculose als 
Todesursache in Preußen ergibt eine bedeutende Abnahme der 
Tuberculosensterblichkeit von 31 auf 10.000 Lebende im Jahre 
1876, auf 27 im Jahre 1891, 22 im Jahre 1896, 20 im Jahre 
1901. Besonders beweiskräftig sind die Nachrichten aus den Gro߬ 
städten, wo für die Anmeldung der Gestorbenen ärztliche Todten- 
scheine verlangt werden. Von besonderer Wichtigkeit ist es, daß 
die höchsten und niedrigsten Ziffern für die einzelnen Altersclassen 
in den verschiedenen Großstädten entschieden günstiger geworden 
sind. — Diese Zahlen sprechen in unverkennbarer Weise für den 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


Nr. 51. 


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Werth der Tuberculose-Prophylaxe und der ärztlichen Leistungen 
für den modernen Staat. 

(Preisaufgabe.) Aus St. Petersburg wird uns geschrieben: 
Die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften hat eine Preisaufgabe 
über die Erforschung der Natur des Fischgiftes und über die Mittel 
zur Bekämpfung desselben ausgeschrieben. Es kommen ein großer 
Preis von 5000 Rubeln und zwei kleine von 1500 und 1000 
Rubeln zur Vertheilung. Die Abhandlungen, auch in deutscher 
Sprache zulässig, müssen am 1. October 1903 im Ministerium der 
Landwirthschaft eiDgereicht werden. Auskünfte ertheilt der Secretär 
der Akademie in St. Petersburg, Generallieutnant N. Doubrovine. 

(Statistik.) Vom 7. bis inclusive 13. December 1902 wurden in 
den Ci vi lspitälern Wiens 7401 Personen behandelt. Hievon wurden 1427 
entlassen; 165 sind gestorben (10'36% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkerung Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 91, egypt. 
Augenentzündung 1, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 9, Dysen¬ 
terie —, Blattern —, Varicellen 108, Scharlach 33, Masern 308, Keuchhusten 83, 
Rothlauf 45, Wochenbettfleber 4, Rötheln 7, Mumps 22, Influenza 1, follicul. 
Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 738 Personen gestorben 
(+ 51 gegen die Vorwoche). 

(Todesfälle.) Gestorben sind: In Wien der Oberstabsarzt 
I. CI. d. R. Dr. Ferdinand Prükesch im 73. Lebensjahre; in 
Budapest Dr. Josef Hlatky, Arzt des artesischen Bades ; in Al^yogy 
der dortige Amtsarzt l)r. M. Adorjän ; in Lemberg der Professor 
der Pharmakologie an der dortigen Universität Dr. Wenzel So- 
bieransky im 41. Lebensjahre; in Sonnenburg der leitende Arzt 
des Johanniter-Ordens-Krankenhauses Sanitätsrath Dr. Otto Schütz, 
44 Jahre alt; in Neubrandenburg der Senior der mecklenburgischen 
Aerzte Medicinalrath Dr. Brückner im Alter von 88 Jahren ; in 
München der dortige Professor der Anatomie I)r. Karl von Küpffer 
im 73. Lebensjahre; in Basel der Professor der Arzneimittellehre 
Dr. Rudolf Massini-Mf.genrock. 


Eingesendet. 

Der Verband der Aerzte Wiens fordert alle standesbewußten College» 
auf, bis auf weiteres die Stelle eines leitenden Arztes im Wöchnerinnenheim 
„Lucina“ nicht anzunehmen. 

Für den Vorstand des Verbandes der Aerzte Wiens: 

Dr. Keller. Dr. Schum. 


Verantwortlicher Red&ctenr: Docent Dr. Ludwig Braun. 


Dieser Nummer liegen bei: Ein Prospect der Farben¬ 
fabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. in Elberfeld über „Helmitol“, 
ein Prospect der Farbwerke vorm. Meister Lucius & Brüning 
in Höchst am Main über „Lactophenin Höchst“. Wir empfehlen 
diese der geneigten Beachtung unsrer Leser. 

Einzelne Nummern der „Wr. Med. Presse“ kosten 72 h ■= 60 Pf. mit 
Postversendung. Die Preise derEinbanddeoken sind folgende: für die „Med. 
Presse“ K 2.30 (2 Mark); „Wiener Klinik“: K 1.40 (1 Mark 20 Pf.); 
„Therapie der Gegenwart“: 2fl.60 (1 Mark 40 Pf.) incl. Postversendung. 


Die Rubrik: „Erledigungen, ärztliche Stellen“ etc. 
befindet sich auf der zweiten Inseraten-Seite. 

Mt Wir empfehlen diese Rubrik der speolellen Beachtung unserer 

f eehrten Leser ; in derselben werden öfters — neben der Publioation von 
akanzen — Anfragen gestellt und Ideen angeregt, die auch für diejenigen 
Herren Aerzte von Interesse oder Werth sein können, welche an eine 
Aenderung des Domicils oder ihrer Verhältnisse nicht gedacht haben. 


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Wien, den 28. December 1902. 


Nr. 52. 


XLIH. Jahrgang. 


Die „Wiener Medizinische Presse“ erscheint jeden Sonntag 
2 bis 3 Bogen Groß-Quart Format stark. Als regelmäßige Bei¬ 
lagen erscheinen: „Allgemeine Militärärztliche Zeitung“ und 
die „Wiener Klinik“, letztere, selbständig geleitet, allmonat¬ 
lich im durchschnittlichen Umfange von 2 Bogen Lexikon- 
Format. — Abonnements- und Insertionsaufträge sind an 
die Administration der „Wiener Medizinischen Presse" 
in Wien, I., Maximilianstraße Nr. 4, zu richten. Für 
die Redaction bestimmte Zuschriften sind zu adressiren an 
Herrn Dr. Anton Bum, Wien , I„ Deutschmeisterplatz 2. 


Wiener 


Abonnementnpreise: „Wiener Mediz. Presse“ mit „Allgern. 
Militärärztlicner Zeitung“ und „Wiener Klinik“ Inland: Jahrl. 
20 A, halbj. 10 K, viertel). 5 K. Ausland: Für das Deutsche 
Reich, alle Buchhändler und Postämter: Jährl. 20 Mrk., 
halbj. 10 Mrk., viertelj. 5 Mrk. Für die Staaten des Weltpost¬ 
vereines: Jährl. 24 Mrk., halbj. 12 Mrk. „Wiener Klinik“ 
separat: Inland: jährl. 8 K; Ausland: 8 Mrk. — Inserate 
werden für die 2spaltige Nonpareille-Zeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. = 60 h berechnet. Man abonnirt im AuBlande bei 
allen Buchhändlern und Postämtern, im Inlande durch Ein¬ 
sendung des Betrages per Postanweisung an die Administr. 
der „Wiener Mediz. Presse“ in Wien, I., Maximilianstr. 4. 


medizinische Presse. 


Begründet 1860. 


Bedaction: Telephon Hr. 13.849. 


Organ für praktische Aerzte. 

-.8J8.- 

Redigirt von 

Dr. Anton Bum. 


Verlag von 

Urban ft Schwarzenberg in Wien. 

Administration: Telephon Br. 9104. 


INHALT: Originalien und klinische Vorlesungen. Geburisstörung durch Narbenstenose des Muttermundes infolge von Syphilis. Von Dr. Gustav Woyee 
in Wien. — 48 operativ behandelte Fälle gutartiger Gastrostenosen. Von Med. Dr. E. G. Johnson in Stockholm. — Referate. E. v. Döring 
(Constantinopel): Grundsätze der Syphilisbehandlung. — Sfrouck und Hoefnagel (Utrecht): Uebertragung der Rindertuberculose auf den Menschen 
durch zufällige Einimpfung und experimentelle Rückimpfung auf ein Kalb. — H. Krause (Berlin): Zur Behandlung der Lungen- und Kehlkopf- 
tnberculose mit Hetol (Länderer). — L. Bernhardt und M. Blumenthal (Berlin): Zur Kenntniß der congenitalen Elephantiasis. — Wassermann 
(München): Ueber die kosmetische Behandlung von Sattelnasen mit Vaselininjectionen. — Jar. Fkyfar: Ueber das Verhältniß der Herzfehler zur 
Lungentuberculose. — Herzog (Wnrzburg): Zur Tuberculose im Kaltblütlerorganismns. — Wildbolz (Bern): Zur Biologie der Gonokokken. — 
Kleine Mittheilnngen. Eine Methode, Kuhmilch leichter verdaulich zu machen. — „Thigenol.“ — Prophylaxe der Geschlechtskrankheiten. — 
Specificum gegen Pustula maligna. — Behandlung der tuberculösen Cystitis. — Nirvanin. — Literarische Anzeigen. Die nervöse Schlaflosigkeit 
und ihre Behandlnng. Von Dr. Richard Traugott, Breslan. — Die Krankheiten de8 Mundes und der Zähne im Kindesalter. Von Dr. Joh. Hugo 
Sfiegelberg. — Verhandlungen ärztlicher Vereine. 74. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. Karlsbad, 21. — 27- September 1902. 
(Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) XI. — Notizen. Richard Frh. v. Krafft-Ebing +• — Nene Literatur. — Ein¬ 
gesendet. — Offene Correspondenz der Redaction and Administration. — Aerztliche Stellen. — Anzeigen. 

Dieser Nummer liegen Titelblatt, Autoren - V e rz ei chniß und Sachregister für den Jahrgang 1902 bei. 


Nachdruck von Artikeln dieses Blattes ist nur unter vollständiger Angabe der Quelle „ Wiener Medizinische Presse u gestattet. 


Originalien und klinische Vorlesungen. 

Geburtsstörung durch Narbenstenose des 
Muttermundes infolge von Syphilis. 

Von Dr. Gustav Woyer in Wien. 

Zu den selteneren Vorkommnissen in der operativen 
Geburtshilfe zählen Dystokien, welche durch Stenosenerschei¬ 
nungen des Muttermundes infolge von Narbenbildungen nach 
abgeheilten Ulcerationsprocessen an der Portio zustande 
kommen. Nur spärlich sind derartige Fälle in der Literatur zu 
finden. Diese Narben können auf verschiedener Grundlage 
entstandenen Geschwüren ihren Ursprung verdanken, beispiels¬ 
weise diphtheritischen, gonorrhoischen und auch luetischen 
Ulcerationsprocessen. 

