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Full text of "Wilhelm von Nogaret; Rat und Grossiegelbewahrer Philipps des Schönen von Frankreich"

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Wilhelm  von  Noaaret. 


Wilhelm  von  Nogaret 


Rat  und  Grosssiegelbewahrer  Philipps  des  Schönen 
Yon  Frankreich. 


Von 

Robert  Holtzmann 

Dr.  phil. 


Freiburg  i.  B. 

Leipzig  und  Tübingen 

Verlag  von  J.  C.  B.  Muhr  (Paul  Siebeck) 

1898. 


Mi 


904091  . 


Alle  Rechte  vorbehalten. 


C.  A.  Wagner's  Üniversitäts-Buchdruckerei,  Freiburg  im  Breisgau. 


Meinem  Vater 


und 


dem  Andenken  meiner  Mutter. 


v// 


Pjs  ist  mir  eine  angenehme  Pflicht,  meinem  hochverehrten  Lehrer, 
Herrn  Professor  Bkesslau,  für  die  mannigfachen  Anregungen  und 
Förderungen,  die  er  dieser  Arbeit  zu  teil  werden  liess,  meinen  besten 
Dank  auszusprechen.  Einzelne  wertvolle  Hinweisungen  verdanke  ich 
auch  Herrn  Professor  Vakrentrapp.  Herr  Professor  W.  Michael 
in  Freiburg  i.  B.  hatte  die  Freundlichkeit,  für  mich  in  London  eine 
Textvergleichung  vorzunehmen.  Auch  soll  nicht  unerwähnt  bleiben, 
dass  man  mir  in  Paris  überall  und  namentlich  auf  dem  Archiv, 
wo  ich  mehrere  Wochen  arbeitete,  mit  der  grössten  Zuvorkommen- 
heit begegnete. 

Strassburg  i.  E.,  im  Dezember  1897. 

Der  Verfasser. 


IX 


Inhaltsverzeichnis. 


Seite 

Einleitung 1 

1.  Kapitel.     Wilhelm    von    Nogaret    bis    zu    seinem    Eintritt    in    den    Streit 

zwischen  Philipp  dem  Schönen  und  Bonifaz  VIII.  (1300)      .     .  8 

1.  Familie,  Geburt 8 

2.  BilduDg;  Professor  der  Rechte  in  Montpellier ,  11 

3.  Oberrichter  in  Nimes;  königlicher  Rat 15 

2.  Kapitel.     Rückblick  auf  die  Geschichte  des  französischen  Königtums.    Der 

Beginn  des  grossen  Kirchenstreits  unter  Philipp  dem  Schönen 

(—  1300) 18 

1.  Frankreich  bis  zum  Regierungsantritt  Philipp's  des  Schönen  (1284).  18 

2.  Die  Anfänge  Philipp's  des  Schönen  und  der  Beginn  seines  Streits 

mit  Bonifaz  VIII.  (1284—1297) 22 

3.  Die  Zeit  des  vorübergehenden  Ausgleichs  (1297 — 1300)  ....  26 

3.  Kapitel.    Nogaret's  Thätigkeit    in  den  Jahren   1300—1303,   seine  Reise 

nach  Italien  und  der  Fortgang  des  Kirchenstreits  bis  zum  August 

1303 30 

1.  Xogaret's  (lesandtschaft  nach  Rom  im  Jahre  1300 30 

2.  Nogaret's   Thätigkeit    und   der   Fortgang   des    Kirchenstreits    im 
Jahre  1301 36 

3.  Das  Jahr  1302.    Nogaret's  Stellung  bei  seiner  Abreise  nach  Italien 
(1303) 41 

4.  Nogaret's  Vollmacht  und  Instruktion  (März  1303) 45 

5.  Der  Staatsrat  vom  12,  INIärz  1303 48 

6.  Die  Ereignisse  des  Sommers  1303  in  Frankreich 55 

7.  Nogaret's  Reise  nach  Italien  und  die  Vorgänge  bis  zum  August 
1303 60 

4.  Kapitel.     Anagni 66 

1.  Quellen-Berichte  über  das  Attentat  von  Anagni 66 

2.  Nogaret's  Eindringen  in  Anagni  am  7.  September  1303;  Volks- 
versammlung, Erstürmung  der  Paläste  dreier  Kardinäle      ...  74 

3.  Waffenstillstand;   Fall  der  Paläste  des  Marquis  und  des  Papstes  80 

4.  Szene  im  Zimmer  des  Papstes 83 

5.  Plünderungen 89 

6.  Die  Ereignisse   vom  Abend   des   7.  bis   zum  Morgen  des  9.  Sep- 
tembers    94 

7.  Der  Umschlag 98 


X  luhaltsverzeichnis. 

Seite 
8.  Die  Befreiung  des  Papstes  am  9.  September 102 

0.  Die  letzten  Lebenstaore  Bonifaz'  VIIT.  (f  12.  Oktober  1303)  .     .     106 

5.  Kapitel.    Der  friedliche  Sieg  Philipp's  des  Schönen   über  das  Papsttum 

und  die  Zeit  der  Vorbereitung  zum  Schlag  gegen  die  Templer, 
bis  zur  Ernennung  Nogaret's  zum  Grosssiegelbewahrer  (Oktober 
1303  bis  September  1307) 111 

1.  Xogaret  uacli  seiuer  Vertreibung  aus  Anagni  bis  zu  seiner  Rücii- 
kehr  nach  Frankreich  (Ende  1303) 111 

2.  Xogaret  zu  Beginn  des  Jahres  1304  in  Südfranki-eich     .     .     .     .     115 

3.  Neue  Gesandtschaft  an  Benedikt  XI.  und  der  Friedensschluss 
zwischen  Frankreich  und  dem  Papst,  von  dem  nur  Xogaret  aus- 
geschlossen bleibt  (März  bis  Mai  1304) 119 

4.  Rückkehr  nach  Frankreich,  Bulle  „Flagitiosum  scelus"  vmd  Tod 
Benedikt's;  Xogaret's  Schriften  vom  Herbst  1304 124 

5.  Die  "Wahl  Clemens'  V.,  die  A^'erhandlungen  zu  Lyon  und  Xogaret's 
Thätigkeit  in  den  Jahren  1305—1306 130 

6.  Die  Templeraugelegenheit;  Verhandlungen  vom  Frühjahr  1307  zu 
Poitiers  und  die  Ereignisse  bis  zum  August  1307 135 

7.  Die  Vorbereitung  der  Anklage  gegen  die  Templer  und  die  Er- 
hebung X^ngarets  zum  Grosssiegelbewahrer 140 

6.  Kapitel.    Nogaret's  Thätigkeit  als  Grosssiegelbewahrer  Frankreichs  bis 

zum  Beginn  des  Prozesses  gegen  das  Andenken  Bonifaz'  Vill. 
(Oktober  1307  bis  März  1310) 146 

1.  Beginn  des  Verfahrens  gegen  die  Templer  und  gegen  Guichard 

von  Troyes  (Oktober  1307  bis  Februar  1308) 147 

2.  Berufung  und  Tagung  der  ßeichsstände  (März  bis  Mai  1308)      .     151 

3.  Beginn    neuer    Verhandlungen    zu    Poitiers,    Konsistorium    vom 

29.  Mai  1308 155 

4.  Die  vorläufige  Verständigung  zwischen  König  und  Papst   (Juni 

bis  August  1308) 161 

5.  Die  Ereignisse  vom  September  1308  bis  zum  Xovember  1309     .  167 

6.  Anderweitige  Thätigkeit  Nogaret's  1309  und  Anfang  1310;  seine 
Familie.     Die  Abreise  nach  Avignon  März  1310 171 

7.  Kapitel.    Der  Prozess  gegen   Bonifaz  VIII.  und  das  Ende  der  Templer. 

Nogaret's  Tod.  (März  1310  bis  April  1313) 176 

1.  Die  Eröft'nung  des  Prozesses  im  Konsistorium  vom  16.  März  1310 

und  die  Schriften  der  beiden  Parteien  vom  20.  März     .     .     .     .     176 

2.  Die  Fortsetzung  des  Verfahrens  bis  zur  Vertagung  am  11.  April 
1310 180 

8.  Ostern.  AVeitere  grosse  Vertagung  des  Prozesses  im  Konsistorium 
vom  13.  Mai.  Die  Differenzen  Clemens'  V.  mit  Philipp  (Sommer 
1310) 183 

4.  Die  am  3.  August  1310  von  beiden  Parteien  eingereichten  Schriften     186 

5.  Die  Ereignisse  vom  August  bis  Oktober  1310;  Philipp's  neue 
Gesandtschaften 190 

6.  Erste  Verhandlungen  des  Bischofs  von  Bayeux;  Fortgang  des 
Prozesses  im  November  1310 193 


Inhaltsverzeichnis.  XI 

Seite 

7.  Weitere  Verhandluugeu  betreft's  eines  Vergleichs;  die  Ereignisse 

des  Dezembers  1310  und  Xogarot's  Abreise  von  Avignon   .     .     .     196 

8.  Der  Ausgleich  zwischen  Philipp  und  Clemens  und  die  Absolution 
Nogaret's  (Januar  bis  1.  Mai  1311) 201 

9.  Nogaret's   fernere   Thätigkeit;   das   Konzil   von  Vienne  (1311  bis 
Mai  1312) 206 

10.  Xogaret's  letztes  Lebensjahr  und  sein  Tod  (April  1313).     Schluss     210 

Exkurse 215 

I.  Mit  welchem  Auftrag  begab  sich  Nogaret  1303  nach  Italien?      .  215 

11.  Ueber  die  letzten  Tage  und  den  Tod  Bouifaz'  VIII 228 

m.  Ueber  die  Verhandlungen  zu  Poitiers  im  Mai  1308 240 

Beilagen 246 

I.  Verschiedene   Rezensionen   der  am   7.  September  1304   von  No- 
garet vor  dem  Pariser  Offizial  zu  Protokoll  gegebeneu  Apologie     246 
II.  Nogaret  ermahnt   den  König,   nicht  vom  Prozess  gegen  Bonifaz 
abzustehen,  und  gibt  ihm  verschiedene  Ratschläge  zur  Behandlung 
desselben  (Juni  bis  November  1305) 253 

III.  Ein  die   Verhandluugeu   zu   Poitiers   1307    betreffendes,    an    den 
König  gerichtetes  Schreiben 256 

IV.  Eine    Denkschrift   betreffs  der   Möglichkeit    eines   Verzichts    des 
Königs    auf  den  Prozess    gegen  Bonifaz  (1305 — 1311;  vermutlich 

Mai  1307) 261 

V.  Aus   einer   au   die  Kardinäle  gerichteten  Verteidigungschrift  No- 
garet's (1305—1311;  vermutlich  1308) 263 

VI.  Nogaret  bittet  den  Papst  um  seine  Absolution  (1305 — 1311;  ver- 
mutlich 1308) 264 

VII.  Der  König  beauftragt  Nogaret  mit  der  Besiegelung  einer  Schen- 
kung, die  er  seinem  Sohne  Karl  gemacht  hat   (5.  April  1308)     .     265 
VIII.  Der    König   erlässt  Nogaret   die   Zahlung   von  2000  Pfund,    den 
noch  nicht  beglichenen  Teil  einer  Schuld  von  3000  Pfund,  welche 
derselbe  gelegentlich  der  Heirat  seiner  Tochter  mit  Berengarius 
Guillelmi,  dem  Sohn  des  gleichnamigen  Seigneurs  von  Clermont- 
de-Lodeve  für  diesen  übernommen  hatte  (1.  Juli  1308)  ....     266 
IX.  Nogaret's  „Protestationes  super  facto  Bonifacii"   (1308)  ....     267 
X.  Der  König  beauftragt  Nogaret  mit  der  Besiegelung  und  Versen- 
dung einiger  Erlasse  (19.  Oktober  1309) 272 

XI.  Aus  einer  Denkschrift  betreffs  der  Verhandlungen  über  den  Ver- 
zicht des  Königs  auf  den  Prozess  gegen  Bouifaz  VIII.  (Vermutlich 

Ende  1310  oder  Anfang  1311)       272 

XII.  Nogaret's    „Cause    defensionum".     (Vermutlich    Ende    1310    oder 

Anfang  1311) 274 

Verzeichnis  der  in  den  Beilagen  vorkommenden  Eigennamen 278 


XJer  gewaltige  Kampf  zwischen  dem  staufischen  Kaiser- 
geschlecht und  der  römischen  Kurie  hatte  ausgetobt;  in  ihm 
hatte  die  mittelalterliche  Entwicklung  ihren  Höhepunkt  gefunden, 
das  jahrhundertelange  Ringen  zwischen  den  beiden  Häuptern  der 
Christenheit  war  trotz  der  glänzendsten  Thaten  und  zeitweiligen 
Erfolge  der  Staufer  zu  Gunsten  des  Papsttums  ausgefallen.  Man 
darf  nicht  sagen,  dass  der  zweite  Friedrich  und  seine  Söhne  in  diesen 
Jahren,  da  das  Facit  der  Kämpfe  des  Mittelalters  gezogen  wurde, 
da  die  Entscheidung  fiel,  nicht  an  dem  Platze  gewesen  seien,  wo- 
hin sie  gehörten,  wo  ihr  Schwert  und  ihr  Blut  am  ehesten  ge- 
fordert wurden:  gelang  es,  Sizilien  dauernd  unter  dasselbe  Szepter 
wie  das  Imperium  zu  stellen,  so  mochte  die  Suprematie  des  Kaiser- 
tums über  das  Papsttum  entschieden  sein.  Aus  guten  Gründen  be- 
kämpfte das  letztere  eine  solche  Verbindung  so  lange  es  konnte» 
und  nachdem  es  damit  durchgedrungen,  war  es  für  Jahrhunderte 
vorbei  mit  der  Kaisermacht  und  der  Herrlichkeit  des  Deutschen 
Reichs.  Diesseits  und  jenseits  der  Alpen  träumte  das  Volk  von 
der  Wiederkehr  des  staufischen  Kaisers,  während  überall  im  Im- 
perium die  kleinen,  partikularen  Mächte  zum  völligen  Sieg  kamen, 
und  Gewalt  und  Eigennutz  in  brutalster  Weise  herrschten.  In  Ober- 
und  Mittelitalien  stritten  sich  Ghibelhnen  und  Guelfen  allerorts  in 
kleinlichen  Partei-  und  Familienzänkereien,  und  nur  nocli  die  Namen 
erinnerten  an  die  grossen  Zeiten  und  ihre  welterschütternden  Gegen- 
sätze. Das  schöne  Königreich  zu  beiden  Seiten  des  Faro  aber  lag 
wie  begraben  unter  der  drückenden  Schwere  der  anjovinischen  Herr- 
schaft. Auf  den  Ruf  des  Papstes  war  Karl  von  Anjou  gekommen, 
als  sein  Vasall  trug  er  die  Krone,  der  römische  Oberpriester  über- 
strahlte alle  Könige  und  Fürsten  der  Erde  wie  die  Sonne  den  ^tond. 
Wer  würde  es  auch  wagen,  gegen  das  Papsttum  ferner  die  Wafi'en 
zu  erheben,  da  es  doch  einen  Kampf  bestanden  hatte,  wie  das 
Mittelalter  noch  kaum  einen  gesehen! 

R.  Holtzmaiui,  Notjaret.  \ 


2  Einleitung. 

i)a  trat  ein  merkwürdiges  Ereignis  ein.  Auf  der  Insel  Sizi- 
lien brach  im  Jahre  1282  eine  Empörung  aus  gegen  den  Druck 
der  Fremdherrschaft  und  die  Frechheit  der  Provencalen;  der  ara- 
gonische König  Peter,  der  eine  staufische  Prinzessin,  eine  Tochter 
Manfred 's,  zur  Frau  hatte,  wurde  zum  König  ausgerufen  und  mit 
seiner  Gemahhn  in  Palermo  feierlich  gekrönt.  Vergebens  versuchten 
Karl  I.  und  sein  gleichnamiger  Sohn  und  Nachfolger  der  Erhebung 
Herr  zu  werden,  vergebens  schleuderte  Martin  IV.  den  Bannstrahl 
gegen  den  aragonischen  König  und  übertrug  dessen  Stammlande  an 
den  Prinzen  Karl  von  Valois;  zwei  Jahrzehnte  kämpften  die  Anjous 
um  Sizilien:  wir  werden  sehen,  wie  sie  schliesslich  auf  das  vielumstrit- 
tene Eiland  verzichten  mussten. 

Und  doch  zeigte  sich  gerade  in  diesen  Kämpfen  auch  Avieder 
die  Macht  des  Papsttums:  abermals,  wie  schon  oft  in  der  letzten 
Zeit,  stellte  sich  Frankreich  gefügig  ihm  zu  Gebote,  indem 
Philipp  III.  Aragonien  wirklich  mit  Krieg  überzog.  Es  waren  keine 
bedeutenden  Persönlichkeiten,  die  in  den  letzten  Jahren  die  Tiara 
trugen.  Wie  aber,  wenn  wieder  einmal  ein  Mann  vom  Schlage 
Gregor's  VII.  oder  Innocenz'  III.  aus  dem  Konklave  hervorging,  jetzt, 
wo  kein  Kaiser  sich  mehr  seinen  Plänen  in  den  Weg  stellen  konnte? 
Seinem  Wink  mussten  die  Fürsten  und  Völker  der  Erde  gehorchen  I 

Und  er  kam,  dieser  Mann.  Bonifaz  VIII.,  der  Ende  129-4 
den  Stuhl  Petri  bestieg,  fühlte  sich  durchaus  dazu  berufen,  das  AVerk 
der  grossen  Päpste  zu  vollenden  und  alles  Erdreich  der  römischen 
Kirche  zu  unterwerfen.  Er  nahm  nicht  nur  die  siziHsche  Ange- 
legenheit von  neuem  in  die  Hand,  mischte  sich  nicht  nur  in  sonstige 
italienische  Händel,  sondern  auch  in  ungarische,  polnische,  dänische 
Dinge  und  gedachte  vor  allem  in  den  deutschen,  französischen  und 
englischen  Ereignissen  seinem  entscheidenden  Wort  Geltung  zu  ver- 
schaffen. 

Alle  Fürsten,  das  war  sein  letztes  Ziel,  sollten  ihr  Land  vom 
Papst  zu  Lehen  tragen,  und  wehe  dem,  der  sich  gegen  seinen  Ober- 
lehnsherrn auflehnte!  So  schien  sein  Pontifikat  an  Glanz  und  Macht 
alle  früheren  überstrahlen  zu  sollen,  ein  natüiliches  Ergebnis  der 
Kämpfe  der  vorangegangenen  Jahrhunderte.  Da  fiel  plötzlich  und 
unvermutet  der  Schlag:  am  7.  September  1303  wurde  der  greise 
Papst  in  seiner  Vaterstadt  Anagni,  inmitten  der  Besitzungen  seiner 
Familie,  von  einem  zusammengerafften  Haufen  italienischer  Söldlinge 
gefangen  genommen  auf  Betrieb  Wilhelm's  von  Nogaret,  eines 
Rats  des  französischen  Königs.  Zwar  wurde  Bonifaz  am  dritten 
Tage  wieder  befreit,  aber  er  war  ein  gebrochener  Mann,  der  auch  in 


Einleitung.  3 

Rom  seine  Freiheit  nicht  wieder  erlangte;  einen  ]\Ionat  nach  dem 
Ueberfall  starb  er  in  Verzweiflung,  allein  und  ohne  einen  Schatten 
jener  päpstlichen  Macht,  die  er  auf  den  Gipfel  zu  erheben  gedacht 
hatte!  Seine  Nachfolger  gerieten  immer  mehr  in  französische  Ab- 
hängigkeit; gebundener  und  unfreier  als  Clemens  V.,  der  während 
seines  ganzen  Pontifikats  nicht  einmal  den  italienischen  Boden  be- 
trat, war  wohl  kaum  je  ein  Papst  gewesen. 

Oft  und  viel  ist  die  Frage  behandelt  worden,  wie  es  kommen 
konnte,  dass  das  Papsttum,  welches  eben  das  deutsche  Kaisertum 
niedergezwungen  hatte  und  auf  der  Höhe  seiner  Macht  zu  stehen 
schien,  nur  35  Jahre,  nachdem  das  Haupt  Konradin's,  des  unglück- 
lichen Heldenjünglings,  gefallen  war,  in  der  Hand  des  französischen 
Königs  zerbrach  wie  ein  dürres  Reis.  Es  handelt  sich  dabei  um 
zwei  Dinge.  Einmal  wäre  zu  zeigen,  wie  das  Papsttum  nach  dem 
grossen  Kraftaufwand,  den  es  im  Kampfe  gegen  die  Staufen  hatte 
einsetzen  müssen,  ermattete,  selbst  erschöpft  durch  den  mühe-  und 
kostenvollen  Sieg,  wie  ferner  seine  geistige  Macht,  der  Gedanke  einer 
christlichen  Theokratie  unter  der  Führerschaft  Roms,  der  ganze 
Ideengehalt  des  Mittelalters,  der  noch  eben  nach  aussen  den  Sieg 
davongetragen,  vieles  von  seiner  Zugkraft  im  Gemüte  der  Völker 
einbüssen  musste,  und  andere,  hauptsächlich  nationale  Kräfte  mit 
siegreicher  Gewalt  sich  Bahn  brachen:  neue  Bestrebungen  forderten 
ihr  Recht,  und  für  einen  Kreuzzug  begeisterte  sich  ausser  Ludwig  IX. 
von  Frankreich  in  der  ernüchterten  Zeit  niemand  mehr.  Der  zweite 
Punkt,  der  zur  Erklärung  der  plötzlichen  Katastrophe  des  Papst- 
tums ins  Auge  gefasst  werden  muss,  ist  die  Entwicklung  Frank- 
reichs, die  w'achsende  Macht  des  französischen  Königtums:  von 
gleichen  Bedingungen  aus  war  dasselbe  schliesslich  doch  zu  ganz 
anderen  Ergebnissen  gelangt  als  die  Zentralgewalt  in  dem  östlichen 
Nachbarreicb.  Auch  hier  hat  man  häutig  nach  den  Gründen 
geforscht.  Es  kann  nicht  unsere  Aufgabe  sein,  dieselben  völlig 
darzulegen.  Während  aber  jener  erste  Punkt  die  Papstgeschichte 
in  erster  Linie  angeht  und  daher  von  uns,  die  wir  es  zunächst 
mit  französischer  Geschichte  zu  thun  haben ,  nicht  näiier  zu 
behandeln  ist,  müssen  wir  diesen  zweiten  Punkt  doch  kurz  be- 
rühren; wir  werden  dabei  insonderheit  natürlich  auch  auf  die 
Beziehungen  Frankreichs  zum  Papsttum  achthaben  und  unter- 
suchen, ob  nicht  das  letztere  vielleicht  selbst  sich  im  französi- 
schen Königtum  eine  befreundete  Maclit  grossgezogen  hatte,  die 
einmal  erstarkt  leicht  zu  einer  gefährlichen  Gegnerschaft  werden 
konnte. 

1* 


4  Einleitung. 

Es  ist  nicht  eine  Geschichte  des  ganzen  Streites  PhiHpp's  des 
Schönen  mit  der  Kurie,  die  zu  schreiben  ich  mir  vorgenommen 
habe.  Eine  solche  ist  ein  dringendes  Bedürfnis,  wird  aber,  wie  ich 
liöre,  augenbhcklich  von  berufenerer  Seite  in  Frankreich  vorbereitet. 
Eine  Biographie  Wilhelm 's  von  Nogaret,  des  wichtigsten  und 
bedeutendsten  Ministers  des  genannten  Königs,  wird  daneben  schon 
deshalb  ihre  Berechtigung  haben,  weil  die  Tliätigkeit  der  Diener  der 
Krone  im  allgemeinen  nicht  gebührend  gewürdigt  wird,  indem  die 
Beschaffenheit  unserer  mittelalterhchen  Quellen,  die  meist  nur  vom 
König  und  sehr  selten  von  dem  Wirken  seiner  Räte  sprechen,  es  mit 
sich  bringt,  dass  die  Bedeutung  der  letzteren  ungebührlich  zurücktritt. 
In  diesem  Charakter  der  Quellen  freilich  liegt  auch  die  Schwierig- 
keit einer  solchen  Biographie.  Und  wenn  ich  glaube,  an  mehreren 
Stellen  den  Einfluss  Nogaret's  nacbgewiesen  oder  doch  wahrscheinlich 
gemacht  zu  haben,  so  bin  ich  mir  andererseits  wohl  bewusst,  nicht 
alles  vollständig  erreicht  zu  haben,  was  man  sonst  von  einer  mo- 
dernen Biographie  verlangt.  Nach  dem  Material,  was  uns  vorliegt, 
ist  eine  völlig  genügende  Individualisierung  unseres  Ministers,  eine 
genaue  Abgrenzug  des  Anteils,  den  er  an  den  Ereignissen  hat, 
stellenweise  schlechterdings  unmöglich. 

In  die  späteren  Jahre  Nogaret's  fällt  in  engem  Zusammenhang 
mit  dem  Prozess,  den  Philipp  an  der  Kurie  noch  gegen  den  toten 
Bonifaz  betreiben  liess,  eine  andere  Angelegenheit,  die  neuerdings 
viel  besprochen  ist  und  zu  lebhaften  Auseinandersetzungan  Anlass 
bot:  der  Untergang  des  Templerordens.  Es  handelt  sich  da- 
bei hauptsächlich  um  die  Frage  nach  der  Schuld  oder  Unschuld 
der  Templer,  die  in  verschiedener  Weise  beantwortet  wird.  Die 
Untersuchung  ist  von  selten  der  beiden  jüngsten  Verteidiger  des 
Ordens  in  Deutschland  ohne  Geschick  geführt  worden,  indem  der 
eine  es  vielfach  an  der  nötigen  Selbstständigkeit  und  kritischen  Un- 
befangenheit fehlen  lässt,  während  der  andere  durch  eine  oft  ge- 
hässige Polemik,  die  in  den  Vordergrund  seines  ganzen  Werkes  ge- 
stellt ist,  sowie  durch  ein  überaus  anspruchsvolles  Auftreten  von 
vorneherein  abstösst.  Ob  aber  wirklich  den  Orden  als  solchen  eine 
Schuld  trifft,  und  nicht  vielmehr  nur  Vergehungen  und  grobe  Aus- 
schreitungen vieler  seiner  Mitglieder  vorliegen,  das  darf  gerade  auch 
nach  den  neueren  Ausführungen,  die  von  der  anderen  Seite  gemacht, 
wurden,  wohl  füglich  bezweifelt  werden.  Was  im  übrigen  uns  an 
der  ganzen  Frage  vornehmlich  interessiert,  ob  nämlich  der  König 
und  Nogaret  an  die  Schuld  des  Ordens  glaubten,  werden  wir  noch 
zu  erörtern  haben. 


Litteratur.  5 

Eine  Biographie  Nogaret's  bedarf  aber  vielleicht  der  Recht- 
fertigung angesichts  der  Lebensbeschreibung,  die  Ekxst  Rkxan  be- 
reits 1877  über  ihn  veröffentlicht  hat.  Hier  sei  nun  in  erster  Linie 
von  mir  hervorgehoben,  dass  ich  der  Arbeit  dieses  durch  Fleiss 
■wie  durch  Geist  gleich  ausgezeichneten  Gelehrten  begreiflicher  Weise 
ausserordentlich  viel  verdanke.  Namentlich  das  urkundliche  Material 
ist  von  Renan  mit  ziemlicher  Vollständigkeit  herangezogen  werden. 
Weniger  eingehend  gab  er  sich  mit  den  Autoren  ab,  und  quellen- 
kritische  Untersuchungen  lagen  ihm  fern.  Ein  anderer  Mangel  des 
Werks  ist  die  Unkenntnis  der  deutschen  Litteratur,  von  der  nur 
Reümont  und  Gregokovius  zitiert  werden:  sogar  Drümaxn's  Boni- 
faz  VIII.,  die  für  die  ganze  Zeit  dieses  PajDstes  nach  wie  vor 
grundlegende  Arbeit,  wurde  von  Renan  nicht  benutzt.  Es  kommt 
hinzu,  dass  in  den  letzten  20  Jahren  sich  das  Material  bedeutend 
vermehrt  hat;  es  sei  hier  nur  an  die  Publikation  der  päpstlichen 
Register  und  die  eben  schon  erwähnte  ausgedehnte  Templerlitteratur 
erinnert.  Ich  glaube  daher  in  nicht  unwesentlichen  Dingen  die  Arbeit 
Renan's  ergänzen  oder  im  einzelnen  wohl  auch  berichtigen  zu  können, 
zumal  im  Pariser  Archiv  vorgenommene  Arbeiten  gute  Ergebnisse 
hatten  ^ 

Die  häufiger  zitierten  Werke  seien  gleich  hier  angeführt;  die 
Titel  der  nur  gelegenthch  verwandten  Bücher  werden  an  Ort  und 
Stelle  genannt  werden. 

Anselme,  P,  et  DU  Foukny:  „Histoire  genealogique  et  chro- 
nologirpie  de  la  maison  royale  de  France,  des  pairs,  grands  officiers 
de  la  couronne  etc."   9  Bde.    Paris  1726  —  33. 

Baillet,  A.:  „Histoire  des  demelez  du  pape  Boniface  VIII. 
avec  Phihppe  le  Bei,  roi  de  France."     2.  ed.    Paris  1718. 

Baluzius,  St.:  „Vitae  paparum  Avenionensium."  2  Bde. 
Paris  1693. 

BouTARic,  E.:    „La  France  sous  Philippe  le  Bei."  Paris  1861. 

Dkumann,  W. :  „Geschichte  Bonifacius  des  Achten."  2  Teile. 
Königsberg  1852. 

DüCHESNE,  F.:  „Histoire  des  chanceliers  et  gardes  des  sceaux 
de  France."  Paris  1680. 


*  Eins  oder  das  andere  ergäbe  sicli  vielleicht  noch  bei  einem  Studium  der 
Rechnungen;  doch  würde  die  aufgewandte  Arbeit  in  keinem  Verhältnis  zum 
Ertrag  stehen.  Die  von  Kkrvyn  de  Lkttenhovk  („Etudes",  [Nlem.  de  Taoad. 
royale  de  Belgique  XXVIII,  94  f.  Anm.  4)  erwähnten,  die  Lebensgeschichte 
Nogaret's  und  Plasian's  berührenden  Urkunden  aus  dem  Brüsseler  Archiv  ent- 
halten wenig  Interessantes  und  sind  meist  schon  bekannt. 


6  Eiuloituug. 

[DuruY,  P. :]  „Histoire  du  differend  d'entre  le  pape  Boniface  VIII. 
et  Philippes  le  Bei,  roy  de  France."  Paris  1655. 

DrruY,  P. :  „Histoire  de  l'ordre  militaire  des  templiers." 
Brüssel  1751. 

Fl-nkk,  P.:  „Papst  Benedikt  XI."     Münster  1891. 

G.MELiN,  J.:  „Schuld  oder  Unschuld  des  Templerordens." 
Stuttgart  1893. 

Hefele,  C.  J. :  „Conciliengeschichte."  VI.  Bd.  2.  Auflg.  bes. 
von  A.  Knüpfleu.     Freiburg  1890. 

HiNSCHius,  P. :  „Das  Kirchenrecht  der  Katholiken  und  Prote- 
stanten in  Deutschland."  Erster  Teil:  „System  des  katholischen 
Kirchenrechts  mit  besonderer  Rücksicht  auf  Deutschland."     Berlin 

1869  tr. 

„Histoire  generale  de  Languedoc",  par  C.  Devic  et 
J.  Vaissete.  Nouv.  edit.  Bd.  IX  und  X  par  A.  Molixier.  Tou- 
louse 1885. 

HöFLEß,  C:  „Rückblick  auf  P.  Bonfacius  VIII.  und  die  Li- 
teratur seiner  Geschichte.  Nebst  einer  wichtigen  urkundlichen  Bei- 
lage aus  dem  vatikanischen  Archiv  in  Rom",  in  den  Abhandlungen 
der  historischen  Klasse  der  königlich  bayerischen  Akademie  der 
AVissenschaften,  Bd.  III,  3.  Abteilung.     München  1843. 

JoLLY,  J.:  „Philippe  le  Bei,  ses  desseins,  ses  actes,  son  in- 
fluence."    Paris  1869. 

KiNDLEK,  E.:  „Benedikt  XI."     Posen  1891. 

Lea,  H.  Gh.:  „A  history  of  the  inquisition  of  the  middle  ages." 
3  Bde.     New-York  1888. 

Luchaire,  A.:  „Manuel  des  institutions  fran^aises,  periode 
des  Capetiens  directs."    Paris  1892. 

Mautin,  H.:  „Histoire  de  France."  4.  Auflg.  19  Bde.  (für  uns 
Bd.  IV).     Paris  1855—60. 

Menaud,  L.:  „Histoire  civile,  ecclesiastique  et  litteraire  de  la 
ville  de  Nismes."  Bd.  I.  Paris  1750.  (In  der  1875  erschienenen 
neuen  Auflage  waren  mir  die  wichtigen  „preuves"  nicht  zugänglich.) 

Miciielet,  J.:  „Proces  des  templiers."  2  Bde.  Paris  1841— 1851. 

„Notices  et  extraits  des  manuscrits  de  la  bibliotheciue  im- 
periale et  autres  bibliotheques,  publ.  par  l'institut  imperial  de 
France."  (E.  Boutaric.)     Bd.  XX,  Teil  2.     Paris  1862. 

Olim  (les),  ou  registres  des  arrets  rendus  par  la  cour  du  roi, 
publ.  par  Beugnot.     3  Bde.     Paris  1839—1848. 

„ürdonnances  des  rois  de  France  de  la  troisieme  race." 
21  Bde.    Paris  1723—1847. 


Litteratur.  7 

PoTTiiAST;  A.:  „Kegesta  pontiticum  Koiuanoruni."  Bd.  11. 
Berlin  1875. 

Pi4UTZ,  H.:  „Entwicklung  und  Untergang  des  Tenipelherren- 
ordens.^'     Berlin  1888. 

Raynaldus,  O.:  „Annales  ecclesiastici",  zitiert  nach  der  von 
A.  TiiEiNEit  veranstalteten  neuen  Ausgabe  des  Baronius  und  seiner 
Fortsetzer.  37  Bde.  Bar-le-Duc  und  Paris  1864—1883  (für  uns 
Bd.  XXIII). 

„Reges tum  Giemen tis  papae  V.",  cura  et  studio  monachorum 
ordinis  s.  Benedicti,  9  anni,  Rom  1885 — 1888;  appendices  ibid.  1892. 

„Registres  (les)  de  Boniface  VIII",  herausgeg.  von  Di- 
GAKD,  Faucon   und  Thomas.    Paris  1884  ff.   (noch   nicht  vollendet). 

„Registre  de  Benoit  XI.",  herausgeg.  von  Grandjean. 
Paris  1885. 

Renan,  E.:  „Guillaume  de  Nogaret,  legiste",  in  der  Histoire 
litteraire  de  la  France  XXYII,  St.  233  —  371  (Paris  1877).  (Ohne 
Quellenangaben   etc.   auch  in    der  Revue    des  Deux  Mondes  1872.) 

RiGAULT,  A.:  „Le  proces  de  Guichard,  eveque  de  Troyes." 
(Mem.  et  docum.  publ.  par  la  societe  de  l'ecole  des  chartes.  I.) 
Paris  1896. 

Schmidt,  E.  A.:  „Geschichte  von  Frankreich."  Bd.  I.  Ham- 
burg 1835. 

Schottmüller,  K.:  „Der  Untergang  des  Templerordens." 
2  Bde.     Berlin  1887. 

„Table  chronologique  des  diplumes,  cliartcs,  titres  et 
actes  imprimes  concernant  Thistoire  de  France",  begonnen  von 
Bkequigny,  fortgesetzt  von  Pardessus  und  Laboulaye.  8  Bde. 
Paris  1769—1876. 

Tesserau,  A.:  „Histoire  chronologi(]ue  de  la  grande  chancellerie 
de  France."     Paris  1676. 

TosTi,  L.:  „Storia  di  Bonifazio  VIII.  e  de'  suoi  tempi."  2  Bde. 
Monte  Cassino  1846.     (Neue  Aufl.   1886.) 

Wenck,  C:  „Clemens  V.  und  Heinrich  VII.  Die  Anfänge 
des  französischen  Papsttums."     Halle  1882. 

Betreffs  der  Quellen  Schriftsteller,  die  zumeist  in  der  Fort- 
setzung des  BouQCET'schen  „Recueil  des  historiens  des  Gaules 
et  de  la  France«  (Bd.  XX— XXIII,  Paris  1840—1876),  teilweise 
auch  bei  Baluze  (siehe  oben),  Mluatori  und  in  den  Monumcnta 
Germaniae  historica  gedruckt  sind,  verweise  ich  auf  die  Zu- 
sammenstellung^, die  der  Schilderung  des  Attentats  von  Anagni 
vorangeschickt  ist. 


1.  Kapitel. 

Wilhelm  von  Nogaret  bis  zu  seinem  Eintritt  in  den  Streit 
zwischen  Philipp  dem  Schönen  und  Bonifaz  VIII.   (1300). 

1. 

Die  Familie  Wilhelm 's  von  Nogaret  wohnte  in  Toulouse; 
sie  besass  daselbst  ein  Wohnhaus ,  das  spätere  Haus  der  soeurs 
d'Andoin  \  und  trieb  vermutlich  ein  Gewerbe.  Doch  hatte  sie  auch 
Grundbesitz:  in  der  Nähe  des  40  km  südöstlich  von  Toulouse  lie- 
genden Ortes  Saint-Felix  de  Caraman^  gehörte  ihr  ein  kleines 
Lehen,  das  den  Namen  Nogaret  trug^;  nach  ihm  nannten  sich 
die  Mitglieder  der  Familie.  Ein  adhges  Lehen  war  dasselbe  aber 
nicht,  sondern  eines  der  vielen  bürgerlichen,  die  gleichfalls  erblich 
waren,  an  die  sich  aber  keine  Vorrechte  und  keine  höhere  Standes- 
zugehörigkeit knüpften*.  Wir  werden  sehen,  wie  Wilhelm  von 
Nogaret  erst  später  zu  einem  höheren  Rang  erhoben  wurde;  er 
schaft'te  sich  dann  ein  Wappen  an,  wozu  er  eben  im  Anklang  an 
das  Wort  „Nogaret"  einen  Nussbaum  (noyer)  in  Silber  wähltet 

*  Lafaille:  „Annales  de  la  ville  de  Toulouse"  I  (Toulouse  1687),  Ann.  de- 
puis  la  reun.  de  la  comte  ä  la  coui'onne  284.  Dass  die  Eltern  Nogaret's  wirklich 
in  der  Stadt  wohnten  und  also  wohl  ein  Gewerbe  trieben,  ergiebt  sich  auch  aus 
dem  Umstand,  dass  sie  ihren  Sohn  studieren  Hessen,  was  bei  einer  bäuerlichen 
Familie  immerhin  auffallen  würde. 

-  In  der  alten  Grafschaft  Lauragais,  heute  Dept.  Haute-Garonne,  Arr. 
Villefranche,  Ct.  Reval,  nicht  (wie  Martin  IV,  444  Aum.  1  und  Renan  234 
'thun)  mit  dem  Cantonalsort  Caraman  (zwischen  St.  Felix  und  Toulouse)  zu  ver- 
wechseln. 

•''  Lafaille  a.  a.  0.  —  Rexan  234  bestreitet,  dass  sich  die  Familie  nach  dem 
Lehen  Nogaret  im  Gevaudan  genannt  habe. 

*  Ueber  die  bürgerlichen  Lehen:  Lüchaire  155 f.,  178.  Dass  Nogaret  aus 
keiner  adligen  Familie  stammte,  ergiebt  sich  aus  allen  Epitheta,  die  er  bis  1298 
erhält:  vrgl.  im  folgenden  und  Hist.  de  Lang.  X  notes  55 f.  (nr.  II-IV). 

'  Möglich,  dass  der  Name  des  Lehens  auch  wirklich  etwas  mit  dem  des 
Nussbaums  zu  thun  hatte.  —  Das  "Wappen,  zuerst  1307  nachweisbar,  Dupüv, 
Diff.  pr.  618;  Duchesne  258;  Anselme-du  Fourny  III,  853  und  VI,  299. 


Wilhelm  von  Xogaret  bis  laOO.  9 

Nogaret's  Vater  soll  Walther  gelieissen  haben'.  Interessanter 
und  besser  beglaubigt  ist,  was  uns  die  Quellen  sonst  von  den  Eltern 
berichten.  Gelegentlich  der  Schilderung  des  Attentats  von  Anagni 
erzählt  uns  Villaxi  über  das  Verhalten  des  Papstes  den  drohenden 
Worten  Nogaret's  gegenüber  folgendes'-:  „II  magnanimo  papa  gli 
(näml.  Xogaret)  rispuose,  ch'  era  contento  d'  essere  condannato  e 
disposto  i^er  gli  paterini  com'  era  egli  e  '1  padre  e  la  madre  arsi 
per  i^aterini.'-  Ueber  dieselbe  Sache  schreibt  —  allerdings  ohne 
Nennung  von  Nogaret's  Namen  —  Eberhard  von  Regensburg  ^, 
einer  der  Attentäter  habe  zu  Bonifaz  gesagt:  „Tu  vilissime  here- 
tice,  modo  tu  es  in  potestate  nostra,  et  de  te  quidquid  voluerimus 
faciemus",  worauf  der  Papst  geantwortet  habe:  „Ego  non  sum 
hereticus,  sed  pater  tuus  fuit  hereticus  et  sicut  constat  fuit 
etiam  pro  heresi  condempnatus."  Des  weiteren  meldet  wieder 
direkt  von  Nogaret  eine  ürvietaner  Chronik*,  die  wir  noch  als  eine 
der  bestunterrichteten  Quellen  für  den  Ueberfall  von  Anagni  kennen 
lernen  werden:  „.  .  .  praedictus  GuiUielmus,  cuius  pater  dicitur 
fuisse  hereticus,  .  .  ."  Diese  Angaben  erhalten  ihre  Bestätigung 
einmal  durch  die  Chronik  von  Asti,  in  welche  W^ilhelm  Ventura, 
ein  Zeitgenosse  Nogaret's,  bei  ganz  anderer  Gelegenheit,  nämlich 
der  Zerstörung  des  Templerordens,  folgende  Worte  eintrug'': 
„Guilielmus  de  Nogareto,  regis  Franciae  cancellarius,  auctor  fuit 
pro  posse  ruinae  ordinis  Templariorum,  eo  quod  patrem  ejus 
tamquam  haereticum  comburi  fecerunt"''.  Sodann  aber  be- 
sitzen wir  eine  im  April  1313  von  Ludwig  von  Nevers,  dem  Sohn 
des  Grafen  von  Flandern,  an  Papst  und  Kaiser  gerichtete  Protest- 
schrift, in  der  über  verschiedene  Massnahmen  des  französischen 
Königs  und  seiner  ^Minister  Beschwerde  geführt  wird;  in  derselben 
heisst  es  von  Nogaret":    „De  dicto  Guillelmo  de  Longharet"^  noto- 

*  Gauthier,  nach  Duchesne  262. 

"  ed.  Dragomanni  II,  80.  Diese  Stelle  wurde  bisher  nur  in  der  Ueber- 
setzung  des  Antoninus  von  Florenz  (Raynald  XXIII,  331;  1303  nr.  41)  beachtet, 
wo  aber  die  "Worte  „e  '1  padre  e  la  madre"  durch  „progenitores"  wiederge- 
geben sind.  Demgemäss  redet  Felix  Osius  (f  1630;  Batllet  363)  von  dem 
„avus",  Renan  (St.  234)  direkt  von  dem  Grossvater  Nogaret's,  der  verbraunt 
worden  sei. 

3  Mon.  Germ.  SS.  XVII,  599  ZI.  18—22. 

*  Döllinger:  „Beiträge"  III,  351;  Himmelstern:  „Chronik  von  Orvieto"  34. 
5  Mdratori  XI,  193  C. 

°  Das  soll  wohl  heissen,  dass  die  Templer  bei  der  Denunziation  beteiligt  waren. 
^  Limbürg-Stuium:   „Codex  diplomaticus  Flandriae"  II  (Brüg<re  1889),  223. 

*  Diese  Form  des  Namens  lindet  sich  öfters;  vrgl.  Himmklhtern  a.  a.  0. 
34  Anm.  und  Renan  233  f. 


JQ  1.  Kapitel. 

riuiii  est,  ipsuiii  ausii  teiuerario,  sacrilego  et  lieretico  in  maiestatem 
et  vitam  sanctissimi  bono  memorie  patris  Bonifacii  pape  octavi  ab- 
sorbendas  irruisse,  patreiiKiue  ipsius  Guillelmi  et  quosdam 
suos  predecessores  cai'nales,  iit  dicitur,  dampnatos  de  beresi 
merito  igne  crematos  fuisse." 

Man  darf  danach  wohl  als  sicher  annehmen,  dass  die  Familie 
Nogaret's  den  manichäischen  Sektierern  angehörte,  die  unter  dem 
Namen  der  Katbarer  zusamraengefasst  werden',  und  dass  No- 
garet's Vater  und  vielleicht  auch  seine  Mutter  der  Inquisition  zum 
Opfer  fielen,  die  nach  Beendigung  der  furchtbaren  Albigenserkriege 
das  einst  so  gesegnete  Land  und  seine  unglücklichen  Bewohner  mit 
Folter  und  Holzstoss  zur  Kirche  zurückführte.  Diesen  schmählichen 
Tod  der  Eltern  hat  der  Sohn  nie  verwunden;  sein  Hass  gegen  das 
Papsttum  dürfte  hier  die  letzten  Motive  finden. 

Wie  alt  Nogaret  war,  als  man  ihn  des  Vaters  beraubte,  wissen 
wir  nicht;  über  das  Datum  seiner  Geburt  fehlt  uns  überhaupt 
jede  Angabe;    sie  wird    zwischen  1260   und  1270    anzusetzen   sein-. 

Anders  steht  es  mit  seinem  Geburtsort.  Als  solchen  giebt 
Bernhardus  Guidonis^  ausdrücklich  das  erwähnte  St.  Felix  an, 
und  einen  besseren  Gewährsmann  als  ihn,  der  1307  — 1323  Inquisitor 
in  Toulouse  war"*,  können  wir  uns  nicht  wünschen.  Auch  wider- 
spricht es  dieser  Nachricht  nicht,  wenn  Villani^  und  eine  anonyme 
Chronik^  Nogaret   aus   der   „Provence"    stammen   lassen;   denn  es 

^  Toulouse  war  im  12.  Jhdt.  einer  der  HauptwirkuDgsplätze  Heinricli's 
von  Cluny  gewesen  (Schmidt  J,  453),  und  eben  in  Saint-Felix  de  Caraman, 
dem  Geburtsort  Nogaret's,  hatte  im  Mai  1167  der  „Ketzerpapst"  Niquinta 
(Xiketas  aus  Konstantinopel)  ein  Konzil  abgehalten,  auf  dem  eine  Organisation 
der  zahlreichen  Gemeinden  vorgenommen  wurde  (Rec.  des  hist.  XIV,  448 — 450)' 

-  1291  ist  Nogaret  Lehrer,  1306  heiratete  seine  Tochter;  vrgl.  im  folgenden. 

"  In  den  „Flores  chronicorum",  gelegentlich  der  Erzählung  des  Ueber- 
falls  von  Anagni:  „.  .  .  Guillelmus  de  Nogareto,  de  Sancto  Feiice  Tholosane 
diocesis",  Mdratori  III,  672  A;  Raynald  XXIII,  331  (1303  nr.  41);  Rec.  des 
hist.  XXI,  714  A;  Dcchesne:  „Le  Über  pontificalis"  II,  471.  Ton  Bernhardus 
schrieben  auch  hier  viele  spätere  ab,  so  Landulphus  de  Columna  (Dupuy,  Diff. 
pr.  619),  ein  Fortsetzer  des  Martinus  Polonus,  den  man  mit  Unrecht  mit  Diet- 
rich von  Niem  identifizierte  (Eccard,  Corpus  hist.  med.  aevi  I,  1469;  vrgl. 
Lindner  in  Forschungen  zur  deutschen  Gesch.  XII),  und  Amalricus  Augerius 
(MüRATORi  III 2,  439  B;  vrgl.  König:  „Ptolomaeus  von  Lucca",  44).  So  wird 
die  Nachricht  auch  zu  Nikolaus  Bertrandi  gekommen  sein,  der  im  16.  Jhdt.  die 
„gesta  Tliolosauorum"  schrieb;  vrgl.  hierüber  wie  über  die  ganze  Frage  nach 
Nogaret's  Geburtsort  die  Hist.  de  Lang.  X,  notes  53 f.  (nr.  I). 

*  Er  starb  1331  als  Bischof  von  Lodeve. 

■''  ed.  Dragomanni  II,  79. 

«  Rec.  des  hist.  XXI,  148  G. 


Wilhelm  von  Nogarct  l)is  1300.  11 

kam  im  14.  Jlidt.  noch  vor,  dass  dieser  Name  wie  einst  in  der 
Rönierzeit  auf  ganz  Südt'rankreich  ausgedehnt  ward'.  Nur  Lafaillk, 
der  zu  Ende  des  17.  Jhdts.  die  Geschichte  von  Toulouse  schrieb, 
will  Nogaret  anderswo,  nämlich  in  Toulouse  selbst,  geboren  sein 
lassen,  obgleich  er  sich  wohl  bewusst  ist,  dass  seiner  Meinung  die 
Quellen  entgegenstehen^.  Er  verweist  auf  das  Wohnhaus  der  No- 
garet's  in  Toulouse  und  meint,  die  Quellen  hätten  sich  durch  das 
Familienlehen  bei  St.  Felix  zu  ihrer  Angabe  verleiten  lassen, 
während  Toulouse  doch  schon  deshalb  der  Geburtsort  sein  müsste, 
weil  Nogaret  an  der  dortigen  Universität  seine  wissenschaftlichen 
Grade  erworben  habe!  Sollte  nicht  bei  einem  derartigen  Raisonne- 
raent  vielleicht  etw'as  Lokalpatriotismus  mitgewirkt  haben,  damit 
der  Mann  der  Stadt  Toulouse  auch  seiner  Geburt  nach  erhalten 
bleibe,  auf  den  sie  mit  Recht  immer  stolz  war?^ 

2. 

Zum  erstenmale  finden  wir  von  Nogaret  im  Jahre  1291  be- 
richtet; damals  war  er  Lehrer  der  Jurisprudenz  an  der  Uni- 
versität Montpellier.  Er  hatte  sich  also  dem  Studium  zuge- 
wandt, das,  wie  Renan ^  mit  Recht  hervorhebt,  damals  bereits  die 
Theologie  überflügelt  hatte,  da  es  dem  erstarkenden  französischen 
Königtum  seine  Beamten  heranbildete. 


'  Hist.  de  Lang.  a.  a.  0.  35  (nr.  XV). 

-  Läfaillk  a.  a.  0.  283  f.  —  Die  Hist.  de  Lang.  a.  a.  O.  54  irrt,  wenn 
sie  meint,  nach  Lafaille  Hessen  die  meisten  Quellen  Nogaret  in  Saverdun 
(am  Ariege,  43  km.  siidl.  von  Toulouse)  geboren  sein;  Lafaille  sagt  dies  nicht 
von  ihm,  sondern  von  Benedikt  XII;  a.  a.  0.  283:  „je  laisse  pareülement  (d.h. 
rede  hier  auch  nicht  von)  Jean  Forneri,  qui  fut  le  pape  Benoit  XII,  et  le  fameux 
(xuillaume  de  Nogaret;  parce  qu'ä  l'egard  de  celui-lä  la  plupart  des  hi- 
storiens  ont  ecrit  qu'il  etoit  de  Saverdun  .  .  .;  et  ä  l'egard  de  Nogaret,  parce- 
t^ue  etc." 

^  Eben  zur  Zeit  Lafaille's  wurden  drei  grosse  Galerieen  im  Toulouser  Stadt- 
haus gebaut;  in  der  zweiten  derselben  stellte  man  die  Büsten  berühmter  Tou- 
louser Männer  auf,  darunter  auch  diejenige  Nogaret's;  Lafaille  a.  a.  0.  II,  532. 
Das  Elogium  Nogaret's  lautet  daselbst  (ibid.  pr.  103):  „Guillelmus  Nogaretus, 
Tolosas,  Bonifacium  S.  P.  in  Philippum  IUI.  Galliarum  regem  ferocientcm 
armis  repressit,  eidem  regi  a  sigillis  legum  imperium  asseruit,  hello  et  pace 
iusignis."  Hierauf  werden  als  Zeugen  angeführt  eine  anonyme  Chronik, 
die  Catel  in  seiner  „Hist.  des  comtes  de  Tolose"  (Toulouse  1623)  veröffent- 
lichte, und  Nikolaus  Bertrandi.  Mit  ersterer  ist  nichts  anderes  als  das  Werk 
des  Beruhardus  Guidouis  gemeint;  Catkl  hat  dasselbe  zum  Teil  und  ohne  den 
Autor  zu  kennen  als  „Praeclara  Francorum  faciuora"  mit  abgedruckt.  Hier 
(pr.  150)  wie  bei  Bertrandi  wird  aber,  wie  wir  sahen,  St.-Feli.\  als  Geburtsoi't 
Nogaret's  genannt.  '  St.  235. 


12  1.  Kapitel. 

War  Xogaret  aber  überhaupt  kein  Kleriker?  Dass  er  keine 
der  hölieron  Weihen  empfing,  ist  sicher;  nicht  nur  haben  wir 
kein  Zeugnis  dafür,  dass  er  einem  der  höheren  Ordines  angehört 
habe,  sondern  es  muss  dies  auch  z.  B.  durch  den  Umstand,  dass 
er  sich  später  verheiratete,  für  völlig  ausgeschlossen  erklärt  werden. 
Dagegen  scheint  es  doch,  dass  er  eine  oder  mehrere  der  niederen 
Weihen  erhalten  hat.  Villani^  nennt  ihn  einen  „savio  clerico", 
und  ebenso  bezeichnet  ihn  König  Philipp  1296  als  „clericus"  ^. 
Und  damit  man  über  die  Bedeutung  dieses  Wortes  nicht  zweifle^, 
sei  noch  auf  eine  Urkunde  hingewiesen,  die  dem  ersten  Jahrzehnt 
des  14.  Jhdts.  angehört,  und  in  welcher  festgesetzt  wird,  dass  das 
Parlament  jährlich  zweimal  zusammenzutreten  habe;  dasselbe,  heisst 
es  hier*,  solle  sich  zusammensetzen  aus  dem  Erzbischof  von  Nar- 
bonne,  dem  Bischof  von  Rennes,  den  Grafen  von  Dreux  und  Bou- 
logne  und  ausserdem  aus  13  Klerikern  und  eBensovielen  Laien. 
Unter  den  Klerikern,  die  hier  in  direktem  Gegensatz  zu  Laien 
stehen,  wird  aber  an  erster  Stelle  Wilhelm  von  Nogaret,  der  da- 
malige Grosssiegelbewahrer,  genannt.  Danach  dürfte  die  Frage 
entschieden  sein.  Die  niederen  Weihen  sind  von  den  höheren  streng 
unterschieden,  verpflichteten  beispielsweise  auch  nicht  zur  Ehelosig- 
keit und  zum  Gebetsdienst \  Man  darf  vielleicht  annehmen,  dass 
man  von  kirchlicher  Seite  nach  dem  Ketzergericht  über  den  Vater 
auch  des  wahrscheinlich  noch  ziemlich  jungen  Sohnes  gedachte  und 
ihn,  schon  um  ihn  vor  allen  etwaigen  Anfechtungen  zu  bewahren, 
zum  geistlichen  Stand  erzog.  In  allen  seinen  Schriften  verrät  No- 
garet  eine  eingehende  Kenntnis  der  Bibel,  worin  wir  wohl  eine 
Frucht  seiner  ersten  Jugenderziehung  erblicken  dürfen.  Doch  trat 
er  dann  in  keinen  der  höheren  Ordines  ein,  da  sein  Sinn  nach 
etwas  anderem  als  der  kirchlichen  Laufbahn  stand.  Der  neue 
Staat  brauchte  rechtskundige  Diener;  an  den  Universitäten  ward 
neben  dem  kanonischen  Recht  auch  das  römische  gelehrt.  Dasselbe 
war  in  Frankreich  so  wenig  wie  in  Italien  jemals  ganz  verschwunden 
gewesen  und  gelangte  nun  zu  neuer  Bedeutung.  Auch  mit  den 
rechtsphilosophischen  Anschauungen,  wie  sie  namentlich  die 
Averroisten  damals  in  Frankreich  vertraten,  zeigt  Nogaret  Bekannt- 


'  ed.  Dragomanni  II,  79.  -  Olim  II,  408  (nr.  XX). 

**  An  sich  könnte  clericus  (wie  noch  heute  im  Französischen  „clerc")  auch 
lediglich  einen  des  Schreibens  kundigen  Mann  bedeuten. 

'  PASciuiER:  „Les  recherchcs  de  la  France"  (Paris  1617),  Buch  2,  Cap.  3. 
St.  64;  Ordonnances  I,  547. 

^  Vrgl.  Hlnschius  I,  7. 


Wilhelm  von  Nogaret  bis  1300.  13 

Schaft:    er  liebte    es  später,    sich   auf  das  Naturrecht  und  die  Ver- 
nunftgesetze zu  berufend 

In  Montpellier  war  es  1289  den  Bemühungen  Nicolaus'  IV. 
gehingen,  die  verschiedenen  Sonderfakultäten  (ecoles,  deren  jede  auch 
wohl  für  sich  den  Titel  „Universität"  geführt  hatte)  zu  einem  Institut 
zu  vereinigen-.  Hier  entfaltete  Nogaret  im  Beginn  des  letzten  Jahr- 
zehnts des  13.  Jhdts.  seine  Lehrthätigkeit;  verschiedentlich  wird  er 
in  den  Quellen  Doktor  und  Professor  der  Rechte  genannt. 
Nähere  Nachrichten  über  seinen  Aufenthalt  in  Montpellier  giebt  uns 
d'Aigkefeuille  in  seiner  Geschichte  dieser  Stadt ^,  indem  er  uns  über 
einige  Urkunden  berichtet,  die  er  von  einem  Marquis  von  Calvisson* 
erhalten.  Hiernach  kaufte  sich  Nogaret  1291  in  Montpellier  von 
Bernhard  und  Bertrand  Catalan  ein  Haus,  das  nahe  der  St.  Firmins- 
kirche lag;  es  ist  daher  zu  vermuten,  dass  er  erst  um  diese  Zeit 
nach  Montpellier  kam.  Auch  ein  Mieter  in  diesem  Nogaret'schen 
Haus  wird  mehrfach  erwähnt,  ein  gewisser  Peter  Roch.  Dasselbe 
blieb  Nogaret's  Eigentum  bis  1310.  Des  weiteren  kennt  d'Aigke- 
feuille eine  Urkunde  vom  Jahre  1293  zwischen  Gaucelin,  Herrn 
von  Lunel,  und  Wilhelm  von  Nogaret,  der  hier  als  Vormund  der 
Kinder  eines  Bürgers  von  Montpellier  namens  Mongros  auftritt. 
Die  Stadt,  welche  1204  durch  Heirat  als  französisches  Vasallenland 
an  Aragonien  gekommen  war,  gehörte  damals  zu  dem  von  Jakob  I. 
von  Argonien  für  seinen  jüngsten  Sohn  gleichen  Namens  gebildeten 
Königreich  Mallorca.  D'Aigkefeuille  kennt  eine  Urkunde  aus  dem 
Jahr  1302,  die  auf  Ansuchen  des  damals  schon  im  Dienst  des 
Königs  von  Frankreich  stehenden  Nogaret  vom  Notar  des  Königs 
von  Mallorca  ausgestellt  werde:  „per  praedictum  dominum  de  Noga- 
reto,  nunc  mihtem  regis  Francorum."  Unter  den  Zeugen  wird  auch 
ein    Matthaeus  von    Nogaret  genannt,    woraus  d'Aigkefeuille 


^  Vrgl.  das  Nähere  gelegentlich  der  Rede  Nogaret's  vom  12.  März  1303. 
Dass  im  Uebrigen  Nogaret  seine  Studien  in  Toulouse  gemacht,  wie  Lafah.le 
liehauptet  (vrgl.  oben),  ist  in  keiner  Weise  überliefert,  aber  nicht  unwahrschein- 
lich; gelehrt  hat  Nogaret  dagegen  in  Toulouse  wohl  sicher  nicht;  Hist.  de 
Lang.  X,  notes  54  (nr.  I). 

2  Vrgl.  A.  Germain:  „Hist.  de  la  commune  de  Montpellier"  (3  Bde., 
Montpellier  1851)  III,  Iff.;  Denifle:  „Die  Universitäten  des  Mittelalters  bis 
1400"  I  (Berlin  1885),  3.52  f. 

^  Charles  d'Aigrefeuille  (oder  de  Greficuillc):  „Hist.  de  la  ville  de  Mont- 
pellier", nouv.  edit.  par  M.  DE  LA  ruARDikRE  (4  Bde.,  Mdntjiellier  1876—82) 
III,  534  f. 

*  Calvisson  kam  später  in  den  Besitz  Nogaret's;  im  dortigen  Archiv  haben 
sich  viele  den  Helden  der  Familie  betreffende  Urkunden  erhalten. 


14  1-  Kapitel. 

schliesst,  dass  niclit  nur  Willioliu  von  Nogaret  sondern  seine  ganze 
Familie  in  ^Montpellier  gewohnt  habe. 

18(i2  war  Nogaret  aber  schon  lang  nicht  mehr  in  dieser  Stadt. 
Im  Jahre  1293  hatte  der  Biscliof  Berengar  von  Fredol,  der  in 
Streitigkeiten  mit  dem  König  von  Mallorca  und  den  Häujitern  der 
Stadt  geraten  war,  des  ewigen  Zwistes  müde,  Philipp  dem  Schönen 
gegen  eine  Jahresrente  von  500  Pfund  die  weltlichen  Rechte  über- 
tragen, die  er  in  der  Stadt  hattet  Die  Bischöfe  von  Maguelonne, 
in  deren  Diözese  Montpellier  lag,  waren  Herrn  eines  Teiles  dieser 
Stadt,  des  .AI  ontpelliöret,  das  ursprünglich  eine  selbständige  Ge- 
meinde gewesen  war.  Indem  Phili])p  nun  hier  die  bischöflichen 
Rechte  erwarb,  fasste  er  Fuss  in  Montpellier,  was  ihm  sicher  von 
grosser  Wichtigkeit  war,  da  er  es  immer  unangenehm  empfinden 
musste,  dass  die  aufblühende  Stadt  in  dem  bei  Gelegenheit  der 
Albigenserkriege  für  die  französische  Krone  erworbenen  Gebiet 
fehlte.  Die  Besitzergreifung  eines  Teiles  von  Montpellier  eröffnete 
die  Aussicht  auf  das  Ganze,  die  allerdings  erst  über  ein  halbes 
Jahrhundert  später  verwirklicht  worden  ist.  Philipp  musste  bedacht 
sein  mit  Umsicht  vorzugehen:  ein  juristisch  gebildeter  Mann  französi- 
scher Gesinnung,  der  die  Verhältnisse  in  Montpellier  kannte,  konnte 
ihm  zweifellos  hier  von  grossem  Nutzen  sein.  Es  geschah  mit  Rück- 
sicht auf  die  Montpelliersche  Angelegenheit,  dass  man  Nogaret  jetzt 
in  den  französischen  Staatsdienst  zog.  Nicht  nur  sehen  wir  ihn 
1294  an  der  Seite  eben  des  Mannes,  den  Phili})p  mit  der  Besitz- 
ergreifung des  Montpellieret  beauftragte,  nämlich  des  Seneschalls 
von  Beaucaire,  Alfons  von  Rouvrai;  eine  nicht  minder  beredte  Sprache 
reden  auch  zwei  Nachrichten,  die  sich  in  der  Histoire  de  Languedoc^ 
finden.  Nach  der  einen  figuriert  Nogaret  als  Zeuge  in  einer  Urkunde 
betreffs  der  Entschädigung  des  Bischofs  von  Maguelonne,  dem  die 
versprochene  Jahresrente  in  Gestalt  grundherrschaftlicher  Rechte 
über  einige  Landstriche  gegeben  wurde;  und  nach  der  anderen  wurde 
er  in  seiner  neuen  Stellung  in  der  That  sogleich  verwandt,  als  man 
nun  begann  die  Einwohner  des  grösseren,  noch  nicht  dem  französi- 
schen König  gehörenden  Teils  von  Montpellier  wieder  an  ihre  Zu- 
gehörigkeit zu  Frankreich  zu  mahnen.  Auf  diese  letztgenannte 
Angelegenheit  werden  wir  sogleich  nochmals  zurückkommen. 


'  Vrgl.  über  Pliilipp's  Eindringen  in  das  Montpellieret  Germain  a.  a.  0.  II, 
06  fV. ;  BotITARIC   7. 
-  IX,  169,  180. 


Wilhelm  von  Nojjaret  bis   i:>00.  15 

3. 

Der  Sitz  der  Seneschallei ,  die  einst  Simon  von  Montfort  in 
Beaucaire  eingerichtet  hatte,  war,  bald  nachdem  das  Land  köiiighch 
Avurde,  nach  Nimes  verlegt  worden ^  Der  Seneschall  hatte  die  ge- 
samte Rechts-,  Heeres-  und  Finanzverwaltung  in  seinem  Gebiet  zu 
leiten,  wobei  ihm  ein  Oberrichter  (judex  major,  juge-mage)  unter- 
stellt war;  die  anderen  Beamten  des  Seneschalls  hatten  eine  geringere 
Bedeutung.  Die  Stelle  des  Oberrichters  war  es  nun,  die  Nogaret 
in  den  Jahren  129-1:  und  1295  in  Nimes  unter  dem  Seneschall  Alfons 
von  Rouvrai  bekleidete.  Menard,  der  Geschichtsschreiber  von  Nimes, 
kennt  zwei  Urkunden  des  Jahres  1294,  in  denen  Nogaret  als  Zeuge 
angeführt  wird-;  die  zweite  derselben  druckt  er  ab'.  In  der  einen 
handelt  es  sich  um  Älisshelligkeiten  zwischen  Genueser  Kaulieuten 
in  Nimes  und  dem  Seneschall,  in  der  anderen  um  die  Streitigkeiten 
zwischen  Roger  von  Anduze  und  dem  Bischof  von  Valence.  Inter- 
essanter ist  das  bereits  erwähnte  Zeugnis,  welches  die  Histoire  de 
Languedoc  aus  dem  Ende  desselben  Jahres  kennt ^.  Alfons  von 
Rouvrai  hatte  die  Bewohner  Montpelliers  zu  einer  Zusanmienkunft 
geladen;  diese  waren  nicht  erschienen,  worüber  sich  der  Vertreter 
des  Königs  von  Mallorca  und  die  Konsuln  der  Stadt  am  27.  No- 
vember 1294  persönlich  in  Nimes  rechtfertigten.  Gegen  ihre  Recht- 
fertigungsschrift Hess  aber  der  Seneschall  seinen  Oberrichter  Nogaret 
gleichfalls  eine  Erklärung  aufsetzen ,  um  die  Gründe  der  Vertreter 
Montpelliers  zu  widerlegen,  und  wandte  sich  ans  Pariser  Parlament. 
Die  Details  dieser  Angelegenheit  sind  nicht  bekannt,  doch  ist  soviel 
klar,  dass  es  sich  darum  handelte,  die  Verbindung  Montj^elliers  mit 
Frankreich  wieder  zu  beleben,  und  es  ist  bezeichnend,  dass  hiebei 
eben  der  frühere  Rechtslehrer  dieser  Stadt  eine  Rolle  spielte.  Den 
Titel  eines  Professors  führte  Nogaret  überdies  damals  noch,  und  es 
ist  nicht  ausgeschlossen,  dass  er  seine  Stelle  an  der  Universität  von 
Montpellier  vorerst  noch  gar  nicht  definitiv  aufgegeben  hatte. 

Auch  1295  ist  Nogaret  noch  als  Oberrichter  in  Nimes  nach- 
weisbar'. Doch  wurde  er  dann,  vermutlich  in  diesem  Jahr,  in  den 
Rat  des  Königs  berufen.  Anselmk"  erzählt  darüber,  Nogaret 
habe  1295  als  Oberrichter  Philipp  IV.  nach  der  Normandie  begleitet 
und  sei  dann  in  dessen  Parlament  geblieben    „pour  les  affaires   de 


»  Menard  I,  276,  296.  -  ibid.  402  f.  ^  ibid.  pr,  123. 

*  Hist.  de  Lang.  IX,  180;  vrgl.  Renan  235. 
5  Rec.  des  bist.  XXII,  763  E. 

*  Anselme-du  Fourny  vi,  299. 


15  1.  Kai^itel. 

cette  st'nc'chausst'e  contre  ceux  de  Narboniie".  Wir  wissen  nicht, 
worauf  sich  die  Angabe  stützt;  auch  gehang  es  mir  nicht,  etwas 
über  die  Angelegenheiten  zwischen  Nimes  und  Narbonne  in  dieser 
Zeit  zu  eriiiittt'hi.  Doch  befand  sich  Phihpi)  immerhin  1295  in  der 
zweiten  Hälfte  des  Juli  und  der  ersten  des  August  thatsächlich  auf 
einer  Reise  in  die  Normandie^,  und  ich  möchte  die  Mitteilung 
Ansi:lm's,  der  sonst  gute  Nachrichten  hat,  nicht  ohne  weiteres  ver- 
werfen. 

Mit  Sicherheit  finden  wir  Nogaret  1296  im  Dienst  des  Königs. 
In  der  Grafschaft  Bigorre^  stritten  sich  nach  dem  Aussterben  des 
gräflichen  Mannsstammes  sechs  Bewerber  um  die  Nachfolge,  was 
Philii)p  Gelegenheit  gab,  das  Land  durch  Parlamentsbeschluss  seinem 
Sohn  Karl  übertragen  zu  lassen  (1292);  schon  1293  sehen  wir  den 
Erzbischof  von  Narbonne  und  den  königlichen  R.at  Peter  Flotte  in 
dieser  Angelegenheit  in  Bigorre^,  nun  1296  auch  Nogaret'*.  Philipp 
stützte  sich  hier  auf  Ansprüche  seiner  Gemahlin  Johanna  von  Na- 
varra,  welche  als  Erbtochter  des  Hauses  Champagne  mit  ihrer  Hand 
ausser  dem  Königreich  Navarra  auch  die  Champagne  und  Brie 
an  Philipp  gebracht  hatte.  Es  ist  für  das  Ansehen,  das  Nogaret 
beim  König  genoss,  bezeichnend,  dass  er  auch  in  die  beiden  letzt- 
genannten Länder  geschickt  wurde,  um  alles,  was  zu  königlichem 
Präjudiz  in  unrechtmässigem  Besitz  sei,  dem  König  und  der  Königin 
wieder  zuzustellen  (1296)^.  Zwei  seiner  Räte  wählte  Philipp  zu 
diesem  Geschäft:  „dilectos  et  fideles  magistrum  Guillelmum  de 
Nogareto  clericum  et  Stephanum  de  Chamlistra  militem  nostros" ; 
und  Nogaret  war  offenbar  in  erster  Linie  zu  der  wichtigen  und 
schwierigen  Aufgabe  ausersehen:  es  wird  kaum  zufälHg  sein,  dass 
er,  der  einfache  .,clericus",  vor  seinem  ritterlichen  Genossen  ge- 
nannt wird. 

Doch  wurde  auch  Nogaret  nun  bald  in  den  Ritterstand  er- 
hoben; 1298  unterschreibt  er  noch  als  „magister"  •"',  seit  1299  heisst 
er  immer  „miles"'^,  „miles  et  legum  professor"  und  ähnlich.  Damit 
war    er    in    die  Klasse    der    ritterlichen    Legisten^    getreten. 


'  Rec.  des  bist.  XXI,  434  f.-,  Table  cbron.  VII,  412. 

-  Nordabhang-  der  Pyrenäen,  Hauptstadt  Tarbes. 

"  DüciiESNE  249.  "  DüPüT,  Diff.  pr.  615. 

■'  Olim  U,  408—410  (nr.  XX).  «  ibid.  423  (nr.  XIIJ). 

'  Zuerst  in  einer  in  der  Hist.  de  Lang.  IX,  208  erwähnten  Urkunde  von 
Ende  Juli  1299  aus  Montpellier,  wozu  Nogaret  also  seine  Beziehungen  noch 
nicht  abgel)rochen  hatte;  er  besass  dort  ja  auch  noch  ein  Haus. 

^  „Chevaliers  es  lois",  vrgl.  Boütaric  55f.,  165;  Jolly  335ff. ;  Luchaire 


Wilhelm  von  Noparct  bis  1300.  17 

Dieser  Stand  ersclieint  eben  unter  IMiilipi)  iV.  zum  ersten  Mal,  und 
auf  ihn  hat  sich  in  der  Folge  das  erstarkende  Königtum  oft  ge- 
stützt. Seine  Mitglieder  waren  ursprünglich  bürgerliche  Leute,  die 
aber  nun  zu  Adel  und  Rittertum  emporstiegen  ^  und  sich  auf  ihren 
Stand  als  .,milites  regis"  etwas  zu  gute  tliaten,  dem  König,  der 
ihnen  durch  die  Aufnahme  unter  seine  Ritter  Ehre  und  Würde  ver- 
schafft hatte,  vollkommen  ergeben  und  dienstbereit. 

Als  Ritter  hnden  wir  Nogaret  1300  abermals  zur  Vertretung 
der  könighcheu  Rechte  in  der  Champagne^.  In  demselben  Jahr 
aber  tritt  er  uns  auch  zum  erstenmal  in  dem  grossen  Kampf  zwi- 
schen dem  französischen  König  und  dem  Papst  entgegen,  dem  auch 
wir  uns  nunmehr  zuzuwenden  haben. 


536.  Lepfisteu  (cl.  h.  Rechtskundige)  finden  wir  schon  vor  Philipp  IV.  am  fran- 
zösischen Königshof;  aber  neu  ist  jetzt  die  Verbindung  mit  dem  Rittertum. 

'  Sehr  zu  Unrecht  sucht  Kervyn  dE  Lettknhove  in  seinen  „Etudes  sur 
l'hist.  du  Xlllme  siecle"  (Mem.  de  l'acad.  royale  de  Belgique,  Bd.  28)  St.  94, 
Anm.  4  zu  erweisen,  dass  diese  Legisten  zwar  dem  Ritterstand  angehörten,  nicht 
aber  adlig  waren;  in  der  von  ihm  abgedruckten  Stelle  heisst  „non  obstante, 
quod  nobilis  non  existat"  lediglich:  obwohl  er  nicht  ritterbürtig  ist,  bisher 
nicht  adlig  war;  vor  Philipp  IV.  wurden  nämlich  zumeist  nur  Adlige  zu  Rittern 
geschlagen;  vrgl.  Lüchäire  179.  Nogaret  wird  im  März  1303  ausdrücklich 
„nobilis  vir"  genannt;  Dupuy,  Diff".  pr.  56. 

-  DüPUY,  Diff.  pr.  615.  Auch  bei  einer  anderen  Gelegenheit  ist  Nogaret 
um  dieselbe  Zeit  als  Ritter  nachweisbar;  H.  Denifle:  „Chartularium  universi- 
tatis  Parisiensis"  II  (Paris  1891),  88. 


R.  Holtzmann,  Nogaret. 


18 


2.  Kapitel. 

Rückblick  auf  die  Geschichte  des  französischen  Königtums. 
Der  Beginn  des  grossen  Kirchenstreits  unter  Philipp  dem  Schönen 

(—1300). 

Der  Kampf  zwischen  Philipp  dem  Schönen  und  Bonifaz  VIII. 
ist  es  hauptsächhch,  in  dem  Nogaret's  Namen  immer  genannt,  werden 
wird.  Mannigfaltig  ist  die  Beurteilung,  die  dieser  Kampf,  der  die 
Lage  der  Dinge,  die  mittelalterliche  Ordnung  mit  einem  Schlag  ver- 
rückte, in  der  Geschichte  erfahren  hat,  und  noch  heute  werden  die 
kühnen  Thaten  des  französischen  Königs  und  seines  Ministers  No- 
garet  hier  gesegnet  und  dort  verflucht.  Es  w^urde  aber  schon  in 
der  Einleitung  darauf  hingewiesen,  dass  wir  zu  einem  richtigen  Ver- 
ständnis dieser  grossen  Epoche  nur  durch  eine  Betrachtung  der 
Entwicklung  des  französischen  Königtums  gelangen  können, 
bei  der  insonderheit  auf  den  Gegensatz  zu  der  gleichzeitigen  Ent- 
wicklung in  Deutschland,  sowie  auf  die  Beziehungen  zwischen  Frank- 
reich und  dem  Papsttum  hinzuweisen  ist.  Und  so  möge  man  es 
entschuldigen,  wenn  ich  die  Geschichte  der  poHtischen  Wirksamkeit 
Nogaret's  mit  einigen  kurzen  Bemerkungen  über  die  vier  vorauf- 
gegangenen Jahrhunderte  beginne:  die  Männer,  die  uns  hier  ent- 
gegentreten, haben  alle  an  demselben  Werk  gearbeitet,  wie  unser 
Legist,  und  wo  der  eine  aufgehört  hat,  da  hat  der  andere  an- 
gefangen, sodass  des  letzten  Schaffen  nicht  zu  verstehen  ist  ohne 
des  ersten  Wirken;  das  Werk  aber,  an  dem  sie  jahrhundertelang 
arbeiteten,  war  die  Krone  Ludwig's  XIV. 

1. 

Es  ist  bekannt,  dass  nach  der  endgültigen  Auflösung  des 
Frankenreichs  zu  Beginn  des  10.  Jhdts.  die  Entwicklung  der 
Maclit  der  Zentralgewalt  zunächst  für  die  deutschen  Könige  viel 
günstiger   verlief  als   in   Frankreich,    wo    das  Lehnswesen   in   noch 


Rückblick  auf  tlic  Geschichte  des  französischen  Königtums.  19 

viel  sclilininierer  Weise  alle  Verliültnisse  durchsetzt  hatte  und  den 
Königen  kaum  einen  Schatten  von  i\Iacht  heliess.  In  Deutschland 
konnten  die  Ottonen  die  Bischofsstellen  mit  ihren  Verwandten  und 
Freunden  besetzen  und  geistliche  Gewalt  gegebenenfalls  wider  welt- 
liche Gewalten  ausspielen;  in  Frankreich  war  der  König  auch  in  Be- 
zug auf  die  Besetzung  der  Bistümer  lediglich  Herr  seines  Herzog- 
tums Francien,  während  er  an  anderen  Orten  nur  mit  Teilen  des 
Bistums  oder  mit  gar  nichts  zu  belehnen  hatte.  Die  grossen  welt- 
lichen Vasallen  waren  so  gut  wie  souverän  und  leisteten  dem  König 
nicht  einmal  jene  „quatres  cas",  die  sonst  der  französische  Vasall 
seinem  Lehnsherrn  zu  leisten  verpflichtet  war.  Nur  eins  gelang 
den  Kapetingern:  ihre  Erblichkeit  auf  dem  Thron  festzuhalten, 
wobei  es  von  grösster  Bedeutung  war,  dass  beim  Tod  des  Vaters 
immer  ein  wenigstens  einigermassen  erwachsener  Sohn^  den  Thron 
besteigen  konnte:  folgen  doch  die  französischen  Könige  von  987  bis 
1316  in  direkter  Descendenz!  Daher  blieb  das  französische  König- 
tum von  den  Schlägen  verschont,  die  das  deutsche  dreimal  und  jedes- 
mal furchtbarer  getroffen  haben,  wenn  ein  Herrscher  in  der  Blüte 
seiner  Jahre  einen  plötzlichen  Tod  gefunden.  So  kam  es,  dass 
Frankreich  unmerklich  von  einem  Wahlreich  ein  Erbreich  wurde; 
die  Erblichkeit  der  Krone  steht  zu  Ende  des  12.  Jhdts.  fest,  zur 
selben  Zeit,  als  es  in  Deutschland  nicht  einmal  einem  Heinrich  VI. 
gelang,  sie  durchzusetzen.  Und  auch  in  anderer  Beziehung  stand 
das  französische  Königtum  besser  da  als  das  deutsche:  der  König 
von  Frankreich  konnte  erledigte  Lehen  mit  seinem  Donianial  gut  ver- 
binden- und  durfte  nicht  nur  von  geistlichen,  sondern  auch  von  welt- 
lichen Herren  Lehnsmann  werden.  Aber  vorderhand  war  seine 
Macht  eine  überaus  geringe,  und  besonders  gefährlich  war  es,  als 
der  Herzog  der  Xormandie  10H6  England  eroberte,  da  ein  grosser 
Teil  Frankreichs  jetzt  in  bedrohlicher  Weise  von  einem  fremden 
Nachbarstaat  abhing:  seit  dieser  Zeit  datiert  die  jahrhundertelange 
Feindschaft  zwischen  den  beiden  westlichen  flächten. 

Die  langsam  beginnende  Erstarkung  des  französischen 
Königtums  seit  dem  12.  Jhdt.  wird  bezeichnet  durch  die  drei  Namen: 
Suger  von  St.  Denis,  Philipp  IL  August,  Ludwig  IX.    Suger  von 


'  Nur  Philipp  I.  war  noch  keine  10  Jahre  alt,  als  er  (1060)  den  Thion 
bestieg  (geb.  1052);  bei  ihm  und  dem  1  l.jiihrigen  Ludwig  IX.  kam  es  zu  einer 
vormundschaftlichen  Regierung. 

-  Während  sich  in  Deutschland  der  Satz  ausbildete,  dass  sie  nach  .Tahr 
und  Tag  wieder  ausgegeben  werden  mussten;  namentlich  in  den  Kreuzzügen  trug 
■die  französische  Krone  hieraus  Gewinn. 


20  2.  Kapitel. 

St.  Denis  (unter  Ludwig  VI.  und  Vll.)  verstand  es  zum  erstenmal, 
das  aufstrebende  Bürgertum  in  den  Städten,  später  so  oft  eine  Stütze 
der  französischen  Könige,  in  wirksamer  und  j)rinzipieller  Weise  zu 
beschützen  und  in  die  Interessen  der  Krone  zu  ziehen;  zugleich  er- 
weiterte er  auch  das  Ansehen  der  königlichen  Gerichte.  Aber  ein  Jahr 
nach  seinem  Tod  (-{-  1 151)  vollzog  sich  wiederum  eines  der  für  die  Ent- 
wicklung Frankreichs  verhängnisvollsten  Ereignisse,  als  Eleonore  von 
A(]uitanion,  die  geschiedene  Gemahlin  Ludwig's  VII.,  mit  ihrer  Hand 
die  reichen  Erblande  im  südlichen  Frankreich  (Guienne,  Poitou, 
Gascogne)  an  den  jugendlichen  Heinrich  von  Anjou  brachte,  der 
1154  den  enghschen  Thron  bestieg.  Als  1171  auch  noch  die  Bre- 
tagne an  einen  Sohn  des  englischen  Königs  fiel,  war  mehr  als  die 
Hälfte  Frankreichs  in  englischen  Händen,  nämlich  der  gesamte  breite 
Westen,  wo  der  König  nun  noch  weniger  Macht  besass,  als  in  seinen 
östlichen  Vasallenstaaten  (hauptsächlich  Flandern,  Champagne,  Bur- 
gund,  Toulouse)-,  nur  das  Herzogtum  Francien  mit  Orleans  gehorchte 
der  Krone. 

Die  gegebene  Politik  gegen  England  nahm  Philipp  II.  Au- 
gust mit  Kraft  und  Geschick  auf.  Mit  Benutzung  des  Bruderzwistes 
zwischen  Richard  Löwenherz  und  Johann  ohne  Land  erwarb  er 
1189  Berry  und  Auvergne,  1193  Teile  der  Normandie  und  der 
Touraine,  und  der  ruhmreichen  Kriegführung  Richard's  1194 — 1198 
ward  der  Erfolg  durch  die  päpstliche  Intervention  abgeschnitten. 
Dem  König  Johann  wurden  in  der  Folge  alle  Länder  nördlich  der 
Garonne  entrissen  (1204 — 1205),  Von  grösstem  Interesse  ist  gerade 
für  uns,  dass  das  französische  Königtum  dieser  kämpfereichen  Zeit 
mit  dem  Papsttum  Hand  in  Hand  ging.  Innocenz  III,  betrachtete 
das  schwache  Regiment  Johann's  als  geeignet,  seinen  Einfluss  in 
England  zu  erhöhen  und  schloss  sich  deshalb  an  Frankreich  an. 
Johann  ging,  nachdem  er  1213  sein  Land  vom  Papst  zu  Lehen 
hatte  nehmen  müssen,  zur  Wiedereroberung  seiner  französischen  Be- 
sitzungen eine  grosse  Koalition  mit  dem  Grafen  von  Flandern,  Kaiser 
Otto  IV.  und  Raimund  VI.  von  Toulouse  ein;  die  beiden  letzteren 
waren  mit  dem  Fluch  der  Kirche  beladen:  auch  hier  fielen  also  die 
Interessen  Philipp's  wieder  mit  denen  der  Kirche  zusammen,  durch 
den  Sieg  bei  Bouvines  (1214)  wurde  gleicherweise  dem  französischen 
König  der  Besitz  seiner  westlichen  Lande  gesichert  und  in  Deutsch- 
land dem  päpstlichen  Gegenkönig  Friedrich  II,  zum  Sieg  verholfen. 
Aber  mehr  als  ein  solclier  Interessenbund  bestand  zwischen  Frank- 
reich und  dem  Papst  nicht,  und  gerade  unter  Philipp  August  wurde 
das  Verhältnis  gelegentlich  auch  ein  recht  gespanntes;  dabei  war  die 


Rückblick  auf  die  Geschichte  des  französischen  KüiiiMtiims.  21 

Verstossung  der  Gemahlin  Philipp's  liir  den  Pai)st  nur  ein  Vorwand 
gewesen,  da  er  sich  erst  sechs  Jahre  nach  der  Neuverniähhmg  des 
Königs  der  Verstossenen  ernstlich  annahm  (1199),  als  nämlich  Phi- 
lipp sich  in  Deutschland  mit  der  hoheiistaufischen  Partei  einliess. 
Bezeichnend  für  das  gegenseitige  Verhältnis  sind  auch  wieder  die 
Albigenserkriege.  Das  Königtum  war  an  dem  entsetzlichen  Kampf 
gegen  die  frommen  und  arbeitsamen  Bewohner  Südfrankreichs  erst 
von  dem  Augenblick  an  interessiert,  wo  sich  ihm  Aussicht  auf  Ge- 
winn darbot.  Um  den  König  einigermassen  zu  erwärmen,  musste 
der  Papst  ihm  erst  einen  Teil  des  Ertrags  der  geistlichen  Güter 
bewilligen,  und  als  dann  gar  Amalrich,  der  Sohn  Simon's  von  Mont- 
fort,  nach  unglücklichen  Feldzügen  gegen  Toulouse  seine  Rechte  und 
Ansprüche  auf  diese  Grafschaft  an  Philipp's  Nachfolger  Ludwig  VIII. 
abtrat  (1224),  da  nahm  dieser,  von  plötzlichem  Glaubenseifer  be- 
seelt, das  Kreuz.  Ludwig  IX.  beendete  die  Albigenserkriege  1229: 
der  grösste  Teil  der  Besitzungen  des  Grafen  Raimund  VII.  von 
Toulouse  fiel  an  die  Krone. 

Ludwig  IX.  ist  im  Gegensatz  zu  seinem  Grossvater  wie  vor 
allem  seinem  Enkel  ein  durchaus  religiöser,  tief  christlicher  Fürst. 
Aber  nie  hat  er  über  seine  Andachtsübungen  die  weltliche  Politik, 
die  realen  Aufgaben  des  Tages  vergessen,  und  was  er  hier  leistete, 
trug  in  reichem  Masse  zur  Stärkung  der  Krone  wie  zur  Wohlfahrt 
des  Reiches  bei.  Die  Grossen  des  ganzen  Landes  wurden  dem  könig- 
lichen Gericht  (Parlament)  unterworfen,  der  Bürgerstand  überall 
begünstigt,  der  Landfrieden  mit  Erfolg  gewahrt;  und  wenn  auch 
die  „pragmatische  Sanktion"  eine  spätere  Fälschung  ist,  so  wusste 
er  doch  Innocenz  IV.  gegenüber  die  Rechte  der  französischen  Geist- 
lichkeit mit  Festigkeit  zu  wahren.  Mit  England  schloss  er  1259 
Frieden:  Heinrich  III.  behielt  gegen  Verzicht  auf  die  übrigen  Länder 
Guienne  und  Gasgogne.  Als  Ludwig  im  fernen  Afrika,  wohin  ihn 
die  heilige  Begeisterung  des  Kreuzfahrers  zum  zweitenmal  geführt 
hatte,  aus  dem  Leben  schied  (127U),  konnte  mit  dem  französischen 
Königtum    kein  Staat  Europas    an  Macht   und  Ansehen   wetteifern. 

Auch  für  die  Regierung  Philipp's  IIL  ist  wiederum  durchaus 
charakteristisch  der  enge  Bund  des  französischen  Königtums  mit  der 
Kirche  zur  Vertretung  beiderseitiger  Interessen  ^  Wir  erwähnten 
schon  in  der  Einleitung,  dass  Martin  IV.,  ein  Franzose,  einem 
Sohn  des  Königs  Aragonien  anbot  (1283),  damit  Philipp  ihm  so 
helfe,    den    kühnen   Verwandten    des   „Otterngezüchts"    der    Hohen- 

*  Vrgl.  L.  Leclkre:  „Les  rappurts  de  hi  papaute  et  de  la  Frauce  sous 
Philipp  lU.",  Brüssel  1889. 


22  2.  Kapitel. 

staulen  zu  Boden  zu  schlagen  und  Sizilien  wieder  mit  Neapel  zu 
vereinigen.  Philipp  fiel  daraufhin  wirklich  in  Spanien  ein,  aber  das 
Unternehnien  hatte  keinen  Erfolg,  und  auf  dem  Rückzug  starb  der 
König  in  Perpignan  (1285)  als  Verteidiger  der  päpstlichen  Sache, 
eine  Holle,  die  ein  integrierender  Bestandteil  der  kapetingischen  Po- 
litik geworden  zu  sein  schien.  Und  doch  war  auch  Philipp  einmal 
mit  dem  Papsttum  nicht  in  Einklang  gewesen,  ja  dieses  hatte  ihm 
geradezu  seine  Pläne  vereitelt,  als  er  nämlich  nach  dem  Tod  llichard's 
von  Corn Wallis  (-j-  1272)  als  Bewerber  um  die  Kaiserkrone  auf- 
getreten war.  Der  französische  Einfluss  hatte  durch  die  Anjou  in 
Italien  bereits  eine  bedenkhche  Höhe  erreicht  und  Gregor  X.  durfte 
daher  den  Wünschen  Philipp's  nicht  willfahren.  So  verliess  denn 
der  Papst  in  dieser  Frage  die  Sache  des  französischen  Königs;  es 
hatte  sich  plötzlich  gezeigt,  dass  beider  Interessen  doch  nicht  immer 
in  einer  Richtung  laufen  mussten,  dass  dem  Papsttum  eine  zu 
grosse  Machterhöhung  der  Krone  Hugo  Kapet's  durchaus  un- 
erwünscht sein  konnte.  Diesmal  war  man  in  einer  Angelegenheit 
aufeinander  gestossen,  wo  sich  Billigkeit  und  Recht  für  die  Sache 
des  Papstes  geltend  machen  Hessen.  Wie  aber,  wenn  sich  das 
Papsttum  in  die  Rechte  und  inneren  Angelegenheiten  des  französi- 
schen Königtums  zu  mischen  begann?  wenn  es  sich  gar  dessen 
naturgemässer  Politik  den  Vasallen,  insonderheit  dem  auf  dem  eng- 
lischen Königsthron  gegenüber  in  den  Weg  stellte?  Musste  da  nicht 
die  alte  Freundschaft  ein  jähes  Ende  nehmen?  Und  wie,  wenn  es 
für  das  Papsttum  schon  zu  spät  geworden?  wenn  das  Königtum 
schon  Herr  im  eigenen  Hause  geworden  und  diesmal  keine  Zwie- 
tracht im  Lager  des  Gegners  der  Kurie  die  mangelnden  Waffen 
ersetzte?  In  ungeahnter  Weise  war  das  Land,  das  direkt  der  fran- 
zösischen Krone  gehorchte,  im  letzten  Jahrhundert  angewachsen: 
noch  Philipp  III.  hatte  die  Provence,  Poitou  und  den  Rest  der 
Grafschaft  Toulouse  erworben.  Die  Antwort  auf  unsere  Fragen 
giebt  die  Regierung  seines  Sohnes. 

2. 

Philipp  iV.,  der  wegen  seiner  grossen  körperlichen  Vorzüge 
bereits  von  den  Zeitgenossen  mit  dem  Beinamen  „der  Schöne"  belegt 
ward',  bewegte  sich  vollkommen  in  der  Richtung  der  Politik  seiner 
Vorfahren,  als  er  Eduard  I.  von  England  mit  Krieg  überzog.  Von 
Jeher  waren  es  auch  Handelsinteressen,  durch  die  beide  Rivalen  gegen 

»  NicOLAüsTRivETüs(tl328  70jährig)  ed.  Hog311:  „Philippus,  qui  pulcher 
agnominatus  est  ob  corporis  speciein  excelleutein." 


Rückblick  auf  die  Ciescliichtc  Jos  frauzüsischcu  Küuij^tunis.  23 

einander  geführt  wurden,  und  diesmal  entbrannte  der  Kampf  wegen  einer 
Schitfsstreiterei.  Die  Art  und  Weise  freilich,  wie  derselbe  von  Philipp 
eingeleitet  und  durchgeführt  wurde',  zeigte  bereits,  dass  auf  den 
Thron  der  ritterlichen  und  ehrenfesten  Könige  Frankreichs  ein  Mann 
gekommen  war,  der  leichten  Herzens  sich  Wortbruch  und  Treu- 
losigkeiten aller  Art  zu  Schulden  kommen  Hess,  wo  es  sich  darum 
handelte,  den  Glanz  und  die  Macht  seiner  Krone  zu  erhöhen.  Aber 
schon  erkennen  wir  auch  das  ungemeine  diplomatische  Geschick  des 
Königs,  dem  es  gelang,  die  im  höchsten  Masse  gefährliche  Koalition, 
welche  Eduard  zustande  gebracht  hatte,  in  zwei  Jahren  zu  zer- 
streuen und  seinerseits  durch  ein  Bündnis  mit  den  Schotten  dem 
englischen  König  die  Möglichkeit  einer  energischen  Kriegführung 
und  persönlichen  Erscheinens  in  Frankreich  zu  nehmen. 

Da  so  Frankreich  und  England  aufs  neue  im  Kampf  standen, 
war  jede  Möglichkeit,  die  geeinte  Christenheit  gegen  die  Ungläubigen 
zu  führen,  in  weite  Ferne  gerückt.  Und  doch  waren  1291  mit  der 
Erstürmung  von  Akkon  die  letzten  Besitzungen  der  Christen  im 
heiligen  Land  verloren  gegangen.  Es  war  in  der  letzten  Zeit  das 
unablässige  Bemühen  der  Päpste  gewesen,  einen  neuen  Kreuzzug 
zustande  zu  bringen;  selbst  der  schwärmerische  Einsiedler  Cöle- 
stin  V.,  den  die  Zwietracht  der  Parteien  1294  auf  den  Stuhl  Petri 
erhoben  hatte,  und  dem  sonst  weltliche  Politik  völlig  fern  lag,  be- 
mühte sich,  wegen  der  Zustände  in  Palästina  den  Frieden  im 
Occident  herzustellen^.  Doch  sah  dieser  Papst  seine  Unfähigkeit, 
das  Pontifikat  bei  den  schwierigen,  harten  Zeitverhältnissen  zu 
bekleiden,  bald  selbst  ein  und  dankte  am  13.  Dezember  1294  ab, 
nachdem  er  nicht  einmal  ein  halbes  Jahr  die  Tiara  getragen.  Es 
kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  der  Kardinal  Benedikt  Gae- 
tani,  der  jetzt  als  Bonifacius  VIII.  den  Stuhl  Petri  bestieg,  diese 
Abdankung  eifrig  betrieben  hat^.  Auf  sein  Geheiss  wurde  Cölestin 
nun  auf  eine  Burg  gebracht  und  daselbst  l)is  zu  seinem  Tod  (19.  Mai 
1296)  gefangen  gehalten,  damit  jede  Möglichkeit  eines  Bekannt- 
werdens der  Vorgänge,  die  zur  Abdankung  des  beim  Volk  behebten 
Schwärmers  geführt  hatten,  gehoben  sei.  Die  Person  des  Cölestin 
ward  in  der  Folge  von  allen  Gegnern  des  Bonifaz  gegen  diesen  aus- 


'  Vrgl.  Schmidt  I,  643  ft".;  Martin  IV,  400  fl'.;  Jolly  13011".  AVie  Jolly 
später  eiuseitig  auf  der  Seite  des  Papstes  steht,  so  schildert  er  hier  die  Ver- 
hältnisse denn  doch  zu  sehr  vom  Standpunkt  Piiiiipp's  aus. 

-  Vrgl.  das  Schreiben  an  Philipp,  Potthast  23  989.  —  Ueber  Cölestin 
H.  Schulze  in  Briegkr's  Ztschrft.  für  Kirchengesch.  XVII. 

"  Vrgl.  Ambrogio  Roviglio:   „Tiu  riuuncia  di  Celestino  V",   1893. 


24  2.  Kapitel. 

gespielt  und  auf  das  Drängeu  Pliilipp's  des  Scliünen  wurde  er  sogar 
1313  unter  die  Heiligen  erhoben. 

Bonifaz  VIII.  begann  seine  Regierung  damit,  dass  er  die  bei- 
den hadernden  Könige  von  Frankreich  und  England  durch  zwei 
Kardinäle  zur  Beilegung  ihres  Zwistes  auftordern  Hess.  Neben  dem 
Wunsch  nach  einem  Kreuzzug  mögen  ihn  auch  die  mannigfachen 
Klagen  der  französischen  und  englischen  Geistlichkeit  über  die  zur 
Führung  des  Kriegs  von  ihnen  geforderten  hohen  Abgaben  hierzu 
bewogen  haben.  Aber  der  Waffenstillstand,  den  die  päpstlichen 
Gesandten  verkündeten,  wurde  von  keinem  der  beiden  Könige  be- 
obachtet; diese  waren  nicht  gesonnen,  des  heiligen  Landes  wegen 
von  den  näher  liegenden  Aufgaben  der  nationalen  Politik  abzusehen. 
Bonifaz  gedachte  jedoch  nicht  auf  seinen  Willen  zu  verzichten.  Am 
25.  Februar  1296  erliess  er  die  Bulle  „Clcricis  laicos"\  durch 
die  er  sowohl  die  Fürsten,  welche  die  Geistlichkeit  ohne  Genehmi- 
gung des  Papstes  mit  Abgaben  belegten,  als  die  Geistlichen,  die 
solche  Abgaben  zahlten,  mit  dem  Bann  bedrohte.  Diese  Bulle 
richtete  sich  gleicher  Weise  gegen  Frankreich  wie  gegen  England 
und  sollte  den  beiden  Königen  die  Möglichkeit  verschliessen ,  den 
Krieg  weiter  zu  führen.  Zu  demselben  Zweck  verlängerte  Bonifaz 
auch  am  13.  April  1296  den  verkündigten  Waffenstillstand  um  zwei 
Jahre-,  freilich  wieder  ohne  Erfolg:  die  Kämpfe  nahmen  ruhig 
ihren  Fortgang.  Ueberhaupt  zeigten  sich  weder  Philipp  noch  Edu- 
ard gewillt,  sich  das  Eingreifen  des  Papstes  gefallen  zu  lassen.  Der 
englische  König  erliess  strenge  Befehle ,  die  sich  direkt  gegen  das 
päpstliche  Verbot  richteten.  Philipp  hatte  sich  auf  den  Rat  seiner 
Räte-'  noch  zu  einer  anderen  Antwort  entschlossen:  am  17.  August 
1296  verbot  er  durch  ein  Edikt  jede  Ausfuhr  von  Gold,  Silber, 
Wertgegenständen,  Lebensmitteln  und  Kriegsgeräten  aus  Frankreich 
ohne  seine  Erlaubnis  *.  Dieses  Edikt  wandte  sich  nicht  nur  gegen 
England   und   das  mit   diesem  verbündete  Flandern,   sondern   mehr 


*  Potthast,  nr.  24  291;  Reg.  de  Bou.  I,  584  f.  (nr.  1567).  Das  Datum 
„VI.  Kai.  Mart."  kauu  übrigens  1296  auch  den  24.  Februar  bedeuten.  Dadurch, 
dass  dies  Datum  durch  die  Register  festgestellt  ist,  ist  die  von  Boütabic  96 
entwickelte  Ansiclit  hinfällig. 

-  PoTTHA.sT,  ur.  24  315;  Reg.  de  Bon.  I,  595  (nr.  1586). 

^  „Praehabita  super  hoc  consilii  diligentis  deliberatio";  auch  Bonifaz 
schreibt  in  dem  Erlass  „Inefabilis"  diese  Massregel  ausdrücklich  dem  Wirken  der 
Räte  zu. 

*  Ddpuv,  Diff.  pr.  13.  Wie  Baillet  27  dazu  kommt,  von  zwei  Edikten  zu 
reden,  die  Düpuy  vermenge,  ist  unklar;  auch  in  dem  Schreiben  „Inefabilis"  ist 
ausdrücklich  nur  von  einer  constitutio  die  Rede. 


Rückblick  auf  die  Geschichte  des  frauzüsischeu  Königtums.  25 

noch  gegen  Jen  Papst,  der  dadurch  in  seinen  Gehlbezügcn  eni[)thi(l- 
Hch  getroffen  wurde. 

Angesichts  der  festen  Haltung  des  Königs  griff  Bonifaz  jetzt 
zu  einem  Mittel,  das  die  Päpste  nicht  selten  anwandten,  um  einem 
drohenden  Kontiikt  auszuweichen:  er  hielt  die  Richtigkeit  seines 
Standpunktes  im  Prinzip  aufrecht,  milderte  aber  die  in  der  Praxis 
hervortretenden  Härten  durch  allerhand  „Erläuterungen"  und  Zu- 
sätze. Es  geschah  dies  am  20.  September  1296  durch  den  Erlass 
„Inefabilis  amor"  \  welcher  darauf  hinweist,  dass  in  Notfällen 
der  römische  Stuhl  nie  die  in  der  Bulle  „Clericis  laicos"  vorge- 
sehene Erlaubnis  zur  Besteuerung  verweigert  habe  oder  verweigern 
werde.  Und  als  Philipp  dem  Wunsch  des  Papstes  betreffend  einer 
Aufhebung  des  Ausfuhrverbots  nicht  nachgab,  entschloss  sich  dieser 
zu  einer  noch  weitherzigeren  Auslegung  seiner  Bulle,  indem  er  am 
7.  Februar  1297  erklärte^,  dieselbe  erstrecke  sich  weder  auf  wirk- 
lich freiwilHge  Abgaben  der  Kleriker,  noch  auf  ihre  Leimspflichten 
oder  auf  Notlagen,  „wenn  eine  augenfällige  Gefahr  in  dem  Verzug 
der  Anfrage  an  den  heiligen  Stuhl"  liege.  Dies  war  eine  offenbare 
Abschwächung  der  Bulle  „Clericis  laicos",  aber  doch  wieder  nur 
in  der  Form  einer  „Erläuterung".  In  der  Theorie  nachzugeben, 
ein  einmal  ausgesprochenes  Prinzip  wieder  umzustossen,  war  Bonifaz 
keineswegs  gewillt,  und  in  einem  anderen  Schreiben  vom  7.  Februar 
1297  ^  warnte  er  den  König  bei  Androhung  kirchlicher  Strafen  aus- 
drücklich, das  Ausfuhrverbot  auch  auf  die  Kirchen  auszudehnen. 
So  wenig  wie  Philipp  konnte  Bonifaz  an  einen  wirklichen  Rückzug 
denken:  der  Kampf  hatte  begonnen  zwischen  den  Traditionen  der 
Kirche,  die  nun  drittehalb  Jahrhunderte  alt  waren,  und  einem  auf- 
strebenden Königtum,  das  mit  seiner  Sache  die  des  nationalen  Auf- 
schwungs eng  verknüpft  hatte  und  in  seinen  Dienst  wie  alle  Kräfte 
des  Landes  so  auch  die  der  Geisthchkeit  zu  stellen  bestrebt  war; 
dieser  Kampf  musste  ausgekämpft  werden.  Bonifaz  liess  seinen 
Gesandten  Weisung  zukommen,  sie  möchten,  wenn  Phihpp  oder 
einer  seiner  Beamten  die  Geldsendungen  nach  Rom  verböte ,  den 
Bann  über  den  Betreffenden  aussprechen  *.     Der  König  andererseits 


'  Potthast,  nr.  24  398  u.  24  404;  Eeg.  de.  Bon.  I,  614— H20  (nr.  1H53). 
Ren'an  365  meint,  der  interessante  Entwurf  einer  Antwort  auf  „Inefubihs"  rühre 
vielleicht  von  dem  eben  in  den  kgl.  Rat  eingetretenen  Nogaret  her.  Das  ist 
aber  durchaus  unwahrscheinlich;  der  Autor  ist  wahrscheinlich  Peter  Flotte. 

-  „Romana  inater  ecclesia",  Potthast,  nr.  24  468. 

•■'  „Exiit",  ibid.  24  467. 

*  „Fraternitati  vcstrae",  ibid.  24  469. 


2(3  2.  Kaiiitel. 

erklärte  den  Legaten,  als  sie  den  vom  Papst  gebotenen  "Waffen- 
stillstand nach  längerem  Zögern  verkündigten,  dass  die  Leitung  der 
weltlichen  Dinge  ihm  allein  und  niemandem  anders  zustehe  ^  Der 
Ausbruch  oftener  Feindseligkeiten  schien  vor  der  Thür  zu  sein. 

3. 

Und  doch  sollte  sich  das  Gewitter  noch  einmal  verziehen. 
Der  Papst  befand  sich  in  keiner  angenehmen  Lage:  es  brannte  zur 
Zeit  im  eigenen  Haus.  Zwei  Kardinäle,  die  bei  der  Abdankung 
Cölestin's  noch  auf  der  Seite  des  damaligen  Benedikt  Gaetani  ge- 
standen, Jakob  und  Peter  Colonna,  waren  mit  ihm  zerfallen 
und  bestritten  die  Rechtmässigkeit  seines  Papsttums^.  Im  Mai  1297 
kam  es  zum  offenen  Bruch:  die  beiden  Kardinäle  wurden  von  Bo- 
nifaz  ihrer  Würde  entsetzt  und  exkommuniziert,  während  sie  ihrer- 
seits in  verschiedenen  Flugschriften  ihren  Standpunkt  zu  rechtfertigen 
suchten.  Die  mächtigen  Colonna  waren  seit  dieser  Zeit  die  er- 
bittertsten Gegner  Bonifaz'  VIIL  Dass  sie  schon  seit  1297  mit 
Philipp  in  Verbindung  standen,  ist  durch  spätere  Aussagen  ver- 
schiedener Kardinäle  erwiesen  ^. 

In  dieser  Lage  schien  es  dem  Papst  nicht  ratsam,  gegen  den 
französischen  König  vorzugehen.  Er  erkannte  die  hilfsbedürftige 
Lage  des  Reichs  an,  gewährte  Philipp  einen  Zehnten  auf  ein  Jahr 
und  erliess  an  die  Geisthchkeit  verschiedene  Weisungen,  den  König 
zu  unterstützen '.  Es  kam  dazu,  dass  auch  die  sizilische  Angelegen- 
heit ihn  immer  wieder  auf  die  Seite  Frankreichs  führte.  Freilich 
gab  Bonifaz  auch  jetzt  nirgends  in  seinen  theoretischen  Ansprüchen 
nach,  und  als  Philipp  Flandern  durch  den  Erzbischof  von  Rheims 
und  den  Bischof  von  Senlis  mit  dem  Interdikt  belegen  Hess,  hob 
er  dasselbe  wieder  auf''.  Dem  König  genügte  indes  zunächst  die 
thatsächliche  Erlaubnis,  die  Mittel  der  Kirche  zu  gebrauchen;  er 
kam  so  wieder  in  ein  leidliches  Einvernehmen  mit  Rom  und  soll 
sogar    sein    Ausfuhrverbot    vorderhand     zurückgenonmien    haben ". 

'  DüPüY,  Ditr.  pr.  28. 

-  Vrgl.  über  diese  Angelegenheit  zu  den  Ausführungen  bei  Drumann  I, 
188  ff.,  Hefele-Knüpfler  VI,  304  ft".  und  H.  Denikle  (im  Archiv  für  Literatur- 
uud  Kirchengeschichte  des  Mittelalters  V,  493 — 529)  auch  die  Bemerkungen  der 
Chronik  von  Orvieto,  ed.  Döllin'ger  („Beiträge"  III)  348— 350,  ed.  Himmel- 
stern 30—32.  «  Höfler  47  f,  5611'. 

'  Vrgl.  die  3  Briefe  vom  15.  Mai  1297,  Reg.  de  Bon.  I.  688  (nr.  1822—24) 
und  das  Schreiben  „Etsi  de  statu"  vom  22.  Juli  1297,  Potthast,  nr.  24  549. 

•''  Drumann  I,  96. 

°  Raynald  XXIII,  196  (1296,  nr.  32);  dass  die  Aufhebung,  wenn  überhaupt. 


Rückblick  auf  die  (ioscbichtc  des  friui/.ösischcii  K(>iii<;tuinR.  27 

Bonifaz  zeigte  sich  seinerseits  in  einem  anderen  Punkt  willfährig: 
am  11.  August  1297  kanonisierte  er  Ludwig  IX.,  Philipp's  mehr 
ritterlichen  als  heihgen  Grossvater  ^;  französische  Gesandte,  unter 
ihnen  der  noch  mehrfach  zu  nennende  Peter  Flotte,  hatten  mit  dem 
Papst  in  Orvieto  verhandelt  und  kehrten  zufriedengestellt  und  zum 
grossen  Aerger  der  C'olonna,  denen  ein  Ausgleich  zwischen  Pliilip)) 
und  dem  Papst  hegreitiicherweise  durchaus  unerwünscht  war,  nach 
Hause  zurück-;  in  Frankreich  aher  meinte  man,  diese  Hpitze  gegen 
die  Colonna  sei  für  Bonifaz  bei  der  ganzen  Sache  überhaupt  das 
ausschlaggebende  Moment  gewesen,  und  es  hätte  den  König  wohl 
mehr  gefreut,  wenn  sein  Ahne  von  einem  anderen  Papst  heilig  ge- 
sprochen worden  wäre  ^. 

Für  Philipp  war  das  wichtigste  zunächst  der  Krieg  gegen  Flan- 
dern; im  Sommer  1297  errang  er  hier  grosse  Erfolge*.  Eduard 
von  England  schloss  darauf  am  9.  Oktober  mit  ihm  einen  Waffen- 
stillstand, der  unter  Mitwirkung  Karl's  von  Anjou,  den  der  Papst 
nach  Paris  gesandt  hatte,  am  28.  Januar  1298  auf  zwei  Jahre  ver- 
längert ward""':  in  Flandern  bheben  französische  Besatzungen,  die 
definitive  Beilegung  des  Streits  sollte  Bonifaz  vornehmen,  aber  „nicht 
als  flichter,  sondern  nur  als  freundschaftlicher  Schlichter"  '^j  d.  h. 
nicht  kraft  eines  ihm  zustehenden  Rechtes,  sondern  nur  als  Privat- 
mann und  aus  Gefälligkeit.  Immerhin  durfte  der  Papst  sich  eines 
Erfolgs  rühmen.  Sein  Schiedsspruch  fiel  am  27.  Juni  1298  und 
wurde  am  30.  desselben  Monats  in  feierlichem  Konsistorium  zu 
Protokoll  gegeben  '^.  Bonifaz  betonte  darin,  dass  er  nur  als  Privat- 
person, als  Benedikt  Gaetani,  den  Spruch  fälle,  und  es  kann  keinem 
Zweifel  unterliegen,   dass  er  bestrebt  war,   eine    durchaus  gerechte 


erst  im  Jahr  1297  erfolgte,  zeigt  das  oben  erwähnte  Schreiben  „Exiit"  vom 
7.  Februar  1297;  man  vennisst  indes  einen  Beleg  der  Angabe  Raynald's. 

1  Potthast,  nr.  24557,  24  560—62.  Mit  Recht  weist  Drumann  I,  186 
Anm.  36  auf  den  kalten  Pomp  der  ganzen  Feier  hin. 

-  Höfler  59  f.  ^  Ibid.  48. 

*  Kervyn  de  Lettenhove:  „Hist.  de  Flandre"  II  (Brügge  1853),  56ff. ; 
Fonck-Brentäno  :  „Philippe  le  Bei  en  Flandre"  (Paris  1897)  237  ff. 

"'  Vrgl.  hierüber  und  über  den  päpstlichen  Schiedsspruch  Schmidt  I,  651  f.; 
Tosti  II,  18 — 23-,  Drümann  I,  127—132;  Kervyn  de  Lettenhove  a.  a.  0.63—68; 
Martin  IV,  417;  Boütaric  991".;  Hekele-Knöpkler  VI,  309—311;  Funck- 
Brentano  a.  a.  0.  270 — 295. 

•*  Fortsetzer  des  Mätthaeü.s  Pari.s,  cd.  Riley  (als  Chronik  Ri.shanuer's)  184 
(von  ihm  schrieb  Walsingham  ab;  Raynald  XXIII,  216—1297  nr.  42);  vrgl.  die 
Bulle  „Dudum  inter  charissinifts". 

^  „Dudum  inter  charissimos",  Pottuast,  nr.  24  706  und  24  713;  Reg.  de 
Bon.  II,  262  ff.  (nr.  2826). 


28  2-  Kai)itel. 

Entscheidung  zu  treti'en.  Aber  gerade  die  Schwierigkeit,  auf  die  er 
dabei  stossen  niusste,  brachte  es  mit  sich,  dass  alle  wichtigen  Punkte 
auch  nach  seinem  Schiedsspruch  noch  der  Entscheidung  harrten: 
über  die  Land  Verteilung  in  Guienne  war  vorderhand  nichts  Bestimm- 
tes festgesetzt,  und  über  Flandern  enthielt  das  Friedensinstrument 
überhaupt  gar  nichts.  Dass  der  Streit,  an  dem  ein  Philipp  der 
Schöne  mit  seinen  skrupellosen  Plänen  beteiligt  war,  durch  einen  sol- 
chen Spruch  nicht  erledigt  sein  konnte,  war  vorauszusehen.  Der  König 
nahm  die  Entscheidung  mit  Missmut  auf.  Es  mochte  ihn  überhaupt 
reuen,  je  seine  Zustimmung  dazu  gegeben  zu  haben,  dass  Bonifaz 
in  seinem  Streit  mit  England  ein  Urteil  fälle. 

In  den  folgenden  Jahren  glomm  der  Funken  der  Zwietracht 
unter  der  Asche  weiter,  ohne  je  ganz  zu  verlöschen.  Es  ist  hier 
nicht  der  Ort,  die  mannigfachen  Reibereien,  die  oft  recht  kleinlicher 
Natur  sind,  im  einzelnen  zu  verfolgen:  es  handelte  sich  im  wesent- 
lichen um  vier  Punkte: 

1.  Die  englisch-flandrische  Angelegenheit.  Philipp  ver- 
handelte völlig  selbständig  mit  Eduard,  ohne  sich  um  den  gefallenen 
und  die  folgenden  Sprüche  aus  Rom  zu  kümmern.  Die  beiden 
Könige  schlössen  im  Sommer  1299  einen  neuen  WaÖenstillstand, 
den  sie  später  bis  zum  30.  November  1302  verlängerten,  während 
der  Papst  gleichzeitig  auch  Stillstände  gebot  und  auf  die  endliche 
Regelung  des  definitiven  Friedens  drang  ^  Dagegen  griff  Philipp 
nach  Ablauf  des  1298  geschlossenen  Friedens  1300  mit  aller  Macht 
das  von  England  verlassene  Flandern  an. 

2.  Philipp  und  die  französische  Geistlichkeit,  Der  fran- 
zösische König  versuchte  die  Grafschaft  Melgueil,  die  bisher  als 
Lehen  des  Bischofs  von  Maguelonne  gegolten,  in  ein  königliches 
umzuwandeln;  ebenso  ging  er  bereitwilligst  auf  die  Wünsche  des 
Vicorates  Amalrich  von  Narbonne  ein,  der  seine  Besitzungen  statt 
vom  Erzbischof  von  der  Krone  zu  Lehen  tragen  wollte.  In  Lyon 
war  schon  längere  Zeit  Streit  zwischen  den  Bürgern  und  dem  Erz- 
bischof,  wobei  Philipp  völlig  auf  der  Seite  der  ersteren  stand,  da 
der  Erzbischof  unter  Betonung  der  Rechte  des  Deutschen  Reichs 
auf  Burgund  dem  französischen  König  den  Vasalleneid  verweigerte. 
Es  kamen  ungebührliche  Anwendungen  des  Regalienrechts  durch 
Philipp  bei  einer  Vorladung  des  Bischofs  von  Laon  nach  Rom  und 
nach  dem  Tod  des  Erzbischofs  von  Rheims  hinzu.  In  verschiedenen 
Schreiben    an  Philii^p    nahm   sich   der  Papst    der  Geistlichkeit    an  2. 

'  Potthast,  nr.  24  766,  24  801,  24  815  f.,  24  868  f.,  24  985. 

"  Potthast,    nr.  24  772,    24  817,    24  969;  Reg.  de  Bou.  11,  172  (nr.  2651), 


Rückblick  auf  die  (ioscliiclito  dos  fniii/ösisclieu  K(iiii<rtuins.  29 

3.  Philipp  und  die  Colonna.  Xaclideiu  die  Coluiina  aus 
Palestrina,  dem  Mittelpunkt  ihrer  Besitzungen,  durch  falsche  Zu- 
sicherungen ^  herausgelockt  und  ihrer  Güter  und  Aemter  auch  für 
die  Zukunft  heraubt  worden  waren,  fanden  sie  grossenteils  in  Frank- 
reich bereitwillige  Aufnahme,  so  besonders  Stephan,  der  Bruder  des 
abgesetzten  Kardinals  Peter,  einer  der  erbittertsten  Feinde  des 
Papstes-;  ein  anderer  Bruder  der  beiden,  Jakob  Sciarra,  wurde 
durch  Philipp  von  Seeräubern  losgekauft  und  dadurch  diesem  persön- 
lich verpflichtet^. 

4.  Philipp  und  Albrecht  von  Oesterreich*.  Da  Bonifaz 
den  neugewählten  deutschen  König  Albrecht  trotz  dessen  Bemü- 
hungen auch  nach  seinem  Sieg  über  Adolf  von  Nassau  nicht  an- 
erkennen wollte,  wandte  sich  dieser,  um  der  Gefahr  einer  gänzlichen 
Isolierung  in  der  europäischen  Politik  zu  entgehen,  an  Philipp  den 
Schönen,  der  im  August  1299  mit  ihm  ein  Schutz-  und  Trutzbündnis 
abschloss,  das  im  Dezember  d.  J.  auf  einer  Zusammenkunft  der 
beiden  Herrscher  zu  Quatre-Vaux  bei  Vaucouleurs   bestätigt   ward. 

Die  letztgenannte  Angelegenheit  ist  es,  die  uns  zu  Nogaret 
zurückführt.  Wir  hnden  ihn  im  Jahre  1300  zusammen  mit  Gesandten 
Albrecht's  an  der  römischen  Kurie.  Weder  der  französische  noch 
der  deutsche  König  wollten  also  die  Verhandlungen  mit  Bonifaz 
abbrechen,  und  doch  spitzen  sich  von  nun  an  die  Verhältnisse  immer 
mehr  zu. 


321—325  (nr.  2889),  393—896  (nr.  3031  f.).  —  Vrgl.  Phillips:  „Das  Regalieu- 
recht  in  Frankreich"  (Halle  1873),  S.  89  f. 

'  Das  direkte  Zeugnis  Dante's  (Inf.  XXVII,  110),  dass  Guido  von  Moute- 
feltro  dem  Papst  eine  „lunga  promessa  con  Tattender  corto"  geraten  habe,  als 
dieser  wissen  wollte,  wie  er  sich  Palestrinas  bemächtigen  könne,  wird  auch 
durch  die  Ausführungen  von  Tosti  II,  268  ff.  nicht  erschüttert. 

-  Chronik   von  ürvieto,   ed.  Döllinger  350,    ed.  Himmelstern   32-,  Dru- 

MANN   I,  204. 

*  Die  Annalen  von  Este  (Muratori  XV,  350  D)  sagen  von  ihm  gelegent- 
lich seiner  Beteiligung  am  IJeberfall  von  Anagni:  „hoc  fecit  ad  instantiam  regis 
Francorum  et  pro  sua  viudicta  facienda,  quia  iste  papa  fugaverat  eum  per  totum 
mundum." 

*  Vrgl.  Leroux:  „Rehitions  politiques  de  la  France  avec  rAllemagne  de 
1292  ä  1378",  Paris  1882,  St.  97 ff.  Henneberg:  „Die  politischen  Beziehungen 
zwischen  Deutschland  und  Frankreich  unter  König  Albrecht  I.",  Strassburg  1891. 


3U 


3.  Kapitel. 

Nog-aret's  Thätigkeit  in  den  Jahren  1300 — 1303,  seine  Reise  nach 
Italien  und  der  Fortgang  des  Kirchenstreits  bis  zum  August  1303. 

1. 

Ueber  die  Gi-esandtschaft  Nogaret's  nach  Rom^  vom  Jahre 
1300  haben  wir  leider  nur  zwei  Berichte  von  ihm  selbst,  die  er  zu 
einer  Zeit  aufgesetzt  hat,  da  es  ihm  sicher  weniger  denn  je  darauf 
ankam,  in  erster  Linie  historisch  treu  zu  berichten.  Sie  stammen 
aus  dem  Jahre  1304  und  finden  sich  in  zwei  jenei'  Apologieen, 
durch  die  Nogaret,  als  er  nach  dem  Attentat  von  Anagni  nach 
Frankreich  zurückgekehrt  war,  sich  und  den  König  rechtfertigen 
wollte.  Als  geschichtliche  Quellen  sind  sie  mit  grösster  Vorsicht 
aufzunehmen,  zumal  hier,  wo  sie  nicht  durch  andere  Zeugnisse  kon- 
trolliert werden  können. 

In  dem  Protokoll,  das  der  Offizial  des  Bischofs  von  Paris  am 
7.  September  1304  auf  Nogaret's  Ansuchen  hin  aufnahm,  heisst 
es'^:  „Ferner  giebt  er  (nämlich  Nogaret)  an,  dass  er  vor  ungefähr 
vier  Jahren  im  Dienst  Gottes  und  des  Glaubens  in  güthcher  und 
rechthcher  Weise  Bonifaz  betreffs  der  kirchlichen  Simonie  und  der 
Bedrückungen  der  gallikanischen  Kirche  Vorstellungen  nuxchte,  dieser 
aber  gleich  einer  Viper  Ermahnung  und  alle  Unterweisung  ver- 
schmähte ^  und  noch  mehr  als  vorher  in  schlimmer  Leidenschaft 
entbrannte;  und  Nogaret,  der  den  Papst  erst  unter  vier  Augen, 
dann  vor  rechtlichen  Zeugen  warnte,  den  dieser  aber  nicht  mehr 
hören  wollte,  hätte  sich  an  die  Kirche  gewandt,  wenn  er  es  wohl 
hätte  thun  können,  und  nicht  wegen   des  Papstes  Macht   und  An- 


'  Dieselbe  wird  fälschlicli  in  der  Hist.  de  Laug.  X,  notes  56  (nr.  VI) 
geleugnet,  da  sie  hier  nur  aus  Baillet  72  bekannt  war,  wo  Dupdy  falsch 
zitiert  ist. 

-  Dupuv,  DitV.  pr.  244  (nr.  XXXI). 

=•  Yrgl.  S.  31  Anm.  3. 


Nogaret's  Thätigkeit  iu  den  Jahren  1:300—1303.  31 

sehen  alle  kircliliche  Disziplin  bei  diesem  geruht  hätte  oder  vielmehr 
von  ihm  weggeworfen  worden  wäre." 

Ausführlicher  berichtet  Nogaret  in  seinen  um  dieselbe  Zeit  ver- 
fassten  „Allegationes  excusatoriae"  ^:  „.  .  .  Hiezu  muss  man  wissen, 
dass  es  schon  mehr  als  vier  Jahre  her  sind  —  es  war  im  Jahre 
1300  — ,  dass  ich  als  Gesandter  meines  Herrn  und  Königs  in  dessen 
Geschäften  mit  anderen  zu  Bonifaz  kam;  ich  sollte  ihm  u.  a.  Mit- 
teilung machen  von  dem  zum  Frieden  der  Kirche  und  der  beiden 
Königreiche  wie  im  Interesse  des  heiligen  Landes  neu  hergestellten 
Einvernehmen  zwischen  unserem  und  dem  erhabenen  deutschen  König, 
sollte  ilni  auch  betreffs  der  Sache  des  heiligen  Landes  um  seinen 
Rat-  bitten,  da  der  König  von  Frankreich  in  dieser  Angelegenheit  den 
Spuren  seiner  Vorgänger  folgen  wollte.  In  derselben  Sache  waren 
auch  Boten  des  deutschen  Königs  zum  Papst  gekommen.  Beide 
Gesandtschaften  gingen  zusammen  vor  ihn  und  setzten  ihm  die  ge- 
nannten Beweggründe  der  beiden  Könige  auseinander.  Bonifaz  aber 
stopfte  nach  Art  einer  Otter  seine  Ohren  zu  '^  und  zeigte  keine  Sorge 
betreffs  der  Aufgaben  im  heiligen  Land;  er  griff  vielmehr  den  deut- 
schen König  und  seine  Wahl  mit  falschen  Beschuldigungen  und  in 
den  drastischsten  Ausdrücken  an  und  schwur  ihm  Untergang,  wenn 
er  nicht  Tuscien,  wo  der  Papst  zur  Bereicherung  seiner  widrigen 
Verwandtschaft  ein  Königreich  einrichten  wollte,  herausgäbe,  wohin- 
gegen er  ihm  für  den  Fall  der  Restitution  Tusciens  von  selbst  offen 
versprach,  um  seinen  Frieden  bemüht  sein  zu  wollen,  ihm  nicht  mehr 
die  Gnade  der  Kirche  zu  verschhessen  und  ihn  über  alle  bisherigen 
Kaiser  zu  erheben.  Dann  vergass  er  auch  des  französischen  Königs 
nicht,  sprach  über  ihn  viele  schreckliche  Schmähungen,  tadelte  den 
Vertrag  mit  dem  deutschen  König,  schüttete  über  die  Völker  beider 
Könige  wie  über  sie  selbst  vielfältige  Lästerungen  und  Beschimpf- 
ungen, nicht  im  Tone  irgend  welchen  Anstands,  sondern  in  Flüchen 
über  den  Frieden  und  in  Wüten  gegen  sich  selbst,  wozu  er  keinen 
anderen  Grund  hatte  als  den:  Wes  das  Herz  voll  ist,  des  gehet 
der  Mund  über*;  sein  Bemühen  war  die  Freundschaft  wieder  zu 
zerstören  mit  dem  Gift  und  der  Verdorbenheit  seiner  Seele;  zu 
diesem  Zweck  that  er  auch,  was  er  konnte,  um  uns,  die  Gesandten 
der  beiden  Könige,    zu   trennen,    wobei    er   noch   unverscliämt  vom 


1  Dlpuy,  Difr.  pr.  253  f. 

-  Statt  „coricilium"  ist  „consiliuni"  zu   loscu    (Arcli.  iiat.  J  -l^.^'J,   nr.  802). 
^  Psalm  n8  s. 

''   „Ex  abundantia  oordis  os  loquitur",  Matth.  12  ai;  Luc.  0  i...  Vr;;l.  DüPUV, 
Diff.  pr.   261. 


32  3.  Kapitel. 

französischen  König  die  Zahlung  grosser  Geldsummen  verlangte,  wie 
er  sie  von  der  Geistlichkeit  eintrieb.  Wir  aber  hielten  alle  dem 
Sturm  stand,  sodass  er  nichts  erreichen  konnte.  Da  ich  nun  seine 
Verworfenheit  erkannte,  über  seine  Häresie,  Sodomie,  Simonie,  seine 
Hiiubeieien,  Mördereien  und  andere  Verbrechen  unterrichtet  war, 
den  Schaden  der  Kirche  und  nicht  zum  mindesten  die  Gefahren 
sah,  die  allen  Verehrern  Christi  von  seinen  verderbten  Thaten  drohten, 
da  ich  ferner  den  bedrängten  Zustand  der  französischen  Kirchen  be- 
dachte, die  dieser  Bonifaz  verprasste:  da  hielt  ich,  der  Lehre  unseres 
Herrn  folgend ',  ihm  zuerst  unter  vier  Augen  vor,  er  solle  ablassen 
von  der  Simonie,  den  Erpressungen  und  verschiedenen  anderen  Be- 
drückungen, die  ich  ihm  in  voller  Unterwürfigkeit  auseinandersetzte, 
nannte  die  Schlechtigkeiten,  die  man  allgemein  von  ihm  erzählte, 
und  bat  ihn  in  aller  Ehrfurcht,  er  möge  für  seinen  Ruf,  die  ge- 
nannten Kirchen  und  das  Königreich  Sorge  tragen.  Er  aber  ver- 
achtete solche  Ermahnungen,  rief  Zeugen  zu  sich,  liess  die  Vor- 
haltungen nochmals  eingehender  wiederholen  und  wollte  vor  jenen 
wissen,  ob  ich  das  Gesagte  im  Auftrag  meines  Herrn,  der  mich  ge- 
schickt, oder  von  mir  selbst  aus  gesprochen  habe.  Als  ich  nun  ant- 
wortete, dass  ich  von  mir  selbst  aus  in  Glaubenseifer  und  in  Ansehung 
der  genannten  Kirchen  und  meines  Herrn,  ihres  Beschützers,  geredet, 
da  schäumte  er  auf  wie  ein  Rasender  und  schleuderte  mir  die  hef- 
tigsten Drohungen,  Beleidigungen  und  Lästerungen  entgegen,  die  ich 
in  Christo  geduldig  ertrug;  ich  verhandelte  nun  eifrig  zusammen  mit 
den  anderen  Gesandten  mehrere  Tage  lang  mit  jenem  die  An- 
gelegenheiten, wegen  welcher  ich  gekommen.  Dann  erinnerte  ich 
mich  alles  dessen,  was  ich  über  ihn  schon  gehört  hatte,  sah  ihn  selbst 
in  seinen  Launen,  wie  er  aller  christlichen  Liebe  bar  war,  gegen  die 
kirchliche  Ordnung  verstiess  und  allen  Anstand  von  sich  warf;  da 
blutete  mein  Herz  wegen  der  Christus  angethanen  Schmach  und  der 
Gefahr  seiner  Kirche,  und  weil  ich  bei  seiner  zügellosen  Tyrannei 
nicht  wagte  weiter  in  der  Sache  vorzugehen,  weinte  ich  über  die 
römische  Kirche,  die  dieser  Buhle  gefangen  hielt,  weinte  ich  über 
die  gallikanische  Kirche,  die  er  prahlend  gänzlich  zu  zerstören  suchte, 
seine  tägliche  Arbeit." 

Es  ist  klar,  dass  derartige  Darstellungen  aus  der  Zeit  des  Höhe- 
punkts des  Kampfes  nur  sehr  vorsichtig  verwertet  werden  dürfen. 
Es  war  Nogaret  1304  hauptsächlich  daran  gelegen,  den  König  und 
sich  Bonifaz  gegenüber   als   die    wahren  Vertreter   von  Kirche    und 

'  Mattl).  18  15. 


Nogaret's  Thätigkeit  in  eleu  Jaliion  1300—1303.  33 

Glauben  hinzustellen,  und  aus  jeder  Zeile  beinahe  tritt  auch  in  den 
angeführten  Berichten  diese  Absicht  hervor.  AVas  kann  man  aus 
ihnen  für  die  Geschichte  entnehmen? 

1.  Die  Zeit  der  Sendung  Nogaret's  und  die  deutschen 
Gesandten.  Nogaret  sagt,  er  sei  in  Rom  mit  einer  Gesandtschaft 
Albrecht's  von  üesterreich  zusammengetroffen  und  von  dieser  haJje 
Bonifaz  die  Abtretung  Toscanas  verlangt.  Hierüber  können  wir 
aus  anderen  Quellen  einiges  beibringen.  Die  Kolmarer  Annalen^ 
melden  zum  Jahr  1300,  König  Albrecht  habe  den  Bischof  von  Basel, 
Peter  von  Aspelt,  zur  Besorgung  „gewisser  notwendiger  Geschäfte" 
nach  Rom  geschickt.  Da  wir  sonst  von  einer  Gesandtschaft  Albrecht's 
an  den  Papst  in  diesem  Jahr  nichts  hören,  ist  wohl  die  Annahme 
gerechtfertigt,  dass  Nogaret  in  seinem  Bericht  eben  die  Gesandt- 
schaft unter  Peter  von  Aspelt  meinte.  Bischof  Peter  ist  1300  zwei- 
mal längere  Zeit  nicht  nachweisbar,  nämlich  vom  8.  März  bis  zum 
7.  Juli  und  vom  29.  September  bis  zum  6.  Januar  1301^.  In  die 
letzten  drei  Monate  wird  man  Peter's  Romreise  schon  deshalb  nicht 
setzen,  weil  der  wohlunterrichtete  Kolmarer  Annalist  dieselbe  zu 
1300  als  erstes  Ereignis  nennt  ^^  dazu  kommt  die  ausdrückliche  Aus- 
sage Nogaret's  vom  Herbst  1304,  es  seien  mehr  als  vier  Jahre  her, 
seit  er  1300  in  Rom  gewesen'*.  Demnach  führte  Peter  von  Aspelt 
seine  Romreise  in  den  Monaten  März — Juni  aus.  Auch  darüber, 
dass  Bonifaz  in  diesem  Jahr  von  Albrecht  die  Abtretung  Tos- 
canas wünschte,  haben  wir  anderweitig  Kunde.  Es  ist  ein  Brief 
des  Papstes  an  den  Herzog  von  Sachsen  vom  13.  Mai  1300  er- 
halten^, in  dem  sich  Bonifaz  das  Recht  anmasst,  Toscana  kraft  päpst- 
licher Autorität  dem  Reich  zu  entziehen-  der  Brief  scheint  nicht 
zur  Absendung  gekommen   zu   sein,    w^ohingegen   ein  Formular  der 

1  Mon.  Germ.  SS.  XVII,  225  ZI.  28  i. 

2  Vrgl.  zu  den  Angaben  von  Heidemann  in  den  Forschungen  zur  deutschen 
Geschichte  IX  und  seiner  Schrift  „Peter  von  Aspelt"  (Berlin  1875)  Erben-Emler  : 
„Regesta  Bohemiae  et  Moraviae"  II,  796  u.  805. 

^  Auch  HEmEMANN,  der  Peter  erst  Ende  des  Jahres  nach  Rom  reisen  lässt, 
machte  sich  dieses  Bedenken.  Die  Zusammenkunft  der  beiden  Gesandten  noch 
früher,  d.  h.  Peter's  Reise  vor  den  8.  März  zu  setzen,  geht  nicht  an,  da  Nogaret 
sonst  nach  der  in  Frankreich  damals  übliclien  .Tahreszählung  das  Jahr  1299 
nennen  müsste. 

*  Denn  nur  so  ist  das  „et  ultra"  in  seinem  Bericht  zu  verstehen:  „ad  hoc 
sciendum  est,  quod  iam  quadriennium  est  elapsum,  anno  domini  scilicet  millesimo 
trecentesimo,  et  ultra,  cum  ego  venissem  nuncius  domini  regis  ...  ad  Boni- 
facium";  die  Worte  anno  —  trecentesimo  sind  im  Original  nachträglich  ein. 
geschaltet. 

6  Potthast,  nr.  24  953. 
R.  Holtzmann,  Nogaret.  3 


34  3.  Kapitel. 

gewünschten  Abtretungsurkunde  dem  König  thatsächlich  zugeschickt 
worden  sein  dürfte'.  Johann  von  Winterthur- schhesslich  berichtet, 
zu  diMii  in  Ivohnar  weilenden  König  seien  als  päpstliche  Gesandte 
zwei  Minoriten  gekommen,  um  wegen  der  Abtretung  der  Romagna 
an  den  Papst  zu  verhandeln;  sie  seien  von  Albrecht  abschlägig  be- 
schieden worden,  worauf  Bonifaz  sie  abermals  nach  Deutschland  ge- 
schickt und  ihnen  einen  Drohbrief  mitgegeben  habe,  ohne  damit 
aber  eine  andere  AVirkung  erzielt  zu  haben.  Hier  ist  zunächst  ein 
offenbarer  Irrtum  zu  berichtigen,  indem  es  sich  damals  nicht  um 
die  Romagna  handeln  konnte,  die  bereits  durch  Rudolf  von  Habs- 
burg bei  seinen  kraft-  und  erfolglosen  Kaiserplänen  dem  Papst  aus- 
geliefert worden  war,  sondern  eine  Verwechslung  derselben  mit 
Toscana  angenommen  werden  muss^.  Im  übrigen  wissen  wir,  dass 
Albrecht  am  26.  März  1300  nach  Kolmar  kam*,  und  wenn  wir  an- 
nehmen, dass  es  um  diese  Zeit  war,  dass  die  beiden  Minoriten  ihn 
zum  erstenmal  trafen,  so  ergiebt  sich  der  weitere  Verlauf  der  Ver- 
handlungen folgendermassen :  Albrecht  gab  den  Minoriten  (nach 
Johann  von  Winterthur)  den  Bescheid,  er  dürfe  Reichsgut  nicht 
veräussern,  schickte  aber  um  dieselbe  Zeit  oder  doch  nicht  lange 
nachher,  da  er  wegen  des  beginnenden  Zwists  mit  den  Kurfürsten 
seine  Anerkennung  durch  den  Papst  gern  gesehen  hätte,  seinerseits 
den  Bischof  von  Basel  mit  einer  Gesandtschaft  nach  Rom.  Peter 
mag  in  Kolmar"  oder  in  der  Schweiz.,  in  die  sich  Albrecht  im  April 
begab",  seine  Aufträge  erhalten  haben.  Wenn  nun  der  vom  13,  Mai 
datierte  Brief  des  Papstes  an  den  Herzog  von  Sachsen  nicht  ab- 
geschickt wurde,  so  wird  man  dies  wohl  am  natürlichsten  durch  die 
Ankunft  des  Bischofs  in  Rom  erklären.  Die  beiden  Minoriten 
hatten  im  April  Bonifaz  die  Antwort  des  Königs  überbracht  und 
waren  sofort ''  wieder  zurückgeschickt  worden;  sie  trafen  den  König 
nach  der  ausdrückhchen  Angabe  Johann's  von  Winterthur  wiederum 


^  Ficker:    „Forschungen  zur  Reiclis-  und  Rechtsgesch.  Italiens"  II,  462  f. 

-  Ed.  V.  Wvss  44  f. 

'^  Dieselbe  ist  um  so  leichter  erklärlich,  wenn  Ficker  mit  der  Annahme 
Recht  bat,  dass  Albrecht  sich  vielleicht  auf  einen  Austausch  Tusciens  gegen  die 
Romagna  habe  einlassen  wollen. 

*  Böhmer:  „Regesta  imperii  1246—1313",  220. 

'•"  Hierfür  spräche  die  Erwähnung  seiner  Mission  gerade  in  den  annales 
Colmarienses. 

«  Böhmer  a.  a.  0.  221,  1.  Ergänzungsheft  413. 