Ich selbst sah einen Fall, in welchem eine in früher 
Jugend überstandene diphtheritische Entzündung ein der¬ 
artiges Geburtshinderniß setzte; Herzfeld beschreibt in seinem 
Lehrbuche der Geburtshilfe einen Fall, in welchem auf 
chronisch entzündlicher Basis eine narbige Stenose zustande 
kam. Es entwickelten sich in diesem Falle später Condylo- 
mata acuminata an der Portio. 

Eine besonders interessante Stellung nehmen unter diesen 
Narhenstenosen diejenigen ein, welche auf Grund ausgeheilter 
syphilitischer Geschwüre entstehen, sei es nun, daß der 
Primäraffect an der Portio saß, oder daß andere luetische 
Ulcerationen dieselbe ergriffen hatten. 

Es ist bekanntlich der syphilitische Primäraffect der 
Portio ein relativ seltenes Vorkommniß; Neumann erwähnt 
in seinem Lehrbuch der Syphilis (Sammlung Nothnagel), 
daß er unter 800 Fällen die Initialsklerose daselbst nur 51mal 


beobachten konnte '), und bemerkt auch ausdrücklich, daß 
infolge derselben narbige Veränderungen und Stenosen auf- 
treten können. 

Derartige Narben können dann bei einer Geburt schwere 
Störungen verursachen. Es kommt zu einer Rigidität des 
Cervixgewebes, welche eine entsprechende Erweiterung des 
Muttermundes verhindert und von schweren Folgen für Mutter 
und Kind genau so wie die gefürchtete Rigidität bei alten 
Erstgebärenden begleitet sein kann. 

Solche Fälle sind von Chrobak, Welponer, Rose, 
Blanc, Doleris und anderen Autoren beschrieben worden; 
ich werde auf die Details in einer ausführlicheren, der 
geburtshilflich-gynäkologischen Bedeutung der Uterussyphilis 
gewidmeten Abhandlung noch zurückkommen. 

Zweck dieser kurzen Publication ist nur, einen eben¬ 
solchen, in letzter Zeit mir zur Beobachtung gekommenen 
Fall zu veröffentlichen und die Aufmerksamkeit der Geburts¬ 
helfer neuerlich auf dieses wichtige Vorkommniß zu lenken 
und vielleicht zur Veröffentlichung ähnlicher Fälle Anlaß 
zu geben. 

Nachstehend die Krankengeschichte meines Falles: 

Ich wurde am 23. März 1901 zu einer 26jährigen Erst¬ 
gebärenden mit der Angabe gerufen, daß die Frau seit 4 Tagen 
gebärend sei, und trotz kräftiger Wehen eine Erweiterung des 
Muttermundes nicht zustande gekommen sei, daß nach Ansicht 
des Hausarztes nunmehr der Zustand von Mutter und Kind dringend 
die Entbindung erheische. 

Die Wehen sollen vor 4 Tagen eingesetzt haben, der Blasen¬ 
sprung soll vor 28 Stunden erfolgt sein. Der Hausarzt konnte 
wohl ein Tiefertreten des kindlichen Kopfes, jedoch angeblich 

') „Man findet sie überwiegend bei Individuen, welche bereits 
geboren haben, da b e i i h n en d i e Vagin alp or ti o n ge w ö h n 1 i c h 
tiefer steht und sehr häufig erodirt ist.“ 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 52 


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infolge hochgradiger Rigidität keine entsprechende Erweiterung des 
Muttermundes constatiren. Trotz wiederholter warmer Bäder, heißer 
Scheidenspülungen etc. sei der Befund am Cervix seit dem Wehen¬ 
beginn stationär geblieben. Da nunmehr Temperatursteigerung, 
allgemeine Unruhe und Schwächegefühl, sowie Schlechterwerden 
der kindlichen Herztöne und Abgang von mißfärbigem Frucht¬ 
wasser sich einstellten, hielt der Hausarzt die Vornahme einer 
operativen Entbindung für angezeigt und veranlaßte meine Zu¬ 
ziehung zu dem Falle. 

Bei meiner Ankunft um 12 1 / 2 Uhr Mittags konnte ich folgen¬ 
den Befund erheben: 

Große, etwas blasse, sonst gut genährte und kräftig gebaute 
Frau, welche keinerlei Zeichen von Rachitis aufweist. Temp. SS’T 0 , 
Puls 120. Die Gebärende ist sehr unruhig und aufgeregt, wirft 
sich im Bette herum und klagt über heftige Schmerzen in der 
Gegend über der Symphyse. Zeitweise besteht Brechreiz. 

Der Uterus, durch sehr rasch aufeinanderfolgende Wehen 
fast andauernd im Contractionszustande, steht am Schwertfortsatz, 
ist längsoval und stark dextrovertirt. 1 >/ 2 Querfinger unterhalb 
des Nabels verläuft schräge von links oben nach rechts unten und 
hinten eine deutliche Contractionsfurche. Das linke Ligamentum 
rotundum ist deutlich zu tasten. Die Palpation des ganzen Leibes, 
besonders aber des unteren Gebärmutterantheiles sehr empfindlich. 
Keine Tympania uteri nachweisbar. 

Die Frucht befindet sich in Kopflage, 2. Position. Die Herz¬ 
töne sind deutlich hörbar, 144 in der Minute. 

Bei der inneren Untersuchung findet man den Kopf tief im 
Becken stehend und demselben dicht anliegend den stark gespannten 
Cervixtheil. Der Muttermund, weit nach hinten stehend, ist nur 
mit Mühe zu erreichen. Derselbe ist kaum für einen Finger offen, 
der Muttermundsaum drahtringartig gespannt, 
äußerst derb. 

Der Versuch einer digitalen Dehnung mißlingt, es fühlt sich 
das Cervixgewebe in der Umgebung des Muttermundes wie narbig 
verändert an, und es sind deutlich wie strahlenartig 
ausgehende Leisten und Wülste besonders in der 
Richtung nach vorne zu tasten. 

Die Spiegeluntersuehung zeigt, daß das ganze 
Gewebe in der Umgebung des Muttermundes 
sieh durch sein sehnig, weißglänzendes Aus¬ 
sehen deutlich von der umgebenden, normal 
gefärbten Portio abhebt. In demselben springen 
zwei besonders derb anzufühlende Leisten nach 
vorne zu deutlich vor, zwischen welchen eine 
eineinhalb Centimeter breite, strei fen artige 
Zone, wie Atlas glänzend, sich befindet. 

Das Becken ist anscheinend normal; der Kopf ist in forcirter 
Hinterhauptlage eingestellt, mißfarbiges Fruchtwasser in geringer 
Menge geht ab. 

Mit Rücksicht auf die höhergradige Dehnung des unteren 
Uterinsegmentes einerseits und die Lebensgefahr der Frucht anderer¬ 
seits entschloß ich mich zur operativen Entbindung. 

Unter Leitung des Auges wurde in Narkose der Muttermund 
und Cervix nach vorne und hinten, sowie nach beiden Seiten 
hin mit der Kniescheere bis zum Ansätze des Scheidengewölbes 
gespalten. 

Das Gewebe erwies sich als sehr derb, es knirschte unter 
der Schere, es trat auch fast gar keine Blutung ein , und nur 
aus den obersten Antheilen der Schnitte blutete es ein wenig. 
Sofort nach der blutigen Erweiterung trat mit der nächsten Wehe 
der Kopf tiefer und konnte mit der Zange nach einigen Tractionen 
ohne nennenswerthe Schwierigkeiten entwickelt werden. Wegen 
Straffheit des Dammes wurde eine Episiotomie linkerseits aus¬ 
geführt. 

Die Frucht, männlichen Geschlechtes, war asphyktisch, wurde 
aber durch Hautreize etc. rasch wiederbelebt. Ihr Gewicht betrug 
3300 Grm., die Länge 50'/ 2 Cm. Nach Austritt der Frucht ent¬ 
leerte sich eine größere Menge mit Blut vermengten, etwas übel¬ 
riechenden Fruchtwassers. 


Da die Blutung recht heftig war unt trotz guter Contraction 
des Uterus anhielt, exprirairte ich sofort die Placenta, um eventuelle 
Cervixverletzungen zu versorgen. 

Die Untersuchung ergab thatsächlich, daß die linksseitige 
Incision bis hoch hinauf ins untere Uterinsegment eingerissen war. 

Ich stellte mir die Portio im Speculum ein und konnte 
deutlich im oberen Wundwinkel des Risses eine Arterie mittlerer 
Größe spritzend wahrnehmen. Zwei Umstechungen und die Naht 
des Risses stillten die Blutung, welche recht heftig gewesen war. 
Die übrigen Einschnitte waren nicht weiter gerissen, und bluteten 
nur unbedeutend. 

Ich nahm eine heiße Uterusspülung mit Lysollösung vor und 
laraponirte den Uterus, Cervix und die Scheide exact mit Jodoforra- 
gaze. Es erfolgte keine Nachblutung. Naht der Episiotomiewunde. 

Die Wochenbettverlauf war völlig normal. Am 7. Tage 
wurden die Hautnähte, nach 3 Wochen die Cervixnähte entfernt. 
Dabei erwies sich der Muttermund gut für die Fingerkuppe offen. 

Ich wollte dann eine Probeexcision behufs mikroskopischer 
Untersuchung vornehmen, welche leider von der Patientin nicht 
zugelassen wurde. 

Während der Geburt hatte ich bei der Eile, die sehr be¬ 
deutende Blutung zu stillen, leider diese Excision nicht 
gleich ausgeführt. 

Es lag mir selbstverständlich daran, die Provenienz der 
Narbenstenose aufzuklären, und es ergab auch die nachträg¬ 
lich vorgenommene Nachfrage ein ziemlich präcises Resultat, 
so daß wohl die Erklärung der Narbenbildung in dem be¬ 
schriebenen Falle auch ohne mikroskopischen Befand gegeben 
sein dürfte. 

Nach einigen Tagen nämlich entwickelte 
sich an dem Kinde ein deutlicher Pemphigus 
lueticus und außerdem konnte ich Folgendes in Erfahrung 
bringen. 

Der Gatte der Dame hatt e angeblich 3'/ 2 Jahre vor 
seiner Verheiratung einen harten Schanker gehabt, 
weswegen er mit einer Schmiercur behandelt 
worden war. Ein halbes Jahr vor der Hochzeit 
hatte er an Geschwüren im Halse und an den 
Mundwinkeln gelitten und ist mit Einspritzungen 
und Jodkali behandelt worden. 