'  „post  paucos  dies";  die  Randangabe  von  Wtss  „März  1302"  ist  demnach 
Unrichtig,  gründe*  sich  wohl  auf  Böhmer,  nr.  378  (S.  229),  wo  aber  zudem  Al- 
brecht gar  nicht  in  Kolmar  war. 


Nogaret's  Thätigkeit  in  den  Jiilireu  1300—1303.  35 

in  Kolmar:  in  der  That  finden  wir  All)reclit  am  18,  Mai  1300 
abermals  in  dieser  Städte  Bonifaz  aber  hatte  nach  der  zweiten 
Entsendung  der  Minoriten  einen  entscheidenden  Schritt  zu  thun  ge- 
dacht, von  dem  wohl  auch  in  dem  Drohbrief,  den  er  jenen  an  Albrecht 
mitgab,  bereits  die  Rede  war.  Aus  eigenem  Recht  wollte  er  Tos- 
cana  der  Kirche,  „auf  deren  Geheiss  es  bekanntlich  dem  römischen 
Reich  übertragen  worden  war",  zurückstellen.  Am  13.  Mai  war 
der  Brief,  in  dem  der  Herzog  von  Sachsen^  ersucht  wurde  dagegen 
nichts  einzuwenden,  zur  Absendung  fertig:  da  hörte  der  Papst  von 
der  Gesandtschaft  aus  Deutschland,  und  sein  Schreiben  blieb  im 
Archiv  liegen.  Es  wurde  auch  nachher  nicht  abgesandt,  vermutlich 
jveil  die  Verhandlungen  mit  Peter  von  Aspelt  doch  immerhin  Aus- 
sicht auf  eine  Verständigung  boten,  wie  sie  drei  Jahre  später  sich 
verwirklichte.  Sonach  war  es  also  die  zweite  Hälfte  Mai  und  etwa 
noch  der  Anfang  Juni  1300,  wo  Wilhelm  von  Nogaret  und  Peter 
von  Aspelt  als  Vertreter  ihrer  Könige  in  Rom  weilten:  eine  inter- 
essante Erscheinung,  diese  beiden  Gesandten,  die  sich  da  trafen, 
der  deutsche  Bischof  und  der  französische  Kronrat,  beide  geschickt 
zur  Vertretung  der  Interessen  der  welÜichen  Gewalt  gegenüber  der 
päpstlichen. 

2.  Die  Aufträge  der  Gesandten,  die  Verhandlungen. 
Nach  dem,  was  Nogaret  berichtet,  kann  darüber  kein  Zweifel  sein, 
dass  Peter  von  Aspelt  in  erster  Linie  wegen  der  Frage  der 
Anerkennung  Albrecht's  und  der  toscanischen  Forderungen  des 
Papstes  verhandelte:  Bonifaz  sagte  die  Anerkennung  nur  gegen  die 
Abtretung  Toscanas  zu,  worauf  sich  der  deutsche  Bevollmächtigte 
nicht  einlassen  konnte.  Was  dabei  die  Behauptung  Nogaret's  an- 
geht, Bonifaz  habe  in  Tuscien  eine  Nepotenherrschaft  gründen 
wollen,  so  liegt  kein  Grund  vor  sie  zu  bezweifeln-,  wir  werden  uns 
damit,  wie  Bonifaz  seit  der  Bezwingung  der  Colonna  einem  seiner 
Nepoten  in  Mittelitalien  eine  Herrschaft  zu  verschaften  bemüht 
war,  noch  zu  beschäftigen  haben.  Weniger  klar  wird  der  Auftrag 
Nogaret's.  Phihpp  wollte  offenbar  nicht  mit  dem  Papst  in  offenen 
Konflikt  kommen  und  Hess  ihm  daher  über  gewisse  Dinge  Auf- 
klärung geben,  so  namentlich  über  den  mit  Albrecht  geschlossenen 
Vertrag,   als   dessen  Beweggründe  Nogaret   die  Rücksicht   auf  den 


*  Böhmer,   1.  Ergänzungsheft  a.  a.  O. 

-  Aller  Wahrscheinlichheit  nach  sollte  überdies  nicht  nur  er  ein  solches 
Schreiben  erhalten;  Bonifaz  mochte  wissen,  dass  die  deutschen  Fürsten  derartige 
Verschleudeiuugen  von  Rcichsgut,  wenn  sie  nicht  ihnen  selbst  zu  gut  kamen, 
denn  doch  reclit  ungern  sahen. 

3* 


36  3.  Kapitel. 

Frieden  der  Kirche  und  der  beiden  Königreiche  sowie  auf  die 
Sache  des  heiligen  Landes  anführte.  Besonders  das  letztere  sollte 
den  Papst  beruhigen:  es  war  das  Mittel,  das  man  in  dieser  Zeit 
des  erlahnitun  Kreuzzugeifers  häufig  hervorholte,  wenn  es  galt,  den 
Papst  in  irgend  einer  näher  liegenden  Angelegenheit  bei  Stimmung 
zu  halten,  das  Lieblingsthema  der  französischen  Partei.  Die  beiden 
Gesandtschaften  wurden  zusammen  vorgelassen,  man  unterhandelte 
mehrere  Tage,  und  Nogaret  berührte  auch  die  Zustände  und 
Wünsche  der  gallikanischen  Kirche,  erst  in  privater,  dann  in  öffent- 
licher Audienz  ^  Dies  dürfte  wohl  allein  von  seiner  langen  Schil- 
derung glaubwürdig  sein.  Die  ungeheuerliche  Behauptung,  er  habe 
dem  Papst  seine  Sünden  und  Laster  vorgehalten,  wird  schon  durch 
die  Mitteilung,  dass  dieser  nachher  noch  mit  ihm  verhandelte, 
widerlegt.  Den  Angaben  der  Colonna  über  die  Ketzerei  des  Bo- 
nifaz  schloss  man  sich  in  Frankreich  überhaupt  erst  seit  dem  Früh- 
jahr 1303  offiziell  an.  Fallen  zu  lassen  sind  ferner  auch  zwei 
Punkte,  die  deutlich  nach  Analogie  späterer  Ereignisse  geformt 
sind;  nämlich  einmal  die  Nachricht,  der  Papst  habe  wissen  wollen, 
ob  Nogaret  von  sich  aus  oder  im  Namen  des  Königs  gesprochen 
habe,  was  zu  deutlich  an  die  Frage  erinnert,  die  nach  dem  Attentat 
von  Anagni  insbesondere  auch  die  Päpste  beschäftigte,  ob  nämlich 
Philipp  den  Auftrag  zur  Gefangennahme  des  Papstes  gegeben  habe : 
beide  Male  giebt  Nogaret  auch  dieselbe  Antwort;  und  sodann  die 
Anspielung  darauf,  dass  der  Papst  sich  ein  Konzil  zu  berufen  ge- 
weigert habe:  hier  haben  wir  einen  Niederschlag  der  gleichfalls  erst 
1303  brennend  werdenden  Konzilsfrage  zu  erkennen.  Zu  irgend 
welchen  erregten  Szenen  ist  es  bei  diesen  Verhandlungen  in  Rom 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  überhaupt  nicht  gekommen.  Was 
Nogaret  eigentlich  erreichte,  wissen  wir  nicht;  auch  Hegt  die  Mög- 
lichkeit vor,  dass  er  uns  wichtige  Punkte  seines  Auftrags  ver- 
schweigt. Nach  Beendigung  der  Verhandlungen  kehrte  er  zu 
Philipp  zurück,  um  ihm  zu  berichten-. 

2. 

Wenn  der  Streit  zwischen  Philipp  und  Bonifaz  nun  bald  mit 
erhöhter  Heftigkeit  ausbricht,  so  spielte  hierbei  ohne  Zweifel  das 
grosse   Jubiläum    des  Jahres  1300^  in    Rom    eine    massgebende 

^  Die  genaue  Darstellung,  wonach  die  Unterhandlung  „primo  secrete,  secundo 
coram  testibus  legitirais"  stattfand,  wird  nicht  ganz  aus  der  Luft  gegriffen  sein. 
^  DuPUY,  Diff.  pr.  254. 
^  Vrgl.  über  dasselbe   Tosti  II,   66  ff.;    Drumann  II,   247  ff.     (Dazu   auch 


Nogaret's  Thätigkeit  in  den  Jahren  1300—1303.  37 

Rolle.  Einmal  ward  hier,  wo  der  Papst  seine  Praclitliebe  durch 
die  Entfaltung  grossen  Glanzes  befriedigen  konnte,  wo  aus  allen 
Ländern  der  römischen  Kirche  Teilnehmer  in  die  Petersstadt 
strömten  und  sogar  Fürsten  als  Wallfahrer  sich  im  Lateran  ein- 
fanden, das  Selbstbewusstsein  und  das  Machtgefiihl  des  Papstes 
ausserordentlich  gehoben;  und  sodann  ist  nicht  zu  unterschätzen, 
dass  die  päpstliche  Kasse,  die  bisher  meist  leer  gewesen,  sich  un- 
gemein reichlich  und  rasch  füllte.  Dadurch  wurde  Bonifaz  in  den 
Stand  gesetzt,  seine  Pläne  mit  neuer  Energie  anzufassen,  was  sich 
schon  1301  zeigte,  als  er  den  Bruder  Philipp's  des  Schönen, 
Karl  von  Valois,  nach  Itahen  rief  und  ihm  als  Preis  der  Er- 
oberung Siziliens,  die  dem  König  von  Neapel  nicht  glückte,  die 
römische  und  byzantinische  Kaiserkrone  versprach.  Dies  könnte 
man  als  ein  Zeichen  des  Einvernehmens  zwischen  der  päpstlichen 
und  der  französischen  Politik  ansehen,  aber  gleichzeitig  hatte  sich 
bereits  der  Ausbruch  offener  Feindseligkeiten  vorbereitet. 

Nogaret's  Name  wird  uns  im  Verlauf  des  grossen  Kirchen- 
streits zunächst  nicht  mehr  genannt^;  das  einzige,  was  wir  werden 
nachweisen  können,  ist  der  grosse  Einfluss,  den  wir  den  Räten  des 
Königs  überhaupt  damals  zuzuschreiben  haben.  Von  Nogaret  spe- 
ziell hören  wir  hingegen  nur,  dass  er  wieder  zu  verschiedenen  Ver- 
richtungen in  der  inneren  Verwaltung  verwandt  wurde.  Aus  dem 
Jahr  1301  kennt  Dupuy^  zwei  Urkunden  für  die  Ritter  Wilhelm 
von  Nogaret  und  Simon  von  Marchais.  Li  der  einen  erhalten  die 
beiden  den  Auftrag,  einen  Schützer  für  die  Abtei  LuxeuiP  zu 
ernennen,  in  der  anderen  für  die  Schiffbarmachung  der  Seine 
von  Nogent  aufwärts  Sorge  zu  tragen.  Das  interessante  letztere 
Aktenstück  ist  unterdessen  publiziert  worden^.  Philijjp  will  ver- 
suchen, die  nur  bis  Nogent  schiff'bare  Seine  bis  Troyes  und  weiter 
nach  Burgund  zu  für  Lastschiffe  befahrbar  zu  machen  und  wo- 
möglich auch  nach  Provins^  eine  schiffbare  Wasserstrasse  zu  führen. 
Bei  diesem  Werk  sei  besonders  auf  die  Mühlen  achtzugeben,  welche 
die  Kirchen  und  Privatpersonen  dort  besässen;  die  Orte  und  Per- 
sonen,   die    einen   augenscheinlichen  Vorteil   von   der  Sache  haben, 


die  Bemerkungen  der  Chronik  von  Orvieto,  ed.  Döllinqer  351,  ed.  Himmkl- 
STERN  33.) 

»  Vrgl.  Renan  239.  -  Diff.  pr.  615. 

^  40  km.  Dordwestl.  von  Beifort,  heute  Dopt.  Haute-Saone. 

*  „Notices  et  extraits"  XX  2,  138  f. 

•'"'  Der  alten  Hauptstadt  der  Brie,  rechts  von  der  Seine  an  der  Voulzie 
und  nordwestl.  von  Nogent  gelegen. 


38  3.  Kapitel. 

sollten  auch  die  Kosten  tragen.  Drei  Beamte  beauftragt  Philipp 
mit  der  Ausführung  seines  Plans,  an  der  Spitze  wird  Nvieder  Nogaret 
genannt'.  Die  Verordnung  ist  am  26.  Mai  13(»1  erlassen;  über 
ihre  Ausführung  wissen  wir  nichts.  Heute  ist  die  Seine  bis  zur 
Mündung  der  Aube  bei  Marcilly  schiti'bar,  also  wenig  weiter  hinauf 
als  Nogent. 

lieber  den  AViederausbruch  des  lang  verhaltenen  Streits 
zwischen  Philipp  und  Bonifaz'^  sei  hier  folgendes  gesagt:  Zu 
Beginn  des  Jahres  1301  erschien  in  Paris  als  päpstHcher  Gesandter 
Bernhard  von  Saisset,  der  Bischof  von  Pamiers,  ein  erbitterter 
Feind  Piiili{)p's.  Die  Wahl  des  Gesandten,  der,  wie  es  scheint, 
wegen  der  Kreuzzugswünsche  des  Papstes  und  wegen  flandrischer 
Dinge  unterhandeln  sollte,  w^ar  schon  an  und  für  sich  eine  Heraus- 
forderung, und  es  ist  wahrscheinlich,  dass  der  hochmütige  und 
leidenschaftliche  Bischof  jede  Gelegenheit  benutzte,  um  bei  Philipp 
Anstoss  zu  erregen.  Dennoch  liess  ihn  dieser  zunächst  unangefochten 
zur  Berichterstattung  nach  Eom  ziehen.  Nachdem  er  aber  dann 
wieder  in  sein  Bistum  zurückgekehrt  war,  wurden  durch  zwei  könig- 
liche Räte  in  Toulouse  Beweise  gegen  ihn  gesannuelt,  worauf  sich 
Saisset  am  24.  Oktober  1301  vor  dem  Staatsrat  zu  Senlis  zu 
verantworten  hatte.  Der  Prozess  wurde  geleitet  durch  Peter 
Plotte,  der  Avie  Nogaret  ein  Rechtsgelehrter  und  Ritter  Philipp's 
war,  seinem  König  mit  Leib  und  Seele  ergeben,  weshalb  ihn  der- 
selbe auch  zu  seinem  Grosssiegelbewahrer  erhobt  Man  darf  wohl 
annehmen,  dass  auch  Nogaret  sich  damals  in  Senlis  befand.  Saisset 
wurde  für  schuldig  erachtet  und  in  Haft  gehalten;  Philipp  schickte 
eine  Gesandtschaft^  nach  Rom,  um  dem  Papst  Mitteilung  von  dem 

^  „.  .  ,  dilectis  et  fidelibus  Guillelmo  de  Nogareto  et  Simoni  de  Marchesio 
militibus  ac  Guillelmo  de  Muisseyo  panetario  nostris  ..." 

-  Vrgl.  Baillet  77—106;  Schmidt  I,  660—664;  Tosti  II,  124—132;  Dru- 
MANN  II,  3—22;  Martin  IV,  423—427;  Bodtaric  102—106;  Jolly  166—169; 
Hefele-Knöpfler  vi,  321—329. 

•■'  Vrgl.  über  Peter  Flotte  oben  S.  16,  25  Anm.  1,  27.  Betreffs  seiner 
Erhebung  zum  Grosssiegelbewahrer  sind  wir  nicht  gut  unterriclitet.  Nach 
DüciiESNE  250  war  er  am  26.  Januar  1301  noch  blos  „miles",  am  18.  April  1302 
dagegen  Grosssiegelbewahrer  („vicecancellarius" ;  auf  diese  Titel  kommen  wir 
später  noch  zu  sprechen);  Nicolaus  Trivetus  (ed.  HoG  396)  sagt,  er  sei  „regia 
Francorum  consiliarius  praecipuus"  gewesen,  der  Fortsetzer  des  Wilhelm  von 
Nangis  nennt  ihn  irrtümlich  „cancellarius"  (eigentliche  Kanzler  gab  es  damals 
gar  nicht  mehr),  nach  den  „Ancienues  chroniques  de  Flandre"  (Rec.  des  bist. 
XXII,  374  0)  war  er  „prothonotaire  de  toute  France". 

'  Eigentümlicher  AVeise  kennt  keiner  der  französischen  Schriftsteller  bis 
jetzt    die  Ausführungen   Drumann's    (II,  13 f.),    nach  denen  Peter  Flotte  nicht 


Xogaret's  Thätigkeit  iu  den  Jahren  1300—1303.  39 

Geschehenen  zu  machen  und  ihn  zu  bitten,  dem  Bischof  die  geist- 
hchen  Vorrechte  zu  entziehen.  Noch  ehe  sie  ankam,  erhielt  Bonifaz 
die  Angelegenheit  hinterbrachte  und  nun  entlud  sich  mit  einem 
Mal  bei  ihm  der  ganze  im  Lauf  der  letzten  Jahre  gegen  Philij)]) 
angesammelte  Groll  in  mehreren  scharfen  Schreiben  vom  5.  De- 
zember 1301-,  Er  forderte  vom  König  die  Freilassung  des  Bischofs 
von  Pamiers  und  schickte  ihm  mit  einem  Begleitschreiben  die  vom 
Tag  vorher  datierte  Bulle  „Salvator  mundi",  wonach  alle  ihm 
zugestandenen  Privilegien  aufgehoben  waren*,  ferner  berief  er  alle 
französischen  Prälaten  nach  Rom,  wo  sie  spätestens  am  1.  No- 
vember 1302  „ad  reformationem  regni  et  regis  correctionem"  zu 
einem  Konzil  erscheinen  sollten.  Der  leidenschaftlichste  dieser  Er- 
lasse ist  aber  die  an  Philipp  gerichtete  Bulle  „Ausculta  fili",  in 
welcher  der  Papst  dem  König  ein  langes  Sündenregister  vorhält 
und  ihm  zu  Gemüte  führt,  dass  er,  der  Nachfolger  Petri,  von  Gott 
über  Könige  und  Reiche  gesetzt  sei,  weshalb  sich  Philipp  nicht 
einreden  lassen  solle,  ihm  nicht  unterworfen  zu  sein.  Damit  hatte 
Bonifaz  den  Krieg  in  mehr  zorniger  als  geschickter  Weise  definitiv 
erklärt.  In  der  Folge  zeigte  sich  immer  deutlicher  der  Unterschied 
zwischen  seinem  Wollen  und  seinem  Können,  eine  Diskrepanz,  die 
seine  ganze  Geschichte  im  Grund  zu  einer  Kette  von  Misserfolgen 
gemacht  hat:  bereits  sein  zweiter  Nachfolger  Hess  auf  den  Wunsch 
desselben  Philipp,  gegen  den  Bonifaz  in  so  volltönenden  Worten 
den  Kampf  erhob,  die  ganze  Bulle  „Salvator  mundi"  und  alle 
scharfen  Stellen  von  „Ausculta  tili"  im  ])äpstliclien  Register  aus- 
radieren !  -^ 

In  der  Bulle  „Ausculta  fili'-  interessiert  uns  besonders  eine 
Stelle,  in  der  sich  der  Papst  über  denEinfluss  der  königlichen 
Räte  auslässt.  Es  heisst  da:  „Obgleich  Dich  übrigens  einige  be- 
treffs Deiner  Fehler  in  den  genannten  und  ähnlichen  Punkten  ent- 
schuldigen  wollen,    indem    sie    sie    nicht    so    sehr   Dir    als    Deinen 


Mitglied  dieser  Gesandtschaft  war.  Kindler  6  Aum.  1  weist  auf  die  Abschrift 
eines  päpstlichen  Schreibens  bei  Dupuy,  Diff.  pr.  41  hin,  wo  Flotte  als  niit- 
beglaubigender  Zeuge  genannt  wird;  selbst  wenn  die  Absclirift  wirklich  in  Koni 
gemacht  wurde,  so  kann  sie  doch  nichts  gegen  die  Ausführungen  Druma.mn's 
beweisen,  da  sie  aus  dem  Jahr  1300  ist,  während  Flotte  doch  erst  nach  dem 
Staatsrat  zu  Senlis  nach  Rom  gereist  sein  soll.  —  äIartin  IV,  427  scheint 
Nogaret's  Gesandtschaft  von  1300  hier  unterbringen  zu  wollen. 

^  „Ad  nostrum  perveuitauditum"  sagt  Bonifaz  von  der  Inliaftierung  Saissets; 
über  die  Ankunft  der  französischen  Gesandten  vrgl.  Dkumann  JI,  22. 

'  Potthast,  nr.  25  096—25108. 

"  Vrgl.  DvvvY,  Diö.  pr.  606—608;  Ravnald  XXIil,  2'J3f.  (1301,  ur.  30—31). 


40  3.  Kapitel. 

scliliinmeii  Ratgebern  zur  Last  legen,  erscheinst  Du  darin  doch 
unentschuldbar,  dass  Du  solche  Räte,  die  Deine  Ehre  zerstören 
uiul  in  ihrer  Falschheit  und  Gottlosigkeit  Dich  und  Deinen  Ruf  zu 
(jruiul  Heilten,  nimmst,  behältst  und  ihnen,  die  Dich  zu  solchen 
grossen  Abscheulichkeiten  verleiten,  Deine  königliche  Zustimmung 
zu  Teil  werden  lässt.  Sie  sind  falsche  Propheten  und  raten  Dir 
Falsches  und  Thörichtes,  weil  sie  von  Gott  keine  Otfenbarung 
empfangen  haben.  Deshalb  bitten  wir  Dich,  pflichte  nicht  ihren 
umstürzlerischen  und  schädlichen  Betrügereien  bei,  die  sie  unter 
der  Decke  der  Schmeichelei  und  des  falschen  Rats  bewerkstelligen, 
da  diese  Leute  in  feindlicher  Verheerung  die  Bewohner  Deines 
Reichs  verschlingen,  und  nicht  Dir,  sondern  ihnen  die  Bienen  den 
Honig  bereiten;  denn  sie  sind  jene  geheimen  Thüren,  durch  welche 
die  Diener  Bels  die  vom  König  dargebrachten  Opfer  heimlich  weg- 
tragen ^,  sie  sind  es,  die  unter  Deinem  Schatten  Dein  und  anderer 
Gut  langsam  rauben  und  unter  dem  Vorgeben,  die  Gerechtigkeit  zu 
wahren,  die  Unterthanen  bedrücken,  die  Kirchen  belästigen  und 
fremde  Einkünfte  mit  Gewalt  an  sich  reissen.  Um  Wittwen  und 
Waisen  kümmern  sie  sich  nicht,  sondern  werden  fett  von  den 
Thränen  der  Armen  und  der  Bedrückung  der  Reichen;  sie  erregen 
und  pflegen  Zwistigkeiten,  nähren  Kriege  und  scheuen  sich  nicht, 
mit  schlimmen  Ränken  dem  Reich  den  Frieden  zu  entziehen." 

Aehnliche  Auslassungen  des  Papstes  begegnen  in  seinen  Er- 
lassen öfters^,  wieder  und  wieder  warnt  Bonifaz,  der  über  die  Ver- 
hältnisse in  Paris  sicher  gut  unterrichtet  war,  den  König  vor  seinen 
schlechten  Räten,  immer  wieder  klingt  aus  seinen  Aeusserungen  der 
Zorn  gegen  die  gottlosen  Legisten  heraus.  Auf  sie  schob  er  alles 
Unheil,  in  ihnen  glaubte  er  die  eigentlichen  Urheber  der  französi- 
schen Politik  sehen  zu  sollen.  Und  auch  von  anderer  Seite  werden 
die  Räte  wohl  für  wichtige  Massnahmen  Philipp's  verantwortlich 
gemacht.  Aegidius  von  Pontoise^  schiebt  auf  sie  all  die  schlimmen 
Zölle  und  Steuern,  die  durch  König  Philipp  eingeführt  wurden. 
Was  ergiebt  sich  hieraus?  Hat  sich  Philipp  zum  Werkzeug  für 
die  Pläne  seiner  Räte  gebrauchen  lassen?  Dies  wäre  sicher  zu  viel 
gesagt;  denn  er  war  es  doch,  der  diese  Räte  berief,  er  war  es  vor 


'  Vigl.  Bei  zu  Babel  12. 

-'  So  in  „Inefabilis"  (20.  Sept.  1296;  Reg.  de  Bon.  I,  615—619),  „Excitat 
uns"  (um  dieselbe  Zeit;  Potthast,  nr.  24  405);  „Verba  delirautis"  (Sommer  1302; 
Potthast,  nr.25  184),  einer  Rede  im  Konsistorium  (zur  selben  Zeit;  Dupdy,  Dift'. 
pr.  77)  und  in  „Super  Petri  solio"  (8.  Sept.  1303;  Potthast,  nr.  25  283). 

^  Uenanut  „Guillelmus  Scotus",  Rec.  des  bist.  XXI,  205  D. 


Nogaret's  Thätigkeit  iu  deu  Jahren  1300—1303.  41 

allem,  der  sie  nie  im  Stich  Hess:  nicht  einmal  kam  es  vor,  dass  der 
König  durch  das  Fallenlassen  einer  seiner  lläte  sich  einen  hilligen 
Frieden  erkaufte,  was  ihm  von  der  Kirche  oft  nahe  genug  gelegt 
wurde.  Zweifellos  war  es  die  Politik  des  Königs,  nach  welcher  die 
seiner  Minister  sich  richtete.  Aber  damit  ist  nicht  ausgeschlossen, 
dass  mancher  der  Schachzüge,  die  dieser  Politik  dienten,  zuerst 
von  einem  dieser  Räte  gedacht  wurde,  und  dies  scheint  in  der 
That  nicht  minder  sicher,  dass  wichtige  und  folgenschwere  Gedanken 
zuerst  von  ihnen  ins  Auge  gefasst  wurden,  von  einem  Peter  Flotte ', 
einem  Wilhelm  von  Nogaret.  Die  Thätigkeit  dieser  Leute  tritt 
eben  bei  einem  Blick  auf  die  Art,  wie  Philipp  die  päpstlichen 
Schreiben  vom  5.  Dezember  1301  beantwortete,  etwas  aus  dem 
Dunkel  heraus,  in  das  sie  für  uns  durch  die  Beschaffenheit  unsrer 
mittelalterhchen  Quellen  vielfach  gerückt  ist. 

3. 

Der  Archidiakon  Jakob  von  Normans  brachte  die  päpstlichen 
Erlasse  nach  Frankreich.  Als  er  sie  Anfang  Februar  1302  iu  Paris 
überreichte,  wurde  der  König  aufs  äusserste  bestürzt  und  beriet 
sich  sofort  wegen  der  zu  treffenden  Gegenmassregeln  mit  seinen 
Räten.  Zwar  wurde  Bernhard  von  Saisset  wirklich  frei  gegeben, 
aber  er  musste  mit  dem  Archidiakon  Frankreich  sofort  ver- 
lassen. Ein  Bekanntwerden  der  Bulle  „Ausculta  fili"  ward  mit 
Erfolg    verhindert,    und    der    Grosssiegelbewahrer    Peter    Flotte 


*  Besonders  auf  ihn  ist  der  ganze  Zorn  des  Papstes  gerichtet.  In  „Verba 
delirantis"  heisst  es  mit  Beziehung  darauf,  dass  er  auf  einem  Auge  blind  war, 
„Belial  ille  Petrus  Flöte,  seraividens  corpore  et  meute  totaliter  excaecatus", 
und  in  der  Rede  im  Konsistorium  warf  Bonifaz  die  Frage  auf,  wer  es  sei, 
der  das  Papsttum  und  Frankreich,  die  Gott  zusammengefügt  habe,  trenne,  und 
antwortet  darauf:  „iste  est  Achitophel  [ein  Rat  David's,  der  zu  Absalom  abfiel] 
secundum  similitudinera  et  secundum  interpretationem.  Achitophel  fuit  con- 
siliarius  Absalon  contra  patrem  suum  David,  et  hie  uno  modo  interpretatur 
„ruina  fratris"  vel  „frater  mens  ruens"  [vrgl.  unten],  alio  modo  id  est  acetum 
et  fei;  iste  Achitophel  est  quidem  diabolus  vel  diabolieus  homo,  quem  deus  iam 
in  parte  punivit  caecutiens  corpore,  caecus  mente,  scilicet  Petrus  Flöte,  homo 
acetosus,  homo  fellicus,  homo  haereticus  censendus  et  condomnandus  ut  haere- 
ticus,  ruina  fratris,  quia  nunquam,  postquam  ipse  fuit  cousiliarius,  fecit  rex  uec 
regnum  nisi  ruere  de  malo  in  peius  inter  regem  et  regnum  et  ecciesiam  istam." 
Zu  der  Interpretation  des  Wortes  „Achitophel"  sei  bemerkt,  dass  dasselbe  in 
"Wirklichkeit  etymologisch  =  lat.  „frater  insulsitatis"  ist  (hebr.  ach  =  frater 
tophel  =  insulsitas);  Bonifaz  denkt  —  wohl  im  Anschluss  an  eine  Crlosse  — 
an  hebr.  naphal  =  ruere,  wobei  das  verbindende  i  dann  als  Pronomen  („meus") 
aufgefasst  wird.     (Nach  Gesenius.) 


42  3.  Kapitel. 

arbeitete  eine  Fälsclumg  aus,  die  in  wenigen  Zeilen  die  pcäpstlicben 
Forderungen  in  bedeutend  brüskerer  Form  entbielt,  als  sie  sieb  in 
„Ausculta  tili'*  fanden,  und  die  sich  deshalb  zur  Agitation  besser 
ei<,'nete;  dies  ist  die  angebliche  Bulle  „Deum  time"^,  deren  An- 
fang lautet:  „Fürchte  Gott  und  halte  seine  Gebote!  Wir  wollen 
Dir  zu  wissen  geben,  dass  Du  uns  im  Geistlichen  und  im  Weltlichen 
unterworfen  bist."  Auf  Anraten  des  Autors  wurde  dann  diese 
Fälschuug  als  echte  päpstliche  Bulle  zugleich  mit  einer  in  dem- 
seli)en  Stil  gehaltenen  angeblichen  Antwort  Philipp's  der  Oeß'entlich- 
keit  bekannt  gegeben,  sodass  man  allgemein  glaubte,  es  handle  sich 
um  die  überaus  verletzende  Bulle  „Deum  time",  als  Philipp  am 
11.  Februar  1302  das  Original  von  „Ausculta  fili"  in  feierlicher 
Versammlung  den  Flammen  übergab^.  Am  23.  desselben  Monats 
si)rach  der  König  gleichfalls  in  feierlicher  Weise  über  seine  Söhne 
Fluch  und  Enterbung  aus,  wenn  sie  je  in  Frankreich  einen  anderen 
Überherrn  anerkennten  als  allein  Gott.  Dass  eine  Aktion  gegen 
Bonifaz  eingeleitet  wurde,  entsprach  durchaus  der  Intention  des 
Königs;  aber  auf  die  Art  der  Ausführung  derselben  hatten  die  Räte 
einen  grossen  Einfluss.  Derselbe  zeigte  sich  auch  in  der  Berufung 
der  drei  Reichsstände,  die  am  15.  Februar  1302  auf  den 
8.  April  d.  J.  erging.  Zum  erstenmal  sollte  auch  der  dritte  Stand 
in  Angelegenheiten  des  Reichs  gehört  werden:  dieser  Gedanke  des 
Königs,  sich  auf  die  ganze  Nation  zu  stützen,  ging  wieder  von  Leuten 
wie  Peter  Flotte  und  Wilhelm  von  Nogaret  aus,  die  selbst  aus  dem 
dritten  Stand  hervorgegangen  waren.  Am  10.  April  traten  die 
Stände  in  der  Kirche  Notre-Dame  in  Gegenwart  des  Königs  zu- 
sammen ^;  auch  Nogaret  wird  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  hier 
um  den  König  gewesen  sein.  Flotte  berichtete  im  Namen  Philipp's 
über  die  Forderungen  und  Anmassungen  des  Pajjstes  *,  worauf  der 
König  seinerseits  die  Freiheit  des  Reichs  mit  Gut  und  Blut  ver- 
teidigen  zu  wollen  versprach  und   dazu   um   die  Unterstützung  der 


'  Potthast,  nr.  XIV  (S.  2006). 

-  Vrgl.  gegen  RocQüAiN  (in  der  Bibl  de  l'ecole  des  chartes  Bd.  44  S.  393  ff.) 
meine  Ausführungen  in  der  „Deutsclieii  Zeitschrift  für  Geschichtswissenschaft", 
Neue  Folge  11,  Vtljshfte.,  S.  16-38. 

•■*  Drumann  II,  33 — 40;  Boütaric  22—24;  G.  PicoT :  „Hist.  des  etats  gene- 
raux",  2.  cdit.  I  (Paris  1888),  21-24. 

*  D.  h.  er  verlas  die  Bulle  „Deum  time":  „fecit  mandata  i^apalia  recituri" 
hcisst  es  vom  König  beim  Fortsetzer  des  Wilhelm  von  Nanqis  (ed.  Geraüd  I, 
315),  und  dass  darunter  wirklich  die  Fälschung  zu  verstehen  ist,  ergiebt  sich 
mit  voller  Deutlichkeit  aus  dem,  was  die  Barone  darüber  an  die  Kardinäle,  die 
Geistlichen  an  den  Papst  berichteten  (Dupuv,  Diff.  pr.  60,  68). 


Xogaret's  Thätip;keit  iu  doii  Jalircu  1300—1303.  43 

Stände  bat;  die  Barone  sowie  die  Abgeordneten  der  StJidte  er- 
klärten sich  schnell  bereit,  mit  dem  König  Hand  in  Hand  zu  gehen, 
zögernd  folgte  die  Geistlichkeit,  der  nunmehr  ausdrücklich  der  Be- 
such des  von  Bonifaz  angesetzten  Konzils  verboten  wurde. 

Die  Nation  war  so  auf  die  Seite  ihres  Königs  getreten.  Dass 
das  Regiment  Philipp's  trotz  dessen  Geldforderungen  und  Münz- 
verschlechterungen  in  Frankreich  nicht  unbeliebt  war,  mag  schon 
hieraus  erhellen.  Und  dies  begreift,  wer  einen  Blick  in  die  ad- 
ministrative Thätigkeit  wirft  und  die  vielen  treft'lichen  Einrich- 
tungen und  gesunden  Neuerungen  des  Königs  kennen  lernt.  Auch 
jetzt,  wo  ihn  doch  andere  und  wichtigere  Dinge  beschäftigten,  liess 
er  nicht  nach  in  seiner  Sorge  für  das  Gedeihen  der  ihm  anvertrauten 
Länder.  Dies  zeigt  eine  Mission,  die  Nogaret  eben  damals  erhielte 
Am  20.  Mai  1302  beauftragte  ihn  der  König  auf  ein  Gesuch  aus 
Figeac^  hin,  wo  veraltete  und  der  Entwicklung  des  Gemeinwesens 
im  Weg  stehende  Rechtsverhältnisse  herrschten,  daselbst  einmal  nach 
dem  Rechten  zu  sehen  und  etwaigen  Uebergrifien  der  Beamten  ent- 
gegenzutreten; zugleich  aber  möge  er,  wo  es  ihm  zu  des  Königs 
und  Landes  Nutzen  und  zu  einem  besseren  Regiment  in  der 
Stadt  angebracht  erscheine,  derselben  neue  Statuten  und,  wenn  nötig, 
auch  neue  Rechte  geben,  das  letztere  vorbehaltlich  der  königlichen 
Bestätigung.  Nogaret  kam  dem  Geheiss  nach  und  arbeitete  einen 
Entwurf  aus,  der  die  Rechtsverhältnisse  in  Eigeac  neu  bestimmen 
sollte,  und  der  uns  nebst  Bemerkungen  und  Korrekturen  von  zwei 
Händen  erhalten  ist^;  über  das  weitere  Schicksal  dieser  Angelegen- 
heit sind  wir  nicht  unterichtet. 

Dies  ist  alles,  was  wir  von  Nogaret's  Thätigkeit  im  Jahr  1302 
wissen.  Von  Wichtigkeit  sollte  es  aber  für  ihn  werden,  dass  Peter 
Flotte  am  11.  Juli  1302  in  der  Schlacht  bei  Courtrai,  wo  die  schlecht 
bewaffneten  flandrischen  Handwerker  über  das  Ungestüm  der  fran- 
zösischen Ritter  einen  glänzenden  Sieg  davontrugen,  mit  zahlreichen 
anderen  französischen  Grossen  das  Leben  verlor.  Zum  Grosssiegel- 
bewahrer wurde  nun  der  Archidiakon  Stei)han  von  Suizy  erhoben, 
ohne    dass   derselbe  je   die   Bedeutung   gewinnen   konnte,   die   Peter 


'  DupuY,  Diff.  pr.  615;  Musee  des  archives  nationales  exiviscJs  dans  l'hotel 
Soubise  (Paris  1872)   165  f.  fnr.  30H);  Rknan  240. 

-  Guienue  (heute  Dopt.  Lot). 

^  Die  Ansicht  Renan's,  dass  der  Entwurf  von  einem  Schreiber  Xogaret's 
gemacht  sei,  während  von  diesem  selbst  nur  einige  Bemerkungen  und  Korrek- 
turen stammten,  ist  irrig;  vrgl.  die  Bemerkungen  Boutaric's  im  Musee  des 
arch.  nat. 


44  3-  Kapitel. 

Flotte  gehabt  hat.  Was  den  thatsächlichen  Eintluss  anlangte, 
wurden  dessen  Nachfolger  vielmehr  seine  Standesgenossen,  die  Legisten, 
in  erster  Linie  Wilhelm  von  Nogaret,  der  nun  bald  im  Kampf  gegen 
Bonifaz  die  entscheidende  Rolle  übernehmen  sollte. 

lieber  den  Fortgang  des  Ki rohen streits  bis  zu  diesem 
Punkt  braucht  nur  wenig  gesagt  zu  werden.  Philipp  erneuerte 
wieder  sein  Ausfuhrverbot  für  Geld  und  Wertgegenstände  und 
Hess  die  Grenzen  sorgsam  bewachend  Der  Papst  eröti'nete  am 
30.  Oktober  1302  in  Rom  das  Konzil.  Xicht  ganz  die  Hälfte  der 
französischen  Geistlichkeit  hatte  sich  eingefunden^;  Philipp  entzog 
diesen  Ungehorsamen  sofort  ihre  weltlichen  Besitzungen^.  Am 
8.  November  schickte  er  sodann  drei  Gesandte  nach  Rom,  um  sich 
ausdrücklich  jede  weitere  Einmischung  des  ihm  „verdächtigen" 
Papstes  in  seine  Angelegenheit  mit  England  zu  verbitten^.  Der 
Papst  erliess  am  18.  November  1302  die  bekannte  Bulle  „Uuam 
sanctam"^,  die  den  schärfsten  Ausdruck  darstellt,  den  das  papale 
System  je  gefunden  hat;  die  geistliche  Macht,  heisst  es  hier,  über- 
rage an  Würde  und  Adel  jede  irdische,  jener  gebühre  es,  diese  ein- 
zusetzen und  zu  richten,  wenn  sie  auf  Abwege  gerate:  dem  römischen 
Stuhl  unterthan  zu  sein,  gehöre  zur  Notwendigkeit  des  Heils  für 
jede  menschliche  Obrigkeit.  Obgleich  diese  Bulle  sich  nicht  aus- 
drücklich gegen  ihn  wandte,  war  Philipp  nunmehr  doch  entschlossen, 
auch  seinerseits  energisch  vorzugehen.  Als  Anfang  1303  der  Kar- 
dinal  Johann   Le   Mo  ine    in    12   Artikeln    die    Forderungen    des 


'  Bonifaz  in  „Super  Petri  solio"  (Potthast,  nr.  25  283)-,  Cont.  Güill.  Xaxg. 
ed.  Geraud  I,  3151'.;  Bernhardus  Guidonis,  Rec.  des  bist.  XXI,  712  J. 

-  Zu  dem  Verzeichnis  bei  Dopuy,  Diff.  pr.  86  ist  zu  bemerken,  dass  der 
Bischof  von  Rennes  darin  zweimal  genannt  wird  (Johann  II.  -J-  30.  Okt.  1302) 
und  dass  5  Bischöfe  als  Gesandte  in  Rom  weilten  (Kervyn  de  Lettenhove: 
„Etudes",  mem.  de  lacad.  roy.  de  Belg.  XXVIII,  88  Anm.  2);  sonach  redu- 
ziert sich  die  Zahl  der  Ungehorsamen  auf  4  Erzbischöfe,  29  Bischöfe  und 
6  Aebte. 

"  Ordonnances  I,  349 f.;  Boutaric  107,  Anm.  1. 

*  DuPüY,  Diff.  pr.  84  f.  —  Eine  ähnliche  Anweisung  schickte  er  an  seinen 
Gesandten  in  Rom,  den  Bischof  von  Auxerre,  Peter  von  Moi-nay  (Notices  et 
extraits  XX  2,  145  f.).  Ueber  dessen  Gesandtschaft  vrgl.  Cont.  Guill.  Nang. 
ed.  Ger.vud  I,  321 ;  Lebeuf:  „Hist.  d'Auxerre"  I,  419;  Gallia  christiana  XII,  312. 
Er  hatte  den  Papst  bewegen  sollen,  die  Berufung  des  Konzils  zurückzunehmen. 
Die  Darstellung  bei  Boutaric  107  ist  unrichtig. 

*  Potthast,  nr.  25189;  Mirbt,  „Quellen  zur  Geschichte  des  Papsttums" 
88ff.  (nr.  98);  ein  Facsimile  der  Bulle  in  den  „Specimina  palaeographica"  (Rom 
1888),  Tafel  46,  wodurch  auch  Datum  und  Eclitheit  der  Bulle  endgültig  fest- 
gestellt sind. 


Nogaret's  Tliätigkeit  in  den  .Tuhreu  1:300—1303,  45 

Papstes  als  Friedensbedingungen  iibeibiiichte ',  gelang  es  ihm,  diesen 
Gesandten  auf  seine  Seite  zu  ziehen^;  Bonil'az  wurde  durch  12  aus- 
weichende Antworten  hingebalten.  Im  März  1303  ging  der  König 
dann  selbst  zum  Angriff  über;  seit  dieser  Zeit  steht  unter  seinen 
Räten  an  erster  Stelle  Wilhelm  von  Nogaret. 

Welche  Stellung  bekleidete  Nogaret  damals?  Die 
frühere  ^Meinung,  er  sei  nach  dem  Tod  Peter  Flotte's  Grosssiegel- 
bewahrer geworden,  wurde  bereits  von  Vaissete  beseitigt^.  Dieser 
war  der  Ansicht,  Nogaret  sei  in  der  Kanzlei  beschäftigt,  vielleicht 
Sekretär  des  Königs  gewesen,  worin  ihm  Renan*  folgt.  Nachdem 
jedoch  MoLiNiER  darauf  hingewiesen  hat"',  dass  zu  dieser  Ver- 
mutung kein  Grund  vorliege,  bleibt  es  dabei,  dass  er  die  ein- 
fache und  in  der  damaligen  Zeit  doch  so  wichtige  und  mächtige 
Stellung  eines  königlichen  Rats  einnahm,  als  er  im  Jahre  1303 
zu  jener  unerhörten  That  über  die  Alpen  zog. 

4. 

Am  7.  März  1303  wurde  Nogaret  mit  drei  anderen  Hofleuten 
zu  Paris  vom  König  mit  folgender  Vollmacht  versehen*^: 

„Philipp  von  Gottes  Gnaden  König  von  Frankreich  allen,  die 
dies  Schreiben  lesen,  Gruss.  Erfahret,  dass  wir  den  Rittern  Jo- 
hann Mouchet  und  AVilhelm  von  Nogaret  und  den  Magistern 
Dietrich  von  Hiricon  und  Jakob  von  Gesserini,  unsern  Ge- 
liebten und  Getreuen,  auf  deren  Fleiss  und  Treue  wir  bauen,  und 
die  wir  in  gewissen  Geschäften  nach  bestimmten  Ländern  schicken, 
sowohl  allen  wie  jedem  Einzelnen  hiermit  volle  und  freie  Macht 
geben  für  uns  und  in  unserm  Namen  mit  jedermann,  sowohl  adligen 
als  unadligen  Geistlichen  und  Laien,  wie  hoch  sie  auch  stehen,  zu 
unterhandeln  über  Bündnis  und  Freundschaft  mit  uns,  sowie  über 
die  gegenseitige  Leistung  von  Unterstützung  und  Hülfe;  desgleichen 


1  Drümann  II,  61—66;  Hist.  littcraire  XXVII,  206 f. 

-  HüFLER  35,  48,  51,  53  f.;  Deutsche  Ztschrft.  für  Geschichtswissensch. 
X.  F.  n,  Vtljshfte.,  S.  36  f. 

•'  Hist.  de  Lang.  X,  notes  56  f.  (nr.  VII);  auf  die  Frage  der  Kanzlerschaft 
Xogaret's  werden  wir  später  zurückkommen. 

*  241. 

'-  Hist.  de  Lang.  a.  a.  0.  57,  Anm.  4.  Vrgl.  über  die  Unterfertigung  „Per 
dominum  G.  de  Nogareto"  Giry,  Manuel  de  dipl.  762.  —  In  allen  Urkunden 
dieser  Zeit  heisst  Nogaret  einfach  „miles  regia"  u.  dgl.,  und  so  auch  bei  den 
Schriftstellern;  den  Kanzlertitel  giebt  ihm  jetzt  srhon  nur  Amai-ricus  Auoerius 
(MoRATORi  HI«,  439  B),  eine  späte  und  schlechte  Quelle. 

«  Ddpuy,  Diff.  pr.  175. 


46  3.  Kapitel. 

haben  sie  Vollmacht  eine  derartige  Unterhandlung  zu  Ende  zu  führen 
und  beliebige  Sicherheit  zu  geben,  Bündnis  und  Freundschaft  ab- 
zuschliessen,  jede  Unterstützung  und  Hülfe  zu  versprechen  und  alles 
und  jedes  zu  thun,'wie  es  erforderlich  ist.  AVas  von  ihnen  oder 
drei,  zwei  und  einem  derselben  in  diesen  Geschäften  oder  einer  da- 
mit zusammenhängenden  Angelegenheit  gethan  wird,  wollen  wir 
bestätigen  und  gut  heissen.  Des  zu  Urkunde  haben  wir  dies 
Schreiben  mit  unserm  Siegel  versehen  lassen.  Gegeben  zu  Paris  am 
7.  März   1302  [französischen  Stils  ^J" . 

An  erster  Stelle  wird  in  dieser  Vollmacht  der  Ritter  ^Slouchet  ge- 
nannt. Derselbe  ist  keine  unbekannte  Persönlichkeit-.  Die  Ijeiden  fio- 
rentinischen  Brüder  Musciatto  und  Biccio  Guidi  de'  Franzesi, 
die  in  französischen  Quellen  Mouchet  und  Bichet  heissen,  standen 
bis  1306  der  französischen  Finanzverwaltung  vor  und  zeichneten  sich 
hier  durch  Geschick  und  Gewandtheit  aus.  Musciatto  war  schon 
mehrmals  im  Auftrag  Philipp's  in  Italien  gewesen,  wobei  besonders 
sein  Schloss  Staggia  in  Toscana  den  Franzosen  als  Stützpunkt 
gute  Dienste  geleistet  hatte.  Er  war  den  Italienern  bekannt  und 
steht  deshalb  auch  in  der  Vollmacht  an  erster  Stelle;  denn  unter 
den  „bestimmten  Ländern",  nach  denen  die  Gesandtschaft  gehen 
sollte,  war  Italien  gemeint,  und  dort  brauchte  man  für  alle  tinan- 
ziellen  Angelegenheiten  einen  Mann  wie  Musciatto  am  nötigsten. 
Der  eigentliche  Führer  der  Expedition  war  hingegen  Nogaret,  der 
denn  auch  derjenige  ist,  der  bei  dem  ganzen  Unternehmen  auf  fran- 
zösischer Seite  allein  hervortritt. 

Seine  Dienste  wurden  ihm  vorausbezahlt.  Gleichfalls  im  ]\Iärz 
1303  erhielt  er  wie  seine  Nachkommen  und  Erben  300  Pfund  jähr- 
lichen Einkommens  vom  König  zugewiesen^;  diese  Summe,  heisst 
es  in  der  Urkunde,  sei  vom  königlichen  Schatz  zu  erheben,  bis  sie 
durch  eine  entsprechende  Landanweisung  ersetzt  würde.  Bezeich- 
nend ist  der  für  die  Schenkung  angeführte  Grund;  sie  geschieht  ..in 
Anbetracht  der  dankenswerten  und  treuen  Dienste,  die  unser  lieber 
und  treuer  Ritter  Wilhelm  von  Nogaret  uns  schon  längere  Zeit  ge- 
leistet hat  und,  wie  wir  hoffen,  auch  in  Zukunft  leisten  wird". 

Was  waren   das  für  Dienste,    die   der  König  von  Nogaret  er- 


'  Man  begann  in  Frankreich  das  neue  Jahr  erst  mit  Ostern  zu  zählen. — 
Auch  das  Siegel  wird  beschrieben;  eine  entsprechende  Abbildung  findet  sich 
in  dem  kleinen  Büchlein  von  Zeller-Luchaire  :  „Philippe  le  Bei",  97. 

-  BouTARic  227;  Renan  243;  Langlois,  Revue  historique  LX,  322  ff. 

^  Livres  toumois;  Menard  I,  pr.  146  (ur.  123).  Hierauf  bezieht  sich  auch 
das  Dci'LV,  Diff.  pr.  519  (oben)  gesagte. 


Nogaret's  Tliätiokeit  iu  den  .Taliren   1300—1803.  47 

wartete?  Die  Instruktion,  welche  die  Gesandten  bekamen,  ist 
uns  nicht  erhalten.  Sie  war  eine  geheime  und  wurde  vermutlich 
nach  der  Rückkehr  Nogaret's  absichtlich  vernichtet,  wenn  sie  über- 
haupt je  schriftlich  fixiert  war.  Nogaret  gab  später  an',  er  habe 
keineswegs  den  Auftrag  erhalten,  Bonifaz  gefangen  zu  nehmen, 
sondern  sei  dazu  nur  durch  den  Eigensinn  und  die  Ränke  des 
Papstes  gezwungen  worden.  Aber  er  wollte  damit  nur  den  König 
entlasten.  Schon  die  gerade  bei  der  Unbestimmtheit  ihrer  Fassung 
weitgehende  Rechte  verleihende  Vollmacht,  die  wir  kennen  lernten, 
legt  die  Vermutung  nahe,  dass  es  sich  um  einen  ganz  anderen  Auf- 
trag handelte  als  den  von  ihm  angegebenen,  wonach  nur  der  frühere 
Frieden  und  die  alte  Eintracht  zwischen  Frankreich  und  dem  Papst 
wiederhergestellt  werden  sollten.  Wir  werden  an  anderer  Stelle^  die 
Gründe  entwickeln,  die  uns  zu  der  Annahme  nötigen,  dass  Nogaret 
sich  der  Person  des  Papstes  bemächtigen  und  den  greisen  Ober- 
priester nach  Frankreich  schaffen  sollte,  damit  derselbe  in  Lyon  vor 
ein  unter  den  Auspizien  des  französischen  Königs  abzuhaltendes 
Konzil  gestellt  und  von  diesem  abgesetzt  und  verurteilt  werde.  Es 
kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  Philipp  damals  schon  den 
Plan  hatte,  das  Papsttum  und  die  päpstliche  Pohtik  unter  französischen 
Einfluss  zu  bringen.  Dies  Unternehmen  sollte  durch  den  Gewalt" 
streich  Nogaret's  eingeleitet  werden. 

Einer  der  wichtigsten  Punkte  in  der  Vollmacht  ist  die  Er- 
laubnis, mit  jedermann  über  eine  zu  leistende  Unterstützung  ver- 
handeln zu  dürfen,  Sie  war  den  Gesandten  zugleich  eine  Legiti- 
mation für  die  mit  Philipp  in  Verbindung  stehenden  Bankhäuser 
Italiens,  um  hier  Kredit  zu  erhalten.  Die  Art,  wie  der  König  den 
unvermeidlich  gewordenen  Kampf  mit  Rom  aufnehmen  wollte,  ist 
ungemein  charakteristisch.  Nicht  nach  der  AVeise  der  ritterlichen 
deutschen  Kaiser,  die  mit  Heeresmacht  nach  Italien  zogen,  gedachte 
er  vorzugehen:  ohne  irgend  Aufsehen  zu  erregen  schickte  er  vier 
Gesandte  über  die  Alpen,  die  nichts  bei  sich  führten  als  eine  An- 
weisung auf  unbeschränkte  Summen  Geldes.  In  Italien  mochten 
sie  dann  heimlich  ihre  Vorbereitungen  treffen,  unerwartet  sollte  der 
Schlag  fallen.  So  hof!"te  Philipp  eher  zum  Ziel  zu  kommen  als  die 
Staufer,  und  wenn  der  Streich  misslang,  so  konnten  ja  seine  Ge- 
sandten ,  die  allein  von  seinen  Aufträgen  wussten ,  öffentlich  auch 
die  alleinige  Verantwortung  übernehmen;  der  König  gal)  ihnen  dann 
immer  noch  Schutz  genug. 


*  Vrgl.  den  Exkurs  I. 


48  3.  Kapitel. 

Ueber  die  wahren  Absichten  Xogaret's  erfaliion  -svir  genaueres 
in  einer  Keile,  die  derselbe  fünf  Tage  nach  Empfang  seiner  Voll- 
macht in  Paris  hielt. 

5. 

Am  12.  März  13U3,  einem  Dienstag,  versammelte  der  König 
im  Luuvre  •  zu  Paris  einen  Staatsrat  um  sich-,  an  welchem  von 
der  Geistlichkeit  zwei  Erzbischöfe^  und  drei  Bischöfe^,  vom  Adel 
Karl  von  Yalois  und  Ludwig  von  Evreux,  des  Königs  Brüder'', 
ferner  der  Herzog  Robert  IL  von  Burgund  und  verschiedene  andere 
Grosse  teilnahmen.  Es  handelte  sich  um  die  kirchenpolitische  Frage. 
Wilhelm  von  Nogaret  hielt  eine  grosse  Anklagerede  gegen  den 
Papst,  in  welcher  er  die  Rechtmässigkeit  eines  Vorgehens  gegen 
Bonifaz  zu  erweisen  und  die  ^Notwendigkeit  eines  solchen  darzuthun 
suchte.  Er  legte  seinen  ganzen  Ausführungen  eine  Stelle  des 
zweiten  Petrusbriefes  zu  Grunde^  und  redete  folgendermassen: 

„Das  ruhmreiche  Haupt  der  Apostel,  der  heilige  Petrus,  hat 
uns  im  Geiste  redend^  die  Zukunft  vorausgesagt*^,  dass  nämlich,  wie 
früher  falsche  Propheten  waren,  so  auch  unter  uns  falsche  Lehrer 
sein  würden,  die  verderbliche  Sekten  einführen  würden,  durch  die 
der  Weg  der  Wahrheit  befleckt  würde,  und  die  aus  Habsucht  an 
uns  mit  trügerischen  Worten  Geschäfte  machten-,  und  hinzu  fügte 
er",  dass  diese  Lehrer  dem  Weg  Balaam's,  des  Sohnes  Bosor's,  nach- 


'  „In  regali  domo  de  Lupara";  vrgl.  H.  Geraüd:  „Paris  sous  Philippe  lo 
Bei"  (coli,  des  docum.  ined.,  Paris  1837)  367  f. 

-  Das  Protokoll  gedruckt  bei  Dupuy,  Diff.  pr.  56 — .59;  einzelne  Verbesse- 
rungen nach  der  beglaubigten  Abschrift  Arch.  nat.  J  490  ur.  749.  —  Solche 
Versammlungen  (vrgl.  über  sie  Lüchaire  501  f.)  hatten  im  Winter  schon  einige 
stattgefunden ;  Boutäric  25  f.  Unpräzis  sagt  Nogaret  in  einer  Schrift  vom 
Herbst  1304  (Dupuy  a.  a.  0.  244  nr.  XXXII),  er  habe  seine  Rede  Mittfasten 
vor  einem  .lahr  gehalten  (Mittfasten  1303  war  am   13.  März). 

^  Von  Sens  und  Narbonne. 

'  Von  Meaux,  Nevers  und  Auxerre,  alle  drei  Suffragane  des  Erz- 
bischofs von  Sens. 

^  Der  letztere  war  Philipp's  Stiefbruder,  der  Sohn  Philipp's  III.  und  seiner 
zweiten  Gemahlin  Maria  von  Brabant;  die  Mutter  Philipp's  IV.  und  Karl's  von 
Anjou  war  Isabella  von  Aragouien. 

•^  Die  ganze  Rede  ist  geradezu  gespickt  mit  biblischen  Aussprüchen  und 
Citaten;  die  betreffenden  Stellen,  auf  die  sich  Nogai-et  bezieht,  gebe  ich  im 
folgenden  an.  Die  litterarischen  Widersacher  der  Päpste  liebten  es  sehr,  ihre 
Werke  mit  Bibelsprüchen  zu  durchsetzen. 

'  1.  Kor.  14  2;  vrgl.  Apstlg.  2  4. 

**  2.  Petr.  2  1—3.  —  Lies:  „sie  et  in  nobis  erant  venturi  .  .  .,  per  quos 
via  veritatis  .  .  ." 

»  Ibid.  15—16. 


Nogarct's  Thütiokeit  in  ilfii  .laluTii   1300— ISOS.  49 

folgten,  welcher  den  Lolin  der  Ungerechtigkeit  liebte,  über  eine 
Zurechtweisung  seiner  Uebertretung  hatte,  das  Listbare  Spanntier ^, 
Avelches  mit  Menschenstimme  redete  und  die  Thorheit  des  Propheten 
aufdeckte.  Dies  alles,  wie  es  uns  von  dem  grössten  Bischof  sel})st 
verkündet  wurde,  sehen  wir  heute  buchstäblich  eingetroffen.  Denn 
es  sitzt  auf  dem  Stuhl  des  heiligen  Petrus  der  Meister  der  Lügen 
und  lässt  sich,  obgleich  er  in  jeder  Beziehung  ein  Bösewicht  ist, 
Bonifaz  nennen'-;  so  hat  er  einen  falschen  Namen  angenommen, 
und  obwohl  er  nicht  der  wahre  Vorsteher  und  Meister  ist-',  nennt 
er  sich  aller  jNIenschen  Herrn,  llichter  und  Meister.  Anders  für- 
wahr als  auf  die  gewöhnliche  AVeise,  welche  die  heiligen  Väter  fest- 
gesetzt haben,  dazu  entgegen  den  Regeln  der  Vernunft^,  und  so 
also  nicht  durch  die  Thür,  sondern  heimlich  ist  er  in  den  Schaf- 
stall des  Herrn  eingegangen,  weshalb  er  kein  Hirt  oder  iNIietling, 
sondern  vielmehr  ein  Dieb  und  Räuber  ist''.  Denn  bei  Lebzeiten 
des  wahren  Gemahls  der  römischen  Kirche''  berückte  er  denselben, 
der  einfachen  Sinnes  war,  mit  falschen  Schmeicheleien  und  Lügen, 
seine  Anvertraute  zu  verlassen  und  verleitete  ihn  von  der  Wahrheit 


*  Nämlich  den  bekannten  Esel  Bileams  (Balaameine  Nebenform  i'ür  Bileam); 
vrgl.  unten. 

-  Wortspiel  mit  „maleficus"  und  „Bouifacius".  —  Statt  nominari  lies 
uuncupa  ri. 

^  Lies  statt  nunc  nee. 

*  Diese  Berufung  auf  die  Vernuuftgesetze  ist  interessant  genug ;  etwas  der- 
artiges ist  im  Mittelalter  durchaus  selten ,  und  man  darf  hier  wohl  annehmen, 
dass  dies  ein  Einfluss  der  auf  den  französischen  Universitäten  gelehrten  rechts- 
philosophischen Anschauungen  ist.  Die  „lex  naturalis"  stammt  nach  Thomas 
von  Aquino  direkt  von  Gott,  weshalb  sie  über  alle  Meusclicusatzung  erhaben 
ist.  Die  Averroisten  gaben  der  Lehre  von  den  natürlichen  Walirlieiten  eine 
bestimmte  Spitze  und  bekämpften  mit  ihr  alle  geistliche  Belehrung  auf  welt- 
lichem Gebiet,  wo  eine  übernatürliche  Wahrheit  keine  Geltung  und  keine  Be- 
rechtigung habe.  (Reuter,  Geschichte  der  religiösen  Aufklärung  im  Mittelalter 
II,  174.)  So  berührten  sich  damals  die  geistigen  Kämpfe  der  Zeit  nahe  mit 
der  Politik  Philipi^'s  des  Schönen  und  ihren  materiellen  Zielen.  An  einer 
anderen  Stelle  (Dupuy,  Difi".  pr.  441,  unten)  redet  Nogaret  von  den  „i)raccepta 
iuris  naturalis,  iuris  divini  iurisque  canonici  et  civilis". 

^  Joh.  10  1—18.  —  In  ganz  ähnlicher  Weise  spricht  Sleidan  in  seiner  Rede 
an  die  Fürsten  (herausgeg.  v.  Böhmer,  98  f.)  von  Bonifaz  VIII.  Ein  Wieder- 
kehren derselben  Gedanken  in  den  Streitschriften  dieser  Jahrhunderte  hat  nichts 
Auttallendes  (sie  waren  zum  Teil  in  die  Bullen  Clemens'  V.  mit  übergegangen). 
Sleidan  polemisiert  gegen  den  Schlusssatz  der  Bulle  „Uuam  sanctam";  dasselbe 
geschieht  im  „Defensor  pacis"  (Goldast:  „Monarchia  s.  Rom.  imp."  II,  257 f.), 
hier  freilich  nicht  durch  einen  Angrilf  auf  das  ganze  Papsttum  Bonifaz'  VIII. 
und  ohne  Uebereinstimmung  mit  den  von  Nogaret  ausgesprochenen  Ideen. 
"  Nämlich  Cölestin's  V. 
R.  Holtzmaun,  Nogaret.  4 


50  3.  Kapitel. 

ah/ufallen,  die  da  ruft:  „Was  Gott  zusamraengefüget  hat,  das  soll 
der  Mensch  nicht  scheiden"*.  Und  schliesslich  legte  er  sogar  ge- 
waltsam Hand  an  ihn,  der  fälschlich  glauhte,  es  stamme  vom  heiligen 
Geist,  was  jener  Verführer  sprach,  und  schreckte  nicht  zurück,  sich 
die  heilige  Kirche,  die  Vorsteherin  aller  Kirchen,  unter  der  Be- 
hauptung, ihr  Gatte  zu  sein'^  —  was  er  doch  nicht  sein  konnte  — 
in  ruchloser  Umarmung  zu  eigen  zu  machen.  Und  doch  war  der 
wahre  römische  Papst,  Cölestin,  mit  seiner  Trennung  von  ihr 
nicht  einverstanden,  da  er  durch  so  viele  Hinterlist  irre  geleitet  war 
und  nichts  einer  Zustimmung  so  entgegengesetzt  ist  als  der  Irrtum, 
wie  schon  die  menschlichen  Satzungen  •'  bezeugen,  von  Gewaltthätig- 
keiten  dabei  ganz  zu  schweigen.  Aber  weil  der  Geist  weht,  avo  er 
wiin,  und,  wer  vom  Geist  Gottes  angetrieben  wird,  unter  keinem 
Gesetz  steht  '\  konnte  die  ganze  heilige  Kirche  Gottes,  die  ja  nichts 
von  den  Ränken  jenes  Betrügers  wusste,  schwanken  und  sich  fragen, 
ob  es  vom  heiligen  Geist  stamme,  dass  Cölestin  der  Herrschaft 
über  sie  entsagt  habe.  Und  so  ertrug  sie  den  Verführer  wegen  der 
Sünden^'  des  Volkes,  die  ein  Schisma  befürchten  liessen,  bis  man  nach 
der  Lehre  des  Herrn'  an  seinen  Früchten  erkennen  könne,  ob 
dieser  Mensch  vom  heiligen  Geist  oder  anderswoher  zur  Ober- 
leitung gelangt  sei.  Jetzt  aber  liegen  seine  Früchte,  wie  unten 
klärlich  folgt,  allen  offen  da;  aus  ihnen  können  alle  klar  erkennen, 
dass  er  nicht  von  Gott,  sondern  anderswoher  und  also  nicht  durch 
die  Thür  in  den  Schafstall  eingegangen  ist;  denn  seine  Früchte  sind 
die  allerverdprbensten  und  das  Ende  derselben  ist  der  Tod^.  Da- 
her ist  es  notwendig,  dass  ein  so  schlechter  Baum  nach  dem  Aus- 
spruch des  Herrn  ^  abgehauen  und  ins  Feuer  geworfen  werde.  Auch 
kann  es  jenen  nicht  entschuldigen,  was  von  einigen  hervorgehoben 
wird,  dass  sich  auf  ihn  die  Kardinäle  nach  dem  Tod  des  Papstes 
Cölestin  von  neuem  geeinigt  hätten,  da  er  doch  nicht  deren  Ge- 
mahl sein  kann,  die  er,  wie  bekannt,  bei  Lebzeiten  ihres  ersten 
Gatten,  da  das  Treuwort  schon  gegeben  war''',  durch  Ehebruch 
geschändet  hat.    Weil  nun   ein  Vergehen  gegen  Gott  zum  Schaden 

'  Matth.  19  a;   Marc.  10».     Auf  dasselbe   Bibelwoit    bezog   sich    im  Jahr 
vorher  Bouifaz;  Düpüy,  DiflF.  pr.  77. 

-  Lies:  „se  dicens  eius  coniugem." 

"  Leges  humauae,  d.  h.  wuhl  das  römische  Recht   (nach  welchem  ein  Irr- 
tum Rechtsgeschäfte  uugültig  macht). 

*  Job.  3  8.  •'  R.-im.  8  14-,  Gal.  5  is. 

"  Lies  statt  precibus  peccatis.  '  Matth.  7  le  u.  20. 

"  Rom.  621.  ■•'  Matth.  3  10,    7  19;  Luc  3  9. 

'"  Lies:  „fide  data  coniugii". 


Nogaret's  Thätiokoit  iu  den  Jalirou   1300—1303.  51 

aller  ausschlagen  iimsste,  und  weil  bei  einem  so  grossen  Verbrechen 
hauptsächlich  wegen  seiner  Folgen  jedernuinn  als  Zeuge  zugelassen 
wird,  auch  ein  Weib  oder  ein  Ehrloser',  nehme  ich  wie  jenes  last- 
bare Si)anntier^  durch  Gottes  Kraft,  nicht  durch  eigene,  die  Stimme 
eines  zur  Vollbringung  eines  solchen  Werks  befähigten  Menschen  an 
und  wehre  der  Tollheit  des  falschen  Propheten  Balaam,  der  bereit 
ist,  auf  das  Drängen  des  Königs  Balak,  d.  h.  des  Obersten  der 
Teufel,  dem  er  dient^,  in  Gottes  Xamen  das  vom  Herrn  gesegnete 
Volk  zu  verfluchen;  und  so  flehe  ich  Euch  an,  den  erhabensten 
Fürsten  und  Herrn  Philipp,  von  Gottes  Gnaden  König  von  Frank- 
reich, dass,  wie  der  Engel  des  Herrn  dereinst  dem  Propheten  Ba- 
laam, der  sich  anschickte  das  Volk  Gottes  zu  verfluchen,  mit  ent- 
blösstem  Schwert  in  den  Weg  trat,  so  jenem  Verderbenbringer,  der 
viel  schlimmer  ist  als  Balaam,  Ihr,  die  Ihr  zur  Vollstreckung  der 
Gerechtigkeit  gesalbt  seid,  und  eben  deshalb  wie  der  Engel  Gottes 
im  Dienste  Eurer  Macht  und  Pflicht  mit  entblösstem  Schwert  ent- 
gegentretet, auf  dass  er  nicht,  wie  er  will,  das  Unheil  des  Volks ^ 
vollenden  könne." 

.,  Erstens  behaupte  ich  nämlich,  dass  der,  welcher  sich  Bonifaz 
nennt,  nicht  Papst  ist,  sondern  dass  er  den  Sitz,  den  er  thatsäch- 
lich  innehält,  unrechtmässig  inne  hat,  zum  grössten  Schaden  aller 
Seelen  der  heiligen  Kirche  Gottes;  und  dass  sein  Eintritt  (zum 
Papat)  mit  Formfehlern  behaftet,  und  er  nicht  durch  die  Thür,  son- 
dern anderswoher  hineingekommen  und  daher  Dieb  und  Päuber  zu 
nennen  ist.  Zweitens  behaupte  ich,  dass  der  genannte  Bonifaz  ein 
offenbarer  Ketzer  ist,  der  durch  viele  Arten  von  Häresie,  wie  seiner 
Zeit  und  seines  Ortes  gezeigt  werden  kann,  von  der  Gemeinschaft 
der  heiligen  Kirche  völlig  geschieden  ist.  Drittens  behaupte  ich, 
dass  der  genannte  Bonifaz  ein  entsetzlicher  Simonist  ist,  wie  seit 
Beginn  der  Welt  keiner  war,  und  dass  dieses  sein  pestilenzialisches 


^  Nogaret  stellt  hier  das  in  Aussicht  genommene  Verfahren  gegen  Bonifaz 
auf  eine  Stufe  mit  dem  Ketzer- Inquisitionsprozess;  vrgl.  HiNSCHIUS 
Vi,  483. 

2  Das  folgende  nach  4.  Mos.  22  2-35.  Der  Prophet  Bileam  sollte  auf  Ver- 
langen des  Moabiterkönigs  Balak  die  Israeliten  verHuchen,  konnte  aber  über 
dieselben,  nachdem  seine  Eselin  geredet  und  der  Engel  des  Herrn  ihm  iu  den 
"Weg  getreten  war  und  ihn  gemahnt  hatte  ,  nur  einen  dreimaligen  Segen  aus- 
sprechen. —  Zu  lesen  ist:  „quasi  subiugale  iumentum." 

^  Nogaret  will  sagen,  der  Balak,  der  den  neuen  Bileam  Bonifaz  rufe,  sei 
Beelzebub,  der  Oberste  der  Teufel  Olatth.  O34,  1284-,  Marc.  322;  Luc.  11  15); 
denn  diesem  diene  Bonifaz  ebenso  wie  einst  Bileam  dem  Balak. 

*  Lies:  „nialum  populi". 

4* 


52  3.  Kapitel. 

Verbrechen  aller  AW'it  so  bekannt  ist,  dass  es  allen,  die  es  erkennen 
wiilien,  klar  vor  Auj;en  liegt,  nnd  er  sogar  in  öUentlicher  Lästerung 
bebaui)tete,  keine  Simonie  begeben  zu  können.  Viertens  bebaupte 
ich,  dass  der  genannte  Bonilaz  oflenkundig  in  zahllosen  ungeheueren 
Verbrechen  steckt  und  dabei  so  verstockt  ist,  dass  er  völlig  unver- 
besserlich im  Abgrund  der  Sünden  liegt,  sodass  es,  wenn  die  Kirche 
nicht  zerstört  werden  soll,  ferner  nicht  mehr  geduldet  werden  kann. 
Sein  Mund  fliesst  über  von  Verwünschungen^,  seine  Füsse  und 
Schritte  tragen  ihn  rasch  zum  Blutvergiessen^,  die  Kirchen,  die  er 
pHegen  sollte,  zerfleischt  er  völlig,  das  Gut  der  Armen  verprasst  er 
in  Schlechtigkeit,  ruchloser  Menschen,  die  ihm  Geschenke  bringen^, 
nimmt  er  sich  an,  Gerechte  verfolgt  er*,  über  das  Volk  herrscht  er 
statt  ihm  zu  dienen",  den  Kirchen,  dem  Volk  Gottes  und  den  Fürsten 
der  Völker  legt  er  schwere  Lasten  und  ein  unerträgliches  Joch  auf®, 
die  Niedrigen  verachtet  er,  die  Verirrten  verfolgt  er  unter  dem  Volk, 
sammelt  nicht,  wie  Christus,  sondern  zerstreut^,  führt  neue  und  uner- 
hörte verderbliche  Sekten  ein^,  befleckt  den  Weg  der  Wahrheit  und 
dünkt  sich  durch  Raub  unsrem  allezeit  gelobten  Herrn  Jesus  Chri- 
stus gleich.  Von  höchster  Habsucht  befallen  dürstet  er  nach  Gold, 
verlangt  er  nur  nach  Gold,  presst  er  erfinderischen  Geistes  von 
allem  Volk  Gold  heraus,  ja  unter  gänzlicher  Hintansetzung  der 
Gottesverehrung  macht  er  an  uns  allen  mit  trügerischen  Worten 
bald  durch  Schmeicheleien,  bald  durch  Drohen,  bald  durch  falsche 
Einrichtungen'*  Geschäfte,  auf  alle  neidisch,  vor  Eigenliebe ^°  nieman- 
den liebend,  Krieg  säend,  den  Frieden  seiner  Völker  verfolgend  und 
verwünschend,  des  Tempels  wahrer  Greuel,  den  Daniel,  der  Pro- 
phet des  Herrn,  beschrieben  hat"  ^^ 

„Deshalb  müssen  Waffen  und  Gesetze  und  alle  Elemente  sich 
gegen  ihn  erheben,  der  so  den  Stand  der  Kirche  verdreht,  wegen 
dessen  Sünden  Gott  die  ganze  Welt  geisselt,  für  den  es  bei  seiner 
Unersättlichkeit  nichts  giebt,  das  ihn  sättigen  könnte,  ausser  allein 
der  Hölle  unersättlichen  Schlund  und  unlöschbares,   stets  loderndes 


'  Ps.  10  7;  Rom.  3  14. 
-  Sprüche  Sal.  1  le-,  Jes.  59  7-,  Rom.  3  15. 
'  Vrgl.  hierzu  2.  Mos.  23  8-,  5.  Mos.  16  la;  Ps.  lös;  Jes.  523. 
*  Vrgl.  Matth.  5  10. 

•'  Vrgl.  1.  Petr.  Sa.  «  Matth.  23  4. 

■  Matth.   12  so;  Luc.   11  23. 

"  Hier  kehrt  Xogaret  wieder  zu  der  Stelle  aus  dem  2.  Petrusbrief  zurück, 
von  der  er  ausgegangen  ist. 

"  Nogarct  denkt  an  das  Jubiläum  (vrgl.  Drumann  II,  252  f.). 
'"  Lies:   „propter  sua".  "  Dan.  9  27,  11 31,  12  11. 


Nogaret's  Tliätigkeit  in  den  Jahren  1800—1303.  53 

Feuer.  Da  es  nun  angebracht  ist,  den  Schändlichen,  der  gleiclier- 
weise  Gott  und  die  Gemeinschaft  verletzt,  auf  einem  allgemeinen 
Konzil  durch  aller  Beratung  und  Urteil  zu  verdammen,  bitte  ich, 
ersuche  mit  aller  Inständigkeit  und  flehe  Euch  an,  mein  Herr  und 
König,  dass  Ihr  dies  den  Prälaten,  Doktoren  und  Völkern  wie 
auch  den  Fürsten,  unsren  Brüdern  in  Christo,  besonders  aber  den 
Kardinälen  und  allen  Prälaten  bekannt  gebt,  damit  ihr  alle  ein  all- 
gemeines Konzil  beruft,  auf  dem  nach  Verurteilung  jenes  Ruchlose- 
sten für  ein  neues  Haupt  der  Kirche  durch  die  ehrwürdigen  Kar- 
dinäle gesorgt  werde.  Vor  diesem  Konzil  erkläre  ich  mich  bereit, 
das  oben  Gesagte  in  rechtlicher  Weise  geltend  zu  machen.  Und  da 
der  genannte  Mensch  auf  der  obersten  Sprosse  steht,  so  dass  kein 
Höherer  ihn  unterdessen  suspendieren  kann,  und  er  deshalb  für  ipso 
facto  suspendiert  gelten  muss,  nachdem  auf  die  erwähnte  Weise  seine 
Sache  vor  Gericht  gezogen  ist:  flehe  und  ersuche  ich  um  Euret- 
und  der  Kardinäle  willen,  bitte  ich  auch  von  mir  aus  jetzt  sie  und 
die  Kirche  Gottes,  man  möge  jenen  Schändlichen  ins  Gefäng- 
nis legen  und  für  einen  Stellvertreter  der  römischen  Kirche  Sorge 
tragen,  der  das  Nötige  verwalten  möge,  bis  betreffs  eines  Papstes 
für  die  römische  Kirche  gesorgt  ist,  damit  jede  Möglichkeit  zu  einem 
Schisma  gänzlich  gehoben  sei  und  der  Schändliche  den  besagten 
Prozess  nicht  hindere  oder  verzögere.  Dies  aber  bitte  ich  von 
Euch,  mein  Herr  und  König,  indem  ich  behaupte,  dass  Ihr  dazu 
aus  mehreren  Gründen  gehalten  seid.  Erstlich  wegen  des  Glau- 
bens. Zweitens  wegen  der  Königswürde,  zu  deren  Pflicht  es  ge- 
hört, solche  ^  Verderbenbringer  auszurotten.  Drittens  wegen  des  Eid- 
schwures,  den  Ihr  zur  Verteidigung  der  Kirchen  des  Reichs  geleistet 
habt,  die  jener  Wüterich  gänzlich  zerreisst.  Viertens,  weil  Ihr 
dieser  Kirchen  Schutzherr  seid;  und  aus  diesem  Grund  seid  Ihr 
nicht  nur  zu  ihrer  Verteidigung  verpflichtet,  sondern  auch  zur 
Wiederherstellung  ihrer  Güter,  die  jener  verzettelt  hat.  Fünftens 
müsst  Ihr  den  Fnssstapfen  Eurer  Ahnen  folgen  und  unsre  Mutter, 
die  römische  Kirche,  von  einer  so  ruchlosen  Verbindung  befreien, 
in  der  sie  vergewaltigt  gefesselt  liegt." 

Auf  ausdrücklichen  Antrag  Nogaret's  \vurde  diese  Rede  zu  Pro- 
tokoll genommen  und  von  den  anwesenden  geistlichen  und  weltlichen 
Würdenträgern  bezeugt. 

Nogaret  redete  im  Einverständnis  mit  Philip})^:  seine  Ausfüh- 
rungen entsprechen  dem  Auftrag,  den  er  bereits  in  der  Tasche  hatte. 


*  Statt  omnes  lies  talcs.  -  Vrj'l.  den  Exkurs  1. 


54  3-  Kapitel. 

Wozu  Hess  ihn  der  König  auf  diese  Weise  in  einem  grösseren  Kreis  ^ 
auftreten?  Wir  werden  im  A'erlauf  unserer  Darstellung  noch  mehr- 
mals tinden,  dass  Philipp  sich  bei  wichtigen  Aktionen  den  Anschein 
gab,  erst  auf  dringende  Vorstellungen  seiner  Käte  sich  zu  einem 
Vorgehen  entschlossen  zu  haben.  Dies  schien  ihm  für  seine  Stel- 
lung sicherer.  Die  Räte  trugen  dann  nach  aussen  hin  die  Ver- 
antwortung, was  für  sie  bei  dem  thatsächlichen  Einvernehmen  mit 
dem  König  nicht  schwer  war.  So  auch  diesmal.  Philipp  hörte  die 
Ausfüiirungen  Nogaret's  an  und  sprach  zu  ihnen  kurz  seine  Zu- 
stimmung aus^;  er  erklärte  sich  dadurch  mit  einer  Untersuchung 
der  gegen  Bonifaz  gerichteten  Vorwürfe  einverstanden,  ohne  doch 
selbst  als  Ankläger  aufzutreten '^ 

Nogaret  stellte  sich  in  seiner  Rede  vollkommen  auf  den  Stand- 
punkt der  Colonna,  die  ja  schon  seit  Jahren  mit  dem  französischen 
Hof  in  Verbindung  getreten  waren.  Die  Behauptung,  Bonifaz  sei 
nicht  Papst,  da  eine  Abdankung  Cölestin's  rechtlich  unmöglich  ge- 
wesen sei,  war  für  ihn  schon  deshalb  eine  Notwendigkeit,  da  ein 
Vorgehen,  wie  er  es  im  Auge  liatte,  gegen  einen  Papst  damals  nicht 
mehr  möglich  war^.  Thatsächlich  ist  der  Standpunkt,  den  er  so 
einnahm,  natürlich  unhaltbar.  Wie  aber  steht  es  mit  den  anderen 
Anklagen  gegen  Bonifaz?  Manches  im  Leben  des  Papstes  mochte 
in  der  That  anstössig  sein'',  aber  es  ist  dennoch  nicht  zu  bezwei- 
feln, dass  Nogaret  viel  zu  starke  Farben  auftrug.  Es  ist  ja  be- 
greiflich, wenn  er  den  der  französischen  Politik  so  gelegen  kommen- 
den Anklagen  der  Colonna  mehr  Glauben  schenkte  als  sie  verdienten, 
und  man  wird  nicht  anzunehmen  haben,  dass  er  ganz  gegen  Wissen 
und  Gewissen  gesprochen  hal^e.  Das  Motiv  seines  Auftretens  waren 
aber  diese  angeblichen  Schlechtigkeiten  des  Bonifaz  nicht;  sie  waren 
nicht  einmal  für  Philipp,  auf  dessen  Wunsch  Nogaret  sprach,  der 
treibende  Beweggrund. 


'  Ausser  den  angeführten  Personen  nennt  das  Protokoll  noch  drei  und 
„mehrere  andere"  als  anwesend. 

-  Ddpuy,  Diff.  pr.  108  und  245  (nr.  XXXIII). 

•''  So  behaupteten  später  Nogaret  und  Plasiau  ausdrücklich,  Philipp  habe 
sich  nie  selbst  zum  Ankläger  gegen  Bonifaz  aufgeworfen;    Düpüy,  DifF.  pr.  375. 

*  Seit  dem  12.  Jhdt.  ist  der  Satz:  „apostolica  sedes  a  nemine  iudicatur" 
vollkommen  in  das  Rechtsbewusstsein  übergegangen-,  Hinschius  I,  304;  Vi, 
474.  Jetzt  ging  man  in  Frankreich  daran,  die  ältere  Auffassung,  wenn  auch 
nur  de  facto,  wieder  zur  Geltung  zu  bringen. 

•■•  Vrgl.  Drumanx  II,  229—237;  Hefele-Knöpfler  VI,  460—463. 


Nogaret's  Tliätigkeit  iu  ck-ii  .Julireu  1300—1303.  55 

6. 

Bald  nach  dem  12,  März  scheint  Nogaret  nach  ItaHen  auf- 
gebrochen zu  sein:  bei  den  folgenden  Ereignissen  in  Frankreich 
finden  wir  seinen  Xanien  nicht  mehr.  Ehe  wir  ilim  aber  über  die 
Alpen  folgen,  müssen  wir  einen  kurzen  Blick  auf  diese  Vorgänge 
werfen,  die  im  Sommer  1303  in  Frankreich  spielten  und  ihren 
Einfluss  auch  auf  das  Verhalten  Nogaret's  geltend  machten. 

Bonifaz,  der  mit  der  Antwort  des  Königs  auf  die  demselben 
durch  den  Kardinal  Le  Moine  überreichten  Beschwerden  äusserst 
unzufrieden  war^,  erklärte  im  April  1303-,  Philipp  sei  dem  Bann 
verfallen,  da  er  der  Geistlichkeit  den  Besuch  des  römischen  Konzils 
verboten  habe.  Nikolaus  von  Benefracta,  der  Kaplan  Le  Moine's, 
sollte  diesem  das  päpstliche  Schreiben  überbringen,  wurde  aber  zu 
Troyes  aufgegriften  und  in  Haft  gebracht^.  Der  Höhepunkt  des  Streites 
stand  bevor.  Ein  bezeichnendes  Symptom  hiefür  ist  es,  dass  beide 
Parteien  jetzt  mit  ihren  anderen  Gegnern  Frieden  schlössen.  Der 
weite  Kampf,  der  bisher  das  ganze  westliche  Europa  mit  seinen 
mannigffdtigen  Interessen  in  Anspruch  genommen  hatte,  verstummte 
vor  der  einen  grossen  Frage:  Philipp  oder  Bonifaz.  Der  Papst 
erkannte  am  30.  April  Albrecht  von  Oesterreich  als  römischen  König 
an^;  und  am  21.  Mai  bestätigte  er"  den  im  vorhergehenden  Jahr 
zwischen  Karl  von  Neapel  und  Friedrich  von  Sizihen  geschlossenen 
Vertrag,  wonach  das  vielumstrittene  Eiland  dem  aragonischen  Prinzen 
blieb,  an  dessen  Person  die  alte  Tradition  der  Hohenstanfen  haf- 
tete und  ein  Schimmer  ihres  glänzenden  Namens.  Philipp  anderer- 
seits schloss  am  20.  Mai  mit  England    einen  definitiven  Frieden  zu 


'  Vrgl.  die  Schreiben  bei  Potthast,  nr.  25  228  und  25  229. 

^  „Per  Processus  nostros",  ibid.  25  230.  Der  König  sei  eo  ipso  im  Bann 
(„latae  sententiae").  —  Als  Datum  wird  der  13.  wie  der  30.  April  angegeben. 
Eine  endgültige  Entscheidung  ist  unmöglich,  solange  das  Register  Bonifaz'  VIII. 
noch  nicht  vollständig  vorliegt.  Eine  Stelle  der  „Annales  Osterh  ovenses" 
scheint  für  den  30.  April  zu  sprechen,  da  nach  ihr  der  Bann  an  demselben  Tag 
fiel,  an  dem  König  Albrecht  von  Bonifaz  anerkannt  wurde  (Mon.  Germ.  SS. 
XVII,  553  ZI.  26—28);  an  einen  gleichzeitigen  Vorgang  denkt  auch  Nogaret, 
wenn  er  mehrfach  erzählt,  Bonifaz  habe  zwischen  Ostern  und  Pfingsten  (7.  April 
und  26.  Maij  1303,  an  dem  Tage,  wo  er  Albrecht  als  deutschen  König  aner- 
kannte, in  einem  Konsistorium  die  Vernichtung  Frankreichs  angekündigt  (Dupdy, 
Diff.  pr.  383,  440,  517). 

3  Rayn-ald  XXIII,  493  (1311,  nr.  47);  Johann  v.  St.  Viktor,  Rec.  des 
hist.  XXI,  639  f. 

'  Vrgl.  die  Schreiben  bei  I'otthast,  nr.  25  234 — 25  238. 

*  ibid.  25  245  (und  25  265). 


56  3.  Kapitel. 

Paris,  in  welchem  Eduard  C>uiemie  und  (Juscogne  als  französische 
Lehen  behielt';  auch  in  Fhmdern  unterblieben  alle  grösseren  Ak- 
tionen. 

Im  Juni  130. 3  hielt  Philipp  im  Louvrc  abermals  eine  Ver- 
sammlung al),  zu  welche!'  die  geistlichen  und  weltlichen  Grossen 
in  stattlicher  Zahl  erschienen-.  Zwei  Sitzungen  wurden  abgehalten. 
In  der  ersten,  Donnerstag  den  13.  Juni,  klagten  die  Grafen 
liudwig  von  Evreux,  Guido  von  Saint-Paul,  Johann  von 
Dreux  und  der  Ritter  Wiliielm  von  Plasian'^  den  Papst  an  und 
baten  den  König,  als  Streiter  für  die  Sache  Gottes  die  Kirche 
zu  schützen  und  für  die  Berufung  eines  Konzils  Sorge  zu  tragen; 
vor  diesem  versicherte  Plasian,  seine  Behauptungen  beweisen  zu 
wollen.  Er  war  es  überhaupt,  der  die  Bolle  des  abwesenden  Nogaret 
übernommen  hatte,  wie  dieser  ein  Legist  und  Ritter  des  Königs, 
der  ihm  die  Herrschaft  Vezenobres^  verliehen  hatte.  In  der  am  fol- 
genden Tag  abgehaltenen  zweiten  Sitzung  trat  Plasian  mit  einer 
grossen  Anklageschrift  gegen  Bonifaz  auf,  in  welcher  er  in  29  Ar- 
tikeln seine  Beschuldigungen  im  einzelnen  ausführte;  zum  Schluss 
machte  er  sich  wieder  anheischig,  alles  auf  einem  Konzil  beweisen 
zu  wollen,  dessen  Veranstaltung  er  vom  König  unter  ausdrücklicher 
Berufung  auf  die  Rede  Nogaret's  dringend  forderte.  Philipp  er- 
klärte hierauf,  nach  dem,  was  jetzt  Plasian  und  schon  früher  Nogaret 
ausgesagt  hätten,  sei  auch  er  von  der  Notwendigkeit  eines  Konzils 
überzeugt  und  auch  er  appelliere  an  dasselbe  allen  Feindseligkeiten 
gegenüber,  die  Bonifaz  unternehmen  werde.  Sämtliche  Anwesenden 
schlössen  sich  dem  Appell  an  das  Konzil  an,  die  Geistlichkeit  er- 
klärte   am    folgenden   Tag   (15.  Juni)    nochmals   ausdrücklich,   dem 

*   DrUMANN  I,    136 f.;   BOUTARIC   402 f.;   JOLLY    135. 

-  DoPüY,  Diff.  pr.  101 — 109;  vgl.  auch  Hüfler  78.  Es  waren  anwesend 
5  Erzbischöfe  (worunter  Gerhard  von  Nikosia  auf  Cyperu),  21  Bischöfe,  11  Aebte, 
einige  Ordensgrosse,  königliche  Ritter,  Rechtsgelehrte  und  Vertreter  der  Uni- 
versitäten. Dass  der  dritte  Staud  nicht  vertreten  war,  hat  Boutaric  27 f.  ge- 
zeigt; diesem  Nachweis  sei  hier  noch  hinzugefügt,  dass  der  Fortsetzer  des  AVil- 
helm  von  Nangis  die  betreffende  Nachricht  aus  mehreren  Stellen  der  Bulle 
„Rex  gloriae"  (27.  April  1311)  zusammeugestoppelt  hat  (vgl.  Exkurs  I),  in  den 
Quellen  dieser  Bulle,  den  Apologieen  Nogaret's,  aber  von  einer  Vertretung  der 
Städte  nirgends  die  Rede  ist.  —  Es  sei  hier  bemerkt,  dass  der  Ausdruck  „par- 
lamentum"  in  den  (Quellen  sowohl  für  die  Reichsstände  (Düpuy,  Diff.  pr.  6ö) 
als  für  die  Versammlungen  des  Jahres  1303  gebraucht  wird;  diejenige  des 
Juni  heisst  als  die  grössere  oft  „parlamentum  publicum";  ,.p.  generale"  u.  ä.; 
vrgl.  Di'puY,  Diff.  pr.  245,  296,  375,  437,  578,  594. 

■'  Hist.  de  Lang.  X,  notes  59  (nr.  X);  Renan  314 f. 

'  Languedoc;  heute  Dspt.  Uard,  Arr.  Alais. 


Nogaret's  Thätigkeit  iu  don  Jahren  1300—1303.  57 

König  gegen  jedermann  beizustehen,  auch  gegen  Bonifaz,  und  wieder- 
holte die  Berufung  auf  das  Konzil'. 

Vergleicht  man  die  beiden  Versammlungen  vom  März  und  .luni 
1303,  so  wird  man  einen  gewissen  Wechsel  in  der  Politik  des  Königs 
zunächst  nicht  verkennen  können.  Nogaret  hatte  verlangt,  dass 
Bonifaz  in  den  Kerker  geworfen  werde  und  ein  Vikar  den  Zu- 
sammentritt eines  Konzils  veranlassen  möge.  Anders  Plasian,  der 
doch  wohl  wie  Nogaret  im  Einverständnis  mit  dem  König  sprach. 
Von  einer  vorherigen  Absetzung  oder  gar  Gefangennahme  des  Papstes 
ist  keine  Kede  mehr,  und  aus  den  folgenden  Massnahmen  Philipp's 
wird  vollends  klar,  dass  dieser  nunmehr  wenigstens  offiziell  vorgab, 
den  Papst  das  Konzil  bernfen  lassen  zu  wollen.  Und  erwägt  man, 
dass  der  König  nun  sofort  eine  Beistimmungserklärung  seiner  Geist- 
lichkeit erhielt,  wovon  nach  der  Versammlung  vom  März  nichts  ver- 
lautete, so  wird  man  wohl  hierin  den  Grund  des  angedeuteten  Unter- 
schieds der  Reden  Nogaret's  und  Plasian's  suchen  dürfen.  Für  ein 
Vorgehen,  wie  es  der  König  im  März  durch  Nogaret  anregen  Hess, 
konnte  er  die  Einwilligung  seiner  Geistlichkeit  nicht  erhalten;  nichts- 
destoweniger wurde  Nogaret  mit  einer  seinen  Ausführungen  ent- 
sprechenden Instruktion  nach  Italien  geschickt.  Philipp  aber,  dem 
es  darauf  ankam,  alle  Stände  seines  Reiches  auf  seiner  Seite  zu 
haben,  Hess  in  einer  zweiten  Versammlung  die  Ansicht  vertreten, 
dass  Bonifaz  selbst,  und  nicht  ein  Vikar,  dessen  Einsetzung  ein 
grober  Verstoss  gegen  das  Kirchenrecht  gewesen  wäre,  das  Konzil 
berufen  solle,  und  nun  erhielt  er  die  Zustimmung  des  Klerus.  Der 
Umstand,  dass  das  Protokoll  der  Versammlung  vom  Juni  noch  heute 
neunmal  im  Pariser  Archiv  liegt ^,  zeigt,  wie  sehr  Philipp  an  einer 
Verbreitung  seines  Inhalts  gelegen  war.  Aber  erst  nachdem  er  die 
Zustimmung  der  Geistlichkeit  erhalten  hatte,  wandte  er  sich  auch  an 
die  anderen  Stände.  Dass  thatsächlich  doch  die  allein  zum  Ziel  füii- 
rende  Politik,  die  der  König  im  März  gutgeheissen  hatte,  inne- 
gehalten wurde,  dafür  sollte  Nogaret  sorgen,  der  aber  dann  alles, 
was    er    that,    nach   aussen    hin    auf  eigene  Verantwortung   nehmen 

*  DuPüY,  Diff.  pr.  112  f.  Bezeichnender  Weise  fehlt  von  den  am  14.  Juni 
anwesenden  Prälaten  diesmal  der  Cistercienserabt  (wofür  er  bald  daraiil'  inhaftiert 
wurdej,  während  der  Bischof  von  B<':ziers  hinzugekommen  ist.  Die  Kundgebung 
erfolgte  sicher  auf  Wunsch  Philipp's,  ganz  ühertriel)eu  ist  es  aber,  wenn  die 
Chronik  von  Orvieto  (ed.  Döllinger  350,  ed.  Himmelstkrn  33)  berichtet,  die 
Geistlichkeit  habe  die  gegen  Bonifaz  gerichteten  Artikel  l^eschwöreu  müssen, 
ehe  sie  dieselben  gelesen  hatte.  Eine  weitere  Adliäsiunsurkunde  der  Bischöfe 
von  Beziers,  Agde  und  Lodcve  vom  3.  Juli   1303  Arch.  uat.  J  4H<J  nr.  3(J8. 

-  Arch.  nat.  J  479  nr.  14  i-o. 


Ö8  3.  Kapitel. 

niusste.  Pliilij)!)  hatte  nun  auf  diese  Weise  einen  Rechtsstaiulpunkt 
für  sein  nach  wie  vor  geheim  gehaltenes  Unternehmen  gefunden, 
einerlei,  ob  derselbe  für  einen  sich  streng  nach  dem  kanonischen 
Kecht  richtenden  Beurteiler  haltbar  war  oder  nicht.  Der  König 
und  die  Versammlung  hatten  den  ganzen  Zwist  der  Entscheidung 
eines  zu  berufenden  allgemeinen  Konzils  anheimgestellt  und  aus- 
drücklich bemerkt,  dass  weitere  Massnahmen  des  Papstes  in  dieser 
Sache  für  sie  nun  keine  Gültigkeit  mehr  hätten,  da  ja  dieser  Papst 
nur  mehr  Partei  war,  wie  der  König  auch,  und  nur  das  Konzil  noch 
den  einen  wie  den  anderen  richten  konnte.  Die  Forderung,  dass  das 
Konzil  in  Lyon  abgehalten  werde  ^,  durfte  Philipp  natürlich  nicht 
oftiziell  erheben;  dass  ihr  thatsächlich  stattgegeben  und  so  von  vorne- 
herein ein  Sieg  des  Königs  gewiss  gemacht  werde,  dafür  sollte  eben 
Nogaret  Sorge  tragen. 

Es  gelang  dem  König,  die  ganze  Nation  um  sich  zu  scharen. 
Eine  Volksversammlung  schloss  sich  am  24.  Juni  unter  lautem 
Beifall  seiner  Appellation  an-,  und  noch  vor  Ende  September  hatte 
Philipl)  über  700  zustimmende  Erklärungen  aus  allen  Teilen  seines 
Keichs  in  Händen-'.  Damit  war  es  jedoch  noch  nicht  genug.  Auf 
ein  allgemeines  Konzil"^  hatte  er  sich  berufen,  er  musste  sich  da- 
her auch  an  andere  Nationen  und  vor  allem  nach  Rom  wenden. 
Die  diesbezüglichen  Schreiben  Philipp's  an  den  König  von  Portugal, 
an  die  Stände  Spaniens,  Portugals  und  Navarras,  an  die  Städte 
Italiens  und  an  die  Kardinäle  sind  uns  erhalten  ■\  Aber  noch  mehr. 
Wir  sahen,  welche  Schwenkung  die  königUche  Politik  der  Geistlich- 
keit wegen  wenigstens  angeblich  genommen  hatte.  Philipp  musste 
sich  daher  zum  mindesten  den  Anschein  geben,  den  Papst  zur  Be- 
rufung des  Konzils  bewegen  gewollt  zu  haben;  denn  von  dem  Auf- 
trag,  mit  dem  Nogaret   in  Italien  weilte,   sollte   die  üeffentlichkeit 

'  Vrgl.  Exkurs  I. 

-  Vrgl.  über  sie  Laxglois  im  Eull.  de  la  soc.  de  l'hist.  de  Paris,  sept.- 
oct.  1888. 

"  DuPDY,  Dill',  pr.  109—180;  Hist.  de  Lang.  IX,  247.  Die  grosse  Serie 
dieser  Adliäsiousurkiuideu  in  fast  ununterbrochener  Reihe  in  den  Arch.  nat. 
.T  478  nr.  1  bis  J  490  nr.  707  (wobei  sich  vielfach  gleiche  Hände  nachweisen 
lassen).  Arch.  nat.  J  488  nr.  596  werden  80  Aebte  und  20  Prioren  aufgezählt, 
die  sich  der  Appellation  anschlössen.  Nur  17  Abteien  (worunter  6  der  Cister- 
cienser)  sollen  sich  geweigert  haben,  ihre  Zustimmung  zu  geben.  Arch.  nat. 
.T  488  nr.  595  ein  Verzeichnis  der  Franziskaner,  von  denen  68  der  Appellation 
zustimmten,  87  nicht;  unter  letzteren  befinden  sich  nur  „fratres",  unter  ersteren 
zwei   „magistri". 

'  „Generale  concilium";  Dupuy,  Dil!",  pr.  106,   124, 

"  DüPDY,  Diff.  pr.  124—127. 


Nogaret's  Tliütigkoit  in  di'ii  Jahren  1300—1303.  59 

nichts  erfahren.  Deshalh  ordnete  er  den  Prior  von  Ohiesa, 
Peter  von  Peredo,  an  Bonifaz  ab',  indem  er  ilini  den  oi'li/.iellen 
Auftrag  gab,  den  Papst  von  der  Appellation  zu  benachrichtigen  und 
die  Berufung  eines  allgemeinen  Konzils  zu  verlangen;  könne  er  nicht 
zu  Bonifaz  gelangen,  so  hiess  es  bezeichnender  Weise  weiter,  so 
solle  er  die  Appellation  in  Rom  und  anderen  Städten  Italiens  an 
die  Kirchenthüren  schlagen.  Das  an  den  Papst  gerichtete  Schreiben 
ist  uns  nur  in  der  nach  dem  Tod  des  Bonifaz  nicht  unwesentlich 
veränderten  Fassung  erhalten.  Wir  haben  aber  zu  der  Annahme 
Grund,  dass  der  Prior  auch  eine  geheime  Instruktion  erhielt,  näm- 
lich die,  sich  zuerst  mit  Nogaret  zu  verständigen,  diesen  von  den 
Ereignissen  des  Juni  in  Kenntnis  zu  setzen  und  ihn  aufzufordern, 
zur  Rechtfertigung  seines  Vorgehens  gegen  Bonifaz  vorzugeben,  vom 
König  eben  den  Auftrag  erhalten  zu  haben,  mit  dem  Peter  von 
Peredo  jetzt  über  die  Alpen  geschickt  wurde:  auch  Nogaret  stellte 
sich  von  nun  an  offiziell  in  den  Dienst  der  Pariser  Beschlüsse  vom 
Juni  1303,  und  es  gelang  ihm,  für  die  angewandte  Gewalt  allerhand 
beschönigende  Worte  zu  finden. 

Im  übrigen  wiederholte  Philipp  seine  gegen  Rom  gerichteten 
Verordnungen-  und  traf  alle  Vorbereitungen,  die  seine  Lage  er- 
forderte. Wenn  auch  in  diesen  Tagen  vor  der  Entscheidung  num- 
cher  Gewaltakt  vorgekommen  sein  mag'^,  so  kann  man  sich  doch 
der  BewHinderung  nicht  enthalten  vor  der  Politik  des  französischen 
Königs,  der  den  gefassten  Entschluss  mit  unerbittlicher  Konsequenz 
durchführte  und  alle  Kräfte  seines  Volkes  in  seinen  Dienst  zu  stellen 
verstand.  Nur  mit  Staunen  kann  man  die  vielen  Aktenstücke  durch- 
blättern, die  dem  Staatsoberhaupt  aus  allen  Ständen,  von  nah  und 
fern  die  Zustimmung  aussprechen  „ä  tout  ce  (jue  le  Roy  avoit  re- 
solu  de  faire  eu  Taftaire  contre  Boniface".  Es  kann  keinem  Zweifel 
unterliegen,  dass  die  Ereignisse  dieser  sturmvollen  Zeit  bei  dem 
französischen  Adel  wie  der  gallikanischen  Kirche,  bei  allen  Univer- 
sitäten und  in  allen  Städten  des  Königreichs  ein  Gefühl  der  Zu- 
sanmiengehörigkeit  geweckt  hatten,  wie  es  bis  dahin  in  Frankreich 
noch  nicht  verspürt  war.  Und  wenn  man  sieht,  wie  dem  erstarkten 
und  von  nationaler  Kraft  getragenen  französischen  Königtum  und 
seiner  festen  Politik  gegenüber  der  Papst  die  Juni-  und  Julitage  1303, 
als  Nogaret  bereits  in  Italien  war,  unthätig  in  Aiuigni  zul)rachte, 
weil  er  in  Rom  dem  Zwiespalt  und  Zank  der  i'arteien  hatte  weichen 

'  Vrgl.  über  diese  Gesandtschaft  den  Exkurs  I  (Schhiss). 
-  DuPUY,  Diff.  pr.  99f.,  131  f.,  133. 
•'  Vrgl.  BouTARic  111. 


CO  3.  Kapitel. 

müssen,  so  kann  man  sagen,  tlass  der  Ansgang  des  Kami)fs  im  vor- 
aus kaum  zweifelhalt  war. 

7. 

lieber  die  Zeit  der  Abreise  Nogaret's  und  der  anderen 
Gesandten  fehlen  uns  genauere  Angaben.  Mitte  Juni  1303  weilte 
er  bereits  in  Oberitalien  ^  und  es  ist  wohl  anzunehmen,  dass  er  nicht 
allzu  lang  nach  erhaltener  Vollmacht  Paris  verliess,  auch  wenn  eine 
anonyme  Chronik-  die  Abreise  erst  um  Pfingsten  (26.  Mai)  ansetzt. 
Auch  über  den  Weg,  den  die  Gesandten  einschlugen,  haben  wir 
keine  Kenntnis-'.  In  Oberitalien  werden  uns  die  Lombardei' 
und  die  Romagna'"'  als  von  ihnen  berührt  bezeichnet,  ohne  dass 
diese  Angaben,  und  besonders  die  letztere,  über  allen  Zweifel  er- 
haben wären.  Der  erste  Ort,  wo  wir  die  vier  mit  Sicherheit  nach- 
weisen können,  ist  Florenz.  Da  es  sich  darum  handeln  musste, 
das  zu  dem  Unternehmen  nötige  Geld  zu  erhalten  und  das  Haupt- 
bankhaus des  französischen  Königs  in  Italien  das  der  Peruzzi  in 
Florenz*^  war,  wandten  sich  denn  auch  seine  vier  Gesandten  zu- 
nächst hierhin";  einer  der  italienischen  Spiessgesellen  Xogaret's  quit- 
tierte im  Oktober  1312  über  lOOÜO  Florens,  die  er  für  seine  bei 
Anagni  geleisteten  Dienste  bei  den  Peruzzi  erhoben  hatte. 

Nachdem  sich  die  Gesandten  in  Florenz  mit  hinreichenden  Geld- 
mitteln versehen  hatten,  begannen  sie  unter  den  vielen  Grossen  und 
Kleinen  des  Landes  Anbänger  zu  suchen  und  Truppen  zu  werben. 
Hierzu  benützten  sie  zunächst  als  Stützpunkt  Staggia*^,  das  Schloss 
Musciatto's,  bei  Poggibonsi  südlich  von  Florenz  gelegen.  Die  vor- 
nehmste Gefolgschaft  fanden  sie  begreiflicherweise  in  denColonna.  Diese 
waren,  wie  wir  wissen,  in  Italien  des  Papstes  erbittertste  und  mächtigste 
Gegner  und  sollten,  treu  ihrer  alten  ghibellinischen  Tradition,  auch 

'  Er  sagt  dies  selbst  mehrfach;  vrgl.  im  Exkurs  I. 

-  Rec.  des  hist.  XXI,  148  F. 

^  Sicher  abzuweisen  ist  die  Angabe  bei  Johann  von  Viktring  (Böhmer, 
Fontes  I,  346),  wonach  die  Colonna  zusammen  mit  Nogaret  zu  Schill'  nach  der 
Gegend  von  Aiiagui  gefahren  seien.  Die  Gesandten  gingen  vielmehr  zu  Land 
(vrgl.  auch  Gottfried  von  Paris,  Rec.  des  hist.  XXIf,  lOti  J,  Vers  1845)  nach 
Florenz,  und  erst  in  Italien  trat  Nogaret  mit  Sciarra  in  Beziehung  (vrgl.  unten). 

*  Gottfried  von  Paris  a.  a.  0.  106  K,  Vers  1848. 

*  Johann  von  Noyal,  Rec.  des  hist.  XXI,  19.ö  F. 
"  Vrgl.  BouTARic  311. 

^  DUPUY,  Dift'.  pr.  609;  Villani,  ed.  Dragomanni  II,  79.  (Vilt.ani  war 
selbst  bei  dem  Bankhaus  der  Peruzzi  beteiligt;  Neues  Archiv  XXII,  744.) 

Villani  a.  a.  0.  —  Staggia  liegt  über  dem  gleichnamigen  Flüsscheu 
an  der  Strasse  von  Poggibonsi  nach  Siena,  8  km  südlich  von  Poggibonsi,  nahe 
der  alten  Grenze  zwischen  Florenz  und  Siena,  auf  Florentiner  Gebiet. 


Nogaret's  Tliätigkeit  in  ileu  Jahren   lüÜO— 1303.  61 

jetzt  bei  dem  Schlag  gegen  den  römischen  Oberpriester  nicht  fehlen. 
In  militärischer  Hinsicht  stand  damals  der  schon  erwähnte  Sciarra 
Colonna  an  der  Spitze  der  Familie;  mit  ihm  setzte  sich  Nogaret 
daher  in  erster  Linie  in  Verbindung.  Sciarra  übernahm  die  Ver- 
mittlung bei  den  Unterhandlungen  mit  den  (ihibellinen  und  sonstigen 
Gegnern  des  Papstes,  er  war  es,  der  die  sjjäter  gebildete  Truppen- 
macht einheitlich  organisierte  und  befehligte^;  daher  ist  es  zu  er- 
klären, wenn  besonders  einige  italienische  Quellen  ihn  und  die  Co- 
lonna allein  bei  dem  ganzen  Unternehmen  nennen^.  Nogaret  be- 
hauptete später^,  nicht  er  habe  die  Verhandlungen  mit  Sciarra 
angeknüpft,  sondern  dieser  mit  ihm;  eine  Angabe,  auf  die  weiter 
nichts  zu  geben  ist:  die  beiden  waren  von  vorneherein  aufeinander 
angewiesen. 

Nehmen  wir  an,  das  Peter  von  Peredo  mit  den  anderen  für 
Italien  bestimmten  Gesandten^  von  Paris  aufbrach,  so  mag  er  in 
den  letzten  Tagen  des  Juli  bei  Nogaret  in  Staggia  eingetroffen  sein. 
Dieser  zog  nun,  vermuthlich  mit  dem  Prior,  nach  Rom'',  wo  er  in 
der  ersten  Augustwoche  angelangt  sein  wird.  Es  scheint,  dass 
Peter  nun  wirkhch  in  Anagni  vorgelassen  zu  werden  bat";  wenig- 
stens erforderte  dies  sein  Auftrag,  und  die  päpstlichen  Erlasse 
vom  15.  August"  erklären  sich  am  leichtesten  als  eine  Antwort 
auf  die  Zumutungen  des  französischen  Königs.  Bonifaz  beschwerte 
sich  hier  bitter  über  die  im  Juni  zu  Paris  gegen  ihn  erhobenen  An- 
klagen und  die  „frivole"  Appellation  und  ergriff  verschiedene  Mass- 
regeln gegen  den  König  und  seine  Anhänger.  Persönlich  empfangen 
wurde  der  Prior  vom  Papst  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  überhaupt 
nicht;  Bonifaz  wusste  auch  so  sein  Anliegen,  was  bei  der  durch  die 
verschiedenen  Gesandtschaften  Philipp's  in  ganz  Italien  gegen  ihn  in 

^  Dino  Compagni,  ed.  Del  Lüngo  III,  181  ZI.  21—23;  Ferreto  von 
Vicenza,  bei  Müratori  IX,  1003  B. 

2  So  die  Annalen  von  Parma  (Mon.  Germ.  SS.  XVIII,  729  ZI.  10—22) 
u.  a.;  vrgl.  auch  E.  Michael  in  der  Zeitschr.  für  katliol.  Theologie  XVI,  367 
bis  372. 

^  DcPUY,  Diff.  pr.  518. 

*  An  die  Kardinäle  waren  die  Ritter  Wilhelm  von  Chatenay  uud  Huf,'o 
von  La  Celle  abgeordnet,  an  die  italischen  Städte  die  Magistren  Johann  Bri- 
tonis  und  Matthäus  von  Courtes;  Dupuy,  Diff.  pr.  126  f.  Die  Vollmacht  der 
Gesandten  an  die  Kardinäle  ist  vom  1.  .luli  datiert. 

=*  DüPt;y,  Diff.  pr.  245  (nr.  XXXVI),  297;  Gottkried  von  Paris,  Reo.  des 
bist.  XXII,  106  K  (Vers  1849). 

''  AVoraus  dann  Xogaret  später  die  Behauptuug  machte,  er  selijst  habe 
beim  Papst  um  Audienz  gebeten;   Dupuy  a.  a.  O.  und  246  (ur.  XL),  255,  383. 

^  Potthast,  nr.  25276—25281. 


()2  3.  Kapitfl. 

iSzt'ue  gesetzten  Agitation  nicht  Wunder  nehmen  kann.  Seinem 
Auftrag  gemäss  schlug  Peter  von  Peredo  nun  die  Beschlüsse  vom 
.luiii  in  Rom  und  an  anderen  Orten  an  die  Kirchenthüren  an'. 

Rom  mag  es  auch  gewesen  sein,  von  wo  aus  sich  Nogaret  mit 
Karl  von  Neapel  in  \'erl)indung  setzte'-.  Dieser  war  mit  Boni- 
taz  zerlallen  '  und  stellte  sich  gern  auf  die  Seite  seines  Verwandten 
auf  <lem  französischen  Königsthron.  Während  heinahe  zweier  Jahr- 
hunderte regierten  die  Anjou  in  Neapel,  wohin  sie  die  päpstliche 
Gunst  geführt  hatte;  aher  nie  gingen  sie  auch  nur  einen  Augenblick 
länger  mit  dem  Papst  Hand  in  Hand,  als  es  in  ihrem  Interesse  lag. 

Von  Rom  aus  begab  sich  Nogaret  weiter  in  das  latinische 
(lehiet.  In  der  Folge  tritt  uns  von  den  französischen  Gesandten 
nur  noch  er  entgegen.  Von  Peter  von  Peredo  hören  wir  erst  einen 
Monat  nach  dem  Ueberfall  von  Anagni  wieder  etwas,  während  von 
den  drei  Mitgesandten  Nogaret's  überhaupt  nirgends  mehr  die  Rede 
ist.  Vermutlich  blieben  alle  vier  in  Rom  oder  der  Umgegend'*,  damit 
Nogaret  in  der  römischen  Campagna  möglichst  wenig  Aufsehen 
errege.  Jedenfalls  waren  er  und  zwei  seiner  Diener  die  einzigen 
Franzosen,  welche  Anagni  betraten^. 

Seit  Bonifaz  die  Macht  der  Colonna  zerschlagen  hatte,  war 
er  mit  wachsendem  Erfolg  bemüht  gewesen,  seinem  Neffen  Peter 
Gaetani   im   südlichen  Latium    eine    grosse  Nepotenmacht   zu  ver- 

^  In  einer  Urkunde  Philipp's,  deren  Verfasser  Nogaret  ist,  schreibt  dieser 
von  den  Gesandten  (Dupuy,  Diff.  pr.  297):  „Nichilominus  Romae  et  in  aliis 
locis  opportunis  super  praemissis  protestationes  fecerunt  sub  attestatione  publica, 
et  scripturas  et  cartas  i-equisitionis  tenorem,  qua  ipsum  requisivissent,  si  facul- 
tas adesset,  cum  insertis  protestationibus  continentes  in  plerisque  civitatibus 
publicarunt."  Hier  wie  auch  in  einer  angeblichen  Bulle  vom  Frühjahr  1311 
(ibid.  596)  beruft  sich  Nogaret  offenbar  auf  die  Veranstaltungen  Peter's  von 
Peredo. 

-  Nogaret  bei  Dupuy,  Dift".  pr.  2.55,  441.  Der  hier  genannte  „König  von 
Sizilien"  ist  Karl  von  Neapel,  der  diesen  Titel  weiter  führen  durfte,  während 
Friedrich  sich  „von  Trinacria"  nannte  (Drumann  I,  63 f.);  daher  kann  Nogaret 
den  „König  von  Sizilien"  1310  auch  „kürzlich  gestorben"  nennen  (Karl  f  1309, 
Friedrich  f  1337).  So  ist  auch  Gottfried  von  Paris  (a.  a.  0.  107  A — C,  Vers 
1858 — 68)  zu  verstehen;  in  Neapel  selbst  war  aber  Nogaret  nicht. 

'  Vrgl.  Ferreto  von  Vicenza  a.  a.  0.  1002  B— C. 

'  Es  kann  sein,  dass  sie  erst  auf  die  Kunde  von  der  Vertreibung  Noga- 
ret's aus  Anagni  Rom  verliessen;  auch  ist  möglich,  dass  wenigstens  Musciatto 
in  Staggia  geblieben  war,  um  den  Rückzug  zu  decken. 

■'  Nogaret  sagt  dreimal  (Dupuy,  Diff".  pr.  246  XLV,  257,  Arch.  nat.  J  908, 
nr.  6),  es  seien  aus  seinem  Vaterland  nur  „duo  scutiferi  seu  domicclli"  mit  in 
Anagni  gewesen,  und  er  habe  sonst  von  den  Leuten  seiner  Partei  fast  niemanden 
gekannt. 


Nogarot's  Tluitigkeit  iu  den  .Julircii  13(j0— 13ü;3.  63 

Schäften ^  Bald  war  der  „Marquis"  (marchio,  IMarchese),  wieder 
Nepote  kurz  genannt  wurde,  in  dieser  Gegend  bei  weitem  der  mäch- 
tigste Mann.  Von  den  Schhichten  des  Monte  VigHo  über  di(!  frucht- 
bare Ebene  des  Sacco  und  im  Gebiet  der  Pontinischcn  Süm})fe  higen 
seine  Besitzungen  zerstreut,  und  am  Meer  waren  Astura  und  San 
Feiice,  die  feste  Burg  auf  dem  circeischen  Vorgebirge,  die  Stützen 
seiner  Macht.  Man  wird  es  daher  nicht  wunderbar  linden,  wenn 
die  Gaetani  in  diesen  Gegenden,  wo  sie  Emporkömmlinge  waren, 
überall  zahlreiche  Feinde  hatten.  Bonifaz  scheint  dieselben  unter- 
schätzt zu  haben:  er  glaubte  sich  in  seiner  Vaterstadt  Anagni, 
wo  er  seit  Mitte  Mai  weilte,  rings  von  den  Besitzungen  seines  Neffen 
umgeben,  allzu  sicher.  Aber  eifrig  schlössen  sich  die  meisten  der 
benachbarten  Stadthäupter  und  Scharenführer  an  Nogaret  und  Sciarra 
an,  als  diese  nun  selbst  das  Thal  des  Sacco  betraten  ^. 

Der  wichtigste  der  Verbündeten  Nogaret 's  aus  der  Um- 
gegend von  Rom^  war  sicher  Reginald  vonSupino',  das  Stadt- 
haupt von  Ferentino,  der  sich  mit  seinem  Sohne  Robert  und 
vielen  Bürgern  Ferentinos  vollen  Herzens  dem  Unternehmen  an- 
schloss:  glaubte  er  doch  die  Ehre  seiner  Familie  durch  Bonifaz 
angetastet"!  Die  übrigen  Verschworenen,  die  uns  genannt  werden, 
sind:  Thomas  von  Morolo,  ein  Bruder  Reginald' s  von  Supino", 
Peter  von  Genazzano  mit  seinem  Sohn  Stephan";  Johann, 
der  als  Sohn  eines  gewissen  Landulf  bezeichnet  wird;  Gottfried 
von  Ceccano,  der  Sohn  des  streitbaren  Ghibellinen  Johann  von 

*  Vrgl.  hierüber  Gregoroviüs,  Gesch.  Roms  V,  567  ii".  (wozu  auch  Chrouik 
von  Orvieto,  ed.  Düllixger  348,  ed.  Himmelsterx  29). 

-  Treffend  bemerkt  Drdmann  II,  122:  „Man  verstand  sicli,  obgleicli  nur 
von  Schutz,  nicht  von  Gewalt  die  Rede  war." 

■■'  Ihre  Namen  finden  sich  in  den  Bullen  „Flagitiosum  scelus"  (Potthast, 
nr.  25441;  Reg.  de  Ben.  799)  und  „Rex  gloriae"  (Reg.  Clem.,  ann.  VI,  418f.); 
Fehler  im  Text  Rayxald's  gaben  zu  verschiedeneu  Versehen  bei  TosTi  und 
Drumann  Anlass.  Wir  führen  im  folgenden  imr  Belege  au,  die  zu  diesen  beiden 
Bullen  noch  hinzukommen. 

*  Supino  liegt  rechts  über  dem  Sacco,  Ferentino  gegenüber. 

•'•  DuPüY,  Diff.  pr.  175.  344  (oben),  361  (nr.  LXXXVII),  608 f.;  Relation 
in  den  Mon.  Germ.  SS.  XXVIII,  622  ZI.  29  f.;  Chrou.  v.  Orvieto,  ed.  Döl- 
LiNGER  351,  ed.  Himmelstern  34-,  Istorie  Pistolesi,  ed.  Biscioni  (1845)  424; 
Cont.  Tulom.  Luc,  Muratori  XI,  1223  C;  Pipin,  ibid.  IX,  740  B;  Ferreto 
von  Vicenza,  ibid.  IX,  1002  E;  ViLLANi,  ed.  Dragomanni  II,  79. 

'•  DupLY,  Diff.  pr.  609.  —  Morolo  rcclits  vom  Sacco,  4  km  nonlwestl. 
von  Supino. 

'  ]Mit  dem  Beinamen  Picalottus  (R(^g.  Clem.,  ann.  VI,  428). —  Genaz- 
zano zwischen  Palestrina  und  Pagliauo,  nicht  mit  dem  grösseren  Geuzano  (.am 
See  von  Xemi)  zu  verwechseln. 


♦54  3.  Kapitel. 

Ceccano,  der  damals  im  Gefängnis  schmaclitete,  weshalb  ausser 
seinem  Sohn  noch  zahlreiche  Bürger  Ceccanos  an  der  Verschwörung 
teilgenommen  zu  haben  scheinen';  Maximus  von  Trevi^,  einem 
Ort,  den  der  Marcjuis  erworben  hatte,  wie  Scurgola,  das  gleich- 
falls Verschwörer  gegen  den  Papst  entsandt  zu  haben  scheint^; 
auch  Alatii  soll  sich  an  der  Expedition  beteiligt  haben*.  Aber 
sogar  in  Anagni  selbst  hatte  man  Anhänger  gefunden,  vor  allem 
die  Brüder  Adenulf  und  Nikolaus,  die  Söhne  eines  gewissen  Mat- 
thaeus,  dessen  Macht  und  Ansehen  in  der  Stadt  sie  geerbt  hatten''-, 
Südann  die  Ritter  Orlandus  und  Petrus  von  Luparia,  sowie 
Giffridus  Bussa,  der  die  päpstlichen  Truppen  befehligte  und  sich 
durch  Geld  gewinnen  liess*^.  Jedoch  nicht  nur  in  der  Bürgerschaft 
Anagnis  hatte  man  Anhänger  gefunden:  noch  näher  war  es  gelungen, 
an  den  Papst  vorzudringen;  auch  von  den  in  Anagni  anwesenden 
Kardinälen  —  sieben  werden  uns  mit  Namen  genannt  —  sollen 
einige  von  dem  unglücklichen  Oberpriester  abgefallen  sein;  aus- 
drücklich wird  uns  dies  von  Napoleon  Orsini  (dessen  Schwester 
Sciarra's  Mutter  war)  und  Richard  von  Siena  berichtet^.     Auch 

1  DuPUY,  Diff.  pr.  609;  Relation,  Mon.  Germ.  a.  a.  0.  622  ZI.  30 f.-,  Chrou. 
V.  Orvieto  a.  a.  O.;  Cont.  Tolom.  Luc.  a.  a.  0.  1223  B;  Dino  Compagni, 
ed.  Del  Lungo  III,  181,  ZI.  22  f.;  Pipin  a.  a.  0.  740  B;  Villani  a.  a.  0.  79.  — 
Ueber  Johann  von  Ceccano  Drümann  I,  203.  Tosti  II,  236  und  Drümann 
II,  123  reden  von  zwei  Söhnen  Johaun's;  es  ist  allerdings  (so  in  der  genannten 
Relation)  bisweilen  von  „den  Söhnen"  Johann's  die  Rede,  mit  Xamen  wird  aber 
nur  Gottfried  genannt  (auf  den  des  anderen  kam  man  wohl  durch  den  fehler- 
haften Text  bei  Raynald).  —  Ceccano  liegt  rechts  am  Sacco,  10  km  südöstl. 
von  Suijiuo. 

-  Die  Istorie  Pistolesi  a.  a.  0.  424  nennen  ihn  Massimo  da  Alatro; 
vielleicht  hat  er  von  Trevi  (am  oberen  Teverone),  nach  dem  15  km  entfernten 
Alatri  (10  km  nordöstl.  von  Frosinone)  weichen  müssen. 

*  Nach  Pipin  a.  a.  0.  740  B  nahmen  auch  Leute  „de  Albano"  und  „de 
Structula"  an  dem  Unternehmen  teil.  Mit  letzterem  ist  wohl  Scurgola  (472  km 
nordwestl.  v.  Morolo)  gemeint;  die  Nachricht  betreffs  Albauos  ist  unglaub- 
würdig, da  aus  dieser  Gegend  sonst  keine  Verschworenen  bekannt  sind. 

*  Cont.  Toi.  Luc.  a.  a.  0.  1223  B;  vrgl.  oben  Anm.  2. 

^  Istorie  Pistolesi  a.  a.  0.  424;  Cont.  Tolom.  Luc.  a.  a.  0.  1223  C;  Pipin 
a.  a.  0.;  Ferreto  v.  Viceuza  a.  a.  0.  1004  A.  In  allen  Bullen  wird  der  Va- 
ter der  beiden  Matthäus  genannt;  Villani  a.  a.  0.  79  und  die  von  ihm 
abhängigen  Schriftsteller  (Felix  Osius,  bei  Baillet  363)  schreiben  Maffio, 
M  äffe  US,  was  Drümann  II,  123  Anm.  78  irrigerweise  für  den  Nachuamen  hält 
in  der  Chronik  von  Orvieto  a.  a.  0.  findet  sich  die  Form  Matthias. 

•*  DüPUY,  Diff.  pr.  609;  Istorie  Pistolesi  a.  a.  0.  424;  Ferreto  von  Vicenza 
a.  a.  0.  1003  C. 

'  Chronik  von  Orvieto,  ed.  Döllixgek  352,  ed.  Himmelstern  35;  Istorie 
Pistolesi   a.   a.   O.   424;   Cont.   Tolom.   Luc.   a.   a.    0.    1223  C;    Dino    Compagni 


Nogaret's  Thätigkeit  in  den  Jahren  1300—1303.  65 

die  Orsini,  sonst  die  erbittertsten  Gegner  der  Colonna,  fehlten  rdso 
nicht;  in  den  Tagen  nach  Anagni  tritt  ihre  zweideutige  Stelhmg 
noch  klarer  hervor. 

So  standen  Nogaret  und  Sciarra  in  der  römischen  Cainpagna, 
in  der  nächsten  Ntähe  des  Papstes,  zum  Angrift"  bereit,  ohne  dass 
Bonifaz  eine  Ahnung  von  der  drohenden  Gefahr  hatte  K  Während 
sich  die  Zahl  derer,  die  zu  seinen  Gegnern  abfielen,  täglich  mehrte, 
bereitete  er  die  feierliche  Bannbulle  gegen  den  französi- 
schen König  vor-.  Die  ganze  alte  Machtfiille  des  Pa^isttums  ruht 
noch  einmal  in  dieser  Urkunde:  der  Nachfolger  Petri,  der  die  Völker 
der  Erde  mit  eiserner  Rute  regieren  und  wie  ein  Gefäss  von  Thon 
zerbrechen  kann,  schleudert  gegen  den  in  seinen  Sünden  verstockten 
König  das  Anathem,  entbindet  die  Unterthauen  von  ihrem  Treueid 
und  droht  allen,  die  ihm  ferner  noch  gehorchen,  mit  der  Exkom- 
munikation: denn  ein  christlicher  Fürst,  der  gegen  Gott  streitet  und 
seine  Gebote  mit  Füssen  tritt,  kann  keine  Treue  mehr  verlangen. 
Diese  Bulle,  durch  die  Phihpp  zerschmettert  werden  sollte  wie  einst 
Heinrich  IV.,  wollte  Bonifaz  am  8.  September  1303  veröffentlichen, 
dem  Feste  von  Maria  Geburt,  das  in  diesem  Jahr  auf  einen  Sonn- 
tag fiel.  Er  sollte  nicht  mehr  dazu  kommen  5  an  dem  Tage,  da  er 
den  französischen  König  mit  der  Fülle  der  apostohschen  Gewalt 
vernichten  wollte,  sass  er  als  armer  Gefangener  in  seinem  Palast, 
bereit  zu  sterben. 


a.  a.  0.  181  ZI.  26 f.;  Villani  a.  a.  0.  79.  Philipp's  Schreiben  an  die  Kardi- 
näle war  also  nicht  wirkungslos  geblieben. 

*  Bernhardus  Guidonis,  Rec.  des  hist.  XXI,  713  K;  anonyme  Chronik, 
ibid.  XXII,  19  B;  vrgl.  im  folgenden  Kapitel  (St.  75 f.). 

-  „Super  Petri  solio",  Potthast,  nr.  25283. 


R.  Holtzmann,  Nogaret. 


6fi 


4.  Kapitel. 


Änagni. 

„Heu!  gravis  alluvies,  fimesta  et  inorbida,  nostris 
Nee  seclis  audita  Ines  prorumpit,  et  audens 
Ingruit.    Ell  capitur  residens  subliiiiis  in  alta 
Sede  Petri,  summa  Christique  vicarius  urbe, 
Urbe  sua  tectisque  suis  manibusque  suoriun 
Quaque  satus,  raptis  congestis  undique  gazis.'' 

Jakob  Stefaneschi. 

Ein  Ereignis  wie  das  nun  zu  behandelnde  hat  begreiflicher 
AVeise  überall  das  grösste  Aufsehen  erregt,  was  sich  uns  darin 
widerspiegelt,  dass  zahllose  Quelleif  über  dasselbe  berichten.  Ebenso 
begreiflich  ist  es  aber,  dass  das  Geschehene  gar  bald  entstellt  ward, 
dass  die  Erzählungen,  die  im  Volk  darüber  kursierten  und  von 
den  Annalisten  gebucht  wurden,  dem  wirklich  Vorgefallenen  gar 
bald  manchen  Zug,  manche  Episode  hinzufügten.  Es  dürfte  daher 
hier  der  gegebene  Ort  sein,  wenigstens  einen  kurzen  Blick  auf  die 
hauptsächlichsten  Quellen  zu  werfen,  die  uns  zur  Verfügung  stehen. 

1. 

Quellen-Berichte  über  das  Attentat  von  Anagni^ 
Von  grösstem  Interesse  sind  natürlich  zunächst  die  Darstellungen, 
die  uns  No garet  selbst  in  seinen  auch  von  uns  schon  erwähnten 
Apologieen  giebt.  Die  Frage  ist  nur,  in  wie  weit  wir  ihnen 
glauben  dürfen.  Man  meinte'-,  Nogaret  habe  schon  deshalb  in 
allen  Hauptpunkten  bei  der  Wahrheit  bleiben  müssen,  weil  zur  Zeit 
der  Abfassung  seiner  Berichte  (1304  und  1310—1311)  sich  in  Rom 

^  Vrgl.  hierzu  Döllinger:  „Anagni"  [„Akademische  Vorträge"  III,  München 
1891,  223—244].  E.  Michael  wendet  sich  in  einem  Aufsatz :  „Die  Rolle  Noga- 
ret's  bei  dem  Attentat  auf  Bonifaz  VIII."  (Ztschr.  für  kath.  Theologie  XVI, 
367—372)  gegen  eine  von  Döllinger  Irühcr  (Akad.  Vortr.  I,  136)  geäusserte 
Ansicht,  die  derselbe  aber  in  dem  genannten  Aufsatz  selbst  nicht  mehr  vertritt. 

*  Döllinger  a.  a.  0.  223. 


Anagni.  (i7 

noch  mehrere  Zeugen  befanden,  welche  die  Sache  mit  erlebt  hatten, 
und  ihm  doch  daran  liegen  musste,  die  Wirkung  seiner  Schutz- 
schriften nicht  durch  Unwahrscheinlichkeiten,  die  man  ihm  hätte 
nachweisen  können,  abzuschwächen.  Es  ist  richtig,  dass  verschie- 
dene Kardinäle  am  päpstlichen  Hof  waren,  die  beim  Ueberfall  von 
Anagni  zugegen  gewesen  ^  Dennoch  wird  man  den  Behauptungen 
Nogaret's  nur  dann  ohne  weiteres  Glauben  schenken,  wenn  derselbe 
kein  Interesse  hatte,  die  AVahrheit  zu  verschweigen.  Die  späteren 
Apologieen  (1310 — 1311)  stammen  aus  der  Zeit  des  Prozesses,  der 
in  Avignon  gegen  das  Andenken  Bonifaz'  VIII.  geführt  wurde;  bei 
derselben  Gelegenheit  veröffentlichten  auch  die  Gegner  Nogaret's 
mehrere  Schriften,  die  gleichfalls  stellenweise  die  Ereiguisse  von  Anagni 
berühren,  aber  natürlich  mit  derselben  Vorsicht  aufzunehmen  sind. 
Der  wichtigste  uns  über  das  Attentat  von  Anagni  zu  Gebot 
stehende  Bericht  stammt  von  einem  englischen  Curtisanen^,  d.  h. 
einem  am  päpstlichen  Hof  angestellten  Mann ,  der  in  einem  Brief 
nach  seiner  Heimat  eine  Darstellung  der  Ereignisse  gab.  Dieselbe 
stellt  sich  uns  als  die  eingehendste  und  im  Detail  zuverlässigste 
Quelle  dar  und  wurde  nachweislich  zwischen  dem  21.  September  1303 
und  dem  Tod  Bonifaz'  VIII.  (12.  Oktober)  von  einem  Augenzeugen 
niedergeschrieben.  Der  Bericht  wurde  in  England  im  Kloster 
St.  Albans  aufbewahrt  und  dort  von  einem  fälschlich  mit  Risiianger 
identifizierten  Fortsetzer  des  Matthaeüs  Paris^  ausgiebig  benutzt. 


*  In  Anagni  waren  anwesend  (ausser  Nicolaus  Bocasini,  dem  späteren 
Benedikt  XI.)  die  Kardinäle:  Theoderich  von  Orvicto  (f  um  180(i),  Peter  Is- 
panus (t  1311),  F.  Gentilis  (f  1312),  Richard  von  Siena  (f  1313),  Franz  Claetani 
(f  unter  Johann  XXII.)  und  Napoleon  Orsini  (f  1347);  Ciaconi,  Hist.  ponti- 
ticum  I,  810,  812,  810,  811,  809  (vrgl.  874),  786  (vrgl.  904). 

-  Gedruckt  ist  die  Relation  von  Riley  („Chronica  monasterii  S.  Albani", 
in  Rer.  Brit.  medii  aevi  seriptores  nr.  28,  II  S.  483—491),  Kervto  de  Lettexhove 
(Rev.  des  quest.  hist.  XI,  511 — 520)  und  am  besten  von  Liebermann  (Mon. 
Germ.  SS.  XXVIII,  622 — 626).  Der  Verfasser  sagt  von  sich  „nos,  qui  sumus 
curtesani",  woraus  in  der  Ausgabe  Kervyn  de  Lettenhove's  „nos,  qui  sumus  civi- 
tatis Cesane"  gemacht  ist;  Döllinger  a.  a.  0.  224  hat  in  eigentümlicher  Kou- 
iundierung  dieser  beiden  Lesarten  aus  dem  Verf.  „einen  aus  Cesena  stammenden 
Curtisauen"  gemacht.  Die  Handschrift  hat,  wie  mir  Herr  Prof.  W.  Michael  mit- 
teilt, ccesani  mit  einem  Haken  über  dem  ersten  c;  dies  heisst  curcesani,  wie 
Liebermann  a.  a.  O.  625  Note  o  richtig  angiebt,  und  die  Bemerkuug  Digard's 
in  der  Rev.  des  quest.  hist.  XLIII  S.  558  Anm.  1  beruht  auf  einem  Irrtum,  — 
Der  Ausdruck  „curtesanu  s",  für  diese  Zeit  am  i)äpstlicheu  Hof  nicht  häufig, 
ist  doch  sonst  genugsam  nachweisbar  und  schon  im  früheren  Mittelalter  keines- 
wegs selten;  vrgl.  Ducange,  Glossarium  II,  628;  DiEZ,  Etymol.  Wörterbuch  I,  140. 

"  Ausgabe  (als  Chronik  Rishanger's;  vrgl.  dagegen  Liebehmann  in  den 
Mon.    Germ.   SS.   XXVIII,    104    ZI.   6)   von  Riley   a.  a.  0.   1—230   (Anagni 


68  -i-    Kapitel. 

Der  Mitwirkung  des  französischen  Königs  wird  ausdrücklich  ge- 
dacht; der  Name  Nogaret's  war  dem  Curtisanen  unbekannt,  findet 
sich  liingegen  in  den  Zusätzen  des  Fortsetzers  des  Matthakus  Pauis. 

Ein  weiterer  Bericht  eines  Augenzeugen  ist  neuerdings  bekannt 
geworden.  In  Grenoble  betindet  sich  eine  Vienner  Abschrift 
einer  Relation  über  das  Attentat  von  Anagni,  die  gleichfalls 
noch  vor  dem  Tod  Honifaz'  VIII.  abgefasst  wurdet  Der  Heraus- 
geber derselben  glaubt,  dass  der  Autor  zum  päpstlichen  Hof  ge- 
hörte, und  dass  die  Abschrift  ein  Auszug  aus  einem  Brief  sei. 
Demnach  hätten  wir  es  hier  mit  dem  Brief  eines  französischen  Cur- 
tisanen nach  seiner  Heimat  zu  thun,  ganz  entsprechend  dem  Bericht 
des  Curtisanen,  den  wir  eben  kennen  lernten.  Die  Vienner  Relation 
bietet  eine  kürzere  Darstellung,  ergänzt  aber  doch  stellenweise  die 
ausführlichere  englische  -. 

Sodann  erweist  sich  als  sehr  gut  unterrichtet  eine  Chronik 
von  Ürvieto'^,  von  der  uns  ein  Bruchstück  in  einer  Handschrift 
des  Onuphkius  Panvinius  erhalten  ist.  Der  Autor  war  Zeitgenosse* 
und  hat  seine  Nachrichten  wohl  direkt  von  einem  Augenzeugen  er- 
halten. Da  wir  wissen,  dass  der  Kardinal  Theoderich  von  Orvieto 
während  des  Ueberfalls  in  Anagni  anwesend  war,  ist  wohl  die  Ver- 
mutung gerechtfertigt,  dass  von  dieser  Seite,  vielleicht  durch  die 
Dienerschaft  des  Kardinals,  der  Verfasser  unserer  Chronik  unter- 
richtet wurde. 

Ein  merkwürdiger  Bericht  findet  sich  in  den  Istorie  Pistolesi^. 
Er  ist  ziemlich  ausführlich  und  stellenweise  so  gut  und  detailliert, 
dass  der  Verfasser  gleichfalls  eine  der  besten  Quellen  gehabt  zu 
haben  scheint.  Mit  diesen  guten  Nachrichten  vermischt  derselbe 
aber   reichlich   ganz  schlechte   und    unglaubwürdige  —  so   macht  er 

S.  216 — 221).  Die  Darstellung  dieses  (zweiten)  Fortsetzers  des  Mätthaeus  Paris 
übernahm  Walsingham  (ca.  1440;  ed.  Riley,  Rer.  Brit.  med.  aevi  ss.  nr.  28,  I; 
DüPOY,  Diff.  pr.   193—196)  wörtlich. 

'  ed.  DioARD  in  der  Rev.  des  quest.  hist.  XLIII,  S.  557 — 561. 

-  Auf  Grund  dieser  beiden  Berichte  giebt  Knüpfler  in  den  Hist.-polit. 
Blättern  für  das  kath.  Deutschld.  CII,  S.  Iff.  eine  Darstellung  des  Attentats 
von  Anagni. 

"  cd.  DöLLiNGER  („Beiträge  zur  politischen,  kirchlichen  und  Cultur-Ge- 
schichte  der  sechs  letzten  Jahrhunderte"  III,  AVien  1882,  S.  347—353)  und 
HiMMKLSTERN  („Eine  angebliche  und  eine  wirkliche  Chronik  von  Orvieto"  Strass- 
burg  1882,  S.  28—37). 

*  So  leitet  er  z.  B.  eine  (allerdings  wenig  glaubliche)  Xachricht  mit  den 
"Worten  ein:  „et  dixit.,  qui  vidit"  (ed.  Düllinger  347,  ed.  Himmelstern  29);  vrgl. 
über  den  Autor  Döllinoer:  „Anagni"  224  und  Himmelstern  a.  a.  0.  37 ff. 

"  ed.  BisciONi  1845,  S.  423—426. 


Anagni.  69 

z.  B.  Nogaret  zu  einem  „capitano  in  corte  del  papa"  — ,  sodass 
seine  Angaben  nur  mit  Vorsicht  verwandt  werden  dürfen. 

Neben  diesen  fünf  Hauptquellen  steht  uns  eine  grosse  Zahl 
kürzerer  Berichte  zu  Gebot,  von  denen  die  hauptsächlichsten  hier 
genannt  seien. 

Von  italienischen  Annalenwerken  sind  in  erster  Linie  die 
Annalen  von  Parma ^  zu  erwähnen;  sie  geben  gleichzeitige,  wert- 
volle Aufzeichnungen  und  stellen  —  wie  manche  italienische  Quellen 
—  den  Ueberfall  lediglich  als  eine  That  der  Italiener,  d.  h.  der 
C^olonna,  dar.  Neben  ihnen  sei  der  Annalen  von  Florenz'-^  und  der- 
jenigen von  La  Cava^  gedacht.  Eine  doppelte  Aufzeichnung  begegnet 
in  ISiena;  wichtiger  als  die  Annalen^  ist  die  Chronik  dieser  Stadt'"', 
deren  Verfasser,  Axdreas  Dei,  noch  1328  lebte.  Die  Annalen 
von  Forli*'  wurden  ausgiebig  von  Riccobald  von  Fekkara^  be- 
nutzt. Von  anderen  italienischen  Autoren  seien  zunächst  die  Fort- 
setzer des  ToLOMEO  VON  LuccA  genannt.  Zu  der  bis  1294 
reichenden  Kirchengeschichte  des  berühmten  Lucchesen  haben  wir 
zwei  Fortsetzungen-,  die  eine^^,  welche  die  ungleich  wichtigere  ist, 
findet  sich  in  einem  Paduaner  Codex  und  wird  von  D.  König'' 
auf  den  an  der  Kurie  weilenden  Autor  der  Kirchengeschichte  selbst 
zurückgeführt,  ohne  dass  der  Nachweis  voll  erbracht  scheint;  die 
andere^''  findet  sich  in  einer  Mailänder  (Ambrosianischen) 
Handschrift  und  rührt  von  Paulinüs  Minorita  her,  der  dazu  eine 
noch  zu  nennende  französische  Quelle,  die  „Flores  chronicorum"  des 
Bernhardus  Guidonis  stark  benutzte  ^\  Diese  selben  „Chronik- 
blüten" wurden  stellenweise  auch  von  Franciscus  Pipinus  ^-  in 
seiner  sonst  für  uns  wertvollen  Chronik  ausgeschrieben.  Sodann 
kommt  das  vielgenannte,   in   italienischer  Sprache  geschriebene  Ge- 


'  Mon.    Germ.    SS.    XVIII,    729;    vrgl.    Weltzien:    „Uutersuchung    ital. 
Quellen  zum  Römerzuge  Ludwig's  d.  B."  (1882),  26. 
-  Böhmer,  Fontes  IV,  674. 
3  Mon.  Germ.  SS.  III,  196.     La  Cava  bei  Salerno. 

*  Mon.  Germ.  SS.  XIX,  231. 

*  MüRATORi  XV,  44.  "  Ibid.  XXII,  177. 

'  Ibid.  IX,  254.  Riccobalü  um  1312;  vielleicht  stellt  eine  eingehendere 
Untersuchung  auch  die  Benutzung  einer  gemeinsamen  Quelle  fest. 

8  MüRATORi  XI,  1221—1223. 

"  Dietrich  König:  „Ptolomaeus  von  Lucca  und  die  Flores  chronicorum 
des  Bernhardus  Guidonis"   (1875),  4rt'.,   19. 

1»  MüRATORi  XI,    1203  f. 

''  Vrgl.  gegen  Kunio  (a.  a.  0.  51tV.,  65)  Simonskeld  in  (^uidde's  Zeit- 
schrift X,  123. 

12  MuRATORi  IX,  740,  744. 


7U  '^-  Kapitel. 

schichtswelk  des  Florentiners  Dixo  Compagm  '  für  uns  in  Betracht; 
DiNo,  der  erste  und  bedeutendste  itahenische  Geschichtschreiber 
des  Mittehdters,  war  Zeitgenosse  der  von  uns  zu  behandelnden  Er- 
eignisse. Das  gleiche  gilt  von  dem  Kardinal  Jaküu  Stkfankschi-, 
dessen  dichterische  Behandlung  des  Stotis  aber  durchaus  apologetisch 
ist.  Sehr  ausführlich  ist  die  Chronik  des  Feuri:to  VON  ViCENZA^ 
(geschrieben  1330),  die  aber  wegen  der  romantischen  Neigungen 
des  Autors,  dem  oft  die  Form  über  den  Inhalt  ging,  nur  vorsichtig 
benutzt  werden  darf.  Wichtig  zumal  wegen  ihrer  Wirkung  auf  die 
Geschichtschreibung  der  Folgezeit  ist  die  breite  Darstellung,  welche 
Giovanni  Villani'  (-]'  1348)  in  seiner  Florentiner  Chronik  giebt; 
doch  werden  wir  sehen,  wie  sich  besonders  auch  bei  ihm  zahl- 
reiche fabelhafte  Ausschmückungen  zu  den  richtigen  Nachrichten 
gesellen. 

Von  französischen  Quellen  erwähnten  wir  schon  die  „Flores 
chronicorum"  des  Beknhaudus  Güidonis^;  die  hier  gegebene 
Schilderung  ist  nicht  sehr  ausführlich,  aber  keineswegs  unwichtig, 
weil  Berniiakdus  sie  nicht  —  wie  sonst  seine  Nachrichten  bis- 
weilen —  aus  der  Paduaner  Fortsetzung  des  Tolomeo  von  Lucca 
entnahm^;  gleichzeitige  und  spätere  Autoren  gehen  vielfach  auf  die 
-Flores  chronicorum"  zurück".     Wie  Bernhardus  ist  auch  Gott- 


'  Del  LüNGO:  „Dino  Compagni  e  la  sua  cronica",  III  (Florenz  1887)  181  f. 
(Buch  II,  Kap.  35).  —  Ueber  die  Dino-Frage  vrgl.  Scheffek-Boichorst  in  der 
Ztschrft.  für  roman.  Philologie  VII  und  X;  die  Chronik  ist  uns  nur  in  einer 
stellenweise  wenig  glücklichen  Ueberarbeitung  erhalten,  die  uns  interessierende 
Stelle  ist  aber  nicht  verdorben.  Die  Sbändige  Ausgabe  von  Del  Lungo  giebt 
in  den  beiden  ersten  Bänden  einen  wichtigen,  überaus  ausführlichen  Kommentar, 
7.U  zitieren  ist  aber  nach  dem  im  dritten  Band  nach  der  besten  Handschrift  wieder- 
holten Text;  vrgl.  Bresslaü  in  Geiger's  Vicrteljahrsschrift  f.  Kult.  u.  Litt,  der 
Renaissauce,  I. 

-  MuRATORi  III,  659  f.;  Raynald  XXIII,  332  (1303,  ur.  42). 

^  MuKATORi  IX,  1002  ff.;  vrgl.  über  Ferreto  Max  Laue  (1884). 

*  DcPUY,  Diff.  pr.  187;  Muratori  XIII,  395  ff. ;  ed.  Dragomanni  („Cronica 
di  Giovanni  Villani",  Bd.  II,  Florenz  1845)  S.  79  f. 

^  Dlpcv,  Diff.  pr.  3  f.;  Muratori  III,  672;  Raynald  XXIII,  330  f.  (1303, 
ur.  41);  Rec.  des  bist.  XXI,  713  f.;    Düchesse:  „Le  Über  pontificalis"  II,  471. 

ö  Vrgl.  König,  a.  a.  0.  37  f. 

''  Ueber  Paulinüs  Minorita  (f  1345  als  Bischof  von  Pozzuoli,  früher 
Jordan  genannt;  Rec.  des  bist.  XXII,  15;  vrgl.  Simonsfeld  in  den  Forschg. 
zur  dt.  Gesch.  XV,  145  ff.  und  in  Qüiddk's  Ztschrift  X,  120  ff'.;  König  a.  a.  0. 
51  f.,  67)  und  Pipin  vrgl.  oben.  Ausser  ihnen  erwähne  ich:  Amalricus  Augerius 
(Muratori  III  2,  439  f.;  vrgl.  König  a.  a.  0.  44),  die  Fortsetzung  der  Chro- 
nik von  Ronen  (Rec.  des  hist.  XXIII,  347;  Mon.  Germ.  SS.  XXVI,  504), 
.Ikan  DK  Preis  (2.  Hälfte  des  14.  Jhdts.;    ed.  Stan.  Bormans  VI,  42),  Platina 


Anagni.  71 

FRIED  VON  Pauis^  ein  Zeitgenosse;  derselbe  bietet  uns  in  fninzösi- 
schen  Versen  eine  eingebende,  aber  dicbteriscb  ausgescbniückte  Dar- 
stellung. Der  erste  Fortsetzer  der  (Mironik  des  Wiliikl:\i 
VON  NangiS"  soliöpfte  seine  Kenntnis  über  das  Attentat  von 
Anagni  aus  einer  Bulle  Clemens'  V.  vom  Jabr  1311''.  Nicbt  un- 
interessant sind  aucb  die  Nacbricbten  verscbiedener  anonymer 
Cbroniken*.  Um  die  IVIitte  des  Jabrbunderts  scbrieb  Johann 
VON  St.  Victor  (Jobannes  Parisiensis) ' ;  nocb  mebr  als  bei  ibm 
treten  uns  bei  Johann  von  Noyal^  (zweite  Hälfte  des  14.  Jhdts.) 
überall  Ausmalungen  und  andere  Entstellungen  entgegen.  Aucb 
die  sogenannte  flandriscbe  Cbronik^  ist  eine  ziemlicb  späte  fran- 
zösiscbe  Quelle.  Aus  der  Cbronik  von  St.  Denis-,  die  bessere 
Nachrichten  mit  vielen  legendarischen  Zügen  vermischt,  schöpfte 
gegen  Ende  des  15.  Jhdts.  Nikolaus  Gilles",  der  Gebeim- 
schreiber  Ludwigs  XII.,  dessen  (1492  zuerst  erschienenes)  Geschicbts- 
werk  lange  Zeit  eine  grosse  Wirkung  ausübte. 

Von  englischen  Berichten  haben  wir  zunächst  eine  gleich- 
zeitige Darstellung  als  Fortsetzung  des  Gervasius  von  Caxtek- 
BURY^^,  deren  Verfasser  sich  merkwürdig  gut  und  detailliert  unter- 
richtet zeigt;  es  scheint  ihm  ein  nach  der  Inthronisation  Bene- 
dikts XI.  (27.  Okt.  1303)  abgefasster  Bericht  eines  Augenzeugen 
zu  Gebot  gestanden  zu  haben.  Ebenfalls  gleichzeitig  ist  Peter  von 
Langtoft^^  dem  bei  der  Abfassung  seines  in  französischen  Versen 
geschriebenen  Werks  hier  vielleicht  dieselbe  Relation  zu  Gebot 
stand,  deren  sich  später  ein  Fort  setz  er  des  Mattiiaeus  Paris, 
wie    wir   schon    erwähnten,   bediente.     Auch    die   verschiedenen  Be- 


(DuPüT,  Diff.  pr.  4  f.)  und  die  „Gesta   archiepiscoporum  Magdeburgen- 
sium"  (Mon.  Germ.  SS.  XIV,  426). 

1  Rec.  des  bist.  XXII,  106—109. 

2  DuPUY,  Difi'.  pr.  189;  Rec.  des  hist.  XX,  589;  ed.  Geraud:  „Chronique 
latine  de  Guillaume  de  Nangis  avec  les  continuations"  I,  3:}7  f. 

^  Vrgl.  Exkurs  I.  Der  Fortsetz  er  des  Gkrhahd  von  Frachet  (Rec.  des 
hist.  XXI,  22)  schreibt  wörtlich  von  dem  des  Wilhelm  von  Nangis  ab. 

*  Rec.  des  hist.  XXI,  148  f.  und  XXII,  19  u.  25. 

s  Ibid.  XXI,  641.  '•  Ibid.  XXI,  195.  '  Und.  XXII,  374. 

8  Ibid.  XX,  6741".;  Uui'UY,  Diff.  pr.  191.  Die  Chronik  von  St.  Denis  ist 
hier  nicht  mehr  (wie  zum  Jahr  1301)  eine  Uebersetzung  der  Furtsetzung  des 
"Wilhelm  von  Nanois. 

®  „Annales  et  chroniques  de  France",  Paris  1549,  Bd.  I,  feuil.  CXXI; 
DüPUT,  Diff.  pr.  199.     Auch  ins  Deutsche  übersetzt. 

1»  Mon.  Germ.  SS.  XXVII,  314. 

"  Ibid.  XXVIII,  661.  Laugtoft  in  der  Grafschaft  York,  westl.  von  Brid- 
lington. 


72  4.  Kapitel. 

richte  in  den  ^Flores  historiaium" '  und  in  englischen  Fort- 
setzern des  Mautin  von  Troppau*^  bieten  interessante  Nachrichten. 
Nur  kurze  Angaben  enthalten  hingegen  die  Annalen  des  Nicolaus 
TuiVKTL's^,  eines  1328  gestorbenen  Dominikanermönchs.'  Gleich- 
falls noch  in  der  ersten  Hälfte  des  Jahrhunderts  schrieb  Walthek 
VON  GuiSBOROUGii^  Seine  Chronik  „de  gestis  regum  Angliae",  wobei 
er  sich  in  den  letzten,  für  uns  in  Betracht  kommenden  Partien  als 
gute  (Quelle  erweist.  Es  ist  auft'allend,  dass  gerade  nach  England 
über  das  Attentat  von  Anagni  viele  zuverlässige  Nachrichten  ge- 
langten. Erst  in  den  gegen  Ende  des  Jahrhunderts  geschriebenen 
Werken  eines  Knigiiton'^  oder  Thorne"  finden  wir  auch  hier  aller- 
hand erdichtete  Zusätze  und  Fabeleien. 

In  Deutschland  begegnen  uns  schon  in  den  zahlreichen 
gleichzeitigen  (Quellen  viele  Entstellungen.  Hier  tritt  z.  B.  von 
vorneherein  das  Gerücht  auf,  Bonifaz  sei  vergiftet  worden;  so  bei 
Nikolaus  Vischel  in  einer  die  Jahre  1302 — 1310  umfassenden 
Heiligenkreuzer  Fortsetzung  der  österreichischen  Chro- 
nik"; so  auch  im  Monachus  Fuerstenfeldensis^  einer  gleich- 
zeitigen oberbayrischen  Quelle.  Aus  Niederbayern  finden  sich  einige 
Notizen  in  der  Clironik  von  Osterhofen^.  Verhältnismässig  gut 
unterrichtet  ist  Eberhard  von  Regensburo  ^^,  der  seine  Annalen 
um  1305  beendigte;  er  zeichnet  sich  besonders  durch  die  Kenntnis 
einer  Anzahl  päiistlicher  Bullen  aus,  die  der  Bischof  von  Regens- 
burg, der  sie  vom  Erzbischof  von  Salzburg  hatte,  ihm  übermittelte. 
Die  Heilsbronn  er  Annalen^^  und  Siegfried  von  Grossball- 
hausen ^^  (-{-  1308)  bringen  wenig;  doch  werden  wir  den  x^usfüh- 
rungen  des  letzteren  an  einer  Stelle  beizupflichten  haben.     In  einer 


*  ed.  Liebermann  in  Mon.  Germ.  SS.  XXVIII,  500;  Lüard  in  Rer.  Brit. 
medii  aevi  scriptores  nr.  95,  Bd.  III,  115 — 117  u.  313  f.  Die  „Flores  bist." 
wui-den  früher  einem  äIatthaeus  von  Westminster  zugeschrieben  der  nie 
existierte. 

-  Mon.  Germ.  SS.  XXIV,  256. 

'  „F.  Nicholai  Triveti  annales",  recensuit  Thomas  Hog  (EngHsh  historical 
Society,  publications  VIII),  London  1845,  S.  399. 

*  Fälschlich  Hemingford  genannt.  Mon.  Germ.  SS.  XXVIII,  645.  Guis- 
borough  in  der  Grafschaft  York,  13  km  siidüstHch  von  Middlesbrougb. 

^  Twydsen:   „Hist.  anglic.  scriptores  decem"  (1652),  2472. 

«  Ibid.  2003. 

'  Mon.  Germ.  SS.  IX,  733.     Heiligenkreuz  in  Niederösterreich. 

*  Böhmer,  Fontes  I,  24. 

«  Mon.  Germ.  SS.  XVII,  553.  '"  Ibid.  XVII,  599. 

"  Ibid.  XXIV,  46  f.     Heilsbronn  in  Frauken. 

'-'  ll)id.  XX\',  716.     Grossballhausen  bei  AVeissensee  in  Thüringen, 


Anagni.  73 

gleichfalls  noch  aus  dem  ersten  Jahrzehnt  des  Jahrhunderts  stam- 
menden niederrheinischen  Papst-  und  Kaiserciironik  '  findet 
sich  wieder  viel  durchaus  unglaubwürdiges.  Dagegen  bietet  eine  in 
den  Jahren  1319 — 1323  in  Brabant  geschriel)cne  Fortsetzung 
des  Martin  von  Tuoppau-  interessante  Mitteilungen;  der  Ver- 
fasser scheint  sich  für  die  Papstgeschichte  einer  bis  Ende  1303 
reichenden  italienischen  (Quelle  bedient  zu  haben.  In  den  „Gesta 
pontiticum  Leodiensium",  die  der  Lütticher  Kanonikus  Johannes 
HocsEMius^  um  1330  schrieb,  hat  sich  trotz  mancher  Fehler  (er 
redet  z.  B.  von  Peter  von  Nogaret)  eine  verhältnismässig  gute  Ueber- 
liefening  erhalten.  Die  Lübecker  Annalen^  gehen  in  letzter  Linie 
auf  Bernhardus  Guidonis  zurück,  sind  aber  reich  an  sagenhaft  ent- 
stellten Zusätzen.  Johann  von  Winterthur^,  der  seine  Chronik 
zu  Beginn  der  vierziger  Jahre  abfasste,  ist  an  und  für  sich  leiden- 
schaftslos und  vertrauenswürdig;  doch  stützte  er  sich  offenbar  auch 
in  den  für  uns  in  Betracht  kommenden  Partieen  seines  Werkes  arg- 
los auf  unzuverlässige  Gewährsmänner.  Johann  von  VhvTRING'' 
hingegen,  dessen  Chronik  um  1341  abgefasst,  später  aber  noch  mehr- 
fach umgearbeitet  ist,  hat  das  hervorragendste  unter  den  genannten 
deutschen  Geschichtswerken  geschrieben;  er  ist  in  den  sich  auf  den 
Streit  Philipp's  mit  Bonifaz  beziehenden  Stellen  völlig  selbständig'' 
und  beruht  auf  mündlichen  Berichten*^,  die  als  solche  manche  Fa- 
beleien enthielten,  die  aber  durch  keinen  befangenen  Parteistand- 
punkt noch  mehr  entstellt  wurden".  —  Was  nun  noch  folgt,  wird 
immer    schlimmer.     Um    die   Mitte    des    Jahrhunderts    schrieb    der 


^  Ed.  Weiland  in  den  „Nachrichten  von  der  kgl.  üesellsch.  der  Wissen- 
schaften zu  Göttingen",  philol.-hist.  Klasse,  Jahrg.   1894,  Nr.  1,  S.  375  ff. 

-  Mon.  Germ.  SS.  XXIV,  261;  vrgl.  Wkiland  im  Vorwort  dieser  Ausgabe. 

■''  Chäpeavillk:  „Gest.  pout.  Leodiensiuni"  II  (1613),  343;  Dupuy,  Diff.  pr.  4. 

'  Mon.  Germ.  SS.  XVI,  418;  vrgl.  Koppmann  in:    „Hansische  Geschichts- 
blätter",  Jahrg.  1871,    S.  78.     Aus    den  Lübecker  Annalen    schöpfte    die  Det- 
mar-Chronik,    herausgeg.    von  Koppmann   in    den  „Chroniken   der   deutsche 
Städte"  XIX  (Lübeck  I),  393. 

^  ed.  Wyss,  Zürich  1856  (Abdruck  aus  dem  Archiv  für  schweizer.  Gesch. 
XI),  45;  vrgl.  Lorenz,  Geschichtsquellen  I^  71. 

•'  Böhmer,  Fontes  I,  346  f.;  vrgl.  über  Johann  von  Viktuing  (f  1347)  Four- 
nier:  „Abt  Johann  von  Viktring",   1875. 

'  Vrgl.  Mahrenholtz,  Forschg.  zur  dt.  Gesch.  XIII,  551 ;  Fournier  a.  a.  0. 42  f. 

**  „Der  Begriff  mündliche  Quelle  kann  bei  Johann  von  Viktring  nicht  weit 
genug  gefasst  werden",  Folrnieh  a.  a.  O.  58;  das  „fertur"  in  unserem  Bericht 
weist  sicher  auf  eine  solche  mündliche  Quelle. 

"  Ucber  den  Standpunkt  Johann  von  Viktring's  kircldicheu  Dingen  gegen- 
über vrgl.  Mahrenholtz  a.  a.  O.  573  f. 


74  -l-  Kapitel. 

schwäbische  Minorit  HfciUMANX  eine  Fortsetzung  der  Flores 
temporum',  in  der  er  ganz  schlechte  Nachrichten  bringt:  er  ver- 
legt das  ganze  Ereignis  statt  nach  Anagni  nach  Ancona,  u.  dgl.  m. 
Uer  Darstellung  Heinkicii's  von  Hkkfokd^  (j  1370)  werden  wir 
mehrfach  als  eines  Musterbeispiels  für  Entstellungen  und  Erfindun- 
gen /u  gedenken  haben.  Sie  war  die  Hauptquelle  für  Heumaxn 
KnuxKK''.  der  in  den  ersten  Jahrzehnten  des  15.Jhdts.  seine  Chronik 
schrieb  und  in  ihr  eine  ausführliche  und  später  vielfach  Ijenutzte 
Erzählung  vom  Ueberfall  zu  Anagni  und  dem  Tod  Bonifaz'  VIII  gab. 

2. 
Wir  verliessen  Nogaret  in  der  römischen  Campagna,  wo  er  in 
nächster  Nähe  des  Papstes  mit  den  Zurüstungen  zum  Hauptschlag 
beschäftigt  war.  Nach  seiner  eigenen  Angabe^  erfuhr  er  am  Montag 
den  2.  September  von  der  erwähnten  Bulle  „Super  Petri  solio'^,  die 
der  Papst  am  kommenden  Sonntag  veröffentlichen  wollte,  worauf  er 
uun  seinerseits  beschloss,  ihm  zuvorzukommen.  Er  setzte  den  An- 
griff auf  Samstag  den  7.  September  fest,  um  noch  eine  möglichst 
grosse  Spanne  Zeit  zur  Vollendung  seiner  Büstungen  zu  haben. 
Ueber  die  Grösse  der  von  ihm  zusammengebrachten  Trupp en - 
macht   sind   wir   schlecht   unterrichtet^';    sie   scheint  sich  auf  etwa 


'  EccARD,  Corpus  I  (1723),  1631. 

-  ed.  Potthast  („Henricus  de  Hervordia",  Göttingeu  1859)  220  f. 

^  ed.  EccARD,  Corpus  II  (1723),  962  f.;  J.  Schwalm  („Die  Chronica  no- 
vella  des  Hermann  Korner",  Göttingen  1895)  211  (unter  Verweisung  auf  Hein- 
rich VON  Herford). 

*  DupDV,  Diff.  pr.  246  (nr.  XLIV),  384.  Auch  an  anderen  Stelleu  giebt 
Nogaret  die  Bulle  als  den  Grund  seines  Vorgehens  an;  ibid.  256,  308  (ur.  XIV), 
309  (nr.  XVII),  444;  vrgl.  hierüber  den  Exkurs  I. 

'  Die  Vienner  Relation  (Rev.  des  quest.  bist.  43,  559  Anm.  1)  spricht 
von  600  Rittern  und  1050  Bewaffneten  zu  Fuss,  Fkrreto  von  Vicexza  (Mura- 
TORI  IX,  1003  B)  von  fast  300  Rittern,  Villani  (ed.  Dragomanni,  79)  von  300 
Rittern  und  viel  Fussvolk,  Johann  von  Viktring  (Böhmer,  Fontes  I,  346)  von  500 
Rittern,  während  Andreas  Dei  (Mürätori  XV,  44D)  von  4000  Rittern  fabelt 
(die  noch  dazu  von  den  Anagnioten  sofort  in  die  Flucht  geschlagen  werden). 
Einige  der  genannten  Autoren  meinen  übrigens  irrtümlich,  Nogaret  habe  seine 
Soldaten  aus  Frankreich  mitgebracht.  Die  meisten  Quellen  (der  Curtisaue, 
Mon.  Germ.  SS.  XXVIII,  622  ZI.  3;  Dino  Compagni,  ed.  Del  Lüngo  III,  181 
ZI.  22;  AValther  von  Guisboroügh,  Mou.  Germ.  SS.  XXVIII,  645  ZI.  8)  reden 
nur  unbestimmt  von  einem  grossen  Heer,  Nogaret  (Dupuv,  Diff.  pr.  246  XLV, 
442)  selbst  beklagt  sich  darüber,  dass  er  nur  ungenügend  sich  habe  rüsten 
können,  und  behauptet,  nur  verschiedene  römische  und  campanische  Edle  darum 
angegangen  zu  haben,  „ut  cum  comiliva  decenti  equitum  et  peditum  sequereu- 
tur",    während    Nugaret's    Gegner   (DuPLY,    Diff.  pr.  396,  471)  denselben  be- 


Anagui.  75 

300  Kitter  und  zwei-  oder  dreimal  so  viel  Fussvolk  belaufen  zu 
haben.  Xogaret  will  den  Truppen  ausdrücklich  eingeschärft  haben, 
nichts  unerlaubtes  zu  tluin^;  wir  werden  auf  die  Frage,  inwieweit 
er  rohe  Gewalttliätigkeit  anwenden  wollte,    noch  einzugehen  haben. 

Als  man  sich  zum  Angritf  anschickte,  verlangten  die  Bundes- 
genossen aus  der  Campagna,  um  die  Verantwortung  niclit  allein 
tragen  zu  müssen,  das  französische  Banner  solle  bei  dem  Ueber- 
fall  entfaltet  und  vorangetragen  werden  ^.  Nogaret  musste  ihnen 
willfahren,  liess  aber  nun  seinerseits  auch  das  päpstliche  Banner 
entrollen-',  um  dadurch  anzudeuten,  dass  sein  Unternehmen  nicht 
gegen  die  Kirche  gerichtet  sei,  und  so  die  angenommene  Kolle 
eines  Verteidigers  der  bedrängten  Kirche  Christi  durchzuführen. 

Jedes  Aufsehen  sollte  so  lang  wie  möglich  vermieden  werden. 
Ein  Sturm  auf  Anagni  wäre  gleichermassen  thöricht  und  gefährlich 
gewesen.  Viel  sicherer  wirkte  in  der  Stille  das  Geld  der  Peruzzi. 
Als  man  vor  Anagni  eintraf,  waren  die  Thore  geöffnet*:  von  ver- 
schiedenen Seiten  wird  uns  ausdrücklich  von  Bestechung  gemeldet, 
wobei  namentlich  auf  Giffridus  Bussa,  den  Befehlshaber  der  päpst- 
lichen Truppen,  hingewiesen  wird'';  die  wenigen  Soldaten,  die  der 
Papst  zu  seiner  Bewachung  hatte,  waren  so  durch  den  Verrat  ihres 
Führers  unschädlich  gemacht. 

All  diese  letzten  Massnahmen  hatte  man  vom  Montag  bis  zum 


schuldigten,  mit  „einer  Menge  BewaÖneter"  in  Anagni  eingebrochen  zu  sein. 
Da  Ferreto  sonst  mit  hohen  Zahlen  nicht  knausert,  wird  die  A^ienner  Angabe 
doch  wohl  zu  hoch  gegriffen  sein. 

'■  DuPCY,    Diff".  pr.  298    (in    einer    von  ihm    verfassten  Urkunde  Philipp's). 

-  Ibid.  441  und  442;  Vienner  Relation  a.  a.  0;  Istorie  Pistolesi,  ed. 
BisciONi424;  DiNO  CoMPAGNi  a.  a.  0.  181  ZI.  23  f.;  zwei  anonyme  Chroniken, 
Rec.  des  hist.  XXI,  148  G  und  XXII,  19  C;  Johann  von  Noyal,  Rec.  des  bist. 
XXI,  195  F—G.  Dante  (purg.  XX,  85—87)  legt  der  Seele  Hugo  Capet's  fol- 
gende Worte  in  den  Mund: 

„Perche  men  paja  il  mal  futuro  e  '1  fatto, 
„Veggio  in  Alagna  entrar  lo  fiordaliso 
„E  nel  vicario  suo  Christo  esser  catto." 

^  Beilage  XII,  §  9;  Dopuy,  Diff".  pr.  384,  442;  auch  Dino  Compagni  a.  a.  0. 
berichtet  ausdrücklich,  dass  Xogaret  Ijeide  Banner  geführt  habe,  sein  französi- 
sches und  die  päpstlichen  Schlüssel. 

'  Der  Curtisane  a.a.O.  622  ZI.  5;  Chrou.  v.  Orvieto,  ed.  Düllinger 
351,  ed.  HniMELSTERN  34 ;  Tolom.  Lucc.  cont.  Patav.,  Muratori  XI,  1223  C; 
anonyme  Chronik,  Rec.  des  hist.  XXII,  19  C;  Petkr  von  Langtoft,  Mon. 
Germ.  SS.  XXVIII,  661  ZI.  18. 

^  Istorie  Pistolesi  a.  a.  0.  424;  P^krkkto  v.  Vincenza  a.  a.  O.  lüU3  C; 
Gottfried  v.  Paris,  Rec.  des  hist.  XXII,  1U7  C— E  (Vers  1869— SU);  Hocsem 
bei  Chapeaville  II,  343. 


76  4.  Kapitel. 

Freitag  getrofi'en;  am  folgenden  Samstag,  dem  7.  Sejitember  1303', 
wurde  der  Uebertall  ausgeführt.  Vor  Tagesanbrucli-  drang  man  in 
Anagni  ein,  indem  man  den  Schleier  der  Xacht  benutzte,  wie  die 
Istorie  Pistolesi  meinen,  um  einer  Volkserhebung  vorzubeugen,  jeden- 
falls um  auch  jetzt  noch  möglichst  wenig  Aufsehen  zu  erregen:  als 
man  durch  das  oftene  Thor  zog,  hatte  Bonifaz  noch  immer  keine 
Kunde  von   dem   drohenden  Sturm'. 

Unter  lauten  Rufen:  .,Es  lebe  der  König  von  Frankreich  und 
Coloniial- '  brachen  die  Eindringlinge  jetzt  in  Anagni  ein,  um  sich 
direkt  nach  dem  päpstlichen  Palast  zu  l)egeben''\  Auf  dem  Weg 
dahin  stiess  man  auf  die  Paläste  dreier  Kardinäle,  sowie  auf  den 
des  „Marquis"  Peter  Gaetani''.     Dadurch  war  man  gezwungen,  die 


*  Das  Datum  wird  vou  den  besten  Quellen  übereinstimmend  gegeben: 
Nogaret  a.  a.  0.  246  (nr.  XLV),  256,  310  (nr.  XXV),  385  (oben),  442  (unten), 
518;  der  Curtisane  a.  a.  0.  622  ZI.  2;  Vienner  Relation  a.  a.  0.;  Chronik  v. 
Orvieto  a.  a.  0.;  Istorie  Pistolesi  a.  a.  0.  424;  Bernhardus  Gdidonis,  Rec.  des 
bist.  XXI,  713  J;  Tolom.  Lucc.  cont.  Ambr.,  Muratori  XI,  1203  E;  Pipin, 
MuRATORl  IX,  740  B.  Dem  gegenüber  haben  einzelne  abweichende  Angaben 
(CtOTTfried  V.  Paris  a.  a.  0.  107  B,  V.  1917:  der  Ueberfall  an  einem  Donnerstag; 
Cont.  Gerv.  Cant.,  Mon.  Germ.  SS.  XXVII,  314  ZI.  25:  6.  Sept.;  Eberhard 
V.  Regensburg,  Mon.  Germ.  SS.  XVII,  599  ZI.  17:  um  Michaelis)  nichts  zu 
bedeuten. 

^  Vienner  Relation  a.  a.  0.:  „maue  ante  auroram";  Chron.  v.  Orvieto 
a.  a.  0.:  „noctis  tempore";  Istorie  Pistolesi  a.  a.  0.  424:  „di  notte";  Pipin 
a.  a.  0.  740  B:  „paululum  post  mediam  noctem" ;  Walther  v.  Guisb.  a.  a.  O.  645 
ZI.  12,  und  Cont.  Matth.  Par.  ed.  Riley  216:  „summo  niane."  —  Nogaret 
a.  a.  0.  310  (nr.  XXVII)  u.  311  (nr.  XXIX)  sagt  nur  „mane"  (hingegen  seine 
Gegner  a.  a.  0.  396  „de  nocte"),  der  Curtisane  a.  a.  0.  622  ZI.  2f.  „in  aurora", 
FeiTeto  a.  a.  O.  1003  C  „cum  aurora  rubesceret". 

^  Der  Curtisane  a.  a.  O.  622  ZI.  3;  Vienner  Relation  a.  a.  0.;  Tolom. 
Lucc.  cont.  Patav.  a.  a.  0.  1223  C. 

'  Vienner  Relation  a.  a.  0.:  „vivat,  vivat  nobis  rex  Franciae  et  Columpna": 
Istorie  Pistolesi  a,  a.  0.  424:  „viva  lo  re  di  Francia  e  viva  Sciarra."  Die  von 
ViLLANi  (a.  a.  0.  79:  „muoia  papa  Bonitazio,  e  viva  il  re  di  Fraucia")  und  Hocsem 
(a.  a.  0.  343:  „moriatur  papa")  berichteten  Schlachtrufe  decken  sich  inhalt- 
lich mit  einem,  den  die  Vienner  Relation  in  einem  anderen  Zusamiueuliaug 
bringt,  in  den  auch  wir  ihn  stellen  wollen;  vrgl.  unten  (S.  77). 

*  Nogaret  a.  a.  0.  247  (nr.  XLVI);  der  Curtisane  a.  a.  0.  622  ZI.  5  f.; 
Chron.  v.  Orvieto  a.  a.  0. 

«  Nogaret  a.  a.  0.  247  (nr.  XLVI);  der  Curtisane  a.  a.  0.  622  ZI.  20. 
Ueber  die  lokalen  Verhältnisse  vrgl.  den  Stadtplan  und  die  Anm.  bei  Renan 
252;  eine  Ansicht  der  Stadt  findet  sich  bei  de  ÄIägistris:  „Ist.  della  citta 
d' Anagni",  Rom  1749.  Renan  meint  die  gleich  zu  behandelnde  Volksversamm- 
lung habe  vor  der  Belagerung  der  Paläste  stattgefunden.  A1)er  nur  Nogaret  war 
auf  der  Volksversammhing  anwesend,  nicht  etwa  auch  die  anderen  Führer  seiner 
Partei.     Beides  fand  oflonbar  gleichzeitig  statt. 


Auagni.  77 

Tru})pen  vorderhand  zu  teilen,  da  jeder  dieser  Paläste  belagert  wer- 
den miisste.  Ein  Teil  des  Heeres  unter  lleginald  von  Supino 
und  Gottfried  von  CV^ccanno  versuchte  den  Sturm  gegen  die 
Hcäuser  der  Kardinäle \  die  übrigen  unter  Nogaret  und  Sciarra 
^vandten  sich  gegen  den  Mar(]uis  und  gegen  Bonilaz.  Auf  die  Fi'age, 
wer  jene  drei  Kardinäle  gewesen  seien,  werden  wir  sogleicli  /urück- 
koninieu. 

Unterdessen  waren  die  Einwohner  Anagnis  durch  denWaffen- 
lärni  und  das  Geschrei  aus  dem  Schlaf  geweckt  worden,  und  wie 
ein  Lauffeuer  verbreitete  sich  die  Nachricht,  dass  Sciarra  C.'olonna 
mit  französischer  Hülfe  gegen  den  Papst  ziehe'-.  Dass  Nogaret 
schon  vorher  auch  in  Anagni  Anhänger  erkauft  hatte,  wissen  w^ir- 
niciitsdestoweniger  überrascht  der  allgemeine  Abfall  von  Bonifaz, 
der  jetzt  in  der  Vaterstadt  des  greisen  Kirchenfürsten  stattfand. 
Offenbar  war  derselbe  auch  hier  wegen  seiner  Nepotenpolitik  un- 
beliebt. Ueberall  brach  man  in  den  Ruf  aus:  „Es  lebe  der  König 
von  Frankreich  und  Colonna!  Tod  dem  Papst  und  dem  Marquis!"  * 
Auch  viele  Hofleute  und  Diener  des  Papstes  scheinen  sich  jetzt 
schon  dessen  Gegnern  angeschlossen  zu  haben,  sei  es  aus  Furcht, 
sei  es,  weil  sie  ihrem  wenig  freigebigen*  Herrn  überhaupt  nicht  ge- 
wogen waren.  Der  Podesta  liess  die  Gemeindeglocke  läuten  und  die 
Bürger  sich  auf  dem  Gemeindeplatz  versammeln.  Hier  beschloss 
man,  einen  Hauptmann  (Capitaneus)  mit  unumschränkter  Vollmacht 
aufzustellen.  Die  Wahl  fiel  auf  Adenulf  %  einen  mächtigen  Mann 
und  erbitterten  Gegner  des  Papstes,  von  dem  wir  sahen,  dass  er 
schon  vorher  mit  Nogaret  in  Verbindung  getreten  war.  Die  An- 
gesehensten der  Stadt  schwuren  dem  Erwählten  Treue  und  Gehor- 
sam. Nogaret  selbst  will  der  Versammlung  seine  Absichten  mit- 
geteilt und  sie  um  Hülfe  gebeten  haben:  allseitig  schloss  man  sich 
ihm   an'"\     Adenulf  liess    die   waffenfähigen  Bürger  zusammentreten 


'  Dies  ist  daraus  zu  schliesscn,  dass  nach  dem  Curtisauen  a.  a.  0.  622 
ZI.  27—30  Reginald  und  die  Söhne  .Tohann's  von  Ceccano,  als  die  Paläste  der 
Kardinäle  erstürmt  waren,  mit  Adenulf  (auf  den  wir  gleich  zu  sprechen  kommen) 
dem  Sciarra  und  Nogaret  zu  Hülfe  kamen-,  sie  waren  damals  ollenbar  eben 
frei  geworden.  —  Die  Paläste  des  Papstes  und  des  Maniuis  waren  nahe  bei- 
einander; vrgl.  im  folgenden. 

-  Der  Curtisane  a.  a.  O.  622  ZI.  6—10. 

^  Vienner  Relation  a.  a.  0.;  Vim.ani  und  Hocsem  (vrgl.  oben  S.  76 
Anm.  4). 

^  Vrgl.  Drlmann  II,  216f. 

*  In  einigen  (Quellen  tritt  die  Namensform  Agiiiull'  auf. 

ö  Vrgl.  über  diese  Dinge  Nogaret  a.  a.  ü.  247  (nr.  XLVIIl),  310  (nr.  XXVI) 


78  4.  Kapitel. 

uiul  führte  sie,  gleichfalls  unter  Vorantragung  des  Kirchenbaiiners', 
den  Feinden  des  Papstes,  und  zwar  der  die  Paläste  der  Kardinäle 
belagernden  Abteilung,  zu^. 

Hier  hatte  man  unterdessen  überall  den  Sturm  begonnen.  Aui 
die  spätere  Behauptung  Nogaret's^,  er  habe  die  Kardinäle  vorher 
seine  „lauteren'^  Absichten  wissen  lassen,  wird  wohl  kaum  etwas  zu 
gel)en  sein.  Jedenfalls  setzten  diese  wie  der  Papst  und  sein  Xeti'e 
sich  hartnäckig  zur  Wehr,  verbarrikadierten  sich,  schössen  Pfeile 
und  warfen  Steine  auf  die  Anstürmenden,  sodass  sie  einige  von 
ihnen  verwundeten  und  töteten.  So  konnten  die  Paläste  des  Mar- 
quis und  des  Papstes  nicht  genommen  werden.  Hingegen  gelang 
es,  diejenigen  der  drei  Kardinäle  zu  stürmen;  man  begann  sofort 
mit  der  Plünderung,  worüber  es  den  drei  Kardinälen  gelang,  wenn 
auch  mühevoll'  und  in  Verkleidung,  zu  entkommend 

Wer  waren  diese  drei  Kardinäle?  Nach  dem  Curtisanen''  Gen- 
tilis,  Franz  Gaetani"  und  Peter  Ispanus.  Diese  Angabe  kann 
aber  nicht  richtig  sein,  da  Peter  Ispanus  später  nachweislich  beim 
Papst  war,  und  es  durchaus  nicht  anzunehmen  ist,  dass  er  nach  der 
Erstürmung  seines  Palastes  dort  noch  Eiidass  gefunden  habe.  Die 
Orvietaner  Chronik^  berichtet  uns  ausdrücklich,  dass  die  Kar- 
dinäle sich  teils  in  Schlupfwinkeln  aufhielten,  teils  aus  der  Stadt 
entkamen;  und  wie  sehr  es  Nogaret  darauf  ankam,  sie  in  Händen 
zu  haben,  zeigt,  dass  er  einen  von  ihnen,  den  „fetten  und  starken" 
Franz  Gaetani,  dem  es  gelungen  war,  in  einen  Nachbarort  zu  ent- 
kommen, dort  aufspüren  und  bewachen  Hess''.    Kam  aber  keiner  der 


38.5,  44.5;  den  Curtisanen  a.  a.  0.  622  ZI.  10—18:  Dass  die  ganze  Bürgerschaft 
anfangs  auf  der  Seite  Nogaret's  gestanden  habe,  wird  besonders  von  dem  Ver- 
fasser der  Vienner  Relation  betont;  vrgl.  auch  Düpüt,  Diff.  pr.  175.  Capitaneus 
und  Podesta  ist  natürlich  nicht  dasselbe;  beide  werden  auch  von  Nogaret  (aa. 
aa.  00.,  Beilage  XII  §  9  und  Dupuy,  Diff.  pr.  582)  immer  auseinander  gehalten. 

'  Dupuy,  Diff.  pr.  247  (nr.  XLVllI),  256. 

'  Vrgl.  die  Anm.  1  auf  der  vorigen  Seite. 

^  Dupuy,  Diff.  pr.  445. 

*  „Cardiuales  ipsi  a  tergo  per  latrinam  vix  evaserunt."     (Curtis.) 

*  Vrgl.  hierüber:  Nogaret  a.  a.  O.  247  (ur.  XLVIf.),  443;  den  Curtisanen 
a.  a.  O.  622  ZI.  18—27;  Chron.  v.  Orvieto  a.  a.  0.;  die  Verkleidung  der  Kar- 
dinäle: Vienner  Relation. 

*^  a.  a.  0.  622  ZI.  20  f. 

'  Ein  Sohn  des  Marquis.     Dupuy,  Dift'.  pr.  370;  Drumänn  I,  4. 

"  A.  a.  0.;  vrgl.  Pipin  a.  a.  O.  740  C;  über  den  hier  erwähnten  Grafen 
von  Fundi   siehe  unten  (S.  82  Anm.  2). 

"  Dies  kann  man  wohl  aus  der  ganz  verlogenen  Meldung  Nogaret's  bei 
Dupuy,  Difi'.  pr.  311  (nr.  XXX)  herauslesen;  hier  heisst  es:  Während  die  anderen 


Anagiii.  79 

jetzt  vertriebenen  zu  Bonifaz,  so  kann  Peter  Ispanus  niclit  unter 
ihnen  gewesen  sein,  denn  dass  dieser  zu  denen  gehörte,  die  beim  l\-ii)st 
in  dessen  bedrängter  Lage  und  schweren  Stunden  aushielten,  kann 
nicht  bestritten  werden.  Die  Namen  dieser  Treuen  werden  sel)r 
verschieden  angegeben,  der  des  Kardinals  Peter  Ispanus  ist  aber 
fast  immer  und  vor  allem  nach  den  besten  Quellen  dabei  ^  Ziehen 
wir  das  Facit  aus  den  uns  überkommenen  Nachrichten,  so  werden 
wir  sagen:  Peter  Ispanus  und  Nicolaus  Bocasini  (der  spätere 
Papst  Benedikt  XI.)  sind  die  beiden  Kardinäle,  die  die  Gefangen- 
schaft Bonifaz'  VIII.  teilten;  offenbar  wohnten  sie  im  päpstlichen 
Palast  und  waren  während  der  ganzen  Dauer  der  Belagerung  hier 
anwesend-.  Wir  wissen  von  sieben  Kardinälen,  dass  sie  in  iVnagni 
zugegen  waren.  Wer  waren  die  drei,  die  nach  Einnahme  ihrer 
Paläste  flohen?  Petrus  Ispanus  und  Nicolaus  Bocasini  kom- 
men nicht  in  Betracht,  da  sie  beim  Papst  waren;  ebensowenig 
Richard  von  Siena  und  Napoleon  Orsini,  von  denen  wir  wissen 
dass  sie  auf  der  Seite  der  Gegner  des  Papstes  standen.  Bleiben 
Franz  Gaetani,  Gentilis  und  Theoderich  von  Orvieto'*,  und 

Kardinäle  ruhig  in  ihren  Häusern  gebHeben  [!  damit  sind  wohl  Richard  V(ju 
Siena  und  Xapoleon  Orsini  gemeint],  sei  Franz  im  Uebermut  an  einen  nahe  bei 
Anagni  gelegenen  Ort  geflohen;  einige  seiner  Rivalen  hätten  die  Gelegenheit  be- 
nützen und  ihn  töten  wollen,  Nogaret  aber  habe  dies  verhindert  und  ihn  geschützt. 
Wie  leicht  hätte  Franz  ohne  diesen  „Schutz"  Hilfstruppen  von  aussen  holen  können! 

^  Das  Verhältnis  ist  folgendes:  Zwei  Quellen  melden,  es  habe  nur  ein 
Manu  bei  Bonifaz  ausgehalten;  dieser  eine  ist  nach  den  Istorie  Pistolesi  (a.  a.  0. 
425)  Franz  Gaetani  (was  sicher  falsch),  nach  dem  Curtisanen  (a.  a.  0.  623 
ZI.  34 f.)  Peter  Ispanus  (obgleich  derselbe  doch  gerade  hier  unter  den  Ent- 
kommenen genannt  war);  die  Chron.  von  Orvieto  spricht  nur  von  zwei  Geistlichen, 
Berhärdus  Guu)Onis  (a.  a.  0.  714  A,  vrgl.  H — J)  nennt  Petrus  Ispanus  und  Nicolaus 
Bocasini;  nach  einer  anonymen  Chronik  (Rec.  des  bist.  XXI,  148  G)  floh  alles 
aus  der  Umgebung  des  Papstes  „excepte  un  cardiual  d'Espaigne  [d.  i.  eben 
Petrus  Ispanus;  vrgl.  Ciaconi,  Hist.  poutificum  I,  812]  et  un  homme  lay",  und 
die  Vienner  Relation  meldet,  niemand  sei  bei  Bonifaz  geblieben  als  Peter  Ispanus 
und  drei  andere.  Die  Anwesenheit  Peter's  beim  Papst  ist  danach  sicher  gestellt. 
Und  da  Benedikt  XL  (in  der  Bulle  „Flagitiosum  scelus",  Reg.  de  Ben.  799)  und 
die  Anhänger  Bonifaz"  YHI.  (Ddpuy,  Diff.  pr.  396,  400,  472)  später  selbst  be- 
haupteten, ersterer  habe  die  Gefangennahme  seines  Vorgängers  mit  angesehen 
(„8ub  oculis  suis"  sei  sie  erfolgtj,  wird  es  wohl  bei  der  Nachricht  des  Bkkn- 
HARDüs  Gdidonis  Sein  Bewenden  haben. 

-  Dass  im  päpstlichen  Palast  Kardinäle  wohnten,  ergiebt  sich  auch  daraus, 
dass  der  Curtisane  a.  a.  0.  623  ZI.  17  ihm  „palacium  pape  et  cardinalium"  nennt. 
In  der  Vienner  Relation  ist  an  einer  anderen  Stelle  statt  „domus  Petri  Hyspani"' 
zweifellos  „domini  P.  H."  zu  lesen,  wie  unten  gezeigt  werden  wird  (S.  91  Aum.  6). 

■''  Seine  Anwesenheit  ist  ausser  durch  die  Vienner  Relation  aucii  durch 
PiPiN  a.  a.  0.  740  D  bezeugt;  vrgl.  über  iim  Ciaconi,  Hist.  poutif.  I,  810. 


80  •!•  Kapitel. 

von  eben  diesen  dreien  berichtet  in  der  That  die  Vienner  Relation ' 
ausdrücklieh,  sie  seien  verkleidet  entkoninien.  Darnach  dürfte  diese 
P'rage  erledigt  sein;  dem  Kurtisanen  ist  bei  dem  einen  Xanien  ein 
Intimi   uiiterlauten. 

3. 

Durch  den  Fall  der  Paläste  der  drei  Kardinäle  waren  neue 
Streitkräfte  zum  Sturm  gegen  die  AVohnungen  des  Mar(iuis  und  des 
Papstes  frei  geworden.  Reginald  und  Gottfried  von  Ceccano  sowie 
Adenulf  mit  den  Anagnioten  stiessen  zu  den  Truppen  Sciarra's  und 
Xogaret's,  worauf  der  Angriff  gegen  die  beiden  genannten  Paläste 
mit  noch  stärkerer  Kraft  erneuert  wurde.  Als  der  Papst  einsah, 
dass  er  sich  nicht  mehr  lange  halten  könne,  lies  er  bei  Sciarra  einen 
Waffenstillstand  nachsuchen,  um  Unterhandlungen  zu  beginnen. 
Es  war  damals  6  Uhr  vorbei;  die  Wattenruhe  wurde  gewährt  bis 
3  Uhr  nachmittags-.  Wenn  dem  Papst  so  Zeit  zu  Unterhandlungen 
gegeben  wurde,  so  wird  man  dies  weniger  auf  den  wilden,  rache- 
durstigen Sciarra  zurückführen  als  auf  Nogaret,  der  so  am  besten 
seinen  Auftrag  ausführen  und  Bonifaz  nach  Prankreich  bringen  zu 
können  hoffte.  Wir  werden  auf  den  grossen  Gegensatz  zwischen 
Nogaret  und  Sciarra,  der  sich  hier  wohl  bereits  zum  ersten  INfale 
gezeigt  hatte,  bald  näher  einzugehen  haben. 

Der  Papst  nutzte  die  gewährte  Frist  aus.  Er  wandte  sich  zu- 
erst an  das  Volk  von  Anagni,  dessen  Abfall  ihm  gewiss  unerwartet 
gekommen  war;  hier  versprach  er  sich  am  ehesten  Rettung,  für 
welche  er  reiche  Belohnung  verhiess.  Aber  das  Volk  wies  ihn  an 
den  Bevollmächtigten,  den  es  sich  gesetzt  hatte,  und  von  Adenulf 
war  für  den  Papst  nichts  zu  hotten.  Doch  gab  sich  Bonifaz  noch 
nicht  verloren.     Er  begann  andere  Verhandlungen  und  schickte  auch 


'  A.  a.  0.  5.59  f.  Anm. 

-  Vrgl.  über  diese  Dinge  den  Curtisanen,  Mon.  Germ.  SS.  XXVIII, 
622  ZI.  28 — 38.  Die  Mitwirkung  der  Anagnioten  beim  Sturm  auch  verbürgt 
durch  den  Cont.  Guil.  Nang.,  ed.  Geraüd  I,  337  f.;  Villani,  ed.  Drago- 
MANNi  79.  Die  Dauer  des  Waffenstillstands  wird  angegeben  als  von  ungefähr 
der  ersten  Stunde  bis  zur  neunten  reichend;  auch  Nogaret,  Dupüy,  Diff.  pr.  310 
(nr.  XXVII)  und  443,  sagt,  der  Palast  des  Papstes  sei  nach  der  neunten  Stunde 
genommen  worden.  Schon  hieraus  ist  klar,  dass  Drumann  II,  127  den  Waffen- 
stillstand zu  Unrecht  als  erdichtet  bezeichnet;  er  konnte  dies  thun,  da  er  die 
Nachricht,  von  der  wir  wissen,  dass  sie  von  einem  Augenzeugen  stammt,  nur 
busWalsingham  kannte.  Ueberdies  erzählt  auch  Nogaret  a.  a.  0.  247  (nr.  XLIX), 
er  habe  schon  vor  dem  Fall  des  Palastes  des  Marquis  noclimals  versucht,  ohne 
die  Gewalt  der  Waffen  mit  Bonifaz  auszukommen,  aber  alle  Verhandlungen  seien 
an  dem  Eigensinn  des  Papstes  gescheitert. 


Anao^ni.  81 

direkt  zu  Nogaret  und  Sciarra  Colonna':  man  möge  ihm  die  Be- 
schwerden angeben,  da  er  bereit  sei,  über  deren  Abstellung  mit  den 
Kardinälen  sich  zu  beraten.  Man  antwortete  ihm,  unter  vier  Be- 
dingungen solle  er  das  Leben  behalten:  1.  müsse  er  die  abgesetzten 
Kardinäle  Jakob  und  Peter  Colonna  in  jeder  Beziehung  restituieren, 
2.  allen  Colonna  ihre  Besitzungen  wiedergeben,  3.  danach  das 
Papsttum  niederlegen,  und  4.  in  der  Gefangenschaft  seiner  Gegner 
bleiben.  Die  zwei  ersten  dieser  Bedingungen  bezeichnen  die  For- 
derungen Sciarra's,  die  dritte  mag  für  ihn  wie  für  seinen  franzö- 
sischen Genossen  von  Interesse  gewesen  sein,  die  vierte  wurde  in 
erster  Linie  von  Nogaret  gestellt:  sie  sollte  ihm  die  Ausführung 
seines  Auftrags  ermöglichen,  mit  einer  einfachen  Renunziation  war 
ihm  nicht  gedient.  Als  der  Papst  die  gestellten  Forderungen  ver- 
nahm, brach  er  in  die  Worte  aus:  „Wehe  mir!  hart  ist  diese  Rede!" 
Aber  wenn  Nogaret  glaubte,  er  werde  sich  in  die  Zumutungen  als 
in  etwas  Unvermeidliches  schicken,  so  hatte  er  sich  geirrt:  Bonifaz 
wies  die  Bedingungen  zurück,  man  verhandelte  noch  eine  Zeit  lang 
hin  und  her,  bis  der  Waffenstillstand  ohne  jedes  Resultat  abge- 
laufen war^. 

Um  drei  Uhr  trieb  Sciarra  seine  Scharen  von  neuem  an: 
,,rasch,  rasch!"  soll  er  ausgerufen  haben ^,  wohl  im  Herzen  froh, 
dass  die  Verhandlungen  zu  keinem  Ergebnis  geführt  hatten.  Nun 
begann  ein  neuer,  gewaltiger  Sturm  auf  die  Paläste  des  Papstes  und 
des  Marquis;  die  Verteidiger  wehrten  sich  nochmals  wie  verzweifelt. 
Da  griffen  die  Gegner  zu  einem  Mittel,  das  den  Kampf  entschied. 
Der  Palast  des  Papstes  lehnte  sich  an  die  Marienkirche  an  und 
stand  mit  ihr  in  Verbindung.  Von  dieser  Seite  war  der  Sturm  noch 
nicht  aufgenommen  worden,  und  doch  war  es  von  hier  am  leichtesten 
einzudringen.  Da  die  Thore  der  Kirche  geschlossen  waren ,  legte 
man  Feuer  an  sie  und  Hess  die  Flammen  den  heiligen  Ort  er- 
schliessen.  Viele  Leute,  Geistliche  und  Laien,  und  besonders  zahl- 
reiche  Händler,    die    wohl  am   Sonntag    hier   bei   der    Kirche   ihre 


*  Der  Curtisane  spricht,  wie  immer,  nur  von  Sciarra.  Nach  der  Lage 
der  Dinge  ist  es  aber  sicher,  dass  auch  Nogaret  sich  an  diesen  Verhandlungen 
beteiligte;  auch  zeigt  die  vierte  der  gestellten  Bedingungen  deutlich  seine  Mit- 
wirkung. 

^  Vrgl.  über  diese  Verhandlungen  den  Curtisanen  a.  a.  O.  022  ZI.  39  bis 
623  ZI.  13. 

^  Es  ist  in   dem  Bericht   des   Curtisanen   nicht  recht  klar,    ob  Bunifaz 
oder  Sciarra   das  Subjekt   zu    „exclamavit"   ist;   doch   passt   es  dem  Sinn  nach 
und   des  folgenden   „ipsorum"  wegen   [vrgl.    dazu  ZI.  30  f.,  wo  von  Bonifaz  die 
Rede  ist,  „in  suo  vulgari"]  besser,  wenn  Sciarra  der  Kufer  ist. 
R.  Holtzmaiin,  Nogaret.  g 


82  4-  Kapitel. 

Waren  feilbieten  wollten,  hatten  sich  in  dieselbe  geflüchtet.  Nun 
schonten  die  rohen  Scharen  auch  den  geweihten  llauni  nicht,  sondern 
tielen  raubend  und  i)lündernd  in  die  Kirche  ein'. 

Während  man  nun  hier  nach  dem  Eingang  zum  päpstlichen  Pa- 
last vordrängte  und  auch  auf  dieser  Seite  den  Sturm  begann,  musste 
sich  der  Marquis  mit  seinem  SohnLofred,  dem  Herrn  von  Con- 
ticelli,  und  mit  dessen  Sohn  Benedikt  ergeben.  Man  hatte  ihnen 
das  Leben  zugesichert  und  brachte  sie  in  das  Haus  des  Adenulf, 
wo  man  sie  „vor  dem  Tod  schützte  und  treulich  behütete",  wie  uns 
Nogaret  versichert.  Der  Papst  weinte  auf  diese  Kunde  bitter.  Der 
Graf  von  Fundi,  ein  anderer  Sohn  des  Marquis,  war  entkommen^. 

So  war  denn  die  ganze  verfügbare  Truppenmacht  zur  Er- 
stürmung des  ohnehin  schon  stark  erschütterten  päpstlichen  Palastes 
frei.  Sofort  schritt  man  zum  letzten  Angrift';  die  Behauptung  No- 
garet's,  er  habe  auch  jetzt  noch  Frieden  angeboten^,  ist  ebensowenig 
richtig  wie  die,  welche  er  beinahe  im  selben  Atem  ausspricht*,  er 
sei  bei  der  Erstürmung  des  Palastes  gar  nicht  zugegen  gewesen. 
Die  Fenster  und  Thüren  wurden  eingeschlagen,  auf  einer  Seite 
wurde  auch  jetzt  wieder  Feuer  angelegt,  mit  wütendem  Geschrei 
fielen  die  Scharen  in   die  Wohnung  des  Papstes  ein.     Es  entstand 


*  Vrgl.  über  diesen  neuen  Sturm  und  die  Einnahme  der  Marienkirche  den 
Curtisanen  a.  a.  0.  623  ZL  14 — 21;  die  Gegner  Nogaret's  bei  Dopüy,  Diff. 
pr.  472,  486  (unten).  Wenn  Walter  von  Gdisboroüuh  (Mon.  Germ.  SS.  XXVIII, 
645  ZI.  13)  meint,  die  Palastthür  sei  verbraunt  worden,  so  verwechselt  er  dies 
mit  der  Kirchenthür. 

^  Vrgl.  über  die  Kapitulation  des  INIarquis:  Nogaret  a.  a.  0.  311  f. 
(nr.  XXXIII);  den  Curtisanen  a.  a.  0.  623  ZI.  22 — 25.  —  Im  einzelnen  liegen 
die  Verhältnisse  nicht  eben  sehr  klar.  Der  Curtisane  schreibt  die  rätselhaften 
Worte:  „Tandem  marchio  .  .  .  reddidit  se  dicto  Schaire  et  capitaneo,  ita  quod 
vitam  ipsius  et  filii  sui  et  suorum  salvareut.  Et  filius  suus,  unus  et  alter, 
fugit  per  cameram  privatam,  et  detrnsi  fuerunt  in  carcere."  Nogaret  nennt 
einen  Sohn  des  Marquis,  den  Herrn  von  Conticelli.  DieChron.  von  Or- 
vieto  nennt  einmal  (ed.  Döllinger  351,  ed.  Himmelstern  34)  als  Laien-Nepo- 
ten  „Lofred  und  seinen  Sohn  Benedikt",  ein  andermal  (ibid.  353  resp.  36) 
die  beiden  als  Sohne  des  Marquis.  Vermutlich  war  demnach  Benedikt  ein 
Enkel  des  Manjuis;  während  Lofred  mit  dem  Herrn  von  Conticelli  zu  identifi- 
zieren ist.  Als  entkommen  nennt  Pipin  (Mürätori  IX,  740  C)  den  Grafen 
von  Fundi,  einen  Xepoten;  in  Verbindung  mit  dieser  Nachricht  dürfen  wohl 
die  dunkeln  Worte  des  Curtisanen  wie  geschehen  gedeutet  werden.  Dass  die 
Nepoteu  in  das  Haus  des  Adenulf,  des  Sohnes  des  Matthäus,  gebracht  wurden, 
berichtet  die  Chron.  von  Orvieto  a.  a.  0.  352  resp.  35  und  Pipin  a.  a.  0. 
740  E. 

'^  Ddpüy,  DüT.  pr.  247  (ur.  XLIX). 

*  Ibid.  (nr.  L). 


Anagni.  83 

ein  kurzes  Handgemenge,  bei  dem  auch  Blut  floss.  Hier  wird  es 
gewesen  sein,  wo  der  Erzbischof  von  Gran,  Gregor  von  Katu- 
pani,  der  als  eifriger  Vertreter  der  päpstlichen  ToHtik  nicht  in 
Ungarn  weilen  konnte,  im  Getümmel  seinen  Tod  fand>.  Aber 
ernster  Widerstand  wurde  bald  nicht  mehr  gewagt:  in  toller  Hast 
verliessen  die  Wachen  und  alle  Diener  ihren  schutzlosen  Herrn. 
An  diesem  Tage,  wo  alle  Bande  zerrissen  schienen,  die  die  Christen- 
heit bisher  zusammengehalten  hatten,  war  jeder  froh,  wenn  er  sein 
Leben  retten  konnte'^. 

4. 
Den  Papst  fand  man  in  seinem  Zimmer  auf  dem  Bett 
liegen,  über  seiner  Brust  ein  Christuskreuz  haltend,  von  dem  es 
hiess,  es  sei  aus  Holz  von  dem  Kreuze  auf  Golgatha  verfertigt^. 
So  melden  uns  die  Quellen,  die  am  meisten  Anspruch  auf  Glaub- 
würdigkeit machen  können.  Dieselben  wissen  nichts  davon,  was 
später  besonders  von  Villani*  berichtet  wurde,  nach  welchem  Bonifaz, 
als  die  Angreifer  nicht  mehr  länger  abgewehrt  werden  konnten,  um 
einen  würdigen  Tod  zu  finden,  den  Mantel  des  heiligen  Petrus  über 

^  Vrgl.  über  denselben  die  Gegner  Nogaret's  bei  Düpuy,  Diff.  pr.  472,  486 
(unten);  „interfectus  fuit  Strigoniensis  electus  et  coufirmatus."  Gregor  war  vom 
Papst  in  der  That  bestätigt,  aber  von  der  Mehrzahl  der  Ungarn  nicht  aner- 
kannt, weshalb  er  auch  meistens  in  Italien  weilen  musste;  vrgl.  NicOL.  Schmitth: 
„Ärchiepiscopi  Strigonienses",  2.  Aufl.  1758,  Teil  I  S.  153 — 157;  Drumann 
I,  68  f. 

-  Vrgl.  über  die  Erstürmung  des  päpstl.  Palastes  u.  a.  Nogaret  a.  a.  0. 
247  (nr.  L) ;  den  Curtisanen  a.  a.  0.  623  ZI.  25—27  und  35  f. ;  Ist.  Pistolesi, 
ed.  BisciONi  424;  Pipin  a.  a.  0.  740  C;  Annalen  von  Parma,  Mon.  Germ.  SS. 
XVIII,  729  ZI.  13  f.;  Eberhard  von  Regensburg,  ibid.  XVII,  599  ZI.  18.  Von 
einem  Verrat  der  Diener  sprechen  Chron.  von  Orvieto  a.  a.  0.  851  resp.  34; 
Ist.  Pistolesi  a.  a.  0.  424;  Pipin  a.  a.  0.  740  C;  Bernhardus  Güidonis,  Reo. 
des  hist.  XXI,  718  K.  —  Ueber  die  Zeit  der  Erstürmung  sagt  Nogaret 
zweimal  (a.  a.  0.  310  XXVII,  443),  es  sei  nach  3  Uhr  (der  „hora  uona"),  ein- 
mal (ibid.  885),  es  sei  gegen  Abend  gewesen.  Der  Curtisane  (a.  a.  O.  623 
ZI.  40)  nennt  die  „siebente  Stunde"  (1  Uhr  nachm.),  obgleich  er  selbst  vorher 
den  Kampf  erst  bei  der  neunten  wieder  beginnen  Hess;  das  „hora  septima"  in 
der  einzigen  uns  erhaltenen  Handschi'ift  ist  wohl  aus  „hora  decima"  verschrieben 
(diese  Erklärung  scheint  mir  wahrscheinlicher  als  die,  welche  Knüpfler  in  den 
Hist.-polit.  Blättern  CII,  7  Anm.  3  geben  will). 

•■'  Chron.  von  Orvieto,  ed.  Döllinger  352,  ed.  Himmelstern  34;  Toi. 
Luc.  cont.  Ambr.,  bei  Mürätori  XI,  1203  E;  Pipin,  ibid.  IX,  740  C— D. 
Der  sich  bei  letzterem  findende  Ausdruck  „crux  de  vero  Hgno"  erhält  seine  Er- 
klärung durch  Johann  von  Viktkino  (Böhmer,  Fontes  I,  347)  und  die  Aunaleu 
von  Lübeck  (Mon.  Germ.  SS.  XVI,  418  ZI.  19  f.). 

*  ViLLANi,  ed.  Dragomanni  80;  Flandrische  Chronik,  Ree.  des  hist. 
XXII,  374  F. 

6* 


84  4.  Kapitel. 

die  Schultern  geworfen,  die  Krone  Konstantin's  auf  sein  Haupt  ge- 
setzt, Sclilüssel  und  Kreuz  in  die  Hand  genommen  und  so  auf  dem 
päpstlichen  Tiu'on  den  Todesstreich  erwartet  habe.  Schon  Döl- 
LiNGEii^  hat  auf  die  Unmöglichkeit  dieser  Erzählung  hingewiesen, 
da  es  die  hier  genannten  Gegenstände  gar  nicht  gab.  Wir  können 
die  Entstehung  der  Geschichte  noch  näher  verfolgen.  Die  Krone 
und  die  Schlüssel  scheinen  Zuthaten  ^'ILI.AXI's  zu  sein,  während  der 
Mantel  des  heiligen  Petrus  schon  von  den  Istorie  Pistolesi-  ge- 
nannt wird;  auch  andere  Quellen  beschränken  sich  darauf,  Bonifaz 
sich  mit  dem  päpstlichen  Gewand  schmücken  und  ein  Kreuz  in  die 
Hand  nehmen  zu  lassen^.  So  recht  das  Werden  einer  volkstüm- 
lichen Erzälilung  erkennen  wir  aber,  wenn  Paulixus  Minokita 
schreibt',  Bonifaz  habe  das  päpstliche  Gewand  anlegen  wollen  und 
das  Kreuz  in  Händen  gehalten.  Die  Würde  des  Papsttums  gegen- 
über den  rohen  Angreifern  sollte  durch  diese  Erzählungen  vor 
Augen  treten,  weshalb  denn  auch  verschiedentlich  weiter  berichtet 
wird,  dass  Sciarra  und  seine  Leute  beim  Anbhck  des  hoheitsvollen 
Greises  gestutzt  haben". 

Xogaret,  Sciarra,  Reginald  von  Supino  und  verschiedene  andere 
betraten  das  Zimmer  des  Papstes^,  Man  verlangte  von  Bonifaz 
mit  drohenden  AVorten'^,  dass  er  nun  auf  die  ihm  gestellten  Be- 
dingungen eingehe.  Nogaret  versichert  in  seinen  Schutzschriften  mit 
grossem  Eifer,  er  habe  Bonifaz  nur  seinen  angeblichen  Auftrag  mit- 
geteilt, doch  habe  der  verstockte  Papst  sich  geweigert,  sich  einem 
Konzil  zu  stellen^.  Aber  wäe  bei  den  Angaben  über  seinen  Auf- 
trag geht  er  auch  hier  von  der  Wahrheit  ab:  thatsächlich  verlangte 
er  von  Bonifaz  Verzicht  auf  das  Papsttum  und  Verbleiben  in  der 
französischen  Gefangenschaft;   denn  nun  glaubte   er  bei  ihm,  einem 

'  Akad.  "Vorträge  III,  237.  -  ed.  BisciONi  424. 

^  Niederrheinische  Chrouik,  ed.  "Weiland  381;  Eberhard  von 
Regensburg,  Mon.  Germ.  SS.  XVII,  599  ZI.  20 f.;  Hocsem,  bei  Chapeaville 
II,  343  („ornamenta  papalia");  Johann  v.  Viktbing  a.  a.  0.  347. 

*  Rec.  des  hist.  XXII,  15  D  und  Toi.  Luc.  cont.  Ambr.  a.  a.  0.  1203  E; 
oder  sollte  „indui  voluit"  mit  „liess  sich  anziehen"  zu  übersetzen  sein?  Auch 
dann  wäre  die  Geschichte  noch  nicht  hinreichend  verbürgt. 

'  Ist.  Pistol.,  niederrh.  Chronik,  Pipin  aa.  aa.  00. 

"  Der  Curtisaue  nennt,  wie  immer,  Sciarra,  die  Chron.  v.  Orvieto  Nogaret 
und  Reginald.  Nach  den  Berichten  Nogaret's  und  den  anderen  Quellen  ist  es 
sicher,  dass  Nogaret  und  Sciarra  beim  Papst  waren. 

'  Der  Curtisane  a.  a.  0.  623  ZI.  28;  Cont.  Gervas.  Cantuar. ,  Mon. 
Germ.  SS.  XXVII,  314  ZI.  29  f.;  Hocsem  a,  a.  0.  343. 

«  Beilage  IX  §  3,  XII  §  9 ;  DuPüY,  Diff.  pr.  248  (nr.  LIV),  310  f.  (nr.  XXVII), 
385,  443,  518,  596. 


Anagni.  85 

gebrochenen  Greis,  keinen  Widerstand  mehr  zu  finden.  Der  klug  be- 
rechnende, kalte  Diener  Philipp's  des  Schönen  hatte  sich  jedoch  in 
seinem  Gegner  getäuscht.  Bonifaz,  der  während  der  10  Jahre  seines 
Pontifikates  in  all  seinen  Reden  und  Erlassen  für  das  Papsttum  die 
höchste  Macht,  die  demütige  rnterwerfung  aller  Könige  und  Völker 
unter  seine  göttliche  Autorität  gefordert  hatte,  der  vor  noch  nicht 
einem  Jahr  die  Ansprüche  des  Hauptes  der  Christenheit  in  einer 
Weise  zusammengefasst  hatte,  wie  dies  noch  von  keinem  seiner 
Vorgänger  g'eschehen  war:  er  fühlte  mit  Recht,  dass  jetzt  ein  Nach- 
geben von  verhängnisvoller  AVirkung  für  seine  Nachfolger,  für  die 
ganze  Institution  des  Papsttums  gewesen  wäre.  Und  wie  er  bisher 
immer,  auch  w^o  er  thatsächlich  eine  Niederlage  erlitten  hatte,  von 
seinen  theoretischen  Ansprüchen  um  kein  Haar  gewichen  war,  so 
schlug  er  auch  jetzt  mit  bewundernswertem  Heldenmut  sein  Leben 
für  sie  in  die  Schanze.  „Hier  mein  Nacken,  hier  mein  Haupt!", 
mit  diesen  Worten  soll  der  so  schmählich  behandelte  Greis  die  Auf- 
forderung zur  Resignation  abgewiesen  haben;  in  keinem  Punkt  gab 
er  nach,  bereit  niedergestossen  zu  werdend 

Nun  wollte  nach  dem  Bericht  des  Curtisanen^  Sciarra  den  Papst 
töten,  wurde  aber  daran  gehindert.  Nogaret  schrieb  sich  später  zu 
wiederholten  Malen  das  Verdienst  zu,  dem  Papst  das  Leben  gerettet 
zu  haben ^.    Der  Curtisane  kannte,  wie  wir  wissen,  Nogaret's  Namen 


^  Der  Curtisane  a.  a.  0.  623  ZI.  31  :  „ec  le  col,  ec  le  cape!"  Der  Aus- 
spruch wird  verschieden  wiedergegeben;  Chron  v.  Orvieto  a.  a.  0.:  „Pro  fide 
domini  nostri  Jesu  Christi  cupio  mori" ;  Istorie  Pistolesi  a.  a.  0.  424 :  „Mai  non 
rifiutero,  perocche  papa  sono  e  papamorru";  Pipin  a.  a.  0.  740  D:  „Venite  ampu- 
tare  mihi  caput,  quia  martyrium  pati  volo";  Flandrische  Chronik  a.  a.  0.  374  G : 
„je  attens  la  mort  comme  Jesu  Christ";  vrgh  auch  Gervas.  Cantuar.  cont. 
a.  a.  0.  314  ZI.  30 f.;  Thorne,  bei  Twysden  2003  ZI.  41  f.;  Hocsem  a.  a.  0. 
343.  Ueber  die  Worte,  die  Bonifaz  nach  Villani  und  Eberhard  von  Regens- 
burg gegen  Nogaret  hat  fallen  lassen ,  den  er  einen  Ketzer,  dessen  Eltern  als 
Ketzer  verbrannt  seien,  genannt  haben  soll,  wurde  in  anderem  Zusammenhang 
schon  geredet  (S.  9) ;  die  Nachricht  ist  schwerlich  historisch,  vermutlich  eben 
im  Hinblick  auf  das  Patarenertum  Nogaret's  erfunden.  Einen  ausführlichen 
Wortwechsel  zwischen  Nogaret  und  Bonifaz  erdichtet  Gottfried  von  Paris, 
Rec.  des  bist.  XXII,  108  Vers  1991—2047.  Eine  völlig  vorkehrte  Schilderung 
begegnet  bei  Ferreto  (Muratori  IX,  1004  A — D),  wo  Bonifaz  um  sein  Leben 
fleht,  dann  seine  Gegner  wegen  des  angeblich  nicht  erstürmbareu  Palastes  des 
Marquis  nachgiebig  werden,  nur  noch  die  Restitution  der  Coloima  verlangen, 
und  der  geängstigte  Papst  diese  zusagt. 

2  A.  a.  0.  623  ZI.  32  f. 

3  Beilage  VI  §  2,  IX  §  6;  Dupuy,  Difl".  pr.  247  (ur.  XLIX),  248  (ur.  LIII), 
257,  276,  310  f.  (nr.  XXVH  f.),  313  (nr.  XXXIX),  382  f.,  3h7,  444,  4-lr,,  ölS, 
581,  582  f.,  596;  Baillet  352, 


86  '^-  Kapitel. 

überhaupt  nicht,  und  des  letzteren  Darstellung  findet  ihre  Bestäti- 
gung in  der  Vienner  Relation',  die  ausdrücklich  berichtet,  dass  dem 
Papst  kein  Leid  geschehen  sei,  da  ihn  Nogaret  bewacht  habe.  Es  kann 
nach  der  übereinstimmenden  Darstellung  aller  guten  Quellen  keinem 
Zweifel  unterliegen,  dass  Bonifaz  kör])erlich  nichts  zu  erdulden  hatte  ^. 
Wie  kam  Nogaret  dazu,  sich  in  dieser  Weise  des  Papstes  an- 
zunehmen? Offenbar  lief  eine  Ermordung  desselben  seinem  Plan 
zuwider.  Er  wollte  den  Papst  lebend  nach  Frankreich  bringen, 
damit  er  dort  von  dem  Lyoner  Konzil  abgeurteilt  und  die  Politik 
der  Curie  dauernd  in  den  Dienst  Frankreichs  gezwungen  werde. 
Wurde  Bonifaz  in  Anagni  getötet,  so  fand  in  Rom  ein  neues  Kon- 
klave statt,  dessen  Ausgang  niemand  wusste;  war  Bonifaz  aber  erst 
in  Frankreich,  so  konnte  man  eines  Nachfolgers  nach  dem  Sinn 
Philipp's  des  Schönen  gewiss  sein^.  Hier  liegt  der  grosse  Gegen- 
satz zwischen  Nogaret  und  seinen  italienischen  Bundesgenossen, 
hauptsächlich  Sciarra  Colonna,  begründet.  Sciarra  w^ar  von  per- 
sönlicher Rache  erfüllt;  er  wollte,  als  er  in  Anagni  einbrach,  den 
Tod  des  Papstes,  wie  dies  auch  direkt  bezeugt  wird*.  Nogaret 
hingegen  hatte  mit  diesen  i3ersönlicheu  Intentionen  nichts  zu  thun; 
er  sollte  und  wollte  den  Papst  möglichst  ohne  viel  Aufsehen  nach 
Frankreich  schaffen.  Dieser  Gegensatz  zwischen  den  beiden  Führern 
des  Unternehmens  ist  von  grösster  Wichtigkeit;  wir  werden  ihn  in 
der  Folge  noch  klarer  hervortreten  sehen.  So  kam  es,  dass,  als 
Sciarra  die  Hand  gegen  Bonifaz  erhob,  ihm  sein  Bundesgenosse 
Nogaret  entgegentrat,  und  es  mag  demselben  in  der  That  einige 
Anstrengung  gekostet  haben,  die  wilden,  rachgierigen  Italiener  von 
der  Person  des  Papstes  zurückzuhalten. 

'  Revue  des  quest.  bist.  43,  .560  Anm.:  „Et  dominus  papa  nou  fuit  ligatus 
nee  in  ferris  positus  nee  de  hospicio  suo  eiectus,  sed  dictus  dominus  G.  de  No- 
gareto  custodiebat  eum  cum  magna  societate  infra  cameram  suam."  Auch  in 
der  Chronik  von  St.  Denis  (Reo.  des  hist.  XX,  674  E)  tritt  ein  französischer 
Ritter  (womit  nur  Nogaret  gemeint  sein  kann)  dem  den  Papst  schlagen  wollen- 
den Sciarra  entgegen.     Vrgl.  dazu  auch  Beilage  XII  §  10. 

^  Nogaret  aa.  aa.  00.;  der  Curtisane  a.  a.  0.  623  ZI.  33  f.;  Yienner  Re- 
lation a,  a.  0.;  Aunalen  von  Parma,  Mon.  Germ.  SS.  XVIII,  729  ZI.  15-, 
Gottfried  von  Paris  a.  a.  O.  109  A,  Vers  2063—66  (sogar  Amalricüs  Augerius, 
MüRATORi  III  2,  439  B);  auch  die  Chronik  von  Orvietro  und  vor  allem  die 
Gegner  Nogaret's  (Düpuy,  Diff.  pr.  471,  579)  wissen  von  keiner  Misshandlung 
des  Papstes;  das  „manus  mittere"  an  der  letzten  der  angeführten  Stellen  be- 
deutet wie  das  „manus  inicere"  in  der  Bulle  „Flagitiosum  scelus"  (Reg.  de  Ben. 
799)  nur  die  gewaltsame  Gefangennaluno;  Drumann  II,  130. 

"  Vrgl.  im  Exkurs  I. 

*  Der  Curtisane  a.  a.  O.  622  ZI.  10;  Ist.  Pistolesi  a.  a.  0.  423;  u.  a.  m. 


Anagni.  87 

Von  angeblichen  Misshandlungen  des  Papstes  ist  daher 
auch  erst  in  den  si^äteren  Quellen  die  Hede,  und  wir  können  noch 
das  allmähliche  Entstehen  dieser  Erzählungen  verfolgen.  In  Italien 
weiss  man  überhaupt  nichts  von  körperlicher  Unbill,  die  Bonifaz 
erlitten  habe.  Die  Istorie  Pistolesi^  berichten  nur,  er  sei  nach 
seiner  Weigerung  abzudanken,  verhöhnt  worden.  Aehnliches  findet 
sich  bei  den  anderen  italienischen  Autoren,  die  teilweise  ausdrücklich 
bemerken,  körperlich  sei  dem  Papst  kein  Leid  zugefügt  worden'. 
Auch  in  Frankreich  wird  selten  von  einer  thätlichen  Verletzung 
des  Papstes  gesprochen,  weder  Bkrniiardus  Guidonis  noch  der  Fort- 
setzer des  Wilhelm  von  Nangis  wissen  von  einer  solchen  und  Gott- 
fried vox  Paris ^  leugnet  sie  direkt.  Die  flandrische  Chronik'*  meldet 
nur,  Sciarra  habe  dem  Papst  die  Tiara  abgesetzt.  Anders  die 
Chronik  von  Saint-Denis'';  sie  berichtet,  zweimal  habe  ein  Colonna 
Bonifaz  schlagen  w^ollen,  sei  aber  jedesmal  von  einem  französischen 
Bitter  abgehalten  worden,  bis  es  ihm  doch  gelang,  dem  Papst,  der 
sich  zurückziehen  wollte,  ins  Gesicht  zu  schlagen,  sodass  er  blutete. 
Gerade  auch  hier  sieht  man  wieder  die  Entstehung  der  Legende: 
der  Chronist  hatte  noch  die  gute  Nachricht,  dass  ein  französischer 
Bitter  dem  Ungestüm  Sciarra's  entgegentrat;  aber  damit  verbindet 
er  die  Behauptung,  dass  Bonifaz  doch  noch  einen  Schlag  ins  Ge- 
sicht erhalten  habe.  Diese  Darstellung  der  Chronik  von  Saint-Denis 
übernahm  später  Nikolaus  Gilles '^,  indem  er  aber  noch  auf  eigene 
Verantwortung  hinzufügte,  Colonna  habe  „de  la  main  armee  du 
gantelet"  dem  Papst  ins  Gesicht  geschlagen.  Dies  ist  thatsächlich 
das  erste  Mal,  dass  die  so  bekannt  gewordene  Geschichte  von  der 
Ohrfeige,  die  Colonna  dem  Papst  mit  seinem  Panzerhandschuh  ver- 
setzt habe,  auftritt,  eine  Geschichte,  die  sich  seit  Dupuy^  fast  in 
allen  Darstellungen  findet,  bald  mit,  bald  ohne  Zustimmung  des  be- 
treffenden Autors,  immer  aber  ohne  Quellenangabe.  Eine  andere 
Entstellung  findet  sich  in  den  40er  Jahren  des  14.  Jrhdts.  bei  einem 
Anonymus  aus  Caen^,  der  uns  meldet,  Nogaret  habe  die  Verwandten 
des  Papstes  vor  dessen  Augen  niedergemacht.     Dass  man  in  Eng- 

1  A.  a.  0.  424. 

-  Annalen  von  Parma  a.  a.  0.  729  ZI.  L5;  Pipin  a.  a.  0.  740 D;  Ferreto 
a.  a.  0.  1004  A  (woraus  sich  ergiebt,  dass  1010 B  „laesus"  so  viel  wie  „beleidigt", 
„insultiert"  bedeutet);  Villani  a.  a.  O.  80. 

3  A.  a.  0.  109  A,  Vers  2063—66.  '  A.  a.  0.  374  (i. 

=>  Rec.  des  hist.  XX,  674E  — 675A-,  der  Text  bei  Dii'UY,  DitV.  pr.  191 
ist  entstellt. 

«  Ausg.  1549  I,  feuil.  CXXI,  2.  Seite;  Düpüy,  DitV.  pr.  199. 

7  Diff.  23.  "  Rec.  des  hist.  XXII,  25 C. 


88  4.  Kapitel. 

land  im  allgemeinen  über  das  Attentat  von  Anagni  gut  unterrichtet 
ist,  wurde  schon  erwiihnt.  Doch  findet  sich  bei  dem  Fortsetzer  des 
Mattiiakl's  Paris  ^  zuerst  eine  Erzählung,  wonach  Nogaret  und  die 
C'olonna  den  Papst  umgekehrt  auf  ein  zügelloses  Pferd  gesetzt, 
ihn  bis  zur  Atemlosigkeit  herumgehetzt  und  durch  Hunger  getötet 
hätten;  später,  als  dem  Autor  der  Bericht  des  Ourtisanen  zu  Gebot 
stand,  variierte  er  diese  Geschichte  insofern,  als  er  behauptete,  man 
habe  Bonifaz  doch  nur  beinahe  bis  zur  Atemlosigkeit  herumge- 
hetzt und  ihn  fast  verhungern  lassen.  Gegen  Ende  des  14.  Jrhdts. 
weiss  WiLiiKLM  TiiOKNE-,  ciii  Mönch  zu  Canterbury,  uns  zu  berichten, 
man  habe  den  Papst  in  eine  Eselshaut  gesteckt.  Die  zahlreichsten 
und  grössten  Entstellungen  begegnen  aber  in  Deutschland.  Noch 
in  der  ersten  Hälfte  des  Jahrhunderts  findet  sich  hier  zweimal^  die 
Erzählung,  Bonifaz  sei  in  seinem  Zimmer  mit  der  Thür  gegen  die 
AVand  gepresst  worden;  und  während  Johann  von  Viktring  weiter 
meldet,  man  habe  ihn  mit  den  Worten:  „Intrasti  ut  vulpes,  regnasti 
ut  leo,  morieris  ut  canis"*  angeschrien,  berichtet  der  Minorit  Her- 
mann, Bonifaz  sei  an  den  erlittenen  Quetschungen  am  dritten  Tag 
darauf  gestorben.  Noch  weiter  vom  Schauplatz  der  That  entfernt 
lag  Lübeck,  und  was  die  dortigen  Annalen  aufzeichnen^,  klingt  noch 
abenteuerhcher:  auf  der  Erde  habe  der  Papst  gelegen,  die  Anne 
auseinandergeschlagen,  und  da  man  ihn  so  in  seinem  päpstlichen 
Gewand  nicht  gut  wegschaffen  konnte,  habe  man  ihn  mit  Schlägen 
bearbeitet  und  halbtot  liegen  lassen.  Je  später  die  Quellen  sind, 
desto  eingehender  werden  die  Schilderungen  der  Martern,  die  Bo- 
nifaz erhtten  habe.  Heinrich  von  Herford''  nimmt  den  IMund  be- 
sonders voll,  wenn  er  schreibt,  man  habe  den  Papst  mit  Hand-  und 
Fusseisen  schimpflich  gefesselt,  habe  ihn  wie  taubes  Salz,  das  nur 
noch  zum  Wegwerfen  gut  ist,  unter  Hohnreden  mit  Füssen  getreten, 
und  dann  sein  Leben,   wie  man  einen  verdorrten  Feigenbaum  oder 


*  ed.  RiLEY  (als  Chronik  Risiianger's)  146  und  219;  mit  Unrecht  meint 
DöLLiNGER  (Vortr.  III,  242  f.),  diese  Erzählung  finde  sich  erst  bei  Walsinghäm. 
Auch  Knighton"  (Twysden  2472  ZI.  43 — 46)  entnahm  sie  von  dem  Cont. 
Mat.  Par. 

-  Twysden  2003    ZI.  42  f. 

'  Johann  von  Viktring  a.  a.  0.  347;  Hermaunus  minorita,  bei  Eccard, 
Corpus  I,  1631. 

■•  Ueber  diese  hier  sehr  ungeschickt  angebrachte,  aber  auf  Bonifaz  VIII. 
oft  angewandte  Sentenz  vrgl.  den  Exkurs  II. 

'  A.  a.  0.  418    ZI.  18—21. 

"  ed.  PoTTHAsT  220;  die  Erzählung  Heinrich's  von  Herford  schi-ieb  Kor- 
ner (Eccard,  Corpus  II,  962;  ed.  Schwalm  211)  ab. 


Anagni.  89 

einen  Rebstock,  der  keine  Früchte  trägt,  verbrennt,  durch  Drangsal 
und  Hunger  aufzehren  lassen. 

Doch  genug  von  diesen  sagenhaften  Entstelhingen!  Erwähnt 
sei  nur  noch,  dass  wir  namentlich  in  Frankreich  auch  von  allerhand 
Flüchen  hören,  die  Bonifaz  gegen  Philii)p  ausgestossen  habe. 
Johann  VON  NoYAL^  und  die  Üandrische  Chronik^  lassen  den  Papst 
den  französischen  König  und  seine  Nachkommen  bis  ins  7.  Glied 
verfluchen.  Schon  hieraus  ersehen  wir,  dass  beide  Nachrichten  aus 
der  Zeit  nach  1328  stammen:  als  damals  drei  Söhne  Philipp's  des 
Schönen  kurz  nach  einander  in  der  Blüte  ihrer  Jahre  gestorben 
waren,  erblickten  gläubige  Gemüter  darin  eine  Strafe  Gottes^.  So 
schrieb  auch  in  Deutschland  Johann  von  Viktking*,  der  Papst 
habe  gesagt:  „Non  sum  propheta  nee  lilius  prophete,  sed  regem 
Francorum  dico  miserabiliter  victuvum,  breviter  moriturum  et  semen 
uteri  sui  de  throno  regni  celeriter  defecturum"  und  fügt  hinzu: 
„Que  omnia  sicut  patebit  suo  tempore  sunt  impleta." 

5. 

Unterdessen  spielte  sich  eine  Szene  der  entsetzlichsten  Ver- 
wüstung ab:  die  geldgierige  Soldateska  forderte  ihren  Lohn  und 
fiel  über  den  ganzen  reichen  Kirchenschatz  her^. 

Nogaret  behauptete  später,  er  sei  an  dieser  Beraubung  des 
Schatzes  schuldlos,  ja  er  habe,  so  viel  an  ihm  gewesen,  dieselbe  zu 
verhindern  gesucht*';  da  er  aber  nur  zwei  Diener  aus  seinem  Vater- 
land  bei    sich   gehabt  und    seine   andren  Leute  ihm  fast  alle  unbe- 


'  Rec.  des  bist.  XXI,  195  G.  -  Ibid.  XXII,  374  H. 

3  Vrg].  Schmidt  I,  723;  Martin  IV,  565;  Drumaxn  II,  143  f.;  Boütaric 
426.  Und  kann  man  den  mittelalterlichen  Historikern  eine  solche  Gedanken- 
verbindung verübeln,  wenn  in  unserer  Zeit  Jdles  Jolly  (461  f.)  die  Gottlosig- 
keiten Philipp's  des  Schönen  für  den  raschen  Tod  der  Söhne  desselben  und  das 
dadurch  über  Frankreich  hereingebrochene  Unheil  verantwortlich  machen  will, 
und  TosTi  (II,  241)  in  dem  angeblich  elenden  Ende  Philipp's  die  Strafe  des 
Himmels  erkennen  zu  müssen  glaubt? 

*  A.  a.  0.  347. 

*  Vrgl.  hierüber  den  Curtisanen,  Mon.  Germ.  SS.  XXVIII,  623  ZI.  40 
bis  624  ZI.  4;  Vienner  Relation,  Rev.  d.  quest.  bist.  43,  560  Anm.;  Chron. 
v.  Orvieto,  ed.  Döllinger  352,  ed.  Himmelstern"  34  f.  Im  folgenden  worden 
nur  die  zu  diesen  hinzukommenden  (iuellenbelcge  zitiert.  —  Ueber  den  Kirchen- 
schatz MoLiNiER  in  der  Bibl.  de  l'ecole  des  chartes  43,  S.  277—310  und  626—646 
(wozu  auch  Ehrle,  Archiv  f.  Litt.-  und  Kirchengesch.  I). 

«  Beilage  VI  §  2,  IX  §  6,  XII  §  10;  Dupuv,  Diff.  pr.  247  (nr.  XLIX  u. 
LI),  248  (nr.  LH),  257,  276,  311  (ur.  XXVIII  f.),  313  (nr.  XL),  382  f.,  387, 
415  (ad  sept.  art.),  444  (unten),  445  (unten),  518,  582  f.,  588. 


90  4.  Kapitel. 

kaunt  gewesen  seien  \  er  auch  um  diese  Zeit  im  Zimmer  des  Papstes 
liabe  weilen  müssen'-,  sei  es  ihm  nicht  gelungen,  den  ganzen  Schatz 
zu  retten;  doch  habe  er  immerhin  einen  grossen  Teil  desselben  der 
Kirche  erhalten^,  und  die  Plünderer  seien  keineswegs  nur  seine 
Soldaten  gewesen,  sondern  besonders  auch  die  Einwohner  Anagnis, 
die  Diener  und  sogar  die  Nepoten  des  Papstes*.  In  dem  später 
auf  Betrieb  Philipp's  gegen  den  toten  Bonifaz  eingeleiteten  Prozess 
bezichtigten  die  Gegner  Nogaret's  diesen  entschieden  der  Mitschuld 
au  dem  grossen  Rauben";  Nogaret  freilich  wies  eben  auch  hier 
diese  Anschuldigung  jedesmal  energisch  zurück''',  und  Clemens  V. 
hat  ihm  hierin  Glauben  geschenkt".  Davon,  dass  Xogaret  die 
Plünderung  ernstlich  habe  hindern  av ollen,  kann  wohl  keine  Rede 
sein^  Die  Bande,  die  er  gedungen  hatte,  wollte  ihren  Lohn,  die 
verheissene  Beute,  und  stürzte  sich  auf  die  Schatzkammer,  zerschlug 
die  Thür^  und  fiel  mit  Heisshunger  über  den  dort  aufgespeicherten 
Reichtum  her.  Doch  hat  Nogaret  recht,  wenn  er  sagt,  es  sei 
keineswegs  nur  die  Soldateska  gewesen,  die  sich  an  der  Plünderung 
beteiligte;  auch  der  Curtisane  bestätigt,  dass  jeder,  der  konnte, 
raubte,  und  die  treulose  Dienerschaft  des  Papstes  wird  hier  nicht 
zu  kurz  haben  kommen  wollen^''.  Sodann  ist  richtig,  dass  sich  nach 
der  gewaltsamen  Vertreibung  der  Gegner  des  Papstes  aus  Anagni 
ein  grosser  Teil  des  Schatzes  wiederfand,  zumal  Bonifaz  denen  ver- 
zeihen zu  wollen  erklärt  hatte,  die  innerhalb  3  Tagen  das  geraubte 
Gut  zurückerstatteten";  Nogaret  hatte  hieran  aber  natürlich  kein 
Verdienst. 


>  DüPüY,  Diflf.  pr.  257;  vrgl.  ibid.  311  (ur.  XXXI). 

-  Ibid.  311  (nr.  XXIX). 

3  Ibid.  248  (ur.  LH),  445. 

'  Beilage  XII  §  10;  Düpüy,  Diff.  pr.  247  (nr.  LI),  311  (nr.  XXIX),  385, 
445,  582  f. 

^  Düpüy,  Diff.  pr.  396,  472,  und  Nogaret  selbst  579. 

"  Ibid.  415,  518,  583,  588.  Auch  Hocsem  bei  Chapeaville  II,  343  erzählt 
uns  von  den  Colonna,  sie  hätten  geraubt. 

'  Reg.  Clem.,  an.  VI,  420. 

*  Dagegen  spricht  schon,  worauf  Nogaret  ja  selbst  hinweist,  dass  er  um 
diese  Zeit  beim  Papst  beschäftigt  war. 

»  Mart.  Pol.  cont.  Brab.,  Mon.  Germ.  SS.  XXIV,  261  ZI.  46. 

*"  Dass  jedoch  auch  die  Nepoten  sich  damals  mit  dem  Kirchengut  be- 
reichert hätten,  ist  eine  grundlose  Verläumdung,  da  sie  ja  teils  gefangen,  teils 
euttlohen  waren. 

'•  Der  Curtisane  a.  a.  0.  625  ZI.  13—17,  21—24;  Chron.  v.  Orvieto  a.  a.  0. 
362  resp.  35;  Pipin,  Mukatori  IX,  741 A:  Gervas.  Gant,  cont.,  Mon.  Germ. 
SS.  XXVII,  314  ZI.  39. 


Anagni.  91 

Der  Curtisane  berichtet,  man  habe  „papam,  cameram  suam  et 
thesauriam  suam"  geplündert  und  lässt  den  Papst  nachher  aus- 
drückhch  zwischen  den  Räubern  seines  Schatzes  und  denen  des 
Kirchenschatzes  unterscheidend  Die  Chronik  von  Orvieto  meint, 
man  habe  sich  nur  an  dem  Eigentum  der  Kirche,  nicht  aber  an 
dem  Privatvermögen  des  Papstes  vergriffen,  wird  jedoch  hierin  nicht 
nur  durch  Bernhardus  Guidonis^  und  Villani^  widerlegt,  welche 
beide  sagen,  es  sei  der  Schatz  des  Papstes  wie  der  der  Kirche  ge- 
plündert worden^,  sondern  auch  durch  Nogaret  selbst'',  welcher 
ausdrücklich  zugiebt,  dass  man  auf  die  Beraubung  des  päpstlichen 
wie  des  Kirchenschatzes  ausgegangen  sei. 

Aber  nicht  nur  was  der  Kirche  und  dem  Papst  gehörte,  fiel 
damals  den  kecken  Eindringlingen  zur  Beute.  Ebenso  wurden  die 
Paläste  jener  drei  Kardinäle,  die  zuerst  den  Angreifern  in  die 
Hände  gefallen  waren,  Franz  Gaetani,  Gentilis  und  Theoderich  von 
Orvieto,  der  Plünderung  preisgegeben,  desgleichen  der  des  Mar(|uis; 
auch  was  der  im  päpstlichen  Palast  wohnende  Kardinal  Petrus  Is- 
panus hatte,  wurde  nicht  verschont*'.  Ausserdem  berichtet  der 
Curtisane,  dass  auch  der  Bankier  des  Papstes,  Simon  Gerardus, 


1  A.  a.  0.  625  ZI.  13—17.  -  Rec.  des  bist.  XXI,  713  K. 

^  ed.  Dragomanni  80. 

*  Vrgl.  auch  den  Gerv.  Cant.  coiit.  a.  a.  0.  314  ZI.  28  f.:  „bona...  tarn 
in  Camera  quam  capella  .  .  .  inventa  abstulerunt."  In  anderen  Quellen  ist  bald 
nur  vom  päpstlichen  Schatz  [Vienner  Relation;  Dino  Compagni,  ed.  Del 
LrxGO  III,  181  ZI.  25;  Flor,  bist.,  Mon.  Germ.  SS.  XXVIII,  500  ZI.  25  f.  und  ed. 
LuARD  in,  313],  bald  nur  von  dem  der  Kirche  [Eberhard  von  Regexsburg, 
Mon.  Germ.  SS.  XVII,  599  ZI.  24]  die  Rede,  indem  nicht  genau  unterschieden 
wird;  auch  Benedict  XI.  spricht  nur  vom  „thesaurus  Romane  ecclesie"  (Reg. 
de  Ben.  799),  da  es  ihm  nur  noch  auf  diesen  ankam  (den  Räubern  des  Privat- 
schatzes hatte  Bonif'az  verziehen;  vrgl.  unten  S.  105).  Ganz  allgemein  redet 
PiPiN  (a.  a.  ü.  744  D). 

5  DrpuY,  Diff.  pr.  311  (ur.  XXVIII). 

'^  Der  Ausdruck  „domus  Petri  Hyspani"  gerade  in  der  Vienner  Rela- 
tion ist  unsinnig.  Nachdem  hier  erzählt  wurde,  dass  es  den  Kardinälen  Franz, 
Gentilis,  Theoderich  gelungen  war,  zu  entfliehen,  heisst  es  in  unserem  Text 
weiter:  „et  nullum  hospicium  fuit  depredatum,  nisi  hospicium  domini  pape  et 
mar(]uisii  et  domini  Francisci  et  fratris  Gentilis  et  domus  Petri  Hyspani  et 
cardinalis  de  Urbeveteri  et  societatis  Si^inorum  et  episcopi  Palamaruin." 
Zweifellos  ist  hier  vor  „Petri  Hyspani"  gleichfalls  „domini"  zu  lesen,  zumal  es 
sicher  ist,  dass  gerade  auch  bei  den  Kardinälen  Franz  und  Gentilis  die  Häuser 
geplündert  wurden,  während  man  andererseits  die  folgomlen  (Jenitive,  besonders 
„episcopi  Palamarum",  doch  wieder  von  „hospicium"  [eigentlich  (Quartier,  aber 
nicht  notwendigerweise  ein  eigenes  Haus,  hier  —  wie  eben  der  Genitiv  „epis- 
copi Palamarum"  zeigt  —  =  Besitz]  abhängig  machen  muss. 


92  4.  Kapitel. 

völlig  ausgeplündert  wurde'  und  kaum  mit  dem  Leben  entkam;  und 
die  Vienner  Relation  nennt  noch  als  von  der  allgemeinen  Räuberei 
betrott'en  die  Habe  der  Bankgesellschaft  der  Spini  und  die  des 
Bischofs  von  Palma.  AVas  den  letzteren  angeht,  so  ist  zu  be- 
merken, dass  das  Bistum  Mallorca,  dessen  Residenz  Palma  ist,  seit 
1301  vakant  war-;  wenn  dem  Schreiber  unseres  Briefs  kein  Irrtum 
unterlaufen  ist,  so  meinte  er  vielleicht,  man  habe  sich  über  die 
Einkünfte  gemacht,  welche  Bonifaz  aus  dieser  erledigten  Diözese  zog^. 
AVie  dem  auch  sei,  sicher  ist,  dass  man  alles  fortschleppte,  was 
man  fand*.  Die  zahlreichen  kostbaren  heihgen  Gefässe '^  und  die 
reichen  Gewänder  des  Kirchenschatzes,  ferner  alles,  was  an  Schmuck- 
sachen, was  an  Gold  und  Silber  in  Kisten*'  aufgespeichert  war,  riss 
man  in  wilder  Gier  an  sich.  Gelöst  waren  alle  Bande  der  Zucht 
und  frommen  Scheu.  Verschiedentlich  wird  berichtet',  dass  man 
<lamals  nicht  einmal  die  der  Kirche  gehörenden  Gebeine  der  Heiligen 
in  Ruhe  licss,  sondern  sie  auf  die  Erde  warf;  man  zerrte  ofi'enbar 
alles  hervor,  was  man  unter  die  Finger  bekam,  und  scheint  wenig 
erbaut  gewesen  zu  sein,  wenn  man  statt  Gold  nur  Rclicjuien  er- 
wischte. Mit  besonderem  Entsetzen  erzählen  die  Istorie  Pistolesi, 
dass  im  allgemeinen  Trubel  auch  ein  Gefäss  mit  Milch  der  Jung- 
frau Maria  verschüttet  worden  sei.  Die  Gegner  Nogaret's  behaup- 
teten später'^,  es  seien  bei  dieser  Gelegenheit  auch  zahlreiche  Privi- 
legien und  verbriefte  Rechte,  die  der  römischen  Kirche  im  Laufe 
der  Jahrhunderte  von   Kaisern,    Königen    und   Fürsten   ausgestellt 


'  Simon  gehörte  vielleicht  zu  den  Spini;  vrgl.  auch  Toi.  Luc.  cont. 
Patav.,  MüRATORi  XI,  1223C:  „exspoliavitque  thesaurum  quorumdam  merca- 
torum  ac  cardinalium  papae",  und  Drümänn  II,  242.  Pipin  a.  a.  0.  740D  nennt 
namentlich  die  Kardinäle  Petrus' Ispanus,  Theoderich  von  Orvieto  und  Gentilis 
sowie  „die  Nepoten"  als  beraubt. 

-  Villaxueva:  „Viage  literario  a  las  iglesias  de  Espana",  Bd.  21  (Madrid 
1851),  1.56  ff. 

•'  Vrgl.  über  die  päpstlichen  Reservationen  zur  Zeit  Bonifaz'  VIII.  (zu 
den  Bemerkungen  bei  Drumann  II,  242 f.  und  245)  Möllkr:  Kirchengesch. 
II,  477  f. 

*  Vrgl.  auch  den  Gerv.  Cant.  cont.  a.  a.  0.  314  ZI.  28  f. 

"  Ausser  dem  Curtisanen  (der  eine  vollständige  Aufzählung  der  geraubten 
Gegenstände  giebt)  und  der  Chron.  von  Orvieto  auch  Nogaret,  bei  Düpuy, 
Diff.  pr.  311  (nr.  XXIX). 

"  Ausser  den  vorigen  auch  Gottfried  v.  Paris,  Rec.  des  hist.  XXII, 
107  K— 108  A  (Vers  1956—1968). 

'  Chron.  v.  Orvieto-,  Ist.  Pistol.  a.  a.  0.  424;  die  Gegner  Nogaret's,  bei 
DuPüY,  Diff.  pr.  472. 

"  A.  a.  0. 


Anagui.  93 

waren,  zerrissen  worden,  und  eine  anonyme  Clironik^  weiss  von 
ähnlichem.  In  der  That  wurde  damals  ein  liegisterband  geraubt, 
der  erst  später  dem  päpstlichen  Archiv  wieder  zurückgestellt  wurde  ^. 
Durchaus  glaublich  ist  ferner,  was  Nogaret  selbst  erzählt-',  dass 
man  sich  auch  über  den  Keller  des  Papstes  hergemacht  hal)e;  nach- 
dem man  die  Geldgier  gesättigt  hatte,  ging  es  an  den  Wein,  sodass 
man  den  Tag  würdig  beschlossen  haben  mag. 

„Et  einsi  va  le  nionde  et  pent: 

L'un  amasse,  l'autre  desi^ent", 
so  schliesst  Gottfried  von  Paris*  seinen  Bericht  über  diese 
grossen  Räubereien,  und  von  manchen  Seiten  wird  der  Papst  be- 
dauert", der  einen  so  grossen  Schatz  im  Laufe  der  Jahre  ange- 
sammelt hatte,  und  nun  mit  einem  Schlag  alles  verlor,  sodass  er 
arm  wie  Hiob  war;  als  man  all  die  Reichtümer  vor  seinen  Augen 
wegschleppte,  soll  er  wie  dieser  in  die  AVorte  ausgebrochen  sein: 
„Der  Herr  hat's  gegeben,  der  Herr  hat's  genommen,  der  Name 
des  Herrn  sei  gelobet!"  *"  Der  Curtisane  meint,  man  glaube  nicht, 
dass  alle  Könige  der  Welt  in  einem  Jahr  so  viel  zusammenbringen 
könnten  als  damals  geraubt  wurde,  und  Pipin  weist  darauf  hin^, 
dass  dieser  Schatz  seit  den  Tagen  Konstantin's  zusammengetragen 
sei.  Bernhardus  Guidonis  sagt  mit  Recht  ^,  dass  dieser  Tag  für 
die  Kirche  „nicht  ohne  Schande  und  grosse  Schmach"  abgelaufen 
sei,  und  doch  misst  gerade  auch  er  hierbei  der  Habsucht  und  der 
Herrschsucht  Bonifaz'  VIH.  einen  grossen  Teil  der  Schuld  zu  in 
den  viel  nachgeschriebenen  Worten^: 

„So  stürzten  über  Bonifaz  selbst,  der  die  Könige,  die  Bischöfe 
und  die  Gläubigen,  den  Klerus  wie  das  Volk,  furchtbar  zittern  und 
fürchten  gemacht  hatte,   plötzlich  Furcht,   Zittern  und  Schmerz  an 


'  Rec.  des  bist.  XXI,  148  H;  ähnlich  auch  Amalricus  Augerius,  bei  Mu- 
RATORI  III  2,  439  C. 

-  Kaltenbruxner  in  I\Iitteilg.  des  Inst,  für  österr.  Geschichtsforsch.  V, 
Ü77;  BressläU,  Urkundenlebre  I,  126. 

^  DCPDY,  Diff.  pr.  311  (nr.  XXIX). 

*  A.  a.  0.  108  E— F  (Vers  1989  f.). 

*  Der  Curtisane-,  Peter  von  Langtoft,  Mou.  Germ.  SS.  XXVIII,  661 
Zb  24.  Bonifaz  soll  sich  selbst  mit  Hiob  verglichen  liaben :  Curtis.  a.  a.  0. 
624  ZI.  41  f. 

"  Der  Curtisane.  Dass  die  Plünderung  vor  den  Augen  des  Papstes  statt- 
fand, bestätigen  auch  Nogaret  a.  a.  0.  311  (nr.  XXIX)  und  Hocsem  a.  a.  0.  343. 

'  A.  a.  0.  740  D.  Vrgl.  über  den  sogenannten  Konstantinischeu  Schatz 
Ehrle  im  Archiv  für  Litt.-  und  Kirchengesch.  IV,  191. 

«  Rcc.  des  bist.  XXI,  713 K;  ed.  Duchksne  471. 

»  Ibid.  714  A—B;  vrgl.  Offenb.  Job.  18  s. 


94  4.  Kapitel. 

einem  Tage  gleicherweise  berein;  und  im  allzu  grossen  Durst  nach 
Gold  verlor  er  Gold  und  Schatz,  auf  dass  die  hohen  Geistlichen 
an  ihm  lernen  mögen  nicht  stolz  über  Klerus  und  Volk  zu  herrschen, 
sondern  Vorbilder  der  Herde  zu  werden  ^  und  Sorge  für  die  ihnen 
Unterstellten  zu  tragen,  und  mehr  danach  streben  geliebt  als  ge- 
fürchtet zu  werden." 

Und  auch  Gottfried  von  Paris  sagt  2; 

„Si  pot  on  bien  dire  en  apert: 
'Car  qui  tout  couvoite  tout  pert'." 

Es  liegt  in  der  That  ein  tragisches  Moment  in  diesem  Schick- 
sal des  herrschgewaltigen  Papstes:  die  Ansprüche,  die  er  für  die 
päpstliche  Macht  erhob,  hatten  ihm  die  Feindschaft  des  französi- 
schen Königs  zugezogen,  und  die  Versuche,  sich  und  seine  Familie 
zu  bereichern,  hatten  die  Barone  und  Herren  der  römischen  Cam- 
pagna  zu  seinen  Gegnern  gemacht:  beide  verbanden  sich  nun  gegen 
ihn  und  entrissen  ihm  an  einem  Tage  Macht  und  Reichtum,  nur 
das  Leben  sollte  er  noch  kurze  Zeit  behalten. 

6. 
So  blieb  vom  Abend  des  Samstag  bis  zum  Montag  Bonifaz  als 
ein  Gefangener  in  seinem  Palast^.  Der  Curtisane  sagt*,  man  habe 
sich  während  der  Plünderung  um  ihn  nicht  mehr  gekümmert  als  um 
einen  verurteilten  oder  sonstigen  verworfenen  Menschen,  und  es 
heisse,  der  Papst  habe  eine  schlechte  Nacht  gehabt.  Nogaret  be- 
richtet in  seinen  i^pologieen,  er  habe  „zum  Schutz  Christi  und  des 
katholischen  Glaubens,  zum  Schutz  der  allgemeinen  Kirche  Avie  be- 
sonders der  römischen  Mutterkirche,  zur  Verteidigung  seines  Vater- 
lands   und    der  Ehre    und   Sicherheit    seines  Herrn",    da    er    nicht 


1  1.  Petr.  5  3. 

-  Rec.  des  hist.  XXII,  107  K  (Vers  1957  f.). 

^  Dass  die  Gefangenschaft  vom  Samstag  bis  Montag  währte,  bezeugen 
neben  vielen  anderen,  unwichtigeren  Quellen:  l*fogaret  bei  Dupüy,  DifF.  pr.  248 
(nr.  LV);  der  Curtisane,  Mon.  Germ.  SS.  XXVIII,  624  ZI.  5f.;  die  Vienner 
Relation,  Rev.  des  quest.  hist.  43,  560  Anm.;  die  Chronik  von  Orvieto, 
ed.  DöLLiNGER  352,  ed.  Himmelstern  35;  die  Istorie  Pistolesi,  ed.  Bis- 
ciONi  425;  Annales  Parmeuses,  Mon.  Germ.  SS.  XVIII,  729  ZI.  16;  An- 
nales Cavenses,  ibid.  III,  196  ZI.  36  f.;  Tolom.  Luc.  cont.  Ambr.,  bei 
MüRATORi  XI,  1203  E;  Tolom.  Luc.  cont.  Patav.,  ibid.  XI,  1223  C;  Fer- 
RETO,  ibid.  IX,  1005  A;  Villani,  ed.  Dragomanni  80.  Nur  die  Heilsbronner 
Annalen  (Mon.  Germ.  SS.  XXIV,  46  ZI.  46)  bringen  die  dann  wieder  von 
einigen  anderen  abgeschriebene  Nachricht,  der  Papst  sei  bereits  am  Tag  der 
Gefangennehmung  wieder  befreit  worden. 

♦  A.  a.  0.  623  ZI.  40  und  47  f. 


Anagni.  95 

anders  konnte,  den  Papst  mit  militärischer  INfannscliaft  in  ziemlicher 
Weise  in  Gewahrsam  gehalten^,  ja  er  behauptet  sogar,  er  habe 
nicht  nur  Bonifjiz  kein  Unrecht  angethan.  sondern  sogar  für  seinen 
Schutz  und  seine  Rettung  gesorgt,  als  er  ihn  gefangen  setztet 
Jedenfalls  ergiebt  sich  aus  seinen  Worten,  dass  er  den  Papst  in 
dessen  Palast  militärisch  bewachen  liess.  Dasselbe  sagt  auch  die 
Chronik  von  Orvieto^,  und  der  Curtisane  meldet  genauer'',  dass  es 
Reginald  von  Supino  war,  dem  man  mit  zahlreichen  Soldaten  diese 
Bewachung  anvertraute.  Es  handelte  sich  darum,  was  mit  dem 
Papst  geschehen  sollte,  und  dass  man  sich  indessen  seiner  Person 
versichert  hielt,  ist  selbstverständlich''.  Eine  andere  Frage  ist  es, 
ob  der  Gewahrsam  für  Bonifaz  hart  und  drückend  war.  Und  hier 
werden  die  Angaben  Nogaret's  durch  die  schon  einmal  erwähnte 
Stelle  der  Vienner  Relation  bestätigt,  wonach  der  Papst  nicht  ge- 
bunden oder  gefesselt,  sondern  in  seinem  Zimmer  von  Nogaret  durch 
eine  Schar  Bewaffneter  bewacht  wurde.  Auf  ein  Zimmer  scheint 
Bonifaz  aber  freihch  eingeschränkt  gewesen  zu  sein^,  auch  bedurfte 
es  keiner  körperlichen  Unbilden,  um  ihm  die  Gefangenschaft  (pial- 
voll  genug  zu  machen. 

Nur  auf  einen  Punkt  ist  noch  näher  einzugehen.  Verschiedent- 
lich tritt  in  den  Quellen  eine  Nachricht  auf,  nach  welcher  l^onifaz 
während  seiner  Gefangenschaft  keine  Nahrung  erhielt".     Dass  er 


'  DuPUY,  Diff.  pr.  271:  „manu,  cum  non  posscm  alias,  militari  custodiam 
adhibui  decentem  et  necessariam  Bonifacio";  ähnlich  ibid.  257;  248  (ur.  LIV) 
heisst  es,  die  Gefangensetzung  sei  wegen  Frankreichs  notwendig  gewesen. 

-  Beilage  XH  §  10;  Düpüy,  Diff.  pr.  583  (oben);  ähnlich  ibid.  385. 

3  A.  a.  O.  34. 

'  A.  a.  O.  623  ZI.  38;  ibid.  624  ZI.  4  f.  heisst  es  gleichfalls,  der  Papst 
und  seine  Xepoten  seien  von  einigen  Soldaten  und  auch  anderen  Laien  bewacht 
worden  [womit  aber  nicht  gemeint  ist,  der  Papst  und  die  Xepoten  —  d.  h.  vor 
allem  der  Marquis  —  seien  zusammen  inhaftiert  gewesen;  vrgl.  ZI.  31  f.].  Die 
Angabe  des  Ferreto  a.  a.  0.  1004  A,  Bonifaz  sei  den  beiden  Söhnen  des 
Matthäus  zur  Ueberwachung  gegeben  worden,  ist  weniger  glaubwürdig  als  die 
des  Curtisanen  und  beruht  wohl  auf  einer  Verwechslung  mit  dem  Marquis,  von 
dem  wir  wissen,  dass  er  in  das  Haus  des  Adenulf  gebracht  wurde. 

'"  Ferrkto  a.  a.  0.  bemerkt  überfliissigerweisc,  der  l'apst  sei  „ue  per  fugam 
evaderet"  gefangen  gehalten  worden. 

*  „carcer"  sagt  der  Curtisane  a.  a.  0.  623  ZI.  38;  hierauf  bezieht  sich 
wohl  auch  die  Angabe  Pipin's  (a.  a.  0.  740  D),  Bonifaz  sei  „in  arcta  custodia" 
gehalten  worden. 

'  Ist.  Pistol.  a.  a.  O.  424;  Gervas.  Cant.  cont.,  Mon.  Germ.  SS.  XXN'II, 
314  ZI.  32  f.:  „per  duos  dies  continuos  subtraxorunt  papae  inhumaniter  alimeuta"; 
Eberhard  von  Regexsburg,  ibid.  XVII,  599  ZI.  24 :  „per  trcs  dies  sine  cibo  et 
potu."  —  Was  Twinger    von   Küniqshofen,    cd.  Heokl  579,    berichtet,  bezieht 


96  4.  Kapitel. 

in  der  That  nichts  uder  wenig  ass,  scheint  auch  aus  dem  Bericht 
des  Curtisanen  hervorzugehen^,  wonach  er  nach  seiner  Befreiung 
am  Montag  zunächst  das  Volk  um  Nahrung  bat,  da  er  weder  zu 
essen  noch  zu  trinken  habe  und  noch  nüchtern  sei.  Andererseits 
versichert  uns  Xogaret-,  es  sei  eine  besondere  Rücksichtsnahme  auf 
das  Leben  seines  Gefangenen  gewesen,  dass  er  diesem  Speise  und 
Trank  nur  von  päpstlich  gesinnten  Ijeuten  reichen  Hess.  Auch 
wissen  Nogaret's  Gegner  nichts  davon,  dass  dem  Papst  die  Nahrung 
entzogen  worden  sei,  und  ebensowenig  liegt  hierfür  eine  innere 
Wahrscheinhchkeit  vor,  da  doch  Nogaret  das  Leben  desselben  er- 
halten wollte.  Unter  diesen  Umständen  dürfte  Siegfried  von 
Grossballuausex  hier  das  richtige  getroffen  haben,  wenn  er  meldet^, 
der  Papst  habe  nichts  essen  wollen,  obgleich  ihm  von  seinen 
besten  Freunden  Nahrung  angeboten  worden  sei;  „ich  will  nicht 
essen,  ich  will  nicht  ferner  leben",  habe  er  ausgerufen.  Damit  ist 
sowohl  die  Angabe  Nogaret's  wie  die  des  Curtisanen  zu  vereinbaren; 
und  wenn  der  Papst  nach  seiner  Befreiung  erklärte,  nichts  genossen 
zu  haben,  so  ist  es  leicht  begreiflich,  dass  auch  Leute,  die  über  die 
Vorfälle  in  Anagni  gut  unterrichtet  waren,  glauben  konnten,  man 
habe  dem  Papst  die  Kahrung  entzogen.  —  Ferner  erzählen  die 
Istorie  Pistolesi^,  ein  altes  Weib  habe  dem  Papst  vier  Eier  und 
ein  wenig  Brot  verschafft,  sonst  wäre  er  Hungers  gestorben.  Da- 
mit ist  offenbar  in  Verbindung  zu  bringen,  was  Hocsem  berichtet^: 
aus  Furcht  vor  Gift  habe  der  Papst  drei  Tage  lang  gefastet  und 
dann  drei  gekochte  Eier  zu  sich  genommen,  deren  unverletzte 
Schalen  einen  Verdacht  nicht  zuliessen.  Dass  Bonifaz  aus  Furcht 
vor  einer  Vergiftung  nichts  essen  wollte,  ist  durchaus  unwahrschein- 
lich; seine  vertrautesten  Anhänger  reichten  ihm  das  Essen,  und 
wenn  man  ihm  ans  Leben  wollte,  so  hätte  man  dies  auf  andere 
Weise  einfacher  haben  können.  Die  ganze  angebliche  Furcht  vor 
Gift  erscheint  vielmehr  eine  Legende,  die  sich  aber  vielleicht  an  den 
Umstand  anknüpfte,   dass  Bonifaz   thatsächlich   während  seiner  Ge- 


sich  wie  die  dazu  von  Hegel  zitierte  FERRETO-Stelle  auf  das  Ende  Bonifaz'  VIII. ; 
vrgl.  im  Exkurs  II. 

'  A.  a.  0.  624  ZI.  42  f. 

-  DuPüv,  Diff.  pr.  257  :  „iDotum  et  cibum  ab  aliis  (juam  a  suis  non  per- 
misi  ei  aliquatenus  ministrari,  ut  periculum  persouae  eius  vitarem." 

3  Mon.  Germ.  SS.  XXV,  716  ZI.  12  f. 

*  A.  a.  0.  425. 

'  Bei  Chapeaville  II,  343.  [Die  Worte  „cui  papa  quasi  alienatus:  'Talia', 
inquit,  'prandia  tibi  consuevimus  ministrare'"  bedeuten:  Zu  ihm  sprach  der  Papst 
als  wäre  er  ein  anderer  (nämlich  einer  der  quidam  de  suis):  Solche  Speisen  etc.] 


Anagni.  97 

fangenschaft  einige  Eier  zu  sich  nahm^  Denn  dies  scheint  sich 
aus  den  beiden  genannten  Berichten  immerhin  zu  ergeben.  Und 
dass  Bonifaz  während  seiner  Gefangenschaft  wenigstens  etwas  genoss, 
muss  ja  wohl  angenommen  werden,  da  er  sie  sonst  doch  kaum  über- 
lebt hätte.  Andererseits  wird  es  niemanden  überraschen,  wenn  der 
Papst,  der  verzweitlungsvoll  den  Tod  erwartete,  in  diesen  entsetz- 
lichen Stunden  im  übrigen  die  dargebotenen  Speisen  nicht  berührte. 

Doch  nun  zu  der  wichtigeren  Frage:  wie  kam  es,  dass  die 
Gegner  des  Papstes  unthätig  bis  zum  Montag  verharrten  und  so  zu 
einem  Umschlag  Zeit  gaben?  was  ging  insonderheit  den  ganzen 
Sonntag  über  vor?  Während  sich  Nogaret  hierüber  in  seinen 
Apologieen  vöUig  ausschweigt,  erfahren  wir  doch  aus  anderen 
Quellen  wenigstens  so  viel,  dass  wir  uns  im  allgemeinen  über  diese 
Dinge  eine  Meinung  bilden  können:  es  war  wieder  der  Gegensatz 
zwischen  Nogaret  und  Sciarra,  der  jedes  energische  Handeln  ver- 
hinderte. 

Die  Quellen  lassen  uns  hierüber  in  der  That  keinen  Zweifel. 
Der  Curtisane  berichtet  direkt':  „Unterdessen  wurde  durch  Sciarra 
und  seine  Anhänger  verhandelt,  wie  man  den  Papst  dem  Tod  über- 
liefern oder  ihn  lebend  zum  König  von  Frankreich  schaffen  wolle." 
Dies  ist  das  einzige,  was  er  uns  zwischen  den  Vorgängen  am  Sams- 
tag und  denen  am  Montag  mitteilt;  da  wir  wissen,  dass  Sciarra  den 
Tod  des  Papstes,  Nogaret  seine  Abführung  nach  Frankreich  wollte, 
ist  klar,  dass  man  eben  hierüber  den  Sonntag  über  stritt  und  zu 
keiner  Einigung  kommen  konnte.  Auch  der  Fortsetzer  des  Gek- 
VASius  VON  Canterbury  weist  auf  den  grossen  Gegensatz  zwischen 
den  beiden  Führern  des  Ueberfalls  hin,  wenn  er  sagt^:  die  „Diener 
des  Teufels",  wie  er  die  Eindringlinge  nennt,  seien  darüber  in  Zwist 
geraten,  wer  von  ihnen  „der  grössere"  in  der  Stadt  sein  solle,  d.  h. 
wer  den  grösseren  Einfluss  haben  solle.  In  der  Yienner  Relation 
heisst  es',  man  habe  deshalb  so  lang  verhandeln  müssen,  weil  einige 
Adlige  aus  Anagni,  Verwandte  der  Colonna,  nicht  einwilligen  wollten, 
dass  der  Papst  aus   ihrer  Stadt   vertrieben   würde.     Um   eine  Ver- 

*  Aus  dem  Bericht  des  Curtisanen  geht  ja  auch  uur  hervor,  dass  der  Papst 
ain  ]\[ontag  noch  nüchtern  war. 

-  A.  a.  0.  624  ZI.  8  f. 

^  A.  a.  0.  314  ZI.  33  f.:  .,orta  .  .  .  dissensione  intcr  dictos  Satane  satellites, 
quis  eorum  deberet  esse  maior  in  civitate  praedicta."  Als  (legnor  des  Papstes 
waren  vorher  (ZI.  25  f.)  genannt:  „Scharra  .  .  .  cum  aliis  militibus  Campanie, 
Tolose,  Anagnie,  et  quibusdam  Francis."  Aus  dem  Komparativ  „niuior"  er- 
f  iebt  sich,  dass  es  sich  nur  um  zwei  streitende  Häupter  handelte. 

*  A.  a.  0.  560  Anm. 

R.  Holtzinann,  Nogaret.  7 


98  4.  Kapitel. 

treihung  des  Papstes  aus  Anagni  haiKlelte  es  sicli  natiirlicli  nicht, 
aber  es  scheint  doch  auch  in  dieser  Nachricht  nocli  Kunde  vorzu- 
hegen  von  einer  Opposition  gegen  den  Gedanken,  dass  der  Papst 
Anagni  zu  verhissen  gezwungen  würde.  Zugleich  ist  hier  auch  zum 
ersten  Mal  von  einem  Gegensatz  zwischen  den  Anagnioteu  und  No- 
garet  die  Rede:  jene  wollen  sich  des  Papstes  in  ihrer  Stadt  an- 
nehmen.    Doch  davon  unten. 

Was  sich  für  uns  ergeben  hat,  ist,  dass  der  Gegensatz 
zwischen  No garet  und  Sciarra,  der  schon  am  Tag  des  Ueber- 
falls  selbst  mehrfach  hervorgetreten  war,  am  folgenden  Sonntag  über- 
haupt jedes  weitere  Handeln  verhinderte.  Während  Sciarra  den  Tod 
des  verhassten  Papstes  wünschte,  wollte  Nogaret  seinen  Auftrag 
ausführen  und  Bonifaz  nach  Frankreich  bringen.  Dies  konnte  er 
nicht,  ohne  durch  Sciarra  und  seine  Scharen  unterstützt  zu  werden. 
Andererseits  überwachte  Reginald  von  Supino  den  Papst  und  mochte 
ohne  Zustimmung  des  Vertreters  Philipp's  des  Schönen,  in  dessen 
Sold  er  stand  ^,  gegen  das  Leben  seines  Gefangenen  keinen  Gewalt- 
streich führen  lassen.  So  verlor  man  die  beste  Zeit  in  fruchtlosen 
Verhandlungen,  bis  endlich  ein  Umschwung  in  den  Verhältnissen  die 
Pläne  beider  hadernden  Führer  vereitelte  und  Bonifaz  befreite. 

7. 
So  kam  es  denn  am  Montag,  dem  9.  September,  zur  Befreiung 
des  Papstes  durch  die  Einwohner  von  Anagni.  Nogaret  berichtet 
hierüber  sehr  verschieden  im  Jahr  1304  und  im  Jahr  1310.  1310 
hatten  sich  bei  ihm  die  Ereignisse  dieses  Montags  allmählich  in 
eigentümlicher  Weise  verrückt,  indem  er  die  Sache  so  darstellt,  als 
sei  alles  im  schönsten  Frieden  verlaufen.  Nachdem  Nogaret  nach 
Anagni  gekommen  war,  sich  seiner  angeblichen  Aufträge  zu  seinem 
grössten  Bedauern  nur  nach  einem  gewaltsamen  Sturm  auf  den 
päpstlichen  Palast  entledigen  konnte  und  hierauf  Bonifaz  zu  seiner 
und  Frankreichs  Sicherheit  gefangen  setzen  musste,  heisst  es  näm- 
lich in  seinen  späteren  Darstellungen^  weiter,  hätten  die  Anagni- 
oten  sich  am  Montag  an  ihn  gewandt  und  ihn  gebeten,  nun  doch 
seine  Bemühungen  für  den  Papst  zu  lassen,  da  sie  selbst  denselben, 
sein  Haus  und  seinen  Schatz,  nun  treulich  bewachen  w^oUten;  dar- 
anfliin  sei  er  denn,  nachdem  er  sich  überzeugt  hatte,  dass  für  Bo- 
nifaz keine  Gefahr  mehr  vorhanden  war,  l)eruhigt  abgezogen.  Hören 
wir  dagegen   einmal,   was  Nogaret   in    einer  Apologie  sagt,    die    er 

»  Vrgl.  die  Urkunden  bei  Dupuy,  Diff.  pr.  174—176  und  608—611. 
■  Beilage  V  §  2;  Ddpüy,  Diff.  pr.  312  (nr.  XXXIV),  445. 


Anagiii.  99 

am  7.  September  1304,  dem  Jahrestag  des  Ueberfalls,  in  Paris  zu 
Protokoll  gab.  „Die  Anagnioten",  heisst  es  da  \  „die  doch  zuerst 
Nogaret  und  seine  wenigen  Begleiter  respektvoll  aufgenommen  und 
ihres  Schutzes  und  ihrer  Hülfe  versichert  hatten,  vertrieben  :iin 
folgenden  Montag  eben  diesen  Nogaret  und  seine  Genossen  durch 
gewaltsamen  Angriff  vom  Palast  des  Bonifaz  und  aus  ganz  Anagni, 
wobei  sie  mehrere  von  ihnen  töteten  und  allen  Schaden  und  grösstes 
Unrecht  zufügten."  Das  klingt  doch  schon  erheblich  anders,  und 
es  dürfte  nicht  schwer  sein,  zwischen  beiden  Schilderungen  zu  wählen. 
In  einer  am  17.  Oktober  1303,  also  kurz  nach  dem  Attentat,  zu 
Ferentino  ausgestellten  Urkunde  lesen  wir^,  dass  Nogaret  dort 
bestätigte,  die  Anagnioten  hätten  ihm  versprochen,  ihm  mit  Rat 
und  That  beizustehen,  hätten  ihn  und  seine  Getreuen  aber  ver- 
raten und  ihnen  ans  Leben  gewollt  und  hätten  das  französische 
Banner  durch  die  Strassen  Anagnis  geschleift. 

Dass  die  Anagnioten  sich  gegen  ihre  bisherigen  Bundesgenossen 
wandten,  den  Papst  mit  Gewalt  befreiten  und  seine  Gegner  aus 
der  Stadt  vertrieben,  kann  in  der  That  nicht  in  Frage  gezogen 
werden:  so  wird  der  Hergang  auch  von  unseren  anderen  Quellen 
erzählt  ^.  Difterenzen  finden  sich  erst  in  den  Angaben  über  die 
Gründe,  welche  die  Anagnioten  veranlassten,  nunmehr  für  Bonifaz 
einzutreten,  während  sie  doch  entschieden  an  dessen  Gefangennahme 
mitschuldig  waren.  Die  Angaben,  welche  uns  hierüber  gemacht 
werden,  lassen  sich  in  zwei  Gruppen  zerlegen,  und  es  ist  durchaus 
wahrscheinlich,  dass  beide  recht  haben.     Die  einen'*  weisen  nämlich 


>  DüPDY,  Diff.  pr.  248  (ur.  LV). 

-  Ibid.  175. 

''  Mit  Ausnahme  des  Gottfried  von  Paris  (Hec.  des  bist.  XXII,  109  B—H, 
Vers  2069  ö'.),  der  die  Sache  so  erzählt,  als  habe  Xogaret  eigentlich  nur  ein 
Exempel  statuieren  wollen  und  sich  jetzt  freiwillig  zurückgezogen,  und  der 
Cont.  Brab.  Mart.  Pol.  (Mon.  Germ.  SS.  XXIV,  261  ZI.  47),  wonach  die  Gegner 
des  Papstes  wieder  weggingen,  als  sie  saheu,  dass  dieser  verrückt  wurde.  In  an- 
deren, besonders  französischen  Quellen,  wird  die  Sache  so  dargestellt,  als  hätten 
die  Gegner  des  Papstes  diesen  nun  selbst  nach  Rom  geführt:  Cont.  Guill. 
Nang.,  ed.  Geraud  I,  338;  Bernhardüs  Guidonis,  Rec.  des  hist.  XXI,  714B; 
Nicolaus  Trivetds,  ed.  Hog  399.  Diese  Auttassung  ward  später  noch  weiter 
ausgesponnen,  so  von  der  Chron.  V.  St.  Denis  (Rec.  des  hist.  XX,  H75A),  wo 
Nogaret  dem  Papst  dabei  vorhält:  „O  du  elender  Papst,  sieh  und  erwäge  die 
Güte  des  Königs  von  Frankreich,  der,  obgleich  sein  Reich  so  weit  von  Dir  ent- 
fernt ist,  Dich  doch  durch  mich  bewacht  und  beschirmt."  Auch  dies  schrieb 
wieder  Nikolaus  Gilles  alj. 

^  Toi.  Luc.  cont.  Patav.,  Muratohi  XI,  1223C— D;  Pipik,  ibid.  IX, 
740E.     Eine   anonyme  Chronik  (Rec.  des  hist.  XXI,  14öH  — 149A)    meint, 

7* 


100  4.  Kapitel. 

auf  (las  rolie  Gebaren  und  die  unleidlichen  Gewaltthätigkeiten  der 
Soldateska  hin,  während  die  anderen  ^  von  Differenzen  der  Anagnioten 
mit  den  ihnen  erst  jetzt  klar  werdenden  Zielen  ihrer  bisherigen 
Bundesgenossen  reden.  Nogaret  und  Sciarra  hatten  bisher  den 
Anagnioten  ihren  Endzweck  nicht  offen  angegeben;  jetzt  war  derselbe 
nicht  mehr  länger  zu  verheimlichen.  Die  Anagnioten  vernahmen, 
worüber  sich  die  beiden  Häupter  des  Unternehmens  stritten,  und 
waren  mit  keines  von  beiden  Absicht  einverstanden:  der  Curtisane 
berichtet,  dass  sie  nicht  wollten,  dass  der  Papst  in  ihrer  Stadt  ge- 
tötet werde,  weil  sie  sich  so  das  Interdikt  und  den  Hass  der  ganzen 
Christenheit  zuzögen-,  und  die  Yienner  Relation  weist  uns,  wie  wir 
sahen,  darauf  hin,  dass  auch  der  Plan  Nogaret's  wenigstens  einigen 
höheren  Kreisen'^  der  Stadt  missfiel. 

Es  ist  nicht  eben  leicht,  über  die  Haltung  der  Anagnioten  in 
diesen  Tagen  vollkommene  Klarheit  zu  erlangen.  Xoch  ehe  No- 
garet in  Anagni  einzog,  hatte  er  die  Sympathieen,  die  ihm  in  gewissen 
Kreisen  dieser  Stadt  entgegengebracht  wurden,  durch  Geldver- 
heissungen  und  mit  baarer  Münze  erheblich  gestärkt.  Aber  die  Mehr- 
zahl der  Bürger  war  völlig  überrascht,  als  sie  am  Morgen  des 
7,  Septembers  vernahm,  dass  mehrere  Hundert  Bewaffnete  in  die 
Stadt  eingedrungen  waren.  Zunächst  war  es  nun  der  antipäpstlichen 
Partei  gelungen,  die  Oberhand  zu  gewinnen:  die  ganze  Bürgerschaft 
schloss  sich  ihr  an.  Mancherlei  mag  hierbei  mitgewirkt  haben: 
Furcht  vor  den  die  Stadt  beherrschenden  Scharen  und  wiederum 
Hoffnung  auf  Gelderwerb;  vor  allem  ist  sicher,  dass  der  Papst  bei 
den  Bürgern  eigentlich  wenig  beliebt  war^.  Man  glaubte  also  den 
Versicherungen  Nogaret's,  der  behauptete,  er  wolle  Bonifaz  nur  die 

die  Anagnioten  wären  deshalb  umgestimmt  worden,  weil  sie  bei  dem  allgemeinen 
Rauben  zu  kurz  gekommen  seien  (ähnliche  Andeutungen  macht  auch  die  Chron. 
V.  Orvieto,  ed.  Döllinger  352,  ed.  Himmelstern  35)  und  AValther  von  Güis- 
BORODGH  (Mon.  Germ.  SS.  XXVIII,  645  ZI.  10  f.,  14—16)  fügt  hinzu,  es  sei 
ihnen  vorher  ein  Teil  des  Raubes  versprochen  worden;  sicher  erhielten  bei  der 
Plünderung  die  Soldaten  den  Löwenanteil. 

'  Der  Curtisane,  Mon.  Germ.  SS.  XXVIII,  624  ZI.  9f.,  14—18;  Vien- 
ner  Relation  (vgl.  oben  S.  97 f.).  Von  einer  „Reue"  der  Anagnioten  sprechen  die 
Ann.  V.  Florenz  (Böhmer,  Fontes  IV,  674),  Villani  (ed.  Dragomanni  80),  die 
Heilsbronner  Annalen  (Mon.  Germ.  SS.  XXIV,  46  ZI.  461  und  Johann  von 
ViKTRiNG  (Böhmer,  Fontes  I,  .347). 

-  Auch  nach  Walther  von  GnsnoRorGH  (a.  a.  0.  645  ZI.  15)  waren  es  die 
„Optimaten",  die  den  Umschwung  veranlassten  und  es  als  ewige  Schande  be- 
trachteten, „si  abduceretur  j^apa". 

'  Sogar  nach  dem  Curtisanen  (a.  a.  0.  624  ZI.  14)  sagt  das  Volk  noch 
am  Montag:  „Licet  papa  multa  mala  fecörit  in  hac  vita." 


Anagni.  101 

Beschwerden  der  Christenheit  überbringen  ^  und  ilui  zur  "Rerufung 
eines  Konzils  bewegen,  und  half  ihm,  in  den  piii)stlichen  J\d;ist  ein- 
zudringen. Sein  angegebener  Zweck  war  ganz  im  Sinn  der  Anagni- 
oten,  und  zugleich  ward  man  auch  auf  diese  Weise  die  Eindring- 
linge auf  die  beste  Art  wieder  los :  man  stand  mit  ihnen  als  Bundes- 
genosse, half  ihnen  ihr  Werk  rascher  zu  vollbringen,  und  durfte 
dann  hoffen,  dass  sie  von  selbst  wieder  gingen.  Aber  gerade  dies 
kam  anders:  die  zügellosen  Banden  lagen  seit  Samstag  Abend  un- 
thätig  in  der  Stadt,  nachdem  hauptsächlich  sie  sich  an  den  kirch- 
lichen Schätzen  bereichert  hatten,  bedrückten  die  Einwohner  und 
verübten  allerhand  Exzesse.  Die  Führer  aber  konnten  jetzt  ihre 
wahren  Absichten  nicht  mehr  verheimlichen,  es  fragte  sich  nur  noch, 
ob  man  dem  Papst  das  Leben  nähme  oder  ihn  gewaltsam  fortführe. 
Beides  wollten  die  Anagnioten  nicht.  Ein  in  Anagni  unter  offenbarer 
Mitschuld  der  Bürger  geschehener  Papstmord  hätte  schwere  Folgen 
für  die  Stadt  gehabt,  man  mag  in  der  That  für  aller  Seelenheil 
gefürchtet  haben;  aber  auch  eine  Entführung  des  Papstes  aus  seiner 
Residenz  brachte  dieser  zum  mindesten  materiellen  Schaden.  So 
regte  sich  denn  aus  allerhand  Gründen  Reue  bei  den  Anagnioten, 
die  am  Montag  Morgen  gegen  den  Willen  des  Adenulf  und  seiner 
Anhänger^  zum  Durchbruch  kam.  Besonders  scheint  es  auch  der 
weibliche  Teil  der  Bevölkerung  gewesen  zu  sein,  der  nunmehr  für 
den  Papst  Partei  ergrifft. 