Die Frau selbst erkrankte 5 Wochen nach ihrer Ehe¬ 
schließung an einem Ausflusse aus der Scheide und heftigem 
Brennen am äußeren Genitale, es soll damals nach 
ihrer Angabe ein Geschwür am Muttermund von 
einem Arzte diagnosticirt worden sein. Sie soll mit Aus¬ 
spülungen, Sitzbädern und Tampons behandelt worden sein. 
Auch soll sie während dieser Zeit öfters gefiebert haben und 
sehr abgemattet und schwach gewesen sein. Sie erhielt 
auch Pillen, welche der Arzt ihr angeblich wegen Blutreini¬ 
gung verordnete. Nach mehrwöchentlicher Behandlung hörte 
der Ausfluß auf und trat die Frau seither nicht mehr in 
ärztliche Behandlung. Im ersten halben Jahre nach dieser 
Erkrankung soll die Menstruation sehr schmerzhaft und mit 
starken Krämpfen verbunden gewesen sein. 

Die Schwangerschaft selbst verlief ungestört. Die 
Patientin war während der ganzen Dauer derselben voll¬ 
kommen wohl. 

An das Vorhandensein eines Ausschlages kann sie sich 
nicht erinnern. 

Ich glaube aus diesen Momenten, ohne fehlzugehen, wohl 
den Schluß ziehen zu dürfen, daß die narbige Veränderung 
der Portio infolge einer an derselben localisirt gewesenen 
syphilitischen Erkrankung zustande kam. Vermuthlich saß 
der Primäraffect an der Portio und heilte unter Narben¬ 
bildung aus. 

Ich erinnere mich, einen ganz ähnlichen Fall als Assistent 
der Klinik Schauta an einer 19jährigen Puella publica beob¬ 
achtet zu haben, bei welcher infolge Narbenstenose nach 
syphilitischem Primäraffect der Portio ebenfalls eine schwere 
Geburtsstörung zustande kam. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 52. 


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Es wäre auch möglich, daß die Krämpfe zur Zeit der 
Menses, wie es auch Neumann in seinem Buche erwähnt, durch 
Stenosenerscheinungen erklärt werden können; er gibt sogar 
an, daß infolge Stenosirung nach Primäraffecten Hämato- 
metren beobachtet werden konnten. 

Jedenfalls bietet der Fall klinisch ein eminentes geburts¬ 
hilfliches Interesse, und halte ich aus diesem Grunde seine 
Veröffentlichung für gerechtfertigt. Es wäre meiner Ansicht 
nach bei der Behandlung von Primärgeschwüren an der 
Portio bei conceptionsfähigen Personen darauf zu achten, ob 
es nicht möglich ist, derartigen ausgedehnten Narbenbildungen 
rechtzeitig durch entsprechende Behandlung oder später durch 
plastische Operationen beizukommen, um solche gefahrdrohende 
Geburtscomplicationen nach Thunlichkeit hintan¬ 
halten zu können. 

Im Nachtrage möchte ich noch erwähnen, daß der Mann 
der Patientin vor einem Vierteljahre — angeblich wegen 
progressiver Paralyse — in eine Irrenanstalt gebracht werden 
mußte. Frau und Kind sind derzeit gesund. 

48 operativ behandelte Fälle gutartiger 
Gastrostenosen. 

Von Med. Dr. £, G. Johnson in Stockholm. 

(Schluß.) 

2. Männliche Patienten. 

29. Theodor L., Händler aus Lysekil, mit 31 Jahren Schwere 
und Druck, saueres Aufstoßen, verträgt gewisse Speisen nicht, 
10 Jahre darauf Schmerzen, Empfindlichkeit und Tumor im rechten 
Hypochondrium , mit 45 Jahren Hyperacidität, Dilatation mit 
Retention. Operation am 7. April 1894, Prof. Berg. Tumor, den 
Pylorus an die hintere Magenwand befestigend, keine Drüsen¬ 
metastasen. Pyloroplastik. Genesung. Pat. starb 4 Jahre nach der 
Operation an einem Aortenaneurysma; bei der Obduction wurde 
ein Pylorustumor nicht mehr vorgefunden. 

30. Valfrid Oe., Sergeant, Orusköldovik, mit 12 Jahren saueres 
Aufstoßen, Schwere und Druck, Erbrechen; mit 22 Jahren Blut¬ 
erbrechen , 1 Jahr darauf Massenerbrechen, heftige Schmerzen, 
Abmagerung, Superacidität. Operation im 24. Jahre am 25. Februar 
1895 , Dr. Permann. Befund nicht notirt. — Gastroenterostomie. 
Heilung. 

31. Erik E., Fleischer aus Norrtelge, Anamnese unbekannt, 
bis zum 33. Jahre, Schmerzen in der Magengegend, Dilatation des 
Magens mit Retention. Operation im 39. Jahre am 17. Januar 1896, 
Prof. Berg. Am Pylorus zwei größere Narben; Stenose. Gastro¬ 
enterostomie. Heilung. 

32. Theodor H., Agent, Stockholm, wiederholte Pleuritiden, 
Tuberculose in der Familie, mit 21 Jahren saueres Aufstoßen, 
Sodbrennen, Beschwerden, mit 23 Jahren anfallsweise Erbrechen 
brauner Massen, im 26. Jahre Bluterbrechen, im 36. Jahre Massen¬ 
erbrechen, Hyperacidität, Dilat. ventriculi, Retention. Operation am 
1. Juli 1897, Dr. Permann. Der Pylorus von Narbenzügen um¬ 
geben, verengt Pankreas und Darm an der Leber, adhärent. Gastro¬ 
enterostomie. Heilung. 

33. Olof N., Tramwaykutscher, Stockholm, mit 31 Jahren 
saueres Aufstoßen, Erbrechen, mit 40 Jahren Erbrechen, Hyper¬ 
acidität, Retention, Tetanie. Operation mit 43 Jahren am 2. Juli 1897, 
Prof. Akebmann. Pylorus eng und stenosirt. Gastroenterostomie. 
Heilung. 

34. Carl R., Kirchenvorsteher, Varmland, mit 42 Jahren 
Schwere, Druck und Erbrechen, mit 50 Jahren Massenerbrechen, 
Retention, Dilat. ventriculi, Hyperacidität, Abmagerung. Operation 
ein Jahr später am 6. Juli 1897, Prof. Berg. Der Pylorus und 
der zunächst liegende Theil des Magens bis zu Bleistiftdicke ver¬ 
engt. Gastroenterostomie. Heilung. Der Pat. starb 6 Monate nach 
der Operation an einer acuten Pneumonie. 

35. Victor B., Arbeiter, Amerika, mit 22 Jahren Erbrechen, 
Gasbildung und Schmerzen in der Magengegend, mit 28—29 Jahren 


Erbrechen, Schmerzen, Druckempfindlichkeit des Pylorus, stark 
saueres Aufstoßen, Abmagerung, mit 29 Jahren copiöses Erbrechen, 
Retention, Dilat. ventriculi. HCl schwach vorhanden, mit 33 Jahren 
Operation am 13. Mai 1898, Prof. Akermann. Pylorus resistent, 
durch Narbenmassen verengt. Gastroenterostomie. Heilung. 

36. Sven K., Heizer, Solna, mit 18 Jahren Trauma, hierauf 
Schmerzen und Aufstoßen, mit 39 Jahren Erbrechen (Blut ?), hernach 
heftige Beschwerden, Empfindlichkeit, Retention, Hyperacidität, 
verstärkter Motus peristalticus. Operation ein Jahr später, am 
14. Mai 1898, Prof. Berg. Feste Verwachsungen zwischen Pylorus 
und Flexura coli hepatica, Pylorus verengt, Duodenum verdickt 
und hart. Gastroenterostomie. Infolge Aspirationspneumonie langsame 
Erholung, schließlich jedoch Genesung. 

37. Erik F. E., Holzarbeiter, Erkilstena, im 54. Jahre, 3 Monate 
vor der Operation Kolikschmerzen und Bluterbrechen, Dilatation 
des Magens, Retention, kräftige HCl-Reaction. Operation am 
10. Juni 1898, Prof. Akermann. Pylorus verengt, kaum für die 
Fingerkuppe durchgängig. Gastroenterostomie. Tod infolge allge¬ 
meiner Peritonitis am Operationstage. Chronische Cystitis. 

38. Johann V., Händler, Söderkoping, mit 16 Jahren Magen¬ 
störungen, saueres Aufstoßen, mit 35 Jahren Bl.uterbrechen, Hyper¬ 
acidität, mit 38 Jahren copiöses Erbrechen , Schmerzen, Retention 
mit Hyperacidität. Operation mit 43 Jahren am 17. August 1898, 
Prof. Berg. Pylorus hart, grauweiß, Omentum minus zum Theile 
narbig geschrumpft. Gastroenterostomie. Tod 15 Tage nach der 
Operation. Das Operationsfeld reactionslos, hinter dem Magen eine 
abgekapselte Peritonitis. 

39. Anders P., Kellermeister, Örebro, mit 37 Jahren Skoli- 
koiditis ? Mit 55 Jahren Schwere im Magen, Appetitlosigkeit, Er¬ 
brechen, Retention HCl + Abmagerung. Operation im 57. Jahre 
am 19. November 1898. Der Magen vergrößert, Pylorus an der 
unteren Leberfläche fixirt. Gastroenterostomie. Heilung. 

40. Lars F. A., Arbeiter, Björneborg, mit 32 Jahren Be¬ 
schwerden, Aufstoßen, Erbrechen, 7 Jahre darauf Schmerzen und 
copiöses Erbrechen, Dilat. ventriculi, Retentio, Hyperacidität. Ope¬ 
ration sofort am 14. März 1899, Dr. Pebmann. Pylorus verengt 
und verdickt. Gastroenterostomie. Heilung. 

41. Karl G., Buchhalter, Söderfors, mit 20 Jahren Magen¬ 
beschwerden, Schwindel, verträgt keine Speisen, mit 24 Jahren 
Bluterbrechen, Schmerzen, ein Jahr darauf Dilatation des Magens, 
heftiges Erbrechen, Hyperacidität, Abmagerung. Operation im selben 
Jahre am 25. Februar 1899. Pylorus adhärent an Leber und 
Pankreas, dessen Lumen durch Narbenmassen verengt. Gastro¬ 
enterostomie. Heilung. 

42. Nils A., Bauer, Forssa, mit 16 Jahren Sodbrennen, saueres 
Aufstoßen, mit 48 Jahren starke Schmerzen, nach den Mahlzeiten 
Erbrechen, mit 62 Jahren heftiges Erbrechen. Retention, geringe 
Dilatation, Motus peristalticus sichtbar, HCl kräftige Reaction. 
Operation im 66 . Jahre am 16. Juli 1899, Prof. Akermann. Neigung 
zur Sanduhrform. Narbenbildung im Antrum pylori, letzterer verengt. 
Gastroenterostomie. Heilung. 