In  verschiedenen  italienischen  Quellen*  heisst  es,  der  Kardinal 
Lucas  Fliscus  (Fieschi)  habe  zuerst  die  Initiative  ergriffen  und  das 
Volk  zu  den  Waffen  gerufen.  Dieser  Kardinal  aber  wird  sonst  über- 
haupt nicht  als  in  Anagni  anwesend  genannt,  und  in  den  besten 
Quellen  wird  auch  jetzt  von  ihm  mit  keinem  Wort  Erwähnung  ge- 
than.  Es  scheint  auch  hier  also  wieder  eine  der  zeitig  auftretenden 
Ausmalungen  vorzuliegen,  wobei  uns  wieder  die  Istorie  Pistolesi 
und  die  Paduanische  Fortsetzung  des  Tolomeo  von  Lucca  die  all- 


*  Vrgl.  auch  Dupcy,  Diff.  pr.  175.  —  Der  Curtisane  widerspriclit  seiner 
ersten  Angabe  (a.  a.  0.  622  ZI.  10),  wonach  die  Anagnioten  von  vornherein 
wussten,  dass  Sciarra  den  Papst  töten  wollte,  später  selbst  (624  ZI.  9  f.),  indem 
er  sagt,  die  Bürger  hätten  das  erst  am  Montag  erfahren.  Vermutlich  kursierten 
anfangs  über  den  Zweck  des  Ueberfails  in  der  Stadt  verschiedene  Gerüclite. 

-  Der  Curtisane  a.  a.  0.  624  ZI.  11. 

^  Es  ergiebt  sich  dies  wohl  aus  der  Sorge  der  Frauen  um  den  l'apst,  die 
der  Curtisane  a.  a.  O.  625  ZI.  2  11".  und  sogar  noch  vor  der  Erzählung  von  der 
Befreiung   des  Papstes   der  Cont.  Gerv.  Cant.  a.  a.  O.  314  ZI.  35    hervorheben. 

*  Annalen  von  Parma  a.  a.  0.  729  ZI.  16 f.;  Pipin  a.  a.  ü.  740 E;  Fkr- 
RETO,  bei  Mlkatori  IX,  1O05A. 


102  4.  Kapitel. 

inähliclie  Entstehung  solcher  Geschichten  zeigen.  Erstere  nämlich 
wissen  nur^,  dass  ein  Ritter  aus  Anagni  zuerst  auf  einem  Ross 
durch  die  Stadt  gesprengt  sei  und  das  Volk  aufgerufen  hahe;  und 
letztere  berichtet^,  auch  einige  Kardinäle  hätten  sich  damals  dem 
Papst  wieder  zugewandt.  So  mag  schliesslich  die  genannte  Er- 
zählung entstanden  sein,  wobei  noch  darauf  hinzuweisen  ist,  dass 
auch  einem  anderen  Kardinal'^  einmal  die  Rolle  des  Lucas  Fliscus 
zugewiesen  wird,  und  dass  dieser  letztere  sonst  keineswegs  als  Freund 
Bonifaz'  VIII.  bekannt  ist*,  ein  weiterer  Grund,  jenen  vereinzelten 
italienischen  Stimmen  nicht  zu  glauben. 

8. 

Am  Montag  früh  gegen  9  Uhr  versammelte  sich  das  Volk  von 
Anagni  ohne  Wissen  seines  Capitaneus  Adenulf,  Nogaret's  und  Sci- 
arra's  an  einem  verborgenen  Ort.  Hier  beschloss  man  die  Be- 
freiung des  Papstes  und  des  Marquis  und  schwur  ihren  Gegnern, 
falls  sie  sich  widersetzten,  den  Tod"".  Sofort  bewaffnete  man  sich 
und  eilte  unter  dem  Ruf:   „Es  lebe  der  Papst,  Tod  den  Fremden!"^ 

'  A.  a.  0.  425;  und  doch  erzählt  Pipin  im  übrigen  die  Geschichte  ebenso. 

^  A.  a.  0.  1223  D;  anders  berichtet  aber  über  diese  Kardinäle  die  Chronik 
von  Orvieto  a.  a.  0. 

•''  Nämlich  dem  Kai'diual  Matthaeus  Rubens  Ursinus,  in  den  Anualen 
von  La  Cava,  Mon.  Germ.  SS.  III,  196  ZI.  37. 

•'  DCPUY,  DifF.  pr.  232;  Funke  71.  Erst  später  scheint  derselbe  zu  den 
Bonifazianern  übergegangen  zu  sein  (vrgl.  Kapitel  7  Abschnitt  2),  sodass  dann 
immerhin  eine  Geschichte  wie  diese  von  ihm  erzählt  werden  konnte. 

*  Der  Curtisane,  Mon.  Germ.  SS.  XXVIII,  624  ZI.  10— 23;  Chronik  von 
Orvieto,  ed.  Döllinger  352,  ed.  Himmelstern  35  (der  Text  lässt  hier  trotz  der 
starken  Emendationen  Himmelstern's  noch  immer  zu  wünschen  übrig),  lieber 
die  Zeitangaben  sei  folgendes  bemerkt:  nach  dem  Curtisanen  fand  diese  Ver- 
sammlung „circa  horam  tertiam"  (a.  a.  O.  ZI.  12  f.),  die  Befreiung  des  Papstes 
„circa  horam  statim  post  nonara"  (a.  a.  0.  ZI.  35)  statt;  die  Vienner  Ilela- 
tion  (Rcv.  des  quest.  bist.  43,  560  Anm.)  sagt  nur,  die  Erhebung  des  Volks 
sei  morgens  gewesen;  direkt  dem  Curtisanen  widerspricht  Xogaret  (Dupuy, 
Diff.  pr.  248  nr.  LV),  der  die  Befreiung  des  Papstes  auf  die  erste  Stunde  setzt; 
aber  jener  wird  durch  die  Chronik  von  Orvieto  gestützt,  welche  meldet, 
„circa  horam  diei  tertiam"  habe  der  Angriff  des  Volks  auf  den  Palast  be- 
gonnen: sie  wie  der  Curtisane  (a.  a.  0.  ZI.  24)  versichern,  dass  dieser  Angriff 
sofort  nach  der  Versammlung  und  „absque  maiori  deliberatioue"  erfolgte. 

°  Vienner  Relation  a.  a.  0:  „Vivat  papa  et  moriantur  forestanei"; 
ViLLANi,  ed.  Dragomanni  80:  „viva  il  papa  e  sua  famiglia,  e  muoiano  i  tradi- 
tori";  HocsEM,  bei  Chapeaville  II,  343:  „Moriantur  Columpnenses  et  Franci- 
genae,  papa  vivat."  In  den  Istorie  Pistole  si  (ed.  Biscioni  425)  ruft  der  die 
Strassen  der  Stadt  durchreitende  Ritter  (vrgl.  oben):  „viva  lo  papa  Bouifazio, 
Santo  nostro  i)adre,  e  muoiano  gli  traditori." 


Anagui.  103 

zum  Palast,  wo  Bonifaz  gefangen  sass.  IMan  kam  in  stattlicher 
Zahl,  die  ganze  waftenfähige  Mannschaft  beteiligte  sich  an  dem 
Unternehmen  bis  auf  einige  wenige,  die  auf  der  Seite  des  Adenulf 
standen  ^  Am  Palast  angekommen,  stiess  man  auf  die  starke 
Wache,  welche  unter  dem  Befehl  lleginald's  von  Supino  lange 
energischen  Widerstand  leistete.  Auf  die  Kunde  von  dem  be- 
gonnenen Kampf  eilte  die  übrige  Mannschaft  Sciarra's  ihren  be- 
drängten Genossen  zu  Hülfe,  es  kam  zu  einem  blutigen  Ringen,  in 
dem  viele  ihr  Leben  verloren.  Endlich  musste  die  Wache  aus  dem 
Palast  weichen,  einige  sollen  sich  dabei  in  der  vergeblichen  Hoffnung, 
ihr  Leben  zu  retten,  aus  dem  Fenster  gestürzt  haben.  Kurz  nach 
drei  Uhr  konnte  dem  Papst  seine  Befreiung  gemeldet  werden.  Als 
derselbe  sie  vernahm,  „hob  er  Augen  und  Hände  gen  Himmel  und 
dankte  Gott  und  dem  Volk,  dass  er  vom  Tode  befreit  sei"  ^.  Auf 
den  Strassen  setzte  sich  der  Kampf  fort,  aber  die  Sache  der  Gegner 
des  Papstes  war  verloren.  Auch  die  anderen  Gefangenen,  der  Mar- 
quis und  seine  Söhne,  wurden  befreit  und  in  den  Schutz  der  Ge- 
meinde genommen,  Nogaret  ward  verwundet,  aber  entkam  und  eilte 
aus  der  Stadt.  Auch  Sciarra  konnte  fliehen;  unter  gi'ässlichen 
Flüchen  verliess  er  Anagni.  Jedoch  nur  Trümmer  des  Heeres 
konnten  den  beiden  folgen;  viele  waren  umgekommen  und  viele 
andere,  darunter  Reginald  von  Supino  und  sein  Sohn  Robert,  sowie 
Adenulf,  waren  in  die  Hände  der  Anagnioten  gefallen  und  gefangen 
gesetzt  worden.  Ein  französisches  Banner  wurde  von  den  siegreichen 
Anagnioten  zerrissen  und  durch  die  Strassen  Anagnis  auf  der  Erde 
geschleift  ^, 


^  Der  Curtisane  a.  a.  0.  624  ZI.  24  f.;  Gervas.  Caut.  cout.,  Mou.  Germ. 
SS.  XXVII,  314  ZI.  36.  AVenn  aber  der  Curtisane  meldet,  man  glaube,  es 
wären  10  000  bewaffnete  Anagnioten  gewesen,  so  ist  das  doch  wolil  stark 
übertrieben! 

-  Nogaret  a.  a.  O.  248  (nr.  LV);  der  Curtisane  a.  a.  0.  624  ZI.  26—31,  34  f.; 
Chron.  von  Orvieto  a.  a.  O.;  Istorie  Pistolesi  a.  a.  O.  425;  Pipin,  bei  Mlra- 
TORi  IX,  740  E;  Walther  von  Guisboroügh,  Mon.  Germ.  SS.  XXVIII,  645 
ZI.  17 — 21.  Die  Geschichte  von  den  Leuten,  die  sich  aus  den  Fenstern  stürzton, 
nur  in  den  Ist.  Pist.  —  Zunächst  scheint  man  dem  Papst,  diesmal  aber  zu  seiner 
Sicherung,  wieder  eine  Bewachung  gegeben  zu  haben;  vrgl.  den  Curtisanen 
a.  a.  0.  625  ZI.  9. 

^  Nogaret  a.  a.  0.  175  u.  248  (nr.  LV);  der  Curtisane  a.  a.  0.  624  ZI. 
31 — 34;  Vienner  Relation  a.  a.  0.;  Chronik  von  Orvieto  a.  a.  ().;  Istorie  Pistolesi 
a.  a.  0.  425;  Fkrrkto  bei  Muratori  IX,  1005 A;  Villani  a.a.O.  80;  Gervas, 
Cant.  cont.  a.  a.  O.  314,  ZI.  37  f.;  anonyni(;  Chronik,  Rcc.  des  liist.  XXI,  149 A. 
Die  Beschimpfung  der  französischen  Faliiie  wird  iiljureiiistinimeud  von  Nogaret 
und  der  Chron.  v.  Orvieto  gemeldet;    später  meinte  man,  rs  sei  die  Fahne  ge- 


104  4.  Kapitel. 

Bei  den  fulgendeu  Reden  des  Papstes  an  das  Volk  und  den 
Absolutionen  ist  mit  dem  Curtisanen  zwischen  zwei  Momenten 
zu  unterscheiden.  Zunächst  Hesen  die  Anagnioten  den  Papst  auf  einen 
grossen  Platz  tragen  und  versammelten  sich  hier  um  ihn.  Bonifaz 
dankte  zuerst  Gott  und  allen  Heiligen  sowie  dem  Volk  von  Anagni 
für  sein  Leben;  dann  sprach  er  von  den  jüngsten  Ereignissen  und 
bat  die  Anwesenden,  da  man  ihm  sein  Hab  und  Gut  geraubt  habe, 
und  er  nichts  zu  essen  und  zu  trinken  habe  und  noch  nüchtern  sei, 
ihm  Brot  und  "Wein,  oder  wenn  dies  nicht  vorhanden,  wenigstens 
einen  Schluck  AVasser  zu  bringen,  wofür  er  den  Spendern  alles  Ver- 
gangene verzeihen  und  den  Segen  Gottes  auf  ihr  Haupt  flehen  wolle. 
Die  Anwesenden  brachen  in  Jubelrufe  aus,  und  die  Frauen  Auagnis 
trugen  Wein,  Brot  und  Wasser  in  solchen  Mengen  in  den  Palast, 
dass  das  ganze  päpstliche  Gemach  damit  angefüllt  wurde,  und  Wein 
und  Wasser  auf  den  Boden  überfloss,  da  man  nicht  genug  Gefässe 
fand.  „Und  da  konnten  alle  zum  Papst  gehen,  Gute  und  Schlechte, 
Geringe  und  Hohe;  und  alle  konnten  mit  dem  Papst  sprechen  wie 
mit  jedem  anderen  armen  Menschen"  ^ 

Von  dieser,  von  dem  Curtisanen  mit  unverkennbarer  Wärme 
geschilderten  Szene  ist  die  wichtigere  folgende  zu  unterscheiden,  in 
welcher  der  Papst  die  Anagnioten  absolvierte,  und  über  welche  uns 
wieder  mehr  Quellen  zur  Verfügung  stehen.  Nach  einer  durchaus 
glaubhchen  Meldung  Pipix's^  besprach  sich  Bonifaz  gegen  Abend 
auf  Anraten  des  Kardinalbischofs  Nikolaus  von  Ostia  (des  späteren 
Benedikt  XI.)  mit  den  Kardinälen,  ob  er  wegen  des  Geschehenen 
strafen  oder  verzeihen  solle;  man  kam  zu  milden  Beschlüssen.  Dar- 
auf wurde  noch  am  Abend  des  9.  September  das  Volk  am  Palast 
versammelt,  der  Papst  erschien  am  Portal  und  setzte  sich  oben  an 
der  dahin  aufsteigenden  Treppe  nieder  ^  Nachdem  er  die  Ver- 
wesen, die  Nogaret  auf  dem  päpstlichen  Palast  habe  aufziehen  lassen  (so  Amal- 
Ricus  AuGERius,  bei  Muratori  III  2,  439B— C,  E);  aber  von  einer  solchen 
ist  sonst  nichts  bekannt.  Der  Kardinal  Jakob  Stefaneschi  bringt  den  Kampf 
mit  den  Anagnioten  in  folgende  Verse  (Muratori  III,  659  B—C;  RaynaldXXIII 
332,  1303  §42): 

„Irruit  in  stolidos  plebs  docta  furentibus  armis, 

Hos  cerebro  quosdamque  manu  quosdamque  recisis 

Naribus  evertit;  capitur,  qui  maxinius  horum 

Extiterat,  summusque  pater  iam  carcere  Über 

Protinus  hunc  solvit." 
Mit  dem  Hauptthäter  ist  wohl  an  Adenulf  gedacht. 
'  Der  Curtisane  a.  a.  0.  624  ZI.  35  —  625  ZI.  8. 
2  A.  a.  O.  741  A. 
"  Der  Curtisane   a.  a.  Ü.   625  ZI.   9;    Chronik   von   Orvieto    a.  a.  0.;    Ist. 


-   Anagni.  105 

sammelten  gesegnet  und  wiederum  Gott  und  dem  Volk  für  seine 
Rettung  gedankt  hatte,  verzieh  er  allen  Bewohnern  Anagnis  die  Be- 
teihgung  an  seiner  Gefangennahme.  Darauf  kam  er  auf  die  grosse 
Plünderung  zu  sprechen  und  legte  dar,  dass  er  den  Kirchenschatz 
zu  einer  Wiedererwerbung  des  heiligen  Landes  gesammelt  habe,  aber 
er  wolle  auch  hier  allen  verzeihen,  die  vom  Kirchenschatz  oder  von 
der  Habe  der  Kardinäle  und  anderem  Gut  geraubt  hiitten,  wenn 
sie  das  Geraubte  innerhalb  drei  Tagen  wieder  zurückbrächten;  wer 
aber  sich  am  päpstlichen  Privatbesitz  bereichert  habe,  der  könne  dies 
behalten,  es  solle  ihm  vergeben  und  vergessen  sein.  Alle  so  Be- 
zeichneten wurden  hierauf  in  feierlicher  Weise  absolviert;  diese  Ab- 
solutionen wurden  —  wohl  am  folgenden  Tage  —  in  der  Stadt  öffent- 
lich bekannt  gemachte 

Nachdem  Bonifaz  so  ein  zweites  Mal  zum  Volk  geredet  hatte, 
begab  er  sich  wieder  in  den  Palast  und  Hess  sich  die  Gefangenen 
vorführen.  Diese  baten  jetzt,  wo  sie  sahen,  dass  für  sie  nichts 
mehr  zu  hoffen  war,  um  Verzeihung,  die  sie  unter  denselben  Be- 
dingungen wie  die  Anagnioten  auch  erhielten.  Noch  am  selben 
Tag   verliess  Reginald   von    Supino    die  Stadt.     Die  Kardinäle,    die 


Pistol.  a.  a.  0.  425.  Die  Orvietaner  Angabe  „sedens  in  capite  scalarum"  ver- 
dient entschieden  den  Vorzug  vor  der  letztgenannten  Quelle,  nach  der  sich  der 
Papst,  der  jetzt  endlich  Mantel  und  Kreuz  abgelegt  hatte  (!),  am  Fenster  zeigte. 
^  Der  Curtisane  a.  a.  0.  625  ZI.  9 — 19;  Chronik  von  Orvieto  a.  a.  0.-, 
Ist.  Pistol.  a.  a.  0.  425;  PiPIM  a.  a.  0.  741  A.  Dass  Bonifaz  darauf  hinwies, 
dass  er  den  Kirchenschatz  fürs  heilige  Land  gesammelt  habe,  bei  Walther  von 
GüisBOROUGH  a.  a.  0.  645  ZI.  21 — 23.  —  Die  Behauptung,  dass  Bonifaz  feierlich 
erklärt  habe,  er  habe  die  Absicht  (oder  habe  sie  gehabt)  mit  den  Colouna 
Frieden  zu  machen  und  die  abgesetzten  Kardinäle  in  ihre  geistliche  Würde  und 
ihren  weltlichen  Besitz  wieder  einzusetzen,  dürfte  in  dieser  Form  gewiss  unrichtig 
sein;  vielleicht  versicherte  der  Papst  im  allgemeinen,  an  ihm  sei  es  nicht  gelegen, 
wenn  die  Colonna  sich  nicht  mit  ihm  vertragen  könnten.  —  Die  Absolutionen 
fanden  sicher  in  der  hier  nach  dem  Bericht  des  Curtisanen  geschilderten  Weise 
statt;  vrgl.  Chron.  von  Orvieto:  „cunctis  delinquentibus  in  se  pepercit"  ;  Ist.  Pistol.: 
„assoluta  la  cittä  d'  Alagua  e  '1  suo  popolo  e'  liberö  gli  prigioni  [vrgl.  im  folgen- 
den] ed  ogni  altro  colperole,  salvochü  chi  avea  del  tesoro  della  chiesa,  se  non 
lo  ristituiva."  Nogaret  hat  also  unrecht,  wenn  er  später  behauptete  (Beilage 
IX  §  6,  XII  §  11;  Dupuv,  Diff.  pr.  248  nr.  LVI,  273,  312  nr.  XXXV,  385, 
445,  583),  Bonifaz  habe  überhaupt  allen  Beteiligten,  also  nicht  nur  den  Bürgern 
Anaguis  (und  den  Gefangenen),  sondern  auch  ihm  verzieln3n,  oder  habe  gar  zu- 
gestanden, dass  Nogaret  völlig  recht  gehandelt  liabe,  und  die  That  desselben 
öfifentlich  gerühmt.  Gebannt  hat  Bonifaz  aber  niemanden  mehr.  Die  engl. 
Fortsetzung  des  Martinus  Polonüs  (Mon.  Germ.  SS.  XXIV,  256  ZI.  18—21) 
meint,  es  heisse,  Bonifaz  habe  kurz  vor  seinem  Tod  noch  allen,  die  sich  an  ihm 
vergangen,  verziehen,  ausser  dem  König  von  Frankreich  und  dessen  Räten. 


106  -1.  Kapitel. 

sich  mit  den  Verschwörern  eingehissen  liatten,  Richard  von  Siena 
und  Napoleon  Orsini,  hielten  sich  ängstlich  versteckt,  bis  sie  er- 
fuhren, dass  der  Papst  auch  ihnen  verziehen  und  volle  Sicherheit 
verheissen  habe^ 

9. 

An  diese  Schilderung  der  Ereignisse  vom  7. — 9.  Sei^tember  1303 
sei  anhangsweise  eine  Darstellung  der  letzten  Lebenstage  Boni- 
faz'  VIII.  gereiht.  Nogaret  tritt  vor  dem  Tod  desselben  zwar 
nicht  mehr  hervor-,  aber  was  sich  im  Monat  nach  dem  Attentat 
ereignete,  war  für  ihn,  für  seine  künftige  Stellung  in  Frankreich, 
von  der  allergrössten  Bedeutung:  der  Misserfolg  vom  9.  September 
wurde  durch  das  rasche  und  mit  dem  Ueberfall  von  Anagni  in  un- 
löslichem Zusammenhang  stehende  Ende  des  Papstes  wieder  aus- 
geglichen. 

Der  Papst  besass  nach  seiner  Befreiung  keinesw^egs  wieder  die- 
selbe Stellung  wie  früher:  sein  Mut  wie  seine  Macht  waren  dahin. 
Für  ersteres  spricht  schon  zur  Genüge,  dass  er  keinen  einzigen  Er- 
lass  mehr  ergehen  liess.  Wie  hätte  er  früher  eine  Frechheit,  die 
sich  der  That  Nogaret's  und  Sciarra's  auch  nur  näherte,  beantwortet 
und  aufs  schärfste  geahndet!  Nun  war  seine  Kraft  gebrochen.  Die 
Schmach  der  Gefangenschaft,  die  mannigfachen  Entbehrungen  und 
schliesslich  die  grössten  Anstrengungen,  denen  er  sich  am  dritten 
Tag  noch  unterzogen  hatte,  mussten  den  greisen  Papst  nicht  nur 
körperlich  stark  mitnehmen,  sondern  auch  seelisch  schwer  nieder- 
beugen: hatte  er  doch  während  der  ganzen  Jahre  seines  Pontifikats 
wie  kein  anderer  vor  ihm  die  göttliche  AFacht  und  unantastbare 
Hoheit  des  Papsttums  betont,  nun  war  gerade  in  seiner  Person 
dieses  Papsttum  auf  das  schmählichste  behandelt  worden,  ohne  dass 
er,  der  sich  fast  nur  Gegner  verschaü't  hatte,  irgend  eine  Mög- 
lichkeit sah,    den  Schimpf  auch  nur  einigermasseu  zu  rächen. 

Dieses  Gefühl  völliger  Machtlosigkeit,  das  sich  seiner  bemäch- 
tigen musste,  wurde  noch  erhöht,  durch  die  Nachrichten,  die  aus 
der  Umgebung  Anagnis  damals  eintrafen.  Hier  im  südlichen  Latium, 
wo  die  Besitzungen  der  Gaetani  lagen,  wo  Bonifaz  in  den  letzten 
Jahren  mit  Erfolg  eine  Nepotenherrschaft  für  den  Marquis  ein- 
gerichtet hatte,  war  seit  dem  Tag,  wo  seine  Gegner  in  Anagni  ein- 


*  Chronik  vou  Orvieto  a.  a.  0.;  Ist.  Pistol.  a.  a.  0.  425;  Gervas.  Caut. 
cout.  a.  a.  O.  314  ZI.  39—41.  Die  Ist.  Pistol.  berichteu,  die  Bürger  Anagnis 
und  die  (iefangeuen  liätten  um  "Verzeihung  gebeten;  bezüglich  der  letzteren  wird 
dies  von  dem  Fortsetzer  des  Gervasius  bestätigt. 

-  Er  befand   sich  in  Ferentino;   vrgl.  Abschnitt  1  des  folgenden  Kapitels. 


Anagni.  107 

brachen,  alles  mit  einem  Schlag  verändert.  Die  Vienner  Relation  be- 
richtet hierüber  ^,  dass  an  dem  Tag,  an  welchem  der  Papst  gelangen 
genommen  wurde,  sich  alles  Volk  von  Rom  und  ganz  Campanien 
gegen  ihn  erhob,  und  dass  der  grössere  Teil  des  Landes  und  die 
Burgen,  die  der  Papst  für  den  Marquis  gekauft  hatte,  jetzt  von  ihm 
abfielen,  und  der  Adel,  auf  dessen  Kosten  die  Nepotenherrscluift 
sich  erhoben  hatte,  nun  in  seinen  Besitz  wieder  zurückkehrte.  Und 
der  Curtisane  schreibt-,  der  Papst  habe  so  viele  Feinde,  dass  er 
in  ganz  Etrurien  und  Kampanien  keine  Stadt  tinden  könne,  die  ihn 
gegen  die  Colonna  beschütze. 

Diese  Nachrichten  werden  es  erklärlich  machen,  dass  Bonifaz 
in  seiner  verzweifelten  Lage  den  alten  Mut  und  die  alte  Spannkraft 
verloren  hatte.  Nichtsdestoweniger  entschloss  er  sich,  nach  Rom 
zu  gehen.  Wenn  er  hoffen  durfte,  noch  irgendwo  eine  Stütze  zu 
tinden,  so  w^ar  dies  bei  den  Orsini,  deren  Partei  in  Rom  die  mäch- 
tigste war.  Mit  Recht  w^eist  der  Curtisane  darauf  hin^;  aber  er 
muss  doch  auch  bemerken^,  dass  sogar  in  Rom  keine  Sicherheit 
herrsche,  dass  zwar  das  Volk  im  allgemeinen  auf  Seite  der  (Jrsini 
stehe,  dass  aber  auch  die  Colonna  zahlreiche  Anhänger  hätten,  so- 
dass man  nie  sicher  sei,  ob  nicht  die  Gegenpartei  siege  und  über 
alle  Anhänger  der  Orsini  herfalle.  Die  Machtstellung  der  Orsini 
sieht  man  daraus,  dass  in  den  letzten  Jahren  fast  nur  Mitglieder 
dieser  Pamilie  Senatoren  waren ^"^^  aber  es  ist  bezeichnend,  dass  sie 
gerade  in  diesen  Tagen  wegen  der  täglich  drohenden  Gefahr  ihr 
Amt  in  die  Hände  des  römischen  Volks  zurückgaben,  sodass  es 
jetzt  in  der  Hauptstadt  keine  Gerichtsbarkeit  mehr  gab,  sondern 
jeder  auf  sich  selbst  angewiesen  war". 

In  Anagni  jedenfalls,  rings  von  seinen  Feinden  umgeben,  fühlte 
sich  Bonifaz  mit  Recht  nicht  mehr  sicher.  So  bat  er  denn  bei  den 
Orsini  um  ein  sicheres  Geleite,  das  ihn  nach  Rom  bringen  solle. 
Daraufhin  erschienen  die  Kardinäle  Matthäus  Rubeus  Orsini  und 
Jakobus  (Jrsini  mit  vielen  Bewaffneten  in  Anagni;  unter  ihrem  Schutz 
brach  Bonifaz  etwa  eine  Woche  nach  dem  xlttentat"  morgens  in 
einem  Wagen  nach  Rom  auf.  Er  hatte  Recht  daran  gethan,  nur 
unter  starkem  Geleit  diese  Reise  anzutreten.     Die  ganze  Umgebung 


'  Rev.  des  quest.  hist.  43,  öüO  Anni. 

2  Mon  Germ.  SS.  XXVIII,  Ü2.Ö  ZI.  :iO  f. 

3  Ibid.  ZI.  29—33.  '  Ibid.  ZI.  33-37. 
**  Gregokovius,  Gesch.  Roms  V,  578  Anm.  2. 

«  Der  Curtisane  a.  a.  0.  625  ZI.  39  —  «26  ZI.  3. 
^  Vrgl.  über  das  Datum  der  Abreise  im  E.xkurs  II. 


108  •!•  Kapitel. 

von  Rom  wimmelte  in  diesen  Tagen,  wo  nirgends  mehr  eine  starke 
Gewalt  die  Ordnung  aufrecht  halten  konnte,  von  Strassenräubern, 
AVegelagerern  und  allen  Sorten  schlechten  Gesindels,  das  alles,  was 
ihm  in  die  Hände  liel,  ausraubte  und  die  ganze  Gegend  unsicher 
machte.  Auch  musste  man  die  Colonua  fürchten,  und  dieselben 
sollen  in  der  That  während  der  Reise  des  Papstes  einen  Angriff 
auf  ihn  gewagt  haben  und  erst  nach  einem  blutigen  Scharmützel 
abgezogen  sein^ 

Mittwoch  den  18.  September  langte  Bouifaz  in  Rom  an,  wo 
ihm  die  Römer  vor  den  Thoren  der  Stadt  einen  feierlichen  Empfang 
bereiteten.  In  päpstlichen  Kreisen  setzte  man  noch  jetzt  Hoffnung 
auf  ihn  und  glaubte,  er  werde  der  allgemeinen  Unsicherheit  ein 
Ende  bereiten^.  Aber  er  kam  zu  keinem  energischen  Handeln  mehr. 
Als  er  abends  in  Rom  eingetroffen  war,  nahm  er  seine  Wohnung 
im  Lateran^.  Er  hoff'te,  an  seinen  Gegnern  Rache  nehmen  zu 
können  und  gedachte,  ein  grosses  Konzil  nach  Rom  zu  berufen,  um 
den  Schimpf,  der  ihm  und  der  Kirche  angethan  war,  am  König  von 
Frankreich  und  allen  Mitschuldigen  aufs  strengste  zu  ahnden.  Zu 
diesen  Mitschuldigen  gehörte  für  ihn  aber  in  erster  Linie  auch  Karl 
von  Neapel.  Wir  gedachten  der  zweideutigen  Rolle,  die  dieser 
Fürst  in  dem  Konflikt  zwischen  Frankreich  und  dem  Papst  gespielt 
hat.  Nun  wollte  der  gekränkte  Kirchenfürst  gegen  ihn,  der  es  unter- 
lassen hatte,  zum  Schutz  der  Kirche  sein  Schwert  zu  ziehen,  mit 
den  schärfsten  geisthchen  Strafen  vorgehen,  ja  er  Hess  sich  sogar 
mit  Friedrich  von  Sizilien  ein  und  ermutigte  ihn  zu  einem  ge- 
meinsamen Vorgehen  gegen  Karl. 

Damit  aber  machte  sich  Bonifaz  die  Orsini  zu  seinen  Gegnern. 
War  für  diese  schon  die  päpstliche  Nepotenpolitik  keineswegs  un- 
bedenklich gewesen,  sodass  sie  einer  etwaigen  Erneuerung  derselben 
durchaus  unsympathisch  gegenüberstanden,  so  mussten  sie  angesichts 
der  eben  angedeuteten  Politik  vollends  vor  Bonifaz  auf  der  Hut 
sein.     Der  Anjou  in  Neapel  war  ihr  alter  und  natürlicher  Verbün- 

*  Die  Zustände  ia  der  Umgebung  Roms  werden  in  übereinstimmender 
"Weise  von  dem  Curtisauen  (a.  a.  0.  625  ZI.  37 — 39)  und  der  Vienner  Rela- 
tion (a.  a.  0.  am  Schluss)  geschildert ;  der  Curtisane  meint,  nicht  einmal,  wenn 
60  wohlbewaftnete  Leute  durchs  Land  zögen,  wären  sie  den  Räuberbanden  über- 
legen. Von  dem  Angi-ift'  der  Colonna  berichten  die  Annalen  von  Parma,  Mon. 
Germ.  SS.  XVIII,  729  ZI.  18  f. 

'■*  Der  Verfasser  der  Viennor  Relation  sagt,  nachdem  er  von  den  Räubern 
und  ihrem  Unwesen  in  der  Umgegend  von  Rom  gesprochen,  zuversichtlich: 
„Tarnen  sunt  in  respectu  pacis,  (juia  papa  intravit  Romam." 

"  Vrgl.  hierüber  wie  über  alles  folgende  den  Exkurs  IL 


Anagni.  109 

deter,  der  Staufensprössling  in  Palermo  sein  und  ihr  verliasster  Feind. 
Daher  beschlossen  sie,  den  greisen  Papst,  unter  strengste  Aufsicht 
zu  stellen  und  ihm  unter  dem  Schein  des  Schutzes  jede  Freiheit 
der  Bewegung  zu  nehmen.  Sie  zwangen  ihn,  seinen  Sitz  im  Lateran 
zu  verlassen  und  nach  dem  Vatikan  überzusiedeln,  wo  ihre  Be- 
sitzungen lagen,  und  wo  sie  die  Gegend  durch  die  Engelsburg  und 
andere  Stützpunkte  beherrschten.  Am  21.  September,  vierzehn  Tage 
nach  seiner  Gefangennahme  zu  Anagni,  musste  sich  Bonifaz  in  den 
Vatikan  begeben,  wo  er  wiederum  nur  ein  Gefangener  war.  Und 
aus  dieser  Gefangenschaft,  die  ihm  seine  eigene  Partei  bereitete, 
wurde  er  nicht  mehr  befreit.  Um  sicherer  zu  gehen,  wandten  sich 
die  Orsini  jetzt  an  Karl  von  Neapel,  der  auch  wirklich  mit  seinen 
Söhnen  Kobert  von  Sizilien  und  Philipp  von  Tarent  nach  Rom  auf- 
brach, da  die  schwierige  Lage  ihm  seine  Anwesenheit  dort  wün- 
schenswert zu  machen  schien,  und  um  im  Fall  einer  neuen  Papst- 
wahl an  Ort  und  Stelle  zu  sein^  Dem  gegenüber  konnte  es  wenig 
Bedeutung  haben,  wenn  —  wie  behauptet  wird  —  Friedrich  von 
Sizilien  zum  Schutz  des  Papstes  eine  Flotte  nach  der  Höhe  von 
Ostia  schickte;  da  das  Land  in  der  Gewalt  der  Gegner  war,  konnte 
sie  nichts  ausrichten. 

In  diesen  Tagen  erschien  in  Rom  jener  andere  Gesandte  Phi- 
lipp's,  Peter  von  Peredo,  der  Prior  von  Chiesa.  Der  französi- 
sche König  hatte  ihm  den  offiziellen  Auftrag  gegeben,  die  Beschlüsse 
der  Pariser  Versammlung  vom  Juni  des  Jahres  dem  Papst  bekannt 
zu  machen  und  die  Berufung  eines  Konzils  zu  verlangen.  Dieser 
Auftrag  war  jetzt,  worauf  es  der  französischen  Partei  ankommen 
musste,  w'ohl  geeignet,  dem  geängstigten  Papst  neuen  Schrecken  ein- 
zuflössen, und  man  mochte  den  Prior  daher  auch  von  Seiten  der 
Orsini  nicht  ungern  an  die  Erfüllung  desselben  gehen  lassen.  Am 
6.  Oktober  betrat  Peter  Rom  und  bat  im  Vatikan  um  Audienz; 
der  Zustand  des  Papstes  gestattete  aber  nicht  mehr,  dass  man  sie 
ihm  gewähre. 

Man  wird  es  nach  allem  Gesagten  begreiflich  finden,  wenn  der 
von  allen  Seiten  so  schmählich  behandelte  hülflose  Greis  jetzt  auch 
mit  dem  letzten  Rest  seiner  Kraft  zu  Ende  war.  Er  konnte  «lie 
Rache,  die  er  an  aller  Welt  üben  wollte,  nicht  stillen,  und  doch 
wuchs  in  seinem  Inneren  der  Zorn  über  die  ihm  angethancn  Krän- 
kungen nur  um  so  stärker.  Auch  alte  körperliche  Gebrechen 
scheinen   sich  eingestellt    zu  haben,    ein  Nierenleiden,    das   ihn   auf 

'  Bei  der  Wahl  Benedikt's  XI.  übte  er  doiiu  auch  einen  entscheidenden 
Einfluss  aus;  vrgl.  im  1,  Abschnitt  des  folgenden  Kapitels. 


110  4.  Kapitel. 

ein  sclimerzvolles  Krankenlager  warf.  In  Yerl)itternng  und  Ver- 
zwciriung  starb  er  so,  nachdem  er  die  Sakramente  empfangen, 
am  12.  Oktober  1303,  genau  fünf  Wochen  nach  seiner  Gefangen- 
nahme in  Anagni.  Am  folgenden  Tag,  einem  Sonntag,  wurde  er  in 
St.  Peter  beigesetzt,  in  einer  von  ihm  selbst  erbauten  Grabkapelle. 
Ein  heftiger  Sturm  verhinderte  dabei  die  Entfaltung  alles  des  bei 
derartigen  Feierlichkeiten  sonst  üblichen  Pompes,  sodass  ein  zorniges 
Schicksal  ihn  noch  ins  Grab  hinein  zu  verfolgen  schien. 

Seine  Feinde  erhoben  lauten  Jubel  und  spotteten  in  reichem 
Masse  über  sein  Pontifikat.  Früh  wird  eine  angebliche  Weissagung 
zitiert,  die  auf  den  einstigen  Kardinal  Benedikt  Gaetani  gemacht 
worden  sei:  „Intrabit  ut  vulpes,  regnabit  ut  leo  et  morietur  ut 
canis" ;  wie  ein  Fuchs  habe  er  sich  denn  auch  durch  die  Beseitigung 
seines  Vorgängers  in  die  pcäpstliche  Würde  eingeschlichen,  herrsch- 
süchtig und  stolz  wie  ein  Löwe  habe  er  regiert  und  sei  schliesslich 
doch  umgekommen  wie  ein  Hund.  Von  seinem  Tod  wusste  man 
Schreckliches  zu  erzählen:  in  wahnsinniger  Wut  habe  er  sich  selbst 
zerfleischt,  habe  seine  Hände,  seine  Arme  und  überhaupt  alles,  was 
er  mit  seinen  Zähnen  packen  konnte,  mit  Heisshunger  verschlungen. 
Es  bedurfte  nicht  erst  der  Ausgrabung  seiner  Leiche,  die  man  im 
Jahre  1605  bei  einem  Bau  in  der  Peterskirche  vornahm,  um  derlei 
Erzählungen  zu  widerlegen!  Sodann  wird  auch  eine  Geschichte 
erzählt,  dass  am  Todestage  des  Papstes  Schiffer,  die  in  der  Nähe 
des  Aetna  segelten,  deutlich  ein  unterirdisches  Geschrei  von  Dä- 
monen und  Teufeln  gehört  hätten:  „Oeffnet,  öffnet!  empfangt  den 
Papst  Bonifaz  zur  ewigen  Qual!"  Blitze  seien  in  der  Todesstunde 
heruntergefahren,  und  furchtbar  habe  der  Donner  gegrollt.  Auf  den 
Namen  des  einstigen  Benedikt,  späteren  Bonifaz,  machte  man  den 
Spottvers: 

„Nomina  Lina  bona  tibi  sunt,  nisi  verteris  illa: 

„Papa  Bonifacius  nunc  et  quondam  Beucdictus; 

„A.  te  tibi  nomen  est:  bene  fac,  bene  die  Benedicte! 

„Sed  haec  convertens:  Male  fac,  male  die  Maledicte!" 

Bonifaz  hatte  das  Unglück,  die  höchsten  Ansprüche  zu  einer 
Zeit  zu  vertreten,  wo  sie  nicht  mehr  zum  Sieg  zu  führen  waren. 


111 


5.  Kapitel. 

Der  friedliche  Sieg-  Philipp's  des  Schönen  über  das  Papsttum  und 

die  Zeit  der  Vorbereitung  zum  Schlag-  gegen  die  Templer,  bis  zur 

Ernennung  Nogaret's  zum  Grosssiegelbewahrer 

(Oktober  1303  bis  September  1307). 

Der  Kampf,  den  der  französische  König  mit  der  römischen 
Kurie  aufgenommen  hatte,  war  mit  dem  Ueberfall  von  Anagni 
keineswegs  vollendet,  da  ja  dieser  Ueberfall  seinen  eigentHchen 
Zweck,  den  Papst  nach  Frankreich  zu  schaffen,  verfehlt  hatte.  Es 
bedurfte  vielmehr  jetzt  einer  überaus  geschickten  Politik  seitens 
des  Königs  wie  seitens  Nogaret's,  um  nicht  nur  alle  üblen  Folgen 
des  misslungenen  Gewaltstreichs  abzuwenden,  sondern  um  vor  allem 
dennoch  zum  Ziel,  dem  endgültigen  Sieg  über  das  Papsttum,  zu 
gelangen.  Es  folgt  zunächst  eine  Zeit  des  unsicheren  Erfolgs 
während  des  8^/2  monatlichen  Pontifikats  Benedikts  XI.  und  der 
darauffolgenden  11  monatlichen  Vakanz  des  päpstlichen  Stuhls.  Im 
Konklave  zu  Perugia^  und  der  ersten  Zeit  Clemens'  V.  fiel  dann 
die  Entscheidung  endgültig  für  Philipi). 

1. 

Am  Nachmittag  des  9.  Septembers  1303  war  Nogaret  aus 
Anagni  vertrieben  worden ,  und  noch  am  selben  Tag  hatten  auch 
diejenigen  seiner  Parteigänger,  die  in  die  Hände  der  Anagnioten  ge- 
fallen waren,  ihre  Freiheit  wiedererlangt;  unter  ihnen  befand  sich 
Reginald  von  Supino,  das  Stadthaujjt  von  Fcrentino.  Dieser 
gab  dem  flüchtigen  Nogaret  in  seiner  Stadt  Unterkunft-,  da  er  in 
seiner  unsicheren  Lage  die  französische  Gunst  nicht  verlieren  wollte. 


*   So    auch    KiNDLKR   7. 

-  Am  29.  Okt.  1312  erklärte  Reprinalfl  u,  a.:  „.  .  .  et  post  eius  (nänil. 
Nogaret's)  exitum  de  Anagnia  ipsum  apud  Ferentinuni  cum  commutii  dvitütis 
ipsius  recepimus  et  eum  fovimus";  DuPUV,  DitV.  pr.  609. 


112  5.  Kapitel. 

Xogaret  mochte  zuniichst  die  x\bsicht  liaben,  neue  Kräfte  zu  sammeln, 
um  den  Papst  noch  einmal  in  seine  Gewalt  zu  bekommen  und  zu- 
gleich an  den  Anagnioten  Rache  zu  nehmen  ^  Seit  der  Abreise 
des  Papstes  nach  Rom  hatte  er  hieran  aber  nicht  mehr  so  viel  In- 
teresse. Dagegen  Hess  er  jetzt,  wie  wir  sahen,  den  anderen  Ge- 
sandten Philipp's,  Peter  von  Peredo,  vorgehen,  um  Bonifaz  nicht 
zur  Ruhe  kommen  zu  lassen.  Als  der  Papst  am  12.  Oktober  starb, 
durfte  sich  Nogaret  immerhin  sagen,  dass  dieses  für  ihn  unter  allen 
Umständen  günstige  Ereignis  eine  nachträgliche  Folge  seiner  freilich 
ursprünglich  einen  anderen  Zweck  verfolgenden  Gewaltthat  war. 
Am  17.  Oktober  1303  wurde  in  Ferentino  eine  Urkunde  aus- 
gestellt^, durch  die  Reginald  von  Sui)ino  und  seinen  Freunden  der 
Schutz  und  die  Unterstützung  des  französischen  Königs  gegen  alle 
Massnahmen  der  Kurie,  die  mit  vergangenen  oder  künftigen  Unter- 
nehmungen gegen  Anagni  oder  die  Nepoten  zusammen  hingen,  ver- 
heissen  ward.  Dadurch  war  Reginald  sicher  gestellt.  Er  sollte 
offenbar  nun  auch  die  Rache  übernehmen,  die  Nogaret  an  den 
Anagnioten  zu  üben  hatte,  ein  Auftrag,  dem  der  Ferentiner  nicht 
nachgekommen  zu  sein  scheint.  Eifriger  war  er  beim  Geldempfang; 
am  29.  Oktober  1312  quittiert  er  über  10000  Florene,  die  er  bei 
den  Peruzzi  erhoben  habe^. 

Von  grösster  Wichtigkeit  war  natürlich  die  Frage,  wer  der 
Nachfolger  Bonifaz'  VIII.  auf  dem  päpstlichen  Stuhl  werden  würde. 
Trotz  grösster  Gegensätze  im  Kardinalkollegium  wurde  bereits  am 
22.  Oktober  1303  unter  dem  Druck  Karl's  von  Neapel*,  der  mit 
bewaffneter  Macht  in  Rom  erschienen  war,  Nicolaus  Bocasini, 
der  Kardinalbischof  von  Ostia,  fast  einstimmig  gewählt;  derselbe 
nahm  den  Namen  Benedikt  an.  Karl  hoffte  von  dem  neuen  Papst 
eine  Unterstützung  seiner  ungarischen  Politik''.  Von  den  Kardinälen 
mag  wohl  keiner  mit  dem  neuen  Oberhaupt  so  recht  zufrieden  ge- 
wesen sein.  Zwar  w^ar  er  durchaus  kein  Parteigänger  der  Fran- 
zosen, aber  doch  fehlte  ihm  die  Macht  und  die  Energie,  um  in  der 
erforderlichen  Weise  diesen  entgegenzutreten.  Die  Gai'tani  konnten 
in  ihm  nicht  den  erwünschten  Rächer  sehen,   und  auch   den  Orsini 


'  Vrgl.  die  Urkunde  vom  17.  Oktober  1303;  Dupuy,  Diff.  pr.  175. 

^  Dieselbe  ist  im  Pariser  Archiv  (J  491  A  nr.  782)  zweimal  erhalten,  ein- 
mal in  einer  Kopie  des  Originals  und  sodann  in  dem  bei  Ddpdy,  Diff.  pr,  174 — 176 
gedruckten  Vidimus. 

"  Dupuv,  Diff.  pr.  609. 

'  Kindler  19 f.;  vrgl.  über  Karl  den  Exkurs  II. 

^  Kindler  20. 


Bis  zur  Erneunuug  Nogaret's  zum  Grosssiegelbcwahrcr  (1303—1307).      113 

war  er  nicht  nach  vollem  Gefallen:  er  schlug  seine  Residenz  wieder 
im  Lateran  auf,  den  Bonifaz  auf  Betreiben  der  Orsini  hatte  ver- 
lassen müssen. 

Nogaret  dachte  sofort  mit  dem  neuen  Papst  in  Unterhand- 
lungen einzutreten  und  näherte  sich  daher  unter  bewaffnetem  Schutz 
der  Hauptstadt  ^  Es  galt  nunmehr  zunächst  die  üblen  Folgen  des 
Attentats  von  Anagni  abzuwenden.  Nogaret  stellte  sich  zu  diesem 
Zweck  vollkommen  auf  den  vom  König  seit  der  Versammlung  vom 
Juni  1303  eingenommenen  Standpunkt,  wie  ihm  Philip})  dies  durch 
Petrus  von  Peredo  anempfohlen  hatte.  In  diesem  Sinne  dachte 
er  mit  Benedikt  zu  verhandeln.  Der  Gewaltakt  von  Anagni  war 
nötig  gewesen  wegen  der  Hartnäckigkeit,  mit  der  Bonifaz  sich 
weigerte,  Nogaret's  Forderungen  anzuhören  und  ein  Konzil  zu  be- 
rufen; sollte  man  ihm  diese  Auffassung  glauben,  so  musste  Nogaret 
jetzt,  wo  ein  neuer  Papst  da  war,  abermals  versuchen,  sich  seines 
angeblichen  Auftrags  zu  entledigen.  Das  Konzil  hatte  über  die 
Beschuldigungen,  die  in  Frankreich  gegen  Bonifaz  erhoben  wurden, 
aburteilen  sollen;  wollte  die  französische  Partei  ihren  Standpunkt 
wahren,  so  musste  sie  jetzt  auch  gegen  den  toten  Bonifaz  den  gegen 
den  lebenden  in  Aussicht  genommenen  Prozess  weiter  betreiben. 
„Ich  rückte  vor  Rom",  so  erklärt  Nogaret,  „um  die  begonnene  An- 
gelegenheit wegen  der  Berufung  eines  allgemeinen  Konzils  weiter 
zu  verfolgen,  da  Bonifaz  wegen  Häresie  und  solcher  Verbrechen, 
die  durch  den  Tod  nicht  erlöschen,  angeklagt  war,  und  es  ver- 
hängnisvoll wäre,  ein  Verderben  und  Aergernis  für  die  heilige 
Kirche  Gottes,  wenn  sein  (Bonifaz')  Andenken  nicht  mit  einem  ge- 
bührenden Klang  vergehe,  wie  er  es  im  Leben  und  Tod  verdient 
hat"^  Nogaret  begann  also  hier  ein  Konzil  zu  fordern,  vor  dem 
ein  Prozess  gegen  das  Andenken  Bonifaz'  VIII.  zum  Austrag 
kommen  sollte.  Es  war  dies  ein  überaus  kluger  Schachzug.  Nicht 
nur  wahrte  er  so  den  theoretischen  Standpunkt  seines  Königs, 
sondern  er  schuf  diesem  zugleich  ein  vorzügliches  Mittel,  den  regie- 
renden Papst  zu  schrecken.  Denn  eine  Verurteilung  Bonifaz'  VIII. 
im  Sinn   der  französischen  Partei   konnte   von    keinem   Papst  zuge- 


'  Ddpdy,  Diff.  pr.  249  (nr.  LVIII).  Nogaret  sagt  liier,  er  hal)e  sich  „una 
cum  sociis  suis"  Rom  genähert.  Entweder  meinte  er  ihiinit  die  audoruu  Ge- 
sandten, oder  Reginald  begleitete  ihn. 

-  Dass  Nogaret  hier  seinem  Vorgehen  eine  andere  Absicht  unterschöbe 
als  die,  welche  er  wirklich  hatte,  ist  nicht  anzunehmen,  da  dasselbe  sonst  uner- 
klärt wäre  und  Nogaret  sich  schon  seit  dem  August  in  den  Dienst  der  Be- 
schlüsse vom  Juni  gestellt  hatte  (vrgl.  im  Exkurs  I). 

R.  Holtzmann,  Nogaret.  8 


114  5.  Kapitel. 

lassen  werden;  sie  wäre  für  das  Papsttum,  dessen  Macht  zum  guten 
Teil  in  seiner  geschichtlichen  Ueberlieferung  lag,  verhängnisvoll  ge- 
wesen. Das  wusste  man  auf  der  Gegenseite  auch  wohl,  und  so  kam 
es,  dass  in  Frankreich  in  der  Folge  jedesmal,  wenn  es  galt,  dem 
Papst  ein  Zugeständnis  abzuringen,  mit  dem  Prozess  gegen  Bonifaz 
gedroht  ward.  Der  Grundgedanke  zu  diesem  System  der  Erpressung 
stammt  von  Nogaret. 

Aber  Benedikt  konnte  jetzt  unmöglich  mit  dem  Haupturheber 
des  Uebertalls  von  Anagni  in  Verbindung  treten.  Nogaret  war  als 
ipso  facto  im  Bann  befindlich  zu  betrachten;  denn  an  seine  Un- 
schuld, die  er  beteuerte,  glaubte  niemand,  und  es  wäre  im  höchsten 
Masse  kompromittierend  gewesen,  wenn  man  jetzt  mit  ihm  Verhand- 
lungen angeknüpft  hätte.  Daher  schickte  Benedikt  den  Bischof 
Peter  von  Toulouse,  der  seit  dem  Konzil  vom  November  1302 
in  Rom  weilte,  zu  Nogaret,  um  diesen  zu  ersuchen,  mit  weiteren 
Forderungen  zu  warten,  bis  er  einen  neuen  Auftrag  vom  König 
erhalte;  der  Papst  selber  werde  sich  um  den  Frieden  mit  Frank- 
reich bemühen^.  Diese  Aufforderung  kam  Nogaret  gelegen.  Wenn 
er  ihr  Folge  leistete,  konnte  er  seine  friedlichen  Absichten  zeigen. 
Zudem  aber  war  es  überhaupt  an  der  Zeit,  dass  er  sich  zu  Philipp 
begab,  um  ihm  Bericht  zu  erstatten  und  sich  mit  ihm  über  die  weiter 
zu  ergreifenden  Massnahmen  zu  beraten.  An  eine  wirkliche  Be- 
rufung eines  Konzils  nach  Frankreich  war  zunächst  nun  doch  nicht 
zu  denken;  die  theoretischen  Behauptungen  und  Forderungen  Frank- 
reichs in  Italien  weiter  zu  vertreten,  genügte  Petrus  von  Peredo, 
der  Prior  von  Chiesa. 

Während  sich  Nogaret  daher  nach  Frankreich  zurück  begab  ^, 
ging  der  Prior  nach  Born"',  um  sich  nun  endlich  seines  Auftrags 
zu  entledigen.  Er  überreichte  dem  Papst  eine  Denkschrift,  aber 
nicht  dieselbe,  mit  der  er  Anfang  Oktober  vor  Bonifaz  erscheinen 
wollte,  sondern  eine,  die  er  der  veränderten  Zeitlage  entsprechend 
„in  einigen  Beziehungen  abgeändert",  d.  h.  der  er  thatsächlich  eine 
ganz  neue  Gestalt  gegeben  hatte.  Seinen  ursprünglichen  Auftrag 
fasste  er  am  Anfang  derselben  kurz  zusammen :  er  erwähnt  hier  die 
Beschlüsse  vom  14.  Juni  und  die  Appellation  und  erbittet  aus- 
drücklich die  Berufung  eines  Konzils  nach  Lyon  oder  einem  anderen 
Ort,  „der  für  den  König,  das  Reich  und  die  Bewohner  Frankreichs 

»  DüPüv,  Diff-.  pr.  249  (nr.  LIX),  314  (nr.  XLV). 
=  Ibid.  249  (nr.  LX),  314  (nr.  XLV). 

"  Vrgl.  über  diese  Thätigkeit  des  Priors  seine  Denkschrift  bei  Dupüy,  Diff. 
pr.  210—214. 


Bis  zur  Ernenuimg  Nogaret's  zum  Grosssiegelbewalirer  (1303—1307).     ]15 

zur  Verfolgung  dieser  Angelegenheit  geschickt,  sicher,  unverdiichtig 
und  nicht  zu  weit  entfernt  ist"  \  Sodann  folgte,  jedenfalls  in  dieser 
Form  erst  nach  dem  Tod  Bonifaz'  VIII.  aufgesetzt,  eine  lange  An- 
klageschrift gegen  diesen  Papst.  Benedikt  scheint  auf  das  Schrift- 
stück des  bei  ihm  ja  nicht  beglaubigten  Priors  nicht  geantwortet 
zu  haben'. 

2. 

Wann  und  wo  Nogaret  mit  König  Philipp  wieder  zusammen- 
traf, wissen  wir  nicht.  Vermutlich  wird  es  aber  in  Öüdfrankreich 
gewesen  sein,  wo  der  König  zu  Beginn  des  Jahres  1304  nachweis- 
bar ist''.  Die  Gegner  Nogaret's  beklagten  sich  später  darüber,  dass 
Philipp  ihn  so  gut  aufgenommen  habe'*.  Dieser  Hess  ihm  in  der 
That  sogleich  eine  Belohnung  zu  teil  werden:  zu  der  Leibrente  von 
300  Pfund,  die  Nogaret  bereits  im  März  1303  erhalten  hatte,  kam 
nun  in  der  ersten  Hälfte  des  Februar  1304  zu  Beziers  eine  An- 
weisung auf  weitere  500  Pfund''.  Diese  Schenkung  geschah  „in 
Anbetracht  der  treuen  und  nützlichen  Dienste",  die  Nogaret  „in 
grossen,  für  den  König  und  das  Reich  schwierigen  Geschäften"  ge- 
leistet habe,  und  sollte  —  Avie  jene  300  Pfund  —  als  jährhche 
Beute  für  ihn  und  seine  Nachkommen  aus  dem  königlichen  Schatz 
gezahlt  werden,  bis  sie  durch  eine  entsprechende  Landanweisung 
ersetzt  werde.  Aus  dieser  Gunsterweisung  sehen  wir,  Avie  Nogaret, 
trotzdem  seine  Mission  nicht  zu  dem  ursprünglich  beabsichtigten 
Ziel  geführt  hatte,  doch  seiner  ergebenen  und  geschickten  Dienste 
wegen  bei  Philipp  geschätzt  wurde;  er  ward  diesem  in  der  Folge 
thatsächlich  unentbehrlich. 

Philipp  hatte  in  Südfrankreich  mancherlei  zu  ordnen.  Vor 
allem  herrschte  seit  Jahren  in  der  Bevölkerung  eine  grosse  Er- 
bitterung gegen  die  harten  Massnahmen  der  französischen  Inqui- 
sitoren, besonders  des  Toulouser  Inquisitors  Falcon".  Man  niusste 
sich  von  Seiten  der  Inquisitoren  schliesshch  an  den  König  wenden, 
aber  die  Ketzerrichter   hatten   sich  getäuscht,   wenn  sie  bei  Philipp 


'  Hier  wird  also  direkt  die  Berufung  iu  eine  französische  Stadt  verlangt; 
einst  hatte  man  den  Ort  des  Konzils  erzwingen  zu  können  gedacht,  nun  begann 
man  dasselbe  nur  unter  der  genannten  Bedingung  als  annehmbar  zu  bezeichnen. 

-  Drumann  II,  152;  Funke  68. 

^  Philipp  war  Weihuacliten  1303  bis  25.  Januar  1304  in  Toulouse  und 
reiste  dann  über  Carcassonne  nach  Bi'ziers,  wo  er  vom  7. — 12.  Februar  nach- 
weisbar ist;  Reo.  des  bist.  XXI,  443  A—B;  Hist.  de  Laug.  IX,  255— 2(53. 

•'  Dupuv,  Diff.  pr.  487  (oben). 

•■■•  Men'ARD  I,  pr.  149  (nr.  CXXVI). 

•^  Vrgl.  über  diese  Angelegenheit  die  Hist.  de  Lang.  IX,  25H  iV. 

8* 


WQ  5.  Kaiiitel. 

auf  eine  Unterstützung  gegen  die  luiretische  Bevölkerung  des  Südens 
gerechnet  hatten.  Der  König  erschien,  unterrichtete  sich  selbst 
über  die  Verhältnisse  und  erliess  am  13.  Januar  130-1:  ein  Edikt  \ 
wonach  er  alle  Iniiuisitionsgefängnisse  durch  eine  Kommission  einer 
genauen  Besichtigung  unterziehen  lassen  wollte.  In  welchem  Sinne 
Philipp  vorzugehen  beschlossen  hatte,  erkennt  man  an  der  Wahl 
der  Persönlichkeiten,  die  er  mit  dieser  Untersuchung  betraute.  Am 
12.  Februar  1304  bevollmächtigte  er  zu  Beziers  seine  vier  Ge- 
treuen Berard  von  Mercoeur,  Peter  von  Belleperche,  Wil- 
helm von  Nogaret  und  Wilhelm  von  Plasian  als  königliche 
Gesandte^;  sie  erhielten  die  Befugnis,  jedermann,  der  aus  irgend 
einem  Grunde  gefangen  gehalten  werde,  wes  Standes  er  auch  sei, 
die  Freiheit  wiederzugeben  und  ihn  in  seinen  vollen  früheren  Besitz 
wieder  einzusetzen.  Berard  von  Mercoeur  war  einer  der  mächtigeren 
Ritter  aus  der  Umgegend  von  Toulouse^  und  steht  deshalb  an  erster 
Stelle;  Peter  von  Belleperche  ist  der  spätere  Grosssiegelbewahrer 
des  Königs,  der  Vorgänger  Xogaret's  in  dieser  Würde;  Wilhelm 
von  Plasian  ist  durch  sein  Auftreten  im  Juni  1303  zur  Genüge  be- 
kannt, und  bei  Xogaret  vollends  braucht  wohl  nur  daran  erinnert 
zu  werden,  dass  sein  Vater  der  Inquisition  zum  Opfer  gefallen  war. 
Es  darf  danach  wohl  sicher  angenommen  werden,  dass  sich  in  den 
nächsten  Tagen  die  Gefängnisse  der  Inquisition  in  diesen  Gegenden 
bedeutend  leerten  und  mancher  Ketzerspruch  seiner  Wirkung  be- 
raubt wurde.  Derartige  Massnahmen  mochten  in  der  That  geeignet 
sein,  die  Stellung  des  Königs  in  der  alt-albigensischen  Bevölkerung 
des  Südens  dauernd  zu  befestigen. 

Wichtiger  mag  aber  für  den  König  die  Frage  seiner  Beziehungen 
zum  i)äpstlichen  Stuhl  gewesen  sein.  Seit  dem  April  1303  musste 
Philipp  als  exkommuniziert  gelten,  auch  wenn  der  meuchlings  Über- 
fallene Papst  Bonifaz  nicht  mehr  seiner  Absicht  gemäss  die  feierliche 
Bannbulle  gegen  ihn  schleudern  konnte.  Benedikt  hatte  dem  fran- 
zösischen König  daher  auch  seine  Erhebung  zum  Papsttum  nicht 
angezeigt  und   überhaupt  keinen  schriftlichen  Verkehr  mit  ihm  an- 


'  Hist.  de  Lang.  X,  preuves  428  ff. 

-  Notices  et  extraits  XX  2,  153  f.;  wie  Boütaric  hier  zu  der  Anschauung 
kam,  es  handle  sich  um  einen  finanziellen  Akt,  ist  unklar:  ebenso  unbegrün- 
det ist  die  Ansicht  Döllinger's  (Akad.  Vorträge  III,  256),  Philipp  habe 
Ankläger  und  Zeugen  gegen  den  Templerorden  auftreiben  wollen.  Das  Da- 
tum „in  die  cincrum" ;  Renan  (265  f.)  übersah  hier  wie  im  folgenden  das 
Schaltjahr. 

"  Vrgl.  Hist.  de  Lang.  IX,  15. 


Bis  zur  Ernennung  Nogaret's  zum  Grosssiegelbcwahrer  (1303 — 1307).      117 

geknüpft  ^  Man  musste  mit  Umsicht  vorgehen.  Wir  haben  einen 
wahrscheinlich  aus  der  Feder  des  bekannten  Pubhzisten  Pktku  Dimsois 
stammenden  Bericht-,  in  welchem  dem  König  die  Schwierigkeit  der 
Lage  auseinandergesetzt  wird;  zum  Schluss  behauptet  der  Verfasser, 
ein  wirksames  Mittel  zur  Lösung  derselben  zu  wissen,  scheut  sich 
aber  es  auszusprechen-,  er  dachte  oft'enbar  an  Gewalt  oder  doch 
an  einen  offenen  Bruch.  Anders  No garet.  Er  wusste,  dass  Be- 
nedikt eine  wenig  energische  Natur  war  und  hatte  gleich  bei  dem 
ersten  Zusammentreffen  mit  dem  König  diesem  geraten  selbst  die 
Initiative  zu  Verhandlungen  zu  ergreifen  und  eine  Gesandtschaft  an 
den  neuen  Papst  abzuschicken  -^  IMülipp  scheint  zuerst  nur  Berard 
von  Mercoeur,  Peter  von  Belleperche  und  Wilhelm  von  Plasian 
nach  Italien  haben  schicken  zu  wollen,  dieselben,  die  er  mit  Xo- 
garet  zur  Visitation  der  Inquisitionsgefängnisse  abgeordnet  hatte. 
Es  giebt  zwei  Urkunden  vom  16.  Februar  1304^,  die  in  Montpellier, 
wo  der  König  seit  dem  Tag  vorher  einen  kurzen  Aufenthalt  ge- 
nommen hatte  ^,  ausgestellt  wurden.  Die  eine  giebt  den  drei  genannten 
Gesandten  Vollmacht  mit  jedermann  in  allen  den  König  und  das 
Reich  berührenden  Angelegenheiten  zu  verhandeln;  die  andere  er- 
mächtigt sie,  die  von  Philipp  (hauptsächlich  gegen  den  Papst)  er- 
lassenen Ausfuhrverbote  nach  Gutdünken  zu  erleichtern.  Aber  bei 
den  so  ins  Auge  gefassten  wichtigen  Unterhandlungen  wollte  der 
König  dann  doch  den  gewandten  Xogaret  nicht  missen.  Es  war 
freilich  eine  überaus  missliche  Sache,  den  Hauptthäter  von  Anagni 
als  Gesandten  zu  dem  Xachfolger  Bonifaz'  VIII.  zu  schicken. 
Philipp  wählte  schliesslich  folgenden  Ausweg.  Am  22.  Februar  1304 
stellte  er  in  Ximes  zwei  Urkunden  aus*'.     In  der  einen  beauftragte 


^  Bis  zur  Alisolution  des  Königs  (25.  März  1304)  hat  Benedikt  kein  ein- 
ziges Schreiben  an  Philipp  gerichtet;  vrgl.  unten  (S.  121). 

-  Notices  et  extraits  a.  a.  0.  150—152-,  Boutaric  dachte  hier,  Nogaret 
sei  wohl  der  Verfasser,  aber  schon  der  Stil  ist  nicht  derjenige  unseres  Legisten. 
Ueber  die  Autorschaft  des  Peter  Dcbois  vrgl.  Renan,  Hist.  litteraire  XXVI, 
500  f 

3  Xogaret  bei  Dupuy,  Diff.  pr.  249  (nr.  LX),  314  (nr.  XLV). 

*  Notices  et  extraits  a.  a.  O.  152;  die  erste  dieser  Urkunden  scheint  auch 
DüPDY,  Diff.  pr.  615  ad  an.  1303  im  Auge  gehal)t  zu  haben. 

5  Vrgl.  Rec.  des  hist.  XXI,  443  C;  Hist.  de  Laug.  IX,  264. 

«  DuPüY,  Diff.  pr.  224  f.  Das  Datum  der  einen  Urkunde  lautet :  „sabbatho 
post  brandones",  das  der  anderen  „sabbatho  ante  festum  beati  ^Matthiaeapostoli"  ; 
beide  Daten  ergeben,  was  auftallender  Weise  trotz  der  zahlreichen  Deutungen 
(vrgl.  Dupuy  a.  a.  0.;  Baillet  239;  Dkumann  II,  154;  Re.s'an  266;  Funke  63 
und  93)  noch  nicht  bemerkt  wurde,  densell^en  Tag  :  „brandones"  iat  der  Sonn- 
ta<'  Invocavit  (vrgl.  Grotefend,  Zeitrechnung  I,  18),  der  erste  Fastensonutag, 


118  5.  Kapitel. 

er  Berard  von  Mc-rcoeur,  Puter  von  lielleperche  und  Wilhelm  von 
Plasian,  wenn  der  König  „in  irgend  welclien  vergangenen  Zeiten 
aus  irgend  welclien  Gründen  in  irgend  welche  Exkommunikation 
verlallen  sei",  in  seinem  Xamen  „die  Absolution  anzunehmen".  Sie 
sollten  also  nicht  um  Absolution  bitten,  sondern  sie  nur  entgegen- 
nehmen. Mit  dieser  wichtigsten  Angelegenheit,  wo  die  Kurie,  wenn 
sie  dem  Willen  des  Reue  nicht  einmal  heuchelnden,  um  Absolution 
nicht  einmal  bittenden  Königs  nachgab,  den  Kückzug  in  geradezu 
unerhörter  Weise  antrat,  wurde  aus  begreiflichen  Gründen  Xogaret 
nicht  betraut;  es  war  dies  ja  auch  nicht  nötig,  da  man  es  hier  mit 
einer  klar  zu  fixierenden  Sache  zu  thiin  hatte.  Aber  anders  war 
es  mit  den  weiteren  Verhandlungen.  Mit  der  Lösung  des  Bannes 
war  man  so  weit  wie  im  Frühjahr  1303,  aber  keineswegs  schon  bei 
einer  friedlichen  Beilegung  des  ganzen  Zwistes.  Die  zahlreichen 
Censuren,  die  schon  vor  der  Exkommunikation  Philipp's  verhängt 
waren,  mussten  zurückgenommen  werden;  die  Bulle  „Salvator  mundi" 
hatte  alle  dem  König  gewährten  Privilegien  aufgehoben,  der  dem 
König  zugethane  Teil  der  Geistlichkeit  war  w-egen  Nichtbesuchung 
des  römischen  Konzils  in  Strafe  verfallen,  desgleichen  aus  anderen 
Gründen  zahlreiche  andere  Geistliche  und  Laien,  und  zwei  wichtige 
Städte  des  Reichs,  Pamiers  und  Lyon,  lagen  unter  dem  Literdikt. 
Hier  bedurfte  es  geschickter  Verhandlungen,  und  daher  stellte  Phi- 
lipp noch  eine  zweite  Vollmacht  und  zwar  mit  ganz  allgemein  ge- 
haltenem Auftrag  aus,  wobei  er  diesmal  zu  den  drei  mehrfach  ge- 
nannten Xamen  auch  den  Nogaret's  fügte.  Die  vier,  so  heisst  es 
hier,  sollten  mit  dem  heiligen  Stuhl  über  die  mancherlei  Streitpunkte 
verhandeln,  die  zwischen  Bonifaz  und  dem  französischen  König  ent- 
standen seien,   um   sie  in  einer  der  Ehre   der  französischen  Krone 


1304  der  16.  Februar;  der  Tag  des  Apostels  Matthias  war  in  diesem  Schaltjahr 
der  25.  Februar,  ein  Dienstag.  Die  Verschiedenheit  des  AVortlauts  der  Da- 
tierung in  den  sonst  ähnlich  lautenden  Urkunden  erklärt  sich  wohl  am  einfachsten 
bei  einer  Abfassung  durch  zwei  verschiedene  Schreiber,  von  denen  jeder  ein 
von  demselben  Diktator  herrührendes  Konzept  benutzte.  —  Funke  63  erklärt 
von  den  beiden  Urkunden  diejenige,  in  der  auch  Nogaret  genannt  ist,  für  eine 
Fälschung,  die  der  König  selbst  ausgestellt  habe,  um  „dem  Volke  Frankreichs 
eine  falsche  Meinung  über  das  Verhalten  des  Hofs  beizubringen."'  Dies  ist  schon 
an  und  für  sich  nicht  wahrscheinlich,  und  völlig  hinfällig  bei  der  Aussage  No- 
garet's, er  sei  bei  jener  Gesandtschaft  mitgewesen  (Düpuy,  Ditf.  pr.  249  nr.  LX ; 
auch  aus  Nogaret's  Aeusserungen  ibid.  387  ergiebt  sich,  dass  er  während  der 
Verhandlungen  mit  Benedikt  in  Italien  war).  —  Ueber  Phihpp's  Aufenthalt  in 
Nimes  vrgL  Mknard  I,  431  f;  Rcc.  des  bist.  XXI,  443  C—D  (Samstag  vor 
Reminiacere  1304  ist  aber  der  22.  Februar!);  Hist.  de  Lang.  IX,  265 f. 


Bis  zur  Eruenuuug  Nogaret's  zum  Grosssiegelbewahri-r  (1303 — 1307).      119 

und  den  Freiheiten  der  gallikanischen  Kirche  entsprechenden  Weise 
gütlich  beizulegen.  Dass  Philipp  mit  diesem  Auftrag  den  geschick- 
testen und  begabtesten  seiner  Räte  betrauen  wollte,  kann  nicht 
Wunder  nehmen.  Auch  ein  Glückwunschschreiben  an  den  neuen 
Papst  wurde  den  Gesandten  mitgegeben  ^  Da  es  feierlich  über- 
reicht werden  sollte,  Avurden  mit  der  Ueberbringung  desselben  wieder 
nur  jene  drei  anderen  Gesandten  beauftragt,  die  sich  mit  Nogaret 
nach  Italien  begaben.  Der  Verfasser  des  Schreibens  scheint  da- 
gegen unser  Legist  zu  sein-,  er  lobt  darin  Benedikt,  indem  er  7.u 
gleicher  Zeit  Bonifaz  auf  das  stärkste  verunglimpft. 

3. 

Wohl  schon  am  22.  Februar  1304  werden  die  vier  Gesandten 
Ximes  verlassen  haben;  etwa  am  20.  März  mögen  sie  in  Rom  ein- 
getroffen sein-,  Nogaret  hielt  sich  zunächst  zurück,  die  drei  anderen 
Gesandten  übergaben  dem  Papst  das  Glückwunschschreiben  und  er- 
klärten, zur  Annahme  einer  Absolution  Philipp's  ermächtigt  zu  sein, 
Benedikt  scheint  über  die  Zuvorkommenheit  des  Königs  ausser- 
ordentlich erfreut  gewesen  zu  sein;  wünschte  ihm  doch  Philipp  zur 
Besteigung  des  päpstlichen  Stuhls  Glück  ehe  er,  der  Papst,  ihm 
dieselbe  angezeigt  hatte;  schien  da  nicht  die  grosse  Schwierigkeit 
seiner  Lage ^  sich  mit  einem  Male  auf  das  leichteste  zu  lösen?  Und 
er  war  nicht  der  Mann,  den  angebotenen  Frieden  zu  weigern.  In 
feierlichem  Konsistorium,  in  Gegenwart  der  drei  Gesandten  Philipp's, 
erklärte  er,  diesen  aus  freien  Stücken  zu  absolvieren-*.  In  dem  vom 
25.  März  1304  datierten  Erlass  „Tunc  navis  Petri"''  wurde  der 
König  und  seine  Familie  feierlich  von  jedem  Bann  gelöst,  und  in 
einem  Schreiben  an  Philipp  vom  2.  April  "^  ermahnte  ihn  Benedikt, 
den  väterlichen  Mahnungen  des  Papstes  immer  ein  williges  Ohr  zu 
leihen  und  ein  treuer  Sohn  der  Kirche  zu  bleiben. 

Wir  müssen  hier  die  Darstellung  der  Ereignisse  einen  Augen- 
bUck  unterbrechen,  um  eine  neuerdings  geäusserte  Ansicht  zurück- 
zuweisen.    Die  beiden  Schreiben  vom  25,  März  und   2.  April  1304 


*  Ddpüy,  Diff.  pr.  205  f.  Die  Autorschaft  Nogarefs  geht  wohl  daraus  lier- 
vorj  dass  verschiedene  Wendungen  der  Rede  vom  12.  März  1303  hier  wieder- 
kehren, so  der  „Mietling",  der  Ehebruch,  den  Bonifaz  mit  der  Kirche  getrieben 
habe,  u.  a.  m.     Eine  Uebersetzung  des  Stückes  giebt  Fon'KE  64—66. 

-  Die  Entfernung  von  Nimes   nacli  Rom  beträgt  wenig  mehr  als  800  km. 
^  Treflend  hat  Kindlkr  S.  31  dieselbe  charakterisiert. 

*  Vrgl.  das  Schreiben  „Quanta  nos"  vom  2.  April. 

*  Reg.  de  Ben,  819  f.  (nr.  1311). 

0  „Quanta  nos",  Potthast  nr.  25418,  Reg.  de  Ben.  820 f.  (ur.  1312). 


120  5,  Kapitel. 

sind  im  püpstliclien  Register  nicht  enthalten,  und  obgleich  Gkand- 
JEAN,  der  Herausgeber  des  Registers  Benedikts  XI.,  die  in  Paris 
befindlichen  Urkunden  als  echt  anerkannt  und  daher  auch  im  An- 
hang seiner  Publikation  mit  abgedruckt  hat,  wurden  sie  doch  von 
FuxKK  für  Fälschungen  Philipp's  erklärte  Zunächst  ist  es  kein 
Beweis  gegen  die  Echtheit  eines  päpstlichen  Erlasses,  dass  er  nicht 
im  Register  steht ^,  und  auch  daraus,  dass  die  beiden  die  Absolu- 
tion betreffenden  Stücke  daselbst  fehlen,  darf  kein  Schluss  gezogen 
werden,  da  sie  doch  vermutlich  zusammen  den  registrierenden  Be- 
amten übergeben  wurden  oder  übergeben  werden  sollten  und  so  auch 
zusammen  vergessen  wurden.  In  den  weiteren  Ausführungen  Funke's 
aber  wird  man  ein  schlagendes  Argument  erst  recht  nicht  finden. 
Dass  der  schwache,  den  Frieden  suchende  Papst  sich  den  Wen- 
dungen Philipp's  anschliesst  und  sich  den  Anschein  giebt,  als  wisse 
auch  er  nur  vom  Hörensagen  von  dem  über  den  König  verhängten 
Bann,  darf  um  so  weniger  ins  Feld  geführt  werden,  als  sich  ähn- 
liches auch  später  noch  bei  ihm  findet^.  Ein  Schreiben  wie  das 
vom  2.  April  aber,  wo  der  König  mit  dem  verlorenen  Schaf  ver- 
glichen wird,  über  dessen  Bekehrung  man  sich  mehr  freue  als  über 
99  Gerechte,  hätte  Philipp  wohl  nie  gefälscht.  Sodann  ist  Funke 
gänzlich  im  Irrthum ,  wenn  er  meint ,  Philipp  sei  thatsächlich  gar 
nicht  im  Bann  gewesen.  Er  will  dadurch  erklären,  dass  in  den  Ur- 
kunden vom  13.  Mai  1304,  die  den  definitiven  Frieden  zwischen 
Rom  und  Paris  begründeten,  und  auf  die  wir  noch  gleich  kommen 
werden,  nirgends  von  einer  Absolution  des  Königs  die  Rede  ist. 
Aber  hierin  liegt  gerade  das  charakteristische  Merkmal,  wodurch 
diesen  Urkunden  der  vom  25.  März  gegenüber  ihre  volle  Bedeutung 
gewahrt  bleibt.  Am  25.  März  spricht  der  Papst  nur  die  Absolution 
des  Königs  aus,  am  13.  Mai  handelt  es  sich  um  ganz  andere  Dinge. 


»  FCNKE  S.  91  flf. 

-  Vrgl.  Dexii^le  im  Arcliiv  für  Litteratui--  und  Kircheugesch.  11,  58;  aus  dem 
13.  Jahrhundert  sind  uns  mehrere  Tausend  nicht  registrierter  päpstlicher  Schrei- 
l)en  bekannt.    In  den  Registern  Clemens'  V.  fehlen  gleichfalls  wichtigste  Stücke. 

*  Auch  in  einem  Erlass  vom  13.  Mai  heisst  es:  „cum  sicut  accepimus 
tarn  archiepiscopi  et  episcopi  quam  alii  .  .  .  excommunicatiouum  senteutiis  .  .  . 
teneautur  astricti."  Die  AV)Solutiou  PhiliiDp's  geschieht  mit  den  Worten:  „.  .  .  te 
eosdemque  uxorem  et  liberos  ab  omnibus  excommunicatiouum  sententiis,  quibus 
ex  quacumque  causa  tu  et  ipsi  forsitam  astricti  tenemiui,  absolvimus  easque  peni- 
tus  amovemus."  Auf  Grund  dieser  "Worte  fasste  der  Cont.  Guill.  Nang.  (ed. 
Geraid  T,  342)  die  Absolution  mit  Recht  als  eine  „ad  cautelam"  geschehene 
auf  (Philipp  befand  sich  in  der  Exkummuuikatiou  latae  seutentiae).  Achnlich 
sind  auch  die  Erlasse  vom  13.  Mai  abgefasst;  vrgl.  Reg.  de  Bon.  790  (ur.  1263). 


Bis  zur  Eruenuung  Nog-aret's  zum  Grosssiegelljcwalirer  (1303 — 1307).      121 

Die  sicherste  Gewähr  für  die  Echtheit  der  heiden  Stücke  Hegt  je- 
doch in  folgender  Betrachtung.  Bis  zum  25.  März  130-1  sind  uns 
von  Benedikt  XI.  genau  1000  Schreihen  bekannt;  darunter  ist  das 
erste,  welches  an  den  König  von  Frankreich  gerichtet  wurde,  eben 
der  fragliche  Absolutionserlass  vom  25.  März.  Es  kann  also  gar 
keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  der  Papst  bis  dahin  den  diploma- 
tischen Verkehr  mit  dem  König  mied.  AVie  aber  steht  es  nach  dem 
25.  März,  in  der  Zeit  bis  zum  13.  Mai?  Aus  den  zwischen  diesen 
beiden  Daten  liegenden  Tagen  haben  wir  163  Schreiben  des  Papstes, 
worunter  allein  sieben  an  den  König  von  Frankreich  gerichtet  sind, 
nämlich  ausser  dem  strittigen  vom  2.  April  eines  vom  3.  ApriP,  eines 
vom  6.^  und  vier  vom  18.  dieses  Monats^.  Sie  sind  alle  „carissimo 
in  Christo  filio  Philippo ,  regi  Francorum  illustri"  adressiert  und 
zeugen  in  keiner  Weise  von  einem  getrübten  Verhältnis  zwischen 
Papst  und  König;  die  vier  Schreiben  vom  18.  April  enthalten  sämt- 
lich Gunsterweisungen  des  Papstes.  Also:  bis  Ende  März  kein 
Verkehr  zwischen  Benedikt  und  dem  zweifellos  im  Bann  betindlichen 
Philipp,  seit  Anfang  April  plötzlich  eine  Anzahl  durchaus  freund- 
licher Schreiben,  der  diplomatische  Verkehr  wird  nun  nicht  mehr 
unterbrochen;  am  13.  Mai  zudem  ein  grosser  Friedensschluss  zwi- 
schen Frankreich  und  dem  Papst  mit  weitgehenden  Absolutionen, 
aber  keiner  Absolution  des  Königs,  von  dessen  Bann  jetzt  so  wenig 
wie  im  Monat  vorher  die  Rede  ist.  Danach  ist  zu  sagen,  dass  wir, 
im  Falle  uns  die  Absolution  vom  25.  März  nicht  erhalten  wäre,  sie 
geradezu  erschliessen  müssten  und  mit  Sicherheit  anzunehmen  hätten, 
dass  sie  um  diese  Zeit  erfolgt  sei. 

Aber  mit  der  Absolution  des  Königs  war,  wie  schon  bemerkt 
wurde,  der  Streit  zwischen  Rom  und  Frankreich  keineswegs  erledigt. 
Nur  konnte  Benedikt  jetzt,  ohne  sich  etwas  zu  vergeben,  mit  den 
Gesandten  Philipp's  unterhandeln.  Wenigstens  mit  den  drei,  von 
deren  Anwesenheit  er  bis  jetzt  allein  wusste.  Anders  war  es  freilich 
mit  Xogaret,  der  nun  bei  den  weiteren  Unterhandlungen  seinem  Auf- 
trag gemäss  hervortrat.  Mit  ihm,  dem  Hauptschuldigen  von  Anagni, 
sich  einzulassen,  wäre  für  den  Nachfolger  des  vergewaltigten  Boni- 
faz  schwer  kompromittierend,  für  das  Papsttum  ausserordentlich 
schädlich  gewesen.  Benedikt  weigerte  sich  daher,  mit  Nogaret  zu 
verhandeln^;  es  musste  erst  eine  Untersuchung  gegen  ihn  eingeleitet 


1  Reg.  de  Ben.  252  (ur.  856).  -  Ibid.  438  f.  (ur.  HiM). 

3  Ibid.  778—784  (nr.  1251  f.,  1255  f.). 

■*  Vrgl.  hierüber  und  über  das  folgende  Nogaret  in  der  Schutzschrift  vom 
7.  September  1304,  bei  Dupdy,  Difl".  pr.  249  f.  (nr.  LX);  in  einer  Apologie  vom 


122  ö.  Kapitel. 

werden,  die,  wie  man  wohl  allgemein  erwartete,  zu  einer  Bestrafung 
des  Frevlers  geführt  hätte.  Zudem  war  man  in  weiten  Kreisen  der 
Ansicht,  dass  alle  an  dem  Ueberfall  von  Anagni  Beteiligten  den  so- 
genannten Zensuren  „latae  sententiae"  ^  verfallen,  d.  h.  als  eo  ipso  in 
Kirchenstrafen  betindUcli  zu  betrachten  seien.  Man  sah  Nogaret 
und  seine  Genossen  nicht  anders  als  exkomiuuuiziert  an.  Umsonst 
versicherte  dieser  das  Gegenteil  und  beliaujitete  sogar,  Bonifaz  habe 
noch  ausdrücklich  anerkannt,  dass  er  und  seine  Helfer  von  aller 
Schuld  frei  seien ^.  Nicht  nur  ihn,  auch  alle,  die  den  Verkehr 
zwischen  Frankreich  und  Italien  gehindert  hatten,  hielt  man  für  im 
Bann  befindlich^. 

Nogaret  ging  nun  mit  Umsicht  vor.  Er  bat  um  die  sog. 
„absolutio  ad  cautelam",  die  dann  erteilt  werden  darf,  wenn 
ein  Exkommunizierter  die  Nichtigkeit  eines  Bannes  behauptet,  oder 
wenn  das  wirkliche  Vorhandensein  einer  Zensur  nicht  feststeht'*; 
aus  beiden  Gründen  glaubte  Nogaret  seine  Forderung  erheben  zu 
dürfen.  So  liofi'te  er  einen  Ausweg  gefunden  zu  haben,  seinen  Stand- 
punkt zu  wahren  und  es  doch  zugleich  Benedikt  zu  ermöglichen, 
mit  ihm  in  Unterhandlungen  treten  zu  können.  Aber  der  Papst  ging 
auch  hierauf  nicht  ein  und  wollte  sich  mit  Nogaret  in  keiner  Weise 
einlassen^.  Er  führte  die  w^eiteren  Verhandlungen  mit  den  drei 
anderen  Gesandten  Philipp's.  Doch  wird  man  kaum  fehl  gehen,  wenn 
man  annimmt,  dass  die  drei  nur  im  Einverständnis  mit  Nogaret 
vorgingen,  dass  dieser  bei  den  Verhandlungen  französischerseits  doch 
die  leitende  Kraft  war*^. 

Benedikt  hatte  geglau])t,  mit  der  Absolution  des  Königs  genug 
gethan  zu  haben  und  scheint  zunächst  zu  weiteren  Zugeständnissen 


Jahre  1310  (ibid.  376)  sind  diese  Ereignisse  wieder  nur  ganz  verschwommen 
wiedergegeben. 

'  Vrgl.  HiNSCHiüs  V  1,  130 — 134.  Nogaret  suchte  in  der  Folge  zu  erweisen 
dass  die  Unrecht  hätten,  die  behaupteten,  er  sei  in  den  Kanon  latae  sententiae 
verfallen;  DuPUY,  Ditf.  pr.  271  und  oft  in  den  Schutzschriften. 

-  Vrgl.  oben  S.  105  Anm.  1. 

^  Bonifaz  hatte  den  Bann  über  sie  in  der  That  verhängt;  Drumann  II,  56. 
Diese  Motivierung  wird  in  den  Absolutionen  vom  13.  Mai  öfters  angeführt;  aus 
ihnen  ist  auch  zu  ersehen,  dass  es  die  öffentliche  Meinung  in  Italien  war,  die 
alle,  die  sich  am  Streit  gegen  Bonifaz  beteiligt  hatten,  als  exkommuniziert  ansah. 

■•  HiNSCHius  V  2  675  f. 

•''  Dl'puv  a.  a.  0.  249:  „qui  [Benedikt]  forte  ignorans  ipsius  GuilUelmi 
innocentiam  .  .  .  ipsum  Guillielmum  vitavit,  ut  sibi  placuit,  nee  ad  cautelam  ab- 
solutionem  petentem  .  .  .  admisit." 

•*  Ibid.  387  sagt  Nogaret,  er  habe  den  Papst  durch  die  anderen  Gesandten 
gebeten,  seine  Unschuld  ihm  erweisen  zu  dürfen. 


Bis  zur  Erneunuu<f  Xogaret's  zum  Grosssiegelbewahrer  (13ü3— l.'iOT).      123 

wenig  geneigt  gewesen  zu  sein.  Da  griff  Nogaret  wieder  zu  jenem 
Mittel,  das  er  schon  im  Herbst  1303  gegen  den  Papst  verwenden 
wollte:  Die  französischen  Gesandten  erhoben  wieder  ihre  Jvon/.ils- 
forderung.  In  einem  Erlass  Pliilipp's  vom  Februar  1311,  dessen 
Verfasser  Nogaret  ist,  heisst  es^,  die  französischen  Gesaiulten  hätten 
Benedikt  um  ein  Vorgehen  gegen  Bonifaz  ersuchen  sollen;  es  ist 
sehr  möglich,  dass  Philipp  die  Politik  Nogaret's  wirklich  in  einer 
geheimen  Instruktion  gut  geheissen  hat.  Man  erhob  die  Forderung 
zunächst  in  einem  feierhchen  Konsistorium ,  das  in  St.  Peter  ab- 
gehalten wurde-.  Aber  damit  Hess  man  es  nicht  genug  sein.  Am 
1.  Juli  1303  hatte  der  König  die  beiden  Ritter  Wilhelm  von  Cha- 
tenay  und  Hugo  von  la  Celle  an  die  Kardinäle  abgeordnet,  um 
diesen  die  auf  der  Versammlung  vom  Juni  d.  J.  erhobene  Appel- 
lation an  ein  Konzil  zu  überbringen^.  Die  beiden  konnte  man  jetzt 
vorzüglich  gebrauchen;  sie  begannen  eine  lebhafte  Agitation,  und  es 
gelang  ihnen,  eine  beträchtliche  Zahl  der  Kardinäle  für  die  französi- 
sche Sache  zu  gewinnen.  Schon  am  8.  April  1304  erklärten  sich  fünf 
Kardinäle  für  die  Berufung  eines  Konzils,  während  andere  fünf  sich 
der  Entscheidung  des  Papstes  anschliessen  wollten'*.  Diese  Wüli- 
lereien  waren  für  Benedikt  ausserordenthch  bedenklich.  Dazu  kam, 
dass  auch  sonst  seine  Stellung  eine  ziemlich  bedrohte  war.  Er  hatte 
wegen  der  Colonna,  die  er  durch  geringe  Zugeständnisse  nicht  be- 
sänftigen konnte,  am  25.  März  vom  Lateran  nach  St.  Peter  ziehen 
müssen,  nun  sah  er  sich  gar  gezwungen,  Rom  zu  verlassen,  um  sich 
über  Viterijo  nach  Perugia  zu  begeben^.  Da  Wilhelm  von  Cha- 
tenay  und  Hugo  von  la  Celle  nicht  aufhörten,  mit  den  Kardinälen 
zu  unterhandeln,  und  auch  wirklich  in  diesen  Tagen  noch  zwei  der- 
selben für  die  französische  Forderung  gewannen,  entschloss  sich 
Benedikt  endlich,  durch  weitgehende  Zugeständnisse  den  Frieden  mit 
Frankreich  zu  erkaufen,  um  das  Schlimmste,  die  Erzwingung  eines 
Konzils  in  Frankreich,  abzuwenden.  Er  erliess  in  Perugia  am 
13.  Mai  1304  eine  Reihe  von  Schreiben",  welche  einen  Rückzug  des 
Papsttums  beinahe  auf  der  ganzen  Linie  darstellen.  Nachdem  schon 
am  18.  April  in  Viterbo  die  Massnahmen  widerrufen  waren,  die 
Bonifaz  VIII.  am  15.  August  1303  gegen  die  französischen  Universi- 
täten und  Kirchen  ergriffen  hatte",   erklärte  er  jetzt  alle  gegen  die 


'  DUPUY,  Difi'.  pr.  298.  -  Beilage  III  §  9;  IV  i^  1. 

■^  Vrgl.  oben  S.  61  Anm.  4. 

*  Vrgl.  hierüber  Drümänn  II,  lö7,  100;  Fl'nkk  (39—71. 

*  FüNKE  21.  *  Vrgl.  über  sie  Funkk  71—85. 
'  „Ut  eo  magis",  Potthast  nr.  25  423,  Reg.  de  Ben.  783  f.  (ur.  1255  f.) 


124  ö.  Kai.itel. 

Hechte  des  französischen  Königs  gerichteten  Erlasse  seines  Vor- 
gängers für  ungültig',  bewilligte  Philip])  den  Zehnten  auf  zwei 
Jahre  -,  sowie  die  Einkünfte  des  ersten  Jahres  aller  in  den  drei 
nachten  Jahren  vakant  werdender  Kirchenstellen^;  den  im  November 
13()2  zum  Konzil  in  Rom  nicht  erschienenen  Geistlichen  wurde  ver- 
ziehen"', alle  Geistlichen  und  Laien  Frankreichs,  die  aus  irgend  einem 
Grund  in  kanonische  Strafen  verfallen  waren,  wurden  absolviert^, 
das  Interdikt  über  Lyon  ^  und  Paniiers "  wurde  suspendiert  und  sogar 
der  dem  kühnen  Peter  Flotte  ins  Grab  nachgeschleuderte  Fluch  zu- 
rückgenommen"*. Die  drei  Gesandten  Philipp's,  Mercoeur,  Belleperche 
und  Plasian,  hielten  es  für  gut,  sich  sicher  zu  stellen  und  liessen 
sich  von  „allen  etwaigen  Bannsprüchen"  absolvieren^;  nur  der  vierte 
Gesandte,  "Wilhelm  von  Nogaret,  der  Hauptfrevler,  wurde  ausdrück- 
lich von  allen  gewährten  Al)solutionen  ausgeschlossen,  indem  sich 
Benedikt  die  Entscheidung  über  ihn  noch  vorbehielt '°. 

4. 

Es  war  Nogaret  also  nicht  gelungen,  bei  Benedikt  XL  für  sich 
persönhch  etwas  zu  erreichen;  und  dies  war  auf  den  ersten  Blick 
um  so  schhmmer  für  ihn,  als  für  den  König  und  Frankreich  alles 
erreicht  war.  In  den  allgemeinen  Friedensschluss  war  allein  Nogaret 
nicht  mit  einbegriffen;  war  da  nicht  zu  befürchten,  dass  man  ihn 
nun  einfach  fallen  liess?  Andererseits  war  freilich  nun  die  Möghch- 
keit  ausgesclilossen ,  dass  der  König  sich  durch  eine  Aufgabe  No- 
garet's  einen  billigen  Frieden  erkaufte:  er  hatte  diesen  auch  so  erreicht. 

Die  vier  Gesandten  brachen  gleich  nach  dem  13.  Mai  1304  nach 
Frankreich  auf;   am  25.  Juni  trafen   sie  beim  König  in  Paris  ein  ". 


*  „Ad   statum    tuum",    Potthast    nr.  25  426    (mit  Reg.    de  Ben.  nr.  1259 
konfundiert),  Reg.  de  Ben.  781  f.  (nr.  1254.) 

-  „Ex  multiplici",   an  die  franz.  Geistlichkeit   gerichtet   und    vom  14.  Mai 
datiert;  Reg.  de  Ben.  787  f.  (nr.  1261). 

^  Funke  76  Anm.  3 ;  wozu  Cont.  Gruül.  Nang.  ed.  Geraud  I,  342. 

*  „Dudum  Bonifacius",  Dupuy,  DiflF.  pr.  229;  Reg.  de  Ben.  785  (nr.  1259). 
^  „Sanctae  matris",  Potthast  nr.  25425,  Reg.  de  Ben.  780  f.  (nr.  1253). 
"  „Cum  occasione",  Reg.  de  Ben.  785  (nr.  1258). 

'  „Cum    dudum",    ibid.    784  f.  (nr.  1257).     Vrgl.  hierzu  Baudoin:   „Lettres 
inedites  de  Philippe  Ic  Bei"  (Paris  1887)  144. 

"  „Illum  ad  regalem",  Reg.  de  Ben.  786  (nr.  1260). 

*'  „Personam  tuam",  ibid.  789  f.  (nr.  1263). 

'"  Reg.  de  Ben.  781,  782 :  „Guillelmo  de  Nogareto  milite,  cuius  absolutio- 
nem  nobis  specialiter  reservamus,  dumtaxat  excepto." 

"  Nogaret    sagt   es  ausdrücklich,    er  sei  an  diesem  Tag  wieder  zu  Philipp 
gekommen;  Dupuy,  Diff.  pr.  272;  vrgl.  Rec.  des  bist.  XXI,  443  L—M. 


Bis  zur  Ernennuno- Nogaret's  zum  Grosssiegelbcwalirer  (130;}— 1307).      125 

Dieser  liess  die  Absolution  und  andere  der  päjjstlichen  Erlasse 
am  28.  Juni,  einem  Sonntag,  in  Notre-Dame  verlesen'.  No- 
garet  begann  sofort  nach  seiner  Ankunft  mit  der  Ausarbeitung  einer 
grossen  Rechtfertigungsschrift,  mit  welcher  er  sicii  anfangs  an 
den  König  wenden  wollte,  die  er  aber  dann  noch  mannigfach  um- 
arbeitete, bis  er  sie  im  September,  wie  wir  sehen  werden,  dem 
bischöflichen  Richter  zu  Paris  unterbreitete'^. 

Benedikt  hatte  sich  wenige  Wochen  nach  seinem  Friedensschluss 
mit  Philipp  zu  dem  in  Aussicht  gestellten  Spruch  über  Nogaret  ent- 
schlossen. Derselbe  fiel  zu  Perugia  durch  die  Bulle  „Flagitiosum 
scelus"^  vom  7.  Juni  1304;  in  derselben  erklärt  der  Papst  in 
zornigen  "Worten,  dass  alle  Teilnehmer  des  Gewaltstreichs  von 
Anagni  und  in  erster  Linie  Wilhelm  von  Nogaret,  der  Exkommuni- 
kation (latae  sententiae)  verfallen  seien;  dieselben  werden  daher  alle 
aufgefordert,  bis  zum  Peter-  und  Paulstag  (29.  Juni)  in  Perugia  zu 
erscheinen,  um  das  Urteil  entgegenzunehmen.  Benedikt  schloss  sich 
also  der  öffentlichen  Meinung  an.  Am  29.  Juni  wollte  er  den  Bann 
feierlich  verkünden;  die  Zitation  wurde  in  Perugia  an  die  Kirchen- 
thür  geschlagen^.  Die  Bulle  zeigt,  was  der  Papst  durch  die  grosse 
Nachgiebigkeit  vom  13.  Mai  erreicht  hatte:  er  konnte  offen  gegen 
die  Vorwürfe  Stellung  nehmen,  die  von  der  französischen  Partei 
gegen  Bonifaz  YIII.  erhoben  wurden.  Die  Unschuldsbeteuerungen 
Nogaret's,  die  Forderung  eines  Konzils  zur  Verdammung  des  toten 
Bonifaz,  waren  vorläufig  abgewiesen. 

Gegen  die  Bulle  „Flagitiosum  scelus"  hat  Nogaret  in  den 
folgenden  Jahren,  wo  es  ihm  auf  eine  Absolution  von  der  hier  aus- 
gesprochenen Strafe  ankam,  zu  wiederholten  Malen  Stellung  genom- 
men. Ems  hat  er  sicher  mit  Recht  bemerkt:  der  hier  geschehenen 
Zitation  konnte  er  nicht  Folge  leisten,  da  er,  wie  durchaus  glaub- 
lich ist,  erst  am  Tage  vor  dem  ihm  gesetzten  Termin  von  der 
ganzen  Bulle  vernahm °.  Aber  auch  sonst,  sagt  er,  hätte  er  jetzt 
nicht  mehr  beim  Papst  erscheinen  können,  da  er  auf  dem  Weg  und 
am  Hof  zu  Perugia   so  viele  Feinde  zu  fürchten  hatte   und   zudem 


»  Cont.  Guill.  Xang.,  ed.  Geraid  I,  342. 

-  Beilage  I,  1. 

3  PoTTHAST  nr.  25441;  Reg.  de  Ben.  798—800  (nr.   1276). 

*  Nogaret  bei  Dupüy,  Diff.  pr.  382. 

^  Beilage  I,  2  §  2;  Dupcv,  Diff.  pr.  253,  272;  au  anderen  Stellen  sagt  No- 
garet nur,  er  habe  wegen  der  Kürze  der  Zeit  und  des  weiten  Wegs  nicht  er- 
scheinen können:  Beilage  IX  §  4;  Duply,  DilT.  pr.  313  (nr.  XLI),  382;  Bail- 
LET  352. 


126  ').  Kai)itel. 

der  bald  daiaut*  erfolgte  Tod  Benedikt's  einer  Reise  nacl»  Italien 
ihren  Zweck  nahm. 

Die  Frage,  auf  die  für  Nogaret  jetzt  alles  ankam,  war,  ob  der 
Jv(iiiig  ihn,  den  Exkommunizierten,  halten  werde  odei'  nicht.  Und 
J*hilii)p  war  nicht  gesonnen,  seinen  Diener,  der  seinen  Befehlen  nach- 
gekommen und  dafür  mit  dem  Bann  bestraft  worden  war,  jetzt  fallen 
7,u  lassen.  Er  mag  von  vorneherein  dabei  gedacht  haben,  sieb  des 
Gebannten  noch  gegen  die  Kirche  zu  bedienen ,  jedenfalls  zauderte 
er  nicht  einen  Moment,  ihn  zu  schützend  Gerade  jetzt  ging  er 
daran,  die  Nogaret  bewilligten  Renten  von  300  und  500  Pfund  auf 
die  von  vorneherein  in  Aussicht  genommene  Weise  in  Landscben- 
kungen  umzuwandeln.  Er  wies  demselben  im  Juli  1304  für  die 
300  Pfund  die  Stadt  Massilargues,  den  Ort  Saint-Julien  und 
das  zwischen  Lunel  und  Aiguesmortes  gelegene  Territorium  Des 
Ports  an,  für  die  500  Pfund  die  Stadt  Calvisson  mit  ihrem  Ge- 
biet und  dem  umliegenden  Land,  der  Vaunage;  der  Seneschall  von 
Beaucaire  wurde  vom  König  aufgefordert,  die  jährlicben  Einkünfte 
dieser  Länder  einzuschätzen ,  damit  man  wisse ,  ob  man  die  Schen- 
kung vergrössern  oder  verkleinern  müsse-.  So  ist  Nogaret  seit 
dieser  Zeit  Grundherr  in  der  Gegend  zwischen  Nimes  und  Mont- 
pellier, 

Unterdessen  w^ar  ein  Ereignis  eingetreten,  das  für  ihn  und  den 
König  von  grösster  Wichtigkeit  sein  musste:  am  7.  Juli  1304  war 
Benedikt  XI.  in  Perugia  einer  ruhrartigen  Krankheit  so  plötz- 
lich erlegen,  dass  man  in  der  Folge  von  einer  Vergiftung  fabelte^. 
Es  war  dem  Papst  nicht  mehr  möglich  gewesen,  seinem  Vorsatz  ge- 
mäss gegen  die  Exkommunizierten  vom  7.  Juni,  von  denen  keiner 
am  festgesetzten  Termin  bei  ihm  erschienen  war,  in  feierlicher  Weise 


'  Die  Darstellung,  die  Renan  S.  268  f.  giebt,  entbehrt  jeder  Grundlage. 

-  Vrgl.  Menard  I,  433  f.,  pr.  150  (nr.  CXXVIII),  160  f.;  Renan  273.  Ich 
gehe  hier  auf  diese  territorialen  Dinge  nicht  näher  ein,  da  ich  höre,  dass  über 
sie  nächstens  eine  auf  neuen  Archivalien  beruhende  Arbeit  von  Thomas  er- 
scheinen wird. 

^  FcNKE  129  ff.;  Über  das  Datum  Grandjean  in  den  Mel.  d'arch.  et  d'hist. 
XIV,  241 — 44.  Die  hie  und  da  aufgeworfene  Frage,  ob  Xogarct  den  Papst 
vergiftet  liabe,  hat  Funke  mit  Recht  verneint:  in  den  Quellen  wird  sein  Name 
überhaupt  nie  genannt,  auch  nicht  von  den  Flores  historiarum;  die  Quellen 
denken  höchstens  an  Sciarra,  nicht  an  Nogaret,  der  ja  in  Paris  weilte.  Erst 
spätere  nennen  auch  diesen;  vrgl.  Felix  Osids  bei  Baillet  365,  Nach  den 
Nachrichten  unserer  besten  Quellen  kann  von  einer  Vergiftung  überhaupt  keine 
Rede  sein.  Der  Papst  starb  nach  einer  nur  3— 4tägigen  Krankheit  (Beüage  IX 
?5  5). 


Bis  zur  Ernennung  Xogaret's  zum  Grosssiegclbcwalircr  (1303—1307).      127 

den  grossen  Kirchenbann  zu  sdileudern';  Nogaret  hatte  demnach 
alle  Ursache,  den  plötzlichen  Tod  als  ein  direktes  Eingreifen  Gottes 
hinzustellen.  Er  konnte  zudem  immerhin  jetzt  auch  ferner  wenig- 
stens  mit  einem  Schein  von  Hecht  behaupten,  thatsächlich  gar  nicht 
im  Bann  zu  sein,  da  auch  Benedikt  durch  die  Hand  Gottes  daran 
verhindert  worden  sei,  denselben  auszusprechen. 

Die  Vakanz  des  päpstlichen  Stuhls  benützte  Nogaret  dazu, 
seine  Sache  vor  den  geistlichen  Gerichtshof  des  Bischofs  von  Paris 
zu  bringen.  Mehrmals  wandte  er  sich  im  September  1304  an  den- 
selben, vor  ihm  gab  er  seine  ersten  Apologieen  zu  Protokoll.  Es 
ist  die  Frage,  was  er  damit  bezweckte.  Xogaret  sagt-,  er  wende 
sich  an  das  bischötliche  Gericht  von  Paris,  damit  dieses  seine  Ver- 
teidigung dem  päpstlichen  Stuhl  bekannt  mache,  da  er  selbst  dies 
wegen  der  offenen  Feindschaften  der  Bonifazianer  nicht  thun  könne. 
Aber  das  kann  doch  nicht  als  der  wahre,  einzige  Grund  seiner  ver- 
schiedenen Schriften  angesehen  werden,  zumal  die  französische  Sache 
ja  jetzt  Aussicht  auf  die  Wahl  eines  ihr  geneigten  Papstes  hatte. 
Dagegen  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  er  im  Einverständnis  mit 
Philipp  sich  an  den  bischötlichen  Richter^  von  Paris  wandte.  Was 
aber  wollte  der  König?  Vielleicht  kommen  wir  auf  das  Richtige, 
wenn  wir  bedenken,  dass  gleichfalls  im  September  1304  und  auch 
von  Philipp  schwerlich  unbeeinflusst  Petek  Düuois,  der  eifrige 
publizistische  Vertreter  der  königlichen  Sache,  seine  „Supplication 
du  pueuble  de  France  au  roy  contre  le  pape  Boniface  le  VIII." 
schrieb^,  worin  er  im  Namen  des  französischen  Volks  die  Ketze- 
reien und  Schändlichkeiten  Bonifaz'  VIII,  aufzählt  und  den  König 
bittet,  auf  eine  Verurteilung  desselben  zu  dringen.  Eben  dies  ist 
auch  das  Leitmotiv  der  Schriften  Nogaret's,  und  man  darf  daraus 
wohl  schliessen,  dass  Philipp  zu  seinem  weiteren  Vorgehen  gegen 
Bonifaz  gezwungen  scheinen  wollte.  Der  Frieden  mit  Rom  war 
durch  grosse  Nachgiebigkeiten  Benedikt's  hergestellt  worden,  Philipp 
hatte  aber  nicht  genug  an  einem  einfachen  Frieden;  eben  jetzt,  wo 
unter  den  um  einen  neuen  Papst  hadernden  Kardinälen  eine  starke 


'  Vrgl.  hierüber  Xogaret,  Beilage  I,  2  §  4;  IX  §  5;  Dupuv,  Diff.  pr.  314 
(nr.  XLII).  An  der  Geschichte,  die  uns  Xogaret  Beilage  I,  2  §  3  erzählt,  wird 
wohl  kaum  etwas  sein. 

-  Dupuv,  Diff.  pr.  238,  239. 

^  Vrgl.  über  diese  sogenannten  „Offizialeu"  Lucuairk  122  f. 

'  DüPüV,  Diff.  pr.  214—219;  vrgl.  dazu  Hknan  in  der  Ilist.  litter.  XXVI, 
501 — 503.  —  Derselben  Zeit  gehören  vermutlich  auch  die  „A  llegationes 
illiterati  Jacobi  contra  Bonifacium"  (Arch.  nat.  J  491  B  nr.  799)  an. 


128  5.  Kapitel. 

französische  Partei  gebildet  war  \  konnte  er  hotten,  seine  Pläne  vom 
Frühjahr  1303  doch  noch  zu  erreichen  und  das  Papsttum  sich 
dienstbar  zu  machen,  um  sich  und  seinen  Nachkommen  einen 
dauernden  Gewinn  zu  bereiten.  Hierzu  war  nichts  geeigneter  als 
die  Forderung  eines  Konzils  und  die  Androhung  eines  neuen  Skandal- 
prozesses; und  da  neue  feindliche  Schritte  des  Königs  leicht  als  ge- 
hässig ausgelegt  werden  konnten,  sollten  ihn  jetzt  Nogaret,  auf  den 
diese  ganze  Erpressungspolitik  ja  zurückzuführen  ist,  wie  Dubois 
möglichst  dringend  zu  einem  solchen  neuen  Auftreten  auffordern 
und  die  öffentliche  Meinung  bearbeiten,  damit  es  scheine,  als  habe 
der  König  sich  nur  ungern  und  gezwungen  zu  weiteren  Massnahmen 
bereit  finden  lassen.  Gab  Nogaret  die  Anregung  zu  einem  neuen 
Vorgehen,  so  war  das  in  der  Tliat  viel  weniger  auffallend,  da  er  ja 
mit  seiner  Forderung  endlich  von  aller  Schuld  und  jedem  etwaigen 
Bann  losgesprochen   zu  werden  zugleich   in  eigener  Sache  liandelte. 

Es  liegen  13  derartige  Schriftstücke  Nogaret's  aus  dem  Sep- 
tember 1304  vor;  bezeichnet  man  als  „Apologieen"  oder  „Schutz- 
schriften" im  engeren  Sinn  diejenigen  derselben,  in  denen  das  Ver- 
halten der  französischen  Partei  im  Streit  mit  Bonifaz  gerechtfertigt 
und  also  zugleich  eine  Darstellung  der  Ereignisse  geboten  wird,  so 
finden  sich  solche  darunter  zwei.  Die  Methode,  die  Nogaret  bei 
dieser  Rechtfertigung  in  seinen  Apologieen  anwendet,  w^erden  wir 
noch  in  anderem  Zusammenhang  beleuchten-.  Im  einzelnen  können 
wir  uns  hier  um  so  kürzer  fassen,  als  Renan  ^  über  die  betreffenden 
Stücke,  soweit  er  sie  kannte,  ziemlich  ausführlich  referiert. 

Das  erste*  gab  Nogaret  am  7.  September,  dem  Jahrestag  des 
Ueberfalls  von  Anagni,  zu  Protokoll;  es  stellt  die  Ueberarbeitung 
der  bereits  im  Sommer  des  Jahres  verfassten  ersten  Apologie 
dar°  und  ist  von  allen  Schutzschriften  für  die  Geschichte  die  wich- 


'  Wir  sahen,  dass  sich  noch  zu  Lebzeiten  Benedikt's  bereits  7  Kardinäle  der 
französischen  Konzilsforderung  angeschlossen  hatten;  im  übrigen  vrgl.  über  die 
Kardinäle  Wenck  21  f. 

-  Vrgl.  den  Exkurs  I,  am  Ende.  ^  S.  27.5—285. 

*  Arch.  nat.  J  491  B  nr.  792;  Düpüy,  Diff.  pr.  239—251.  Bei  Dupüy  ist 
am  Anfang  eine  Zeile  übersehen;  es  muss  heissen:  „Hec  sunt  protestatioues, 
deffensioues,  que  seijuuntur,  et  excusationes  Guillelmi  de  Nogareto,  doniini  regis 
Francie  militis,  super  hiis,  que  sibi  imponuutur  ab  aliquibus,  ipsum  Guillelmum 
circa  personam  Bouifacii  tunc  Romane  ecclesie  presidentis  et  thesaurum  ecclesie 
circa  festum  nativitatis  beate  Marie  septembris  proxime  lapsum  in  civitate 
Anagnie  indebite  attemptasse,  quas  protestationes,  deffensioues  et  excusationes 
dictus  Guillelmus,  se  presentare  non  valeus  .  .  ." 

'  Vrgl.  Beilage  I. 


Bis  zur  Ernennung  Xogarct's  zum  Grosssicgclhowalircr  (1303—1307).     ]29 

tigste.  In  60  Punkten  wird  hier  eine  Schilderung  des  schändHchen 
Lehens  und  Handehis  Bonifaz'  YIII.  und  eine  Verteidigung  der 
Massregehi  des  Königs  sowie  des  eigenen  Verhaltens  gegehen.  Nur 
die  Beschlüsse  der  Pariser  Versammlung  vom  .Juni  13(13  hahe 
Nogaret  überhringen  wollen,  wegen  der  Weigerung  des  Papste«,  ilm 
vorzulassen,  habe  er  Gewalt  anwenden  müssen,  und  da  Bouifaz 
Schlhnmes  gegen  den  König  und  Frankreich  beabsichtigte,  habe  er 
ihn  gefangen  setzen  müssen;  zum  Schluss  versichert  er,  alle  seine 
Behauptungen  auf  einem  allgemeinen  Konzil  vertreten  zu  wollen, 
wie  ein  solches  schon  die  „eminentes  personae"  im  Juni  1303  ver- 
langt hätten,  und  dessen  Berufung  auch  er  dringend  fordere. 

Zwei  weitere  Stücke  sind  vom  12.  September  1304.  Das  eine^ 
verrät  deutlich  den  Zweck  dieses  ganzen  Vorgehens:  wegen  der 
Scheusslichkeiten  Bonifaz'  VIII.  müsse  die  Christenheit  zu  einem 
Konzil  zusammentreten:  „fiat  justitia"  ruft  Nogaret  aus;  zugleich 
appelliert  er  an  dieses  Konzil  und  an  den  zukünftigen  rechtmässigen 
Papst  gegen  jeden  Bonifazianer,  der  etwa  aus  dem  Konklave  zu 
Perugia  hervorgehe,  und  der  doch  von  Rechts  wegen  exkommuniziert 
sei;  einen  Bonifazianer  erklärt  er  also  im  voraus  nicht  anerkennen 
zu  wollen.  In  einem  anderen,  an  demselben  Tag  vor  dem  geist- 
lichen Gerichtshof  von  Paris  zu  Protokoll  gegebenen  Schriftstück - 
vertritt  Nogaret  seine  eigene  Sache,  indem  er  darauf  hinweist,  dass 
auch  der  Papst  ein  ungerechtes  Urteil  fällen  könne,  dann  seine  Un- 
schuld beteuert,  und  schliesshch  den  Gerichtshof  um  eine  Absolution 
„ad  cautelam  vel  alias"  bittet.  Der  bischöfliche  Stuhl  von  Paris 
war  zur  Zeit  vakant;  als  nach  einigen  Monaten  ein  neuer  Bischof 
sein  Amt  antrat,  scheint  er  auf  Nogaret's  Begehren  nicht  zurück- 
gekommen zu  sein. 

Es  folgen  verschiedene  Stücke  vom  Ifi.  Seiitember  1304.  In 
dem  einen  ^  versichert  Nogaret,  nur  aus  Glaubenseifer  und  zum  Wohl 
der  Kirche,  nicht  aus  Hass  gegen  Bonifaz  und  seine  Anhänger  zu 
seinem  Vorgehen  sich  haben  bestimmen  zu  lassen.  In  sieben  weiteren 
kurzen  Urkunden*  bevollmächtigte  er  einen  gewissen  Bertrand 
Agasse^   damit,   seine   Sache  beim  heiligen  Stuhl,    zu  dem  er   sich 


1  Arch.  nat.  J  490  nr.  750;  Dupdy,  Diff.  pr.  237  f. 

-  Arcli.  nat.  J  490  nr.  766  und  908  nr.  5;  DuPüY,  Diff.  pr.  269—274. 

3  Arch.  nat.  J  490  nr.  761;  DcPüV,  Difl".  pr.  274  f. 

*  Arch.   nat.  J  490  nr.  760  (3  Stücke)  und   762  (4  Stücke);   Dlplv  gicbt 
das  wesentliche  daraus  Diff.  pr.  275 — 277. 

'•"  Damit    ist   wohl    derselbe   gemeint,    der   in    der  Ilist.  de  Laug.  IX,  282 
Anm.   1   als  königlicher  Kommissar  genannt  wird. 

R.  Holtzmauu,  Nogaret.  <) 


130  5.  Kapitel. 

selbst  nicht  begeben  könne,  weiter  zu  vertreten,  ihm  einen  sicheren 
Ort  zur  Weiterverfolgung  seines  Vorgehens  gegen  Bonitaz  zu  er- 
wirken, ihn  gegen  alle  Vorwürfe  zu  verteidigen,  ungeeignete  Richter 
zurückzuweisen  und  seine  Absolution  „entgegenzunehmen",  Ernst 
können  diese  Vollmachten  wohl  kaum  genommen  werden.  Als  hätte 
Nogaret  beim  heiligen  Stuhl  um  einen  sicheren  Ort  nachgesucht,  wo 
er  den  Prozess  gegen  Bonifaz  betreiben  könne!  Auch  diese  Ar- 
tikel sind  offenbar  nur  zur  Wirkung  in  der  Oeffentlichkeit  bestimmt, 
und  weder  Bertrand  Agasse  noch  ein  gemäss  der  Vollmachten  von 
ihm  ernannter  Stellvertreter  wird  je  nach  Italien  gegangen  sein. 
Gleichfalls  am  16.  September  gab  Xogaret  auch  seine  Rede  vom 
12.  März  1303  vor  dem  Offizial  zu  Protokoll,  da  ihm  dieselbe 
jetzt  sehr  wichtig  sei,  er  sie  verschiedentlich  brauche,  und  damit 
sie  nicht  verloren  gehen  könnet 

Aus  derselben  Zeit  stammt  schliesslich  noch  eine  Schutzschrift  ^, 
die  kein  Datum  trägt,  Nogaret's  zweite  Apologie,  das  einzige  der 
genannten  zehn  Stücke,  welches  er  nicht  vor  dem  Pariser  Gerichts- 
hof zu  Protokoll  gab-,  es  ist  eine  Flugschrift^,  bestimmt,  direkt  die 
öffentliche  Meinung  zu  beeinflussen,  und  trägt  die  Ueberschrift: 
„Allegationes  excusatoriae  domini  Guillielmi  de  Nogareto  super  facto 
Bonifaciano  et  protestationes" ;  Nogaret  setzt  hier  in  leidenschaft- 
lichen Worten,  und  überall  seinen  angeblichen  grossen  Glaubenseifer 
zur  Schau  tragend,  die  Ereignisse  seit  seiner  römischen  Gesandt- 
schaft vom  Jahre  1300  auseinander;  er  wendet  sich  dabei  bald  an 
die  Allgemeinheit,  bald  an  den  heiligen  Stuhl,  bald  an  jeden  katho- 
lischen Christen,  und  verfährt  auch  hier  im  übrigen  in  der  bekannten 
Weise  und  der  bekannten  Tendenz. 

5. 
In  den  langen  Verhandlungen,  welche  zur  Wahl  Clemens'  V. 
führten,  tritt  Nogaret  nicht  erkennbar  hervor.     Wir  sind  über  die- 


^  Arch.  uat.  .T  490  nr.  749 :  „.  .  .  proposuit  (seil.  G.  de  Nogareto)  se  iu- 
digere  dicto  instrumento  in  liiis  partibus  ac  etiain  apud  scdem  apostolicam  et 
alibi,  ex  eo  quod  materia  in  insti-umcuto  contenta  sit  publica  tangeus  dei  ec- 
clesiam  universam.  Propter  igitur  periculum  aniissionis  instrunienti  ipsius,  et 
quia  eo  indiget  eodem  tempore  in  locis  diversis,  ipsum  instrumentum  .  .  .  publi- 
cavit  .  .  .  Datum  die  meicurii  post  exaltationem  sancte  crucis  anno  domini 
millesimo  trecentesimo  quarto."     Besiegelt. 

=*  Arch.  nat.  .T  492  nr.  802;  Düpuy,  Diff.  pr.  252—269. 

•■'  .Tcdenfalls  wurde  sie  auch  dem  König  überreicht,  und  hierauf  bezieht 
sich  wohl  das  Beilage  IX  §  7  gesagte:  „tarn  apud  dominum  regem  quam  apud 
officialem  Parisiensem." 


Bis  zur  Ernenuiiiiu-  Nogaret's  zum  Grosssiegelbewalirer  (1303—1307).      i;jl 

selben  überhaupt  rocht  sclilecht  unterrichtet'.  Im  April  1305  er- 
schien in  Perugia  eine  franzübische  Gesandtschall,  die  aus  dem  Jo- 
hanniter-Prior  Ytherius  von  Nanteuil,  dem  bischüHichen  Kanzler 
von  Tours  und  Protonotar  Gottfried  von  Plessis  und  dem  uns  schon 
bekannten  Musciatto  bestand.  Sie  lenkte  die  Aufmerksamkeit  der 
französischen  Partei  im  Kardinalkollcgium  auf  Bertrand  de  (lot, 
den  Erzbischof  von  Bordeaux,  den  Philipp  als  schwachen,  leicht  zu 
beherrschenden  j\Iann  kannte,  der  aber  bis  dahin  l)ei  vielen  Gegnern 
des  französischen  Königs  als  ihr  Parteigänger  angesehen  Avurde'^ 
Am  5.  Juni  1305  erfolgte  seine  Wahl,  und  wenn  er  anfangs  die 
Absicht  gehabt  hatte,  nach  Italien  zu  gehen,  so  wusste  es  Philipp 
dahin  zu  bringen,  dass  er  diesseits  der  Alpen  blieb. 

Die  Krönung  fand  am  14.  November  in  Lyon  statt.  Kurz 
vorher  war  auch  Philipp  daselbst  eingetroffen.  Noch  vor  seiner 
Ankunft  hatte  ihm  Nogaret  eine  Denkschrift  überreicht,  die  — 
bisher  unbekannt  —  zu  dem  Interessantesten  gehört,  was  wir  von 
seiner  Hand  besitzen  ^.  Die  Lage  der  Dinge  war  für  den  gebannten 
Minister  nicht  ohne  Gefahr.  Philipp  hoffte,  jetzt  in  Lyon  durch 
Unterhandlungen  mit  Clemens  zu  einem  vollstcändigen  Sieg  über  das 
Papsttum  zu  gelangen.  Nogaret  musste  darauf  bedacht  sein,  dass 
auch  seine  Sache  hierbei  nicht  vergessen  werde.  Deshalb  ermahnte 
er  den  König  aufs  Eindringlichste,  in  der  Bonifazianischen  Angelegen- 
heit nicht  nachzulassen :  vor  aller  Welt  habe  Philipp  dieselbe  über- 
nommen, er  dürfe  daher  jetzt  nicht  von  ihr  abstehen  und  so  schweres 
Aergernis  geben.  Keines  Menschen  Bitten  dürfe  ihn  bewegen,  von 
Gottes  Wahrheit  zu  weichen.  Wohl  gebe  es  Leute,  die  ihm  der 
schwierigen  Zeitverhältnisse  und  der  noch  immer  nicht  beendigten 
Kriege*  wegen  anders  rieten,  aber  er  dürfe  sich  durch  sie  nicht 
bestimmen  lassen;  denn  die  schlimmste  Gefahr  sei  es,  wenn  ein  all- 
gemeines Konzil  sich  versammle,  ehe  die  Ketzerei  des  Bonifaz  er- 
wiesen sei.  Da  man  nun  aber  sicherer  gehe,  wenn  man  sich  ver- 
teidige, als  wenn  man  anklage,  so  rate  er  (Nogaret),  dass  der  König 
ihn  vor  dem  Papst  seine  Sache  verteidigen  lasse;  denn  werde  der 
Glaubenseifer  des  Königs  und  die  Unschuld  Nogaret's  erwiesen,  so 
schliesse  das  zugleich  wenigstens  halbwegs  eine  Erklärung  der 
Ketzerei  des  Bonifaz  ein.  Auf  alle  Fälle  aber  sei  es  von  Vorteil, 
wenn  Philipp  dafür   sorge,    dass  ihm  ergebene  französische  Männer 

*  Vrgl.  über  <lic  AV'alil  AVknck  21 — 47. 

^  Er  war  aucli  auf  dem  Konzil  vom  November  1302  gewesen. 
^  Beilage  11. 

*  Gemeint  ist  der  Krieg  mit  Flandern. 

9* 


132  5-  Kapitel. 

ZU  Kardinälen  erhoben  würden,  damit  sie  bei  den  Verhandlungen 
die  Sache  des  Königs  verträten. 

Bei  den  Unterhandlungen,  die  nun  im  Winter  13<)5  — 1306  in 
Lyon  zwischen  König  und  Papst  gepflogen  wurden,  war  auch  Xogaret 
in  der  Rhunestadt  anwesend;  er  wohnte  daselbst  im  Hause  eines 
gewissen  Bartholomäus  Chracon  ^  Sein  Rat,  für  die  Erhebung 
französischer  Kardinäle  zu  sorgen,  wurde  vom  König  befolgt:  am 
15.  Dezember  1305  ernannte  Clemens  zehn  neue  Kardinäle,  neun 
Franzosen  und  einen  Engländer.  So  wurde  das  Kardinalskollegium 
jetzt  völlig  unter  französischen  Einfluss  gebracht-,  und  auch  die 
beiden  abgesetzten  Colonna  erhielten  ihre  Würde  wieder.  Damit 
w'ar  die  entscheidende  Wendung  zu  Gunsten  Frankreichs  erfolgt. 
Auch  sonst  gedachte  Philii^p  nach  den  Vorschlägen  seines  Rats  vor- 
zugehen: er  bat  den  Papst,  Nogaret  sich  vor  ihm  verteidigen  zu 
lassen^.  Vielleicht  hängt  es  hiermit  auch  zusammen,  dass  Nogaret 
seine  Apologie  vom  7.  September  1304  umarbeitete,  um  sie  dem 
Papst  überreichen  zu  können"^.  Clemens  aber  machte  bezüglich 
dieser  Forderung  Schwierigkeiten:  er  liess  den  gebannten  Nogaret 
nicht  vor,  die  ferneren  Verhandlungen  scheinen  durch  AVilhelm  von 
Plasian  geführt  worden  zu  sein^.  In  wieweit  Nogaret  dennoch  in 
die  Politik  dieser  Tage  eingriff  und  auf  das  Verhalten  des  Königs 
einen  Einfluss  ausübte,  entzieht  sich  unserer  Kenntnis,  wie  denn 
überhaupt  unsere  Nachrichten  über  die  Lyoner  Verhandlungen^ 
vieles  zu  wünschen  übrig  lassen. 

Hingegen  können  wir  Nogaret  in  dieser  Zeit  in  verschiedenen 
Missionen  im  Dienst  des  Königs  nachweisen.  Er  wird  in  den  Rech- 
nungen genannt^  und  ergriff  1305  im  Namen  des  Königs  Besitz 
von  Figeac*^.  Die  letztere  Nachricht  ist  nicht  ohne  Interesse.  Die 
Stadt  Figeac,  zu  der  Nogaret  schon  einmal  in  Beziehung  getreten 
war,  lag  in  der  alten  Landschaft  Quercy,  welche  zu  den  mancherlei 
zwischen  Frankreich  und  England  auch  nach  dem  Frieden  vom 
20.  Mai  1303    noch    bestehenden    Streitpunkten^   gehört    zu    haben 


»  Menard  I,  pr.  223. 

-  „Iste  papa  multos  cardiiiales  focit  tarn  coguatos  suos  quam  extraueos, 
liueriles,  iuvenes  et  illiteratos.  Unde  dicitur  ecclesiam  dei  multum  dehonestasse 
ponendo  tales  personas",  sagt  die  brabanzolische  Fortsetzung  des  Martin  von 
Troppäu,  Mon.  Germ.  SS.  XXIV,  262  ZI.  24—26. 

••'  Beilage  IX  §  8;  vrgl.  DüPDY,  Diff.  pr.  298. 

'  Beilage  I,  2.  ■■  Dupuy,  Ditf.  pr.  378. 

°  Vrgl.  über  sie  Wenck  48  if.;  Schottmüller  I,  49ff. ;  Gmelin  306  ff. 

^  Ree.  des  hist.  XXII,  768  E.  »  Dupuy,  Diff.  pr.  615. 

°  Clemens   wollte   dieselben  ausgleicben ;  Wenck  43;  Schottmüller  I,  51. 


Bis  zur  Erueimung  Nogarot's  zum  Grosssiegelbewahrer  (1303 — 1307).      133 

scheint.  Quercy  war  ein  Teil  der  England  iiberlassenen  Guienne, 
aber  von  Eduard  I,  bereits  im  August  1286  feierlich  abgegeben'. 
Philipp  benutzte  nun  die  Abwesenheit  Eduard's,  um  sich  jedenfalls 
des  Besitzes  von  Figeac,  das  damals  zu  den  blüliendsten  Städten 
des  südlichen  Frankreich  gehörte-,  zu  versichern.  Nogaret  erhielt 
den  Auftrag,  hier  die  Herrschaft  Philipp's  fest  zu  begründen.  Auch 
auf  die  übrigen  Teile  Quercys  scheint  die  Krone  damals  ihre  Jlechte 
geltend  gemacht  zu  haben  ^. 

Im  Jahre  1306  erhielt  der  Nogaret  zugewiesene  Grundbesitz 
einen  beträchtlichen  Zuwachs.  Da  es  sich  gezeigt  hatte,  dass  die 
jährlichen  Einkünfte  der  ihm  bisher  angewiesenen  Orte  und  Land- 
striche die  Höhe  von  800  Pfund  nur  zu  etwa  ^/s  erreichten,  beauf- 
tragte Philipp  am  3.  Januar  1306  den  Seneschall  von  Beaucaire, 
Bertrandus  Jordani  de  Insula,  mit  der  Anweisung  weiteren  Grund- 
besitzes'*. Der  mit  anderen  Dingen  beschäftigte  Nogaret  betraute 
am  29.  Januar  1306  zu  Lyon  seinen  Geheimschreiber  Wilhelm 
Bonfuille  mit  der  Regelung  seiner  Besitztümer.  Dieser  erhielt  am 
18.  Mai  1306  vom  Seneschall  auf  den  Namen  Nogaret's  eine  ganze 
Reihe  von  Ortscliaften  und  Ländereien  übertragen,  von  denen 
Tamarlet,  DesPorts^,  Manduel,  Redessan,  Colozes,  Bouil- 
largues,  Rodillan,  Polverieres,  Brene,  Cayssargues,  Ven- 
dargues,  Merignargues,  Agarne-Luc,  Oriargues,  Pondre, 
Parignargues-ya([uieres,  Sauzet-Domessargues,  Fesc,Sainte 
Agathe  und  Pui-Marces  die  wichtigsten  waren;  verschiedene  Ge- 
rechtsame kamen  hinzu".  Die  genannten  Orte  sind  alle  nicht  be- 
deutend und  liegen  in  der  Nähe  der  anderen  Nogaret  zugewiesenen 
Besitzungen,  die  so  eine  immerhin  nicht  unerhebliche  Abrundung 
erfuhren. 

Nogaret  selbst  finden  wir  im  Jahre  1306  im  Pariser  Parlament 
thätig.  Der  königliche  Gerichtshof,  der  in  der  Regel  jährlich  zwei- 
mal zusammentrat ",  hielt  auch  in  diesem  Jahre  seine  zwei  Sitzungen 


'  Lacoste:    „Hist.    generale    de    la   province    de  Quercy"  II,  3(58. 

2  Ibid.  383. 

^  Xach  Lacoste  war  Quercy  iu  den  nächsten  Jahren  französisch. 

*  Menard  I,  438  und  pr.  161-,  Renan  274. 

'^  1304  scheint  Xogaret  nur  das  Territorium  dieses  Ortes  mit  einigen  Ein- 
schränkungen erhalten  zu  haben,  jetzt  kam  der  Ort  selbst  dazu  und  diu  vorbe- 
haltenen Punkte  fielen  weg. 

''  Menard  I,  438  f.  und  i)r.  162  ff.;  Renan  a.  a.  0.  Die  l'ebertragungs- 
urkunde  ist  in  mancher  Hinsicht  interessant,  doch  darf  ich  wohl  auch  hier  auf 
das  demnächst  erscheinende  Werk  von  Thomas  hinweisen  (vrgl.  S.  126  Anm.  2). 

^   BOUTARIC    193. 


134  5.  Kapitel. 

all.    und    in    beiden   tritt  uns  Xugaret  entgegen',  indem  er  bald  als 
Berichterstatter,  bald  anderweitig  tliätig  war. 

Wichtiger  war  die  Mission,  die  Xogarct  zwischen  diesen  beiden 
Parlamentssitzungen  erhalten  hatte :  es  handelte  sich  um  eine  grosse 
Judenverfolgung,  welche  vom  französischen  König  in  Verbindung 
mit  seiner  damaligen  Kirchenpolitik  unternommen  wurde.  Wir 
gedachten  der  Verhandlungen,  welche  im  Anschluss  an  die  Krönung 
Clemens'  V.  zwischen  diesem  und  dem  König  zu  Lyon  im  Winter 
1305/1306  geführt  wurden.  Philipp  hatte  hier  zum  ersten  Male 
ein  Vorgehen  gegen  den  Templerorden  angeregt  und  zugleich  als 
Pressionsmittel  wieder  die  Einleitung  des  Prozesses  gegen  Bonifaz  VIII. 
verlangt-;  Clemens  hatte  dagegen  die  Forderung  aufgestellt,  der 
französische  König  möge  einen  Kreuzzug  unternehmen,  und  Philipp 
zeigte  sich  hierin  aus  Politik  willfährig,  obgleich  er  im  Ernst  gar 
nicht  daran  dachte,  nach  dem  heiligen  Land  zu  ziehen.  Was  er 
dadurch  erreichte,  war,  dass  Clemens  am  6.  Juni  1306  die  Gross- 
meister des  Johanniter-  und  des  Templerordens  zur  Beratung  dieser 
Angelegenheit  nach  Frankreich  lud^.  So  hatte  der  König  Aussicht, 
Jakob  von  Molay,  den  Grossmeister  der  Templer,  in  seine  Ge- 
walt zu  bekommen.  Um  aber  seinen  Glaubenseifer  doch  einmal 
auch  durch  die  That  zu  zeigen,  entschloss  er  sich  jetzt  zu  einer 
grossen  Judenverfolgung.  Diese  Art  des  Kampfes  gegen  die  Ketzer 
war  nicht  nur  bedeutend  billiger  und  bequemer  als  ein  Kreuzzug, 
sondern  brachte  obendrein  noch  die  reichen  jüdischen  Schätze  in 
die  niemals  vollen  Kassen  Philipp's  des  Schönen.  Am  21.  Juni  1306 
erhielten  Wilhelm  von  Nogaret,  Johann  von  Saiut-Just  und 
der  Seneschall  von  Toulouse  eine  Vollmacht,  die  nur  die  An- 
weisung enthielt,  dass  ihnen  jedermann  zu  folgen  habe*.    Der  gegen 

^  Im  Parlament  vom  Frühjahr  1306:  Olim  Uli  175  (ur.  33),  179  (nr.  40), 
184  (nr.  48),  187  (nr.  52);  in  dem  vom  Herbst  ibid.  208  f.  (nr.  35),  222  f.  (nr.  55). 

-  Vrgl.  Nogaret  in  dem  Erlass  Philipp's  vom  Februar  1311;  Dupuy,  Difl". 
pr.  298.     lieber  die  Templer  unten. 

3  Wenck  71;  ScHOTTMüLLER  I,  91;  Lea  III,  248:  Phutz  138;  Hefele- 
Knöpfler  vi,  413;  Gmelin  318  f. 

'  Vrgl.  über  diese  ganze  Angelegenheit  ausser  den  kurzen  Notizen  der 
Schriftsteller  [Berkhardus  Guidonis,  Reo.  des  bist.  XXI,  716  G;  Cont.  Guill. 
Nang.,  ed.  Geraud  I,  355;  Anonymus  Cadomensis,  Reo.  des  hist.  XXII,  25  E; 
Hocsem  bei  Chapeaville,  Gesta  poutificum  Leodiensium  II,  345;  Johann  von 
Winterthür,  ed.  Wyss  43;  Johann  von  Viktring  bei  Böhmer,  Fontes  I,  352; 
Ottokar  von  Steier,  Mon.  Germ.  CG.  V  2,  1190  Vers  91  557  ff. ;  u.  a.]  die  Urkunden 
die  neuerdings  .Saige  („Les  juifs  du  Languedoc  anterieurement  au  quatorzieme 
siecle",  Paris  1881)  herausgab.  Martin  IV,  464;  Boutäric  302;  Renan  289  f.; 
Hist.  de  Laug.  IX,  292  f. 


Bis  zur  Erucumiug  Nogaret's  zum  Cirosssiegclbewalircr  (1303— 13U7).      135 

die  Juden  gerichtete  Auftrag  wurde  gelieim  gelialtcn.  Am  22.  Juli 
erfolgte  plötzlich  und  unerwartet  der  ISchlag,  in  dorselhen  Weise, 
in  welcher  man  fünf  Vierteljahre  später  gegen  die  '^rcmpicr  vcrfuhi-. 
Alle  Juden  wurden  gefangen  gononmien,  ihr  Geld  und  ihre  Be- 
sitzungen nahm  man  in  Verwahrung;  und  während  die  Besitzer 
dann  des  Landes  verwiesen  wurden,  begannen  Nogaret  und  seine 
Gefährten  mit  der  Versteigerung  der  Inuuobilien,  ja  der  König 
forderte  sogar,  dass  die  Schuldner  der  Juden  ihre  Verpflichtungen 
nunmehr  an  ihn  abtrügen.  Am  23.  November  wurden  Xogaret 
und  Saint-Just  von  diesem  Geschäft  abberufen  und  übergaben  die 
Fortfülu'ung  drei  Toulouser  Bürgern.  Die  Erledigung  der  Ange- 
legenheit währte  noch  lange,  während  Nogaret,  wie  wir  sahen,  nun 
zunächst  wieder  seine  Thätigkeit  im  Parlament  aufnahm. 

6. 

Unterdessen  nahmen  die  Vorbereitungen  Philipp's  zum  Schlag 
gegen  die  Templer  ihren  Fortgang.  Es  ist  hier  nicht  der  Ort, 
auf  die  vielerörterte  Frage  nach  der  Schuld  oder  Unschuld  dieses 
Ordens  einzugehen.  Das  einzige,  was  hier  interessieren  könnte, 
wäre  die  Frage,  ob  Philipp  und  Nogaret  an  eine  Schuld  glaubten 
oder  nicht.  Bei  dem  gänzlichen  Mangel  jeder  intimeren  Korrespon- 
denz der  beiden  ist  hier  eine  Beantwortung  nicht  leicht;  immerhin 
wird  man  folgende  Erwägungen  anstellen  dürfen.  Die  Macht  des 
Templerordens  beruhte  vornehmhch  auf  zweierlei:  einmal  auf  seinem 
grossen  Reichtum  und  ausgedehnten  Grundbesitz,  und  sodann  auf 
der  Unabhängigkeit,  in  der  er  sich  vom  Staat  befand;  im  Lauf  der 
Zeit  hatte  er  zahlreiche  Privilegien  erhalten  und  unterstand  als 
geistlicher  Orden  nur  dem  Papst.  Beide  Punkte  waren  gleichmässig 
geeignet,  den  französischen  König  zu  einem  Vorgehen  gegen  die 
Templer  zu  reizen.  Und  da  doch  davon  keine  Rede  sein  kann,  dass 
Philipp  der  Schöne  sich  aus  purem  Glaubenseifer  gegen  sie  wandte, 
erscheint  das  eine  unter  allen  Umständen  gewiss,  dass  ihm  die 
Selbstsucht  das  Unternehmen  eingab'.  Dass  er  dabei  aber,  gerade 
wie  er  es  im  Kampf  gegen  Bonifaz  VIII.  gethan,  lautere  Motive 
zu  haben  vorgab,  dass  er  auch  hier  wieder  sich  als  Verteidiger  des 
rechten  Glaubens  aufspielte,  kaini  nicht  Wunder  nehmen.  Es 
bleibt  freilich  noch  die  Frage:  in  wie  weit  wusste  oder  glaubte 
Philipp,    dass    dieser  Vorwand    eine    berechtigte   Grundlage    hatte? 