43. Jonas 0., Händler, Jämtland, seit vielen Jahren saueres 
Aufstoßen mit seltenem Erbrechen; mit 53 Jahren Hämatemesis 
mit Schmerzen und Mattigkeit, Dilatatio ventriculi einen Monat 
später nachweisbar, HCl vorhanden, nicht hyperacid, Retention. 
Operation sofort am 15. September 1899 , Dr. Permann. Magen 
stark dilatirt, keine deutliche Narbe. Gastroenterostomie. Genesung. 

44. Nils F., Lehrer, Karlsstad, mit 24 Jahren Erbrechen, 
Schwere im Magen, mit 31 Jahren Bluterbrechen, mit 38 Jahren 
massenhaftes Erbrechen mit Dilatation und Retention im Magen. 
Operation 1 Jahr später am 15. September 1899, Prof. Berg. 
Pylorus von Narben umgeben, bedeutend verengt. Gastroentero¬ 
stomie. Heilung. 

45. Karl 0., Officier, Karlskrona, mit 36 Jahren Schmerzen 
nach dem Essen, mit 45 Jahren Schmerzen, Bluterbrechen, Ab¬ 
magerung. Magen dilatirt, Retention mit Hyperacidität, unregel¬ 
mäßiger Tumor rechts ober dem Nabel. Operation mit 46 Jahren, 
am 30. Mai 1900, Prof. Berg. Bedeutende Vergrößerung des Magens, 
Pylorus verdickt an die Gallenblase adhärent. Gastroenterostomie. 
Heilung. 


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1902. 


Wiener Medizinische Presse. — Nr. 52. 


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46. Sven A., Händler, Skönnarbo, mit 42 Jahren Beschwerden 
und saueres Aufstoßen, mit 46 Jahren voluminöses Erbrechen, 
Magenerweiterung, Retention, Hyperacidität. Operation im selben 
Jahre am 19. October 1900, Prof. Berg. Pylorusstenose; im unteren 
Theile desselben eine fünförestückgroße strahlige Narbe. Gastro¬ 
enterostomie. Heilung. 

47. Victor B., Gärber, Varmland, mit 17 Jahren Hitzegefühl 
im Magen, mit 23 Jahren schwarze Stuhlgänge, Schmerzen, Auf¬ 
stoßen , Erbrechen, 2 Jahre darauf heftige Beschwerden, massen¬ 
haftes Erbrechen, Retention, Dilat. ventriculi. Tumor im Epigastrium, 
kräftige HCl-Reaction, chronische Nephritis. Operation mit 30 Jahren, 
am 11. Januar 1801, Prof. Berg. Im Pylorus ein taubeneigroßer 
narbiger Tumor. Gastroenterostomie. Heilung. 

48. Olof J., Hausarbeiter, Ofranaker, mit 53 Jahren unbe¬ 
stimmte Symptome eines Magenleidens, mit 56 Jahren Dilatation mit 
Retention und Hyperacidität. Operation sofort am 30. Januar 1901, 
Prof. Berg. Der Magen bedeutend vergrößert, strahlige Narbe im 
Duodenum, walnußgroße Narbenmasse im oberen horizontalen 
Aste des Duodenum. Gastroenterostomie. Heilung. 


Referate. 

E. v. Düring (Constantinopel): Grundsätze der Syphilis¬ 
behandlung. 

Verf. ist weder ein Anhänger der chronisch-intermittirenden 
Methode noch der rein symptomatischen Behandlung, er steht auf 
einem vermittelnden Standpunkt („Münch, med. Wschr. u , 1902, 
Nr. 37). Zwei Punkte sind bei der Behandlung wichtig: Erstens, 
daß die Syphilis und viele ihrer Erscheinungen auch spontan zurück¬ 
gehen , zweitens, daß die individuelle Empfindlichkeit — sowohl 
des Individuums wie der Symptome — gegen Quecksilber außer¬ 
ordentlich verschieden ist. Sobald die Diagnose sicher ist, kann 
die Behandlung beginnen. In allen Fällen, in denen eine besonders 
mächtige Sklerose oder Neigung zum Verfall, auffallendes allge¬ 
meines Uebelbefinden, beginnende Anämie eine schwerere Infection 
anzukünden scheinen, beginnt Verf. die Behandlung sofort. Allen 
Präparaten zieht er Hydrarg. salicylic. vor, und zwar gibt er sofort 
starke Dosen, 2 Injectionen wöchentlich von 0 08—O'l. Hiebei ist 
ihm nie ein ernstlicher Zufall aufgetreten ; 2mal bei mehr als 
100.000 Injectionen eine Paraffinembolie; diese hält er jedoch für 
gänzlich bedeutungslos. Die erste Behandlung wird fortgesetzt, bis 
alle Symptome verschwunden sind, und dann noch kurze Zeit fort¬ 
gefahren. Für alle Schleimhautaffectionen hat sich Chromsäurelösung 
(2 — 20%) sofort neutralisirt durch Spülung mit gesättigter Lösung 
von Natr. bicarbonic., außerordentlich bewährt. Im 2. Monate nach 
der Injectionscur muß der Patient täglich 0'5 —1 Grra. Jodkali 
nehmen und sich am Ende des 2. Monats wieder melden. Wird 
er dann frei von Symptomen befunden und ist sein subjectives 
Befinden gut, so wird er entlassen, um nach 14 Tagen und 
nach abermals 14 Tagen je noch einmal untersucht zu werden. Hat 
er nach Ablauf des 3. Monats keine Erscheinungen, so wird doch eine 
leichte Behandlung eingeleitet, u. zw. mit der Hälfte der bei der 
ersten Behandlung verabfolgten Dosis. In dieser Weise wird fort¬ 
gefahren, indem die Intervalle zwischen den Behandlungen größer 
werden, so daß auf das 2. und 3. Jahr oft nur zwei oder gar 
eine Behandlung kommt. Daß eine Gewöhnung an das Hg eintritt, 
und daß bei übertriebener Mercurialisirung des Körpers selbst 
bedeutende Dosen von Hg ohne jeden Einfluß auf syphilitische 
Symptome bleiben, ist eine allgemeine Erfahrung; besonders ist 
dies bei interner Darreichung der Fall. Tritt unmittelbar nach 
einer Behandlung wieder ein Symptom auf, so verfährt Verf. nach 
folgenden Grundsätzen: War die Behandlung energisch und ist 
das Symptom unbedeutend, z. B. eine Papel an der Zunge, so 
leitet er zunächst nur eine locale Behandlung ein. War die Be¬ 
handlung sehr milde, so wird sie einfach wieder aufgenommen. 
Tritt das Symptom an einem durch die Erkrankung gefährdeten 
Organ auf (z. B. Iritis am Auge), so wird die Behandlung sehr 
energisch wieder aufgenommen. L. 


Sprouck und Hoefnagel (Utrecht): Uebertragung der 
Rindertuberculose auf den Menschen durch zu¬ 
fällige Einimpfung und experimentelle Rück¬ 
impfung auf ein Kalb. 

Als Beitrag zu der in letzter Zeit lebhaft erörterten Frage 
der Beziehungen der menschlichen Tuberculose zu der des Rindes 
veröffentlichen die Verff. („La Semaine mcdic.“, 1902, Nr. 42) 
folgende Beobachtung: 

Ein 63jähriger Todtengräber und Wasenmeister wurde bei der 
Section einer erwiesenermaßen tuberculösen Kuh an der Streckseite 
des rechten kleinen Fingers entsprechend der 1. und 2. Phalange 
verletzt und zeigte 20 Monate danach an der Läsionsstelle die 
Symptome der Hauttuberculose, ferner eine bis zu Erbsengröße 
geschwollene Cubitaldrüse rechterseits, sowie geringe Dämpfung 
und spärliche Rasselgeräusche über der rechten Lungenspitze; 
Husten mit bacillenfreiem Auswurfe, normale Temperatur. Die 
erkrankte Hautstelle und Cubitaldrüse wurde exstirpirt, die tuber- 
culöse Erkrankung derselben unter dem Mikroskope bestätigt 
(Tuberkel mit Riesenzellen in der Haut, Verkäsung in der Drüse, 
spärliche Bacillen) und hierauf wurden Gewebsstückchen sowohl 
der Haut, als auch der Drüse 3 Meerschweinchen in die Innenfläche 
des rechten Oberschenkels implantirt. Zwei Versuchsthiere gingen 
nach 5 Tagen an Tetanus zugrunde, das dritte verendete nach 
7 Tagen an allgemeiner Tuberculose; confluirende Knötchen in der 
Milz, Leber und den Lungeu. 

Die Uebertragung der tuberculösen Milzpulpa auf das Peri¬ 
toneum von zwei weiteren Meerschweinchen erzeugte auch bei 
diesen disseminirte Tuberculose, wobei der Reichthum der Lunge 
an Bacillen besonders auffiel. 

Von der in physiologischer Kochsalzlösung aufgeschwemmten 
tuberculösen Milzpulpa wurden nun 2 Ccm. unter die Haut eines 
13monatlichen weiblichen Kalbes holländischer Rasse injicirt, welches 
vorher, ohne irgendwelche Reactiou zu zeigen, mit Tuberculin geimpft 
worden war und dessen Futter ausschließlich aus Heu und Gebäck 
(mit vollkommenem Ausschluß von Milch) bestand. Es trat zunächst 
eine faustgroße Geschwulst an der Injectionsstelle und im weiteren 
Verlaufe eine ebenso umfangreiche Anschwellung der regionären 
Lyraphdrüsen, Abnahme der Freßlust, vermehrter Durst, Fieber, 
Diarrhoen, Husten, Mattigkeit auf, und die 2 Monate nach der Impfung 
vorgenommene Schlachtung ergab makroskopisch, mikroskopisch 
und bei der Ueberimpfung auf 2 Meerschweinchen zweifellos das 
Vorhandensein allgemeiner, disseminirter Tuberculose. B. 