'  So  auch  Wknck  71;  Trutz  in  (iunjOK's  ZtHchrft.  XI,  271.  Vi^l.  im 
übrigen  über  die  ganze  Frage  auch  die  Aubfuhrungeu  We.sck's  in  den  üött. 
gel.  Anzeigen,  158.  Jahrg.  (1Ö9«5)  II,  532— .547. 


136  5.  Kapitel. 

In  Frankreich  lebten  zur  Zeit  mehrere  tausend  Ordensbrüder  \  zu- 
meist jüngere  Leute,  die  eine  ernste  Beschäftigung  überhanpt  niclit 
mehr  hatten.  Dass  hier  manche  schwere  sitthclie  Fehler  vorkamen, 
erscheint  schon  an  und  für  sich  recht  glaubhaft,  und  kann  über- 
haupt nicht  bestritten  werden.  Dass  das  Leben  der  Templer  viel- 
fach anstössig  und  schlecht  war,  war  zur  Zeit  Philipp's  des  Schönen 
in  weiten  Kreisen  l)ekannt-.  Der  nach  einem  Vorwand  suchende 
König  ergriff  diese  Thatsache,  die  es  ihm  ermöglichte,  wieder  die 
Rolle  des  Verteidigers  der  Avahren  Lehre  anzunehmen.  Er  hat  da- 
bei im  Einzelnen  zweifellos  übertrieben,  und  auch  die  Möglichkeit, 
dass  der  Orden  als  solcher  keine  Schuld  hatte,  ist  durchaus  zu- 
zugeben. Aber  dass  Philipp  wie  Nogaret  in  der  Erregung  der  Zeit 
wenigstens  im  allgemeinen  an  die  Richtigkeit  ihrer  Beschuldigungen 
glaubten,  auch  wenn  es  ihnen  eigentlich  gar  nicht  auf  diese,  sondern 
auf  ganz  andere,  selbstsüchtige  Zwecke  ankam,  wird  man  danach 
doch  annehmen  dürfend  Die  moralische  Verurteilung  des  liäss- 
lichen  Inquisitionsverfahrens,  zu  dem  Piiilipp  im  Kampf  mit  den 
Templern  griff,  bleibt  deshalb  doch  unter  allen  Umständen  bestehen. 
Der  erste  Diener  des  Königs  bei  diesem  Unternehmen  war  wieder 
Wilhelm  von  Nogaret.  Skrupellos  folgte  er  hier  seinem  Herrn, 
der  sich  wohl  in  dieser  Sache  am  meisten  als  der  rechte  Vorläufer 
eines  Ludwig's  XL  erwies.  Das  Streben  des  Königs  nach  Macht 
und  Ruhm,  der  Ehrgeiz  Nogaret's,  beides  diente  nur  dem  einen 
Zweck,  die  Grösse  und  die  Gewalt  des  französischen  Königtums  zu 
erhöhen.  Was  zwei  Jahrhunderte  später  jener  berühmte  Florentiner 
Staatsmann  in  so  wirkungsvoller  Weise  verkündigte,  dass  im  prak- 
tischen Leben  nur  die  Kraft  und  Konsequenz  Erfolg  habe,  das  war 
damals  schon  das  Dogma  des  französischen  Königs  und  seines  Mi- 
nisters; und  so  wenig  wie  jener  zauderten  auch  sie,  dem  noch  an 
so  manchen  feudalen  Gebrechen  krankenden  Staatskörper  zur 
Heilung  Gift  zu  verschreiben. 


^  Die  Schätzung  auf  15  000  scheiut  durcli  die  Ausfülirungeu  Gmelin's  uiclit 
widerlegt  zu  werden. 

^  Es  geht  doch  nicht  an,  das  neben  „l)il)ere  papaliter"  spricliwürtliche 
„bibere  templariter"  mit  Gmklin  (S.  247)  so  zu  verstehen,  „dass  man  es  für  natür- 
lich fand,  dass  solch  tapfere  Haudegen,  für  welche  die  Templer  galten,  einen 
scharfen  Zug  wohl  vertragen  konnten"! 

^  Ein  intimes  Schriftstück,  das  Nogaret  in  der  Angelegenheit  des  Prozesses 
gegen  Bonifaz  an  den  König  richtete,  ist  das  von  uus  als  Beilage  II  abgedruckte. 
Dasselbe  sieht  denn  doch  keineswegs  so  aus,  als  ob  die  beiden  derartige  Fragen 
lediglich  mit  Auguren-Schmunzeln  behandelt  hätten.  Fere  libeuter  homincs  id 
quod  volunt  credunt. 


Bis  zur  Ernemiung  Nogaret's  zum  GrosssiegcUiowalircr  (1:303—1307).      137 

Die  vom  französischen  König  seit  iNFonaten  begehrte  Zusaiiiincii- 
kunft  mit  Clemens  V.  fand  im  Frühjahr  i;5ü7  zu  Poitiers  statt'. 
Der  Papst  kam  Anfang  April-,  der  König  wenig  später''  in  diese 
Stadt;  auch  Jakob  von  Molay,  der  dem  Kuf  des  Papstes  gefolgt 
war,  fand  sich  hier  ein. 

In  diese  Zeit  dürfte  eine  Schrift  Nogaret's  zu  setzen  sein,  die 
kein  Datum  trägt  und  dasselbe  auch  nicht  mit  voller  Bestimmtheit 
verrät-*.  Sie  ist  an  den  König  gerichtet,  und  Nogaret  beteuert  in 
ihr  wieder  seine  Unschuld  und  l)ittet  Philipp,  ihm  beim  Papst,  der 
seine  Ohren  verschhesse,  Gehör  zu  verschaffen,  damit  endlich  seine 
Angelegenheit  erledigt  werde.  Dieses  neue  Drängen  Nogaret's  ist 
allem  Anschein  nach  wieder  auf  Veranlassung  des  Königs  erfolgt, 
der,  wie  schon  so  oft,  den  Glauben  erwecken  wollte,  als  unternehme 
er  seine  Schritte  dem  Papst  gegenüber  nicht  freiwillig,  sondern  nur 
auf  dringende  Aufforderung  hin.  Philipp  hatte  Grund,  die  Absolu- 
tion Nogaret's  zu  wünschen-,  er  gedachte  sich  seiner  im  kommenden 
Kampf  gegen  die  Templer  zu  bedienen  und  wollte  andererseits  doch 
diesen  Kampf  im  Bund  mit  dem  Papst  führen. 

Ueber  die  Verhandlungen  selbst  geben  uns  zwei  interessante 
Denkschriften  einigen  Aufschluss.  Sie  sind  beide  an  Philipp  ge- 
richtet und  rühren  von  einem  der  königlichen  Räte  her,  aber  nicht 
von  Nogaret.  Da  beide  in  Abschrift  auch  dem  Kardinal  und  ehe- 
maligen Grosssiegelbewahrer  des  Königs,  Stephan  von  Suizy,  zu- 
geschickt wurden,  darf  man  wohl  annehmen,  dass  durch  ihn  die  Ver- 
handlungen mit  dem  Papst  geführt  wurden.  Clemens  verlangte  in 
Poitiers  vom  König,  er  möge  vom  Prozess  gegen  Bonifaz  abstehen'', 
und  der  Verfasser  der  beiden  genannten  Stücke  erörtert  die  Frage, 


^  Dru.maxn  II,  184;  Wenck  69;  Schottmüllkr  I,  113;  Lea  III.  258;  Prutz 
139;  Hefele-Knöpfler  VI,  409;  Gmelin  316. 

-  Boutaric,  Revue  des  questions  historiques  X,  324. 

"  Philipp  ist  19.  April  in  Chätellerault,  seit  dem  21.  April  in  Poitiers  nach- 
weisbar, wo  er  den  Monat  Mai  über  verweilte;  Rec.  des  bist.  XXI,  448  A — B; 
XXII,  Einl.  XLI  E. 

*  Arch.  nat.  .1  491  B  nr.  797,  3;  Bau.let  351—53  (actes  et  preuves  nr.  XVII). 
Die  S.  351  unten  (nach  potestatem)  ausgefallenen  Worte  lauten:  „ubi  per  prin- 
cipem  aliquem  secularem  ecclesiam  defendi  i>aratum  non  erat";  S.  353  (nach 
pertineat):  „scire  super  biis  veritatem".  —  Renan  287  f.  setzt  diese  Schrift 
gleich  nach  die  Wahl  Clemens'  V.;  dies  geht  nicht  wegen  der  Worte:  „  .  .  .  pro- 
viso  regimini  sanctae  matris  ecclesiae  de  persona  sanctissimi  patris  Clcmeiitis 
.  .  .  scmper  clamavi  volens  eins  sanctitatem  adire  ad  defendenduin  iiio  legitime". 
Dagegen  scheint  in  dem  P^ntwurf  „Laetamur  in  te"  (vrgl.  unten)  die  Antwort 
auf  Nogaret's  Anstrengungen  enthalten  zu  .'»ein.    Vrgl.  auch  Ik'ilaffo  IX  J^  8. 

'  Vrgl.  besonders  Beilage  III  §  1'». 


138  5.  Kapitel. 

unter  woklieii  Bedingungen  das  geschehen  könne.  In  der  einen 
Denksclnit't '  ftisst  er  seine  Forderungen  in  einer  Urkunde  zusammen, 
deren  Ausstclhing  man  von  Clemens  zu  verhingen  habe.  Besonderes 
Gewicht  legt  er  auf  den  Eingang,  in  welchem  der  Papst  feierlich 
erklären  sollte,  dass  er  den  Schutz  des  wahren  Glaubens  und  die 
Vernichtung  aller  Irrlehren  sich  zur  besonderen  Sorge  sein  lasse. 
Es  scheint,  dass  sich  der  Papst  hierdurch  zu  dem  Vorgehen  gegen 
die  Templer  verpflichten  sollte,  über  welches  in  Poitiers  gleichfalls 
unterhandelt  wurde,  welches  man  aber  natürlich  noch  nicht  offen 
ankündigen  durfte.  Darauf  sollten  alle  gegen  den  König,  Xogaret 
und  ihre  Anhänger  gerichteten  Erlasse  Bonifaz'  VIIl.  und  Bene- 
dikt's  XI.  widerrufen  werden.  So  wäre  in  der  That  die  von  Xogaret 
geforderte  Absolution  ausgesprochen  worden"-.  In  der  „Narratio", 
heisst  es  dann  weiter,  solle  geschildert  werden,  wie  man  schon  von 
Bonifaz  die  Berufung  eines  allgemeinen  Konzils  gefordert,  dieser  die- 
selbe aberverweigert  habe,  und  wie  diese  Forderung  dann  vor  Benedikt 
und  Clemens  verschiedentlich  wiederholt  worden  sei.  Schliesslich  könne 
dann  ausgeführt  werden,  dass  der  König  und  die  xVnkläger,  nicht 
weil  sie  im  Unrecht  seien,  sondern  wegen  der  Bitten  des  Papstes 
und  der  Kardinäle  und  mit  Rücksicht  auf  das  Ansehen  der  Kirche 
von  einer  persönlichen  Weiterverfolgung  dieser  Angelegenheit  ab- 
sehen wollten.  Man  dachte  so  die  Sache  dem  Papst  anheimzustellen, 
wobei  man  dann  sich  prinzipiell  nichts  zu  vergeben  brauchte^,  aber 
doch  thatsäcblich  auf  eine  Verurteilung  verzichtete.  Wegen  der  grossen 
Wichtigkeit  der  Art  und  Weise,  wie  der  Ausgleich  im  einzelnen  ge- 
macht werde,  verlangte  der  Verfasser  der  Denkschrift,  dass  überall 
Anhänger  des  Königs  zugezogen  würden,  und  dass  er  selbst  zu- 
letzt den  Entwurf  der  Bulle  zu  sehen  bekomme.  Auf  diese  Art, 
meinte  er,  gehe  man  ganz  sicher,  und  wenn  die  gestellten  Forde- 
rungen erfüllt  würden,  so  sei  ja  dadurch  zugleich  das  Andenken  des 
Bonifaz  wenigstens  stillschweigend  verurteilt.  Die  andere  Denk- 
schrift^ enthält  ähnliche  Vorschläge.  Auf  keinen  Fall  dürfe  auf 
irgend  eine  Weise  zugegeben  werden,  dass  Bonifaz  nicht  ketzerisch, 

'  Beilage  III. 

-  Vielleicht  gehört  ia  diese  Zeit  auch  die  Arch.  uat.  .T  492  ur.  804  ent- 
haltene französische  Denkschrift  eines  Unbekannten,  iu  der  u.  a.  gleichfalls  die 
Absolution  Xogaret's  gefordert  wird. 

"  Daher  soll  der  König  theoi'etisch  seine  Forderung  beti-etVs  der  Verur- 
teilung des  Bonifaz  auch  aufrecht  erhalten  (Beilage  III  §  1;  ebenso  Düpuy, 
Diff.  pr.  298).  Charakteristisch  für  die  Auffassung  der  Königlichen  betreffs  ihres 
Rücktritts  vom  Prozess  ist  der  Schluss  des  §  4  der  Beilage  IV. 

'  Beilage  IV. 


Bis  zur  Enieuuuug  Xogarot's  zum  Grosssiegclbewalircr  (1303 — 1307).      139 

und  sein  Papsttum  rechtmässig  gewesen  sei;  die  am  Uel)erfall  von 
Anagni  Beteiligten  müssten  für  völlig  schuldlos  erklärt,  die  Colonuii 
völlig  restituiert;  d.  h.  auch  in  ihre  weltlichen  BesitzAmgen  wieder 
eingesetzt  werdend 

Der  so  in  Aussicht  genommene  Ausgleich  kam  jedoch  nicht  zu- 
stande. Clemens  scheint  ausser  einem  endgültigen  Frieden  zwischen 
Frankreich  und  England-Flandern"^  allerdings  nur  den  Verzicht  des 
Königs  auf  den  Prozess  gegen  Bonifaz  verlangt  zu  haben.  Aber 
was  er  dagegen  bot,  war  zu  wenig.  Er  entschloss  sich  in  der  That, 
eine  Bulle ^  zu  entwerfen;  es  wird  in  derselben  zunächst  darauf  hin- 
gewiesen, dass  der  König  auf  wiederholte  Bitten  des  Papstes  diesem 
den  Prozess  gegen  Bonifaz  überlassen  habe,  sodann  werden  noch- 
mals alle  Zensuren  und  Prozesse,  die  gegen  den  König,  seine  Unter- 
thanen  oder  das  Reich  verhängt  waren,  aufgehoben,  und  diesmal 
auch  Nogaret  und  Reginald  von  Supino  unter  Auflegung  einer  Busse 
begnadigt.  Es  mag  zunächst  scheinen,  als  ob  damit  der  König  ge- 
nug gehübt  haben  müsse.  Und  doch  war  dem  nicht  so.  Offenbar 
spielte  hier  die  nur  im  geheimen  verhandelte  Tempi  er  frage  mit. 
Einen  Hinweis  auf  dieselbe  fanden  wir  schon  in  der  einen  der  beiden 
genannten  Denkschriften.  So  wenig  aber  als  der  Papst  den  hier 
vorgeschlagenen  Eingang  für  seine  Bulle  wählte,  so  wenig  scheint 
er  damals  überhaupt  bereit  gewesen  zu  sein,  sich  den  Wünschen  des 
Königs  bezüglich  der  Templer  zu  fügen.  Daher  weigerte  sich  denn 
nun  auch  Philipp  wieder,  die  WaÖe,  die  er  in  dem  Drängen  auf  den 
Prozess  gegen  Bonifaz  besass,  aus  der  Hand  zu  geben,  und  die 
päpstliche  Bulle  blieb  so  nur  ein  Entwurf.  Schon  Ende  ]\Iai  ver- 
liess  der  König  Poitiers*,  während  Clemens  seines  leidenden  Zu- 
standes  wegen  in  dieser  Stadt  und  der  Umgegend  blieb.  Auch  in 
der  Folge  hörte  Philipp  nicht  auf,  den  Papst  um  Erfüllung  seiner 
Wünsche  und  Forderungen  zu  bestürmen,  sodass  sich  Clemens  end- 


1  So  auch  Beilage  III  §  H.  Die  hier  erwähnten  „de  Monteuigro"  waren 
gleichfalls  Anhänger  des  Königs;  Düplv,  DitV.  \n:  52ö.  Ein  Verzeichnis  der 
sämtlichen  den  Colonna  durch  Bonifaz  zugefügten  „damna"  findet  sich  Arcli.  nut. 
.T  908  ur.  7. 

-  Vrgl.  die  Urkunde  Reg.  Clem.,  au.  II,   102—105. 

^  „Laetamur  in  te",  datiert  vom  1.  .Juni  1307.  Ravx.\M)  hat  diese  Bulle 
nach  dem  im  Vatikan  befindlichen  Original  grüsstenteils  verötVeutlicht  [XX 111, 
389—391;  1307  nr.  10—11];  schon  daraus,  dass  das  Original  im  päpstlichen 
Archiv  ist,  sieht  man,  dass  die  Bulle  nicht  veröflcntlicht  ward;  in  der  Folge 
ist  denn  auch  von  ihr  nicht  die  Rede,  dagegen  ward  sie  bei  den  Erlassen  vom 
April  1311   nach  Inhalt  und  Form  benutzt. 

'  Rec.  des  bist.  XXI,  448 B. 


140  5.  Kapitel. 

lieh  am  24,  August  zu  einer  regelrechten  kirchlichen  Untersuchung 
gegen  die  Templer  hereit  erklärtet 

Nogaret  wurde  bei  diesen  Verhandlungen  nicht  mehr  verwandt. 
Er  hatte  einen  anderen,  gleichfalls  überaus  wichtigen  Auftrag  er- 
halten, welcher  zeigt,  wie  Philipp,  so  sehr  ihn  auch  die  Templer- 
angelegenheit in  Anspruch  nahm,  doch  auch  sonst  keine  Gelegen- 
heit ausser  acht  liess,  die  königliche  flacht  zu  erhöhen.  Ein  Haupt- 
mittel hierzu  waren  die  Teilungsverträge,  die  der  König  mit  Kirchen 
abschloss-;  diese  erhielten  dadurch  den  königlichen  Schutz,  jeuer 
Anteil  an  den  Einkünften  und  der  Gerichtsbarkeit  des  kirchlichen 
Besitzes,  was  für  die  Ausbreitung  des  königlichen  Einflusses  ein 
sehr  wichtiger  Faktor  war.  Einen  solchen  Teilungsvertrag  schloss 
Philipp  im  Sommer  1307  mit  der  Kirche  von  St.  Yrieix  ab^;  für 
ihn  führte  Wilhelm  von  Nogaret,  für  Dekan  und  Kapitel  der  Kanoni- 
kus Gerhard  von  Sole  die  Unterhandlungen.  Am  4.  August  wurde 
der  Vertrag  in  16  Punkten  aufgezeichnet;  Xogaret  stipulierte  für 
den  König,  Gerhard  für  die  Kirche. 

7. 
Mit  dem  päpstlichen  Erlass  vom  24.  August  hatte  Philipp  in 
der  Templerangelegenheit  noch  nicht  genug  erreicht.  Für  zweierlei 
war  nun  zu  sorgen:  einmal  dafür,  dass  der  Prozess  nicht  hinaus- 
geschoben, sondern  rasch  in  x\ngrift"  genommen  werde,  und  sodann 
dafür,  dass  der  König  und  seine  Organe  bei  der  Untersuclmng  mit- 
beteiligt seien,  damit  unter  keinen  Umständen  ein  zu  mildes  Urteil 
gefällt  werde.  Ein  eigenmächtiges  Vorgehen  gegen  die  Templer 
war  aber  keineswegs  unbedenklich;  denn  wenn  es  dem  König  auch 
hier  wieder  gelungen  war,  eine  Anzahl  Kardinäle  für  seine  Sache  zu 
gewinnen*,  so  zauderte  doch  der  Papst,  dem  zweifellos  das  Urteil 
über  den  Orden  zustand,  noch  immer.  Um  daher  sicherer  zu  gehen, 
musste  Philipp  danach  trachten,  schon  jetzt  seine  Anklagen  zu  be- 
gründen. Zu  diesem  Zweck  griff"  Nogaret  zu  einem  überaus  klugen 
Mittel''*.     Er  sorgte  zum  mindesten  seit  dem  Juni  1307'"'  dafür,  dass 

1  Balüze  II,  73—76;  DuPUY,  Tempi.  188  f.  (ur.  XLII);  Prutz  24 Ü  f. 
(Exkurs  4). 

-  Vrgl.  über  dieselben  Boltafic  9. 

^  DopUY,  Diff.  pr.  615,  618;  Ordonuances  VI,  238—241;  „meuse  Augusti, 
in  die  festi  beati  Domiuici  confessoris".     St. Yrieix  35  km  südlich  von  Limoges. 

'  Johann  von  St. Victor,  Reo.  des  hist.  XXI,  649 B. 

•''  Vrgl.  über  das  folgende:  Johann  von  St. Victor  a.  a.  O.  D — E;  Chron. 
von  St.  AI  bans,  Rer.  Brit.  medii  aevi  scriptores  XXVIIIü,  S.  492. 

"  Es    ist    nicht    nötig,    aus    dem    „diu  ante"  zu    schUessen,    dass   die   von 


Bis  zur  Erueunuug  Xogaret's  zum  Grosssicgclbcwahrcr  (130;]— 1307).      141 

gewesene  Templer,  die  aus  irgend  einem  Grund  aus  dem  Orden  aus- 
getreten oder  ausgeschlossen  und  lülglich  von  vorneiierein  demselben 
meist  ungünstig  gesinnt  waren,  die  Anklagen  wegen  Ketzerei  und 
anderer  Öcbändliclikeiten  erhoben;  und  da  er  sich  dabei  oflcnbar 
geschickt  im  Hintergrund  zu  halten  verstand,  konnte  nun  die  Regie- 
rung in  der  That  sich  den  Anschein  geben,  zu  einem  Vorgehen 
gegen  die  Templer  gerufen  zu  sein.  Ja  um  durchaus  unparteiisch 
zu  erscheinen,  Hess  Xogaret  diese  früheren  Ordensmitglieder  in 
C orbeil  ins  Gefängnis  führen;  ihre  Haft  mag  hier  unter  der  Auf- 
sicht des  Intjuisitors  von  Frankreich  und  Beichtvaters  des  Königs, 
Wilhelm  Imbert,  keine  allzu  schwere  gewesen  sein.  Sie  verlangten 
dringend  ihre  Freilassung,  da  sie  ihre  Anklagen  beweisen  könnten'. 
Damit  man  aber  den  König  in  keiner  AVeise  der  Voreingenommen- 
heit zeihe,  wurde  ihnen  hierin  zunächst  noch  nicht  gewillfahrt'-.  Da- 
gegen glaubte  Philipp  jetzt,  wo  er  sich  auf  die  erhobenen  Anklagen 
berufen  und  sich  zu  ihrer  Untersuchung  verpflichtet  erklären  konnte, 
zu  einem  Gewaltstreich  sich  entschliessen  zu  dürfen;  durch  einen 
solchen  wollte  er  die  Templer  in  seine  Hände  bringen  und  ein 
weiteres  Hinausschieben-  seiner  Pläne  unmöglich  machen. 

Die  entscheidenden  Beschlüsse  fielen  im  September  1307  in  der 
königlichen  Abtei  Maubuisson  bei  Pontoise^.  Der  König  wandte 
sich  an  den  genannten  Wilhelm  Imbert,  einen  Dominikaner,  um 
mit  der  zu  dem  Templerorden  so  mancherseits  in  Gegensatz  stehen- 
den* dominikanischen  In(]uisition  zum  Ziel  zu  kommen;  ihr  Glau- 
benseifer sollte  ihm  zugleich  nach  aussen  als  Beweis  seines  eigenen 
in  diesem  ganzen  Verfahren  dienen.  Es  liegt  eine  blutige  Ironie 
darin,  dass  der  König  und  Xogaret  sich  jetzt  in  einer  der  päpst- 
lichen Kurie    keineswegs    genehmen  Angelegenheit    derselben  Inqui- 

einstigeu  Templern  erhobenen  Anklagen  noch  früher  begannen,  da  Joh.vnn  von 
St.  Victor  nur  der  Verwunderung  Ausdruck  geben  will,  dass  der  Sclilag  vom 
13.  Oktober  so  unerwartet  fiel;  nach  Prütz  139  begann  man  schon  Anfang  Mai. 

'  Eine  total  falsche  Uebersetzung  der  betreffenden  Stelle  Johann's  von 
St. Victor  findet  sich  bei  Schottmüller  I,  242  und  bei  Gmelin  328;  das  oppo- 
uere  bezieht  sich  auf  die  Inhaftierung  und  das  ad  vor  probandum  drückt,  wie 
immer,  den  Zweck  aus.  „Diese  widersetzten  sich  männlich,  um  zu  beweisen,  dass 
jene  (die  Templer)  der  genannten  Verbrechen  sogar  nach  ihrem  gemeinschaft- 
lichen (statutarischen)  Gelübde  schuldig  seien." 

-  Sie  wurden  erst  nach  den  noch  im  Herbst  1307  erfolgenden  ersten  Ge- 
ständuissen  der  Templer  in  Freiheit  gesetzt;    .Tohann  von  St. Victor  a.  a.  0.  E. 

"  Vrgl.  über  das  folgende  besonders  Üoutaric,  in  der  Kev.  des  (|uest.  bist. 
X," 326— 331.  Daneben  Schott.müllkr  I,  125—128;  Prutz  143—145;  (Jmklin 
322—320. 

'  Mit  Recht  hat  hierauf  namentlich  Lka  hingewiesen. 


]42  ö.  Kapitel. 

sition  bedienten,  die  sonst  uls  eine  Vertreterin  rchnisclier  Ansclum- 
ungen  und  Interessen  wenig  nach  ihrem  Geschmack  war.  Vom 
14.  September  ist  ein  Erlass  Phihpp's  an  seine  Beamten  datiert 
(Res  amara),  in  welchem  er  diesen  erklärt,  auf  Anrufen  des  In(|nisi- 
tors  AVilhelm  Inibert  zu  einer  Verhaftung  aller  Templer  und  einer 
vorläufigen  Einziehung  ihrer  Mobilien  und  Immobilien  genötigt  zu 
sein.  Die  Schreiben  wurden  nicht  sofort  abgescliickt,  die  Einzel- 
heiten —  so  wohl  z.  B.  auch  das  für  den  Gewaltstreich  festzusetzende 
Datum  —  mussten  erst  näher  beraten  werden.  Da  scheint  der  König 
auf  unerwarteten  Widerstand  gestossen  zu  sein  bei  seinem  Gross- 
siegelbewahrer Peter  von  Belleperche,  dem  Bischof  von  Auxerre^ 
Man  kann  dies  wenigstens  daraus  schliessen,  dass  am  22.  September 
gelegentlich  der  die  Templer  betreffenden  Verhandlungen  das  könig- 
liche Siegel  Wilheni  von  Xogaret  übergeben  wurde. 

Wir  müssen  hier  einen  Augenblick  pausieren,  um  die  Frage 
nach  der  Kanzlerschaft  Nogaret's  etwas  näher  zu  untersuchen. 
Während  man  früher  zwischen  „Kanzler"  und  „Grosssiegelbewahrer'" 
bei  den  Kanzleichefs  Philipp's  des  Schönen  zu  unterscheiden  suchte, 
was  bei  der  gänzHchen  Gleichgültigkeit,  mit  der  unsere  Quellen 
diese  beiden  Xamen  behandeln,  nur  auf  sehr  gezwungene  Weise  ge- 
schehen konnte,  weiss  man  heute,  dass  mit  Ausnahme  einer  kurzen 
Unterbrechung  unter  Ludwig  VIII.  seit  1185  in  Frankreich  das  dem 
König  oft  gefährlich  gewordene  Kanzleramt  übei'haupt  nicht  mehr 
besetzt  wurde ^.     Der  Grosssiegelbewahrer  heisst  „custos  sigiUi''  und 


'  Nicht  bei  Gilles  Aycelin,  an  deu  Boutaric,  Rev.  X,  326  irrtümlich 
(lenkt,  und  was  ihm  bisher  allgemein  nachgeschrieben  wurde;  auf  die  Thätigkeit 
Aycelin's  als  Grosssiegelbewahrer  (1310)  werden  wir  noch  zurückzukommen 
haben.  Uebrigens  war  Belleperche  vielleicht  auch  krank;  er  starb  bald  (vrgl.  unten). 

-  Vrgl.  u.  a.  Boutaric  166  f.;  Luchaire  522  f.;  Giry:  „Manuel  de  diplo- 
matique" 755,761.  Dass  speziell  Nogaret  nicht  Kanzler  war,  wies  zuerst  Renan 
S.  300  nach.  Nach  dem  früheren  System  (vrgl.  Duchesne  259  f.,  264)  wäre  Xo- 
garet 1307  Grosssiegelbewahrer,  Februar  1310  Kanzler  geworden;  als  im  Prozess 
gegen  Bonifaz  die  Anhänger  dieses  Papstes  dem  König  vorwarfen  (Düpüy,  Diff. 
pr.  487,  oben),  den  Thäter  von  Anagni  zu  seinem  Kanzler  gemacht  zu  haben, 
erwiderte  Nogaret  (Arch.  nat.  J  493  Blatt  289;  vrgl.  Duchesne  261  und  den  Aus- 
zug bei  DüPDV,  Diff.  pr.  518):  „Nee  ad  novos  honores  postca  me  vocavit  [seil, 
rex],  cum  vacet  cancellaria  Francie,  nee  ego  sum  caucellarius,  sed  sigillum  eins 
custodio  prout  ei  placet,  licet  insufficiens  et  indignus,  tarnen  fidelis,  propter 
«juod  michi  commisit  illam  custodiam."  Diese  Erwiderung  stammt  aus  dem 
Herbst  1310  (vrgl.  Kapitel  7  Abschn.  7);  auch  ist  klar,  dass  Philipp's  Gegner  diesem 
nie  vorgeworfen  hätten,  Nogaret  zum  Kauzler  gemacht  zu  haben,  wenn  es  neben 
dem  Amt  des  Grosssiegelbewahrcrs  noch  das  des  Kanzlers  gegeben  hätte,  und 
Nogaret    nm-  jenes,    nicht    aber    dieses  bekleidet  hätte.     Desgleichen  zeigen  die 


Bis  zur  ErDcunung  Nopjaret's  zum  Grosssiegelbewalirer  (1303—1307).      ]43 

ühnlicli,  auch  wohl  ..vicecancellarius",  währeiul  das  Wort  „cancel- 
larius"  nur  missbräuchlich  auf  ilin  angewandt  wird.  Auch  zur  Zeit 
PhiHpp's  des  Schönen  giebt  es  sonach  keine  Kanzler;  doch  schwang 
sich  unter  ihm  das  Amt  des  Grosssiegelbewahrers  zu  erheblicli 
grösserer  Macht  und  einer  bedeutend  eintlussreicheren  Stellung  auf. 
Noch  Xogaret  protestiert  aber  ausdrücklich  gegen  den  Kanzlertitel. 
Unabhängig  hiervon  ist  die  andere  Frage,  wann  Xogaret  die 
Würde  des  Grosssiegelbewahrers  erhielt.  Es  wurde  früher  vielfach 
angenommen-,  dies  sei  bereits  1302,  nach  dem  Tode  Peter  Flotte's 
erfolgt,  eine  Meinung,  Avelche  trotz  der  ausführlichen  Widerlegung, 
die  sie  schon  in  der  „Histoire  de  Languedoc"  erfahren'',  auch  neuer- 
dings noch  verschiedentlich  vertreten  wurde.  Die  Schuld  hieran 
trägt  DupUY,  der  eine  bei  Pasquier^  abgedruckte,  die  Worte  „Guil- 
laume  de  Xaugaret,  qui  porte  le  grand  seel"  enthaltende  Urkunde 
ganz  willkürlich  ins  Jahr  1303  setzte'.  Thatsächlich  folgten  auf 
Peter  Flotte  als  Grosssiegelbewahrer:  Stephan  von  Suizy  1302 
bis  1305*"',  Peter  von  Mornay  1305  bis  zu  seinem  am  29.  Mai 
1306  erfolgten  Tod",  Peter  von  Belleperche,  des  vorigen  Xach- 
folger  auch  als  Bischof  von  Auxerre'^.     Peter  von  Belleperche  starb 


noch  häufig  vorkommenden  Bemerkungen  „vacante  cancellaria"  u.  dgl.  (vrgl. 
DucHESXE  265  f.),  dass  es  wirkliche  Kanzler  überhaupt  nicht  mehr  gab. 

^  LUCHAIRE   .523. 

-  So  Dtjpuy,  Diff.  pr.  615;  Tesserau  9;  Baillet  169;  Drumann  II,  69 
(unter  einer  verfehlten  Polemik  gegen  die  Hist.  de  Lang.,  der  sich  dagegen 
schou  ScH>UDT  I,  672  Anm.  1  angeschlossen  hatte);  Martin  IV,  444;  Jorj.Y  174; 
Gregorovius:  „Gesch.  Roms"  V,  566;  Schottmüller  I,  19  (sich  S.  126  selbst 
widersprechend);  Hefele-Knöpfler  VI,  355. 

■■'  X,  notes  56  f.  (nr.  VII). 

*  Pasquier:  „Les  recherches  de  la  France"  (Paris  1617)  Buch  II,  Kapitel  3 
(S.  64);  mit  Auslassungen  wieder  abgedruckt  in  den  Ordonnauces  I,  547.  —  In 
dieser  Urkunde  ernennt  Philipp  einige  ständige  Mitglieder  des  jährlich  zweimal 
sich  versammelnden  Parlaments,  worunter  auch  Wilhelm  von  Nogaret.  Wenn 
sich  Xogaret  Beilage  XII  §  9  als  „iustitiarius"  des  Königs  bezeichnet,  so  dachte 
er  dabei  wohl  an  seine  Mitgliedschaft  im  Parlament. 

•'  Nach  der  Hist.  de  Lang.  a.  a.  0.  machte  dasselbe  Verseilen  auch  Labbe, 
Eloges  historiques  ou  melanges,  229  (mir  nicht  zugänglich)- 

"  Rec.  des  hist.  XXI,  716  C;  Duchesne  244;  Anselme-du  Fourny  VI,  278; 
Höfler  52.     Stephan  wurde  am  15.  Dezember  1305  Kardinal. 

'  Nicht  seit  1304.  —  Duchesne  252  f.;  Ansklme-du  Fournv  278;  Gallia  cliri- 
stiana  XII,  312  f.;  Lebeuf:  „Hist.  eccl.  et  civ.  d'Auxerre"  (Paris  1743)  1,419—421. 

**  Duchesne  254 f. ;  Ansklme-uu  Fournv  29«;  Gallia  chri.stiana  XII,  313;  Le- 
beuf a.  a.  0.  424 f.  —  Peter  von  B.  starb  nicht,  wie  die  Hist.  de  Lang.  a.  a.  O.  irr- 
tümlich meiut,  am  17.  Jan.  1307,  sondern  nach  unserer  lieutigen  Jahreszähluug 
1308.    Der  Nachfolger  in  Auxerre,  Peter  von  Grez,  war  nicht,  wie  Duchesne 


144  ö.  Kaiiitc'l. 

am  17.  Januar  1308,  -war  aber  schon  seit  dem  September  1307 
nicht  mehr  Siegelbewahrer,  wie  uns  die  folgende  an  der  Spitze  eines 
Kanzlei-Registers  im  Pariser  Archiv  befindliche  Xotiz  zeigt  ^: 

„Anno  domini  millesimo  trecentesimo  septimo,  die  veneris 
post  festum  beati  Matthei  apostoli,  rege  existente  in  monasterio 
regali  beate  Marie  iuxta  Pontisaram,  traditum  fuit  sigillum  do- 
mino  Guillelmo  de  Xongareto  militi,  ubi  tunc  tractatum  fuit 
de  captione  templariorum." 

Sonach  kann  es  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  Xogaret  am 
22.  September  1307  während  der  Beratung  über  die  Templeran- 
gelegenheit zum  Grosssiegelbewahrer  erhoben  ward.  Dies  bedeutete 
einen  Avohl  unerhörten  Schritt:  während  Philipp  der  Schöne  an- 
geblich im  besten  Einvernehmen  mit  der  Kurie  stand,  ernannte  er 
ihren  schlimmsten  Feind  zu  seinem  ersten  Minister,  ihn  den  einzigen 
Franzosen,  dem  auch  die  nachgiebigen  Nachfolger  des  von  ihm  so 
schmählich  behandelten  Bonifaz  nicht  verziehen  hatten,  der  viel- 
mehr seit  der  Bulle  „Flagitiosum  scelus"  mit  Recht  von  allen  Seiten 
als  im  Bann  befindlich  angesehen  wurde.  Und  der  kranke,  unfreie 
Papst  konnte  es  nicht  wagen,  auf  diesen  Schimpf  eine  Antwort  zu 
geben.  Philipp  hatte  ihm  gezeigt,  dass  er  entschlossen  war,  an 
seiner  Politik  unter  allen  Umständen  festzuhalten;  Clemens  wusste 
nun,  wessen  er  sich  von  ihm  zu  versehen  hatte. 

Rasch  und  unerbittlich  ging  man  seit  der  Zeit,  da  Nogaret 
sich  an  leitender  Stelle  befand,  gegen  die  Templer  vor.  Die  Er- 
lasse an  die  Behörden  gingen  jetzt  ab,  zugleich  mit  ihnen  eine  In- 
struktion ^  für  die  untersuchungführenden  königlichen  Kommissare 
und  die  herbeizuziehenden  Beamten  der  Inquisition.  So  wollte  man 
dem  vom  Papst  in  Aussicht   genommenen  Verfahren  zuvorkommen, 


256  f.  und  Anselme-du  Fourny  298  behaupten,  Grosssiegelbewahrer  Frankreichs, 
sondern  nur  für  Navarra,  Champagne  und  Brie;  Cont.  Guill.  Naug.,  ed.  Geraud 
I,  360;  Lebeuf  a.  a.  0.  428  (mit  Note  a);  Rigault  31  f.  Anm.  9, 

1  Arch.  nat.  JJ  44,  Blatt  3;  Labbe  a.  a.  0.;  Düpuy,  Diff.  pr.  615;  Tes- 
seraü  10;  Düchesne  259;  Boutaric  167  Anm.  1  und  Rev.  des  quest.  hist.  X, 
326;  Renan  290  f.;  Hist.  de  Lang.  a.  a.  0.;  Rec.  des  hist.  XXI,  448  Anm.  2; 
Schottmüller  I,  126  Anm.  3;  Peutz  144  Anm.  1.  Das  Datum  wurde  von  Bottaric 
irrtümlich  auf  den  23.  September  gedeutet;  trotz  der  Bemerkung  von  Prütz 
a.  a.  0.  bleibt  Gmelin  323  bei  diesem  falschen  Datum. 

-  DupuY,  Tempi.  201 — 203  (nr.  LH);  Boutaric,  Rev.  des  quest.  hist.  X, 
330  f.  Renan  365  meint,  Xogaret  sei  vielleicht  der  Verfasser  dieser  Listruktion ; 
etwas  gewisses  lässt  sich  hierüber  so  wenig  wie  über  die  andere  dort  aus- 
gesprochene Vennutung  sagen.  Jedenfalls  ist  der  Erlass  „Res  amara"  nicht  von 
Nogaret  (siehe  Beilage  III,  Eiultg.). 


Bis  zur  Ernennung  Nogaret's  zum  Grosssicgelbewaliror  (1303 — 1307).      145 

um  selbst  die  Uutei'suchung  in  die  Hand  nehmen  zu  können.  Um 
diese  Ungesetzmässigkeit  zu  entschuldigen,  spielte  sich  JMiili])]) 
natürlich  wieder  als  den  rechtmässigen  Verteidiger  des  Glaubens  auf; 
aber  mit  gutem  Grund  ist  darauf  hingewiesen  worden ',  dass  bei  der 
von  ihm  gegebenen  Instruktion  eine  Verurteilung  der  Angeschuldigten 
von  vorneherein  sicher  war.  In  aller  Stille  bereitete  man  sich  zu 
dem  auf  den  13.  Oktober  1307  festgesetzten  Gewaltstreich  vor. 


*  BouTARic  a.  a.  0.  -,  Gmelin  326  f. 


R.  Holtzinann,  Nogaret.  10 


146 


6.  Kapitel. 

Nogaret's  Thätig-keit  als  Grosssiegelbewahrer  Frankreichs  bis  zum 

Beginn  des  Prozesses  g^egen  das  Andenken  Bonifaz'  VIII. 

(Oktober  1307  bis  März  1310.) 

Die  Zeit  der  grossen  Prozesse  unter  Philipp  dem  Schönen 
bricht  nun  an.  Einen  Monat  nach  der  Uebergabe  der  Siegel  an 
"Wilhelm  von  Nogaret  sehen  wir  den  Prozess  gegen  die  Templer 
bereits  im  Gang.  Im  Jahre  1308  beginnt  der  Prozess  gegen  den 
Bischof  Guichard  von  Troyes,  in  dem  gleichfalls  Nogaret  eine 
bedeutende  Rolle  spielt,  und  der  nur  verstanden  werden  kann  im 
Zusammenhang  mit  den  anderen  Prozessen  und  der  ganzen  könig- 
lichen Politik  dieser  Jahre.  Gleichzeitig  sehen  wir  Philipp  und 
Nogaret  in  derselben  Weise  wie  bisher  beständig  auf  einen  Prozess 
gegen  das  Andenken  Bonifaz'  VIII.  drängen,  bis  das  Verfahren 
im  Jahre  1310  wirklich  in  Avignon  eingeleitet  wurde.  Diese  in 
wechselseitiger  Beziehung  stehenden  drei  Prozesse  nehmen  auch  für 
die  Lebensgeschichte  Xogaret's  in  diesen  Jahren  durchaus  das  erste 
Interesse  in  Anspruch.  Andere,  weniger  wichtigere  Dinge,  von 
denen  wir  Kunde  haben,  gewähren  uns  immerhin  einen  Einblick  in 
die  bunte  Mannigfaltigkeit  der  Geschäfte  des  stellvertretenden 
Kanzlers-,  so  sei  gleich  hier  darauf  hingewiesen,  dass  er  noch  im 
Jahre  1307  eine  Reorganisation  des  königlichen  Archivs  vornahm'. 
Auf  anderes  werden  wir  gelegentlich  zu  sprechen  kommen,  im  Zu- 


'  Vrgl.  Lierübei-  Boctaric  169;  Renan  302.  —  Hier  sei  auch  erwähnt, 
dass  auf  den  Titelblättern  einiger  Registerbände  (Arch.  nat.  JJ  44,  46  und 
47)  noch  Nogaret's  Namen  zu  lesen  ist.  Zwei  Register  (.TJ  40  und  44)  begin- 
nen mit  dem  Eintrag:  „Registrum  dupplicatum  littcrarum  in  cera  viridi  factum 
tempore  domini  G.  de  Nogareto",  ein  anderes  (.TJ  45)  mit:  „Registrum  duppli- 
catum per  me  P.  Barrcrem  cum  scientia  parte  Nogarcti"  (sie).  Einen  kleinen 
Beitrag  zu  den  Funktionen  Nogaret's  als  Grosssiegelbewahrer  bieten  auch  die 
von  uns  als  Beilage  VII  und  X  abgedruckten  Urkunden. 


Nogaret's  Thätigkeit  als  Grosssiegelbewahrer  1307  bis  ^färz  1310.       147 

sammenhang  mit   seiner  Haupttliätigkeit,    die   er   in    den  genannten 
Prozessen  entfaltete. 

1. 
In  der  Frühe  des  13.  Oktobers  13(>7,  eines  Freitags,  wurden 
alle  Templer  den  ergangenen  Befehlen  gemäss  unter  Aufbietung  l)e- 
waftneter  Macht  gefangen  gesetzt  und  ihr  gesamter  Besitz  in  Be- 
schlag genommen  ^  Diese  That,  deren  Ausführung  schon  Johants' 
VON  St.  Viktor  ausdrückhch  Nogaret  und  einem  Gehülfen  namens 
Reginald  von  Roye-  zuschreibt,  erregte  überall  das  grösste  Auf- 
sehen^; allein  in  Paris  waren  138  Angehörige  des  Ordens,  darunter 
der  Grossmeister  Jakob  von  Molay,  verhaftet  worden*.  Philipp 
traf  sofort  Anstalten  zur  Beruhigung  der  öffentlichen  Meinung. 
Jener  vom  14.  September  datierte  Erlass  wurde,  wie  von  vornherein 
beabsichtigt,  veröffentlicht-,  in  ihm  wird  im  Tone  sittlicher  Entrüstung 
von  den  schändlichen  Verbrechen  der  Templer  geredet,  als  da  sind: 
Verleumdung  Christi  unter  Bespeiung  des  Kreuzes,  unanständige 
Küsse,  die  der  Receptor  dem  neu  Aufzunehmenden  giebt,  und 
schliesslich  widernatürliche  Unzucht  zwischen  den  Ordensbrüdern, 
^weswegen  Gottes  Zorn  die  Söhne  des  Unglaubens  trifft".  Die 
hier  angeführten  drei  Hauptverbrechen  der  Templer  sind  aber  nicht 
alles,  was  man  ihnen  vorwarf.  Am  Tag  nach  der  Gefangennehmung 
versammelte  Nogaret  —  offenbar  geschah  auch  dies  zur  Beruhigung 
der  erregten  Gemüter  —  im  Kapitelsaal  von  Xotre-Dame  die  Ka- 
noniker dieser  Kirche,   sowie  die  Magistren  der  Universität''.     Hier 

1  Gottfried  von  Paris,  Rec.  des  bist.  XXII,  122H-J  (Vers  3417  ft'.  „Je 
ne  sai  ä  tort  ou  ä  droit.");  anon.  S.  Martialis  chron.  ibid.  XXI,  812  C; 
Bern-hardus  Güido.vis,  ibid.  XXI,  716  K — L;  Aegidius  von  Pontoise  („Guillel- 
mus  Scotus")  ibid.  XXI,  205  F;  Cont.  Guill.  Nang.,  ed  Gerald  I,  360;  .Jo- 
hann von  St.  Viktor,  Rec.  des  bist.  XXI,  649  A — B;  drei  anonyme  Chro- 
niken, ibid.  XXI,  137  A,  139  K,  149F;  Toi.  Luc.  cont.  Patav.,  Müratori 
XI,  1228  C;  Chronik  von  Asti,  in  „Miscellanea  di  storia  italiana"  IX  (Turin 
1870),  136.  —  Vrgl.  über  das  folgende  Boutaric  131;  SohottmI  ller  I.  127  ft'.; 
Lea  III,  261;  Prutz  145-147;  Hefele-Knöpfler  VI,  416—418;  Gmeun  322  ft". 

-  Derselbe  erhielt  im  April  1309  vom  Köni<f  seiner  treuen  Dienste  wegen 
für  sich  und  seine  Nachkommen  eine  jährliche  Rente  von  50  Pfund;  Arch.  nat. 
JJ  45  nr.  110  (Blatt  74). 

•■•  Bernhardus  Guidonis  a.  a.  0.  717  A— 15;  .Iohann  von  St.  Viktor  a.  n.  0. 
649  B—C.  Zur  Charakterisierung  des  Aufsehens,  das  dies  Ereignis  erregte,  vrgl. 
z.  B.  die  Annales  Dervenses  (Mon.  (Jorm.  SS.  XVI,  490  ZI.  44),  die  von 
1196 — 1316  nur  17  kurze  Notizen,  darunter  diese,  enthalten;  oder  die  Aunnlen 
von  Colbatz  (ibid.  SS.  XIX,  717  ZI.  5  f.),  wo  dies  die  erste  Nachricht  aus 
Frankreich  seit  1108  ist. 

*  Wenigstens  wurden   138  Tomider  in  Paris  verhört. 

*  .Johann  von  St.  Viktor  a.  a.  0.  649  E — G. 

10* 


148  6-  Kapitel. 

waren  auch  der  Oberricliter  (prevut)  von  Paris  und  einige  andere 
königliche  Beamten  und  lläte  anwesend,  vor  allem  aber  Wilhelm 
von  Nogaret,  „dem  hauptsächlich  diese  Angelegenheit  anvertraut 
war".  Xogaret  berichtete  eingehend  über  das  Geschehene  und  be- 
gründete die  Anklage  auf  fünf  „ungeheuerste"  Punkte,  nämlich  ausser 
den  drei  schon  genannten^  die  Anbetung  eines  Kopfs  und  das  Aus- 
lassen der  Konsekrationsworte  bei  der  Abendmahlsmesse.  Der  fol- 
gende Tag,  der  15.  Oktober,  war  ein  Sonntag.  An  ihm  fiind  eine 
grosse  Versammlung  des  Volks  und  des  Klerus  aller  Parochialkirchen 
von  Paris  in  den  königlichen  Gärten  des  Louvre  statt ^.  Ebenso 
hatte  man  es  ja  im  Juni  1303  vor  dem  Kampf  gegen  Bonifaz  ge- 
halten: wie  damals  so  sollte  auch  jetzt  das  Volk  nicht  nur  beruhigt, 
sondern  zugleich  für  die  Sache  seines  Königs  gewonnen  werden. 
Hier  sprachen  zuerst  einige  Dominikanermönche,  dann  wieder  könig- 
liche Räte.  Ob  Xogaret  selbst  sich  auch  an  das  Volk  wandte, 
wissen  wir  nicht^  doch  ist  jedenfalls  anzunehmen,  dass  er  auf  dieser 
Versammlung  anwesend  war.  Die  Mitglieder  des  Ordens  wurden 
im  Tempel,  jeder  in  seinem  Zimmer,  streng  von  einander  geschieden, 
gefangen  gehalten.  Vom  19.  Oktober  bis  zum  24.  Xovember  1307 
fand  hier  das  erste  grosse  Inquisitionsverhör  durch  Wilhelm  von 
Imbert  statt;  die  meisten  bekannten  auf  der  Folter  die  Anklagen 
oder  doch  einen  Teil  derselben.  Da  auch  Philipp  seine  Residenz 
damals  in  den  Tempel  verlegt  hatte,  wurde  nach  Beendigung  des 
Verhörs  eine  grosse  Anzahl  der  Gefangenen  ausquartiert,  einige  in  den 
Louvre,  andere  an  andere  Orte  „nach  dem  Befehl  des  Königs  und 
dem  Willen  der  königlichen  Minister".  Jakob  von  Molay  wurde 
am  24.  Oktober  verhört  und  gestand  die  Verleugnung  Christi  bei 
seiner  Aufnahme  zu;  in  einer  späteren  Versammlung  vor  der  Pariser 

^  AVobei  es  diesmal  heisst,  die  Templer  hätten  in  ihren  nächtlichen  Ue- 
bungen  den  Gekreuzigten  nicht  nur  bespeit,  sondern  ihn  auch  mit  Füssen  ge- 
treten. 

-  Cont.  Guill.  Xang.  a.  a.  0.  361  (wo  aber  nicht  „aula"  sondern  „horto" 
zu  ergänzen  ist;  vrgl.  S.  336);  Johann  von  St.  Viktor  a.  a.  0.  649  0 — H  („in 
viridario  regis"  heisst  es  hier);  anonyme  Chrouik,  Rcc.  des  hist.  XXI,  137  D. 
Irrtümlicher  Weise  setzte  mau  bisher  vielfach  noch  eiue  weitere  Versammlung 
auf  den  Sonntag,  obgleich  Johann  von  St.  Viktor  nirgends  sagt,  dass  auch  sie 
am  Sonntag  gewesen  sei;  dieser  meint  offenbar  dasselbe,  von  dem  der  Cont. 
Guil.  Nang.  (362j  berichtet,  es  sei  in  der  folgenden  AVoche  geschehen,  nämlich 
das  Creständnis  Molay's  in  der  nun  beginnenden  Untersuchung;  fiel  dieses  auch 
erst  am  24.  Oktober  (Michelet  II,  305),  so  begaun  die  Untersuchung  selbst 
doch  schon  in  der  auf  den  15.  Oktober  folgenden  Woche.  Auch  die  weiter© 
Angabe  Johann's  von  St.  Viktor,  Molay  habe  dann  noch  vor  der  Universität 
überhaupt  alles  zugegeben,  bezieht  sich  auf  ein  späteres  Ereignis. 


Nogaret's  Thätigkeit  als  Grosssiegelbewalii-er  1307  bis  INIiirz   l.'UO.       149 

Universität  legte  der  geängstigte  CTrossnieister  mit  anderen  Ordens- 
genossen ein  noch  umfangreicheres  Geständnis  ab'.  Er  wurde  nach- 
her mit  drei  Grossen  des  Ordens  nach  Corbeil  gebraclit,  während 
andere  Ordensbrüder  nach  Moret-sur-Loing  und  an  andere  Orte 
kamen  -. 

Clemens  V.  war  über  das  eigenmächtige,  die  päpstlichen  Rechte 
missachtende  Vorgehen  Philipp's  äusserst  ungehalten.  In  einem 
Schreiben  vom  27.  Oktober  1307  tadelte  er  den  König  heftig,  dass 
er  seine  Hand  auf  die  Personen  und  Güter  der  Templer  gelegt 
habe,  die  doch  nur  dem  Papst  und  der  römischen  Kirche  „absque 
medio"  untergeordnet  wären.  Eine  Untersuchung  der  Angelegen- 
heit wäll  auch  Clemens,  nur  protestiert  er  dagegen,  dass  der  König 
dieselbe  an  sich  gerissen  habe.  In  diesem  Sinn  sind  all  seine  Er- 
lasse aus  den  letzten  Monaten  des  Jahres  1307  zu  verstehen,  aus 
diesem  Grund  suspendierte  er  vorläufig  auch  —  wir  wissen  nicht 
genau  wann  —  die  Vollmacht  der  Inquisitoren^. 

Philipp  hess  sich  dadurch  in  keiner  Weise  abhalten,  die  Ver- 
höre, die  nun  in  der  Provinz  gegen  die  Templer  stattfanden,  ruhig 
fortzusetzend  Um  den  Papst  gefügiger  zu  machen,  entschloss  er 
sich  mit  iS^ogaret  in  den  Wintermonaten  1308  zu  dreierlei.  Das 
«rste  war,  wie  einst  1302  im  Kampf  gegen  Bonifaz,  die  Berufung 
der  Reichsstände,  das  zweite  die  Einleitung  eines  Prozesses 
gegen  Guichard,  den  Bischof  von  Troyes,  und  das  dritte  ein 
neues  Hervorholen  der  Anklagen  gegen  Bonifaz  VIII. 

Guichard,  der  Bischof  von  Troyes,  der  schon  in  den  Jahren 
1300 — 1304  Gegenstand  von  allerhand  Angritfen  gewesen  war,  hatte 
seit  dem  Tod  seines  Hauptgegners  Johann  von  Calais  (-{-  20.  Mai 
1304)  in  seiner  Bischofsstadt  in  Ruhe  gelebt '\  Er  war  politisch 
wenig  hervorgetreten,  hatte  z.  B.  das  Konzil  zu  Rom  im  November 


'  Vrgl.  die  vorige  Anm. 

-  Vrgl.  über  das  Verhör  und  die  weitere  Behandlung  der  gefangenen 
Templer:  Cont.  Guill.  Naiig.  a.  a.  0.  362-,  Johann  von  St.  Viktor  a.  a.  0. 
649 K— 650 B;  Dupoy,  Tempi.  207—212  (nr.  LV);  Michklet  II,  275—420; 
Schottmüller  I,  139 — 145  (dass  Nogaret  dem  Verhör  verschiedentlich  beige- 
wohnt habe,  kann  aber  nicht  erwiesen  werden);  Lea  III,  2()2  ff.;  Prutz  147 — 153; 
Gmell\  329—336. 

^  Vrgl.  hierüber  Bernhardüs  Gun)0Nis  a.  a.  U.  717  B—C;  Johann  vo.v  St. 
Viktor  a.  a.  0.  650  B—C;  Boütaric,  Revue  des  quest.  bist.  X,  332—335;  Schott- 
müller I,  145—159;  Lea  277—279;  Pultz  153—159;  ümelin  351—354. 

*  DUPUY,  Tempi.  212—217  (ur.  LVlj;  Hist.  de  Imu^.  IX,  3()Uf.;  'iMELIN 
336—351. 

'"   RlGAL-LT   21  ff. 


150  Ö.  Kapitel. 

1302  SO  wenig  besucht  wie  die  Pariser  Versammlung  vom  Juni  1303. 
.TeilentuUs  gehörte  er  nicht  zu  den  Phihpp  genehmen  Geistlichen: 
im  Jahr  1300  war  er  auf  Betreiben  der  Königin  und  ihrer  Mutter 
aus  dem  königlichen  Rat  entfernt  worden  ^  Als  freilich  am  2.  April 
130.5  Johanna  von  Xavarra,  die  schöne  Gemahlin  Philipp's,  ihrer 
schon  1302  verstorbenen  Mutter  in  jugendlichem  Alter  ins  Grab 
gefolgt  war,  konnte  der  Bischof  hoffen ,  dass  die  vielen  Wider- 
wärtigkeiten, die  ihn  bisher  getroffen,  nun  ein  Ende  hätten.  Am 
3.  Juni  13ü7  erlangte  er  von  Clemens  V.  ein  seine  Sache  recht- 
fertigendes Schreiben-,  auf  Grund  dessen  er  glauben  mochte,  auch 
bei  Hof  wieder  in  Gnaden  aufgenommen  zu  werden.  Aber  hierin 
sollte  er  sich  bitter  getäuscht  haben.  Etwa  im  Februar  1308  er- 
schien in  Sens  ein  Eremit,  Rein  hold  von  Langres,  und  beichtete 
hier  einem  Priester,  Guichard  habe  die  Königin  durch  Zauberei  ums 
Leben  gebracht  und  den  Bruder  und  die  Söhne  Philipp's  vergiften 
wollen '^  Die  Anklage  Hess  an  Albernheit  nichts  zu  wünschen  übrig: 
behauptete  doch  der  Eremit,  selbst  gesehen  zu  haben,  wie  in  seiner 
Einsiedelei  der  Bischof  mit  Hülfe  einer  Zauberin  und  einer  Hebamme 
eine  Wachsfigur  hergestellt  und  sie  Johanna  getauft  habe,  wie  die 
Zauberin  derselben  dann  öfters  in  den  Kopf  gestochen,  Guichard 
sie  schliesslich  zerbrochen  und  ins  Feuer  geworfen  habe ;  um  dieselbe 
Zeit  aber  sei  die  Königin  Johanna  gestorben*.  Dass  Reinhold  zu 
seinem  Vorgehen  von  oben  zum  mindesten  ermuntert  w^ar,  kann  nicht 
bestritten  werden:  obgleich  der  Offizial  von  Sens  der  von  Guichard 
verlangten  Auslieferung  des  flüchtigen  Eremiten  keine  Folge  leistete^, 
übergab  dieser  die  Sache  dennoch  nicht  der  geistlichen,  sondern 
sofort  der  weltlichen  Gerichtsbarkeit '^.  Der  König  nahm  sich  der 
Anklage  an  und  beauftragte  seinen  Bailh  in  Sens,  Wilhelm  von 
Hangest,  mit  der  Untersuchung'. 

Das  Vorgehen  gegen  einen  Bischof,  dessen  sich  noch  dazu  der 
Papst  eben  angenommen  hatte,  mochte  diesen  warnen.  Die  An- 
gelegenheit Bonifaz'  VIII.  gedachte  Philipp  in  einer  neuen  Zu- 
sammenkunft   mit    Clemens    wieder    zur    Sprache    zu    bringen.     Zu 

'  RiGAULT  24. 

-  Ibid.  52,  268  f.  (ar.  XI);  Assier:  „Pieces  rares  ou  iuedites  relatives  ä 
riiist.  de  la  Champagne  et  de  la  Brie",  VI  (Paris  1897),  53  f.  (nr.  10). 

"  RiGAULT  55. 

'  Ibid.  72  ff.  Derartiges  war  überdies  iu  der  damaligen  Zeit  kein  Unikum ; 
iilmlich  war  die  Anklage,  auf  Grund  deren  Euguerraud  von  Marigny  nach  Phi- 
lipp's Tod  verurteilt  wurde;  Clement:  „Eng.  de  Mar."  (1859),  103. 

**  RiGAULT  55  f.  ö  Ibid.  56. 

'  Ibid. 


Nogaret's  Thätigkeit  als  Grosssiegelbewahrer  1307  Ins  März  l.'ÜO.       ]51 

gleicher  Zeit  wurde  die  öffentliche  Meinung  von  dem  unerraüdHchen 
Dubois  in  mehreren  Flugscliriften  bearbeitet';  dies  war  von  um  so 
grösserer  Wichtigkeit  als  eben  jetzt  die  Generalstände  zusammen- 
treten sollten. 

2. 

Die  etats  generaux  wurden  durch  ein  Schreiben  vom  25.  März 
1308  auf  den  5.  Mai  dieses  Jahres  nach  Tours  geladen.  Der  be- 
treffende Erlass  des  Königs  ist  von  Nogaret  angefertigt  und  Liutet 
in  der  an  den  dritten  Stand  gerichteten  Fassung': 

„Philipp  von  Gottes  Gnaden  König  von  Frankreich  allen  unseren 
geliebten  und  getreuen  Mairs,  Consuln,  Schöffen,  Gemeindemitghe- 
dern^  und  Gemeinden  der  namhaften  Orte  unseres  Reichs,  an  die 
dies  Schreiben  gelangt,  Gruss  und  Huld. 

Immer  waren  unsere  Vorfahren,  um  Ketzereien  und  andere 
Irrlehren  von  der  Kirche  Gottes  und  insbesondere  vom  Königreich 
Frankreich  abzuwehren,  mehr  als  die  anderen  Fürsten  ihrer  Zeit 
darum  bekümmert,  die  köstliche  Perle  des  katholischen  Glaubens  als 
einen  unvergleichlichen  Schatz  vor  Dieben  und  Mördern^  zu  ver- 
teidigen. Indem  wir  uns  also  an  den  Felsen  halten,  von  dem  wir 
nur  Stücke  sind,  und  den  Spuren  unserer  Vorfahren  folgen,  erkennen 
wir  dafür,  dass  uns  der  Herr  den  Frieden  gegeben  hat  von  den 
weltlichen  Kriegen,  mit  denen  er  uns  alle  heimsuchte,  als  Grund  die 
Mahnung,  dass  wir  jetzt  unsere  ganze  Kraft  in  dem  Krieg  einsetzen, 
der    gegen    den    kathohschen    Glauben    erhoben    wurde,    nicht   von 


1  Rexän  in  der  Hist.  litteraire  XXVI,  482  ff.,  524  ff.;  Schottmüller  I, 
163—173. 

-  Gedruckt  in  den  „Xotices  et  extraits"  XX  2,  163—165  [danach  Bruch- 
stücke bei  Assier  a.  a.  0.  50 — 52]  und  nach  der  sclilechten  Ueberlieferung  in 
der  Chronik  von  St.  Albans  (vrgl.  Exkurs  III)  durch  Riley,  Rer.  Brit.  medii 
aevi  scriptores  28  nr.  2,  S.  497 — 499.  —  Die  Autorschaft  Nogaret's  kann  nicht 
bestritten  werden.  Nicht  nur  dass  wir  in  diesem  Erlass  wieder  die  von  ihm 
so  geliebten  Bibelzitate  (vrgl.  auch  Exkurs  III)  finden,  sondern  vor  allem  zeigt 
sich  eine  entschiedene  Gleichmässigkeit  des  Aulbaus  mit  dem  der  Nogaret'scheu 
Rede  vom  12.  März  1303.  Beide  Male  erfolgt  nach  einer  längeren  Eiideitung 
die  Aufzählung  der  Anklagepunkte;  am  auffallendsten  aber  ist  die  Aehnlichkeit 
des  Schlusses,  in  dem  die  Staatsgewalt  angerufen  wird.  Man  vergleiche  fnlgende 
beiden  Sätze  : 


Rede  vom  12.  März  1303. 
Ideo  contra  eum  arma  et  leges 
debent    insurgerc    atfjue    omnia 
elementa. 

^  „lurati",  vrgl.   Lochaire  410. 

'  AVieder  nach  Job.   10  8. 


Erlass  vom  25.  :\I;irz  1308. 
Contra  tarn  sceleratam  pestem  de- 
bent   insurgere    leges     et    arma, 
pccudes  et  omnia  quatuor  elementa. 


152  6-  Kapitel. 

oftenen  ^  sondern  vielmehr  von  heiniliclien  Feinden,  die  um  so  gefähr- 
licher sind,  je  näher  sie  sich  bei  uns  befinden  und  je  versteckter  sie 
ihr  schädliches  AVerk  treiben. 

Thr  wisst,  dass  es  der  katholische  Glauben  ist,  durch  den  wir 
das,  was  wir  sind,  in  Christo  sind;  durch  ilin  leben  wir  und  durch 
ihn  sind  wir  auf  die  Erde  verbannten  und  sterblichen  Leute  vornehm 
geworden  im  Herrn  Jesus  Christus,  dass  wir  Gottes,  des  lebendigen, 
ewigen  Vaters  wahre  Söhne  seien,  wie  Christus,  und  Erben  des 
himmlischen  Reichs-.  Diese  herrhchste  Hoffnung  beseelt  uns,  hierin 
ruht  also  unser  ganzes  "Wesen.  Wenn  daher  einer  diese  Bande  zu 
zerreissen  trachtet,  so  versucht  er  uns  Katholische  zu  töten.  Christus 
ist  für  uns  der  Weg,  das  Leben  und  die  Wahrheit^;  wer  kann  also, 
ohne  uns  verderben  zu  wollen,  ihn  verleugnen,  durch  den  und  in  dem 
wir  bestehen?  Möge  jeder  daran  denken,  dass  Christus  uns  so  sehr 
liebte,  dass  er  nicht  zurückschreckte,  für  uns  fleischliche  Gestalt  an- 
zunehmen und  im  Fleisch^  den  grausamsten  Tod  zu  erdulden.  Lasst 
uns  daher  einen  solchen  Herrn  und  Erretter  lieben,  der  uns  also 
geliebt  hat;  sind  wir  doch  nur  wie  ein  Körper  und  werden  zugleich 
mit  ihm  herrschen.  Die  ihm  zugefügte  Schmach  lasst  uns  also  zu 
rächen  trachten!  O  Schmerz!  Der  Templer  abscheuliche,  so 
bittere  und  so  bejammernswerte  Verirrung  ist  Euch  nicht  unbekannt. 
Nicht  nur  dass  sie  Jesum  Christum  in  ihrem  Bekenntnis  verleugneten, 
sie  zwangen  auch  die  in  ihrem  unheihgen  Orden  Eintretenden  zur  Ver- 
leugnung; ebenso  verleugneten  sie  seine  Werke,  die  doch  zu  unserem 
Leben  nötige  Heilsthaten  sind,  und  alles,  w'as  Gott  geschaffen  hat; 
über  sein  Kreuz,  womit  wir  erkauft  sind^%  sjnickten  sie  und  traten 
es  mit  Füssen;  dem  Geschöpf  Gottes  zur  Verachtung  berührten  sie 
obscöne  Stellen  mit  Küssen;  an  Gottes  statt  beten  sie  Idole  an; 
ja  sie  behaupteten  gar,  in  ihrer  so  verworfenen  Gewohnheit  sei 
ihnen  wider  die  Natur  erlaubt,  was  selbst  die  unvernünftigen  Tiere 
nicht  thun. 

Himmel  und  Erde  erbeben  beim  Hauch  eines  solchen  Ver- 
brechens und  die  Elemente  geraten  in  Verwirrung.  Die  genannten 
Ungeheuerlichkeiten  wurden  in  den  einzelnen  Teilen  unseres  König- 
reichs erwiesenermassen  begangen  und  liegen  auch  nach  dem  abge- 
legten Bekenntnis  der  Höheren  dieses  Ordens,  wenn  man  ihn  so 
nennen  darf,  klar  zu  Tage.  Und  so  ist  es  bei  der  so  hohen  Zahl 
derer,  welche  die  gleichen  Verbrechen  begangen  haben,  nicht  wahr- 

*  Wie  es  bislicr,  bei  den  weltlichen  Kriegen  war. 

-  Jak.  2  5.  3  Job.  14  c. 

*  Vrgl.  1.  .Job.  4  2.  "  Vrgl.  Offenb.  So. 


Xogaret's  Thätigkcit  als  Grosssiegelbowalirer  13U7  bis  ^liirz  1310.       153 

scheinlicl],  dass  dieselben  nur  in  unserem  Reich  vorkamen;  vielmehr 
wird  erwiesen,  dass  sie  auch  jenseits  des  Meeres'  begangen  sind, 
und  gleicherweise  überhaupt  überall,  wo  jene  sich  tinden.  Gegen 
eine  so  scheussliche  Pest  müssen  Gesetze  und  AV'aiVen,  alles,  was 
lebt,  und  alle  vier  Elemente  sich  erheben.  Wir  haben  uns  daher 
vorgenommen,  um  für  die  Ausrottung  solcher  Verbrechen  und  so 
schwerer  Irrlehren,  für  die  Sicherheit  des  Glaubens  und  die  Ehre 
der  heiligen  Mutter  Kirche  zu  sorgen,  uns  nächster  Zeit  in  Person 
zum  apostolischen  Stuhl  zu  begeben,  und  wir  wünschen,  dass  auch 
Ihr  Euch  au  diesem  heihgen  Werke  beteiligt,  die  Ihr  den  christ- 
lichen Glauben  teilt  und  zu  seinen  treusten  Eiferern  gehört.  Des- 
halb fordern  wir  Euch  auf,  von  jeder  der  genannten  namhaften 
Städte  auf  den  dritten  Sonntag  nach  Ostern'-  zwei  glaubensstarke 
Vertreter  nach  Tours  bereitwillig  zu  schicken,  damit  dieselben  im 
Namen  Eurer  Gemeinden  mit  uns  in  der  genannten  Frage  raten 
und  helfen  zu  dem,  was  in  dieser  Angelegenheit  erforderlich  ist. 

Erlassen  zu  Melun  am  25.  März  im  Jahre  des  Herrn  1307" 
lalter  Stil,  =  1308  n.  St.]. 

In  Melun  erledigte  Nogaret  in  dieser  Zeit  auch  eine  Angelegen- 
heit, die  aus  vorausgegangenen  Verhandlungen  mit  Flandern 
erwachsen  war.  König  Philipp  hatte  im  Juni  1305  in  Athis-sur- 
Orge  unter  günstigen  Bedingungen  mit  Flandern  einen  Frieden  ge- 
schlossen^, in  welchem  ihm  unter  anderem  eine  jährliche  Abgabe 
von  20000  Pfund  zugesagt  war,  die  jedoch  in  eine  entsprechende 
Landabtretung  umgewandelt  werden  sollte.  Letzteres  aber  wurde 
in  Flandern  schwer  empfunden,  und  der  König  liess  sich  im  Januar 
1308  bei  seiner  Anwesenheit  in  Boulogne-sur-Mer,  wo  Nogaret  und 
andere  Häte  mit  den  Vertretern  der  flandrischen  Städte  verhandel- 
ten*, dazu  herbei,  für  die  Hälfte  der  genannten  Summe  ein  ein- 
maliges Pauschquantum  in  der  Höhe  von  200  000  Pfund  voller 
Währung  oder  von  600  000  Pfund  geringerer  Währung  annehmen 
zu  wollend  Die  Flandrer  erklärten  sich  hiermit  einverstanden, 
worauf  Nogaret  diesem  Uebereinkommen  gemäss  abschliessen  sollte. 


^  In  England  waren  im  Januar  1308  die  Templer  gleichfalls  inhaftiert 
worden. 

-  D.  h.  auf  den  5.  Mai. 

^  Fukck-Brkntano:  „Philippe  le  Bei  eu  Flandre"  (Paris  1897)  4it9. 

*  Limburg-Stircm:  „Codex  diplomaticus  Flandriae  uu  Kccucil  do  docu- 
ments"  II,  11;  Fünck-Brentano  a.  a.  0.  51H. 

"'  Der  ZinsfusB  betrug  demnach  5"/o',  dasselbe  ergiebt  sich  aus  der  l'rkunde 
bei  Men-ard  I,  pr.  164,  col.  1  ZI.  29—31. 


154  6.  Kaiiitel. 

Aber  in  der  Urkunde,  die  er  darüber  ausstellte,  war  zum  grössten 
Erstaunen  der  Flandrer  von  6UU  UOO  Pfund  voller  Währung  die  Rede, 
also  einer  dreimal  höheren  Summe  als  in  Boulogne  ausgemacht  war. 
Die  Erregung,  die  dies  hervorrief,  wurde  beruhigt  durch  ein  Schreiben 
Nogaret's  an  die  flandrischen  Städte'  und  ein  Schreiben  des  Königs 
an  Robert  von  Bethune,  den  Grafen  von  Flandern-.  Beide  Ur- 
kunden sind  von  Xogaret  verfasst  und  am  28,  März  1308  in  Melun 
ausgestellt,  Dass  Nogaret  absichtlich  einen  plumpen  Versuch  ge- 
macht habe,  die  Flandrer  zu  übertölpeln,  wird  man  nicht  annehmen, 
und  die  Entschuldigung,  welche  er  den  flandrischen  Städten  zu- 
konnnen  liess  —  es  handle  sich  um  einen  bedauerlichen  Irrtum  eines 
Schreibers  — ,  erscheint  durchaus  glaublich. 

Die  drei  Stände  Frankreichs  versammelten  sich  dem  oben 
wiedergegebenen  Edikt  gemäss  Anfang  Mai  1308  in  Tours^.  Der 
König  war  daselbst  mit  seinen  drei  Söhnen  anwesend  und  sorgte 
für  die  Entfaltung  grosser  Pracht.  Besonders  stark  war  diesmal 
der  dritte  Stand  vertreten,  während  namentlich  viele  Mitglieder  des 
ersten  Stands  sich  nur  durch  Bevollmächtigte  beteiligten.  Doch 
wagte  auch  er,  der  bisher  zu  dem  Templerorden  in  manchen  Be- 
ziehungen gestanden  hatte,  gegen  den  Willen  des  Königs  keine 
Opposition,  Wir  sehen  dies  daraus,  dass  allein  sieben  einflussreiche 
Mitglieder  des  Adels  sich  durch  Wilhelm  von  Nogaret  vertreten 
Hessen *,  Es  Avaren  dies  Aymar  IV.  von  Poitiers,  Graf  von 
Valentinois",  Amalrich,  Vizegraf  von  Xarbonne,  und  fünf  Seig- 
neurs,  nämlich:  Odilon  von  Guarin,  der  Herr  von  Corneillan; 
Guarin  von  Chateauneuf,  der  Herr  von  Apchier;  Bert- 
mund, der  Herr  von  Uzes  und  Aramon;  Bernhard  Pelet,  der 
Herr   von   Alais    und   Calmont;    Bernhard   Jourdain,    der  Herr 


*  Limburg-Stirum  a.  a.  0.  11  f.  (nr.  196). 

-  Ibid.  13  f.  (nr.  197).  Vrgl.  über  die  ganze  Angelegenheit  Fünck-Bren- 
TANO  a.  a.  0.  536  f. 

•''  Yrgl.  über  diese  Sitzung  der  etats  generaux:  Johann  vox  St.  Viktor, 
Rec.  des  bist.  XXI,  650  K;  Boütaric  32 — 38  und  iu  der  Revue  des  quest.  bist. 
XI,  5 — 7;  PicoT,  Hist.  des  et.  gen.  I-,  24 f.;  Schottmüllkr  I,  173 — 175;  Prutz 
168;  Gmelin  355  f. 

'  DuPUY:  „Traittez  concernaut  l'bist.  de  France"  (Paris  1654)  97 f.  und 
Tempi.  234 f.;  Hist.  de  Laug.  IX,  301;  Renan  294.  Die  Angabe  in  Dupuy's 
.,Teiiipliers",  wo  auch  Nogaret  unter  den  Vollmacbtge  b  er  n  genannt  wird,  ist 
natürlich  nach  dem  „Traittez"  zu  verbessern,  wonach  au  der  betr.  Stelle  nur 
noch  einmal  speziell  von  der  Vollmacht  die  Rede  ist,  welche  Aymar  für  Nogaret 
ausstellte. 

'  Vrgl.  auch  Drpuv,  Diff.  pr.  616. 


Nogaret's  Tliätigkcit  als  Grosssiegelbewahrer  1307  bis  März  IIHO.       155 

von  risle'.  Es  sind  also  lauter  Grosse  aus  Südfninkreicli,  und 
zwar  aus  der  Gegend,  wo  auch  Nogaret  seine  Seigiieurie  er- 
balten hat,  die  sich  durch  ihn  vertreten  lassen.  Interessanter  noch 
ist,  dass  Nogaret  dort  auch  ein  Mitglied  des  zweiten  Stands  zu  ver- 
treten hatte,  Ludwig  von  Poitiers,  den  Bischof  von  Viviers''^. 
Dieser,  ein  Bruder  des  genannten  Ayniar  von  Poitiers,  war  ein 
genusssüchtiger  und  heftiger  Mensch,  dem  die  Klinge  lieber  war  als 
sein  Brevier^;  es  ist  daher  nicht  zu  verwundern,  dass  er  sich  auf 
die  Seite  der  Gewalt  stellte  und  in  der  Nogaret  erteilten  Vollmacht 
diesen  als  einen  verehrungswürdigen  und  mächtigen  Mann  und  seinen 
teuersten  Freund  bezeichnete. 

Ueber  die  Verhandlungen,  die  zu  Tours  gepflogen  wurden,  sind 
wir  schlecht  unterrichtet.  Xogaret  wird  daselbst  eine  ähnliche  Bolle 
gespielt  haben  wie  einst  Peter  Flotte  auf  den  Generalständen  des 
Jahrs  1302.  Er  erreichte,  dass  die  Versammlung  fast  einstinnuig 
das  Verhalten  des  Königs  billigte  und  die  Templer  für  überführt 
und  des  Todes  schuldig  erklärte  ^  die  Vertreter  des  ersten  und  dritten 
Stands  fügten  hinzu,  dass  sie  bereit  seien,  mit  ihrem  Leben  für  die 
Schuld  zu  bürgen^. 

3. 

Nun  begann  der  König  mit  dem  eingeschüchterten  Papst  neue 
Verhandlungen.  Er  musste  dies  um  so  eher,  als  er  Clemens  neuer- 
dings noch  zu  einer  anderen  Angelegenheit  brauchen  wollte:  am 
1.  Mai  1308  war  der  deutsche  König  Albrecht  I.  ermordet  worden, 
und  Philipp  hoifte  jetzt  einen  alten  Plan  verwirklichen  und  mit  Hilfe 
des  Papstes  seinem  Bruder  Karl  von  Valois  das  deutsche  König- 
tum und  die  römische  Kaiserkrone  verschaffen  zu  können.  Als 
Philipp  die  Kunde  vom  Tod  Albrecht's  erhielt,  begab  er  sich  sofort 
von  Tours  nach  Poitiers,  wo  Clemens  weilte;  am  26.  ^Lii,  dem 
Sonntag  nach  Himmelfahrt,    traf  er   hier    ein^     Seine  Brüder   und 


*  Der  uns  bekannte  Seneschall  von  Beaucaire. 

-  DOPUY,  Diff.  pr.  616  und  „Traittez"'  98;  Hi&t.  de  Lang,  und  Rk.sxs 
aa.  aa.  00. 

»  Hist.  de  Lanjr.  IX,  289  f. 

*  Hierauf  berief  sich  Plasian  zu  Poitiers;  vrgl.  unten  und  in  der  Chronik 
von  St.  Albans  (Rer.  Brit.  niedii  aevi  scriptorcs  28,  nr.  2,  S.  495). 

•'  Dieses  Datum  nennt  mit  Bestimmtheit  ein  englischer  Bericht  (Revue 
des  societes  savantes  des  departements,  quatrieme  serie,  tome  VI,  416;  auf  die 
sinnlose  Angabe  „VIII.  kal.  jul.",  die  auch  auf  der  folgeudeu  Seite  nochmals 
wiederkehrt,  ist  natürlich  nichts  zu  geben),  und  da  auch  der  Fortsetzer  des 
ToLOMEO  VON  Ldcca  (Ml'ratori  XI,  1229  A— B)  sagt,  es  sei  um  THugsten 
(2.  Juni)  gewesen,  dass  der  König  zum  Papst  nach  Poitiers  kam,  dürfte  in  einem 


156  6.  Kapitel. 

Söhne,  seine  ^Nfinistor  und  Räte  —  darunter  vor  allem  "Wilhelm  von 
Nogaret  und  W'iliielni  von  JMasian  —  sowie  zahlreiche  Mitglieder 
der  Generalstände  begleiteten  ihn  ^  Clemens  räumte  auf  den  29.  Mai- 
ein feierliches  Konsistorium  an,  um  des  Königs  Wünsche  zu  hören 
und  über  sie  zu  verlinndeln.  Im  königlichen  Rat  beschloss  man 
vorsichtig  vorzugehen.  Nur  die  Templerfrage  sollte  vorerst  vor- 
gebracht werden  ^,  und  nicht  der  gebannte  Nogaret,  dessen  Absolution 
Philipp  gleichfalls  zu  erreichen  hoffte,  sondern  Plasian  wurde  dazu  aus- 
ersehen, die  königliche  Sache  im  Konsistorium  zu  vertreten;  hingegen 
ward  bei  der  Wichtigkeit  der  ganzen  Angelegenheit  doch  Nogaret, 
der  stellvertretende  Kanzler,  damit  beauftragt,  eine  grosse  Rede  über 
die  Rechtmässigkeit  und  Notwendigkeit  des  Vorgehens  gegen  die 
Templer  auszuarbeiten,  die  dann  Plasian  dem  Papst  im  Konsistorium 
vortragen  sollte. 

Am  29.  Mai  1308,  dem  Mittwoch  vor  Pfingsten,  fand  die  an- 
beraumte Sitzung  im  königlichen  Palais  zu  Poitiers  statt.  Der 
König  und  der  Papst,  viele  Kardinäle  und  Mitglieder  der  französi- 
schen Geistlichkeit,  zahlreiche  Räte  und  Grossen  des  Reichs  nahmen 
an  ihr  teil.  Zuerst  erhob  sich  Wilhelm  von  Plasian  zu  einer 
längeren  Rede,  deren  von  Nogaret  angefertigtes  Konzept  er  in  der 
Hand  hielt. 

„Christus  siegt",  so  begann  er,  „Christus  herrscht,  Christus  ge- 
bietet. So  geschah  es  mit  Christus,  der  zuerst  seine  Feinde  besiegte: 
nachdem  sie  besiegt  waren,  herrschte  er  in  Herrlichkeit  *  und  gebietet 
noch  in  Herrlichkeit.  Und  so  trug  denn  auch  der  König  von  Frank- 
reich einen  Sieg  über  die  Feinde  Christi  davon.  Dieser  Sieg  ist  der  Be- 
wunderung und  des  Preises  in  dreierlei  Hinsicht  wert;  nämlich  einmal 
wegen  des  Beginns,  der  schrecklich  und  unglaubbar  war,  sodann 
wegen  des  Fortgangs,  der  erfreulich  und  unvergleichlich  war,  schliess- 
lich wegen  des  Ausgangs,  der  klar  und  unbezeifelbar  w^ar ".    Um  mit 


angeblich  bereits  am  20.  Mai  in  Poitiers  geschriebeneu  Brief  Philipp's  (Forsch- 
ungen zur  deutscheu  Gesch.  XVI,  362)  das  Datum  entstellt  sein,  was  sehr  wohl  sein 
kann,  wenn  derselbe,  wie  es  nach  den  vorangeschickten  Adressen  scheint,  einer  Art 
Formularbuch  entnommen  ist;  vielleicht  ist  auch  die  Datierung  nicht  einheitlich. 

*  Cent.  Guill.  Nang.,  ed.  Geraud  I,  365;  Johann  von  St.  Viktor,  Rec. 
des  hist.  XXI,  6.51  B.  Im  übrigen  vrgl.  über  die  Verhandlungen  zu  Poitiers 
den  Exkurs  III. 

-  Dieses  Datum  melden  übereinstimmend  die  Chronik  von  St.  Albans 
a.  a.  O.  492  und  der  engl.  Bericht  in  der  Rev.  des  soc.  sav.  a.  a.  0. 

^  Ueber  die  Kaiserwahl  seines  Bruders  verhandelte  Philipp  nur  im  Geheimen. 

•'  „Regnavit  in  gloria"  ist  natürlich  zu  lesen.     (Vrgl.  S.  159  Anm.  6.) 

■'■  D.  h.  zuerst   konnte  man  das  Vorgehen   gegen  die  Templer   schrecklich, 


Xogarct's  Thtitiykeit  als  Grosssicgclbewalirer  1307  bis  März  131U.       157 

tlem  ersten  Punkt  anzufangen,  dass  nämlich  der  Beginn  schreck- 
lich und  unglaubhar  war,  so  hatte  das  drei  Gründe.  Einmal  die 
elende  Stellung  derer,  die  zuerst  die  Sache  der  Templer  verliessen, 
da  der  Orden  ja  einerseits  durch  Konvertiten  und  andere  ausgetretene 
^Mitglieder  angeklagt  wurde,  indem  der  AV^olt  immer  am  besten  von 
denen  gefangen  wird,  die  selbst  ein  Wolfsfell  tragen,  und  anderer- 
seits durch  Ordensbrüder,  die  ihre  Verbrechen  ohne  Folter  einge- 
standen; es  wurden  nämlich  nur  wenige  gefoltert  und  zwar  nur, 
wenn  bereits  ein  starker  Verdacht  vorhanden  war.  Der  zweite  Grund 
war  die  BeschaÖenheit,  die  Grösse  der  Verbrechen;  denn  der  König 
wollte  nicht  glauben,  dass  die  Templer  so  schlecht  wären,  da  er  sie 
lieber  als  andere  hatte,  sie  für  besonders  gute  Freunde  hielt  und 
auf  sie  gar  fest  baute;  denn  bei  ihnen  hatte  er  seinen  Schatz  auf- 
bewahrt, ihnen  seine  Geheimnisse  offenbart  \  ihnen  seine  Söhne  zur 
Erziehung  gegeben.  Drittens  schliesslich  kam  hinzu  die  Grösse  und 
Konsequenz  des  Königs,  der  wie  gesagt  zuerst,  ehe  die  Beweise 
erbracht  waren,  die  Verbrechen  nicht  glauben  konnte,  dann  aber 
selbst,  obgleich  man  ihn  nur  schwer  hatte  überzeugen  können,  auf 
einen  Tag  in  seinem  ganzen  Reich  eine  Untersuchung  über  ihre  Ver- 
brechen und  ihre  Lebensführung  anordnete.  Sie  aber  haben  an 
eben  diesem  einen  Tag  gleichmässig  in  den  verschiedenen  Teilen  des 
Reichs  auf  dieselbe  Art  dasselbe  eingestanden,  Dinge,  die  schauer- 
voll zu  hören  sind.  Denn  man  erfuhr  durch  ihr  Geständnis,  dass 
sie,  um  die  gehorsamen  Menschen  zu  ermitteln  -,  einen ,  den  sie  in 
ihren  Orden  aufnehmen,  erst  ganz  allein  unter  Ordensmitglieder 
bringen  und  alle,  die  nicht  zum  Orden  gehören,  wegschaffen,  ihn 
dann  an  einen  versteckten  Ort  führen  und  sich  ganz  entkleiden  lassen, 
und  dass  dann  einer  an  ihn  herantritt  und  ihn  auf  den  Hinteren 
küsst^.  Hierauf  zieht  derselbe  ihn  wieder  an  und  umgürtet  ihn  mit 
dem  Schwertgurt ■*.  Drittens  wird  dann  ein  Kreuz  gebracht  und  dem 
Betreffenden  gesagt,  der  Gekreuzigte  sei  nicht  Christus,  sondern  ein 
falscher  Prophet,  der  von  den  Juden  seiner  Verbrechen  wegen  zum 


die  AnscliulJigungeu  unglaubbar  halten,  aber  bald  zeigte  sich  der  Erfolg,  uud 
dass  das  Werk  nur  der  Sache  Gottes  diene,  uud  schon  jetzt  kann  das  Resultat 
nicht  mehr  zweifelhaft  sein. 

*  Revelavit  secreta  sua;  Arnos  3  7. 

-  Durch  diese  Worte  wird  die  von  Prutz  (112  u.  a.  a.  Orten)  ausgesprochene 
Vermutung  über  den  ursprünglichen  »Sinn  verschiedener  Missbräuche,  die  sich 
bei  den  Templern  hie  und  da  eingeschlichen  hatten,  bestätigt. 

•'  Vrgl.  über  die  verschiedenen  Variationen  dieses  Anklagepunkts  (Jmklfn  332. 

•'  Diese  zweite  Anklage  bezieht  sich  auf  den  Maugel  eines  Noviziats  bei 
den  Templern;  Gmelin  241  f.,  345. 


158  ^-  Kapitel. 

Tod  verurteilt  worden  sei;  und  dann  lässt  man  jenen  dreimal 
über  dieses  Kreuz  spucken.  Hierauf  wird  dasselbe  auf  den  Boden 
geworfen  und  jener  veranlasst,  es  mit  Füssen  zu  treten;  und  dies 
beobachten  sie  unter  einander  als  ihre  Bestimnumgen  und  Satzungen \ 
Fünftens  zeigen  sie  sich  den  Kopf  eines  Idols  und  beten  ihn  täglich 
an.  Sechstens  huldigen  sie  sodomitischen  Greueln,  indem  sie  fest- 
setzen, dass  sie  nicht  mit  AVeibern,  wohl  aber,  wenn  sie  wollen, 
unter  einander  fleischlich  Umgang  haben  können.  Deshalb  ging  der 
König  als  Diener  des  Glaubens,  jedoch  eingedenk  des  Apostelworts: 
„Lege  niemandem  so  schnell  die  Hände  anf"^,  da  er  über  die  ge- 
nannten Punkte  die  Wahrheit  wissen  wollte,  auf  verschiedene  Weise 
vor,  zunächst  mit  der  Ketzerincpiisition  und  zwar,  heiliger  Vater, 
mit  Eurer  Erlaubnis  und  Bewilligung^,  nachher  in  Anbetracht  der 
vorder  Pariser  Universität  abgelegten  Bekenntnisse^  durch  die  franzö- 
sische Geistlichkeit °.  Und  noch  aus  vielen  anderen  Gründen  wird 
betreffs  ihrer  Ungeheuerlichkeiten  klar  erwiesen  —  hier  komme  ich 
zum  zweiten  Hauptteil  meiner  Rede  — ,  dass  der  Sieg  einen  er- 
freulichen und  unvergleichlichen  Fortgang  hatte,  und  dies  wegen 
eines  solchen  Dieners  wie  es  der  König  von  Frankreich  ist.  Denn, 
heiliger  Vater,  hier  waltete  allein  die  Vorsehung  Gottes;  sie  wollte 
durch  einen  solchen  Mann  wie  den  König  von  Frankreich  zur  Aus- 
rottung der  genannten  Ketzer  das  Urteil  sprechen.  Und  es  ist 
wirklich  wunderbar,  was  in  dieser  Angelegenheit  sich  alles  ereignete. 
Erstens,  dass  sie  im  Gebiet  des  Königs  von  Frankreich  vor  sich 
ging;  denn  wenn  Ihr  in  Rom  gewesen  wäret,  heiliger  Vater,  wäre 
sie  nie  vor  sich  gegangen,  aus  vielen  Gründen  und  wegen  mannig- 
facher Hindernisse,  aber  es  war  Gottes  AVerk,  dass  Ihr,  Papst  und 
König,  gleicherweise  geistig  und   körperlich  bei   einander  wart   zur 

*  Dieser  Punkt  ist  der  hei  der  Frage  nach  der  Schuld  oder  Unschuld  des 
Ordens  eben  zu  entscheidende,  wobei  die  hier  gemachte  Aeusserung  natürlich 
nichts  beweisen  kann.  —  Im  übiigen  treten  die  Anklagen  3  und  4  sonst  immer 
als  eine  auf;  von  den  fünf  im  Oktober  1307  durch  Nogaret  erhobeneu  Beschul- 
digungen fehlt  diesmal  die  wegen  der  Auslassung  der  Konsekrationsworte,  wo- 
hingegen die  zweite  Anklage  neu  ist. 

*  I.Tim.  022:  „manus  cito  nemini  imposueris.'^ 

^  Hiermit  ist  wohl  an  die  ersten  Verhandlungen  von  Poitiers  1307  gedacht, 
an  die  sich  Clemens  aber  nachher  nicht  gebunden  zu  fühlen  brauchte. 

*  Dieses  nach  Johann  von  St. Viktor  auch  von  uns  erwähnte  Bekenntnis, 
auf  das  Nogaret  im  Erlass  vom  25.  März  1308  wie  in  dieser  Rede  hinweist, 
darf  natürlich  nicht,  wie  Schottmüller  I,  136  f.  thut,  weggeleugnet  werden. 

■''  Die  Untersuchung  durch  die  französische  Geistlichkeit  begann  nicht  erst 
seit  dem  Tage  von  Poitiers;  vrgl.  die  Bulle  vom  S.Juli  1308  (DupüY:  „Traittez" 
100,  nr.  3). 


Nogaret's  Thätigkoit  als  Grosssiegelbowalircr  1307  bis  Mliiv.   1310.       159 

Vollbringung  eines  solchen  Gottesdienstes.  Sodann  zweitens:  durch 
den  König  von  Frankreich  geschah  denkwürdigerweise  dies  alles; 
er  und  seine  Vorfahren  sind  ja  ganz  besonders  und  mehr  als  alle 
Könige  der  AVeit  —  es  sei  dies  ohne  Präjudiz  der  andei;cn  Könige 
gesagt  —  bereitwillig  und  ergeben  für  den  katholischen  Glauben 
eingetreten,  und  die  Kirche  pflegte  immer  in  der  Not  diesen  König 
und  seine  Hülfe  anzurufen,  wie  dies  klar  aus  den  hierüber  gegebenen 
Schriften  der  heiligen  Canones  und  Dekrete  hervorgeht.  Ferner 
glaube  niemand,  der  König  handle  aus  Eigennutz^;  denn  hier  in 
unsrer  Gegenwart  erklärt  der  König-,  dass  er  von  den  Gütern^ 
jener  weder  je  etwas  besass  noch  zu  besitzen  oder  zu  empfangen 
trachtet;  sondern  die  Kirche  möge  dieselben  zu  einem  guten  Zweck, 
zur  Ehre  Gottes  und  zur  Erhöhung  des  heiligen  Glaubens  ver- 
wenden'*; denn  der  katholische  König^'  veri)flichtet  und  weiht  sich 
und  seine  Söhne  und  all  seine  Habe  der  heiligen  Kirche  Gottes, 
um  dieses  Gott  selbst  zugefügte  Unrecht''  zu  sühnen;  reinen  und 
aufrichtigen  Gewissens  geht  er  daher  vor,  um  eine  solche  Gott  zu- 
gefügte Schmach  zu  rächen."  Hierauf  berührte  der  Redner  noch 
eine  Ketzerei  der  Templer,  dass  nämlich  der  Grossmeister  sich  das 
Recht  anmasse,  die  Ordensmitglieder  im  Kapitel  von  Strafe  und 
Schuld  absolvieren  zu  können'',  und  kam  dann  zum  dritten 
Hauptteil,  der  davon  handelte,  dass  der  Ausgang  dieses  Sieges 
Christi,  d.  h.  das  Resultat  der  Untersuchung,  klar  und  unl)ezweifel- 
bar  sei.  Hier  setzte  er  auseinander,  wie  man  schon  jetzt  sagen 
könne,  dass  alles,  was  man  von  den  Templern  erzähle,  erwiesen  sei. 
„Denn  während  alle  Katholiken  ihre  Kapitel  und  Zusammenkünfte 
des  Tags,  wenn  es  hell  ist,  abhalten,  w'ählen  diese  zu  ihren  Kapitel- 
sitzungen die  Nacht,  wo  niemand  sonst  erscheint.  Ferner  halten 
sie  keine  Messe  und  verrichten  auch  andere  katholische  Gebräuche 
nicht.  Auch  ist  durch  ilir  Geständnis  erwiesen,  dass  fünf  Templer 
am  letzten  Karfreitag  angesichts  des  Volkes  das  Kreuz  anbeteten, 
dann  aber  sofort,  als  nach  Beendigung  des  Gottesdienstes  die  Tliüren 
geschlossen  waren,  es  bespuckten  und  mit  Füssen  traten :  dies  haben 

*  Dieses  für  nötig  erachtete  Dementi  ist  sehr  be/cciclinciid! 

-  Nämlich  durch  diese  Rede  seines  Rats. 

^  Statt  „donis"   ist  wohl  „bonis"  zu  lesen   (vrgl.  Anm.  ü). 

■•  Wir  werden  gleich  sehen,  was  thatsächlich  mit  den  Gütern  geschah. 

'  D.  i.  der  König  von  Frankreich;  Dücange,  Glossarium  II,  243. 

**  Hier  zeigt  sich  einmal  deutlich,  dass  der  englische  Schreiber  unseres 
Berichtes  (vrgl.  Exkurs  III)  seine  französische  Vorlage  nicht  lesen  konnte;  statt 
„immunem"   muss  es  oftbnbar  „iniuriam"   hcissen. 

^  Vrgl.  über  diesen  neuen  (siebenten)  Anklagepunkt  Gmelin  344,  350. 


160  6.  Kapitel. 

sie  sterbend  auf  das  Glaubensbekenntnis  eingestanden  ^  Wer,  heiliger 
Vater,  könnte  mit  solchen  Leuten  schonend  verfahren?  Dazu  kommt, 
dass  iiire  Schuld  auch  erwiesen  ist  durch  die  Protokolle  der  Notare 
des  heiligen  Stuhls-,  ferner  durch  die  üffentliche  Meinung  und  durch 
den  Bericht  des  katholischen  Fürsten  —  denn  gegen  solche  Ver- 
brecher heisst  es:  ,Es  genüge  uns  zum  Zeugnis  ein  Bericht  des 
katholischen  Fürsten' ;  auch  bezeugen  die  gallikanische  Kirche  und 
die  J^uiser  Universität  die  Schuld,  ferner  die  Grafen,  die  Barone 
und  die  ganze  französische  Ritterschaft,  ebenso  alle  Städte,  und 
zwar  unter  Verpfändung  des  Lebens^;  und  schliesslich  ging  ja  durch 
sie  das  heilige  Land  verloren,  denn  es  heisst:  ,An  ihren  Früchten 
sollt  ihr  sie  erkennen'^,  und  sie  haben  keine  Frucht  getragen." 
Hierauf  folgte  der  Schluss,  in  welchem  Plasian  um  viererlei  bat. 
Erstens,  dass  geschehen  möge,  was  Christus  dem  Moses  befohlen^, 
dass  solche  Leute  dem  Tod  verfielen;  und  wer  sich  der  gerichtlichen 
Entscheidung  entzogen",  über  den  solle  das  Gericht  Gottes  kommen, 
damit  sein  Samen  auf  immer  vernichtet  sei.  Zweitens  bat  er,  dass 
die,  welche  bekannt  hatten,  der  weltlichen  Gerichtsbarkeit  übergeben 
würden.  Drittens,  dass  der  Orden  für  immer  verworfen  werde,  dass 
er  zerstört  werde  und  nicht  den  Namen  eines  katholischen  Ordens 
tragen  dürfe.  Viertens  endlich,  dass  an  den  König  zur  Vorsorge 
ein  apostolisches  Schreiben  gerichtet  werde,  da  er  doch  zu  Gottes 
Ehre  gehandelt  habe,  und  damit  mau  ihm  nicht  etwa  in  Zukunft 
etwas  anhaben  könne,  weil  sein  Vorgehen  einen  anderen  Grund  ge- 
habt habe". 

Nachdem  Plasian  geredet  hatte,  erhob  sich  zunächst  der  Erz- 
bischof von  Narbonne,  Aegidius  Aycelin  von  Montaigu,  und 
forderte  im  Anschluss  an  das  Thema:   „Räche  die  Kinder  Israel  an 


*  Sie  scheinen  dauach  an  den  Folgen  der  Folter  gestorben  zu  sein,  wie 
dies  auch  sonst  vorkam;  Gmelin  260. 

-  Bei  den  Untersuchungen  waren  auch  päpstliche  Notare  zur  Führung  des 
Protokolls  zugegen. 

^  Berufung  auf  die  Versammlung  der  Generalstäude  in  Tours. 

*  „Ex  fructibus  eorum  cognoscetis  eos",  Matth.  7  m  u.  20;  vrgl.  S.  50  Anm.  7. 
°  Hiermit  sind  die  Vorschriften  des  Leviticus  gemeint,  die  Moses  von  Gott 

erhalten  haben  soll;  dieselben  bestrafen  u.  a.  mit  dem  Tode:  Gotteslästerung, 
Götzeudienerei  und  den  geschlechtlichen  Vei'kehr  zwischen  zwei  Personen  männ- 
lichen Geschlechts;  vrgl.  3.  Mos.  20  1—2,  13;  24  13,  le. 

"  Verschiedene  Templer  waren  entkommen.     Schottmüller  I,  128. 

^  D.  h.  Philipp  wünschte  über  sein  Verhalten  in  der  Templerangelegenheit 
eine  ähnliche  Bescheinigung,  wie  er  sie  April  1311  betreffs  seiner  Thätigkeit  im 
Streit  gegen  Bonifaz  wirklich  erhielt. 


Nogaret's  Thätigkeit  als  Grosssiegelbcwalirer  1307  bis  März  1310.      161 

den  Midianitern''  ^  den  Papst  zu  einem  raschen  Vorgehen  gegen  die 
Templer  auf,  wobei  er  ihn  noch  besonders  an  den  Papst  Juhus,  den 
kräftigen  Beschützer  des  Athanasius  und  seines  wahren  Ghiubens, 
erinnerte.  In  demselben  Sinn,  nur  kürzer,  redete  Aegidius 
Colonna,  der  Erzbischof  von  Bourges,  ein  berühmter  Gelehrter  der 
Theologie,  Schüler  des  Thomas  von  A(juino  und  Lehrer  I^hilipp's; 
er  stellte  seinen  Worten  als  Thema  voran:  „Nun  aber  sage  ich  mit 
AVeinen,  dass  sie  Feinde  des  Kreuzes  Christi  sind^."  Zum  Schluss 
sprach  der  Papst;  er  ging  aus  von  den  AVorten:  „Hasset  das  Böse 
und  liebt  das  Gute;  bestellet  das  Gericht"^  und  erklärte,  die 
Templer  hätten  bisher  in  gutem  Ruf  gestanden  und  er  wolle,  bevor 
er  den  vielen  Anklagen  zustimmen  könne,  erst  ein  Gericht  bestellen, 
denn  die  römische  Kirche  pflege  solche  Angelegenheiten  nicht  zu 
überstürzen;  nachdem  dies  geschehen,  wolle  er  nach  Rücksprache  mit 
den  Kardinälen  das  Urteil  fällen.  Clemens  verlangte  also  zunächst 
eine  Untersuchung  durch  ein  geistliches  Gericht. 

4. 

Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  auf  die  weiteren  Verhandlungen'*  ein- 
zugehen; dieselben  gestalteten  sich  vorübergehend  ziemlich  erregt, 
führten  dann  aber  noch  im  Juni  1308  zu  einem  Ausgleich,  indem 
der  König  in  der  Form  nachgab,  um  der  Sache  nach  seine  Wünsche 
zu  erreichen.  Die  gefangenen  Templer  wurden  formell  dem  Papst 
und  der  Kirche  übergeben,  aber  der  Kardinal  von  Palestrina,  dem 
Clemens  ihre  Bewachung  anvertraute,  musste  dieselbe  seinerseits  dem 
König  wieder  übertragen;  und  auch  an  der  Verwaltung  der  Güter 
erhielt  Philipp  einen  bedeutenden  Anteil.  Der  Papst  sollte  die 
Ordensbrüder  nun  einer  neuen  Untersuchung  unterwerfen  dürfen; 
am  27.  Juni^  wurden  ihm  die  ersten  Temjjler  übergeben.  Clemens, 
der  den  Wünschen  Philipp's  betreffs  der  deutschen  Königswahl 
Karl's  von  Valois    keineswegs   zu   entsprechen   geneigt   war*',   hatte 


1  4.  Mos.  31 2.  -  Phil.  3  IS.  ^  Arnos  5  is. 

*  "Wir  sind  über  sie  Eauptsächlich  durch  den  englischen  Bericht  in  der 
Rev.  des  soc.  sav.  a.  a.  0.  417  unterriclitet,  mit  dem  sich  die  Angaben  des 
Cont.  Toi.  Luc.  (Mcrätori  XI,  1229C— D)  aufs  beste  vereinigen;  vrgl.  im  übri- 
gen DuPLY,  Tempi.  217  (nr.  LVI);  Hoot.\ric  136  f.  und  Rev.  des  quest.  bist, 
XI,  8—12. 

*  Rev.  des  soc.  sav.  a.  a.  O.  118. 

*  Wenn  er  sich  auch  nicht  offen  zu  widersetzen  wagte.  Eben  damals, 
am  19.  Juni  1308  erging  jenes  ganz  allgemein  gehaltene  Schreiben  des  Papstes 
an  die  Kurfürsten,  noch  im  selben  Monat  reisten  die  Gesandten  Philipp's,  Peter 
Barriere  und  Hugo  von  La  Celle,  nach  Deutschland  ab.    Der  letztere  ist  uns  schon 

R.  Holtzmann,  Nogaret.  11 


162  6.  Kapitel. 

sich  dagegen  entschlossen,  dem  Begehren  des  Königs  in  der  Templer- 
angelegenheit nun,  wo  er  seinen  prinzipiellen  Standpunkt  hatte 
wahren  können,  nachzugehen.  Er  liess  sich  im  ganzen  72  Templer 
vorführen  und  dieselben  vom  28.  Juni  bis  zum  2.  Juh  in  Poitiers 
einem  Verhör  unterwerfen,  das  einen  ausserordentlich  bedenklichen 
Charakter  hatte,  und  dem  das  Verfahren  in  den  bisherigen,  vom 
König  angeordneten  Verhören  an  Beweiskraft  inmierhin  überlegen 
war^ 

Dieses  war  der  erste  Erfolg,  den  Philipp  in  Poitiers  zu  erringen 
wusste.  Wie  sehr  seine  feste,  überall  auf  greifbaren  Gewinn  ge- 
richtete Realpolitik  der  des  Papstes  überlegen  war,  zeigte  sich  auch 
in  einem  anderen,  für  die  grossen  in  Frage  stehenden  Aktionen 
weniger  wichtigen,  aber  uns  speziell  interessierenden  Punkt-,  Wir 
erinnern  uns  Bernhard's  von  Saisset,  des  Bischofs  von  Pamiers, 
der  1301  so  viel  zum  AViederausbruch  des  Streites  zwischen  Philipp 
und  Bonifaz  beigetragen  hatte.  Clemens  wünschte,  dass  der  König 
sich  jetzt  wieder  mit  demselben  versöhne;  und  Philipp  war  weit  ent- 
fernt, aus  reinem  Prinzip  an  einem  alten,  für  ihn  längst  gleichgültig 
gewordenen  Groll  festzuhalten,  sondern  suchte  sofort  auch  hierbei 
wieder  einen  Vorteil  für  sich  und  die  Krone  herauszuschlagen.  Wir 
hatten  schon  einmal  Gelegenheit,  darauf  hinzuweisen,  wie  er  bestrebt 
war,  durch  Teilungsverträge,  die  er  mit  Kirchen  abschloss,  die  könig- 
liche Macht  und  den  Einfluss  der  Krone  zu  erhöhen.  Das  Ein- 
gehen eines  solchen  Teilungsvertrags  forderte  er  auch  jetzt  von  dem 
Bischof  von  Pamiers  als  Preis  der  Versöhnung,  Und  da  Bernhard 
gegen  den  Grafen  Gaston  von  Foix  eines  Schutzes  bedurfte,  war 
auch  er  zum  Abschluss  des  Vertrages  bereit.  Wilhelm  von  No- 
garet  wurde  vom  König  mit  den  Verhandlungen  beauftragt,  die 
am  29.  Juni  1308  zu  Poitiers  zum  Abschluss  kamen;  Nogaret 
schloss  den  Vertrag  als  „Ritter,  Rat  mid  Vizekanzler  des  Königs 
von  Frankreich"  im  Namen  desselben,  Bernhard  für  sich  und  im 
Namen  seiner  Kirche  und  ihres  Kapitels.  So  entstand  im  Bistum 
Pamiers  die  königliche  Vogtei  Les  Allemans,    die  zur  Provinz  Lan- 

bekannt  (S.  123);  Peter  Barriere  war  Nogaret's  Sekretär  (Renan  302, 
vermutlich  nach  Stellen  wie  Arch.  nat.  JJ  45  Blatt  1,  JJ  47  nr.  66  u.  a.;  vrgl. 
oben  S.  146  Anm.  1).     Vrgl.  über  diese  ganze  Angelegenheit  Wenck  102 — 107, 

'  Vrgl.  über  das  Verhör  von  Poitiers  Schottmüller  I,  183 — 188;  Lea  III, 
281;  Protz  171—173;  Hefele-Knöpfler  VI,  433  f.;  Gmelin  359—367. 

-  ^'rgl.  über  ihn:  Hist.  de  Lang.  IX,  309  (mit  den  Bemerkungen  Moli- 
nier's,  naraentl.  Anm.  5);  Dupuy,  Difif.  pr.  615  (unten).  Ueber  die  Streitigkeiten 
des  Bischofs  von  Pamiers  mit  dem  Grafen  von  Foix  finden  sich  verschiedene 
neue  Urkunden  bei  Baudoin:  „Lettres  inedites  de  Philippe  le  Bei",  Paris  1887. 


Nogaret's  Thätigkeit  als  Grosssiegelbewalircr  13U7  bis  März  1310.      163 

guedoc  gehörte  und  erst  mit  dieser  in  den  Stünnoii  der  Revolution 
ein  Ende  fand. 

Die  auch  durch  diese  kleine  Episode  gekennzeichnete  Politik 
Philipp's  errang  in  der  Templerangelegenheit  einen  allmählichen, 
aber  sicheren  Sieg.  Nachdem  der  König  am  5.  Juli  angesichts  der 
nun  auch  vor  dem  Papst  erfolgten  Geständnisse  der  Templer  die 
Verdammung  des  Ordens  verlangt,  aber  vorderhand  nur  allerhand 
ausweichende  Antworten  erhalten  hatte  ^,  Hess  er  am  folgenden  Tag 
durch  Wilhelm  von  Plasian  dem  Papst  sechs  bestimmte  Forderungen 
stellen-,  nämlich:  1.  das  Verbleiben  des  Papstes  und  seines  Hofs  in 
Frankreich;  2.  die  Verurteilung  der  Templer;  3.  wenn  ein  all- 
gemeines Konzil  beabsichtigt  werde,  die  Abhaltung  desselben  in 
Frankreich;  4.  die  Kanonisation  Cölestin's  V.;  5.  die  Verurteilung 
Bonifaz'  VIII.  und  Verbrennung  seiner  Gebeine;  6.  die  Absolution 
Nogaret's  ^.  Dieser  hatte  wohl  nicht  lange  vorher  an  die  Kardinäle 
ein  Schreiben  gerichtet,  dem  er  seine  dritte  Apologie  einfügte, 
und  in  welchem  er  dringend  bat,  man  möge  dem  Papst,  der  ihm 
bisher  den  Zutritt  verweigert  habe,  die  Gründe  seiner  Rechtferti- 
gung unterbreiten^.  Die  vierte  und  fünfte  der  Forderungen  Pla- 
sian's  waren  Pressionsmittel;  den  Prozess  gegen  Guichard  brachte 
Philipp  diesmal  noch  nicht  vor:  noch  war  in  dieser  Sache  kein  ent- 
scheidender Schritt  gethan,  und  man  konnte  abwarten,  ob  ein  solcher 
nötig  sei.  Volle  Zustimmung  äusserte  Clemens  nur  betreffs  des 
dritten  Punktes;  ein  Konzil  werde  Frankreich  geradezu  geschuldet. 
Bezüglich  der  Templer  und  der  Kanonisation  Cölestin's  erklärte  er 
gerne  bereit  zu  sein,  diesen  Fragen  näher  zu  treten;  doch  erfor- 
derten beide  noch  eingehende  Beratung.  Diesseits  der  Alpen  ferner 
wollte  der  Papst  damals  noch  keineswegs  bleiben;  als  Grund  gab  er 
eine  Wallfahrt  nach  Rom  und  die  geringeren  Einkünfte  der  Kurie 
in  Frankreich  an.  Ganz  schroff  wies  er  schliesslich  die  beiden 
letzten  Forderungen  zurück:  Bonifaz  sei  stets  ein  guter  Katholik 
gewesen,  und  des  Königs  Begehren  sei  sehr  zu  verwundern'';  Xogaret 


*  Rev.  des  soc.  sav.  419.  Es  tritt  uns  hier  deutlich  die  Versehleppuiigs- 
politik  des  Papstes  entgegen ;  bei  der  Unmöglichkeit  einer  Schuldloserkiiirung 
der  Templer  gegen  den  Willen  Philipi)'8  glaubte  der  Papst  so  am  ehesten 
Hoffnung  zu  haben,  die  Interessen  der  Kirche  richtig  zu  wahren. 

-  Ibid.  Der  Fortsetzer  des  ToLOMEO  VON  Lucca  (a.  u.  O.  l22iiD)  kennt 
nur  die  drei  letzten  dieser  Forderungen. 

^  Hieran  denkt  Nogaret  Beilage  IX  §  8. 

*  Beilage  V;  vrgl.  Beilage  IX  §  8. 

*  Der  anscheinende  Widerspruch,  der  sich  bezüglich  der  Beantwortung 
dieser  Frage    in    dem    englischen  Bericht  in   der  Rev.   des  soc.   sav.  und  dem 


164  6.  Kapitel. 

aber  habe  der  Kirche  ein  grosses  Aergernis  bereitet  und  dürfe 
nicht  zur  Busse  und  Absolution  zugebissen  werden. 

Weshalb  weigerte  sich  Clemens  diesmal  bezüglich  Nogaret's  ein 
Zugeständnis  zu  machen,  zu  dem  er  bereits  vor  einem  Jahre  bereit 
war?  Oftenbar  wollte  er,  bevor  nicht  Philipp  von  dem  Drängen 
nach  einem  Prozess  gegen  Bonifaz  abstand,  auch  den  Hauptschul- 
digen des  Ueberfalls  von  Anagni  nicht  absolvieren.  Philipp  hätte  erst 
die  Zusage  wiederholen  müssen,  zu  der  er  sich  schon  1307  verstanden 
hatte.  Dazu  eröffnete  sich  aber  erst  Aussicht,  als  das  Nachgeben 
des  Papstes  in  der  Templerfrage  allmählich  immer  offenkundiger 
wurde.  Im  Juli  1308  fand  ein  förmlicher  „Tauschhandel" ,  wie 
Neuere  richtig  bemerkten,  zwischen  Philipp  und  Clemens  statt.  Das 
wichtigste  war,  dass  der  Papst  die  Suspension  des  Intiuisitionsrechts 
gegen  die  Templer  jetzt  wieder  aufhob;  im  ül)rigen  wurden  haupt- 
sächlich die  Vereinbarungen  vom  Juni  sanktionierte 

Am  20.  Juli  verhess  der  König  Poitiers-;  seine  Minister  bheben 
bei  der  Kurie  zurück.  Clemens  versuchte  nach  des  Königs  AVeg- 
gang  eine  Politik  des  Hinausschiebens,  indem  er  einmal  eine  vor  ihm 
in  Poitiers  zu  veranstaltende  Verhörung  der  in  Corbeil  in  Haft  ge- 
haltenen Ordensoberen  verlangte,  und  sodann  erklärte,  das  letzte 
Urteil  über  die  Templer  könne  nur  vor  einem  Konzil  gefällt  werden. 
Das  folgende  ist  für  uns  doppelt  interessant,  weil  die  königliche 
Politik  dem  Papst  gegenüber  jetzt  nur  durch  Philipp's  Minister, 
d.  h.  in  erster  Linie  durch  Wilhelm  von  Nogaret^,  vertreten  wurde, 
was  seine  Bedeutung  auch  dann  behält ,  wenn  wir  annehmen ,  dass 
der  König  genaue  Instruktionen  für  Nogaret  zurückgelassen  hatte. 
Philipp's  Minister  brachten  alle  Einschüchterungsmittel  gegen  den 
Papst  in  Anwendung,  die  ihnen  zu  Gebote  standen.  Nogaret  wandte 
sich  in  einer  Schrift  direkt  an  Clemens  und  bat  um  seine  Absolu- 
tion'*.    Und   als   dies   keinen   Erfolg   hatte,    erliess    er   eine    grosse 


Cont.  Toi.  Luc.  findet,  ist  in  Wahrheit  keiner.  Clemens  erklärte  sich  in  ent- 
schiedener Weise  gegen  die  Schuld  Bonifaz'  VIII.  und  die  Verbrennung  seiner 
Gebeine,  weigerte  sich  aber  nicht  direkt,  hierüber  eiue  gerichtliche  Untersuchung 
einzuleiten,  sondern  ersuchte  nur  den  König,  von  einer  solchen  abzustehen. 

'  Balüze  II,  97—102;  Notices  et  extraits  XX  2,  191—194;  Boutäric  137 
und  in  der  Rev.  des  quest.  bist.  XI,  12 — 16;  Schottmüllkr  I,  188 — 191;  Hefele- 
Knüpfler  VI,  431—433;  Prdtz  174—177. 

-  Rev.  des  soc.  sav.  a.  a.  0.  420;  Rec.  des  bist.  XXII,  Eiul.  XLIJ;  ibid. 
XXI,  4.50  B — C  sind  noch  einige  nach  des  Königs  Abreise  in  Poitiers  bezahlte 
Posten  erwähnt  (vgl.  S.  406). 

^  Mit  dem  deswegen  doch  der  Papst  persönlich  nicht  zu  verhandeln  brauchte. 

*  Beilage  VI;  vrgl.  Beilage  IX  §  8:  „nuper  hoc  idem  feci." 


Nogaret's  Thätigkeit  als  Grosssiegelbewahrer  1307  bis  März  1:510.      Ißö 

Flugschrift,  die  er  „Protestationcs  super  facto  Bouifacii"  nannte'. 
Hier  sucht  er  sein  Recht  und  seine  gute  Sache  in  einer  vierten 
Apologie  klarzulegen  und  beschwert  sich  dann  bitter  darüber,  dass 
ihm,  obgleich  er  doch  bereit  sei,  um  niemandem  ein  Aergernis  zu 
geben,  die  Absolution  und,  wenn  der  Papst  es  für  gut  befinde,  eine 
Busse  ad  cautelam  anzunehmen,  dennoch  von  Clemens  noch  kein 
Gehör  gewährt  worden  sei,  sodass  er  seine  Sache  jetzt  der  Oeflent- 
lichkeit  übergebe.  Im  übrigen  aber  drängten  die  Räte  des  Königs 
nicht  nur  abermals  auf  den  Prozess  gegen  Bonifaz,  sondern  sie 
verlangten  jetzt  auch,  Clemens  möge  für  die  Gefangensetzung 
Guichard's  sorgen^,  dessen  Angelegenheit  nun  schon  seit  dem 
Februar  dieses  Jahres  schwebte.  Und  da  sie  auch  eine  Gegenüber- 
stellung des  Papstes  mit  Jakob  von  Molay  nicht  für  wünschenswert 
hielten,  stellten  sie  das  Verlangen,  Clemens  möge  die  Ordensoberen 
in  Chinon  verhören  lassen,  da  man  sie  krankheitshalber  nicht  mehr 
bis  Poitiers  bringen  könne  ^.  Der  Papst  gab  in  allem  nach,  um  den 
definitiven  Schluss  der  ganzen  Angelegenheit  bis  zu  einem  Konzil 
hinauszuschieben;  denn  diesem  einen  von  ihm  gestellten  Verlangen 
konnten  die  Vertreter  des  Königs,  der  selbst  so  oft  ein  Konzil  ge- 
fordert hatte,  nicht  widersprechen.  Während  Clemens  daher  ver- 
sprach, in  Avignon,  das  er  von  1309  an  als  Sitz  der  Kurie  be- 
stimmte^, den  Prozess  gegen  Bonifaz  zu  eröffnen'',  gab  er  auch  den 
Befehl  zur  Verhaftung  Guichard's ''.  Zwei  weitere  Bullen"  sind  vom 
12.  August  datiert;  durch  die  eine,  „Faciens  misericordiam",  wurde 
für  alle  Länder  eine  Untersuchung  gegen  die  Templer  angeordnet*, 
durch  die  andere,  „Regnans  in  coelis",  ward  ein  allgemeines  Konzil 
auf  den  1.  Oktober  1310  nach  Vienne  berufen,  hauptsächlich  wegen 
der  Templerangelegenheit.  Die  Ordensoberen  wurden  durch  eine 
aus  drei  Kardinälen  bestehende  Kommission  in  Chinon  vernommen^. 


*  Beilage  IX.  ^  RigäCLT  57. 

"  So  in  Anbetracht  des  voa  den  Angeklagten  von  Corbeil  bis  Chinon  zu- 
rückgelegten Wegs  (230  kra  gegen  65  von  Chinon  bis  Poitiers)  mit  Recht  Schott- 
Müller  I,  192  ff. 

*  Cont.  Toi.  Luc,  bei  Murätori  XI,  1230  B. 

*Reginald  von  Supino,  bei  Dupüy,  Diff.  pr.  289;  vrgl.  unten  (S.  168). 

*  Vrgl.  sein  Schreiben  an  den  Erzbischof  von  Sens  vom  9.  August,  Rioaült 
269  f.  (nr.  XII);  Assier  a.  a.  0.  52  f.  (nr.  9). 

^  Drucke  bei  Hekele-Knöpfler  VI,  435  Aum.  und  437  Aiim. 

^  Wie  Clemens  eine  solche  schon  am  5.  Juli  für  nötig  erklärt  hatte;  Rev. 
des  800.  sav.  a.  a.  0.  419. 

<*  Vrgl.  den  Bericht  bei  JUllze  II,  122—123.  Auf  dieses  Verhör,  das  am 
17. — 20.  August  stattfand,    beruft   sich  Clemens  bereits  in   der  vom   12.  dieses 


1(56  6.  Kapitel. 

Es  ist  bezeichnend,  dass  auch  Xogaret  und  Plasian  diesem  Ver- 
hör beiwohnten,  oÖenbar  um  nötigenfalls  hier  noch  einen  Druck  aus- 
üben zu  könnend  Am  17.  August  begann  die  Vernehmung  und 
wurde  bis  zum  20.  fortgesetzt.  Das  Resultat  war  nach  dem  Bericht, 
den  die  Kardinäle  noch  am  Abend  des  20.  August  an  Philipp  ab- 
schickten, ein  allgemeines  Geständnis,  worauf  diesen  sämtlichen 
Ordensoberen  Absolution  erteilt  wurde.  Aber  angesichts  der  Ent- 
rüstung, mit  welcher  Molay  später  von  dieser  angeblich  von  ihm  am 
20.  August  abgelegten  Beichte  vernahm'^,  wird  man  den  ganzen  An- 
gaben der  Kardinäle  nicht  allzuviel  Glauben  beimessen. 

Unterdessen  hatte  sich  auch  das  Geschick  Guichard's  erfüllt. 
Am  15.  August  war  er  auf  Befehl  des  Erzbischofs  von  Sens  ge- 
fangen genommen  worden.  Aber  dem  König  genügte  dies  noch 
nicht:  er  liess  ihn  widerrechthch  der  geistlichen  Bewachung  ent- 
reissen  und  ihn  unter  seine  Aufsicht  nach  Paris  bringen.  Wilhelm 
von  Hangest  setzte  die  Anklage  in  28  Artikeln  auf  und  reichte  sie 
dem  geistlichen  Gerichtshof  in  Sens  ein^.  Clemens  lies  dies  alles 
ruhig  geschehen.  Er  brach  noch  im  August  von  Poitiers  auf  und 
begab  sich  wieder  in  die  heimatliche  Guienne.  Dem  König  in  der 
Templerfrage  entgegenzutreten,  hatte  er  aufgegeben  und  war  froh, 
durch  das  Konzil  seine  Verantwortung  verkleinert  und  vor  allem 
einen  Aufschub  erreicht  zu  haben:  denn  wer  konnte  wissen,  wie  sich 
in  den  folgenden  zwei  Jahren  die  Verhältnisse  gestalteten? 


Monats  datierten  Bulle  „Faciens  misericordiam".  "Während  Schottmüller  und 
Gmelin  nun  an  einen  grossen  Betrug  denken  (das  Protokoll  über  das  Resultat 
des  Verhörs  sei  schon  vorher  aufgesetzt  worden),  will  Prutz  249 — 251  (Exkurs  6) 
das  Missverhältnis  dadurch  erklären,  dass  er  einen  Irrtum  in  der  Datierung  des 
Berichts  annimmt ;  statt  assumptio  (Mariae)  sei  visitatio  zu  lesen,  und  das  Ver- 
hör habe  demnach  am  6. — 9.  Juli  stattgefunden.  Es  steht  aber  nicht  nur  ein- 
mal, sondern  zweimal  ausdrücklich  „assumptio"  in  dem  Bericht;  auch  könnte 
es  bezüglich  des  9.  Juli  nicht  wohl  „die  Martis  post  visitationem"  heissen  (son- 
dern „in  üctava  visitationis"  o.  ä.  Die  visitatio  ist  am  2.  Juli).  "Wahrschein- 
licher ist,  dass  das  Datum  der  Bulle  sich  auf  den  Beurkunduugsbefehl  bezieht, 
während  ein  Bericht  aus  Chinon  noch  vor  der  Ausfertigung  der  Reinschrift  ein- 
traf und  so  in  dieser  verwertet  werden  konnte.  Dafür  spricht  auch ,  dass  eine 
grosse  Anzahl  von  Schriftstücken  vom  12.  August  datiert  ist  (Reg.  Clem.  ann. 
HI,  281 — 302  und  386 — 396);  dieselben  können  unmöglich  alle  an  diesem  Tage 
konzipiert  und  mundiert  sein. 

'  Balüze  a.  a.  O.  123;  die  „milites  G.  et  G."  sind  natürlich  Nogaret  und 
Plasian,  die  „beiden  Wilhelme",  wie  sie  oft  genannt  werden  (vrgl.  im  folgenden 
Kapitel);  einen  „Guillelmus  de  Marigny"  (Schottmüller  I,  198)  giebt  es  gar 
nicht. 

""  Vrgl.  unten.  a  Riqault  59—61. 


Nogaret's  Thätigkeit  als  Grosssiegelbewaliror  1307  bis  März  1310.     167 

5. 

Im  September  1308  finden  wir  Nogaret  in  einer  Angelegenheit 
thätig,  die  uns  wieder  einen  Einblick  in  das  stetige  AVachsen  der 
königlichen  Macht  unter  Philipp  dem  Schönen  gewährt.  Hugo  der 
Braune,  der  Graf  von  La  jMarche  und  Angouleme,  war  ohne  männ- 
lichen Erben  gestorben,  und  Philipp  eilte  sich,  die  beiden  Grafschaften 
der  königlichen  Domäne  einzuverleibend  Aymar  von  Valence, 
der  Graf  von  Pembrocke,  erhob  auf  dieselben  Ansprüche.  Philipp 
beauftragte  Nogaret,  mit  ihm  zu  unterhandeln  und  ihn  zum  Verzicht 
zu  bewegen.  Nogaret  gelangte  zum  Ziel:  durch  eine  Uebereinkunft 
entsagte  Aymar  im  September  seinen  Ansprüchen  gegen  eine  Ent- 
schädigung. Auch  in  dem  Vertrag,  den  der  König  mit  Maria  von 
La  Mar  che,  der  Gräfin  von  Sancerre,  abschloss,  die  gleichfalls  auf 
die  Grafschaft  La  Marche  Anspruch  erhob,  findet  sich  Nogaret 
unter  den  Zeugen,  wie  auch  Enguerrand  von  Marignj,  ein  anderer 
Minister  Philipp's^. 

Im  Oktober  1308  begann  der  Prozess  gegen  Guichard. 
Am  6.  dieses  Monats,  einem  Sonntag,  eröffnete  Philipp  das  ganze 
Verfahren  genau  wie  früher  das  Vorgehen  gegen  Bonifaz  und  das 
gegen  die  Templer  durch  eine  Volksversammlung  in  den  Gärten  des 
Königs^.  Es  folgten  dann  das  Verhör,  in  welchem  Guichard  alle 
Anschuldigungen  mit  Entrüstung  zurückwies,  und  die  Zeugenaus- 
sagen*. In  dieser  ersten  Phase  des  Prozesses  ist  Nogaret  noch 
nicht  nachweisbar;  doch  unterliegt  es  wohl  kaum  einem  Zweifel, 
dass  er  dabei  sowohl  vor  wie  hinter  den  Koulissen  eine  bedeutende 
Rolle  gespielt  hat.  Nach  Beendigung  der  Zeugenaussagen  wurden 
die  weiteren  Verhandlungen  zunächst  auf  den  23.  Dezember  1308 
vertagt,  während  der  weltliche  Besitz  des  Bischofs  am  18.  Oktober 
mit  Beschlag  belegt  ward^  Aber  die  Wiederaufnahme  des  Pro- 
zesses verzog  sich  bis  in  den  Februar  1309".  Der  Grund  hiervon 
w^ar  weniger  ein  Unwohlsein  des  Erzbischofs  von  Sens  als  die  Vor- 
bereitung neuer  Anklageartikel  gegen  Guichard,  die  man  schon  seit 
dem  Herbst  1308  betrieb.  Bisher  hatte  es  sich  luir  um  den  angeb- 
lich   durch  Zauberei    des   Bischofs    verursachten   Tod    der    Königin 


'    BOüTARIC    8. 

-  DOPUY,  Difl".  i»r.  616,  1.  und  2.  Absatz.  —  Enguerrand  von  Marigny 
erhielt  im  März  und  August  1309  verschiedene  Landanwoisungcn  (Arch.  uat. 
J.T  41  nr.  61,  42  B  nr.  104). 

3  RiGAULT  65.  *  Ibid.  60—94. 

*  Ibid.  60.  **  Ibid.  94. 


168  6.  Kapitel. 

Johanna  und  den  angeblichen  Versuch  einer  Vergiftung  Karl's  von 
Valois  und  des  Thronfolgers  Ludwig  gehandelt.  Jetzt  kam  hinzu 
die  Anklage  wegen  Vergiftung  der  Königin-Mutter  Bianca,  sowie 
wegen  verschiedener  anderer  Verbrechend  Und  hier  können  wir 
wenigstens  in  einem  Punkt  die  Tliätigkeit  Nogaret's  nachweisen. 
Auf  dem  Rücken  eines  Entwurfs  der  neuen  Klagepunkte  findet  sich 
die  Notiz-: 

„Li  article  contre  l'evesque  de  Troies. 
Les  noviaus  articles  et  la  commission  le  pape   contre  l'evesque 

de  Troies,    que   Ton    baillera   monseigneur  Guillaume    de 

Nouguaret." 

Der  Entwurf,  der  wohl  von  Guichard's  altem  Gegner  Xoffo 
Dei  herrührt,  wurde  also  zunächst  Nogaret  zur  Ansicht  unterbreitet: 
auch  die  schwierigen  den  Prozess  gegen  Guichard  betreffenden  Dinge 
hatte  Philipp  in  die  Hand  seines  Grosssiegelbewahrers  gelegt,  und 
Xogaret  verstand  es  wohl,  der  weltlichen  Gewalt  in  dem  geistlichen 
Gerichtshof,  der  über  Guichard  zu  richten  hatte,  den  entscheidenden 
Einfluss  zu  verschaffen.  Nachdem  die  neuen  Klageartikel  fertig 
gestellt  waren,  wurde  endlich  am  13.  Februar  1309  die  Unter- 
suchung wieder  eröffnet  und  die  folgenden  Monate  hindurch  fort- 
gesetzte 

Clemens  hatte  in  Poitiers  die  Kardinäle  auf  den  Januar  1309  nach 
Avignon,  also  auf  nichtfranzösisches,  aber  für  französischen  Einiluss 
immerhin  sehr  leicht  erreichbares  Gebiet,  geladen  und  hatte  hier  auch 
die  Untersuchung  gegen  Bonifaz  VIII.  eröffnen  wollen^.  Doch  traf 
er,  da  er  den  Beginn  des  Prozesses  möglichst  hinausschieben  wollte, 
wohl  absichtlich  erst  im  März  in  Avignon  ein  und  that  auch  in  der 
Folge  zunächst  nichts  zu  der  Einleitung  der  Untersuchung.  Peginald 
von  Supino,  jener  Genosse  Nogaret's  beim  Ueberfall  von  Auagni, 
den  Philipp  jetzt  gebeten  hatte,  gleichfalls  als  Ankläger  Bonifaz'  VIII. 
in  Avignon  zu  erscheinen,  und  den  er  zu  seinem  Ritter  ernannte, 
konnte  vorderhand  nichts  thun,  als  am  25.  April  1309  zu  Nimes 
öffenthch  eine  Urkunde  über  einen  Ueberfall  ausstellen  zu  lassen, 
den    ihm    auf   seiner    Reise    von  Itahen    nach  Avignon,    keine  drei 


>  RiGAULT  95—99.  -  Ibid.  95.  »  Ibid  105  ff. 

'  Vrgl.  oben.  In  der  Bulle  „Rodemptor  noster"  (13.  Sept.  1309)  behauptete 
Clemens,  er  habe  ursprünglich  zu  Poitiers  den  Beginn  des  Prozesses  bereits  auf 
den  ersten  Gerichtstag  nach  Mariae  Reinigung  (d.  h.  auf  den  3.  Februar)  1309 
festgesetzt,  sei  dann  aber  am  Erscheinen  verhindert  gewesen;  dagegen  erklärten 
später  Philipp's  Gesandten  in  Aviguuu,  hiervon  nichts  zu  wissen;  DüPUY,  Diff. 
pr.  379. 


Nogaret's  Thätigkeit  als  Grosssiegelbewahrer  1307  bis  März  1310,     169 

Stunden  vor  dieser  Stadt,  Anhänger  Bonifaz'  VIII.  bereitet  hatten, 
und  dem  er  nur  durch  die  Gnade  Gottes  entkommen  sei;  er  wollte 
es  so  rechtfertigen,  dass  die  Zeugen,  die  er  mitgebracht  hatte,  wieder 
nach  Hause  gereist  waren.  Es  gelang  dem  Papst,  seine  Politik  des 
Hinausschiebens  trotz  des  Drängens  des  Königs  den  ganzen  Sommer 
1309  fortzusetzen,  während  er  dem  gegen  Philipp's  Wünsche  ge- 
wählten deutschen  König  Heinrich,  der  eben  damals  die  päpst- 
liche Approbation  nachsuchte,  dieselbe  ohne  Zaudern  erteilte.  Erst 
am  13.  September  geschah  endlich  in  der  Angelegenheit  des  Pro- 
zesses gegen  Bonifaz  wieder  ein  neuer  Schritt:  die  Bulle  „Redemptor 
noster"  lud  die  Ankläger  und  Verteidiger  dieses  Papstes  auf  den 
ersten  Gerichtstag  nach  Reminiscere,  d.  h.  auf  den  16.  März  1310, 
nach  Avignon;  an  diesem  Tag  sollte  der  Prozess  beginnend 

Wie  durch  diese  Untersuchung  in  Avignon  das  Material  ge- 
sammelt werden  sollte,  auf  Grund  dessen  dann  das  Konzil  von  Vienne 
das  Urteil  zu  fällen  hatte,  so  musste  auch  für  die  Templerangelegen- 
lieit,  mit  der  sich  ja  dieses  Konzil  hauptsächlich  beschäftigen  sollte, 
ein  Material  beigeschafft  werden,  auf  das  man  sich  von  kirchlicher 
Seite  berufen  konnte.  Es  wurde  daher  von  Clemens  jetzt  eine 
Kommission  ernannt,  die  sich  aus  sieben  Mitgliedern  zusammen- 
setzte-; an  der  Spitze  derselben  stand  Aegidius  Aycelin,  den  wir 
schon  in  Poitiers  als  Anhänger  des  Königs  kennen  lernten.  Diese 
Kommission  schritt  im  Xovember  1309  in  Paris  zu  einem  ersten 
Verhör.  Natürlich  hatte  Philipp  wieder  dafür  gesorgt,  dass  immer 
einer  seiner  Räte  den  Sitzungen  beiwohnte  und  eventuell  auch  in 
entscheidender  Weise  eingreifen  konnte.  Von  besonderem  Interesse 
war  es,  als  am  2i).  Xovember  der  Grossmeister  Jakob  von  Molay 
vor  der  Kommission  erschien^.  Als  ihm  die  Bulle  „Faciens  miseri- 
cordiam"  mit  den  darin  enthaltenen  angeblich  von  ihm  zu  Chinon 
gemachten  Geständnissen  verlesen  ward,  bekreuzte  er  sich  und  ver- 
langte in  höchster  Entrüstung,  man  möge  hier  wenigstens  das 
Recht  walten  lassen,  das  bei  Sarazenen  und  Tartaren  gelte,  wo  man 
so  verlogenen  Scheusälern  den  Kopf  abschlage  oder  den  Bauch  auf- 
schlitze. Hierauf  wandte  sich  der  Grossmeister  an  Wilhelm  von 
Plasian,  den  Vertreter  des  Königs,  wie  um  bei  ihm  Schutz  zu 
suchen  gegen  die  päpstliche  Kommission,    die    natürlich   den  Inhalt 


»  Vrgl.  über  diesen  Abschuitt  Baillkt  27!»— 28'J;  Drumans  II,  191  — l!t3; 
Renan  309f.;  Wenck  136—139;  SchottmCller  I,  221;  Hekkle-KnoI'klek  VI, 
440  f. 

2  Schottmüller  I,  299  f.;  Lea  III,  289;  PurTZ  183;  C.melin  387  f. 

3  MiCHELET  I,  32—35. 


170  6.  Kapitel. 

einer  Bulle  nicht  bezweifeln  lassen  konnte.  Plasian  versicherte  den 
Grossnieister  seiner  Freundschaft,  schon  allein  da  sie  ja  als  Ritter 
Standesgenossen  seien,  und  es  gelang  ihm,  den  peinlichen  Zwischen- 
fall vorderhand  dadurch  zu  erledigen,  dass  er  Molay  überredete,  sich 
zwei  Tage  Bedenkzeit  anszubitten,  damit  er  nichts  unüberlegtes 
sage;  dies  wurde  dem  Grossmeister  gewährt.  Am  28.  November 
fand  das  zweite  Verhör  statt';  diesmal  erschien,  nachdem  die  Verhand- 
lungen schon  begonnen  hatten,  als  Vertreter  des  Königs  Wilhelm 
von  Nogaret,  Es  hatte  seinen  guten  Grund,  dass  der  erste 
Minister  Philipp's  kam :  die  ganze  Angelegenheit  war  an  einem 
kritischen  Punkt  angelangt,  Molay,  der  in  der  Zwischenzeit  be- 
arbeitet und  auf  den  Papst  vertröstet  worden  war'^,  erklärte,  zu- 
nächst nichts  weiter  thun,  sondern  eine  Unterredung  mit  dem  Papst 
abwarten  zu  wollen;  diesem  werde  er  dann  nach  Kräften  sagen,  was 
Christi  und  der  Kirche  Ehre  sei.  Danach  lobte  er  eingehend  das 
segensreiche  Wirken  des  Ordens,  und  als  man  ihm  entgegenhielt, 
dass  dies  allein,  wenn  der  Glaube  fehle,  zum  Heil  nicht  genüge,  da 
erklärte  er,  „dass  er  wohl  an  einen  Gott  glaube  und  an  die  Drei- 
heit  der  Personen  und  an  die  anderen  Punkte  des  katholischen 
Glaubens,  und  dass  ein  Gott  sei  und  ein  Glaube  und  eine  Taufe 
und  eine  Kirche;  und  wenn  sich  die  Seele  vom  Körper  trenne, 
dann  w-erde  klar  werden,  w^er  gut  und  wer  schlecht  sei,  und  jeder 
von  uns  wisse  dann  die  Wahrheit  auch  über  das,  was  hier  verhandelt 
werde".  Als  das  Verhör  an  diesem  Punkt  angelangt  war,  ergriff 
Nogaret  das  Wort  und  verwies  auf  eine  angebliche  Erzählung  in 
der  Chronik  von  Saint  Denis ^,  wonach  zur  Zeit  Saladin's,  „des 
Sultans  von  Babylonien",  der  damalige  Grossmeister  und  andere 
Grosse  des  Ordens  Saladin  den  Treueid  leisteten,  und  Saladin  selbst 
auf  die  Kunde  von  einem  den  Templern  zugestossenen  Unglück 
öffentlich  erklärte,  dies  sei  die  Strafe  dafür,  dass  die  Templer  dem 
Laster  der  Sodomie^   huldigten    und   von  ihrem  Glauben  und  ihrer 


'  MiCHELET  I,  42 — 45. 

^  „Audiverat  in  quadam  littera  apostolica,  que  sibi  lecta  fuerat,  contineri, 
quod  dominus  papa  ipsum  et  quosdam  alios  magnos  ordinis  templariorum  rcser- 
vaverat  sibi." 

^  Wie  Nogaret  zu  dieser  Geschichte  kam,  die  sich  in  keiner  der  uns  er- 
haltenen Quellen  findet,  wissen  wir  nicht. 

*  Es  muss  übrigens  daraufhingewiesen  werden,  dass  unter  „Sodomie"  nicht 
etwa  das  vom  heutigen  Strafgesetzbuch  so  bezeichnete  Delikt  zu  verstehen  ist, 
sondern  der  den  Templern  ja  schon  mehrfach  vorgeworfene  unerlaubte  Umgang 
untereinander;  vrgl.  Ddpüy,  Diff.  pr.  104  (nr.  XV);  Chron.  von  St.  Albans,  ed. 
RiLEY,  493  (unten). 


Nogaret's  Thätigkeit  als  Grosssiegelbewahrer  1307  bis  März  1310.      171 

Ordensvorschrift  abgefallen  seien.  Molay  wusste  hiervon  nichts  und 
konnte  nur  versichern,  dass  er  wenigstens  in  seiner  Jugend  innnor 
nach  Kampf  mit  dem  Sultan  gedürstet  habe  \  .Schliesslicii  bat  er 
die  Kommission  und  Nogaret  darum,  die  Messe  und  anderen  Gottes- 
dienst besuchen  sowie  seine  Kapelle  und  Kai)läne  halten  zu  dürfen; 
dies  wurde  ihm  unter  Belobung  seiner  Frömmigkeit  zugesichert. 
Damit  war  auch  dieses  Verhör  beendigt;  noch  am  28.  November 
vertagte  die  Kommission  ihre  Sitzungen  auf  den  Februar  1310. 
Eine  Unterredung  mit  dem  Papst  ist  dem  unglücklichen  Grossmeister 
nie  gewährt  worden.  — 

6. 

Hat  so  Xogaret  auch  1309  in  den  Hauptfragen  der  französi- 
schen Politik  eine  überaus  wächtige  Rolle  gespielt,  so  ist  damit  seine 
Thätigkeit  doch  keineswegs  erschöpft.  So  finden  wir  seinen  Namen 
in  den  Protokollen  der  beiden  Parlamente  dieses  Jahrs  genannt. 
Aber  Nogaret  tritt  uns  hier  nicht  mehr  wie  früher  als  einfacher 
Berichterstatter  oder  als  untersuchungführender  Rat  entgegen,  son- 
dern er  zeigt  sich  auch  hier  als  den  leitenden  Minister,  bei  dem  die 
letzte  Entscheidung  liegt.  In  einem  Fall,  wo  es  sich  um  die  Be- 
strafung des  Bischofs  Raimund  von  Gabors  und  des  Herrn  von 
Montpezat^  handelte,  weil  diese  zwei  zum  Tod  verurteilte  Leute 
trotz  einer  von  denselben  an  den  König  gerichteten  Apjjellation 
hatten  hinrichten  lassen,  sorgte  er  selbst  für  die  richtige  Behand- 
lung der  wichtigen  Angelegenheit  ^  Und  bei  einer  anderen  Gelegen- 
heit sehen  wir,  dass  er  ein  Urteil  nicht  veröffentlichen  liess*  —  wir 
wissen  nicht  aus  welchem  Grunde. 

Um  diese  Zeit  ergaben  sich  allerhand  Streitigkeiten  betreffs  des 
Nogaret'schen  Grundbesitzes.  Nachdem  Nogaret  schon  bald 
nach  der  Ueberweisung  Tamarlets  mit  der  Stadt  Lunel  in  Zwist 
geraten  war"',  erhob  jetzt  das  Kloster  Psalmodi  gewisse  Ansprüche, 
durch  die  es  in  Konflikt  mit  Nogaret  kam.  Beide  Parteien  einigten 
sich  am  23.  August  1309  auf  Clemens  von  Fraxinum,  den  Ober- 
richter der  Seneschallei  von  Beaucaire,  als  Schiedsrichter,  und  dieser 
schlichtete  am  14.  Januar  1310  den  Streit,  indem  er  die  beider- 
seitigen Rechte  genau  begrenzte;  die  von  ihm  getroffenen  Bestim- 
mungen  wurden    im    September    1310   vom    König    bestätigt.     Eine 


»  Vrgl.  hierzu  Gmelis  228. 
*  Montpezat,  22  km  südl.  von  Cahors. 

8  Olim  Uli,  377  (nr.  XVII).  *  Ibid.  402  (nr.  XIV). 

-'  Luuel  hatte    seiue  Ansprüche    damals    nicht    durchsetzen    k.'.uncn;    Olim 
Uli,  266  f.  (nr.  LVII). 


172  6.  Kapitel. 

iioclimalige  Vergrösseriing  seines  Besitzes  erreichte  Nogaret  1310 
durch  den  Austausch  seines  Hauses,  das  er  noch  in  Montpellier 
besass,  gegen  die  an  seine  Besitzung  Massilargues  stossende,  bisher 
den  Johannitern  gehörige  „Terre  de  Liviere"^  und  durch  eine  weitere 
Landanweisung  seitens  des  Königs,  welche  Wilhelm  Bonfuille,  der 
auch  diesmal  wieder  als  Vertreter  Xogaret's  in  dessen  territorialen 
Geschäften  auftritt,  durch  Hinweis  auf  ein  noch  immer  bestehendes 
Manko  an  den  Nogaret  zugesicherten  800  Pfund  jährlichen  p]in- 
kommens  erlangte;  mit  dieser  am  28.  Februar  1311  durch  Peter 
von  Broc,  den  Seneschall  von  Beaucaire,  geschehenen  letzten  Ueber- 
weisung  königlichen  Besitzes  hat  die  sich  über  6^/2  Jahre  hinziehende 
Geschichte  des  Entstehens  und  Wachsens  der  Xogaret'schen  Grund- 
herrschaft ein  Ende  -. 

In  einer  wichtigen  Angelegenheit  finden  wir  Nogaret  um  die 
Jahreswende  1309/1310  beschäftigt.  In  Lyon  hatten  die  bestän- 
digen Streitereien  zwischen  dem  Erzbischof  und  der  Bürgerschaft 
schon  Philipp  III.  Veranlassung  gegeben,  sich  in  die  Angelegenheit 
dieser  eigentlich  zum  Deutschen  Reich  gehörigen  Stadt  zu  mischen, 
und  Philipp  der  Schöne  hatte  diese  Politik  fortgesetzt.  Der  Erz- 
bischof hatte  sich  1307  unter  den  Schutz  des  Königs  gestellt  und 
mit  diesem  einen  Vertrag  geschlossen.  Als  aber  im  folgenden  Jahr 
Peter  von  Savoyen  auf  den  erzbischöfiichen  Stuhl  erhoben  wurde, 
wollte  er  diesen  Vertrag  nicht  anerkennen  und  insonderheit  den  darin 
vorgesehenen  Fidelitätseid  nicht  leisten.  Er  hoffte,  seinen  Stand- 
punkt in  Paris  durchsetzen  zu  können  und  begab  sich  daher  Ende 
1309  persönlich  nach  der  Hauptstadt.  Der  König  beauftragte 
Nogaret  mit  den  Verhandlungen,  die  dieser  im  Hause  des  Erz- 
bischofs führte,  welches  nahe  der  Franziskanerkirche  lag.  Nogaret 
erinnerte  daran,  dass  dem  König  nach  dem  1307  geschlossenen 
Vertrag  die  Oberhoheit  über  Kirche  und  Stadt  zustehe,  weshalb 
der  Erzbischof  den  Lehnseid  nicht  weigern  könne.  Peter  machte 
allerhand  Ausflüchte  und  meinte,  der  Vertrag  enthalte  verschiedene 
Unklarheiten.  Nogaret  wollte  ihm  entgegenkommen,  indem  er  ihm 
über  unklare  Punkte  Reservationen  erlaubte  und  sich  als  Grosssiegel- 


'  Ch.  d'Aiqrefeüille:  „Hist.  de  la  ville  de  Montpellier",  nouv.  edit.  III,  534. 

^  Vrgl.  über  diese  territorialen  Dinge:  Menarü  I,  457 — 459,  462 f.,  pr.  219 
bis  226  (ur.  137—138);  Renan  274 f.;  303 f.  Auch  hier  habe  ich  mich  im  Hin- 
blick auf  die  zu  erwartende  Arbeit  von  Thomas  (vrgl.  S.  126  Anm.  2)  kurz 
gefasst.  —  Erwähnt  sei  noch,  dass  Plasian  am  10.  und  26.  Januar  1308  gleich- 
falls allerhand  Ländereien  bei  Nimes  überwiesen  erhielt  (im  Wert  von  200  Pfund), 
was  Philipp  im  Mai  1308  bestätigte;  Arch.  nat.  JJ  44  nr.  171. 


Nogaret's  Thätigkeit  als  Grosssiegelbewahrer  1307  bis  :\Iiir/,  1.310.      173 

bewahrer  des  Königs  erbot,  ihm  über  dieselben  eine  Urkunde  aus- 
zustellen; auch  andere  Bedenken  des  Erzbischofs  suclite  er  zu  zer- 
streuen, wobei  er  besonders  darauf  hinwies,  dass  ja  durchaus  nichts 
Neues,  sondern  nur  ein  Einhalten  des  geschlossenen  Vertrags  ver- 
langt Averde.  Aber  Peter  von  Savoyen  wollte  sich  eben  auf  diesen 
nicht  mehr  einhissen  und  schützte  daher  vor,  sich  erst  in  Lyon  hier- 
über noclnnals  beraten  zu  müssen,  worauf  er  wieder  dorthin  ab- 
reistet —  Bereits  1310  brach  in  Lyon  die  offene  Emi)örung  gegen 
Philipp  aus,  die  dieser  mit  Watiengewalt  niederwarf,  worauf  1313 
die  völlige  Einverleibung  der  Stadt  in  Frankreich  erfolgte. 

So  nahte  allmähhch  der  16.  März  1310,  der  von  Clemens  für 
den  Beginn  des  Prozesses  gegen  Bonifaz  anberaumte  Termin. 
Philipp-  hatte  auch  zu  dieser  Angelegenheit  in  erster  Linie  wieder 
Nogaret  bestimmt,  der  hierbei  sich  und  sein  Verhalten  gegen  Bo- 
nifaz zugleich  verteidigen  konnte;  sein  langjähriger  Kampfgenosse 
Plasian,  der  ja  gleichfalls  schon  1303  Bonifaz  der  Ketzerei  geziehen 
hatte,  sollte  ihn  auch  auf  diesem  gefährlichen  Gang  begleiten.  Denn 
ein  gefährlicher  Gang  war  es  in  der  That,  den  die  beiden  jetzt  nach 
dem  ausserhalb  der  Grenzen  Frankreichs  gelegenen  Avignon  unter- 
nahmen. "Wir  erwähnten  seiner  Zeit,  dass  Nogaret  1304  öfters  her- 
vorgehoben hatte,  dass  er  seiner  Gegner  wegen  sich  nicht  mehr 
ohne  Lebensgefahr  nach  Italien  zum  Papst  begeben  könne;  jetzt 
war  der  Sitz  der  Kurie  zwar  näher,  aber  der  Ueberfall  Supino's 
zeigte,  dass  die  Verhältnisse  darum  kaum  minder  gefährlich  waren. 
So  ist  es  denn  begreiflich,  wenn  Nogaret  im  Februar  1310,  vor 
seiner  Abreise  nach  Avignon,  ein  Testament  machtet  Er  bat 
den  König,  es  vor  ihm  aufsetzen  zu  dürfen,  und  Philipp  liess  über 
dasselbe  in  seinem  Namen  eine  Urkunde  ausstellen'.     Dieses  Testa- 


^  DüPüY,  Diff.  pr.  616;  Menestrier:  „Hist.  civile  ou  consulaire  de  la  ville 
de  Lyon"  (Lyon  1696)  423-425,  pr.  48 f.;  Hüfker:  „Die  Stadt  Lyon  und  die 
Westbälfte  des  Erzbistums"  (Münster  1878)  133.  Der  Bericht  Nogaret's  über 
die  Verhandlungen  ist  vom  7.  .Tauuar  1310.  Ueber  Lyon  vrgl.  die  Bemerkungen 
Nogaret's  bei  DiPuy,  Diif.  pr.  319  f.  —  Auch  sonst  scheint  Nogaret  damals  mit 
verschiedenen  Missionen  betraut  gewesen  zu  sein:  am  7.  März  1310  ordnete  riniiin» 
an,  dass  die  von  Nogaret  „pro  quibusdam  nostris  secretis  negotii»  .  .  .  per 
eundem  expletia"  gemachten  Auslagen  von  6000  Pfund  Pariser  Währung  be- 
glichen würden;  Arch.  uat.  JJ  42  A  nr.  76. 

-  Der  König  selbst  war,  wie  Clemens  (binh  das  Schreiben  „Quia  solus" 
vom  2.  Februar  1310  ausdrücklich  hervorhob,  als  über  den  Parteien  stehend, 
nicht  unter  den  Geladenen  mit  einbegriireu;  Duumann  II,   194. 

^  Auszugsweise  gedruckt  in  der  Hist.  de  Lang.  X,  ]>r.  ril2  f.  —  Renan  313  f. 

■'  Obgleich  Exkommunizierte  eigentlich  gar  kein  Testament  machen  konnten! 
Nogaret  behauptete  eben,  in  "Wahrheit  sei  er  gar  nicht  im  Banu. 


174  6.  Kapitel. 

nient  ist  für  uns  auch  insofern  von  besonderem  Interesse,  als  wir  in 
ihm  zum  ersten  Mal  aust'ülnlicher  von  No  gar  et 's  Familienver- 
hältnissen hören,  von  seiner  Frau  Beatrice,  seinen  beiden  Söhnen 
Kaimund  und  Wilhelm,  seiner  Tochter  Wilhelma,  seinen  Neffen 
Bertrand  und  Thomas,  den  Söhnen  eines  jüteren,  schon  verstorbenen 
Bruders',  und  einem  anderen  Neffen  Bertrand,  dessen  Vater  Gil- 
debert hiess;  die  Tochter  war  damals  schon  verheiratet,  und  zwar 
mit  Beranger  von  Guilhem,  dem  Sohn  des  gleichnamigen  Seigneurs 
von  Clermont-de-Lodeve^.  Nogaret  bittet  in  seinem  Testament  zu- 
nächst, im  Fall  seines  Todes  in  der  Dominikanerkirche  zu  Paris  bei- 
gesetzt zu  werden,  oder  aber  in  Nimes,  ,.wenn  er  näher  bei  dieser 
Kirche  sterben  sollte",  wie  bezeichnend  hinzugesetzt  ist.  Raimund, 
sein  ältester  Sohn,  soll  Universalerbe  sein,  Wilhelm  jählich  300  Pfund 
erhalten,  die  dem  Vater  von  Raimund  von  Bearn^  gezahlt  wurden, 
und  Wilhelma  die  vereinbarte  Mitgift^  und  ausserdem  eine  einmalige 
Zahlung  von  100  Pfund.  Wenn  einer  der  Söhne  ohne  solche  Nach- 
kommen, die  dem  weltlichen  Stand  angehörten^,  stürbe,  so  solle  der 
andere  sein  Erbteil  erhalten;  stürben  sie  beide  ohne  „weltliche^" 
Nachkommen,    so   solle    in    erster  Linie    die   Tochter   folgen,    dann 


^  Derselbe  hiess  nach  Lafaille,  Annales  de  Toulouse  11,  383  Pons;  von 
ihm  stammten  die  Herzöge  von  Epernon  ab.  Vrgl.  Anselme-dü  Fourny 
III,  853;  Hist.  de  Lang.  X,  notes  55  (nr.  III). 

^  Diese  Ehe  war  von  Xebenumständen  begleitet,  die  ein  gewisses  Interesse 
beanspruchen.  Nogaret  hatte  seiner  Tochter  3000  Pfund  Mitgift  versprochen, 
dieselben  aber  nicht  bar  ausbezahlt,  sondern  statt  dessen  eine  ebenso  hohe  Schuld 
übernommen,  die  der  Seigneur  von  Clermont-de-Lodeve  (im  heutigen  Dept. 
Herault)  an  den  König  zu  entrichten  hatte.  In  den  Kämpfen  der  Krone  mit 
der  Grafschaft  Toulouse  hatte  die  Stadt  sich  mit  ihrem  Herrn  überwerfen; 
dieser  stand  auf  der  Seite  des  Königs,  jene  auf  der  des  Grafen  von  Toulouse. 
Hierfür  war  Clermont  durch  den  Verlust  aller  seiner  P'reiheiten  gestraft  worden, 
hatte  es  aber  doch  verstanden,  verschiedene  Rechte  seinem  Seigneur  gegenüber 
zu  behaupten,  bis  dann  dieser  gegen  3000  Pfund  von  Philipp  eine  Bestätigung 
des  alten  Spruchs  erhielt.  Dies  war  die  Schuld,  die  nun  Xogaret  übernahm; 
aber  auch  er  zahlte  nur  1000  Pfund,  während  ihm  der  Rest  vom  König  am 
1.  Juli  1308  erlassen  wurde.  Beilage  VIII;  vrgl.  Anselme  -  du  Fourny  VI,  299 
(hiernach  ist  die  Ehe  1306  eingegangen  worden),  Renan  304  (nach  Mitteilun- 
gen BouTARic's),  Hist.  de  Lang.  IX,  281  Aum.  (Molinier)  und  für  die  Vor- 
geschichte Arch.  nat.  JJ,  C  Blatt  37  f. 

^  Wohl  derselbe,  von  dem  Hist.  de  Lang.  IX,  356  die  Rede  ist.  Auch 
in  dieser  Notiz  erkennen  wir  eine  der  vielen  Beziehungen,  die  Nogaret  noch  zu 
dem  Süden  hatte. 

^  Vrgl.  oben  Aum.  2. 

^  Man  beachte,  dass  das  Testament  charakteristischer  Weise  alle  etwaigen 
geistlichen  Mitglieder  der  Familie  enterbt. 


Nogaret's  Thätigkeit  als  Grosssiegelbowahrcr  1307  bis  INIärz  i;5U).      175 

deren  nicht-geistlichen  Söhne  iinil ,  wenn  solche  nicht  vorhanden 
Wcären,  deren  nicht-geistlichen  Töchter.  Sollte  keines  der  Kinder 
in  der  vorausgesetzten  Weise  Nachkommen  erhalten,  dann  sollten  die 
Neffen  Bertrand  nnd  Thomas  oder  ihre  männlichen,  nicht-geistlichen 
Nachkommen  erben,  u.  s.  w.;  nach  ihnen  folgt  der  andere  Neffe 
Bertrand,  der  Sohn  des  Gildebert,  im  Erbanspruch.  Nogaret's 
Gattin  Beatrice  soll  ihre  vom  Vater  erhaltene  Mitgift,  bestehend  aus 
1500  Pfund,  sowie  standesgemässen  Unterhalt  erhalten. 

Für  die  Dauer  des  Aufenthalts  Nogaret's  in  Avignon  niusste 
für  das  Amt  des  Grosssiegelbewahrers  ein  Stellvertreter  ernannt 
werdend  Am  27.  Februar  1310^  übertrug  der  König  dasselbe  daher 
dem  Erzbischof  Aegidius  Aycelin  von  Narbonne,  der  uns  als 
Anhänger  der  königlichen  Sache  schon  bekannt  ist.  Nogaret  machte 
in  Avignon  möglichst  geringen  Gebrauch  von  dem  Titel  eines  Gross- 
siegelbewahrers, obgleich  er  auch  während  seiner  Abwesenheit  aus 
Frankreich  der  eigentliche  Siegelbewahrer  des  Königreichs  blieb  und 
Aegidius  Aycelin  nur  sein  Stellvertreter  war^. 

Als  am  16.  März  1310  der  Prozess  in  Avignon  eröffnet  wurde, 
waren  die  Gesandten  des  Königs  dort  bereits  anwesend'^;  sie  mögen 
also  Ende  Februar  Paris  verlassen  haben.  Ausser  Nogaret  und 
Plasian  gehörten  noch  zu  dieser  wichtigen  Gesandtschaft  Philipp's 
die  Ritter  Peter  von  Gaillard  und  Peter  von  Broc''",  sowie 
Alanus  von  Lamballe,  der  Archidiakon  von  St.  Brieuc*'.  In 
Nimes  scheint  man  sich  versammelt  zu  haben,  um  sich  gemeinsam 
und  unter  dem  Schutz  Bewaffneter'^  nach  Avignon  zu  begeben. 


'  Vrgl.  über  das  folgende:  Hist.  de  Laug.  X,  notes  57  f.  (nr.  VIII). 

-  Arch.  nat.  JJ  45,  Eintrag  auf  Blatt  8  oben;  Dcchesne  264;  Anselme- 
Dü  FoüRNY  VI,  301;  Gallia  christiana  VI,  86. 

'  In  Avignon  sagten  die  Bonifazianer  u.  a.:  „eum  [seil.  Guillelmum  de  N.l 
cancellarium  suum  fecit  [seil,  rex],  qui  ipsura  caucellariae  ofticiuni  cxercuit  et 
exercet";  DupUY,  Diff.  pr.  487.  Nogaret  erwiderte,  wie  bereits  bemerkt,  dass 
er  zwar  nicht  Kanzler,  aber  Grosssiegelbewahrer  in  der  That  sei. 

*  DuPUY,  Diff.  pr.  368. 

'  Der  schon  einmal  erwähnte  Seneschall  von  Beaucaire,  auch  Peter  von 
Blanascum  genannt;  DupuY  a.  a.  0.;  Menärd  I,  463. 

'^  Menard  a.  a.  0.  Eben  im  heutigen  Arrondissemeut  St.  Brieuc  liegt 
Lamballe. 

'  Cont.  Quill.  Xang.,  ed.  Geraud  I,  374.  Die  Behauptung,  Nogaret  sei 
auch  persönlich  geladen  worden,  ist  unrichtig;  Dlply,  Dill",  pr.  372:  „ego  Guillel- 
mus  de  Nogareto,  licet  non  nominatim  citatus."  Vrgl.  ferner  über  den  Beginn 
des  Prozesses:  BERNHARDr.s  Guidonis,  Rec.  des  hist.  XXI,  719C — 1);  Cont.  Toi. 
Luc,  MiRATORi  XI,  1232 p];  Auoii.  8.  Mart.  Chron.,  Mou,  Germ.  SS.  XXVI, 
441  ZI.  22-24;  Cont.  Can.  S.  Rudberti,  ibid.  IX,  820  ZI.  26— 31. 


176 


7.  Kapitel. 


Der  Prozess  gegen  Bonifaz  VIII.  und  das  Ende  der  Templer. 
Nogaret's  Tod.    (März  1310  bis  April  1313.) 

1. 

Am  16.  März  1310,  dem  Montag  nach  Reminiscere,  wurde  der 
lang  angekündigte  Prozess  gegen  Bonifaz  VIII.  von  Clemens  V. 
durch  ein  feierliches  Konsistorium  eröffnet  \  Dasselbe  fand  im  Palast 
der  Dominikaner^  statt,  der  dem  Papst  in  Avignon  als  Wohnung 
diente.  Eine  grosse  Zahl  geistlicher  und  weltlicher  Personen  war 
anwesend,  darunter  befanden  sich  viele  Kardinäle  und  die  Gesandten 
Philipp's,  die,  wie  es  scheint,  mit  Rücksicht  auf  ihre  Sicherheit  erst 
an  diesem  Tage  in  Avignon  eingetroffen  waren  ^.  Zunächst  liess 
Clemens  durch  den  Notar  Johann  von  Veroli  die  Bulle  „Redemptor 
noster"  vom  13.  September  1309  verlesen,  durch  welche  er  die  Par- 
teien geladen  hatte;  hieraufbrachte  Nogaret  allerliand  Klagen  und 
Einwände  vor,  die  er  demnächst  auch  schriftlich  einzureichen  ver- 
sprach*. Sodann  meldeten  sich  die  Verteidiger  Bonifaz' VIII.,  zwölf 
an  Zahl-,  es  waren  lauter  Italiener,  nämUch  ausser  dem  zum  Wort- 
führer bestimmten  ]\[agister  Jakob  von  Modena  der  uns  von  Anagni 
her  bekannte  Kardinal  Franz  Gaetani,  ferner  Theobakl  von  Anagni^, 


^  Das  über  dasselbe  aufgenommene  Protokoll  bei  Dupuy,  Diff.  pr.  367 — 370. 
Das  ganze  Protokoll  des  Prozesses  befindet  sich  in  dem  Registerband  Arch.  nat. 
J  493  (Dupuy,  DifF.  pr.  367 — 521;  stellenweise  nur  ein  Auszug);  ein  weiteres 
Protokoll  des  letzten  Teils  (November-Dezember  1310;  Dupuy,  Dift".  pr.  502—514 
und  522  f.)  ibid.  492  nr.  805. 

-  „In  palatio  loci  frati'um  ordiuis  praedicatoi-um,  ubi  idcm  dominus  papa 
morabatur" ;  vrgl.  dazu  den  Bericht  in  der  Rev.  des  quest.  bist.  XI,  24  (Wenck 
173)  nr.  II. 

»  Cont.  Toi.  Luc,  bei  Muratori  XI,  1232 E. 

''  Vrgl.  das  Nähere  in  der  am  20.  März  von  Nogaret  und  Plasian  über- 
reichten Schrift. 

'^  Gleichfalls  ein  Nepote  Bonifaz'  VIII.;  vrgl.  Dupuy,  Diff.  pr.  371,  405. 


Prozess  gegen  Bouifaz  und  Enilo  d.  Templer.   Nogaret's  Tod.  (1310—1313.)      ]  77 

Crescentius  von  Paliano,  Blasius  von  Piperno,  Konrad  von  Spo- 
leto,  Jakob  von  Sermoneta,  Tlioinas  von  Morro,  (ilotius  von  Ri- 
mini  \  der  Kanonikus  Baldredus  Biset,  Nikolaus  von  ^^'roli  und 
Ferdinand,  der  Kaplan  des  Kardinals  Peter  Ispanus.  .Jakob  von 
Modena  protestierte  zunächst  im  Namen  dieser  zwölf  Verteidiger 
gegen  jedes  unrechtmässige  Vorgehen  in  diesem  Prozess,  wie  es  sich 
namentlich  darin  dokumentiere,  wenn  man  sich  mit  solchen  Gegnern 
widerrechtlich  einlasse;  er  dachte  dabei  ottenbar  in  erster  Linie  an 
den  gebannten  Nogaret.  Nachdem  sich  ihm  Baldredus  kurz  an- 
geschlossen hatte,  forderte  der  Papst  beide  Parteien  auf.  ihre 
AVünsche  am  folgenden  Freitag  schriftlich  einzureichen,  um  dann 
nach  einer  Woche,  am  27.  März,  wieder  vor  ihm  zu  erscheinen. 
Man  bemerkt  schon  hier,  wie  es  dem  Papst  um  ein  möglichstes 
Hinausschieben  der  Angelegenheit  zu  thun  war. 

Nachdem  Clemens  dann  am  19.  März  die  Kardinäle  Berengar 
(Bischof  von  Frascati)  und  Stephan  (Presbyter  vom  Titel  des  hei- 
ligen Cyriacus)  damit  beauftragt  hatte,  am  folgenden  Tag  die  schrift- 
lichen Erklärungen  in  seinem  Namen  entgegenzunehmen-,  erschienen 
am  Freitag,  dem  20.  März,  vor  dieser  Kommission  zunächst  die 
Verteidiger  des  Bonifaz;  Jakob  von  Modena  überreichte  im  Namen 
der  übrigen  eine  kurze  Schrift,  in  der  sich  dieselben  nach  "Wieder- 
holung der  Ausführungen  vom  16.  März  als  Verteidiger  Bonifaz'  VIII. 
vorstellten.  Hierauf  erschienen  auch  die  fünf  Gesandten  Philipp's 
und  überreichten  drei  Rollen  und  ausserdem  ein  Verzeichnis  der 
Kardinäle,  welche  als  voreingenommen  von  der  Untersuchung  aus- 
zuschliessen  seien  ^.  Die  beiden  ersten  Rollen  enthielten  die  Reden, 
die  Nogaret  und  Plasian  im  März  respektive  Juni  1303  gegen  Bo- 
nifaz gehalten  hatten*.  Die  dritte  Rolle  bestand  allein  aus  elf  an- 
einandergehefteten Pergamentstücken  und  enthielt  eine  von  Nogaret 
und  Plasian  gemeinschafthch  verfasste  Note",  in  der  die  beiden 
etwa  folgendes  ausführten:  Das  vom  Papst  am  16.  März  wieder  ver- 
lesene Zitationsedikt   (die  Bulle    „Redemptor   noster")   sei   in    einer 


'  So  heisst  er  bei  Dupuy,  Diff.  pr.  370,  371  (ZI.  19  v.  u.),  390,  399,  405, 
467,  468,  .502,  504,  506,  508,  509,  511,  512:  ibid.  371  (ZI.  10  v.  o.)  ist  fälsch- 
lich „Luci'js"  gedruckt. 

-  Dlply,  Diff.  pr.  370  f.  ''  Ibid.  372. 

*  Aus  der  Notiz  Duplv's  a.  a.  0.  könnte  man  schliessen,  dass  nur  Noga- 
garet's  Rede  überreicht  wurde;  aber  dann  wäre  unklar,  was  die  zweite  Rolle 
enthielt,  und  aus  den  Worten  Xogaret's  und  Plasian 's  ibid.  380  crjfiebt  «ich, 
dass  man  beide  Reden  einreichte. 

•■'  Ibid.  372—387;  mit  Recht  bemerkt  Renan  366,  dass  von  solclicn  gemein- 
schaftlich abgefassten  Stücken   der  Hauptanteil  wolil  auf  Nogaret  fiel. 
R.  Iloltzmaiin,  Nogaret.  12 


178  7.  Kiii)itel. 

"Weise  gehalten,  die  man  aus  weiter  unten  anzuführenden  Gründen 
nicht  annehmen  könne,  und  es  möge  daher  vom  Papst  öffenthch 
wie  es  erlassen  auch  wieder  zurückgenommen  werden;  sie,  die  Ge- 
sandten Philipp's,  legten  Wert  darauf,  zu  betonen,  dass  sie  nicht  auf 
dieses  Edikt  hin,  sondern  freiwillig  erschienen  seien.  Werde  die 
Bulle  zurückgenommen,  so  seien  sie  nach  wie  vor  bereit,  die  An- 
klage zu  vertreten,  müssten  aber  privatim^  die  Bitte  stellen,  die 
Zeugen,  von  denen  viele  schon  alt  seien,  bald  zu  vernehmen,  und 
zwar  zur  Vermeidung  einer  persönlichen  Gefahr  so,  dass  ihre  Namen 
nicht  öft'entlich,  sondern  nur  der  Kurie  bekannt  würden.  Einige  von 
den  Kardinälen  könne  man  nicht  für  unparteiisch  gelten  lassen, 
weshalb  man  sie  bei  der  Untersuchung  nicht  zulassen  dürfe,  zumal 
Xogaret  schon  bei  seinem  Aufenthalt  in  Italien  (1304)  von  ihnen 
allerhand  Unbilden  zu  erleiden  hatte;  die  Namen  solle  man,  wenn 
möglich,  nicht  nennen,  weshalb  sie  dem  Papst  schriftlich  eingereicht 
würden.  Nachdem  Nogaret  und  Plasian  dann  durch  einen  Hinweis 
auf  jene  beiden  Versamndungen  vom  Jahr  1303  und  auf  die  bestän- 
digen Bemühungen  Philipp's  bei  Benedikt  und  Clemens  gezeigt  haben, 
dass  der  jetzt  eröffnete  Prozess  nichts  Neues,  sondern  nur  die  Er- 
füllung einer  alten  Forderung  sei,  legen  sie  die  Gründe  dar,  weshalb 
sie  mit  dem  päpstlichen  Erlass  .,Redemptor  noster"  unzufrieden  sein 
müssten.  Er  sei  formell  wie  inhaltlich  zu  beanstanden.  Denn  die 
Form,  eine  derartige  Vorladung,  die  sich  auf  einzelne  Personen  be- 
ziehe, nur  an  die  Kirche  der  jeweiligen  päpstlichen  Residenz  anzu- 
schlagen, sei  durchaus  ungenügend,  und  der  Erlass,  durch  den  Bo- 
nifaz  diese  Art  der  Verkündigung  für  ausreichend  erklärt  habe-^ 
Verstösse  gegen  alle  Gerechtigkeit  und  sei  auch  in  der  Folge  nicht 
aufrecht  erhalten  worden.  Inhaltlich  aber  enthalte  jene  Vorladung 
bald  zu  wenig  und  bald  zu  viel:  die  wichtigsten  Dinge  seien  darin 
zu  vermissen  —  so  der  Vorwurf,  dass  Bonifaz  unrechtmässig  Papst 
geworden  sei,  sowie  die  Anklagen  wegen  Häresie,  Simonie  und  an- 
derer schändlicher  Verbrechen  —  wohingegen  Bonifaz  sogar  gelobt 
werde;  andererseits  sei  es  unrichtig,  dass  Plasian  behauptet  habe, 
Bonifaz  sei  als  Häretiker  gestorben^,  dass  Philipp  nicht  nur  ein 
Verhör,  sondern  eine  Verurteilung  verlangt  habe,  u.  a.  m.  Der 
König  könne  daher  diesen  Erlass  nicht  annehmen.  Im  übrigen 
müssten  sie,   die  Gesandten,   dagegen  protestieren,  dass  die  Vertei- 

'  rUt   privatae  personae";    Nogaret    und  Plasian   unterscheiden    zwischen 
dem,  was  sie  als  Gesandte,  und  dem,  was  sie  als  Privati)ersonen  sagen. 
-  „Rem  non  novam"  vom  15.  August  1303,  Potthast  nr.  25276. 
^  Eine  offenbare  Tiftclei! 


Prozess  gegeu  Bonifaz  und  Ende  J.  Templer.   Noi,'aret's  Tod.  (1310 — 1313.)      1  79 

<3iger  des  Bonifaz,  deren  ihnen  unhekannte  Namen  man  ihnen  mit- 
teilen solle,  über  irgend  etwas  gehört  würden,  ehe  sie,  ilire  (iegner, 
darüber  vernonnnen  wären.  Hierauf  wurden  die  einzelnen  Anklagen 
gegen  Bonifaz  in  oft  wörtlichem  Anschluss  an  die  Bede  Xogaret's 
vom  12.  März  1303  vorgebracht;  Clemens  möge  dieselben  würdigen. 
Auch  protestierte  Nogaret  gegen  die  Bulle  „Flagitiosum  scelus": 
Benedikt  habe  sich  offenbar  in  voller  Unkenntnis  der  Thatsachen 
befunden.  Zum  Beweis  dafür  wirft  Xogaret  noch  einen  längeren 
Bückblick  auf  das  Geschehene,  den  wir  als  seine  fünfte  Apologie 
zu  bezeichnen  haben;  er  habe  nur  l)ona  fide  gehandelt,  habe  als  Va- 
sall des  Königs  so  überhaupt  handeln  müssen,  habe  sich  in  Anagni 
weder  an  der  Person  noch  dem  Besitz  des  Papstes  vergritien,  und 
sei  von  diesem  selbst  noch  ausdrücklich  absolviert  worden.  Daher 
möge  auch  er,  Clemens,  ihm  jetzt  Gerechtigkeit  widerfahren  lassen. 
—  Mit  der  Abgabe  dieser  Erklärungen  war  die  Angelegenheit  für 
eine  Woche  erledigt. 

Schon  diese  Ausführungen  Nogaret's  vom  20.  März  zeigen,  dass 
es  auch  ihm  mit  einer  Beschleunigung  des  Prozesses  nicht  ernst  war. 
Was  er  wollte,  war  nicht  ein  möglichst  rasches  Urteil,  von  dem  er 
ja  gar  nicht  wusste,  in  welchem  Sinn  es  von  Clemens  abgegeben 
werde,  sondern  eine  möglichst  lange  Untersuchung  dieser  dem  Papst- 
tum so  unangenehmen  Sache,  damit  durch  eine  breite  Behandlung 
der  skandalösen  Anklage  möglichst  viel  Staub  aufgewirbelt  und 
Clemens  zum  Nachgeben  in  anderen  Dingen  gegen  einen  Verzicht 
des  Königs  auf  die  Weiterführung  des  Prozesses  gegen  Bonifi\z  ge- 
fügig gemacht  werde.  Zu  diesem  Zweck  verlangte  er  die  Zurück- 
nahme der  Bulle  „Redemptor  noster"  und  den  Ausschluss  einiger 
Kardinäle  von  den  Verhandlungen,  zu  diesem  Zweck  malte  er 
andererseits  bei  jeder  Gelegenheit  die  Verbrechen  Bonifaz'  VIII. 
aus  und  forderte  eine  möglichst  rasche  Vernehmung  seiner  Zeugen. 
Die  Verteidiger  des  Bonifaz  stellten  sich  auf  den  Standpunkt,  dass 
man  die  Ankläger,  insonderheit  Xogaret,  gar  nicht  hören  dürfe,  und 
da  Clemens  eine  möglichste  Hinausziehung  der  Frage  wünschte,  um 
keine  Entscheidung  fällen  zu  müssen,  bediente  er  sich  dieser  P^in- 
wände  der  beiden  Parteien  zur  Erreichung  seiner  Absicht:  er  müsse 
erst  alles  ordenthch  überlegen,  führte  er  innner  wieder  aus,  und 
vorderhand  solle  keiner  Partei  aus  diesen  Vorbereitungen  ein  Prä- 
judiz erwachsen,  da  er  ja  zunächst  erst  entscheiden  müsse,  ob  er 
die  bezeichneten  Kardinäle,  ob  er  Nogaret  von  den  Vorhandlungen 
ausschliessen  solle  oder  nicht.  Das  ist  der  Sinn  der  „Reservationen- 
des   Papstes,    die    er    am    Schluss  jedes    Konsistoriums    aussprach. 

12* 


180  "•  Kapitel. 

Ueber    diese    Präliniiiiaricn    ist    man    thatsiiclilicli    überhaupt    nicht 
hinausgekommen. 

2. 
Freitag  den  27.  März  1310  wurden  die  Verhandlungen,  wie 
Clemens  bestimmt  hatte,  fortgesetzt';  wieder  fanden  sie  in  einem 
feierlichen  Konsistorium  statt.  Nogaret  sprach  diesmal  in  seinem 
Namen  und  in  dem  des  abwesenden  Plasian;  die  drei  anderen  Ge- 
sandten Piiilipp's  waren  gleichfalls  zugegen.  Nogaret  erklärte,  bei 
der  Anklage  zu  verharren,  und  verlangte  dreierlei:  die  Zurücknahme 
der  Bulle  „Redemptor  noster",  den  Ausschluss  der  Verteidiger  des 
Bonifaz,  die  keinen  Rechtstitel  für  ihr  Auftreten  geltend  machen 
könnten  und  deren  Namen  man  ihm  endlich  nennen  möge-,  sowie 
das  baldige  Befragen  der  Zeugen,  aber  ohne  deren  Namensnennung. 
Dagegen  wurden  auf  Wunsch  Nogaret's,  dem  es  jetzt  so  besser 
schien,  und  mit  Zustimmung  des  Papstes  die  Namen  der  von  No- 
garet und  Plasian  als  parteiisch  beanstandeten  Kardinäle  verlesen; 
es  waren  acht  an  Zahl,  nämlich  die  Kardinalbischöfe  Leonardus  von 
Guartino,  Peter  Ispanus  und  Johann  von  Morro,  der  Kardinalpres- 
byter Wilhelm  und  die  Kardinaldiakonen  Jakob  und  Franz  Gaetani, 
Rezard  von  Siena  und  Lucas  Fliscus.  Diese,  meinte  Nogaret,  seien 
von  Bonifaz  zum  Kardinalat  erhoben  worden  und  könnten  daher  in 
dieser  Angelegenheit  so  wenig  wie  die  Verwandten  des  Bonifaz  ge- 
hört werden.  Ihm  gegenüber  vertrat  diesmal  Baldredus  Biset 
die  Sache  der  Verteidiger  und  verlangte,  dass  man  weder  Nogaret 
noch  seine  Zeugen  zulassen  oder  mit  ihren  Anklagen  hören  dürfe. 
Man  redete  noch  verschiedentlich  hinüber  und  herüber,  sodann 
schloss  der  Papst  dies  Konsistorium  auf  ganz  ähnliche  Weise  wie 
das  erste:  nachdem  er  sich  nach  jeder  Richtung  hin  freie  Hand  ge- 
wahrt hatte,  setzte  er  den  kommenden  Mittwoch  für  beide  Parteien 
zum  Einreichen  schriftlicher  Erklärungen  fest.  Nogaret  solle  ihm 
da  seine  Zeugen  nennen,  von  denen  er  wünsche,  dass  man  sie  ver- 
nehme, und  möge  auch  sonst,  „was  er  wolle",  ausführen  und  in- 
sonderheit die  Gründe  angeben,  weshalb  man  die  Verteidiger  in  dem 
Prozess  nicht  zulassen  dürfe;  und  ebenso  solle  auch  Baldred  mit 
seinen  Genossen  schriftlich  niederlegen,    weshalb  man  die  Ankläger 


'  Das  Protokoll  Dupuy,  Diff.  pr.  387—390. 

"  Nogaret  nahm  hier  eine  ausserordentlich  hochtrabende  Sprache  an;  dass 
er  die  Namen  der  Verteidiger  thatsächlich  immer  noch  nicht  gekannt  habe, 
fällt  doch  sehr  schwer  zu  glauben!  Ueber  den  Rechtsgrund,  ^veshalb  er  die 
Verteidiger  ausgeschlossen  wissen  wollte,  vrgl.  das  am  1.  April  von  ihm  ein- 
gereichte Schriftstück. 


Prozess  gegeu  Bouil'az  uutl  Eiulo  d.  Tonipler.   Nogiiret's  Tod.  (1310—1313.)      181 

nicht  hören  dürfe,  und  was  ihnen  sonst  anf  dem  Herzen  läj^'e.  Ein 
neues  Konsistorium  solle  erst  wieder  in  14  Tagen  abgehalten  werden! 
Zur  Entgegennahme  der  schriftlichen  Erklärungen  bestimmte 
Clemens  am  31.  März  wieder  die  beiden  Kardinäle  Berengar  und 
Stephan'.  Am  Mittwoch,  dem  1.  April,  überreichten  vor  ihnen 
zunächst  Xogaret  und  Plasian  ein  auf  zwei  aneinandergeheftete 
Pergamentblätter  geschriebenes  Schriftstück-.  In  demselben  wiesen 
sie  darauf  hin,  dass  die  Ankläger  in  dem  Prozess  zugelassen,  die 
Verteidiger  aber  zurückgewiesen  werden  müssten;  deim  im  Ketzer- 
jirozess  dürften  ausser  dem  Angeklagten  nur  solche  Zeugen  ver- 
nommen werden,  die  gegen  den  Beschuldigten  sprächen^,  und  dies 
Verfahren  müsse  natürlich  auch  dann  eingehalten  werden,  wenn  der 
Angeklagte  schon  tot  sei.  Dies  wird  des  längeren  ausgeführt  und 
gezeigt,  dass  das  Auftreten  der  Verteidiger  ganz  wider  Recht  sei. 
Zum  Schluss  fordern  die  beiden  dann  wieder,  dass  die  bejahrten 
Zeugen  jetzt  ohne  weiteren  Aufschub  verhört  würden,  und  dass  volle 
Sicherheit  gegeben  werde  für  alle,  die  sich  gegen  Bonifaz  aussprä- 
chen. Hierauf  überreichten  namens  der  Verteidiger  Jakob  von 
Modena  und  Nikolaus  von  Veroli  jeder  eine  aus  drei  aneinander- 
gehefteten Pergamentstücken  bestehende  Schrift ,  um  zu  erweisen, 
dass  man  die  Ankläger  in  diesem  Prozess  nicht  zulassen  dürfe  ^. 
Die  beiden  Schriftstücke''  enthalten  ungefähr  dasselbe.  In  dieser 
Angelegenheit,  in  der  überhaupt  nur  ein  allgemeines  Konzil  urteilen 
könne,  müsse  jeder  Verteidiger  gehört  Averden ,  zumal  Bonifaz  sich 
selbst  nicht  mehr  verteidigen  könne;  Bonifaz  sei  der  wahre  Papst 
lind  immer  ein  gläubiger  Christ  gewesen,  die  Behauptungen  Xogaret's 
und  Plasian's  seien  alle  unrichtig.  Dagegen  dürfe  man  diese  beiden 
überhaupt  gar  nicht  zulassen,  da  sie  offene  Feinde  der  Kirche 
schlimmster  Art  seien,  und  Nogaret  sogar  von  Benedikt,  unter 
dessen  Augen  die  Schandthat  von  Anagni  geschah,  mit  dem  Bann 
belegt  worden  sei.  Es  ist  richtig,  dass  im  Ketzerprozess  Todfeinde 
des  Beklagten  nicht  vernommen  werden  sollten",  und  schon  deshalb 
gewinnt  in  der  Folge  eine  besondere  Bedeutung  die  Frage,  ob  das 

'  DuPUY,  Diff".  pr.  390.  -  Ibid.  391  (oben),  391—394. 

^  "Wir  wiesen  seiner  Zeit  darauf  liin,  dass  Xo<,'aret  schon  am  12.  März  1303 
das  in  Aussicht  genommene  Verfahren  gegen  Bonifaz  auf  eine  Stufe  mit  dem 
Ketzer-Inquisitionsprozess  stellte.  Im  Ketzerprozess  wurden  im  allgemeinen  nur 
Belastungszeugen  vernommen,  doch  ist  die  Behauptung  unrichtig,  dass  Ent- 
lastungszeugen de  iure  ausgescldossen  seien. 

*  DuPUV,  DitV.  pr.  391;    vrgl.  Cont.  Toi.   Luc,    bei   Mikatoki   XI,    1233 A. 

"  DüPüY,  Dirt".  pr.  394—399,  399—403. 

«  HmscHius  V  1,  483. 


182  7.  Kapitel. 

frühere  uml  jetzige  Vorgehen  Xogaret's  und  Plasian's  gegen  Bonifaz 
„bono  zelo"  oder,  wie  die  Verteidiger  behaujjteten,  „malo  zelo"^ 
(1.  h.  aus  gehässigen  Gründen,  erfolgt  sei.  Der  König  und  Xogaret 
liatten  immer  behauptet,  aus  wahrem  Glaubenseifer  gehandelt  zu 
haben;  behielten  jetzt  die  Verteidiger  Recht,  so  wäre  dies  zugleich 
für  Philipp  eine  schwere  Niederlage  gewesen.  —  Nachdem  die  Ver- 
teidiger ihre  beiden  Schriftstücke  übergeben  hatten,  zeigten  No- 
garet  und  Plasian  noch  ein  anderes  vor,  das  die  Namen  ihrer 
Zeugen  enthielt.  Die  Kardinäle  wollten  es  zu  Protokoll  nehmen 
lassen,  indem  sie  versprachen,  für  die  Geheimhaltung  der  Namen 
Sorge  tragen  zu  wollen.  Da  aber  erklärten  die  beiden  Ankläger^ 
sie  könnten  ihre  Zeugen  nur  dann  nennen,  wenn  man  dieselben  so- 
gleich vernehmen  wolle.  Die  Kardinäle  antworteten,  sie  hätten  hierzu 
keine  Vollmaclit^ 

Nun  geschah  wieder  mehrere  Tage  lang  nichts,  und  eben  in 
dieser  Zeit,  am  4.  April  1310,  verschob  Clemens  auch  das  auf 
den  1.  Oktober  1310  berufene  Konzil  um  ein  volles  Jahr^,  angeb- 
lich weil  die  Untersuchung  der  Templerangelegenheit  zu  einem  defini- 
tiven Urteil  noch  nicht  genüge.  Die  Politik  des  Hinausschiebens 
schien  ihm  die  einzige,  von  der  er  noch  Erfolg  erwarten  konnte. 

Freitag  den  10.  April  trat  das  Konsistorium  wieder  zusammen^. 
Nogaret  und  Plasian  forderten  zunächst  abermals  die  Aufhebung 
der  Vorladungsbulle;  dann  möge  man  im  Prozess  fortfahren,  um 
über  Schuld  oder  Unschuld  des  Bonifaz  die  Wahrheit  ermitteln  zu 
können.  Dabei  hatten  sie  die  Keckheit,  zu  versichern,  dass  der 
König,  obgleich  er  diesen  Prozess  so  sehr  betrieben  habe,  sich  doch 
mehr  freuen  würde,  wenn  man  Bonifaz  in  demselben  für  unschuldig, 
als  wenn  man  ihn  für  schuldig  befände.  Hierauf  folgten  wäeder  die 
Forderungen  betreffs  der  Verhörung  der  Zeugen  und  der  Zurück- 
weisung der  Verteidiger,  und  zum  Schluss  die  Erklärung,  auch  dies 
werde  man  schriftlich  einreichen.  Als  nun  Baldred  antworten 
wollte,  verschob  Clemens,  da  es  schon  bald  drei  Uhr  nachmittags 
sei,  die  weiteren  Verhandlungen  auf  den  nächsten  Tag,  nachdem  er 
noch  vorher  auf  das  Verlangen  Nogaret's  und  Plasian's  diesen 
versprochen  hatte,  die  Namen  ihrer  Zeugen  persönlich  entgegenzu- 
nehmen und  für  volle  Sicherheit  sorgen  zu  wollen. 

Am  folgenden  Tag,  dem  11.  April,  wurde  also  wieder  ein  Kou- 

*  DuPüY,  Diff.  pr.  391.  —  Eine  Zeugenliste  findet  sich  Arcli.  uat.  J  492 
nr.  808. 

-  „Alma  inater";  Reg.  Clem.,  aun.  V,  397—399  (ur.  6293). 
"  Dcpuv,  Difi".  pr.  403  f. 


Prozess  gegcu  Bouifaz  und  Ende  d.  Templer.   No<rai-et's  Tod.  {l'.ilO— Villi).      183 

sistorium  abgehalten'.  Es  geschah  niclits  neues:  Baldred  wieder- 
holte seine  Gründe,  nach  denen  man  Nogaret  und  Plasian  in  dieser 
Sache  gar  nicht  zulassen  und  mithin  auch  ihre  Zeugen  nicht  hören 
dürfe,  worauf  Clemens  die  Parteien  wieder  aufforderte,  ihre  Aus- 
führungen bis  Ostern,  das  in  diesem  Jahr  auf  den  19.  April  fiel, 
schriftlich  einzureichen  und  sich  dann  Montag  den  27.  April  zu 
einem  neuen  Konsistorium  einzufinden. 

3. 

Es  verlautet  nichts  von  diesen  neuen  schriftlichen  Eingaben. 
Xogaret  scheint  w^ährend  der  Osterzeit  überhaupt  nicht  in  Avignon 
gewesen  zu  sein.  Wenigstens  finden  wir  ihn  am  26.  April  1310  in 
Saint-Laurent-des-Arbres,  einem  kleinen  Ort  etwa  15  km  nord- 
westlich von  Avignon,  wenig  rechts  des  Rliune,  also  in  französischem 
Gebiet  gelegen.  Man  benachrichtigte  ihn  daselbst  davon,  dass  am 
Tag  zuvor  Clemens  das  auf  den  27.  d.  M.  anberaumte  Konsistorium 
„aus  gewissen  Gründen"  wieder  verschoben  habe,  und  zwar  auf 
Samstag,  den  9.  Mai^.  Auch  Plasian  war  damals  nicht  in  Avignon; 
vermutlich  befand  er  sich  bei  seinem  Kampfgenossen  innerhalb  der 
Grenzen  Frankreichs.  Die  beiden  mochten  sich  da  doch  erheblich 
sicherer  fühlen  als  in  der  päpstlichen  Residenz. 

Clemens  aber  verschleppte  den  Fortgang  der  Angelegenheit 
noch  länger.  Das  auf  den  9.  Mai  angesetzte  Konsistorium  wurde 
von  ihm  am  Tag  vorher  Geschäfte  halber  auf  den  11.  d.  ]\r.  ver- 
schoben'^, und  am  11.  konnte  es  wieder  nicht  abgehalten  werden: 
der  Papst  hatte  in  der  Nacht  Nasenbluten  gehabt,  Grund  genug, 
die  Sitzung  auf  den  13.  zu  verlegen*. 

Endlich  am  13.  Mai,  einem  Mittwoch,  konnte  das  Konsistorium 
wieder  zusannnentreten  \  Es  begann  zunächst  den  gewohnten  Ver- 
lauf zu  nehmen:  Nogaret  brachte  zuerst  wieder  in  längerer  Rede 
seine  Gründe  vor,  weshalb  die  Ankläger  zugelassen,  die  Verteidiger 
aber  von  den  Verhandlungen  ausgeschlossen  werden  sollten.  Als 
nun  aber  die  Verteidiger  erwidern  wollten,  erhob  sich  der  Papst, 
da  „es  schon  Mittag  vorbei  und  ziemlich  spät  war",  um  die  Sitzung 
für  heute  zu  schliessen.  Doch  wann  sollte  der  Prozess  seinen  Fort- 
gang nehmen !  Clemens  hielt  eine  längere  Rede,  in  der  er  zunächst 
bemerkte,  dass  er  die  Meinung  „einiger  Doktoren",  wonach  ein  Ge- 
bannter nach  einer  blossen  Begrüssung  oder  Anrede  durch  den  Papst 


'  DtTUY,  Diff".  pr.  404—406.  -  Ibid.  40<n". 

3  Ibid.  407  f.  '   Il'id.  408  f.  '  Ibid.  490—111. 


184  7,  Kapitel. 

eo  ipso  als  absolviert  zu  betrachten  sei,  für  irrig  halte,  insofern 
nicht  erwiesen  werden  könne,  dass  es  die  Absicht  des  Papstes  sei, 
durch  solche  Begrüssung  oder  Anrede  die  Absolution  zu  vollziehen; 
er  selbst  habe  eine  solche  Absicht  nicht  gehabt  und  erkläre  auch 
für  die  Zukunft,  dass,  wofern  er  mit  einem  Gebannten  wissentlich 
oder  unwissentlich  verkehre,  dieser  Verkehr  die  Absolution  nicht 
bewirken  solle.  Das  ging  natürlich  auf  Xogaret,  und  wir  sehen 
daraus,  dass  er  und  seine  Genossen  die  Thatsache,  dass  Clemens 
sich  mit  ihm  in  Verhandlungen  eingelassen  hatte,  zu  der  Behauptung 
benutzten,  es  sei  nun  klar,  dass  Nogaret  sich  nicht  im  Bann  be- 
finde. Nach  dieser  Einleitung  fuhr  der  Papst  fort,  er  sei  bereit, 
den  Prozess  weiter  zu  führen  und  die  Wahrheit  endlich  zu  ergründen, 
aber  die  Sache  sei  ausserordentlich  schwierig,  und  zudem  werde  die 
Hitze  jetzt  im  Sommer  so  gross,  dass  ein  längerer  Aufschub  nötig 
sei.  Die  Parteien  sollten  all  ihre  Wünsche,  ihre  verschiedenen 
Protestationen  und  Reklamationen  am  ersten  Gerichtstag  nach  den 
Kaienden  des  August  (d.  h.  am  3.  dieses  Monats,  einem  Montag) 
bei  den  hierzu  bestimmten  Kardinälen  Berengar  und  Stephan  schrift- 
lich einreichen;  am  ersten  Gerichtstag  in  der  zweiten  Woche  nach 
Allerheiligen  ^  sollte  dann  wieder  ein  Konsistorium  stattfinden.  Da- 
gegen versprach  der  Papst  in  der  Zwischenzeit  dem  Wunsch  Xogaret's 
nachzukommen  und  die  alten,  kranken  oder  weit  entfernten  Zeugen 
vernehmen  zu  lassen,  ohne  dass  daraus  aber  ein  Präjudiz  für  die 
Verteidiger  erwachsen  solle.  Nach  diesen  Worten  erhob  sich  noch- 
mals Nogaret  und  sagte,  er  sei  zwar  nicht  der  Ansicht,  dass  er 
sich  im  Bann  befinde,  bitte  aber  dennoch  den  Papst  in  Ehrfurcht 
um  eine  Absolution,  damit  sich  niemand  scheue,  mit  ihm  zu  ver- 
kehren, und  damit,  im  Fall  er  sich  irre,  seiner  Seele  kein  Unheil 
widerfahre.  Der  Papst  möge  die  Absolution  ad  cautelam  oder 
anders  erteilen;  er,  Nogaret,  sei  bereit,  wenn  man  ihn  in  dieser 
Sache  gehört  habe,  sich  den  Beschlüssen  des  Papstes  und  der  Kirche 
willig  zu  fügen.  Clemens  antwortete,  auch  diese  Angelegenheit  sei 
sehr  schwierig  und  erfordere  keine  geringe  Ueberlegung;  er  wolle 
sie  in  Erwägung  ziehen  und  dann  entscheiden,  wie  es  das  Recht 
und  sein  Gewissen  verlange. 

Man  sieht,  nachdem  Nogaret  auf  die  eine  Art,  sich  nämlich 
eo  ipso  als  absolviert  hinzustellen,  nicht  zum  Ziel  gekommen  war, 
bat  er  jetzt  den  Papst,  der  eben  die  Verhandlungen  auf  ein  halbes 

'  Dienstag  deu  10.  November  trat  das  Kousistorium  wieder  zusaiunien; 
es  brauchte  uicht  immer  schon  der  Montag  ein  Gerichtstag  zu  sein;  vrgl.  Dlply, 
Difl".  pr.  509  (unten). 


Prozess  gegen  Bonifaz  uiul  Endo  d.  Teiiipler.    Xogaret's  Tod.  (i;ilO— 1313.)      185 

Jahr  unterbrach,  direkt  um  seine  Absolution.  Diese  Frage  steht 
in  engem  Zusammenhang  mit  dem  ganzen  Prozess,  bei  dem  es  ja, 
wie  schon  hervorgehoben  wurde,  mit  in  erster  Linie  auf  eine  Ent- 
scheidung darüber  ankam,  ob  dem  Vorgehen  des  Königs  und  Nt)garet's 
gegen  Bonifaz  ein  guter  oder  ein  schhnnner  Kifer  zu  Grunde  ge- 
legen habe.  Behielt  Nogaret  darin  Recht,  dass  er  „bono  zelo"  ge- 
handelt habe,  so  musste  er  natürlich  absolviert  werden. 

Clemens  hatte  sich  den  Prozess  den  Sommer  über  vom  Hals 
geschafft,  kam  aber  doch  nicht  zur  Ruhe.  Die  Zeit  war  eine  überaus 
kritische.  Am  23.  Mai  1310  bat  der  Papst  den  Bruder  Philipp's, 
Karl  von  Valois,  dafür  Sorge  zu  tragen,  dass  der  König  von 
dem  Prozess  abstehe^,  aber  Philipp  beschwerte  sich  in  einem 
Schreiben  vom  3.  Juli  ausdrücklich  über  den  langsamen  Fortgang 
dieser  Angelegenheit,  worauf  ihm  Clemens  am  23.  August  besänf- 
tigend antwortete'-.  Am  18.  Juli  beauftragte  der  Papst  die  Prälaten, 
denen  der  Prozess  gegen  Guichard  anvertraut  war,  den  Beklagten 
und  die  Akten  der  Untersuchung  nach  Avignon  vor  seinen  Richter- 
stuhl zu  schicken^;  bereits  seit  dem  13.  Dezember  1309  war  die 
Untersuchung  abgeschlossen,  aber  der  Bischof  und  sein  Besitz  blieben 
in  den  Händen  des  Königs,  ohne  dass  etwas  weiteres  geschah^,  und 
aucli  jetzt  wurde  dem  Papst  geantwortet,  die  Sache  sei  noch  nicht 
spruchreif"'.  Was  war  diesmal  der  Grund  des  so  aufs  neue  ge- 
spannten Verhältnisses  zwischen  Philipp  und  Clemens?  Die  Templer- 
angelegenheit wohl  kaum;  hier  hatten  sich  zwar  vor  der  päpst- 
lichen Kommission,  die  im  Februar  1310  ihre  Thätigkeit  wieder 
aufgenommen  hatte,  viele  Verteidiger  gemeldet,  aber  seitdem  Philipp 
von  Marigny*^,  den  der  König  im  April  1310  auf  den  erzbischöf- 
lichen Stuhl  von  Sens  hatte  bringen  lassen,  am  12.  Mai  54  Templer 
als  rückfällig  den  Flammentod  hatte  erleiden  lassen,  ein  Sciiicksal, 
dem  in  der  Folge  noch  mehr  Ordensbrüder  verfielen,  verstummten 
die  den  Orden  rechtfertigenden  Stimmen;  die  Kommission  vertagte 
sich  am  30.  Mai  auf  den  3.  November  1310,  und  niemand  wagte 
mehr,  den  Absichten  des  Königs  ernstlich  zu  widerstreben  ^  Es  war 
etwas  anderes,  was  Philipp  mit  Misstrauen  gegen  die  in  Avignon 
geführte  Politik  erfüllte:  Heinrich  VII.,  der  deutsche  König, 
rüstete  zum  Römerzug,  und  mannigfache  Pläne  wurden  in  Avignon 


'  DiPi-Y,  Diff.  pr.  290-292.  -  Ibid.  292—295. 

^  RiGALLT  216.  '  KiGAti.T  2141'.  ''  Ibid.  217. 

"  Ein  Bruder  iles  Miuistcrs  Eiit,'uerrfiiid   von  Miirit^iiy. 
'  Schottmüller  I,  315—353;  Lka  111,  291-297;  Pkutz  195— 2U2;  (iMKi.is 
403—432. 


186  7.  Kapitel. 

hieran  geknüpft.  Der  Kardinal  Jakob  Stefaneschi  war  bemüht, 
ein  Einverständnis  Heinrich's  mit  Robert  von  Anjou  herzustellen, 
der  1309  seinem  Vater  Karl  II.  auf  den  Königsthron  von  Neapel 
gefolgt  war;  Hand  in  Hand  sollte  ein  Bündnis  Heinrich's  mit  der 
Jvurie  gehen,  damit  diese  sich  endlich  dem  EinHuss  des  französischen 
Königs  entreissen  könne.  Robert  sollte  von  Heinrich  mit  dem  Arelat 
])elehnt  werden,  der  mit  Deutschland  doch  nur  noch  in  ausserordent- 
lich losem  Zusammenhang  stand,  in  der  Hand  der  Anjou  aber, 
die  hier  ja  ohnedies  schon  die  Grafschaft  Provence  besassen,  als 
Mittelreich  dem  beständigen  Vordringen  Frankreichs  einen  Halt  ge- 
boten hätte'.  Diese  Pläne  waren  für  Philipp  allerdings  äusserst  be- 
denklich. Sollte  nicht  der  Prozess  gegen  Bonifaz,  der  ihm  bei 
seinen  gegen  die  Templer  gerichteten  Forderungen  schon  so  wesent- 
liche Hülfe  geleistet  hatte,  auch  noch  dazu  dienen  können,  von  der 
Kurie  einen  Verzicht  gegen  ihre  eben  angedeutete  Politik  zu  er- 
kaufen? Vorerst  durfte  er  jedenfalls  auf  keine  Umstände  fallen  ge- 
lassen werden. 

4. 

Nachdem  am  13.  Mai  1310  Clemens  den  Prozess  gegen  Bonifaz 
auf  Monate  vertagt  hatte,  verliessen  Nogaret  und  Plasian  wieder 
Avignon  und  begaben  sich  auf  französisches  Gebiet:  schon  am 
21.  Mai  finden  wir  sie  in  dem  auf  dem  rechten  Rhuneufer  gelegenen 
Orte  St.  Andre^.  Nogaret  scheint  sich  später  von  hier  in  Ge- 
schäften in  die  Gegend  von  Narbonne  begeben  zu  haben,  und  auch 
Plasian  war  im  Sommer  mit  anderen  Dingen  in  Frankreich  beschäf- 
tigt^. In  St.  Andre  stellten  die  beiden  eine  Vollmacht  für  den 
Archidiakon  Alanus  von  Lamballe,  sowie  für  die  Ritter  Ber- 
trand Agate  und  Bertrand  von  Roccanegata  aus;  jeder  von 
diesen  dreien  sollte  in  ihrem  Namen  in  Avignon  auftreten,  Schrift- 
stücke einreichen,  und  insonderheit  auch  bei  allen  den  Bann  Nogaret's 
betreffenden  Fragen   die  Verteidigung  übernehmen  können. 

Am  festgesetzten  Termin,  dem  3.  August  1310,  überreichte 
denn  zunächst  Bertrand  von  Roccanegata  die  von  den  An- 
klägern aufgesetzten  Schriftstücke,  bestehend  aus  acht  Papierrollen*, 
die  fünf  verschiedene  Schriften  enthielten. 

Die  erste  derselben^    ist    eine  Antwort   auf  die   von  den    Ver- 


*  Vrgl.  über  diese  ganze  Augelegenheit  Wknck  140 — 150. 

-  DuPüY,   Diff.    pr.    412    (unten).     Saint-Audre   im    heutigen  Kauton   Pont 
St.  Esprit. 

•''  Hist.  de  Lang.  IX,  319;  Renan  326. 

*  DtPL-y,  Dift".  pr.  412.  «  Ibid.  413—427. 


Prozess  o;egeu  Bouifaz  uud  Ende  d.  Templer.   Ni.garet's  Tod.  (1310—1313.)      187 

teidigern  des  Bonifaz  am  l.  April  d.  J.  eingereichten  beiden  Schrift- 
stücke. Als  Verfasser  nennen  sich  wieder  Xogaret  und  Plasian.  Die 
einzelnen  von  den  Verteidigern  aufgestellten  Punkte  werden  hier 
eingehend  widerlegt.  Ein  Konzil  sei  nicht  nötig  zur  Ahurtcilung 
dieses  Falls,  da  Bonifaz  ja  tot  und  also  unter  keinen  Umständen 
mehr  Papst  sei  —  eine  Aeusserung,  die  sich  mit  der  auch  nach 
dem  Tod  Bonifaz'  VIII.  von  Xogaret  und  Philipp  so  oft  erhobenen 
Konzilsforderung  schwer  in  Einklang  bringen  lässt.  Im  übrigen 
finden  Avir  hier  wieder  die  alten  Behauptungen  von  der  Schlechtig- 
keit des  Bonifaz  und  der  vr)lligen  Unschuld  Xogaret's,  forner  das 
Verlangen  nach  sofortiger  Zeugenvernehmung  und  die  Forderung 
einer  Ausschliessung  der  Verteidiger,  die  keine  „causa  legitinia^  l'ür 
sich  geltend  machen  könnten  und  noch  dazu  offene  Gönner  der 
Bonifazianischen  Ketzerei  seien.  Durch  eine  Untersuchung  der 
Frage  nach  dieser  Ketzerei  des  Bonifaz  werde  sich  schliesslich  am 
besten  zeigen,  ob  Xogaret  und  Plasian  „bono  zelo  et  juste"  handelten 
oder  nicht. 

Ein  zweites  Stück  ^  enthält  die  „articuli  ad  probandum  quondam 
Bonifacium  dictum  papam  octavum  fuisse  haereticum".  Als  Verfasser 
werden  wieder  Xogaret  und  Plasian  genannt.  Xach  einer  Bemerkung 
am  Schluss  wurden  diese  Artikel  dem  Papst  übergeben,  als  er  nnt 
dem  Zeugenverhör  begann,  aber  auf  Wunsch  der  Verfasser  in  die 
Akten  gemäss  richtiger  Ordnung  aufgenommen;  in  der  That  schickte 
sich  Clemens  im  August  zur  Vernehmung  der  Zeugen  an-,  und  da 
gab  man  eine  Abschrift  dieser  Artikel  gleich  jetzt  zu  Protokoll. 
"Wir  finden  hier  in  31  Punkten  die  alten  Anklagen  gegen  Bonifaz 
zu  dem  Zweck  zusammengestelt,  dass  die  Zeugen  über  die  einzelnen 
vernommen  würden. 

Es  folgt'  eine  Schrift  Xogaret's  und  Plasian's,  in  welcher  die- 
selben eingehend  ihr  Verhalten  in  dem  ganzen  Streit  mit  Bonifaz 
rechtfertigen.  Einen  besonders  grossen  Umfang  nehmen  darin  die 
Ausführungen  ein,  in  denen  sich  Xogaret  verteidigt;  sie  stellen  sich 
als  die  sechste  Apologie  unseres  Kitters  dar.  Dieselbe  unter- 
scheidet sich  in  keiner  Weise  von  der  Art  und  der  Auffassung  der 
früheren  Apologieen,  nur  dass  sich  jetzt,  worauf  wir  seinerzeit  hin- 
wiesen, jene  eigentümliche  Art  der  Darstellung  fiiulet,  wonach  es  in 
Anagni  am  dritten  Tag  so  ausserordentlich  friedlich  herging.  Alles, 
was    Xogaret    gethan    habe,    sei    „rite    et   legitime"    geschehen,  aus 


'  DuPiv,  Diff.  pr.  427—430.  -   Vrgl.  im  folyeiuloii  Absclinitt. 

3  DUPLY,  Dirt.  pr.  430—447. 


18b  7.  Kapitel. 

Eifer  für  Gott  und  den  Glauben  und  zur  \'ollstreckung  des  Rechts, 
wesludb  denn  auch  das  Vorgehen  Benedikt's  gegen  ihn  für  nichtig 
zu  erklären  sei;  er  bitte  daher  um  Absolution. 

In  einem  vierten  Schriftstück'  wandten  sich  „die  beiden  Wil- 
helme^ abermals  gegen  die  Verteidiger  des  Bonifaz.  Sie  wollten 
oft'enbar  durch  die  Masse  ihrer  Eingaben  wirken.  Sie  stellen  hier 
zunächst  die  Behauptung  auf,  dass  im  Ketzerprozess  jedermann,  auch 
ein  Feind,  gegen  den  Beschuldigten  vernommen  werden  könne,  und 
wenden  sich  dann  besonders  deshalb  gegen  Bonifaz,  weil  derselbe 
sich  geweigert  habe,  das  geforderte  allgemeine  Konzil  zu  l)erufen. 

Am  interessantesten  ist  vielleicht  die  letzte  der  von  Koccane- 
gata  eingereichten  Schriften^.  Sie  ist  überschrieben:  „Rationes,  ex 
quibus  probatur,  <]uod  Bonifacius  legitime  ingredi  non  potuit  Cele- 
stino  vivente"  und  nennt  keinen  Verfasser;  sie  rührt  aller  Wahrschein- 
lichkeit nach  allein  von  Nogaret  her,  der  hier  eine  bewundernswürdige 
Kenntnis  der  Bibel  sowie  der  Kanones  (vor  allem  des  Kirchenrechts) 
und  Kirchenväter  verrät.  Es  soll  gezeigt  werden,  dass  Bonifaz  nie 
rechtmässiger  Papst  gewesen  sein  könne,  da  er  zu  Lebzeiten  Cöle- 
stin's  auf  keine  Weise  zu  dieser  Würde  emporsteigen  konnte.  Aehn- 
liches  hatte  Nogaret  ja  schon  am  12.  März  1303  und  seitdem  des 
öfteren  ausgeführt;  nun  tritt  er  einen  zusammenfassenden,  eingehen- 
den Beweis  an.  Derselbe  zerfällt  in  zwei  Teile,  indem  Nogaret  aus- 
führt: 1.  dass  bei  Lebzeiten  eines  Papstes  kein  anderer  gewählt 
werden  könne,  und  2.  dass  Cölestin  zur  Zeit  der  Wahl  Bonifaz'  VIII. 
noch  Papst  war.  Der  erste  Teil  wird  an  der  Hand  verschiedener 
Kanones,  eines  Briefes  des  heiligen  Cyprian  und  vieler  Bibelstellen 
dahin  entschieden,  dass  es  ganz  unmöglich  sei,  dass  die  Kirche  zwei 
Häupter  habe.  Wichtiger  und  ausführlicher  ist  der  zweite  Teil,  der 
darauf  hinausläuft,  dass  eine  Renunziation,  wie  sie  Cölestin  aus- 
führte, überhaupt  rechtlich  unmöglich  sei,  und  dass  Cölestin  also,  so 
lange  er  lebte,  als  der  rechtmässige  Papst  anzusehen  war.  Dieser 
Hauptteil  zerfällt  in  drei  Unterabteilungen.  In  der  ersten  führt 
Nogaret  27  theoretische  Gründe  an,  weshalb  ein  Papst  nicht  renun- 
zieren  könne.  In  der  zweiten  beruft  er  sich  auf  eine  Anzahl  Autori- 
täten und  meint,  eine  etwa  vor  der  Abdankung  über  sie  erlassene 
Konstitution  sei  unter  allen  Umständen  ungültig,  da  sie  eben 
nie  hätte  erlassen  werden  dürfen.  In  der  dritten  Unterabteilung 
erörtert   er   einige   angeblich   vorgekommene    Präzedenzfälle;    sei  es 


'  Dii'iv,  Dift'.  pr.  448  (nur  dem  Inhalt  nach  mitgeteilt). 
-  Ibid.  448— 4Ö6. 


Prozess  gegen  Bonifaz  und  Ende  d.  Tcmjiler.   Xogaret's  Tod.  (1310—131.'}.)      189 

schon  an  und  für  sich  ])esser  nach  Xonnon  als  nacli  Bcisijiclen  zu 
urteilen',  so  hätten  die  Bonifazianer  noch  dazu  sehr  l'nrecht,  wenn 
sie  auf  die  Päpste  Clemens  I.  und  Marcellinus  hinwiesen-.  Clemens, 
sage  man,  sei  von  Petrus  seihst  zu  seinem  Nachfolger  bestimmt 
worden,  müsse  aber  doch  zunächst  renunziert  haben,  da  zwischen 
Petrus  und  ihm  erst  Linus  und  Anaklet  folgten;  aber  sei  es  schon 
überhaupt  etwas  anderes,  ein  Amt  nicht  anzunehmen  als  — •  wie 
Cülestin  —  ein  angenommenes  wieder  niederzulegen,  so  müsse  noch 
dazu  bemerkt  werden,  dass  nach  den  Kanones  Linus  und  Anaklet 
nicht  Päpste,  sondern  Gehülfen  des  Petrus  gewesen  seien,  und 
Clemens  wirklich  auf  Petrus  gefolgt  sei^.  Und  ebensowenig  habe 
Marcellinus  jemals  renunziert,  wenn  man  nicht  das  eine  Renunziation 
nennen  wolle,  dass  er  zur  Busse  für  seine  Verirrung^  sich  zum 
Tyrannen  Diokletian  begab,  um  den  Tod  zu  erleiden  und  ein  herr- 
licher Märtyrer  für  den  Glauben  Christi  zu  werden.  Zum  Schluss 
meint  dann  Nogaret,  auch  wenn  man  einmal  das  Unmögliche  mög- 
lich sein  lassen  wolle,  so  wäre  dann  doch  wenigstens  ein  allgemeines 
Konzil  zu  einer  Renunziation  nötig  gewesen*,  statt  dessen  aber 
habe  man  Cölestin  zu  derselben  durch  List  und  Betrug  verleitet. 

Nachdem  so  Bertrand  von  Roccanegata  die  fünf  Schriftstücke 
der  Ankläger  überreicht  hatte,  meldete  sich  Jakob  von  Modena^ 
Er  gab  zunächst  seine  Vollmachten  zu  Protokoll,  vier  Urkunden", 
die  ihm  am  30.  und  31.  Juli  sechs  seiner  Mitverteidiger"  ausgestellt 
hatten.  In  seinem  und  ihrem  Namen  übergab  er  dann  eine  längere 
Rechtfertigungsschrift ^,  die  gegen  Nogaret  und  Plasian  gerichtet 
Avar.  In  ihr  wird,  gleichfalls  unter  zahlreichen  Berufungen  auf  die 
Kanones  und  die  Bibel,  Bonifaz  gegen  alle  erhobenen  Vorwürfe  ver- 
teidigt und  gegen  jede  Weiterführung  des  Prozesses  Protest  erhoben; 


*  „Quod  enim  semel  vel  bis  accidit,  legislatores  contemnunt." 

■  Thatsächlich  führten  die  Verteidiger  noch  mehr  ins  Feld;  Düpuv,  Diff. 
pr.  481  f. 

^  Linus  und  Anaklet  seien  nach  dem  Kanuu  „Si  Petrus"  8i  „adiutores" 
des  Petrus  gewesen  und  hätten  die  „exteriora"  verwaltet;  Hieronymus  liahe  also 
Unrecht,  wenn  er  Linus  und  Anaklet  als  den  zweiten  und  dritten  Papst  nenne. 

*  Marcellinus  soll  sich  während  der  Christenverfolgung  Diokletian's  zum 
Abfall  haben  verleiten  lassen,  dann  aber  freiwillig  den  Märtyrertod  auf  sich 
genommen  haben. 

'•>  Dui'uv,  Diff.  pr.  412.  "  ll>id.  466— 46H. 

^  Es  fehlten  Theol)al(l,  Crescentius,  Blasius,  Jakob  von  Sermoueta  und 
Ferdinand;  da  sie  auch  Dci'uv,  Diff.  pr.  468  (uiit<-n)  nieht  genannt  werden,  ist 
wohl  anzunehmen,  dass  sie  Avignon  verlassen  liuttcii. 

"  DupuY,  Diff.  pr.  468—502. 


190  "•  Kapitel. 

die  „beiden  Wilhelme'' '  seien  Todfeinde  des  Bonifaz,  und  Xogaret 
insbesondere  sei  rechtmässig  von  Benedikt  in  den  Bann  gethan. 

5. 

In  einem  der  soeben  behandelten,  am  3.  August  1310  ein- 
gereichten Schriftstücke  -  erwähnt  Xogaret  als  „neulich'"  geschehen 
einen  Vorfall,  auf  den  hier  doch  noch  kurz  hingewiesen  werden 
muss-,  wir  sind  über  ihn  auch  noch  anderweitig  unterrichtet^.  Die 
Verteidiger  des  Bonifaz  hatten  eine  Bulle  ausgearbeitet,  die  eine 
Entscheidung  des  Prozesses  nach  ihren  Wünschen  enthielt;  sie  hofften 
den  Papst  zur  Vollziehung  derselben  bewegen  zu  können.  Als  Ver- 
fasser des  Entwurfs  wurde  insonderheit  der  Kardinal  Jakob  Stefa- 
neschi genannt.  Der  Inhalt  dieser  Bulle  wuirde  aber  bekannt,  und 
zur  Beruhigung  der  Gemüter  erklärte  Clemens  dieselbe  für  falsch 
und  liess  den  ihm  eingereichten  Entwurf  verbrennen. 

In  die  Monate  August  bis  Oktober  1310  dürften  einige 
Schriften  der  Ankläger  gehören,  die  uns  ohne  Datierung  erhalten 
sind. 

Die  eine  derselben*  stammt  von  Xogaret  und  Plasian  und  wurde 
dem  Papst  in  ihrem  Xamen  durch  Bertrand  von  Roccanegata "  über- 
reicht. Sie  ist  offenbar  eine  Antwort  auf  die  Schrift,  welche  Jakob 
von  Modena  am  3.  August  zu  Protokoll  gegeben  hatte.  Hier  waren 
von  den  Verteidigern  des  Bonifaz  dessen  Haupterlasse  gegen  den 
König  von  Frankreich,  so  u.  a.  „Ausculta  fili",  „Salvator  mundi" 
und  ,iPer  processus  nostros",  wieder  hervorgeholt  und  im  Wortlaut 
mitgeteilt  worden",  damit  man  sehen  könne,  dass  Philipp  im  Kampf 
gegen  Bonifaz  im  Unrecht  gewesen  sei.  Dagegen  wendeten  sich  nun 
Xogaret  und  Plasian,  wohl  nachdem  sie  wieder  in  die  Nähe  Avignons 
zurückgekehrt  waren.  Es  galt  den  „bonus  zelus"  zu  retten,  den  der 
König  bei  seinem  Vorgehen  gehabt  habe.  Die  beiden  suchten  daher 
zu  zeigen,  dass  Bonifaz  in  den  genannten  Erlassen  ganz  zu  Unrecht 
rede.  Die  Schrift  enthält  25  Artikel  und  besagt  etwa  folgendes:  Als 
ihren  Oberherrn  im  Weltlichen  hätten  die  französischen  Könige,  obwohl 
sie  doch  immer  Verteidiger  der  Kirche  gewesen  seien,  nie  jemanden 


1  DüPUY,  Diff.  pr.  471,  473,  477  etc.  -  Ibid.  426. 

3  Ibid.  510,  520;  Bericht  in  der  Revue  des  quest.  bist.  XI,  27  ("Wenck 
175)  nr.  X;  Cont.  Guil.  Nang.  ed.  Gkraud  I,  378 f. 

"  DüPüY,  Diff.  pr.  317—324  (nur  im  Auszug). 

•''  „Rupenegada"  ist  natürlich  dasselbe  wie  „Roccanegata" ;  vrgl.  Dlpuy, 
DilV.  pr.  515. 

«  DuPL-y,  Diff.  pr.  499. 


Prozess  gegou  13ouit'az  uud  P^udo  d.  Templer.   Xog-arot's  Toil.  (I.'JIO— liilB.)      191 

anders  anerkannt  als  allein  Gott.  Die  Kirchen  Frankreichs  seien 
von  den  Königen  gegründet,  beschenkt  und  beschützt  worden,  und 
nie  habe  vor  Bonifaz  ihnen  ein  Pai)st  ohne  die  Bewilligung  des 
Königs  Steuern  auferlegt-  das  Regalienrecht  sei  den  französischen 
Königen  gleichfalls  von  jeher  zu  eigen  gewesen.  Insonderheit  sei  auch 
die  Kirche  von  Lyon  durch  den  König  von  Frankreich  gegründet 
und  zu  einem  erzbischöflichen  Sitz  erhoben  worden;  sie  habe  immer 
in  engen  Beziehungen  zu  dem  Bistum  Antun  gestanden,  und  alle 
ihre  Erzbischöfe  hätten  bis  jetzt  den  Fidelitätseid  geleistet  ausser 
dem  jetzigen,  den  der  König  daher  auch  mit  Waffengewalt  habe 
unterwerfen  müssen  ^  Dass  ferner  die  Grenzen  des  Reichs  scharf 
bewacht  würden,  sei  nichts  neues  gewesen  und  hätte  dem  König 
zumal  in  Anbetracht  der  Kriege,  die  er  führen  musste,  nicht  vor- 
geworfen werden  dürfen.  Bonifaz  in  seiner  Feindschaft  freilich  habe 
den  König  gar  völlig  ungerechtfertigter  Weise  in  den  Bann  gethan, 
aber  sein  Erlass  sei  bereits  durch  Benedikt  wieder  aufgehoben  worden. 
In  alle  weltlichen  Rechte  des  Königs  habe  Bonifaz  eingreifen  wollen  und 
zu  diesem  Zweck  eine  Versammlung  der  Prälaten  und  Doktoren  des 
Reichs  ausgeschrieben;  „wir  lesen  bei  Jesajas^:  ,Ein  Narr  redet 
von  Narrheit' ;  und  gewiss,  es  war  Narrheit,  dass  er  mit  seinem  ver- 
worfenen Vorhaben  hervortrat."  —  Man  bemerkt  überall  die  Pole- 
mik gegen  die  genannten  Bullen  Bonifaz'  VIII.,  hauptsächlich  gegen 
„Ausculta  tili". 

Derselben  Zeit  scheinen  mehrere  gegen  Bonifaz  gerichtete  Flug- 
schriften anzugehören.  Dieselben  dürften  von  einem  Verfasser  her- 
rühren, und  da  namentlich  die  erste  Aehnlichkeiten  mit  der  eben 
besprochenen  Schrift  aufweist,  hat  Renan  ^  die  drei  ihm  bekannten 
unter  die  Nogaret'schen  Schriften  aufgenommen,  ohne  dass  freilich 
Nogaret's  Autorschaft  mit  Sicherheit  zu  erweisen  wäre.  Die  erste' 
zählt  nach  einer  Lobeserhebung  der  französischen  Könige  und  der 
gallikanischen  Kirche  die  Scheusslichkeiten  und  Ketzereien  Boni- 
faz' VIII.  in  eingehendster  Weise  in  28  Artikeln  auf.  Die  zweite'' 
fasst  die  Anklagen  in  kürzerer  und  prägnanterer  Weise  zusammen. 


*  Vrgl.  im  vorigen  Kapitel  den  letzten  Abschnitt.  Auch  von  Lyon  handelte 
„Ausculta  Hü",  doch  sind  die  hier  von  Nogaret  und  l'lasian  gemachten  Bemer- 
kungen zugleich  eine  Antwort  auf  einen  Erlass  Clemens'  V.  vom  2i.  .Tuui  l.'ilO; 
Raynald  XXIII,  461  f.  (1310  nr.  34). 

2  Jes.  32«.  —  „Secus  autem  credentes  fatuos  et  dementes  reputamus" 
sagte  Peter  Flotte  in  Philipp's  augeJjlicher  Autwort  auf  „Deum  tiine". 

^  S.  363  nr.  XXILI— XXV;  vrgl.  il.id.  320—322. 

'  Dui'UY,  Difi.  pr.  325—346.  •'  Ibid.  347—34!». 


192  7.  Kapitel. 

Die  dritte  ^  wiederholt  dieselben  Behauptungen  und  dieselben  Ge- 
schichtchen,  die  sich  schon  in  den  l)eiden  ersten  tinden,  noch  einmal 
in  detaillierter  "Weise:  sie  enthält  nicht  weniger  als  94  Punkte.  Eine 
weitere,  ungedruckte  Schrift  dieser  Art^  trägt  den  Titel:  „Isti  sunt 
articuli,  in  (|uibus  dicitur  Bonifacius  ante  cardinalatum  et  post,  ante 
pontificatum  et  post  fuisse  notorie  diftamatus  et  errans"  und  be- 
steht aus   17  solcher  Artikel. 

Als  Clemens  am  13.  Mai  1310  die  Verhandlungen  vertagte, 
hatte  er  versprochen,  die  von  Xogaret  so  oft  und  so  dringend  ge- 
forderte Verhörung  der  Zeugen  vornehmen  zu  lassen.  Am 
28.  Juni  bestellte  er  in  der  That  eine  Kommission  zur  Verhörung 
der  Zeugen  in  Italien,  die  aber  erst  im  Frühjahr  1311  ihr  Werk 
in  Angriff  nahm,  als  niemandem  mehr  an  demselben  etwas  gelegen 
war^.  Hingegen  fanden  seit  dem  17.  August  1310  in  der  bei 
Malaucene"*  gelegenen  Priorei  Gransello,  wo  damals  Clemens  seinen 
Wohnsitz  aufgeschlagen  hatte,  durch  drei  vom  Papst  dazu  beorderte 
Kardinäle  Verhöre  statt'"';  da  alle  Zeugen  hier  Belastendes  aussagten, 
darf  man  wohl  annehmen,  dass  es  in  der  That  die  von  Xogaret 
genannten  Zeugen  waren,  die  vernommen  wurden''. 

In  dieser  Beziehung  konnte  sich  Nogaret  also  rühmen,  etwas 
erreicht  zu  haben.  Der  König  glaubte  aber,  bei  der  drohenden 
Gefahr  eines  Bündnisses  zwischen  Heinrich  VII.  und  Robert  von 
Neapel  nun  doch  in  eindringlicherer  Weise  bei  der  Kurie  vorstellig 
werden  zu  müssen.  Er  schickte  im  Herbst  1310  eine  Gesandtschaft 
unter  dem  Bischof  Wilhelm  von  Bayeux  nach  Avignon,  Hess  No- 
garet neue  Instruktionen  zukommen,  und  beauftragte  zugleich  auch 
den  uns  schon  bekannten  Petrus  von  Peredo,  der  mittlerweile 
Abt  von  St.  Medardus  geworden  war,  mit  Verhandlungen  bei  Cle- 
mens. Wir  sind  über  die  augenscheinlich  recht  verwickelten  diplo- 
matischen Vorgänge  in  einer  nicht  immer  genügenden  Weise  durch 
den  Bericht  unterrichtet,  den  der  Bischof  von  Bayeux  mit  den 
anderen   Gesandten   am    24.  Dezember   1310    an   Philipp   schickte^. 

'  DUPUY,  Diff.  pr.  350—362.  -  Arch.  iiat.  J  492  nr.  809. 

•''  Hefele-Knöpfler  vi,  447  f.,  449  f. 

*  35  km  nordöstl.  von  Avignoa. 

■'■•  DüPUV,  Dift'.  pr.  543—575  (nur  unvollständig  erhalten). 

"  Vrgl.  auch  die  Aussage  eines  Zeugen  (ibid.  568,  oben),  den  Bertraud 
von  Roccancgata  gebeten  hatte,  nicht  vor  dem  Verhör  wegzureisen. 

^  Zuerst  herausgegeben  von  Boutaric  in  der  Rev.  des  quest.  bist.  XI, 
23 — 39;  wieder  abgedruckt  bei  Wenck  172 — 183.  Boutaric  hatte  den  Bericht 
ins  .Jahr  1309  gesetzt  [wohl  wegen  der  Weigerung  des  Fairstes,  mit  Nogaret  zu 
verhandeln    in   Punkt   XII;    vielleicht    auch    wegen    des    „hac  die  Mercurii"  in 


Prozess  gegen  Bonifaz  und  Ende  d.  Tein])ler.   Xogaret's  Tnd.  (l.'UO — l.'U.'l)      10.'} 

Danach  sollte  die  Gesandtschaft,  deren  Haupt  der  Bischof  war,  den 
Papst  über  sechs  Punkte  zur  Rede  stellen ' ;  der  erste  derselben  be- 
traf die  Eingaben  der  Bonifazianer,  die  Philipp  als  seine  Ehre  ver- 
letzend bezeichnete;  er  hatte  hierüber  jedenfalls  von  Xo^'aret  gchflrt, 
und  die  Vermutung  liegt  nahe,  dass  diese  ganze  diplomatische  Aktion 
wie  auf  Nogaret's  Berichte,  so  überhaui)t  auf  Nogaret's  Vorschlag 
eingeleitet  wurde;  die  anderen  fünf  Punkte  bezogen  sich  auf  das 
Verhältnis  mit  Deutschland  und  auf  die  Verwaltung  der  Temi)ler- 
güter.  Einen  anderen  Auftrag  erhielten  der  Abt  von  Medardus  und 
Xogaret^:  sie  sollten  den  Papst  direkt  über  den  Plan  eines  Bünd- 
nisses zwischen  Heinrich  und  Robert  interi)ellieren  und  daliei  mit 
eintiiessen  lassen,  dass  Philipp,  wenn  Clemens  ihm  willfährig  wäre, 
wohl  in  anderem  Konzessionen  machen  werde;  speziell  der  Prozess 
gegen  Bonifaz  wurde,  wie  wir  sehen  werden,  als  das  Tauschobjekt 
hingestellt,  das  der  König  preiszugeben  bereit  sei,  wenn  der  Papst 
ihm  in  seinen  neuen  Forderungen  nicht  entgegen  träte. 

6. 
Die  Gesandtschaft,  deren  Haupt  der  Bischof  von  Bayeux 
war,  kam  am  1.  November  1310  in  Roquemaure''  an,  wurde  aber 
zu  ihrer  grössten  Verwunderung  vom  Papst,  der  sich  damals  in 
dieser  Stadt  aufhielt,  nicht  sofort  empfangen,  sondern  auf  den 
8.  November  nach  Avignon  bestellt*.  Hier  fand  dann  am  fest- 
gesetzten Termin  die  Audienz  statt,  es  fiel  aber  wieder  sehr  auf, 
dass  Clemens  dazu  nicht  in  seiner  gewöhnlichen  Wohnung,  dem 
Dominikanerkloster,  sondern  im  bischöflichen  Palais,  das  in  einem 
festeren,  vor  Angriffen  sichereren  Teile  der  Stadt  lag,  abgestiegen 
war''.  Auch  in  den  Verhandlungen  zeigte  sich  der  Papst  äusserst 
kühl  und  zurückhaltend  und  scheute  sich  selbst  nicht  davor,  die 
Regierung  Philipp's  des  Schönen  einer  Kritik  zu  unterziehen;  be- 
treffs der  Templergüter  meinte  er,  er  habe  wohl  gewusst,  dass  sie 
alle  verschleudert  würden,  und  dies  in  Poitiers  richtig  vorausgesehen ; 


Punkt  XXIV,  das  aber  keineswegs  „heute"  bedeuten  muss,  wie  ja  aucli  wir 
„diesen  Mittwoch"  im  Sinn  von  „am  verflossenen  Mittwoch"  ge})raucheii]-,  AVknck 
hat  nachgewiesen,  dass  er  ins  Jahr  1310  gfh<Jrt. 

'  Vrgl.  in  dem  Bericht  die  Punkte  III,  IV,  V,  VIT,  VIII,  IX. 

-  Vrgl.  den  Bericht  in  der  Rev.  des  <iuest.  bist.  XI,   28— U  (Wknck  176 
bis  178),  nr.  XII,  XIV,  XVI,  und  unten. 

3  Rechts  am  Rhone,  10  km  nördlich  von  AvigiiDii. 

■*  Bericht  in  der  Rev.  des  qucst.  bist.  23  f.  (We.nck  172  f.).  nr.  I. 

5  Ibid.  24  (Wenck  173),  nr.  II. 
R.  Holtzmaim,  Nogaret.  IJ 


194  7.  Kapitel. 

und  auch  sonst  verteidigte  er  sich  und  den  deutschen  Künig  und 
weigerte  sich,  den  Forderungen  Phihpp's  Gehör  zu  schenkend 

Ära  10.  Xovemhcr  begann  dann  endhch  wieder  die  Fortsetzung 
des  Prozesses  gegen  Bonifaz-.  Clemens  hatte  sich  dazu  wieder  in 
seine  gewöhnliche  Wohnung  begeben'',  wo  sich  das  Konsistorium  in 
der  gewohnten  Weise  versammelte;  auch  Nogaret  und  Plasian,  so- 
wie sechs  Verteidiger  des  Bonifaz  waren  anwesend*.  Aber  es  kam 
zu  keinen  Verhandlungen;  der  Papst  erklärte,  nachdem  er  auch 
jetzt  wieder  die  üblichen  Reservationen  gemacht  hatte,  wegen  Un- 
pässlichkeit,  und  weil  auch  einige  Kardinäle  unwohl,  andere  noch 
nicht  anwesend  seien,  sowie  endlich  wegen  eines  ihm  entstandenen 
Rechtszweifels  die  Sitzung  auf  den  13.  November  vertagen  zu 
müssen. 

Auch  am  13.  November,  einem  Freitag,  kam  man  nicht  viel 
weiter''.  Nachdem  Nogaret  und  Plasian  hervorgehoben  hatten, 
dass  sie  in  keiner  Weise  gegen  den  katholischen  Glauben  oder  die 
römische  Kirche  je  etwas  sagen  wollten,  wies  Nogaret  darauf  hin, 
dass  man  hingegen  von  selten  der  Verteidiger  den  König  von  Frank- 
reich angegriffen  habe.  Hierbei  dachte  er  an  die  von  Jakob  von 
Modena  am  3.  August  eingereichte  Schrift.  Clemens  erwiderte, 
dass  er  dies  allerdings  nicht  billigen  könne,  und  dass  er  Nogaret, 
falls  dieser  bereit  wäre,  hören  wolle  ^,  obgleich  er  selbst  krank  und 
die  Stunde  spät  sei.  Nogaret  sagte,  er  müsse  allerdings  darauf 
bestehen,  vor  dem  Plenum  den  König,  sowie  auch  sein  und  Plasian's 
Verhalten  verteidigen  zu  können,  antwortete  aber  im  übrigen  aus- 
weichend, worauf  Clemens  nach  den  üblichen  Reservationen  auf  den 
folgenden  Dienstag  eine  neue  Sitzung  anberaumte. 

An  diesem,  dem  17.  November,  trat  also  das  Konsistorium 
wieder  zusammen".  Aber  die  Stunde  war  so  spät  angesetzt  worden. 


'  Rev.  des  quest.  bist.  XI,  24—27  (Wenck  173—175),  ur.  III- IX. 

-  DuPUY,  Difi".  pr.  502. 

^  Ibid.  und  Beriebt  in  der  Rev.  des  quest.  bist.  XI,  24  (Wenck  173),  nr.  II. 

■•  Von  den  sieben  Verteidigern,  die  am  3.  August  die  Verteidigungsscbrift 
eingereicht  batten,  feblten  diesmal  Gotius  und  Tbomas,  dafür  finden  wir  jetzt 
wieder  Blasius-,  in  den  Konsistorien  vom  13.,  20.,  24.,  27.,  28.  November  ist 
aucb  Gotius  anwesend.  Von  den  Gesandten  des  Königs  werden  von  jetzt  an 
nur  noch  Nogaret  und  Plasian  genannt. 

*  DuPüY,  Difl'.  pr.  502  f. 

*  Die  schriftliche  Antwort  auf  die  Schrift  der  Verteidiger  war  direkt  dem 
Papst  überreicht,  nicht  ins  Protokoll  aufgenommen  worden.  Jetzt  vei'langte 
Nogaret,  eine  mündliche  Antwort  vor  dem  Konsistorium  abgeben  zu  düi-fen. 

'  DuPüY,  DifT.  pr.  503  f. 


Prozess  gegeu  Bouifaz  und  Eudo  d.  TeiiiiilcT.    Nü^jarct's  Tod.  (1310 — 1313.)      190 

dass  Nogaret*  seine  Rede  nicht  vollontlen  konnte  und  deshalb 
iibernials  um  die  Anberaumung  eines  neuen  Termins  zu  seiner  Ver- 
teidigung bat;  auch  ihm  kam  es  ja  nicht  auf  eine  möglichste  Be- 
schleunigung der  Sache  an,  und  zwar  um  so  weniger,  als  um  diese 
Zeit,  wie  wir  sehen  werden,  bereits  andere  Verhandlungen  allmäh- 
lich eine  Lösung  aller  Schwierigkeiten  in  Aussicht  stellten.  Der 
Papst  beraumte  die  nächste  Sitzung  auf  den  Freitag  an. 

So  kam  man  am  20.  November  wieder  zusammen^.  No garet 
behauptete  zwar,  der  König  brauche  eigentlich  gar  keine  Verteidi- 
gung, da  seine  Unschuld  klar  zu  Tag  liege,  unternahm  es  dann  aber 
doch,  die  erhobenen  Vorwürfe  zu  entkräftigen.  Er  wurde  unter- 
brochen durch  einen  Rechtsbeistand  der  Gegner,  welcher  bat, 
man  möge  eine  Aeusserung  Xogaret's  sogleich  in  öftentlicher  Ur- 
kunde aufzeichen,  nämlich  die  jetzt  von  ihm  ausges})rochene  Bemer- 
kung, dass  Bonifaz  seine  Ketzereien  nicht  öffentlich  in  Kirchen  oder 
im  Konsistorium,  sondern  nur  bei  sich,  vor  höchstens  vier  oder  fünf 
Zeugen  ausgesprochen  habe;  dies  sollte  offenbar  als  Beweismittel 
gegen  die  Anklage  verwandt  werden.  Aber  Clemens  schlug  das 
Gesuch  ab:  er,  die  Kardinäle  und  seine  Notare  würden  die  Worte 
schon  behalten.  Und  Nogaret  erwiderte,  er  könne  seine  Bemer- 
kung auch  noch  einschränken,  werde  aber  jedenfalls  alle  seine  Aus- 
führungen schriftlich  niederlegen;  überdies  seien  manchmal  auch 
dreissig  oder  gar  fünfzig  Zeugen  bei  den  ketzerischen  Aussprüchen 
des  Bonifaz  zugegen  gewesen,  und  er  wisse  nur  nicht,  ob  dieselben 
öffentlich  gefallen  seien;  wenn  aber  dies  auch  nicht  geschehen  sei, 
so  bleibe  Bonifaz  doch  ein  vollkommener  Ketzer,  da  er  dann  nur 
aus  Heuchelei  die  Oeffentlichkeit  gemieden  habe.  Danach  wollte 
Nogaret  noch  vieles  anführen,  aber  Clemens  meinte,  jetzt  sei  es 
dazu  doch  zu  spät,  weshalb  er  die  weiteren  Verhandlungen  auf  den 
Dienstag  vertage. 

An  diesem,  dem  24.  November,  versammelte  sich  das  Konsi- 
storium abermals  in  der  gewohnten  Weise-'.  Nogaret  fuhr  in  seiner 
Verteidigung  des  Königs  und  seiner  Sache  fort.  Als  er  aber  dabei 
die  Bemerkung  einfliessen  Hess,  der  König  könne  Kirchen  und  Prä- 
laten auch  ohne  deren  Willen  besteuern,  obgleich  Philipi)  dies  nicht 
ohne  die  freiwillige  Zustimmung  der  Prälaten  gethan  habe,  erhob 
sich  Clemens  zu  einem  Protest  und  erklärte  ausdrücklich,  es  sei 
sein  Wille,  zwar  dem  König  sein  Recht   zu  wahren,  aber   auch  die 

'  Er  ist  der  „praefatus  dominus  (iuillclmuH" ;  vr;rl.  Dll'LV,  l>ilV.  pr.  5()3 
(ZI.  2  —  17  V.  o.)  und  504  (ZI.  9—7  v.  u.). 

-  Dupuv,  Dill".  i»r.  504—50«.  '  Ibid.  506—508. 

13* 


196  7,  Kapitel. 

kirchlichen  Freiheiten  nicht  antasten  zu  lassen.  No garet  meinte, 
er  sei  in  dieser  Frage  durchaus  der  Meinung  des  Papstes,  und  hat 
dann  um  eine  Beschleunigung  des  Prozesses,  um  das  Fortfahren  im 
Verhören  der  Zeugen  und  um  seine  eigene  Absolution  ad  cautelam; 
er  sei  jederzeit  bereit,  seine  Unschuld  zu  beweisen,  Clemens  ant- 
wortete auf  diese  Forderungen,  dass  die  Verhältnisse  in  jeder  Be- 
ziehung schwierig  seien  und  erst  eine  eingehende  Prüfung  aller 
Gründe  für  und  wider,  insonderheit  auch  ein  genaues  Studium 
der  zahlreichen  Schriften  der  Ankläger  und  Verteidiger  erforderen. 
Hierauf  vertagte  er  die  Verliandlungen  auf  den  Freitag:  man  war 
wieder  um  keinen  Schritt  vorwärts  gekommen. 

Am  27.  November^  kamen  die  Verteidiger  des  Bonifaz  zu 
AVort;^  aber  auch  sie  konnten  nichts  vorbringen  als  ihre  alten  Pro- 
testationen und  Reklamationen.  Clemens  vertagte  die  Sitzung  auf 
den  folgenden  Tag,  und  an  diesem,  Samstag,  dem  28.  Xovember- 
erhoben  die  Parteien  wieder  ihre  alten  Klagen.  Der  Papst  griff  zu 
dem  bewährten  ^Mittel  und  verlangte,  beide  Teile  sollten  ihm  ihre 
Anliegen  schriftlich  vortragen.  Dadurch  gewann  er  wieder  Zeit. 
Die  Kardinäle  Berengar  und  Stephan  sollten  die  Schriftstücke 
am  9.  oder  spätestens  am  13.  Dezember  entgegennehmen;  am  21. 
oder  22.  Dezember  sollte  dann  wieder  ein  Konsistorium  abgehalten 
werden.  Der  Termin  zur  Einreichung  der  Schriftstücke  wurde  von 
den  Kardinälen  überdies  nicht  eingehalten;  mit  der  Begründung, 
durch  Geschäfte  verhindert  zu  sein,  verschoben  sie  ihn  erst  auf  den 
15.,  dann  auf  den  17.  Dezember ^ 

7. 
Ungleich  wichtigere  Verhandlungen  spielten  sich  unterdessen  in 
einer  weniger  öffentlichen  Weise  ab.  AVir  wissen,  mit  welchem 
Spezialauftrag  No garet  und  Peter  von  Peredo  von  Philipp  im 
Herbst  1310  versehen  waren.  Sie  zögerten  nicht,  sich  desselben  zu 
entledigen.  Aber  wälirend  der  Abt  von  Clemens  vorgelassen  wurde, 
musste  Nogaret  mit  Vertretern  des  Papstes  unterhandeln*.  Hatte 
doch  Clemens  noch  im  Mai  ausdrücklich  erklärt,  dass  die  Verhand- 
lungen, die  er  mit  Nogaret  im  Konsistorium  führte,  zu  keinem  Schluss 


'  DcpUY,  Dift'.  pr.  508  f. 

-  Ibid.  509  f.  Natürlich  muss  es  „die  Sabbati  vigesima  octava"  beissen 
(wie  auch  in  dem  zweiten  Protokoll  Arch.  nat.  J  492  nr.  805  steht). 

■•'  DüPUY,  Diff.  pr.  510. 

'  Bericht  der  Gesandten,  in  der  Rev.  des  quest.  bist.  XI,  28 — 31 
(Wenck  176—178),  nr.  XII,  XIV,  XVI. 


Prozesa  gegen  Bonifaz  und  Ende  d.  Templer.  Nogaret's  Tod.  (1310—1313.)      197 

darüber  berechtigten,  ob  Nogaret  im  Haun  sei  oder  nicht,  da  sie 
alle  nur  einen  vorläufigen  Charakter  trügen,  indem  man  eben  zu- 
nächst über  die  gegenseitigen  Ausschliessungsanträge  der  Parteien 
beraten  müsse;  deshalb  konnte  er  natürlich  jetzt  nicht  in  einer  an- 
deren Angelegenheit  sich  auch  auf  persönliche  Verhandlungen  mit 
Nogaret  einlassen,  da  dieser  dadurch  in  der  That  als  nicht  im  Bann 
befindlich  bezeichnet  worden  wäre.  Daher  bat  denn  Nogaret  um 
einen  oder  zwei  Bevollmächtigte,  mit  denen  er  die  Verhandlungen 
führen  könne.  Der  Papst  ernannte  als  solche  den  Kardinal  von 
Bordeaux  und  den  Überkämmerer  ^  Drei  Punkte  waren  es,  über 
die  Nogaret  verhandeln  sollte:  die  rasche  Bestätigung  Heinrich's  VII., 
das  Bündnisprojekt  zwischen  diesem  und  dem  König  Robert-,  sowie 
der  Heiratsplan  zwischen  einer  Tochter  Heinrichs  und  dem  Sohn 
Robert's^,  wobei  der  Arelat  und  andere  Länder  als  Mitgift  dienen 
sollten.  Die  Verhandlungen  fanden  im  Haus  des  Kardinals  von 
Bordeaux  statt,  und  zwar  wohl  in  der  zweiten  Hälfte  des  November. 
Nogaret  fragte  über  die  genannten  Punkte  bei  den  Bevollmächtigten 
an,  „zu  dem  ihm  aufgetragenen  Zweck,  und  nicht  zur  Gehässigkeit 
gegen  die  beiden  genannten  Könige".  Er  behauptete  nämlich,  nur 
zum  Wohl  der  Kirche  zu  reden,  da  dieser  aus  der  eingeschlagenen 
Politik  leicht  grosser  Schaden  erwachsen  könne*.  Was  aber  der 
eigentliche  Zweck  war,  ergiebt  sich  klar  aus  dem  folgenden.  Der 
Oberkämmerer  zog  nämlich  nun  Nogaret  bei  Seite,  erinnerte  ihn  au 
das  schon  einmal^  in  der  Bonifazianischen  Angelegenheit  zwischen 
Papst  und  König  erzielte  Einverständnis  und  fragte,  ob  man  denn 
nicht  die  Plagereien,  mit  denen  Clemens  in  dieser  Hinsicht  nun 
schon  so  lange  gequält  werde,  endlich  einmal  aufhören  lassen  könne. 
„Ich  erwiderte  vorsichtig",  berichtet  Nogaret  an  den  König,  „dass 
dies  nicht  bei  mir  stehe,  sondern  beim  Papst,  der  viele  gute  Wege 
finden  könne,  wenn  er  wolle,  u.  s.  w."  Es  ist  deutlich,  dass  Nogaret 
hier  wieder  die  Möglichkeit  eines  Tauschhandels  andeutete;  als 
Tauschobjekt,  nicht  als  Selbstzweck,  behandelte  er  den  Prozess  gegen 
Bonifaz.  Die  Vertreter  des  Papstes  berichteten  diesem  über  die 
Verhandlungen,    doch   verbreiteten    sich    betrefis   derselben  „falsche 


*  Vrgl.  hierüber  und  über  die  Verhandlungen  mit  den  Bevolhuäclitigten 
den  Bericht  Nogaret's,  der  in  den  genanntun  Bericht  di'r  Gesandten  a.  a.  0. 
28  f.  (Wenck  176)  als  Punkt  XII  eingeschoben  ist. 

-  Der  auch  hier  seinen  offiziellen  Titel  „rex  Siciüe"  führt. 
3  Vrgl.  Wenck  148. 

*  Bericht  der  Gesandten  a.  a.  O.  31  f.  (Wkntk   17Hf.)  nr.  XVll. 

*  Nämlich  auf  der  Zusammenkunft  zu  Poitiers,  Mai  1307. 


198  7.  Kapitel. 

Geriicbte"  —  offenbar  erzählte  man  sich  in  der  Oeffentlichkeit,  was 
auch  thatsächlich  seine  Richtigkeit  hatte,  dass  der  König  den  Pro- 
zess  gegen  Bonifaz  preisgeben  wolle,  wenn  ihm  der  Papst  hinsicht- 
lich der  deutsch-italienischen  Politik  Konzessionen  mache;  Nogaret 
referierte  daher  dem  Bischof  von  Bayeux  und  den  anderen  Gesandten 
nochmals  ausfülirlieh  über  die  Verhandlungen  und  das  von  ihm  dabei 
hingestellte  Ziel,  als  welches  er  ja  ausdrücklich  das  AVohl  der  Kirche 
genannt  hattet  Am  folgenden  Tag  bestellte  der  Papst  die  Gesandt- 
schaft, deren  Haupt  der  Bischof  von  Bayeux  war,  zu  sich,  um  ihr 
für  Nogaret  Antwort  zu  sagen.  Ausser  dem  Kardinal  von  Bordeaux 
und  dem  Oberkämmerer  war  auch  der  Abt  von  St.  Medardus  an- 
wesend, dem  der  Papst,  wie  er  sagte,  zugleich  antworten  wollte,  da 
er  über  dieselben  drei  Punkte  mit  ihm  verhandelt  habe,  die  auch 
Nogaret  den  beiden  Bevollmächtigten  vorgetragen  hatte  ^.  Der 
Bischof  von  Bayeux  erklärte,  sie  hätten  zwar  eigentlich  über  diese 
Dinge  keinen  Auftrag,  wollten  aber  doch  gerne  die  Antwort  des 
Papstes  entgegennehmen.  Dann  berichteten  der  Kardinal  von  Bor- 
deaux und  der  Oberkämmerer  über  die  Verhandlungen,  die  sie  mit 
Nogaret  geführt  hatten  ^  Hierauf  folgte  eine  eigentümliche  Szene  ^. 
Der  Papst  wandte  sich  an  den  Abt  Peter,  hob  hervor,  dass  seine 
Worte  zwar  denselben  Gegenstand  betroffen,  aber  „ein  anderes  Ziel" 
gehabt  hätten  als  die  Nogaret's,  und  fragt  ihn,  ob  er  (der  Papst) 
das,  Avas  sie  beide  mit  einander  verhandelt  hätten,  hier  auseinander- 
setzen dürfe;  der  Abt  verneinte  dies  mehrmals  und  entfernte  sich 
dann  auf  Aufforderung  des  Papstes.  Man  darf  danach  wohl  ver- 
muten, dass  Peter  allzu  offen  die  Aufgabe  des  Prozesses  gegen 
Bonifaz  als  Preis  eines  Nachgebens  des  Papstes  in  der  Frage  eines 
Bündnisses  zwischen  Heinrich  VII.  und  Robert  von  Neapel  hin- 
gestellt habe,  während  Nogaret,  wie  wir  sahen,  als  Ziel  seiner  Ver- 
handlungen wieder  lediglich  das  Wohl  der  Kirche  bezeichnet  hatte 
und  dies  auch  jetzt  vor  dem  Papst  durch  die  Gesandten  wiederholen 
liess^  Nachdem  der  Abt  sich  entfernt  hatte,  erläuterte  der  Papst 
sein  Verhalten  Heinrich  VII.  gegenüber,  das  in  jeder  Beziehung 
korrekt  und  unanstössig  gewesen  sei*^.     Als  dann  die  Gesandten  auf 


»  Bericht  der  Gesandten  a.  a.  0.  29  (Wenck  176  f.)  nr.  XIII.    [Auch  dieser 
Punkt  stammt  teilweise  aus  der  Feder  Nogaret's.] 
-  Ibid.  29  f.  (Wenck  177)  nr.  XIV. 
"  Ibid.  30  f.  (Wenck  177)  nr.  XV. 
■  '  Ibid.  31  (Wenck  177  f.)  nr.  XVI. 
*  Ibid.  32  (Wenck  179)  nr.  XVII  (Schluss). 
«  Ibid.  31—35  (Wenck  178—180)  nr.  XVII— XX. 


Prozess  gegen  Bonifaz  imcl  Ende  d.  Templer,  Xofrarct's  Tod.  (1310—1313.)      199 

ihre  eigenen  Aufträge  kamen,  bat  er  sie,  dieselben  ihm  scliriftHch 
zu  überreichen;  er  werde  dann  auch  schrifthch  antworten.  Es  ver- 
gingen elf  Tage,  bis  diese  Antwort  erfolgte;  dieselbe  wurde  von  den 
Gesandten  Nogaret  übergeben':  wieder  ein  Zeichen  der  dominieren- 
den Stellung  dieser  Persönlichkeit,  da  Nogaret  ja  doch  eigentlich 
mit  der  päpstlichen  Antwort  auf  die  Vorstellungen  des  Bischofs  von 
Bayeux  nichts  zu  tliun  hatte. 

In  diese  Zeit  fällt  nun  offenbar  die  entscheidende  Wendung. 
Während  der  elf  Tage,  in  denen  die  Gesandten  auf  die  päpstliche 
Antwort  warteten,  und  die  etwa  in  den  Anfang  Dezember  zu  setzen 
sind,  wurden  sie  von  den  französisch  gesinnten  Kardinälen,  insonder- 
heit von  Peter  von  La  Chapelle,  dem  Kardinal  von  Palestrina, 
darauf  hingewiesen,  sie  möchten  doch  dafür  sorgen,  dass  der  König 
auf  den  Prozess  gegen  Bonifaz  verzichte;  er  sagte  dabei  ganz  offen, 
dass  es,  im  Falle  Phihpp  auf  dem  Prozess  beharre,  zu  einem  grossen 
Konflikt  kommen  Averde,  während  der  König  sonst  „weder  die 
schwarze  noch  die  weisse  Krone"  zu  fürchten  brauche^. 

In  diesem  Sinn  unterhandelte  man  weiter,  und  dem  Umstand 
gegenüber,  dass  man  immer  näher  an  eine  Verständigung  kam,  haben 
die  Schriftstücke  Avenig  Interesse,  die  am  17.  Dezember  1310  von 
den  Anklägern  und  Verteidigern  des  Bonifaz  den  hierzu  bestellten 
Kardinälen  überreicht  wurden.  Jakob  von  Modena  gab  hier  mit 
einer  Vollmacht^,  die  ihm  fünf  seiner  Mitverteidiger  am  12.  Dezember 
ausgestellt  hatten,  eine  vier  Schriftstücke  enthaltende  üoUe  zu  Pro- 
tokoll*; hier  wurde  der  Standpunkt  der  Bonifazianer  nach  jeder 
Hinsicht,  durch  rechtliche  und  historische  Betrachtungen,  verteidigt, 
und  zum  Schluss  wieder  Protest  erhoben  gegen  den  ganzen  Prozess 
überhaupt,  wie  gegen  die  Zulassung  Nogaret's  und  Plasian's  und  das 
vom  Papst  angeordnete  Zeugenverhör  im  besonderen.     Ebenso  über- 


*  Bericht  der  Gesandten  a.  a.  0.  3-5  (Wenck  180f.)  ur.  XXI. 

-  Ibid.  35  f.  (Wexck  181)  nr.  XXII.  „Per  malam  fortuuani,  (jiiare  nou 
acceleratis  vos,  quod  dominus  rex  Francie  sit  totaliter  cxpeditus  et  Iil)eratus  de 
illo  facto,  in  cuius  tractatu  tamdiu  laboravimus";  hierbei  denkt  der  Kardinal 
daran,  dass  der  König  sich  über  die  verletzenden  Eingaben  der  Gegner  be- 
schwert liattc:  „weshalb  schaHt  sich  Philipp  diese  ganze  Angelegenheit  nicht 
vom  Hals?"  Ueber  den  „tractatus"  vrgl.  die  f(dgenden  Punkte  und  AVenck  159. 
Mit  der  schwarzen  Krone  ist  die  ("eiserne)  lang(jbardi8cht',  mit  der  weissen  die 
(silberne)  deutsche  Königskrone  gemeint. 

"  Duprv,  Diff.  pr.  511.  Von  den  am  10.  November  im  Konsistorium  an- 
wesenden Verteidigern  fehlte  diesmal  Nikolaus  von  Veroli,  wohingegen  wieder 
Gotius  von  Rimini  genannt  ist. 

*  Ibid.  511—515. 


200  7.  Kapitel. 

gaben  Nogaret  und  Phisian  eine  Rolle  %  in  der  sie  die  Behaup- 
tungen der  Gegner  zurückwiesen,  und  in  der  Nogaret,  wenn  auch 
in  Kürze,  seine  Apologie  zum  siebenten  Male  bringt;  hier  ist  es, 
wo  er  auf  eitfe  Behauptung,  welche  von  seinen  (Tegnern  in  der  am 
3.  August  übergebeuen  Schrift  aufgestellt  war,  folgendermassen  ant- 
wortet: „Auch  bin  ich  nicht  Kanzler,  sondern  ich  bewahre  nur  das 
Siegel  des  Königs,  wie  es  ihm  gefällt,  als  sein,  wenn  auch  unzuläng- 
licher und  unwürdiger,  so  dennoch  treuer  Diener."  Eine  zweite 
Rolle  ^,  die  Nogaret  allein  überreichte,  enthielt  unter  der  Ueberschrift: 
„Supplicatio  Guillielmi  de  Nogareto,  facta  Clementi  V.  PP.  super 
excusationibus  et  ostensione  innocentiae  de  prosecutione  contra  se 
facta  Perusii  coram  Benedicto  XI,  PP."  abermals  eine  ausführliche 
Apologie,  die  achte,  die  der  sechsten  sehr  ähnlich  ist,  und  in  der 
zum  Schluss  wieder  eindringlich  um  eine  Absolution  ad  cautelani 
gebeten  wird.  Schon  das  Einreichen  dieser  beiden  Apologieen  zeigt, 
wie  sehr  es  Nogaret  jetzt  darauf  ankam,  auf  seine  Absolution  zu 
drängen.  Und  dies  ist  ja  leicht  verständlich:  wenn  es  jetzt  zu  einem 
Vergleich  zwischen  König  und  Papst  kam,  so  durfte  er  natürlich 
die  Gelegenheit  nicht  vorübergehen  lassen,  dabei  auch  seine  endliche 
Freisprechung  zu  erwirken.  Diese  Frage  war  andererseits  für  den 
Papst  eine  sehr  schwierige,  und  dass  sie  mitspielte,  hat  es  jedenfalls 
nicht  zum  wenigsten  verschuldet,  dass  sich  der  definitive  Scliluss  der 
ganzen  Angelegenheit  noch  vier  Monate  hinauszog.  Was  Nogaret 
vom  Papst  forderte,  werden  wir  bald  an  der  Hand  eines  mit  von 
ihm  herrührenden  Entwurfs  zu  einer  Bulle  kennen  lernen. 

Am  22.  Dezember,  als  der  Prozess  seinen  Fortgang  nehmen 
sollte,  liess  der  Papst  dem  schon  versammelten  Konsistorium  er- 
klären, er  vertage  die  Verhandlungen  wegen  Magenleidens  und  Kopf- 
schmerz auf  den  22.  März  1311  (den  ersten  Gerichtstag  nach  Sonn- 
tag Laetare)^.  Er  konnte  bereits  bestimmt  erwarten,  dass  es  in- 
zwischen zu  einem  Ausgleich  kommen  werde.  Am  selben  Tage 
schon  verliess  Nogaret  Avignon,  während  die  Gesandtschaft,  deren 
Haupt  der  Bischof  von  Bayeux  war,  mit  den  Kardinälen  über  den 
zu  schliessenden  Vertrag  weiter  verhandelten;  die  Gesandten  erwar- 
teten noch  eine  geheime  Instruktion  durch  Nogaret  und  andere 
Nachrichten,  weshalb  man  dahin  übereinkam,  die  weiteren  Beratungen 


'  DUPUY,  Diff'.  pr.  515—521. 

^  Ibid.  305 — 315;  vrgl.  ibid.  511  uud  521  (uuteu) ;  Nogaret  gab  diese 
Supplicatio  uiclit  mir  zu  Protokoll,  sondern  sorgte  zugleich  für  ihre  Veröffent- 
lichung. 

»  Ibid.  522. 


Prozess  gegen  Bonifaz  und  Ende  d.  Templer.   Nogarct's  Tod.  (1310—1313.)     2<»1 

in  den  ersten  Tagen  des  Januar  fortzusetzen'.  Auch  am  folgenden 
Tag  fanden  noch  Besprechungen  statt'-.  Am  24.  J)ezember,  einem 
Donnerstag,  berichteten  die  Gesandten  sodann  über  die  bisherigen 
Verhandlungen  an  Philipp-,  da  wir  einen  weiteren  Bericht  nicht 
haben,  sind  wir  über  das  folgende  wieder  schlechter  unterrichtet. 

Einen  Einbhck  in  die  Forderungen,  die  damals  von  den  beiden 
Parteien  gestellt  und  verhandelt  wurden,  gewährt  uns  eine  Denk- 
schrift^, die,  wie  es  scheint,  an  den  Papst  gerichtet  ist,  und  in  der 
fünf  Fragen  erörtert  werden:  1.  ob  der  Prozess  gegen  Bonifaz  fallen 
gelassen  werden  könne  und  welchen  Weg  man  dabei  einzuschlagen 
habe;  2.  wie  man  bei  einem  Verzicht  auf  die  Verurteilung  Boni- 
faz' VIII.  dem  König  und  den  Anklägern  die  nötige  Sicherheit 
schaffen  könne;  3.  wie  man  dasselbe  betreffs  der  Thäter  von  Anagni 
thun  könne;  4.  ob  man  andererseits  es  verhindern  könne,  dass  über 
die  Ketzerei  des  Bonifaz  in  Zukunft  aufs  neue  Klage  erhoben  werde, 
und  5.  ob  der  Papst  die  Handlungen  desselben  bestätigen  könne. 
Der  Verfasser  kommt  u.  a.  zu  dem  Schluss,  dass  das  Vorgehen  der 
Ankläger,  wenn  sie  jetzt  zurücktreten  sollten,  ausdrücklick  als  eine 
Folge  reinen  Glaubenseifers  anerkannt  werden  müsse,  und  dass  die 
Thäter  von  Anagni  von  aller  Schuld  und  Strafe  freizusprechen  seien. 
Bezüglich  des  fünften  Punktes  stellte  die  königliche  Partei  bestimmte 
Forderungen,  worauf  wir  gleich  zurückkommen  werden. 


Xogaret  hatte,  wie  wir  sahen,  bereits  am  22,  Dezember  1310 
Avignon  verlassen.  Er  mag  sich  auch  diesmal  zunächst  einige  Zeit 
in  der  Xähe  dieser  Stadt  aufgehalten  haben',  begab  sich  aber  im 
Januar  1311  zum  König.  Es  ergiebt  sich  dies  daraus,  dass  das 
Schreiben ',  in  dem  Philipp  im  folgenden  ^[onat  von  Funtainebleau 
aus  sich  vom  Prozess  gegen  Bonifaz  zurückzuziehen  erklärte,  zweifel- 
los von  Xogaret  verfasst  ist ;  in  demselben  wird  folgendes  aus- 
geführt: Der  König  habe  auf  die  gegen  Bonifaz  erhobenen  Anklagen 
hin  im  Jahre  1303  das  geforderte  Konzil  zu  stände  bringen  wollen 
und  deshalb  mit  anderen  Gesandten  seinen  lieben  und  treuen  Kitter 
Wilhelm  von  Xogaret,  den  er  als  einen  Eiferer  für  den  katholischen 
Glauben  und  die  Einheit  der  heiligen  Mutter  Kirche  gekannt  habe, 


*  Bericht  der  Gesandten  a.  a.  O.  3G  f.  (Wknck  181  f.)  ur.  XXIII. 
-  Ibid.  37  f.  (Wekck  182  f.)  nr.  XXIV— XXVI. 

'  Beilage  XI;  die  Adresse  scheint  sich  aus  §  5  zu  ergeben. 

*  Vrgl.  Bericht  der  Gesandten  a.  a.  0.  nr.  XXIII  (Ende). 
''  Arch.  nat.  J  490  ur.  778;  Dlplv,  Diff.  pr.  Ü9Ü-300. 


202  7.  Kapitel. 

zum  Papst  geschickt;  zu  dem  reberfall  von  Anagni  sei  derselbe 
wegen  der  ihm  von  Bonifaz  drohenden  Lebensgefahr  gezwungen  ge- 
wesen ;  nach  dem  Tod  des  Bonifaz  habe  Philipp  dann  mehrmals  bei 
Benedikt  und  Clemens  um  eine  Untersuchung  der  Anklagen  ge- 
beten, diese  habe  sich  nun  lange  hinausgezogen,  und  um  sie  zu  be- 
schleunigen, wolle  er  den  Prozess  auf  die  wiederholten  Bitten  des 
Papstes  hin  diesem  allein  überlassen  und  für  ein  Zurücktreten  der 
Ankläger  sorgen  ^  Dass  dieser  Erlass  wirklich  aus  der  Feder 
Nogaret's  stammt,  sieht  man  schon  daran,  dass  derselbe  in  ihn 
geschickt  seine  Apologie  einzuflechten  wusste,  die  uns  so  in  den 
bekannten  Wort-  imd  Gedankengängen  hier  zum  neunten  Male 
entgegentritt.  Auch  hieraus  erkennen  wir  wieder,  wie  sehr  ihm 
daran  gelegen  war,  bei  dem  bevorstehenden  Friedensschluss  die  An- 
erkennung seines  reinen  Glaubenseifers  und  damit  zugleich  seine 
Absolution  zu  erhalten.  Derselben  Zeit  gehört  auch  eine  inter- 
essante Flugschrift  Xogaret's  an,  die  er  seine  „cause  defensionum" 
nannte-.  Er  verwendete  zu  ihr  den  Schluss  einer  zehnten  Apologie 
(von  der  uns  nur  ein  abgerissenes  Ende  erhalten  ist),  arbeitete  den- 
selben aber  wesentlich  um,  sodass  wir  die  „cause  defensionum"  zu- 
gleich als  seine  elfte  Rechtfertigungsschrift  bezeichnen  können.  In 
sieben  Artikel  fasst  Xogaret  seine  Verteidigung  zusammen:  1.  Bonifaz 
war  ein  völlig  schlechter  und  ketzerischer  j\[ensch,  weshalb  man  die 
Berufung  eines  allgemeinen  Konzils  verlangte,  die  jedoch  durch  ihn 
verhindert  wurde;  2.  da  Bonifaz  sich  so  einem  Gericht  offenkundig 
zu  entziehen  suchte,  war  er  nach  kanonischem  Recht  für  geständig 
und  schuldig  zu  halten;  3.  indem  Bonifaz  dergestalt  gegen  Ordnung 
und  Frieden  der  Kirche  handelte,  musste  durch  eine  auswärtige, 
d.  h.  weltliche  Macht  eingegriffen  werden;  4.  als  Bonifaz  hörte, 
dass  in  Frankreich  gegen  ihn  Klage  erhoben  wurde,  beschloss  er, 
dieses  Land  zu  vernichten,  zu  welchem  Zweck  er  verschiedene  Er- 
lasse veröffentlichte  und  einen  noch  schlimmeren  vorbereitete;  5.  ^o- 
garet,  der  Bonifaz  die  Konzilsforderung  überbringen  sollte,  konnte 
wegen  der  Xachstellungen,  die  seinem  Leben  bereitet  wurden,  nur 
unter  dem  Schutz  Bewaffneter  Anagni  betreten;  6.  in  Anbetracht 
des  drohenden  Kirchenskandals  und  zur  Verteidigung  des  wahren 
Glaubens  musste  Bonifaz,  obgleich  Nogaret  hierzu  keinen  Auftrag 
hatte,  militärisch  bewacht  werden,  wodurch  zugleich  ihm  das  Leben 


'  Ludwi;,'  von  Evreux  und  Guido  von  St.  Paul  erklärten  am  14.  Februar 
ihren  Rückti-itt  vom  Prozess  (Dupuy,  Difl'.  pr.  301  f.) ;  bei  Nogaret  und  Plasian, 
die  als  königliche  Gesandte  aufgetreten  waren,  war  dies  nicht  nötig. 

-  Beilage  XII. 


Prozess  gegen  Bonitaz  und  Ende  d.  Templer.   Nogaret's  Tml.  (IIUO— i:U:i.)     203 

gesichert  und  einer  völligen  Ausraubung  des  Kirclienscliatzes  vor- 
gebeugt wurde;  7.  Bonifaz  nannte  selbst  noch  die  Tbat  Nogaret's 
ein   Werk  Gottes  und  absolvierte  alle,  die  daran  beteiligt  waren. 

Die  hier  gemachten  Ausführungen  gingen  auf  Xogaret's  Be- 
treiben^ zum  Teil  in  ein  eigentümliches  Schriftstück-  über,  bei  dessen 
Konzii)ierung  er  zweifellos  auch  sonst  viel  mitgewirkt  hat.  Es  stellt 
den  Entwurf  einer  Bulle  dar  liiul  lässt  uns  erkennen,  aufweiche 
Art  Nogaret  den  Ausgleich  mit  dem  Papst  abgeschlossen  wünschte. 
Der  Inhalt  ist  kurz  folgender:  zuerst  wird  vom  Papst  eingehend 
über  die  Behauptungen  der  Gegner  und  den  Standpunkt  Nogaret's 
im  Prozess  gegen  Bonifaz  referiert,  bei  welcher  Gelegenheit  abermals 
die  ganze  Xo2;aret'sche  Apologie  (zum  zwölften  und  letzten  Male) 
wiederkehrt;  hierauf  folgt  die  Erklärung,  die  Ankläger  hätten  aus 
Glaubenseifer  und  nicht  aus  irgend  welchen  schlechten  Beweggründen 
gehandelt,  sowohl  der  König  und  die  Prälaten  und  Barone,  die  mit 
ihm  die  Berufung  des  Konzils  verlangten,  als  auch  insonderheit 
Nogaret  und  seine  Genossen:  alle  von  Bonifaz  oder  Benedikt  gegen 
den  König  und  Nogaret  gerichteten  Erlasse  seien  daher  ungültig 
und  aus  den  päpstlichen  Registern  zu  entfernen'';  obgleich  nun  aber 
der  König  und  die  x-Vnkläger  „iusto  zelo"  vorgegangen  seien,  sei 
die  Ketzerei  des  Bonifaz  doch  nicht  voll  erwiesen,  und  da  ausser- 
dem bei  den  vielen  dringenden  Aufgaben  der  Christenheit  ein  Skandal 
jetzt  vermieden  werden  müsse,  habe  der  König  dem  Wunsche  des 
Papstes  folgend  den  Prozess  allein  der  Kirche  anheimgestellt,  und 
derselbe  solle  nicht  weiter  verfolgt  werden.  Was  Nogaret  mit  diesem 
eigentümlichen  Entwurf  einer  Bulle  beabsichtigte,  lässt  sich  nicht 
mit  Bestimmtheit  sagen;  vermutlich  sollte  ihn  der  Papst  accei)tieren, 
sodass  Nogaret  hier  ähnlich  vorging  als  im  Sommer  1310  seine  von 
ihm  deshalb  so  heftig  angegritienen  Gegner.  Wie  dem  auch  sei, 
jedenfalls  sehen  wir,  dass  er  den  Prozess  gegen  Bonifaz  fallen  lassen 
wollte,  wenn  Clemens  dem  König  eine  Art  Ehrenerklärung  aus- 
stellte^ und  das  Vorgehen  Benedikts  XI.  gegen  Nogaret  widerrief; 
das    dritte,    die  Yerijflichtungen    des    Papstes    betreHs   der   deutsch- 


'  Vrgl.  die  einleitenden  Bemerkungen  zu  Beilage  XII. 

-  Arch.  nat.  J  908  nr.  9  (auf  dein  Rücken:  „notiile  litteraruni,  (juas  liabuit 
dominus  rex  a  papa  pro  se  et  suis*-);  Dn-rv,  DitV.  pr.  577—090;  vrgl.  Bksas 
331—836. 

^  \'rgl.  hierüber  auch  Nogaret  in  Jieilage  XII  S  3  und  Diity,  l>itV.  pr. 
606—608. 

*  Wie  eine  solche  bereits  am  29.  INIai  1308  zu  I'oitiers  IMasiim  gefor- 
dert hatte. 


204  "J".  Kiipitel. 

italienischen  Politik,  konnte  natürlich  in  einer  Bulle  keine  Aufnahme 
finden. 

Im  wesentlichen  erreichte  Nogaret,  was  er  wollte.  Clemens 
liess,  um  die  gewünschte  Ehrenerklärung  ausstellen  zu  können,  vom 
14. — 24.  April  1311  in  Avignon  ein  Verhör  abhalten',  in  welchem 
eine  Anzahl  königlich  gesinnter  Kardinäle  und  anderer  Zeugen  — 
darunter  auch  der  Abt  Peter  von  St.  Medardus,  der  Bischof  von 
Bayeux  und  Enguerrand  von  Marigny  —  über  den  Hergang  im 
Streit  Philipp's  mit  Bonifaz  Auskunft  geben  sollten,  und  zwar  mit 
besonderer  Rücksicht  darauf,  ob  der  König  und  seine  Minister, 
unter  denen  hauptsächlich  wieder  Xogaret  und  neben  ihm  Plasian  im 
Vordergrund  stehen,  „bono  zelo"  oder  „malo  zelo"  gehandelt  hätten; 
wir  wissen,  dass  diese  Frage  im  Prozess  gegen  Bonifaz  von  besonderer 
Bedeiitung  geworden  war.  Alle  Befragten  gaben  die  offenbar  auch 
von  Clemens  gewollte-  Auskunft,  Philipp  und  seine  Räte  hätten 
„bono  zelo",  aus  guten  Motiven,  aus  Glaubenseifer  gehandelt.  Bereits 
am  27.  April  1311  erliess  darauf  der  Papst  die  Bulle  „Rex 
gloriae"^,  welche  die  Unschuld  und  die  löbliche  Gesinnung  Philipp's 
ausdrücklich  anerkannte,  alle  Strafsentenzen,  die  seit  1300  gegen  ihn 
erlassen  waren,  nochmals  feierlich  aufhob  und  ihre  Entfernung  aus 
den  päpstlichen  Registern  ankündigte  und  zum  Schluss  dem  Papst 
die  Verfügung  über  die  Teilnehmer  am  Attentat  von  Anagni  und 
am  Raub  des  Kirchenschatzes  vorbehält.  Auch  über  diese  fiel  jedoch 
bereits  am  27.  April  das  Urteil*.  Nogaret  erhielt  mit  Rücksicht 
auf  sein  Seelenheil  und  die  Bitte  des  Königs  die  gewünschte  „abso- 
lutio ad  cautelam";  aber  zugleich  ward  ihm  auch  eine  „poenitentia 
ad  cautelam"  auferlegt:  zur  Busse  solle  er  sich  beim  nächsten  Kreuz- 
zug in  Person  mit  Pferden  und  AVaffen  nach  dem  heiligen  Land 
begeben  und  dort  bleiben,  wenn  ihm  nicht  der  Papst  die  Rückkehr 


•  Höfler  45 — 84. 

-  Sonst  hätte  er  andere  Zeugen  vernehmen  lassen. 

^  Keg.  Clem.,  ann.  VI,  411—419  (nr.  7501).  —  Arch.  nat.  J  908  nr.  3 
befindet  sich  eine  Kopie  der  Bulle,  die  auf  dem  Rücken  die  Worte  trägt: 
„transscriptum  littere  pape  facte  pro  domino  G.  de  Nogareto." 

*  Vier  Erlasse  „Carissimo  in  Christo",  Reg.  Clem.  a.  a.  0.  419  f.  (nr.  7502, 
die  Bürger  von  Anagui  betreffend),  420  f  (nr.  7503,  Nogaret's  Absolution),  421  f. 
(nr.  7504,  gegen  die  Räuber  des  Kirchenschatzes),  427 — 429  (nr.  7507,  Absolu- 
tion Reginald's,  l'eter's  und  Stephau's).  Ueber  Nogaret's  Absolution  vrgl.  auch 
Cont.  Guill.  Nang.,  ed.  Gerald  I,  384 f.  (unter  Benutzung  der  Bulle;  danach 
Cent.  Girard.  Frach.,  Rec.  des  bist.  XXI,  35  J  —  36  A);  Bernhardus  Gdidonis, 
Rec.  des  bist.  XXI,  720 H—K;  Cont.  Toi.  Luc,  bei  Muratori  XI,  1234 D.  Ueber 
Reginald  von  Supiuo  Renan  346  f. 