H. Krause (Berlin): Zur Behandlung der Lungen- und 
Kehlkopftuberculose mit Hetol (Länderer). 

Seit länger als 2% Jahren wird in der Poliklinik des Verf., 
welche stets einen nicht unerheblichen Zugang an Tuberculösen hat, 
die Behandlung derselben mit zimmtsaurem Natron (Hetol) nach 
Länderer ununterbrochen ausgeübt. Er verwendet hiebei nur die 
intravenösen Injectionen und schließt jede andere Technik aus, weil 
nur von dem direct in die Blutbahn eingeftihrten Mittel eine ge¬ 
nügende Wirkung zu erwarten ist. Seit 1% Jahren behandelt K. 
mit Hetol auch geeignet erscheinende Fälle aus der Privatpraxis, 
u. zw. insbesondere Patienten, denen es im eigenen Hause an zweck¬ 
mäßiger und ausreichender Pflege nicht fehlt. 

Die physikalisch nachweisbaren Wirkungen des Mittels waren 
in der Mehrzahl der Fälle leicht festzustellen. Nicht selten, beson¬ 
ders in Fällen beginnender Erkrankung sehwanden alle patholo¬ 
gischen Symptome bis auf geringe bleibende Veränderungen der 
Athmungsgeräusche. In anderen kam es zur Induration der befallenen 
Lungenpartien, in schwereren Fällen konnte man über Partien, 
welche amphorisches Athmen und grobe feuchte Rasselgeräusche 
zeigten, das allmälig eintretende Verschwinden der letzteren nach- 
weisen. Es blieben nur Höhlengeräusche zurück, aber die Athmung 
wurde freier und leichter, ein Erfolg, welcher bei der im Stadium 
der ausgedehnten Höhlenbildung stetig wachsenden und äußerst 
quälenden Athemnoth sehr beachtenswerth war. Dasjenige Merkmal, 
welches an den Kranken sofort und sehr intensiv auftritt, ist eine 
äußerst lebhafte Leukocytenbildung. 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. — Nr. 52. 


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Der Nachweis, daß die Leukocyten aus den in der Umgebung 
der Tuberkel befindlichen Blutgefäßen stammen, aus welchen sie 
in die ersteren einwandern, läßt es eben dringlich erscheinen, das¬ 
jenige Agens, durch welches wir diesen Proceß arteficiell zu er¬ 
zeugen beabsichtigen, direct in die Blutbahn einzuführen. Wir 
werden auf diesem Wege sicherer den beabsichtigten Erfolg er¬ 
zielen als durch subcutane Injectionen, d. h. auf dem zweifelhaften 
Umwege durch den Lymphstrom des Organismus. G. 

L. Bernhardt und M. Blumenthal (Berlin): Zur Kenntniß 
der congenitalen Elephantiasis. 

Die Verlf. beschreiben („Deutschemed. Wschr.“, 1902, Nr. 50) 
einen der seltenen Fälle von congenitaler Elephantiasis, die äußerlich 
dem Bilde der erworbenen Elephantiasis völlig gleichen. Die mikro¬ 
skopische Untersuchung ergibt in solchen Fällen, daß neben der 
diffusen fibromatösen Wucherung des Bindegewebes auch Lymphangi- 
ektasien kleinsten Umfanges in zahlreicher Menge vorhanden sind. 

Ohne mikroskopische Untersuchung ist in solchen Fällen eine 
Charakterisirung der Elephantiasis nicht möglich. 

Die vorhandenen Furchungen sind keine amniotischen, son¬ 
dern entsprechen den normalen Anheftungsstellen der Fascien ober¬ 
halb der Gelenke. Aetiologisch kommen weder Heredität noch ent¬ 
zündliche Processe in Betracht, ebensowenig ergab die bakterio¬ 
logische Untersuchung der Gewebssäfte der elephantiastischen Theile 
ein positives Resultat. Vielmehr bleibt uns nur die Auffassung des 
Processes als angeborene Geschwnlstbildung (Lymphangioma) übrig, 
die vielleicht ihren Grund in einem Bildungsfehler des Saftbahn¬ 
systems hat. —g. 

Wassermann (München): Ueber die kosmetische Behand¬ 
lung von Sattelnasen mit Vaselininjectionen. 

Auf der Klinik des Professors Angeber wurden 5 Fälle von 
Sattelnasen nach der Methode Gebsdny’s mit Vaselininjectionen be¬ 
handelt und lieferten sehr gute kosmetische Resultate. Der Schmelz¬ 
punkt des verwendeten Unguentum paraffini betrug 40° C., die zur 
Aufrichtung des Sattels nothwendige Menge des Präparates schwankte 
zwischen 2—3 Ccm. Das Paraffin wurde auf offener Flamme in einer 
Schale sterilisirt und dann bis nahe au die Erstarrungsgrenze ab¬ 
gekühlt; dielnjection erfolgte in einer Sitzung von mehreren Einstich- 
Öffnungen aus. Die Reaction war gering, die leichte Hyperämie der 
Haut oberhalb der Prothese schwand nach einigen Wochen, die 
Prothese wurde nach einem Monate knorpelhart. 

Nnr in einem Falle, in dem 2 1 / 2 Ccm. Vaselin injicirt wurden, 
trat Gangrän der Haut ein und die nekrotische Partie mußte dann 
mit THiERSCH’schen Lappen gedeckt werden. Der kosmetische Erfolg 
der Operation war hier gering. Verf. schreibt der vorherigen In- 
jection von l%iger Cocainlösung, die zu dem Zwecke gemacht wird, 
um den Raum für das Ung. paraff. zu präformiren, mit eine Schuld 
an dem unglücklichen Ausgange dieses Falles zu („Beitr. z. klin. 
Chir.“, Bd. 35, Nr. 3); er glaubt, daß das Cocain vor allem auf 
die Gefäße contrahirend wirke, und außerdem unnöthigerweise die 
Spannung der Haut erhöhe, dieselbe somit in schlechte Ernährungs¬ 
bedingungen bringe, und warnt daher vor Anwendung derselben. 

Erdheim. 

Jar. Feyfar: Ueber das Verhältniß der Herzfehler 
zur Lungentuberculose. 

Herzfehler der rechten Hälfte werden oft von Phthise be¬ 
gleitet und der causalc Zusammenhang dieser Affectionen wurde 
von mehreren Autoren einstimmig anerkannt. 

Die gegenseitigen Beziehungen zwischen den Herzfehlern der 
linken Hälfte und der Phthise sind nicht so einfach ; der An¬ 
tagonismus, der zwischen diesen beiden Affectionen herrscht, und 
die so selten vollkommen gleichzeitige Entwickelung von Phthise und 
Klappenfehlern des linken Herzens werden von verschiedenen Autoren 
verschieden erklärt. 

Auf Grund seiner Untersuchungen an der böhmischen 
Klinik des Professors Maixner kommt Verf. („Sbornik klinicky“, 


ßd. IV, II. l) zum Schlüsse, daß die Combination dieser zwei Affec¬ 
tionen nicht gar so selten sei. Der Herzfehler kann sich in Gegen¬ 
wart der Phthise, wiewohl dies selten ist, nicht nur bilden und 
entwickeln, er kann auch direct durch die Phthise verursacht 
werden. 

In einer ganzen Reihe von Fällen wurde die Heilung des 
Lungenprocesses bei einem voll entwickelten Herzfehler beobachtet. 
Diese Heilung muß nicht durch heilsamen Einfluß der Herzaffection 
erklärt werden, vielmehr durch günstige Nahrungsverhältnisse, da 
vorausgesetzt werden kann,. daß die Nahrungsverhältnisse, unter 
welchen beide Affectionen Vorkommen, grundverschiedene sind. 

Die progressive Form der Lungentuberculose und ein voll¬ 
kommen entwickelter Herzfehler bei einem und demselben Individuum 
sind ziemlich selten. 

Daß dies öfter bei Aortenfehlern und bei Frauen der Fall 
sein sollte, kann nicht bestätigt werden. 

Eine interessante Beobachtung ist es, daß die Herzfehler öfters 
bei tuberculös belasteten Individuen Vorkommen. Stock. 

Herzog (Würzburg): Zur Tuberculose im Kaltblütler¬ 
organismus. 

Ueber die in Rede stehende Frage liegen bereits zahlreiche, 
allerdings zum Theil einander widersprechende Angaben in der 
Literatur vor. Verf. fand bei seinen Untersuchungen („Centralbl. f. 
Bakteriologie, Parasitenkunde u. Infectionskrankheiten“, Bd.31,H. 3), 
daß die Bacillen der Säugethiertuberculose im Organismus der 
Kaltblüter (Frösche) Veränderungen hervorrufen, die in principieller 
Hinsicht den durch die Bacillen der Fischtuberculose gesetzten 
Schädigungen vollständig gleichwerthig sind. Der Bacillus der Säuge¬ 
thiertuberculose verharrt im Kaltblütler nicht längere Zeit aD der 
Impfstelle, sondern ist bald in allen Organen nachweisbar und 
findet dort auch bei gewöhnlicher Temperatur Bedingungen zur 
Vermehrung; er erleidet aber durch den Aufenthalt im Kaltblütler¬ 
organismus eine Verminderung seiner Virulenz. Dr. 8—. 


Wildbolz (Bern): Zur Biologie der Gonokokken. 

Verf. vertritt gegenüber den in der Literatur vorliegenden 
Angaben zahlreicher Autoren die Anschauung, daß Gonokokken 
auch auf serumfreiem Agar und serumfreier Bouillon gezüchtet 
werden können („Centralbl. f. Bakteriologie, Parasitenkunde u. In- 
fectionskraukheiten“, Bd. 31, H. 4). Dies gelingt, wenn man Gono¬ 
kokken, die auf Serumagar cultivirt worden waren, auf gewöhnlichen 
Agar überträgt. Eine Ueberimpfung aus der ersten Serumagar¬ 
generation gelang nur zweimal, aus der zweiten und dritten Serum¬ 
agargeneration auch nur selten, meist erst, wenn die Gonokokken 
4—5mal oder öfter auf Serumagar gezüchtet worden waren. Hie¬ 
durch wird demnach eine ältere Angabe Webtheim’s bestätigt, der 
erklärt, daß ihm die Züchtung von Reinculturen aus menschlichem 
Blutserum auf Agar niemals mißlungen sei. Dr. S—. 


Kleine Mittheilungen. 

— Eine praktische Methode, um Kuhmilch leichter ver¬ 
daulich zu machen, beschreibt v. Düngern („Münch, med. Wschr.“, 
1902, Nr. 40). Die Kuhmilch, die vorher gekocht werden kann, 
wird vor dem Gebrauche wie gewöhnlich auf Körpertemperatur 
erwärmt und nun mit Labferment zur Gerinnung gebracht. Das 
Lab, welches der Milch zugesetzt wird, muß natürlich frei sein 
von giftigen Substanzen und darf keine schädlichen Mikroorga¬ 
nismen enthalten. Auch empfiehlt es sich für die Praxis, das Lab 
in bestimmter Menge zu verwenden. Dasselbe kann mit dem Milch¬ 
zucker, der sowieso der Milch zugesetzt wird, verbunden werden. 
Die Höchster Farbwerke beabsichtigen, ein derartiges Präparat 
unter dem Namen „Pegnin“ mit genauer Gebrauchsanweisung in 
den Handel zu bringen und sind bereit, für Versuche die nöthigen 
Quantitäten davon kostenfrei abzugeben. Das Gerinnsel kann dann 
durch Schütteln oder Quirlen fein zertheilt werden, so daß nur 
noch ganz feine Flocken, wie sie bei der Labgerinnung der Mutter- 


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1902. — Wiener Medizinische Presse. 


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milch entstehen, suspendirt bleiben. Die so behandelte Milch unter¬ 
scheidet sich dann in Geschmack und Aussehen nur wenig; von 
der gewöhnlichen Kuhmilch und wird von den Kindern auch gerne 
genommen. Der wesentliche Unterschied ist der, daß die fein 
geronnene Milch im Magen keine groben Gerinnsel mehr bildet 
und der normalen Säuglingsnahrung daher näher steht als nicht 
auf diese Weise vorbehandelte Kuhmilch. Die Erfahrungen, die 
bisher bei der Verwendung der feingeronnenen Kuhmilch zur 
Säuglingsernährung gemacht wurden, entsprechen durchaus den 
theoretischen Voraussetzungen. 

— Ueber „Thigenol“ berichtet Merkel („Münch, raed. Wschr.“, 
1902, Nr. 48). Dasselbe ist ein von der Firma F. Hoffman n- 
L a R o c h e fabricirtes und empfohlenes synthetisches Schwefelpräparat. 
Während das Ichthyol ein schwefelhaltiges Product ist, welches 
durch Destillation bituminöser Tiroler Gesteine gewonnen wird, ist 
das Thigenol eine concentrirte Lösung der Natriumverbindung der 
Sulfosäure, eines synthetisch dargestelllen Sulfoöles, in welchem 
10% Schwefel organisch gebunden sind. Das Thigenol ist eine 
braune, dick syrupöse, geruch- und fast geschmacklose, in Wasser, 
verdünntem Alkohol und Glycerin völlig lösliche Flüssigkeit. Es. 
wurde empfohlen für gynäkologische Affectionen, wie Cervical- 
katarrh, Endometritis, Para- und Perimetritis, entzündliche Adnex¬ 
erkrankung (Beckenexsudate). Seit mehr als % Jahr hat Verf. das 
Thigenol für alle angegebenen Krankheiten in Form von Tampons, 
die mit 10—15°/ 0 igem Thigenolglycerin getränkt waren, aus¬ 
schließlich in Anwendung gebracht. Es wurde jeden 2. Tag ein 
neuer Tampon eingelegt. Des weiteren verwandte er Thigenol¬ 
glycerin zu Tampons bei frischen Vaginalblennorrhöen nach täg¬ 
lichen desinficirenden Ausspülungen. Das reine Thigenol endlich 
ward in Gebrauch genommen bei Fissura ani und entzündlichen 
Hämorrhoiden. Bei ersteren bewirkte es eine sofortige Abnahme 
des schmerzhaften Juckens und Stuhldranges (2mal trat Heilung 
ein), bei letzteren eine Abnahme des Juckens und der Schmerzen. 
In je einem Falle von Pruritus vulvae und Pruritus ani hatte 
Verf. gleichfalls zufriedenstellenden Erfolg. 

— Einen Beitrag zur Prophylaxe der Geschlechtskrank¬ 
heiten liefert Michels („Klin. ther. Wschr.“, 1902, Nr. 30) durch 
den Versuch, die etwa 200 Mann starke Besatzung eines deutschen 
Reich8postdampfers, auf dem er als Schiffsarzt thätig war, während 
der Liegezeit in Yokohama vor der Infection mit Geschlechtskrank¬ 
heiten zu schützen. Letztere sind unter den Prostituirten dieser 
Stadt außerordentlich verbreitet, so daß zum Beispiel auf einem 
eben von Japan zurückkelirenden Schiffe, das unterwegs in Shanghai 
getroffen wurde, unter 130 Mann Besatzung nicht weniger als 
30 Mann, d. h. 23%, an Gonorrhoe erkrankt waren. Verf. übergab 
nun kurz vor dem Einlaufen in Yokohama jedem in Betracht 
kommenden Manne je ein Fläschchen mit 5 Ccm. einer 10%igen 1. a. 
frisch hergestellten Protargollösung, ein Döschen Paraffinsalbe und 
ein Stückchen Seife und dazu eine schriftliche genaue Gebrauchs¬ 
anweisung neben ausführlicher mündlicher Belehrung. Das Resultat 
des Versuches war ein überraschendes. Es kam während der 
Rückreise weder ein frischer Fall von Gonorrhoe, noch von Ulcus 
molle vor. Wenn man sich das Ergebniß des Versuches etwas 
näher ansieht, so erscheint es besonders merkwürdig, daß bei der 
200 Mann starken Besatzung und der langen Liegezeit von 9 Tagen 
in Yokohama nicht ein einziger Fall von Gonorrhoe vorkam. Diese 
Thatsache spricht entschieden für die Wirksamkeit des angewandten 
Verfahrene. Hätte es doch selbst in Deutschland etwas sehr Auf¬ 
fallendes, wenn von 150 jungen Leuten — um so viele handelte 
es sich in unserem Falle mindestens — die ein- oder mehreremale 
mit einer sehr großen Zahl Prostituirter verkehrt hatten, keiner 
eine Gonorrhoe acquirirte! In Yokohama mit seinen Hunderten 
von nicht controlirten öffentlichen Mädchen wäre das ohne Schutz¬ 
mittel geradezu undenkbar. Uebrigens fiel auch den Mannschaften 
selbst der Erfolg auf, was unter anderem daraus hervorgeht, daß 
einige Matrosen am Schluß der Reise um ein neues Fläschchen 
Schutzflüssigkeit baten, „da sich hiedurch diesesmal keiner Etwas 
in Japan geholt habe“. Obgleich es bei dem erreichten Resultat 
überflüssig erscheinen könnte, betont Verf. noch ausdrücklich, daß 
die Mannschaften von den vertheilten Mitteln auch wirklich sehr 


ausgedehnten Gebrauch gemacht haben, wie directe und indirecte 
Nachforschungen ergaben. Speciell die 10%ige Protargollösung 
wurde ganz allgemein und von vielen wiederholt angewandt, ohne 
daß übrigens unangenehme Nebenwirkungen zutage getreten wären. 

— Ein Specificum gegen Pustula maligna ist nach Kipp 
(„Allg. Med. Central-Ztg. u , 1902, Nr. 27 und 50) das Chinosol. 
Verf. berichtet über zahlreiche, seine Anschauung bekräftigende 
Fälle. So hatte z. B. ein Arbeiter eine verendete Kuh abgeledert, 
deren Todesursache bald darauf als Milzbrand festgestellt wurde. 
Nach 6 Tagen kam er in Behandlung. Auf jedem Unterarm be¬ 
fanden sich circa ein Dutzend in verschiedenen Stadien befindliche 
Eruptionen von Pustula maligna mit geschwollener Umgebung. Es 
wurden sofort in das Unterhautgewebe des Ellbogens circa 9 Grm. 
l%ige Chino8ollösung eingespritzt und die Arme mit Chinosollösung 
1 : 250 verbunden. Fieber, Erbrechen und Kopfschmerz ließen nach 
einigen Stunden nach. Am folgenden Tage wurde wegen der 
bedeutenden Geschwulst eine Einspritzung von l%iger-Ghinosol- 
lösung in den Oberarm gemacht. Es trat entschieden Besserung 
ein. Verschiedene Pusteln vereinigten sich zu gemeinschaftlicher 
Geschwürsfläche, neue Bläschen traten nicht mehr auf. Unter einer 
2%igen Chinosolsalbe ist nach Abschuppung fast des ganzen 
Unterarmes Heilung erfolgt. Die Schwere der Erkrankung hatte 
im Anfänge einen ungünstigen Ausgang befürchten lassen. 

— Zur Behandlung der tuberculösen Cystitis empfiehlt 
Andre („Rev. möd. de l’Est“, 1902, 15. Juli) intern Arsen, Leber- 
thran und Glycerinphosphate in folgender Formel: 


Rp. Natr. arsenic. 0 001 

Extr. fol. jugland.0'15 

M. f. pil. 


D. tal. pil. Nr. 100 

S. 2—8 Pillen vor jeder Mahlzeit. 

Nach 3wöchentliehem Gebrauche dieser Pillen läßt er 3 Wochen 


•lang folgendes Pulver nehmen: 

Rp. Calc. glycerino-pho^phor.. . 0'3 

Magnes. glycerino-phosphor.015 


M. f. pulv-. d. tal. dos. Nr. XL. 

S. 3mal täglich 1 Pulver. 

Im Winter gibt man Leberthran. Local empfiehlt er die Anwendung 
von Guajakol und Jodoform in folgender Form: 


Rp. Guajakol. 5 0 

Jodoform. 30 

01 . oliv, steril.100 0 


Von dieser Mischung werden täglich 15—20 Grm. in die Blase 
injicirt und bis zum nächsten Tage belassen. Später können diese 
Injeetionen alle 2, 3 — 8 Tage gemacht werden. Die Behandlung 
muß mehrere Monate fortgesetzt werden. 

— Ueber Nirvanin berichtet Rotenberger („Deutsche 
zahnärztl. Wschr.“), der mit dem salzsauren Präparate Versuche 
angestellt hat. Zu denselben hat er l%ige, 2%ige und 5%ige 
Lösung verwendet. Für zahnärztliche Zwecke scheint eine 5%ige 
Lösung die zweckentsprechendste und sicherste. Als Spritze benützt R. 
die BLEiCHSTEiNER’sche. Er sticht langsam in die Gingiva ein, 
geht, einen gleichmäßigen Druck auf den Stempel der Spritze aus¬ 
übend, bis zum Periost vor und entleert die eine Hälfte der 
Spritze; die andere Hälfte injicirt er auf der Innenseite des Zahn¬ 
fleisches. Nach 3—5 Minuten kann man den Zahn schmerzlos 
extrahiren. Selbst bei Kindern kann man Nirvanin mit Erfolg 
und ohne Nachtheil anwenden. Die 5%ige Nirvaninlösung läßt 
sich durch Hitze sterilisiren, ohne sich dabei zu zersetzen. Die 
Lösungen von Nirvanin lassen sich wochenlang aufbewahren. Das 
Sterilisiren der 5%igen Lösung ist nicht unbedingt nothwendig, 
da das Nirvanin selbst antibakteriell wirkt. Es ist somit allen 
bekannten Localanaestheticis vorzuziehen. 