Prozess  gegen  Bonifaz  und  Ende  d.  Teniidcr.   Xogarct's  T()<1.  (l.'HO— l.'U.'J.)      905 

gestatte;  bis  cluhiii  möge  er  AValUalirten  zu  den  Mariünkirclieii  in 
Vaiivert^,  Rocamadour-,  Le  Piiy,  Boulogne-sur-^Mer  und  Ohartres, 
zu  den  Kirchen  in  Saint-Gilles''  und  j\[ontniajour ',  sowie  nach 
Santiago  de  Compostela  unternehmen;  werde  von  ihm  oder  seinem 
Erben  die  vorgeschriebene  Busse  nicht  abgeleistet,  so  sei  die  Abso- 
lution nicht  gültig.  Trotz  letzteren  Zusatzes  hören  wir  nie  etwas 
davon,  dass  Nogaret  oder  einer  seiner  Xachkommen  die  Wallfahrten 
unternommen  habe,  und  es  ist  dies  auch  durchaus  nicht  wahrschein- 
lich: er  hatte  Zeit  bis  zum  nächsten  Kreuzzug,  und  da  es  zu  einem 
solchen  nicht  mehr  gekonmien  ist,  haben  seine  Nachkommen,  deren 
es  noch  heute  giebt",  mit  Recht  auch  mit  der  Erfüllung  der  anderen 
Verptlichtungen  gewartet*''.  Gleichfalls  durch  Erlass  vom  27.  Ai)ril 
1311  wurden  Reginald  von  Supino,  Peter  von  Genazzano 
und  dessen  Sohn  Stephan  ad  cautelam  adsolviert  und  mit  derseli)en 
Busse  belegt.  Auch  den  Bürgern  von  Anagni,  denen  noch 
Benedikt  in  der  Bulle  „Flagitiosum  scelus"  geflucht  hatte,  wurde 
jetzt  verziehen.  Xur  die  Räuber  des  Kirchenschatzes"  nahm 
Clemens  ausdrücklich  von  allen  geschehenen  Vergebungen  und  Resti- 
tutionen aus,  ein  lediglich  theoretischer  Vorbehalt,  da  kein  einziger 
mit  Namen  genannt  wird.  —  Wenn  es  in  der  Bulle  „Rex  gloriae" 
von  Nogaret  heisst  ^,  er  habe  sich  i)ersönlich  im  Konsistorium  ver- 
teidigt, so  ist  damit  natürlich  an  sein  Auftreten  im  Jahre  1310  ge- 
dacht. Doch  weilte  er  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  auch  zur  Zeit 
des  Ausgleichs  wieder  ^n  Avignon:  es  ist  dies  nicht  nur  deshalb 
anzunehmen,  weil  ja  am  22.  März  eigentlich  wieder  der  Prozess 
gegen  Bonifaz  beginnen  sollte,  sondern  wird  auch  von  Bernhardus 
Guidonis^  ausdrücklich  bestätigt.  Vermutlich  hatte  sich  Nogaret 
zusammen  mit  Enguerrand  von  Marigny,  den  wir  unter  den  im 
April  in  Avignon  vernommenen  Zeugen  fanden,  in  diese  Stadt 
beigeben. 


'  Heute  Cthst.  im  Dep.  Gard,  Arr.  Ximes. 

-  Oder  Roquemadour,  Benediktiuerabtei  der  Diözese  Cahors,  heute  Dep. 
Lot,  Arr.  C4ourdon,  Ct.  Gramat. 

^  Heute  Cthst.  im  Dep,  Gard,  Arr.  Ninies. 

*  Benediktiuerabtei  der  Diözese  Arles,  wenig  ö.stlicli  von  Alles, 

*  Renan  357. 

'•  Die  Ansicht  Renan's  349  f,  ist  unrichtig,  da  die  liier  zitierten  Worte  des 
Bernhardus  Guidonis  sich  lediglich  auf  die  von  Clemens  dem  l'apst  vorbchal- 
tene  Befugnis,  den  Aufenthalt  Nogaret's  im  heiligen  Land  abzukürzen,  beziehen, 

'  Von  ihnen  hatte  sich  auch  Nogaret  ausdrücklicli  losgesagt;  Beilage 
XII  §  12  und  Dli'lv,  Diff,  pr.  387. 

«  Reg.  Clem.  a.  a.  U.  414.  "  Rec.  des  bist,  XXI,  7liO  J. 


206  7.  Kapitel. 

80  luitttMi  sich  denn  Pliilipp  und  ( 'leniens  wieder  verständigt. 
Der  Papst  Hess  in  den  Registern  der  Erlasse  Bonitaz'  VIII.  alle 
für  den  König  unangenehmen  Stellen  ausradieren^  und  verkinidigte, 
um  der  Form  zu  geniigen,  dass  man  alle  die  Person  des  Bonifaz 
betreuenden  Angaben  an  ihn  richten  solle,  dem  jetzt  allein  diese 
Angelegenheit  übertragen  sei-.  Seine  wichtigste  Gegenleistung  folgte 
schon  vier  Tage  nach  dem  Erlass  der  Bulle  „Rex  gloriae" ,  am 
1.  Mai  1311,  als  er  ausdrückhch  erklärte,  der  Arelat  dürfe  vom 
deutschen  König  niemandem  übertragen  werden  als  höchstens  der 
Kirche^:  er  verzichtete  damit  auf  seinen  Plan  betreffs  des  Bünd- 
nisses zwischen  Heinrich  VII.  und  Robert  von  Neapel.  Die  Ge- 
sandten des  Königs  verliessen  Avignon  nicht  ohne  dem  Papst  die 
Summe  von  100  000  Florenen  übergeben  zu  haben,  zum  Entgelt  für 
seine  Mühen'.  Clemens  scheute  sich  nicht,  diese  Summe  anzunehmen 
und  dadurch  die  Kurie  in  den  Ruf  zu  bringen,  sich  vom  französischen 
König  haben  bestechen  zu  lassen"'.  Er  war  für  Geld  immer  empfäng- 
lich; scheint  doch  auch  sein  Nachgeben  in  der  Templerangelegenheit 
nicht  unwesentlich  durch  die  Aussicht  auf  einen  Anteil  an  der  Beute 
mitbestimmt  worden  zu  sein".  Unwürdig,  wie  der  ganze  Ausgleich 
des  Frühjahrs  1311  für  das  Papsttum  w\ar,  so  waren  auch  die 
Nebenumstände,  die  ihn  begleiteten. 

9. 
lieber  Nogaret's  letzte  Lebenszeit  wissen  wir  nicht  eben  viel. 
Er  übernahm  nach  seiner  Rückkehr  aus  Avignon  wieder  die  Geschäfte 
des  Kanzlers,  und  mit  Recht  wies  schon  Dupuy  ^  darauf  hin,  wie  es 
ein  Zeichen  seines  grossen  Ansehens  sei,  dass  er  in  dem  am  17.  Mai 
1311  ausgestellten  Testament  des  Königs  unter  den  Vollstreckern 
desselben  genannt  wird.  Auch  in  den  Parlamentsprotokollen  dieses 
Jahres  begegnet  uns  sein  Name  wieder*'. 


^  Drümanx  II,  204  f. ;  Hefele-Knöpfler  VI,  460. 

-  „Licet  carissimus",  Reg.  dem.  a.  a.  0.  422  f.  (nr.  7505). —  Das  Dupüy, 
Diff.  pr.  302  f.  abgedruckte  Vidimus  befindet  sich  noch  heute  achtmal  im  Pariser 
Archiv  (Arch.  nat.  J  490  nr.  773);  alle  acht  Stücke  sind  von  der  Hand  des 
Notars  Jacobus  de  Virtuto,    fünf  vom  23.  und    drei  vom  30.  Juni  1311  datiert. 

=*  Wenck  162. 

*  Cont.  Toi.  Luc,  bei  Muratoki  XI,  1234 D. 

*  Vrgl.  Renan  343;  Wenck  162. 
ö  Vrgl.  Gmelin  354,  357  f. 

'  Diff".  pr.  616. 

"  Olim  II,  515  (nr.  VII).  Der  hier  genannte  Erlass  des  Königs  kann  nicht 
vor  1308  gesetzt  werden,  stammt  offenbar  wie  das  andere  aus  dem  Jahre  1311. 


Prozess  gcgeu'Bouifaz  uml  Eude  d.  Teiiiplor.  Xn^arot's  Tod.   (1310 — 11313.)      207 

Scliriftstellerisch  tinilen  wir  Xogaret  noch  einmal  tliiltig,  iiiini- 
lich  auf  dem  Konzil  von  Vienne'.  Alle  Fragen,  welche  in  den 
letzten  Jahren  die  Kirche  beschäftigt  hatten,  sollten  auf  dieser  grossen 
Versamndung  ihre  Erledigung  linden.  In  der  ersten  Sitzung  des 
Konzils,  welche  am  16.  Oktober  1311  stattfand,  bezeichnete  Clemens 
selbst  als  die  Hauptaufgaben  desselben  die  Templerfrage,  den  Kreuz- 
zug und  allerhand  kirchliche  Reformen.  Bezüglich  der  Templer 
zeigte  sich  gar  bald  eine  Differenz  zwischen  dem  Papst  uiul  der  auf 
dem  Konzil  vertretenen  Geistlichkeit.  Die  ^Mehrheit  der  Versamm- 
lung hielt  nämlich  die  Schuld  des  Ordens  für  nicht  genügend  er- 
wiesen und  verlangte  die  Eröffnung  eines  rechtlichen  Verfahrens  i 
Clemens  dagegen  vertrat  jetzt  durchaus  die  dem  König  genehme 
Meinung,  der  Orden  sei  als  schuldig  befunden  und  müsse  verurteilt 
werden.  Ob  der  Papst  im  Frühjahr  1311  auch  hierüber  bindende 
Versprechungen  gemacht  hatte,  wissen  w'ir  nicht.  Jedenfalls  war 
ohne  eine  Erledigung  der  Temiilerangelegenheit  im  Sinn  Philipp's 
an  einen  Kreuzzug  nicht  zu  denken.  Es  war  daher  klug  berechnet, 
dass  Xogaret  eben  jetzt  eine  Schrift-  veröffentlichte,  in  der  er 
über  den  Kreuzzugsgedanken  und  die  Möglichkeit  seiner  Ver- 
wirklichung etwa  folgendes  ausführte: 

Einige  Punkte  seien  zunächst  hervorzuheben;  1.  der  Orden  der 
Templer  müsse  als  ein  offenbares  Hindernis  des  Unternehmens  wegen 
seiner  Verkommenheit  völlig  aus  der  Kirche  ausgeschlossen,  d.  h. 
aufgehoben  werden;  2.  der  König  von  Frankreich  müsse  den  Kreuz- 
zug starken  und  gläubigen  Geistes  in  die  Hand  nehmen ,  die 
Kirche  ihn  thatkräftig  unterstützen;  3.  es  müsse  bei  der  An- 
sagung Zeit  gelassen  werden  zu  ausreichender  Rüstung;  4.  das 
Unternehmen  werde  diesmal  besonders  schwierig  sein:  die  Sarazenen 
seien  waffengewandt  und  wohlgerüstet  und  würden  auch  durch  „falsche 
Katholiken"  unterstützt,  indem  diese  ihnen  unmündige  Kinder  ver- 
kauften, die  von  jenen  zu  Kriegerii  herangezogen  und  „Türken"  ge- 


*  Vgl.  über  dasselbe  Dlpuy,  Dift'.  40  t'.,  Traittez  concernaut  l'liist.  de 
France  61—64,  Tempi.  58—60;  Baillkt  307—313;  Schmikt  I,  711—714;  Tosti 
II,  237—239;  Drumann  II,  205—211;  Martin  IV,  494—499;  Boutauic  139; 
JoLLY  251  f.;  Renan  347  f.;  Schottmiller  1,497—530;  Lea  III,  319—323; 
Prltz  220—225;  Hefele-Knöi-kler  VI,  515-5.").4:  Gmelin  48«— 497;  Ki- 
GAULT  218  f. 

-  Gedruckt  von  Boutaric  in  den  „NotiLcs  vi  extraits"  XX  i,  199 — 205; 
vrgl.  M.  DE  Mas  Latrie  :  „Histoire  de  l'ilc  de  Cliyi»re  sous  la  niaison  do  LuHig- 
nau"  II  (I'aris  1852),  128  f.,  wo  die  rrkundc  mit  Rcclit  zum  Konzil  von  Vienne 
gesetzt  ist,  während  sie  Bot  Taric  grundlos  in's  Jalir  1310  verweist.  Nach 
Boutaric:  Renan  295—298. 


208  7.  Kapitel. 

nannt  würden^;  ausserdem  befänden  sich  Syrien,  Acco  und  Tripolis 
bereits  in  der  Gewalt  der  Sarazenen,  und  bei  den  Christen  seien  die 
Ansprüche  so  gewachsen,  dass  man  für  das  Geld,  welches  sonst  für 
200  Mann  genügte,  heute  kaum  noch  100  halten  könne;  daher  möge 
denn  die  Kirche  und  der  König  schon  jetzt  auf  grosse  Sparsamkeit 
sehen;  5.  schliesslich  müsse  man  auch  darauf  bedacht  sein,  dass  das 
einmal  Eroberte  erhalten  bleibe:  „Kein  geringeres  Verdienst  als  zu 
erwerben  ist  es  das  Errungene  zu  schützen";  hierzu  sei  zweierlei 
nötig:  die  Sorge  für  einen  beständigen  Nachschub  von  Menschen 
und  abermals  grosse  Geldmittel.  Um  nun  bezüglich  des  letzteren 
Punktes  zum  Ziel  zu  gelangen,  macht  Xogaret  ganz  ungeheuerliche 
Vorschläge,  die  alle  darauf  hinauslaufen,  in  die  Kasse  des  Königs 
Geld  zu  bringen,  das  Philipp  aber  natürlich  nur  verwalten  und  bis 
zum  grossen  Kreuzzug  aufheben  solle.  Xicht  nur  sollte  alles  Gut 
der  Templer  vom  König  in  Verwaltung  genommen  werden,  sondern 
ebenso  auch  alle  Einkünfte  der  Johanniter  und  Deutschritter,  so- 
weit sie  nicht  zum  Unterhalt  der  Ordensritter  sowie  ihrer  Häuser 
und  Kirchen  unbedingt  nötig  seien;  von  allen  Kirchen,  Klöstern  und 
Stiftern  der  gesamten  katholischen  Christenheit  sollten  beträchtliche 
Steuern  nach  Paris  fliessen,  alles  im  Interesse  des  heihgen  Landes; 
auch  die  Vakantien,  Annaten  und  anderes,  worauf  der  König  An- 
spruch erhob,  sollte  ihm  bei  dieser  Gelegenheit  wenigstens  de  facto 
zugesprochen  werden.  So  dachte  man  am  Ho-f  Philipp's  des  Schönen 
die  tote  Kreuzzugsidee  auszunutzen,  für  die  sich  thatsächlich  nur 
noch  der  Papst  seiner  gesunkenen  Machtstellung  wegen  interessierte; 
an  die  Vewirklichung  aller  seiner  Vorschläge  hat  Nogaret  w^ohl  selbst 
nicht  gedacht,  sondern  er  wird  deshalb  möglichst  viel  gefordert 
haben,  um  doch  einiges  zu  erreichen.  Des  weiteren,  meint  er  so- 
dann, müsse  man  darauf  sehen,  auch  die  Tataren  und  andere  Völker 
des  Ostens  auf  seine  Seite  zu  ziehen.  Die  Macht  der  Mongolen 
kennen  zu  lernen,  hatte  man  ja  im  13.  Jhdt.  genügende  Gelegenheit 
gehabt;  immerhin  zeigt  uns  gerade  dieser  Gedanken  Xogaret's  — 
wir  brauchen  uns  nur  des  späteren  Auftretens  Timur  Lenk's  zu  er- 
innern —  seinen  klaren,  vorausschauenden  Blick.  Zum  Schluss 
führt  er  dann  aus,  auch  Venedig,  Genua,  Pisa  müssten  sich  an 
dem  Unternehmen  beteihgen,  und  alle  katholischen  Fürsten  sollten 
ihren  Einfluss  an  dies  zu  Ehren  der  Kirche  Gottes  unternommene 
Werk  setzen. 


'  Das  .Tanitscharenkorps  wurde  ca.  1330  von  Sultan  Urchan  errichtet;  doch 
sieht  man  aus  Nogaret's  Auslassung,  dass  schon  Osman  ein  ähnliches  Mittel  zur 
Hebung  der  Kriegstüchtigkeit  seines  Heeres  anwandte. 


Prozess  gegen  Bouifaz  uud  Ende  d.  Templer.  Xogaret's  Tod.  (1310 — 131.'J.)     2U9 

Mit  dieser  Denkschrift  verfolgte  Xogaret  zugleicli  einen  i)er- 
sönlichen  Zweck:  er  hatte  sich  jetzt  in  warmen  Worten  des  heiligen 
Landes  angenommen  und  \'orschläge  zu  einer  Kückcroherung  des- 
selben genuxcht:  seine  Schuld  war  es  also  nicht,  wenn  jetzt  kein  Kreuz- 
zug mehr  zu  stände  kam  und  er  seine  Busse  nicht  ableisten  konnte. 

Um  einen  Druck  auf  die  Vienner  Versammlung  auszuüben,  be- 
rief Philipi^  am  30.  Dezember  1311  auf  den  kommenden  9.  Fel)ruar 
zum  dritten  ISIale  die  Reichsstände;  sie  sollten  sich  in  Lyon  ver- 
sammeln'. Ueber  die  Vorgänge  auf  dieser  Ständezusamuienkunft 
fehlt  uns  jede  Nachricht;  sie  scheint  noch  verschoben  und  erst  Mitte 
März  1312  abgehalten  worden  zu  sein-.  Dass  Nogaret  auch  hier 
wieder  eine  bedeutende  ßolle  spielte,  darf  w'ohl  angenommen  werden. 
Bereits  am  22.  März  1312  finden  wir  den  König  dann  selbst  in 
Vienne.  Dasselbe  Datum  trägt  die  Bulle  „Vox  in  excelso", 
durch  die  Clemens  den  Templerorden  zur  Fürsorge  für  das  Wohl 
der  Christenheit  aufhob.  Am  3.  April  ward  dieselbe  in  feierlicher 
Sitzung  dem  Konzil  bekannt  gegeben:  zur  Rechten  des  Papstes  sass 
König  Philipp,  und  die  Versammlung  wagte  nicht,  gegen  die  eigen- 
mächtige Entscheidung  des  Hauptes  der  Christenheit  Einspruch  zu 
erheben^.  Am  2.  Mai  wurden  die  Güter  des  Ordens  durch  die 
Bulle  „Ad  providam"  an  die  Johanniter  übertragen,  ein  Danaer- 
geschenk, da  der  französische  König  es  in  der  Folge  verstand,  durch 
allerhand  Chikanen  sich  einen  überaus  reichen  Gewinn  zu  verschallen. 
Am  6.  Mai  1312  fand  die  dritte  und  letzte  Sitzung  des  Konzils  statt. 
Damit  war  das  vor  fünf  Jahren  eingeleitete  Werk  zu  Ende :  der  einst 
so  stolze  Orden  hatte  aufgehört  zu  existieren.  Der  rühmliche 
Flammentod,  den  der  Grossmeister  Jakob  von  Molay  sowie  der 
Meister  der  Xormandie,  Gottfried  von  Charney,  am  18.  März  1314 
in  Paris  erlitten*,  war  nur  ein  Nachspiel  dieses  ganzen  Dramas. 

*  BouTARic  38  Anm.  2. 

-  MoLiNiER  meint  in  der  Hist.  de  Lang.  IX,  330  Anm.  4,  die  Versamm- 
lung habe  in  Vienne  stattgefunden,  ohne  seine  Vermutung  zu  begründen.  Philipp 
ist  nachweisbar  (Rec.  des  hist,  XXI,  458  K— 459  A)  am  29.  Januar  in  Mon- 
targis  (Dep.  Loiret),  an  unbestimmten  Daten  des  Februar  in  Gien  (Loiret)  und 
La  Charite  (Nievre),  am  2.  und  3.  März  in  Macou,  am  16.  März  in  Lyon,  am 
22.  März  in  Vienne.  Völlig  ausgesehlossen  ist  es  also  nicht,  dass  die  Versamm- 
lung wirklich  am  9.  Februar  in  Lyon  stattfand,  wahrscheinlicher  aber  bleil)t  es, 
dass  sie  Mitte  März  hier  tagte,  und  dass  der  König  sich  von  ihr  direkt  zum 
Papst  begab. 

^  Clemens  hatte  sich  dadurch  sal viert,  dass  er  den  Orden  nicht  „de  iure", 
sondern  „per  viam  provisiouis  seu  ordinationis  npostolicae"  aufhob. 

*  Cont.  Guill.  Naiig.,  ed.  GiiR.\Lü  I,  402—404;  „die  lunae  post  festum 
beati  Gregorii"  heisst  es  hier  ausdrücklieb. 

R.  Holtzinanu,  Nogaret.  14 


210  7.  Kapitel. 

Wurele  zu  Vienne  auch  über  die  beiden  Prozesse  gegen 
Bonifaz  VIII.  und  Guicbard  ein  letztes  Wort  gesprochen?  Mit 
Sicherheit  kann  darüber  nichts  gesagt  werden,  da  die  Protokolle 
uns  nur  in  verstümmelter  AVeise  erhalten  sind.  Doch  ist  es  wahr- 
scheinlich, dass  unter  allerhand  Reservationen  bezüglich  des  guten 
Eifers  Philipp's  und  seiner  Minister  doch  die  Rechtgläubigkeit  des 
nun  schon  über  8  Jahre  in  seiner  Gruft  ruhenden  grossen  Papstes 
ausgesprochen  wurde.  Bezüglich  Guichard's  ist  wenig  mehr  zu  sagen. 
An  dem  Prozess  gegen  ihn  hatte  niemand  mehr  ein  weiteres  Inter- 
esse; der  Bischof  befand  sich  in  der  Folge  in  leichter  Haft  in 
Avignon  und  scheint  bald  ganz  freigegeben  worden  zu  sein:  nur  auf 
seinen  alten  Bischofsstuhl  sollte  er  nicht  mehr  zurückkommen,  wohin- 
gegen er  auf  das  ihm  übertragene  Bistum  Diakovar  (Slawonien)  bald 
verzichtetet 

10. 

In  der  Folge  finden  wir  Nogaret  nochmals  mit  den  flan- 
drischen Dingen  beschäftigt.  Am  11.  Juli  1312  hatte  PhiHpp  mit 
Robert  von  Bethune  zu  Pontoise  einen  Vertrag  geschlossen^,  über 
dessen  einzelne  Bestimmungen  Urkunden  ausgefertigt  wurden,  die 
am  1.  August  zu  Etrepagny^  durch  Nogaret  und  Gerhard  von 
F ellin g,  den  Bevollmächtigten  der  beiden  Parteien,  feierlich  aus- 
getauscht wurden;  Nogaret  überreichte  hier  namens  des  französischen 
Königs  neun  Urkunden,  Gerhard  namens  des  Grafen  von  Flandern 
deren  drei*.  Auch  das  letzte  Mal,  wo  wir  Nogaret  nachweisen 
können,  handelte  es  sich  nm  eine  flandrische  Angelegenheit.  Ijudwig 
von  Nevers,  der  Sohn  Robert's  von  Bethune,  war  in  Paris  in 
leichter  Haft  gehalten  worden,  aber  Anfang  1312  nach  Flandern 
entkommen  und  vom  französischen  König  auf  den  25.  März  1313 
nach  Paris  geladen  worden,  um  sich  freiwillig  in  die  Gefangenschaft 
zurückzubegeben,  da  gegen  ihn  verschiedene  Anklagepunkte  schweb- 
ten^. Als  er  nicht  erschien,  hess  ihn  Philipp  durch  einen  aus  Wil- 
helm von  Nogaret,  Enguerrand  von  Marigny,  Peter  von  Ysc  und 
anderen  seiner  Räte  zusammengesetzten  Gerichtshof  zum  Verlust 
seiner  Freiheit  und  seiner  Güter  verurteilen;  Ludwig  hütete  sich, 
in  die  Gewalt  seines  Gegners  zurückzukehren   und   protestierte   am 


1  RiGADLT  218—226. 

"-  Funck-Brentano  :  „Philippe  le  Bei  en  Flaudrc",  621—626. 
^  Heute  Ctlist.  im  Dcp.  Eure,  Arr.  Les  Audelys. 

''  Limbirg-Stirum  :    „Codex    diploniaticus    Flaudriae    ou  Recueil    de    docu- 
monts"  I,  79  f.  (nr.  20);  Fünck-Bhkntano  a.  a.  O.  626. 
»  Funck-Bren-taxo  a.  a.  0.  618,  628. 


Prozess  gegeu  Boniiaz  und  Eutlo  d.  Templer.   Xogarot's  Tud.  (1310—1313.)     211 

1-1.  und  15.  April  in  einem  Appell  an  Papst  und  Kaiser  Regen  das 
Vorgehen  des  französischen  Königs  ^ 

Xogaret  blieb  bis  zu  seinem  Tod  des  Königs  Grosssiegelbewahrer, 
wie  sich  mit  Gewissheit  aus  der  Teberschrift  eines  im  Tresor  des 
chartes  zu  Paris  betindlichen  Inventars  ergiebt;  sie  lautet-: 

„Ce  sont   les    fournies   des    lettres   faites   sur  la  besoigne  de 

Flandres,  especialement  celles  que  les  Flamens  ont  receues  de  la 

cour   de   France    du    tenips    de   monsieur   Guillaume   de  Xogaret 

jusques   a  temps    qu' apres     sa    mort    le    scel    fut    baille    a 

maistre  Pierre  de  Latilly,  a  Poissy  l'an  de  grace  1313." 

Hiernach   können  wir  zugleich   über   das   Datum   des    Todes 

Xogaret's  etwas  näheres  aussagen.    Betreffs  der  Uebertragung  der 

Würde  des  Grosssiegelbewahrers  an  Peter  von  Latilly  haben  wir 

einen  Registervermerk,  der  folgendes  besagt^: 

„Die   iovis    post    Quasimodo    circa   horam    vesperarum   anno 
domiui  millesimo  trecentesimo  tertiodecimo  tradidit  dominus  noster 
rex  apud  Pissiacum  existens   et    parlamento    etiam  inibi  existente 
-     magnum  sigillum  suum  magistro  Petro  de  Lattiliaco,  archidiacono 
Cathalaunensi,  quibus  anno  et  die  fuit  factum  istud  registrum  ..." 
Peter    von    Latilly   wurde    danach   am   26.  April   1313   Gross- 
siegelbewahrer, und  nicht  lange  vorher,  etwa  Mitte  April,  niuss  also 
Xogaret    gestorben    sein.     Li    der   Folge    wird    er   denn    auch  ver- 
schiedentlich in  Urkunden   als  verstorben   bezeichnet*,  und  es  kann 
nicht  in  Betracht  kommen,  wenn  ihn  eine  schlechte  Quelle  noch  ge- 
legentlich eines  Ereignisses  des  Jahres  1314  einmal  nennte 

Xogaret  sagt  selbst  in  einer  seiner  Verteidigungsschriften"  von 
sich,  er  sei  klein  von  Statur.  Sonst  wissen  wir  nichts  von  seinem 
Aeusseren.  Renan  bemerkt",  es  ergebe  sich  aus  archivalischen 
Xotizen,  die  er  aber  nicht  näher  bezeichnet,  dass  Xogaret  in  Paris 
in  der  Rue  de  la  Harpe,  nahe  den  Thermen,   gewohnt  habe-,   auch 


>  Limburg-Stirum  a.  a.  0.  II,  217—227  (ur.  290),  besonders  222  f.;  Finck- 
Brentano  a.  a.  0.  629. 

-  Dlchksne  260. 

3  Arcli.  nat.  JJ  49  Blatt  1;  Tksserau  10;  Dichesnk  267.  Hiiss  I'liiii].!) 
am  26.  April  1313  in  Poissy  \sar,  ergiebt  sich  auch  aus  Table  chrouoluji-iiiue 
VUI,  240. 

*  Olim  II,  881;  Ordonnances  I,  533;  Noticos  et  extraits  XX»,  235;  vrgl. 
DüPCY,  Diff.  pr.  616  f.;  Renan  351—353;  Hist.  de  Lang.  X.  notes  58  f.  (nr.  IX). 

*  Die  „Anciennes  chroniques  de  Flandre".  llec.  des  hist.  XXII,  400  D; 
ed.  Kervyn  de  Lettenhove  („Ist.  et  chrou.  de  Flandre")  I,  301  uud  508. 

ö  DvPLY,  Ditr.  pr.  263. 
^  S.  289. 

14* 


212  "i-  Kapitel. 

teilt  er  uns  ein  ihm  von  Boutakic  übermitteltes  Schreiben  mit^,  in 
welchem  ein  Marschall  und  Seigneur  von  Noyers  seinem  „teuren 
Freund"  Nogaret  seinen  Arzt  Heinrich  Dou-Pui  empfiehlt.  Ueber  die 
Familie  Nogaret's  haben  wir  an  anderem  Ort  schon  gesprochen-;  die 
Nachkonnnen  behielten  trotz  mancher  Anfechtungen  die  Besitzungen, 
die  ihr  berühmter  Vorfahre  gewonnen  hatte,  und  bewahrten  in  Süd- 
Irankreich  ein  grosses  Ansehen;  namentlich  treten  sie  uns  in  der 
Lokalgeschichte  von  Toulouse  entgegen. 

Wie  der  anderen  Hauptgestalten  seiner  Zeit  bemächtigte  sich 
auch  Nogaret's  frühzeitig  die  Sage.  Von  Jakob  von  Molay  wusste 
man  zu  berichten,  er  habe  auf  dem  Scheiterhaufen  den  König  und 
den  Papst  vor  den  Richterstuhl  Gottes  geladen,  worauf  denn  auch 
beide  noch  1314  gestorben  seien.  Aehnlich  erzählt  uns  bereits 
WiLHKLM  Ventura,  ein  Zeitgenosse,  in  der  Chronik  von  Asti^  über 
Nogaret  folgendes:  Als  einst  mehrere  Templer  zum  Scheiterhaufen 
geführt  wurden,  habe  einer  von  ihnen  dem  Haupturheber  ihres  Unter- 
gangs, Wilhelm  von  Nogaret,  mit  lauter  Stimme  zugerufen:  „Wider 
Recht  und  Gerechtigkeit  hast  Du  die  Vernichtung  des  Templer- 
ordens besorgt!  An  den  König  können  wir  nicht  appellieren,  da 
er  gegen  uns  kämpft,  im  Einverständnis  mit  Papst  Clemens;  aber 
an  den  wahren  und  höchsten  Richter  appellieren  wir,  der  stärker 
ist  als  sie:  vor  ihn  zitieren  wir  Dich,  binnen  acht  Tagen  musst  Du 
persönlich  erscheinen."  Acht  Tage  darauf  sei  Nogaret  denn  auch 
„schrecklich  und  ohne  Busse"  gestorben.  Noch  schlimmeres  weiss 
uns  in  der  zweiten  Hälfte  des  14.  Jhrhdts.  Johann  von  Noyal  zu 
berichten"*:  Nogaret  sei  vor  seinem  Tod  verrückt  geworden  und 
habe  zum  Entsetzen  des  Königs  dem  ganzen  Hof  seine  Zunge  her- 
ausgestreckt. Auf  derartige  Geschichten  ist  natürlich  nichts  zu 
geben;  sie  zeigen  uns  nur  die  Bedeutung  des  Mannes,  dessen  sich 
das  abergläubige  Gerede  des  Volks  in  ähnlicher  Weise  bemächtigte 
wie  Philipp's  des  Schönen  und  Bonifaz'  VHI. 

AVir  werden  im  Gegenteil  sagen:  Nogaret  war  glücklich,  dass 
er  seinen  königlichen  Herrn  nicht  überlebte.  Seine  trotz  aller 
Härten  und  mancher  Grausamkeit  wirklich  grosse  Zeit  ging  mit 
dem  Tod  Philipp's  des  Schönen  am  29.  November  1314  zu 
Grabe.      Plasian,    der    unzertrennliche    Genosse    Nogaret's,    war 


»  S.  350  f.  -  Oben  S.  174  f. 

^  MuRATORi  XI,  193  C— 194  A. 

■•  Rec.  des  bist.  XXI,  195  G — H;  vrgl.  Jac.  Meyer:  „Coinmentarii  sive 
annales  reruni  Flandricaruni"  (Autwerpeu  1561),  fol.  110,  2.  Seite;  DuPUY,  Diff. 
pr.  617. 


Prozess  gegen  Bonifaz  uiul  Endo  d.  Toinplor.  Nogaret's  Tod.  (1310—1313.)     213 

gleichfalls  1313  gestorben',  und  auch  Clemens  V.  war  am  20.  April 
1314  vom  Schauplatz  der  Geschichte  abberufen  worden.  Eine  neue 
Zeit  brach  an,  aber  die  drei  Söhne  Philii)i)"s  hatten  nichts  von 
des  Vaters  Grösse  und  staatsmännischer  Weisheit.  Kleinliche 
Händel  und  schmähliche  Hofgeschichten  zeichnen  die  14  Jahre 
ihrer  Regierung  aus,  und  unterdessen  brach  die  feudale  Reaktion 
gegen  das  vorausgegangene  Regiment  ungehindert  herein  und  schien 
das  Lebenswerk  Philipp's  des  Schönen  wieder  vernichten  zu  sollen. 
Am  schlimmsten  waren  die  Verhältnisse  unter  Philipp's  erstem 
Xachfolger,  Ludwig  X.,  dem  Zänker,  der  in  Genusssucht  und 
Schwelgerei  versunken,  dem  Ansturm  des  Adels  keinen  Widerstand 
entgegenzusetzen  vermochte.  Die  grossen  Minister  und  treuen  Räte 
Philipp's  hatten  die  ganze  Undankbarkeit  von  dessen  kleinem  und 
schwachem  Xachfolger  zu  erfahren,  sodass  sie  diejenigen  in  der 
That  glücklich  preisen  mochten,  die  durch  den  Tod  der  Rachsucht 
ihrer  Gegner  entzogen  waren.  Peter  von  Latilly,  der  Nachfolger 
Nogaret's,  ward  von  Ludwig  seines  Amtes  entsetzt  und  ins  Gefäng- 
nis geworfen,  die  Siegel  erhielt  ein  Kammerherr  Karl's  von  Valois^; 
auch  Rudolf  von  Presle,  ein  hervorragender  Beamter  des  Pa- 
riser Parlaments,  wurde  vor  Gericht  gezogen  und,  als  man  ihm  so- 
gar durch  die  Folter  nichts  nachweisen  konnte,  doch  des  grössten 
Teils  seiner  Habe  beraubt^;  und  Enguerrand  von  Marigny, 
einer  der  ersten  Minister  Philipp's  des  Schönen,  ward  unter  alber- 
nen Anklagen  eingekerkert  und  büsste  am  30.  April  1315  am 
Galgen  sein  Leben,  das  er  in  den  Dienst  einer  rücksichtslosen  Er- 
höhung der  Macht  des  französischen  Königtums  gestellt  hatte"*. 

Und  doch  war  das  Werk,  das  Philipp  der  Schöne  mit  Hülfe 
seiner  Minister  aufgeführt  hatte,  stärker  als  der  Sturm,  dem  es  in 
der  Folge  ausgesetzt  war.  Es  überdauerte  die  zunächst  herein- 
brechende feudale  Reaktion,  es  überdauerte  auch  den  furchtbaren 
Angriff,  den  England  gegen  das  Nachbarreich  richtete,  ja  es  über- 
wand sogar  schliesslich  die  kirchliche  Reaktion,  die  gerade  unter 
dem  in  mancher  Hinsicht  den  Höhepunkt  des  franz()sischen  König- 
tums darstellenden,  aber  in  geistiger  Beziehung  hinter  vielen  seiner 
Vorgänger  weit  zurückstehenden  Ludwig  XIV,  trotz  der  vier 
Pariser  Artikel  vom  Jahr  1682  Einlass  fand:  von  dem  Ueherfall 
von  Anagni  und  der  Kirchenpolitik  Philipp's  des  Schönen  geht  die 


»  Renan  353. 

*  Cont.  Guill.  Nang.,  ed.  Gkraud  I,  41;'),  418. 
»  Ibid.  418. 

*  Ibid.  416—418;  Clk.mkst  :  „Enguerrand  de  Marigny"  93—110. 


214  7.  Kapitel. 

Entwicklung  der  gallikanischen  Kirche  auf  Napoleon  I.,  der  in 
seinem  Verfahren  gegen  Pius  VII.  sich  nachweislich  das  Verhalten 
Philipp's  des  Schönen  zum  Beispiel  nahm  \  Die  Rolle  Xogaret's 
übernahm  1809  der  General  Miollis,  der  den  Papst  aus  Rom 
führen  Hess,  und  zwar,  wie  Nogaret,  angeblich  auf  eigene  Verant- 
wortung, thatsächlich  aber  auf  Befehl  des  französischen  Herrschers, 
der  in  der  Folge  über  die  Kirchen  Frankreichs  eigenmächtig  gebot, 
bis  der  Papst  am  25.  Januar  1813  zu  Fontainebleau  ein  Konkordat 
unterzeichnete,  in  dem  er  sich  sogar  verpflichtete,  seine  Residenz 
nach  Avignon  zu  verlegen:  auch  im  Einzelnen  hatte  es  Napoleon 
also  dahin  gebracht,  wohin  einst  Philipp  der  Schöne,  als  der  Zu- 
sammenbruch seiner  Herrschaft  diese  Pläne  vereitelte. 


*  Schottmüller  I,  6  Aum.  2.  Vrgl.  zum  folgenden  d'Haüssonville  :  „L'eglise 
romaine  et  le  premier  empire",  3.  Aufl.  III,  104  ff. 


215 


Exkurs  I. 


Mit  welchem  Auftrag  begab  sich  Nogaret  1303  nach  Italien? 

In  seinen  Apologieen,  über  die  wir  an  Ort  und  Stelle  ge- 
handelt haben,  macht  Xogaret  auch  verschiedentlich  Angaben  über 
den  Auftrag,  mit  dem  er  im  Frühjahr  1303  nach  Italien  gegangen 
sei.  Die  erste  dieser  Apologieen  wurde  am  7.  September  1304  vor 
dem  geistlichen  Gerichtshof  zu  Paris  abgegeben ;  aus  den  60  Punkten 
des  hierüber  aufgenommeneu  Protokolls  seien  hier  die  folgenden 
angeführt  ^ : 

„XXXY.  Item  proponit  (seil.  Guillielmus  de  Xogareto),  quod 
dictus  dominus  rex  certis  ex  causis  et  specialiter  ad  procurandum, 
confortandum  et  conservandum  cum  consilio  et  auxilio  amicorum 
domini  regis  ipsius  et  ecclesiae  pacem  et  unitatem,  (juae  fuit  pristi- 
nis  teniporibus  inter  Romanam  ecclesiam  ac  dictum  dominum  regom, 
eins  progenitores  ac  regnum  Franciae,  misit  et  destinavit  nuntium 
ad  urbem  et  partes  ahas  dictum  Guillielmum." 

„XXXVI.  Item  proponit,  quod  dictus  Guillielmus  dicto  man- 
dato  suscepto  ad  urbem  et  alias  partes  se  conferens  tideliter  labo- 
ravit  ad  confortationem  et  conservationem  pacis  et  dictae  unitatis 
ecclesiae  Romanae,  regis  et  regni  Franciae;  sed  nihil  proficere  valuit 
cum  Bonifacio  su])ra  dicto." 

„XXXVir.  Item  proponit,  (piod  Guillielmus  praedictus,  hcet, 
si  potuisset,  debuisset  manum  appoiiere  ad  liberandum  ecclesiam 
a  notorio  et  instanti  periculo  supra-  dicto,  tarnen  sentiens  parla- 


^  DuPCY,  Diff.  pr.  245f.  Die  Versammlung  vom  Äliirz  1303  ist  schon  in 
den  Punkten  32 — 33  behandelt,  wo  es  heisst,  No{,'aret  habe  daselbst  diu  Laster 
und  Verbrechen  des  Papstes  auseinanderjfesetzt ,  den  König  gebeten,  für  die 
Berufung  eines  allgemeinen  Konzils  zu  sorgen  und  diesem  die  Entscheidung  über 
seine  Anklagen  anheimgegeben,  wozu  die  Zustimmung  des  Königs  und  vieler 
Grossen  erfolgt  sei. 

-  Nämlich  in  Punkt  34:  „.  .  .  ignis  dicti  scandali  sie  fuit  incensus ,  (luod 
.  .  .  gravis  et  instantis  niinae  status  ecclesiae  periculum  imminebat." 


216  Exkurs  I. 

Dientuiu  generale  in  regno  Franciae  pro  arduis  regni  Franciae 
negotiis  faciendum,  et  sperans,  quod  super  adhibendo  remedio 
sine  scandalo  in  ipso  parlamento  deberet  haberi  tractatus,  ex- 
spectavit  us(|ue  post  parlamentum  praedictum'  .  ,  ." 

„XXXIX.  Item  proponit,  quod  dictus  dominus  rex  mandavit 
dicto  Guilliehno  tunc  in  illis  partibus  agenti,  ut  processum  publi- 
caret  praedictum  in  dicto  parlamento  habitum,  et  ut  provocaret 
convocationcm  dicti  concilii." 

„XL.  Item  proponit,  (juod  cum  idem  Guillielmus  vellet  Pro- 
cessus huiusmodi  publicare  ipsi  Bonifacio  et  ipsum  requirere  super 
convocatione  dicti  concilii  generalis,  metu  iusto  et  propter  mortis 
periculum,  quod  dictus  Bonifacius  sibi  parabat,  non  potuit  Boni- 
facium  ipsum  adire  secure  nee  etiam  cardinales  venerandos." 

„XLIV.  Item  proponit,  quod  dictus  Guillielmus  .  .  .  distulit 
praedictis  scandalis  ecclesiae  facto  occurrere  usque  ad  diem  lunae 
proximura  ante  festum  nativitatis  beatae  Mariae  virginis  .  .  . ;  nee 
fuit  locus  alii  remedio,  cum  in  die  festi  praedicti  publicare  suos 
initjuos  Processus  disposuerat  dictus  Bonifacius  in  ruinam  et  scan- 
dalum  dicti  regni  Franciae  et  totius  ecclesiae  sanctae  dei;  omnisque 
mora  erat  grave  .  .  .",  etc. 

Also  nach  Italien,  sagt  Xogaret,  sei  er  zunächst  „aus  gewissen 
Gründen  und  hauptsächlich,  um  den  Frieden  und  die  Eintracht 
früherer  Zeiten  zwischen  der  römischen  Kirche  und  dem  französi- 
schen König  und  Reich  wieder  herzustellen  und  zu  befestigen",  ge- 
gangen, und  erst  nach  der  Pariser  Versammlung  vom  Juni  1303 
sei  ihm  der  Auftrag,  dem  Papst  die  Beschlüsse  derselben,  d.  h. 
vor  allem  die  Konzilsforderung,  zu  überbringen  nachgeschickt 
worden;  Bonifaz  aber  habe  ihn  nicht  vorgelassen,  sondern  ihm  ge- 
fährliche Xachstellungen  bereitet  und  ausserdem  an  Mariae  Geburt 
(dem  8.  September)  eine  Bulle  zum  Aergernis  Gottes  und  der 
Kirche,  zur  Vernichtung  des  Königs  und  Frankreichs  veröffentlichen 
wollen  (nämlich  die  Bulle  „Super  Petri  solio");  zur  Erfüllung  des 
Auftrags  sei  daher  Gewalt  nötig  gewesen.  Aehnliche  Angaben 
macht  Xogaret  in  seinen  s^jäteren  Apologieen^.  Dass  der  7.  Se})- 
tember  zum  Ueberfall  deshalb  gewählt  wurde,  weil  Bonifaz  am  Tage 
darauf    die    Bulle    „Super   Petri   solio"   verött'enthchen  wollte,    wird 


*  Hiermit  ist  also  die  VersammluDg  vom  Juui  gemeint,  über  die  uuii  im 
folgenden  näheres  berichtet  wird  :  König  und  Geistlichkeit  hätten  versprochen, 
für  die  Berufung  des  Konzils  zu  wirken. 

^  Dupuv,  Diff.  pr.  255  f.,  308  f.,  383,  441  f.,  518  (hier  werden  die  Ereignisse 
nur  oberflächlich  und  verschwommen  berührt),  581.     Beilage  XII  §§  7  und  9. 


Mit  welchem  Auftrag  begab  sich  Nogaret  1303  nach  Italieu?  217 

man  danach  zugeben;  eine  andere  Frage  ist  es  aber  doch,  ob  die 
ganze  Gefangennahme  überhaupt  erst  in  Folge  der  Kunde  von 
dieser  Bannbulle  und  anderen  Massnahmen  des  Papstes  geplant 
worden  sei  und  also  ursprünglich  nicht  in  Nogaret's  Absicht  ge- 
legen habe. 

Fragen  wir  uns,  wie  es  mit  der  Glaubwürdigkeit  der  No- 
garet' sehen  Angaben  steht,  so  ist  zu  sagen:  in  dem  für  uns  hier  in 
Betracht  kommenden  Punkt  müssen  sie  unrichtig  sein.  Nach  der 
weitgehenden  Vollmacht  zu  schliessen,  die  Xogaret  am  7.  März  13<)3 
erhielt^,  muss  er  bereits  bei  seiner  Abreise  einen  Auftrag  von 
grosser  Wichtigkeit  erhalten  haben:  und  doch  kann  er  uns  in  dieser 
Beziehung  nur  ganz  fade  Phrasen  sagen.  Es  kommt  hinzu,  dass. 
wenn  Xogaret  nur  die  Beschlüsse  der  Pariser  Versammlung  dem 
Papst  überbringen  wollte,  es  nicht  recht  einzusehen  ist,  weshall)  er 
Bonifaz  in  Anagni  drei  Tage  gefangen  hielt  und  sich  mit  Sciarra 
darüber  stritt,  ob  man  ihn  töten  oder  nach  Frankreich  schallen 
solle-.  Sind  also  die  Angaben  Xogaret's  unrichtig,  so  ist  zweierlei 
möglich:  entweder  der  König  hat  zur  Gefangennahme  des  Papstes 
den  Auftrag  gegeben,  oder  Xogaret  ging  dabei  zur  Erreichung 
irgend  welchen  Zweckes,  jedoch  nicht  des  von  ihm  angegebenen, 
eigenmächtig,  ohne  Auftrag,  vor. 

Der  König  stellte  sich  später  auf  den  von  Xogaret  vertretenen 
Standpunkt,  leugnete  also  gleichfalls,  ihm  den  Auftrag  zur  Ge- 
fangennahme gegeben  zu  haben  ^;  doch  kann  dies  natürlich  nicht 
auffallen,  zumal  der  betreffende  Erlass  von  Xogaret  verfjisst  ist. 
Hingegen  dürfte  uns  auch  hier  eine  Betrachtung  der  in  Anagni 
eingetretenen  Ereignisse  einen  Fingerzeig  geben.  Wir  gedachten  be- 
reits in  der  Darstellung  der  folgenden  Worte  desCurtisanen ',  der  uns 
am  besten  und  eingehendsten  über  die  Vorfälle  zu  Anagni  berichtet: 
„Interim  vero  tractabatur  per  Schairam  et  suos,  quomodo 
vellent  ipsum  papara  morti  tradere  vel  ipsum  vivum  ad  regem 
Francie  transmittere.'" 

Der  Curtisane  kannte  den  Xamen  Xogaret's  nicht.  Es  kann 
aber  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  der  Gegensatz,  den  er  hier 

»  Vrgl.  oben  S.  4.5  ft". 

-  Vrgl.  im  folgenden. 

'  DCPCT,  Diff.  pr.  297.  Hierzu  sei  noch  bemerkt,  dass  Baidoin  („Lettres 
inedites  de  Philippe  le  Bei"  1887,  S.  144)  aus  einer  Urkunde  Philipp'«  vom 
26.  März  1303  für  Pamiers  gleichfalls  schliessen  zu  dürfen  glaubt,  dass  der 
König  damals  bereits  seinen  Plan  gegen  Bonifaz  vollkommen  ausgedacht  und 
beschlossen  hatte. 

*  Mon.  Genn.  SS.  XXVlir,  024  ZI.  8f. 


218  Exkurs  I. 

andeutet,  zwischen  Sciarra  und  Nogaret  bestand,  den  beiden 
Häuptern  der  in  Anagni  eingedrungenen  Scharen:  haben  wir  doch 
von  verschiedenen  und  zwar  den  am  besten  unterrichteten  Seiten 
Nachricht  darüber,  dass  Sciarra,  als  er  am  7,  September  in  das 
Gemach  des  Papstes  gelangt  war,  diesen  töten  wollte,  während  ihn 
Xogaret  daran  hindertet  Ist  dies  Verhalten  Nogaret's  aber  über- 
haupt zu  erklären,  wenn  er  ohne  Auftrag  handelte?  Wenn  er  sich 
etwa  am  Papsttum  für  den  Tod  seines  Vaters  rächen  wollte:  wes- 
halb widersetzte  er  sich  dem  gleichfalls  seine  Rache  suchenden 
Sciarra?  Was  konnte  er  überhaupt,  wenn  er  auf  eigene  Hand  vor- 
ging, anders  im  Auge  haben  als  den  Tod  des  Papstes?  "Wenn  er 
hingegen,  wie  aus  der  Mitteilung  des  Curtisanen  ersichtlich,  Bonifaz 
nach  Frankreich  schaffen  wollte,  konnte  er  daran  überhaupt  denken, 
ohne  vom  König  beauftragt  zu  sein?  Wir  sehen,  dass  Nogaret  ge- 
nau das  thun  wollte,  was  er  in  seiner  Rede  am  12.  März  1303  als 
notwendig  bezeichnet  hatte.  Als  er  diese  Rede  hielt,  hatte  er  seine 
Vollmacht  und  also  auch  wohl  seinen  Auftrag  bereits  in  der  Tasche. 
Nimmt  man  hinzu,  dass  man  schlechterdings  nicht  weiss,  was  No- 
garet im  März  1303  sonst  für  einen,  seine  weitgehende  Vollmacht 
erklärlich  machenden  Auftrag  erhalten  haben  könnte,  und  betrachtet 
man  die  wahrhaft  fieberhafte  Thätigkeit,  die  Philipp  im  Sommer 
1303  entfaltete,  um  sich  den  kommenden  Ereignissen  gegenüber 
sicher  zu  stellen,  so  wird  man  den  Versicherungen  des  Königs  be- 
treffs seiner  Unschuld  am  Attentat  von  Anagni  keinen  Glauben  bei- 
messen ■^. 

Aber  man  hat  geglaubt,  zweierlei  dafür  geltend  machen  zu 
können,  dass  Philipp  in  der  That  an  dem  Ueberfall  keine  Schuld 
trage:  1.  die  Versicherungen  der  beiden  Päpste,  die  auf  Boni- 
faz Vni.  folgten,  und  2.  die  direkten  Angaben  einiger  Schrift- 
steller. Denn  dass  auch  Reginald  von  Supino,  einer  der  italie- 
nischen Spiessgesellen  Nogaret's,  in  einer  Urkunde  vom  29.  Oktober 
1312  zugleich  mit  der  Quittung  über  erhaltene  französische  Hülfs- 
gelder    eine    den   Nogaret'schen   Ausführungen   entsprechende  Dar- 

»  Vrgl.  oben  S.  85  f. 

-  Hier  sei  auch  auf  eine  Denkschrift  hingewiesen,  die  an  den  König  ge- 
richtet ist;  der  Verfasser  derselben  verlangt  zuerst,  dass  Clemens  eine  Dar- 
stellung der  Verweigerung  des  Konzils  durch  Bonifaz,  die  mit  der  Nogaret'schen 
identisch  ist,  in  eine  Bulle  aufnehme,  und  fügt  dann  unter  besonderer  Hervor- 
hebung seiner  "Worte  hinzu:  „Quod  dixi  de  recusatione  concilii  facta  per  Boni- 
facium  posui  propter  causam,  quam  verbis  expressi  vobis"  (Beilage  III  §  9). 
Dies  sieht  nicht  so  aus,  als  sei  es  ihm  hauptsächlich  auf  die  Wahrheit  an- 
gekommen. 


Mit  wolc-hcin  Auftrag  begab  sieb  Nogaret  l.'W3  nach  Knlioii?  21  !> 

Stellung  macht  \  kann  nicht  in  Betracht  kommen ,  auch  davon  ab- 
gesehen, dass  Reginald  von  den  wirkHchen  Aufträgen  Xogaret's  gar 
nichts  wusste. 

Betrachten  wir  uns  also  zunächst  einmal  die  Angaben  der 
Päpste.  Der  Bann,  den  Bonifaz  über  Philij)!)  ausgesprochen  hatte, 
wurde  bereits  von  seinem  Xachfolger  Benedikt  XI.  am  25.  März 
1304  wieder  gelöst'-.  Wir  sahen,  dass  der  Papst  hierbei  unter  dem 
Druck  der  Yerlüiltnisse  handelte.  Xichtsdestoweniger  ist  es  sehr 
charakteristisch,  dass  er  eine  Unschuld  l'hilipp's  nie  und  mit  keinem 
AVorte  behauptete.  Weil  es  Pflicht  des  Papstes  sei,  dafür  zu 
sorgen,  dass  niemand,  der  einmal  in  Petri  Schiff  gewesen,  ausser- 
halb desselben  bleibe,  sagt  Benedikt,  wolle  er  den  über  den  franzö- 
sischen König  und  seine  Pamilie  gesprochenen  Bann  lösen.  Dies 
ist  alles,  und  in  einem  Schreiben  vom  2.  April  desselben  Jahres^ 
vergleicht  er  den  König  gar  mit  dem  verirrten  Schaf,  das  er  nun 
freudig  auf  seinen  Schultern  wieder  zurückgetragen  habe.  Es  scheint 
demnach  durchaus ,  dass  Benedikt  von  Philipp's  Schuld  überzeugt 
war  und  auch  im  Zwang  keine  Unwahrhaftigkeit  aussprechen 
wollte. 

Erst  Clemens  V.  sprach  den  König  auch  von  jeder  Schuld 
frei.  In  der  vom  27.  A[)ril  1311  datierten  Bulle  „Rex  gloriae"  er- 
klärte er  „auf  Grund  der  Aussagen  Xogaret's,  sowie  genügender 
anderweitiger  Informationen",  der  König  sei  an  dem  Gewaltakt, 
der  gegen  Bonifaz  unternonnnen  worden  war,  vollständig  unschuldig'*. 
Gehen  wir  zunächst  einmal  den  Zeugnissen,  auf  die  Clemens  sich 
beruft,  etwas  näher  nach.  Ueber  den  einen  Teil  derselben,  die 
Aussagen  Xogaret's,  haben  wir  schon  gehandelt.  Unter  den  ander- 
weitigen Informationen  ist  das  Verhör  zu  verstehen,  dem  vom  14. 
bis  24.  April  verschiedene  Kardinäle  und  andere  Geistliche,  sowie 
der  Ritter  Enguerrand  von  Marigny  und  der  Xotar  Gottfried  von 
Plexey  unterworfen  wurden  ^  Die  Aussagen  gehen  sänitHch  von 
Leuten  aus,  die  auf  der  Partei  des  Königs  standen;  alle  versichern, 
dass  Phihpp  bei  seinem  Vorgehen  die  besten  Absiciiten  gehabt 
habe,  einige  sagen  noch  ausdrücklich,  am  Attentat  von  Anagni  trage 
er  keine  Schuld,  doch  habe  auch  seinen  Gesandten  Xogaret  dabei 
lediglich    ein    „bonus    zelus"    geleitet;    etwas    authentisches    wusste 


»  DüPUV,  Diff.  pr.  609. 

-  Reg.  de  Ben.  819  f.  (ur.  l.'ill). 

3  Ibid.  820  f.  (nr.   1312). 

••  Reg.  Clem.    ann.  VI,  415. 

'  Höfler  45—84. 


220  Exkurs  I. 

nutürlich  iiieniaiul.    Am  l)eaclitenswertesten  scheint  zunächst,  was  der 
Karilinal])resbyter  ^Nikolaus  von  St.  Eusebius  sagte: ^ 

„De  captione  vero  domini  Bonifacii  nihil  scio  nee  dico,  nisi 
qiiod  dominus  rex  de  ea  nihil  probavit  nee  mandavit  nee  ordinavit 
fieri,  sed  c^uando  audivit  primo  fuit  multum  stupefaetus  et  mihi 
lo(iuendo  illa  hora  dicebat,  illud  factum  esse  mirabile  et  horribile, 
et  mihi  quaerenti,  quomodo  hoc  potuit  fieri,  respondit:  ,certe, 
frator  Nicolae,  nescio,  nisi  ([uia  reddebat  se  omnibus  odiosum,  et 
credo,  quod  sui  ceperunt  eum  et  tradiderunt  (.iuillielmo  militi." 
Utrum  vero  ilhid  ([uod  sibi  tunc  placuit  quam  quod  non-;  sed 
certe  certo  credo  propter  bonitatem  suae  conscientiae,  quam  novi 
tarn  longo  tempore,  quod  si  scivisset  vel  credidisset,  hoc  esse  vel 
fuisse  factum  suo  nomine,  nunquam  sibi  placuisset,  inio  multum 
sibi  displicuisset.  Unde  per  sacramentum  meum  credo,  dominum 
regem  super  dicta  captione  et  eorum ,  quae  secuta  sunt,  esse 
penitus  innocentem  et  illa  nescientem  nisi  ex  post  facto." 

Höfler  hat  diesen  Worten  Glauben  geschenkt^.  Aber  es  sei 
doch  darauf  hingewiesen,  das's  ihr  Urheber  zu  der  beträchthchen 
Zahl  der  Kardinäle  gehört,  die  noch  1305  von  Clemens  auf  Wunsch 
des  französischen  Königs  zu  dieser  Würde  erhoben  worden  waren ; 
ja  noch  mehr:  Nikolaus  war  Philipp's  langjähriger  Beichtvater^,  und 
wenn  man  auch  nicht  annehmen  will,  dass  er  wissentlich  lügt,  so 
sieht  doch  sein  Beichtkind  nicht  danach  aus ,  als  ob  es  ihn  aus 
Gewissensskrupel  in  alle  Geheimnisse  seines  Herzens  eingeweiht  habe; 
wie  mangelhaft  der  Einblick  war,  den  Nikolaus  in  das  Innere  Phi- 
lipp's gethan  hatte,  geht,  gerade  wenn  wir  die  Wahrhaftigkeit  der 
Behauptungen  des  Kardinals  annehmen,  daraus  hervor,  dass  er 
unter  Berufung  auf  seine  lange  Bekanntschaft  mit  dem  König  dessen 
reines  Gewissen  besonders  rühmen  zu  können  glaubt.  Noch  weniger 
können  die  Angaben  des  Abtes  Peter  von  St.  Medardus^  be- 
weisen, der  „ein  erklärter  Gegner  des  Papstes  und  blinder  Anhänger 
des  Königs"  war.  Was  er  uns  mitteilt,  ist  im  allgemeinen  durchaus 
verdächtig.    Er  berichtet  —  alles  unter  seinem  Eid  —  die  unglaub- 


'  Höfler  49  f. 

-  So  bei  Höfler;  die  Stelle  ist  ofTenbar  verderbt.  Der  Sinn  scheint  aber 
doch  zu  sein :  Ich  glaube  mehr,  dass  er  damals  zufrieden  war,  als  dass  er  es 
nicht  war. 

"  S.  34  f.  Anm. 

*  Cl\coni,  Hist.  i)ontificum  I,  836;  vrgl.  auch  das  über  den  „pater  Nico- 
laus, olim  confessor  regis"  von  Bonifaz  in  der  Bulle  „Per  processus  nostros" 
(Drpuv,  Diff.  pr.  99)  gesagte. 

'•  HöFLEB  68 — 74,  besonders  72  f. 


Mit  welchem  Auftrag  begab  sich  Nogaret  l'MYA  uucli  ItiiUeu?  221 

liebsten  Dinge,  so  zum  Beispiel:  der  Papst  habe  ibn ,  als  er  einst 
als  französiscber  Gesandter  in  Rom  geweilt,  auf  die  Kunde  von  dem 
Einvernehmen  Pbilipp's  und  der  Colonna  mit  zornigen  Worten 
nach  Frankreich  zurückgeschickt ,  ihm  dabei  aber  vorher  noch  die 
Politik  auseinandergesetzt,  die  er,  der  Papst,  jetzt  ergreifen  werde: 
„Ich",  behauptet  der  Abt  von  Bonifaz  damals  wörtlich  vernommen 
zu  hal»en,  „mache  jetzt  Frieden  mit  Deinem  König  und  werde 
darauf  die  Colonna  vernichten;  und  wenn  sie  vernichtet  sind,  werde 
ich  Deinen  König  zu  Grunde  richten  und  einen  anderen  König  in 
Frankreich  einsetzen;  dazu  habe  ich  ja  meinen  Sohn,  den  König 
Karl,  der  hier  auf  meiner  Seite  steht  mit  den  anderen  christhchen 
Königen  allen,  die  mit  mir  gegen  Deinen  König  sein  werden!" 
Dabei  ist  nachzuweisen,  dass  Peter  diese  ganze  Geschichte  den 
Redereien  der  Colonna  entnommen  hatte:  in  demselben  Verhör 
wird  uns  dies  angebliche  Wort  des  Papstes  auch  durch  den  Kar- 
dinal Peter  Colonna ,  aber  in  einem  anderen  Zusammenhang ,  be- 
richtet ^  Man  sieht,  was  auf  solche  Aussagen  des  Abtes  zu  geben 
ist.  Und  doch  ist  es  gerade  auch  wieder  ein  derartiges  schon  an 
und  für  sich  wenig  glaubhaftes  Zitat  eines  Ausspruchs  Pbilipp's,  auf 
Grund  dessen  die  Unschuld  des  Königs  erwiesen  werden  soll.  Auf 
die  Mission  Peter's  vom  Sommer  1303,  von  der  er  gleichfalls 
spricht,  werden  wir  noch  zurückkommen.  Die  Erklärung  des  Kar- 
dinalbischofs Berengar-  zeichnet  sich  offenbar  durch  Ehrlichkeit 
aus;  er  erzählt  nur,  was  er  weiss,  nämlich  dass  im  königlichen  Rat 
nie  von  der  Gefangennahme  gesprochen  wurde,  und  man  auch  sonst 
von  ihr  nichts  hörte.  Damit  mag  er  vollkommen  Recht  haben; 
denn  dass  Philipp  in  seinem  Rat,  wo  immer  eine  stattliche  Zahl 
von  Klerikern  war,  niclit  von  seinem  Vorhaben  sprach  und  dieses 
überhaupt  vollkommen  geheim  zu  halten  verstand,  erscheint  durchaus 
wahrscheinlich.  Auch  die  Aussagen  des  Bischofs  Wilhelm  von 
Bayeux%  der  gleichfalls  zu  den  bekanntesten  Anhängern  des 
Königs  gehört*,  sind  für  uns  belanglos,  da  er  selbst  versichert,  über 
die  That  von  Anagni  nichts  genaues  zu  wissen  und  sich  im  übrigen 
auf  den  Abt  von  St.  Medardus,  dessen  Erzählung  er  mit  kleinen 
Veränderungen  wiederholt,  und  auf  Nogaret  beruft.  —  Wir  sind  bei 
diesen  Mittheilungen  etwas  länger  verweilt,  da  auf  sie  sich  Clemens 
in  der  Bulle  „Rex  gloriae"  berief.  Es  ist  ja  bekannt  und  auch  von 
uns  hervorgehoben,  dass  Clemens  noch  erheblich  mehr  als  llenedikt 

•  HöKLER  59.  -  ll'iJ-  74—77. 
ä  Ibid.  77—80. 

*  Wir  gedachten  seiner  Thätigkeit  im  Herbst  1310  als  Gesandter  rhiüiip's. 


222  Exkurs  I. 

unter  französischem  Einfluss  stand.  Es  kommt  dazu,  dass  die  Lage 
der  Dinge  eine  solche  war,  wonach  es  ihm  sehr  erwünscht  sein 
nuisste.  Aussagen  Ghiuben  schenken  zu  dürfen,  welche  den  König 
freisprachen.  Denn  dass  Clemens  bei  der  Auswahl  der  zu  ver- 
nehmenden Zeugen  parteiisch  verfahr,  dürfte  nicht  bezweifelt  werden: 
dieselben  erklärten  sicli  sämtlich  für  die  Unschuld  des  Königs,  w^äh- 
rend  wir  wissen,  dass  es  damals  in  Avignon  eine  grosse  Partei  von 
Anhängern  des  Bonifaz  gab,  welche  die  Schuld  des  Königs  in  Wort 
und  Schrift  zu  erweisen  suchten  ^  Das  absichtlich  auf  durchaus  ein- 
seitigen Informationen  beruhende  Zeugnis  Clemens'  V.  darf  also 
nicht  gegen  die  oben  entwickelte  Ansicht  ins  Feld  geführt  w^erden. 
Wie  steht  es  aber  mit  den  Schriftstellern  dieser  Zeit?  Ich 
komme  auf  sie  zuletzt,  da  man  ihnen  an  und  für  sich  keine  allzu- 
grosse  Bedeutung  in  dieser  Frage  beilegen  wird;  denn  was  wussten 
sie  im  Grund  über  Nogaret's  geheimen  Auftrag-.  Immerhin  jedoch 
wird  man  sie  als  Repräsentanten  der  öffentlichen  Meinung  nicht  ganz 
ausser  acht  lassen  dürfen.  Und  da  ist  zu  sagen:  von  allen  Schrift- 
stellern sprechen  sich  nur  der  Fortsetzer  des  Wilhelm  von 
Nangis  und  der  des  Gerhard  von  Frachet  für  Philipp's  Un- 
schuld aus;  der  letztere •'  aber  schrieb  von  ersterem  wörtlich  ab,  und 
der  Fortsetzer  des  Xangis  kann  für  uns  deshalb  nicht  in  Betracht 
kommen,  w'eil  er  seine  ganzen  unbeholfenen  Ausführungen  aus  der 
Bulle  „Rex  gloriae"  zusammengestoppelt  hat,  mit  der  wir  uns  schon 
oben  auseinandersetzten.  Zum  Beweis  diene  die  folgende  Zusammen- 
stellung: 


^  Vrgl.  die  Darstellung-  des  Prozesses  gegen  Bonifaz.     Düpuy,  Diß".  pr.  396, 
471,  473,  476  f.  und  namentlich  485  f. 

-  Gottfried  von  Paris  sagt  selbst  ganz  oflfen  (Rec.  des  bist.  XXII,  107  H — K, 
Vers  1895—1904): 

„Si  fu  deceu  par  cuidauce, 

Quant  il  fu  pris  du  roy  de  France, 

Je  di  mal,  nies  de  sou  sergeut. 

Le  roy  ne  savoit  pas  tel  gent 

Qu'il  deussent  tel  chose  enprendre; 

Si  n'en  doit-on  le  roy  repreudre. 

Mes  d'autre  part  j'ai  oui  dire 

Que  le  roy  pas  bien  escondire 

De  ceste  chose  puls  se  pout. 

Je  n'en  sai  riens,  mes  Diex  set  tout." 
^  Rec.  des  bist.  XXI,  22. 


^lit  welchem    AuftniL;-  licgab  sicli   Xo.jiiril    13(i;;  lüicb    It: 


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Qg  des  Wilhelm  von  Nangis 

I,   335  f.;   Rec.  des  bist.  XX.  588. 

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IC  de  facili  regis  obturaverit  aures, 
en  in  ijublico  parlamento  Pa- 

elatis,    barouiljus,    capitulis, 
IS,     commuuitatibus     et    uni- 
is  villarum   regni   sui  necnoii 
n  theologia  et  professori)>us 
scjue  aliisque    sapientibus  et 
ersonis   diversarum  partium 
m    jiraesentibus,    importuuis 
rum     clamoribus    atque    fre- 
pulsatus    instautiis,    praecipue 
Ibroicensis,  Guidonis  Sancti- 
ohanuis  Drocensis    com  i  tum. 
tis    ad   saucta  Dei   evangelia 
ta    corporaliter    iuramentis, 
praedicta    se    credere    esse 
legitime  posse  probari,  re- 
11  quam  praec-ipuum  christianae 
Sorem  instautissime  require- 
ro    deliberatioue  super  praemissis 
nerale    couvocari    coucilium 

rocuraret:  cum  urgente  couscieutia  ul- 
e  r  i  u  s    d  i  s  s  i  m  u  1  a  r  e   n  0  u  j)  0  s  s  e  t ,    ad  c  0  n  - 
ilium  generale  per  sedem  apostolicam  pro- 
lovendum,  quod  in  isto  casu  summo  prae- 
st  pontifici,  .  .  .  appellavit  .  .  .  ac  postmo- 
um    papae    Bouifacio    per    Guillormum    de 
ogareto,    militem    leguunpie   professorcm, 
egiis  pateutibus  litteris  intimari',  petcns 
b  eodcin  couvoeatiouem   concilii  .  .  . 

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224  Exkurs  I. 

Auch  (las  folgende  ist  demnach  ledigHch  eine  Wiederholung  der 
Darstellung,  welche  Clemens  gab,  wie  man  auch  hier  noch  an  wört- 
lichen Anklängen  erkennen  kann^ 

Die  Ausführungen  des  Fortsetzers  des  Wilhelm  von  Xangis 
fallen  also  für  unsere  Betrachtung  einfach  fort,  und  es  ist  dann 
doch  von  Interesse,  zu  sehen,  dass  alle  wirklich  originalen  Berichte, 
so  weit  sie  sich  überhaupt  auf  diesen  Punkt  einlassen,  dem  König 
die  Schuld  an  dem  Gewaltakt  zuschreiben.  Ich  nenne  nur  die  fol- 
genden Autoren:  aus  Frankreich  Johann  von  St.  Viktor^,  Jo- 
hann VON  NoYAL^,  die  flandrische  Chronik';  aus  Italien  die  Istorie 
Pistolesi^,  DiNO  Comi'aoni^,  Fkrri-:to  von  Vicenza^,  die  Annalen 
von  Forli^,  Este®  und  Florenz^*^,  Yillani^^;  aus  England  die  Flores 
historiarum '-  und  eine  Fortsetzung  des  Martin  von  Troppau^^;  aus 
Deutschland  eine  niederrheinische  Papst-  und  Kaiserchronik ^*,  die 
Heilsbronner  Annalen^",  die  Chronik  von  Osterhofen  ^'',  Johann  von 
WiNTERTHUR^^,  die  Annalen  von  Lübeck  ^*^  und  Heinrich  von  Her- 
ford ^^. 


'  Cont.  Guill.  Xang.  ed.  Geraud  I,  337  f.;  das  „ut  dicitur",  die  Ausdrücke 
„per  suas  litteras  valvis  ecclesiarum  adfixas"  und  „domus,  quam  inhabitabat 
Anagniae"  sowie  anderes  sind  aus  der  genannten  Bulle  entnommen;  Reg.  Clem. 
ann.  VI,  414  col.  2  —  415  col.  1. 

-  Rec.  des  bist.  XXI,  641  D — E  :  „Rex  Francorum  Philippus  cum  aliquibus 
de  Columpna  et  quibusdam  Lombardis  aliis  misit . . .  plures  electos  armatos  cum 
quodam  professore  legum,  qui  dicebatur  Guillielmus  de  Noguareto  ut  quoquo 
modo,  per  guerram  vel  aliter,  regem  et  regnum  de  papae  malignitate  vindi- 
carent  et  iniuriis  iam  illatis." 

3  Rec.  des  bist.  XXI,  195E— F. 

*  Ibid.  XXII,  874  D ;  ed.  Kervyn  de  Lettenhove  I,  226. 

ä  ed.  BisciONi  (1845)  423. 

*^  ed.  Del  Lüngo  III,  181  VA.  21—30;  „Sciarra  dalla  Colonna  .  .  .  entrö 
in  Alagna  .  .  . :  e  tennesi  fusse  congiura  fatta  col  re  di  Francia  ..." 

'  MuRATORi  IX,  1002  D.  *  Ibid.  XXII,  177  B. 

«  Ibid.  XV,  350  D.  '»  Böhmer,  Fontes  IV,  674. 

"  ed.  Dragomanni  II,  78 — 80;  vrgl.  besonders  den  Satz  :  „intra  gli  altri  lo 
scherni  messer  Guiglielmo  di  Lunghereto,  che  per  lo  re  di  Francia  avea  menato 
il  trattato,  donde  era  preso  .  .  ." 

>-  Mou.  Germ.  SS.  XXVIII,  500  ZI.  21  f. 

'••'  Ibid.  XXIV,  256  ZI.  10. 

"  Nachr.  der  kgl.  Ges.  der  Wissensch.  zu  Göttingen,  i)hil.-hist.  Kl.,  1894, 
Nr.  1,  375  ff. 

"  Mou.  Germ.  SS.  XXIV,  46  ZI.  44  f.  Andreas  von  Regensburg  schreibt 
dies  nach. 

'«  Ibid.  XVII,  553  ZI.  33.  '"  ed.  Wyss  45. 

'»  Mon.  Germ.  SS.  XVI,  418  ZI.  15—17. 

'"  ed.  PoTTHAST  220. 


Mit  welchem  Auftrajr  begab  sich  Nuguret  13Ü3  uach  ItahcnV  225 

Davon,  dass  Nogaret  nur  die  Berufung  eines  Konzils  fordern 
sollte,  kann  also  keine  Rede  sein.  Aber  hat  seine  Sendung  mit 
einem  Konzil  überhaupt  nichts  zu  thun?  Es  wird  doch  schon  in 
Nogaret's  Rede  vom  März  1303  in  auffidliger  Weise  von  einem 
solchen  gesi^rochen!  Wir  haben  zu  der  Annahme  Grund,  dass  No- 
garet  durch  diese  Rede  Stimmung  für  seinen  Auftrag  machen  wollte; 
vergegenwärtigen  wir  uns  also  nochmals,  was  er  damals  ausführte. 
AVafieu  und  Gesetze,  so  sprach  er,  müssen  sich  gegen  den  Schänd- 
lichen erheben,  ins  Gefängnis  muss  er  geworfen  werden,  damit  er 
den  Zusammentritt  eines  allgemeinen  Konzils  nicht  stören  könne, 
das  in  seiner  Angelegenheit  berufen  werden  und  über  ihn  aburteilen 
solle.  Hier  redete  der  angebliche  Friedensapostel  also  allerdings 
von  einem  allgemeinen  Konzil,  aber  nicht  als  ob  Bonifaz  es  berufen 
und  freiwillig  seinen  Streit  mit  Frankreich  ihm  anheimstellen  solle; 
vielmehr  wird  ausdrücklich  gesagt,  dass  Bonifaz  es  nicht  berufen 
solle,  sondern  dass  man  gegen  ihn  schon  vorher  mit  Waffen  vor- 
gehen und  ihn  ins  Gefängnis  werfen  möge,  damit  er  die  zu  treffen- 
den Veranstaltungen  nicht  zu  stören  imstande  sei. 

Und  so  glaube  ich  denn  nach  allem  Gesagten  in  begründeter 
Weise  die  Behauptung  vertreten  zu  dürfen,  dass  Nogaret  den  Auf- 
trag erhielt,  sich  der  Person  des  Papstes  zu  bemächtigen,  damit 
dieser  vor  ein  unter  französischem  Einfluss  stehendes  Konzil  gestellt 
werde,  das  für  ihn  ein  Tribunal  gewesen  wäre,  wo  seine  schlimmsten 
Feinde  über  ihn  zu  Gericht  gesessen  hätten  wegen  seiner  Kühnheit, 
sich  ihren  Ansprüchen  mit  ähnlichen  in  den  Weg  gestellt  zu  haben; 
als  Ort  dieses  Konzils  war  Lyon  in  Aussicht  genommen ^ 

Man  kann  fragen,  weshalb  wählte  Nogaret  die  Versammlung 
vom  Juni  1303  als  diejenige,  deren  Beschlüsse  er  zu  überbringen 
gehabt  habe;  hätte  er  nicht  eine  grosse  Un Wahrscheinlichkeit  in 
seinen  Angaben  vermieden,  wenn  er  die  vom  März  wählte?  Es 
wurde  seiner  Zeit  auf  die  Bedeutung  hingewiesen,  welche  die  Ver- 
sammlung vom  Juni  für  den  König  hatte:  derselbe  gewann  auf  ihr 
durch  eine  angebliche  ^Modifikation  seines  Vorhabens  die  Geistlichkeit 
und  nahm  von  nun  an  eine  wenigstens  nach  seinem  Vorgeben  recht- 
lich haltbare  Position  ein.  Es  ist  wohl  nicht  zufällig,  dass  Nogaret 
sein  ganzes  Vorgehen  nun  ebenfalls  auf  den  Boden  der  Beschlüsse 
dieser  Versammlung  stellte,  und  in.ui  wird  annehmen  dürfen,  dass 
Pliihpp  hierauf  nicht  ohne  Eintliiss  gcblic'l)en  war.  Nun  wissen  wir 
von  einer  zweiten  Gesandtschaft   des  Königs  an  den  Papst:  Peter 

*  Peter  von  Pcredo,  bei  Dlpuv,  Diff.  \n:  211;  Toi.  Luc.  cout.  l'atuv., 
bei  Mlratori  XI,  1223  B;  Villani  cd.  Draqomanm  II,  80. 

R.  Holtzinanu,  Nogaret.  15 


226  Exkurs  I. 

von  Peredo,  der  Al)t  von  St.  ]\Iedartlus,  gab  in  jenem  ol^en  er- 
wähnten Verhör  vom  Aj)ril  1311  an',  er  sei,  als  er  noch  Prior  von 
Chiesa  war,  von  Plnlii)p  dem  lange  nichts  von  sich  vernehmen  las- 
senden Nogaret  nachgeschickt  worden,  nnd  zwar  mit  demselben  Auf- 
trag, welchen  dieser  hatte,  niunlich  der  Ueberbringung  der  Beschlüsse 
der  Pariser  Versammlung  vom  Juni  1303.  Am  6.  Oktober  betrat 
der  Prior  in  der  That  als  Gesandter  Philipp's  Rom^.  Er  wollte 
sich  damals  vor  Boniüiz  seines  Auftrags  entledigen,  was  er  aber  erst 
einige  Zeit  später  vor  Benedikt  thun  konnte.  Obgleich  er  die  Denk- 
schrift, die  er  dem  neuen  Papst  überreichte,  der  veränderten  Zeit- 
lage entsprechend  umgearbeitet  hatte,  lässt  sich  aus  ihr  doch  noch 
erkennen,  dass  er  über  seinen  Auftrag  1311  richtige  Angaben  machte: 
er  sollte  dem  Papst  die  Provokationen  und  Appellationen  des  Juni 
1303  überl)ringen,  um  ein  allgemeines  Konzil  bitten,  und  im  Falle 
er  keinen  Zutiitt  zu  Bonifaz  erhalten  könne,  seine  Forderungen  in 
Rom  und  anderen  italienischen  Städten  an  die  Kirchenthüren  an- 
schlagen lassen.  Man  wird  danach  annehmen  dürfen,  dass  er  bald 
nach  der  Versammlung  vom  Juni  abgeschickt  wurde,  und  dass  seine 
Sendung  zu  den  vielen  Ende  Juni  zur  Verbreitung  der  dort  ge- 
fassten  Beschlüsse  abgeordneten  gehörte.  Philipp  hatte  seinem 
Klerus  zugestanden,  den  Papst  das  Konzil  berufen  lassen  zu  wollen; 
war  es  ihm  damit  auch  nicht  ernst  —  thatsächlich  sehen  wir  ]Sogaret 
nach  seinem  Auftrag  vom  März  handeln  — ,  so  musste  er  nun  doch 
an  Bonifaz  einen  Gesandten  schicken.  Mit  dieser  Mission  wurde 
Peter  betraut,  indem  ihm  bemerkt  wurde,  dass  es  eventuell  auch 
genüge,  die  Appellation  in  Rom  und  anderen  Städten  Italiens  an 
die  Kirchenthüren  schlagen  zu  lassen:  hatte  der  Prior  dies  getlian, 
so  konnte  Philipp  behaupten,  er  habe  dem  Papst  die  Konzilsforderung 
zukommen  lassen;  nahm  dann  Nogaret  den  Gewaltstreich  auf  eigene 
Verantwortung,  so  war  ihm,  dem  König,  nichts  anzuhaben.  In  einer 
des  öfteren  erwähnten  Urkunde  Philipp's  vom  Februar  1311,  deren 
Verfasser  Xogaret  ist,  heisst  es  von  dem  Aufenthalt  der  Gesandt- 
schaft in  Italien  (vor  dem  Attentat  von  Anagni)^: 

„Xichilominus  Romae  et  in  aliis  locis  opportunis  super  prae- 
missis  protestationes  fecerunt  sub  attestatione  publica,  et  scripturas 
et  cartas  requisitionis  tenorem,  qua  ipsum  requisivissent,  si  facultas 
adesset,  cum  insertis  protestationibus  continentes  in  plerisque  civi- 
tatibus  publicarunt." 

1  Höfler  72  f. 

-  Vrgl.  die  Denkschrift  bei  Dupuy,  Diff.  pr.  210—214. 

•■'  Ibid.  297. 


Mit  \Yelchem  Auftrag  bogal)  sich  Nogarot  13().'{  iiacli   Tiiillcn?  227 

Aelinlicli  äussert  sich  Nogaret  auch  noch  an  einer  anderen 
Stelle ^  Vergleicht  man  hiermit  den  Auftrag  des  Priors,  so  wird 
man  in  der  Angabe  Nogaret's  einen  Hinweis  darauf  sehen,  dass 
Peter  wirklich  die  ihm  gebotene  Veröffentlichung  vornahm,  und  dass 
Xogaret  und  er  damals  beisammen  waren,  wie  dies  ja  auch  an  sich 
durchaus  wahrscheinlich  ist.  Durch  den  Prior  erfuhr  Xogaret  die 
Beschlüsse  des  Parlaments  vom  .luni  l.')(>3,  und  man  darf  dann 
wohl  vermuten,  dass  der  König  ihm  durch  jenen  auch  bereits  den 
Wunsch  aussprechen  Hess,  auch  er  möge  sein  ganzes  Vorgehen  gegen 
Bonifaz  in  den  Dienst  der  Beschlüsse  vom  Juni  stellen,  d.  h.  auch 
seinerseits  den  Auftrag  erhalten  /ai  haben  vorgeben,  mit  dem  jetzt 
Peter  von  Peredo  über  die  Alpen  geschickt  war.  —  So  hatte  sich 
Philipp  jetzt  dazu  entschlossen,  vor  der  Oeffentlichkeit  zu  behaupten, 
er  habe  durch  die  Sendungen  Nogaret's  und  Peredo's  lediglich  den 
Papst  um  die  Berufung  eines  Konzils  bitten  wollen.  Das  andere 
musste  Nogaret  auf  seine  eigene  Verantwortung  nehmen.  In  den 
folgenden  Jahren  zeigte  es  sich,  wie  gut  es  war,  dass  man  einen 
solchen  Standpunkt  eingenommen  hatte:  der  König  und  Nogaret 
erschienen  im  Recht,  sobald  man  nur  den  entstellten  Darstellungen 
des  letzteren  glaubte-,  denn  diese  Entstellungen  verfolgten  alle  den 
einen  Zweck,  alles  Geschehene  als  notwendige  Folge  der  Beschlüsse 
vom  Juni  1303  hinzustellen. 


'  DuPUY,  Diff.  pr.  596. 


15^ 


228 


Exkurs  II. 


üeber  die  letzten  Tage  und  den  Tod  Bonifaz'  VIII. 

Ueber  die  Ereignisse  nach  der  Befreiung  Bonifaz'  VIII.  zu 
Anagni  bis  zu  seinem  Tod  ist  es  bei  dem  Bestand  unserer  Quellen 
oft  sehr  schwer,  ein  klares  Urteil  zu  gewinnen,  und  manchmal  ist  es 
nicht  möglich,  über  einen  gewissen  Grad  von  Wahrscheinlichkeit 
hinauszukommen.  Ich  will  im  folgenden  versuchen,  die  im  Text  ge- 
gebene Darstellung  zu  rechtfertigen. 

Die  Chronik  von  Orvieto^  und  die  Istorie  Pistolesi-  erzählen 
in  übereinstimmender  Weise,  dass  die  Römer  auf  die  Kunde  von 
der  Befreiung  des  Papstes  eine  Gesandtschaft  zu  ihm  geschickt 
und  ihn  um  seine  Rückkehr  gebeten  hätten;  Bonifaz  habe  sie  zuge- 
sagt und  sei  unter  dem  Schutz  dieser  Gesandtschaft  nach  Rom  zu- 
rückgekehrt. Dass  er  in  der  That  unter  starker  Bedeckung  die 
Reise  unternahm,  wird  auch  anderweitig  bestätigt^;  doch  erscheint 
es  wahrscheinlicher,  dass  die  Initiative  zur  Reise  von  dem  in 
Anagni  rings  von  seinen  Feinden  umgebenen,  einen  neuen  üeberfall 
gewärtigenden  Papst  ausging'*.  Dass  unter  der  Gesandtschaft  der 
Römer,    von    der  die  Istorie  Pistolesi  noch  dazu  angeben,    es  seien 


'  ed.  DöLLiNGER  352  f.,  ed.  Himmelstern  35  f. 

-  ed.  BisciONi  425. 

3  Der  Curtisane,  Mon.  Germ.  SS.  XXVin,  625  ZI.  26;  Jakob  Stefa- 
neschi, MuRATORi  III,  659  C  (Vers  165  f.);  Gottfried  von  Paris,  Rec.  des  bist. 
XXII,  109  E—G  (Vers  2136—2147);  Walther  von  Guisborough,  Mon.  Germ. 
SS.  XXVIir,  645  ZI.  24. 

'  So  Walther  von  Guisborough  a.  a.  0.  645  ZI.  23;  die  Annalen  von 
Osterhofen,  Mon.  Germ.  SS.  XVII,  553  ZI.  35;  Mart.  Pol.  cont.  Brab., 
ibid.  XXIV,  261  ZI.  48.  (Die  Ansicht,  dass  die  Anagnioten  den  Papst  nach 
Rom  geführt  hätten,  ist  irrig.)  Wäre  die  Initiative  von  den  Orsini  ausgegangen, 
80  wäre  wohl  anzunehmen,  dass  sie  von  vorneherein  die  Absicht  hatten,  den 
Papst  in  ihre  Gewalt  zu  bekommen;  dann  aber  hätten  sie  ilm  nicht  erst  im 
Lateran  Wolmung  nehmen  hissen,  sondern  gleich  in  den   Vatikan  gebracht. 


Ueber  die  letzten  Tage  uiul  eleu  Tod  Bonifaz'  VUI.  229 

adelige  Leute  bei  ihr  gewesen,  nur  die  Orsini  und  ihr  Anl)ang 
verstanden  werden  können,  ist  cigentlicli  selhstvcrstündlich;  eine 
anonyme  Chronik^  meldet,  ein  „grosser  Mann  aus  Rom"  sei  zur 
Hülfe  des  Papstes  mit  400  Rowaftneten  in  Anagni  cingetrofien,  die 
Paduanische  Fortsetzung  des  Tulomeo  von  Lulca''  sagt  ausdrücklich, 
der  Papst  sei  unter  dem  Schutz  einiger  Kardinäle  und  besonders 
des  Matthaeus  Rubens  Orsini  nach  Rom  gebracht  worden,  und 
auch  Johann  von  ViktkinOx^  nennt  „den  mächtigsten  der  Römer,  den 
Herrn  Orsini",  der  Bonifaz  nach  der  Stadt  gebracht  habe.  Die  An- 
gabe Ferreto's^,  wonach  Matthaeus  und  Jacobus  Orsini  mit  vielen 
anderen  dem  Papst  nur  entgegengezogen  seien  und  ihn  vor  den 
Thoren  Roms  empfangen  haben,  ist  unrichtig-,  dass  die  Römer  aber 
dem  Papst  einen  festlichen  Empfang  bereiteten,  ist  auch  ander- 
weitig bezeugt"',  und  hieraus  der  Irrtum  des  Ferrkto  zu  verstehen. 
Grosse  Schwierigkeit  bereitet  die  Frage  nach  der  Datierung 
der  Reise.  Zwar  meldet  der  Curtisane"  ausdrücklich,  Freitag 
den  13.  September  morgens  sei  der  Papst  in  Anagni  aufgebrochen 
und  „continuatis  dietis  suis"  den  folgenden  Mittwoch  in  Rom  ein- 
getroffen; aber  es  ist  bei  der  geringen  Entfernung  zwischen  Anagni 
und  Rom  (60  km)  doch  sehr  unwahrscheinlich,  dass  er  6  Tage  ge- 
braucht habe,  auch  wenn  er  auf  der  Reise  von  den  Colonna  be- 
lästigt wurde".  Glaubhafter  klingt  dagegen,  was  Ferreto*^  berichtet, 
der  Papst  sei  am  8.  Tage  nach  seiner  Befreiung  aus  Anagni  ab- 
gereist und  habe  den  Weg  nach  Rom  zu  Wagen  in  drei  Tagen 
zurückgelegt.  Wenn  wir  dieser  Angabe  folgen,  so  haben  wir  für 
Scharmützel  auf  dem  Weg  reichliche  Zeit  und  können  die  eine  der 
Angaben  des  Curtisanen  beibehalten:  am  16.  September  (Montag) 
verliess  danach  der  Papst  Anagni,  am  folgenden  ]\Iitt\voch  kam  er 
nach  Rom.     Andere  Angaben'*  kommen  nicht  in  Betracht. 


1  Rec.  des  bist.  XXI,  149  A.  -  Muratori  XI,  1223  D. 

3  BöHJffiR,  Fontes  I,  347.  ••  Miratori  IX,  1005  B. 

'•"  Istorie  Pistolesi  a.  a.  0.  425  (unten)-,  Jakob  Stefankschi  a.  a.  O.  659 (' 
{Vers  168). 

8  A.  a.  0.  625  ZI.  25—27. 

^  Knöpfler  (Hist.-polit.  Blätter  CII,  10  Anm.  1)  meint,  der  Papst  habe 
■der  Colonna  \ve\feu  walirscliciiilich  in  Praeneste  und  Tusouluni  l8n<,'eren  Halt 
macben  müssen;  aber  Bonifaz  kann  bücbstens  nacb  einer  dieser  Städte  >fe- 
kommen  sein,  wenn  er  nämlich  v<in  der  alten  Via  Labicana  entweder  bei  Val- 
monte  nach  Palestrina  ausbog  oder  auf  die  alte  über  Frascati  fiihrende  Via 
Latina  überging.  Der  Ausdruck  „continuatis  dietis  suis"  spricht  jedenfalls  über- 
haupt nicht  für  einen  lungeren  Aufenthalt. 

»  Ml-RATORI   IX,    1005  A. 

"  Nach  derVienner  Relation  (Rev.  des  (piest.  hist.  43,  560  Anm.)  traf 


230  Exkurs  II. 

Der  Curtisane^  schreibt,  Bonifaz  liabe  nach  seiner  Ankunft  in 
Rom  im  Lateran  übernachtet,  sei  dann  hier  zwei  Tage  geblieben 
und  hierauf  am  dritten  Tag  (dem  21.  September)  nach  St.  Peter, 
d.  h.  dem  Vatikan,  übergesiedelt.  Die  meisten  Quellen^  reden 
nur  davon,  dass  der  Papst  in  Rom  seine  Wohnung  bei  St.  Peter 
bezogen  habe;  aber  die  Nachricht  des  Curtisanen  wird  durch  Jakob 
Stefaneschi  ^  und  die  Paduaner  Fortsetzung  des  Tolomeo  von 
LuccA*  bestätigt.  Und  ein  besonderes  Interesse  gewinnt  dieser 
Wohnungswechsel,  wenn  wir  ihn  in  Verbindung  mit  dem  setzen,  was 
uns  Fekketo  in  seiner  eingehenden  Schilderung  vom  Lebens- 
ende Bonifaz'  VIII.  erzählt.  Hier  lesen  wir'':  Schon  bei  dem 
festlichen  Empfang  in  Rom  habe  der  Papst  während  einer  Rede  den 
Matthaeus  Orsini  „acie  torva"  angesehen;  dieser,  ein  „vir  versutus 
et  prudens"",  habe  für  die  Orsini  gefürchtet  und  den  Papst,  der 
seine  Wohnung  zunächst  bei  der  Kirche  „Santi  Apostoli"  genommen 
habe,  bewachen  und  beobachten  lassen.  Nach  drei  Tagen  habe 
dann  Bonifaz  nach  dem  Lateran  übersiedeln  wollen,  angeblich  wegen 
der  brennenden  Sonne,  in  Wahrheit,  um  aus  der  Gewalt  der  Orsini 
zu  kommen,  die  gleichfalls  in  der  Nähe  der  Apostelkirche  wohnten; 
Matthaeus  und  Xapoleon  Orsini  hätten  ihm  sein  Vorhaben  aber  ver- 
wiesen und  seine  Wohnung  bewachen  lassen.  Als  am  nächsten  Tag 
Bonifaz  den  Umzug  doch  vollziehen  wollte,  seien  Jacobus  und  Xa- 
poleon Orsini  auf  Anstiften  des  Matthaeus  mit  vielen  Truppen  in 
den  Palast  gedrungen  und  haben  dem  Papst  die  Ausführung  seines 
Vorhabens  untersagt,  indem  sie  vorgaben,  die  Franzosen  seien  heim- 
lich vor  die  Stadt  gerückt,  um  ihn  zu  töten;  Bonifaz  habe  dies  nicht 
glauben  wollen,  aber  die  Orsini  wären  nun  doch  auf  ihrer  Forderung 

der  Papst  am  12.  Sept.  in  Rom  ein,  nach  dem  Port  setze  r  des  Gervasius 
VON  Canterbury  (Mon.  Germ.  SS.  XXVII,  314  ZI.  42)  kam  er  am  20.  Sep- 
tember nach  St.  Peter  (woraus  man  aber  nicht  schliessen  darf,  dass  der  Umzug 
vom  Lateran  in  den  Vatikau  an  diesem  Tage  stattfand). 

'  A.  a.  0.  625  ZI.  28  f. 

-  So  die  Chronik  von  Orvieto,  ed.  Döllinger  353,  ed.  Himmelstern 
36;  Istorie  Pistolesi  a.  a.  0.  425  (unten);  Villani,  ed.  Dragomanni  II,  80;  Gervas. 
Cant.  cont.  a.  a.  0.  314  ZI.  42;  Mat.  Par.  cont.,  ed.  Riley  (als  Chronik  Ris- 
hanger's)  221;  Mart.  Pol.  Cont.  Brab.  a.  a.  0.  261  ZI.  48  —  262  ZI.  1.  Nico- 
laus Trfvetus,   ed.  Hog  399,   neuut  die  Engelsburg  als  Wohnung  des  Papstes. 

3  A.  a.  0.  660  A  (Vers  170  f.). 

*  A.  a.  0.  1223D. 

"  A.  a.  0.  1005 C  — 1007 C. 

**  Vrgl.  über  ihn  auch  das  Beilage  III  §  5  gesagte;  wenn  er  aus  selbst- 
süchtigen Motiven  Bonifaz  beherrschen  wollte,  so  brauchte  er  deshalb  natürlich 
noch  lange  kein  Parteigänger  der  Franzosen  zu  sein. 


Ucbor  die  letzten  Ta^e  und  den  Tod  Jiouilaz'   \'Iir.  231 

beliarrt,  ja  Jacobus  habe  ihm  die  Worte  entgegt'ngc'schh.'U(lert: 
„Captivum  profecto  te  scias,  ut  fiimuleris  nunc,  (^ui  toties  imperasti; 
et  nou  tuo  sed  prorsus  nostro  parebis  arbitrio."  So  habe  man  auch 
ferner  den  Pahist  bewacht,  bis  Bonifaz  in  Vcrzweilhmg  liieriiber  sich 
selbst  das  Leben  genonnuen  habe. 

Hierzu  ist  zunächst  zu  bemerken,  dass  mit  „Santi  Apostoli" 
nicht  die  im  Zentrum  der  Stadt,  beim  si)äteren  Palast  der  Colonna 
gelegene  Kirche  gemeint  ist,  sondern  der  Vatikan  (St.  Peter),  da 
es  später  heisst,  Bonifaz  habe  von  hier  „trans  Tyberim"  nach  dem 
Lateran  umsiedeln  wollend  Dass  im  übrigen  die  Einzelheiten  der 
dramatischen  Schilderungen  Fekketo's  nicht  immer  zutreffen,  haben 
auch  wir  schon  bemerken  müssen.  Etwas  anderes  ist  es  aber,  ob 
der  Kern  seiner  ganzen  Erzählung,  dass  nämlich  Bonifaz  voll- 
kommen in  die  Hände  der  Orsini  gekommen  sei,  gleichfalls  zu 
verwerfen  ist.  Und  dies  scheint  keineswegs  geschehen  zu  dürfen. 
Wir  linden  bei  Fehreto  oft,  dass  der  phantasiereiche  Autor  ^  einzelne 
gute  Xachrichten  hatte,  diese  zu  einer  lebendigen  Schilderung  um- 
arbeitete und  dabei  dann  wohl  die  Einzelheiten  verrückte.  So  wusste 
er  von  dem  festlichen  Empfang  des  Papstes  in  Kom;  aber  in  seiner 
farbigen  Darstellung  passierte  es  ihm,  dass  er  auch  die  Häupter  der 
Orsini  erst  hier  mit  Bonifaz  zusammentreffen  liess.  Seine  chrono- 
logischen Angaben  haben,  wie  wir  sahen,  eine  grosse  AV^ihrschein- 
lichkeit  für  sich.  Auch  von  einem  Umzug  des  Papstes  nach  drei 
Tagen  und  in  Verbindung  damit  vom  Lateran  und  vom  Vatikan 
hatte  er  etwas  gehört,  nur  machte  er  wieder  ganz  falsche  Kom- 
binationen, indem  er  nämlich  die  beiden  Paläste  verwechselte  und 
aus  dem  erzwungenen  einen  verhinderten  Wohnungswechsel  machte. 
Aehnlich  dürfte  es  auch  mit  zwei  anderen  Dingen  stehen,  nämlich 
mit  dem,  was  er  von  der  Politik  der  Orsini  und  im  Zusammenhang 
damit  von  der  Bedeutung  der  Lage,  welche  die  Paläste  des  Papstes 
und  der  Orsini  zu  einander  hatten,  berichtet.  Der  Kern  seiner 
Darstellung  gewinnt  nämlich  bereits  an  innerer  Wahrscheinlichkeit 
dadurch,  dass  auch  der  Kardinal  Napoleon  Orsini  unter  den  her- 
vorragendsten Gegnern  des  Bonifaz  genannt  wird;  wir  wissen,  dass 
sich  Napoleon  schon  vor  dem  Ueberfall  von  Anagni  mit  der  Gegen- 
partei eingelassen  hat.  Sodann  bestätigen  die  Annaleu  von  Parma 
uns  direkt,  dass  der  Papst   in  Rom    nicht   sein   eigener  Herr  war; 


'  A.  a.  0.  1005 D—E. 

*  Vrgl.  seine  Cliarakteristik  bei  L.\UE:  „Ferreto  von  Viceuza"  (Halle  1884), 
S.  8—11,   19. 


232  Exkurs  II. 

sie  schreiben',  er  sei  zwar  aiil'  der  Reise  den  Xaclistellungen  der 
Colonna  entkommen,  habe  aber  dann  doch  keine  Macht  mehr  ge- 
habt, sich  frei  zu  bewegen.  Die  Uebersiedehing  des  Papstes  vom 
Lateran  nach  dem  Vatikan  spricht  ein  deuthches  Wort;  denn  wäh- 
rend sich  der  Lateran  fern  von  den  Burgen  der  Orsini  befindet, 
liegt  der  Vatikan  inmitten  ihrer  Besitzungen^.  Auch  hier  lag  also 
der  Mitteilung  des  Fkkkkto  ein  riclitiger  Gedanken  zu  Grunde,  der 
uns  nur  in  einer  freihch  stark  entstellten  Form  entgegentritt.  Dass 
Bonifaz  im  Vatikan  thatsächlich  jeder  Freiheit  beraubt  war,  zeigt 
sich  auch  darin,  dass  er  in  den  noch  folgenden  drei  Wochen  seines 
Pontifikats  keinen  Erlass,  kein  Schreiben  mehr  ausgehen  liess.  Dass 
die  Orsini  den  Papst  unter  dem  Schein  des  Schutzes  gefangen 
hielten,  ist  selbstverständlich  und  wird  ja  auch  von  Ferreto  gesagt-, 
so  konnte  denn  auch  der  Curtisane  schreiben^:  „T^rsini  tenent  cum 
papa  totaliter."  Was  Ferreto  von  den  französischen  Truppen 
berichtet,  wird  mit  Recht  von  ihm  selbst  nur  als  ein  eitler  Vorwand 
der  Orsini  dargestellt;  Nogaret  sagt  ausdrücklich*,  dass  er  sich  erst 
nach  dem  Tode  des  Bonifaz  Rom  näherte. 

Lieber  die  Gründe,  die  die  Orsini  zu  ihrem  Vorgehen  ver- 
anlassten, sei  auf  die  Darstellung  verwiesen.  Im  Einzelnen  ist  hier 
folgendes  zu  bemerken.  Von  dem  Konzil,  das  Bonifaz  in  Rom 
abzuhalten  gedachte,  spricht  Villani^  in  der  angegebenen  Weise. 
Ueber  Karl  von  Neapel  und  Friedrich  von  Sizilien  berichtet 
wieder  Ferreto  •5.  Schon  am  14.  Juni  1303  hatte  Wilhelm  von 
Plasian  dem  Papst  vorgeworfen,  dass  er  mit  Friedrich  gegen  Karl 
verhandle^;  was  damals  nur  Gerüchte  waren,  betrieb  Bonifaz  jetzt 
ernsthch.  Betreffs  der  Ankunft  des  Peter  von  Peredo  in  Rom 
ist  auf  seine  Denkschrift*^  zu  verweisen,  die  derselbe  aber  nach  der 
Wahl  Benedikts  XI.  den  Umständen  entsprechend  abgeändert  hat. 

Fast  alle  Quellen  nennen  als  Ursache  des  Todes  des  Papstes 
Traurigkeit,  Verzweiflung,  Wahnsinn  und  ähnliches;  nur  verhältnis- 
mässig wenige  reden  auch  von  körperlichen  Leiden. 

'  Mon.  Germ.  SS.  XVIII,   729    ZI.  20  f.:  „tarnen  dictum   fuit,    quod  licet 
evaderet  de  persona,  non  habebat  bayliam  aliquam  eundi  sicut  volebat." 
-  Gregorovius,  Gesch.  RomsV,  639.  »  A.  a.  0.  625  ZI.  33. 

*  Dupuv,  Diff.  pr.  249  (nr.  LVIII).     *  A.  a.  0. 80.  Chr.  v.  Siena  (S.  233  Anra.  1). 
"  A.  a.  0.  1010  B — C.     Die  Behauptung,   Karl  sei  von  Bonifaz  nach  Rom 

zitiert  worden,    ist  wohl  nur  eine  Ausmalung   des  Ferreto.     Drumann  (II,  139 
u.  142)  meint,    die  Orsini   hätten   die  Zitation    unterschlagen,    aber   auch    dann 
wäre  Karl  ja  nicht  „auf  Bonifaz'  Ruf"   gekommen. 
'  DrPDV,  Diff.  pr.  104  f.  (nr.  XXII). 

*  Arch.  nat.  J  490  nr.  757;  Dcpuv,  Diff.  pr.  210—214. 


Ueber  die  letzten  Ta-re  uiul  (l(>ii  Tod  Bonifa/.'  VIII.  233 

Was  zunächst  die  zahlreichen  Angahen  über  den  seelischen 
Zustand  des  Papstes  angeht,  so  ist  auch  hier  wieder  deutlich  zu 
erkennen,  wie  gar  bald  Uebertreibungen  und  Fabeleien,  die  ans  Un- 
glaubliche reichen,  entstanden.  In  den  ältesten  und  besten  (Quellen' 
wird  auf  zweierlei  hingewiesen,  nämlich  darauf,  dass  Konifaz  nieder- 
geschlagenen Mutes  und  voll  Seelenschnierz  gewesen  sei,  und  darauf, 
dass  er  wegen  des  erlittenen  Ungemachs  ergrimmt  und  auf  seine 
Feinde  zornig  gewesen  *sei.  Man  kann  hieraus  wohl  entnehmen,  dass 
er  sich  rächen  wollte,  dazu  aber  die  Macht  nicht  hatte,  und  dass 
dies  Gefühl  seiner  Ohnmacht  —  begreiflich  genug  bei  einem  Manne 
wie  Bonifaz!  —  eine  schwere  seelische  Erregung  zur  Folge  hatte. 
Einige  Quellen  gehen  dann  in  ihren  Schilderungen  erheblich  weiter. 
So  schon  Paulinus  von  Venedig  in  der  ambrosianischen  Fortsetzung 
des  TolomeovonLucca^,  wo  dem  Papst  bestimmte  Wahnvorstellungen 
zugeschrieben  werden.  Später  hören  wir  dann  direkt  von  Raserei 
und  Wahnsinn,  w^orein  er  verfallen  sei^.     Fehheto*  schliesst   seine 


*  Der  Curtisane  a.  a.  O.  625  ZI.  29 — 31  („modo  stat  valde  tristis,  eo  quod, 
ut  videtur,  non  potest  se  ipsum  salvare  in  alico  loco  nisi  in  urbe  Roniaua; 
tot  euira  habet  inimicos,  quod  vix  iuveuietur  aliqua  civitas  in  tota  Tussia  vel 
Campania,  que  possit  ipsuni  defendere  contra  Columpuenses");  Chronik  von  Or- 
vieto  a.  a.  O.  („ex  tristitia  et  senectute,  infirmitate  gravatus");  Istorie  Pistolesi 
a.  a.  0.  426;  Pipin,  Muratori  IX,  744  D—E;  Annalen  von  Parma  a.  a.  0.  729 
ZI.  22;  Annalen  von  Florenz,  Böhmer,  Fontes  IV,  674.  Aehnlich  schreiben  die 
Chronik  von  Siena,  Muratori  XV,  44  E;  Villani  a.  a.  0.  80;  Bkrnhardls  Gii- 
DONis,  Itec.  des  bist.  XXI,  714  C;  der  Fortsetzer  des  Wilhelm  von  Nangls,  ed. 
Gerald  I,  338;  Johann  von  Noyal,  Rec.  des  bist.  XXI,  195G;  die  Handrische 
Chronik,  ibid.  XXII,  374  H  (ed.  Kervyn  de  Lettenhove  226);  Johann  von  Vik- 
TRiNG  a.  a.  0.  347;  eine  brabanzolische  (a.  a,  0.  262  ZI.  1)  und  eine  englische 
Fortsetzung  des  Martin  von  Troppaü  (Mon.  Germ.  SS.  XXIV,  256  ZI.  14 f.);  die 
Fortsetzung  der  „Flores  historiarum",  a.  a.  0.  500  ZI.  30  f.  (ed.  Liard  III, 
313  f.);  Walther  von  Güisborough  a.  a.  O.  645  ZI.  25;  Mat.  Par.  cont.  a.  a.  ü. 
221 ;  Thorne.  ed.  Twysden  2003  ZI.  44. 

2  Muratori  XI,  1203E  — 1204A:  „extra  mentem  cordis  positus,  et  ab  omni 
superveniente  putabat  capi  et  ideo  in  eorum  oculos  et  facies  videro  cupiebat"; 
hieraus  macht  Martinus  Fuldensis  (Eccard,  Corpus  I,  1720):  „extra  mentem 
cordis  positus,  factus  rabidus  et  furibundus,  ita  quod  ab  omni  superveniente  se 
putabat  capi  et  ideo  in  eorum  oculos  et  facies  inicero  sputa  cupiebat."  Von 
einer  gewissen  Furcht,  die  der  Papst  gehabt  habe,  sprechen  auch  Johann  von 
St.Victor,  Rec.  des  hist.  XXI,  641 E,  und  Nicolals  Trivetls,  ed.  Hoo  399. 

•'  Annalen  von  Este,  Muratori  XV,  350 C—D  („obiit  non  bono  modo,  sed 
rabiosus  et  desperatus  de  deo"):  Gottfried  von  Paris  (a.  a.  0.  109  J,  Vors  2156) 
und  ein  Anonymus  aus  Caen  (Rec.  des  hist.  XXII,  25 C)  gerüchtweise;  die  Heiis- 
bronner  Annalen,  Mon.  Germ.  SS.  XXIV,  47  ZI.  1;  Hocsem,  bei  Chapeaville  II, 
343.    Nogaret  redet  nur  von  „iusaniens",  d.  li.  wütnid:  vrgl.  unten. 

'  A.  a.  O.  1007  D  — 1008  C. 


234  Exkurs  II. 

tlnimatisclie  Sclnlderung  mit  einem  nicht  weniger  dramatischen 
iSchluss:  Bonifaz  hahe  nichts  mehr  gegessen  und  nicht  mehr  ge- 
schlafen, hahe  sich  schliesslich  allein  in  sein  Zimmer  eingeschlossen, 
sei  liier  an  Gott  verzweifelnd  umhergetobt,  habe  sich  den  Kopf  an 
der  AVand  blutig  gestossen  und  sich  endlich,  weil  er  keinen  Strick 
hatte,  in  seinem  Bett  zwischen  der  Streu  und  den  Kissen,  das  Ge- 
sicht nach  oben,  erstickt.  Weiter  verbreitete  sich  die  Erzählung 
von  einer  Selbstzertleischung  des  Papstes.  Sie  tritt  zuerst  als  Ge- 
rücht bei  PiPiN^  und  Gottfried  von  Pakis^  auf  und  wird  ohne 
Vorbehalt  von  Villani^  und  der  Chronik  von  St.  Denis*  berichtet; 
der  Papst  habe  sich  wie  ein  Rasender  selbst  zernagt  °.  Auch  in 
Deutschland  finden  wir  dieselbe  Geschichte  '^,  besonders  detailliert 
wieder  bei  Heinrich  von  Herford^:  alles,  was  er  mit  den  Zähnen 
überhaupt  packen  konnte,  habe  der  bald  von  Frost  und  bald  von 
Fieber  geschüttelte  Bonifaz  schliesslich  aufgeknappert. 

Davon,  dass  der  Papst  in  wirklicher  Geistesumnachtung  ge- 
storben sei,  kann  nach  dem,  was  die  besseren  Quellen  wissen,  keine 
Rede  sein.  Um  so  eher  werden  wir  auch  danach  fragen,  was  uns 
von  körperlichen  Leiden  berichtet  wird.  Der  Fortsetzer  des 
Wilhelm  von  Nangis^  giebt  als  Todesursache  neben  dem  grossen 
Seelenschmerz  ausdrücklich  auch  eine  „corporis  aegritudo"  an,  und 
von  anderer  Seite  erhalten  wir  genauere  Angaben.  Der  Fortsetzer 
des  Gervasiüs  von  Canterbury^    spricht   von   einem   alten   Stein- 

*  A.  a.  0.  741 B — C.     Bonifaz  habe  seine  Arme  zernagt. 

^  A.  a.  0.  109J  (Vers  2158).     Er  habe  seine  Hände  verschlungen. 
^  A.  a.  0.  80  (unten):  „che  tutto  si  rodea  come  rabbioso." 

*  Reo.  des  hist.  XX,  675  B  (Dupuy,  Diff.  pr.  191);  dies  schrieb  wieder 
Nikolaus  Gilles  ab  („Annales",  1.549,  Bd.  I,  feuil.  CXXI,  S.  2;  Duptjy,  Dift". 
pr.  199). 

''  Eine  andere  Version  tritt  uns  bei  Dupuy,  Dift".  pr.  5  f.  in  einem  angeb- 
lich aus  Rom  geschriebenen,  aber  thatsächlich  in  Paris  verfertigten  Brief  (über 
den  Ren'äx  in  der  Hist.  litteraire  XXVII,  377  handelt)  entgegen;  danach  hätte 
der  Papst  beinahe  ein  Kind  Jakob's  von  Pisa  aufgegessen:  „hätte  mau  es  nicht 
schnell  weggebracht,  so  hätte  er  ihm  die  Nase  mit  den  Zähnen  ausgerissen!" 

^  So  bei  Johann  von  Winterthur  (ed.  Wyss  49),  nach  dem  die  Colouua 
den  Papst  in  einen  Turm  sperrten,  wo  er  aus  Hunger  seine  eigenen  Hände  ver- 
schlingen musste.  Aehnlich  auch  Twinger  von  Königshofen,  ed.  Hegel  579. 
Wie  Gregoroviüs  a.  a.  0.  580  Anm.  2  zu  dem  Satze  kommt:  „Die  deutschen 
Chronisten  schweigen  vom  Wahnsinn",  bleibt  unklar. 

^  ed.  PoTTHAST  220  f.  Von  ihm  schrieb  Hermann  Korner  (Eccard,  Corpus 
II,  962  f.;  ed.  Schwalm  211)  ab. 

8  A.  a.  0.  338. 

"  A.  a.  O.  314  ZI.  43:  „incepit  graviter  affligi  solita  infirmitate,  videlicet 
culculi  iiassione." 


Ueber  die  letzten  Tage  imd  den  Tod  Jidiiilaz'   \'1II.  235 

leiden,  zwei  weitere  Quellen^  saften,  der  Papst  lialie  an  Dinchl'all 
gelitten,  und  wieder  andere-  reden  von  Atemnot.  Darf  man  hieraus 
einen  Schluss  ziehen,  so  wird  man  anzuneiinu-n  luiben,  dass  Nieren- 
steine die  Ursache  einer  schweren  Xierenerkrankung  wurden''. 

Der  Kardinal  Jakob  Stefaxkscjii  schildert  in  seinem  lionifaz 
verherrlichenden  Gedicht  dessen  Tod  folgendermassen  ^: 

„Pauco  nam  tempore  fluxo 
Decursoque  die  lecto  prostratus  anhelus 
Procubnit,  fassiisque  fidem  veranique  professus 
Romanae  ecclesiae  Christo  tuuc  redditur  ahnus 
Spiritus  et  saevi  iam  nescit  iiidicis  irani, 
Sed  mitem  placidamque  patris,  ceu  credere  fas  est." 

Ganz  anders  ist  die  Schilderung,  die  Gegner  des  Papstes  von 
dessen  Ende  machten.  Sie  warfen  ihm  vor^,  er  habe  die  Sterbe- 
sakramente nicht  nur  nicht  begehrt,  sondern  sogar,  als  man  sie 
ihm  darreichte,  verschmäht,  Gott  und  die  Jungfrau  Maria  gelästert; 
und  Xogaret  erzählt*',  er  sei  als  verstockter  Sünder  wütend  und 
Gott  schmähend  gestorben.  Diesen  Ausfällen  werden  wir  keinen 
Glauben  schenken  dürfen.  Auch  nach  den  Annalen  von  Oster- 
hofen"  hat  Bonifaz  die  Kirchensakramente  empfangen.    Allzu  fried- 


^  Mart.  Pol.  cont.  Aagl.  a.  a.  0.  256  ZI.  15;  Chronik  von  St.  Denis 
a.  a.  0.  675A. 

-  Jakob  Stefaxeschi  („anhelus",  vrgl.  die  folgende  Anni.):  Berxhardus 
GuiDONis  a.  a.  0.  714  C;  .Tohanx  vox  St. Viktor  a.  a.  0.  641 E;  die  Flores  histo- 
riarum  a.  a.  0.  500  ZI.  31. 

^  AuchPieber,  von  dem  uns  gleichfalls  berichtet  wird  (Anonyme  Chronik, 
Reo.  des  hist.  XXI,  149  A;  Hedcrich  vox  Herford,  vrgl.  oben),  ja  sogar  die  schon 
einmal  erwähnten  Angstgefühle,  die  der  Papst  gehabt  haben  soll,  Hessen  sich  hier- 
aus erklären.  —  Selbstverständlich  giebt  es  auch  Quellen,  die  von  einer  "Ver- 
giftung reden.  So  die  niederrheiuische  Kaiserchronik,  od.  "Weh.axh  881;  der 
Monachus  Fuerstenfeldensis  bei  Böhmer,  Fontes  I,  21;  die  Fortsetzung  des  Her- 
mann vox  Altaich,  Mon.  Germ.  SS.  XXIV,  57  ZI.  48;  Nikolal-.s  Vischel  in  der 
Heiligenkreuzer  Fortsetzung  der  österreichischen  Annalen,  ibid.  IX,  733  ZI.  ö  f. 
Auf  derartige  Nachrichten,  die  sich  noch  dazu  meines  Wissens  nur  in  Deutsch- 
land finden,  ist  natürlich  gar  nichts  zu  geben.  Ebenso  ist  es  falsch,  wenn  in 
einigen  Quellen  (Dixo  Compagni,  ed.  Del  Llxgo  III,  181  ZI.  35  f.;  Chronik  von 
Flandern  a.a.O.  374H)  von  Verwundungen  geredet  wird,  <la  Bonifaz  weder 
in  Anagni  noch  in  Rom  solche  erhielt. 

*  A.  a.  0.  660A  (Vers  175—180). 

^  Beilage  I,  Eiuleitg.  LVII;  DiPi  v,  i'ili.  i'r.  .Jtil   (,nr.  XCIV). 

«  Dlply,  DitV.  pr.  249  (nr.  LVII),  307  (nr.  VII),  446;  „iusaniens"  bedeutet 
nicht  verrückt,  da  die  Vorwürfe,  die  Nogaret  gegen  Bonifaz  erhebt,  sonst  ohne 
Bedeutung  wären. 

'  Mon.  üerm.  SS.  XVII,  553  ZI.  36. 


236  Exkurs  II. 

lieh  wird  aber  sein  Ende  kaum  gewesen  sein,  als  ihm  in  Verzweif- 
lung über  seine  Ohnmacht  das  Herz  brach. 

Potthast  ^  meint  fälschlich,  die  Lübecker  Annalen  Hessen  den 
Papst  in  Perugia  sterben;  in  Wahrheit  berichten  dieselben^  dies 
von  Benedikt  XI. 

Als  Datum  des  Todes  gab  man  bisher  den  11.  Oktober  an. 
Diesen  Tag  nennen  die  Chronik  von  Orvieto^  und  Beknhahdus 
GuiDONis*.  Aber  mehr  Quellen,  und  darunter  gleichfalls  gute, 
nennen  den  12.  Oktober,  so  vor  allem  der  Fortsetzer  des  Gervasiüs 
VON  Canterbury^,  ferner  die  englische  Fortsetzung  des  Martin  von 
Troppau*^,  Johann  Hocse.m",  Villani^  und  andere  ^  Da  nun 
Bonifciz  bereits  am  Tag  nach  seinem  Tod  begraben  ward^",  der- 
artige Feierlichkeiten  aber,  wenn  irgend  angängig,  auf  einen  Sonntag 
(oder  einen  hohen  Festtag)  verlegt  wurden,  und  der  13.  Oktober 
1303  ein  Sonntag  war,  wird  man  den  Quellen  folgen,  welche  den 
Tod  auf  den  12.  Oktober  ansetzen.  Andere  Angaben  sind  nicht 
von  Belang". 


»  Regest,  pont.  II,  2023. 

2  Mon.  Germ.  SS.  XVI,  418  ZI.  37. 

3  A.  a.  0. 

*  A.  a.  0.  714  B — C.  Hier  scheint  das  Datum  aber  berechnet  zu  sein ; 
Berxhardus  schreibt :  „Bonifaz  starb  am  35.  Tag  nach  seiner  Gefangennahme, 
am  11.  Oktober";  als  35.  Tag  nach  der  Gefangennahme  kann  jedoch  ausser  dem 
11.  auch  der  12.  Oktober  gelten.  Paulinus  von  Venedig  übernahm  aus  Bern- 
HARDUS  in  die  ambrosianische  Fortsetzung  des  Tolomeo  von  Lucca  (a.  a.  0. 
1203  E)  nur  den  „35.  Tag  nach  der  Gefangennahme",  dagegen  wurde  auch  das 
genaue  Datum  vielfach  abgeschrieben,  so  von  PiPix  (a.  a.  0.  741  A — B),  Amal- 
Ricus  AuGERius  (MuRATORi  III 2,  440  C) ,  dem  Magn.  Chronic.  Belg.  (Dcpüy, 
Diff.  pr.  193)  und  zahlreichen  anderen. 

5  A.  a.  0.  314  ZI.  44. 

«  A.  a.  0.  256  ZI.  17. 

'  A.  a.  0.  343. 

«  A.  a.  O.  81. 

®  Der  angebliche  Brief  bei  Düpuy,  Diff.  pr.  6;  eine  Handschrift  der  „Flores 
historiarum",  Mon.  Germ.  SS.  XXVIII,  .500  ZI.  39;  Thorne  a.  a.  O.  2003  ZI.  44  f. 

'"  Bernhardüs  GuroONis  a.  a.  0.  714  C;  die  Flores  historiarum  a.  a.  0.  500 
ZI.  27  f.  (ed.  LuARD  III,  117). 

"  Die  Annaleu  vou  La  Cava  (Mon.  Germ.  SS.  III,  196  ZI.  38)  nennen  den 
29.  September,  Andreas  Dei  (Chronik  von  Siena,  a.  a.  0.  44  E)  und  die  Flores 
historiarum  (a.  a.  O.;  die  Zahl  steht  hier  auf  Rasur)  den  8.  Oktober,  Ferreto 
(a.  a.  0.  1009  B)  den  10.  Oktober,  Walther  von  Güisborough  (a.  a.  0.  645 
ZI.  25)  den  13.,  die  Annalen  von  Osterhofen  (a.  a.  O.  553  Zh  36)  den  15.,  der 
Fortsetzer  des  Hermann  von  Altaich  (a.  a.  0.  57  ZI.  48)  etwa  den  21.  Oktober, 
die  Annalen  von  Siena  (Mon.  Germ.  SS.  XIX,  231  ZI.  47)  und  Johann  von 
St.  Viktor  (a.  a.  O.  641  F)  den  5.  November. 


TJeber  die  letzten  Tage  und  den  Tod  JJunifaz'  Vlll.  237 

Dass  die  Beisetzung  in  St.  Peter  stattfand,  wird  von  vielen 
Quellen  ausdrücklich  bezeugte  Der  Orvietaner  weist  dabei  darauf 
hin,  wie  Bonifaz  immer  für  diese  Kirche  gesorgt  habe,  indem  er 
24  Kleriker  dort  mit  dem  Gesang  beauftragte,  die  Zahl  der  Kano- 
niker vermehrte,  eine  Kapelle,  in  welcher  durch  drei  Priester  be- 
ständig Messe  gelesen  wurde,  in  ihr  erbaute,  und  überhau[)t  der 
Kirche  viele  Geschenke  und  Privilegien  verschaffte;  namentlich  wird 
ein  Kelch  aus  lauterem  Gold  im  Wert  von  3000  Florenen  erwähnt. 
Die  genannte  Kapelle  hatte  er  selbst  zu  seiner  Grabkapelle  bestimmt, 
und  er  wurde  nun  auch  hier  bestattete  Die  Gegner  des  Papstes 
warfen  ihm  vor,  er  habe  sie  an  der  Stelle  des  Grabes  des  heiligen 
Bonifazius  (womit  Papst  Bonifaz  I.  gemeint  ist)  errichtet  und 
dessen  Gebeine  deshalb  nach  einem  anderen  Ort  schaffen  lassen^, 
ein  nicht  weiter  kontrollierbarer  Vorwurf.  Die  Istorie  Pisto- 
lesi  schreiben*,  Bonifaz  sei,  wie  es  ihm  zukam,  mit  grossen 
Ehren  bestattet  worden.  Dies  scheint  aber  eine  der  belanglosen 
Phrasen  zu  sein,  die  sich  in  dieser  Quelle  auch  sonst  finden,  ohne 
dass  der  Verfasser  hierüber  eine  wirkliche  Nachricht  gehabt  hätte. 
In  der  paduanischen  Fortsetzung  des  Tolomeo  von  Lucca  lesen 
wir  vielmehr^,  die  Leiche  sei  wegen  eines  starken  Sturmes  mit 
weniger  Achtung  begraben  worden  als  sie  der  päpstlichen  Würde 
angemessen  sei. 

Schon   Xogaret    erwähnt    in    seiner   Schutzschrift   vom  7.  Sep- 


*  Chronik  von  Orvieto  a.  a.  0.;  Istorie  Pistolesi  a.  a.  0.  426;  Annalen 
von  Forli,  Muratori  XXII,  177  C  (dies  schrieb  Kiccobald  von  Ferrara,  ibid. 
IX,  254  D,  ab);  Bernhardus  Guidoxis  a.  a.  0.  714  C;  Johann  von  Viktring 
a.  a.  0.  347;  Fortsetzung  des  Martin  von  Troppaü  aus  Brabant  (a.  a.  ü.  262 
ZI.  2)  und  England  (a.  a.  0.  256  ZI.  18);  Flores  historiarum  a.  a.  0.  500  ZI.  28 
(ed.  LuARD  a.  a.  0.). 

^  Bernhardus  Guidonis,  die  Annaleu  von  Forii ,  die  Flures  historiarum, 
die  brabanzolische  Fortsetzung  des  Martin  von  Troppal  und  Johann  von  Viktring 
aa.  aa.  00.  Bernhardus  schreibt :  „fuit  in  tumulo,  quam  sibi  vivens  praeparari 
fecerat,  tumulatus";  auffallenderweise  stimmen  die  Flores  bist,  und  der  Fort- 
setzer des  Martinus  mit  ihm  in  dem  Wort  „praeparari"  und  zugleich  unter 
einander  in  dem  Partizip  „adhuc  vivens"  überein,  ohne  dass  ein  Zusammenhang 
zwischen  diesen  Quellen  vorläge.  Die  Kostbarkeit  des  Grabes  wird  überein- 
stimmend gerühmt.  Im  Jahre  1605  wurde  es  geölVuet  uud  sodann  nach  den 
vatikanischen  Grotten  gebracht,  wo  es  noch  heute  ist  [Ravnald  XX 111,  333 
(1303  nr.  44);  Dcchesne:   „Le  liber  pontificalis"  II,  471   Anm.]. 

"  Beilage  III  §  12. 

*  A.  a.  0.  426. 

^  A.  a.  O.  1223  D:  „niii)orii|ue  revercntia  sepelitur  i|iiam  iJoiitilicaJis  status 
requireret.     Q,uod  quidem  accidit  propter  nimiam  a<Tis  tempestatem." 


238  Exkurs  TL 

teinber  1304',  man  habe  von  Bonilaz  gesagt:  „intravit  iit  vulpes, 
regnavit  ut  leo,  morietur  ut  canis."  Die  Istorie  Pistolesi"^ 
erwjibnen  dies  als  eine  Weissagung,  die  nun  erfüllt  worden  sei: 
„Intrabit  ut  vulpis,  regnabit  ut  leo  et  morieter  ut  canis."  Diese 
Worte  waren  weit  verbreitet  und  werden  mit  kleinen  Varianten 
von  den  verschiedensten  Schriftstellern  wiederholt-'.  —  Die  Ge- 
schichte von  den  Schiffern  am  Aetna  schrieb  der  schwäbische 
Minorit  Hkrmaxx  in  die  Fortsetzung  der  Flores  temporura^.  Dass 
Bonifaz  unter  Donner  und  Blitz  gestorben  sei,  erzählt  die  engli- 
sche Fortsetzung  des  Martin  von  Tkoppau^  und  die  Chronik  von 
St.  Denis '^;  eine  andere  französische  Quelle^  bericiitet,  schon  in 
den  letzten  Tagen  des  Papstes  hätten  unter  heftigem  Donner  schreck- 
liche Stürme  gewütet,  und  eine  Schar  schwarzer  Vögel  hätte  so 
furchtbar  geschrieen,  dass  alles  Volk  die  Gnade  Christi  angefleht 
habe-,  am  Todestag  des  Papstes  hätten  sich  all  die  schrecklichen 
Zeichen  wiederholt,  ja  gluthauchende  Drachen  seien  in  der  Luft 
erschienen,  sodass  alles  geglaubt  habe,  die  Stadt  versinke  in  der 
Hölle.  —  Der  Vers  auf  den  Xamen  Bonifaz'  VIII.,  des  früheren 
Benedikt,  findet  sich  in  der  angegebenen  Form  bei  Pipin^,  mit 
wenigen  Veränderungen  bei  Eijerhard  von  Regensbürg^. 


'  DuPUY,  Diff.  131'.  249  (nr.  LVII);  der  Papst  sei  wütend  uud  in  seinen 
Sünden  gestorben,  „ut  vulgariter  proverbium  irapleretur,  quod  dicebatur  de  eo, 
scilicet:  Intravit  ..."  -  A.  a.  0.  426. 

^  Ich  nenne:  Pipin  (a.  a.  0.  741  B;  Cölestin  habe   seinem  Nachfolger  ge- 
sagt: „in  papatum  ut  vulpes  subiisti,  regnabis  ut  leo,  morieris  ut  canis");  Gott- 
fried VON  Paris   (a.  a.  O.  109  K,    Vers  2161—2164;    wie   die  Prophezeiung  in 
Erfüllung  gegangen  sei,  wird  in  den  Versen  2165  ff",  dann  ausgeführt);  Mat.  Par. 
cont.  (a.  a.  0.  221;   auch  hier  weissagt  Cölestin);   Herjunnus  Minorita  in  der 
Fortsetzung  der  Flores  temporum  (Eccard,  Corpus  I,  1631;  auch  hier  kann  mit 
dem    „quidam    sanctus"    nur    Cölestin    gemeint    sein);    Johaxx     vox    Viktrixg 
(a.  a.  0.  347;  vrgl.  oben  S.  88);  Heinrich  von  Herford  (a.  a.  0.  221);  Twinger 
VON  KöNiGSHOFEN  (a.  a.  0.  579).    Auch  in  Versen  wird  uns  der  Spruch  berichtet, 
so  von  den  Flores  historiarum,  a.  a.  0.  .500  ZI.  33  f.  (ed.  Luard  III,  314): 
„Ingreditur  vulpes,  regnat  leo,  sed  canis  exit; 
Re  tandem  vera  si  sie  fuit,  ecce   Chiniera!" 
oder  von  Thorne  a.  a.  0.  2003  ZI.  49 f.: 

„Vulpes  intravit,  tanquam  leo  pontificavit, 
Exiit  utque  canis,  de  divite  factus  inanis." 
Letztere  Version  setzte  Parker  gleichfalls   in   die  Flores  historiarum  ein;  vrgl. 
in  den  Mon.  Germ.  SS.  XXVIII,  500  ZI.  45  f. 

'  A.  a.  O.  1631.  •'  A.  a.  0.  2.56  ZI.  15.  «  A.  a.  0.  675  B. 

^  Der  oben  erwähnte  augebliche  Brief  aus  Rom;  Dlpiy,  Dift".  pr.  5  f. 

*  A.  a.  0.  741  C;  der  cont.  Mat.  Par.  a.  a.  O.  221  bezieht  die  beiden  letzten 
Zeilen  auf  Benedikt  XI.  »  Mon.  Germ.  SS.  XVII,  599  ZI.  28—31. 


Ueber  die  letzten  Tage  uiul  den  T.mI  l{nnit:i/.'   VI  11.  239 

Wurde  Boiiilaz  viellach  gescluuüht  und  veihrdint,  so  erkannten 
doch  auch  zu  seiner  Zeit  schon  die  Einsichtsvolleren  seine  Grösse. 
Bernhaudus  Guidonis'  sagt  von  ihm  bei  der  Schilderung  seines 
unglücklichen  Endes  ausdrücklich:  „cum  esset  corde  magnaninuis" ; 
und  Dante-,  der  Ghibelline,  uennt  ihn  in  demselben  Zusammenhang, 
Avo  er  von  ihm,  dem  „priucipe  de'  nuovi  Farisei",  die  „lunga  pro- 
messa  con  1'  attender  corto-'  erzählt,  d.  h.  den  Wortbruch,  dessen 
er  sich  gegen  die  Colonua  schuldig  machte,  dennoch  den  „Gran 
Prete",  den  grossen  Priester,  dem  er  die  Anerkennung,  die  ihm 
gebührt,  nicht  versagen  will\ 


1  A.  a.  0.  714  C. 

2  Inferu.  XXVII,  70,  85,  110. 

^  Andere  Stellen  geben  Dru.maxn  II,  143  und  Potthast  II,  2023  (unten)  an. 


240 


Exkurs  III. 


üeber  die  Verhandlung-en  zu  Poitiers  im  Mai  1308. 

Gelegentlich  der  Untersuchung  über  die  den  U eberfall  von 
Anagni  schildernden  Quellen  wiesen  wir  auf  den  in  einer  Handschrift 
des  englischen  Klosters  St.  AI  bans  erhaltenen  Bericht  eines  Curti- 
sanen  hin,  der  für  uns  seiner  eingehenden  und  zuverlässigen  Nach- 
richten wegen  von  besonderem  Wert  war.  In  derselben  Handschrift 
folgt  auf  diesen  Bericht  zunächst  ein  „De  Templariis"  über- 
schriebener  Abschnitt  ^  dann  unter  der  Ueberschrift  „Edictum  regis 
Franciae  contra  Templarios"  der  die  Reichsstände  nach  Tours  be- 
rufende Erlass  Philipp's^  und  schliesshch  Clemens'  V.  Bulle  „Regnans 
in  coelis"  vom  12.  August  1308^.  Der  Wortlaut  aller  drei  Stücke 
ist  vielfach  ein  fehlerhafter  und  entstellter,  was  aber  nicht  Wunder 
nehmen  kann,  wenn  wir  es  hier  wie  bei  jener  Relation  über  Anagni 
mit  der  Abschrift  eines  vielleicht  noch  durch  verschiedene  Zwischen- 
stadien hindurchgegangenen,  nach  England  gesandten  Berichtes  zu 
thun  haben.  Schon  die  Authentizität  des  königlichen  Erlasses  und 
der  päpstlichen  Bulle  legt  die  Vermutung  nahe,  dass  auch  das  beiden 
vorangehende  Stück  uns  wirklich  authentische  Nachrichten  biete; 
eine  nähere  Untersuchung  desselben  bestätigt  uns  dies. 

*  Gedruckt  von  Riley  in  den  „Chronica  monasterü  S.  Albani",  Rer.  Brit. 
med.  aevi  SS.  XXVIII 2  (London  1865),  S.  492—497.  —  Auf  meine  Bitte 
hatte  Herr  Prof.  W.  Michael  die  Güte,  den  Text  in  London  (Brit.  IMus.  MS. 
Bibl.  Reg.  14.  C.  I.  fol.  146  flf.)  nochmals  zu  vergleichen.  Die  Handschrift  ist 
anfänglich  schlecht,  wird  aber  später  (von  „nonnisi",  ed.  Riley  493  ZI.  3  an) 
etwas  besser.  Der  Druck  Rilky's  ist  im  allgemeinen  richtig;  von  Fehlern  er- 
wähne ich:  S.  492  ZI.  3  streiche  et  vor  etiam;  S.  493  ZI.  14  lies  quia  (statt 
qui);  ZI.  6  v.  u.  lies  concalcari  (statt  conculcari);  S.  495  ZI.  4  lies  procedit 
(statt  procedat),  ZI.  11  concilia  (statt  consilia);  S.  496  ZI.  1  lies  tradantur  (statt 
reddantur);  grössere  Entstellungen  scheinen  dem  Schreiber  der  Handschrift, 
der  sich  —  wie  wir  sehen  werden  —  eines  französischen  Berichtes  bediente, 
zur  Last  zu  legen  zu  sein. 

-  Ibid.  497—  499.  »  Vrgl.  ibid.  499  Anm.  1. 


Ueber  die  Ycrliauilhinireii  zu  ruitiers  im  ]\Iai   1308.  241 

Unter  der  Ueberschrift  „De  Teiiii)l;iriis"  berichtet  uns  die 
Chronik  von  St.  Albans  über  vier  Reden,  die  „am  Mittwocli  vor 
Pfingsten  im  königUchen  Palast  zu  Poitiers"  gehalten  worden  seien. 
Zuerst  spricht  ein  „Dominus  AVillelmus  de  Wilers"  im  Namen  des 
Königs;  seine  Rede  wird  grösstenteils  wörtlicli  wiedergegeben. 
Dann  werden  nur  kurz  berührt  Reden  der  Erzbischöfe  von  Narbonne 
und  Bourges;  schliesslich  antwortet  der  Papst.  Da  sich  die  ganze 
Sache  um  die  Templer  dreht,  über  welche  der  König  bereits  eine 
zu  vielfachen  Geständnissen  führende  Untersuchung  hat  eröHnen 
lassen,  da  ferner  der  König  selbst  vom  Papst  angeredet  wird  und 
also  gleichfalls  anwesend  ist,  kann  nur  an  die  Zusammenkunft  Phi- 
lipp's  mit  Clemens  vom  Jahre  1308  gedacht  sein^  Es  fragt  sich 
zunächst:  wie  verhalten  sich  die  hier  gebotenen  Nachrichten  zu  dem, 
was  wir  sonst  über   die  zweite  Zusammenkunft  zu  Poitiers  wissen? 

Der  Fortsetzer  des  Tolomeo  von  Lucca-  berichtet  uns 
über  dieselbe,  dass  bei  ihrem  Beginn,  den  er  um  Pfingsten  ansetzt, 
der  König  seine  Forderungen  durch  Wilhelm  von  Plasian  stellen 
liess,  dass  dieser  dieselben  dem  Papst  vortrug,  und  dass  Clemens 
auf  sie  antwortete.  Der  hier  gegebene  Inhalt  der  Auseinandersetzung 
Plasian's  und  der  Antwort  des  Papstes  stimmt  nicht  nur  im  all- 
gemeinen, sondern  auch  in  verschiedenen  Einzelheiten  völlig  mit  den 
Reden  des  „Dominus  Willelmus  de  Wilers"  und  des  Papstes  in 
der  Chronik  von  St.  Albans  überein.  Dass  Plasian  im  Namen  des 
Königs  gesprochen  habe,  dass  er  auseinandergesetzt  habe,  die  Templer 
seien  der  Schuld  überführt,  dass  er  das  Inquisitionsverfahren  ge- 
rechtfertigt und  schhesslich  um  eine  Bestrafung  der  Ketzer  gebeten 


'  Auch  Wexck  (77  Anm.  1),  der  einzige,  der  diese  Quelle  wirklich  kannte, 
bezieht  sie  hierauf.  Allerdings  ist  eigentlich  nicht  von  einer  Gefangennahme, 
sondern  von  einem  Geständnis  die  Rede,  das  au  einem  Tage  gleichmässig  er- 
folgt sei;  doch  ist  damit  thatsächlich  an  das  Ereignis  vom  13.  Oktober  1307 
gedacht. 

-  Mlratori  XI,  1229  B— C:  „Sequenti  autcm  die  petitiones  suas  per  niili- 
tem  de  Plasiano  porrexit  [scü.  rex]  super  facto  Templarioruni ,  exponens  ipsos 
inventos  fuisse  haereticos,  petens  dictus  miles  in  persona  regis,  ut  dicti  Teni- 
plarii  sicut  haeretici  puniantur.  In  qua  petitione  Septem  fueruut  arrengaiitcs 
ex  parte  regis  et  regni,  hoc  idem  repetentes,  quod  primus,  et  amplius  aggra- 
vantes.  In  quo  facto  papa  Clemens  dicitur  respondisse,  quod  super  hoc  satis 
audierat  querelam  gravem;  sed  mirabatur,  quod  tale  negotium  sine  eius  consul- 
tatione  sie  fuerat  inchoatum  ac  ibi  ventilatum;  habcret  tarnen  cousilium  cum 
suis  fratribus  et  super  praedictis  provideret,  prout  meHus  posset.  Et  quamvis 
dictus  miles  regem  excusaret,  quod  per  inquisitores  haereticae  pravitatis  id  fe- 
cisset,  non  tarnen  hoc  acceptavit  summus  pontifex,  (]uod  sim'  cousultatinin'  dio 
tae  sedis  tantum  negotium  assumsisset." 

R.  Holtziiiuuu,  Nogaret.  IQ 


242  Exkurs  III. 

habe:  all  das  ist  in  der  Tliat  in  den  Ausführungen  des  „Willehnus 
de  Wilers"  enthalten.  Und  ebenso  ist  es  mit  der  Rede  des  Papstes: 
auch  nach  der  Chronik  von  St.  Albans  sagt  Clemens,  er  wolle  erst 
nach  Rat  und  Bestimmung  der  Kardinäle  ein  Urteil  fällen,  so  gut 
als  Gott  es  ihm  eingäbe'. 