Literarische Anzeigen. 


Die nervöse Schlaflosigkeit und ihre Behandlung. 

Von Dr. Richard Traugott, Breslau. Leipzig 190ÖJ- H. Har¬ 
tung & Sohn. 

Die Schlaflosigkeit ist in der letzten Zeit mehrfach von 
klinischer Seite bearbeitet worden; den Anstoß dazu hat wohl 


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hauptsächlich die chemische Industrie gegeben. Verf., der alle 
Seiten des Themas bearbeitet, widmet etwa ein Drittel des Buches 
der medicamentösen Behandlung der nervösen Schlaflosigkeit, indem 
er die Ergebnisse seiner Prüfungen seiner Darstellung zugrunde 
legt. Er behandelt getrennt die indirecten und die directen Schlaf¬ 
mittel (letztere die Schlafmittel im engeren Sinne). Hervorgehoben 
sei, daß in letzterer Eigenschaft der Alkohol nicht ganz verboten 
wird, und daß Verf. für das Greisenalter die vorsichtige Ver¬ 
wendung der Jodsalze empfiehlt. Die angehängte Tabelle der 
Dosirung und der Preise der Schlafmittel würde an Werth gewinnen, 
wenn außer den Einheitspreisen der Preis der Dosis angegeben wäre. 

Infeld. 

Die Krankheiten des Mundes und der Zähne im 
Kindesalter. Von Dr. Joh. Hugo Spiegelberg. „Würzburger 
Abhandlungen aus dem Gesammtgebiete der praktischen Medi- 
cin“, I. Band, Heft 9. Würzburg 1901, A. Stuber’s Verlag. 

Das Heft bringt eine Uebersicht über die im Titel angegebenen 
Affectionen, ein Resum6 des Bekannten, dem längst Abgethanes 
öfters mit unterlauft. So prangen unter den Erscheinungen der 
Dentitio difficilis, mit welcher Beschuldigung Sp. nicht nur von 
voreingenommenen Müttern und Wartefrauen, sondern auch von 
Aerzten argen Mißbrauch treiben sieht, in dem Hefte neben Diar¬ 
rhoen, Erbrechen, Stomatitis und Rachenhyperämie auch Affectionen 
der Tube und des Mittelohres, Convulsionen und die lieben alten 
Zahnkrämpfe. — Zur Charakteristik der HüTCHiNSON’schen Zähne 
genügen die Verschmälerung der Krone und rinnenartige Vertie¬ 
fungen der Zahnfläche und Schneide wohl kaum. 

Trotz dieser Einzelheiten wird die Lectüre des Heftchens 
Vielen gute Dienste leisten. Neurath. 


Verhandlungen ärztlicher Vereine. 

Aus den Abteilungen 

der 

74. Versammlung deutscher Naturforscher und 

Aerzte. 

Karlsbad, 21.—27. September 1902. 

(Coll.-Ber. der „Fr. Vereinigung d. Deutschen med. Fachpresse“.) 

XI. 

Abtheilung für Kinderheilkunde . 

Raudnitz (Prag): Demonstration von experimentellem Nystagmus. 

Als R. seinerzeit den Spasmus nutans als Analogon des Ny¬ 
stagmus der Bergleute erkannt hatte, hervorgerufen durch Dunkelheit 
der W’ohnung, welche Anschauung Thomson in Edinburgh be¬ 
stätigt hat, wollte er bei Säuglingen durch Tragenlassen un¬ 
durchsichtiger oder mit einem kleinen lichten Ausschnitte versehener 
Brillen diese Krankheit erzeugen. Es fand sich aber keine Mutter, 
welche ihr Kind zu diesem Zwecke hergab. Deshalb blieb R. im 
Unklaren, ob diese Krankheit durch die Dunkelheit, d. h. durch den 
Mangel regulatorischer Gesichtseindrücke entstehe, oder durch 
den Zwang, immer nach einem bestimmten, dem beleuchteten Punkte 
zu blicken, also durch Uebermüdung. Die Beobachtung Nieden’s, 
daß sich die Fälle von Nystagmus der Bergleute nach Ein¬ 
führung der schlechter leuchtenden Sicherheitslampen häuften, 
konnte nach beiden Richtungen gedeutet werden. Je dunkler der 
Raum ist, umsomehr ist der Arbeiter gezwungen, immer auf einen 
Fleck, die Lampe, zu blicken. Den Ausschlag gaben für R. die in 
der Literatur vorhandenen etwa 90 Fälle von dem Nystagmus der 
Bergleute ähnlichen Erkrankungen, wo von Dunkelheit keine Rede 
ist und anscheinend nur die Uebermüdung in Frage kommen kann. 
Es 6ind das z. B. einige Näherinnen (Magelsen). ein Mann, welcher 
sich täglich vor dem Spiegel die Kopfhaare ausriß (Hoor) , ein 
Schriftsetzer, der beim Blick auf das Manuscript nur die Augen, 
nicht den Kopf hob (Snell), ein Säugling, welcher am Dache der 
Wiege befestigte Spielsachen anschaute (Hoor). Die meisten dieser 
Fälle hat Snell beobachtet. Dieser Fälle wegen suchte R. die 


Entstellung des Nystagmus der Bergleute, sowie des Spasmus nutans 
in der Uebermüdung der Augenmuskeln, bezw. ihrer Centren. Ein 
gelungenes Thierexperiment hat ihn nun überzeugt, daß es der 
Ausfall regulatorischer Gesichtseindrücke, die Dunkelheit, sei, 
welche den Spasmus nutans bedingt und jedenfalls auch beim Ny¬ 
stagmus der Bergleute die wesentliche Rolle spielt. 

Von vier Hündchen eines und desselben Wurfes kamen zwei 
am 14. Lebenstage (8. April 1902) in einen verhängten Käfig, die 
beiden anderen blieben im Freien. Am 10. Juni, also 61 Tage nach 
Beginn des Versuches, constatirte R. bei beiden Dunkelthieren 
Nystagmus und häufiges Zwinkern. Das eine Dunkelthier (Peter) 
kam am 12. Juni ins Freie und sein Nystagmus verlor sich all¬ 
malig bis zum 1. Juli, also innerhalb 19 Tagen. Jetzt kam es 
wieder in den Dunkelkäfig, und nach 2 Tagen (3. Juli) war der 
Nystagmus wieder vorhanden, am bis zum 8. Juli seine frühere 
Stärke zn erreichen. Bei einem neuen Aufenthalte im Lichte verlor 
sich der Nystagmus innerhalb 8 Tagen (15. Juli). Vier Tage später 
neuer Dunkelarrest, wo sich der Nystagmus nach 5 Tagen wieder 
einstellte. Seither ist der Hund dauernd im Dunkelkäfig geblieben 
und zeigt einen beinahe ebenso starken horizontalen und rotatori¬ 
schen Nystagmus, wie sein Mitgefangener (Black), welcher seit 
seinem 14. Lebenstage nur für kurze Zeit den Dunkelkäfig ver¬ 
lassen hat. Black aber macht außerdem zuweilen dem Spasmus 
nutans ganz ähnliche Kopfbewegungen. 

Was die Nachkommenschaft dieser beiden Thiere — es sind 
Männchen und Weibchen — bei gleicher Behandlung für Erschei¬ 
nungen bieten wird, und ob sich auch Veränderungen im Gehirne 
werden nachweisen lassen, darüber hofftVortr. später einmal berichten 
zu können. Daß sich infolge des Mangels der Gesichtsein drücke 
vielleicht gewisse Bahnen nicht ausgebildet haben, eine Bedingung 
für das Gelingen des Experimentes im Lebensalter liegt, dafür 
scheint Folgendes zu sprechen: Der dritte Hund dieses Wurfes 
(Droll) kam erst am 47. Lebenstage (14. Juni) in den Dunkel¬ 
käfig und zeigt bis heute, wo über 3 Monate vergangen sind, 
noch keinen Nystagmus. Auf die physiologische Bedeutung dieses 
Experimentes will R. hier nicht eingehen, doch hebt er noch her¬ 
vor, daß durch dasselbe die neuestens ausgesprochene Hypothese 
Peter’s unnöthig wird, wonach der Nystagmus der Bergleute von 
der durch die abnorme Koptbaltang bedingten Vertheilung der 
Endolymphe herrühren solle. 

Discussion. 

Kassowitz (Wien) hält die Experimente von Raüdxitz an Hunden 
nicht für maßgebend für das Kind. Er glaubt vielmehr, daß auch Ny¬ 
stagmus und Spasmus rotatorius in die Reihe der anderen neuromusculären 
Störungen (Laryngospasmus, Tetanie) der floriden Rachitis zu stellen seien. 
Diese Störungen treten mit Vorliebe im Winter und den ersten Frühjahrs¬ 
monaten auf, indessen werden auch Fälle im Sommer beobachtet. 

Fischl (Prag) hält die von Raudnitz verantwortlich gemachte A.etiologie 
für zutreffend, indessen gibt es auch andere Fälle, die sich unter den gün¬ 
stigsten hygienischen Verhältnissen entwickeln. 

Gregor (Bresian) : Ueber Athmungsanomalien im Kindesalter. 

Der Umstand, daß gewisse Respirationserkrankungen an 
ganz umschriebene Perioden des kindlichen Alters gebunden sind, 
legt die Vermuthung nahe, daß sie mit der gesetzmäßigen Ent¬ 
wickelung der kindlichen Athemmechanik and mit Störungen der¬ 
selben in ursächlicher Beziehung stehen. 

G. studirte in parallel gehenden Untersuchungen an normalen 
und pathologischen Fälten den Gang der Entwickelung der Ath- 
mung vom Säuglingsalter bis zum 14. Lebensjahre mit Hilfe spiro- 
metrischer Bestimmungen der Athmungsgröße und durch die photo¬ 
graphische Messung und Registrirung der Athembewegungen nach 
C. Hasse. Die Untersuchungen sind, soweit sie das normale Kind 
betreffen, in folgenden Arbeiten veröffentlicht: 1. Untersuchungen 
über die Athmungsgröße des Kindes („Arch. f. Physiologie, Snppl. 
1902). 2. Die Entwickelung der Athemmechanik im Kindesalter 
(„Anatom. Anzeiger“, 1902). 3. Untersuchungen über die Athem¬ 
bewegungen des Kindes („Arch. f. Kinderheilkunde“, 1902). 

Der abweichende Gang der Athmungsentwickelung bei patho¬ 
logischen Fällen nimmt seinen Anfang im II. Lebenshalbjabre und ist 
nachweisbar als eine geringere Ausbildung der Athemtiefe, die im 
späteren Kindesalter zu einer Beeinträchtigung der normalerweise 


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vorherrschenden Tendenz führt, die bei der Athmung geleistete 
Muskelarbeit durch Verlangsamung und Vertiefung des einzelnen 
Athemzuges herabzusetzen. 

G. deraonstrirt an Photographien die vom Normalen ab¬ 
weichenden Athembewegungen solcher Kinder, sowie eine bei der¬ 
artigen Fällen auftretende Thoraxform, den „starren, in schlechter 
Haltung fixirten Thorax“. Eine sogenannte schlechte Schulterhaltung 
ist nach G. an sich noch nicht pathognomonisch für eine Athmungs- 
anomalie, sondern erst dann, wenn sie auf Commando oder spontan 
überhaupt nicht oder nur unter Beschwerden von Seiten der Kinder 
corrigirt werden kann. 


Notizen. 


Wien, 27. December 1902. 


Aus Graz kommt die Trauerkunde vom Ableben v. Krafft- 
Ebing’s. 

Wenige Monate sind vergangen, seitdem Wiens medicinische 
Welt, seine Schüler und Verehrer dem vom Lehramte Scheidenden 
Beweise ihrer Dankbarkeit und Verehrung in ergreifender Weise 
kundgegeben. Scheinbar noch im Vollbesitze seiner gewaltigen 
Schaffenskraft, zog sich der Gelehrte im Frühling dieses Jahres 
nach Graz zurück, welche Stadt er seit seiner Wirksamkeit daselbst 
als zweite Heimat lieb gewonnen hatte. Von dort aus verbreitet 
sich die Kunde seines Ablebens über die ganze Welt. 

Am 14. August 1840 in Mannheim geboren, studirte Richard 
Frh. V. Krafft-Ebing in Heidelberg und Zürich und wurde 1863 
in Heidelberg promovirt. Friedreich, Griesinger und andere be¬ 
rühmte Meister waren seine Lehrer. Nach einer kurzen Studien¬ 
reise, die ihn auch nach Wien führte, trat er als Assistenzarzt in 
die von Roller im Jahre 1842 begründete Irrenanstalt in Illenau 
ein, wo er neben Schüle arbeitete, um sich dann als Nervenarzt 
in Baden-Baden niederzulassen. Seine Badener Thätigkeit wurde 
vom Feldzuge 1870 unterbrochen. Aus dieser Zeit stammen seine 
Arbeiten über Typhus. Von Baden-Baden aus bewarb sich v. Krafft- 
Ebing um die Docentur in Leipzig. Noch bevor Wunderlich, der 
damalige Decan der Leipziger medicinischen Facultät, den jungen 
Docenten verständigt hatte, daß ihm die Leipziger Facultät gerne 
die Venia legendi verleihe, wurde er auf Veranlassung Bismarck’s 
nach Straßburg berufen , wo er am 13. Mai 1872 seine Laufbahn 
als Professor der Psychiatrie begann. 1873, ein Jahr später, ge¬ 
wann Oesterreich v. Krafft-Ebing, indem ihn die Anstalt in Feld¬ 
hof zu ihrem Leiter erwählte. Von 1874—1880 leitete v. Krafft- 
Ebing die Klinik in Graz neben der Anstalt in Feldhof, 1880 bis 
1892 nur die erstere. Zum Nachfolger Meynert’s berief ihn 1892 
die Wiener Facultät. 

v. Krafft-Ebing’s Schriften erreichen fast die Zahl von 400. 
Kein Gebiet der Psychiatrie und Neurologie blieb ohne Förderung 
seitens dieses großen Kenners der menschlichen Seele. Die „Psycho- 
pathia sexualis“, das „Lehrbuch der Psychiatrie“, die „Gericht¬ 
liche Psychopathologie“’ erhoben seinen Namen unter die ersten 
Reihen der weltberühmten Psychiater. In einer Auflagenfolge, die 
bis dahin bei medicinischen Werken unbekannt war, in Ueber- 
setzungen in fast alle Cultursprachen nahmen seine Werke ihren 
Lauf um die Welt, ln Wien selbst stand v. Krafft-Ebing im 
Mittelpunkte psychiatrisch-neurologischer Forschung. Unter seiner 
Führung erwarb der Verein für Psychiatrie und Neurologie, dem 
einst Riedl, Spurzheim, Meynert vorgestanden, einen hervor¬ 
ragenden Platz unter den fachgenössisclien Vereinigungen. Es ver¬ 
sammelten sich Männer von klangvollem Namen um den allver¬ 
ehrten Präsidenten, Hörer aus aller Herren Länder scharten sich 
um den Meister der Rede. Früh, viel zu früh, setzte der Tod 


diesem kostbaren Leben die irdischen Grenzen, v. Krafft-Ebing’s 
Name bleibt unzertrennlich von der Wissenschaft, deren Führer 
in unserem Vaterlande er war, solange er in seiner hervorragenden 
Stellung wirkte. Ein hervorragender Geist von allseitiger Bildung, 
ein verehrter Lehrer, vor Allem ein edler Menschenfreund, ist mit 
ihm geschieden. Aber der Lorbeer dieses großen Arztes wird nicht 
so schnell verwelken. Tausende dankbarer Herzen werden seiner 
gedenken und an allen Orten der Welt werden seine Schüler und 
seine Kranken sein Andenken hochhalten, das strahlende Bild 
seines wahrhaft vornehmen Wesens der Nachwelt überliefernd. 

F. 

(Oberster Sanitätsrath.) In der am 20. d. M. abge¬ 
haltenen Sitzung brachte Obersanitätsrath Professor Dr. Ritter 
v. Jaksch die fortgesetzten impfgegnerischen und ärztefeindlichen Be¬ 
strebungen gewisser, unter dem Schlagworte der sogenannten Natur¬ 
heilkunde agitirender Vereinigungen insbesondere in Nordböhmen 
zur Sprache und betonte die Nothwendigkeit der eifrigen Belehrung 
der Bevölkerung über Werth und Bedeutung der auf naturwissen¬ 
schaftlicher Grundlage beruhenden Heilkunde und Gesundheitslehre, 
insbesondere durch periodische Zeitschriften nach Art der in Nord- 
bölimen ersprießlich wirkenden Monatschrift „Der Gesundheits¬ 
lehrer“ u. a., deren Förderung und Verbreitung im öffentlichen 
sanitären Interesse gelegen sei. 

(List ER-Jubiläum.) Lord Lister, der Begründer der 
Antiseptik, an dessen Namen sich der Beginn einer neuen Epoche 
in der Chirurgie knüpft, hat vor wenigen Tagen das 50jährige 
Jubiläum seiner Aufnahme in das „Royal College of Surgeons of 
England“ gefeiert. Aus diesem Aulasse ist eine „Listernumraer“ 
des „Brit. med. journal“ mit Beiträgen hervorragender Chirurgen 
der Gegenwart erschienen. 

(Krankencassen und Aerzte in der Schweiz.) Aus 
Basel schreibt uns ein dortiger College: Vor wenigen Tagen hat 
zu Olten eine allgemeine Delegirtenversammlung schweizerischer 
Krankencassen getagt, an der Vertreter von 275 Krankencassen 
theilgenommen haben. Gegenstand der Verhandlungen war die Ent¬ 
scheidung der Frage, ob die Verstaatlichung des ärzt¬ 
lichen Standes eine empfehlenswerthe Neuerung wäre oder nicht. 
Die Schweiz unterscheidet sich durch ihre eigenthüralichen terri¬ 
torialen Verhältnisse wesentlich von vielen anderen Staaten. Es 
gibt Cantone, z. B. Chur, wo infolge der Ungunst der Communica- 
tionen ärztliche Hilfe nur unter „horrenden Kosten“ zu haben ist. 
Begreiflicherweise streben solche Cantone nach einer Verbesserung 
dieser Verhältnisse. Die Delegirtenversammlung sprach sich im 
Principe mit allen gegen eine Stimme für die Verstaatlichung 
aus, denn der angenommene Schlußantrag lautet: „Es steht den 
Cantonen frei, unter Berücksichtigung der bestehenden Kranken¬ 
cassen die Bundesmittel, sei es für die Krankengeldversicherung, sei 
es für die unentgeltliche Arznung oder auch für beides zugleich 
zu verwenden.“ Ich werde Gelegenheit nehmen, die Bedeutung 
dieser Initiative der Krankencassen für unseren Stand demnächst 
zu erörtern. 

(Statistik.) Vom 14. bis inclus ; ve 20. December 1902 wurden in 
den Ci vilspitälern Wiens 7315 Personen behandelt. Hievon wurden 1441 
entlassen ; 161 sind gestorben (10'04% des Abganges). — In diesem Zeiträume 
wurden aus der Civilbevölkernng Wiens in- und außerhalb der Spitäler bei 
der k. k. Statthalterei als erkrankt gemeldet: An Diphtheritis 71, egypt. 
Angenentzündnng —, Cholera —, Flecktyphus —, Abdominaltyphus 6, Dysen¬ 
terie—, Blattern—, Varicellen 126, Scharlach 41, Masern 348, Keuchhusten 67, 
Rothlauf31, Wochenbettfieber 5, Rötheln 7, Mumps 20, Influenza 2, follicul. 

Bindehaut-Entzündung —, Meningitis cerebrospin. —, Milzbrand —, Lyssa —. 
— In der abgelaufenen Jahreswoche sind in Wien 716 Personen gestorben 
(— 22 gegen die Vorwoche). 

(Todesfall.) In Prag ist am Weihnachtstage der Privat- 
docent der Augenheilkunde und Redacteur der „Prager med. 
Wochenschrift“ Dr. J. Herrnheiser plötzlich gestorben. In dem 
Verblichenen, der im 45. Lebensjahre stand, verliert die deutsche 
Universität Prag einen tüchtigen Lehrer, die Aerztesehaft ein 
bewährtes, hochangesehenes Mitglied. 


Verantwortlicher Redacteur: Docent Dr. Ludwig Braun. 


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