Aber  nicht  minder  fallen  zunächst  einige  Differenzen  auf.  So 
besonders  im  Namen  des  Vertreters  der  königlichen  Forderungen. 
Der  Fortsetzer  des  Tolomeo  nennt  den  bekannten  Wilhelm  von 
Plasian,  die  Chronik  von  St.  Albans  einen  „Willelmus  de 
Wilers".  Dass  erstere  Angabe  richtig  ist,  kann  nicht  bestritten 
werden,  da  Plasian  im  Prozess  gegen  Bonifaz  später  selbst  aussagte-, 
in  Poitiers  mit  dem  König  dessen  Sache  dem  Papst  gegenüber  ver- 
treten zu  haben.  Bezüghch  des  Textes  der  Chronik  von  St.  Albans 
wurde  schon  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  er  vielfach  korrum- 
piert ist;  bei  Eigennamen  werden  Entstellungen  am  wenigsten 
Wunder  nehmen.  Es  kommt  hinzu,  dass  ein  in  Frankreich  ge- 
schriebenes P  in  England  leicht  als  W  gelesen  werden  konnte^;  und 
da  eine  Verwechslung  von  r  und  s  auch  nichts  unbegreifliches  ist, 
braucht  man  nur  anzunehmen,  dass  der  Xame  Plasian's  in  dem 
ursprünghchen  Bericht  etwa  in  Pless.'^  abgekürzt  war  und  daraus  in 
England  AVIers  gelesen  wurde,  um  die  IMöglichkeit ,  dass  wir  auch 
in  dem  Namen  „Wilers"  nur  eine  der  zahlreichen  Entstellungen  des 
St.  Albans-Textes  vor  uns  haben,  noch  mehr  vor  Augen  treten  zu 
lassen.  Fügen  wir  hinzu,  dass  auch  nach  der  Chronik  von  St.  Al- 
bans der  in  Frage  stehende  Redner  Wilhelm  hiess  und  ausdrücklich 
„miles  et  legum  doctor"  genannt  wird,  dass  diese  Bezeichnung  auf 
Plasian  passt,  während  keiner  der  uns  bekannten  ritterlichen  Legisten 
zur  Zeit  Philipp's  des  Schönen  den  Namen  Wilhelm  von  Wilers 
führte ,  so  wird  man  sich  nicht  länger  bei  demselben  aufzuhalten 
brauchen.  —  Andere  Differenzen  sind  von  geringerer  Bedeutung. 
So  dass  nach  dem  Fortsetzer  des  Tolomeo  der  Köni^  seine  Forde- 


'  Auch  die  Bemerkung,  wonach  der  Papst  gesagt  habe,  er  habe  nun  sehr 
viel  über  die  Templerangelegeuheit  gehört,  stimmt  zu  seiner  Rede  in  der  Chronik 
von  St.  Albans. 

*  DüPUV,  Diff.  pr.  378.  Auch  in  dem  noch  unten  weiter  zu  behandelnden 
Bericht  in  der  Rev.  des  soc.  sav.  vom  Jahre  1867  heisst  der  Redner  „Willehnus 
de  Pelliano",  womit  natürlich  Plasian  gemeint  ist. 

^  Die  angelsächsische  Schrift,  deren  AV  dem  P  sehr  ähnlich  ist  (Wattkn- 
bach:  „Anleitung  zur  lat.  Palaeographie",  4.  Aufl.  S.  63 f.)  war  in  England  noch 
im  späteren  IMittelalter  keineswegs  ausser  Gebrauch. 

'  So  heisst  Plasian  auch  in  der  Urkunde  bei  Dlpüv,  Diff.  pr.  101  f.  Guillel- 
mus  de  Plesaeiano. 


Ueber  die  Verhandliiiiifon  zu  Poiliors  im  Mai   1308.  243 

rung  durch  sieben  Redner  begründen  Hess',  wülirend  es  nach  der 
Chronik  von  St,  Albans  nur  drei  waren.  Ferner  ist  nach  ersterer 
Quelle  die  Antwort  des  Papstes  entschieden  fester,  als  nach  letzterer; 
aber  ganz  fehlt  der  tadelnde  Ton  doch  ancli  in  dieser  nicht-,  und 
auch  hier  hebt  der  Papst  hervor,  dass  er  und  die  Kirche  die  An- 
gelegenheit zunächst  prüfen  wollen.  Dass  der  Fortsetzer  des  Tolomeo 
auf  päpstlicher  Seite  steht  und  die  Dinge  gern  in  einer  für  das 
Papsttum  günstigen  AVeise  schildert,  ist  auch  sonst  bekannt''. 

Auch  was  w'ir  aus  anderen  (Quellen  wissen ,  stininit  aufs  beste 
zu  den  uns  in  der  Chronik  von  St.  All)ans  entgegentretenden  Nach- 
richten. Nach  Johann  von  St.  Viktor'  wurde  die  Tenii)ler- 
angelegenheit  zu  Poitiers  im  Beisein  vieler  Kardinäle,  Geistlichen 
und  anderen  Anwesenden  eingehend  erörtert,  und  noch  wichtiger  ist 
für  uns  ein  ausführlicher  Bericht,  der  sich  gleichfalls  auf  die  Ver- 
handlungen von  Poitiers  im  Jahre  1308  bezieht,  und  der  in  der 
Revue  des  societes  savantes  des  departements''  publiziert 
wurde.  Hier  lesen  wir  ausdrücklich,  dass  am  Mittwoch*"'  nach  dem 
Einzug  Philipp's  in  Poitiers,  d.  h.  eben,  da  dieser  Einzug  nach  der- 
selben Quelle  am  Sonntag  nach  Himmelfahrt  stattfand,  am  Mittwoch 
vor  Pfingsten,  der  Papst  im  königlichen  Palast  ein  Konsistorium 
abhielt,  dass  hier  der  königliche  Rat  „Willelmus  de  Pelliano"  im 
Namen  des  Königs  über  dessen  Verfahren  gegen  die  Templer  be- 
richtete, diese  Feinde  Christi  und  des  katholischen  (xlaubens  nannte, 
auf  das  freiwillige  Bekenntnis  der  Templer  vor  der  Pariser  Univer- 
sität hinwies  und  den  Papst  bat,  der  Vernichtung  des  Ordens  bei- 
zustimmen, dass  ferner  Clemens  in  seiner  Erwiderung  den  König, 
der  ihn  bei  der  Sache  noch  gar  nicht  um  Rat  gefragt  habe,  tadelte 
und  den  Bescheid  gab,  er  müsse  sich  erst  mit  den  Kardinälen  beraten. 

All  dies  stimmt  vorzüglich  zu  den  Angaben  des  Berichts  aus 
St.  Albans.  Die  Authentizität  desselben  und  zugleich  seine  grosse 
AVichtigkeit  für  uns  ergiebt  sich  aber  noch  mehr,  wenn   wir  die  von 


1  Mit  Recht  wendet  sich  Prltz  (169  und  236)  gegen  die  Uchersetzung 
Schottmüller's. 

2  „Nam  isla  facta  Romana  ecciesia  nou  consuevit  praecipitare"  etc. 

3  ScHOTTMÜLLER  I,  177  Anm.  1,  675.  Sollte  übrigens  der  König  scUtst  bei 
der  Abfassung  des  nach  England  gesandten  Berichts  die  Hand  im  Spiel  gehabt 
haben  (vrgl.  unten),  so  wäre  es  auch  nicht  ausgeschlossen,  dass  bei  der  Rede 
des  Papstes  das  Protokoll  willkürlich  geändert  wurde. 

*  Rec.  des  bist.  XXI,  6.51  C.  Dass  aber  zuerst  von  Seiten  des  Papstes  geredet 
wurde,  ist  unrichtig,  da  dem  ja  auch  der  Fortsetzer  des  ToMiMKO  widerstreitet. 

■'•  (^uatrieme  scrie ,  Tome  VI;  Anm-o  1867,  2*  seniestre  (Paris  1868), 
S.  416—420.  '*  Irrtümlich  nennt  Pritz  170  den  Donnerstag. 

16* 


244  Exkurs  III. 

Plasian  gehaltene  Rede  nach  ihrer  Form  einmal  näher  betrachten; 
dieselbe  ist  nämlich,  wie  mir  scheint,  nicht  von  Plasian,  sondern  von 
Nogaret  verfertigt.  Wir  sind  in  der  Lage,  den  Stil  Nogaret's  von 
dem  Plasian's  unterscheiden  zu  können,  indem  wir  die  Rede,  welche 
Nogaret  am  12.  März  1303  hielt,  mit  derjenigen  Plasian's  vom  Juni 
dieses  Jahres,  die  dasselbe  Thema  behandelt,  vergleichen.  Es  zeigt 
sich,  dass  Nogaret  seinem  Genossen  Plasian  in  zwei  Dingen  über- 
legen ist,  nämlich  in  Bibelkunde  und  der  Fähigkeit,  den  Stoff  scharf 
zu  gliedern.  Wir  zeigten  seiner  Zeit,  wie  die  Rede  vom  12.  März 
mit  Zitaten  aus  der  Bibel  durchsetzt  ist;  Plasian  dagegen  bringt  in 
seiner  im  Druck  5^/2  Folioseiten ^  einnehmenden  Rede  nicht  ein 
Bibelzitat-.  In  der  jetzt  in  Frage  stehenden  Rede  finden  sich  da- 
gegen ausser  zahlreichen  biblischen  Wendungen  eine  Berufung  auf 
das  alte  Testament  und  zwei  wörtliche  Zitate  aus  dem  neuen,  dar- 
unter wieder  das  schon  in  der  Rede  vom  12.  ]März  1303  angeführte: 
„Ex  fructibus  eorum  cognoscetis  eos."  Und  wohl  noch  schlagender 
ist  der  zweite  Punkt.  Nogaret  disponiert  in  seiner  1303  gehaltenen 
Rede  genau:  nach  einer  Einleitung,  in  der  er  auf  die  Erfüllung  eines 
AVorts  des  zweiten  Petrusbriefs  hinweist,  stellt  er  die  Anklage  in 
vier  scharf  geschiedenen,  charakteristischen  Punkten  auf;  dann  fordert 
er  von  der  Staatsgewalt  ein  Vorgehen  gegen  Bonifaz  und  zählt  zum 
Schluss  dem  König  fünf  Gründe  vor  (mit  erstens,  zweitens  u.  s.  w.), 
weshalb  derselbe  dazu  gehalten  sei.  Ganz  anders  die  Rede  Plasian's, 
in  der  sich  keine  Spur  irgend  einer  derartigen  festen  Disposition 
findet;  nicht  einmal  die  29  Anklageartikel,  die  er  gegen  Bonifaz 
vorbringt,  zeigen  irgend  eine  Einteilung,  sondern  sind  ganz  prinzip- 
los aneinander  gereiht^.  Dagegen  ist  die  Rede  der  Chronik  von 
St.  Albans  nach  einer  überaus  scharfen  Disposition  gearbeitet;  sie 
zerfällt,  wie  immer  ausdrücklich  bemerkt  wird,  in  drei  Hauptteile; 
der  erste  derselben  besteht  aus  einer  dreifachen  Begründung  und 
den  sechs  Anklagepunkten;  gelegentlich  der  Behandlung  des  zweiten 
Hauptteils  wird  das  Walten  der  Vorsehung  in  zwei  Unterabteilungen 
demonstriert;  und  bezeichnend  ist  auch  wieder  der  Schluss:  wie  1303 


*  Mehr  als  das  doppelte  der  Nogaret'schen  Rede. 

-  Nur  am  Anfang  wird  einmal  von  Plasian  zusammen  mit  Ludwig  von 
Evreux,  Guido  von  St.  Paul  und  Johium  von  Dreux,  jenen  drei  anderen  An- 
klägern des  Bonifaz,  ofienbar  in  einer  von  den  vieren  eingereichten  Petition 
ganz  allgemein  von  dem  „Schafstall  des  HeiTn"  gesprochen,  was  aber  nur  eine 
Reminiscenz  aus  der  Rede  Nogaret's  ist. 

'^  AVill  man  nach  sachlichen  Kategorieen  rubrizieren,  so  muss  man  von  der 
Reihenfolge  völlig  absehen. 


Ueber  die  Yorliamllunirtni  zu  Poitiors  im  ^Iiii   1.108.  245 

dem  König  fünf  Gründe  vorgezählt  werden,  so  liier  dem  Papst  vier 
Bitten;  beide  lledcn  schliessen  in  einer  fast  pedantischen,  aber  ganz 
gleichmässigen  und  charakteristischen  Art.  Plasian,  der  für  strenge  Dis- 
position gar  keinen  Sinn  besass,  hätte  diese  Templer-Rede  nie  gemacht. 
Das  so  gewonnene  Resultat  ist  ja  auch  kein  allzu  überraschen- 
des. Dass  sich  Philipp  seines  Siegelbewahrers,  der  die  Geschäfte 
des  Kanzlers  führte,  in  dieser  wichtigen  Sache  bedienen  wollte,  auch 
wenn  er  denselben  nicht  direkt  mit  dem  Papst  unterhandeln  lassen 
konnte  \  ist  sehr  begreitlich.  Man  wird  sich  die  Verteilung  der 
Rollen  Nogaret's  und  Plasian's  dann  naturgemäss  als  im  königlichen 
Rat  beschlossen  zu  denken  haben.  Bei  seiner  Rede  im  Juni  1.303 
hatte  Plasian  das  Konzept  in  der  Hand'-;  ebenso  war  es  jedenfalls 
auch  diesmal.  Der  Wortlaut  dieses  Konzeptes  wurde  dann  zu  Pro- 
tokoll genommen,  wie  auch  die  anderen  an  diesem  Tag  noch  ge- 
haltenen Reden.  Ein  Beamter  der  Kanzlei,  der  vermuthlich  zu 
England  Beziehungen  hatte,  ähnlich  wie  jener  Curtisane,  der  so  ein- 
gehend dorthin  über  Anagni  schrieb,  schickte  dann,  wohl  im  Herbst 
1.308,  einen  Bericht  nach  England,  der  ausser  den  genannten  Reden 
auch  jenen  Erlass  Philipp's  und  die  Bulle  „Regnans  in  coelis"  ent- 
hielt; dass  man  sich  dort,  wo  man  ja  vor  derselben  Frage  stand, 
für  die  in  Frankreich  geschehenen  Ereignisse  lebhaft  interessierte, 
braucht  nicht  näher  ausgeführt  zu  werden.  Vielleicht  standen  in 
dem  Bericht  ursprünglich  auch  noch  andere  Stücke,  die  nicht  mit 
in  die  Chronik  von  St.  Albans  übergingen^.  Doch  sei  nur  noch 
eine  Vermutung  hier  aufgestellt:  da  wir  wissen,  dass  Philipp  sehr 
darum  bemüht  war,  dass  man  auch  in  England  auf  dieselbe  Weise 
wie  in  Frankreich  gegen  die  Templer  verfahre"*,  ist  es  nicht  aus- 
geschlossen, dass  er  selbst  die  Abfassung  dieses  Berichtes  angeregt 
hat.  Etwas  sicheres  lässt  sich  hierüber  aber  natürlich  nicht  sagen, 
und  für  eine  Biographie  Xogaret's  ist  dieser  Punkt  auch  belanglos. 

*  Dies  ergiebt  sich  ausser  aus  der  Schilderung  des  Fortsetzers  des  Tolomeo 
aus  einer  Apologie,  die  Nogaret  und  Plasian  zusanimeu  abgaben,  und  iu  der 
nur  letzterer  mit  dem  Papst  in  Poiticrs  verhandelt  zu  haben  angicbt  (DtPirv, 
Diff.  pr.  378),  sowie  auch  aus  dem  Umstand,  dass  Nogaret  später,  als  sich  der 
Papst  mit  ihm  in  Anagni  in  Verhandlungen  einlassen  musste,  sich  rühmte,  durch 
dieses  Faktum  jetzt  eo  ipso  als  absolviert  betrachtet  werden  zu  müssen  (S.  184). 

-  Dlpuv,  Diff.  pr.   102. 

^  Dass  vieles  in  dem  Bericht  bis  zur  Buchung  in  der  St.  Albans-Haudschrifl 
anders  und  schlechter  wurde,  scheint  sich  nicht  nur  aus  dem  schlechten  Zustand 
des  Textes  zu  ergeben,  sondern  auch  daraus,  dass  das  „Edictum  regis  Frauciae" 
ursprünglich  doch  wohl  vor  dem  Abschnitt  „De  Temi)larii8"  gestanden  haben  wird. 

*  Vrgl.  ScHOTTMi  LLKK  1,  .'368—372;  Gmems  4.'>3  f. 


246 


Beilacieii. 


Vorbemerkung. 

Bei  den  folgenden  Beilagen  ist  im  allgemeinen  die  gebräuchliche  Ortho- 
graphie gewählt  worden  ohne  Rücksicht  auf  die  Eigenheiten  der  einzelnen 
Manuskripte.  Nogaret  selbst,  von  dessen  Hand  wir  verschiedene  Konzepte 
haben,  schreibt  u.  a.  immer:  eguo,  Xoguareto,  congreguare,  purguare  etc.;  pecare, 
acusare,  suplicare  etc.;  defenssus,  denfencio  etc.;  magestas,  legittimus,  set.  Die 
Schreiber  der  Reinschriften  haben  hingegen  meist  eine  korrektere  Schreibart. 
In  den  Noten  werden  nur  die  wichtigeren  Abweichungen  der  Urkunden  [d] 
aufgeführt.  —  Zur  Erleichterung  des  Zitierens  wurden  alle  Beilagen  durch 
kleine  Zift'ern  in  Paragraphen  eingeteilt. 


Verschiedene  Rezensionen  der  am  7.  September  1304  von  Nogaret 
vor  dem  Pariser  Offizial  zu  Protokoll  gegebenen  Apologie. 

Die  bei  Dupuy,  Diff.  pr.  239 — 251,  gedruckte  erste  Apologie 
Nogaret's,  welche  am  7.  September  1304  vor  dem  Pariser  Offizial 
zu  Protokoll  gegeben  wurde,  war  schon  einige  Monate  vorher  vor- 
bereitet und  wurde  auch  nach  dem  genannten  Datum  von  ilirem  Ver- 
fasser noch  weiter  umgearbeitet.  Wir  werden  darüber  durch  drei 
Stücke  belehrt,  die  sich  im  Tresor  des  chartes  befinden  (Archives 
nationales  J  908  nr.  18,  19,  23).  Dieselben  bieten  den  gleichen  Text 
und  sind  von  der  Hand  desselben  Schreibers  geschrieben,  das  eine 
(nr.  19)  wurde  aber  dann  durch  Nogaret  selbst  stark  umgearbeitet. 
Der  Text  beginnt  mit  dem  von  DuPUY  (a.  a.  0.  248)  als  Punkt  55 
bezeichneten  Passus  der  genannten  ersten  Apologie,  stimmt  zunächst 
im  allgemeinen  mit  dem  Text  DuPUV's  überein  und  bildet  offenbar 
das  Ende  einer  Verteidigungsschrift  Nogaret's ;  das  eine  der  3  Stücke 
(nr.  19)  hat  oben  noch  den  Faden,  mit  dem  es  an  ein  anderes 
Pergamentblatt  angeheftet  war.  V^ir  bezeichnen  im  folgenden  den 
gemeinsamen  Text  der  drei  Stücke  mit  A,  den  Text  Di'puv's  mit  B, 
den  des  corrigierten  Blattes  nr.  19  mit  C.  Den  Punkt  60  des 
Dupuv'schen  Textes  dürfen  wir  nur  bis  zum  Schluss  der  Seite  (249) 
rechnen,  d.  li.  bis  zu  den  Worten  „contra  ipsum  Guillielmum",  hinter 


I.    VerschiedeDe  Rezensioueu  der  Apologie  vom  7.  Septenibor  1304.      247 

denen  DrPUV  einen  Absatz  hätte  niaclien  müssen;  das  folf^^ende,  von 
„Ex  praemissis  igitur  eoneludit  dictus  Guillielnuis"  an  (S.  2^yi)  oben), 
wollen  wir  als  den  Schluss  der  Vcrtt'idi^ain^'sschrift  bezeiclinen. 

A,  B  und  C  weisen  in  den  Punkten  50— (jü  nur  wenige  Ab- 
weichungen auf;  die  folgenden  seien  hervorgehoben: 

L  VI.  Die  Worte  .,sine  custodia,  in  sua  libertate  existens"  und 
der  letzte  Satz  („et  adhuc"   bis   „parati")  fehlen  in  A. 

L  VII.  Statt  des  einfachen  „niortuus  fuit"  hat  C  „heretice  mortuus 
fuit,  non  susceptis  sed  recusatis  ecclesiasticis  sacramentis*-.  —  Das 
Sprichwort  beginnt  in  A:    „intravit  ut  für". 

LVIII.  Beginnt  in  A  folgendermassen :  „Item  proponit,  quod 
post  mortem  dicti  Bonifacii  sanctissimo  patre  domino  summe  pontifice, 
qui  nunc  est,  ad  ipsum  pontificatum  assumpto."  —  Der  letzte  Relativ- 
satz fehlt  in  A. 

LIX.  C:  .....  reverendus  pater  P.  dominus  tunc  episcopus  Tho- 
lose  nunc  cardinalis  .  .  .'• 

LX.  Das  Ende  dieses  Punktes,  von  „et  semper  apud  dominum 
summum  pontificem"  an,  ist  in  C  durch  folgendes  ersetzt:  „ex  quibus 
Omnibus  precedentibus  patet  luce  clarius  ipsius  Guillelmi  zelus  bonus, 
propositus  et  voluntas." 

Aus  Punkt  58  ergiebt  sich,  dass  Nogaret  bei  der  Abfassung  von 
A  noch  nichts  vom  Tod  Benedikt's  XI.  wusste;  im  Schluss  von  A  (1  §  2) 
wird  von  den  Pariser  Beschlüssen  des  Juni  1303  als  „im  vergangenen 
Jahr"  gefasst  geredet.  Aus  Punkt  59  ergiebt  sich,  dass  C  nach  der 
Ernennung  des  Bischofs  Peter  von  Toulouse  zum  Kardinal  (15.  Dezem- 
ber 1305)  seine  jetzige  Fassung  erhielt.  Es  ist  klar,  dass  auch  B 
eine  Umarbeitung  von  A  ist. 

Auf  den  Punkt  60  folgt  in  A  wie  in  B  der  Schluss,  während 
C  noch  eine  Reihe  weiterer  Punkte  bringt,  die  wir  unten,  in  der 
DuPUY'schen  Numerierung  fortfahrend,  abdrucken ;  dann  beginnt  auch 
in  C  der  Schluss.  Derselbe  ist  in  allen  drei  Rezensionen  bis  zu  den 
Worten  „et  culpam"  (Dupuy  a.  a.  0.  250,  ZI.  19  v.  o.)  ziemlich  der 
gleiche  (in  A  fehlt  der  Passus  „agonizando  pro  iustitia'"  bis  „fuerat 
diffamatus"),  während  das  folgende  in  B  erheblich  umgearbeitet,  in 
C  vollkommen  anders  ist.  Der  Zweck  der  Ausführungen  Xogaret's 
ist  immer  der,  von  der  Kirche  eine  Absolution  ad  cautehun  oder  sonst 
eine  Erklärung  seiner  Unschuld  zu  erhalten.  Al)er  während  er  sich 
in  B  an  den  Offizial  von  Paris  wendet,  den  er  mit  „vestra  reverentia" 
anredet,  sollte  A  an  den  König  gerichtet  werden,  und  C  offenbar  an 
den  Papst,  von  dem  hier  für  den  Fall,  dass  ihm  die  von  Xogaret  ge- 
machten Ausführungen  niclit  genügen  sollten,  eine  rasche  Vernchnuing 
der  anderen  Zeugen  gefordert  wird,  und  dem  Nogaret  einen  Protest 
gegen  die  Verwendung  einiger  Kardinäle  und  anderer  Bonifazianer  in 
seiner  Angelegenheit  unterbreitet. 

Auf  dem  Blatt  nr.  19  finden  sich  aber  nicht  nur  die  Hezt-nsionen 
A  und  C,  sondern  noch  verschiedene  Zwischenstuft-n.  Zunächst  wurde 
einiges  ausradiert,  so  namcntlicli  die  StcHrn,  in  di-nen  der  König  an- 
geredet ward;  sie  wurden  durch  .Anreden  wie  „vestra  reven-ntia", 
die  sich    auf   den   Dflizial    von    Paris    beziehen,    ersetzt.      Wir   nennen 


248  Beilagen. 

dieses  Stadium  a  und  geben  die  Abweichungen  desselben  von  A  in 
den  Noten  zu  dieser  ersten  Rezension.  Nogaret  wollte  sich  also  zuerst 
an  den  König  wenden,  entschloss  sich  dann  aber  dazu,  vor  den  Of- 
lizial  des  Bistums  Paris  zu  gehen.  Dabei  dachte  er  zuerst  mit 
Kadieren  auszukommen  (a),  benutzte  dann  aber  das  Blatt  nr.  19  als 
Konzept  für  eine  Neuausfertigung,  die  in  B  vorliegt,  aber  nicht  direkt 
aus  dem  durch  Hinzufügungen  und  Streichungen  umgearbeiteten  a, 
das  wir  mit  b  zeichnen  wollen,  abgeschrieben  wurde,  sondern  wieder 
etwas  abgeändert  woixlen  sein  muss.  Später  bediente  sich  Nogaret 
dann  nochmals  des  Blattes  nr.  19  zu  noch  weiteren  Umänderungen; 
ob  die  Rezension  C,  das  Schlussresultat  aller  dieser  Aenderungen,  dem 
Papst  in  Reinschrift  eingereicht  worden  sei,  wissen  wir  nicht;  über 
eine  Möglichkeit  ihrer  Verwendung  vrgl.  oben  S.  132.  —  Wir  er- 
halten das  folgende  Schema: 


B  C 


Am  Schluss  des  Blattes  nr.  19  finden  sich,  später  wieder  aus- 
gestrichen, folgende  Notizen: 

„Acta  sunt  hec  Parisiis  in  domo  episcopatus  coram  dicto  domino 
rege  ac  pluribus  de  suo  consilio  laicis  et  clericis  presentibus  die 
martis  post  festum  beatorum  apostolorum  Petri  et  Pauli  anno  domini 
millesimo  trecentesimo  quarto." 

„Acta  sunt  in  vigilia  nativitatis  virginis  gloriose." 

Die  letztere  dieser  beiden  gleichfalls  aus  der  Hand  Nogaret's 
stammenden  Notizen  trägt  das  Datum  von  B.  Die  erstere  dürfte  sich 
auf  a  beziehen,  und  man  hätte  sich  dann  den  Verlauf  der  Sache  etwa 
folgendermassen  zu  denken.  Nachdem  Nogaret  am  25.  Juni  1304  von 
seiner  italienischen  Gesandtschaft  nach  Paris  zurückgekehrt  war,  entwarf 
er  sogleich  eine  Apologie,  die  er  dem  König  zu  überreichen  gedachte; 
er  entschloss  sich  dann  aber  anders  und  wollte  sie  am  30.  Juni  1304 
(dem  Dienstag  nach  Peter  und  Paul)  in  Gegenwart  des  Königs  vor 
dem  Pariser  Offizial  zu  Protokoll  geben;  doch  ward  auch  hieraus 
nichts,  da  Nogaret  noch  weiter  ändern  wollte,  und  erst  am  7.  Sei)tember 
wurde  die  in  der  angedeuteten  Art  umgestaltete  Apologie  durch  den 
Oflizial  protokolliert. 

Ausdrücklich  gegen  die  Bulle  „Flagitiosum  scelus"  wendet 
sich  Nogaret,  der  von  ihr  am  28.  Juni  1304  vernahm,  erst  in  C.  Sie 
scheint  also  für  die  zwischen  A  und  B  liegenden  Aenderungen  nicht 
von  Einfluss  gewesen  zu  sein. 


I.    Verschiedene  Rezensionen  der  Apologie  vom  7.  September  1304.      249 


1.  Der  Schluss  einer  Verteidigungsschrift  Nogaret's 
aus  dem  Juni  1304. 

[Rezension  A.     Die    in  B    sich   im  wesentlichen  wiederfindenden  Stellen  sind 
kleiner  und  ohne  Durchschuss  gedruckt.] 

Ex  premissis  igitur  concludit  dictus  Guillelmus  .  .  .  [wie  DiiMV, 
Diff.  pr.   250;  vgl.   oben]  ...  et  culpam. 

1.  Cum  ergo  idem  Guillelmus  esset  crudelis,  si  negligeret  fa- 
mam  suam  ^,  eiusque  intersit  innocentiam  suam  ostendere  ac  etiam 
declarari,  probationesque,  quas  nunc  habet,  possent  sibi  in  futurum 
deficere,  tempore  quo  forte  sibi  vel  suis  successoribus  moveretur 
questio  de  premissis,  premissa  coram  regia  maiestate*)  proponit 
supplicans,  postulans  et  requirens,  ut  maiestas  regia  defensiones  et 
excusationes  suas  super  premissa  admittat,  prout  ad  regiam  celsi- 
tudinem,  ipsius  Guillelmi  dominum  et  iudicem  temporalem,  pertinere 
potest  et  debet,  ac  ipsius  Guillelmi  probationes  recipiat,  quatenus 
ipsi  Guillelmo  sufficiant,  seu  recipi  faciat,  per  (|uas  innocentiam  suam 
intendit  idem  Guillelmus  ostendere,  ipsumque  Guillelmum  incul- 
pabilem  de  premissis  declaret. 

2.  Preterea  quia  idem  Guillelmus  timet,  coram  sede  apostolica  de 
premissis  sibi  vel  suis  successoribus'')  questionem  fieri  vel  moveri, 
eiusque  intersit,  ne  apud  dictam  sedem  vel  alibi  pro  ligato  vel  ex- 
communicato  idem  Guillelmus  habeatur  pro  premissis  vel  vexetur 
alias,  ubi  idem  Guillelmus  non  ligatus  esse  intendit,  ideoque  apud 
ipsum  generale  concilium  idem  Guillelmus  defensiones  ac  excusationes 
suas  super  premissis  proponere  intendat  et  oflferat  et  se  ostendere 
innocentem  paratus  sit  et,  si  forte  in  aliquo  esset  culpabilis,  correctionem 
subire  ad  Cognitionen!  ecclesie  in  generali  futuro  concilio  congre- 
gande,  ad'=)  cuius  convocationem  eminentes  persone,  que  coram  vobis*^) 
domino  rege  predicto,  vestris*)  prelatis  reverendis  et  baronibus  dictum 
Bonifacium  tunc  viventem  in  parlamento  publico  in  festo  nativitatis 
beati  Johannis  Baptiste  anni  preteriti  Parisiis  legitinie  detulerunt  super 
heresi  et  aliis  pluribus  criminibus  et  defectibus  supradietis'),  requisi- 
verunt,  ut  ipsi  convocationi  daret  maiestas  regia  opem  et  operam 
efficacem,  premissaque,  quatenus  ipsum  Guillelmum  tangere  possunt, 
sint  accessoria  iudicio  ac  negotio  principali  predicto  maiori,  de  quo 
in    dicto    concilio  generali  i)er  ecclesiam  debet  cognosci,  nee  per  nii- 

a)  regia  maiestate]  vobis  viris  reverendis  prefatis  a.  —  b)  vel  suis  succ.] 
ad  sugestiouem  inimicorum  suorum  a.  —  c)  in  a  ausradiert,  da  nach  con- 
vocationem petierunt  eingeschaltet.  —  d)  dri.  a.  -  e)  suis  a.  —  1)  et  def.  sup.] 
defectibusque  predictis  a. 


'  Vrgl.  den  Beginn  der  „Allegationes  excusatoriae",  Di;m;y,  DitT.  pr.  2'}^, 
und  Beilage  II  §  2,  IX  §  2. 


250  Beilagen. 

noreiu  questionem  maiori  preiiuliciuin  iudicio  ]ivincij)ali  fieri  debeat 
vel  per  accessoriuin  principali:  adlierens  ideiu  Guillelmus  provocationi, 
quam  dicte  eminentes  persona  in  dicto  parlamento  fecerunt,  et") 
reqiiisitioni  ac  petitioni  generalis  concilii,  quam  ipsi  fecerunt,  cuius 
concilii  iudicium  idem  Cxuillelmus  super  premissis  subire  intendit, 
vestre  regie  niaiestati'')  supplicat  idem  Guillelmus,  ut  convocationi 
generalis  concilii  detis  openi  et  operam  efticacem,  ut  alias  vos  pro 
defensione  tidei  et  sancte  matris  ecclesie  liberaliter  obtulistis. 

Cumque  dicti  Guillelmi  negotium  super  premissis  ex  dicto  prin- 
cipali dei)endeat  et  ei  accedat,  Cognitionen!  iudicii  dicti  concilii  dictus 
Guillelmus  invocat  et  iniplorat  et  sedi  apostolice  supplicat  ad  dictum 
concilium  provocando,  ne  adversus  ipsum  Guillelmum  super  eis  in 
quoquam  insuper  premissis  procedat,  et  si  forte  processit,  id  revocet 
et  annullet. 

■^.  Interim  tarnen  petit  humiliter,  supplicat  et  re([uirit  absolu- 
tionem  ad  cautelam  vel  eo  modo,  quo  melius  idem  Guillelmus  ab- 
solvendus  sit  sine  preiudicio  veritatis  defensionum  suarum,  supplicans 
per  dictam  sedem'=)  saluti  sue  anime  provideri,  super  quibus  petit 
et  supplicat  sibi  fieri  iustitie  complementum. 

4.  Verum  si  forte  dicta  sedes  cognosceret,  ipsum  Guillelmum  super 
premissis  coram  ipsa  sede  se  teneri  defendere  non  exspectato  iudicio 
principali  concilii  generalis,  offert  idem  Guillelmus  nunc,  ut  ex  tunc, 
se  paratum  cognitionem  dicte  sancte  sedis  subire  sufficienti  securitate 
ipso  Guillelmo  parata,  et  si  forte  culpabilis  per  quernquam*^)  repertus 
fuerit,  eins  correctionem  humiliter  recipere  et  eins  obedire  mandatis. 
Et  hoc  offert  idem  Guillelmus  vestre  maiestati  regie®),  promittit  et 
iuratO  pro  dicta  sede  recipienti  et  premissa  omnia  apud  vestram 
maiestatem^)  publicat,  ut  per  vos  nota  fiant  sancte  sedi  predicte  ex 
eo,  quod  idem  Guillelmus  propter  manifestas  et  graves  inimicitias, 
quas  habet  apud  dictam  sedem  et  in  itinere,  scilicet  aliquorum  po- 
tentium,  qui  manifeste  ex  premissis  inimicantur  ipsi  Guillelmo  et 
ipsum  oflfendere  temptaverunt '')  et  impediunt  cognitionem  et  perqui- 
sitionem  premissorum,  et  familiarium  et  amicorum  ipsorum  potentium 
sine  persone  sue  periculo  sedemipsam  adire  non  potest. 

Super  quibus  omnibus  vestre  regie  celsitudini  pro  defensione 
fidei  et  sancte  matris  ecclesie  et  anime  sue  salute  consilium  et 
auxilium  dictus  Guillelmus  instanter  implorat  ac  etiam  consilium  et 
auxilium  totius  ecclesie  Gallicane  ^ 

a;  del.  a.  —  b)  reg.  mal.]  reverentie  a.  —  c)  per  dictam  sedem  äel.  a.  — 
d)  per  cjuemquam]  in  quoquam  a.  —  e)  mai.  reg.]  reverentie  ac  a.  —  f)  et 
iurat  del.  a.  —  g)  vestram  mai.]   vos  o.  —  h)  nituntur  a. 


*  Dieser  letzte  Satz  ist  im  Blatt  nr.  19  nicht  durch  Rasur  geändert,  sondern 
gestrichen;  es  scheint  daher,  dass  Nogaret  hier  den  Entschluss  fasste,  weiter- 
gehende AenderuDgen  vorzunehmen. 


I.    Vorschiedeue  Rezeusioueu  der  Apologie  vom  7.  Sopteiubcr  1304.       251 

2.  T3ie  letzten  Punkte  und  der  Schluss  einer  Verteidigungs- 
schrift Xogaret's.  (Dezember  1305  —  A[)ril   1311.) 
[Rezension  C] 

1.  LXI.  Item  proponit,  quod  premissis  non  obstantibus,  cum 
idem  Guillehnus  ad  dominum  regem  i)refatum  Parisius  revertisset, 
dictus  dominus  papa  Benedictus,  eodem  Guillelmo  suisi^ue  sociis  pre- 
dictis  penitus  non  vocatis,  per  fautores  dicti  Bonifacii  et  eins  errorum 
deceptus  inciviliter,  perperam  et  ini(|ue  contra  deum  et  iustitiam  et 
omni  iuris  ordine  pretermisso,  salva  sedis  apostolice  reverentia,  occa- 
sione  premissorum  processum  per  formam  edicti  ad  eternam  memo- 
riam  apud  Perusium  publicavit,  in  (]uo  dictum  Guillelmum  plurcsque 
nobiles  de  Campania,  Roma  vicinisque  per  Tiberim  locis")  per  eum 
nominatos  notavit  ex  premissis,  que  flagitia  appellavit,  lese  maiesta- 
tis,  perduellionis''),  sacrilegii,  parricidii,  legis  Cornelie  de  sicariis, 
legis  lulie  de  vi  publica,  iniuriarum  aliorum(|ue  diversorum  criminum 
reos,  eosque  necnon  omnes,  qui  eis  opem,  consilium,  auxilium  vel 
favorem  dederant  ad  premissa,  nuntiavit  in  canonem  late  sententie 
incidisse;  eos  omnes  insuper  citavit  ad  diem  festi  beatorum  aposto- 
lorum  Petri  et  Pauli,  quod  tunc  per  tres  septimanas  solum  distabat, 
ut  coram  eo  Perusii  comparerent  sententiam  audituri^ 

2.  [Item  proponit,  (piod  idem  Guillelmus  processum  huiusmodi 
penitus  ignoravit,  nee  mirum,  us(pie  ad  vigiliam'^)  dicti  festi,  quo 
iussus  fuerat  comparere;  qua  vigilia  Parisius  existens  prinio  de  liiis 
rumorem  audivit  et  cum  ad  se  defendendum  de  premissis  pararet^.] 

3.  LXll.  Item  proponit,  quod  dicta  die  festi  apostolorum  in 
palatio,  quo  causas  dictus  dominus  Benedictus  faciebat  audiri  Perusii, 
quidam  miles  fidelis  ad  excusandum  causas  absentie  et  ignorantiam 
ipssiu  Guillelmi  processus  predicti  se  legitime  presentavit.  (^jui  non 
fuit  admissus,  sed  contra  deum  et  iustitiam  fuit  repulsus. 

4.  LXIII.  Item  proponit,  ({uod  dicto  festo  lai)so  post  paucos 
dies  dictus  dominus  Benedictus  decessit,  (piod  dominus  ad  bonum 
anime  sue  et  ecclesie  dei  fecisse  videtur,  ne  iunucentes  de  bono 
opere  cederent.  Et  cum  ad  dictum  Guillelmum  dicti  processus  no- 
titia  pervenisset,  propter  vacationem  sedis  se  non  potuit  defendere 
in  premissis. 

a)  deest  d.  —  b)  perduelifonis  d.  —  c)  vigilia  d. 


'  Vr<;l.  mit  diesem  Absatz    den  Wortlaut    der  Bulle-  „Flngitiosum  st-elus". 
*  Hier  ist  oiVeubar  an  die  Rezension  A  gedacht.    —    Diu    eingeklammerte 
Stelle  wurde  von  Xogaret  wieder  gestrichen. 


252  Beilagen. 

:..  LXIV.  Item  proponit,  quod,  post(iuam  de  domino  iiostro 
summo  pontitice,  (jui  nunc  est,  fuit  ecclesie  dei  provisum,  idem 
Guillelmus,  «piia  non  poterat  commode  per  se,  semper  per  dominum 
regem  predictum,  fidei  catliolice  sancteque  matris  ecclesie  defensorem, 
pro  posse  suo  institit  et  procura vit,  liabere  aditum  ad  suas  defen- 
siones  predictas  })roi)onendas,  probandas,  necnon  ad  principale  ne- 
gotium fidei  predictum  legitime  prosequendum,  nee  fuit  in  culpa 
difterendi  hoc  negligentia  sive  mora\ 

Ex  premissis  igitur  concludit  dictus  Guillelmus  .  .  .  [wie  Dupuy, 
Diff.  pr.  250;  vrgl.  oben]  ...  et  culpam. 

6.  Quare  petit,  supplicat  et  re(]uirit  se  super  predictis  Omnibus 
et  singulis  sibi  impositis  per  dictum  dominum  Benedictum  papam 
innocentem  coguosci  et  pronuntiari  et  dictum  processum  dicti  domini 
Benedicti  ijape  contra  ipsura  Guillelmum  et  socios  suos  et  adherentes 
habitum  nulluni  et  irritum  nuntiari  et  carere  omni  robore  firmitatis. 

7.  Premissa  autem  omnia")  et  singula  jjrotestatur,  proponit  et 
petit  et  oftert  pro  se  et  omnibus  suis  adherentibus  et  specialiter 
baronibus,  nobilibus  et  aliis  omnibus  et  singulis,  qui  eura  secuti 
fuerunt  apud  Anagniam  et  alibi  pro  negotio  Christi  predicto,  quos 
interest  sua  defendere,  cum  ad  eius  instantiam  et  requisitionem  eum 
secuti  fuerunt  ad  i)remissa. 

8.  Licet  autem  premissa,  quatenus  ad  suam  intentionem  suffi- 
ciant,  sint  notoria  et  manifesta,  si  tamen  sedi  apostolice  videatur 
ad  finem  supra  jiropositum  alias  probationes  necessarias  esse*"),  petit 
idem  Guillelmus  testes  suos,  qui  in  futurum  possunt  non  esse,  cele- 
riter  recipi  et  ad  perpetuam  rei  memoriam  legitime  publicari  ad 
securitatem  negotii  supradicti.  9.  Preterea  cum  periculosum  esset 
eidem  Guillelmo  suisque  adherentibus,  si  inimici  sui,  immo  j^otius 
Christi  et  eius  negotii,  quod  idem  Guillelmus  prosequitur  et  defen- 
dit,  assisterent  domino  nostro  summo  pontifici  seu  sedi  apostolice 
ad  tractandum  negotium  predictum  vel  aliquid  agendum  in  eo,  recusat 
nedum  tan(iuam  suspectos,  sed  adversarios  principalos  cardinales  ali- 
quos  et  alios  quoscunque  Bonifacianos  et  partem  facientes  pro  eo 
utpote  eius  errorum  fautores  et  cum  eius  memoria  simul  damnandos, 
qui  ex  eius  operibus  manifeste  cernuntur,  quare  eos  ad  presens  non 
nomino,  nominaturus,  si  necesse  sit,  loco  et  tempore  opportunis,  qui 
tamen  fautores  notorie  incurrisse  noscuntur  impediendo  totis  viribus, 
ne  sujier  heresi  Bonifacii   et   aliis    eius    erroribus  veritas  inciuiratur, 

a)  deest  d.  —  b)  dcest  d. 


II.  Ratschläge  Xogaret's  betr.  des  Prozesses  gegen  Bimifaz.  (l.'iOö.)     253 

adiurans  in  deo  vivo,  doniino  Jesu  Christo  vi  tide,  (|ua  teuetur 
Romane  ecclesie,  dominum  nostruni  summuni  poiitilicem,  ne  in  ali- 
quo  actu  negotia  predicta  tangente  ([uidquam  eis  communicet,  sed 
potius  contra  eos  sicut  contra  Bonifacium  [)redictuni  procedat"). 

II. 

Nogaret   ermahnt   den  König,   nicht   vom  Prozess  gegen  Bonifaz 

abzustehen,  und  giebt  ihm  verschiedene  Ratschläge  zur  Behandlung 

desselben.     (Juni — November  1305.) 

Arch.  nat.  J  491  B  nr.  797 ^'''^;  Konzept  von  der  Hand  Xogaret's. 
Der  Rat,  dafür  zu  sorgen,  dass  französische  Kardinäle  ins  Kollegium 
kommen  (§  11),  weist  daraufhin,  dass  das  Stück  vor  den  15.  Dezember 
1305  zu  setzen  ist.  Die  Worte  „in  principio  vestri  adventus"  (^  10) 
deuten  auf  bevorstehende  persönliche  Verhandlungen  zwischen  König 
und  Papst;  solche  fanden  zu  Lyon  statt,  wohin  Philipp  Anfang 
November  1305  -kam  [Rec.  des  bist.  XXI,  4-10  C].  Aus  dem  Satz 
„quia  non  habemus  ad  hoc  papani  voluntarimn"  (i^  9)  dürfte  zu  ent- 
nehmen sein,  dass  es  einen  Papst  immerhin  gab,  während  der  Schluss 
des  §  9  darauf  hindeutet,  dass  er  noch  nicht  lange  gewählt  war,  da 
man  über  seine  Stellung  noch  nicht  klar  ist.  Danach  rechtfertigt  sich 
die  obige  Zeitbegrenzung. 

1.  Serenissimo  principi  supplicat  Guillelmus  de  Nogareto  miles 
eins,  ut  maiestas  regia  dignetur  advertere  super  hiis,  (|ue  sequuntur. 

Primo  quod  Christus  estveritas^  et  quicunque  veritatem  negat, 
Christum  negat,  et  qui  recedit  a  veritate,  recedit  a  Christo,  et  qui 
recedit  a  Christo  vel  a  veritate,  fidelis  non  est,  profanus  est,  non 
tenet  viam  dei,  maxime  qui  ex  proposito  veritatem  ipsam  immutat. 
Hoc  deus  et  omnes  sancti  scribunt  et  dicunt. 

2.  Secundo  quod,  qui  negligit  famam  suam,  crudelis  est^  Licet 
enim  conscientia  sua  quemlibet  innocentem  excuset  ad  dominum,  non 
tarnen  sufficit  ad  proximum^  Et  t[m  vitiosus  scandalum  ex  falsa 
opinione  vel  infamia  procedens  negligit,  peccat  mortaliter,  si,  dum 
potest,  non  vitat  scandalum  •*,  cum  id  possit  sine  peccato  vitare. 
Augustinus,  apostolus. 

3.  Tertio  quod,  qui  ponit  manum  ad  aratrnni,  hoc  est  ad 
Christi  negotium,  non  est  aptus  regno  dei,  si  sponte  retro  reverti- 
tur^.     Christus. 

a)  procedant  cl. 


Job.  14  6.  '  Vrgl.  o1)en  S.  i.U9  Auni.  1. 

Vrgl.  2.  Kor.  8  21.  '  Vrgl.  Beilage  IX  §  2. 

Luc.    9  62. 


254  Beilajren. 

■1.  (^Uiirto  (lUüd,  t|ui  liiigit  rcligioncin  et  ck'i  zeluni,  ubi  iion 
est,  deum  deridet,  ipocrita  est,  prevaricator  est,  et  oportet,  (juod 
talis  a  dominonecessarioconfundatur'.  Christus,  profete  et  omnessancti. 

f..  Quinto  (|uod  plus  ab  eo  exigitur,  cui  plus  coinmissum  est»)^, 
sie  lo4uitur  dominus  per  profetas  et  in  lil)r()  sapientie.  Et  idco 
cum  regibus  et  maioribus  personis  aliis,  quibus  phis  deus  commisit, 
l)lus  exigitur,  et  durius  est  seu  fit  cum  eis  iudicium,  si  peccent, 
maxime  in  premissis,  que  eis  precipua  committuntur. 

G.  Sexto  quod,  ubi  Christi  negotium  propter  adversa  tempora 
commode  compleri  non  potest  jier  aliquem,  saltim  non  debet  impe- 
diri,  quominus  statim  per  aliuni  vel  per  principalem  promotorem, 
cum  commode  poterit,  compleatur.  Tolerabilius  est  enim  diiferri 
Christi  negotium  (]uani  prorsus  tolli. 

7.  Septimo  advertat  regia  celsitudo,  ([uod  deus  in  veteri  testa- 
mento  et  novo  multos  reges  et  principes  propter  premissa  peccata 
destruxit,  sie  principes  Juda,  sie  reges  gentiles,  sie  imperatores 
Romanos,  sie  quendam  regem  Francorum  Ludovieum,  sie  impera- 
torem  Fredericum''),  et  de  suis  sedibus  exulavit. 

8.  Vobiscum  ergo  est  iudicium,  o  domine  rex,  coram  deo  et 
hominibus.  Xon  habetis  iudicem  temporalem,  habetis  deum,  (|ui 
adest  et  falli  non  potest  nee  pleeti  muneribus'^  nee  teneri,  nisi  per 
veritatem  simplicem  sine  duplicitate.  Fahim  et  publice  Christi,  fidei 
catholiee  et  defensionis  ecclesie  contra  Bonifacium,  ut  dicebatis, 
negotium  assumpsistis:  caveatis,  ne  contra  veritatem  facialis  nee  deo 
veritatem'')  reddatis  vel  veritas  vos  condemnet.  Coram  hominibus 
negotium  assumpsistis,  rex  estis  et  tarnen  eavete,  ne  famam  vestram 
et  honorem  negligatis  nee  seandalizetis  homines  vituperiose  negotium 
dimittendo,  vel  erudelis  essetis  et  coram  hominibus  pcecaretis, 
scandalum  generaretis,  peeearetis  mortaliter  et  perseverando  semper 
remaneretis  in  peecato  nee  a])tus  essetis  regno  dei.  Freces  presi- 
dentis  cuius(iuam  vel  ij^uevis  adversitas  vel  aliipiis  tribulatio  vos  ex- 
cusare  non  possunt,  ut  a  veritate  domini  recedatis;  scripture  naraque 
mentiri  non  possunt. 

9.  Sed  dicent  vobis,  qui  negotiantur  de  vobis '  vel  hominibus 
placere  volunt  vel  vestrum  non  advertunt  honorem,   quod  negotium 

a)  comm.  est]  exijritur  d.  —  1))  Fredelicuin  d.   —  c)  vos  vcritdatem  d. 


'  Vr^l.  u.  a.  .Tes.  41  n;  .Ter.   17  i3. 

-  Luc.   12  IS.    Mit  Unrecl)t  beruft  sicli  Nogaret  hier  auf  die  Propheten   und 
die  Weisheit  Sahimonis. 

^  Vr^l.  S.  52  Aum.  3.  '  2.  Petr.  2  3;  vrgl.  S.  48. 


n.  Ratscliläge  Nogarot's  betr.  des  Prozesses  gegen  Boiiifax.  (1*305.)     255 

est  iinmo  impossibile,  tarn  (|iiia  in  se  aiduuni,  tain  <nüa  non  l)al>e- 
inns  ad  hoc  papain  voluntarium,  tani  (juia  vos  tenipus  ]>io})tL'r  gueiras, 
que  iioiulum  tinem  habeiit,  non  liabotis  parat  um  ad  prosecutionem 
negotii  nieniorati.  Resjjondeo,  (juod  ex  causis  preniissis  negotium 
est  difticile  ad  proseipiendum,  scd  non  impossibile;  non  })ro])ter  hoc 
a  veritate  recedendum  est.  Licet  sit  adhuc  gravior  difficultas,  si 
ante  oninia  fieret  concilium  generale,  quia  regna  aha  emulantur  regno 
Francie,  et  si  esset  congregatum  concilium  generale  ante(iuam  hercsis 
Bonifacii  plene  posset  ostendi,  plures  prelatos  aliorum  regnorum 
istius  haberenius  contra  nos  quam  pro  nobis,  niaxime  si  papa  ex 
altere  latere  dependeret,  (juod  esset  niagnum  [)criculuni. 

10.  Esset  ergo  consilium,  cum  via  defensionis  sit  levior  (juam 
aceusationis  et  minus  i^ericulosa,  quod")  G.  de  Nogareto  in  jjrincipio 
vestri  adventus  ante  omnia  se  defensioni  offerat,  et,  quia  publice 
diffamatus  est'')  per  processum  publicatum  contra  se  et  super  tanto 
negotio,  de  quo  loquitur  totus  mundus,  petat  audientiam  publicam 
ante  omnes  tractatus,  et  cpiod  ad  sui  defensionem  proponat  negotium; 
in  continenti  magnam  partem  veritatis  negotii  ostendet  et  probabit, 
que  ad  minus  exonerabit  et  apud  homines  excusabit  regiam  excellen- 
tiam,  et  bonuni  zelum  regium  et  ipsius  Guillelmi  innocentiam  et  ad 
minus  saltim  semiplenam  heresim  Bonifacii  et  offeret  se  ad  proban- 
dum  plenius,  petet  auditores  non  suspectos  in  negotio,  recusabit 
suspectus  cardinales  ex  iustis  causis  et  manifestis,  et  sie  regi  non 
poterunt  nocere  in  negotiis.  Si  autem  papa  velit  aliam  viam  teuere 
necessario,  ipse  Guillelmus  dabit  vias  post  propositionem  negotii, 
per  quam  sine  dei  oti'ensione  et  salvo  honore  regio  negotium  alio 
immo  procedet.  Sed  oportet  negotium  teneri  in  alto,  maxime  ab 
initio. 

11.  Itera  (j[uamcunque  viam  rex  teneat,  expedit,  (piod,  ut  citius 
poterit,  creari  cardinales  de  regno  et  sibi  fideles  procuret,  anteipuim 
tractatus  subeat  ad  hoc,  ut  sint  in  ipsis  tractatibus  et  regi  et  regno 
possint  prodesse  in  agendis  hoc  tempore. 

12.  Ante  omnia,  in  omnibus  et  per  omnia,  doniine,  semper 
teneatis  in  mente  et  memorie  reducatis,  (piod,  qui  dui)lici  corde 
graditur  aliud  tenens  in  ore  aliud  in  corde,  abominabilis  est  deo. 
Scriptum  est  enim ',  quod  Spiritus  sanctus  discii>line  elVugiet  tictuni. 

a)  fuJfjt  rhirc.hsl riehen  ci/o.  —  b)  deest  d. 
'  Weisheit  1  :.. 


25  Ü  Beilagen. 


III. 


Ein  die  Verhandlungen  zu  Poitiers  1307  betreffendes, 
an  den  König  gerichtetes  Schreiben.     (Mai  1307.) 

Arch.  iiat.  J  491  B.  nr.  791 1.  Das  Stück  ist  nicht  von  der 
Hand  Nogaret's,  scheint  aber  die  dem  König  eingereichte  Ausfertigung 
zu  sein.  Nicht  Nogaret,  dessen  Stil  auch  ein  anderer  ist,  sondern 
ein  anderer  Rat  des  Königs  ist  der  Verfasser,  und  zwar  derselbe, 
von  dem  auch  der  Erlass  „Res  amara'-  vom  14.  September  1307 
herrührt  [vrgl.  §  7:  „in  supreme  dignitatis  specula,  etc.'"  mit  Rev.  des 
quest.  hist.  X,  330:  „nos,  qui  ad  defensionem  fidei  ecclesiastice  liber- 
tatis  sumus  a  domino  super  regalis  eminencie  specula  constituti"]. 
Der  Adressat  ergiebt  sich  aus  §  6;  wenn  auf  dem  Rücken  sich  die 
Notiz  findet:  „domino  et  patri  suo  domino  Stephano  cardinali.  Avi- 
samenta  quedam",  so  ist  das  wie  bei  Beilage  IV  zu  verstehen,  wo 
wir  noch  die  beiden  Ausfertigungen,  die  für  den  König  und  die  für 
den  Kardinal  Stephan,  haben.  Mit  dem  letzteren  ist  der  frühere  Gross- 
siegelbewahrer des  Königs,  Stephan  von  Suizy  (seit  15.  Dezember 
1305  Kardinal)  gemeint.  Aus  dem  Schluss  des  §  9  ergiebt  sich,  dass 
es  sich  um  Verhandlungen  zu  Poitiers  handelt,  wobei  an  diejenigen 
von  1307  zu  denken  ist,  schon  weil  nur  von  einmaligen  die  Rede  ist 
(vrgl.  DuPUY,  Diff.  pr.  298:  „bis  Pictavis",  und  Beilage  IX  §  8).  Der 
Kardinal  Matthaeus  Rubeus  Orsini  (§  5)  Avar  1306  gestorben  (GiACONl: 
„Hist.  pontificum"   II,   164  E). 

1.  Pratica  eorum,  qua  aguntur,  secura,  decens  et  competens 
est  ista. 

In  primis  fiat  propositio  et  petitio  cum  instantia  damnationis 
memorie  impetiti  de  heresi  et  oblatio  probationum  sufficientium  et 
legitimarum  super  articulo  proi)osito  heresis,  et  hec  cum  instantia 
et  repetita  instantia  et  per  publica  instrumenta.  Et  quanto  magis 
publice  et  magis  solenniter  fiant  supradicta,  tutius  et  favorabilius  est. 

2.  Post  hec  dominus  papa  casset,  annullet  et  revocet  ac  irritet 
de  plenitudine  potestatis  omnia  dicta,  facta  et  actus  Bonifacii  gene- 
ralissime,  per  ipsiim  vel  alios  de  suo  niandato,  sua  vel  quavis  auc- 
toritate,  verbis  vel  litteris,  in  scriptis  et  sine  scriptis  qualitercunque, 
quomodocunque,  ubicunque,  quandocunque  et  ex  quibuscun(|ue  causis, 
et  omnem  effectum  ipsorum  et  subsecutorum  quomodolibet  ex  ipsis. 
Et  inserat,  quod  hoc  facit  ex  certis  causis  et  rationibus,  que  per 
papara  ipsum,  ad  honorem  ecclesie  respectum  habentem,  tacentur 
ad  i)resens,  et  de  plenitudine  potestatis. 

3.  Fiat  hoc  generalissime,  et  quia  multum  hoc  iacebit  in  penna 
et  scribendi  modo,  vocentur  in  confectione  note  devoti  domini  regis 
et  vulnerati  veneno  illius,  quos  opportune  experientia  docuit  compe- 
tentia  autidota  ac  remedia  ad  eins  mortifera  repellenda  venena. 


III.  Eiu  die  VorluiiKlluiigen  zu  Poitiers  1307  bctrclVendes  Schrcibeu.     257 

4.  Et  restituantur  plenissime  et  ^^encnilissinie  in  intt'gnun  omnes 
devoti  domini  regis  lesi,  gravtiti,  inlaniati  talso  vi  ilamnitieati  i)er 
ipsiim  Bonifacium. 

5.  Et  ([uia  serpens  ille  flatu  adurens  nil  aliml  dcsideravit  nisi 
verbo  et  facto  infamare,  deprimere  et,  (juatenuä  in  se  fuit,  annibilare 
honorem,  famam,  gloriam,  libertatem,  dignitatem  et  potentiam  cbristia- 
nissimi  domini  nostri,  domini  regis  Francie,  et  devotissimi  et  cbristia- 
nissimi  regni  sui,  continue  laxando  abominabilem  linguam  siiam  in 
stultiloquia  et  falsilo(iuia  et  in  verba  abominationis  et  Idasfemie  mul- 
tifarie  multisque  modis,  nunc  dicendo,  nunc  scribendo,  nunc  consti- 
tuendo,  nunc  declarando,  nunc  decernentlo,  nunc  interpretando') 
diversis  temporibus  et  etiam  secrete  multa  agendo  circa  mortem  per 
manus  domini  Matthei*")  Rubel  quondam  cardinalis  qui  et  ipse  ac- 
tibus  illius  et  venenis  communicans  ad  supradicta  nefarie  et  impiis- 
sime  anelabat:  fiat  annullatio  specialissima  et  generalissima  et  cas- 
satio  omnium  quomodolibet  verbo  vel  facto,  in  scriptis  et  sine  scriptis, 
publice  vel  occulte,  directe  vel  indirecte,  in  vita  vel  in  morte,  per 
se  vel  alium  seu  alios  quoscunque,  quavis  auctoritate,  ex  (piibuscun- 
que  causis  vel  occasionibus,  titulis  vel  quasi,  quomodocunque,  quau- 
docunque,  ubicuiKjue,  (ßialitercunque  prolatorum,  editorum,  declara- 
torum,  interpretatorum,  constitutorum  seu  decretorum  contra  statum, 
honorem,  gloriam,  famam,  libertatem,  dignitatem  ac  integritatem 
domini  nostri  regis  et  liberorum  suorum,  fratrum,  baronum,  princi- 
pum,  prelatorum,  cleri  et  populi  ac  regni  sui  totius.  Et  fiant  hec 
generalissime  et  plenissime,  quanto  plenius  poterit,  et  in  confectione 
notarum  et  litterarum  forte  expedit,  quod  non  excludantur  devoti 
domini  regis,  quia  virtus  magna  in  verbis  litterarum  consistit. 

6.  Item  domino  nostro  regi  placeat,  quia  notabiliter  et  toti 
mundo  notorie  crudelitate  inaudita  atque  ferali  lesi  fuerunt  devoti 
sui  Columpnenses  et  per  processus  varios,  diversos  et  inauditos, 
etiam  secretos,  quos  omnes  fere  imjjossibile  esset  specificari  et  om- 
nino  expedit  sub  generalitate  compreliendi,  scilicet")  tarn  dominus 
Jacobus  et  Petrus  de  Columpna  cardinales  quam  relicjui  alii  clerici 
et  laici  Columpnenses  ac  de  Montenigro,  tam  sj)iritualiter  <juam 
temporaliter  restituantur  generaliter  in  integrum,  i)lenissime,  ad  om- 
nia  eorum  bona  et  iura  spiritualia  et  temporalia,  titulos,  loca,  gra- 
dus,  ecclesias,  boneficia,  pensiones,  indulta,  privilegia,  rescripta,  com- 
missiones  atque  conmiendas,  civitates,  castra,  casalia,  domos,  vineas 
et  iura  <juecun(|ue  et  nomina  et  ad  oninia  alia,  (pie  ante  processus 
eiusdem  Bonifacii  obtinebant  in  urbe  vel  extra,  ubicuncjue  locorum. 

a)  iuterpetrando  d.  —  bi  Mathei  d.  —  c)  silicet  d. 
R.  Holtzmann,  Nogaret.  17 


258  Beilagen. 

Et  hec  restitutio  plenissinie  tiat,  tani  pro  ipsis  Columpneusibus  et 
de  Monteiiigro,  (luaiii  pro  omnibus  consanguineis,  amicis  et  se(|ua- 
cibus  ipsorum,  (piam  aliis  quibuscunque  eoruni  occasione  vel  causa 
quoniodolibet  daraiium  passis.  Et  similiter  in  confectione  huiusmodi 
notarum  vocentur,  «luos  causa  contingit,  devoti  domini  regis,  quia 
frequeiiter  ununi  verbum  positum  vel  omissuni  plurima  operatur  et 
pro  et  contra. 

7.  Ultimo  tiat  una  nota;  et  quia  i)0udus  totum  in  ipsa  est, 
premittatur  prefatio  huiusmodi:  „In  supreme  dignitatis  specula  super 
donium  domini  divina  providente  dementia  constituti,  attendentes 
nobis  incumbere  iustum  ab  iniusto,  equura  ab  iniquo  discernere, 
corrigenda  corrigere,  deformata  in  melius  reformare  et  quoscunipie 
errores  ac  devia  iuxta  traditam  nobis  desuper  potestatem  et  gratiam 
ad  viam  reducere  veritatis,  curis  continuis  angimur  et  sedulis  vigiliis 
excitamur,  quomodo  honor  dei,  integritas  fidei,  cultus  veritatis  et 
iustitie,  equitatis  debitum,  reformatio  ecclesie,  errorum,  iniquitatum 
et  zizaniarum  expulsio  ac  tran(juillitas  fidelium  subsecjuantur,  a  domo 
domini  cunctis  erroribus,  iniquitatibus  et  iniustitiis  procul  pulsis.  Ex 
certis  igitur  iustis,  veris  et  legitimis  ac  rationabilibus  causis,  quas 
ex  certa  scientia,  ad  honorem  ecclesie  respectum  habentes,  non  ex- 
primimus  sed  sub  silentio  preterimus",  etc.  Attendatis  verba 
prohemii  et  quid  important,  quia  ex  certa  scientia  huius- 
modi prohemium  posui  et  utiliter,  nisi  fallor^ 

8.  Et  tunc  tiat  prosecutio,  quomodo  ipse  cassat,  annullat  et 
irritat  omnes  per  quoscuuque,  quovis  tenqjore,  verbo  vel  litteris,  etc. 
factos,  declaratos,  editos,  pronuntiatos  et  denuntiatos  processus  contra 
Guillelmum  de  Nogareto'')  militem,  etc.  Exprimantur  specialiter 
nomina  omnium,  contra  quos  processit  Benedictus  XI.,  et  subiciatur 
clausula  generalis  quoad  alios  adiutores,  fautores,  mandatores  et 
ratum  habentes,  etc.,  etiam  si  regali,  imperiali,  cardinalatus,  archi- 
episcopali  vel  episcopali  vel  alia  quavis  dignitate  ecclesiastica  vel 
seculari  prefulgeant;  et  de  plenitudine  potestatis  pronuntiet  ac  de- 
claret  ipsos  et  ipsorum  quemlibet  nulla  omnino  sententia,  nota  vel 
niacula,  multa''),  pena  vel  facti  seu  iuris  infamia  canonis  vel  hominis 
fore  ligatos. 

9.  Et  incipiat  in  litteris  narratio,  quomodo  opjjortune  et  impor- 
tune  accusatores  et  denuntiatores  ipsius  Bonifacii  impetiti  de  heresi 
diversis  temporibus  nmltifarie  multisque  niodis  instantia  repetita  ac 

a)  Nugareto  d.  —  1))  inultta  d. 


*  Die  gesperrt  gedruckten  Worte  sind  im  Original  unterstrichen. 


III.  Ein  die  Verliamllungou  /u  Poitiors  1307  Itt-trenemles  Sclireibou.      259 

contiuuata  institerunt  ]iro  damnatione  inipetiti  de  lieresi,  offerentes 
se  eius  heresiiu  canonice  et  legitime  probatiiros,  et  fre(|uenter  ad 
liuiusmodi  damnationem  fiendam  iuste,  legitime  et  canonice  generale 
concilium  est  potitum:  tam  ab  ipso  Bonifacio  impetito  de  lieresi, 
(pii  non  solum  facere  et  celebrare  concilium  recusavit,  ubi  ea  ageret, 
ad  que  de  iure  tenebatur  ac  Status  sancta  ecclesie  requirebat,  sed 
contra  omnes  consentientes  et  operam  dantes  petito  concilio  sub 
certis  modis  et  formis  tarn  verbo  ([uam  litteris  processit,  congrega- 
tionem  petiti  concilii  declinaus  omnino,  abhorrens,  vitans  atijue  re- 
cusans:  (juam  etiam  postea  solenniter  a  domino  Benedicto  XI.  in 
l^alatio  basilice  princii)is  apostolorum  de  urbe  in  consistorio  domi- 
norum  cardinalium  solenniter  fuit  et  cum  instantia  niulta  et  multi- 
l)lici  repetitum:  quam  etiam  postea  a  domino  demente  in  Lugduno 
in  consistorio  solenniter  etiam  jier  ipsum  dominum  regem  assistentem 
personaliter  cum  instantia  multa  repetitum.  Et  quomodo  tandem 
in  Pictavis  presentialiter  cum  instantia  multa  repetitur  et  exbiberi 
super  obiecto  lieresis  crimine  iustitiam  postulatur.  Quod  dixi  de 
recusatione  concilii  facta  per  Bonifacium  posui  propter 
causam,  quam  verbis  expressi  vobis^ 

10.  Concludatur  in  litteris,  quomodo  per  dominum  paj)am  de 
consilio  cardinalium  cum  instantibus  precibus  dominus  noster  rex 
omnino  obnixe  rogatur,  quod  pro  honore  ecclesie  a  dicta  petitione 
damnationis  memorie  per  accusatores  et  denuntiatores  supersedeatur 
ad  presens,  cum  et  inseratur  in  litteris,  quomodo  notorium  sit,  nulli 
calumnie,  prevaricationi,  defectui,  note  vel  macule  facti  vel  iuris 
quomodolibet  subiacere  eos,  qui  non  ob  defectum  iustitie  seu  veri- 
tatis  propositorum  seu  etiam  verarum  et  legitimarum  probationum 
accusationis  proposite  et  denuntiationis  et  articulorum  ii)sorum  super- 
sederunt,  sed  parati  prosequi  et  iustitiam  cum  instantia  super  obiec- 
tibus  et  cum  repetita  instantia  humiliter  postulantes  propter  honorem 
ecclesie  ad  preces  et  rogatus  repetitos  ac  magne  instantie  Romani 
pontificis  ac  sacri  coUegii  dominorum  cardinalium  inviti  et  quodam- 
modo  renitentes  ac  devicti  precibus  sui)ersedent  presentialiter  pro- 
se(iui  negotium,  cuius  prosecutioni  continue  cum  magnis  instantiis 
et  multis  ac'multifarie  repetitis,  ut  audirentur  et  examinarentnr  per 
ipsos  proposita  et  singuli  articuli  eorundem  ac  linem  iustitie  legitimum 
et  canonicum  obtinerent,   sollicitis  et  continuatis  studiis  insistebant. 

11.  Summa  omnium  est,  quod  secundum  supt'riorem  substan- 
tiam    littere    plene    conficiantur.     Et    i»laceat,    (piod    videam    luitas. 


'  Auch  dieser  Satz  ist  im  Orijrinul  uuterstrichen. 


260  Beilagen. 

que  super  liiis  tierent,  ([uia  sicut  (jui  tangor,  et  in  honore  domini 
nostri  regis  et  regni  et  in  me  ipso  et  in  raeis  fideliter  dicam, 
(piod  dominus  mihi  revelabit  pro  securitate  et  utilitate  negotio- 
rum. Xani  eadem  substantia  potest  defective  et  bene  et  corape- 
tenter  dici. 

iL'.  L'ltinio  propter  honorem  dei  et  beati  Bonifacii  martiris 
gloriosi  fiat  ommino,  quod  ossa  beati  Bonifacii  martiris,  que  ille 
sceleratus  hereticus  exhumari  fecit  et  transportari  in  aUum  locum 
et  ipse  sepulchrum  suum  in  loco  excelso  constituit  et  in  petra  ex- 
cidit  super  sepulchrum  illius  gloriosi  martiris,  reportentur  in  locum 
suum,  et  ossa  illius  scelerati  portentur  in  locum  illum,  ubi  ipse  fecit 
sepeliri  ossa  martiris  illius.  Et  hoc  debet  ad  sunimam  gratiam  ei 
reputari,  et  satis  esset  impius  et  infidelis,  qui  tale  factum  inipe- 
diret.  Et  stabit  sie  negotium,  donec  dominus  provideat,  quod 
iuxta  vaticinium  leremie  prophete  iuxta  merita  verius  demerita  sua: 
sepultura  asini  sepeliatur,  putrefactus  et  proiectus  extra  portas 
Jerusalem  ^ 

13.  Hec  via  est  omnino  secura,  ut  mihi  videtur,  et  honorifica  tarn 
pro  domino  nostro  rege  et  regno  et  successoribus  suis  quam  pro  accu- 
santibus  et  denuntiantibus  ipsum  Bonifacium  quam  etiam  pro  devotis 
domini  regis.  Per  hanc  etiam  viam,  ut  plenius  vobis  verbo  dixi, 
sanantur  vulnera  sancte  ecclesie  tam  ex  illegitimo  ingressu  Boni- 
facii tjuam  ex  ipsius  heresi.  Per  hanc  etiam  viam  secure  et  plene 
statui  captorum  Bonifacii  providetur,  ut  ex  supradictis  api^aret. 
Per  hanc  viam,  si  diligenter  attendatur,  tacite  damnatur  memoria 
eins-,  nee  vili  pendatur,  quod  dicitur  de  ossibus  beati  Bonifacii, 
quia  ex  hoc  placetur  deo  et  multum  accrescit  favori  eorum,  (jue 
aguntur. 

14.  Expedit  etiam,  quod  propter  statuni  devotorum  domini  regis, 
precipue  Campanorum,  quod  dominus  rex  non  intermittat  cessionem 
sibi  factam  Perusii  de  bonis  Gaitanorum  per  manus  magistri  Giffredi 
de  Pleseyo  et  magistri  Hospitalis,  quia  per  hanc  viam  tenebit  inde- 
votos  ipsos  Gaitanos  sub  timore,  per  quem  salubriter  providere  po- 
terit  secundum  honorem  suum,  statui  et  indemnitati  devotorum  su- 
orum.  15.  Omnipotens  dominus  negotia  dirigat  in  bonum  ad  honorem 
suum  et  domini  nostri  regis  et  rectificationem  ecclesie  et  quietem 
et  salutem  devotorum  suorura.     Amen,  amen,  amen. 

'  Jer.  22  i9. 


IV.    Eiuo  Deuksi'hrift,  betreffs  des  Prozesses  gegen  Boiiifaz.     (l.'JOT.)       2()1 


IV. 

Eine   Denkschrift  betreffs    der   Möglichkeit    eines   Verzichts   des 
Königs  auf  den  Prozess  gegen  Bonifaz.     (1305 — 1311;  vermutlich 

Mai  1307.) 

Arcli.  nat.  J  908  nv.  14  und  22.  Zwei  Exemplare;  auf  dem 
Rücken  des  einen  (nr.  14):  .,danda  domino  regi  Francie",  auf  dem 
des  anderen  (nr.  22):  „domino  et  patri  suo  domino  Stephano  cardinali". 
Der  letzte  Absatz  (^  5)  nur  in  dem  für  den  König  bestimmten  Exemplar. 
Bezüglich  des  Verfassers  gilt  dasselbe  wie  für  die  vorige  Urkunde. 
Aus  dem  Schluss  der  Schrift,  der  inhaltlichen  Aehnlichkeit  mit  der 
vorigen  und  dem  Umstand,  dass  auch  diesmal  der  Kardinal  Stephan 
als  zweiter  Adressat  erscheint,  darf  man  wohl  schliessen,  dass  das  Stück 
derselben  Zeit  Avie  das  vorige  angehört. 

1.  Via  dei,  veritatis,  iustitie,  directionis  ecclesie,  extirpationis  er- 
rorum  et  ini(|uitatum  illius  pestiferi  tyranni*),  via  conservandi  honoris 
et  glorie  vestre  ac  vestri  regni,  quod  semper  manu  tenuistis  fidem 
et  veritatem  et  honorem  et  statum  ecclesie,  via  securitatis  non  so- 
lum  nunc  sed  et  in  posterum  est  via  perducendi  ad  finem  optatum 
et  felicem  laudabiliter  iam  incepta,  solemniter  proposita,  solemnius 
approbata,  firmata  et  iurata  et  super  liiis  omnibus  concilium  generale 
petitum,  solemnibus  protestationibus  et  appellationibus  super  hiis  le- 
gitime et  ex  causis  veris  et  legitimis  interiectis  non  solum  per  sere- 
nitatem  regiam  sed  universaliter  per  prelatos  regni  vestri.  Ex  (juibus 
ad  captionem  toti  mundo  notoriam  impetiti  de  heresi  est  processum, 
et  iam  sub  duobus  Romanis  pontificibus,  Benedicto  XI.  scilicet  et 
domino  nostro  Clemente,  in  consistoriis  damnatio  memoria  solemniter 
est  petita.  2.  Quomodo  igitur  locum  habeat  desistentia  sine  otlcnsa 
dei,  sine  destructione  ecclesie,  sine  enervatione  veritatis,  sine  con- 
fusione  perpetua  etformidando  in  posterum  periculo  regni  vestri,  vestro 
et  successorum  vestrorum  non  occurrerit,  deus  novit,  et  libenter  in- 
venirem  viam  et  modum,  quibus  supradictis  salvis,  si  deberet  Heri, 
tute  posset  negotium  palliar!. 

3.  In  omni  autoni  via,  (jue  tangeretur  ut  media,  omnino  jn-eca- 
venduni  et,  ne  ex  ali(iuo  verbo  vel  actu  directo  vel  indirecte  detur 
vel  recognoscatur,  ipsum  fuisse  verum  et  cathubcum  pontiticem  et 
fernere  seu  falso  vel  contra  iustitiani  de  heresi  impetituin  vel  captuin, 
quia  hoc  infamissimum  et  periculosissimum  esset  omnino.  \'itandum 
est  etiam  omne  verbum  vel  actus,  (jikhI  sonaret  desisteiitiani  a  pro- 
secutione   negotii   finalem   tarn   in    parte  •luem   in   iudice,  »piia  etiam 

a)  tyraiiipui  (/. 


262  Beila<jen. 

hoc  ipsiim  periculosissimiim  esset.  Attentlendum  est  etiani,  quod 
iam  declaratuiu  est  solemniter,  captores  cepisse  papam  et  incidisse 
in  penas  gravissimas,  ipsos'  et  fautores  eorum,  et  excoraniunicatos, 
sacrilegos,  maleticos,  criminis  lese  maiestatis  et  perduellionis  et  di- 
versorum  criminum  reos  et  hostes  ecclesie,  lidei  et  rei  i)ublice,  ut 
hec  omnia  in  Benedicti  pape  processibus  plenius  continentur.  Quare 
constat,  (piod  nullus  locus  alicui  palliationi  est,  nisi  Hat  expressima 
declaratio  in  contrarium  illius  declarationis,  annuUata  et  nulla  nun- 
tiata  declaratione  predicta.  i.  Sed  liabita  predicta  declaratione  in 
debita  et  necessaria  forma  et  restitutis  devotis  vestris  Columpnensibus, 
clericis  et  laicis,  non  soluni  verbo  sed  quoad  facti  etiam  possessionem, 
sicut  de  facto  spoliati  fuerunt,  ad  omnia  eorum  iura  et  omnem  pri- 
stini  cardinalatus  statum,  gradum,  locum  et  titulos  et  ad  civitates 
et  castra,  possessiones  et  iura  quecunque  personalia  et  realia,  privi- 
legia,  indulta  et  alia  plenissime,  ut  expedit,  pro  se  ipsis  et  omnibus 
amicis,  fautoribus  et  sequacibus  eorum,  eorum  occassione  vel  causa 
quomodolibet  per  Bonifacium  vel  eius  mandato  et  auctoritate  lesis: 
posset  sub  quodam  taciturnitatis  silentio  tacite  subsisti,  donec  aliud 
videretur,  a  prosecutione  predicta. 

5.  Item  considerare  hoc  regia  celsitudo,  quod  omnes  devoti  vestri 
de  Campania  male  tractati  sunt  et  tractantur  et  expulsi  sunt  de 
domibus  propriis  et  damnificati  in  bonis,  precipue  in  civitate  Anagnie, 
quod  precipue  factum  est  propter  favorem  eis  omnimode  impensum 
per  officiales  ecclesie  tam  Benedicti  quondam  quam  etiam  aliorum"), 
qui  etiam  castra  ecclesie  tenenda  dederunt  Gaietanis,  ut  ex  eis  guerra*") 
et  mala  fierent  adversariis  ipsorum  Gaietanorum''),  regie  serenitati  de- 
votis. In  hoc  etiam  expedit  apponi  bonum  consilium,  ut  satisfiat 
eis  per  inferentes  iniurias  eisdem,  et  reducantur  in  bona  patria  et 
domos  et  terras,  unde  exulant.  Ad  supradictorum  autem  competens 
et  debitum  coraplementum  expedit,  ut  tam  in  urbe  Eoma  quam  in 
Campania  habeatis  senatorem  et  rectorem,  qui  sint  vestri  omnino, 
et  qui  velint  et  possint  predicta  perducere  ad  effectum  secundum 
honorem  dei  et  vestre  celsitudinis  et  satisfactionem  devotorum  ve- 
strorum.  Et  hec  omnia,  si  ad  hec  intendat  dominatio  vestra,  fir- 
mentur  et  solidentur  secrete  inter  vos  et  papam  ante  discessum 
vestrum  omnino,  quia  omnino  expedit. 

a)  etiam  aliorum  auf  Rasur.  —  b)  guerrora  d.  —  c)  Gayctanorum  d. 


V.  Aus  einer  Yorteitliguuysschrift  Non-arct's  an  die  Kanliiiäle.  (1308.)      263 


Aus    einer    an    die    Kardinäle    gerichteten    Verteidigungsschrift 
Nogaret's.     (1305—1311;  vermutlich  1308.) 

Arch.  nat.  J  908  nr.  G ;  ein  Konzept  von  der  Hand  Nogaret's, 
flüclitig  geschrieben  und  sehr  schlecht  crlialftMi.  ITcbov  die  Zeit  vrgl. 
BeiUige  IX  §  8  und  oben  S.   163. 

1.  Ad  informandas  conscientias  patruni  reverendoiuni  ac  (loiiiino- 
rum  suoruni  tnictatorum  super  negotiis  tangentibus  statuni  nieniurie 
Bonifacii,  eins  accusatorum  et  eorum,  qui  dicuntur  contra  dictum 
Bonifacium  apud  Anagniam  fuisse,  et  eis  adherentiuni  G.  de  Noga- 
reto,  domini  regis  Francie  miles,  ad  presens  semiplene  eosdeni  do- 
minus tractatores  inforraare  intendit,  cum  plene  non  possit,  quia 
sibi  audientia  denegatur,  super  hiis,  que  sequuntur,  causis  suis,  rati- 
onibus  et  defensionibus  negotia  principalia  infra  scripta  tangentibus, 
propositurus  et*)  prosecuturus  legitime  plenius  loco  et  tempore  op- 
portunis,  cum  dominus'')  dabit  sibi  aditum,  quem  nunc  habere  non 
potest  nee  per  eum  stat,  deus  seit. 

Hierauf  folgt  in  21  Punkten  das  bekannte  Schuldregister  Boni- 
faz'  Vin.  und  die  Verteidigung  Nogaret's.  Die  Apologie,  die  nichts 
neues  bietet,  ähnelt  mehr  denen  des  Jahrs  1310  als  denen  von  1304; 
es  sei  hervorgehoben  ^ : 

2.  Item  quod  tertia  die  post  ingressum  Anagnie  dicti  Guillelmi 
populus  Anagninus  voluit  habere  persone  dicti  Bonifacii  et  thesauri 
ecclesie  custodiam,  propter  quod  oportuit  dictum  Guillelmum  dicto 
populo  cedere  in  premissis,  et  sie  ipse  Guillelmiis  et  qui  cum  eo 
venerant  nudi  rebus  dimissis  omnibus  de  Anagnia  recesserunt. 

Der  Schluss  lautet: 

3.  Quare  idem  Guillelmus  suo  et  omnium  premissorum  nomine, 
([uos  sua  interest  ex  causis  premissis  defendere,  concludit^)  dictum 
processum^  nulluni  et,  (^uatenus  processit,  ad  irritum  revocari  de- 
bere  et  nullum  penitus  nuntiari  et,  si  forsan,  <iu(i(l  absit"*),  teneret, 
tanquam  inicpium  et  iniustum  legitime  revocari  et  sc  per  conse- 
(juens  admitti  ad  prosecutionem  damnationis  niemorie  dicti  Boni- 
facii secjuentiumque  suorum  videlicet  eins  errorum  et  malitiarum 
et    eorum   fautorum,    (pii    una    cum    dicto  Bonifacio    sunt   damnandi. 

a)  et   legitime  d.    —   b)  deus  d.    —    c)  concludit  idein  (Juillelnius  d.  — 
d)  abssit  d. 


'  Vrgl.  S.  98  f.,  187. 

-  Nämlich  der  Benedikt's  XI.     ( Flagitiosum  scelus.) 


264  Beilagen. 

SeJ  ad  petitionem  et  supplicationem  huiusinodi  proponendam  adi- 
tum  adhuc  liabere  non  potuit  coram  domino  nostro  summo  ponti- 
tice,  qui  nunc  est,  cpiod  est  iniuste  et  graviter,  sibi  iniuriosissime 
et  suis  adlierentibus,  salva  sanctitatis  doniini  nostri  pape  reve- 
rentia,  cum  tanien  inde  non  deberent  nasci  iniurie,  unde  iura  na- 
scuntnr^  Quare  supplicat  vestre  reverentie,  hec  omnia  per  vos, 
(pii  ad  partem  soUicitudinis  estis  a  deo  vocati,  nota  fiant  domino 
nostro  summo  pontifici  in  periculuni  animarum  vestrarum  [propjter 
honorem  dei  et  ecclesie  sue  sancte,  oöerens  idem  Guillelmus 
promptam  probationem  premissorum,  quatenus  in  facto  consistunt 
et  sue  intentioni  sufficiunt"),  licet  ecclesie  dei  sint  notaria,  si  per 
[dominum]  nostrum  summum  pontificem  aditus  sibi  pandatur. 

VI. 

Nogaret  bittet  den  Papst  um  seine  Absolution. 
(1305—1311;  vermutlich  1308.) 

Arch.  nat.  J.  908  nr.  4.  Reinschrift,  nicht  von  der  Hand  No- 
garet's.    Ueber  die  Zeit  vrgl.  Beilage  IX  §  8  und  oben  S.   1G4. 

1.  Sanctitati  vestre  reverendissime  desiderium  meum  expono  ego 
Guillelmus  de  Nogareto,  domini  regis  Francie  miles,  salutem  anime 
mee  querens  et  aHorum,  qui  propter  ignorantiam  iustitie  cause  mee 
scaudalizantes  peccant  in  me.  Zelo  namque  fidei  catholice  casu  tarn 
necessario,  ubi  non  erat  locus  alii  remedio  pro  veritate  domini,  pro 
corporis  eins  ecclesie  saucte  videlicet  unitate,  pro  patrie  mee  scili- 
cet  regni  dominique  mei  prefati  regis  Francorum  defensione  honorem 
ecclesie  Romane  tuendo  certavi  legitimeque  jirocessi  contra  Boui- 
facium  olim  Romane  ecclesie  presidentem  de  facto.  2.  Cum  adiu- 
torio  hdelium  (juorundam  nobilium  subiectorum  et  devotorum  ecclesie 
memorate  manu  militari  super  hiis  processi,  cum  aliter  propter 
eius  crudelitatem  et  resistentiam  negotium  Christi  compleri  non 
posset;  personam  ipsius  Bonifacii  non  tetigi  nee  tangi  permisi, 
quin  potius  eum  et  suos  a  morte  defendi,  thesaurum  eius  nequis- 
sime  congregatum  nihilominus  a  dispersione  totis  viribus  meis 
ecclesie  salvum  feci;  si  quid  dispersum  est,  hoc  sine  culpa  mea 
factum  est,  qui  dabam  operam  nedum  licite  rei  sed  necessarie 
supradicte.  3.  Ceterum  felicis  recordationis  dominus  Benedictus, 
predecessor  vester,    falsis   suggestionibus   et   ignorantia  facti  decep- 

a)  sufficiat  d. 


'  Vrgl.  Dlpuv,  DifT.  pr.  270  (obeu). 


YT.    Xogaret  bittot  deu  Tapst  um  Absuliition.     (1308.)  2^)5 

tus  mihi  uobilibiisque  predictis  per  cum  nomin:itis  imposuit  ex 
premissis,  ut  iiitellexi,  nos  in  Bonifacii  pret'ati  persoiuim  per  iniuriam 
notorie  quamplura  commisisse  flagitia  necnon  thesaiiruiii  ecclesie 
nequiter  dispersisse  horumque  ratione  nos  in  late  sententie  canonem 
incidisse,  nosqiie")  per  formam  edicti  citavit'")  ad  comi)arendum 
coram  eo  certa  die  per  eum  expressa,  qua  nullatenus  c()mj,)arere 
potui  iustis  impedimentis  detentus  nee  jjostea  propter  mortem  eius, 
(|ue  suiiervenit,  et  ex  causis  iustis  aliis,  de  <piibus  i)resto  suiii  tacere 
plenam  tidem  et  innocentiam'')  meam  claram  ostendere  super  pre- 
missis mihi  impositis  per  prefatum  dominum  Benedictum.  (^uod  si 
forte  defensionibus  meis  auditis  probationibusque  receptis  sanctitas 
vestra  me  super  eis  defecisse  cognosceret,  disciplinam  vestram  humi- 
liter  reeipere  paratus  sum"^)  vestris  obtemperando  mandatis.  i.  Humi- 
liter  igitur  reverentie  vestre  suppHco  mihi  per  vos  prestari  debitam 
audientiam  ad  premissa  meas(|ue  probationes,  (pie  possent  in  futurum 
non  esse,  recipi  et  ad  perpetuam  memoriam  legitime  pubheari,  me 
insuper  iustitia  mediante  de  premissis  absolvi.  Sane  hcet,  quod  ex 
premissis  ligatus  non  sim  —  conscientia  sit  mihi  testis  ad  dominum  I  — , 
quia  tamen  bonarum  mentium  est  ibi  timere  culpam,  ubi  culpa  non 
est^  maxime  propter  eos,  qui  scandalizantur  in  me,  ne  hoc  negli- 
gendo  secundum  apostohcum^  eorum  occidam  animas,  humiliter 
supplico  per  clementiam  vestram  interim  mihi  beneticium  aljsolutio- 
nis  ad  cauteiam  impendi. 

VII. 

Der  König  beauftragt  Nogaret  mit  der  Besiegelung 

einer  Schenkung,  die  er  seinem  Sohne  Karl  gemacht  hat. 

(Poissy,  den  5.  April  1308.) 

Arch.  nat.  JJ  44  nr.  92  (Blatt  b7);  aus  den  Reinstem  Philipp's. 
Das  Schreiben  nimmt  Bezug  auf  das  vorhergehende  (nr.  91),  in  wel- 
chem Philipp  seinem  Sohn  Karl  eine  jährliche  Rente  von  12  000  l'fund 
(livres  tournois)  vermacht,  die  in  Grundbesitz  umgewandelt  werden 
soll.  Diese  Schenkung  trägt  die  Datierung:  „Actum  apud  Pissiacum 
anno  domini  1307  mense  aprilis" ;  hiermit  ist  nach  unserer  Jahres- 
zählung das  Jahr    1308  gemeint.     [Rec.  des  hist.  XXI,  449  F.] 

Philippus  dei  gratia  Francorum  rex  dilecto  militi  nostro  (t.  de 
Nogareto  salutem  et  dilectionem.     Sciatis   nos   providisse   karissimo 

a)  nos  qui  d.  —  b)  citaudo  d.  —  c)  iimosceutiain  d.  —  dl  ipanitus  huiii 
deest  d. 


>  Vrgl.  Beilage  IX  §  7. 

2  Vr<'l.   1.  Kor.  8  lo-ia  und   Beilag«?  IX  §  2. 


2G()  Bi.-ila-,am. 

tilio  nostro  Karolo  de  XII  inilia  librarum  terre  ad  tenipus  assisis 
per  coiisuetiidinem  priorein  iibi  voluerimus  fortalitiis  et  domibus  non 
appretiatis  et  salvo  eidem  filio  nostro  iure,  ([uod  habet  in  heredi- 
tate  niaterna.  Uude  kartani,  (juani  tradet  vobis  Egidius,  clericus 
noster,  super  illa  i)rovisione  sigilletis  et  reddatis  sigillatara  dilecte 
consanguinee  mee  M.',  Attrebatensi  comitisse.  Datum  Pissiaci  die 
(juinta  aprilis. 

VIII. 

Der  König-  erlässt  Nogaret  die  Zahlung  von  2000  Pfund,  den  noch 
nicht  beglichenen  Teil  einer  Schuld  von  3000  Pfund,  welche  der- 
selbe gelegentlich  der  Heirat  seiner  Tochter  mit  Berengarius 
Guillelmi,  dem  Sohn  des  gleichnamigen  Seigneurs  von  Clermont-de- 
Lodeve,  für  diesen  übernommen  hatte.    (Poitiers,  den  1.  Juli  1308.) 

Arch.  nat.  JJ  44  nr.  151  (Blatt  94);  aus  den  Registern  Philipp's. 
Zu  dieser  Urkunde  ist  eine  andere  zu  vergleichen  (Arch.  nat.  JJ,  C 
Blatt  37 f.),  welche  vom  Pariser  Prevost  am  16.  Juli  1306  besiegelt 
wurde,  und  in  welcher  sich  Berengarius  Guillelmi,  der  Seigneur 
von  Clermont-de-Lodeve,  aus  den  auch  in  unsrem  Erlass  (§1)  berührten 
Gründen  dem  König  zur  Zahlung  von  3000  Pfund  verpflichtet.  — 
Nicolaus  von  Lusarches  (§  1)  war  im  Januar  1307  Bischof  von  Avran- 
ches  geworden. 

1.  Philippus  dei  gratia  Francorum  rex.  Notum  facimus  uni- 
versis,  quod,  cum  Berengarius  Guillelmi  miles,  dominus  Clarimontis 
dyocesis  Lodovensis,  nobiscum  tinaverit  et  tria  milia  li])rarum  turo- 
nensium  parvorum  fortis  nionete  nobis  se  daturum  obtulerit  et  ad 
solvendum  obligaverit,  ut  nos  sibi  concederemus,  ne  iinquam  futuris 
temporibus,  hominibus  Clarimontis,  qui  nunc  sunt  vel  erunt  pro 
tempore  futuris  temporibus,  consules,  rectores  seu  ius  quodlibet 
universitatis  vel  beneficium  nos  vel  suecessores  nostri  concedamus, 
nee  ipsi  homines  a  nobis  vel  nostris  successoribus  ullo  unquam 
tempore  ius  seu  beneficium  huiusmodi  valeant  impetrare  nee  ali- 
quam  gratiam  obtinere  contra  finautiam  dileetorum  et  fidelium  ma- 
gistrorum  Nicholay  de  Lusarches,  prepositi  de  Anverso  tune,  nunc 
vero  episeopi  Abrincensis,  et  Johannis  de  Anxeyo,  cantoris  Aure- 
lianensis,  clericorum  nostrorum,  commissariorum  nostrorum  tunc  tem- 
poris  a  nobis  ad  partes  Senonenses,  Carcassonenses  et  Biterrenses 
pro  reformatione  patrie  destinatorum,  qua  dicti  homines  dietis  rec- 


'  Hiermit  ist  Mathilde  [Mahaut]  gemeint,  das  einzige  überlebende  Kind 
Robert's  II.  von  Artois  (f  1802  iu  der  Schlacht  von  Courtrai).  Robert's  IL 
Vater,  Robert  I.,  ^var  ein  Bruder  König  Ludwig's  IX. 


Vlir.  Der  Küuio-  crlässt  Xi>garet  eiue  ScliuKl  von  2000  rfuml.  (1308.)      267 

toribus  et  omni  iure  iiniversit;itis  benefitio  priviiti  fucrunt  inter 
ceteros  articulos  ipsius  seuteutie,  i[ue  senteutiii  postiiiodum  iudicio  curie 
nostre  extitit  contirmata,  ut  in  litteris  nostris  contirmationis  ipsius  plenius 
continetur:  2.  cum  insuper  dilectus  et  lidelis  Guillebnus  de  Mogareto, 
miles  noster,  ex  causa  dotis  tilie  sue,  coniugis  Berengarii  Guillehni, 
iilii  dicti  domini  Clariniontis,  deberet  eidem  domino  ( 'lariniontis  tria 
milia  librarum  turonensium  similiter  fortis  nionete,  jjio  ipiibus  se 
obligavit  prefato  domino  Clarimontis  ad  solvenduui  pro  eo  nobis  vel 
nostris  receptoribus  seu  gentil)us  eadem  tria  milia  librarum  et  ad 
liberandum  ipsum  dominum  Clarimontis  ab  obligatione  predicta,  idem- 
que  Guillelmus  niille  libras  tantum  ex  dictis  tribus  milibus  solvisset 
pro  dicto  domino  Clarimontis  ad  se  exonerandum  ex  causa  supra- 
dicta  receptoribus  nostris:  Carcassoni  petebat  dictus  dominus  Clari- 
montis a  dicto  Guillelmo,  ut  eum  liberaret  a  duobus  milibus  libra- 
rum residuis  de  debito  supradicto.  .i.  Xos  igitur  attendentes  grata 
obsequia  per  dictum  Guillelmum,  militem  nostrum,  exbibita  dicta 
duo  milia  librarum  turonensium  nobis  per  dictum  dominum  Clari- 
montis ex  dicta  causa  promissa  dicto  Guillelmo.  militi  nostro,  libera- 
liter  concedimus  et  donamus.  Qui  Guillelmus  compensando  duo 
milia  librarum  ipsa  cum  hiis,  que  ipse  ex  causa  dicte  dotis  debebat 
dicto  domino  Clarimontis,  liberavit  ipsum  dominum  ab  obligatione, 
qua  nobis  tenebatur  ex  finantia  supradicta,  et  nos  eum  similiter  de 
ipsis  liberamus.  In  quorum  testimonium  sigillum  nostrum  fecinius 
hiis  apponi.  Actum  Pictavis  die  prima  iulii  anno  domini  millesimo 
trecentesimo  octavo. 

IX. 

Nogaret's  „Protestati ones  super  facto  Bonifacii".    (1308.) 

Arch.  nat.  J  908  nr.  IH  und  17.  In  zwei  Ext-iiiplart-n  erhalten; 
das  eine  (nr.  13),  von  uns  mit  A  bezeichnet,  ist  ein  Konzept  von  der 
Hand  Xogaret's,  das  andere  (nr.  17),  B,  ist  die  Reinschrift,  von  einem 
Schreiber  geschrieben.  Einige  nachträgliche  Verbesserungen  in  B, 
die  alle  von  Nogaret  selbst  gemacht  wurden,  bezeichnen  wir  mit  C. 
—   Die  Zeit  ergiebt  sich  aus  §  8. 

1.  Hec,  que  sequuntur,  sunt  protestationes  Guillelmi  de  Xogareto, 
domini  regis  Francorum  militis,  (pias  facit  ad  cautelam  l'uturorum 
et  sui  securitatem,  honore  ecclesie  in  omnibus  et  per  omnia  sem- 
per  salvo. 

2.  Tradunt  sancti  patres  crudelem  esse,  (|ui  negligit  tamam 
suam^     Iterum  ait  veritas,  (piod  licet  sit  necesse,  ut  scandala  veni- 


'  Vrgl.  oben  S.  24!i  Auin.   1. 


268  Beilajreu. 

ant,  ve  tarnen  liomini  Uli,  per  ([uem  veniunt^  Unde  tiadit  apo- 
stolus^,  se  non  comosturuni,  carnes  in  eternum,  si  frater  eins  propter 
esum  eins  carnium  scandalnm  patiatur;  cur  enim,  ait^,  occidani  Ira- 
trem  meum"),  ])ro  quo  T'hristus  mortuus?  ü  res  niiranda  scandali! 
Licet  enini'')  sine  i)eccato  agam,  licet  utar  iure  licito,  si  tanien  videam 
iVatreni  nieuni  in  lue  scandalizari  propter  factum  meuni,  (juoad  me 
vere  bonum  et  licituni,  quod')  ille  frater  mens  ignorans'^j  putat  et  indicat 
illicitum  et  turbatum,  peccat  frater  mens  falso  et  teniere  iudicando, 
sed  ego,  qui  tanien  prebeo,  eius  occido  animam.  Quod  si  vitare 
possem,  reus  sim  mortis  eins");  gratis  enim  fratrem  meum  occidi 
iuxta  predicta.  Licet  igitur,  ubi  nil  mihi  conscius  sum,  conscientia 
mea')  mihi  sufficiat  quoad  me,  non  tarnen  proximo  sufticit,  qui  tur- 
batur,  nee  mihi  (juoad  eum,  cum,  ut  ait  apostolus,  eum  occidam. 

3.  Hoc  igitur  intuens  ac  in  tabulis  cordis  mei  revolvens  ego 
G.  de  Xogareto,  domini  regis  Francorum  miles,  uror  et  estuor  in 
immensum  etenim  pro^  fidei  catholice  defensione,  pro  sancte  matris 
ecclesie  unitate  servanda  scismatisque  vitando  periculo,  quod  erat  in 
ianuis  et  paratum,  nihilominus  pro  defensione^)  domini  mei  regis  ac 
patrie,  regni  Francorum.  Apud^  Anagniam'')  cum  comitiva  gentis 
armornm,  quia  sine  mortis  periculo  non  ijoteram  aliter,  adiens 
Bonifacium  tunc  de  facto  presidentem  ecclesie  Romane,  iam  prius 
de  heresi,  illegitimatione  ceterisque  gravibus  criminibus,  in  admini- 
culum  premissorum  jDropositis  contra  eum,  accusatura  seu  delatum, 
publice  generali  petito  concilio  congregari  pro  prosecutione  huius 
per  jiersonas  legitimas,  missus  a  domino  meo  rege  Francorum,  ad 
intimandum  eidem  Bonifacio,  petendum  etiani  et  requirendum  ab  eo 
congregationem  dicti  concilii  fideliter'*  laboravi,  non  ad  iniuriam  eius 
"vel  alterius  cuiuscunc^ue  processi,  sed  fui  solum  iustitiara  executus. 
4.  Hinc  crucior,  me  namque  dominus  Benedictus  sancte  memorie 
papa   proxime    defunctus')   apud  Perusium   consortesque   meos,    qui 

a)  illuin  A.  —  b)  deest  A,  B.  —  c)  so  C  auf  Basur;  quem  A  [B).  — 
d)  ignorans  veritatem  A,  B.  —  e)  mortis  eius  deest  A,  B.  —  f)  mea  secura 
A,  B.  —  g)  nihilom.  pro  def.j  i)ro  def.  iiihilom.  A.  —  h)  Ananiam  A.  — 
i)  jjapa  prox.  def.j  Bonilacii  predicti  successor  A,  B. 


*  Matth.  18;;  Luc.   17  i. 

-  1.  Kor.  813;  vrgl.  Beilage  II  §  2  uud  YI  §  4. 

'■^  1.  Kor.  811. 

■•  Ueber  pro  stehen  iu  A  wie  iu  BC  die  Buchstaben  a  und  c,  über  dem 
folgenden  Apud  1),  über  fideliter  d.  Dauacli  könnte  man  aber  nur  ordnen,  wenn 
man  den  ganzen  Satz  von  uror  bis  regni  Francorum  vor  fideliter  ein- 
schöbe. 


IX.    Nogaret's  „Protestationcs  super  facto  Bmiifacii".     (l.'K)H.)         209 

mihi  in  pvemissis  fuere  pix'sidio,  per  scrii)tur:ini  publicum  in  loco 
publico  positam  notavit,  Büiiiracium  antedictum  cepisse,  lilasfemiis 
et  iiiiuriis  ofiendisse  ac  tliesauriim  ecclesie  nihilomiims  dispursisse, 
sacrilegium,  parricidium,  lese  maiestatis  nobis  et")  alia  gravia  cri- 
mina  ex  factis  Imiusmodi  nobis  per  eum  inipositis  imjjingendo,  nos- 
que  citavit  ad  andiendam  sententiam  absentcs,  ignorantes  et  penitus 
inauditos,  certuni  terminum  nobis  ad  comparendum  impossibilom 
assignando,  quo  lapso  statim  nos  innocentcs,  inauditos  et  indeiensos, 
iustas  et  evidentes  causas  defensionis  hal)entes,  si  fuissonnis  auditi, 
condemnare  voluit,  locum  ad  sermonem  paiavit.  5.  Sed  deus,  (jui 
respieit  humiles  et  alta  de  longe  cognoseit,  tantam  iniustitiam  noluit 
ad  complementum  venire,  sed  sine  hominis  manu  dictum  dominum 
Benedictum  paulo  ante  orationem  sermonis  infirmitatis  virga**)  per- 
cussit  suo  iudicio,  sie  quod  infra  dies  tres  vel  quattuor  expiravit. 
Paveant  igitur  omnes  termini  terre,  presidentes  ut  subditi,  deuni 
ceU  et  terre.  Xam  temporibus  pristinis  Anastasium  ^  Romano  solio 
Presidenten!,  ac  modernis  temporibus  Benedictum  ex  eadem  vel  simili 
causa  percussit.  Durum  est  enim  contra  stimulum  calcitrare.  c.  Cernat 
enim  quis(jue  fidelis  dicti  domini  Benedicti  processus,  ipsius  iniusti- 
tiam, cum  sine  preiudicio  posito,  quod  dictus  Bonifacius  fuisset 
catholicus,  nosque  de  premissis  culpabiles  fuissemus,  idem  tamen 
Bonifacius  nos  omnes  cum  omnibus  nostris  fautoribus,  assentientibus 
et  adiutoribus  absolverat  ab  omni  sententia  canonis  et  hominis  ac 
etiam  ab  omni  pena  quacumque.  Quod  fecerat  predictus  Bonifacius 
ex  post  facto  palam  et  publice,  propter  ({uod  in  nulluni  casum  con- 
tra nos  procedere  debuerat  dictus  dominus  Benedictus,  maxime  cum 
dictum  Bonifacium  non  ceperim  nee  alias  tractaverim  iniuriose,  sed 
ipsum  a  morte  et  ab  aliis  iniuriis  pro  posse  defendi  nee  thesaurum 
ecclesie    dispersi,    sed   ipsum  pro  posse  ecclesie  salvum  feci. 

7.  Verum  ex  dicto  domini  Benedicti  processu  licet  iniusto  nec- 
non  ex  iusto,  ut  puto,  processu  seu  facto  tarn  pio,  tarn  sancto, 
ecclesie  dei  tam  necessario  in  persona  Bonifacii  apud  Anagniam  habito 
uror,  dilaceror ■=),  apud  plures  in  terris  diversis  iudicor  et*")  scandalum 
patior  per  ignaros.  Prob  dolor I  singulos  adire  non  valeo  nieam  eis 
in  dicto  negotio  iustitiam   ostensurus,  video,  quod  pcccant  et  scan- 

a)  ac  A.  —  b)  iuf.  virga  decst  A,  B.  —  c)  dolaceror  Jl  ((').  —  .1)  iiidicjr 
et  deest  A,  B. 


>  Hiermit  ist  wolil  Papst  Anastasius  IL  gemeiut,  der  durch  seine  Versuche, 
das  Schisma  mit  der  griechischeu  Kirelie  beizule|,'e»,  wobei  er  dieser  selir  weit 
entgegenkam,  in  Rom  grossen  Anstoss  erregte  und  998  nach  nur  zweijiilirigem 
Pontitikat  starb. 


270  Beilagen. 

dalizantur  in  nie,  succurrere  vero  non  i)ossum;  preterea  nescio,  ut 
scriptum  est,  an  ira  vel  odio  dignus  sim,  tinieo([ue,  si  forsan»)  ex 
meis  aliis  peccatis  hanc  tribulationem '')  iuste  patiar,  licet  quoad 
causam  expressam  iniuste,  nam  me  alias  peccatorem  cognosco;  nescio 
insuper,  an  in  diclo  facto  Bonifacii  forte')  (juain  culpani  contraxi. 
(piani  vidoant  alii  et  non  ego,  scriptuinque  reperio,  (juod  bonaruni 
nientiuni  est  ibi  culpam  timere,  ubi  culpa  non  est  ^,  et  ideo  statim 
Parisius  intellecto  processu  dicti  doniini  Benedicti  tani  apud  dominum 
regem  (juam  apud  officialem  Parisiensem  iudicio  ecclesie  me  exponens 
gestis  intervenientibus  publicis  me  quantum  potui  excusavi,  defensiones 
meas  legitimas  exposui,  paratns  eas  prosequi  legitime  loco  et  tempore 
opportunis  apud  sedem  apostolicam.  Sed  per  mortem  impeditus  pre- 
fati  domini  Benedicti  non  potui  ins  meum  prosequi,  ut  mibi  expedivisset 
et  aliis,  ad  scandalum  predictum  tollendum.  s.  Ac  tandem  patre  nostro 
sanctissimo  domino  demente  V*°  divina  Providentia  subsequenter"^) 
ad  apicem  surami  pontificis  assumpto  veni  Lugdunum,  per  dominum 
regem  instanter  et  pluries  sibi  significans  et  supplicans,  ut  me")  super 
iuris  mei  defensione  audiret.  Idem  feci  Pictavis  tam  preterito  anno 
quam  isto ,  pluries  et  instanter  clamans.  Clamavi  apud  dominum 
regem,  apud  reverendos  patres  cardinales,  nunc  singulariter,  nunc 
apud  plures  simul  congregatos,  per  dominum  insuper  G.  de  Plasiano, 
dicti  domini  regis  militem,  apud  ipsum  dominum  summum  pontifi- 
cem,  nuper  boc  idem  feci,  nunquam  tamen  sanctissimi"^)  patris  ipsius 
potui  videre  faciem  nee  eius  sanctam  adire  presentiam,  quod  est 
mihi  nimirum  pena  durissima:  exprobationes  exprobantium  venerunt 
super  me  lacrime  mee  frequenter,  immo  quodammodo  incessanter 
cooperuerunt  faciem  meam.  9.  Quid  ergo  faciam,  nescio,  nisi  (juod 
ad  instar  filii  prodigi,  de  quo  in  evangelio  legitur-,  elegi  mihi  con- 
silium,  ut,  licet  innocens  de  joredictis  mihi  impositis  i)er  dictum  do- 
minum Benedictum  esse  intendam,  peccatorem  tamen  ex  causis  aliis 
me  cognoscens,  multiplicatis  supplicationibus  ii)sura  pulso  patrem 
sanctissimum,  ut,  etsi  non  sim  dignus  filius  nominari  ^),  saltim  me'") 
penitentem  computet  inter  servos  penitentiam  agentes  de  commissis, 
ut  sie  refrigerer,  priusquam  abeam.  Et  cum  in  predictis  in  i)ersona 
dicti  Bonifacii  factis  et  gestis  et  aliis,  que  circiter  acciderunt,  me 
non  cognoscam  nee  sciam  culpabilem,  immo  puto  super  eis  me  iuste, 

a)  si  forsan]  quod  A,  B.  —  1))  trib.  forte  A,  B.  —  c)  forsan  J.,  B.  — 
d)  deest  A,  B.  —  c)  deest  A,  B.  —  f)  domini  mei  Ä,  B.  —  g)  Mer  folgt  in 
A  und  B  ut  me  osculetur  osculo  oris  sui,  —  h)  me  ut  A,  ut  me  B. 


'  Vrgl.  Beilage  VI  §  4.  -  Luc.  15  n- 


EX.    Nogaret's   „rrntcstatiuucs  super  facto  limiifacii.'-      (13o8.)  271 

salubriter  et  pie  egisse,  iudicium  ecclesie  subire  puratus,  \\)&e  taineii, 
qui  pater  est  et  consiliuiu  capit  in  liberis,  mihi  consulat,  i)rüsj)iciat 
et  provideat  nedum  fame  mee,  sed  aiiiine  niee  saliiti  ac  Kcandalo 
aliorum.  lo.  Sique  videat,  mihi")  penit(Mitiam  iniuiij^ciidam,  vel  iam 
imposuerit  vel  in  futurum  iniponat,  ego  ad  cautolain,  si  forsan  ex 
dictis  causis  indigeam ,  ([uod  non  puto,  vel,  si  eo'')  non  iudigeani. 
cum  sciam  mihi  fore  meritoiiuni  a|)ud  deum  ac  in  redemptionem 
utile  peccatorum  aliorum  meorum,  pctens'")  absolutionem  vel  da- 
tam  recipiens'')  omnis  sententie  excommunicationis  canonis  vel  ho- 
minis, si  forsan,  quod  ignoro,  ex  causa  aliqua  sim  ligatus,  humi- 
liter  et  reverenter  penitentiam  ipsam  ad  cautelara")  recii)ere  sum 
paratus  et  devote  deo  prestante  conq^lere ,  ac  ex  nunc  eandem, 
sive  sit  imposita  vel  imponenda""),  accepto  et  reciino  de  presenti, 
non  intendens  per  hoc  super  dictis  defensionibus  meis,  loco  et 
tempore  Opportunist)  legitime  prosequendis,  vel  super  aliis  ([ui- 
buslibet  iuri  meo  renuntiari  tacite  vel  expresse,  sed  (|uod  ins  nieum 
in  premissis  et  ahis  quibuscunque  sit  per  omnia  mihi  salvum.  Pa- 
ratus sum  etenim  meas  defensiones  legitimas'')  proponere  ac  osten- 
dere  loco  et  tempore  opportunis,  tam  coram  domino  summo  pontifice, 
(piani  coram  domino  rege  predicto,  meo  domino  temporali,  meam 
innocentiam  et  aliorum,  qui  me  ad  predicta  secuti  sunt,  et  mihi 
adherentium')  legitime  purgaturus  ac  etiam  ostensurus,  non  inten- 
dens per  absolutionem  cuiuscuncjue  sententie  vel  penitentie  sus- 
ceptionem  me  ligatum  ali(|ua  sententia  confiteri,  maxime  ex  causis 
premissis;  sed  eam  absolutionem,  penitentiam  et  remissionem  plenam- 
postulavi,  postulo  ac  suscipio  ad  cautelam,  iudicio  ac  misericordie 
patris  sanctissimi  domini  summi  pontificis  ac  ecclesie,  si  forsan  in 
predictis  vel  aliis  sim  culpabilis,  humiliter  ac  cum  omni  reverentia 
me  supponens,  omnem  inobedientiam,  contumaciam  et  pertinaciam 
a  me  prorsus  abiciens  et  repellens.  n.  Et  quia  ])resentiani  sancti- 
tatis  dicti  domini  summi  pontificis  inq)etrare  non  possura,  jjremissa 
omnia  et  singula,  (juatenus  pro  me  faciunt,  protestor  palam  et  pu- 
blice'') in  attestationem  legitimamque  deduco,  cupiens,  postulans  et 
requirens'),  hec  omnia  sanctitati  domini  summi  pontiticis  et  oumi- 
bus,  quorum  interest  vel  Interesse  potest,  fieri  manifesta. 

a)  vid.  mihi]  mihi  vid.  B  (C).  —  b)  deeat  A,  B.  —  c)  ad  cautelam  peteus 
C.  —  d)  recipiens  ad  cautelam  C.  —  c)  ad  caut.  deesl  A,  B.  —  f)  sive  sit 
imp.  vel  imp.  deest  A,  B.  —  g)  raeis  loco  et  temp.  opp.  deesl  A,  B,  —  h)  deest 
A,  B.  —  i)  et  aliorum,  qui  me  ad  pr.  sec.  suut,  et  mihi  udli.  deest  A.  B.  — 
k)  palam  ei  ])ubl.  dccf^t  A,  Jl.  —  1)  post.  et  re<iii.  dn'sl   A,  B. 


272  Beilagen. 


Der  König-  beauftragt  Nogaret  mit  der  Besieg^elung  und  Versendung 
einiger  Erlasse.     (St.  Jean-aux-Bois,  den  19.  Oktober  1309.) 

Arch.  nat.  JJ  42  A,  nr.  120  (Blatt  115);  aus  den  Registern 
Pliilipi)'s. 

Pliilippus  dci  gratia  Francoruni  rex  dilecto  et  fideli  G,  de  No- 
gareto,  militi  nostro,  salutem  et  dilectionem.  Ex  certa  scientia  et 
ex  causa  litteras,  (|ue  vobis  tradentur  per  latorem  presentium,  fieri 
fecimus  et  eas  volumus  sigillari,  ac  illas,  (jue  ballivo  Senonensi  diri- 
guntur;  ei  per  vos  per  tertium  nuntium  celeriter  destinari.  Alias  vero 
ballivo  Arvernie  directas  Petro  de  Malomonte  militi  vel  eins  genti- 
bus  tradi  volumus  sigillatas.  Eidem  adiornamentum  pro  adiornando 
ad  proximum  parlamentum  Guillelmo  de  Malomonte  militi  contra 
dictum  Petrum  sub  forma,  quam  congruam  videritis,  concedentes. 
Datum  in  abbatia  sancti  Johannis  in  Bosco,  XIX.  die  octobris. 

XI. 

Aus  einer  Denkschrift  betreffs  der  Verhandlungen  über  den  Ver- 
zicht des  Königs  auf  den  Prozess  gegen  Bonifaz  VIII.   (Vermutlich 
Ende  1310  oder  Anfang  1311.) 

Arch.  nat.  J  492  nr.  803,  Vrgl.  über  dieses  ziemlich  lange, 
nicht  gut  erhaltene  Schriftstück  unsere  Darstellung  S.  201. 

1.  In  nomine  domini  nostri  Jesu  Christi  amen.  Rex  Francorum 
instat,  quod  in  causa  accusationis  proposite  contra  Bonifacium,  dum 
vivebat,  super  eo,  quod  esset  vero  papa  legitimus,  super  heresi 
necnon  super  aliis  nefandis  criminibus  ad  damnationem  eins  me- 
morie  vel  absolutionem  procedatur.  Ecclesia  videt  pericula  et  scan- 
dala  plurima,  que  ex  prosecutione  dicti  negotii  sequi  possunt,  raaxime 
propter  ea,  que  gesta  sunt  circa  cardinalium,  episcoporum  pro- 
visiones,  dispensationes  et  alios  actus  interpositos  per  Bonifacium 
memoratum.  In  iure  et  extra  ins  rogat  ergo  regem ,  ut  superse- 
deat  et  accusatores  supersedere  procuret  a  dicto  negotio.  2.  Cum 
autem  periculum  imminere  videatur  accusatoribus ,  si  desistant, 
regi  etiam  et  prelatis  Francie  ac  ceteris  eis  adherentibus,  qui  con- 
vocationi  generalis  concilii  consenserunt  et  eam  fieri  petierunt,  ut 
sciretur  veritas  de  premissis  inanis,  et  periculum  videtur  imminere 
illis,  qui  dicuntur  Bonifacium  predictum  cepisse  apud  Anagniam  et 
ecclesie  thcsaurum  nequiter  asportatum  per  eos  seu  ex  facto  eorum, 


XI.  Verzicht  des  Königs  auf  den  Prozess  gegen  Boiüfuz.  (1310  od.  1311.)  -  273 

quare  et,  nisi  de  comi)etenti  et  iusta  securitate  eis  provideretur  in 
dicto  negotio,  supersedere  nou  possunt,  praeterea  si  provideatur  eis 
de  securitate  huiusmodi.  Simili  petitnr  per  Bonifacianos,  (juod  pro- 
videatur securitati  memorie  dicti  Bonifacii,  quod  insuper  per  eccle- 
siam  Roraanam  omnia  eins  opera  approbontur,  ne")  in  futurum  conti- 
geret  eandem  repeti  contra  menioriam  dicti  Bonifacii  (luestiunem, 
heresimque  et  illegitimum  ingressum  probari.  Plura  ergo  ex  f  .  .  . 
predicto  queruntur.  3.  Primo,  cum  causa  cei)ta  contra  ]ionifaciuni 
sit  fidei,  et  (jue  via  sit  p  .  .  .  licite,  jjossit  i)rovideri,  ne  procedatur 
in  ea.  Secundo  (piomodo  provideatur  accusatoribus,  regi  et  aliis, 
qui  contra  Bonifaciuni  generale  concilium  petierunt,  si  non  proce- 
datur in  taleni.  Tertio  quomodo  provideatur  eis,  qui  dicuntur 
cepisse  dictum  Bonifacium,  memoria  Bonifacii  non  danniata.  Quarto 
an  possit  provideri,  quod  in  futurum  de  beresi  dicti  Bonifacii  ad 
finem  damnationis  eins  memorie  vel  de  eins  ingressu  illegitime  (jueri 
non  possit.  Quinto  an  summus  pontifex  possit  licite  approbare  et 
confirmare  facta  Bonifacii  supradicti. 

Diese  5  Punkte  (..questiones  principales")  werden  nun  einzeln 
in  langen  Erörterungen  abgehandelt.  Für  uns  sind  von  besonderem 
Interesse  der  zweite  und  dritte  Punkt;  folgender  Satz  sei  den  Aus- 
führungen hierüber  entnommen: 

4.  In  superioribus  post  Solutionen!  prime  questionis  principalis, 
utrum  et  qua  via  possit  sui^ersederi  a  prosecutione  damnationis 
memorie  Bonifacii,  dictum  est'')  ad  solutionem  secunde  et  tertie 
questionis,  qua  via  et  quomodo  provideatur  de  securitate  accusa- 
toribus et  liiis,  qui  convocationi  dicti  concilii  consenserunt  contra 
Bonifacium  memoratum,  quod  diffinitive  pronuntientur  iuste  zelo- 
que  fidei  ad  hoc  processisse,  et  quod  captores  pronuntientur  de 
Omnibus  impositis ")  penitus  innocentes ,  et  quod  non  sit  aliqua 
pena  vel  penitentia  iniungenda  eisdem. 

Der  Schluss  des  Stücks  lautet: 

5.  Cum  igitur  omne  consilium  bonum  a  deo  sit,  et  scriptum 
est^:  cor  regis  in  manu  dei  est  et,  ubicun<jue  voluerit,  inclinabit 
illud,  rogemus  dominum  Jesum  Christum,  dominum  nostrum,  ut 
sufficiant  ei  tribulationes  precedentes  et  dignetur  dominum  i)apam 
nostrum  ad  cor  dei  dirigere  ecclesieque  salutem  et  ad  salutcm  anime 
domini   pape  ipsius,    eiusc^ue   fratres    et   consiliarios    dirigat,    ut    se 

a)  etiam    si  d.   —   h)   dictum   est]   quod    dictum   fuerat    d.   —    c)  omo. 
imp.]  8  impoitois  {mit  Abkürzungsstrichen)  d.  {summa  imjwsitiuiiis'/) 


'  Spr.  Sal.  21  I. 
R.  Holtzmanii,  Nogaret.  18 


274  Beilagen. 

non  occupent  ad  cogitanda  consilia,  que  stabiliri  non  possunt  — 
dominus  enim  prope  est,  qui  talia  consilia  intirniabit,  —  nee  in 
luporum  laudibus  glorientur  dominus  papa  et  eius  fratres  memo- 
res  eius,  quod  scriptum  est:  (jui  hominibus  placent,  confundentur, 
quia  deus  sprevit  eos,  et  alibi:  qui  hominibus  placent,  deo  pla- 
cere  non  possunt,  item  apostolus:  si  hominibus  placuissem,  servus 
Christi  non  ossem ',  quod  sie,  ut  tractum  est,  dominum  nostrum 
papam  sanctissimum  eiusque  fratres  reverendos  sie  pie  eomplere 
dominum(|ue  regem  Francorum  dirigere  et  faeere  ad  dei  bene- 
placitum  adherere  et  in  eo  firmiter  perseverare,  prestare  et  con- 
cedere  dignetur,  (|ui  iuvit  et  regnat  in  seeula  seculorum.  Amen, 
amen,  amen. 

XII. 

Nogaret's  „Cause  defensionum".     (Vermutlich  Ende  1310  oder 

Anfang  1311.) 

Arch.  nat.  J  908  nr.  15,  Reinschrift,  mit  einigen  Nachträgen 
von  der  Hand  Nogaret's.  Als  Konzept  diente  das  Stück  J  908  nr.  12, 
ein  abgerissenes  Ende  einer  sonst  nicht  erhaltenen  Nogaret'schen 
Apologie,  die  wohl  anderweitig  von  dem  Verfasser  nicht  benutzt 
wurde;  sie  schloss  mit  den  „cause  defensionum",  einer  Zusammen- 
fassung, die  dann  für  sich  allein  ausgefertigt  wurde.  Nogaret  selbst 
korrigierte  das  Konzept.  —  Die  Zeit  und  eine  interessante  Verwendung 
der  ,, cause  defensionum"  ergiebt  sich  aus  dem  Stück  J  908  nr.  16. 
Dasselbe  ist  auf  dem  Rücken  benannt:  ,,Quedam  avisamenta  cavenda 
in  confectione  litterarum"  und  beginnt  mit  den  Worten:  „In  dictamine 
litterarum  advertendum  est,  quod  sunt  cause  defensionum  G.  de  No- 
gareto  sociorumque  suorum  plenius  inscribende",  worauf  eine  Um- 
arbeitung derselben  folgt.  Da  sie  dann  wirklich  bei  der  Ausarbeitung 
des  oben  S.  203  erwähnten  Entwurfs  einer  Bulle  benutzt  wurden 
(vrgl.  den  Wortlaut  der  cause  mit  Dupuy,  Diff.  pr.  581  —  585),  so 
dürften  sie  in  dieselbe  Zeit  wie  dieser  gehören. 

1.  Cause  defensionum  Gr.  de  Nogareto  sociorumque  suorum,  qui 
seeum  fuerunt  apud  Anagniam,  et  eis  adherentium  iuste  et  clare  et 
eeclesie  manifeste,  de  quibus  statim  potest  eonstare,  [sunt  due  prin- 
cipales.  Prima,  quod  Bonifacius  non  intravit  per  ostium,  sed  aliunde, 
quod  per  evangelium  Christi  ex  eius  operibus  clare  probatur. 
Öeeunda,  quod  fuit  et  erat  hereticus,  quod  tarn  operibus  quam  ex 
hiis,  que  sequuntur  infra,  (|uam  etiam  ultra  per  festes,  si  esset 
neeesse,   probatur   plene.     Alie  vero  cause  defensionum,  que  etiam 

^  Gal.  1  10.  Die  beiden  anderen  angeblichen  Citate  finden  sich  in  der  Bibel 
nicht;  vielleicht  Erinnerungen  an  Stellen  wie  Hiob  822;  Ps.  92  10;  Matth.  624; 
Jac.  4  *. 


Xn.    Xogaret's  „Cause  dcfensionum".     (Eude  1310  od.  Anfang  1311.)     275 

sole  per  se  sufficiunt,]  *  omissa  et  penitus  sequestrata  veritate  heresis 
dicti  Bonifacii  sunt,  (|ue  se(iiiuntur. 

2.  Primo  quod  dictus  Bonifacius  erat  diversis  criniinibus  gruvi- 
bus  et  enoruiitatibus  deditus  inveteratus  syinoniacus(|ue  manifestus 
et  monitus  ac  super  criniinibus  incorrigibilis.  Erat  iusuper  de  heresi 
graviter  infamatus,  de  premissis  omuibus  accusatus  et  ad  iudicium 
generalis  concilii  legitime  provocatus.  s.  Sciens  et  certioratus  con- 
vocationem  dicti  concilii  renuit,  (luain  ultro  debuisset  oflferre, 
plus  etiam,  quia  luinas  graves  intulit  omnibus,  (|ui  contra  eum  con- 
senserant  convocationi  predicte,  et  quantuni  potuit  ad  actum  pro- 
cessit  et  sie  impedivit,  quominus  posset  iudicium  contra  eum  de 
premissis  liaberi;  et  hoc  constat  nedum  per  testes  hie  paratos  sed 
per  constitutionem  ^  ab  eo  editam  super  istis,  quam  expressis  verbis 
nunc  revocari  oportet  et  de  registris  ecclesie  removeri. 

4.  Secundo  quod  dictus  Bonifacius  ex  premissis  fuit  clare  iudicii 
subterfugus  et  contumax  manifestus  et  de  iure  canonum  habitus  pro 
confesso,  si  alius  homo  fuisset,  et  in  heresi  pro  damnato,  quia  se 
non  purgabat. 

6.  Tertio  dictus  Bonifacius  in  premissis  agebat  contra  discipli- 
nam  ecclesie  pacemque  eins  turbabat,  quare  occurrendum  erat  per 
exteram  potestatem  iuxta  regulas  patrum  sanctorum. 

6.  Quarto,  quia  dictus  Bonifacius  motus  ex  eo,  quod')  in  regno 
Francie  de  statu  suo  questionem  sibi  moveri  videbat,  nedum 
iudicium  super  premissis  impedire  volebat,  sed  ex  odio  sine  cause 
cognitione  palam  et  publice  predicabat,  quod  volebat  destruere 
regnum  Francie  tarn  venerabilem  partem  ecclesie  sancte  dei,  etiam 
si  sciret  prostrare  se  ipsum  cum  tota  ecclesia  sancta  dei,  dicendo, 
sibi  non  esse  eure  de  scismate,  quod  sequi  poterat,  dicendo,  quod 
sicut  Gallicos  volebat  conterere  capita  llomanorum  et  alioruni 
fidelium.  Et  ad  hec  peragenda  ex  odio  procedebat  ad  actum  provo- 
cando  et  invocando  reges  terrarum  et  principes  ad  destructionem 
predictam  et  processus  iniquos  facere  ceperat  et  graviores  complere 
volebat  et  publicare,  ex  quibus  nedum  regni  predicti  concussio,  sed 
totius  dei  ecclesie  grave  et  irreparabile  periculum  et  scandalum 
protinus  sequebantur,    nisi    fuisset  occursum,  ad  modum  litargici  in 

a)  quod  se  d. 


'  Die  eingeklammerten  Worte  sind  erst  naclitrüglich  von  Nogaret  ein- 
gefügt und  fehlen  natürlich  auch  in  dem  Konzept;  sie  stellen  ein  nicht  eben 
geschicktes  Einschiebsel  dar. 

*  Xuper  ad  audientiam;  vrgl.  hierzu  Dli-lv,  DilT.  pr.  6(»7  und  Nogaret 
ibid.  255. 

18* 


276  Beilagen. 

hiis  gelans  et  quiescens  et  ad  iiiodum  frenetici  seviens  in  se  et  eccle- 
siam  dei  totam. 

7.  Quinto  videns  dictus  Guillelmiis,  quod,  ([ui  litargicuni  excitat 
et  furiosum  seu  freneticum  ligat,  licet  ambobiis  sit  infestus,  erga 
tarnen  utrunKiue  karitateni  exercet,  niissus  ad  partes  illas  ad  denun- 
tiandum  dicto  Bonitacio,  quod  super  heresi  ceterisque  criminibus 
esset  ad  generale  concilium  legitime  provocatus,  et  ipsum  requiren- 
dura,  ut  convocaret  ipsum  concilium,  habebat  necesse  venire  Anagniam 
ad  ipsum  Bonifacium  pro  hiis,  ut  erat  sibi  mandatum,  quod  facere 
non  poterat  propter  mortis  insidias  sibi  Guillelmo  paratas,  nisi  cum 
potentia  armatorum. 

8.  Sexto  dictus  Bonifacius  erat  in  actu  tunc  scandalizandi  modo 
predicto  totam  dei  ecclesiam  et  turbandi  eins  pacem,  quare  occurrendum 
erat  per  exteram  potestatem,  cum  humilitas  ecclesie  non  prevaleret 
adversus  eum  propter  eins  austeritatem  et  potentiam  effrenatam ; 
oportuit  ex  karitate  dei  ad  salutem  eins  anime  occurri,  ne  seviret 
ut  freneticus  in  se  ipsum  et  dei  ecclesiam.  Et  quia  nullus  principum 
ad  hoc  erat  paratus,  qui  ecclesiam  dei  defenderet  et  eins  pacem  et 
unitatem,  quam  ille  Bonifacius  taliter  depravabat,  oportuit  in  tanto 
necessitatis  articulo  per  aliquem  catholicum  subveniri  ad  liberandum 
ecclesiam,  cum  quilibet  catholicus  in  utriusque  potestatis  ecclesiastice 
et  secularis  periculo,  si  vivit  in  corpore  ecclesie,  ad  eins  defensionem 
assurgere  teneatur.  9.  Quare  dictus  Guillelmus,  qui  miles  est  et 
iustitiarius  christianissimi  principum,  licet  mandatum  super  hoc  nulluni 
haberet,  zelo  dei  et  fidei  catholice  et  sancte  matris  ecclesie  ardens, 
convocatis  et  adhibitis  fidelibus  et  devotis  vasallis  ecclesie,  adhibitis 
etiam  capitaneo  et  potestate  civitatis  Anagnie  administrationem 
publicam  habentibus,  qui  omnes  ad  hoc  tenebantur,  ut  idem  Guillel- 
mus proposito  ante  se  vexillo  ecclesie  Romane,  quia  negotium  eins 
gerebant,  ingressi  sunt  Anagniam  cum  armis  et  turba,  quia  aliter  non 
poterant,  et  ipsum  Bonifacium  adiverunt;  idem  qui  Guillelmus  iuxta 
mandatum  sibi  factum  dicto  Bonifacio  denuntiavit  provocationes  et  Pro- 
cessus predictos  habitos  contra  eum  et  nihilominus,  licet,  ut  dictum 
est,  alicuius  hominis  dominive  sui  mandatum  aliud  non  haberet,  dei 
legis  et  fidei  fretus  auctoritate  restitit  in  facie  dicto  Bonifacio  pro  veri- 
tate  et  unitate  dei  ecclesie  et  pro  ipsius  ecclesie  defensione,  ne  scan- 
dala  predicta,  que  preparaverat  et  instabant,  perficeret.  lo.  Et  ad  hec 
ex  necessitate  adhibere  ipsum  Guillelmum  oportuit  custodiam  mili- 
tarem  et  maxime,  ne  dictus  Bonifacius  occideretur  in  turba  vel  in- 
iuriam  pateretur  ab  aliis,  qui  ex  eins  meritis  ipsius  sanguinem 
sitiebant,  et  ne  thesaurus,  qui  per  familiäres  dicti  Bonifacii  dispergi 


XII.    Xogaret's  „Cause  defensionum".    (Ende  1310  od.  Anfang  LHl.)      277 

et  asportari  anteceperat,  aniplius  posset  disi)ergi.  Et  sie  ex  facto 
ipsius  Guilleliiii  et  eorum,  (|ui  euiu  seciiti  sunt,  ecclesia  tlei  libcrata 
est  a  scandalis  et  eins  pax  vere  detensa,  thesaurusijue  eius  residuus 
eoi'um  facto  ecclesie  reservatus,  quare  pax  ecclesie  perditorum  mesti- 
tiam  consolatur,  ut  canonica  scriptura  testatur  atque  divina '. 

11.  Septime  quod  dictus  Bonifacius  per  taleiu  dei  visitationem 
vexatus  intellexit  ad  se  reversus  et  publice  predicavit:  factum  dicti 
Guillelmi  et  eorum,  qui  in  premissis  secum  fuerant,  opus  dei  fuerat 
non  hominum,  et  si  qua  forsan  culpa  in  eis  vel  eis  assentientihus, 
opem,  consilium  vel  favorem  prestantibus  fuerat  in  predictis,  oninem 
culpam  et  penam  quamcunqiie  etiam  irregularitatis  remisit  et  ab 
excommunicationis  sententia,  si  quam  ex  premissis  incurrerant,  ab- 
solvit  eosdem. 

12.  Concludit  igitur  dictus  Guillelmus  ex  premissis,  (j[ue  sunt 
ecclesie  manifesta  —  et  si  in  aliquo  ipsorum  ecclesia  dubitet,  idem 
Guillelmus  est  paratus  ecclesie  facere  promptam  fidem  eorum  —  se 
zelo  dei  et  fidei  ac  pro  defensione  ecclesie  legitime  processisse, 
nobiles  Campanos  et  omnes,  qui  eum  secuti  sunt  ad  premissa,  zelo 
dei  et  ecclesie  processisse  et  iuste,  et  si,  quod  absit,  aliquis  eorum, 
qui  ipsum  Guillelmum  ad  Christi  negotium  sunt  secuti,  factor  vel 
consentiens  fuerat  alicuius  dirreptionis  vel  dispersionis  dicti  tbesauri, 
quem  idem  Guillelmus  tali  casu  nullatenus  excusaret  sed  potius 
accusaret. 


^  Vrgl.  Apstlg.  9  31. 


278 


Verzeichnis 

der  in  den  Beilagen  vorkommenden  Eigennamen. 


Abrincensis  episcopus  VIII  §  1. 

Aegidius  vid.  Egidius. 

Anagnia  I,  2  §  7 ;  IV  §  o;  V  §§  1-2;  IX  §§  3,  7;  XI  §  2;  XII  §§  1,  7,  9. 

Anastasius  [papa  11.]  IX  §  5. 

Anversum  VIII  §  1. 

Anxeyo,  de  viel.  Johannes, 

Arvernia  X. 

Attrebatensis  comitissa  VH. 

Aurelianensis  cantor  VIII  §  1. 

Benedictus  papa  XI.  I,  2  §§  1,  3—4,  6;  III  §§  8—9;  IV  §§  1,  3,  5;  VI  §  3; 

IX  §§  4-7,  9. 
Berengarius  Guillelmi,  dominus  Clarimontis  VIII  §  1. 
—  filius  domini  Clarimontis  VIII  §  2. 
Biterrenses  partes  VIII  §  1. 
Bonifaciani  I,  2  §  9;  XI  §  2. 
Bouifacius  martyr  [papa  I.]  III  §§  12 — 13. 
Bonifacius  [papa  VIII.]  I,  Einl.   (LVni):  I,  1  §  2;  I,  2  §§  1,  9;  II  §§  8—10; 

III  §§  2,  4,  6,  9,  13;    IV  §  4;  V  §§  1-3;  VI  §§  1-3;  IX  §§  3-4, 

§§  6-7,  9;  XI  §§  1-4;  XH  §§  1-2,  4-11. 
Campani,  Campania  I,  2  §  1;  in  §  14;  IV  §  5;  XU  §  12. 
Carcasbo,  Carcassonenses  partes  VIII  §§  1 — 2. 
Carolas  vid.  Karolus. 
Christus  I,  2  §§  7,  9;  II  §§  1,  3-4,  6,  8;  VI  §  2;  IX  §  2;    XI  §§   1,  5;   XH 

§§1.12. 
Clarimons,  dioc.  Lodovens.  VIII  §§  1 — 3. 
Clemens  papa  V.  III  §  9 ;  IV  §  1 ;  IX  §  8. 
Columpnenses  III  §  6 ;  IV  §  4. 
Cornelia  lex  I,  2  §  1. 
Egidius  clericus  VII. 
Franci,  Francia  II  §§  7,  9 ;  III  §  5 ;  V  §  1 ;  VI  §  1 ;  VII ;  VIII  §  1 ;  IX  §§  1,  3 ; 

X;  XI  §§  1-2,  5;  XII  §  6. 
Fredericus  imperator  [II.]  11  §  7. 
Gaitani  III  §  14;  IV  §  5. 
Gallicana  ecclesia  I,  1  §  4. 
Gallici  XII  §  6. 
Giifredus  de  Pleseyo  magister  III  §  14. 


Verzeichnis  der  in  deu  Beilagen  vorknnnueudeu  Eigonimmen.         279 

Guillelmi  vid.  Berengarius  Guillelmi. 

Guillelmus  de  Malomonte  miles  X. 

Guillelmus  de  Nogareto  miles  I,  Eiul.  (LX) ;  I,  1  ijS;  1—4;  I,  2  J^ij  1—6,  8—9; 
II  §§  1,  10;  III  §  8;  V  §§  1-3;  VI  §  "l  ;  VII;  V 11 1 '  §§  2-3;  IX 
§§  1,  3;  X;  XII,  Einl,  §§  1,  7,  9-12. 

G[uillelmus]  de  Plasiano  miles  IX  §  8. 

Hospitalis  magister  III  §  14. 

Jacobus  de  Columpna  cardinalis  III  §  (i. 

Jeremias  propheta  III  §  12. 

Jerusalem  III  §  12. 

Jesus  Christus  I,  2  §  9;  XI  §§  1,  5;   rid.  Christus. 

Johannes  de  Anxej'o  VIII  §  1. 

Johannis  in  Bosco  abbatia  X. 

Juda  [regnum]  II  §  7. 

Julia  lex  I,  2  §  1. 

Karolus,  filius  Philippi  regis  VII. 

Lodovensis  diocesis  VIII  §  1. 

Ludovicus  rex  Francorum  [I.,  imperator]  II  §  7. 

Lugdunum  III  §  9;  IX  §  8. 

Lusarches,  de  vid.  Nicholaus. 

Malomonte,  de  vid.  Guillelmus  et  Petrus. 

M[athildis]  comitissa  VII. 

Mattheus  Rubeus  [Ursusj  cardinalis  III  §  5. 

Montenigro  [domini]  de  III  §  6. 

Nicholaus  de  Lusarches  magister  VIII  §  1. 

Nogareto,  de  vid.  Guillelmus. 

Parisii,  Parisiensis,  Parisius  I,  1  §  2 ;  I  2  §§  1 — 2;  IX  §  7. 

Perusium  I,  2  §§  1,  3;  III  §  14;  IX  §  4. 

Petrus  de  Columpna  cardinalis  III  §  6. 

Petrus  de  Malomonte  miles  X. 

P[etrus]  episcopus  postea  cardinalis  I,  Einl.  (LIX). 

Philippus  rex  [IV.]  VII;  VIII  §  1;  X. 

Pictavi  III  §  9;  VIII  §  3;  IX  §  8. 

Pissiacum  VII. 

Plasiano,  de  vid.  Guillelmus. 

Pleseyo  [vel  Plexeyo],  de  vid.  Giffredus. 

Roma,  Romanus  I,  2  §  1;  H  §  7 ;  III  §  10;  IV  §§  1,  5;  IX  §  5;  XII  §  6.  Ro- 
mana ecclesia  I,  2  §  9;  VI  §  1;  IX  i;  3;  XI  §  2;  XII  §  9. 

Rubeus  vid.  Mattheus. 

Senonenses  partes  VIII  §  1.     Senonensis  ballivus  X. 

Stephanus  cardinalis  III,  Einl. ;  IV,  Einl. 

Tholosa  I,  Einl.  (LIX). 

Tiberis  I,  2  §  1. 

Ursus  vid.  Mattheus, 


ö 


nc  lloltzinann,   Robert 

g^  Wilhelm  von  llogaret 

N6H6 


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